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GOETHE
UEBER SEINE DICHTUNGEN.
VERSUCH EINER SAMMLUNG ALLER
AEUSSERüNGEN DES DICHTERS
UEBER SEINE POETISCHEN
WERKE
VON
DR. HANS GERHARD GRAF.
ERSTER THEIL:
DIE EPISCHEN DICHTUNGEN.
ERSTER BAND.
FRANKFURT a/m.
LITERARISCHE ANSTALT
RÜTTEX & LOENING
1901.
Der Nachdruck einzeluer Abschnitte dieses Werkes
ist ausdrücklich untersagt.
Druck von Reinliold Mahlau,
Fa. Malilau & "Waldschmidt, Frankfurt a. M.
Inhalts-Verzeichniss.
Seite.
I. Vorwort V— XII
IL Erklärung der Alikürzungen von Wörtern und Büclier-
titeln, sowie der Zeichen und Zahlen XIII— XXI
III. Übersicht der epischen Dichtungen:
1. nach den Jahren ihrer Entstehung XXII
2. nach ihrer poetischen Form XXIII
IV. Goethes Äusserungen über:
1. AcMlleis, Nr. 1—97 1—33-
2. Chromatik, Nr. 98 34
3. Dichtung und Wahrheit, Nr. 99. 100 35. 36
4. Egoisten (Die), Nr. 101. 102 37
5. Ewige Jude (Der), Nr. 103—112 38— 49
6. Geheimnisse (Die), Nr. 113—146 50— 70
7. Guten Weiber (Die), Nr. 147— 162 71—78
^ 8. Hermann und Dorothea, Nr. 163 — 415b .... 79 — 199
9. Joseph, Nr. 416—418 200—205
10. Margites-Epos, Nr. 419 206
11. Neue Paris (Der), Nr. 420—424 207—210
12. Novelle, Nr. 425—486 211—240
13. Pyrmont, Nr. 487—490 241—247
^U Reineke Fuchs, Nr. 491— 534e 248—278
15. Pieise der Sohne Megaprazons, Nr. 535 .... 279. 280
16. Roman in mehreren Sprachen, Nr. 536—538 . . 281-284
17. Roman über das Weltall, Nr. 539-5431. . . . 285—295
18. Sultan wider Willen, Nr. 543k 296
19. Teil, Nr. 297— 559b 297—315
_ 20. Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten , Nr.
560—630 316—361
21. Wahlverwandtschaften (Die), Nr. 631-909 . . 362—488
V. Berichtigungen und Nachträge 489 — 492
(Die Register befinden sich am Schluss des zweiten Bandes.)
„Ich TTÜnschte besonders jetzt die Chronologie Ihrer Werke
zu wissen, . . .
. . . Ich möchte . . von den früheren Werken, vom , Meister'
selber, die Geschichte wissen. Es ist keine verlorene Arbeit,
dasjenige aufzuschreiben, was Sie davon wissen. Man kann
Sie ohne das nicht ganz kennen lernen."
Schiller an Goethe (17. Januar 1797).
„Natur- und Kunstwerke lernt man nicht kennen, wenn sie
fertig sind; man muss sie im Entstehen aufhaschen, um sie
einigermassen zu begreifen."
Goethe an Zelter (4. August 1803).
Das Werk, dessen erster Theil liiermit der Oeffentlichkeit
übergeben wird, bedarf, was seinen Stoff anbelangt, kaum
einer Erklärung, nocb weniger eines rechtfertigenden Vor-
wortes. So gewiss wir in Goethe vor allem stets den Dichter
sehen werden, ebenso gewiss wird jede Aeusserung, die er
über eines seiner poetischen Werke im Besondern, oder über
seine dichterische Thätigkeit im Allgemeinen gethan hat, für
uns von grosstem Werthe sein.
Diese Aeusserungen des Dichters sind das wichtigste ur-
kundliche Material; sie bilden die naturgemässe Grundlage
für jede Betrachtung, die daraiif ausgeht, das dichterische
Gebild in seiner Entwickhmgsgeschichte zu verfolgen, es in
seiner Idee zu begreifen. Als Ergänzung zur Leetüre der
Dichtungen wird das Studium dieser Aeusserungen jedem
nothwendig erscheinen, der über die Epoche jugendlich ersten,
naiven Genusses hinausgeschritten ist, die kein Wissen um
Goethe kennt; der inne ward, wie im höchsten Masse gerade
Goethes Dichtungen I.ebensbekenntnisse sind, mit den
äusseren Beziehungen und der Innern Entwicklung des Dichters
auf's engste verbunden, beides beleuchtend, von beidem Licht
empfangend; genauer noch: sich gegenseitig bedingend, wie
Athemschöpfen und Ausathmen.
Zu diesen innem Gründen für die Entstehung gegenwär-
tiger Arbeit gesellte sich ein äusserer; aus rein praktischen
Rücksichten erscheint eine Sammlung, wie sie hier versucht
VI VORWORT.
wird, erwünscht: der Stoff ist so ausserordentlich reich, dabei
so weit verstreut und theilweise versteckt, dass er jedem un-
übersehbar, unerreichbar bleiben muss, der sich nicht einem
besonderen, ausschliesslichen Studium der Goethe-Litteratur
widmet, und sebst dieser wird Mühe haben, ihn in Vollständig-
keit zu überblicken.
Der Gedanke einer solchen Sammlung ist keineswegs neu.
Goethe selbst kann in gewissem Sinne der Vater desselben
genannt werden. Denn der eigentliche Zweck von , Dichtung
und Wahrheit' ist ja doch: das organische Wachsthum, die
Genesis des Dichters darzustellen und die Entste-
hungsgeschichte seiner AVei'ke zu schreiben. Denselben Zweck
fördert Goethe sodann dui'ch kleinere Aufsätze, in denen er
Mittheilungen über Idee imd Entstehung einzelner Dichtungen
macht; ferner, indem er die Veröffentlichung seines Brief-
wechsels mit Schiller unternimmt, den er selbst als ,, höchst
wichtig" bezeichnet „wegen der unmittelbaren Aeussenmgen
über die litterarischen Angelegenheiten des Augenblicks" —
„wie wundersam", ruft (ioethe bei dieser Gelegenheit aus, ,.ja
mitunter traurig ist es, in welchen Zuständen, unter welchen
Bedingungen die herrlichsten Productionen entstehen!"^
Schiller, der die Vollendung eines zwanzig Jahre alten, dichte-
rischen Unternehmens (, Wilhelm Meisters Lehrjahre') erlebt,
bittet in einem seiner Briefe dringend um eine ., Geschichte"
von Goethes Werken, indem er bemerkt: ,,Man kann Sie ohne
das nicht ganz kennen lernen". In wie reichem Masse und auf
wie niannichfoche Art Goethe diesen Wunsch während eines-
ganzen Menschenalters zu erfüllen bestrebt war, davon legen
die folgenden Blätter Zeugniss ab.
Und so haben denn auch von jeher die Litterarhistoriker
und Goetheforscher in Einleitungen und Erläuteningen zu
Goethes poetischen Werken oder in selbstständigen Schiliften
die Aeusserungen des Dichters sorgfältigst benutzt und in ihre
Darstellungen verflochten. Schlichte, acten- und urkimdenmä-
ssige Zusammenstellungen dagegen, in der Art. wie sie uns
vorschwebten, sind erst in den letzten Jalirzehnten hervor-
getreten; so die Auszüge „Aus Goethes Tagebüchern 1797—
1832", die Erich Schmidt seiner Ausgabe von , Goethes Faust
in ursprünglicher Gestalt nach der Göchhausenschen Abschrift'
(Weimar Hermann Böhlau 1887) beigegeben hat. Im Herbst
*) An Heinrich Meyer, 21. Juli 1821 (,Briefe von und an Goethe' S. 126).
VORWORT. VII
vorigen Jahres sodauu, als die ersten Bogen gegenwärtigen
Bandes bereits gedruclvt vorlagen, erschien ein dem unsrigen
in der Idee nah verwandtes Werk unter dem Titel .Goethes
Faust Zeugnisse und Excurse zu seiner Entstehungsgeschichte
von Otto PnioAver [Motto: die oben angeführte Stelle aus
Goethes Brief an Zelter] Berlin Weidmannsche Buchhandlung
1899'. Den wesentlichen Inhalt dieses Buches bilden Goethes
Aeusserungen über seine Faust-Dichtung, „in chronologischer
Reihe und im allgemeinen nacli dem Datum ihrer Entstehung"
(S. VIII) angeorduet; es verfolgt somit für Goethes Hauptwerk
denselben Zweck, wie das gegenwärtige für alle Dichtungen
Goethes; denselben Zweck, und zugleich einen höheren, inso-
fern es nicht nur eine schlichte, nach Vollständigkeit strebende
Stoffsammlung geben will, wie das unsere, sondern durch zahl-
reiche, in den Text verflochtene, Einzeluntersuchungen die
Entstehungsgeschichte des Gedichts aufzuhellen sucht.
„Es gibt", sagt Goethe in seinen , Noten und Abhandlungen
zu besserem ^'erstäuduiss des W^est-östlichen Divans', ,,es gibt
nur drei echte Naturformen der Poesie: die klar erzählende,
die enthusiastisch aufgeregte und die persönlich handelnde:
Epos, Lyrik und Drama". Diesen drei Formen ent-
sprechend gliedert sich unser Werk in drei Theile;
Erster Theil: die epischen Dichtungen',
Zweiter Theil: die dramatischen Dichtungen,
Dritter Theil: die lyrischen Dichtungen.
Aeusserungen, die Goethes Uebersetzungen aus fremden
Sprachen betreffen, sind von dieser Sammlung ausgeschlossen.
Die beobachtete Reihenfolge: Epos, Drama, Lj'rik (sie ent-
spricht der von Goethe in der ersten eigenen Sammlung seiner
, Schriften' gewählten Folge) könnte befremden, da wir gewohnt
sind, nach dem Vorbild der .Ausgabe letzter Hand', in den Ge-
sanimtausgaben der Werke die lyrischen Dichtungen an erster,
die epischen an letzter Stelle zu finden. Mögen zu dieser
Reihenfolge den Dichter künstlerische Erwägungen oder
äussere Gründe geführt haben, uns will scheinen, als habe in
frühester Knabenzeit Goethes dichterische Thätigkeit mit der
Erfindung von Mährchen und Rittergeschichten begonnen, habe
sich von da alsbald zu dramatischer Production gewendet, und
sei letztlich erst zu rein lyrischer Ausdrucksweise gelangt.
') Die Gliederunjf von Theil I und II in je zwei Bände beruht auf
keinerlei inneren Gründen, sondern geschah nur, um die Handlichkeit der
einzelnen Bände zu erhöhen.
VIII VORWORT.
Innerhalb der einzelnen Tlieile sind die Dichtungen nicht
chronologisch nach der Zeit ihrer Entstellung, sondern alpha-
betisch angeordnet. Die chronologische Anordnung hätte sich
nicht folgerecht durchführen lassen, da so manche Dichtung in
verschiedenen, weit aus einander liegenden Zeiträumen ent-
standen ist.
Streng chronologische Folge dagegen ist selbstverständlich
innerhalb der einzelnen Dichtungen beobachtet. Freilich bietet
die Datirung einer grossen Zahl von Aeusserungen bedeutende
Schwierigkeiten; sie ist (das sei ausdrüclilich betont), soweit
die Aeusserungen nicht den Tagebüchern oder datirten Briefen
und Gesprächen angehören, nur eine ungefähre, und macht
auch da, wo nicht ausdrücklich ein Fragezeichen beigesetzt
ist, keinen Anspruch auf absolute Richtigkeit.
Die fliessend immer gleiche Reihe der Aeusserungen in
grössere und kleinere Gruppen zu sondern, wie sie etwa be-
deutenden Lebensepochen und Arbeitsperioden des Dichters
entsprechen mögen, wurde nach reiflichster Erwägung unter-
lassen. Wie sehr auch eine solche Gruppirung dem ästhetischen
Blick Bedürfniss, und in Rücksicht auf den mit dem Gegen-
stand weniger Vertrauten wünschenswerth sein mag, sie hätte
sich fast nirgends ohne Zwang und ganz reinlich vollziehen
lassen; nothwendig wäre durch sie etwas Subjectives in den
Stoff hineingetragen worden.
Der streng zeitlichen Folge gemäss sind die Tagebuch-
vermerke, als am Abend des betreffenden Tages niederge-
schrieben, stets an den Schluss aller unter einen und denselben
Tag fallenden Aeusserungen gerückt. Es kommt demnach
gelegentlich vor, dass in einer Briefstelle eine Arbeit als fertig
bezeichnet wird, während eine später folgende Tagebuchnotiz
erst diese Fertigstellung berichtet.
Ferner mussten nach dem Gesetz der chronologischen An-
ordnung alle Aeusserungen. die Goethes biographischen
Schriften angehören, unter Jahr und Tag ihrer Abfassung ge-
bracht werden, nicht unter den Zeitabschnitt, auf den sie sich
beziehen*.
') Auf welche Weise in diesen Fällen ein rasches und sicheres Zurecht-
finden ermöglicht ist, zeigen zum Beispiel die Stellen 39, 49. 41, 16. 83, 25 f.
187, 3. — Theodor Vogel (in seinem schönen Buche .Goethes Selhstzeugnisse
über seine Stellung zur Religion und zu religiös-kirchlichen Fragen. In
zeltlicher Folge zusammengestellt von Th. Vogel. Zweite Auflage. . . .
Leipzig, Druck und Verlag von B. G. Teubner. ID^O') und Pniower (in dem
oben angeführten Werke) verfahren umgekehrt ; Pniower unterlässt aber
nicht, jedesmal eine Angabe über die Zeit der Niederschrift der betreftenden
Aeusserung zu machen.
VORWORT. IX
Auf eine, leider nothwendige, Unvollständigkeit der Samm-
lung sei ausdi-ücklich aufmerksam gemacht. In der Weimai'er
Goethe-Ausgabe liegt weder die Abtheilung der Tagebücher
noch die der Briefe vollendet vor; diese i-eicht vorerst nur bis
zum Jahre 1810, jene bis zum Jahre 1826 einschliesslich. Dieser
Umstand ist sehr bedauerlich, insofern er die an sich schon
schwer zu erreichende YoUstäudigkeit des Textes von vom
herein ausschloss. Indessen lag kein Grund vor, die Veröffent-
lichung gegenwärtiger Arbeit um jenes üebelstandes Willen
auf nicht absehbare Zeit hinauszuschieben, wenn wir be-
denken: dass im letzten halben Jahrzehnt von Goethes Leben
mit der dichterischen Production auch die Tagebuch venu erke
über diese abnehmen müssen, und dass für die bedeutendste
Dichtung dieser Jahre, für ,Fausf. die Auszüge aus den Tage-
büchern schon besonders gedruckt vorhanden sind. Was so-
dann Goethes Briefe aus den .Jahren 1811 bis 1832 betrifft, so
liegt der grössere und wichtigste Theil dei'selben in den ver-
schiedenen Briefwechseln und sonstigen Veröffentlichungen
gedruckt vor.
Der Text richtet sich in Rechtschreibung und Zeichen-
setzung nach den Vorschriften, die Goethe, unter Güttlings Bei-
rath, für die .Ausgabe letzter Hand' seiner Werke als bindend
anerkannt hat; jedoch mit steter Rücksicht auf die Bestim-
mungen, die für die Weimarer Goethe-Ausgabe aufgestellt
worden sind\ An diese Ausgabe schliesst sich der Text auf's
engste an; für die in ihr noch nicht erschienenen Theile geht
er auf die sogenannte Hempelsche Ausgabe zurück^
Die Erläuterungen enthalten, ausser den selbstverständ-
lichen biographischen Notizen. Erklärungen, gelegentlichen Be-
richtigungen, Angaben von Büchertiteln und Verwandtem.
1. eine grosse Zahl von Verweisungen zur Erleichterung
des Ueberblicks über das sachlich Zusammengehörige;
2. die Antworten der Correspondenten. so weit sie zum
Verständniss von Goethes brieflichen Aeussei-ungen und
>) y»l. W. 1. XX— XXIV und die Regeln .Zur Ortboo^rapliie und Inter-
punction der "Weimarisehen Goetheansgabe. Für die Mitarbeiter als ilanu-
script gedruckt'.
') ßein orthograrihische Ungleichheiten, wie „Literatur" neben „Litteratur",
^Prokurator" neben „Proeurator-. Schreibungen wie : .die 2te Hälfte des fünften
Buches" und Achuliehes was in der Weimarer Ausgabe unangetastet ge-
blieben ist) wurden ausgeglichen; an Verschiedenheiten dagegen ^-ie -fodem"
neben „fordern"-, .ahnden" neben .ahnen", auch «Epopee-* neben .Epopöe*,
„Packet" neben „Paquet", „nieder legen" neben „niederlegen" und Aehnliches
-wurde nicht gerührt.
VORWORT.
zur Charakteristik des persönlichen Verhältnisses notli-
wendig waren^;
3. eine kurze Uebersicht der Handschriften und Drucke
jeder Dichtung. Die Handschriften befinden sich, wo
nichts Anderes bemerkt ist, im Goethe- und Schiller-Ar-
chiv zu Weimar; den Angaben über sie liegen zumeist
die Berichte der Herausgeber in der Weimarer Goethe-
Ausgabe zu Grunde. Von den Drucken sind im Allge-
meinen nur diejenigen aufgeführt, welche der Dichter
selbst oder die Herausgeber seines Nachlasses veran-
staltet haben. Die ,Octav-Ausgabe' der .Ausgabe letzter
Hand" wird, als wesentlich übereinstimmend mit der so-
genannten , Taschen-Ausgabe', nicht mit aufgeführt.
Bei einem Werke, das, wie gegenwärtiges, sowohl dem
weiten Kreise der Litteraturfreunde, als auch dem engeren der
Fachgelehrten zu dienen wünscht, ist es leider kaum zu ver-
meiden, dass in Bezug auf die erläuternden Beigaben bald
etwas vermisst, bald etwas überflüssig gefunden wird. Viel-
fach mussten die Erläuterungen, um die Handlichkeit des
Buches nicht zu gefährden, statt auch das Wünschenswerthe
zu geben, sich auf das Unentbehrliche beschränken.
Hier aber möchte ich nicht unterlassen, mit herzlichem
Danke der werthvollen Unterstützung zu gedenken, deren ich
mich von vielen Seiten zu erfreuen hatte. Als ganz besonders
fördernd habe ich die rege Antheilnahme zu vei'ehren. die Herr
Professor Herman Grimm in Berlin der vorliegenden Ai'beit
von Anfang an zu widmen die Güte hatte. Schätzenswerthe
Mittheilungen und Nachweise verdanke ich den Herren Direc-
toren des Goethe- und Schiller- Archivs, Bernhard S u p h a u .
des Goethe-National-Museums. Carl R u 1 a n d , und der Gross-
herzoglichen Bibliothek zu Weimar, Paul A'on Bojanowski,
sodann den Herren Doctoren und Professoren Woldemar Frei-
herm von Biedermann (Dresden), Ludwig Geiger
(Berlin), Fritz Jonas (Berlin), Max Koch (Breslaii), Albert
Leitzmann (Jena), Gustav M i 1 c h s a c k ( Wolfenbüttel),
Gustav R ö t h e (Göttingen), Carl S c h ü d d e k o p f (Weimar),
Julius Wähle (Weimar), sowie den Verwaltungen der König-
lichen öffentlichen Bibliothek zu Dresden, der Bibliothek
i'i Die Ortho^jraphie der in don Erliiuterunpen aiiffefühvten Stelleu aus
Briefen, Recensionen und Anderem ist übereinstimmend mit der des Textea
behandelt.
VORWORT. XI
des Freien Deutscbeu Hochstiftes zu F r a u k f u r t ti lu Main
und der Uuiversitäts-Bibliothek zu Jena.
Zum Scliluss nocli ein Wort über das Aeussere des Buebes,
Insofern es in Antiqua gedruckt ist. Goethes Mutter wird nicht
müde, ihren Sohn zu lobpreisen, dass er seine Werke nicht in
den „so fatalen", „vor die grüsste ilenschenhälfte unbrauch-
baren"' lateinischen Lettern drucken lasse, nicht müde, auf
„diese neumodische Fratze" zu wettern und Goethe zu bitten,
er möge ,, deutsch bleiben auch in den Buchstaben". ..Von Dir,
mein lieber Sohn," schreibt sie einmal. ., hoffe ich, dass ich
nie ein solches menschenfeindliches Product zu sehen be-
komme" (SdGG. 4, .57. 1— .ü. 157, 15—21). Goethe selbst war dem
Antiqua-Di'uck sehr geneigt. Das geht sowohl aus dem Briefe
der Frau Ratli an ihn vom 12. März 1798 hervor, als auch
aus seinen eigenen Worten an Wilhelm von Humboldt, mit
Beziehung auf .Hermann und Dorothea": ..Zur zweiten Aus-
gabe wüi"de ich die lateinische Schrift wählen, da sie heiterer
aussieht, . . ich glaube denn doch zu bemerken, dass der ge-
bildete Theil des Publicums sich durchaus zu lateinischen
Lettern hinneigt" (s. unten 125. S— 13).
In diesem Sinne, und mit Rücksicht auf die ausserdeutschen
Lande, in denen die Verehrung und das Studium von Goethes.
Dichtungen stetig wächst, wurden für das vorliegende Buch
die lateinischen Lettern gewählt, und so ist zu hoffen, dass
ihm der Vorwurf, ein undeutsches, ,, menschenfeindliches Pro-
duct" zu sein, erspart bleibe.
Möchte ihm eine freundliche Aufnahme gegönnt sein.
Entsprungen ist es der innigsten L'eberzeugung, dass wir
Menschen wenig Dinge besitzen, die in so hohem Grade
gleichermassen Phantasie und Herz beglücken, die Vernunft
befrieden, den Geist befreien und empovläutem, wie Goethes
Dichtungen. Diese zwar sind nur einzelne Erzeugnisse seiner
grossartigen Individualität, nur die ,, Schlangenhäute", die uns
geblieben sind von seiner dem All zurückgegebenen Persön-
lichkeit. Wie viel grösser Goethe selbst, als alles, was er
gedichtet, wie viel grösser noch als er selbst die Ideale, die
seiner heiTlichen Seele voi"schwebten, das vei-mögen wir nur
in seltenen Augenblicken zu ahnen.
Goethes Dichtungen aber sind es doch, die uns jene Ideale
am reinsten vermitteln. Möclite unser Buch an seinem Theile
XII VORWORT.
helfen, das Verständniss dieser Dichtungen zu fördern, ihren
Genuss zu vertiefen und zu beleben, indem es ihre Biogra-
phien darbietet, so weit diese sich aus des Dichters eigenen
Aevisserungen zusammenfügen lassen.
Wolfenbüttel, am 28. August 1900.
Dr. Hans Gerhard Graf,
Hülfsarbeiter an der HerzogUcheu Bibliothek.
^Sl<
^^'
Erklärung
DER
Abkürzungen von Wörtern und Büchertiteln,
SOWIE der Zeichen und Zahlen.
(Die Abkürzungen der Vornamen sind im Personen-Register aufgelöst.)
a. a. 0. — am angeführten Orte.
Abeken = Erinnerungen B. E. Abekens aus den beiden letzten Jahr-
zehnten des vorigen und dem ersten dieses Jahrhunderts. Mit-
geteilt von Dr. A. Heu ermann, . . [in: Festschrift zur drei-
hundertjährigen Jubelfeier des Ratsgymnasiums zu Osnabrück
1895 dargebracht vom Lehrerkollegium. (Osnabrück 1895. Druck
von J. G. Kisling.)]
Appell = Werther und seine Zeit. Zur Goethe-Literatur. Von Johann
Wilhelm Appell. Vierte, verbesserte und vermehrte Auflage. Olden-
burg 1896. Schulzesche Hof-Buchhandlung.
Archiv f. L. = Archiv für Litteraturgeschichte . . Band 1 flg. Leipzig
1870 flg.
Aus Herders Nachlass — Aus Herders Nachlass. Herausgegeben von
Heinrich Düntzer und Ferdinand Gottfried von Herder. Band 1 — 3.
. . . Frankfurt a. M. Meidinger Sohn und Cornp. 1856. 1857.
(Auch unter dem Titel: Aus Herders Nachlass. üngedruckte
Briefe von Herder und dessen Gattin, Goethe, Schiller, . . .)
Berichte dFDH. =^ Berichte des Freien Deutschen Hochstiftes zu Frank-
furt am Main. Herausgegeben vom Akademischen Gesamt-Aus-
Bchuss. Neue Folge. Band 1 flg. Jahrgang 1885 flg. Frankfurt
am Main. Druck von Gebrüder Knauer.
Böttiger = Literarische Zustände und Zeitgenossen. In Schilderungen
aus Karl Aug. Böttiger's handschriftlichem Nachlasse. Heraus-
gegeben von K. W. Böttiger, . . Bändchen 1. 2. Leipzig: F. A.
Brockhaus. 1838.
Boisseree = Sulpiz Boisseree. Band 1. 2. Stuttgart. Cotta'scher
Verlag. 1862.
Br. = Goethes Briefe Band 1—21 . . Weimar Hermann Böhlau 1887
— 1896. (Auch unter dem Titel: Goethes Werke Herausgegeben
im Auftrage der Grossherzogin Sophie von Sachsen IV. Ab-
theilung Band 1—21 . . .)
XIV ERKLÄRUNG DER ABKÜRZUNGEN.
Br. an Eichstädt = Goethes Briefe an Eichstädt. Mit Erläuterungen
herausgegeben von Woldemar Freiherrn von Biedermann. Berlin
Gustav Hempel. 1872.
Braun = Goethe irn Urtheile seiner Zeitgenossen. Zeitungskritiken,
Berichte, Notizen, Goethe und seine Werke betreffend, aus den
Jahren 1773—1786 (1787—1801. 1802—1812), gesammelt und
herausgegeben von Julius W. Braun. Eine Ergänzung zu allen
Ausgaben von Goethes Werken. Berlin. Verlag von Friedrich
Luckhardt. 1883—1835. (Auch unter dem Titel: Schiller und
Goethe im Urtheile ihier Zeitgenossen. . . . Zweite Abtheilung:
Goethe. Band 1—8. . . .)
Briefe von J. H. Voss = Briefe von Johann Heinrich Voss nebst er-
läuternden Beilagen herausgegeben von Abraham Voss. Band
1—3(1.2). Halberstadt, bei Carl Brüggemann. 1829—1833.
Briefe von und an Goethe = Briefe von und an Goethe. Desgleichen
Apliorismen und Brocardica. Herausgegeben von Dr. Friedrich
Wilhelm Kiemer, . . Leipzig, Weidmann'sche Buchliandlung. 1846.
Caroline = Caioline. Briefe an ihre Geschwister, ihre Tochter Auguste,
die Familie Gotter, . . nebst Briefen von A. W. und Fr. Schlegel
u. a. Herausgegeben von G. Waitz. Band 1. 2. ... Leipzig
Verlag von S. Hirzel. 1871.
Charlotte Schiller = Charlotte von Schiller und ihre Freunde. Band
1—3. . . . Stuttgart. J. G. Cotta'scher Verlag. 1860—1865.
Chronik dWGV. = Chronik des Wiener Goethe -Vereins. Band 1 flg.
Wien 1886 flg. Verlag des Wiener Goethe-Vereins. 4°.
Düntzer: Erläuterungen = Erläuterungen zu den Deutschen
Klassikern. Erste Abtheilung: Erläuterungen zu Goethes Werken.
1 (Hermann und Dorothea .Achte Auflage. 1897). 2 (Werther.
Zweite Auflage 1880). 3 (Wilhelm Meisters Lehrjahre. Zweite
Auflage. 1875). 4 (Wilhelm Meisters Wanderjahre. Zweite Auf-
lage. 1870). 5 (Wahlverwandtschaften. Zweite Auflage. 1878).
15 (Reise der Söhne Megaprazons und Unter! laltungen deutscher
Ausgewanderten. 0. J. [1873]). 16 (Novelle und die guten Frauen.
0. J. [1895?]). Leipzig, Ed. Wartig's Verlag Ernst Hoppe.
Düntzer: Freundesbilder = Freundesbilder aus Goethe's Leben.
Studien zum Leben des Dichters. Von H. Düntzer. . . . Leipzig,
Dyk'sche Buchhandlung 1853.
Düntzer: Goethe und Karl August = Goethe und Karl August.
Studien zu Goethes Leben von Heinrich Düntzer. Zweite neu-
bearbeitete und vollendete Auflage. Drei Theile in einem Bande.
Leipzig Verlag der Dyk'schen Buchhandlung. 1888.
Düntzer: Schiller und Goethe = Schiller und Goethe. Ueber-
sichten und Erläuterungen zum Briefwechsel zwischen Schiller
und Goetlie. Von Heinrich Düntzer. Stuttgart. J. G. Cotta'scher
Verlag. 1859.
ERKLÄRUNG DER ABKÜRZUNGEN. XY
Dün'izer: Studien = Zu Goethe's Jubelfeier. Studien zu Goetlie's
Werken. Von Heinrich Duntzer. . . . Elberfeld und Iserlohn.
Julius Bädeker. 1849.
Eckermann = Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines
Lebens. Von Johann Peter Eckermann. Sechste Auflage. Mit
einleitender Abhandlung und Anmerkungen von Heinrich Düntzer.
. . . Theil 1—3. Leipzig: F. A. Brockhaus. 1885. — In Theil 3
hat Eckermann Goethes Gespräche mit Soret eingefügt.
E. E. = Eure Escollenz.
Erl. = Erläuterung.
E. W. = Euer Wohlgeboren.
E. Hochw. = Euer Hochwohlgeboren.
f., flg. = folgende (f. bei Einzahl, flg. bei Mehrzahl).
G. -Bettina = Goethes Briefwechsel mit einem Kinde. Seiuem Denkmal.
Tlieil 1. 2. . . . Berlin, bei Ferdinand Duinmler. 1835.
G.-Brentano = Goethes Briefwechsel mit Antonie Brentano 1814—
1821. Herausgegeben von Rudolf Jung. Weimar Hermann Böhlaus
Nachfolger. 1896. (Auch unter dem Titel: Schriften des Freien
Deutscheu Hoehstiftes in Frankfurt a M. VII. . . .)
G.-Carlyle = Goethe's und Carlyle's Briefwechsel. Berlin. Verlag von
Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung). 1887.
G-Frommann = Das Frommannsche Haus und seine Freunde. Von
F. J. Frommann. Zweite vermehrte Auflage. Jena, Druck und
Verlag von Fr. Frommann. 1872.
G.-Göttling = Briefwechsel zwischen Goethe und K. Göttling in den
Jahren 1824 — 1831. Herausgegeben und mit einem Vorwort be-
gleitet von Kuno Fischer. München. Verlagsbuchhandlung von
Fr. Bassermanii. IS-fO. — (Die zweite Ausgabe, 1889, ist nur
Titclauflage)
G. -Grüner = Briefwechsel und mündliclier Verkehr zwisclicn Goethe
und dem Rathe Grüner. Leipzig, Verlag von Gustav Mayer. 1853.
G. -Humboldt = Goethe's Briefwechsel mit den Gebrüdern von Humboldt.
(1795 — 1832.) Im Auftrage der von Goethe'schen Familie heraus-
gegeben von F. Th. Bratranek. Leipzig: F. A. Brockhaus. 1876.
(Auch unter dem Titel: Neue Mittheilungen aus Johann Wolfgang
von Goethe's handschriftlichem Nachlasse. Theil 3. . . .)
G. -Jacob! = Briefwechsel zwischen Goethe und F. H. Jacobi heraus-
gegeben von Max Jacobi Leipzig, Weidmann'sche Buchhandlung.
1846.
G. -Karl-August = Briefwechsel des Grossherzogs Carl August von
Sachsen -Weimar -Eisenach mit Goethe in den Jahren von 1775
bis 1828. Neue Ausgabe. Band 1. 2. . . . Wien 1873. Wilhelm
Braumüller . .
XYI ERKLÄRUNG DER ABKÜRZUNGEN.
G.-Kestner — Goethe und Werther. Briefe Goethe's, meistens aus seiner
Jugendzeit, mit erläuternden Documenten. Herausgegeben von
A. Kestner, . . Stuttgart und Tübingen. J. G. Cotta'scher Verlag.
1854
G. -Knebel = Briefwechsel zwi!^chen Goethe und Knebel. (1774 — 1832.)
Theil 1. 2. Leipzig: F. Ä. Brockhaus. 1851.
G.-La-Roche = Briefe Goethe's an Sophie von La Roche und Bettina
Brentano nebst dichterischen Beilagen herausgegeben von G. von
Loeper. Berlin. Verlag von Wilhelm Hertz. (Bessersche Buch-
handlung.) 1879.
G.-Reinhard = Briefwechsel zwischen Goethe und Reinhard in den
Jahren 18ü7 bis 1832. Stuttgart und Tübingen. J. G. Cotta'scher
Verlag 1850.
G.-Rochlitz = Goethes Briefwechsel mit Friedrich Rochlitz. Heraus-
geber : Woldemar Freiherr von Biedermann. . . . Leipzig. F. W.
V. Biedermann. 1887.
G. -Schultz = Briefwechsel zwischen Goethe und Staatsrath Schultz.
Herausgegeben und eingeleitet von H. Düntzer. Neue wohlfeile
Ausgabe. . . . Leipzig, Dyk'sche Buchhandlung. 0. J [1^56.]
G. -Stein = Goethes Briefe an Frau von Stein Herausgegeben von
Adolf Scholl Dritte umgearbeitete Auflage besorgt von Julius
Wähle. Band 1. Zweite vervollständigte Auflage bearbeitet von
Willielm Fielitz. Band 2. Frankfurt a. M. Literarische Anstalt
Rütten & Loening. 1899. 1885.
G. -Sternberg — Briefwechsel zwischen Goethe und Kaspar Graf von
Sternberg. (1820—1832) Herausgegeben von F. Th. Bratranek.
Wien, 1866. Wilhelm Braumüller . .
G. -Willemer = Briefwechsel zwischen Goethe und Marianne von Willemer
(Suleika). Herausgegeben mit Lebensnachrichten und Eiläuterungen
von Th. Creizenach. Zweite, vermehrte Auflage. Stuttgart. Verlag
der J. G. Cotta'schen Buchhandlung. lS78.
G.-Zelter = Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter in den Jahren
1796 bis 1832. Herausgegeben von Dr. Friedrich Wilhelm Kiemer,
. . Theil 1—6, . . . Berlin, lfc33. 1834. Verlag von Duncker
und Humblot.
Gespräche = Goethes Gespräche. Herausgeber: Woldemar Freiherr
von Biedermann Band 1—10: . . Leipzig. F. W. v. Bieder-
mann. 1889—96. — Die in den Erläuterungen stets namhaft
gemachten Original-Drucke sind in den meisten Fällen verglichen
und nach ihnen der Text berichtigt worden; wo der Original-
Druck nicht verglichen werden konnte, ist diess ausdrücklich
bemerkt. Fehlt die nähere Angabe der Quelle, so findet man
diese im Verzeichniss der Büchertitel unter dem Namen dessen,
mit dem Goethe das betreffende Gespräch führte.
ERKLÄRUNG DER ABKÜRZUNGEN. XVII
GJ. = Goetlie- Jalirbucli. Herausgegeten von Dr. Ludwig Geiger.
Band 1 flg. Frankfurt a/M. Literarische Anstalt Rütten & Loening.
1880 flg.
Goedeke = Grundrisz zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den
Quellen von Karl Goedeke. , Zweite ganz neu bearbeitete Auflage.
Band 1 flg. . . . Dresden. Verlag von Ls. Ehlermann.
M.DCCC.LXXXIV. flg.
gr. = griechisch.
Herders Reise nach Italien = Herders Eeise nach Italien. Herders
Briefwechsel mit seiner Gattin, vom August 1788 bis Juli 1789.
Herausgegeben von Heinrich Düntzer und Ferdinand Gottfried
von Herder. Giessen, 1859. J. Eicker'sche Buchhandlung.
Hirzel = Salomon Hirzels Verzeichniss einer Goethe-Bibliothek mit
Nachträgen und Fortsetzung herausgegeben von Ludwig Hirzel.
Leipzig Verlag von S. Hirzel 1884.
Humboldt-Jacobi = Briefe von Wilhelm von Humboldt an Friedrich
Heinrich Jacobi. Herausgegeben und erläutert von Albert Leitz-
mann . . Halle a. d. S. Max Niemejer. 1892.
Knebel-Henriette = Aus Karl Ludwig von Knebels Briefwechsel mit
seiner Schwester Henriette (1774—1813). Ein Beitrag zur deutschen
Hof- und Litteraturgeschichte. Herausgegeben von Heinrich
Düntzer. Jena, Druck und Verlag von Friedrich Mauke. 1858.
lat. = lateinisch.
Merck I. = Briefe an Jobann Heinrich Merck von Goethe, Herder,
Wieland und andern bedeutenden Zeitgenossen . . herausgegeben
von Dr. Karl Wagner, . . Darmstadt, Verlag von Johann Philipp
Diehl. 18;:i5.
Merck II = Briefe an und von Johann Heinrich Merck. . . heraus-
gegeben von Dr. Karl Wagner. . . . Darmstadt, Verlag von Johann
Piiilipp Diehl. 1838.
Merck III = Briefe aus dem Freundeskreise von Goethe, Herder
Höpfner und Merck. . . herausgegeben von Dr. Karl Wagner. . .
Leipzig, Ernst Fleischer. 1847.
Mittheüungen = s. Riemer.
Müller = Goethes Unterhaltungen mit dem Kanzler Friedrich von
Müller. Herausgegeben von C. A. H. Burkhardt. Zweite stark
vermehrte Auflage. Stuttgart, 1898. Verlag der J. G. Cotta'schen
Buchhandlung Nachfolger.
Nat. W. = Goethes Naturwissenschaftliche Schriften Band 1—5(1).
6—12 . . . Weimar Hermann Böhlau 1890—1897. (Auch unter
dem Titel: Goethes Werke Herausgegeben im Auftrage der
Grossherzogin Sophie von Sachsen II. Abtheilung Band 1-5
(1). 6-12). ^
XVIII ERKLÄRUNG DER ABKÜRZUNGEN.
Neue Schriften = Goetlte's neue Schriften. Band 1—7. Berlin. Bei
Johann Friedrich Unger. 1792—1800.
Nr. = Nummer.
0. J. = Ohne Jahr.
Pniower — Goethes Faust Zeugnisse und Excurse zu seiner Ent-
stehungsgeschichte von Otto Pniower . . . Berlin Weidmannsche
Buchhandlung 1899.
Riemer = Mittheilungen über Goethe. Aus mündlichen und schrift-
lichen, gedruckten und ungedruckten Quellen. Von Dr. Friedrich
Wilhelm Püemer, . . Band 1. 2. Berlin, Verlag von Duncker und
Humblot. 1841.
Riemer-Frommann = Aus dem Goethehause. Briefe Friedr. Wilh.
Riemers an die Familie Frommann in Jena. (1803 — 1824.) Nach
den Originalen herausgegeben von Dr. Ferdinand HeitmüUer.
. . . Stuttgart 1892. Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhand-
lung Nachfolger.
S. = siehe.
S. - Seite.
Schiller-Cotta = Briefwechsel zwischen Schiller und Cotta Heraus-
gegeben von Wilhelm Vollmer . . . Stuttgart Verlag der J. G.
Cotta'schen Buchhandlung 1876.
Schiller-Humboldt == Briefwechsel zwischen Schiller und Wilhelm von
Humboldt. Dritte vermehrte Ausgabe mit Anmerkungen von
Albert Leitzmann . . . Stuttgart 1900 J. G. Cotta'sche Buchhand-
lung Nachfolger . .
Schiller-Körner = Schillers Briefwechsel mit Körner. Von 1784 bis
zum Tode Schillers. Zweite vermehrte Auflage. Herausgegeben von
Karl Goedeke. Theil 1.2:.. Leipzig, Verlag von Veit & Comp. 1874.
Schillers Br. = Schillers Briefe. Herausgegeben und mit Anmerkungen
versehen von Fritz Jonas. Kritische Gesamtausgabe. Band 1 — 7.
Deutsche Verlags-Anstalt. Stuttgart, Leipzig, Berlin, Wien. 0. J.
[1892—1897.]
Schillers Werke = Schillers Werke. Herausgegeben von Ludwig
Bellermanii. Kritisch durchgesehene und erläuterte Ausgabe.
Band 1 — 14. Leipzig und Wien. Bibliographisches Listitut. 0. J.
[1895—1897.]
Schriften = Goethe's Schriften. Band 1 — 8. Leipzig, bei Georg
Joachim Göschen. 1787—1790.
Schubarth — Zur Beurtheilung Goethe's, mit Beziehung auf verwandte
Litteratur und Kunst. Von Schubarth. Band 1. 2. Zweite, ver-
mehrte Auflage. 1820. Verlag von Josef Max in Breslau. Wien,
bey Karl Gerold.
SdGG. ^ Schriften der Goethe-Gesellschaft. . . . Band 1 flg. Weimar.
Verlag der Goethe-Gesellschaft. 1885 flg.
ERKLÄRUNG DER ABKÜRZUNGEN. XIX
Soret = s. Eckermami.
Teichmann = Johann Valentin Teichmann's, . . literarischer Nachlass,
herausgegehen von Franz Dingelstedt. Stuttgart, Verlag der
J. G. Cotta'schen Buchhandlung. 1863.
Tgb. = Goethes Tagehücher Band 1—10 . . . Weimar Hermann
Böhlau 1887—1899. (Auch unter dem Titel: Goethe.s Werke
Herausgegehen im Auftrage der Grossherzogin Sophie von Sachsen
m. Abtheilung Band 1—10 . . .)
u. g. D. = unter gleichem Datum.
V. = Vers.
Vgl. = Vergleiche.
Von und an Herder = Von und an Herder. Ungedruckte Briefe aus
Herders Nachlass. Herausgegehen von Heinrich Düntzer und
Ferdinand Gottfried von Herder. Band 1—3. . . . Leipzig,
Dyk'sche Buchhandlung. 1861. 1862.
Vossbriefe = Goethe und Schiller in Briefen von Heinrich Voss . .
Briefauszüge, in Tagehuchform zeitlich geordnet und mit Er-
läuterungen herausgegeben von Dr. Hans Gerhard Graf. . . .
Leipzig. Druck und Verlag von Philipp Eeclam jun. 0. J. [1896.
Universal-Bibliothek 3581. 3582.]
W. = Goethes Werke Herausgegeben im Auftrage der Grossherzogin
Sophie von Sachsen Band 1 flg. Weimar Hermann Böhlau 1887 flg.
WD. = Goethes Werke Theil 5. 13. 14. 17—25. . . . Herausgegeben
von Prof. Dr. Heinrich Düntzer Berlin und Stuttgart, Verlag
von W. Spemann. 0. J. [1884 flg.] (Auch unter dem Titel:
Deutsche National -Litteratur Historisch kritische Ausgabe . .
herausgegeben von Joseph Kürschner Band 86. 94. 95. 98 — 106 . . .)
Werke Cotta^ == Goethe's Werke. Band 1—12. (13.) Tübingen, in
der J. G. Cotta'schen Buchhandlung. 18Ö6— 1808. (1810.)
Werke Cotta- = Goethe's Werke. Band 1 — 20. Stuttgart und Tübingen,
in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung. 1815 — 1819.
Werke Cotta^ = Goethe's Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand.
Band 1 — 40. Unter des durchlauchtigsten deutschen Bundes
schützenden Privilegien. Stuttgart und Tübingen, in der J. G.
Cotta'schen Buchhandlung. 1827 — 1830. (Sogenannte „Taschen-
Ausgabe" .)
Werke N. = Goethe's nachgelassene Werke. [Herausgegeben von
Riemer und Eckermann.] Band 1—20. Stuttgart und Tübingen,
in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung. 1832—1842. (Auch
unter dem Titel : Goethe's Werke. Vollständige Ausgabe letzter
Hand. Band 41—60. . • •)
Werke 0- = Goethe's poetische und prosaische Werke in Zwei Bänden.
[Herausgegeben von Piieiiier und Eckermann.] Band 1(1. 2j. 2(1. 2).
Stuttgart und Tübingen. Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhand-
lung. 1836. 1837. 4».
XX ERKLÄRUNG DER ABKÜRZUNGEN.
WH. = Goethe's Werke. Nach den vorzügliclisten Quellen revidirte
Ausgabe. Theil 1—36. . . . Berlin. Gustav Hempel. 0. J.
[1868—1879.]
WH., zweite Ausgabe = Goetlie's Werke. Band 1—3. . . . Zweite
Ausgabe. Berlin, 1882—1884. Verlag von Gustav Hempel. (Bernstein
u. Frank.) (Audi unter dem Titel: Goetbe's Gedichte. Theil 1—3.
Mit Einleitung und Anmerkungen von G. von Loeper. . . .)
Wolzogen = Literarischer Nachlass der Frau Caroline von Wolzogen.
Band 1. 2. Leipzig. Druck and Verlag von BreitkopT und Härtel.
1848. 1849.
Z. = Zeile.
Zauper = Studien über Goethe. Von J. St. Zauper. Bändchen 1. 2.
. . . Neue durchgesehene und vermehrte Auflage. [Bändchen 2
trägt diese Bezeichnung nicht.] Wien. Druck und Verlag von
Carl Gerold. 1840. (Bändchen 1 auch unter dem Titel; Grund-
züge zu einer deutschen theoretisch-praktischen Poetik aus Gocthe's
Werken entwickelt von J. St. Zauper. . . . ; Bändchen 2 auch
unter dem Titel : Aphorismen moralischen und ästhetischen
Inhalts, meist in Bezug auf Goethe Aus meinem Tagebuche.
Von J. St. Zauper. Nebst Briefen Goethe's an den Verfasser. . . .)
Zeitschrift fdA. = Zeitschrift für deutsches Alterthum und deutsche
Litteratur . . Band 19 flg. . . Berlin 1876 flg.
. . ; . . . ; . . . . = Zwei Puncte deuten an, dass ein oder mehrere
Worte, drei, dass ein oder mehrere Sätze, vier, dass ein oder
mehrere Absätze ausgelassen sind; überspringt der Text mehrere
Seiten, so ist das durch eine Zeile von Puncten angedeutet.
* — als erledigt gestrichen (in Goethes Agenda). Das von der
Weimarer Goethe-Ausgabe in den Listen der Postsendungen als
Zeichen für Packete angewendete * ist, um Verwechselungen vor-
zubeugen, durch das Wort „Packet" ersetzt.
( ) = Die runde Klammer wurde im Text nur in ganz vereinzelten
Fällen angewendet, um anzuzeigen, dass das zur Ergänzung des
Satzes unentbehrliche Wort aus dem unmittelbar Vorhergehenden
herübergenommen ist.
][ ] = Alle Zusätze des Herausgebers innerhalb des Textes sind in
eckige Klammern geschlossen ; ebenso alle ergänzten Datirungen ;
eine nach links ofi'ene Klammer vor der Monatsangabe bedeutet,
dass auch das Jahr ergänzt ist. — In Zahlengruppen bei Citaten,
wie: 2(1), 73 u. s. w. bezeichnet die in ( ) geschlossene Zahl die
Unterabtheilung des betreffenden Bandes.
? = Ein Fragezeichen vor dem Datum deutet an, dass die Beziehung
der betreffenden Stelle auf die Dichtung zweifelhaft ist. [? ? ?]
bedeutet : Monat, Tag und Ort sind unbekannt.
ERKLÄRUNG DER ABKÜRZUNGEN. XXI
Zahlen : Bezieht sich ein Citat auf das vorliegende Bucli, so zeipt
die erste Zahl die ?eite, die zweite die Zeile an (bei AnfTi'nung
nach den Nummern sind der betreffenden Zahl stets die Buch-
staben Nr vorgesetzt); bezieht sich das Citat auf ein mehr-
bändiges Werk, so zeigt die erste Zahl den Band, die zweite
die Seite an (Beispiel : Boisseree 1,'27); hat das betreffende Werk
Zeilenzählung, so ist als dritte Zahl die Zeilenzahl hinzugefügt
(Beispiele : W. 27, 160, 4. Br. 9, 28, 2—12).
Die kleine ünterscheiduugszahl in der Gruppe Werke Cotta'
u. s. w. gibt zu Verwechselungen mit den kleinen auf die Er-
läuterungen bezüglichen Zahlen keinen Anlass, da jene im Text
nicht vorkommt.
Das Format ist stets 8", avo nichts Anderes angegeben ist.
XXII
Jahr der
Eut-
stehnng.
Uebersicht der epischen Dichtungen nach den
Jahren ihrer Entstehung.
Jahr des
ersten
Drucks.
1754/G5.
17G0.
1762.
1766.
1768.
uml770.
1770.
1774.
1774.
1775/91.
1780|1819.
1784/86.
1786.
1792.
1793.
1794/y(;.
1794/95.
1795.
1796.
1796/97.
1797.
1797/98.
1798/99.
1798.
1800.
1801.
1806/08?
1807/21.
1807/09.
1807.
1807.
1807/29.
1807/29.
1807/09.
1807/oa.
1811.
1811.
1820.
1821.
1825,29.
1826/28.
1. Mährchen und Geschichten ; nicht bekannt (in später
Niederschrift .Der neue Paris' 1811)
2. Roman in mehreren Sprachen, in Brieten ; nicht erhalten
3. Joseph, Heldengedicht in Prosa ; nicht erhalten .
4. Kleine, romanhafte Geschichten, in Briefen (für Gellerts
Praktilium) ; nicht erhalten
5. Mährchen (vgl. Nr. 1951); nicht erhalten
G. Roman, in Briefen (,Arianne an Wetty'); nur Bruch-
stücke bekannt
7. Mährchen von der neuen Melusine ; nicht bekannt (in
anderer Gestalt 1807) ...
8,1. iWerther', erste Fassung .
9. ,Der ewige Jude' ; nicht vollendet
10,1. ,Wi!helm Meisters theatralische Sendung'; nicht be-
kannt (theilweise in den , Lehrjahren')
11. Roman über das Weltall (später, 1798, Naturgedicht in
Hexametern) ; nicht vollendet
12. ,Die Geheimnisse'; nicht vollendet
8,11. ,Werther', zweite Fassung
13. ,Reise der Söhne Megaprazons' ; nicht vollendet . . .
14. ,Reineke Fuchs'
10,11. , Wilhelm Meisters Lehrjahre'
15. jünterhaltungen deutscher Ausgewanderten' (darin 6
kleine Erzählungen und ,das Mährchen')
15a. ,Das Mährchen' (nur in den »Unterhaltungen deutscher
Ausgewanderten')
16. , [Werthers] Briefe aus der Schweiz' ; nicht vollendet .
17. ,Hermann und Dorothea'
18. Jagd-Epos ; nicht ausgeführt (später als ,Novelle' be-
handelt 1826/28)
19. Teil, Epos ; nicht ausgeführt
20. , Achilleis' ; nicht vollendet
21. Margites-Epos (,Monsieur Nicola') ; nicht bekannt . .
22. ,Die guten Weiber' (darin 5 kleine Geschichten) . . .
23. Pyrmont, romanhafte Erzählung ; nicht ausgeführt .
24. , Sultan wider Willen', Roman ; nicht ausgeführt .
25,1. , Wilhelm Meisters Wanderjahre', erste Fassung .
25a. ,Sanct Joseph der Zweite', Erzählung
25b., Die neue Melusine', Mährchen (vgl. 7)
25c. ,Die gefährliche W^ette'. Erzählung (nur in den , Wander-
jahren')
25d.,Der Mann von fünfzig Jahren', Novelle
25e. ,Das nussbraune Mädchen', Novelle
26 ,Die Wahlverwandtschaften' (darin ,Die wunderlichen
Nac-hbarskinder. Novelle')
26a. ,Die wunderlichen Nachbarskinder. Novelle' (nur in den
,Wahlverwandrschaften') . . .
27. ,üie Egoisten', Roman ; nic-ht ausgeführt . . . : .
28. ,Der neue Paris. Knabenmährchen' (vgl. 1)
25f. ,Wer ist der Verräther?' Novelle (nur in den ,Wander-
jahren')
25g. , Nicht zu weit!' Novelle (nur in den ,Wauderj;»hren') .
25,11. , Wilhelm Meisters Wanderjahre', zweite Fassung . .
29. ,Novelle' (vgl. 18)
1846.
1774.
1836.
1787/89.
1787.
1837.
1794.
1795/96.
1795.
1795.
1808.
1797.
1808.
1800.
1821.
1809.
181iil8.
1829.
1817/29.
1815/29.
1809.
1809.
1811.
1821.
1829.
1829.
1828.
XXIII
Uebersicht der epischen Dichtungen nach der Form.
j Jahr der
(Die in ( ) beigefügten Zahlen beziehen sich auf die erste Tabelle.) , ,"'"
' stehung.
A.
Dich-
tnngen in
unge-
bundener
Kede:
Mährchen :
II. Heldengedicht : 1.
III.
Erzählungen
(Geschichten,
Xovellen) :
IV.
ßomaue ;
liriefen :
b.
nicht in
Briefen :
B.
bundener
Rede:
Reimen :
II.
in Hexametern :
1. Mährchen der Knabenzeit (1) ,
2. Mährehen der Jünglingszeit (5.7)
3. ,Da8 Mährchen' (15a) . . . .
4. ,Die neue Melusine' (2öh) . .
5. ,Der neue Paris' (28) . . . .
Joseph (3)
1. Geschichten der Knabenzeit (1)
^. ,Reise der Söhne Megapra-
zons' (13)
3. .Unterhaltungen deutscher Aus-
gewanderten' (15)
4. ,Die guten Weiber' (22) . . .
5. Pyrmont (23)
6 ,Sauct Joseph der Zweite' (25a)
7. ,Die gefährliche Wette' (iöc) .
8. ,Der .Mann von fünfzig Jahren'
(25d)
9. ,Da8 nussbraune Mädchen' (-'Se)
10. ,Die wunderlichen Nachbars-
kinder' (2na)
11. ,Wer ist der Verräther?' (25f) .
12. ,Nicht zu weit!' (2.ig) , . .
13. .Novelle' (23)
1. Roman in mehreren Sprachen (2)
2. Romanhafte Geschichten (4)
3. , Roman' (G)
4. ,Werther' (8, I. II) . . . .
5. Roman über das Weltall? (11)
C. .Briefe aus der Schweiz' (16) .
1. .Wilhelm Meisters Lehrjahre'
(10, I. II.) ' . .
2. ,8ultan wider Willen' (24) , .
3. , Wilhelm MeistersWanderjahre'
(25,1. II.)
4. .Die Wahlverwandtschaften' (26)
5. ,Die Egoisten' (27) ....
1. ,Der ewige Jude' (9) . . . .
1. ,Die Geheimnisse' (12) . . .
2. Jagd-Epos ? (18) ....
1. ,Reineke Fuchs' (14) . . .
2. , Hermann und Dorothea' (17)
3. Teil (19)
4. .Achilleis' (20)
5. Margites-Epos (21) . . .
6. Naturgedicht (11) ....
1754/65.
1768/70.
1795.
1807.
1811.
1762.
1754/65.
1792.
1794/95.
1800.
1801.
1807/09.
1807.
1807/29.
1807/29.
1807/09.
1820.
1821.
182C/28.
1760.
1766.
um 1770.
1774/86.
1780/1819.
1796.
1775/96.
1806/08 ?
1807/29.
1807/09.
1811.
1774.
1784 '86.
1797.
1793.
1796/97.
1797/98.
1798'99.
1798.
1798/1819.
A c h i 1 1 e i s.
Handschriften: Im Goethe- und Schiller- Archiv befinden sich:
1. Eine Handschrift des ersten Gesanges, von Schreiber-
hand, mit metrischen Verbesserungsvorschlägen von
5 Heinrich Voss;
2. Schemata und Eut-svürfe, über die im Goethe-Jahr-
buch 8, 269, nach einem Vortrage Hermann vSchreyers,
berichtet wird: „Ein Schema von 102 Motiven, in acht
Abschnitte (Gesänge) getheilt. lässt den allgemeinen
10 Gang der Dichtung deutlich erkennen. Danach bildete
die Liebe des Acliilleus zur Polyxena. der Tochter des
Priamos, den Mittelpunct der Handlung; der Kampf
der Friedens- und Kriegspartei im trojanischen wie im
griechischen Lager wird eingehend geschildert. Den
15 Abschlnss macht der Tod des Achilleus, der Streit um
die Waffen desselben zwischen Aias und Odysseus imd
der Wahnsinn und Tod des Aias. — Ausser dem Haupt-
schema finden sich noch spätere Entwürfe der ersten
sechs Bücher, die zum Theil abweichen."
M Erster Druck: ISOS, Werke Cotta* 10, 295—322. Am Schluss
des Bandes, voraufgehen ,Reineke Fuchs' und .Hermann
und Dorothea'.
Zweiter Druck: 1817, Werke Cotta- 11, 29.5—322. Voraufgehen
.Reineke Fuchs' und .Hermann und Dorothea', es folgt
25 .Pandora'.
Dritter Drttck: 1830, Werke Cotta' 40, 339—3(59. Die Stellung
wie im zweiten Druck.
Weimarer Ausgabe: 1 . . . ? W. Band öO (ist noch nicht er-
schienen, befindet sich aber unter der Presse). Die
30 Stellung wie im zweiten und dritten Druck.
Graf, Goethe über s. Dichtungen T. I. 1
y
./
ACHILLEIS. 1797
1797.
März 13, Jena. 1
Abends zu iSchiller, viel über epische Gegenstände
lind Vorsätze.
Tgb. 2, 60, 15—17. 5
April 10, Weiinnr. 2
[Früh?] Prolegomena von Wolf.
Tgb. 2, 65, 13.
April 20, Weimar. 3
Früh Prolegomena von Wolf. lo
Tgb. 2, 65, 15.
April 28, Weimar. 4
Abends zu Hause. Homers Odyssee.
Tgb. 2, 66, 9 f.
December 23, Weim.ar. 5 15
In der Beilage erhalten Sie meinen Aufsatz-, den
ich zu beherzigen, anzuwenden, zu modifieiren und zu
erweitern bitte. Ich habe mich seit einigen Tagen dieser
Kriterien beim Lesen der Ilias und des Sophokles be-
dient, so wie bei einigen epischen und tragischen Gegen- 20
ständen, die ich in Gedanken zu motiviren versuchte,
und sie haben mir sehr brauchbar. Ja entscheidend ge-
schienen.
.... Schliesslich muss ich noch von einer sonderbaren
Aufgabe melden, die ich mir in diesen Eücksichten ge- 25
geben habe, nämHch zu untersuchen: ob nicht zwischen
Hektors Tod und der Abfahrt der Griechen von der
trojanischen Küste noch ein episches Gedicht inne liege?
^ Prolegomena ad Homerum sive de operum homericorum
prisea et genuina foi'ma variisque mutationibus et probabili 30
ratione emendandi. Scripsit Frid. Aug. Wolfius. Vol. I. Halis
Saxonum, e libraria orphanotrophei. 1795.
'' jT'^eber opisolie und dramatische Dichtung' (WH. 29. 223 —
220). vgl. 145. 30 f.
1797 ACHILLEIS.
[Üecember 23, Weimar.] [5]
oder nicht? ich vermutlie fast das letzte und zwar aus
folgenden Ursachen:
1. AYeil sich nichts Ketrogradirendes mehr findet,
5 sondern alles unaufhaltsam vorwärts schreitet.
2. Weil alle noch einigermassen retardirenden Vorfälle
das Interesse auf mehrere Menschen zerstreuen und, ob-
gleich in einer grossen Masse, doch Privatschicksaien
ähnlich sehn. Der Tod des Achills scheint mir y
10 ein herrlich tragischer Stoff, der Tod des Ajax, die Eück-
kehr des Philoktets sind uns von den Alten noch übrig
geblieben. Polyxena, Hekuba und andere Gegenstände
aus dieser Epoche waren auch behandelt. Die Erobe-
rung von Troja selbst ist, als Erfüllungsmoment eines
1-, grossen Schicksals, weder episch noch tragisch und
kann bei einer echten epischen Behandlung nur immer
vorwärts oder rückwärts in der Ferne gesehen werden.
Virgils rhetorisch-sentimentale Behandlung kann hier
nicht in Betracht kommen.
20 So viel von dem, was ich gegenwärtig einsehe, salvo
meliori, denn wenn ich mich nicht irre, so ist diese
]\Iatcrie, wie viele andere, eigentlich theoretisch unaus-
sprechlich. Was das Genie geleistet hat, sehen wir allen-
falls, wer will sagen, was es leisten könnte oder sollte.
25 Au Schiller. — Br. 12. 381. 13—20. 384. 22-385. 22.
Decembcr 27, Weimar. 6
Ich habe diese Tage fortgefahren die Ilias zu studi-
ren, um zu überlegen, ob zwischen ihr und der Odyssee
nicht noch eine Epopee inne liege. Ich finde aber nur
30 eigentlich tragische Stoffe, es sei nun, dass es wirklich
so ist, oder dass ich nur den epischen nicht finden kann.
Das Lebensende des Achills mit seinen Umgebungen
Hesse eine epische Behandlung zu und forderte sie ge-
wissermassen, wegen der Breite des zu bearbeitenden
35 Stoffs. jSTun würde die Frage entstehen: ob man wohl
ACHILLEIS. 1798-
[December 27, Weimar.] [6]
thue, einen tragischen Stoff allenfalls episch zu be-
handeln? Es lässt sieh allerlei dafür und dagegen sagen.
"Was den Effect betrifft, so würde ein Xeuer, der für
Xeue arbeitet, immer dabei im Yortheil sein, weil man &•
ohne pathologisches Interesse wohl schwerlich sich den
Beifall der Zeit erwerben wird.
An Schiller. — Br. 12, .386, 24—387, 1-5.
1798.
März 22, Jena. 7 !(►
Abends bei Schiller. . . . Ueber verschiedne epische
A'orsätze^.
Tgb. 2, 202, 12—14.
März 2.3, Jena. 8
. . ich will sehen, ob ich in dieser absoluten Stille 15
des jenais^chen Schlosses auch wieder^ etwas hervorzu-
bringen im Stande bin.
Meine beiden epischen Gegenstände, sowohl Teil als
Achill, haben Schillers grossen Beifall.
An H. Meyer. — Br. 13, 102, 22—26. 2»
März 23. Jena. 9
Mittag zu Schiller. . . über Episches und Drama-
tisches.
Tgb. 2, 202, 17—19.
März 27, Jena. 10 25
Bis jetzt kann ich meinen hiesigen Aufenthalt weder
ganz loben noch ganz schelten, ich habe zwar schon
^ Nach dem, was Goethe Tags darauf an Meyer schrieb
(s. Z. 18 f.), ist anzunehmen, dass über die epische Behand-
lung der Teilsage, besonders aber über den Plan der ,Achil- 3»
lei's* gesprochen wurde.
Sachlich ghört in diese imd die nächstfolgende Zeit Nr. 93,
mit den 31, 2.">— 29 gemachten Einschränkiuigen, und Nr.
384a.
" Im Jahr zuvor hatte Goethe hier an .Hermann und Doro- 3»
thea' gearbeitet.
1798 ACHILLEIS.
[März 27, Jena]. [10]
manches bei Seite gebracht, al)er das noch nicht gethan
was ich wünschte.
Au Christiaue. — Br. 13. 103, 18—21.
i März 28, Jeua. 11
Mittags bei Schiller Fortsetzung über das Tragische
und Epische.
Tgb. 2, 203, 16-18.
März 29, Jena. 12
10 Schema zur Äneis. In der Ilias gelesen.
Tgb. 2, 203,21.
März 30, Jeua. 13
Das "Wetter ist mir hier gar nicht günstig und ich
habe bisher zwar manches gearbeitet, nur gerade das
15 nicht, was ich wünschte. Indessen wird doch vieles vor-
Ijereitet und man kommt weiter ohne es selbst zu merken.
Ich will noch einige Zeit Geduld haben, zuletzt muss es
sich doch geben.
An Christin uo. — Br. 13. 1(»4. 17—22.
:20 März 31, Jeua. 14
Die Ilias. Yerschiedne Schriften aus der Bibliothek,
die sich darauf Ijeziehen^ Schemata und Auszüge.
Tgb. 2, 203, 28—204, 2.
' Welche AVerke Goethe entlieh, liisst sich nicht feststellen,
25 da (nach gütiger Mittheilung des Vorstandes der Universi-
täts-Bil)liothek zu .Teua) die Ausleihebücher aus jeuer Zeit
nicht vorhanden sind. Wahrscheinlich befanden sich unter
den entliehenen Schriften die in Nr. 10. 18 und 38 genannten.
Gleichzeitig sei bemerkt, dass Goethe aus der Weimari-
ao sehen Bibliothek, vom 23. December 1797 bis zum 1. Fe
bruar 1798. als einziges den Gegenstand betreffendes Werk,
das folgende, im Tagebuch nicht erwähnte, entliehen hatte:
Dictys Cretensis et Dares Phrygius de hello et excidio Trojffi,
. . Xec non Josephus Iscanus [de hello trojauo. librisexl...
^5 Dissertationem de Dictye Cretensi praefixit Jac. Perizonius.
Amstelaedami, Ge. Gallet. 1702, 4". (Vgl. Dttntzers Einlei-
tung zur .Achillei's', Goethes Werke, Berlin und Stuttgart,
W. Spemaun. O. .T. [1884] .5. 10.5—107.)
ACHILI.EIS. 1798
April 1, Jena. 15
Fortsetzimir der Arbeit an der Ilias.
Tgb. 2, 204,3.
April 2, Jena. . 16
Wood über Homer ^ Sebema fortgesetzt. 5
Tgb. 2, 204, 8.
April 3, Jena. 17
leb bin fleissig, es ist mir aber doch nicht gegangen
wie ich Avünschte.
An Christiane. — Br. 13. 107, 21 f. lO
April 3, Jena. 18
[Früh] Le Chevalier p]bene von Troja- und dahin
einschlagende Betrachtungen. . . .Mittag zu Schiller, wo
viel über die neuen epischen und tragischen Unter-
nehmungen gehandelt wurde. Abends in Wood\. . . i»
Tgb. 2, 204, 13—18.
April 5, Jena. 19
Früh Wood^.
Tgb. 2, 204, 23.
^ Robert Woods Versuch über das Originalgenie des Homers 20
aus dem Englischen [von Christian Fi'iedrich Michaelis].
Frankfurt am ;Main in der Audreäiscbeu Buchhandlung 1773.
Goethe hatte das Werk 1773 in den .Frankfurter gelehrteu-
anzeigen' (Nr. 33 vom 23. April) besprochen, und gedachte
seiner später im zwölften Buche von , Dichtung und Wahr- 2S
heir (W. 28, 145, 10—146, 2).
^ Beschreibung der Ebene von Troja mit einer auf der Stelle
aufgenommenen Charte. Der Kön. Societät zu Edinburg
im Febr. und März 1791 vorgelegt von ihrem Mitgliede,
HeiTn Leche^alier, . . Mit Anmerkungen und Erläuterungen 30
von Herrn Andreas Dalzel. . . Aus dem Englischen übersetzt
[von K. F. Dornedden] und mit Vorrede, Anmerkungen
und Zusätzen des Herrn Hofrath Heyne begleitet. Mit vier
Charten. Leipzig, 1792 in der Weidmannschen Buchhand-
hmg- 35
" s. Z. 20—22. — Am 4. April hatte der Herzog Karl August
Goethen brieflich beglückwünscht zu seinem ..Werk im grie-
chischen Stil" rG.-Karl August 1, 234).
1798 AOHILLEIS. 7
April 14. Weimar. 20
Vor die schöne Homerische Welt ist gleichfalls ein
Vorhang gezogen und die nordischen Gestalten, Faust
und Compagnie, haben sich eingeschlichen^
s An Charlotte Schiller. — Br. 13, 116, 3—5.
April 28, Weimar. 21
^Indern Sie nur der Ilias erwähnen, fühle ich schon
wieder ein unendliches Verlangen mich an Jene Arbeit
zu machen, von der wir schon so viel gesprochen haben.
10 Hoffentlich gelingen mir dieses Jahr noch ein paar Ge-
sänge, indessen niuss man alle Chorizonten mit dem
Fluche des Bischofs Ernulphus verfluchen^, und wie die
^ Nicht nur durch die Arbeit am , Faust' wurde vom 0. April
his zum 10. Mai die .Achilleis' iu den Hintergrund gedrängt,
15 sondern auch durch die Beschäftigung mit dem zweiten
Theil der .Zauberflöte', durch die Uebernahme des Gutes
Ober-Rossla und durch Ifflands Gastspiel.
- Am 27. April hatte Schiller berichtet, er habe noch keine
Stimmung zur Arbeit finden können: ..Dafür lese ich in
20 diesen Tagen den Homer mit einem ganz neuen Vergnügen,
wozu die Winke, die Sie mir darüber gegeben, nicht wenig
beitragen. Man schwimmt ordentlich in einem poetischen
Meere, aus dieser Stimmung fällt man auch in keinem ein-
zigen Puncte und alles ist ideal bei der sinnlichsten AVahr-
25 heit. Uebrigens muss einem, wenn man sich in einige
Gesänge hineingelesen hat. der Gedanke an eine rhap-
sodische Aneinanderreihung und an einen verschiedenen
Ursprung notliwendig barl)arisch vorkommen, denn die
herrliche Continuität und Reciprocitüt des Ganzen und
30 seiner Theile ist eine seiner wirksamsten Schrinheiteu"'
(Schillers Br. 5, 372 f.).
' ..Chorizonten" Cgr. chorizeiu = trennen, sondern i wurden die
griechischen Kritiker genannt, die behaupteten: nur die
Ilias, niclit aber die Odyssee sei von Homer verfasst.
35 Ernulfus oder Arnulfus Roffensis starb 1124 als Bischof
von Rochester. Er soll, als Benedictinermönch in Beauvais,
sein Kloster mit einem Fluche auf die darin herrschende
Zuchllosigkeit verlassen haben.
8 ACHILIJiJIS. 3798
[April 2S, Weimar.] [21J
Franzosen, auf Leben und Tod, die Einheit imd Un-
theilbarkeit des poetischen Werthes in einem feinen
Herzen festhalten und vertheidigen.
An Schiller. — Br. 13, 126, 20—28. 5
Mai 2, Weimar. 22
Die Stelle in der Odyssee^ scheint sich freilich auf
eine der unzähligen Ehapsodien zu beziehen, aus denen
nachher die beiden überbliebenen Gedichte so glücklieh
zusammengestellt wurden. Wahirscheinlich sind jene lo
eben desswegen verloren gegangen, weil die Ilias und
Odyssee in ein Ganzes coalescirten. So haben wir un-
zählige Epigramme verloren, weil man eine Epi-
grammensamnilung veranstaltete, so sind die Werke der
alten Eechtslehre zu Grunde gegangen, weil man sie in is
die Pandekten digerirte xi. s. -u'. Verzeihen Sie mir diese
etwas chorizontischo Aeusserung, doch scheint mir täg-
lich begi'eifl icher, wie man aus dem ungeheuren Yor-
rathe der rhapsodischen Genieproducte, mit subordi-
nirtem Talent, ja beinah bloss mit Verstand, die beiden 20
Kunstwerke, die uns übrig sind, zusammen stellen
konnte; ja wer hindert uns anzunehmen, dass diese Con-
tiguität und Continuität schon durch die Forderung des
Geists an den Ehapsoden im allerhöchsten Grade vor-
bereitet gewesen, sogar will ich einmal annehmen, dass 25
man nicht alles in die Ilias und Odyssee, was wohl
Schiller hatte am 1. Mai geschrieben: „Es ist mir dieser
Tage in der Odyssee eine Stelle aufgefallen, welche auf ein
Gedicht, das verloren gegangen, schliessen lässt und dessen
Thema der Ilias vorhergeht. Sie steht im achten Buch der 30
Odyssee vom zweiundsiobzipsten Yerse an. Vielleicht wissen
Sie mehreres davon.
Möchten Sie nur erst wieder in Ilirer Homerischen Welt
leben. Ich zweifle nicht im geringsten, dass Ihnen diesen
Sommer und Herbst noch einige Gesänge gelingen werden" 35
(Scliillers Br. 5, 376).
1798 ACHILI.EiS.
[Mai 2, Weimar.] [22]
hineingepasst hätte, aufgenommen habe, dass man nicht
dazu, sondern davon gethan habe.
Doch das sind Meinungen über einen Gegenstand,
5 über den alle Gewissheit auf ewig verloren ist, und die
Yorstellungsart, die ich äussere, ist mir bei meiner
jetzigen Production günstig, ich muss die Ilias und
Odyssee in das ungeheure Dichtungsmeer mit auflösen,
aus dem ich schöpfen will.
10 An Schiller. — Br. 13. 1.34. 11—135, 11.
Mai 5, Weimar. 23
Ich habe fast keinen andern Gedanken als mich mit
den Homerischen Gesängen, sobald ich zu Ihnen komme,
näher zu befreunden, ein gemeinschaftliches Lesen wird
15 die beste Einleitung sein^.
Au Schiller. — Br. 13. 136. 16—19.
Mai 11, Weimar. 24
Die Ilias wieder vorgenommen.
Tgb. 2. 207. 10.
20 Mal 12, Weimar. 25
Ihr Brief hat mich, wie Sie wünschen-, bei der Ilias
angetroffen, Avohin ich immer lieber zurückkehre, denn
man wird doch immer, gleich ^ne in einer Montgolfiere,
über alles Irdische hinausgehoben, und befindet sich
Am 4. Mai hatte Schiller an Goethe geschrieben: „Es wäre
wohl nicht übel, \\-enu wir bei Ihrem nächsten Hiersein den
Homer zusammen läsen. Die schöne Stimmung nicht zu
rechnen, die Ihnen das zu Ihrer Arbeit gäbe, würde es uns
auch die schönste Gelegenheit zu einem Ideenwechsel dar-
bieten, Avo das Wichtigste in der Poesie nothwendig zur
Sprache kommen müsste" (Schillers Br. 5, 378).
A^'ohl mit Bezug auf die Stelle in Schillers Brief vom
11. Mai: ,.Dass Sie sich durch die Oper [.Der Zauberflöte
zweiter Theil'] nur nicht hindern lassen, an die Hauptsache
recht ernstlich zu denken" (Schillers Br. 5. 380).
10 ACHILLEiS. 171)8
[Mai 12, Weimar.] [25]
walirliaft in dem Zwischenräume, in welchem die Götter
hin und her schwebten. Ich fahre im Schematisiren
und Untersuchen fort, und glaube mich wieder einiger
Hauptpässe zu meinem künftigen Unternehmen be- 5
mächtigt zu haben. Die Ausfüiirung wäre ganz unmög-
lich, wenn sie sich nicht von selbst machte, so wie man
keinen Acker Waizen pflanzen könnte, da man ihn doch
wohl säen kann. Ich sehe mich jetzt nach dem besten
Samen um und an Bereitung des Erdreichs soll es auch lo
nicht fehlen, das Uebrige mag dann auf das Glück der
Witterung ankommen.
Das "Wichtigste bei meinem gegenwärtigen Studium
ist, dasä ich alles Subjective und Pathologische aus
meiner Untersuchung entferne. Soll mir ein Gedieht 15
gelingen, das sich an die Ilias einigermassen anschliesst,
so muss ich den Alten auch darinne folgen, worin sie
getadelt werden, ja ich muss mir zu eigen machen, was
mir selbst nicht behagt^; dann nur werde ich einiger-
massen sicher sein, Sinn und Ton nicht ganz zu ver- 20
fehlen. ]\Iit den zwei Avichtigen Puncten, dem Ge-
brauch des göttlichen Einflusses und der Gleichnisse,
glaube ich im Reinen zu sein, wegen des letzten habe
ich wohl schon etwas gesagt. Mein Plan erweitert sich
von. innen aus und wird, wie die Kenntniss wächst, 25
auch antiker. Ich muss nur alles aufschreiben, damit
mir bei der Zerstreuung nichts entfallen kann.
Die nächste Zeit, die ich bei Ihnen zubringe, soll alles
schon weiter rücken und einige Stellen, von denen ich
am meisten gewiss zu sein glaube, will ich ausführen. 30
An Schiller. — Br. 13, 140, 13-141, 24.
^ Mit Bezug hierauf schrieb Schiller am lö. Mai: ,,Das was
Ihnen im Homer missfällt, w-erden Sie wohl nicht absicht-
lich nachahmen, aber es wird, wenn es sich in Ihre Arbeit 35
einmischt, für die Vollständigkeit der Versetzung in das
1798 ACHILLEiS. 11
Mai 12, Weimar. 26
[Vomiittags] Ilias fortgesetzt.
Tgb. 2, 207, 11.
Mai 13, Weimar. 27
5 Früh Ilias fortgesetzt.
Tgb. 2, 207, 14.
Mai 14, Weimar. 2S
Früh Ilias.
Tgb. 2, 207, 17.
10 Mai 15, Weimar. 29
Am ernsthaftesten imd anhaltendsten hat mich das
Studium der Ilias beschäftigt, das ich auch noch eine
Zeit lang fortzusetzen denke.
Da mein erster epischer Versuch [,Hermann und
15 Dorothea'] gut aufgenommen worden^ so ist es mir eine
Art von Pflicht diese Dichtungsart noch näher zu stu-
diren, um mich noch weiter drinne zu wagen, denn ich
finde sie sowohl meinen Jahren, als meiner Xeigung,
so wie auch den Umständen überhaupt am angemessen-
20 sten; ja vielleicht dürfen wir Deutsche in keiner Dicht-
art uns so nahe an die echten alten Muster halten, als
in dieser, und es kommen so viel Umstände zusammen,
die ein schwer, ja fast unmöglich scheinendes Unter-
nehmen begünstigen. Habe ich in , Hermann und Do-
25 rothea' mich näher an die Odyssee gehalten, so möchte
ich mich wohl in einem zweiten Falle der Ilias nähern;
sollte aber auch ein solches Unternehmen zu kühn sein,
so gewinne ich doch schon unglaublich bei'ni blossen
Studio, und eine Aussicht auf einen künftig prak-
30 tischen Gebrauch, wenn sie auch nur ein frommer
Wahn wäre, begünstigt doch unglaul^lich jede theore-
tische Untersuchung, und selbst die klare Einsicht von
Unerreichbarkeit eines hohen Vorbildes gewährt schon
einen unaussprechlichen Genuss, ja es ist jetzo gewisser-
35 Homerische Wesen und für die Echtheit Ihrer Stimmung
beweisend sein" (Schillers Br. 5, 382).
12 ACHILLEIS. 1798
[Mai 15, Weimar.] [29]
massen einem jeden, der sich mit ästhetischen Gegen-
ständen beschäftigt, die höchste Angelegenheit sich
über diese alteü Meisterstücke, wenigstens mit sich
selbst, in Einigkeit zu setzen, da man von allerlei Seiten 5
so manches Sonderbare darüber hören muss\
An Knebel. — Br. 13, 14.5, 7—140, 7.
Mai 15. Weimar. 30
Früh Ilias fortgesetzt.
Tgb. 2, 207, 19. 10
Mai 16, Weimar. 31
Ihr Brief- trifft mich wieder bei der Ilias I Das Stu-
dium derselben hat mich immer in dem Kreise son
Entzückung, Hoffnung, Einsicht und A^erzweiflung
durchgejagt. i5
Ich bin mehr als jemals von der Einheit und Untheil-
barkeit des Gedichts überzeugt, und es lebt überhaupt
kein Mensch mehr und wird nicht wieder geboren
werden, der es zu beurtheilen im Stande wäre. Ich
wenigstens finde mich allen Augenblick einmal wieder 20
auf einem subjectiven Urtheil. So ist's andern vor uns
gegangen und wird andern nach uns gehn. Indess war
mein erstes Appereü einer .Achilleis' richtig, und
wenn ich etwas von der x\rt machen will und soll, so
muss ich dabei bleiben. 25
Die Ilias erseheint mir so rund und fertig, man mag
sagen was man will, dass nichts dazu noch davon ge-
than werden kann. Das neue Gedicht, das man unter-
Knebel antwortete am 30. Mai aus Ilmenau: ,,Dass Du,
Lieber, nun zu einer lliade sclireitest. das ist freilich ein 30
grosses Unternehmen, zumalen in dem Städtchen Weimar,
aber für Dein Genie, das so vieles zu besiegen weiss, nicht
unmöglicli. Ich gebe den bergmännischen Zuruf von ganzem
Herzen dazu, der sichrer eintreffen wird, als der auf nnsern
Gebirgen, wo die golduen Adern etwas selten sind" (G.- 35
Knebel 1, 176).
Vom 15. Mai, s. 10, 32.
1798 ACHILLEiS. 13
[Mai 16, AVeimar.] [31J
nähme, mü^ste man gleichfalls zu isoliren suchen und
wenn es auch, der Zeit nach, sich unmittelbar an die
Ilias anschlösse.
5 Die ,Achilleis" ist ein tragischer Stoff, der
aber wegen einer gewissen Breite eine epische Behand-
lung nicht verschmäht.
Er ist durchaus sentimental und würde sich
in dieser doppelten Eigenschaft zu einer modernen Ar-
10 beit qualificiren, und eine ganz realistische Behandlung
würde Jene beiden innem Eigenschaften in's Gleichge-
wicht setzen. Ferner enthält der Gegenstand ein blosses
persönliches und Privatinteresse, dahingegen die Ilias das
Interesse der Völker, der Welttheile, der Erde und des
15 Himmels umschliesst.
Dieses alles sei Ilinen an"s Herz gelegt I Glauben Sie,
dass, nach diesen Eigenschaften, ein Gedicht von grossem
Umfang und mancher Arbeit zu unternehmen sei, so
kann ich jede Stunde anfangen, denn über das Wie der
20 Ausführung hin ich meist mit mir einig, werde aber,
nach meiner alten "Weise, daraus ein Geheimniss machen,
bis ich die ausgeführten Stellen selbst lesen kannV
An Schiller. — Br. 13, 148, 1—140. 14.
^ Schiller antwortete am 18. Mai: ..Da es wohl seine Rich-
25 tigkeit hat. dass keine Ilias nach der Ilias mehr möglich
ist. auch wenn es wieder einen Homer und wieder ein
(xriechenland gäbe, so glaube ich Ihnen nichts Besseres
wünschen zu können, als dass Sie Ihre .Achillels', so wie sie
jetzt in Ihrer Imagination existirt, bloss mit sich selbst
30 vergleichen imd beim Homer bloss Stimmung suchen, ohne
Ihr Geschäft mit seinem eigentlich zu vergleichen. Sie
Averden sieh ganz gewiss Ihren Stoff so bilden, wie er sieb
zu Ihrer Form qualifizirt und umgekehrt werden Sie die
Form zu dem Stoffe nicht verfehlen. Für beides bürgt
3'« Ihnen Ihre Natur und Ihre Einsicht und Erfahrung. Die
tragische und sentimentale Beschaffenheit des Stoffs werden
Sie unfehlbar durch Ihren subjectiven Dichtercharacter ba-
lanciren, und sieher ist es mehr eine Tugend als ein Fehler
14 ACHlLLEiS. 1798
Mai 17, ^Yeimar. 32
[Vormittags] Ilias fortgesetzt.
Tgb. 2, 207, 24.
Mai 10. Weimar. 33
Zu dem ersten 131att Ihres lieben Briefes' kann ich 5
nur Amen sagen, denn es enthält die Quintessenz dessen,
was ich mir wohl auch zu Trost und p]rmunterung zu-
rief. Hauptsächlich entstehen diese Bedenkliehkeiten
aus der Furcht, mich im Stoffe zu vergreifen, der ent-
weder gar nicht, oder nicht von mir, oder nicht auf lo
diese Weise behandelt werden sollte. Diessmal wollen
wir nun alle diese Sorgen l)ei Seite setzen und nächstens
muthiglich beginnen.
. . . Morgen Abend bin ich bei Ihnen und hoffe
schon im voraus auf die Fruchtbarkeit der nächsten 1,5
vier Wochen.
An Schiller. — Br. 13, 151, 1—9. 19—21.
Mai 21, Jena. 34
Das Schema der Ilias geendigt. . . . Gegen Abend bei
Schiller. . . viel über die Ilias sowohl im Ganzen als in 20
den Theilen.
Tgb. 2, 208, 5 f. 8 f.
Mai 22, Jena. 35
Abends bei Schiller, Fortsetzung der Huml)oldtischen
Abhandlung über die Ilias^. 25
Tgb. 2, 208. 11—13.
des Stoffs, da SS er den Forderungen unseres Zeitalters ent-
gegen kommt, denn es ist ebenso unmöglich als undankbar
für den Dichter, wenn er seinen vaterländischen Boden ganz
verlassen und sich seiner Zeit wirklich entgegen setzen soll. 30
Ihr schöner Beruf ist, ein Zeitgenosse und Bürger beider
Dichterwelten zu sein, und gerade um dieses höhern Vor-
zugs Avillen, werden Sie keiner ausschliessend angehöreti"
(Schillers Br. 5, 384 f.).
' Vom IS. Mai, s. 13, 24. 35
' Das Komma nach „Abhandlung" fehlt im Tagebuch; durch
Einsetzung desselben ist der Schein getilgt, als sei von
1799 ACHTLLEIS. 15
Mai 23, Jeua. 36
Abends bei Schiller, . . viel üljcr da? epische Gedicht
[,Hermann und Dorothea'] nnd über das. was zu-
nächst wohl vorzunehmen wäre.
5 Tgb. 2. 208, 16. 18 f.
Mai 26, Jeua. 37
Abends bei Schiller den Huniboldtischen Aufsatz
fortgesetzt. Ueber epische, dramatische und lyrische
Dichtkiinst\
10 Tgb. 2. 209, 9-11.
Juli 16, [JeuaV und] Weimar. — s. 160. 24—26. 3Ta
Juli 19, Weimar. 38
Lenz über die Ebne von Troja-.
Tgb. 2. 215, 13.
15
1799.
Februar 17, Jena. 39
Mittags Hofrath Schiller, A])ends ,Achille'is' be-
sprochen^.
Tgb. 2, 235. 7 f.
20 einer Abhandlung über die Ilias die Rede. Vielmehr
handelt es sich um die, damals noch ungedruekte, Schrift
Wilhelm von Humboldts über .Hermann und Dorothea', an
deren gemeinsame Leetüre sowohl das obige Gespräch, als
auch die Unterhaltungen am 21., 23. und 26. Mai sich an-
2.5 schlössen (vgl. 161, 30—34).
^ Während der nun folgenden Monate, vom Juni 1798 bis
in den Februar 1799, wurde Goethe, ausser durch Arbeiten
zur bildenden Kunst (vgl. 32, 2— öl durch den Theaterbau, den
Schlossbau. die Vorbereitungen für die Aufführung des
30 , Wallenstein' und durch die , Farbenlehre' in Anspruch ge-
nommen.
* Die Ebene von Troja nach dem Grafen Choiseul Gouffier
und andern neuern Reisenden nebst Erläuterungen übev den
Schauplatz der Ilias und die darauf vorgefallnen Begeben-
35 heiten von Carl Gotthold Lenz. Mit Kupfern. Xeu-?trelitz
Michaelis. 1798.
' Vgl. 31. 10—14. 33—38.
10 ACHILLEIS. 179J>
März 9, Weimar. 40
. . hier nur noch gnte Nachrieht: dass ich, durch
Ihren Zuruf ermuntert^, diese Tage meine Gedanken
auf dem trojanischen Felde festgehalten habe. Ein
grosser Tlieil des Gedichts, dem es noch an innerer Ge- 5
stalt fehlte, hat. sich bis in seine kleinsten Zweige orga-
nisirt, und weil nur das unendlich Endliche mich inte-
ressiren kann, so stelle ich mir vor, dass ich mit dem
Ganzen, wenn ich alle meine Kräfte drauf wende, bis
Ende Septembers fertig sein kann. Ich will diesen Wahn lo
so lange als möglich bei mir zu erhalten suchen.
An Schiller. — Br. 14, 34, 17—27.
März 9, Weimar. 41
Schema der , Achill eis' auf's neue vorgenommen.
Tgb. 2, 236, 23. 15
März 10, Weimar. 42
Seit einigen Tagen halte ich mich mit aller Aufmerk-
samkeit auf der Ebene von Troja fest. Wenn meine
Vorbereitung glücklich von Statten geht, so kann die
^ Schiller hatte am 5. März geschriebeu: ,,Es hat mich diesen io
Winter oft geschmerzt, Sie nicht so heiter und muthvoll zu
finden, als sonst, . . Die Natiir hat Sie einmal bestimmt,
hervorzubringen; jeder andere Zustand, wenn er eine Zeitlang
anhält, streitet mit Ihrem AVesen. Eine so lauge Pause, als
Sie dsismal in der Poesie gemacht haben, darf nicht mehr 2.5
vorkommen, imd Sie müssen darinn ein Machtwort aus-
sprechen und ernstlich wollen. . . .
Das Frühjahr und der Sommer werden alles gutmachen, Sie
werden sich nach der langen Pause desto reicher entladen,
besonders wenn Sie den Gesang aus der .Achilleis" gleich 30
vornehmen, Aveil dadurch eine ganze Welt in Bewegung ge-
setzt Avird. Ich kann jenes kiu-ze Gespi'äch, wo Sie mir
den Inhalt dieses ersten Gesangs erzählten [s. 31, 36— .38], noch
immer nicht vergessen, so wenig als den Ausdruck von
heiterm Feuer und aufblüliendem Leben, der sich bei dieser 3.5
Gelegenheit in Ilirem g.iuzen AA'esen zeigte^" (Schillers Br. 6,
15 f.).
1799 - ACHILLEIS. 17
[März 10, Weimar.] [42]
schöne Jahrszeit mir viel bringen. Verzeihen Sie mir
daher, wenn ich mich einige Zeit stille halte, bis ich
etAvas aufweisen kann\
5 An Schiller. — Br. 14, 35, 9—14.
März 10, AVeimar. ' 45
Schema der ,Achillei3'. Anfang der Ausführung.
Tgb. 2, 236, 25 f.
März 11, Weimar. 44
10 [Früh] Fortgefahren an der ,Achilleis'. . . . Al)ends
wieder mit jenem [der ,xA.chilleis'] beschäftigt.
Tgb. 2, 237, 1 f.
März 12, Weimar. 45
Fortgefahren an der , Achilleis'.
15 Tgb. 2, 237, 3.
März 13, Weimar. 46
Es wird sehr erfreulich sein, wenn, indem Sie Ihren
,Wallenstein' endigen^, ich den Muth in mir fühle, ein
neues Werk zu unternehmen. . . .
20 Leben Sie recht wohl, ich sage weiter nichts, denn
ich müsste von meinen Göttern und Helden reden und
ich ma^ nicht voreilig sein.
An Schiller. — Br. 14, 36, 7—9. 24— 37, 1.
März 13, Weimar. 4T
25 Wie gestern [s. Nr. 45].
Tgb. 2, 237, 5.
^ Schiller antwortete am 12. März: ,,Dass das trojanische
Feld sich anrängt um Sie auszubreiten, höre ich mit wahrer
Freude. Bleiben Sie in dieser guten Stimmung und möge da&
heitere Wetter Sie dabei secundiren" fSchillers Br. 6, 18).
'■' Am 12. März hatte Schiller geschrieben: „.. wenn ich jeden
Tag anwenden kann, wie diese letztern, so ist es nicht un-
möglich, dass ich Ihnen den ganzen Rest des ,Wallensteins'
kommenden Montag durch einen Expressen sende. . .'"
(Schillers Br. 6, 17 f.).
Graf, Goethe über .«. Dichtungen T. I. 2
18 ACHILLEiS. ■ 1799
März 15, Weimar. 48
Bei manchen äusserlichen Hindernissen des Lebens
liabe ich mir seit einiger Zeit innerlich eine gute Stim-
mung zu erhalten gesucht und sie angewendet eine
sonderbare Arbeit anzufangen, die ich seit einiger Zeit 5
mit iiiir herumtrage und wovon ich Dir das Bekennt-
niss machen muss. Schon lange habe ich viel über das
epische Gedicht nachgedacht; seit der Streitigkeit über
das Alter der Homerischen Gesänge und der Ausfüh-
rung von ,Hermann und Dorothea' sind mir diese Ge- 10
genstände fast nie aus den Gedanken gekommen, und
ich habe bei mir einen Plan versucht, wie man die
Ilias fortsetzen, oder vielmehr wie man ein Gedicht, das
den Tod des Achills enthielte, daran anschliessen
könnte. Da ich nur denken kann, insofern ich 15
p r o d u c i r e , so wird mir ein solches kühnes Unter-
fangen zur angenehmsten Beschäftigung, und es mag
daraus entstehen was da will, so ist mein Genuss und
meine Belehrung im Sichern; denn wer l^ei seinen Ar-
beiten nicht schon ganz seinen Lohn dahin hat, ehe das 20
Werk öffentlich erscheint, der ist übel dran.
Ich denke mich diesen Sommer nicht weit vom
Hause zu entfernen und wir kommen vielleicht einmal
irgendwo auf halbem Wege zusammen, und wenn das
Glück gut ist, so bringe ich schon einige Gesänge mit\ 25
An Knebel. — Br. 14, 43, 1—25.
ISlärz 16, AVeüuai'. 49
Eecht herzlich gratulire zum Tode des theatralischen
Helden!- Könnte ich doch meinem epischen [Achilles]
^ Knebel antwortete am 19. ]März: ,,Ich freue mich von Deiuer 30
neuen Bildung etwas zu hören. INIir ist die Geschichte imd
der Gegenstand nicht ganz bekannt, worauf Du Dein Werk
gründen werdest; aber ich kann im voraus gewiss sein, dass
es auf gutem Grunde stehen werde" (G.-Knebel 1, 206 f.).
^ Schiller hatte am 15. März vom .Wallensteiu' geschrieben: 35
„Todt ist er schon und auch parentirt, ich habe nur noch zu
bossern und zu feilen" (Schillers Br. 6, 18).
17J)t> ACHILLEIS. 19
[März 16, Weimar.] [49]
vor eintretendem Herbste auch das Lebenslicht aus-
blasen. ...
Von der ,Achille'is' sind schon fünf Gesäuge motivirt
5 und von dem ersten 180 Hexameter geschrieben.
Durch eine ganz besondere Eesolution und Diät hal^e
ich es gezwungen vmd da es mit dem Anfange gelungen
ist, so kann man für die Fortsetzung nicht bange sein\
An Schiller. — Br. 14. 44,6—8.21—45,2.
10 ][Mäi'z 18. Weimar.] 50
Ueber die den Musen abgetrotzte Arbeit will ich noch
nicht triumphiren, es ist noch die grosse Frage, ob sie
etwas taugt. Auf alle Fälle mag sie als Vorbereitung
gelten^.
1.5 An Schiller. — Br. 14. 47. 9—12.
30
^ Am 17. März antwortete Schiller: ..Herzlich gratulire ich
zu den Progressen in der ,Achilleis', die doppelt wünschens-
würdig sind, da Sie dabei zugleich die Erfahrung machten,
Avie viel Sie durch Ihren Vorsatz über Ihre Stimmung ver-
mJigen" (Schillers Br. 6, 19).
- Schiller antwortete am 19. März: „Wie beneide ich Sie um
Ihre jetzige nächste Thätigkeit. Sie stehen auf dem reinsren
und höchsten poetischen Boden, in der schönsten Welt be-
stimmter Gestalten, avo alles gemacht ist und alles wieder
zu machen ist. Sie wohnen gleichsam im Hause der Poesie,
wo Si(' A'on Göttern bedient werden. . . .
Dass Sie schon im Herbst die ,Aehilleis' zu vollenden
hoffen, es doch wenigstens für möglich halten, ist mir bei
aller LTeberzengung von Ihrer raschen Ausführungsweise,
davon ich selbst Zeuge war [zum Beispiel Ijei .Hermann
und Dorothea', s. 87.27-32]. doch etwas Unbegreifliches, be-
sonders da Sie den April nicht einmal zu Ihrer Arbeit rechnen.
In der That beklage ich's. dass Sie diesen Monat verlieren
sollen; vit>llelcht bleiben Sie aber in der epischen Stimmung
und alsdann lassen Sie sich ja durch die Theater '«orgen
nicht stören. Was ich Ihnen in Absicht auf den .Wallenstein'
dabei an Last abnehmen kann, werde ich ohnehin mit Ver-
gnügen thnn" (Schillers Br. 6. 20 f.).
20 ACHIIXEIS. 1799
März 20, Weimar. 51
Morgen früh gehe ich bei Zeiten ab und bin zu Mit-
tag schon bei Ihnen und will alle meine diätetischen
Künste zusammen nehmen um diessmal etwas zu liefern.
Können Sie sich nun auch zu einer neuen Arbeit ent- 5
schliessen, die ganz aus Ihnen heraus kommt und so
auch Ihren Neigungen wie Ihrem Talent angemessen
ist, so sind wir auf den Sommer geborgen.
An Schiller. — Br. 14, 49,23—50,6.
März 21, Jena. 52 lo
. . zu Schiller. . . . Ueber Tragödie und Epopee.
Tgb. 2, 238, 2—4.
März 22, Jena. 53
Ich kann die beste Zeit der , A c h i 1 1 e i s ' geben . . }
An der ,Achilleis' ist heute gearbeitet worden. Wenn 15
ich diessmal nur den ersten Gesang zu Stande bringe,
will ich gern zufrieden sein.
. . . Schicken Sie mir doch eine Eeissfeder, um
schwarze Kreide einzuspannen, mit der ich mein Ge-
dicht concipire. Die englischen Bleistifte schreiben sich 20
so sehr ab, und da ich hier gute schwarze Kreide fand,
so bin ich auf diesen neuen Mechanismus gekommen.
An H. Meyer. — Br. 14. 51, 2 f. 9—11. 20—25.
März 22, Jena. 54
Die ,Achilleis' ist eine alte Idee, die ich mit mir 25
herumtrage und die besonders durch die letzten Händel
über das Alter der Homerischen Gedichte und über die
Während der nächsten Monate, da Schiller Goethes Zeit nicht
für den Musenalmanach in Anspruch nahm.
Schiller schrieb am 13. April an Cotta: „Mir ist dieses so 30
.irlücklich eintreffende Gedicht [,Die Schwestern von Lesbos'
von Amalie von Imhoff] doppelt willkommen gewesen, da
Goethe, wegen einer grossen Arbeit, die er unter H.-iuden
hat, dieses .Jahr für den Almanach nicht viel hätte tluin
kr.nnen, . ." (Schillers Br. 0, 24 f.). 35
1799 ACHILLEIS. 21
[März 22, Jena.] [54]
rhapsodische Zusammenstellung derselben neues Leben
und Interesse erhalten hat. Ich fange mit dem Schluss
der Ilias an, der Tod des Achills ist mein nächster Ge-
5 genstand, indessen werde ich wohl noch etwas weiter
greifen. Diese Arbeit führt mich auf die wichtigsten
Puncte der poetischen Kunst, indem ich über das
Epische nachzudenken alle Ursache habe\
An Knebel. — Br. 14, 52. 7—10.
10 März 22, Jena. 55
[Früh] , Achilleis', zweite Kede der Thetis [Vers 189
—22ß]. . . . Xach Tische kam Herr Hofrath Schiller.
Gespräch über . . Homerische Mythologie.
Tgb. 2, 238. 6 f. 9 f. 12.
15 März 23. Jena. 56
[Früh] ,AchilleiV.
Tgb. 2, 238, 19.
März 24, Jena. 57
Früh jAchilleis^
20 Tgb. 2, 238, 24.
März 25, Jena. 58
[Früh] ,Aehilleis'. . . . Abends allein, die ,Acbilleis'
durchcorrigirt.
Tgb. 2, 238, 26-28.
23 März 2ü, [Jena.] 59
Heute früh bin ich bis zur Eede der Minerva [Vers
354] gelangt, und weil diese eigentlich den folgenden
Abschnitt eröffnet, so bin ich geneigt- Ihnen meine bis-
herige Arbeit heute vorzulegen. Ich will um halb ein
30 Uhr kommen, noch vor Tische lesen und nach Tische
der Botenexpedition wegen mich wieder empfehlen und
frage an, ob Ihnen diese Einrichtung angenehm sei.
^ Knebel antwortete am 9. April: „Ich nehme an Deiner
,Achilleis' grossen Antheil, doch freut es mich noch mehr,
35 da SS Du desslialb die Idee von einem Naturgedichte [vgl.
Nr. 543e] nicht willst fahren lassen" (G.-Knebel 1. 208).
22 ACHILLEIS. 1799
[März 26, [Jena.] [59]
Leben Sie recht wohl, auf "Wiedersehn an dem l'fer
des Hellesponts.
An Schiller. — Br. 14. .53, 15—24.
März 26, Jena. 60 5
[Früh] jAchilleiV . . . vor Tische hei Scliiller vor-
gelesen, dort gegessen.
Tgb. 2, 230, If.
März 27, Jena. 61
Ich habe Ursache mit meinem hiesigen Autenthalte lo
diessmal zufrieden zu sein, meine Arbeiten gehen gut,
und das Frühjahr scheint mich über meinen Winter
trösten zu wollen.
An Kinns. — Br. 14, öl, 3 — 6.
März 27, Jena. 62 15
Die .AchilleiV ruckt vor, ich habe schon 350 Yerse^,
welche schon die übrigen nach sich ziehen sollen.
An H. Meyer. — Br. 14, 58, 2.0—27.
März 27, Jena. '^3
Voss Ilias^. 20
Tgb. 2, 239, 6.
März 28, Jena. 64
Früh ,Achilleis'.
Tgb. 2, 2.39. 17.
:März 29, Jena. tJ5 25
Früh ,Achilleis'. . . . Kupfer von Flaxman^. Nach-
mittag zu Schiller, . . über poetische, besonders epische
Gegenstände und einige Lebensfälle.
Tgb. 2, 2.39, 19. 25. 27 f.
' Vgl. 21, 26 f. 30
- Homers Werke von Johann Heinrieh Voss, Band 1 — 1.
Altona, J. F. Hammerich 1793 enthalten in Band 1. 2 die
L'ebersetzung der Ilias. von der bis dahin nur Bruchstücke
erschienen waren.
' Jolm Flaxmaus Umrisszeichnungen zu Homer. Aeschylos 35
und Dante, von Piroli und Anderen in Kupfer gestochen,
1790 ACHILLEIS. 23
März 30, Jeua. 06
[Friih] ,Aehilleis', . . iil)«- die ,AchilleiV, über Flax-
mans Zeichnimgen den Morgen über nachgedacht.
Tgb. 2, 240, 1. 3-Ö.
5 März 31, Jeua. 67
[Früli] .Achilleis'. Die Flaxmanisehen Kupfer, durch
Kath [August Wilhelm] Schlegel communicirt, ging ich
durch und dictirte etwas darüber^ Gegen Abend sah ich
solche mit Schillern noch einmal durch.
10 Tgb. 2, 240, 6—9.
April 1, Jena. 08
Diese Woche will ich noch in vollem Fleisse hier aus-
leben, wahrscheinlich wird der erste Gesang fertig und,
wenn es mir möglich ist, fange ich gleich den zweiten
15 an, damit ja kein Stillstand eintrete; denn die Arbeit
fängt schon an, eine ungeheure Breite zu zeigen, wozu,
ohne anhaltenden Fleiss, das Leben wohl nicht hin-
reichen möchte. Da schon vier- Gesänge ziemlich moti-
virt vor mir liegen, so bedarf es nur der Geduld der ein-
20 zelnen Ausführung, indem diese Arbeit ihre Stimmung
selbst mit sich führt und erzeugt. . . .
Wahrscheinlich kommen wir [Goethe und Schiller]
Mittwochs den 10. April nach Weimar, wo ich mich
freue Ihnen meine Helden imd Götter vorzustellen.
.ir, Au H. Mever. — Br. 14, 61,26 — 62. S. 11— 13.
waren seit Avenigen Jaliieu erschieueu (Odyssee Rom 1798,
Ilias London 1795); sie regten Goethe zu einem kleinen Auf-
satz ,Ueber die Flaxuianischen Werke" an, dem er eine
Uebersicht der dargestellten Gegenstände (aus der Ilias 34,
30 aus der Odyssee 28) mit knappen kritischen Bemerkungen
ansehloss, W. 47, 24.5 f. 341— .346.
' s. Z. 27—81.
^ Diese Angabe steht nicht in Widerspruch zu 19. 4, da der erste
der, dort als bereits motivirt bezeichneten, fünf Gesänge in-
3.^ zwischen der Vollendung nahe gerückt war.
24 ACHILLEIS. 1791)
April 1, Jena. 69
[Früh] , Achilleis'. Schluss über die Flaxmanischen
Arbeitend
Tgb. 2. 240, 13 f.
April 2, Jena. 'J'O 5
Ich schicke hier den ersten Gesang, indem ich eine
kleine Pause machen will, nm mich der Motive, die nun
zunächst zu bearbeiten sind, specieller zu versichern.
Ich schicke das Manuscript, damit Sie es selbst lesen
und ihm schärfer in's Auge sehen. Ich habe den besten lo
Muth zu dieser Arbeit und ersuche Sie um fortdauern-
den Beistand^.
An Schiller. — Br. 14, 63, 1—7.
April 4, Jena. 71
Ging ich vor und nach Mittag spazieren, und über- 15
legte den Schluss des ersten Gesanges der , Achilleis'.
Tgb. 2, 241, 3—5.
April 5, Jena. "2
[Früh] ,Achilleis', Schluss des ersten Gesangs*.
Tgb. 2, 241, 13. 20
Mai 10, Jena. "3
A'^erschiednes durchdacht. . . . ,Achilleis'.
Tgb. 2, 247, 14—16.
Mai 11. Jena. "^
[Früh] Ueber die , Achilleis' . . verschiednes gedacht. 2.^
Tgb. 2, 247. 23 f.
' s. 22, 35 — 23, 31.
^ Schiller antwortete am selben Tage: „Ihre Sendung über-
rascht mich sehr angenehm, ich will den Gesang mit aller
Aufmerksamkeit lesen und studiren. 30
. . . Ich hoffe Sie bald zu sehen und Ihnen meine Empfin-
dungen über das Gelesene mitzutheilen" (Schillers Br. G, 23).
' Am 10. April kehrte Goethe für drei Wochen nach Weimar
zurück. r)ie Proben zu .Walleusteins Tod' und Arbeiten für
die .Propyläen' (.Der Sammler imd die Seinigen') nahmen 35
seine Zeit in Anspruch. Vgl. die, sachlich hierhergehörende,
Aeussenmg 32. 2—5.
1799 ACHILLEIS. 25
Mai 15, Jeua. 75
Verschiedne Correcturen . . theils an der ,Achilleis'.
Tgb. 2, 249, 8 f.
Mai 2G, Jena. 76
5 Ihre Arbeit üijer meineu ,Heraiann und Dorothea'/
für die ich Ihnen nochmals danke, habe ich nun in
schönem Drucke vor mir und nehme die einzelnen ( Ka-
pitel nach und nach wieder vor. In wie fern ich davon
profitire und in meinen Arbeiten vorschreite, sollen Sie
10 selbst beurtheilen, wenn Sie dereinst zurückkommen-
und eine grössere epische Arbeit, wo nicht vollendet,
doch im Gange finden, von der ich gegenwärtig nicht
einmal den Stoff anzuzeigen wage, damit nicht Ihre
freundschaftliche Sorge rege werde: ob ich mir nicht
15 etwa gar Ikarische Flügel zubereite.
Au W. V. Hunibolclt. — Br. 14, 97, 13-23.
September 22. Jena. 77
Was . . diejenigen grösseren Arbeiten betrifft, so-
wohl epischer als dramatischer Form, die mich gegen-
20 wärtig beschäftigen^, so habe ich über dieselben völlig
freie Hand, imd ob man gleich für die Zukunft, wegen
so mancher eintretenden Zufälligkeiten, nichts ver-
sprechen soll, so glaube ich doch, in mehreren Eück-
sicht^n die Zusage schuldig zu sein: dass ich Ihnen, ^vie
25 etwas zur Reife gedeiht, davon Xachricht geben, Ihre
Gedanken vernehmen und, unter gleichen Bedingungen,
Ihnen den Vorzug gern zugestehen werde. Dieses war
bei mir schon früher ein stiller Vorsatz, den mir Hu-
Charakter und Ihre Ilandelsweise abnötliigten, eh" mir
30 die letzten Ereignisse* noch mehr Verbindlichkeit gegen
Sie auferlegten.
An Cotta. — Br. 14. 189.19—190,4.
' s. 161, 30-32.
- Humboldt hielt sich zu der Zeit in Paris auf.
' .Achilleis', .Faust' und die Uebertragung von Voltaires
.Mahomet'.
* Hier ist wohl an die Verhandlungen wegen der .Propyläen'
zu denken, der seit 1708 in Cotlas Verlag von Goethe heraus-
gegebenen Kunstzeitschrift,
26 ACHlLLEiS. 1800
ISOO.
? Ain-il 2. AVeimar. 78
Xieht allein Ihre graramatischen, sondern auch Ihre
kritischen Bemerkungen im Allgemeinen könnten einem
AVerke, das ' ich angefangen habe, sehr zu Statten 5
kommen, wenn ich nur den Muth hätte, gegenwärtig
daran zu denken. Doch wage ich nichts davon sehen zu
lassen, bis ich weiter vorgerückt bin\
Au A. W. Schlegel. - Br. 1.5, öl, 9—14.
1800. 10
Februar 24, Weimar. 79
Packet an Cotta mit dem ersten Bande meiner
Werke. . . .
Den Inhalt der künftigen Bände durchgesehen und
berechnet^. i5
Tgb. 3, 119, 23 f. 27 f.
L? ? ?] 80
[In das Jahr 1806 und in mibestimmte sj^ätere Zeit
gehören folgende Gespräche, die Riemer im Auschluss
an Xr. 93 überliefert] : Die , Achilleis' gerieth . . ganz in 20
Stocken, dergestalt, dass sie erst wieder bei der Heraus-
srabe seiner Schriften 1806, wobei ich ihm an Händen
' Diese Stelle bezieht sich wahrscheinlich nicht auf ,Achil-
leis', sondern auf , Helena. Zwischenspiel zu Faust', vgl.
SdGG. 13. 332 zu Xr. 45. 25
- Die zwölfbändige (später durch Hiuzufügeu der .Wahlver-
wandtschaften* dreizehnbändige), erste Cottasche Ausgabe,
die 180(5—1808 (1810) in Tübiugeu erschieu. uud dereu
zehnter Band .Reiueke Fuchs". .Herinauu uud Dorothea"
und .Achilleis" enthält. 30
Die Voranzeige dieser Ausgabe war im lutelligenzblatt
der Jenaischen ^Allgemeinen Litteratur-Zeitung schon am
20. August 1805 erschienen. Schelliug hatte Ende 1805 an
Goethe gesehrieben: ,,ilit welcher Freude auch uns die
Ankündigung Ihrer Werke, besonders aber des ergänzten 3.5
.Faust" und der ,AchilleTs' erfüllt hat. will ich nicht sageu,
da sich diess versteht" (SdGG. 13, 246).
1807 ACHILI.KIS. 27
f? ? ?J [80]
ging, gegen mich zur Sprache kam; wo er mir ifeiue Ab-
sicht: die jAchilleis' in einen Koman zu verwandeln,
mittheilte und die Motive besprach. Als er noch später
das Schema derselben aiifgehmden hatte, brachte ich
ilm durch meine Bemerkung, dass jede Zeit die antiken
Mythen mit ihrem Geiste behandele, ja behandeln
müsse, indem jene Anfänge ja nur die Kotyledonen der
Sache seien und die Alten ja selbst ihre Sagen und
Fabeln weiter ausgebildet hätten, auf die Eröffnimg der
Idee des Ganzen, die er so ausdrückte: ..Achill weiss,
dass er sterben muss, verliebt sich aber in die Polyxena
tmd vergisst sein Schicksal rein darüber, nach der Toll-
heit seiner Xatur."
Mit Riemer. — Mittlieilnn,i;j:en 2. .")22 f.
1807.
August 10, Karlsbad. Sl
[Vormittags] Verschiedene romantische Sujets über-
legt. Verwandlung der ,Achilleis'' in einen Eoman^.
Ti,'b. 3, 256, 9—11.
September 21, Weimar. 82
[Vormittags] Die , Achilleis" angefangen durchzu-
sehen-.
TÄb. S. 277. 20 f.
25 ' Riemers Tagebucli am sellu'U Tage: „Veber Tische Motive
ziu- .A< hilleis' als Roman" (Deutsche Revue 11, 1. 65).
- Für den zehnten Band der Werke Cotta\ Riemer hatte die
Durchsicht schon eine AYoche früher begonnen, sein Tage-
l)ueji bemerkt unter dem 14. September: ., .Achilleis- ange-
ao fangen" (Deutsche Revue 11, 1. 66).
In noch früherer Zeit. 1805 oder 1806, hatte Heinrich Voss
in die Handschrift der .Achilleis- zahlreiche metrische Ver-
besserungsvorschläge mit Tinte eingetragen. Diese waren
entweder schon damals von Goethe geprüft worden oder
a5 Avurden es jetzt. Jedenfalls hat Goethe einige Aenderungen
Vossens angeuonmieu, vgl. G.J. 17, Ol f. und Vossbriefe S. 160
(Erläuterung 110).
Sachlich gehört hierher: Nr. Ol. 92.
-28 ACHILLEIS. 1808
September 22, Weimar. 83
[Früh] ,Achilleis' erst allein, nachher zusammen
durchgesehen^.
Tgb. 3, 278, 5 f.
T>ecember 7, Jena. 84 5
[Früh] Die epischen Gedichte durchgegangen. . .
Nach Tische fortgefahren an den epischen Gedichten,
und verschiedenes [mit Eiemer] besprochen.
Tgb. 3, 304, 27. 305, 2-4.
December 8, Jena. 85 lo
Einiges an den epischen Gedichten arrangirt und
diesen Band eingepackt. . . . [Brief] An Dr. Cotta nach
Tübingen; Absendung des letzten- Bandes.
Tgb. 3, 305, 10 f. 14 f.
December 17, Jena. 86 i5
Abends um Sechs zu Frommann, wo Seebeck und sie
war. . . . Vom Plan der ,Achille'is'' gesprochen und an-
dern poetischen Fictionen^.
Tgb. 3, 308,27 — 309,2.
1808. 20
-August 7, Karlsbad. 87
Packet mit den zwei letzten Lieferungen meiner
Werke*.
Tgb. 3. 369, 19 f.
' Mit Riemer, dessen Tagebucli unter diesem Tage vermerkt: 25
„ .AcliilleTs' geendigt" (Deutsche Revue 11, 1, 66).
" Band 10 wird hier der „letzte" genannt, weil er als letzter
xin den Verleger gelangte. Der, die Ausgabe schliessende.
Band 12 war schon im Mai des Jahres erledigt worden.
" Riemers Tagebuch am selben Tage: „Abends mit Goethe 30
zu Frommann. Las Goethe seine .Pandora' vor und sprach
vom Plan der .Achilleis' und sonst" (Deutsclie Revue 11.
X 67).
* Werke Cotta' Band 5—12; Band 10 enthält ide Epen.
Charlotte Schiller hatte diese beiden Lieferungen schon 35
früher in Hunden, denn bereits am 14. Juni 1808 sehreibt
1809 ACHILLEiS. 29
1S09.
Januar 1, Weimar. 88
[Abends?] Bei Frau von Wolzogen'. Die jAchilleiV
vorgelesen.
5 Tgb. 4, 1, 6 f.
][Nach October 10. ?] 89
[Zu 1798. 1799. — Im ältesten biographischen Sche-
ma, das Goethe während des letzten Vierteljahres 1809
für jDichtung und Wahrheit' zu entwerfen l)egann,
10 heisst es unter]
1798: , Achilleis";, Ilias Schemata.
1799: ,AchilleiV, Flaxman.
W. 26, 361, 1 f. 10 f.
sie au Goethe: ,,Die .Achilleis' habe ich auch mit Wehmutb
15 wieder begrüsst, wie eiueu alten Freund, der aber immer
neu bleibt. Es ist aber auch so wunderbar schön. Ich habe
ein Fieber bekommen, wie ich die acht Bände so vor mir
sah, . ." (GJ. 4, 256).
Therese Huber — um hier das Urtheil einer andern Frau
20 anzuschliessen, — schrieb an Böttiger, am 18. September
1808: ,,Und der erste Gesang der , Achilleide'? freilich Sic
Genosse des erhabensten Alterthums. Sie linden vielleicht
da Schwächen, wo ich meine alten Götter nur wieder er-
kenne, nicht in Homerischem, aber in göttlichem Glanz —
2.5 wie wünsche ich. dass Goethe diese .Achilleide" vollende!
ich hoffe es kaum — doch vielleicht vermag es Goethe, über
dieser Zeit und dieser Welt, ganz in seiner Heroen Welt
zu leben" (GJ. 18, 125).
Etwa in diese Zeit des ersten Erscheinens der .Achilleis'
30 mag auch ein Gespräch Zelters mit Friedrich August Wolf
fallen, dessen jener zweimal in Briefen an Goethe gedenkt.
„Ich erinnere mich"', schreibt Zelter am 18. Februar 1826,
,, recht gut seiner Miene über Deinen neuen Gesaug zur
Ilias. Was er aber auch damit sagen wollte oder nicht: den
3.5 Gedanken hat er Dir nicht vergeben; er hat ihn beneidet
wie ein Kaufherr, der einen neuen Laden neben sich ent-
stehen sieht. — Wie konntest Du Dir auch das heraus-
nehmen!" fG.-Zelter 4. 145, vgl. auch 4, 274. 6. 302.)
' Caroline von Wolzogen. Schillers Schwägerin.
30 ACHlLLEiS. 1819
März r Anfang]. Weimar. 90
[Zu 1798. — In dem chronologischen Yerzeichniss
der AVerke, das, zwischen dem 6. Februar und 5. März
1819 entstanden, mit dem Datum „AYeimar. März 1819" 5
am Schluss Aon Band 20 der Werke Cotta- erschien, ist
aufgeführt unter dem Jahre]
1798: . . .Achilleis'-: . .
Summarische .Tahresfolge (Joetbesclier Schriften. —
^^'H. 29, 324. 10
182S.
] [Januar. zwi.*!chen 9 und 22. Weimar.] 91
[Zu 1807.] Dem Bande meiner epischen Gedichte^
sollte .Achilleis" hinzugefügt ■werden; ich nahm das
Ganze wieder vor, hatte jedoch genug zu thun, nur die i.=>
beiden ersten Gesänge* so weit zu führen, um sie an-
fügen zu können.
Tag- und Jahres-Hefte 1807. — W. 36. 27.7—11.
^ In den Zeitraum von 1809 bis 1819. aus dem Aeusserungen
Goethes über die , Achilleis' nicht bekannt sind, fällt die io
Durchsicht der Dicht iiug für deren zweiten Druck (1817.
Werke Cotta" Band 11). Das Tagebuch enthält hierüber
keinerlei Bemerkung. r>och darf aus der Absendung der
di-uckfertigen Bände 10 (1816 Juli 8) und 12 (1816 October 23).
zusammen mit den unter Nr. 3S4. 522 f. für .Reiueke Fuchs' 2:>
und , Hermann und Dorothea" gegebenen Tagebuch vermerken,
geschlossen werden, dass die Durchsicht im August oder
September 1816 geschah.
■' Vgl. 31, 25—29.
' In einem „Bande" waren die epischen Gedichte (.Reineke 3o
Fuchs' und , Hermann und Dorothea) bis dahin nicht er-
schienen; Goethe dachte sie sich jetzt bereits vereint im
zehnten Baude der, damals im Erscheinen begriffenen. Aus-
gabe der Werke Cotta\
* Von ..zAvei Gesängen" ist auch in Nr. 93. 94 die Rede, sonst 35
aber nirgends: das veröffentlichte Fragment der Dichtung ist
in allen Ausgaben als ., Erster Gesang" bezeichnet. Die Länge
1823 ACHILLEIS. 31
HJamiai-. zwischen 10 uutl 10. Weimar.] 92
[Zu 1806.] Die projectirte neue Ausgabe meicer
AYerke [Cotta\. 1806 — 1810] nöthigte mich sie' säinrnt-
lich wieder durclizugehen, und ich widmete jeder ein-
zelnen Production die gehörige Aufmerksamkeit, ob ich
gleich bei meinem alten Vorsätze blieb nichts eigentlich
umzuschreiben oder auf einen hohen Grad zu verändern.
Tag- und Jahres-Hefte 1806. — W. 35, 247. l.">— 20.
][Juli 1. Eger: oder August 11. 12. Marieubad.] 93
[Zu 1T98.] Zur .Achilleis' hatte ich den Plan ganz im
Sinne, den ich Schillern eines Abends ausführlich er-
zählte. Der Freund schalt mich aus. dass ich etwas so
klar vor mir sehen könnte, ohne solches auszubilden
durch Worte und Sylbenmass. So angetrieben und
fleissig ermahnt schrieb ich die zwei ersten Gesänge:
auch den Plan sehrieb ich auf, zu dessen Fördemiss mir
ein treuer Auszuof aus der Ilias dienen solltet
35
desselben (051 N'erse) ist sehr auffallend im Vergleich zu
dem durchschnittlichen Umfang der Gesänge der beiden
andern Epen (etwa 250—300 Yerset.
Ganz ungesucht stellt sich die Vermuthung ein. dass der
erste Gesang mit dem Ende der Gütterver-sammlung (Heres
Worte zu Athene. Vers 397) geschlossen, der zweite mit
Atheues Hinalttlug zu Achilleus begonnen habe.
' Goethe fasst hier die Arbeit an der .Achillels'. die sich nach
seinen, der Bearbeitung der .Tag- und Jahres-Hefte- zu
Grunde liegenden, Tagebüchern und nach dem biographi-
schen Schema von iS('J9 fs. Nr. 89.i auf die beiden Jahre 1798
und 1799 vertheilt, in Ein Jahr zusammen, wie in Xr. 90. Der
Auszug aus der Ilias entstand schon 1798. ebenso wie der
,.rhur- der ,AchiHeis' zum gW.ssercn Theil. während die
Ausführung erst 1799 geschah.
Welchen der zahlreichen, bei Sclüller verbrachten. Abende
Goethe hier im Sinne hat. ist niclit zweifellos festzustellen..
Am meisten Wahrscheinliclikeit haben der 22. März 1798
(s. Xr. 7). und der 17. Februar 1799 (s. Xr. 39). auf den viel-
leicht auch ..jenes kurze Gespräch'' fällt, dessen Schiller am
5. März 17f»9 gegen Goethe gedenkt (s. 16. 31 — 35i. Wegen
der ..zwei ersten" Gesänge s. 30. 35— 31. 24.
32 ACHILLEIS. 182G
[Juli 1, Eger; oder August 11. 12, Marienbad.] [93]
Doch liierTon leitete mich ab die Eichtung zur bil-
denden Kunst, welche sich bei Meyers Zurückkunft
aus Italien ganz entschieden abermals hervorgethan
hattet >
Tag- und .Tabres-Hefte 1798. — W. 35, 78, 19—79, 3.
August, zwischen 11 und 21, Maiienbad. 94
[Zu 1798. 1799.] ... [de 1797]. jusqu' ä 1800: . .
jAchilleide' en deux chants-. . . .
Tabellarische Uebersichl der ,Ouvrages poetiques de lo
Goethe' — (iJ. 15, 18.
1836.
Februar 1, Weimar^. 95
Band 12: Epische Gedichte und Verwandtes: ,Eei-
neke Fuchs^, ,Hermann und Dorothea', ,Achilleis', is
,Pandora'*.
.\uzeige von Goethes siimnitlichen Werken, Yollständige
Ausgabe letzter Hand. — AVH. 29, 351.
1839. 20
Noveml)er 14, Weimar. — s. Xr. 41.öa. 95a
1830.
März 7, Weimar. 96
„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei", sagte
Goethe, „und besonders nicht, dass er allein arbeite;
vielmehr bedarf er der Theilnahme und Anregimg, 2.=>
wenn etwas gelingen soll. Ich verdanke Schillern die
,Achilleis' . . "
Mit Eckermann. — Gespräche 7, 240.
» Vgl. 15, 20—31.
- ^-gl. 30, 35— 31, 24. aa
' Unter diesem Datum bemerkt das Tagebuch: ..Das Ver-
zeielniiss meiner Werke in's Reine dictirt." Die .Anzeige'
der Werke ist vom 1. März 1826 datirt.
* Durch die. während des Druckes, vom Verleger herbeige-
führte Aendernng der geplanten Folge trat dieser Band, als 35
der vierzigste, an den Schluss der Ausgabe, vgl. Nr. 415a.
1830
ACHILLEIS.
33
Juni 25, Weimar. 07
Die siebente Lieferung meiner Werke ist ange-
kommen, die achte fortgesenclet\ Die Augsburger ver-
sprechen mir mit der Octavausgabe schnell nachzu-
rücken-. Und so hätten wir dieses weitaussehende Werk
denn auch noch zu Stande gebracht.
An seinen Sohn. — G.J. 11, 98.
^ Die achte uud letzte. 1830 erschienene, Lieferung (Band 3«3 —
40) der ,YoUständigeu Ausgabe letzter Hand' enthielt im
vierzigsten Bande die Epen, vgl. Xr. 41.5 a.
- In Augsburg befand sich Cottas Druckerei. Unmittelbar
nach der sogenannten , Taschen- oder Sedez-Ausgabe" (die
der Signatur nach jedoch 8° ist) wurde eine, mit jener we-
sentlich übereinstimmende „Octavausgal3e"' gedruckt, deren
vierzigster Band auch noch im .Talire 1830 erschien.
•t^Vfe^
Graf, Goethe über s. Dichtungen T. I.
Chromati k.
1810.
Januar 17, Weimar. 98
Vorschlag die Chromatik in einen Iioman zu verwan-
delnd
Tgb. 4, 90, 26 f.
^ Goethes AVerk ,Zur Farbenlehre' näherte sich damals gerade
seinem Abschlnss und erschien noch 1810 in zwei Bänden.
Riemer berichtet in den , Mittheilungen' 2, 628: ,, Seine Farben-
lehre in einen Roman zu bringen, that ich Goethen den Vor- lo
schlag (ISIO, den 17. Januar) um sie mehr zu popularisiren
und sie besonders den Frauen zugänglicher zu macheu, in
einer Art etwa wie Fontenelle seine .Eutretiens sur la plura-
lite des Mondes'. Der Einfall missfiel ihm keineswegs
[Riemer erinnert hier in einer Anmerkung mit Recht an das 15
didaktische, die Geognosie behandelnde. Gedicht des Eng-
länders John Scaf(! ,King Goal' aus dem Jahre 1819; in dem
dieses besprechenden kleinen Aufsatze (Nat. W. 10, 46 — 50 ge-
denkt Goethe seiner Farbenlehre nicht] ; aber wo sollte Zeit,
Müsse und Lust herkommen zur Ausführung einer zugleich 20
Avissenschaftlichen und ästhetischen Aufgabe, die den tiefsten
Frieden verlangte, und uns umgab nur entweder Kriegsge-
töse oder die dumpfe Stille, die einem Gewittersturme, einem
Erdbeben voranzugehen pflegt."
Dichtung und Wahrheit.
10
20
1810.
October 25, ^^'eimal■. 99
Da Du doch nicht aufhören wirst mir gern zu
schreiben und ich nicht aufhören werde Dich gern zu
lesen, so könntest Du mir noch nebenher einen grossen
Gefallen thnn. Ich will Dir nämlich bekennen, dass ich
im Begriff bin meine Bekenntnisse zu schreiben, daraus
mag nun ein Roman oder eine Geschichte werden, das
lässt sich nicht voraussehn^; aber in jedem Fall bedarf
ich Deiner Beihülfe. Meine gute Mutter ist abge-
schieden und so manche Andre, die mir das Vergangne
wieder hervorrufen könnten, das ich meistens vergessen
habe. Nun hast Du eine schöne Zeit mit der theuren
Mutter gelebt, hast ihre IMährchen und Anekdoten
wiederholt vernominen und trägst und hegst alles im
frischen belebenden Gedächtniss. Setze Dich also nur
gleich hin und schreilie nieder, was sich auf mich und
die Meinigen bezieht und Du wirst mich dadurch sehr
erfreuen und verbinden.
An Bettina Brentano. — Br. 21, 408, 13 — 409, 0.
2.5
^ Da .Dichtung und Wahrheit' schliesslich kein ..Roman",
sondern eine „Geschichte", ein biographisch-litterarisches Be-
kenntniss geworden ist, mussten Goethes Aeusseruugeu über
das Werk, bis auf die obige und Nr. 100, von dieser Samm-
lung ausgeschlossen bleiben. Die in .Dichtung und Wahr-
heit' eingefügten Dichtungen dagegen sind selbstverstäud-
lich an don ihnen gebührenden Stellen behandelt worden.
36
DICHTUNG UND WAHRHEIT.
1811
1811.
April 27, Jena. 100
Er sagte mir [Knebel], er sei in dieser Geschichte
[seine? Lebens], bereits bis in sein zwanzigstes Jahr ge-
kommen, und wolle nun, da er so manche andre ge-
schrieben, nun auch seinen eignen Eoman schreiben, . .
Mit Knebel. — Knebels Briefwechsel mit seiner Schwe-
ster S. 537.
A S^U^Syl~^
Die Egoisten.
1811.
März lö, Weimar. 101
Xach Tische Plan von den ,Egoisten\
5 Tgb. 4, 190, 11 f.
März 10, AVeimar. 102
Der ,Egoist' sollte ein Eoman werden, dessen Motive
Goethe mir [Riemer] erzählte den 10. März 1811. Der
Sinn war: ,.dass die Meisterschaft für Egoismus gelte"^
10 ]*Iit Riemer. — Gespräche 3, 3.
Riemer verweist in seineu .Mittbeilungen' 2, 622 auf deu
Spruch in Prosa; „Die Meisterschaft gilt oft für Egoismus",
in dem Goethe „weuigstens diesen Gedanlien aufbewahrt"
habe (AVH. 10, 04 Xr. 275).
Der ewige Jude.
Handschriften: 1. ^'el•s 1 — -1 uud 73 — 108, im ersten Entwurf vun
Goethes Haud. Die Beschaffenheit der vier ersten
Verse: mit Bleistift eiligst quer auf das Papier ge-
worfen, veranschaulicht das Entstehen von Goethes da- 5
maligen Mauuscripten, wie er selbst es im Eingang des
.Ewigen Juden" und im sechzehnten Buche von .Dichtung
und Wahrheit- (W. 29, 14, 19—15,8) schildert.
2. Einzelne, ,, zerstreute Stelleu'" (vgl. 44, 35 — 45,2), die,
von den Herausgebern des Nachlasses im ersten Druck lo
theilweise verwerthet. jetzt in den Lesarten W. 38, 453
veröffentlicht sind, da sie sich ..nicht mit genügender
Sicherheit in den Gang des Gedichtes einfügen lassen".
3. Vers 109—192. von Goethes Hand.
4. Vers 1—72 und 193—289. in Reinschrift von Goethes 15
Hand, das heisst „Anfang"' und ..Schluss" der Dichtung
(vgl. 44, 35—45, 2).
Erster Druck: 1836. Werke Q. 1(1). 145-147. Unter den Gedich-
ten der Rubrik „Religion und Kirche". (Der der Zeitfolge
nach nächste Druck ist der in der vierzigbändigen Cotta- 20
sehen Ausgabe, 1840.)
Zweiter Druck: 1842. AVerke N. 5(5. 19-29. Unter den „Ver-
mischten Gedichten", mit der Angabe im Inhaltsverzeich-
uiss: ,.1769—1775".
Weimarer Ausgabe: 1897. W. 38, 53— 64 uud 4.-.U— 456. Um er 25
anderen Jugenddichtungen.
1774 DER EWIGE JUDE. 39
[177^.]
[Frübjalu- oder Aufaug Sommers^S Frankfurt?] 103
I7m Mitternacht wohl fang" ich an,
Spring' aus dem Bette wie ein Toller;
5 Xie war mein Bnsen seelevoller,
Zu singen den gereisten Mann,
Und hab' ich gleich die Gabe nicht
A'^on wohlgeschlifi'nen leichten Eeimen,
So darf ich doch mich nicht versäumen,
Denn es ist Drang und so ist's Pflicht.
Und wie ich dich, geliebter Leser, kenne.
Den ich von Herzen Bruder nenne.
Willst gern vom Fleck und bist so faul,
Ximmst wohl auch einen Ludergaul,
Und ich, mir fehlt zu Xacht der Kiel,
Ergreif wohl einen Besenstil.
Drum hör' es denn, wenn dirs beliebt.
So kauderAvelsch wie mir der Geist es gibt.
Des Ewigen .Juden erster Fetzen Y. 1 — i. i:)— 20. —
AV. 38, .54.
^ Die früliste Erwälinung des Gedichts findet .sich iu Lavaters
Tagebuch. Dieser reiste am 28. Juni 1774. iu Begleitung
Goethes, von Frankfurt nach Ems. und notirt unter diesem
25 Datum für AViesbadeu und die Fahrt nach Schwalbach:
„Sprach mit Goethe am Fenster, von der Auferstehung
Christi. — Um 2 Uhr reisten wir ab. Ich schlief viel. Goethe
recitirte viel von seinem .Ewigen Juden'. Ein seltsames Ding
in Knittelversen" (W. 38, 45G); sodann unter dem Datum
30 Ems. Juli 1."»: zvuu Essen neben Goethe. Von . . . seinem
,Ewigen Juden'—. .- (Nord und Süd 1899, Bd 91 S. 58). Und
wenn Gessuer in seiner .Lebensbeschreibung" Lavaters
(Winterthur 1802, 2, 129), auf Grund dieses Tagebuches, von
eben der Reise erzählt: ..Aus seinen Gedichten las und reci-
35 tiite Goethe eine Menge — Sache und Recitation. Drama,
Epopee uud Knittelvers, es hatte alles nur Eiu Gepräge,
hauchte nur I']inen Geist", so wird unter der ..Epopee" nichts
Anderes zu verstehen sein als Theile aus .Des Ewigen
Juden erstem Fetzen".
40 Sachlich gehciren iu diese Zeit: Nr. 108. 110—112.
40 DER EWIGE JUDE. 17S«;
[August Ende, Frankfurt.] 1(>4
Danke besonders für die gütige Theilnehmung^ an der
Schätzung des Volks, die ich vornehme, vielleicht wird
Avährend der Zeit ein neuer Messias im Stall geboren.
An Johanna Fahimer. — Br. 2, 193, 17—20.
1 786.
October 22, Giredo. 105
Heute früh sass ich ganz still im "Wagen- und habe
den Plan zu dem grossen Gedicht der Ankunft des
Herrn, oder dem .e-oigen Juden*^, recht ausgedacht^.
Wenn mir doch der Himmel nun Eaum gäbe nach und
nach das alles auszuarbeiten, was ich im Sinne habe.
Tgb. 1, 314,27—315.4.
October 27, Terni. — s. Nr. 109. 105a
1786—1788.
[? ? Rom.] 106
Ewiger Jude. Pius TL Schönster der Menschenkinder.
Xeid. Will ihn einsperren, ihn nicht weglassen, vrie ihn
der Kaiser Staatsgefangen im Vatikan behalten, al Gesu
Jesuiten Tross. Lob des ungerechten Haushalters*. 20
W. 38, 455.
1.5
^ Diese „Theilnehmung" hatte Johanna Fahimer wahrschein- ,
lieh im Gespräcli bezeigt, als Goethe sie, nach der Rückkehr
von seiner Lahn- und Rhein-Reise, Mitte August besuchte.
- Auf der Fahrt von Lojano nach Giredo, zwei kleinen Orten 25
in den Apenninen, zwischen Bologna und Florenz.
* An der entsprechenden Stelle der .Italienischen Reise' wird
dieses Planes nicht gedacht.
* Diese Aufzeichnimg findet sich in einem Notizheft, dessen
Goethe sich in Rom bediente, und ist zuerst in den An- 30
merkungen zu Goethes Tagebüchern und Briefen aus Italien
von Erich Schmidt, im Anschluss an Nr. 105, mit der Bemer-
kung veröffentlicht worden: „Ein neues stilvolleres Gedicht
sollte die alte fragmentari.sche Skizze in Knittelversen ver-
drängen" (SdGG. 2, 396). 35
1S08 DER EWIGE JUDE. 41
1808.
April 6, Weimar. 107
Uebrigens war ihm die Idee [des ,E^Wgen Juden']
noch nicht völlig ans der Seele gewichen, und er sagte
5 mir [Piiemer] noch im Jahre 1808 den 6. April, er wolle
ein Gedicht schreiben ,!Maran Atha' oder ,Der Herr
kommt', ich solle ihn nur daran erinnern. Es war nämlich
von Galvanismus und modernem Mysticismus die Rede,
imd ein anwesender geistreicher Naturforscher [Seebeck]
10 bemerkte: dass man leicht glauben könne aus den Tre-
mellen, die bei Gewitterregen zum Vorschein kommen,
käme der Messias her'^.
Mit Riemer. — Mittlieiluugen 2, 525 f.
[1813.]
15 LMärz 26, Weimar.] 108
[Zu 177-i.] . . . die Kluft, die mich von jeuer Lehre-
trennte, ward mir deutlich, ich musste also auch aus
dieser Gesellschaft scheiden, und da mir meine Xeigung
zu den heiligen Schriften so wie zu 4em Stifter und den
20 früheren Bekennern nicht geraubt werden konnte, so
bildete ich mir ein Christenthum zu meinem Privatge-
brauch, und suchte dieses durch lleissiges Studium der
' In Riemers Tagebuch heisst es unter demselben Datum,
fast gleiclilauteud: „Mittags Seebeck zu Tische. Ueber
25 Calvanismus und modernen Mysticismus. bemerkte See-
beck, dass man leicht glauben könne: der Messias könne
aus den Tremellen. die bei Gewitterregen zum Vorschein
kommen als eine Gallerte, entstehen. Goethe fasste es auf
und AA-oUte ein Gedicht .Maranatha' oder .Der Herr kommf
30 machen" (Gespräche 2. 201).
Die Tremellen (lat. tremere = zittern) gehören zu den Gal-
lert-Algen. Riemer bemerkt, dass die Tremella Xostoc L. im
Volke die Namen ,Himmelsblume'. , Himmelsblatt', ,Erd-
bluine- habe (Mittheilungeu 2, 526).
35 - Von den. der Lehre der Brüdergemeinde verwandten, reli-
giösen T'eberzeugungen. die Goethe vornehmlich diirch
Susanna von Klettenberg nahegebracht waren.
42 DER EAVIGE JUDE. 181?
[März 26, Weimar.] [108]
Geschichte, und durch genaue Bemerkung derjenigen,
die sich zu meinem Sinne hingeneigt hatten, zu be-
gründen und aufzubauen.
AVeil nun aber alles, was ich mit Liebe in mich auf- 5
nahm, sich sogleich zu einer dichterischen Form anlegte,
so ergriff ich den wunderlichen Einfall, die rreschichte
des ewigen Juden, die sich schon früh durch die Volks-
bücher bei mir eingedrückt hatte, episch zu behandeln,
um an diesem Leitfaden die hervorstehenden Puncte der lo
Eeligions- und Kirehengeschichte nach Befinden darzu-
stellen. "Wie ich mir al)er die Fabel gebildet, und welchen
Sinn ich ihr untergelegt, gedenke ich nunmehr zu er-
zählen.
In Jerusalem l)efand sieh ein Schuster, dem die Lc- is
gende den Xamen Ahasverus gibt. Zu diesem hatte mir
mein Dresdner Schuster^ die Grundzüge geliefert. Icli
hatte ihn mit eines Handwerksgenossen, mit Hans
Sachsens Geist und Humor bestens ausgestattet, und ihn
durch eine Xeigung zu Christo veredelt. "Weil er nun, 20
bei offener "Werkstatt, sich gern mit den Vorbeigehen-
den unterhielt, sie neckte und, auf Sokratische "Weise,
jeden nach seiner Art anregte, so verweilten die Xach-
barn und andre vom Volk gern bei ihm, auch Phari-
säer und Sadducäer sprachen zu, und, begleitet von seinen 25
Jüngern, mochte der Heiland selbst wohl auch manch-
mal bei ihm verweilen. Der Schuster, dessen Sinn bloss
auf die "Welt gerichtet war-, fasste doch zu unserem
* Den originellen Seliiister, bei dem er 17<i7 in Dresden ge-
wohnt hatte, schildert Goethe im achten Buche von ,Dich- 30
tung- und Wahrheit' (W. 27, 167, 28—170, 18. 171,19—26.175,
H- 16); vgl. iiuch W. von Biedermann: (ioethe und Dresden
(Berlin, Gustav Hempel 1875) S. 3 f.
"^ Auf den Widerspruch, in dem diese Cliarakteristik und die
Bezeichnung des Schusters als eines „hart-verständigen 35
Menschen" (s. 44. 13) mit den Versen 25—27 und 43—72 der
1813 DER EWIGE JUDE. 43
[März 26, Weimar.] [108}
Herrn eine besondere Xeigung, die sieh hauptsächlich
dadurch äusserte, dass er den hohen Mann, dessen Sinn
er nicht l'asste, zu seiner eignen Denk- und Handels-
5 weise bekehren Avollte. Er hig daher Christo sehr in-
ständig an, doch aus der Beschauhchkeit hen'orzutreten,
nicht mit solchen Müssiggängern im Lande herumzu-
ziehn, nicht das Volk von der Arbeit hinweg an sich in
die Einöde zu locken: ein versammeltes Volk sei immer
10 ein aufgeregtes, und es werde nichts Gutes daraus ent-
steh n.
Dagegen suchte ihn der Herr von seinen höheren An-
sichten und Zwecken sinnbildlich zu belehren, die aber
bei dem derben Manne nicht fruchten wollten. Daher,
15 als Christits immer bedeutender, ja eine öffentliche
Person ward, Hess sich der wohlwollende Handwerker
immer schärfer und heftiger vernehmen, stellte vor, dass
hieraus nothwendig Unruhen und Aufstände erfolgen,
und Christus selbst genöthigt sein v,ürde. sich als Par-
20 teihaiipt zu erklären, welches doch unmöglich seine Ab-
sicht sei. Da nun der Verlauf der Sache wie wir wissen
erfolgi, Christus gefangen und verurtheilt ist, so wird
Ahasverus noch heftiger aufgeregt, als Judas, der schein-
bar den Herrn verrathen, verzweifelnd in die Werkstatt
25 tritt, und Jammernd seine missluugene That erzählt. Er
sei nämlich, so gxit als die klügsten der übrigen An-
hänger, fest überzeugt gewesen, dass Christus sich als
Regent und A'olkshaupt erklären werde, und habe das
bisher unüberwindliche Zaudern des Herrn mit (icwalt
30 zur That nöthigen wollen, und desswegen die Priester-
schaft zu Thätlichkeiten aufgereizt, welche auch die.-e
bisher nicht gewagt. Von der Jünger Seite sei man auch
nicht unbewaffnet gewesen, und wahrscheinlicher Weise
Dicbtunj? steht, ist wiederholt liiujrewieseu worden, besoii-
35 ders von Düutzer iu seineu .Erläuterungen zu Goethe*
Wolken- 27. 48—50 i.ud G.T. 1, 153.
44 DER EWIGE JUDE. 1813
[März 26, Weimar.] [108]
wäre alles gut abgelaufen, wenn der Herr sicli nic-ht
selbst ergeben und sie in den traurigsten Zuständen
zurückgelassen hätte. Ahasverus, durch diese Erzählung
keineswegs zur Milde gestimmt, verbittert vielmehr noch 5
den Zustand des armen Exapostels, so dass diesem nichts
übrig bleibt, als in der Eile sich aufzuhängen.
Als nun Jesus vor der Werkstatt des Schusters vorbei
zum Tode geführt wird, ereignet sich gerade dort die
bekannte Scene, dass der Leidende unt^r der Last de« lo
Kreuzes erliegt, und Simon von Kyrene dasselbe weiter
zu tragen gezwungen wird. Hier tritt Ahasverus hervor,
nach hart-verständiger Menschen Art, die, wenn sie
jemand . durch eigne Schuld unglücklich sehn, kein
Mitleid fühlen, ja vielmehr, durch unzeitige Gerechtig- is
keit gedrungen, das Uebel durch Vorwürfe vermehren;
er tritt heraus und wiederholt alle früheren "Warnungen,
die er in heftige Beschuldigungen verwandelt, wozu ihn
seine Xeigung für den Leidenden zu l^erechtigen scheint.
Dieser antwortet nicht, aber im Augenblicke bedeckt die 20
liebende Veronica des Heilands Gesicht mit dem Tuche,
nnd da sie es wegnimmt und in die Höhe hält, erblickt
Ahasverus darauf das Antlitz des Herrn, aber keines-
wegs des in Gegenwart Leidenden, sondern eines herrlich
Verklärten und himmlisches Lel:)en Ausstrahlenden. Ge- 25
blendet von dieser Erscheinung wendet er die Augen
weg, und vernimmt die Worte: „Du wandelst auf Erden,
bis du mich in dieser Gestalt wieder erblickst". Der
Betroffene kommt erst einige Zeit nachher zu sich selbst
zurück, findet, da alles sich zum Geriehtsplatz gedrängt 30
hat, die Strassen Jerusalems öde, Unruhe und Sehnsucht
treiben ihn fort, und er beginnt seine Wanderung.
Von dieser und von dem Ereigniss, wodurch das Ge-
dicht zwar geendigt, aber nicht abgeschlossen vrird, viel-
leicht ein andermal. Der Anfang, zerstreute Stellen 35
1813 DER EWIGE JUDE. 45
[März 26, Weimar.] [108]
und der Schhiss waren geschrieben^: aber mir fehlte die
Sammhmg, mir fehlte die Zeit, die nöthigen Studien
zu machen, dass ich ihm hätte den Gehalt, den ich
\\ünschte, geben können, und es blieben die wenigen
Blätter imi desto eher liegen, als sich eine Epoche in mir
entwickelte, die sich schon, als ich den ,'Vrerther' schrieb,
und nachher dessen Wirkungen sah, nothwendig an-
spinnen musste^.
Dichtung und Wahrheit Theil 3, Buch 15. — W. 28.
300, 18 —310, 17.
^ Der „Anfang" (Vers 1— 72i imd ,, zerstreute Stellen" ^Vers
73 — 110) sind vorhanden. Was aber unter „Schluss" zu ver-
stehen sei, ist nicht ohne "S\'eiteres klar. Da der ,, Schluss"
15 ausdrücklieh als „geschrieben" bezeichnet wird, so müssen
— will man ihn nicht als verloren gegangen betrachten —
die letzten Iheile des Bruchstücks. Vers 111—289. als Schluss
augesehen werden. Diese schildern die Wiederkunft des
Herrn, brechen aber mit den, deutlich auf eine Fortsetzung
20 hinweisenden, Worten (Vers 289) ab: ..Wie ihr"s bald weiter
werdet sehn". Demnach ist der ..Schluss" jedenfalls nur
unvollständig erhalten.
Die ..Wanderimg" des Juden blieb unausgeführt; zu ihr
gehören vielleicht die drei kleinen Bruchstücke Vers 73—83.
25 84—88. 89—92. Goethes Antheil galt weniger der Wanderung
Ahasvers, als dem Wiedererscheineu Christi auf Erden.
Dafür spricht unter Anderem auch der Ausdruck 40. 9 f.:
,,das grosse Gedicht der Ankunft des Herrn".
Unter dem „Ereigniss, wodurch das Gedicht zwar geen-
30 digt, aber nicht abgeschlossen wird", hat man den Besuch
des ewigen Juden bei Spinoza verstehen wollen, weil eines
solchen Goethe im sechzehnten Buch von .Dichtung und
Wahrheit' gedenkt (s. 48. 19— 49. .5). doch lassen die doit
von jener Begegnung gebrauchten Ausdrücke: „weithes
35 Ingrediens" und „vorübergehender Scherz" eher darauf
schliessen, dass dieser Besuch nur eine Episode, nicht aber
das Ende bilden sollte.
- Es war die Epoche des prometheisch einsamen, ganz aus
der eigenen Kraftfülle sich nährenden Schaffens, der wir
40 das dramatische Bruchstück .Prometheus' verdanken, über
4G DER EWIGE JUDE. 1815
[1815.]
[April G. 7, Weimar.] 109
[Zu 1TS6, October 27.]. Die Gunst der Musen wie die
der Dämonen besucht uns nicht immer zur reciiten Zeit.
Heute ward ich aufgeregt, etwas aus7Aihiklen, was gar .5
nicht an der Zeit ist. Dem ]\Iittelpuncte des Katholicis-
nius mich nähernd, von [vatlioliken umgeben, mit einem
Priester in eine Sedie eingesperrt^, indem ich mit rein-
stem Sinn die wahrhafte Xatur und die edle Kunst zu
beobachten und aufzufassen trachte, trat mir so habhaft lo
vor die Seele, dass vom ursprünglichen Christenthuin alle
Spur verloschen ist; ja, Avenn ich mir es in seiner Eein-
heit vergegenwärtigte, so wie wir es in der Apostelge-
schichte sehen, so niusste mir schaudern, was nun auf
Jenen gemüthlichen x\nfängen ein unförmliches, ja ba- ^'^
rockes Heidentimm lastet. Da fiel mir der ewige
Jude wieder ein, der Zeuge aller dieser wundere amen
Ent- und Aufwickelungen gewesen, und so einen wunder-
lichen Zustand erlebte, dass Christus selbst, als er zu-
rückkommt, um sich nach den Früchten seiner Lehre 20
umzusehen, in Gefahr geräth, zum zweitenmal gekreu-
zigt zu AA'erden. Jene Legende: Venio iterum crucifigi,
sollte mir bei dieser Katastrophe zum Stoff dienen-.
dessen Entstehung Goethe in .Dichtung und AVahrheit' un-
mittelbar nach der obigen Erzählung vom .Ewigen Juden' 25
berichtet. Vor allem aber war es die (iestalt Fausts, die
damals und in der Folge diejenige des Ahasverus in Goethes
dichterischer Thätigkeit verdrängte.
Im ältesten biographischen Schema (vom Jalu'e 1S09) wird
der , Ewige Jude' nicht genannt. 35
^ Auf der Falu't von Spoleto nach Terni.
' Die Legende erzählt: Petrus, als er auf Bitten der Gläu-
bigen aus Rom floh, um dem Märtyrertode zu entgehen, sei
vor der Stadt dem Herrn begegnet, und dieser habe dss
Jüngers Frage: ..Herr, wohin gehest Du?" (Domine, quo 35
vadisV) mit den Worten erwidert: ,.Ich komme, um aber-
mals gekreuzigt zu werden" (Yenio iterum crucifigi). Darauf
sei Pitrns voll Scham nach Rom zurückgekehrt und habe
dort den Tod am Kreuze erlitten.
Zur Ausführung des Planes ist Goethe nicht gekommen. ^'>
1819 DER EWIGE JUDE. 47
[April 6. 7, AVeimar.] • [109]
Dergieiclien Träiinio scliweben mir vor. Denn ans L'n-
gednld, weiter zn kommen, schlafe ich angekleidet und
weiss nichts Hübscheres, als vor Tag aufgeweckt zu
werden, mich schnell in den "Wagen zu setzen, und
zwischen Schlaf und Wachen dem Tag entgegenzu-
fahren, und dabei die ersten 1)e5ten Phantasiebilder nach
Belieben walten zu lassen.
Italienische Reise. Ferrara bis Rom (Terui, 27. Oe-
tober 1780). — WH. 24. 112.
1819.
März f Anfang], Weimar. 110
[Zu 1TT4. — In dem chronologischen Yerzeichniss von
Goethes Schriften aus dem Jahre 1819 (s. Xr. 90) heisst
es in der Abtheilung:]
Von 1TG9 bis 1775: . . Fragmente des .ewigen Juden^: . .
Summarische Jalirosfolge Goethescher Schriften. —
WH. 20. 323.
] [Februar 14, Weimar.] 111
[Zu 1771.] TnzAAischen geschehen kühnere Griffe in
die tiefere Menschheit: es entsteht ein leidenschaftlicher
Widerwille gegen raissleitende, beschränkte Theorien;
man widersetzt sich dem Anj^reisen falscher Muster. Alles
dieses und was daraus folgt, war tief und wahr empfvpi-
den, oft aber einseitig und ungerecht ausgesprochen.
Nachstehende Productionen: , Faust', die Puppens]3iele,
jProlog zu Bahrdt" sind in diesem Sinne zu beurtheilen;
sie liegen jedermann vor Augen. Dagegen waren die
Fragmente des , ewigen .luden' und .Hanswursts Hoch-
zeit' nicht mitzutheilen^ . . . ]\Iehreres dieser frechen
Art ist verloren gegangen: . .
Tag- und Jahres-Hefte. Von 1709 bis 1775. — W. 35,
4, 25 - 5, 9. 12 f.
^ Die A'eröflfentlichung des .Ewigen Juden' geschah erst 1836
35 durch Riemer und Eckermann (s. 38. 18 f.).
48 DER EWIGE JUDE. 1821
[1821?]
[Octobei-V WeiiiiarV]' 112
[Zu 1774.] Denke man . . nicht, dass ich seine [Spi-
nozas] Schriften hätte unterschreiben und mich dazu
buclistäblich bekennen mögen. Denn dass niemand den ^
andern versteht, dass keiner bei denselben Worten das-
selbe, was der andere, denkt, dass ein Gespräch, eine
Leetüre bei verschiedenen Personen verschiedene Ge-
dankenfolgen aufregt, hatte ich schon allzu deutlieh ein-
gesehen, und man wird dem Verfasser von , Werther' und lo
jFausf^ wohl zutrauen, dass er, von solchen Missver-
ständnissen tief durchdrungen, nicht selbst den Dünkel
geheg-t, einen Mann vollkommen zu verstehen, der als
Schüler von Descartes durch mathematische und rabbi-
nische Cultur sich zu dem Gipfel des Denkens hervor- i»
gehoben; der bis auf den heutigen Tag noch das Ziel
aller speculativen Bemühungen zu sein scheint.
Was ich mir aber aus ihm zugeeignet, würde sich
deutlich genug darstellen, wenn der Besuch, den der
ewige Jude bei Spinoza abgelegt, und den ich als ein 20
werthes Ingrediens zu jenem Gedichte mir ausgedacht
hatte, niedergeschrieben übrig geblieben wäre. Ich gefiel
mir aber in dem Gedanken so wohl, und beschäftigte
mich im Stillen so gern damit, dass ich nicht dazu ge-
langte, etwas aufzuschreiben; dadurch erweiterte sich 25
^ Diese Stelle ist uiclit mit Siclievheit zn datiren. Goethe
erwähnt in den Tag- und Jahres-Heften von 1821 die Arbeit
am vierten Bande (Buch 16—20) von , Dichtung und Wahr-
heit' und sagt: ,, . . ein Drittheil davon ward geschrieben,
welches freilich einladen sollte, das Uebrige nachzubringen." so
Möglicher Weise fällt die Abfassung der Stelle erst in den
Februar 182.5, vielleicht aber schon Ende 1816. wo das Tage-
bucli vom 11.— 20. December die Beschäftigung mit dem
vierten Bande der Biographie verzeichnet; ja es ist sogar
nicht ausgeschlossen, dass die Aeusserung schon 1813 abge- 35
fasst ist in Folge der Leetüre von Spinozas Etliik. deren das
Tagebuch dieses Jahres am 27. und 29. August gedenkt.
1821
DER EWIGE JUDE.
49
[Oetober? Weimar?] [112]
aber der Einfall, der als yorübergeheiider Scherz nicht
ohne Verdienst gewesen wäre, dergestalt, dass er seine
Anmuth verlor und icli ihn als lästig ans dem Sir)ne
schlugt.
Dichtung und Wahrheit Theil 4, Buch 16. — W. 29. 11,
11 —12, 9.
' Vgl. 44, 33 f. 45, 29—37.
Graf, Goethe über s. Dichtungen T. I.
Die Geheimnisse.
( E i u s c h 1 i e s s 1 i c li der , Z u e i g u u n g '. )
I. Zueignung.
Diese, von 1815 an in allen Ausgaben, als selbst-
ständiges Gedicht, an der Spitze von Goethes Werken 5
stehenden vierzehn Strophen finden hier ihre Stelle, da
sie ursprünglich als Einleitung der , Geheimnisse' ge-
dacht und gedichtet sind.
Handschriften: 1. Eine Abschrift von Herders Hand, aus
dem Jahre 1784 oder 1785. Im Besitz der königlichen 10
Bibliothek zu Berlin.
2. Eine Abschrift von Schreiberhand mit Correcturen
Herders; sie diente als Vorlage für den ersten Druck.
Erster Druck: 1787, Schriften 1, XVII— XXVI. Vorauf geht
das Verzeichniss der Subscri beuten ; es folgt .Werther'. 15
Das Gedicht eröffnet somit die erste von Goethe veran-
staltete Gesammtausgabe seiner Schriften.
Zweiter Druck: 1808, Werke Cotta^ 8, 357—303. Ohne eigene
Ueberschrift, als Strophe 1—14 der , Geheimnisse', ent-
sprechend dem ursprünglichen Plane. 20
Dritter Druck: 1815, Werke Cotta- 1, 1—7. Vor den , Liedern',
die Gesammtausgabe der Werke einleitend. Schon die
Stellung im ersten Druck, mehr noch der Inhalt des
Gedichts, lehrt, dass die , Zueignung' sich auf Goethes
Dichtungen überhaupt bezieht, keineswegs bloss auf 25
die Gedichte, an deren Spitze sie nur steht, weil diese
die Werke eröffnen.
Vierter Druck : 1827, Werke Cotta^ 1, 1—7. Die Stellung wie im
dritten Druck.
Weimarer Ausgabe: 1887, W. 1, 3—7 und 368—370. Die Stellung 30
wie im dritten und vierten Druck.
DIE GEHEIMNISSE. 51
II. Die Geheimnisse.
Handschriften : 1. Zw ei Qiiaitblätter, vou Goethe« Haud, im
Besitz der Familie vou Stein iu Kocbberg; eutlialteud:
die zweite Strophe (Vers 9—16), imd, ohne üeberschrift,
5 zwei ursprünglicli für die .Geheimnisse' bestimmte
Stanzen, die beginnen:
..Denn was der Mensel) in seinen Erdeschranken"
und
..Wohin er auch die Blicke kehrt und wendet".
10 2. Eine ursprünglich ebenfalls für die .Geheimnisse'
bestimmte Stanze, die den aus Braunschweig vom 21.—
24. August 1784 datirteu Brief Goethes an Charlotte von
Stein schliesst; sie beginnt:
„Gewiss ich wäre schon so ferne ferne."
15 Erster Brück: 1789. Schriften 8, 317—342. Am Schluss des
Bandes, vou dessen Hauptinhalt, den .Vermischten Ge-
dichten", getrennt durch .Künstlers Erdewallen' und
, Künstlers Apotheose'. Die Dichtung schliesst somit die
erste von Goethe veranstaltete Gesammtausgabe seiner
^20 Schriften.
Zweiter Druck: 1808. Werke Cotta' 8, 3.57—376. Eingeleitet
durch die vierzehn Strophen der .Zueignung' und an
diese, ohne Trennungstrich, sich unmittelbar anschlies-
send. Folgt auf den .Epilog zu Schillers Glocke', imd
25 schliesst den Band.
Dritter Druck: 1817, Werke Cotta- 9, 403-^19. Ohne die Stro-
phen der .Zueignung', wie im ersten Druck; die Stellung
wie im zweiten Druck.
Vierter Druck: 1828, AVerke Cotta' 13, 176—191. Zwischen dem
30 .Epilog zu Schillers Glocke' und den , Maskenzügen'.
Weimarer Ausgabe: 1894. W. 16, 171—183 und 4.36 f. Die Stel-
lung wie im vierten Druck.
Die Stanze
,.Denn was der Mensch in seinen Erdeschranken"
35 wurde zuerst, mit der Üeberschrift ,Für ewig', 1820 in , Kunst
und Alterthum' (2, 3. 30) gednickt, dann 1827 in den Werken
Cotta' 8, 49 unter der Rubrik .Lyrisches', zwischen .Für's
Leben' und .Zwischen beiden Welten', an gleicher Stelle 1S90
W. 3, 44 und 387.
52 DIE GEHEIMNISSE. 1784
Die Stanze
„Wohin er aiicb die Bliclie liehrt und wendet"
findet sicli zuei'st gedruclit 1827 in den Werken Cotta^ 4, 159
(nebst einer ,anflvlärendeu Bemerlvung' 4. 191) als Nummer
77 der Abtheilnng Jnscbriften, Deulc- und Seudeblüttter', 5
ohne Ueberschrift (im Inhaltsverzeichniss jedoch unter dem
Titel , Anzuwenden' aufgeführt), zwischen den kleinen Ge-
dichten .Bilder-Scenen. Den 15. März. 181G' und ,Den 6. Juni
1816' (,,Du versuchst, o Sonne, vergebens"); an gleicher Stelle
1891 W^. 4, 60, nebst der , auf klärenden Bemerkung' W. 4, lo
84, 8 f.
Die Stanze
,, Gewiss ich wäre schon so ferne ferne"
ist zuerst gedruckt 1851 in , Goethes Briefen an Frau von
Stein' 3, 91 (zweite Auflage 2, 209), jetzt W. 5 (1), 66 und Br. is
6, 344, 19—26.
Der auf die , Geheimnisse' bezügliche Aufsatz Goethes
(s. Nr. 140) wurde zuerst gedruckt im Morgenblatt 1816 April
27, Nr. 102, dann Werke Cotta' 45, 327—332, jetzt WH., zweite
Ausgabe, 2, 275—278. 20
178^.
August 8, Abends halb 10 Uhr, Dingelstädt^ 113
Zwischen Mühlhauseii und hier brach uns heute die
Achse des schwerbepackten Wagens; da wir hier liegen
bleiben mussten, machte ich gleich einen Versuch, wie 2S
es mit jenem versprochnen Gedichte gehn möchte; was
ich hier schicke ist zum Eingang bestimmt, statt der
hergebrachten Anrufung und was dazu gehört.
Es ist noch nicht alles wie es sein soll, ich hatte
kaum Zeit die Verse abzuschreiben. . . . schickt die so
Verse mit diesem Brief an Frau von Stein auf's bal-
digste.
An Herder und dessen Frau. — Br. 6, 333, 11—20.
^ Durch Dingelstädt, einen im Eichsfeld, zwischen Mühl-
hausen und Heiligenstadt, an der Unstrut gelegenen kleinen s.-v
Ort, kam Goethe jetzt auf einer Reise in den Harz und nach
Braunschweig. Der Maler Kraus aus Weimar begleitete ihn.
Sachlich ghört in diese Zeit: Nr. 140. 145.
1784 DIE GEHEIMNISSE. 53
August S, Abends 10 Uhr, Dingelstädt. 111
Anstatt Dir so oft zu wiederholen, dass ich Dich liebe,
schicke ich Dir durch Herders etwas, das ich heute
früh Euch gearbeitet habe. Z\dsclien Mühlbausen und
5 hier ist uns eine Achse gebrochen und wir haben müssen
liegen bleiben. Um mich zu beschäftigen und meine
unruhigen Gedanken von Dir abzuwenden habe ich den
Anfang des versprochnen Gedichtes gemacht, ich
schicke es an Herders, von denen erhältst Du es.
10 An Ch. V. Stein. — Br. G, 334, 1—8.
August 11. 13. 14, Zellerfeld. 115
11. . . . Du hast nun, ich hoffe, den Anfang des
Gedichtes, den ich Dir durch Herders schickte. Du wirst
Dir daraus nehmen was für Dich ist, es war mir gar
15 angenehm Dir auf diese Weise zu sagen, wie lieb ich
Dich habe.
13. früh. . . . Ich denlce fleissig an den Plan des
Gedichtes und habe ihn schon um vieles reiner; wenn
uns Eegenwetter oder sonst ein Unfall begegnet, so
20 fahre ich gewiss weiter fort.
14. Abends. . . . An dem Gedichte habe ich hin und
her gesonnen, geschrieben nichts wieder.
An Ch. y. Stein. — Br. 6, 334, 22— 335. 4. 17—21. 337, 9 f.
AugUiSt 24, Braunseliweig. 116
23 Je finis par un vers allemand, qui sera place dans le
poeme que Je cheris tnnt, parceque j'}' pourrai parier
de toi, de mon amour pour toi sous mille formes sans
que personne Tentende que toi seule.
Ge^nss ich wäre schon so ferne ferne^
30 An Ch. V. Stein. — Br. G. 344, 15—20.
'■ Die Stanze ist weder in die .Zueignung- noch in die .Ge-
heimnisse' aufgenommen worden, vgl. 51. 10—14. 52, 12 — 16.
Sie spricht dicliterisch aus. was Goethe der Freundin schon
wiederholt bekannt hatte, so in den Briefen vom 24. Decem-
35 ber 1782: „O liebe Lotte, wenn ich Dich nicht hätte, ich
54 DIB GEHEIMNISSE. 1784
August 30. 31, [BraunschAveig.] 117
30. . . . J'ai ecrit de nouveau quelques versets^ du
poeme, qui m'est une grande ressource quand je suis
loin de toi; que j'aurai du plaisir si tu en es contente,
car c'est pour toi que je le compose; le peu de mots que 5
tu m'en dis dans ta derniere lettre uront fait une joie
iniinie'.
31. . . . Si nies recherclies le permettent je täclierai
d'ecrire encore ä mon poeme; je voudrois pouvoir tout
pour te faire du plaisir et je ne pourrois jamais cesser lo
d'etre ton debiteur.
An eil. V. Stein. — Br. 6, 350, 21— 2G. 352, 23—27.
September 16, [Weimar.]^ HS
Dass Dir mein Gedicht so lieb ist, wird mich an-
feuern es fortzusetzen, wie mir es möglich ist. i»
An Cb. V. Stein. — Br. 6, 355, 21—23.
? November 9, [Weimar.] 119
Diesen Abend bin ich bei Dir und wir lesen in denen
Geheimnissen fort, die mit Deinem Gemiith so viele
Verwandtschaft haben*. 20
An Cb. V. Stein. — Br. 0, 385, 21— 386, 2.
ging' in die weite Welt. . . . leb lebe nur in Dir, die übrige
Welt will nicbt an mir baften", und vom 23. November 1783:
„ . . aucb das Entferntste duld' icb, weil Du bist, und wenn
Du nicbt wärst, bätt' icb alles lange abgeschüttelt" (Br. 6, 25
HO, 10 f. 14 f. 216, 8—10).
^ Adolf ScböU denlit hier insbesondere an die Stropbe:
,,Denn vi-as der Mensch in seinen Erdeschranken"',
wohl veranlasst durch die. freilich oiur geringe, Verwandt-
schaft des Sinnes jener Verse mit dem im Obigen (besonders 30
Z. 10 f.) Ausgesprochenen (G.-Stein 2, 590 Erl. 2 zu S. 212).
^ Der Brief der Frau von Stein ist nicht erhalten, wie fast
alle von ihr au Goethe gerichteten Briefe.
^ Tags zuvor, am 15. September, war Goethe von der
Reise zurückgekehrt. Charlotte von Stein befand sich in 35
Kochberg.
* Sehr wahrse-heiulicb bezieht sich diese Stelle nicht auf
Goethes Dichtung, sondern auf Sclu-iften von Heuisterhuis
1TS5 DIE GEHEIMNISSE. 55
1785.
]Miirz 27. [Weimar.] 120
Meine beiden Terse halj* ich für heute gefertigt und
bin nun bis Aschermittwochen gekommen.
Diese Kinderei hilft mir. und die leeren Tage im Ka-
lender geben mir ein unüberwindlich Verlangen das
Versäumte nachzuholen^.
An Ch. V. Stein. — Br. 7, 33, 1—5.
März 28, IWeimar.] 121
Auch bin ich wieder üeissig an meinem grossen Ge-
dichte gewesen und bin bis zur vierzigsten Strophe ge-
langt". Das ist wohl noch sehr im Vorhofe. Das
Unternehmen ist zu ungeheuer^ für meine Lage, indess
will ich fortfahren und sehn, wie weit ich komme.
An Knebel. — Br. 7, 33, 15—19.
oder auf die , Ethik' Spinozas, mit denen Goetbe sich da-
mals viel beschäftigte. So schrieb er an Knebel am 11. No-
vember 1784: „Jacobi hat mir alle Werke des Hemsterhuis
geschickt. Sie freuen mich sehr.
20 Ich lese mit der Frau von Stein die Ethik dos Spinoza''
(Br. 6, 387, 4—7).
' Täglich zwei ,, Verse", das heisst: zwei Stanzen zu schreiben,
hatte Goethe sich vorgenommen, um die stockende Dichtung
zu fördern. In einen Notizkalender für 1785 trug er. mit dem
25 ersten Januar beginnend, die Stanzen ein, auf jeden Tag
eine, und war jetzt „bis Aschermittwoch", bis zum 9. Februar,
gekommen. Es waren somit viei'zig Strophen (s. Z. 11) fertig:
a. die vierzehn ersten, später , Zueignung' genannten.
Stanzen.
30 b. fünfundzwanzig Stanzen der (heute vierundvierzig Stro-
phen enthaltenden) , Geheimnisse', und
c. die. später nicht aufgenommene, in Nr. 11»! erwähnte
Stanze.
Riemers Angabe (Mittheilungen 2, 191), Goethe habe ..bis
35 in den März dieses .Jahres 48 Stanzen geschrieben", beruht
vermuthlich auf Goethes Angabe im Briefe an Knebel vom
2. April 1785 (s. Nr. 125).
- Vgl. Z. 27.
' Vgl. r.i. 14 f.
56 DIE GEHEIMNISSE. 1785
März 28, [AVeimar.] 122
Diesen Morgen habe ich müssen dem Brief schreiben
geben, und stehn also die Stanzen noch bevor, wenn
das. Glück will.
An Ch. V. Stein. — Br. 7, 34, 4—6. 5
][März oder April, Weimar'.] 123
Gestern Abend hab" ich noch drei Stanzen gemacht.
An eil. Y. Stein. — Br. 7. 34. 12.
][ÄIärz oder April, Weimar.] 124
Zur Xoth habe ich gestern noch eine Stanze hervor- lo
gel^racht. und die übrigen gern Deiner Liebe aufge-
opfert, . .
An Ch. V. Stein. — Br. 7, 35, 1—3.
April 2. [Weimar.] 125
Ich habe 48 Stanzen an meinem Gedichte. 15
An Knebel. — Br. 7, 37, 19.
April 2, [Weimar.] 126
. . ich will sehn vor Schlafengehn noch einige
Stanzen vorzuarbeiten.
An Ch. v. Stein. — Br. 7, 38, 6—8. 20
April 3. [Weimar.] 127
Ich habe drei Stanzen.
An Ch. v. Stein. — Br. 7, 38. 18 f.
IDecember 12, [Jena.] 128
Die Tage sind sehr schön; wie der Xebel fiel, dachte 2.5
ich an den Anfang meines Gedichts. Die Idee dazu-
habe ich hier im Thale gefunden. Hätte ich Dir nur
die angenehme Aussicht zeigen können!
An Ch. v. Stein. — Br. 7, 139, 18—21.
' Die Beziehung auf .die Geheimnisse' macht die ungefähre 30
Datiruug dieser und der folgenden, undatirten. Briefstelle
möglich.
^ Das heisst: die „Idee" zum ..Anfang", der später als .Zu-
eignung' selbständig geworden ist. Anknüpfend an das na-
türliche Phänomen steigender, sinkender Morgeunebel. das 3.5
Goethe auf den Höhen luu Jena wiederholt hatte beobachten
■ 1786 DIE GEHEIMNISSE.
1T86.
December 13, Rom. 129
Zugleich kommt^ die , Zueignung". Ich habe einen
sonderbaren Einfall gehabt, ich wünsche, dass er Euren
5 Beifall erhalte-.
An die Familie Herder. — Br. 8, 1)0,27—91,1.
1787.
Januar 25, Rom. 130
. . habe die Güte nun die letzte Hand an meine AVerk-
10 lein zu legen, auch die , Zueignung"' zu corrigiren und zu
interpunctiren, dann sie mit den Platten nach Leipzig
zu schicken^.
Es wird atif das vorstehende Blatt nur gesetzt Zu-
eignung, nicht Zueignung an's deutsche
15 Publicum, -wde es in der Anzeige hiess. Was ich
damals im Sinne hatte, habe ich nicht ausgeführt, viel-
leicht thue ich es zu Anfang des fünften Bandes oder
können, schildert dieser ..Aufaug", besonders Strophe 1 — i.
11. 12: wie die göttliche Wahrheit, als AVeib gebildet, sonuen-
20 haft aus Nebelgewölk hervortritt und ihn, den Dichter, mit
dem Schleier der Dichtung beschenkt.
Im Hinblick auf obige Aeusserung die Worte des Briefes
au den Herzog Karl August vom 10. April 1780: ,,Hier
schicke 'ich einen Traiun aus hiesiger Gegend" auf die ,Zu-
25 eignung" zu deuten (vgl. Br. 7. 320 zu S. 203. 21 f.). ist kaum
möglich. Schon der Ausdruck ..aus hiesiger Gegend'", das
heisst docli: aus der Umgebung von Weimar, wo der Brief
geschriel)en, spricht gegen die Deutung.
^ Das heisst: ..wird kommen"; Goethe versi)richt in diesem
30 Briefe den Freunden, zu Weihnachten die Handschrift der
,Iphigeuie auf Tauris" und mit dieser die .Zueignung' zu
senden, was jedoch nicht geschah; ,Iphigeuie' ging am 13.
Januar 1787. die .Zueignung" vierzehn Tage später an Herder
ab. s. Nr. 131.
35 '' s. 58, S-ß.
' Herders wenige Correcturen sind mit der Druckvorlage
erhalten (s. 50, 12 f.i. und W. 1, 309 (zu Y. 34. 46. 59) mit-
getheilt.
58 DIE GEHEIMNISSE. 1787
[Januar 25, Rom.] [130]
vor dem letzten [8.] der vemiiscliten Schriften\ Ich
■«Tinsche indess, dass Du billigen mögest^, dass ich den
Eingang des grossen Gedichts^ hierher setze, mir
seheint er auch hier passlich und scliicklich, zugleich 5
auch sonderbar, und so mag es hingehn.
An Herder. — Br. 8, 151, 24— 152, 13.
Jaunar 27, Rom. 131
[An] Herder schwer Packet Kupferplatten, , Zu-
eignung", . . [s. Xr. 130.] 10
Brief tabelle in einem römiscbeu Notizbuch. — Br. 8,
418, 37.
^ Goethe hatte die Absicht gehabt, die Sammlung seiner
.Schriften' zu eröffnen mit einer poetischen , Zueignung an
das deutsche Publicum'. In einem, angeblich an ,, einen i5
Fi-euud" gerichteten, Ende Juni 1786 geschriebenen Briefe,
den die Yerlagshaudlung in ihrer „Anzeige" (57, 15) an das
Publicum alsbald veröfCeutlichte, kündigt Goethe als Inhalt
des ersten Bandes der , Schriften' an:
,, Zueignung an das deutsche Publicum. 20
Die Leiden des jungen Werthers,"
mit der Schlussbemerkiuig: ..Von den vier ersten Bänden
kann ich mit Gewissheit sagen, dass sie die angezeigten
Stücke enthalten werden; . ." (Br. 7, 235, 15—17, 236, S— 10).
Zunächst blieb Goethe auch bei diesem Plane. In einem, 25
von Verona aus, am 18. September 1786 an den Herzog Karl
August geschriebenen Briefe heisst es, mit Anspielung auf
das Stück ,Die Vögel': „Alsdann [nach Vollendung der
,Iphigenie auf Tauris'] geht's an die , Zueignung' und ich
weiss selbst noch nicht, was ich denen Avibus sagen werde" 30
^ (Br. 8, 25, 19—21). Fünf Tage später, am 23. September,
bemerkt er in seinem, für Charlotte von Stein bestimmten,
Tagebuch: ,. Meine angefangne .Zueignung an's deutsche
Publictmi' werf ich ganz weg und mache eine neue, sobald
die ,Iphigenie' fertig ist" (Tgb. 1, 224,26—28). Zu dieser 35
,, neuen" ist es aber nicht gekommen; eben so wenig zu einer
solchen vor dem fünften oder achten Bande.
^ Strophe 1—14 der , Geheimnisse', als .Zueignung'.
1788 DIE GEHEIMNISSE. 59
1788.
Februar 9, Rom. 132
Die ^.Yermischteii Gedichte' zum letzten [8.] Bande
habe ich auch schon gesammelt und meist zusammen-
geschrieben; doch "will auch dieser achte Band wohl
ausgedacht und ausgeziert sein^.
An Göschen. — Br. 8, 342, 2.5—28.
' Goethes Aeusseruugen über den achten Band der .Schriften'
wird man im dritten Theile dieses Werkes zusammengeord-
10 uet finden, sie können hier nicht sümmtlich eingereiht
werden, obgleich sie sich mittelbar auch auf .die Ge-
heimnisse' beziehen, da diese Dichtung den Scliluss des
achten Bandes bildet.
Das Wichtigste jedoch aus dem Jahre 1788 sei hier zu-
15 sammengestellt:
Juli lö, Weimar, an Göschen. — Ehe ich von Rom ab-
ging und selbst auf der Reise suchte ich zwei Bände, den
sechsten und achten, dergestalt vorzubereiten, dass solche
noch auf Michael erscheinen sollten; allein ich finde mich
20 nach meiner Ankunft hierher von so mancherlei Zerstreu-
ungen umgeben, dass icli in nichts weiter gerückt bin, und
fürchte, dass ich vor einigen Monaten nicht in die Lage
kommen möchte, nur einen Band zu endigen, dessen Aus-
gabe auf Michaelis nicht mehr besorgt w'erden könnte.
25 Indessen werde ich mein Möglichstes thun, . . (Br. 9, 2,
11—20).
September [2 oder 3]. Weimar, an Herder. — Der achte
Band ist beinahe zusammen. Wieland hat ihn gegenwärtig
in der Revision (Br. 9, 18. 27 f.i.
30 September 22, [Weimar,] an Herder. — Mein achter Band
ist in Ordnung (Br. 9, 33, 5 f.).
Herder befand sich damals in Italien. Am 12. September
1788 schrieb seine Frau ihm über eine kleine, in Goethes
Gesellschaft unternommene Reise: „Abends [Sonntag 7.
^5 September von Rudolstadt] nach Kochberg im Mondschein.
Goethe sagte das Gedicht über die Rosenkreuzer", das heisst
,die Geheimnisse', so genannt in Erinnerung der Verse 69 f.:
„Es steht das Kreuz mit Rosen dicht umschlungen.
Wer hat dem Kreuze Rosen zugesellt?"
40 (Gespräche 1, 9.5.)
60 DIK GEHEIMNISSE. 1789
178».
Januar 26, Weimar. 133
Vergebens habe ich Iji.sher auf den letzten Bogen des
acliten Bandes gewartet. Haben Sie die Güte, mir
solchen so bald als möglieh zu überschicken\ 5
An Göschen. — Br. 9, 71, 1—3.
1806.
Februar 24, Weimar. 134
Den Inhalt der künftigen Bände [2 — 12 der \Yerke
Cotta^]. durchgesehen und berechnet^. lo
Tgb. 3, 119, 27 f.
1808.
Juli 20, Frauzeusbad^ 135
Nachts ,die Geheimnisse' vorgelesen'*.
Tgb. 3, 362,23.251 - jr,
' Der „letzte" ist Bogen X (Seite 321—342) und enthält ,die
Geheimnisse' mit Ausnahme der beiden ersten Strophen.
Am 2. März 1789 meldete Goethe an Herder: „Meine
Schriften achter Band sind nach Rom" (Br. 9, 94, 11). Und
Herder theilte am 7. März von Rom aus seiner Frau mit: 20
,,Goethens Gedichte sind hier angekommen; er hat ein Exem-
plar, noch ohne Titel, an die Angelica [Kauffmann] ge-
schickt" (Herders Reise nach Italien S. 273).
Es bleibe hier nicht unerwähnt, dass Herder in dem, zwei
Jahre später, 1791 erscliienenen vierten Theile seiner , Ideen 25
zur Geschiclite der Menschheit' das sechzehnte Buch
schliesst mit Strophe 8 der .Geheimnisse', in der er jedoch
den ersten und die beiden letzten Verse, seinem Zwecke ent-
sprecliend. lungestaltet hat.
- Den acliteu Band, der mit .Faust' (genauer: mit dessen ,Zu- 30
eignung') beginnt, schliessen ,die Gelieimnisse' in der oben
51, 21—25 angegebenen Weise.
Band 8 bildete mit den Bäiidcni 5 — 7 die zweite Lieferung,
diip nach Goethes Tagebuch (3, 181, 24 f.) am 8. December
1806 an Cotta nach Tübingen abging. 35
Sachlich gehört hierher Nr. 92.
^ Goethe brauclit hier und anderwärts die damals üblicliere
Bezv^ichnung ,Franzensbrininen'.
* Unter den Zuhfirern befand sich jedeufalls Silvie von Zie-
gesar, wenn diese nicht überhaupt das ganze Auditorium 40
bildete.
1811 DIE GEHEIMNISSE. 61
August 7, Karlsbad. 1.36
Packet mit den zwei letzten Liefennigen meiner
Werke [Cotta^ Band 5— 12J^
Tgb. 3, 369, 19 f.
1811.
November 11, Weimar. 137
Wenn von Composition einer meiner Arbeiten die
Eede gewesen wäre, so hätte ich nicht leicht auf , d i e
Geheimnisse' gerathen. Sie machen mich durch
diese Xachricht sehr neugierig-.
An Zelter. — G.-Zelter 1, 466.
1815.
August 3, Wiesbaden. 138
,Die Geheimnisse', sagte Goethe, habe er zu gross
angefangen", wie so Vieles. — Die zwölf Eitter sollten
' reber Band 8 vgl. 60, 30—35.
Eine briefliche Aeusserung von Schillers AVittwe sei hier,
der Zeitfolge gemäss, eingefügt. Sie sehreibt, in Erinnerung
an einen Aufenthalt im Sclnvarzathal, am 27. August 1809
von Rudolstadt aus an Goetlie: „..ich habe recht die
Stanzen wiederholt, den Eingang zu den , Geheimnissen',
wie ich die Nebelgestalten an den schAvarzen Bergen hin-
ziehen sah. und in dem Thal, wo das schönste Grün glänzt,
auf dem kleinen Fluss den Nebel zerrinnen sah.
..Der luft'ge Kampf war lange nicht vollendet" etc.
habe ich hier recht gesehu, nur die Wahrheit wollte uns
nicht auch erscheinen! wie dem Dichter, der alles sah und
empfunden hat" (GJ. 4. 260).
^ Zelter hatte am 2.5. Oktober 1811 von Berlin aus au Goethe
geschrieben: ,,Auf meiner Reise [in Schlesien] habe ich
nur einen Theil Ihrer Schriften bei mir gehabt und daraus
,die Geheimnisse* In Musik gesetzt. Mich soll wundern,
ob Sie Ihre Octaven wieder erkennen werden: wenn ich sie
Ihnen nur vorsingen könnte. Einige Freunde haben die Com-
position nicht unrecht gefunden" (G.-Zelter 1, 462 f.).
Nach V. Loepers Angabe findet sich in Zelters Nachlass
nur Eine Strophe, die dritte (..Ermüdet von des Tages langer
Reise"), für Gesang componirt. mit dem Datum: Breslau
19. August 1811 (AYH., zweite Ausgabe, 2, 370).
■ Vgl. 55, 12 f.
G2 DIE GEHEIMNISSE. 181 G
[August s.lWiesbaden.] [138]
die zwölf Eeligionen sein, und alles sich, nachher ab-
sichtlich durcheinander wirren, das Wirkliche als
Mährchen und diess, umgekehrt, als die Wirklichkeit er-
scheinen.
Mit Siilpiz Boissei'^e. — Gespracbe 3, 193.
1816.
März 23, Weimar. 139
[Früh] Ueber das Gedicht: ,Die Geheimnisse'^
Tgb. 5, 217,14.
^ Die unmittelbare Auregimg zu dem Aufsatz über ,die Ge-
heimnisse' (s. Nr. 140) ging aus von einem kleinen Kreise Kö-
nigsberger Studenten, die sich gegen Ende des yorhergeheu-
den Jahres, am 15. November 1815, brieflich an (lOethe ge-
Avaudt hatten. Das Schreiben laiitet. mit Weglassung einer, l'>
den Eingang bildenden, allgemeinen Betrachtung:
,,Ein Kreis von wenigen Freuudeu, die in verschiedenen
Fächern einer höhereu Ausbildung alle nachstreben, fand
sich gern beisammen. Der gesellige und zwanglose Aus-
tausch der Gedanken ward zur leichten Erholung von 20
ernsten Arbeiten und führte endlich zu einem regelmässigen
Verein, der auch darin eine angenehme Beschäftigung fand,
gemeinschaftlich zu besprechen und zu erwägen, was nicht
ohne allgemeineres Interesse Avar und dem Nachdenken des
Einzelnen eine vielseitige Beleuclituug zu erfordern schien. 25
So wurde Ihr Gedicht .Die Geiieimnisse* an einem Tage
vorgelesen und für die nächste Zusammenkunft eines Jeden
Frtlieil über den Sinn und Zweck desselben verlangt. Die
Meinungen waren zu verschieden um sich vereinigen zu
können, und so kam man überein, an den berühmten Ver- 30
fasser zu schreiben. Nicht mit der Zuversicht, er Avolle und
werde eine deutliche Auseinandersetzung seines Zweckes
oder eine Geschichte des Fragments zu geben geneigt sein;
doch mit der Hoffnung, eine Andeutung zu erhalten,
welchem Hauptgedanken das vollendete Ganze entgegen 35
zu streben bestimmt war. Es würde an unrechter Stelle
sein, Ihnen .iedes einzelne Urtheil aufführen zu wollen. Die
mehrsten Stimmen vereinigten sich jedoch in Folgendem:
Der Verfasser hat in Humanus darstellen wollen, bis zu
welclier H(lhe die reine menschliche Natur, geläutert durch 40
181U DIE GEHEIMNISSE. aS
[März 23 bis] April 9, Weimar. 140
Die Geheimnisse. Fragment von Goethe.'
Eine Gesellschaft studirender Jünglinge in einer der
ersten Städte Xord-Deutschlands [Königsberg in
5 das Umfassen einer veredelten Religion und in dem Auf-
schauen zu dem idealen Stifter derselben gelangen könne
und werde; Humanus selbst sei weniger Person, als Bild
der veredelten Menschheit überhaupt; alle anderen Personen
würden in dem vollendeten Gedicht nur Nebenrollen ge-
10 spielt haben; die geheimnissvolle Einkleidung habe viel-
leicht besondere Beziehungen, oder nur das Ganze könne
hier einen Schlüssel geben.
Wie Manches dabei noch dunkel bleibt, darf Ihnen, ver-
ehrter Mann, am wenigsten bemerkt werden. Wir ersuchen
15 Sie nur. unsere Frage keiner zuversichtlichen Unbescheiden-
heit zuziischreiben, sondern nur dem Bestreben, mit dem
Geiste unseres grössten Dichters immer mehr vertraut zu
werden; darum erlauben wir uns den Wimscli. von ihm
selbst belehrt zu werden."
20 Hierauf folgen die Namen der sechs Studenten und die
Adresse, unter der die gehoffte Antwort erbeten war
(Preussische Jahrbücher 1868. 21, 3Ö4 f.i.
^ Eingeleitet vrurde der erste Druck dieses, von Weimar
9. April 1816 datirten. Aufsatzes mit folgenden Worten:
25 ., Meine werthen Landsleute, besonders die jüngeren, er-
wiesen mir von je her viel Vertrauen, welches sich noch zu
vermehren scheint, gegenwärtig, wo nach Befreiung von
äusserem Druck und wiederhergestellter innerer Ruhe ein
jedes aufrichtige Streben nach dem Guten imd Schönen
30 sich auf's neue begünstigt fühlt. Mit Avelchem Dank und
Antheil ich dieses erkenne, kann ich jedoch utir selten aus-
sprechen, indem die Zeit nicht hinreicht, so mancherlei
Obliegenheiten durchaus genug zu tliun. Dalier bleibt zu
meinem Leidwesen mancher Brief imheautwortet. manche
35 Frage unerörtert, manches Problem nnaufgelöst.
Da ich jedoch bemerken kann, dass unter einer Menge
von Wünschen und Fordenmgen sich mehrere finden, die ein
allgemeineres Interesse zu haben scheinen, indem sie
wiederholt an mich ergehen, so habe ich den Vorsatz ge-
40 fasst, über solche I'uncte meine Erklärungen durch das
Moreenblatt nach und nach bekannt zu machen, und da-
64 DIE GEHEIMNISSE. 1816
[März 23 bis April 9, Weimar.] [140]
Preussen] haben ihren freundschaftlichen Zusammen-
künften eine gewisse Form gegeben, so dass sie erst
ein dichterisches "Werk vorlesen, sodann über dasselbe
ihre Meinungen wechselseitig eröffnend, gesellige 5
Stunden nützlich hinbringen. Derselbe Verein hat
auch meinem Gedichte,
,Die Geheimnisse*
überschrieben, seine Aufmerksamkeit gewidmet, sich
darüber besprochen und, als die Meinungen nicht zu lo
vereinigen gcAvesen, den Entschluss gefasst, bei mir
anzufragen, inwiefern es thunlich sei, diese Eäthsel auf-
zuklären: wobei sie mir zugleich eine gar wohl haltbare
Meinung mitgetheilt, worin die meisten mit einander
übereingekommen [s. 62, 39 — 63, 12]. Da ich nun in is
dem Antrage und der Art desselben so viel guten "Willen,
Sinn und Anstand finde, so will ich hierauf um so lieber
eine Erklärung geben, als jenes räthselhafte Product
die Auslegungsgabe schon manches Lesers beschäftigt
hat, und ich in meinen schriftstellerischen Bekennt- 20
nissen wohl sobald nicht an die Epoche gelangen
möchte, wo diese Arbeit veranlasst und sogleich auf
einmal in kurzer Zeit^ auf den Punct gebracht worden,
wie man sie kennt, alsdann aber unterbrochen und nie
wieder vorgenommen wurde; es war in der Mitte der 25
achtziger Jahre.
durch meine fernen, niei.-^t nubekannten Freunde, sowie
aucb andere, welche vielleicht gleiche Wünsche hegen, in-
sofern es sich thun lässt. zusammen zu befriedigen. Miige
das Nachstehende die gewünschte Wirkung hervorbringen" 30
(Morgeublatt 1816 April 27. S. 40-5 f.).
^ Dieses rasche Hervorbringen kann sich nur auf die Stanzen
der .Ziieignvuig' beziehen, von denen Goethe es, in ge-
ti-übter Erinnerung, auf das Ganze übertrug; denn dass die
vierundvierzig Strophen .der Geheimnisse', zumal deren 35
zweite Hälfte, nur langsam und fast mühevoll entstanden
sind, lehren Goethes eigene Aeiisserungen (Nr. 110—127).
1816 DIE GEHEIMNISSE. Gö
[März 23 bis April s>, Weimar.] [140]
Ich darf voraussetzen, dass jenes Gedicht selbst dem
Leser bekannt sei, doch will ich davon Folgendes er-
wähnen: ^lan erinnert sich, dass ein junger Ordens-
5 geistlicher, in einer gebirgigten Gegend verirrt, zuletzt
im freundlichen Thale ein herrliches Gebäude antrifft,
das auf Wolinung von frommen, geheimnissvollen
Männern deutet. Er findet daselbst zwölf Eitter, welche
nach überstandenem sturmvollen Leben, wo Mühe,
10 Leiden und Gefahr sich andrängten, endlich hier zu
wohnen und Gott im Stillen zu dienen, Verpflichtung
übernommen. Ein dreizehnter, den sie für ihren Obern
erkennen, ist eben im Begriff, von ihnen zu scheiden:
auf welche Art, bleibt verborgen; doch hatte er in den
15 letzten Tagen seinen Lebenslauf zu erzählen ange-
fangen, wovon dem neu angekommenen geistlichen
Bruder eine kurze Andeutung bei guter Aufnahme zu
Theil wird. Eine geheimnissvolle Xachtersch einung
festlicher Jünglinge, deren Fackeln bei eiligem Lauf
20 den Garten erhellen, macht den Schluss.
Lm nun die weitere Absicht, ja den Plan im Allge-
meinen und somit auch den Zweck des Gedichtes zu
bekennen, eröffne ich, dass der Leser durch eine Art
von ideellem Montserrat^ geführt werden und, nach-
25 ^ Zu diesem Vergleicli scheint Goethe durch eine Beschrei-
bung des heiligen Berges Monserrat in Spanien gekommen
zu sein, die Wilhelm von Humboldt ihm im Jahre 1S»X) ge-
schickt hatte. In Humboldts Brief, der jene Beschreibung
begleitete, heisst es: ..Für heute wünsche ich. Sie in eine
30 Gegend zu führen, mit der wohl nur auf's höchste noch ein
paar andere in Europa verglichen werden können, wo die
Natur und ihre Bewohner in wunderbarer Harmonie mit-
einander stehen, und wo selbst der Fremde, sich auf einige
Augenblicke abgesondert wähnend von der Welt und den
35 Menschen, mit sonderbaren Gefühlen auf die Dörfer und
Städte hinalibliokt. die in der unabsehlichen Strecke zu
Graf, Goethe über .'s. Dichtungen T. I. 5
66 DIE GEHEIMNISSE. 1810
[März 23 bis April 9, Weimar.] [140]
dem er durch die verschiedenen Regionen der Berg-,
Felsen- und Klippen-Höhen seinen Weg genommen,
gelegentlich wieder auf weite und glückliche Ebenen
gelangen sollte. Einen jeden der Rittermönche mirdc 5
man in seiner Wohnung besucht und durch Anschau-
ung klimatischer und nationaler Yerschiedenlieiten er-
fahren haben, dass die trefflichsten Männer von allen
Enden der Erde sich hier versammeln mögen, wo jeder
von ihnen Gott auf seine eigenste Weise im Stillen lo
verehre.
Der mit Bruder Markus herumwandelnde Leser oder
Zuhörer wäre gewahr geworden, dass die verschieden-
sten Denk- und Empfindungsweisen, welche in dem
seineu Füssen liegen — in die Eiusiedleiwolmimgen des Mon- 15
serrats bei Barcelona.
Ich habe zwei uuvergesslich schöne Tage dort zugebracht,
in deuen ich unendlich oft Ihrer gedachte. Ihre , Geheim-
nisse' schwebten mir lebhaft vor dem Gedüchtniss. Ich habe
diese schöne Dichtung, iu der eine so wunderbar hohe und 20
menschliche Stimmung herrscht, immer ausserordentlich
geliebt, aber erst, seitdem ich diese Gegend besuchte, hat
sie sicli an etwas in meiner Erfahrung angeknüpft; sie ist
mir nicht werther, aber sie ist mir näher und eigener ge-
worden. 25
Wie ich den Pfad zum Kloster hinaufstieg, der sich am
Abhänge des Felsens langsam herumwindet, und noch ehe
ich es wahrnahm, die Glocken desselben ertönteu, glaubte ich
Ihren frommen Pilgrim vor mir zu sehen; und wenn ich
aus den tiefeu grünbewaclisenen Klüften emporblickte, und 30
Ki'euze sah, welche heilig kühne Hände in schwindelnden
Hölaen auf nackteu Felsspitzen aufgerichtet haben, zu denen
dem Menschen jeder Zugang vei'sagt scheint, so glitt mein
Auge nicht, wie sonst, mit Gleichgültigkeit an diesem durch
ganz .Spanien unaufhöi-lich wiederkehrenden Zeichen ab. 35
Es schien mir in der That das,
Zu dem viel tausend Geister sich verpflichtet.
Zu dem viel tausend Herzen warm gefleht."
(G.-Humboldt S. 165 f.)
1816 DIE GEHEIMNISSE. 07
[März 23 bis April 9, Weimar.] [140]
Menschen durch Atmosphäre, Landstricli, Völker-
schaft, Bedürfniss, Gewohnheit entwickelt oder ihm
eingedrückt werden, sich hier am Orte in ausgezeich-
5 neten Individuen darzus-tellcn und die Begier nach
höchster Ausbildung, obgleich einzeln unvollkommen,
durch Zusammenleben würdig auszusprechen berufen
seien.
Damit dieses aber möglich werde, haben sie sich um
le einen Mann versammelt, der den Xamen H u m a n u s
führt; wozu sie sich nicht entschlossen hätten, ohne
sämmtlich eine Aehnlichkeit, eine Annäherung zu ihm
zu fühlen. Dieser Vermittler nun will unvermuthet
von ihnen scheiden, und sie vernehmen, so betäubt als
15 erbaut, die Geschichte seiner vergangenen Zustände.
Üiese erzählt jedoch nicht er allein; sondern jeder von
den Zwölfen, mit denen er sämmtlich im Laufe der
Zeiten in P^erührung gekommen, kann von einem Theil
dieses grossen Lebenswandels Xachricht und Auskunft
20 geben.
Hier würde sich dann gefunden haben, dass jede be-
sondere Eeligion einen Moment ihrer höchsten Blüthe
und Frucht erreiche, worin sie jenem obern Führer und
Vermittler sich angenaht, ja sich mit ihm vollkommen
25 vereinigt. Diese Epochen sollten in jenen zwölf Ee-
präsentanten verkörj^ert und fixirt erscheinen, so dass
man jede Anerkennung Gottes und der Tugend, sie
zeige sich auch in noch so wunderbarer Gestalt, doch
immer aller Ehren, aller Liebe würdig müsste gefunden
30 haben. I'nd nun konnte nach langem Zusammenleben
Humanus gar wohl von ihnen scheiden, weil sein Geist
sich in ihnen allen verkörpert, allen angehörig, keines
eigenen irdischen Gewandes mehr bedarf.
Wenn nun nach diesem Entwurf der Hörer, der
35 Theilnehmer, durch alle Länder und Zeiten im Geiste
geführt, überall das Erfreulichste, was die Liebe Gottes
68 DIE GEHEIMNISSE. 181G
[März 23 bis April 9, Weimar.) [140]
und der Menschen unter so mancherlei Gestalten her-
vorbringt, erfahren, so sollte daraus die angenehmste
Empfindung entspringen, indem weder Abweichung,
Missbrauch, noch Entstellung, wodurch jede Religion 5
in gewissen Epochen verhasst wird, zur Erscheinung
gekommen wären.
Ereignet sich nun diese ganze Handlung in der Char-
woclie, ist das Hauptkennzeichen dieser Gesellschaft ein
Kreuz mit Rosen umwunden, so lässt sich leicht voraus- lo
sehen, dass die durch den Ostertag besiegelte ewige
Dauer erhöhter menschlicher Zustände auch hier bei
dem Scheiden des Humanus sich tröstlich würde offenr
bart haben.
Damit aber ein so schöner Bund nicht ohne Haupt 15
und Mittelsperson bleibe, wird durch wimderbare
Schickung imd Offenbarung der arme Pilgrim Bruder
Markus in die hohe Stelle eingesetzt, der ohne ausge-
breitete TJmsicht, ohne Streben nach Unerreichbarem,
durch Demuth, Ergebenheit, treue Thätigkeit im 20
frommen Kreise gar wohl verdient, einer wohlwollenden
Gesellschaft, so lange sie auf der Erde verweilt, vor-
zustehen.
AYäre dieses Gedicht vor dreissig Jahren, wo es er-
sonnen und angefangen worden, vollendet erschienen, 25
so wäre es der Zeit einigermassen vorgeeilt. Auch gegen-
wärtig, obgleich seit Jener Epoche die Ideen sich er-
weitert, die Gefühle gereinigt, die Ansichten aufgeklärt
haben, würde man das nun allgemein Anerkannte im
poetischen Kleide vielleicht gerne sehen und sich daran 3i>
in den Gesinnungen befestigen, in welchen ganz allein
der Mensch auf seinem eigenen Montserrat Glück und
Ruhe finden kann.
WH., zweite Ausgabe, 2. 275—278.
April 9, Weimar. 141 35
[Den Aufsatz über] ,Die Geheimnisse'^ mundirt.
Tgb. 5, 221, 24.
1823 DIE GEHEIMNISSE. 09
April 10, Weimar. 142
Sendung an Cotta in's Morgenblatt [Aufsatz] über
,die Geheimnisse'.
Tgb. ö, 222. 8 f.
3 August 24, Tennstädt. — s. Nr. 432. 142a
183S.
[Januar, zwischeu 10 und 19, Weimar.] — s. Nr. 92. 142b
[1825.]
[Mai oder Juni'. Weimar.] 143
10 Ein Bruchstück, das aber der Denkende anzu-
schliessen -^nssen wird-.
, Aufklärende Bemerkimgen" zu den .Inschriften. Deuk-
und Sende-Blättern' Nr. 77. — W. 4. 84, 8 f.
1826.
15 Februar 1, Weimar^. 144
Band 1: Gedichte, erste Sammlung: ,Zueignung';
Lieder: . .
Band 10: Symbolisch-humoristische Darstelhmgen:
, Faust': . . [Am Schluss] ,Epilog zu Schillers Glocke*^;
20 ,Die Geheimnisse'*.
Anzeige von Goethes sämmtliehen Werken. Vollstän-
dige Ausgabe letzter Hand. — WH. 29, 350 f.
1829.
März 1. Weimar. 145
25 [Zu 1T84. Kt^ö.] . . [ich] erinnere mich noch recht
gtit der Zeit, wo ich in Erfurt das Gedicht: ,Geheim-
' Beschäftigung mit den , Aufklärenden Bemerkungen' ver-
zeichnet das Tagebuch 1825: Mai 14. Juni 28. 29 (Tgb. 10,
55, 11. 73, 11. 13).
30 - Bezieht sieh auf die einzelne Stanze (s. 52. 2i:
„Wohin er auch die Blicke kehrt und wendet'".
' Vgl. 32. 28—30.
* Für die .Geheimnisse' wurde diese Anordnung nicht beibe-
halten, wie 51. 29 f. zeigt.
70 DIE GEHEIMNISSE. 1832
[März 1, Weimar.] [145]
nisse^, kaum als es geschrieben war, in ihrer Gegen-
wart^ vorlas und grossen Antheil erweckte, . .
An W. V. Humboldt. — G.-Humboldt S. 284
1833. 5
Januar 27, Weimar. 146
Dass ich das Kreuz als Mensch und als Dichter zu
ehren und zu schmücken verstand, hab' ich in meinen
Stanzen^ bewiesen; . .
An Zelter. — G.-Zelter 6, 384. lo
In Gegenwart von Caroline von Daclieröden, die 1791
Wilhelm von Humboldts Frau wurde. In den Jahren 1784
und 1785, als ,Die Geheimnisse' entstanden, lebte sie nocn
im elterlichen Hause zu Erfurt.
Strophe 7 — 10 (besonders Vers 57 — 72) der , Geheimnisse', in i5
der Beschreibung des von Rosen dicht umschlungenen
Kreuzes uüd des Eindrucks, den diese Erscheinung auf
Bruder Markus macht, vgl. 66, 37 f.
«<;.-
f/^--^
Die Guten Weiber.
Handschriften: Die einzige vorliaudene Handschrift ist nacli
Goethes Dictat von Schreiberhand niedergeschrieben und
enthält zahlreiche eigenhändige Verbesserungen Goethes.
5 „In allem erweckt die Handschrift den Eiudrucli des
ersten Entwurfes, sie ist also wohl die Niederschrift, die
Schiller am 27. Juni [1800] zugesandt bekam" (Bernhard
SeufiEert W. 18, 42.5). Eine nicht erhaltene, verbesserte Ab-
schrift dieses Dictats diente als Vorlage für den ersten
10 Dnick.
Zwei kleine, vielleicht auf die .Guten "Weiber' bezieh-
bare, Paralipomena sind W. 18. 449 f. besprochen.
Erster Brück: ISUl. unter dem Titel: ,Die guten Frauen, als
Gegeubilder der bösen Weiber, auf den Kupfern des
15 diessjährigen Damenalmanachs", in dem , Taschenbuch
für Damen auf das .Jahr 1801. Herausgegeben von
Huber, Lafontaine, Pfeffel und andern. Mit Kupfern.
Tübingen in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung" S.
171—196. Unmittelbar vorher geht der Schluss der Er-
2 Zählung ,Walther und Xanny von Karoline von Wol-
zogen; es folgt zunächst Schillers Gedicht .Die Worte
des Wahns'. — Ueber die Kupfer s. 72. 24— .30.
Zweiter Druck: 1817. T^'erke Cotta- 13, 1.57—19.5. unter dem
Titel: .,Die guten Weiber". Zwischen ,Des .Toseph Bal-
' So lautet der Titel in dem Exemplar der Grossherzoglichen
Bibliothek zu Weimar, genau übereinstimmend mit W. 18. 426.
Es scheint aber, nach den Angaben Düntzers. auch Exem-
plare zu geben, die zu dem oben angeführten Titel noch den
Zusatz haben: , .Hierzu 12 kl. [kleine] Kupfer'", vgl. Düntzers
Einleitung WD. 14. 200 und Düntzers .Erläuterungen' 16. 96.
In der Weimarer Ausgabe ist hierüber nichts bemerkt.
72 DIE GUTEN WEIBER. 1800
[Zweiter Druck.]
saiuo, geuanut Ci'gliostro. Stammbaum' und den .Unter-
haltungen deutscher Ausgewanderten". Ohne die Ku])rer.
Von hier ging, im selben Jahre, die Diclniuig in dis.'
Supplemontbände über, die der A'erleger für die Be- 5
sitzer der Werke Cotta^ herstellte. Dieser Druck, be-
zeichnet als ..Vierzehnter Band. Erste Ausgabe" (S. 3ö."3 —
393), bleibt, als A'on (ioethe nicht boeinflusst. hier un-
berücksichtigt.
Dritter Druck: 1S2S, Werke Cotta^ 15, 259—296. Vorhergehen lo
die .Aufgeregten* und die .Unterhaltungen deutscher Aus-
gewanderten', es folgt die .Novelle'. Ohne die Kupfer.
Weimarer Ausgabe: 1895, W. 18. 275— 312 und 424—450. Die
Stellung wie im dritten Druck (vgl. aber die .Novelle'i.
Beigegeben ist eine Nachbildung der fünften Kupfeitafel. 15
1800.
Mai 6, Leipzig. 147
Bei Cotta über die netten Kupfer zum Damen -
calender\
Tgb. 2, 292, 2 f. .20
^ Die Bezeichnungen ,.Damencalender", ,,Caleuder" und ..Al-
manach'" für das oben angeführte .Taschenbuch' wechseln
häufig, wie überhaupt für die Taschenbücher der Zeit.
Die ..Kupfer" des Taschenbuches sind von zwei Künstlern,
Hess und Ramberg, gefertigt. Hess hat zunächst auf <lem 2.5
Titelkupfer Lucretia dargestellt, wie sie. mit häuslichen Ar-
beiten beschäftigt, im Kreis ihrer Dienerinnen von ihrem
Gatten, Tarquinius Collatinus. angetroffen Avivd. Sodann
folgen sechs Kupfer, ebenfalls von Hess, die in je zwei
Bildern (in der Grösse des Taschenbuches) die Freuden des 30
Brautstandes, des Ehelebens und das Mutterglück veran-
schaulichen sollen (vgl. 75, 10 — 14).
Die sechs Kupfer Rambergs dagegen, eingeschaltet zwischen
den Seiten 172 bis 189, zeigen in zwölf Bildchen (je zwei auf
einem Kupfer) lächerliche, alberne imd unwürdige Auftritte 35
des gesellschaftlichen, besonders des ehelichen Lebens.
Diese Rambergschen Kupfer sind jetzt bequem erreicl.bar
durch die Nachbildimgeu in Heft 21 der , Deutschen Littera-
1800 DIE GUTEN WEIBER. 73
Juni 20, \yeimar. 148
Abends in den Garten gezogen. Bibliotheque des
Eomans^.
Tgb. 2, 299, 17 f.
5 Juni 21, Weimar. 149
Abends allein, Bibliothek der Eomane\
Tgb. 2, 299, 21 f.
Juni 22, Weimar. 150
Früh über den Aufsatz zum Damencalender nachge-
10 dacht. Bibliotheque des Romans\ . . . Abends im
Garten wie Morgens.
Tgb. 2, 299, 23 f. 26.
Juni 2."), Weimar. 151
Die , Guten Frauen*^.
15 Tgb. 2, 300, 4.
turdenkmale des 18. und 19. Jahrhunderts in Neudrucken
herausgegeben von Bernhai'd Seuffert', Heilbroun. Gebr.
Henninger. 1885 (jetzt Stuttgart. G.J. Göschen'sehe Verlags-
haudluug). und in Düntzers Ausgabe der , Guten Weiber'
20 (V\'D. 14, 209—234).
Wenn Goethe am folgenden Tage, 7. Mai, im Tagebuch
(2. 292. 24 f.) uotirt: „Mit Herrn Cotta spazieren und ver-
schiedne litterarische Verhältnisse durchgesprochen", so ist
nicht ausgeschlossen, dass auch da von dem Taschenbuch die
25 Rede gewesen ist.
' Die Erwähnung dieser Lei-türe musste hier, ebenso in Nr.
149 f., aufgenommen werden. „Als Quelle für Goethe kann das
Werk nicht bezeichnet werden, aber es bot einige Anregungen"
(B. Seuffert in seiner Abhandlung .(ioethes Erzählung Die
30 guten Weiber' GJ. 15, 153).
Von der .Bibliotheque universelle des romans' (Paris, de
juillet 1775 a juin 1789) hatte Goethe das erste Juliheft des
Jahrgangs 1775 liereits vom 2o. April bis zum 14. Juni des
Jahres aus der herzoglichen Bibliothek in Weimar entliehen;
$5 dann, vom 19. Juni an. entlieh er die übrigen Hefte des Jahr-
gangs 1775.
'■' Sachlich gehr»reu liierlier und in den zunächst folgenden Zeit-
raum Nr. 158a. 160. 161.
74 DIE GUTEN WEIBER. 1800
Juui 2G, Weimar. 152
Die ,Gi;ten FraiTen', Fortsetzimg.
Tgb. 2, 300, 5.
Juni 27, Weimar. 153
Ich entschliesse mich gleich meinen ersten Entwurf 5
Ihnen zur Benrtheilung zu übergeben^. Da es nur drum
zu thun ist eine Arbeit los zu werden, so scheinen mir
diese Bogen, wie ich sie wieder durchlese, zu ihrem End-
zweck, beinahe schon gut genug. Doch erwarte ich Ihr
UrtheiP. 10
An Schiller. — Br. 15, 79, 10—15.
Juni 27, Weimar. 154
Die ,Guten Frauen'. Schluss^.
Tgb. 2, 300, 6.
Juli 9, Weimar. 155 15
Sie erhalten, werthester Herr Cotta, in der Beilage
den kleinen Aufsatz über die Kupfer. Ich hätte ge-
wünscht, dass derselbe heiterer, geistreicher und unter-
haltender geworden wäre, indessen lässt sich eine Aus-
führung nicht wie man wünscht leisten, wenn die Arbeit 20
zu einer bestimmten Zeit fertig sein soll. Möge, diese
sei auch gerathen wie sie will, wenigstens der Zweck er-
reicht werden, den unangenehmen Eindruck der Kupfer
einigermassen abzustumpfen.
An Cotta. — Br. 15, 84, 1—9. 25
Vgl. 71, 2-7.
Ein Urtheil Schillers über die .Guten AVeiber' ist nicht über-
liefeit, seine abfällige Aeusserung über das Taschenbuch im
Allgemeinen s. 75, 26 — 31.
An dieser Stelle sei daran erinnert, dass Goethe in den , Guten 30
Weibern' eben diese Dichtung und ihr Zustandekommen Ge-
genstand der Dichtung sein lässt. wenigstens Gegenstand
einer Unterhaltung, die den Rahmen für eine Anzahl kleiner
Geschichten bildet. Dieser Hinweis aber muss hier genügen,
da ein Ausheben der auf die Dichtung bezüglichen Theile der 35
Dichtung unthunlich war.
1800 DIE GUTEN WEIBER. 75
Juli 10, Weimar. 156
[Brief] An Herrn Cotta [s. Xr. 155]. Aufsatz zu
dem Damen-Calender übersendet.
Tgb. 2, 301, 20 f.
5 September 16, Jena. 157
Ich bin Ihnen so lange auf manches, . . Antwort
schuldig, dass Ihre letzte Sendung des Damencalenders
mich beschämt. . . .
Die Einrichtung des Damencalenders scheint mir
10 sehr günstig. vSie haben vorn herein^ nächst der Lu-
cretia-, die hübschen Paare, das Ring Anstecken,
Brüstlein Betasten, lüsternes Agaciren, und besonders
das Kind in der Wiege, lauter Gegenstände, woran sich
tugendhafte Gemüther, in Ehren, so gern ergötzen,
15 glücklich zusammengestellt, so dass man der Mitte^
wohl die Caricaturen, mit Dialog untermischt, verzeihen
kann*.
An Cotta. — Br. 15, 106, 5—7. 107, 1—9.
^ ,,Voru herein", hier im räumlichen Sinne gebraucht (im
Gegensatz zu der ..Mitte" Z. 1.5). Avie es bei Goethe und auch
sonst in damaliger Zeit nicht selten begegnet (vgl. GJ. 15,
251—256).
^ Vgl. 72, 2t3— 28.
' Es folgen im Taschenbuch auf die , Guten Frauen' noch 62'
Selten Text.
* Tags darauf, am 17. September, schrieb Schiller an Goether
„Cottas Daiuencalender rumort hier [inWeimar] schon ziem-
lich, wie ich höre — Sie haben ihn nun auch in Händen und
werden, wie ich. diese jämmerliche Damenschriftstellerel und
Buchhändler-Armseligkeit uusers Freundes auf's neu be-
dauert haben"; sodann an Cotta. am 25. September: „Dem
Damen-Calender Avünsche ich das beste Glück; was man
auch gegen die Kupfer einwenden mag. so erregen sie doch
Neugier durch ihre Mannigfaltigkeit, unter den vordem
Kupfern betinden sich recht artige, obgleich in allen der Ge-
danke leer und trivial ist" (Schillers Br. 6, 201. 203t.
76 DIE GUTEN WEIBER. 1800
November 17, Jena. 158
Dass Ihnen die leidigen Caricaturfratzen auch noch
durch Xebenumstände Verdruss machen, thut mir leid.
Ich verwunderte mich selbst über das W ort, das ich
in meinen ersten Exemplaren nicht gefunden hatte^. 5
Indessen wenn dieser leidige und für echte Kunst ganz
verderbliche Geschmack sich in Deutschland noch weiter
verbreiten sollte, so wird es noch manche Händel gelten,
indem der ganze Spass ja eigentlich auf Deutungen und
Missdeutungen berulit und unsere Grossen, wenn man 10
sie direct oder indirect treffen sollte, wohl schwerlich die
Langmuth Georgs III. und seiner Minister zum ]i[uster
nehmen würden-. Uebrigens wünsche ich, dass der gegen-
wärtige Fall keine Folgen haben möge.
Au Cotta. — Br. lö, 144, 25—145, 10. 15
' Cotta hatte am 7. November geschrieben (Br. 15, 333 zu
S. 144, 25 1: ,,Auf einer der Caric-atureu stehet unter dem Schiili-
maeher-Schild: Kaiser — und das deuten nun rueine Feinde
auf die boshafteste Art", das heisst als ,,eine nicht miss-
zuverstehende Anspielung auf die Beeinflussung des Kaisers 20
Franz durch seine zweite Gemahlin und deren Mutter Karo-
line von Neapel" (B. Seuflfert in seiner Einleitung zu detn
72, 38 f. genannten Neudrucli S. Y).
In der That steht das ,,Wort" — Kaiser — . über das Goethe
sich verwunderte, unter dem Damenpantoffel, der auf dem 25
fünften Bildclien, dem oberen des dritten Kupfers, auf dem
Aushängeschild eines Schusterladeus abgebildet ist. Das
Bild, mit der Unterschrift ..Und er soll dein HeiT s"iu",
stellt den Herrn Pastor dar. wie er in demüthig ergebener
Haltung innsclireitet. während die Gattin an seinem Arm. 30
erhobenen Hauptes, nach jenem Pantoffelabbild zu lüicken
scheint.
Nifht alle Exemplare des Tasclieubuelis liatteu das anzüg-
liche Wort. Man findet es jetzt auf der Nachbildimg in
SeuCferts Neudruck, während es auf derjenigen der Düutzer- 35
sehen Ausgabe fehlt.
- Ramberg hatte Jahre lang in Uondon gelebt und durch seine
ausserordentliche Fertigkeit im Zeichnen von Caricaturen
die besondere Gunst des Königs, Georgs III.. gewonnen.
1809 DIE GUTEN WEIBER. 77
[1809.]
[Nach October 10. ?] 1.58a
[Zu 1800. — Im ältesten biographischen Schema (s.
29, 7 — 9) heisst es unter]
5 1800: Damencalender. .Die guten Frauen'.
W. 20, 3G1, 24.
1817.
Februai" 24, Weimar. 1.59
Brief an Cotta, inliegend: ,Die guten Weiber'\
10 Tgb. 6, 16, 19 f.
1819.
März [Anfang]. Weimar. 160
[Zu 1800. — Im chronologischen Verzeichniss der
Werke aus dem Jahre 1819 (s. Xr. 90) heisst es unter]
15 1800: ,Die guten Frauen' für den Damen-Calender.
Summarische Jahresfolge Goethescher Schriften. —
WH. 29, 325.
[1823?]
[Juli 1, Eger?] 161
20 [1800] . . wurden . . ,die guten Frauen', ein ge-
selliger Scherz, geschrieben.
Tag- und .Jahreshefte 1800. — W. 35. 86. 10—12.
Demnach war die Dichtung, die für den dreizehnten Band
der Werke Cotta- bestimmt war, nicht mit dem übrigen
Inlialt des Bandes am 18. December 1816 abgesandt worden,
unter welchem Datum das Tagebuch (5, 295. 19 f.) bemerkt:
..Paquet an Cotta mit dem dreizehnten und vierzehnten Band
meiner Werke".
In die erste Cottasche Ausgabe war das Werk von Go^nlie
ni<ht aufgenommen worden (vgl. aber 72. »>— 9»; für die zweite,
berichtet B. Seuffert (W. 18. 430). ..wurde es im Januar 1815
bestimmt, und der Titel .Die guten Frauen' im Inhaltsver-
zeichniss zu dieser Ausgabe von Goethe eigenhändig nach
.Cagliostro's Stammbaum', vor die .Unterhaltungen deutscher
AusgeAvanderten' eingeschaltet. Dieses Inhaltsverzeichnis»
ging am 20. Februar 1815 (wohl in Abschrift) an Cotta ab, der
Text der Erzählung am 24. Februar 1817".
78 DIE GUTEN WEIBER. 1827
1827.
September 18, "Weimar. 1G2
Anbei sende die Eintheilung- der verschiedenen poeti-
schen Arbeiten in die fünf Bände [11 — 15] der dritten
Lieferung. Das Meiste ist nun sehen in Ihren Händen, 5
das Original zum vierzehnten und fünfzehnten Bande
folgt nächstens^ . . . Haben Sie bei der von niir inten-
tionirten Eintheilung noch irgend etwas zu erinnerii, so
bemerken Sie solches gefällig.
An Reichel. — GJ. 2, 304. lo
Band 15 brachte die .(4iiten Weiber" in der 72. 10—12 be-
merkten SteUung. Anfänglich war ein Wiederabdruck nicht
geplant gewesen, wenigstens fehlt die Dichtung in der vom 1.
März 1826 datirten ,Anzeige von Goethes sämmtlichen Werken,
vollständige Ausgabe letzter Hand' (WH. 29, 3.51): in dieser
war für Band 15 der erste Band von .^^'ilhelm Meisters Lehr-
jahren' bestimmt gewesen.
Am 21. September ging die Druckvorlage von Band 15 an
Cotta ab (W. 18, 389).
Hermann und Dorothea.
(Einschliesslich der Elegie gleichen N a lu e n s. i
I. Die Elegie.
5 Handschriften: 1. Eine Abschrift von unbekannter Hand, ohne
Ueberschrift; „vielleicht vor dem Druck für Friedrich
August Wolf angefertigt" (W. 2, 364; vgl. GJ. 13. 228 f.).
2. Eine Abschrift von Schreiberhand, in dem für den
zweiten Druck bestimmten Gediclitmanuscript, zwischen
10 den Elegien der zweiten Abtlieilung .Amyutas" und ,I)ie
Metamorphose der Pflanzen'; dazu metrische Bemer-
kungen von August "Wilhelm Schlegel aus dem Jahre 1800.
Erster Druck: 1800, Neue Schriften 7. 244—248; auf .Die Me-
tamorphose der Pflanzen' folgend, am Schluss der zweiten
15 Abtheilung der Elegien.
Die Schreibung ist hier und in allen folgenden Drucken
..Herrmann", nicht ..Hermann".
Zweiter Druck: ISOG, Werke Cotta^ 1.
wie im ersten Druck.
344— 34G. Die Stellung
20 Dritter Druck: 1815, Werke Cotta' 1. 300 f. Die Stellung wie im
ersten und zweiten Di'uck.
Im Jahre 1820 erschien die Elegie zum ersten Mal als
Einleitung vor dem Epos gedruckt (bei Vieweg in Braun-
schweig, als ..Neue Ausgabe" bezeichnet, ohne Angabe
25 des Jahres).
Vierter Druck: 1827. Werke Cotta' 1. 330—332.
wie im ersten bis dritten Druck.
Die Stellung
Weimarer Ausgabe: 1887, W. 1, 293 f. 431 f.. 1888 W. 2, 364 f.
Die Stellung wie im ersten bis vierten Druck.
80
HERMANN UND DOROTHEA.
/
II. Das Epos.
Handschriften: Ueber die einzige bekauute Haudselirift. eine
Abschrift von Sclireiberliand. bat Hermauu Schreyer iu
seinem Aufsatz über (ioetbes Arbeit au .Hermann und
Dorothea' Mittbeihniiieu gemacht. Darnach überliefert die 5
Handschrift ..einen Text, der zwa*- dem des ersten Druckes
nahe steht, doch aucli mehrfach von diesem abweicht.
Im Falle der Abweichung enthält die Handschrift die
ursprünglichere, meist unvollkommenere Fassung; ebenso
bietet sie uoch die ältere Eiutheiluug der Dichtung in lo
sechs Gesänge, neben welcher die spätere von neun
Gesängen erst durch Correctur eingetragen ist" (GJ. 10,
1Ö7 f.).
Es ist dasselbe Manuscript, in das Heinrich Voss — um
seinen eigenen Ausdruck zu gebraucheu — ,,toll hinein- 15
corrigirt" hat (s. 175, 7).
Erster Druck: 1707. im October erschienen, unter dem Titel:
, Taschenbuch für 1798. Herrmann und Dorothea von
J. W. von Göthe. Berlin bey Friedrich Vieweg dem
älteren'. 12-'. Mit einem Calender für 1798, einem Titel- 2a
kupfer von Chodowiecki, die preussische Köuigsfamilie
darstellend, einem farbigen Modekupfer und sechs land-
schaftlichen Kupfern von Darnstaedt nach Schubert; in
fünf vei'schiedenen Ausstattungen:
1. Die kostbarste, besonders zum Geschenk für Damen 25
bestimmte, Ausgabe, in Einband von gewirkter Seide.
Einzelne (alle?) Exemplare hatten als Gratiszugabe ein
Messer und eine Schere, vgl. 140. 7. 25.
2. Eine Ausgabe in Futteral von rothem ^laroquin.
3. Eine geringe Ausgabe in gewöhnlichem Einband 30
von Pappe, mit buntem oder weissem Umschlag.
4. Eine Ausgabe ohne den Calender.
5. Eine kleinere Anzahl von Exemplaren ohne den
Calender und ohne die Kupfer. (Die ..reinste typogra-
phische Form", vgl. 142. ;3l. 35
Die Schreibung ist hier und in den beiden folgenden
Drucken ,,Heui'mann". erst von 1817 an in den bei Cotta
erschienenen Drucken ,, Hermann".
Die zahlreichen Ausgaben, welche Vieweg. von 1798
an. fort und fort veranstaltete (nahe an zwanzig bis zu 40
(ioethes Tode), bleiben hier ganz unberücksichtigt, da
Goethe keincrli'l Eintinss auf sie gehabt hat; man findet
1796 HERMANN UND DOROTHEA. 81
sie bei Hirzel uud Goedeke verzeiflinet. Nur Eine sei
liier, mit Rücksicht auf 158, 12—20, augefiibrt als:
Ziveiter Druck: 1799, .Herrmann und Dorothea von J. W. von
Göthe. Neue Ausgabe mit zehn Kupfern. Braunschweig,
5 bei Friedrich yie\veg. 1799". 8". Die Kupfer, von Catel
gezeichnet, von Kohl imd Bolt gestochen, s^tellen in ihren
oberen zwei Drittheilen neun Scenen der Dichtung dar,
im unteren Drittheil, nach Gemmenart, die dem Namen
des betreffenden Gesangs entsprechende Muse.
10 Daneben brachte Yieweg. unrechtmässiger Weise (s.
Nr. 352. 353), einen Druck in den Handel, der den Neben-
titel führt: ,Göthe's neue Schriften. Hen^ann und
Dorothea. Mit zehn Kupfern. Braunschweig, bei Fried-
rich Yieweg. 1799'.
15 Dritter DrueJc: 1S08. Werke Cotta^ 10, 203—293. Zwischen .Rei-
neke Fuchs' und , Achilleis'.
1814 erschien die erste Cottasche Einzel - Ausgabe des
Gedichts, von Goethe unbeeinflusst, aber genehmigt
(vgl. 178, 20—22) : ,HeiTQann und Dorothea von Goethe.
20 Stuttgart und Tübingen, in der J. G. Cotta'schen Buch-
handlung 1814'. Während Goethes Lebzeiten brachte
Cotta weiterhin noch zwei Ausgaben, 1817 und 1829.
Vierter Druck: 1817, Werke Cotta= 11. 203—293. Vorauf geht
.Reineke Fuchs', es folgen .Achilleis' und ,Pandora'.
25 Fünfter Druck: 1830. Werke Cotta' 40, 231—337. Die Stellung
wie im vierten Druck.
Weimarer Ausgabe: 1 . . . ? W. Band 50 (.ist noch nicht er-
schienen, befindet sich aber unter der Presse). Die
Stellung wie im vierten und fünften Druck.
30 1796.
] [Juli, zwischen 2 und 7, Weimar.] 1G3
Ich werde, in so fern man in solchen Dingen Herr über
sich selbst ist, mich künftig nur an kleinere Arbeiten
halten^, nur den reinsten Stoff wählen, um in der Form
35 - Diess ist mit Bezug auf ,Wilhelm Meisters Lehrjahre' ge-
sagt, an deren Schluss Goethe zur Zeit arbeitete.
Dass , Hermann und Dorothea' ursprünglich einen viel
geringeren Umfang haben sollte, geht auch aus 84, 3 f. uud
90, 25 f. liervor.
Graf, Goethe über s. Dichtungen T. I. 6
82 HERMANN UND DOROTHEA. 1796
][Juli, zwischen 2 und 7, Weimar.] [163]
j wenigstens alles thun zu können, was meine Kräfte ver-
mögen. Ausser ,Hero und Leander' habe ich. eine
bürgerliche Idylle^ im Sinn, weil ich doch so etwas
auch muss gemacht haben.^ 5
An Schiller. — Br. 11, 324, 18—24.
August 17, Weimar. 164
Ich habe noch manches Andere^ im Sinne, wozu sich
aber bis jetzt noch keine Stimmung finden wollen.
An H. Mej^er. — Br. 11, 164. 10—12. lo
September 9, -Tena. 165
Ich kann Dir nicht sagen, mein liebes Kind, ob ich in
den nächsten Tagen kommen werde, es kommt alles
darauf an, ob sich die Lust bei mir zu einer neuen Arbeit
einfindet. Geschieht das, so bleibe ich hier; es ist nem- 15
/ lieh die grosse Idylle, von der Du weisst, könnte ich diese
noch diesen ^lonat fertig machen, so Aväre ich über alle
Massen glücklich.
An Christiane. — Br. 11, 189, 5— 11.
September 9, Jena. 166 20
Die völlige Abgesondertheit, in d^r ich hier lebe, setzt
mich in sehr gute Stimmungen und macht mir die Aus-
führung von ge'W'issen Arbeiten möglieh, die mir sonst
sehr entfernt. Ja unmöglich schienen, . .
An C. G. Voigt. — Br. 11, 191,10—14. 25
' Denselben Ausdruck braucht Schiller in seinem Briefe an
Körner vom 28. October 1796. s. 86, 36.
Ueber den nicht zur Ausführung gelangten Plan von
,Hero und Leander' wird im dritten Theile dieses Werkes
berichtet. 30
^ Zum richtigen Yerständniss dieser Worte vgl. Nr. 184.
* Ausser der Elegie , Alexis und Dora', die Goethe mit diesem
Brief übersandte. Dass Goethe hier an .Hermann und Doro-
thea' denkt, ist nach Z. 3 f. und 83, 2 höchst wahrscheinlich.
179C HERMANN UND DOROTHEA. 83
SejJtembei- 9, Jena. , 107
Neuer Antrieb zur grossen Idvlle\
Tgb. 2. 47, 22.
September 11. Jena. 168
5 Ich denke bis heute über acht Tage schon ziemlich
weit in meiner Arbeit zu sein und komme wohl als-
dann hinüber.
An Christiane. — Br. 11. 102. '6—ö.
September 11. Jena. 1G9
10 Anfang die Idylle zu rersificiren-.
Tgb. 2. 47. 25 f.
September 12, Jena. 170
Früh Idylle.
Tgb. 2. 48,1.
15 September 13, Jena. 171
Ich danke Ilmen nochmals für die vergangenen Sonn-
tag [11. September] mir so bald überschriebene gute
Xachricht^: ich habe die dadurch mir gewordene gute
Stimmung gleich zu einer Arbeit verwendet, die Ihnen
20 vielleicht dereinst auch einiges Vergnügen machen soll.
An C. G. Voigt. — Br. 11. 197, 11—15.
' Diesem „neuen" war ein erster Antrieb in unbestimmbarer
Zeit (vgl. 87, 26 f. und 96, 2 f.), jedenfalls aber vor Anfang
Juli 1796 (Vgl. 82, 3 f.) vorangegangen.
25 Sachlich geh'jren hierher und in die nächstfolgenden
Monate die Nummern 384a. 387. 389—391. 396.
^ Der Umfang des an diesem und den folgenden acht Tagen
Niedergeschriebenen lässt ?ich annähernd bestimmen nach
Schillers Mittheilung an Körner 87, 30—32.
30 * Am 11. September (Sonntag) hatte Goethe an Voigt ge-
schrieben: ..Hören Sie etwas von Frankfurt, so lassen Sie
mir es doch gleich wissen, ich bin wegen meiner Miitter
sehr besorgt . . ," und hatte, am selben Tage noch durch be-
ruhigende Mittheilungen von A'oigt erfreut, diesem schon am
35 12. September brieflich gedankt (Br. 11. 193, 9—11. 194, 13 f.).
Ueber die Kriegsbedrängnisse, unter denen Goethes Vater-
stadt damals zu leiden hatte, vgl. die ,Tag- und Jahres-
Hefte' 1796 (W. 35, 67 f.).
84 HERMANN UND DOROTHEA. 1796
September 13, Jena. 172
Diese Woche will ich noch hier bleiben; mit meiner
Idylle geht es sehr gut, sie -nircl aber viel grösser als ich
gedacht habe.
An Christiane. — Br. 11, 198,4—6. g
September ]3, Jena. 173
Früh Idylle. Ward fertig der zweite Gesang.
Tgb. 2, 48,3.
September 14. Jena. 174
Früh Idylle. lo
Tgb. 2, 48, 4.
Septe.Qiber 15, Jena. 175
Früh Idylle.
Tgb. 2, 48, 5.
September 16, Jena. 176 i»
Früh Idj'lle. Ward fertig der vierte Gesang [.5. 6^].
Tgb. 2, 48,6.
September 17. Jena. 177
Zweite Hälfte des dritten Gesangs [4].
Tgb. 2, 48, 7. g(,
] [September, nach dem 17., Jena.] 178
Mit Eührung erinnere ich [Caroline von Wolzogen]
mich, wie uns Goethe, in tiefer Herzensbewegung, unter
her^-orquellenden Thränen, den Gesang, der das Ge-
spräch Hermanns mit der Mutter am Birnbäume ent- 2»
hält, gleich nach der Entstehung vorlas. „So schmilzt
man bei seinen eigenen Kohlen," sagte er, indem er sich
die Augen trocknete^.
Mit Schiller und dessen Angehörigen. — Gespräche 1,
186 Nr. 136^
^ Die hier und im Folgenden in Klammern beigefügten Zahlen
beziehen sich auf die endgültige Eintheilung in neim Ge-
sänge; vgl. 80, 10-12.
" Da der vierte Gesang, der jenes Gespriuh cuthält, ursprüng-
lich die zweite Hälfte des dritten Gesangs bildete, ist diese 35
Vorlesung, mit Rücksicht auf Nr. 177. in die Zeit unmittelbar
oder doch bald nach dem 17. September zu setzen.
^ Hier ist das Gespräch in die „erste Hälfte Septeml)ers"
1790 HERMANN UND DOROTHEA. S.-
September 38, Jena. 179
Erste Hälfte des dritten Gesangs [3]. Der zweite,
dritte, vierte Gesang [2 — 6] zusammen gehängt.
Tgb. 2, 48, 8 f.
5 September 19, Jena. 180
Erste Hälfte des ersten Gesanges.
Tgb. 2. 48, 10.
September 22, Jena. 181
Aelmliche Arbeiten dieser Art [wie , Alexis und Dora']
10 machen mich hier im Saalgrunde vergessen, dass ich
jetzt eigentlich am Arno wandeln sollte^.
An C. G. Kürner. — Br. 11, 211. 13—15.
September 28, Jena. 182
Das epische Gedicht Frieder vorgenommen.
1.5 Tgb. 2, 48, 16.
October 15, Weimar. 183
Die zwei armen letzten Gesänge [5. 6 = 7 — 9] werden
noch eine Zeit im Limho- verweilen müssen; es ist wirk-
gesetzt; das vorletzte Wort lautet nicht „Thränen", sondern
^0 „Augen", s. Caroline v. Wolzogen: Schillers Leben (1850)
S. 307.
' Goethe hatte für das Jahr eine Reise nach Italien geplant,
und gedachte bei den Worten ,.am Arno" seines Freundes
Meyer, der sich zur Zeit in Florenz aufhielt.
2o ^ Die eigentliche Bedeutung des lateinischen Wortes „limbus"
ist ,. Streifen. Saum, Besatz" (an Gewändern). Hier aber, in
grimmigem Humor über die ..fürchterlichste Prosa" Weimars
(vgl. 86, 2). spielt Goethe auf Vorstellungeu der katholischen
Kirche an, die einen ..limbus infantum" und einen ,, limbus
30 patrum" unterscheidet, zwei abgelegene Orte am Saume der
Hölle: in jenem befinden sich die Seelen der uugetauft ge-
storbenen Kinder, in diesem diejenigen der Vater des Alten
Testaments. Für Goethe mochte das zerstreuende weima-
rische Leben oft genug eine Art Vorhölle sein, gegen das ihm
35 Jena mit seiner, dichterische Productiou begünstigenden,
Ruhe als Himmelreich erschien.
86 HERMANN UND DOROTHEA. 1796
[October 15, Weimar.] [183]
lieh eine Art der fürchterlichsten Prosa hier in Weimar,
wovon man ausserdem^ nicht wohl einen Begriff hätte.
An Schiller. — Er. 11, 232,22—25.
October 17, Weimar. 184 5-
. . dann habe ich mich mit allen meinen Kräften ajLif
das Epische geworfen nnd will sehen, am Ende
meiner Laufbahn, auch noch um diesen Eckstein herum-
zukommen, worüber ich denn sehr gerne theoretisch mit
Dir geschwatzt und Dir meine Versuche vorgelegt hätte, lo
An F. H. Jacobi. — Br. 11, 233, 23 —234, 4.
October IS, Weimar. 185
Die drei ersten Gesänge [1 — 4] des neuen Gedichtes
sind nun so ziemlich durchgearbeitet, ich werde nunmehr
an den vierten [5. 6] gehen. Alle vier zusammen is-
werden etwa 1400 Hexameter haben, so dass, mit den
zwei letzten Gesängen [7 — 9], das Gedicht wohl auf
2000 anwachsen kann^.
Au Schiller. — Br. 11, 236,16—20.
October 19, Weimar. 186 2*
. . sagen Sie ihm [Körner] etwas von meinem neuen
Gedichte und versichern Sie ihn, dass ich mich freue es
dereinst in seinen Händen zu sehen^.
Au Schiller. — Br. 11, 237, 8—10.
^ ,, Ausserdem"' hier im räumlichen Sinne = ausserhalb, an 2&
clerswo, Avie es heute kaum noch gebraucht wird.
^ Die Berechnung stimmt fast ganz genau. „Alle vier zu-
sammen", das heisst, nach der jetzigen Eintheilung, Gesang
1—6. haben 1408 Hexameter; dazu kamen die ,,zwei letzten
Gesänge" 5. 6 (= 7—9) mit 626 Versen, sodass das Ganze 2034 30
Hexameter zählt.
* Das Letztere zwar that Schiller nicht, doch berichtete er
am 28. October an Körner:
„Goethe hat jetzt ein neues poetisches Werk unter der
Arbeit, das auch grösstentheils fertig ist. Es ist eine Art 3S
bürgerlicher Idylle, durch die ,ljuise' von Voss in ihm zwar
nicht veranlasst, aber doch neuerdings dadurch geweckt
[vgl. 96,10—12]; übrigens in seiner ganzen Manier, mithin
1796 HERMANN UND DOROTHEA. 87
Oetober 21. Weimar. " 187
Das episclie Gedicht^ beim H. [Herzog Karl August]
gelesen.
Tgb. 2. 19, 1 f.
.5 October 26, Weimar. 188
An das letzte Stück der ,Horen' dieses Jahres wie an
die ersten des folgenden habe ich auch schon gedacht,
es ist mir aber leider noch kein Eath erschienen. . . .
Ich habe auch schon gedacht, ob man nicht die drei
10 Gesänge [1 — i] meines epischen Gedichts indessen
sollte etwa in's er.ste Stück geben, bis das liebe Früh-
jahr die übrigen brächte. Es ist aber auch gewagt, den
xlnfang besonders von so einer kleinen Composition, die
sich leicht übersehen lässt, zu publiciren, und dann muss
lö man doch auch den leidigen Mammon Ijedenken-, denn
da das Ganze so stark wird, als die ,Luise' von Voss, so
würde es wenigstens einen halben Band meiner Schriften
geben, wobei ich denn doch" den Spass hätte, es auf
Einmal gedruckt zu sehen; ich weiss daher nicht recht,
20 was man thun oder lassen soll.
Au Schiller. — Br. 11, 243, 3—5. 337, 3-338, 13.
Vosseu völlig eutgegengesetzt. Das Ganze ist mit erstaun-
lichem Verstände angelegt, und im echten epischen Tone aus-
geführt. Ich habe zwei Drittheile davon, nemlich vier Ge-
25 sänge gehört, die vortrefflich sind. Das Ganze kann wohl
zwölf Bogen betragen. Die Idee dazu hat er zwar mehrere
Jahre schon [vgl. 96, 2] mit sich herumgetragen, aber die
Ausführung, die gleichsam unter meinen Augen geschah, ist
mit einer mir unbegreiflichen Leichtigkeit und Schnelligkeit
30 vor sich gegangen, so dass er neun Tage hintereinander
[11.— 19. September] jeden Tag über anderthalb hundert
Hexameter niederschrieb" (Schillers Br. .5, 97).
^ Vgl. 131, 15. 27 f.
^ Statt „bedenken" hat die Handschrift „gedenken"; sie ist
(nach Br. 11, 337 zu Nr. 3421) ein .,Concept oder cassirtes
Mundum"; jedenfalls ist Z. 9—20 nicht abgeschickt worden.
* Statt des sinngemässen ..denn doch" hat die Handschrift
„dennoch".
35
88 HERMANN UND DOROTHEA. 179G
October 29. Weimar. 189
Ein schönes Glück wär's, wenn mir in Ilmenau noch
ein Stück des epischen Gedichts gelänge, die grosse Ein-
samkeit scheint etwas zu versprechen^.
An Schiller. — Br. 11, 24.5, 8—10. 5
] [October Ende, AVeimar.] L90
Ich habe mich jetzt wieder in das epische Fach ge-
wendet, woraus ich Dir einige Proben bald vorzutragen
"wünsche-.
An Knebel. — Br. 11. 251,8—10. 10
November 1, Ilmenau. 191
Das Eegenwetter macht den hiesigen Aufenthalt sehr
traurig und ich habe ohngeachtet der Einsamkeit noch
nicht zur Stimmung gelangen können etwas zu ar-
beiten; . . 15
An C. G. Voigt. — Br. 11, 253, S-ß.
November 1, Ilmenau. 192
Xoch will mir's hier nicht recht behagen, denn der
Kleine"^, so artig er auch übrigens ist, lässt mich die
^ Tags darauf, am 30. October. reiste Goethe nach Ilmenau. 20
Dorthin schrieb Schiller ihm am 31. October: ,,Ich begiüsse
Sie in Ihrem einsamen Thal, und wünsche, dass Ihnen die
holdeste aller Musen da begegnen möge. Wenigstens können
Sie dort das Städtchen Ihres Hermanns finden, und einen
Apotheker oder ein grünes Haus mit Stuccatorarbeit gibt es 25
doit wohl auch" (Schillers Br. 5, lOOi.
- Dies geschaJi wohl erst bald nach Goethes Rückkehr aus
Ilmenau um die Mitte des Novembers, auf Veranlassung
folgenden Billets Knebels, das nach Düntzers Vermuthung
(.Freundesbilder' S. 526). in diese Zeit zu setzen ist: „Ich 30
darf Dich wohl an Dein Versprechen erinnern, mir von
Deiner neuen epischen Arbeit etwas hören zu lassen! Be-
stimme mir eine Stunde des Morgens oder des Nachmittags,
dass ich zu Dir kommen kann. Zu mir ist Dir wohl der Weg
zu weit, und billig zu schmutzig. 35
Ich bin sehr verlaugend das A'ersprochene zu hören, und
Agauippens Wasserfall im Thüringer-Lande zu vernehmen"
(G. -Knebel 1. 142. hier in den Februar 1797 gesetzt).
* Goethes siebenjähriger Sohn August.
1796 HERMANN UND DOROTHEA. 89
[November 1, Ilmenau] [192]
Nächte nicht ruhig schlafen und Morgens nicht arbeiteri.
So geht mir die Zeit verloren und ich habe noch nicht
das Mindeste thun können, . .
5 An Christiane. — Br. 11. 204,20—2.5.
Noveiilber 12, Weimar. 193
Sonst habe ich aber auch nicht den Saum des Kleides
einer Muse erblickt, ja selbst zur Prosa habe ich mich
untüchtig gefunden, und weder Production noch Ee-
10 production liess sich im geringsten spüren. Das Wei-
tere müssen wir nun geduldig erwartend
An Scliiller. — Br. 11, 2G0. 2S— 261, 4.
November 1.5, Weimar. 194
Die drei ersten Gesänge [1 — ij meines epischen Ge-
is dichts sind fleissig durchgearbeitet und abermals abge-
schrieben. Ich freue mich darauf sie Humholdts" ge-
legentlich vorzulehnen.
An Schiller. — Br. 11. 2G3. 25—28.
] [November zweite Hälfte, oder December erste Tage,
20 Weimar.] 195
Erst die Gesundheit des Mannes, der, endlich vom
Xamen Homeros
Kühn uns befreiend, tms auch ruft in die vollere
Balur.
25 Denn wer wagte mit Göttern den Kampf? und wer mit
dem Einen?
Doch Homeride zu sein, auch nur als letzter, ist
schön.
' Schiller erwiederte am 13. November lakonisch: ., . . die
poetische Stunde wird schon schlagen" (Schillers Br. 5, 107).
^ Wilhelm von Humboldt war mit seiner Frau seit Anfang
Nov<'mber in Jena. ..Humboldts, . . sehnen sich. Sie zu
sehen" hatte Schiller am 13. November au Goethe geschrie-
ben (Schillers Br. 5, 108).
•' Diese Stelle wird erlilärt durch Nr. 205.
90 HERMANN UND DOROTHEA. 1796
] [November zweite Hälfte, oder Deeember erste Tage, Weimar.] [195]
Darum höret das neuste Gedicht! Xoeh einmal ge-
trunken !
Euch besteche der Wein, Freundschaft und Liebe
das Ohr. 5
Deutschen selber führ' ich euch zu, in die stillere
Wohnung,
Wo sich, nah der Xatur, menschlich der Mensch
noch erzieht.
Uns begleite des Dichters Geist^, der seine Luise lo
Easch dem würdigen Freund, uns zu entzücken, ver-
band.
Auch die traurigen Bilder der Zeit, sie führ' ich
vorüber;
Aber es siege der Muth in dem gesunden Geschlecht. 15
Hab' ich euch Thranen in's Auge gelockt, und Lust in
die Seele
Singend geflösst, so kommt, drücket mich herzlich
an's Herz!
Elegie .Hermann und Dorothea' V. 27 — 40. — W. 1, 204. 20
Deeember 5, Weimar. 196
Durch meine Idylle [, Alexis und Dora'], über welche
mir Ihr Beifall sehr wohlthätig ist, bin ich in das ver-
wandte epische Fach geführt worden, indem sich ein
Gegenstand, der zu einem ähnlichen kleinen- Gedichte 25
bestimmt war, zu einem grössern ausgedehnt hat, das
sich völlig in der epischen Form darstellt, sechs Gesänge
und etwa zweitausend Hexameter^ erreichen wird. Zwei
Drittel sind schon fertig und ich hoffe nach dem neuen
Jahre die Stimmung für den Ueberrest zu finden. Ich so
habe das reine Menschliche der Existenz einer kleinen
deutschen Stadt in dem epischen Tiegel von seinen
' Vgl. 92, 14—17.
= Vgl. 81, 33 f. 37—39.
» Vgl. 80, 27-31. 35
1796 HERMANN UND DOROTHEA. 91
[December 5, Weimar.] [196]
Schlacken abzuscheiden gesucht, und zugleich die
grossen Bewegungen und Veränderungen des Weltthea-
ters aus einem kleinen Spiegel zurück zu werfen ge-
5 trachtet. Die Zeit der Handlung ist ohngefähr im ver-
gangenen August und ich habe die Kühnheit meines
Unternehmens nicht eher wahrgenommen, als bis das
Schwerste schon überstanden war. In Absicht auf die
poetische sowohl als prosodische Organisation des
10 Ganzen habe ich beständig vor Augen gehabt, was in
diesen letzten Zeiten bei Gelegenheit der Yossischen Ar-
beiten mehrmals zur Sprache gekommen ist, und habe
verschiedene streitige Puncto praktisch zu entscheiden
gesucht, wenigstens kann ich meine Ueberzeugung nicht
15 besser ausdrücken als auf diese Weise.
Schillers Umgang und Briefwechsel bleibt mir in
diesen Eücksichten noch immer höchst schätzbar.
An H. Meyer. — Br. 11, 272, 25— 273, 23.
] [December, zwischen ß und 24', Weimar.] 197
20 Als der Jüngling [Max Jacobi] die Blätter- dem über-
gütigen Dichter tief bewegt und angeregt wieder über-
gab, verbarg dieser ihm seine Freude nicht, heiter hin-
zufügend: „Xacli Ihnen ist nun Böttiger der Nächste,
dem ich es mittheile; denn bei dem bin ich bei der Be-
25 ' Das Datum lässt sieb nur anuäliernd bestimmen, da Goethes
Tagebuch dieses Monats sehr lückenhaft ist. Am 5. December
schreibt Goethe au Scliiller, er erwarte „den jungen Jacobi
in diesen Tagen" (Br. 11, 277, 3 f.), und am 26. December
hatte, wie 06, 18 f. beweist, Max .Jacobi die Handschrift be-
30 reits gelesen, am 2.x December aber las Goethe das Gedicht
Böttigern vor, s. 96, 27 f.
^ Vermuthlich war es die in Nr. 194 erwähnte Abschrift der
drei ersten Gesänge (1^). „, Hermann und Dorothea', noch
nicht ganz vollendet, in erster Abschrift" bemerkt Max
35 Jacobi, der obige Aeussemng in dem, von ihm herausgege-
benen .Briefwechsel zwischen Goethe und F. H. Jacobi' S.
216 mittheilt.
92 HERMANN UND DOROTHEA. 1796
][December, zwischen 6 und 24, Weimar.] [197]
iirtheilung vor allem Einfluss des Geniütlies auf den
Verstand sicher, und so einen brauche ich."
Mit Max Jacobi. — Gespräche 1, 187.
December 6, "Weimar. 198 5
Eigentlich hin ich sehr froh, dass ich diese Composi-
tion [, Wilhelm Meisters Lehrjahre'], die ihrer Xatur
nach nicht rein poetisch sein kann, nunmehr hinter mir
sehe, um an etwas zu gehen, das nicht so lang und, wie
ich für mich und andere hoffe, befriedigender ist. Bald lo
werden Sie vielleicht die Ankündigung einer epischen
Arbeit sehen\: was davon fertig ist, war die Frucht der
• schönen Herbstzeit, zum Schluss und zur Ausarbeitung
muss ich die neuen Frühlingstage erwarten. Ich werde
nicht verschweigen-, wie ^iel ich bei dieser Arbeit 15
unserm Wolf und Ihnen schuldig bin. Sie haben mir
den Weg gezeigt und e r hat mir Muth gemacht ihn zu
gehen.
An Voss. — Br. 11, 277, 17—278, 5.
December 7, Weimar. 199 20-
Sie finden auch^ wieder eine Elegie, der ich Ihren
Beifall wünsche. Indem ich darin mein neues Gedicht
ankündige, gedenke ich damit auch ein neues Buch
Elegien anzufangen. . . . Mit dieser, wünschte ich, er-
öffneten Sie das neue Jahr der .Hören'*, damit die 23
^ Das heisst: die Elegie .Hermann und Dorothea', die Goethe
anfänglieh dem Briefe hatte beifügen wollen, wie aus dem
ursprünglichen Wortlaut der Stelle hervoi'geht: „Beiliegen-
des Gediclit kündigt eine epische Arbeit an'", was Goethe im
Coneept des Briefes eigenhändig änderte in „Bald . . sehen" 30
(Br. 11. 341 zu S. 277. 21).
" Der ursprüngliche AVortlaut dieser Stelle: „Ich habe ni<ht
verschweigen können" wurde, entsprechend der auf Z. 28 f.
angeführten Abäudening, von Goethe eigenliäudig ver-
bessert in ..Ich . . verschweigen" (Br. 11, 341 zu S. 278. 1). 35
^ Goethe schickte gleichzeitig ein Werk der Frau von Stael,
daher das ..auch".
♦ Jahigaug 1797 der, von Scliillcr herausgegebenen. Monats-
schrift ,Die Hören'.
1796 HERMANN UND DOROTHEA. 93
[December 7, Weimar.] [199]
^Menschen durchaus sehen, dass man auf alle Weise fest
steht und auf alle Fälle gerüstet ist\
An Schiller. — Br. 11. 279. 16—19. 22— 2.">.
ö 1 Die letztere Bemerkung bezieht sich auf das durch die
.Xenien' hervorgerufene «Teschrei, von dem Goetlie . im
Hinblick auf Schillers Arbeit am .Wallenstein", auf die
eigene an , Hermann und Dorothea", sich abwandte mit den
Worten: .. . . nach dem tollen Wagestück mit den .Xenien'
10 müssen wir uns bloss grosser und würdiger Kimstwerke
befleissigen und unsere proteische Natur, zu Beschämung
aller Gegner, in die Gestalten des Edlen und Guten um-
wandeln-" a."). November 179«j. Br. 11. 263. 20— 24).
Schiller antwortete am 9. December: ..Dank Ihnen rür
15 das vorgestern Ueberschickte. Die Elegie macht einen eige-
nen, tiefen, rührenden Eindi-uck. der keines Lesers Herz,
wenn er eins hat, verfehlen kann. Ihre nahe Beziehung
auf eine bestimmte Existenz gibt ihr noch einen Nachdruck
mehr, und die hohe schöne Ruhe mischt sich darin so schön
2» mit der leidenschaftlichen Farbe des Augenblicks. Es ist
mir eine neue trosti"eiche Erfahrung, wie der poetische
Geist alles Gemeine der Wirklichkeit so schnell und so
glücklich unter sich bringt, und durch einen einzigen
Schwung, den er sich selbst gibt, aus diesen Banden heraus
25 ist, so dass die gemeinen Seelen ihm nur mit hoffnungsloser
Verzweiflung nachsehen können.
Das Einzige gebe ich Ihnen zu bedenken, ob der gegen-
wärtige Moment zur Bekanntmachung des Gedichts auch
ganz günstig ist? In den nächsten zwei, drei Monaten,
30 fürchte ich. kann bei dem Publicum noch keine Stimmung
erwartet werden gerecht gegen die .Xenien' zu sein. Die
vermeintliche Beleidigung ist noch zu frisch; wir scheinen
im Tort zu sein, und diese Gesinnung der Leser wird sie
verhärten. Es kann aber nicht fehlen, dass unsere Gegner,
35 durch die Heftigkeit und Plumpheit der Gegenwehr, sich
noch mehr in Nachtheil setzen und die Bessergesinmen
gegen sich aufbringen. Alsdann, denke ich. würde die Ele-
gie den Tnumph erst vollkommen machen.
. . . Möge die Muse mit ihren schönsten Gaben bei Ihnen
40 sein und ihrem herrlichen Freund seine .Tugend recht lange
bewahren I Ich bin noch immer in der Elegie — jedem, der
94 HERMANN UND DOROTHEA. 1796
Deceuiber 8, Weimar. 200
Wie ein Schiffer, der von einer gefährlichen Fahrt
zurückkommt, sieh desswegen doch nicht im Hafen
halten kann, sondern wieder sobald möglich ausfährt,
so habe ich mich auch ^neder auf eine neue Eeise 5
begebend Ein einsches Gedicht, das etwa auf sechs Ge-
sänge und zweitausend Hexameter steigen kann, ist
jetzo meine Liebe und meine Sorge. Je mehr man dem
Beifall gibt, was davon schon fertig ist, desto bänger bin
ich, ob ich auch so endigen werde, Avie ich angefangen lo
habe; doch hilft hier, wo bei einem für recht erkannten
Plan die Ausführung bloss von dem Augenblick ab-
hängt, weder hoffen noch sorgen, hier ist der Glaube
eigentlich am Platz. Die zur Einleitung bestimmte
Elegie lege ich in Abschrift bei. i5
. . . Dorchen wird sehen, dass, ich weiss nicht durch
welchen Zauber, meine neue Heldin schon wieder Doro-
thea heisst^.
An Körner. — Br. 11, 284, 8—21. 285, 17—19.
nur irgend eine Affinität zu Ihnen bat, wird Ihre Existenz, 20
Ihr Individuum darin so nahe gebracht'" (Schillers Br. 5,
128 f.).
^ Nach Vollendung von , Wilhelm Meisters Lehrjahren'.
^ Wie die „Heldin" der im Mai dieses Jahres gedichteten
Elegie , Alexis und Dora'. ,,Dorclien" ist Dorothea Stock, 25
Körners Schwägerin.
Körner antwortete am 17. December: ..Wüssten Sie, wie
viel Freude Sie mir und den Meinigen durch Mittheilung der
neuen Elegie gemacht hätten, Sie würden einen besondorn
Copisten halten, um jedes Ihrer Producte sogleich, wie es 30
fertig wäre, für uns abschreiben zu lassen. Der Ton dieses
Prologs konnte nur in einem sehr glücklichen Momente ge-
funden werden, und es war gewiss kein kleines Verdienst,
ihn auch nur in einem so kurzen Gedichte festzuhalten.
Diese Weichheit ohne Schwäche, diese Ruhe ohne Entkräf- 35
tung, diese Lieblichkeit mit jugendlichem Muth verbunden
bringt eine sonderbare gemischte Wirkung hervor, die zu-
1796 HERMANN UND DOROTHEA. 95
Deceniber 10, Weimar. 201
Dass Sie sieh der Elegie erfreuen^ thut mir sehr wohl,
ich vermuthe, dass einige Gesellen bald nachfolgen
werden. "Was das Drucken betrifft, darüber bleibt Ihnen
das Urtheil ganz anheim gestellt, ich bin auch zufrieden,
dass sie noch ruht". Ich werde sie indess in der Hand-
schrift Freunden und Wohlwollenden niittheilen, denn
ich habe aus der Erfahrung, dass man zwar bei ent-
standenem Streit und Gährung seine Feinde nicht be-
kehren kann, aber seine Freunde zu stärken Ursache
hat.
An Schiller. — Br. 11, 287. 9 f. 11— 18.
DeceDiber 21, Weimar. 202
Es freut mich sehr, dass die Elegie bei Körner gut
gewirkt hat". Im Ganzen bin ich aber überzeugt, dass
Ihre Bemerkung* richtig ist, dass sie nemlich öffent-
lich noch zu früh käme: ich bin auch privatim sehr
sparsam damit umgegangen^.
An Schiller. — Br. 11, 292, 1—5.
20 gleich rührend und stärkend ist. Wie begierig mnss man
nun auf das grössere Gedicht werden, und wie sehr müssen
Sie verzeihen, wenn Ihre Güte ims unbescheiden macht.
Wäre es denn nicht möglich, uns nur ein kleines Fragment
davon lesen zu lassen?" (GJ. 4, 300.)
25 Aehulich, nur kürzer, hatte Körner schon am 15. De-
ceniber über die Elegie an Schiller geschrieben.
' s. 93. 15—26.
* Sie blieb ungedruckt bis zum Jahre 1800.
" Vgl. den 94. 27—95. 24 mitgetheilten Brief Körners an Goethe
30 vom 17. December; Schiller hatte am 18. December an
Goethe berichtet: „Körnern und seine Familie hat Ihre
Elegie sehr lebhaft interessirt. Sie wissen nicht genug da-
von zu erzählen, und Ihrem epischen Gedichte sehen sie
mit unbeschreiblicher Sehnsucht entgegen" (Schillers Br.
35 5, 135).
* Vgl. 93. 27—38.
' Zu denen, die Goethe mit der Elegie bekannt gemacht hatte.
gehört auch Knebel, der an einem unbestimmten Tage des
96 HERMANN UND DOROTHEA. 1796
][December 25, Weimar.] .'203
^Goethe ging seit zwei Jahren mit diesem Sujet
schwanger und versuchte es erst als Drama-, dann als
eine Idyllenreihe ....
Die Charaktere der handelnden Personen sind aus 5
der Menschenclasse genommen, die in unsern Tagen
allein noch Individualität und Xaturgepräge haben,
und doch ist es keine phantastische Idyllenwelt. Es
sind die sogenannten Honoratioren einer kleinen Stadt,
wie sie leiben und leben. „Diess", sagte Goethe, „ist lo
Vossens Verdienst, oline dessen ,Luise'^ diess Gedicht
nicht entstanden sein könnte".
Mit Büttiger. — K. A. Böttiger: Literarische Zustände
1, 74—76.
December 26, Weimar. 204 15
Ich wünsche mir, dass ich die Passion zu meinem
neuen epischen Gedicht in das nächste Jahr, recht leb-
haft^ mit hinüber bringen möge. Die Art, wie Max
solches genommen, hat mir wieder neuen Muth dazu
gegeben^. 20
An F. H. .Jacobi. — Br. 11, 294, 8—12.
Decembers au Goetlie schrieb: ,,lcli danke Dir. Lieber, für
das liebe Geschenk Deiner Muse. Es erfreut mich herzlich.
Wie wohl thun die Töne, die unmittelbar aus der Brust
hervordringen! Ich sage .Ja! und Amen! zu Allem. . . ." 25
(G.-Knebel 1, 137).
^ Nach Böttigers Angabe las Goethe an diesem Tage , Her-
mann und Dorothea' vor, und zwar Gesang 1 — 3 (1 — 4) ganz
und den vierten Gesang bis zu der Stelle, wo ..die Ab-
gesandten gehen, nachdem ihnen Hermann zuvor durch eine 30
meisterhafte Schilderung das Mädchen kenntlich gemacht
hat", das heisst bis gegen das Ende (etwa Vers 183) des
jetzigen fünften Gesanges.
Die nachfolgenden Angaben und Aeusserungen sind zu
denken als von Goethe während des Gesprächs gethan. das 35
an die Vorlesung sich Ivuüpfte.
- Von einer geplanten Behandlung des Stoffs als „Drama"
ist sonst nichts bekannt.
' Ueber Max .Jacobi s. Nr. 197.
1796 HERMANN UND DOROTHEA. 97
December 26, Weimar. 205
Vielleicht sende ich Ihnen bald mit niehrerem
Muthe^ die Ankündigimg eines epischen Gedichtes, in
der ich nicht verschweige, wie viel ich Jener Ueher-
5 Zeugung schuldig bin, die Sie mir so fest eingeprägt
haben^. Schon lange war ich geneigt, mich in diesem
Fache zu versuchen und immer schreckte mich der
hohe Begriff von Einheit und Untheilbarkeit der
Homerischen Schriften ab; nunmehr da Sie diese herr-
10 liehen Werke einer Familie zueignen, so ist die Kühn-
heit geringer sich in grössere Gesellschaft zu wagen und
den Weg zu verfolgen, den uns Voss in seiner ,Luise'
so schön gezeigt hat.
Da ich nicht im Falle bin, Ihre Schrift^ theoretisch
15 zu prüfen, so wünsche ich nur, dass Sie mit diesem
praktischen Beifall nicht unzufrieden sein mögen; denn
der thätige Mann will ja nicht allein überzeugen, son-
dern auch wirken, und diese doppelte Freude erleben
Sie an Ihren Schülern alle Tage. Warum kann ich
20 doch nicht, da ich das, was mir von Zeit und Lebens-
kraft übrig bleibt, der Erkenntniss wahrer Kunst und,
wenn der Genius will, ihrer Ausübung zu -widmen hoffe,
auch Ihnen näher sein, um von Ihren Arbeiten un-
mittelbar den erwünschten Vortheil zu gewinnen.
25 Leben Sie recht wohl und füllen die Lücken, die eine
strenge Kritik, an meinen Arbeiten finden möchte,
durch ein fortgesetztes Wohlwollen aus.
An F. A. Wolf. — Br. 11, 296, 19—297, 20.
] [December 27, Weimar.] -06
30 Seitdem ich Ihnen jene Bemerkungen über die Elegie
' „Mit mehrerem Muthe" als er jetzt ,Wilbelm Meistors
Lehrjabre' übersandte.
' Die Elegie ,Hermann und Doratbea', V. 27—30 (s. 89, 21—
28).
35 ' s. 2, 29—32.
Graf, Goethe über s. Dichtungen T. I. 7
98 HERMANN UND DOROTHEA. 1797
][December 27, Weimar.] [206]
danke^, habe ich manches erfahren und gedacht, und
ich wünsche Ilinen bei der gegenwärtigen^
An Schiller. — Br. 11, 300, 25—28.
1797. 5
Januar 3, Dessau. 207
An das Gedicht habe ich wenigstens gedacht und
werde den Plan ausarbeiten, so weit mir nur möglich
ist, so kann es alsdann einmal, ehe wir es uns versehen,
fertig sein. lo
Au Cbristiane. — Br. 12. 4. 10—13.
Januar 8, Leipzig. 208
Das Schema zum Schluss des epischen Gedichtes
ward in diesen Tagen fertig.
Tgb. 2, 53, 7 f. 15
Januar 11, Weimar. 209
Poetisches hat mir die Reise nichts eingetragen, als
dass ich den Schluss meines epischen Gedichts voll-
kommen sehematisirt habe^.
An Schiller. — Br. 12, 5, 8—10. 20
1 In Schillers Brief vom 9. December 1796, s. 93.14.
* Mit diesem Worte geht der erste Bogen dieses Briefes zu
Ende, das Uebrige ist nicht erhalten.
Die Stelle betiifCt einen Angriff Reichardts auf Schiller
wegen der ,Xenien'. Schiller wollte heftig entgegnen, v.as 25
Goethe verhinderte.
Mit Bezug auf Goethes bevorstehende Abreise nach Leip-
zig und auf »Hermann und Dorothea' hatte Schiller am 25.
December geschrieben: ,,Ihr längeres Ausbleiben ist mir
sehr unangenehm: möchte es nur Ihre jetzige schöne 30
Thätigkeit nicht zu lang unterbrecheu" (Schillers Br. 5, 135).
' Folgende Stelle aus Schillers Brief vom 17. Januar ist hier
einzuschalten, da die in ihr enthaltene Betrachtung vor
allem durch »Hermann und Dorothea' veranlasst ist: „Be-
sonders . . erfreut mich Ihre lebhafte Neigung zu einer fort- 35
gesetzten poetischen Thätigkeit. Ein neuere?; schöneres
Leben thut sich dadurch A'or Ihnen auf, es wird sich auch
1797 HERMANN UND DOROTHEA. 99
Jauuar 14, Weimar. 210
Früh Hermann ,de Metris'^ [Besprechung mit] Bötti-
ger wegen des epischen Gedichts-.
Tgb. 2, 53, 28-54, 1.
5 mir nicht nur in dem Werke, es wird sicli mir aucli diuxli die
Stimmung, in die es Sie versetzt, mittheilen und mich er-
quiclien. Ich Avünschte besonders jetzt die Chronologie
Ihrer Werlie zu wissen, es sollte mich wundem, wenn sich
an den Entwicli;luDgen Ihres Wesens nicht ein gewisser
10 nothwendiger Gang der Natur im Mensclien überhaupt
nachweisen liesse. Sie müssen eine gewisse, nicht sehr
kurze, Epoche gehabt haben, die ich Ihre analytische Periode
nennen möchte, wo Sie durch ihre Theilung und Trennung
zu einem Ganzen strebten, wo Ihre Natur gleichsam mit
15 sich sellist zerfallen war und sich durch Kunst und Wissen-
schaft wieder herzustellen s\ichte. Jetzt, däucht mir. kehren
Sie. ausgebildet und reif, zu Ihrer Jugend zurtick und
werden die Frucht mit der Blüthe verbinden. Diese zweite
Jugend ist die Jugend der Götter und unsterblich wie diese.
20 Ihre kleine und grosse Idylle [.Alexis und Dora' und .Her-
mann und Dorothea'] und noch neuerlich Ihre Elegie
[.Hermann und Dorothea'] zeigen dieses, so wie die alren
Elegien und Epigramme" (Schillers Br. 5. 142 f.).
^ ,De metris poetarum graecorum et rouiauorum 1. I— III" war
25 179Ö in Leipzig erschienen. Gottfried Hermann legt darin
die Gnindzüge seiner Metrik dar.
Am 10. Februar 1797 schreibt Wilhelm von Humboldt an
Goethe: , .Wollten Sie wohl Sonntag [12. Februar nach Jena]
den Hermann ,de metris' mitbringen? Ich muss mein hier
30 geliehenes Exemplar zurückgeben und möchte nicht gern
den Faden verlieren, den es immer so sauere Mühe anzu-
knüpfen kostet" (G.-Humboldt S. 27), und sodann am 16.
Februar: „Ich habe nunmehr in Hermann das Capitel vom
Hexameter durchgelesen, und glaube Ihneu davon Rechen-
35 Schaft geben zu können", dabei folgt ein Auszug aus dem
betreffenden Capitel (GJ. 8, 65).
* Böttiger stand mit dem späteren Verleger von .Hermann
und Dorothea', Vieweg dem Aelteren in Berlin, seit Mitte
November 1796 in Briefwechsel wegen eines Taschenbuchs,
40 dessen Inhalt, nach Yiewegs Wunsch, ein Werk Goetlies
bilden sollte. Durch Böttigers Vermittelung erhielt Vieweg
100 HERMANN UND DOROTHEA. 1797
] [Januar 16, Weimar.] 211
Icli übersende Ihnen im versiegelten Anschlüsse ein
Manuscript. AYill Herr Aaeweg dafür nicht 200 Fricd-
riehd'or zahlen, so beliebe er den Pack zurückzu-
senden, ohne ihn zu entsiegeln.^
An H. F. Vieweg. — Br. 12, 11, 1-^.
Januar 16, Weimar. 212
(Für das epische Gedicht ,Hermann und Dorothea'
verlange ich Eintausend Thaler in Golde. Weimar den
16. Januar 1797. Goethe.)
Herr Oberconsistorialrath Böttiger wird ersucht Ge-
genwärtiges bis zur bekannten Epoche bei sich uner-
öffnet liegen zu lassen-.
An Böttiger. — Br. 12, 11, 5—12.
,Hermann und Dorotbea'. Die Geschichte der hierüber ge- is
pflegten Verhandlungen hat Ludwig Geiger, mit Benutzung
der Briefe Yiewegs an Böttiger, ausführlich dargestellt
(,Zeitschrift für Bücherfreunde'. Hsg. von Fedor von Zobel-
titz. 1897 Jahrgang 1, 143—349).
Hier genügt zu erwähnen, dass Böttiger gegen Ende No- 2»
vember 1796 Goethe den Plan Yiewegs mündlich vorge-
tragen, sowie als Probe einen Bogen und zwei Kupfer des
zunächst bei Vieweg erscheinenden Calenders vorgelegt
hatte. Die Probeblätter gelangten noch Ende November oder
Anfang December wieder in Böttigers Hände, mit einem 25
Briefe Goethes:
„Die auf den Berliner Almanach bezüglichen Papiere nebst
dem Portefeuille schicke ich dankbar zurück" (Briefe 11,
270, 18 f.).
Goethe hatte sich bereit erklärt, und Vieweg war durch so
Böttiger, nach der Vorlesung am 25. December (s. Nr. 203),
näher über Goethes Dichtung unterrichtet worden.
^ ,,Es ist nicht unmöglich, dass dieses Billet kein wirklich
geschriebenes, sondern ein aus der Tradition der Vieweg-
schen Buchhandlung irrig reconstruirtes ist" (Eduard von 35
der Hellen in Br. 12, 396 zu Nr. 3467), denn das Billet passt
nicht zu Goethes gleichzeitigem Brief an Vieweg, noch
weniger in den April oder Mai des Jahres, da nach Nr. 213
und 218 das Geschäft Ende Januar abgeschlossen wurde.
* Die in Klammern eingeschlossenen Worte stehen, von 40
Goethe geschrieben, „auf der ersten Seite eines enggefal-
1797 HERMANN UND DOROTHEA. 101
Januar 16, Weimar. 213
Ich bin geneigt, Herrn Yieweg in Berlin ein
episches Gedicht .Hermann und Dorothea', das ohnge-
fähr "2000 Hexameter stark sein tv-ird, zum Verlag zu
5 überlassen. Und zwar dergestalt, dass solches den In-
halt seines Almanachs auf 1798 ausmache und dass ich
nach Verlauf von 2 Jahren allenfalls dasselbe in meiuen
Schriften -wieder aufführen könne. "Was das Honorar
betrifft, so stelle ich Herrn Oberconsistorialrath Bötti-
10 ger ein versiegeltes Billet [Xr. 312] zu, worin meine
Forderung enthalten ist und erwarte, was Herr Vieweg
mir für meine Arbeit anbieten zu können glaubt. Ist
sein Anerbieten geringer als meine Forderung, so nehme
ich meinen versiegelten Zettel unerötfnet zurück, und die
15 Xegotiation zerschlägt sich, ist es höher, so verlange ich
nicht mehr als in dem, alsdann von Herrn Obercon-
sistorialrath zu eröffnenden Zettel verzeichnet ist.
Die Anzahl der Exemplarien, welche gewöhnlich an
den Verfasser abgegeben werden, stelle Herrn Vieweg
20 anheim.
Zu Kupfern bringe ich Vorstellungen aus .Wilhelm
Meister' zum A'orschlag und werde sogleich eine Anzahl
Gegenstände dazu vorschlagen.
Das Manuscript kann, zum Theil, zu Anfang April,
25 der Schluss aber gewiss auf die Jubilatemesse abgegeben
werden, auf welcher auch das Honorar bezahlt würde.
An H. F. Vieweg. - Br. 12. 11. 14-12. 16. 20-23.
Januar 18. Weimar. -^^
Bei Knebel im Garten über deutsche Prosodie ge-
30 sprochen.^
Tgb. 2. ö4. in f.
teteu Quartbogens, die an Böttiger gerichteten Worte, von
Sclireiberliand. auf dem Couvert. das die Forderung ein-
schloss" (Br. 12, 396 zu Nr. 3468».
Wegen der ..bekannten Epoche" s. 101, 11—17.
» Wohl im Anschluss an die Leetüre von Hermanns Werli
über die antiken Versmasse (s. Nr. 210) und mit Rücksiclit
auf .Hermann und Dorothea'.
102 HERMANN UND DOROTHEA. 1797
JaDuar 28, Weimar. 215
Lassen Sie uns auf die Ausbildung des Gedichts desto
mehr Sorgfalt wenden.^
An Büttiger. — Br. 12, 24, 10 f.
Januar 28, Weimar. 216 5
Früh . . Mit Böttiger abgeschlossen wegen dem Al-
mana eh.
Tgb. 2, .55, 4 f.
Januar 29, [Weimar.] 217
Ferner habe ich auch mein episches Gedicht yer- lo
handelt, wobei sich einige artige Begebenheiten er-
eignet haben^.
An Scliiller. — Br. 12, 25, 5—7.
Januar 30, Weimar. 218
Ihr Anerbieten trifft genau mit dem Blatte", welches 1.5
Herr Oberconsistorialrath Böttiger in Händen hat,
überein, und ich überlasse Ihnen, mit Vergnügen, das
benannte Gedicht, auf die in Ihrem Briefe bemerkten
Bedingungen, nemlich für den Calender von 1798, und
für die beiden darauf folgenden Jahre, zum alleinigen 20
Verlag und Besitz.
Dass Sie eine geringere Ausgabe drucken lassen, bin
ich gleichfalls zufrieden, und werde der Uebersendung
des Honorars nach völliger Einsendung des Manu-
scripts entgegen sehen. -'&
Nach meiner vorigen Aeusserung wünschte ich die
erste Hälfte des Gedichtes Anfangs April zu schicken,
^ Im Gegensatz zu der „so unreinen Form" von ,WillieIm
Meisters Lelirjaliren' (Br. 12, 24, 8).
' Schiller erwiderte am 31. Januar: ,, . . was das epische 30
Werk betrifft, so hoffe ich, Sie sind in gute Hände gefallen.
Das Werk wird einen glänzenden Absatz haben, und bei
solchen Schriften sollte der Verleger billigst keinen Pi'ofit
zu machen suchen, sondern sich mit der Elu'e begnügen.
Mit schlechten Büchern mag er reich werden" (Schillers Br. 35
5, 148).
' s. Nr. 212. 213.
1797 HERMANN UND DOROTHEA. 103
[Januar 30, Weimar ] [2i8]
weil ich das Ganze erst fertig zu haben wünschte, ehe
ich einen Theil aus den Händen gäbe; dazu brauche ich
zwar nicht viel Zeit, aber die reinste Stimmung, wie sie
5 die ünrulie des AVinters und die Zerstreuung desselben
nicht leicht hervorbringen. Sollten Sie Jedoch Ihrer
Anstalten wegen das Manuscript nothwendig früher
brauchen, so lässt sich Eath schaffen und ich bitte Sie,
sich hierüber näher zu erklären. Freilich da ich ein-
10 mal so viel Sorgfalt an diese Arbeit gewendet habe, so
wünschte ich sie nun zuletzt, soweit meine Kräfte
reichen, zu vollenden^.
Herr Oberconsi.storialrath Böttiger wird noch einiges
hinzufügen.
15 An H. F. Yieweg. — Br. 12, 20, 7—27. 7.
Februar 4, Weimar. 219
Uebrigens sind jetzt alle meine "Wünsche auf die Yoll-
endung des Gedichtes gerichtet und ich muss meine Ge-
danken mit Gewalt davon zurückhalten, damit mir das
20 Detail nicht in Augenblicken zu deutlich werde, wo ich
es nicht ausführen kann-.
An Schiller. — Br. 12. 32. 3—7.
' Die Worte „so wüusclite — vollenden" bat Goethe im Con-
cept eigenhändig eingesetzt für das ursprüngliche: ..so möchte
25 ich es min zuletzt an nichts fehlen lassen, um ihr im Ganzen
sowohl als im Einzelnen die ^'olleudung zu geben, deren der
Gegenstand fähig ist" (Br. 12. 398 zu Nr. 3477).
^ Besonders durch Theaterangelegenheiten war Goethes Zeit
damals in Anspiiich genommen. Er kam sich vor ,.wie ein
30 Ball, den eine Stunde der andera zuwirft" (Br. 12. 3.5, 7).
Am 7. Februar fragt Schiller an: ..Soll ich Ihre Elegie
[.Hermann und Dorothea*] nun etwa zum Druck abschicken,
dass sie am Anfange Aprils in's Publicum kommt?" (Schillers
Br. 5. 1.57). Schriftlich scheint Goethe hierauf nicht ge-
35 antwortet zu haben. Jedenfalls erschien die Elegie nicht
in den , Hören'.
104' HERMANN UND DOROTHEA. 1797
Febiniar 6, Weimar. 220
Schon vor einiger Zeit sclu-ieb ich Ihnen, dass ich
mich mit dem epischen Altvater beschäftige, jetzt kann
ich Ihnen sagen, dass ich mit einem eig"nen Gedichte, von
der erzählenden Art, beinahe fertig bin. Ich darf es &
Ihnen ja wohl, sobald es gedruckt ist, zuschicken?
An die Fürstin Gallitzin. — Br. 12, 34, 20—24.
Februar 9, Weimar. 221
Bald sehen Sie wieder ein episches Grcdicht von mir,
dem ich eine so gute Aufnahme, auch in Ihrem Zirkel, lo
wünsche als die Neigung stark ist, womit ich es ange-
griffen habe und nun bald zu vollenden hoffe^.
An Sara Wulff (geb. Meyer). — Br. 12, 37, 24—28.
Februar 18, Weimar. 222
-Ich wage es endlich Ihnen die drei ersten Gesänge 15
[1 — 4] des epischen Gedichtes zu schicken, haben Sie
die Güte es mit Aufmerksamkeit durchzusehen und
theilen Sie mir Ihre Bemerkungen mit; Herrn von
Humboldt bitte ich gleichfalls um diesen Freund-
schaftsdienst. Geben Sie beide das Manuscript nicht 20
^ Zu jenem ,, Zirkel" gehörten vor allem Raliel Leviu und die
Schwester der Adressatin, Marianne Meyer (spätere Fvau
von Eybenberg). An die letztere schi-ieb Goethe einige Zeit
später gleichfalls (der Brief ist nicht überliefert), ^md
schickte ihr eine Abschrift der Elegie , Hermann und Doro- 25
thea'. wofür Marianne Meyer sich am 11. März 1797 brieflich
bedankt, zugleich grosses Verlangen nach dem Epos
äussernd (GJ. 14, 108).
^ Tags zuvor, am 17. Februar, hatte Schiller geschrieben:
„Wünschten Sie Ihren Almanach nicht auf dem Papier ge- 30
druckt zu sehen, worauf ich hier schreibe? Es ist viel
wohlfeiler als A'elin und mir kommt es wirklich eben so
schön vor. Das Buch kommt ohngefähr auf 13 Groschen,
da das Velin 18 Groschen kostet. , Hermann und Dorothea'
müssten sich prächtig darauf ausnehmen. 35
Leben Sie Avohl. Sehen Sie, dass Sie sich sobald möglich
von Ihren Geschäften losmachen und Ihr Werk vollenden"
(Schillers Br. 5, 162 f.).
1797 HERMANN UND DOROTHEA. 105
[Februar IS, Weimar.] r222]
aus der Hand und lassen Sie mich es bald wieder haben.
Ich bin jetzt an dem vierten [5. 6.] Gesang und hoffe
mit diesem wenigstens auch bald im Eeinen zu sein\
5 An Schiller. — Br. 12, 41, .5—13.
Februar 24, Jena. 223
. . sage Dir nur: dass ich wohl bin imd an allerlei
Dingen arbeite, in Erwartung der Laune zum Gedieht-.
An Christiane. — Br. 12, 52, 6—8.
lö Februar 27, [Jena.] - 224
Wir wollen hoffen, dass wir, aus der Erniedrigung
dieser realen Bedrängnisse^ zur Herrlichkeit poetischer
Darstellungen nächstens gelangen werden, imd glauben
diess um so sichrer, als uns die Wunder der stetigen
15 Xaturwirkungen bekannt sind.
An Schiller. — Br. 12, 53,6—10.
][]März Anfang, Jena.] 225
Der Besuch der ]\Iusen, die sich zwar wieder zur y
rechten Zeit einofefunden haben, hat sich diessmal auf
20 1 Wilhelm von Humboldt lebte von Anfang November 1796
bis Ende April 1797 in Jena. — Zwei Tage darauf, am 20.
Februar, traf Goethe in Jena ein.
- An diesem Tage schrieb Schüler über das 104, 15 f. genannte
^[anuscript. das inzwischen in Goethes Hände zurückge-
25 langt oder noch bei Wilhelm von Humboldt war, an Körner:
„Vielleicht kann ich die drei ersten Gesänge seines epi-
schen Gedichts noch zeitig genug bekommen, um sie beizu-
legen; denn er hat sich entschlossen, sie Dir mitzutheilen.
Kommen sie heute nicht mit, so erhältst Du sie mit der
30 nächsten Post" (Schillers Br. 5, 164); die Handschrift ging
schon jetzt mit ab.
" Goethe war von einer starken Erkältung befallen worden,
vgl. 106, 2 f. — Schiller antwortete am gleichen Tage: „Wir
beklagen Sie hei-zlich, dass Sie etwas so ganz Anderes
35 hier gefunden haben als Sie suchten. In solchen Umständen
wünschte ich Ihnen meine Fertigkeit im Uebelbefindeo.
so würde Ihnen dieser Zustand weniger unerträglich sein"
(Schillers Br. 5. 164).
106 HERMANN UND DOROTHEA. 1797
][März Anfang, Jena.] [225]
eine imfreundliclie Weise, durch einen sehr heftigen
Katarrh angekündigt, doch sc-heinen sie den astheju-
sehen^ Zustand, in welchen ich durch dieses Uebel ver-
setzt bin, nicht zu verschmähen, vielmehr sich nur desto 5
freundlicher zu betragen. Wenn der Faden nicht ab-
reisst, hoffe ich mit meiner Arbeit bald fertig zu sein,
zu der ich besondere Lust habe, weil sie ^nrklich als
etwas Ganzes erscheinen kann'.
Au den Herzog Karl August. — Br. 12, -53, 14 — 23. lo
März 1. .Jena. 226
Xachdem die Insecten mich an den vergangenen
Tagen beschäftigt, so habe ich heute Muth gefasst den
vierten Gesang [5. 6] völlig in Ordnung zu bringen,
und es ist mir gelungen, ich schöpfe daraus einige Hoff- i»
nung für die Folge^.
An Schiller. — Br 12, 55, 4—8.
März 1. [.Jena]. ' 227
^lein Katarrh ist zwar merklich besser, doch fange
ich an die Stube lieb zu gewinnen, und da es ohnedem 20
scheint, dass die Musen mir günstig werden wollen, so
könnte ich wohl selbst meinen Hausarrest auf einige
^ Asthenisch (gv. astheues = kraftlos, schwach, nnvermögenflt
ist hier humoristisch gebraucht, mit Bezug atif die geistige
Zeugungskraft. 25
- Der Herzog antwortete am 4. März: ..Wenn der Schnupfen
der Geburt nicht hinderlich ist, so ist es doppelt gut, dass
sich die Natur reiniget, während dass sie etwas Schönes auf
die Welt bringt; aller berühmten T.,eute Mütter waren in
eben diesem Falle" (G.-Karl August 1. 20G». ^^
^ Goethes Brief, dem obige Stelle entnommen ist. schliesst:
„ . . sagen Sie der lieben Frau: dass ich für meine Thee-
scheue durch den abscheulichsten Kräuterthee bestraft
werde" (Br. 12, 55, 9—11). Hieran anknüpfend erwidert
Schiller am selben Tage: ..Es freut micli lun-zlith. dass 35
Loders Ivräuterthee. so übel er auch schmeckt, einen poe-
tischen Humor imd Lust zum Heldengedicht bei Ihnon
geweckt hat" (Schillers Br. 5, 165).
IT'JT HERMANN UND DOROTHEA. 107
[März 1, [Jena].] [227]
Tage verlängern, denn der Ge^^'innst wäre zu gross, wenn
man so unversehens an's Ziel gelangte.
An Schiller. — Br. 12, 55, 20—56, 3.
:, März 1. .Jena. :i28
Früh den vierten Gesang in Ordnung gebracht und
zum Abschreiben gegeben.
Tgb. 2, 58, 9" f.
März 2. .Jena. 229
10 . . seitdem^ habe ich mich zu meinen poetischen Ar-
beiten, nach gewohnter Weise, vorbereitet und bin nun
so nach und nach zur Stimmung gekommen, in der ich,
wenn sie mich nicht zu früh verläset, mein Gedicht zii
endigen hoffe.
15 ... Ich muss mich nun die erste Zeit recht zusam-
menhalten, bis mein letzter Gesang [6 = 8. 9] auch aus
seiner Puppe ausgekrochen ist und ihm die Flügel ge-
wachsen sind-, dann hoffe ich ^^'ieder eine Zeit lang will's
Gott als ein freier Mensch zu leben^.
20 Au Knebel. — Br. 12. 56, 12—16. öS. 10—14.
März 2. .Jena. 230
Aus der Glitte des sechsten [8. 9.] Gesangs. An den
vorhergehenden corrigirt.
Tgb. 2. 58, 15 f.
25 März 3. .Jena. 231
Ich kann glücklicherweise vermelden, dass das Gedicht
im Gange ist und, A\enn der Faden nicht abreisst, wahr-
' Das heisst: seit Empfang eines (noch ungedruckten)
Briefes von Knebel vom 21. Februar 1797 (vgl. v. d. Hellen
30 in Br. 12, 105 zu S. 56, 11).
^ Das Bild lag besonders nahe, da Goethe sich gerade in
diesen Tagen viel mit Schmetterlings- und Insectenkunde
beschäftigt hatte.
' Knebel antwortete am 4. März: ..Ich freue mich recht sehr
etwas von Dir zu hören, und insonderheit auch, dass Du in
guter Stimmung bist und Dein Gedicht heranwiichst. Mögen
Dich die Götter des Himmels, die sich zwar jetzt heiter
aber kalt zeigen, immer dabei erhalten" (G.-Knebel 1, 144).
35
108 HERMANN UND DOROTHEA. 1797
[März 3, Jena.] [231]
sclieinlicli glücklich vollbracht Averden -wird. So ver-
schmähen also die Musen den asthenischen Zustand
nicht, in welchen ich mich durch das Uebel versetzt
fühle, vielleicht ist er gar ihren Einflüssen günstig, wir 5
wollen nun einige Tage so abwarten.
An Schiller. — Br. 12, 59,5—11.
jNIii.rz 3, Jena. 232
Xun kann ich Dir die gute Xachricht sagen: dass das
Gedieht wieder im Werk ist und dass es wahrscheinlich lo
in kurzem fertig sein -uird. Ein leidiger Katarrh, den ich
mir wahrscheinlich durch einen Spaziergang zuzog, hat
mich diese Tage her geplagt, jedoch, weil ich zu Hause
bleiben musste, meine Arbeit mehr gefördert als gehin-
dert. Man kann schon zufrieden sein, wenn das Uebel i5
nur zu etwas gut ist.
Ich sehe indessen auch die ersten Gesänge durch und
so wird eins mit dem andern fertig werden. Bis heut
über acht Tage wird alles entschieden sein.
Au Christiaue. — Br. 12, 60, 1—11. 20
März .3, Jeua. 233
Der Anfang des sechsten Gesangs [8]; . .
Tgb. 2, 58, 18.
JVIärz 4, Jeua. 234
Die Arbeit rückt zu imd fängt schon an Masse zu 25
machen, worüber ich denn sehr erfreut bin und Ihnen
als einem treuen Freunde und Xachbar die Freude so-
gleich mittheile. Es kommt nur noch auf zwei Tage an,
so ist der Schatz gehoben, und ist er nur erst einmal
über der Erde, so findet sich alsdami das Poliren von 30
selbst. Merkwürdig ist^s, wie das Gedicht gegen sein
Ende sich ganz zu seinem idyllischen ürspnmg hin-
neigte
Au Schiller. — Br. 12, 60. 16—61, 2.
* Am Abend dieses Tages erwiderte Schiller: ..Es konnte 35
gar nicht fehlen, dass Ihr Gedicht idyllisch endigte, sobald
1797 HERMANN UND DOROTHEA. 109
März 4, Jena. 235
Früh am sechsten [8. 9.] Gesang.
Tgb. 2, 58,21.
März 5, Jena. 2.36
5 Mit dem Gedichte geht es gut, . .
An Christiane. — Br. 12. 62, 1.
März 5, Jena. 237
Früh am sechsten [8. 9.] Gesang, . .
Tgb. 2. 58, 26.
10 März 6, Jena. 238
Früh Bergrath von Humboldt . . . vorher sein Bruder,
Bemerkungen zu den zwei ersten Gesängen durchge-
gangen, . .
Tgb. 2. 59,3—5.
lö März 7, Jena. 239
Mit dem Gedichte geht es ganz gut und ich bin nahe
am Ende, doch weil ich die ersten Gesänge wieder Tor-
nehmen muss, so gibt es noch manches zu thim und ich
will daran arbeiten, so lange ich Lust behalte, damit ich
20 mich so \ie\ als möglich frei da^on mache. Ich T\ill
desswegen lieber etwas länger liier bleiben imd mich a1 ler
der Yortheile bedienen, die ich aus der hiesigen Lage
ziehen kann, wir können nachher desto ruhiger eine Zeit
lang zusammen sein.
25 An Christiane. — Br. 12, 62, 12—21.
März 9, Jena. -iO
Früh am Gedichte corrigirt^, . .
Tgb. 2. .59, 17.
man dieses Wort in seinem höchsten Gehalte nimmt. Die
30 ganze Handlung war so unmittelbar an die einfache länd-
liche Natur angebaut, und die enge Beschränkung konnte,
wie ich mir's denke, nur durch die Idylle ganz poetisch
werden. Das was man die Peripetie darin nennen miiss.
w^rd schon von weitem so vorbereitet, dass es die ruhige
3.5 Einheit des Tons am Ende durch keine starke Passion mehr
stören kann" (Schillers Br. 5, 166).
' An diesem Tage schreibt Schiller an Körner: „Wenn Du
das Goethesche Gedicht [s. 105,2.5-30] noch nicht auf die
110 HERMANN UND DOROTHEA. 1797
März 10, Jena. 241
Durch die Anwesenheit des Herzogs bin ich ein wenig
an meinem Gedicht gestört worden, doch ist es noch
recht gut im Gange und wird gewiss fertig, wenn ich
mir nur die gehörige Zeit lasse. Ich will nicht eher von 5
hier weggehen, bis das Ganze beisammen ist und bis die
ersten drei Gesänge [1 — i] abgeschrieben und fortge-
schickt sind. Dadurch gewinne ich auch ein paar Monate
die schönste Euhe und Freiheit, denn ich möchte jetzt
um vieles nicht den guten Gang unterbrechen, in welchen lo
ich diese Arbeit eingeleitet habe.
Sobald das Gedicht fertig ist, soll die Seife ankommen
und noch etwas dazu, damit Du Dich auch auf Deine
Art mit mir freuen könnest.
An Christiane. — Br. 12, 63, 18-64, 6. i:,
März 10, Jena. 242
Früh am Gedichte corrigirt und abgeschrieben, . .
Tgb. 2, 59,23.
März 11, .Jena. 243
Den ganzen Tag zu Hause, viel am Gedichte arran- 20
girt und corrigirt.
Tgb. 2, 59,28—60,1.
März 12, Jena. 244
Früh zu Hause, am Gedichte corrigirt.
Tgb. 2, 60, 6. 25
Post gegeben haben solltest, so sende mir's doch ja mit erster
Post. Er braucht es sehr nöthig, da die ersten Gesäuge )nit
Anfang Aprils zum Druck abgehen sollen" (Schillers Br.
5, 165).
Körner berichtete, noch vor Empfang dieser Aufforderung, 30
am 10. März ausführlich über den Eindruck der Leetüre und
schrieb: ,,Goethen kannst Du versichern, dass ich die Mit-
theilung seines Gedichts zu schätzen weiss. Schreib' mir
doch, wann ich es zurückschicken muss. Es wird mir
schwer mich davon zu trennen. Soi'ge ja, dass ich die Fort- 35
Setzung bald bekomme"; am 13. März schickte Körner die
Handschrift an Goethe zurück (Schiller-Körner 2, 248 f. 251).
1797 HERilANX UND DOROTHEA. 111
März 13. Jeua. 245
Früh am Gedicht dem Ende zugeruckt. . . . Abends
zu Schiller, viel über epische Gegenstände und Vorsätze.
Tgb. 2. 60, 13. 15—17.
5 März 14, Jeua. 246
. . jetzt befinde ich mich wieder völlig hergestellt
und habe nichts verloren, da mein Gedicht sich zu Ende
neigt; ich ^yill aber, da ich einmal so weit bin, von hier
nicht weggehen bis das Ganze fertig ist und die drei
10 ersten Gesänge [1 — i] nach Berlin abgeschickt sind.
An Christiane. — Br. 12, 65, 1—6.
März 15, Jena. 247
Früh das Gedicht geendigt, . .
Tgb. 2. 60, 23.
15 Mäi-z 16. Jeua. 248
Früh am ersten Gesang corrigiii, . .
Tgb. 2. 60. 27.
März 17, Jena. 249
Abends ... Zu Scliiller, über die Eubriken der ein-
20 zelnen Gesänge.
Tgb. 2, 61, 13 f.
März 18, Jena. 250
Ich habe indessen meine Zeit gut angewendet, das
epische Gedicht wird gegen Ostern fertig und kommt
25 auch in Calenderform bei Yieweg in Berlin heraus. Aul
diesem Wege wird es am meisten gelesen und am besten
bezahlt. Was kann ein Autor mehr verlangen ....
. . . Mein Gedicht und dessen letzte Ausarbeitung
erfordert viel Aufmerksamkeit, Anfangs April geht die
erste Hälfte ab.
An H. Meyer. — Br. 12, 72. 1—6. 74, 8—10.
März 18, Jena. 251
Früh in Schillers neuem Garten . . vorher den ersten
und zweiten Gesang noch einmal durchgegangen.
Tgb. 2, 61, 15-17.
30
112 HERMANN UND DOROTHEA, 1797
März 19, Jeua. 252
Früh am Gedicht corrigirt, . .
Tgb. 2, Ol, 22.
März 20, Jena. 253
[Früh] Am Gedicht corrigirt, besonders am sechsten 5
[8. 9.] Gesänge. Sodann D. Scherer. . . [ISTach dessen
Weggang] "Weiter an dem Gedichte.
Tgb. 2, 61, 27 f. 62, 2 f.
März 21, Jena. 254
Ich bin nun so weit, dass die letzte Hälfte des Gedichts lo
nun auch rein abgeschrieben ist, freilich nicht zum
letztenmale; indess ist schon viel gewonnen, die erste
Hälfte ist beinah ganz im Reinen, doch gibt's immer
dabei noch genug zu tliun; es wird sich nun ausweisen,
wann ich wieder kommen kann. 15
. . . Sonst weiss ich weiter nichts zu sagen, denn, ich
habe mich diese Zeit fast bloss mit dem Gedicht be-
schäftigt, und fast weiter nichts gehört noch gesehn.
An Christiane. — Br. 12, 76, 1—6. 10—12.
März 21, Jena. 255 20
Früh den Schluss des letzten Gesangs^ x\nfang zur
Abschrift der drei letzten Gesänge [4 — 6 = 5 — 9]. Diese
^Nachmittags bei Schiller vorgelesen^.
Tgb. 2, 62, 5—7.
März 22, Jena. 256 25
Früh corrigirt. [Vossens] ,Luise^ durchgesehen.
Tgb. 2, 62, 9.
' Dieser „Schluss" war nur ein vorläufiger Abschluss, wie 128,
23—25 beweist. Der endgültige Schluss fand sich erst am
7. Juni ein, vgl. 129, 13 f.
- Kurz vor dieser oder der am 30. März stattfindenden Vorle-
sung mag ein Briefchen von Schillers Frau geschrieben sein,
in dem es heisst: ,, Schiller hat Ihnen unsre Wünsche vorge-
tragen, Sie machen uns unendlich glücklich, wenn Sie durch
Ihre Stimme auch diese neue zauberische Welt uns beleben,
liassen Sie es bald geschehen!" (GJ. 4, 235, hier ist als Da-
timi: März oder April 1797 gesetzt).
1707 HERMANN UND DOROTHEA. 113
März 25. Jeua. 2^1
Zu Hause gegessen, dann bei Humboldts die letzte
Hälfte des Gedichts [Gesang 4 — 6 = 5 — 9] gelesen.
Dann zu Schiller, über das Gedicht.
5 Tgb. 2, 62, 17—19.
März 27, Jeua. 2G8
[Vormittags] . . zu ihm [Schiller] in's Haus, wo er
viel über das Gedicht sprach.
Tgb. 2, 02. 2.5 f.
10 März 28, Jena. 259
Indessen suche ich meine Zeit so gut als möglich an-
zuwenden und habe eben ein episches Gedicht, das den
Titel: , Hermann und Dorothea' führen wird,
zu Ende gebracht. Es ^\ärd vielleicht gegen den Herbst
15 öffentlich erscheinen und ich ^^iinsche, dass Sie meiner
dabei im Guten gedenken mögen.
Au G. W. A. V. Pape. — Br. 12, 80, 17—22.
März 28, Jeua. 260
Wenn Du mein Gedicht sehen wirst, das beinahe ganz
20 geendigt und von vorn bis hinten nochmals durchge-
arbeitet ist, so wirst Du am besten beurtheilen können,
dass ich diese vier Wochen nicht müssig war.
Au Kuebel. — Br. 12, 81, 10—14.
März 30, Jeua. 261
2.5 Abends bei Schiller gelesen^.
Tgb. 2, 63, 15 f.
"■ Es ist möglich, ja wahrscheiulich, dass diese Notiz sich auf
,Hermaun und Dorothea' bezieht.
Am folgenden Tage, 31. März, kehrte Goethe nach Weimar
30 zurück. Schillers erster Brief nach diesem Beisammeuseiu,
am 4. April geschrieben, schliesst mit den Worten: „Mich
umgeben noch immer die schönen Geister, die Sie mir hier
gelassen habeu. und ich hoffe immer vertrauter damit zu
werden"; und am 7. April schreibt Schiller an Körner: „Das
35 epische Gedieht von Goethen. das ich habe entstehen sehen,
und welches, in unseren Gesprächen, alle Ideen über epische
und dramatische Kunst in Bewegung brachte, hat. verbunden
Graf, Goethe über s. Dichtungen T. I. 8
114 HERMANN UND DOROTHEA. 1797
April 8, TN'eimar. 262
Wir^ haben über die letzten Gesäuge ein genaues pro-
sodisches Gericht gehalten und sie so viel es möglich
war gereinigt. Die ersten sind nun bald in's Reine ge-
schrieben und nehmen sich, mit ihren doppelten In- 5
Schriften-, gar artig aus. Ich hoffe sie die nächste AVoche
abzusenden.
. . . Diejenigen Yortheüe, deren ich mich in meinem
letzten Gedicht bediente, habe ich alle von der bildenden
Kunst gelernt. Denn bei einem gleiclizeitigen, sinnlich lo
vor Augen stehenden Werke ist das üeberflüssige weit
auffallender, als bei einem, das in der Succession vor
den Augen des Geistes vorbeigeht. ... Es kommt im
Ganzen und im Einzelnen alles darauf an: dass alles von
einander abgesondert, dass kein Moment dem andern is
gleich sei; so vne bei den Charakteren, dass sie zwar be-
deutend von einander abstehen, aber doch immer unter
Ein Geschlecht gehören.
An Schiller. — Br. 12, 84, 8—13. 85, 1—6. 14—19.
April 8, Weimar. 263 20
Früh am Gedichte. . . . Knebel blieb lange [am
mit der Leetüre des Shakespeare und Sophokles, die mich seit
mehrern Wochen beschäftigt, auch für meinen ,Wallenstein'
grosse Folgen" (Schillers Br. 5, 169. 171).
^ Goethe und Wilhelm von Humboldt; dieser war vom 2. bis 25
9. April in Weimar.
* Aus der Nennung der „doppelten Inschriften" geht hervor,
dass jetzt, statt der alten Eintheilung in sechs Gesänge, die
heutige in neun beschlossen war: dergestalt, dass jeder Ge-
sang als erste „Inschrift" den Namen einer der neun Musen, 30
als zweite ein oder zwei auf den Inhalt des betreffenden Ge-
sanges bezügliche Worte trägt. Vielleicht war diess Ver-
fahren schon, im Gespräch mit Schiller, am 17. März (s. Nr.
249) festgesetzt worden; doch war zunächst jedenfalls noch
für die letzten Gesänge die alte Zählung: 5. 6 (= 7—9) in Ge- 35
brauch geblieben. Am 15. April nennt Goethe neben den „vier
ersten Musen" die „fünf letztern", vgl. Nr. 266 und G.I. 10.
204 f.
1707 HERMANN UND DOROTHEA. llü
[April 8, Weimar.] [263]
Xachniittag] . Vorlesung des fimften imd sechsten Ge-
sanges^.
Tgb. 2, 64, 8—11.
5 April 11, Weimar. 264
Hier kommen endlich die vier ersten Musen, haben
Sie die Güte, das was an ihren "Worten und Werken zu
erinnern ist, mit Bleistift zu unterstreichen, worüber
wir sodann mündlich conferiren. Ich wünsche sodann
10 auch Ihnen und unserm wackern Schotten- die letzten
Gesänge [5 — 9] vorzulesen.
Au Büttiger. — Br. 12, 85, 24—86, 4.
April 13, Weimar. 265
[Vormittags] Böttiger wegen des Gedichts^.
15 Tgb. 2, 64, 25 f.
April 15, Weimar. 266
Montags gehen die vier ersten Musen ab*, indess
ich mich mit den fünf letztern fleissig beschäftige, und
' Nimmt mau an (was nach 114, 28 f. erlaubt ist), dass hiev
unter Gesang 5. 6 nicht die beiden letzten Gesäuge zu ver-
stehen sind, sondern Gesang 4 der alten Zählung, dann fügt
sich folgendes aus dem April, doch ohne Tagesdatum, über-
lieferte Billet Knebels sehr wohl hier zwischen den 8. und
15. April ein, als etwa am 12. oder 13. April geschrieben:
..Wie geht es Dir, Lieber? Ich habe Dir seitdem jeden Tag
wieder danken wollen . . für Deine letzte liebe Vorlesung
[am 8.]. Möchte es Dir vielleicht einmal dünken, um den Oit
zu verändern, mir das Ende davon in meinem Garten ge-
messen zu lassen?-' (G.-Knebel 1, 146 f.).
- Unter dem ..Schotten" ist (hier und Nr. 267) wahrscheinlich
.Tames Macdonald zu verstehen, der seit Ende 1796 bei Bötti-
ger wohnte (Br. 12, 410 zu S. 86, 3; vgl. Düutzer: Freundes -
bilder S. 527).
= Es ist anzunehmen, dass Böttiger die am 11. April empCan-
geue Handschrift (s. Nr. 264) zurückgab, und die Vorlesung
der fünf letzten Gesänge auf den 15. April festgesetzt wurde.
' „Montags" den 17. April. Am 22. April meldet Vieweg an
Böttiger: ,.Mein sehnlichstes Erwarten ist erfüllt. Heute
•empfing ich den Anfang des Manuscripts, . ." (Zeitschrift
für Bücherfreunde 1. 147 b.)
20
116 HERMANN UND DOROTHEA. 17'Jl
[April 15, Weimar.] [266]
nun besonders die prosodischen Bemerkungen Freund
Humboldts benutzet
An Schiller. — Br. 12, 87, 14—17.
April 15, Weimar. 267 5
Abends Böttiger, v. Knebel und der Schotte. Vorle-
sung der fünf letzten Gesänge-.
Tgb. 2, 65, 5 f.'
April 19, Weimar. 268
Einen Gedanken über das episclie Gedicht will ich is-
doch gleich mittheileu. Da es in der grössten Euhe
und Behaglichkeit angehört werden soll, so macht der
Verstand vielleicht mehr als an andere Dichtarten
seine Forderungen, und mich wunderte diessmal bei
Durchlesung der Odyssee gerade diese Verstandesfor- 20
derungen so vollständig befriedigt zu sehen. Betrachtet
man nun genau, was von den Bemühungen der alten
Grammatiker und Kritiker, so wie von ihrem Talent
und Charakter erzählt wird, so sieht man deutlich, dass
es Verstandsmenschen waren, die nicht eher ruhten, 2»
bis jene grossen Darstellungen mit ihrer Vorstellungs-
art überein kamen. Und so sind wir, wie denn auch
Wolf sich zu zeigen bemüht, unsem gegenwärtigen
Homer den Alexandrinern schuldig, das dann
freilich diesen Gedichten ein ganz anderes Ansehen gibt. 30-
Xoch eine specielle Bemerkung. Einige Verse im
Homer, die für völlig falsch und ganz neu ausgegeben
' Schiller erwiderte am 18. April: „Zur Absendung der vier
ersten Musen wünsche ich Glück. Es ist in der That merk-
würdig, wie rasch die Natur dieses Werk geboren, und wie 35
sorgfältig und bedächtlich die Kunst es ausgebildet hat"
(Schillers Br. 5, 179).
- In Böttigers Aufzeichnungen heisst es entsprechend: „Don
15. April 1797. Ich habe diesen Abend die letzten fünf Ge-
siinse A-on .Hennann und Dorothea' vom Meistersäuger selbst io.
vorlesen höi-en" (.Literarische Zustände" 1, 77).
Ueber den „Schotten" vgl. 115, 30 f.
1797 HERMANN UND DOROTHEA. 117
[April 19, Weimar.] [268]
werden, sind von der Art wie ich einige selbst in mein
Gediclit, nachdem es fertig war, eingeschoben habe, um
das Ganze klarer und fasslieher zu machen und künftige
5 Ereignisse bei Zeiten vorzubereiten. Ich bin sehr neu-
gierig, was ich an meinem Gedicht, wenn ich mit meinen
jetzigen Studien^ durch bin, zu mehren oder zu mindern
werde geneigt sein, indessen mag die erste Eecension in
die Welt gehen.
10 Eine Haupteigenschaft des epischen Gedichts ist, dass
es immer vor und zurück geht, daher sind alle retar-
direnden Motive episch. Es dürfen aber keine eigent-
lichen Hindernisse sein, welche eigentlich in's
Drama gehören.
15 Sollte dieses Erforderniss des Eetardirens, welches
durch die beiden Homerischen Gedichte überschwäng-
lich erfüllt wird, und welches auch in dem Plan des
meinigen lag, Avirklich wesentlich und nicht zu erlassen
sein, so würden alle Plane, die gerade hin nach dem
20 Ende zu schreiten, völlig zu verwerfen oder als eine
subordinirte liistorische Gattung anzusehen sein. Per
Plan meines zweiten Gedichts [,Die Jagd'J hat diesen
Fehler, wenn es einer ist, und ich werde mich hüten, bis
wir hierüber ganz im Klaren sind, auch nur einen Yers
.25 davon niederzuschreiben. Mir scheint die Idee ausser-
ordentlich fruchtbar. Wenn sie richtig ist, muss sie uns
-viel weiter bringen und ich will ihr gern alles aufopfern-.
An Schiller. — Br. 12. 90, 10— 91. 25.
^ Die „Studien" beziehen sich auf Wolfs ,Prolegomena' (vgl.
Nr. 2 f.), auf die Homerischen Gedichte und die Poetik des
Aristoteles; ihr Zweck ist die klare Erkenntnis der Unter-
schied zwischen epischer und dramatischer Dichtung.
- Schiller antwortet am 21. April: ..Es wird mir aus allem, was
Sie sagen, immer klarer, dass die Selbstständigkeit seiner
Theile einen Hauptcharakter des epischen Gedichtes aus-
macht. Die blosse, aus dem Innersten herausgeholte Wahr-
118 HERMANN UND DOROTHEA. 1707
April 22, Weimar. 269
Ich danke Ihnen für Ihre fortgesetzten Betrachtungen
über das epische Gedicht^; ich hoffe, Sie werden bald
nach Ihrer Art, in einer schönen Folge, die Natur und
Wesen desselben ent'wickeln, hier indessen einige meiner 5-
Vermuthungen.
Ich suchte das Gesetz der Eetardation unter ein
höheres unterzuordnen, und da scheint es unter dem. zu
stehen, welches gebietet: dass man von einem guten
Gedieht den Ausgang wissen könne, ja wissen müsse und lo
dass eigentlich das W i e bloss das Interesse machen
dürfe. Dadurch erhält die Neugierde gar keinen Antheil
an einem solchen Werke und sein Zweck kann, me Sie
sagen, in jedem Puncto seiner Bewegung liegen.
Die Odyssee ist in ihren kleinsten Theilen beinah 15
retardirend, dafür wird aber aucli vielleicht funfzigmal
versichert und betheuert, dass die Sache einen glück-
lichen Ausgang haben werde. So viele den Ausgang
heit ist der Zweck des epischen Dicliters: er schildert ims
bloss das ruhige Dasein und Wirken der Dinge nach ihren 20
Naturen; sein Zweck liegt schon in jedem Punet seiner Be-
wegung, darum eilen wir nicht ungeduldig zu einem Ziele,
sondern verweilen uns mit Liebe bei jedem Sehritte. Er er-
hält uns die höchste Freiheit des Gemiitlis. und da er uns in
einen so grossen Vortheil setzt, so macht er dadurch sich 25
selbst das Geschäft desto schwerer, denn wir machen nun
alle Anforderungen an ihn, die in der Integrität und In der
allseitigen vereinigten Thätigkeit imserer Kräfte gegründet
sind. Ganz im Gegentheil raubt uns der tragische Dichter
unsre Gemüthsfreiheit. und indem er unsre Thätigkeit nach 30
einer einzigen Seite richtet und concentrirr. so vereinfacht er
sich sein Geschäft um vieles, und setzt sich in Vortheil. in-
dem er uns in Nachtlieil setzt.
Ihre Idee von dem i'etardireuden Gange des epischen Ge-
dichts leuchtet mir ganz ein. Docli begreife ich noch nicht 3»
ganz, nach dem was ich von Ihrer neuen Epopee weiss, dass
jene Eigenschaft bei dieser fehlen soll" (Schillers Br. 5, 180).
> s. 117. 33.
1797 HERMANN UND DOROTHEA. 119
[April 22, Weimar.] [269]
anticipirende Vorbedeutungen und Weissagungen
stellen, wie mich dünkt, das Gleichgewicht gegen die
ewige Ret^rdation -«deder her. In meinem ,Hermann'
bringt die Eigenschaft des Plans den besondern Reiz
hervor, dass alles ausgemacht und fertig scheint und
durch die retrograde Bewegung gleichsam wieder ein
neues Gedicht angeht.
So hat auch das epische Gedicht den gTOssen Vor-
theil, dass seine Exposition, sie mag noch so lang sein,
den Dichter gar nicht genirt, ja dass er sie in die Mitte
des Werks bringen kann, wie in der Odyssee sehr
künstlich geschehen ist. Denn auch diese retrograde
Bewegung ist wohlthätig; aber eben desshalb, dünkt
mich, macht die Exposition dem Dramatiker viel zu
schaffen, weil man von ihm ein ewiges Fortschreiten
fordert und ich würde das den besten dramatisclien
Stoff nennen, wo die Exposition schon ein Theil der
Entwicklung ist.
Dass ich aber nunmehr dahin zurückkehre, avo ich
angefangen habe, so wollte ich Ihnen Folgendes zur
Prüfung unterwerfen:
Mein neuer Stoff [,Die Jagd'] hat keinen einzigen
retardirenden Moment, es schreitet alles von Anfang
bis zu Ende in einer geraden Reihe fort, allein er hat
die Eigenschaft, dass grosse Anstalten gemacht werden,
dass man viele Kräfte mit Verstand und Klugheit in
Bewegung setzt, dass aber die Entwicklung auf eine
Weise geschieht, die den Anstalten ganz entgegen ist
und auf einem ganz unerwarteten, jedoch natürlichen
Wege. Xun fragt sich, ob sich ein solcher Plan auch
für einen epischen ausgeben könne, da er unter
dem allgemeinen Gesetz begriffen ist: dßss das eigent-
liche Wie und nicht das Was das Interesse macht,
oder ob man ein solches Gedicht nicht zu einer sub-
ordinirten Classe historischer Gedichte rechnen müsse.
120 HERMANN UND DOROTHEA. 1797
[April 22, Weimar.] [269]
Sehen Sie nun, mein Werther, Avie sich etwa diese zer-
streuten und flüchtigen Gedanken besser ausarbeiten
und verknüpfen. Ich habe jetzt keine interessantere
Betrachtung als über die Eigenschaften der Stoffe, in 5
wiefern sie diese oder jene Behandlung fordern. Ich
habe mich darinnen so oft in meinem Leben vergriffen,
dass ich endlich einmal in's Klare kommen möchte, um
wenigstens künftig von diesem Irrthum nicht mehr zu
leiden. Zu mehrerer Deutlichkeit schicke ich nächstens lo
meinen neuen Plan\
Au Schiller. — Br. 12, 92, 1-94, 10.
^ Schiller antAvortet am 25. April: ,,Dass die Forderimg des
Retnrdirens aus eiuem höheru epischeu Gesetze folgt, dem
auch uoch wohl auf eiuem auderu Wege Geuüge geschehen 15
kauu, scheiut mir ausser Zweifel zu sein. Auch glaube ich,
es gibt zweierlei Arteu zu retardireu, die eiue liegt iu der
Alt des Wegs, die audre iu der Art des Geheus. imd diese,
däucht mir. kauu auch bei dem geradesteu Weg uud folglich
auch bei eiuem Plan, wie der Ihrige ist, sehr gut statt finden. 20
Indessen möchte ich jenes höhere epische Gesetz doch
nicht ganz so aussprechen, wie Sie gethan haben. In d e r
Formel: dass eigentlich nur das Wie und nicht das Was
in Betrachtung komme etc.. dünkt es mir viel zu allgemein
uud auf alle pragmatischen Dichtungsarten ohue Unterschied 25
anwendbar zu sein. Wenn ich meinen Gedanken darüber
kurz heraus sagen soll, so ist er dieser. Beide, der Epiker
uud der Dramatiker, stellen uns eine Handlung dar, nur dass
diese bei dem letztern der Zweck, bei ersterem blosses
Mittel zu einem absoluten ästhetischen Zwecke ist. Aus 30
diesem Grundsatz kann ich mir vollständig erklären, wa-
rum der tragische Dicliter rascher und directer fort-
schreiten muss, warum der epische bei einem zögernden
Gange seine Rechnung besser findet. Es folgt auch, wie
mir däucht, daraus, dass der epische sich solcher Stoffe 35
wolü thut zu enthalten, die den Aftect, sei es der Neu-
gierde oder der Theilnahme. schon für sich selbst stark
erregen, wobei also die Handlung zu sehr als Zweck in-
teressirt, um sich in den Grenzen eines blossen Mittels zu
halten. Ich gestehe, dass ich dieses Letztere bei Ihrem 40
1797 HEKMAX.X INI) DOROTHEA. 121
[April 22, Weimar.] [2G9]
neuen Gedit-bt tnuigerinasseu fürc-htt-. obglcit-h ich Ilii'cr
poetischen Uebernnu-ht über den Stoff (bis Möj^bclie zu-
trauen darf.
5 Die Art. wie Sie Ihre Handlung entwickeln wolK-n,
scheint mir mehr der Komödie als dem Epos eigen zu sein.
Wenigstens werden Sie viel zu thuu liaben. ihr das Uel>er-
raschende, Verwunderung Erregende zu neluuen. weil dieses
nicht so recht episch ist.
10 Ich erwarte Ihren Plan mit grosser Begierde. Etwas be-
denklich kommt es mir vor ,dass es Humboldten damit auf
dieselbe Art ergangen ist wie mir, ungeachtet wir vorlier
nicht darüber communicirt liaben. Er meint uemlich, dass
es dem Plan an individueller epischer Handlung felile. Wie
15 Sie mir ztierst davon sprachen, so wartete aucli ich immer
auf die eigentliche Handlung; alles was Sie mir erzählten,
schien mir nur der Eingang und das Feld zu einer sob-hen
Handlung zwischen einzelnen Hauptfiguren zu sein, und
wie ich nun glaubte, dass diese Handlung angelieu sollte,
20 waren Sie fertig. Freilich begreife ich wohl, dass die
Gattung, zu welcher der Stoff gehört, das Individuum mehr
verlässt und mehr in die Masse und ein Ganzes zu gehen
zwingt, da doch einmal der Verstand der Held darin ist. der
weit mehr unter sich, als in sich fasst.
25 Uebrigens mag es mit der epischen Qualität Ihres neuen
Gedichts bewandt sein, wie es will, so wird es gegen Ihren
, Hennann' gehalten immer eine andere Gattung sein, und
w'äre also der .Hermann' ein reiner Ausdruck der epischen
Gattung und nicht bloss einer epischen S p e c i e s . so
30 würde daraus folgen, dass das neue Gedicht um so viel
weniger episch wäre. Aber das wollten Sie ja eben wissen,
ob der , Hermann' nur eine epische Art oder die ganze Gat-
tung darstelle, und wir stehen also wieder bei der Frage.
Ich würde Hu- neues Gedicht geradezu ein komisch-
35 episches nennen, wenn uemlich von dem gemeinen einge-
schränkten und empirischen Begriff" der Komödie und des
komischen Heldengedichts ganz abstrahirt wird. Ihr neues
Gedicht, kommt mir vor, verhält sich ungefähr ebenso zu
der Komödie, wie der .Hermann' zu dem Trauerspiel: mit
40 dem Unterschied nemlich, dass die.ser es mehr durch seinen
Stoff thut, jenes mehr durch die Behandlung.
Aber ich Avill erst Ihren Plan erwarten, um mein- darüber
zu sagen" (Schillers Br. .5. 181—183).
122 HERMANN UND DOROTHEA. 1707
April 28, Weimar. 270
Mein Gedicht ist fertigt, es bestellt aus zweitausend
Hexametern und ist in neun Gesänge getheilt, und ich
sehe darin wenigstens einen Theil meiner Wünsche er-
füllt; meine hiesigen und benachbarten Freunde sind 5
wohl damit zufrieden, und es kommt hauptsächlich
noch darauf an: ob es auch vor Ihnen die Probe aus-
hält? denn die höchste Instanz, vor der es gerichtet
werden kann, ist die, vor welche der Menschenmaler
seine Compositionen bringt^, und es wird die Frage lo
sein, ob Sie unter dem modernen Costüm die wahren
echten Menschenproportionen und Gliederformen an-
erkennen werden? Der Gegenstand selbst ist äusserst
glücklich, ein Sujet, wie man es in seinem Leben viel-
leicht nicht zweimal findet. Wie denn überhaupt die i5
Gegenstände zu wahren Kunstwerken seltner gefunden
werden als man denkt, desswegen auch die x^lten be-
ständig sich nur in einem gewissen Kreis bewegen^.
An H. Meyer. — Br. 12, 109, 16—110, 5.
Mai 3, Weimar. 271 20
Ich . . hoffe Sie bald zu sehen und Ihnen die letzten
Gesänge meines Gedichts vorzutragen.
An G. Hufeland. — Br. 12, 114. 20—22.
Mai 10, Weimar. 272
[Vormittags] Bei der regierenden Herzogin das 25
epische Gedicht gelesen.
Tgb. 2, 07, 21 f.
30
^ Das lieisst: im Allgemeinen „fertig", im Besondern l)lieb
noch manches, znmal am eigentlichen Sclilnsse, zu thnn.
' A'gl. 135. 3 f.
* Fast wih-tlich ist diese ganze Stelle aufgenommen in den
ersten Abschnitt , Einleitendes" des von Eckermann bear-
beiteten Werkes ,Ans einer Reise in die Schweiz iil)er Frank-
furt, Heidelberg, Stuttgart und Tübingen im .Tahre 1707'.
WH. 2(5. 20. 35
1707 HERMANN UND DOROTHEA. 123
Mal 13, Weiuiav. 273
Von Humboldt habe ich einen weitläufigen nnd
freundschaftlichen Brief, mit einigen guten Anmer-
kungen über die ersten [4] Gesänge, die er in Berlin
5 nochmals gelesen hat\ Auf den Montag [15. Mai]
schicke ich abermals viere [5 — 8] fort und komme
nach Jena, um den letzten zu endigen-. Auch mir
kommt der Friede zu Statten, und mein Gedicht ge-
winnt dadurch eine reinere Einlieit^.
10 An Schiller. — Br. 12, 120, 17—23.
Mai 13. Weimar. :;74
t'orrectur am Gedicht*.
Tgb. 2, 67,27.
' Wilhelm von Humboldt hatte am 24. April, im Begriff Joua
15 zu verlassen, Goethe mitgetheilt: ..Von Berlin aus schreibe
ich Ihnen gleidi. Ich sehne mich sehr, Ihren , Hermann'
dort wiederzusflien [im Driidimanuscript und in Correctur-
bogen], er wird mich so lebendig zu Ihnen zurückver-
setzen" (G.-Humboldt S. 28i. Humboldts ..weitläutiger" Brief
20 (vom 6. Mai) enthält auf den letzten Seiten eine grössere
Zahl von Bemerkungen über das Yersmass xmd die Inter-
punctiou der ersten Gesänge (s. G.-Humboldt S. 32—3-5).
== Am 10. Mai erwiderte Schiller: „Es ist reclit schön, dass
Sie Ihr Gedicht, das hier angefangen wurde, auch hier
25 vollenden. Die .Tudenstadt darf sich was darauf einbilden.
Ich freue mich schon im voraus, nicht auf das Gedicht
allein, auch auf die schöne Stimmung, in welche die Dich-
tung und die A'oUendung Sie versetzen wird" (Schillers Br.
.5, 194. Ueber den nicht genügend erklärliaren Ausdruck
30 ...Tudenstadt" vgl. .lonas in der Anmerkung zu diesem
Briefe 5, 526).
* Die Nachricht vom Frieden zu Leoben. am IS. April
zwischen Oesterreich und Frankreich geschlossen, war am
24. April in Weimar eingetroffen (vgl. Br. 12, 100, 1-A und
35 die Lesart dazu S. 412).
* Wahrscheinlich an Gesang 5—8. die (nach Nr. 273) am 15.
Mai abgeschickt werden sollten; ebenso wird die Be-
sprechung mit B.Utiger am 14. Mai (s. Nr. 276) sich zum Theil
auf diese vier (»esänge bezogen haben.
124 HERMANN UND DOROTHEA. 1797
Mai 14 und 15, Weimar. 275
Wie viel Dank bin ich Ihnen schuklig, werthester
Fremid, dass Sie, bei so vielen eignen Geschäften,
meinem Gedicht noch eine solche Aufmerksamkeit wid-
men wollen, die ich selbst darauf zu wenden nicht im 5
Stande wäre; "wie sehr bin ich Ihnen verpflichtet für
die feinen kritischen Bemerkungen, da ich an meinen
Sachen, sobald die Stimmung, die sie hervorbrachte,
vorüber ist, so wenig zu thun im Stande bin.
Auf einem beiliegenden Blatte finden Sie die Verän- lo
derungen, die ich versucht liabe, und es soll ganz von
Ihnen abhängen, ob Sie solche genehmigen, das Alte
beibehalten, oder etwas Eigenes, Ihrer Ueberzeugung
Gemässes, einschalten wollen.
Der Druck^ ist freilich nicht sehr reizend, allein da es i5
einmal Calenderformat sein soll, und da man noch
^ In Humboldts ausfühi'lichem Briefe vom 6. Mai lieisst es:
..Vieweg liat . . mir das bereits Abgedruckte vorgelegt, und
auch Ihr Manuscript noch einmal zur Diux-hsicht der et-
waigen Schreibfehler mitgetheilt. 20
Den I)i-uck haben Sie jetzt selbst schon gesehen. Ich
muss offenherzig gestehen, dass ich ihn nicht billigen kann.
Die Lettern mcichten noch angehen, allein die Kleinheit des
Formats, die Enge der Zellen und noch ausserdem der ganz
überflüssige Strich unter der Seitenzahl, der das Ganze noch 25
mehr drückt, machen, dünkt mich, keinen recht angenehmen
Eindruck" . Vieweg. der übrigens alles, was in seinen
Kräften stehe, zu thun bereit sei, wolle indess eine „Neben-
auflage" von 500 Exemplaren, in anderem Format, mit an-
deren Lettern veranstalten. ,.Er hat auf meinen Vorsehlag 30
eine Probe davon mit deutscher und lateinischer Schrift
drucken lassen, die er mir aufträgt. Ihnen anliegend zu
übermachen. . . . Ich gestehe zwar offenherzig, dass es
mir nicht lieb ist, dass der , Hermann', für den ich einen so
lebhaften Enthusiasmus fühle, nicht in dem allerschönsten 35
Gewände erscheint; im Ganzen aber ist doch, glaube ich,
für das Gedicht gewonnen, dass es in einem A 1 m a n a c h e
gedruckt wird. Dadurch und selbst durch die deutschen
1797 HERMANN UND DOROTHEA. 125
[Mai 14 und 15, Weimar.J [275]
überdiess wegen schon fertiger Decke genirt ist, so mnss
er denn wohl hingehen, übrigens ist er denn doch deut-
lich und nicht unangenehm zu lesen. Da es bei diesem
5 Gedicht auch mit um die augenblickliche Ausbreitung
zu thun ist, so war diese Calendergestalt, nach der jetzi-
gen Ijage der Dinge, immer das bequemste Veliikel.
Zur zweiten Ausgabe würde ich die lateinische
Schrift wählen, da sie heiterer aussieht, und da auch
10 wir nun schon einen deutschen Druck haben; ich glaube
denn doch zu bemerken, dass der gebildete Theil des
Publicums sich durchaus zu lateinischen Lettern hin-
neigt.
Auf den Kupfern, welche die Musen vorstellen
15 sollten, bestehe ich nicht weiter, so Avie es auch scheint,
dass Yieweg sich wegen der Landschaften beruhigt. Es
traf sich mit diesen Blättchen gar zu sonderbar, dass
sie gerade Vorstellungen enthalten, die mir äusserst
verhasst sind, und die ganz antipodisch zu meiner
20 Denk- und Dichtart stehen. Böttiger, der mir manches
von Vieweg gebracht hat, erwähnt derselben nicht
weiter, und ich wünsche, dass es auch dabei verbleibe'.
30
Lettern erhält os ein ungleich grösseres Publicum, nud
(liess ist bei einem solchen Producte, das eines so allgemeinen
Eindrucks fähig ist, in der That nicht gleichgültig" (G.-
Humboldt S. 29 f.).
' Statt der anfänglich vorgeschlageneu Illustrationen zu .Wil-
helm Meister' hatte Goethe Darstellungen der neun Musen
gewünscht, entsprechend den Ueberschriften der neun Ge-
sänge, und hatte zur Ausführung Schadow in Berlin empfoh-
len. Dieser Künstler aber konnte aus Mangel au Zeit die
Arbeit nicht übernehmen. So blieben denn schliesslich nur
jene Goethen „äusserst verhassteu" Gartenansichten übrig
(„von Darnstedt nach Schubert" gestochen, wie Vieweg an
Böttiger, am 11. März, berichtet). Ueber diese Kupfer schrieb
Humbdldt, mit Bezug auf Yieweg, am 6. Mai: „Er habe nie
dieAlisicht gehabt, sie Ihrem Gedichte beizufügen. Sie hätten
120 HERMANN UND DOROTHEA. 17U7
[Mai 14 und 15, Weimar.] [275]
Die vier nächsten Musen [5 — 8] gehen heute über
acht Tage ah. Erlaubt es Ihnen Ihre Zeit, so gönnen
Sie auch diesen einen aufmerksamen Bhck. Wie
manches wird noch darinnen anzuzeichnen sein! ob 5
ich gleich selbst nicht einmal die Schreibfehler darin
mehr gewahr werde, besonders da ich es vor einigen
Tagen wieder vorgelesen habe^ wodurch mir alles In-
teresse auf eine ganze Zeit wieder erschöpft ist.
Heute über acht Tage denke ich denn auch wieder lo
nach Jena zu gehen, da ich denn den Schluss des neun-
ten Gesanges bald zu finden hoffe, besonders da die
Erfüllung des Friedens auch meine Arbeit begünstigt.
.... haben Sie nochmals meinen besten Dank.
An W. V. Humboldt. — Br. 12, 121, 5 —123, 1. lö f. is
bloss in der Zeitrechnung stehen und also ebenso abgeson-
dert von Ihrem , Hermann' sein sollen, als das von Ihnen
bereits gebilligte [Titel-] Kupfer der königlichen Familie. So-
viel ich gesehen habe, läge ihm sehr viel daran, dass Sie ihm
die Erlaubniss ertheilten, diesen Plan doch noch auszuführen. 20
Er versichert, dass ihm eine nicht unbeträchtliche Menge
von Käufern sonst entgehen würde, die ohne Rücksicht auf
weitern Inhalt nur eiiieu Caleuder. aber keinen Calender
ohne Kupfer kaufen wollen, und die ihm doch nicht unbe-
deutend sein können. Ich habe die Landschaften nicht ein- 25
mal gesehen, nnd habe also gar kein eigenes Urtheil darüber.
Ich habe Ihnen nur sein Anliegen, da er wirklich ein guter
braver Mann ist und sich mit diesem Unternehmen sehr viel
Mühe gibt, vortragen wollen" (G.-Humboldt S. 31).
Am 20. Juni sandte Vieweg einen Probedruck des Titel- so
Kupfers für Goethe an Böttiger und bat diesen, Goethes Ein-
willigung für die Benutzung der fraglichen Landschaften zu
erwirken, von denen er gleichfalls Probedrucke mitschickte.
..Eine Ausgabe", setzte Vieweg hinzu, ,.ist, wie Sie wissen,
ganz ohne Kupfer", und: „Die Vorstellungen aus Goethes 35
.Meister' werden leider nicht fertig" (Zeitschrift für Bücher-
freunde 1, 148a). Goethe muss seine Einwilligung gegeben
haben, denn das Taschenbuch erschien mit den Landschaften.
' Am 10. Mai, s. Nr. 272.
1797 HERMANN UND DOROTHEA. 127
Mai 14, Weimar. 27G
Früh Böttiger. . . . Geld von Yieweg\
Tgb. 2. 68. 1.
Mai 17, Weimar. 277
5 Der Beifall, den Du meinem Gediclite geben magst,
ist mir imschätzbar, icli wünsche, dass Du es desselben
bis zu Ende und auch künftig werth finden mögest-.
An Herder. — Br. 12, 124, 5—7.
Mal 17, Weimar. 278
10 Ich suche so viel als möglich aufzuräumen, um mir
ein paar ganz freie Wochen zu verdienen, und womög-
lich die Stimmung vom Schluss meines Gedichts zu
finden.
Au Scliiller. — Br. 12, 124, IG— 19.
15 Mai 26, Jena. 279
Es ist mir sehr angenehm zu hören, dass Sie mit der
Interpunction des Gedichtes zufrieden sind, und wir
haben Ursache dem Freunde^ dankbar zu sein, der uus
diesen Dienst leistet, es ist eine Kunst, die ich nie
20 habe lernen könneu.
. . . Meinem ruhigen Aufenthalte hier ist die Muse
nicht ganz ungünstig, doch habe ich den Schluss des
Gedichtes noch zu erwarten.
An Böttiger. — Br. 12, 128, 1-5. 14—16.
25 Mai 29, Jena. 280
Am letzten Gesänge. "Ward derselbe abgeschrieben.
Tgb. 2, 70, 22 f.
Juni 3, Jena. ^81
Den letzten Gesang scliicke ich morgen durch einen
30 Boten, damit Freund Vieweg nicht abgehalten werde;
Vgl. 123, 37—39. Vieweg schickte einen Tlieil des Honorars
für .Hermann und Dorothea'.
In einem uudatirten. wahrscheinlich am 8. Mai 1797 geschrie-
benen. Billet Herders heisst es: „Gestern habe ich vier Ge-
sänge Deiner Helden Dorothea und braven Hermann gehört;
mit grosser Freude" (GJ. 8, 36).
Wilhelm von Humboldt, vgl. 123. 19—22.
128 HERMANN UND DOROTHEA. 1797
[Juni 3, Jena.] [281]
ich wünsche selbst, dass Herr von Humboldt noch einen
Blick darauf werfen möge. Die eingegangenen 100 l)n-
caten bitte nebst beiliegendem Billete in mein Haus zu
schicken und nur gegen einen Empfangschein abgeben 5
zu lassen.
Grüssen Sie Herrn Vieweg schönstens und danken
ihm für volhdchtige Bezahlung; ich werde, wenn ich
den kleinen Eest des Gedichts schicke, selbst schreiben^.
Was noch abgeht ist wenig über 100 Hexameter, also lo
etwa noch vier Blätter.
Zu der andern Ausgabe- bin ich ganz wohl mit der
hierbei zurückkommenden lateinischen Schrift zufi-?e-
den, nur wünsche ich einen breiten Steg" und über-
haupt viel Rand, als die wahre Zierde eines Buches. i5
An Böttiger. — Br. 12, 134, 20—135, 11.
Juni 3, Jena. 282
[Brief nach] "Weimar [an] Oberconsistorialrath Böt-
tiger: Quittung über die 1000 rh. Wegen der Ausgabe
mit lateinischen Lettern*. 20
Briefverzeicliniss 1797. — Br. 12, 462.
Juni 3, [Jena.] 283
Hierbei ,Urania''*. Möchten uns doch die Xeune, die
uns bisher beigestanden haben, bald noch zum epischen
Schweife verhelfen. ... 25
Ich bitte mir den Gesang, sobald Sie ihn gelesen
haben, wieder zurückzuschicken, indem ich ihn gleich
abzusenden denke.
An Schiller. — Br. 12. 136, Cy—S. 20—22.
^ Das geschah am 8. Juni, s. Nr. 288. 30
^ Vgl. 124, 27—33.
' Unter ,,Steg" versteht Goethe hier den inneren der vier zu
einer Seite gehörigen Stege, den sogenannten „Bundsteg",
das heisst: den weissen Raum an der Innenseite des gefalzten
Bogens. 35
' s. Z. 12—1.5.
° Der neunte Gesang, mit Ausnahme der letzten (nach Z. 10
etwa 100) Hexameter.
1797 HERMANN UND DOROTHEA. 12J)
Juni 4, Jena. 284
[Xacli] Weimar [an] Oberconsistorialratli Böttiger:
, Urania' übersendet^.
Briefverzeichuiss 1797. — Br. 12, 402.
5 Juni 6, Jena. 285
Schreibe mir doch, ob Böttiger Dir die 100 Dueaten
mit einem Briefe Ton mir überschickt hat? ob Du den
Schein abgegeben und das Geld verwahrt hast?-
. . . Der Sehluss des Gedichtes hat sich noch nicht
10 gezeigt, . .
An Christiane. — Br. 12, 144, 19—22. 14.'5, lU f.
Juni 7, Jena. 286
Hnniboldtische Erinnerung zum Gedicht^. Sehluss des
epischen Gedichtes. Briefe an Humboldt und Vieweg*.
15 Tgb. 2, 72, 20—22.
Juni 8, .Jena. 287
Früh Sendung an Yieweg geschlossen^.
Tgb. 2, 72. 24.
• p. Nr. 283.
20 ' Vgl. 128, 3—6.
^ Am 30.Mai tiatte Wilhelm von Humboldt geschrieben: ..Ver-
zeihen Sie. theurer Freund, wenn ich heute auf Ihren freund-
schaftlichen Brief vom 14. dieses (Nr. 275) nichts, als einige
Bemerkungen über Ihre neuen, vier Musen [Gesang 5—8] er-
25 widern kann"; es folgen mehrere Aenderungsvorschläge. die
sich jedoch nur auf Gesang 5. 6 beziehen, dann heisst es
weiter: .,Ihre vorigen Aenderungen [s. 124. 10—14] habe ich,
so viel es geschehen konnte, eingeschaltet. Einige nun abgeän-
derte Stellen waren aber schon abgedeckt. Konnten Sie mir
30 Ihre Meinung über die drei mit NB. bezeichneten Stellen mit
umgehender Post sagen, so wäre es mir sehr lieb. Theils geht
der Druck schnell, theils reise ich bald ab. . . .
Möchte mir Ihre neunte Muse noch hier erscheinen!" (GJ. 8.
67-69).
35 * Die Absendung der Briefe, die beide nicht erhalten zu sein
scheinen, erfolgte erst am 8. Juni, s. Nr. 288.
= s. Nr. 288.
Graf, Goethe über s. Dichtungen T. I. 9
130 HERMANN UND DOROTHEA. 1797
Juni 8. Jena. 288
[Xach] Berlin [an] Friedrich Vieweg: Das Ende des
epischen Gedichts geschickt. Dank für gute Bezahlung.
[Xach] Berlin [an] Legationsrath von Humboldt:
Verbesserungen einiger Stellen\ 5
Briefverzeichniss 1797. — Br. 12. 462 f.
^ Vgl. 129. 21—31. In Humboldts Brief vom 30. Mai hiess es:
„ . . haben Sie die Güte Ihren Eutschluss. wie diese oder
die übrigen [von Humboldt angemerkten] Stellen bleiben
sollen, lieber geradezu an Vieweg zu schicken, und ihm auch lo
die Antwort auf diesen Brief einzulegen. Meine Abreise ist
noch ungewiss, doch sicherlich bald" (G.I. 8, 69).
Goethes Antwort wurde, da Humboldt inzwischen nach
Dresden gereist war, diesem dahin nachgeschickt; auf sie
nimmt Humboldt in einem undatirteu. hier einziiordnenden, 15
Schreiben an Vieweg Bezug: ..Ich sage E. W. den gehor-
samsten Dank für die mir gütigst mitgetheilten zwei Bogen
des Goetheischen Gedichts. . . .
Von den überschickten Aenderungen sind nicht alle mehr
zu benutzen gewesen. Goethe äussert, ob Sie nicht die, welche 20
jetzt nicht aufgenommen werden konnten, in der neuen Aus-
gabe mit lateinischen Lettern brauchen wollten, und ich
hielte diess für ganz schicklich" (Berichte des Freien Deut-
schen Hochstiftes N. F. 1889 5, 261).
An Goethe schrieb Humboldt, in Erwidemng des Briefes 25
vom 8. Juni, am 28. dieses Monats: ..Ihre Aenderungen der
angezeigten Stellen hat mir Vieweg nicht mitgeschickt. Er
schreibt mir indess, dass er. ZAvei ausgenommen, von allen
übrigen hat Gebrauch machen können. Ich bewundere, wie
unermüdlich Sie beschäftigt sind, diesem schönen Werke 30
auch die letzte Vollendung zu geben, und da Sie es wünschen,
so sollen meine kleinlichen Bemerkungen auch mit dem
Druck selbst noch nicht aufhören.
Der Schluss des Ganzen, den Sie mir zugleich mittheilen,
ist Ihnen vortrefflich gelungen. Er hilft das grosse Bild voa 35
der Lage der Zeit nach der neuen L'mgestaltuug der Dinge,
worauf das ganze Gedicht wie auf einer Ungeheuern Basis
ruht, trefflich vollenden, und die Gesinnungen der beiden
Verlobten Dorotheens greifen so schön ineinander ein, dass
sie nun im eigentlichsten Verstände alles umschliessen. was -»o
nur über diesen Gegenstand menschlich gedacht und empfun-
den Averdon kann . . . ." (G.-Humboldt S. 38.)
1797 HERMANN UND DOROTHEA. 131
Juni 9, Jena. 289
Die beste Xacliricht. die ich Dir zu geben habe, ist
denn doch wohl, dass das Gedicht fertig ist, und so wäre
es recht gut, wenn ich nur sonst ruhen könnte; . .
5 An Christiane. — Br. 12, 151, 15—17.
Juni 9. Jena. 290
[Xach] Weimar [Brief an] Geheimen Kath Voigt:
Schluss des Gedichts angezeigte
[Xach] Weimar [Brief an] Consistorialrath Böttiger:
10 Xachricht des geendigten Gedichts und der Absendung.
[Xach] Weimar [Brief an] Demoiselle Yulpius:
Xachricht vom geendigten Gedicht".
Briefverzeicbuiss 1797. — Br. 12, 4G3.
Juni 12, Jena. 291
15 Das Gedicht, dessen Anfang Ihnen nicht missfiel, ist
nun geendigt und es wird nun bald in die deutsche Welt
ausgehen^.
An den Herzog Karl August. — Br. 12. 153, 1—3.
Juni 13, Jena. 292
20 Ew. Wohlgeboren gratuliren mir gewiss, dass das
Ende des Gedichtes endlich erschienen sei; ich wünsche
nur auch Ihre Gratulation zu vernehmen, dass eben
dieses Ende gerathen sei; haben Sie die Güte, solches
nunmehr an Herrn Yieweg zu befördern.
25 An Böttiger. — Br. 12, 155, 10—14.
][Juni 13, Jena.] 293
Sie haben an dem Gedichte einen so gütigen Antheii
genommen, dass ich wohl wagen darf den Schluss zu
überschicken in der Hoffnung, dass Sie ihn dem Uebri-
30 ' Dieser Brief scheint sich nicht erhalten zu haben, ebenso
wenig der folgende an Böttiger.
- s. Nr. 289.
' Vgl. Nr. 187. Der Herzog erwiderte am 17. Juni: „Sehr freue
ich mich . . zumal auf das Gedicht par excellence" (G.-Karl
35 August 1, 218).
332 HERMANN UND DOROTHEA. 1797
][Juui IJ, Jena.] [293]
gen nicht ungleich finden werden. Das Ganze schien mir
zu fordern, dass die zwei Ges.innungen, in die sich jetzt
beinahe die ganze Welt thedlt, neben einander und zwar
auf die Weise, wie es geschehen ist, dargestellt würden, s
An die Herzogin Luise. — Br. 12, 157, 18—158, 6.
Juni 13, Jena. 294
[Xach] Weimar [an] Oberconsistorialrath Eöttiger:
Ende des Gedichts.
[Xach] Weimar [an die] Eegierende Herzogin: Das lo
Ende des Gedichts^, . .
Briefverzeichuiss 1797. — Br. 12, 463.
Juni 22, Weimar. 295
Die vergangenen vier Wochen habe ich in Jena zuge-
bracht und daselbst mein episches Gedicht geendigt, . . i5
von jenem habe ich zuletzt keine reine Abschrift in
Händen behalten^, sonst würde ich Ihnen das Ganze
geschickt und es nochmals^ zu freundschaftlichem An-
theil empfohlen haben. Nehmen Sie es freundlich auf,
wenn es gedruckt vor Sie kommt. 2a
An Körner. — Br. 12, 166, 1—3. 5—9.
s. Nr. 292. 293.
' Körner hatte am 29. Mai geschrieben: ,,Uns verlaugt sehr
nach , Hermann und Dorothea' und bis Michael können wir
uns unmöglicli gedulden. Eine Abschrift haben Sie doch 25
wohl bei sich, wenn Sie noch diesen Sommer zu uns
kommen?" (GJ. 8, 56.)
Am 1. Mai hatte Schiller Körnern mltgetheilt: „Goethens
, Hermann und Dorothea' ersciieint diese Michaelismesse in
Calenderform bei Vieweg in Berlin. Er hat diese Form vor- 30
gezogen, theils weil man ihn noch einmal so gut dafür be-
zahlen kann, theils, um das Gedicht auf diese Weise recht
in Umlauf zu bringen" (Schillers Br. 5, 185).
Vgl. 105. 27—30. 110, 36 f. Körner antwortete auf obigen
Brief am 30. Juni: .,Auf , Hermann und Dorothea' warte ich 3&
wie die Kinder auf Weihnachten. Humboldt verspricht mir
die Aiishängel)ogen zu schaffen" (GJ. 8, 56 f.).
1797 HERMANN UND DOROTHEA. 133
Juli 1, Weimar. 296
Von meinem Gedichte sind sieben Bogen angekommen,
welche fünf Gesänge und die Hälfte des sechsten ent-
lialten.
5 An Schiller. — Br. 12. 179. 17 f.
Juli 7. Weimar. 297
^Zum AA'illkomm auf deutschem Grund und Boden
sende ich Ihnen etwas über die Hälfte meines neuen Ge-
dichtes. Möge Ihnen die Aura, die Ihnen daraus ent-
10 gegenwehet, angenehm und erquicklich sein. Weiter
sage ich nichts.
An H. Meyer. — Br. 12, 186, 7—11.
Juli 7, Weimar. 298
[Nach] Stäfa bei Zürich [an] Professor Meyer:
15 Uebersendung der ersten Aushängebogen- des ejjischen
Gedichts.
Brielverzeiclmiss 1797. — Br. 12, 4G4.
Juli 14, Weimar. 299
Ich hoffe, Sie haben meinen Brief vom 7. [Juli] mit
20 dem Anfange des Gedichts richtig erhalten^, . .
An H. Meyer. — Br. 12, 191, 11—13.
' Die Stelle ist, Avie Xr. 270, wörtlich in den ersten Abschnitt
der , Reise in die Schweiz 1797' aufgenommen worden
(WH. 26. 25). — Meyer kehrte gerade aus Italien zurück.
25 ' Vgl. Nr. 297.
^ Als Ersatz für die vorerst noch ungedruckte Antwort
^leyers (vgl. aber Xr. 302) sei hier eine Stelle aus Schillers
Brief an Meyer vom 21. Juli eingefügt: ,,Auch wir waren in-
dess [während Meyers Aufenthalt in Italien] nicht unthätig,
30 wie Sie wissen, und am wenigsten unser Freund, der sich in
diesen letzten Jahren wirklich selbst übertrofCen hat. Sein
episches Gedicht haben Sie gelesen; Sie werden gestchen, dass
es der Gipfel seiner und unsrer ganzen neueren Kunst ist. Icii
hab' es entstehen sehen und mich fast eben so sehr über die
35 Art der Entstehung als über das Werk verwundert. Während
wir andern mühselig sammeln und prüfen müssen, um etwas
Leidliches laugsam hervorzubringen, darf er nur leis an
dem Baume sclüittelu, um sich die schönsten P'rüchte, reif
134 HERMANN UND DOROTHEA. 1797
Juli 20, Weimar. 300
. . lassen (Sie) sich mein idyllisch-episches Gedicht
gefallen. Leider ist auch dieses wie die meisten meiner
Sachen beinah nur aus dem Stegreife; meine Tage
rollen sich gar zu geschwinde auf, und ich möchte mir 5
die Ehre anthun, mich mit der Leier des Orpheus zu ver-
gleichen, die nur noch zufällige Töne von sich gibt, in-
dem sie von den Wellen eilig dem grossen Meere zuge-
schaukelt wird.
An Körner. — Br. 12, 198, 21— 199, 7. lo
Juli 26, Weimar. 301
Vom Viewegischen Almanach wünschte ich folgende
Exemplare abgegeben.
An die drei Fürstlichen Per^onen^; jeder ein
Exemplar 3 i5
Herder 1
"Wieland 1
Schiller 2
Voigt 1
In mein Haus 2 20
Nach Frankfurt an meine Mutter 2
Ex! 12
Die allenfalls übrigen bitte mir aufzuheben-.
An Böttiger. — Br. 12, 200, 12—22.
und scliwer, zufallen zu lassen. Es ist unglaublich, mit 25
welcher Leichtigkeit er jetzt die Früchte eines wohlange-
wandten Lebens und einer anhaltenden Bildung an sich
selber einerntet, wie bedeutend und siclier jetzt alle seine
Schritte sind, wie ihn die Klarheit über sicli selbst und über
die Gegenstände vor jedem eiteln Streben und Herumtappen 30
bewahrt" (Schillers Br. 5, 226).
^ Herzog Karl August, Herzogin Luise, Herzogin-Mutter Anna
Amalia.
* Goethe traf diese Anordnung, da er bei der Ankunft der
Exemplare voraussichtlich nicht in Weimar war. Seine Ab- 35
reise erfolgte am 30. Juli, die Ankunft in Frankfurt am Main
am 3. August.
1797 HERMANN UND DOliOTHEA. 13:>
August 5, Frankfurt. 302
Der Beifall, den Sie meinem Gedichte geben, ist mir
unendlich schätzbar, denn der Menschenmalcr ist eigent-
lich der competenteste Richter der epischen Arbeit\ L'ie
::5 nachfolgenden Bogen sollen, hoff' ich, noch vor mir bei
Ihnen eintreffen. Ich habe diese Arbeit mit vieler Sorg-
falt und völligem Be^nlsstsein, obgleich in kurzer Zeit,
fertig gebracht.
An H. Meyer. — Br. 12, 211. 12—18.
10 August [12], Frankfurt. 303
Hier möchte ich nun mich an ein grosses Stadtleben
wieder gewöhnen, mich gewöhnen nicht nur zu reisen,
sondern auch auf der Eeise zu leben; wenn mir nur dieses
vom Scliicksal nicht ganz versagt ist, denn ich fühle
15 recht gut, dass meine Xatur nur nach Sammlung und
Stimmung strebt, und an allem keinen Genuss hat, was
diese liindert. Hätte ich nicht an meinem ,Hermann
und Dorothea' ein Beispiel, dass die modernen Gegen-
stände, in einem gewissen Sinne genommen, sich zum
20 Epischen bequemten, so möchte ich von aller dieser
empirischen Breite nichts mehr wissen.
An Schiller. — Br. 12. 228, 17— 229, 5.
] [August 10. Frankfurt.] 304
Die letzten Bogen des epischen Gedichtes bitte ich
25 baldmöglichst immittelbar an Herrn Professor Meyer
[nach Stäfa] zu schicken.
An Böttiger. — Br. 12, 241, 3-5.
September 5, Stuttgart. 30.5
Abends bei Rapp. Vorlesung des .Hermann'-.
30 Tgb. 2. 124. 28.
» Vgl. 122. 8—10.
^ Diese Notiz üuclet sich gleichlautend in der .Reise in die
Schweiz 1797'. nur ist hier der Titel der Dichtung vervoll-
ständigt in .Ht^rniann und Dorothea' (WH. 26, 81).
13G HERMANN UND DOROTHEA. 1797
] [September 12. Tübingen.] 306
Als ich [in Stuttgart] bemerken konnte, dass mein
Verhältniss zu Rapp und Dannecker im 'W'aclisen war
und beide manchen Grundsatz, an dem mir theoretisch
so viel gelegen ist, aufzufassen nicht abgeneigt waren, 5
auch von ihrer Seite sie mir manches Angenehme, CJute
und Brauchbare mittheilten, so entschloss ich mich,
ihnen den ,Hermann'' vorzulesen, das ich denn auch in
einem Abend vollbrachte. Ich hatte alle Ursache mich
des Effects zu erfreuen, den er hervorbrachte, und es lo
sind uns allen diese Stunden fruchtbar geworden^
An Schiller. — Br. 12, 3U0, 12—22.
September 12, Tübingen. 307
[Brief nach] Jena [an] Hofrath Schiller: Letzte Tage
des Stuttgarter Aufenthalts. Rapp. Dannecker. Yorie- i5
sung des , Hermann'- [s. Nr. 306].
Bnefverzeiehniss 17'J7. — Br. 12. 409.
^ Fast wörtlich übereinstimmend in der , Reise in die Schweiz
1797', hier ist der Brief vom 14. September datirt (WH. 26,
97). — Die Vorlesung hatte am 5. September bei Rapp statt- 20
gefunden (vgl. Nr. 305). Dannecker erzählt von ihr in einem
Briefe an Wilhelm von Wolzogen, am 20. October 1797:
..Meinem Schwager [Rapp] und seiner Frau, meinem lieben
Weibchen und mir las er eines Abends seine Elegie [vielmehr
das Epos] vor. Ach Gott wie schön, wie gross, wie voll Ge- 25
fühl ist dieses Werk! Das heiss' ich zeichnen, malen, bilden,
kurz ich war entzückt; es fatiguirte mich auch so, dass ich
den andern Tag zu nichts taugte" (Caroline von AVolzogen:
Literarischer Nachlass 1, 463).
^ Zwei Tage nach der Vorlesung, am 7. September, war Goetlie so
von Stuttgart abgereist. Schiller erwiderte am 22. September:
,.Ich wäre sehr begierig gewesen, den Eindruck, den Ihr
, Hermann' auf meine Stuttgarter Freunde gemacht, zu be-
obachten. An einer gewissen Innigkeit des Empfaugens hat
es sicher nicht gefehlt, aber so wenige Menschen können das 35
Nackende der menschlichen Natur ohne Störung geniessen.
Indessen zweifle ich gar nicht, dass Ihr .Hermann' schlechter-
dings über alle diese Subjectivitäten triumphiren wird, und
dieses durch die schönste Eigenschaft bei einem poetischen
1797 HERMANN UND DOROTHEA.
Septeiiiber 27, Stäfa. 308
. . senden (Sie) mir sowohl Ihren^ als den Viewegi-
schen Almanach, wenn er zu gedachter Zeit in Zürich
eintreffen kann, unter oben bemerkter Adresse.
5 An Cotta. — Br. 12, 321, 22—25.
]l September 27, Stäfa.] 309
Me3^ern habe ich gefunden wie einen Steuermann, der
aus Ophir zurückkehrt-; es ist eine herrliche Empfin-
dung, mit einer so bedeutenden Xatur nach einerlei
10 Schätzen zu streben und sie nach einerlei Sinn zu be-
wahren und zu verarbeiten. Hätte ich doch auch, meine
Liebe, die Ueberzeugung mitnehmen können, das» \nr
Werk, nemlich clureli sein Ganzes, durch die reine Klarheit
seiner Form und durch den völlig erschöpften Kreis mensch-
15 lieber Gefühle"; am 2. Oetober sodann meldet Schiller:
,, .Hermann und Dorothea' rumoriren schon im Stillen; auch
Körner schreibt mir, dass er das Ganze gelesen, und findet,
dass es in P^ine Klasse mit dem Besten gehöre, was Sie ge-
schrieben. Dank's ihm der T — !" (Schillers Br. 5, 263. 212}.
20 Die Stelle in Körners Brief an Schiller vom 27. September
1797 lautet: „, Hermann und Dorothea' habe ich nun ganz
gelesen, aber noch nicht studirt. Der Ton ist durchaus
glücklich gehalten inid der höhere Schwung vor dem Schlüsse
thut treffliche Wirkung. Das ganze Product gehört unstreitig
25 unter Goethes Werke vom ersten Range. Aber fast ist es von
zu hohem ästhetisciien Werthe, um nach Verdienst aufge-
nommon zu werden.
Der grösste Theil des Piiblicums klebt immer am Stoffe.
und hier sind die herrschenden politischen Parteien eiuiger-
30 massen interessirt; daher erwarte ich die seltsamsten Ur-
theile im Lob und Tadel" (Schiller-Körner 2, 270 f.).
' Das heisst: den bei Cotta von Schiller herausgegebenen
,Mnsen-Almanach für das .lahr 1798'. der zahlreiche Beiträge
Goethes enthielt.
35 = Ein Vergleich, den Goethe mit Vorliebe braucht, dem Alten
Testament entnominen, wo es unter Anderm im ersten Buche
.Von den Königen' Capitel 9. Vers 27 f. heisst: ..Und Hiram
sandte seine Knechte im Schiff, . . Und kamen gen Ophir,
und holeten daselbst vier hundert und zwanzig Centner
40 Gold. . ."
138 HERMANN UND DOROTHEA. 1797
[September 27, Stäfa.] [309]
uns beide nocli in deniRelben Fall befinden. Prüfe Du
diese Zweifel indessen an meiner letzten Arbeit [, Her-
mann und Dorothea'], wovon ich Dir die erste Hälfte
überschickte; ich habe da hinein, so wie immer, den
ganzen laufenden Ertrag meines Daseins verwendet.
Sollte dieses Gedicht ein Mittler zwischen uns werden,
so würde mich seine Existenz um so mehr freuend
An Barbara Sclmltbess. — Br. 12, 322. 17— 323, G.
^ Ueber die damalige Ti-übung des Verhältnisses zwischen lo
(xoctlie und Barbara Schulthess belehrt Bernhard Suphans
Abhandlung im Goethe- Jahrbuch 13, 149—162.
Barbara Schulthess erwiderte am 10. October: ..Dein .Her-
mann' macht mir grosse Freude; ist's einem doch, der alte
Homer lebte unter uns — und erzähle Gesell ichten unsrer 15
Tage . .
Möchte nur M. [Meyer] Sceuen aus dem liöstlichen Stücke
uns zeichnen, Avie ich letzthin mit der Feder gemachte Copien
Homerischer Scenen sah nach einem — Flaxmann, glaub'
ich [s. 22, 26] . 20
Nur die Gänse in die geflüchteten Ställe müsst' er nicht
vergessen — [erster Gesang Vers 124 — 126] dass sie dem
Bäbeli [Barbara Gessner, dem Enkelchen der Schreibenden]
nicht mangelten. . .", und am 25. November schrieb sie:
,, Immer wollte ich ein freundliches Wort von Dir abwarten, 25
. . noch gestern Abend täuschte mich ein Brief, den ich
unwillig öffnete, doch söhnten mich die Worte darin wieder
aus: ,,Ich habe , Hermann und Dorothea' verschlungen, ge-
lesen und aber gelesen, und wenn ich's noch siebenmal lese,
werd' ich's nur immer schöner finden" . . und ich kann nicht 30
länger zögern. Dir meine Freude über Deine Dorothea zu
sagen . . wie lieblich hast Du das trefflich Begonnene vol-
lendet, das Vorgesehene auf den unvorgesehensten Wegen
zum Ziele geführt, mit all den schönsten Farben den Charak-
ter der Edeln im hellsten Glänze vorgestellt. Dass Hermann 35
den Mondschein vorüber gehen Hess, ist mir gar so lieb. das.
hätt' auch nicht einer gethan, und dann die Scene mit dem
Vater, und die des Geistlichen, die beide ihr das erwünschte
Geständniss abnöthigen, das sie so unbefangen ablegte . .
ich meine diese drei seien das Schönste von allem . . und 40
1797 HERMANN L'ND DOROTHEA 139
October 25, ZüricL. 310
Ich freue mich, wenn der Ahnanaeh^ Ihnen etwas An-
genehmes gebracht hat: sowohl dieser als der Yiewegi-
sche sollte schon aufgewartet haben, wenn meine Be-
5 stellnngen alle wären richtig besorgt worden-.
Au C. G. Voigt. — Br. 12, 343, 12—15.
October 25, Zürich. 311
Die Freunde, denen ich liier ,Hermann und Dorotbca'
gein mitgetheilt hätte, werden sich denn wohl noch eine
15 Zeit lang gedulden; Yieweg hat vielleicht Ursache, dass
er einzelne Exemplare, ehe die ganze Versendung
gemacht ist, nicht in die "Welt streuen mag^.
An Büttiger. — Br. 12, 344, 8—13.
aber was bat man nicbt lieb am Ganzen, wie kann mau genug
20 ehren dieses kunstverbergende Kunstwerk** — den Reichthum
und Geist, der durch das Ganze athmet und lebt.
Nur eine Frage möchte ich Dir nocli einmal machen über
Eine Stelle, von der ich mir das Warum nicht denken kann"
(GJ. 13, 21. 23 f.).
25 s. 137, 32—34.
' Gleichlautend in der .Reise in die Schweiz 1797' (WH. 26,
154).
^ ..Am 13. October 1797 sandte Vieweg von Leipzig aus IS
Exemplare, tlieils in Seide, theils in Maroquin an Böttiger,
30 von denen
2 für den eben Genannten,
8 für Goethe,
3 für die fürstliclieu Personen,
2 für Schiller.
35 je 1 für Herder. Wielaud. Voigt
bestimmt waren. Am 9. December Hess er 12 weitere Exem-
plare für Goethe folgen" (Ludwig Geiger in der .Zeitschrift
für Bücherfreunde- 1, 148 b); vgl. Nr. 301.
Goethe bekam das Taschenbuch erst Anfang November,
40 auf der Rückreise, in Nürnberg zu Gesicht.
Schiller dagegen konnte schon am 18. October an Büttiger
schreiben: ..Haben Sie recht schönen Dank von mir und
meiner Frau für das schöne Geschenk, das unser edler
Freund uns durch Sie sendet. Man weiss kaum, was man
140 HERMANN UND DOROTHEA. 1791
October 25, Zürich. 312
Keinen Musenalmanach, keinen ,Hermann' habe ich
noch gesehen, alles das und mehrere? wird mir denn
wohl in Deutschland begegnend
An Schiller. — Br. 12, 34(;, 2.5— 347, 2. 5
dazu sagen soll, wenn mau Gedichte von dieser Art und Ab-
kunft in Verbindung mit Messer und .Schere in die Hand bf
kommt und so die höchsten imd die gemeinsten Bedürfnisse
der Sterblichkeit zugleich befriediget sieht. Es hat aber auch
dieser Umstand, obgleich nur ein Buchhändlers-Einfall, doch 10
einen eiguen Reiz für mich: er erregt augeuljlicklich die Täu-
sehuug. als ob wirklich iinsre Märkte uns solche Waaren
liefern könnten, da doch ohne Uebertreibung manches Jahr
hundert vergangen ist und künftig vergehen dürfte, wo an
einen solchen Artikel nicht zu denken sein möchte. 15
Führen Sie ja Ihren Vorsatz aus. einige Worte über die
grossen Vortheile der lauten Reciüition bei dergleichen
Dichterwerken dem Publicum an's Herz zu legen: . . . Ich
wünschte in allem Ernst, es kämen in dieser speculations-
reichen Zeit einige gute Köpfe auf den Einfall, ein Gedicht. 20
wie unser .Hermaun und Dorothea' ist, von Dorf zu Dorf auf
Kirchweihen und Hochzeiten zu recitiren und so die alte
Zeit der Rhapsoden und Minstrels zurückzuführen'" (Schillers
Br. 5, 274 f.).
Dass nicht alle Geschenk-Exemplare mit ..Messer und 25
Schere" ausgestattet waren, — einer für uns verwiuiderlichen
Zugabe, die nach einer Note in Böttigers , Litterarischen Zu-
ständen' 2, 205 bei Taschenbüchern auch ..sonst gebräuchlich"
war — möchte man daraus schliessen. dass Goethes Mutter,
die lustige Frau Rath. derselben in ihren Dankbriefen beide- 30
mal mit keiner Silbe gedenkt (SdGG. 4. 142. 22— 2(5. 145.3-5).
* Gleichlautend in der .Reise in die Schweiz 1797' (WH. 26, 155*.
Schiller schrieb am 20. October: ,,Vor einigen Tagen über-
schiekte ims Böttiger zwei schöne Exemplare Ihres .Her-
manns', womit wir sehr erfreuet wurden [vgl. 139, 34]. Er ist 35
also nunmehr in der Welt und wir wollen hören, wie sich
die Stimme eines Homerischen Rhapsoden in dieser neuen
politischrhetorischen Welt ausnehmen wird. Ich habe das
Gedicht nun wieder mit dem alten ungeschwächten Eindrtick
und mit neuer Bewegung gelesen: es ist schlechterdings voll- 40
kommen in seiner Gattimg, es ist pathetisch mächtig und
1797 HERMANN UND DOROTHEA. 141
October 25, Züricli. 313
Dass nichts bei Dir ankommt, wundre Dicli nicht, es
geht mir eben so, ich habe auch nocli keinen ,llermann'^
An Christiane. — Br. 12, 340, 12—14.
5 October 30, Tübingen. 314
Es freut mich, dass ,Herniann' in Ihren Händen ist
und dass er sich hält^.
An Schiller. — Br. 12, 352, 19 f.
doch reizend in höchstem Grade, kurz es ist schün was nxiin
10 sagen kann.
Auch den , Meister habe ich ganz kürzlich wieder gelesen,
und es ist mir noch nie so auffallend gewesen, was die äus-
sere Form doch bedeutet. Die Form des , Meisters', wie über-
haupt jede Romanform, ist schlechterdings nicht poetisch.
15 ... "Wer fülilt nicht alles das im .Meister', was den .Her-
mann' so bezaubernd macht I Jenem fehlt nichts, gar nichts
von Ihrem C4eiste. er ergreift das Herz mit allen Kräften
der Dichtkunst und gewährt einen immer sich erneuenden
Genuss, und doch führt mich der , Hermann' (und zwar bloss
20 durch seine rein poetische Form; in eine göttliche Dichter-
welt, da mich der ,:Meister' aus der wirklichen "Welt nicht
ganz herauslässt" (Schillers Br. 5, 277 f.i.
^ Tags darauf, am 26. October, trat Goethe die Rückreise an.
- Vgl. Schillers Brief vom 20. October (140, 33).
25 Im letzten Briefe, den Schiller an Goethe während dessen
Abwesenheit richtete, heisst es, am 30. October: „Sie
würden sich vielleicht jetzt [bei der neuen epischen Arbelt,
,Teir] eher gewölmen. mit mir darüber zu sprechen, da
die Einheit und Reinheit Ihres .Hermanns' durch Ihre Mit-
30 theilungen an mich, während der Arbeit, so gar nicht ge-
stört worden ist. Und ich gestehe, dass ich nichts auf der
Welt weiss, wobei ich mehr gelernt hätte, als jene Communi-
cationen, die mich recht in's Innre der Kunst hineinführten.
. . . Ich las neulich den ,Hermann' vor einer Gesell-
35 Schaft von Freunden in Einem Abend vom Anfang bis zum
Ende: er rührte uns wieder unbeschreiblich, und mir
brachte er noch die Abende, wo Sie ihn uns vorlasen, so
lebhaft zurück, dass ich doppelt bewegt war" (Schillers
Br. 5, 282 f.).
40 Charlotte Schiller legte diesem Schreiben ihres Mannes*
einen eigenen Brief bei, in dem sie sich für das erhaltene
142 HERMANN UND DOROHTEA. 1797
November 8, Nürnberg. 31. "i
Sie erhalten hierbei, werthester Herr Eapp, das Ge-
dicht in seiner reinsten typographischen Form, gönnen
Sie ihm abermals eine gute Aufnahme^.
An Rapi). — Br. 12, 355, 2-4. 5
November 27, Weimar. 310
Mit vieler Frende vernehme ich Ihre fortdauernde
Neigung zu meinem neusten Gedichte-. Wenn man eine
solche Arbeit nur abgeschieden von der Welt hervor-
bringen kann, so ist es desto lohnender, wenn sie bei "lo
ihrer Erscheinung ihre Wirkung nicht verfehlt.
An Rapp. — Br. 12, 3(M, 8—12.
Exemplar rter Dichtung bedankt, und gleichfalls von dem
tiefen Eindrucli spricht, den die Vorlesung durch Schiller
jüngst gemacht habe (GJ. 4. 235 f.). 20
Goethes ilutter bedanlit sich am 5. November, in einem
Briefe an Clu'istiane. für die ZAvei, durcli Goetlies Schwager
an sie überscliiclvten, ,,in- und äusserlicli ganz herrliclieu"
Exemplare. Im Sommer schon, am 17. .Juni, hatte sie an
Goethe geschrieben; ,.Auf das Wcrli. worinnen eine Frau 25
Aja vorkommen soll, freiie icli micli selir", nun aber meldet
sie ihm am 4. December 1707:
..Was .Hermann und Dorothea' hier für grosse Wirlvung
verursacht hat, davon habe schon etwas an meine liebe
Tochter geschileben [s. Z. 21 f.]; Hufnagel ist so ganz da- 30
von belebt, dass er bei Copulationen imd wo es nur möglich
ist Gebrauch davon macht. ... Er beliauptet. so hättest
Du noch gar nichts geschriel^en. Für die vortrefflichen
Taschenbücher danke herzlicli, in- und auswendig sind sie
zum Küssen. Hufnagel hält alle, die es nicht haben oder 35
es nicht als ein Handbuch im Sack bei sich tragen, für
Hottentotten. Die Elisa Bethmann musste in seiner Gegen-
wart sogleich eins von den theuersten Exemplaren kaufen
u. s. w." (SdGG. 4, 133, 6—8. 142. 21—143. 4. 144. 2.5—145. 9).
1 Wegen der ..reinsten" Form vgl. 80. .33 f. — „abermals", in 40
Erinnerung an die Vorlesung in Stuttgart, vgl. Nr. .305. 30(>.
' Rapp liatte am 10. November brieflich gedankt (Br. 12. 4.55
zu Nr. 3084).
1797 HERMANN UND DOROTHEA. 143
December IG, Weimar. 317
Bewahren Sie beikommendes Exem})laT meines neue-
sten Getliclites zu meinem Andenken; wie .^elir wün>che
ich auch Ihre Gedanken darüber zu hören . .^
5 Au A. AV. Schlpgel. — Br. 12. 379,20—23.
Deoeuiber !(!. AA eiiuar. 318
[Xach] Jena [an] Eath Schleoel: Mit Uebersendung
meines , Hermanns'- hr^e ich die Guictzc der Epopöe
Briofvevzeicliiiiss 1797. — Br. 12. 472.
10 December 20, Weimar. 319
Seit der Erscheinung der Sclüegelschen Recension
meines ,Hermauns'- habe ich die Gesetze der Epopee
und des Dranuis wieder durchgedacht und glaube auf
gutem Wege zu sein. Die Schwierigkeit bei diesen
15 theoretischen Bemühungen ist immer, die Dichtarten
von allem Zufälligen zu l)efreien. Nächstens erhalten
^ Am 24. September hatte A. AV. Schlegel au Goethe ge-
schriebeu: ..lu etwa acht Tageu hat man uns .Hermauu und
Dorothea' versprochen, daun ist aber uusre poetische Wein-
20 lese für den Herbst so ziemlich vorbei"* (SdGG, 13, 14).
Wenige Tage vor dem Obigen, am 11., 12. und 13. De-
cember, war eine ausführliche Besprechung des Gedichts
von A. W. Schlegel, anonym, in Nr. 393—396 der Allgemeinen
Literatur-Zeituug erschieuen. Diese bedeutende Recension
25 (leider gestattete ihr Umfang nicht, sie an dieser Stelle auf-
zunehmen! findet man in Schlegels .Charakteristiken und Kri-
tiken' 2, 260—308 (Königsberg 1801» uud in Band 11 seimr
,Sämmtlichen Werke' (Leipzig 1847), jetzt auch bei Braun 2.
252 — 265. Schlegel beschliesst die Recension von ,Hermaim
30 und Dorothea' mit den Worten: „Es ist ein in iiohem Grade
sittliches Gedicht, nicht wegen eines moralisclien Zwecks,
sondern insofern Sittlichkeit das Element schöner Darstellung
ist, . . . Der Haupteindruck ist Rührung, aber keine weich-
liche, leidende, sondern zu wohlthätiger Wirksamkeit er-
35 weckende Rührung. .Hermann und Dorothea' ist ein vollen-
detes Kunstwerk im grossen Stil, und zugleich fasslich, herz-
lich, vaterländisch, volksmässig: ein Buch voll goldner
Lehren der Weisheit imd Tugend."
^ s. Z. 21—24.
144 HERMANN UND DOROTHEA. 1797
[December 20, Weimar.] [319]
Sie wohl einen kleinen Aufsatz^ darüber und icli mag
daher nichts weiter voraussagen.
An Schiller. — Br. 12, 380, 20—381, 2.
December 23, Weimar. 320 5
Es ist mir dabei- recht aufgefallen, wie es kommt, dass
wir Modernen die Genres so sehr zu vermischen geneigt
sind, ja dass wir gar nicht einmal im Stand sind sie von
einander zu unterscheiden. Es sclieint nur daher zu
kommen, weil die Künstler, die eigentlich die Kunst- lo
werke innerhalb ihrer reinen Bedingungen hervor-
bringen sollten, dem Streben der Zuschauer und Zu-
hörer, alles völlig wahr zu finden, nachgeben. Meyer
hat bemerkt, dass man alle Arten der bildenden Kunst
hat bis zur Malerei hinantreiben wollen, indem diese 15
durch Haltung und Farben die Nachahmung als völlig
wahr darstellen kann. So sieht man auch im Gang der
Poesie, dass alles zum Drama, zur Darstellung des voll-
kommen Gegenwärtigen sich hindrängt. So
sind die Eomane in Briefen völlig dramatisch, man 20
kann desswegen mit Recht förmliche Dialoge, wie auch
Bichardson gethan hat, einschalten; erzählende Eomane
mit Dialogen untermischt würden dagegen zu tadeln
sein.
Sie werden hundertmal gehört haben, dass man nach 25
Lesung eines guten Eonians gewünscht hat, den Gegen-
^ Vgl. 145, 30 f. — Schiller erwiderte am 22. December: ,,Die
Schlegelsche Recension Ihres .Hermanus' kenne ich noch
nicht und Aveiss überhaupt nicht, von Avelchem Schlegel sie.
ist. Sie sei aber von welchem sie wolle, so finde ich bei 30
keinem die ganze Competenz dazu, denn es gehört vorzugs-
weise zu Würdigung dieses Gedichts das, was man Gemüth
heisst, und dieses fehlt beiden, ob sie sich gleich der Ter-
minologie davon anmassen.
Ihren, dadurch veranlassten, Aufsatz erwarte ich mit 35
Verlangen" (Schillers Br. 5, 304).
" s. d'e, dem Obigen inuiiittellKir vorhergehenden. Sätze 2.
10-23.
1797 HERMANN UND DOROTHEA. 145
[December 23, Weimar.] [320]
stand auf dem Theater zu sehen, und wie viel schlechte
Dramen sind daher entstanden! Ehen so wollen die
Menschen jede interessante Situation gleich in Kupfer
5 gestochen sehen. Damit nur ja ihrer Imagination keiue
Thätigkeit ührig bleibe, so soll alles sinnlich wahr, voll-
kommen gegenwärtig, dramatisch sein und das Drama-
tische selbst soll sich dem wirklich Wahren völlig an
die Seite stellen. Diesen eigentlich kindischen, bar-
10 barischen, abgeschmackten Tendenzen sollte mm der
Künstler aus allen Kräften widerstehn, Kunstwerk von
Kunstwerk durch undurchdringliche Zauberkreise son-
dern, jedes bei seiner Eigenschaft und seinen Eigen-
heiten erhalten, so wie es die Alten getlian haben und
15 dadurch eben solche Künstler wurden und waren. Aber
■wer kann sein Schiff von den Wellen sondern, auf denen
es schwimmt? Gegen Strom und AYind legt man nur
kleine Strecken zurück.
. . . Um nun zu meinem Aufsatze zurückzukommen,
20 so habe ich den darin aufgestellten Massstab an ,Her-
mann und Dorothea' gehalten, und bitte Sie, dess-
gleichen zu thun, wobei sich ganz interessante Bemer-
kungen machen lassen^, als zum Beispiel:
1. Dass kein ausschliesslich episches Motiv, das heisst
25 kein retrogradirendes, sich darin befinde, sondern dass
nur die vier andern, welche das epische Gedicht mit dem
Drama gemein hat, darin gebraucht sind.
30
25
' Zur leichteren Yergleiclumg mit dem in den folgenden vier
Absätzen Gesagten sei hier die entsprechende Stelle aus
Goethes Aufsatz ,Ueber epische und dramatische Dichtung-
eingeschaltet:
..Das epische Gedicht stellt vorzüglich persönlich be-
schränkte Thätigkeit, die Tragödie persönlich beschränktes
Leiden vor; das epische Gedicht den ausser sich wir-
kenden Menschen: Schlachten, Reisen, jede Art von
Unternehmung, die eine geAvisse sinnliche Breite fordert;
Graf, Goethe über s Dichtungen T. I. 10
146 HERMANN UND DOROTHEA. 1707
[December 23, Weimar.] [320]
2. Dass es nicht ausser sich wirkende, sondern n?ich
innen geführte Menschen darstellt und sich auch da-
durch von der Epopee entfernt und dem Drama nähert.
die Tragödie deu nach i u u e ii geführten Meuseheu. 5
und die Handlungen der echten Tragödie bedürfen daher
nur Aveniges Raumes.
Der Motive kenne ich fünferlei Arten:
1. V o r Av ji r t s s c h r e i t e n d e . welche die Handlung
fördern; deren bedient sich vorzüglich das Drama. 10
2. Rückwärtsseh reitende, welche die Handlung
von ihrem Ziele entfernen; deren bedient sich das epische
Gedicht fast ausschliesslich.
3. Retar dir ende, welche deu Gang aufhalten oder
den Weg verlängern; dieser Ijedieneu sich beide Dichtarten 15
mit dem grössten Vortheile.
4. Zurückgreifende, durch die dasjenige, was vor
der Epoche des Gedichts geschehen ist, hereingehoben wird.
5. Vorgreifende, die dasjenige, was nach der
Epoc^ie des Gedichts geschehen w4rd, anticipiren: beide 20
Arten braucht der epische sowie der dramatische Dichter,
um sein Gedicht vollständig zu machen.
Die Welten, welche zum Anschauen gebracht werden
sollen, sind beiden gemein:
1. Die physische, und zwar erstlich die nächste, 25
wozu die dargestellten Personen gehören und die sie um-
gibt. In dieser steht der Dramatiker meist auf Einem
Puncte fest; der Epiker bewegt sich freier in einem grössern
Local. Zweitens die entferntere Welt, wozu ich
die ganze Natiu' rechne. Diese bringt der epische Dicliter, 30
der sich üljerhaupt an die Imagination wendet, durch
Gleichnisse näher, deren sich der Dramatiker sparsamer
bedient.
2. Die sittliche ist l)eideu ganz gemein und wird am
glücklichsten in ihrer physiologischen und pathologischen 35
Einfalt dargestellt.
3. Die AVelt der Phantasien, Ahnungen, Er-
scheinungen. Zufälle und Schicksalt. Diese
steht beiden offen, nur versteht sich, dass sie an die sinn-
liche herangebracht werde, wobei denn für die Modernen 40
eine besondere Schwierigkeit entsteht, weil wir für dm
1797 HERMANN UND DOROTHEA. 147
[Detember 23, Weimar.] [320]
3. Dass es sieh mit Recht der Gleichnisse enthält,
weil bei einem mehr sittlichen Gegenstande das Zii-
dringen von Bildern aus der physischen Xatur nur
5 mehr lästig gewesen wäre.
4. Dass es aus der dritten "Welt, ob gleich nicht auf-
fallend, noch immer genug Einfluss empfangen hat,
indem das grosse "Weltscliieksal theils ^\irklich, theils
durch Personen, symbolisch, eingeflochtcn ist und \ on
10 Ahndung, von Zusammenhang einer sichtbaren und
unsichtbaren '\^'elt doch auch leise Spuren angegeben
sind, welches zusammen nach meiner Ueberzeugung an
die Stelle der alten Götterbilder tritt, deren physisch-
poetische Gewalt freilich dadurch nicht ersetzt wird\
15 An Schiller. — Br. 12. 381.21—383.0. 22—384. 21.
Wundergeschöpfe. ixötter. Wahrsager und Orakel der Alteu.
so sehr es zu wünschen wäre, nicht leicht Ersatz finden"
(WH. 20. 224 f. I.
' Hierauf folgt im Briefe der die .Achilleis" betreffende Ah-
20 schnitt 2. 24 — 3. 24. — In Schillers Antwort vom 2(>. December
heisst es: .,Ihr .Hermann" hat wirklich eine gewisse Hinnei-
gung zur Tragödie, wenn man ihm den reinen, strengen Be-
griff der Epopöe gegenüber stellt. Das Herz ist inniger und
ernstlicher beschäftigt, es ist mehr pathologisches Interesse
25 als poetische Gleichgültigkeit darin. So ist auch die Enge des
Schauplatzes, die Sparsamkeit der Figuren, der kurze Ab-
lauf der Handlung der Tragödie zugehörig, ümgekelirt
schlägt Ihre .Iphigenie' offenbar in das epische Feld hinüber,
sobald man ihr den strengen Begriff der Tragödie entgegen-
30 hält. Von dem .Tasso' will ich gar nicht reden. Für eine
Tragfidie ist in der .Iphigenie" ein zu ruhiger Gang, ein zu
grosser Aufenthalt, die Katastrophe nicht einmal zu rech-
nen, welche der Tragödie widerspricht. Jede Wirkung, die
ich von diesem Stücke theils an mir selbst, theils an andern
35 erfahren, ist generisch poetisch, nicht tragisch gewesen,
und so wird es immer sein, wenn eine Tragödie, auf epische
Art, verfehlt wird. Aber an Ihrer .Iphigenie' ist dieses An-
nähern an's E])ische ein Fehler, nach meinem Begriff: an
Ihrem , Hermann' ist die Hinneigung zur Tragödie offenbar
148 HERMANN UND DOROTHEA. 1798
1798.
Januar 3, Weimar. 321
Wenn uns als Dichtern, wie den Taschenspielern,
daran gelegen sein müsste, dass niemand die Art, wie
ein Kunststückchen hervorgebracht vrird, einsehen &
dürfte, so hätten wir freilich gewonnen Spiel, so wie
jeder, der das Publicum zum Besten haben mag, indem
er mit dem Strome schwimmt, auf Glück rechnen kann.
In jHermann und Dorothea' habe ich, was das Material
betrifft, den Deutschen einmal ihren Willen geth.an lo
und mm sind sie äusserst zufrieden\ Ich überlege
jetzt, ob man nicht auf eben diesem Wege ein drama-
tisches Stück schreiben könnte? das auf allen Theatern
gespielt werden müsste und das jedermann für vor-
kein Fehler, wenigstens dem Effecte nach ganz und gar 15
nicJit. Kommt dieses etwa davon, weil die Tragödie zu einem
bestimmten, das epische Gedicht zu einem allgemeinen
und freien Gebrauche da ist?" (Schillers Br. 5, 311).
^ Diese Bemerkung ist veranlasst durch folgende Stelle in
Schillers Brief vom 2. Januar: 20
„Von .Hermann und Dorothea' las ich kürzlicli eine Recen-
sion in der Nürnberger Zeitung. Avelche mir wieder bestätigt,
dass die Deutschen nur für's Allgemeine, fiir's Verständige
und für's Moralische Sinn haben. Die Beurtheilung ist voll
guten Willens, aber auch nicht etwas darin, was ein Gefühl 25
des Poetischen zeigte oder einen Blick in die poetische Oeko-
noniie des Ganzen verrieth. Bloss an Stellen hängt sieh der
gute Mann und vorzugsweise an die. welche in's Allgemeine
und Breite gehen und einem etwas an's Herz legen'" (Schillers
Br. 5, 314). 30
Die ,Neue Nürnbergische gelehrte Zeitung' hatte unter dem
12. December 1797 eine kleine anonyme Besprechung ge-
bracht, aus der hier liesouders folgende Stelle in Betracht
kommt: ,.Ueberall [in dem Gedicht] herrscht die schönste
Simplieität in den Empfindungen . . imd besonders eine so 3^
schlichte und populäre Lebensweisheit, dass es auch als gol-
denes Sittenbüchlein mehr als einmal gelesen zu werden ver-
dient" (Braun 2, 206), vgl. 143, 37 f.
1798 HERMANN UND DOROTHEA. 141»
[Januar 3, Weimar.] [321]
trefflich erklärte, ohne dass es der Autor selbst dal'iir
zu halten brauchte.
An Schiller. — Br. 13, ö, 1—14.
5 Januar 12, "Weimar. 322
Es freut mich, dass Du mein Gedicht nochmals vf)j-
lesen wollend Einer Gesellschaft von Freunden har-
monische Stimmungen zu geben und manches aufzu-
regen, was bei den Zusammenkünften der besten
IC Menschen so oft nur stockt, sollte von rechtswegen die
Ijeste Wirkung der Poesie sein.
An Knebel. — Br. 13. 17, 23—28.
] [.Januar 30, Weimar.] 323
Wenn .Hermann und Dorothea' in Berlin eine gute
15 Sensation machen, ist es mir sehr erfreulich. Berlin
ist vielleicht der einzige Ort, von dem man sagen kann,
dass ein Publicum beisammen sei, imd um so mehr
muss es einen Autor interessiren, wenn er daselbst gut
aufgenommen wird-.
20 An Aloys Hirt. — Br. 13. 4.5. 2.">— 40. 2.
rebruar 3, Weimar. 324
Die Idylle'* ist wirklich wieder eine sonderbare Er-
scheinung. "Wieder ein beinahe weibliches Talent,
' Knebel, mit dem Goethe auf der Rückreise aus der Schweiz
25 im November 1797 in Nürnberg zusammengetroffen war.
hatte von doit am 5. Januar geschrieben: „Ich habe Deinen
, Hermann und Dorothea' diese Zeit wieder bei Holzschuher
und den Seiuigen vorgelesen. Sie haben uns den allermeisten
[vielleicht verdruckt für ..allerreinsten"?] Genuss verschafft.
30 Kein Wort fiel ohngefühlt zur Erde. Wir lieben und bewun-
dern diess herrliche Product einer seltenen Geistosintegrität"
(G.-Knebel 1, 154).
■ „Hirt hatte von einer Vorlesung des Gedichts und mehreren
Vorträgen über dasselbe berichtet" (E. v. d. Hellen in Br. 13,
35 380 zu 4.Ü. 2')).
' ,Die Capelle im Walde. Idylle' von Luise Brachmann. Schiller
hatte die Dichtung im Manuscript zur Beurtheilung an
Goethe geschickt, der es mit „einigen Verbesserungen" ver-
150 HERMANN UND DOROTHEA. 179S
[Februar 3, Weimar.] [3241
hübsche jugendliche Ansichten der Welt, ein freund-
liches, ruhiges, sittliches Gefülil. "Wäre es mm den
Deutschen möglich sich zu bilden, und eine solche Per-
son lernte, was doch zu lernen ist, in Absicht auf innere 5
und äussere Form des Gedichts, so könnte daraus was
recht Gutes entstehen, anstatt dass es Jetzt bei einer
gewissen gleichgültigen Anmuth bewenden muss. . . .
Zu läugnen ist es nicht, dass , Hermann und Doro-
thea' schon auf diese Xatur gewirkt hat% und. es ist 10
wirklich sonderbar, wie unsere jungen Xaturen das, was
sich von einer Dichtung durch's Gemüth auffassen
lässt, an sich reissen, nach ihrer Art reproduciren und
dadurch zwar mitunter ganz was Leidliches hervor-
bringen, aber auch gewöhnlich was man durch die ganze is
Kraft seiner Xatur zum Stil zu erhöhen strebte, so-
gleich zur Manier herabwürdigen und gerade dadurch,
ueil sie sich dem Publico mehr nähern, öfters einen
grössern Beifall davon tragen als das Original, von
dessen Verdiensten sie nur theilweise etwas losgerissen 20
haben.
An Schiller. — Br. 13. 53.3—11. 17—28.
sali, die beim Druck verwertbet wurdeu (vgl. Scbillers Brief
an Goetbe vom 25. Juni 1798i. Das Gedicbt eröffnet das
zwölfte Stück des letzten Bandes von Schillers Monats- 25
.Schrift ,Die Hören- Jahrgang 1797; da es eine Zeit lang Char-
lotte von Schiller zugeschrieben wurde, fand es Aufnahnie
in Karl Hoffmeisters .Nachlese zu Schillers Werken" 3. 379--
389.
^ Diese Bemerkung, betrachtet in Verbindung mit den Worten 30
„Wieder ein beinahe weibliches Talent" (149. 23) und mit dem
Datum des Briefes, macht es wahrscheinlich, dass Schiller
am Schluss seines Schreibens vom 30. Januar .die Capelle
im Walde' meint; er sagt: „Dieser Tage hat sich wieder
ein neuer Poet angemeldet, der mir gar nicht übel scheint. 35
es müsste mich denn ein gewisser Widerschein Ihres Geistes
bestechen, denn dieser scheint viel auf ihn gewirkt zu haben.
Ich lege das Gedicht bei. sagen Sie mir doch Ihre Meinung
darüber" (Schillers Br. 5, 335 f.).
1798
HERMANN UND DOROTHEA. löl
10
Februar 28, \\'eimar. ^-'^
[Voss,] der am Ende denn doch überzeugt ist,
dass er ganz allein Hexameter inaclien kann nnd soll.
Mein Gedicht scheint, wie ich aus diesen X achrieh ren
sehe^ ihm nicht so wohlthätjg als nur das seine. Ich
bin mir noch recht gut des reinen Enthusiasmus be-
wusst, mit dem ich den Pfarrer von Grünau aufnahm,
als er sich zuerst im Merkur sehen liess, wie oft ich ihn
vorlas, so dass ich einen grossen Theil davon noch aus-
wendig weiss, und ich habe mich sehr gut dabei be-
funden-. Denn diese Freude ist am Ende doch pro-
1 Aus Schillers Brief vom 23. Februar, in dem es lieisst:
..[Wilhelm von] Humboldt schreibt mir auch das Urtheil.
welches Voss über Ihren .Hermann' gefällt hat: er hat es
15 von Vieweg. der jetzt in Paris ist. „ „Er habe gefürchtet, sagt
Voss, der .Hermann* würde seine ,Luise' in Vergessenheit
bringen. Das sei nun zwar nicht der Fall, aber er enthalte
doch einzelne Stellen, für die er seine ganze ,Luise' hingeben
würde. Dass Sie im Hexameter die Vergleichung mit ihm
20 nicht aushalten könnten, sei Ihnen nicht zu verdenken, da
diess einmal seine Sache sei, aber doch finde er, dass Ihre
neuesten Hexameter viel vollkommener seien.-' — Man sieht.
dass er auch keine entfernte Ahndung von dem Innern
Geist des Gedichts und folglich auch keine von dem Geisi
25 der Poesie überhaupt haben muss, kurz keine allgemeine imd
freie Fähigkeit, sondern lediglich seinen Kunsttrieb, wie der
Vogel zu seinem Nest und der Biber zu seinen Häusern"
(Schillers Br. 5, 350).
^ In der ,Campagne in Frankreich' erzählt Goethe (unter
30 dem Datum ..Münster November 1792"): .. . . man wusste.
dass ich die ,Luise- von Voss, wie sie im Novemberheft des
Merkur 1784 erschienen war. leidenschaftlich verehrte und
sie gerne vortrug" (W. 33, 243, 10-13). und in einem Briefe
an Voss vom 1. Juli 1795 heisst es mit Bezug auf die damals
35 erschienene erste Buchausgabe der Dichtung: ..Für das. was
Sie an Luisen aufs neue gethan haben, danke ich Ihnen,
als wenn Sie eine meiner ältesten Freundinnen ausgestattet
und versorgt hätten. Ich habe besonders die dritte Idylle,
seitdem sie im Merkur stand, so oft vorgelesen und recitirt.
152 HERMANN UND DOROTHEA. 1798
[Februar 28, Weimar.] [325]
ductiv bei mir geworden, sie hat inicli in diese Gattung
gelockt, den ,Iierniann' erzeugt und wer weiss, was noch
daraus entstehen kann. Dass Voss dagegen mein Ge-
dicht nur se defendendo geniesst^ thut mir leid für ihn, s
denn was ist denn an unserm ganzen Bisschen Poesie,
wenn es uns nicht belebt und uns für alles und jedes,
was gethan wird, empfänglich macht. "Wollte Gott, ich
könnte wieder von vorn anfangen und alle meine Ar-
beiten als ausgetretne Kinderschuhe hinter mir lassen lo
und was Bessers machen.
An Schiller. — Br. 13, 83, 14—84, 6.
dass ich mir sie ganz zii eigen gemaclit habe" (Br. 10, 278,
20— 274, 3).
üeber eine solche Vorlesung aus .Luise' durch Goethe be- 15
sitzen wir eine anschauliche Schilderung von Heinrich Vos>,
dem Sohne des Dichters (s. Yossbriefe S. 18).
,Der Teutsfhe Mei-kur' vom Jahre 1784 hatte im Novemljer-
heft (4, 97—136), mit der Ueberschrift ,. Luise", die dritte (jeizt
„Die Vermählung" lieuauute) Idylle gebracht, die anhebt: io
,,"\Ver den redlit-lieu I'fax-rer von Grünau neulich besucht
hat", und diese Worte erklären Goethes Ausdruck 151. 7 f.
^ Ein Beweis hierfür ist (ausser der durch Wilhelm von Hum-
boldt überlieferten Aeusseruug 151. 13) Vossens Brief au Gleim
vom 24. September 1797: „Ueber das Goelhesche Gedieht 25
, Hermann und Dorothea' denke ich völlig, wie Ernestine
[ Vossens Frau] . Lesen Sie nur durch ; Sie werden für manche
zu eilfertig gearbeitete Stellen durch sehr schöue entschädigt
werden. Die zur ^'orrede bestimmt gewesene Elegie beweist
hinlänglich, dass e.s ihm Ernst war, etwas, wo nicht Home- 30
risches, doch Homeridisches aufzustellen: um a u c h d i e s e n
K ranz des Apollo zu gewinnen. Ich Averde mich herzlich
fi-eun, wenn Griechenlands Geist uns Deutsclieu ein vollen-
detes Kunstwerk gewährt, und nicht engherzig nach meiner
.Luise" mich umsehn. Aber eben so ehrlich denke ich für 85
micli, und sage es Ihnen: die Dorothea gefalle, wem sie
wolle; Luise ist sie uiclit. Sieh, ich wollte keck thuu. und
fühle doch, dass ich roth Averde" (Briefe von .Toliann Heinrich
Voss 2, 339 f.).
1798 HERMANN UND DOROTHEA. 153
März 17, Weimar. 326
Den französischen Aufsatz über ^Hermann' habe ich
nun noch einmal, und zwar mit Ihren Augen, angesehen
und ihn denn auch von der Art gefunden, dass man
5 damit nicht ganz unzufrieden sein solle. Ja er wäre ein
Wunder, wenn ihn ein Franzos geschrieben hätte; es
ist aber ein Deutscher, wie ich wohl weisse
An Schiller. — Br. 13, 96, 1—6.
April 28. Weimar. 327
10 Ich will nun auch Freund Humboldt antworten und
ihn besonders ersuchen, mit Brinckmann einen proso-
dischen Congress über ,Hermann und Dorothea' zu
halten, so wie ich Ihnen noch mehr dergleichen Fragen
im Allgemeinen vorzulegen gedenke-.
15 An Schiller. — Br. 13. 126, 15—19.
] [April? Weimar?] 328
Sie haben tnir durch Ihren Brief und durch das
' Schiller hatte am 14. März gesehrieben: ,,Der Discours über
.Hermann und Dorothea' gefällt mir doch gar nicht übel, und
20 wenn ich wüsste, dass er von einem recht leibhaften Fran-
zosen hernilu'te, so könnte mich diese Empfinglichlieit für
das Deutsche des Stoffes imd das Homerische der Form er-
freuen und rühren" (Schillers Br. 5, 360).
Der Verfasser des Aufsatzes hat noch nicht ermittelt
25 werden kihinen (vgl. E. v. d. Hellen in Br. 13. 387 zu S. 96.
1, und unten 154, 31—34. ferner F. Jonas in Schillers Br. 5. 556
zu S. 360, 12, und G.-Humboldt S. 51).
- An Wilhelm von Humboldt, der sicli gleichzeitig mit Brinck-
mann in Paris aufhielt, schrieb Goethe erst am 16. .Juli dieses
30 Jahres: „Da Sie denn doch einmal ein so erklärter Deutscher
sind, so wünschte ich. dass Sie noch mit Brinckmann eine
Prosodie unserer Sprache zu Staude brächten, die sich auch
von Pai'is her datirte. es wäre kein geringes Verdienst, be-
sonders um Poeten von meiner Natur, die nun einmal keine
35 gra)iimatische Ader in sich fühlen" (Br. 13. 217. 18—24».
„Ihnen" (Z. 13) in ..ihnen" zu ändern, was nahe liegt ist man
nach Br. 13. 393 (zu S. 126, 18) nicht berechtigt.
154 HERMANN UND DOROTHEA. 1798
J [April V Weimar?] [328]
Ueberschickte^ eine ans manchen Elementen zusammen-
gesetzte Freude gemacht. In der Zeit, wo das rechte
und linke Rheinufer im schwersten Conflicte sind, lassen
Sie mich fühlen, dass es im Einzelnen noch eine völlige 5
Uebereinstimmung der Gemüther gebe; wenn ich denken
muss, dass die Zeit und die Ungeheuern Wirkungen alle
einzelne Empfindungen müssen ausgelöscht haben, so
versichern. Sie mich, dass es Personen an dem Orte gibt,
denen ich eine frühere Bildung verdanke, [die] sich eines lo
Verhältnisses gern erinnern, das freilich unschätzbar ist
und nicht ■«ieder kommt, weil beide Theile sich nun
mit der Zufriedenheit, die nur das Edle und dute be-
gleitet, sich dessen erinnern können. ... So selten es
ist, einen wirklichen Einklang bei so viel Scheinbarem i5
zu vernehmen, so sehr muss er erfreuen, wenn man ihn
gewahr wird. Wie angenehm muss es uns sein, uns mit
Ihnen in dem Fall zu befinden.
. . . Möchte doch bald die Communication zwischen
beiden Ufern sich ganz frei wieder herstellen, dass wiv 20
nicht nur in Schriften und Gesinnungen, sondern auch
in persönlicher Gegenwart auf eine sichre und bequeme
Weise mit einander communiciren können.
An J. G. Schweighäuser. — Br. 13, 128, 1—20. 129, 1— G.
Mai 2, Weimar. 329 25
Die englische IJebersetzung meiner ,Dorothea'^, welche
Herr Mellish unternommen hat, ist, wie er mir gestern
sagte, fertig; er will mir die vier ersten Gesänge zeigen,
die er mit liat. Ich selbst kann so was gar nicht beur-
theilen; ich will veranlassen, dass Schlegel sie zu sehen 3«
Der in Strassburg lebende Adressat „gab iu eiuem Brief au
Goethe vom 7. April seiner Bewunderung für .Hermann und
Dorothea' Ausdruck und übersandte den Druck eines fran-
zösischen Aufsatzes, den er über dieses Gedicht geschriebeu"
(E. V. d. Hellen in Br. 13, 393 zu Nr. 3784). vgl. (^».-Humboldt 35
S. 51.
1798 HERMANN UND DOROTHEA. 1.'.5
[Mai 2, Weimar.] [329]
kriegt, der das Verhältniss beider Sprachen mehr stu-
dirt hat\
An Schiller. — Br. 1.3. 13ö. 20—26.
5 Mai 1.5, Weimar. — s. 11. 14—17. 24—20. 330
Mai 10. Weimar. 331
Von einer unerwartet erfreulichen Xovität habe ich
keine Ahndung noch Muthniassung, doch soll sie mir
ganz willkommen sein-. Es ist nicht in meinem Lebens-
10 gange, dass mir ein unvorbereitetes, unerharrtes und
unernmgenes Gute begegne.
An Schiller. — Br. 13, 149. 15—10.
Mai 19, Weimar. 332
Humboldts Arbeit^ erwartete ich wirklich nicht und
15 freue mich sehr darauf. Um so mehr als ich fürchtete.
' Im Briefwechsel zwischen Goethe und A. W. Schlegel wird
die Uebersetzwng nicht genannt; Schiller thut ihrer Erwäh-
nung am 24. August 1799 (Br. 0. 77) und sagt. Mellish habe
sie dem Buchhändler .John Bell in London ..zum Verlag ge-
co geben". Sie scheint jedoch nicht herausgekommen zu sein.
- Am 12. Mai hatte Schiller die Abhandlung Wilhelm von
Humboldts über , Hermann und Dorothea' im Manuscript
erhalten, imd davon am 1.5. Mai an Goethe geschrieben: ..Da
Sie hoffentlich nächstens hier sind, so behalte Ich bis dahin
25 eine ganz neue und unerwartete Novität zuräck. die Sie
.sehr nahe angeht und die Ihnen viel Freude machen wird.
wie ich hoflfe. Vielleicht erratheu Sie sie aber" (Schillere
Br. 5. 382).
^ Schiller hatte am IS. Mai mitgt'theilt: .. . . die Xovität. von
30 der ich Ihnen schrieb imd worülier ich Sie nicht in eine zu
grosse Erwartung setzen will, ist ein Werk über Ihren , Her-
mann", von Hvimboldt mir in ^Manuscript zugeschickt. Ich
nenne es ein Werk, da es ein dickes Buch geben wird, und in
die Materie mit grösster Ausfülulichkeit und Gründlichkeit
35 eingeht. Wir wollen es. wenn es Ihnen recht ist, mit einan-
der lesen; es wird alles zur Sprache bringen, was sich durch
Raisonnement über die Gattung und die Arten der Poesie aus-
machen oder ahnden lässt. Die scheine Gerechtigkeit, die
Ihnen darin durch einen denkenden Geist und durch ein gc-
156 HERMANN UND DOROTHEA. 1798
[Mai 19, Weimar.] [332]
dass uns seine Eeise seinen theoretischen Beistand,
wenigstens auf eine Weile, entziehen würde. Es ist kein
geringer Vortheil für mich, dass ich wenigstens auf der
letzten Strecke meiner poetischen Laufbahn mit der 5
Ki'itik in Einstimmung gerathe^.
All Schiller. — Br. 13. 151, 10—16.
Mai 21, Jena. 333
Gegen Abend bei Schiller, den Humboldtischen Auf-
satz über das epische Gedicht angefangen. lo
Tgb. 2. 208,6-8.
Mai 22, Jena. 331
Abends bei Schiller, Fortsetzung der Humboldtischen
Abhandhmg, über die Ilias-.
Tgb. 2, 208, 11—13. j5
fühlvolles Herz erzeigt wird, muss Sie freuen, so wie dieses
laute und gründliche Zeugnlss auch das unbestimmte Ur-
theil unsrer deutschen Welt leiten helfen, und den Sieg Ihrer
:Muse über jeden AViderstaud. auch auf dem Wege des Rai-
sounements entscheiden und beschleunigen wird" (Schillers 20
Br. 5, 385).
^ In Schillers Briefe vom 18. Mai heisst es weiter: „Ueber
das. was ich mit Cotta gesprochen, mündlich. Was mich
aber besonders von ihm zu hih-en freute, ist die Nachricht,
die er mir von der ungeheuren Ausbreitimg .Hermanns und 25
Dorotheas' gab. Sie haben sehr recht gehabt, zu erwarten,
dass dieser Stoff für das deutsche Pulüicum besonders
glücklich war, denn er entzückte den deutschen Leser auf
seinem eigenen Grund und Boden, in dem Kreise seinei'
P"'ähigkeit und seines Interesses, und er entzückte ihn doch 30
wirklich, welches zeigt, dass nicht der Stoff, sondern die
dichterische Belebung gewirkt hat. Cotta meint. Vieweg
hätte eine wohlfeile schlechte Ausgabe gleich veranstalieu
sollen, denn er sei sicher, dass bloss in Schwaben eiiiiue
tausende würden abgegangen sein" (Schillers Br. 5, 385 f.). 35
Am 20. Mai Nachmittags reiste Goethe für einige Zelt nach
Jena.
- s. 14, 36—15, 25.
1798 HERMANN UND DOROTHEA. 157
Mai 23, Jena. 335
Abends bei Schiller, Fortsetzung des Huraboldtischen
Aufsatzes. Und bei Gelegenheit desselben viel über das
epische Gedicht [,Hermann und Dorothea'] und über
5 das, was zunächst wohl vorzunehmen wäre.
Tgb. 2, 208, 16—19.
Mai 25, Jena. 336
Abends bei . . Schiller. Humboldts Abhandlung fort-
gesetzt, , .
10 Tgb. 2, 209. 2-4.
Mai 26, Jena. 337
Abends bei Schiller den Humboldtischen Aufsatz fort-
gesetzt. Ueber epische, dramatische und lyrische Dicht-
kunst.
15 Tgb. 2. 209,9—11.
Mai 27, Jena. 33S
Abends bei Scliiller. Fortsetzung von dem Hum-
boldtischen Aufsatz.
Tgb. 2, 209, 14—16.
23 Juni 30, Weimar. 339
Ihr Schreiben an [Wilhelm von] Humboldt ist zwar
recht schön und gut, doch wird es dem Freunde nicht
ganz erquicklich sein, denn es druckt nur allzusehr aus:
dass diese Arbeit nicht ganz in unsere gegenwärtigen
25 Umstände eingreifen konnte. Sie haben einen recht
wichtigen Punct berührt: die Schwierigkeit, im Prak-
tischen etwas vom Theoretischen zu nutzen^. Ich glaube
^ In seinem langen Briefe an Humboldt vom 27. .Juni sagt
Schiller: ...Meine ganze Thätigkeit hat sich gerade jetzt der
Ausübung zugewendet [gleich der Goethes, s. oben Z. 24 f.
..gegenwärtige Umstände"], ich ei'fahre täglich, wie wenig
der Poet durch allgemeine reine Begriffe bei der Aus-
übung gefördert wird, und wäi"e in dieser Stimmung zuweileu
unphilosophisch genug. Alles, was ich selbst und andere von
der Elementarästbetik wissen, für einen einzigen empiri-
schen Yortheil, für einen Kvmstgriff des Handwerks hinzu
158 HERMANN UND DOROTHEA. 1798
[Juni 30, Weimar.] [339]
wirklich, dass zwischen beiden, sobald man sie getrennt
ansieht, kein Y e r b i n d ii n g s m i 1 1 e 1 statt finde,
und dass sie nur in so fern verbunden sind, als sie von
Haus aus verbunden A^-irken, welches bei dem Genie von 5
jeder Art statt findet.
An Schiller. — Br 13, 198, 1—12.
Juli 12, Weimar. 340
Auf Ihren Brief, werthester Herr Yieweg, früher zu
antworten hat mich eine kleine A'erlegenlieit abgehalten, lo
indem ich wirklich nicht weiss, was ich darauf erwidern
könnte. Ich läugne nicht, dass ich bei unserer Abrede,
mir eine Octavausgabe gleichzeitig mit der in Duodez
dachte, wenigstens erwartete ich sie <iuf der Ostermesse.
Xun aber will ich auch nicht dagegen sein, dass Sie 15
solche noch nachbringen, und wünsche, dass sie Ihnen
einigen Yortheil gewähre. Wahrscheinlich nehme ich
das Gedicht in Bezug auf eine zweite Ausgal>e so bald
nicht wieder vor^, -«-ie ich denn auch gegenwärtig keine
Yeränderungen mittheilen könnte; doch möchte ich 20
nicht ausdrücklich Ihr Yerlagsrecht verlängern-, da so
manche Umstände eintreten können, unter welchen man
nicht gebunden zu sein wünscht.
An Yieweg. — Br. 13, 203. 6—21.
geben. In Rücksiclit auf das Hervorbringen werden Sie mir 25
zwar selbst die Unzuläugliclikeit der Theorie einräumen, aber
ich dehne meinen Unglauben auch auf das B e u r t h e i 1 e n
aus und mfichte behaupten, dass es kein Gefäss gibt, die
Werke der Einbildungskraft zu fassen, als eben diese Ein-
bildungskraft selbst, und dass auch Ihnen die Abstraction 30
und die Sprache Ihr eigenes Anschauen und Empfinden nur
unvollkommen hat ausmessen und ausdrücken können"
(Schillers Br. 5, 394).
' Diess geschah erst für den Druck in den Werken C'otta' 1806
und 1807. Hier scheint es sich um die Ausgabe von 1799 zu 35
handeln, vgl. Nr. 352. 353.
^ Vgl. 101. 5—8.
1798 HERMANN UND DOROTHEA. 159
Juli 12, Weimar. 3-U
[Nach] Berlin [an] Vieweg: Antwort wegen der
zweiten Ausgabe von , Hermann und Dorothea' [s. Xr.
340].
5 Briefverzeicliniss 1798. — Br. 13,434.
Juli IG, [Jena? und] Weimar^ 342
Bei meiner Ankunft hier überraschte midi Schiller
mit Ihrem Aufsatze über , Hermann und Dorothea', wir
lasen den grössten Theil zusammen und, nachdem wir
10 verschiedene ]\Ial unterbrochen worden, habe ich den
Schluss für mich allein gelesen und nach Anleitimg des
Inhalts und der Uebersicht manche einzelne
Theile wiederholt, und nun sei Ihnen dafür sogleich der
schönste und beste Danlc gesagt.
15 Dass Sie Ihre Theilnahme für mich und meine Ar-
beiten auch mit in das merkwürdige Land" nehmen
würden, durfte ich hoffen, dass Sie aber ein so fortge-
setztes Nachdenken meinem Gedichte widmen sollten,
dass Sie sich entschliessen könnten, eine so grosse Ar-
-^ beit, als diese Entwicklung ist, in einer Zeit zu unter-
nehmen, die Ihnen so mannigfaltige andere Genüsse
anbot, konnte ich auch nicht zum fernsten ahnden, und
diese Erscheinung ist mir nun um so erfreulicher, t^Ls
' Dieser Brief trägt, aui Stliluss. das Ortsdatuiu ..Weimar"'.
25 Da aber unter den Worten ..Bei meiuer Anlcunft liier" (Z. 7)
nur Jena verstanden werden kann, wo Goethe, am 20. Mai
ankommend. Abends Seliiller besuclite (vgl. Tgb. 2. 208, 2—4),
und am folgenden Tage die gemeinsame Leetüre von Hum
boldts Abhandlung begann (s. Xr. 333). so muss der Brief
30 theihveise in Jena gesehrieben und in Weimar beendet sein.
Der Ausdruck „überraschte" (Z. 7l ist vollberechtigt, ob-
gleich Schiller, wie 155, 31 f. beweist, schon vorher über das
Werk und dessen Verfasser an Goethe geschrieben hatte.
" Frankreich. Im Druck der Abhandlung trägt der zwischen
35 das Inhaltsverzeichniss und den Text eingefügte Nebentitel
die Datirung „Paris, im April 1798".
IGO HERMANN UND DOROTHEA. 1798
[Juli 16, [Jena? und] Weimar.] [342]
sie mir beweist, wie innig Sie der Kunst, Ihrem Vater-
lande und Ihren Freunden angehören.
Ich will Ihnen gern gestehen, dass mich Ihr Studium
meines Gedichtes, wenn Sie auch nicht ganz so günstig s
davon zu urth eilen geneigt gewesen wären, doch be-
schämt haben würde, wenn ich nicht zugleich gedächte,
dass es Ihnen mit angehört und Sie also eine Art von
Xeigung, wie zu einer eignen Arbeit, gegen dasselbe
fühlen müssen. Es ist nicht eine Höflichkeit, die ich lo
hier sage, denn Sie \Aassen selbst, -wie sehr wir in dem
Kreise, in dem wir nun schon eine Zeit lang zusammen
leben, uns wechselseitig auszubilden unaufhörlich ge-
arbeitet haben.
Dem sei nun wie ihm sei, so habe ich Ursache mich is
zu freuen, dass gerade meine Arbeit Sie veranlasst hat,
diese \Aächtige Materie durchzudenken, mit sich selbst
darüber einstimmig zu werden, und eine lebhafte Com-
munication mit uns und andern zu eröffnen.
Auch diese Ihre neue Schrift, in welcher Sie uns 20
einen solchen Schatz von Ideen und Beobachtungen
überliefern, soll Ihnen künftig doppelt werth sein, wenn
Sie durch die That erfahren, dass sie in mehr als Einem
Sinne auf mich gewirkt hat. Mein lebhafter Wunsch ist
der, bald wieder an eine neue epische Arbeit [,Achil- 25
leis'] gehen zu können. Ich habe zeither sehr viel über
diese Dichtungsart gedacht, und Ihr Aufsatz hat nicht
allein alles wieder auf's neue und von A^erschiednen
Seiten erregt, sondern er hat mich auch auf gewisse
Puncte aufmerksam gemacht, die mir, ob ich sie gleich 30
im Auge hatte, doch erst durch Ihre Ableitimg recht
wichtig geworden sind. So freue ich mich voraus, dass
Sie dasjenige, was Sie billigen und für recht halten, in
meinen Arbeiten noch inmier mehr ausgedruckt und
vollendet finden sollen. 35
1798 HERMANN UND DOROTHEA. 161
[Juli 16, [Jena? undj Weimar.] [342]
Indem ich. Ihnen nun diesen praktischen Dank
bereite, so Trird Schiller Sie umständlicher unterhalten,
wie der Theoretiker Ihre Deduction aufnehmen möchte,
5 wozu mir von dem Himmel das Organ versagt ist.
Xehmen Sie nun auch meinen Dank für die freund-
schaftKche Art, mit der Sie meiner Mängel erwähnen.
Man mag sich noch so sehr zum iyigemeinen ausbilden,
so bleibt man immer ein Individuum, dessen Xatur,
10 indem sie gewisse Eigenschaften besitzt, andere noth-
wendig ausschliesst.
An W. v. Humboldt. — Br. 13, 214, 19— 216, 28.
Juli 28, Weimar. 343
Aufrichtig . . will ich gestehen, dass ich nicht sehe,
15 wie es mögHch sein soll, eine Eevision seiner [Wilhelm
von Humboldts] Arbeit, wie er sie vorschlägt, zu veran-
stalten. Denn wenn Sie, nach Ihrer Vorstellung, daran
zu rücken anfangen, so wird Ja das Gebäude mehr ge-
regt, als dass es in aUen seinen Fugen bleiben könnte.
20 Xach meiner Vorstellungsart Hesse sich so etwas kaum
durch Gegenwart und Gespräch leisten^.
An Schiller. — Br. 13, 232, 12—20.
^ Humboldts Brief an Schiller scheint nicht mehr vorhanden;
er war am 25. Juli angeliommeu, und Schiller hatte ihn zwei
25 Tage später an Goethe geschickt, mit der Bemerliung: die
von Humboldt erwartete Durchsicht des Werkes komme ihm
„etwas ungelegen, und das Corrigiren in fremden Arbeiten
ist eine ebenso undankbare als schwierige Arbeit"' (Schillers
Br. 5, 410).
30 Die Abhandlung erschien 1799 unter dem Titel ,Wilhelm
von Humboldt's Aesthetische Versuche. Erster Theil. Ueber
Göthe's Hen-mann und Dorothea' bei dem Verleger der Dich-
tung, Friedrich Vieweg, der sein Geschäft inzwischen nach
Braunschweig verlegt hatte.
35 Schiller wird sich, bei aller Anerkennung der Gründlich-
keit, Tiefe und Feinheit des Werkes, doch bald der daran ge-
knüpften Hoffnung (s. 156, 17—20) entschlagen haben. Er
fürchte schreibt er an Körner am 25. Mai 1798: „es wird lange
Graf, Goethe über seine Dichtungen T. I. 11
162 HERMANN UND DOROTHEA. 1799
1799.
März 15, Weimar. — s. 18. 9—11. 344
Mai 7, Jena. 345
Die Viewegischen Exemplare von ^Hermann und Do-
rothea' schicken Sie mir doch hierher, damit ich sie be- 5
schaue, ehe ich sie an Freunde austheile^.
An H. Meyer. — Br. 14, 81, 3—5.
Mai 9, Jena. 346
Die vier Exemplare .Hermann und Dorothea' sind
glücklich angekommen^. lo
An H. Meyer. — Br. 14, 83, 8 f.
Mai 9, Jena. 347
. . ein Bote von Weimar mit den Exemplaren , Her-
mann und Dorothea' [s. Xr. 345].
Tgb. 2, 247, 2 f. 15
Mai 12, Jena. 348
Ich schicke Dir von ,Hermann und Dorothea' zwei
Exemplare, eins für die Mutter^ und eins für Dich; lasse
den Eindruck niclit maclien, den es verdient, denn ausserdem
da SS es mit den bekannten Fehlern des Humboldtiscben Stils 20
behaftet ist, ist es für einen allgemeinen Gebrauch noch viel
zu schulmässig steif geschrieben", xmd gegen Humboldt
selbst bekennt er ganz offen (27. Juni 1798), das Buch sei „für
den geTvöhnlichen Leser zu technisch und auch zu streng, für
den Kunstgenossen aber oft unnöthigerweise ausführlich und 25
popularisirt" (Schillers Br. 5, 386. 396; vgl. auch ebenda 5.
432 f. 6, 12 und Schüler-Körner 2, 320).
,,Vier von sieben Exemplaren der , Neuen Ausgabe mit zehn
Kupfern' [s. 81,3—5], am 26. April durch Böttiger an Goethe
geschickt" (E. v. d. Hellen in Br. 14, 261 zu S. 81. 3). 30
s. Nr. 345.
' Christiane hatte um ein E:Semplar für Goethes Mutter ge-
beten (Br. 14, 263 zu S. 91, 5).
Am 24. Mai bedankte Frau Rath sich bei Goethe: ..Lieber
Sohn: Sage meiner lieben Tochter vielen und herzlichen 35
Dank für das vortreffliche Exemplar von .Hermann und Do-
rothea' — das Werk verdient solche Verschönerungen [wohl
1799 HERMANN UND DOROTHEA. 163
[Mai 12, Jena.] [348]
aber Deins nicht durch viele Hände gehen, indem ich
Dir, "n'enn's beschmutzt ist, kein» so leicht wieder
scliaffen kann, und lebe indessen recht wohl.
5 An Christiaue. — Br. 14, 91, 4—8.
Mai 12, Jena. 349
[Brief an] Dem. Yulpius . . . zwei Exemplare , Her-
mann und Dorothea" [.«. Xr. 348].
Tgb. 2, 248, 13. 15 f.
10 Mai 20. .Jena. — s. 25, 5—10. 349a
Juli 10, Weimar. 350
Ich lege meine letzte Arbeit bei, welche durch einen
Ihrer Landsleute, der sich in unserer Xachbarschaft
aufhält^, übersetzt worden ist.
15 Sollte ich in dieser oder in einer ähnlichen Art wieder
etwas publiciren, so werde ich es mit Vergnügen mit-
theilen, . .
An J. Daltou. — Br. 14, 130, 8-13.
mit Bezug auf die Kupfer gesagt] — denn es ist ein Meister-
te stück ohne gleichen: Ich trage es herum wie die Katze ihre
Jungen — bis Sonntag nehme ich es mit zu Stoclis — die
werden krähen und jublen. . . . Uebrigens freue ich mich,
dass Du wieder in oder um Jena bist — da gibt's wieder so
einen , Hermann' — oder dergleichen — Gott segne Dich und
25 erhalte Dich gesund und froh" (SdGG. 4, 177,2—9. 178.4—8).
Später, am 22. März 1800, schreibt Goethes Mutter: ..Senior
Hufnagel überschickt Dir hier etwas — dass von , Hermann
und Dorothea' die Rede darinnen ist, kannst Du leicht er-
ratheu — dieses vortreffliche Werk hat auf ihn einen Eindruck
30 gemacht, der nicht leicht grösser sein kann" (SdGG. 4, 189.
19 — 23). Das Ueberschickte war die Abhandlung .I'eber das
Verdienst des vollendeten Gesangs: Hermann und Doro-
thea, religiösen Bürger- und Familiensinn allgemeiner zu
verbreiten' in Hufnagels ,Für Christenthum, Aufklärung
35 und Mensehenwohr Band 2 Heft 8, XX (nach Suphans An-
gabe SdGG. 4. 385 zu S. 189. 19).
' s. Nr. 329. Mellish wohnte in Dornburg.
164 HERMANN UND DOROTHEA. 1799
Juli 13, Weimar. 351
.Hermann und Dorothea' nach London abgeschickt^
durch Herrn Bergrath Scherer.
Tgb. 2, 256, 11 f.
August 5, Weimar. 35l; &
Mit Herrn Yieweg hatte ich bisher alle Ursache zu-
frieden zu sein, indem er seine Obliegenheiten gegen
mich pünctlich erfüllt hat; aber das kann ich nicht
loben, dass er ,Hermann und Dorothea' als den ersten
Band einer neuen Sammlung verkauft, worüber zwischen lo
uns keine Abrede getroffen worden-.
An Unger. — Br. 14, 144, 16—21.
September 22, Jena. 353
Dass Herr Yieweg , Hermann und Dorothea' auch als
ersten Band neuster Schriften ausgibt, daran thut er is
nicht wohl, indem liierüber zwischen uns nichts verab-
redet worden^.
An Cotta. — Br. 14, 189, 15—18.
^ Vielleicht dieselbe Sendung wie die in Nr. 350 genannte".'
Dalton hatte als seine Adresse angegeben „Dalton Albury 2»
Guildford Angleterre" (Br. 14, 268 zu Nr. 4079).
^ Goethes Verleger Unger in Berlin ,, hatte am 23. Juli gemel-
det, dass Vieweg die Dichtung unter dem Titel ,Neue
Schriften Erster Band' gedruckt habe; er sah hierdurch
sein gleichbetiteltes Unternehmen [,Goethe's neue Schriften' 25
sieben Bände, 1792—1800] gescliädigt und fragte an, ob Vie-
weg von Goethe dazu ermäclitigt sei" (Br. 14, 272 zu S. 144.
19).
Ungers Angabe war übrigens nicht genau, insofern di»^
neue Ausgabe Viewegs nicht als „Erster Band" bezeichnet 3>
ist, vgl. 81, 10—14.
Die dieser Ausgabe beigegebenen unerfreulichen Kupfer
(vgl. 81, 5—9) hatte Catel gezeichnet. Wilhelm von Humboldt
sandte, Ende August 1799 von Paris aus, eine Zeichnung
Catels an Goethe, mit dem Bemerken: „Er wünschte sie 35.
Ihnen vorzulegen, um vielleicht dadurch das ungünstige Ur-
theil auszuwischen, was die Kupfer zu , Hermann und Doro-
thea' bei Ihnen erweckt haben könnten" (G. -Humboldt S, 130).
' Vgl. Nr. 3.52.
1800 HERMANN UND DOROTHEA. 165
ISOO.
März 5, Weimar. 354
Durch die Vorschläge zur Verbesserung meiner [Eö-
mischen] Elegien haben Sie mir eine besondere Gefällig-
5 keit erzeigt. . . nun folgt mit meinem Danke freilieh
auch die zweite Sammlung. . . .
Meine gegenwärtige Lage ist so unpoetisch als unkri-
tisch imd es sind mir daher bei diesem Geschäft, dem ich
nicht ausweichen kann, die freundschaftlichen Winke
10 um desto schätzbarer^.
Au A. W. Schlegel. — Br. 15, 33, 1—5. S— 11.
Mai 7, Leipzig. 355
Heute erhielt ich die Probe von Bitaubes Veber-
setzung von .Hermann und Dorothea'-.
15 Tgb. 2, 293, 10 f.
20
'■ Baud T von Goethes , neuen Schriften', erschienen 1800, ent-
hält imter den Gedichten auch die beiden Abtheilungen der
Elegien.
Schlegel schickte das Manuscript am 8. März zurück,
., nebst wenigen Vorschlägen, die ich Ihnen wie die vorigen
auf Gnade und Ungnade übergebe" (SdGG. 13, G7). Die Tor-
schläge für die Elegie ,Hermanu und Dorothea' sind abge-
druckt W. 1, 431 f.
Seine Absicht, die bis dahin uugedruckte Elegie jetzt an
25 dieser Stelle zu veröffentlichen, theUte Goethe Schillern am
2.3. März mündlich mit. wie aus Schillers Briefe vom 24.
März hervorgeht, in dem es heisst: ,.Da Sie. wie Sie gestern
sagten, die noch ungedruckte Elegie, welche so viel persön-
liche Beziehung auf Sie selbst hat. mit abdnicken lassen . ."
30 (Schillers Br. ß. 143t.
^ .Herman et Dorothee. eu IX chants; Poeme allemand de
Goethe, traduit Par Bitaube. . . Paris et Strasbourg. Treut-
tel et Wurtz. de Timprimerie de Didot le jeune. An IX. —
1S00-. Mit einem, nach Catel von F. Huot gestochenen,
Kupfer zu Gesang 8 V. 91-98. - Bitaiibes Uebertragung ist
in ungebundener Rede verfasst.
35
166 HERMANN UND DOROTHEA. ISO»
November 3, Weimar. 35ß
So könnte ich Dir die Ueljersetzung von ,Hennann
und Dorothea' durch Bitaube schickend Die Ueber-
setzmig selbst sowohl als seine Aeusserungen in der Vor-
rede, und einige Bemerkungen eines Eecensenten, in der 5^
jDecade philosophique', sind desshalb merkwürdig, weil
die französische Nation hier in einem bedeutenden Ge-
gensatz gegen die deutsche erscheint. Es zeigt sich, dass
Avir durch Schätzung des Mittelstandes echt republica-
nische Gesinnung verrathen, anstatt dass die Eepubli- lo
caner clavon gar nichts wissen wollen, sondern sich noch
immer, nach dem Zeugniss ihrer eignen Landsleute, als
eingefleischte Aristokraten beweisen^.
An Knebel. — Br. 15, 137, 7—19.
' Bitaube hatte am 6. September, von Pai'is aus, ein Exem- 15
plar als Geschenk an Goethe gesandt, wofür dieser sich am
19. November bedankt (s. Nr. 357).
Knebel bittet in seiner Antwort vom 20. November um
Mittheilung der Uebersetzung (die er schon in seinem Briefe
an Goethe vom 18. März zu sehen gewünscht hatte) und um 20
die Besprechung des, oben Z. 5 f. erwähnten, französischen
Kritikers (G.-Knebel 1, 242. 252 f.).
Wilhelm von Humboldt schreibt am 10. October 1800 an
Goethe: ,,Die Uebersetzung , Hermanns und Dorotheas' hat
doch ein ziemliches Publicum gefunden [vgl. dagegen Nr. 25
411]. Indess muss man in solchen Fällen den Beifall der
Franzosen nicht auf eine für sie und ihren Geschmack z;i
günstige Art auslegen. Auch das Gute gefällt ihnen in dieser
Art meist durch eine schiefe Ansicht. In der letzten Sitzung
des Nationalinstituts wurde öffentlich dieser Uebersetzung so
und dabei Ihrer, Schillers und Klopstocks erwähnt" (G.-
Humboldt S. 172).
^ Das Pariser Journal ,La decade philosophique, litteraire «-t
politique. Par une Society de Gens de lettres' brachte in
Nr. 2. 3, vom 20. und 30. Vendemialre neuvieme annee di' 35-
la republique, S. 69—77 und 161—168, eine, mit der Chiffirr»
D. G. unterzeichnete, Bespreclumg von Bitaubes Ueber-
tragung, aus der offenbar folgende Stellen Goethe sowohl
1800 HERMANN UND 'DOROTHEA. 167
November 19, Weimar. 357
Wenn es rühmlieh für einen Schriftsteller ist, von
fremden Xationen gekannt zu sein, so ist es, dünkt mich,
noch ehrenvoller, von Männern geschätzt zu werden,
5 welche die Muster kennen, nach denen er sich zu bilden
gesucht hat.
Sie haben, würdiger Mann, mein Gedicht der Ueber-
setzung nicht unwerth geachtet, nachdem Sie, in friihe-
rer Zeit, Ihr Gefühl für unsere Lehrer, die Griechen, und
10 für den Beiz patriarchalischer Sitten, durch Ueber-
setzuno^ und eis^ne Arbeit an den Tag geleckt hatten^.
zu obiger Aeusserung als zu der äbnliclieu in seinem Briefe
an ßitaube (s. 168, 6—11) veranlasst haben.
„ ,Hermann et Dorothöe' ", sagt der französische Kritiker,
15 ,,fait les delices de l'Allemagne. Un Poeme, dont le sujet
serait tire d'une petite ville de France, et ne fei'ait que
deerire Texistence Interieure d'une de ses familles, ne serait
pas lu ä Paris"; und an einer andern Stelle heisst es:
,.Une hotellerie serait parmi nous un lieu fort mal choisi
20 poiu- etablir le lieu de la scene, ä moins qu'ou ne voulüt
faire du Poeme une comedie. Mais en AUemagne l'etat
d'hOte est beaucoup plus eonsid§re; l'hote est ordiuairement
un personnage considerable, un riche proprietaire, souvent
un des preraiers magistrats de la ville. Un des princi-
25 paux persounages dans .Hermann et Dorothee' est un
voisin apotliicaire. Mais ce titre d ' a p o t h i c a i r e reveille
parmi nous des idees de ridicule qui n'existe point
eu AUemagne, idees que le Traducteur a essaye de detour-
ner, en adoptant le mot de pharmacien. Le pasteur
30 d'un bourg allemand ressemble assez peu ä un de nos eures.
Les details sur les chevaux et l'etat de l'ecui'ie sont pour
nous des idees triviales; mals elles ont aux yeux de 1' Alle-
mand une plus haute importance, parce qu'il regarde ses
chevaux comme sa plus interessante propri§te, et qu'il leur
35 donne les plus grands soins. On pourrait etendre a Tlnüni
ces eompai-aisons" (a. a. O. S. 72. 75).
^ Bitaubes französische Prosaübersetzung der Uias und der
Odyssee, mit Anmerkungen, war 1787 in dritter Auflage
erschienen. Abhandhmgen über Homer und über die Kunst
40 des Uebersetzens waren diesem Werke vorausgegangen und
folgten ihm nach.
168 HERMANN UND DOROTHEA. 1801
[November 19, Weimar.] [357]
Sie lassen dureli diesen Antheil an meinem Gedicht
dem Bestreben Gereelitigkeit widerfahren, das in mir
immer lebendig war, mich von den Formen der Alten so
viel als möglieh zu durchdringen. 5
Ich wünsche Ihrer Arbeit in Frankreich um so melir
Beifall, als schon der Inhalt für den Leser nicht ohne
Nutzen bleiben kann. In jedem Staat, besonders aber
in einer Eejsublik, ist es höchst wichtig, dass der Mittel-
stand geachtet werde und sich selbst achte; AA^elches bei 10
Ihren Landsleuten nicht immer der Fall zu sein scheint^.
Wäre ich jünger, so würde ich den Plan machen Sie
zu besuchen, die Sitten und Localitäten Frankreichs, die
Eigenheiten seiner Bewohner, so wie die sittlichen und
geistigen Bedürfnisse derselben nach einer so gTossen 15
Krise näher kennen zu lernen. A'ielleicht geläüge es mir
alsdann, ein Gedicht zu schreiben, das, als jSTebenstück
zu ,Hermann und Dorothea', von Ihrer Hand übersetzt,
nicht ohne Wirkung bleiben sollte, die, wenn sie auch
nur beschränkt wäre, doch dem üebersetzer wie dem 20
Verfasser genug thun könnte. *
Doch ein solches unternehmen erfordert Kräfte, die
ich mir nicht mehr zutraue.
An Bitaube. — Br. 15, 148, 12—149, 22.
November 19, Jena. 358 25
An Herrn Bitaube Paris. Dank für ,Hermann und
Dorothea' eingeschlossen [s. Xr. 357].
Tgb. 2, 313,21—23.
1801.
] [April 2, Ober-Rossla-.] 359 30
Ein Schreiben von einem ]\Ianne zu erhalten, dessen
Verdienste sowohl um die Litteratur seiner Nation, als
um fremde Litteraturen-, mir schon längst wohl bekannt
1 Vgl. 166, 7—13.
' Die Datirung dieses Concepts ist nacli Tgb. 3, 11, 16 f. ge- 35
schoben („Dictat an einem frühereu Tage möglich", Br. 15,
348 zu Nr. 4375).
1801 HERMANN UND DOROTHEA. 1G9
j[April 2, Ober-Rossla.] [359]
sein mussten^, war mir um so angenehmer, als ich daraus
den Antheil ersah, welchen derselbe an meinen Produc-
tionen zu nehmen geneigt ist. ^Hermann und Dorothea'
5 auch durch Sie übersetzt zu sehen, kann mir nicht anders
als schmeichelliaft sein, und Sie würden mir ein beson-
deres Vergnügen machen, wenn Sie mir Ihre Arbeit,
entweder im Manuscri2)t oder sobald sie die Presse ver-
lassen hat, zusenden wollen.
10 Die Verwandtschaft der englischen Sprache mit der
deutschen begünstigt auch eine metrische Uebersetzung,
und wenn Sie an einigen Stellen von dem Original abge-
wichen sind, so werde ich wahrscheinlich die Ursachen
billigen inüssen, welche Sie dazu bewogen haben. Sehr
15 gern werde ich, sobald ich mit Ihrer Arbeit bekannt
geworden, hierüber meine Gedanken eröffnen.
Wenn Sie mir das Paquet durch die fahrende Post
schicken wollen, so wird dasselbe mir bald und sicher
zukommen.
20 An T. Holcroft. — Br. l.j, 211. 15—212. 14.
Mai 10, Weimar. 360
jHermann und Dorothea' zum einbinden-.
Teb. 3. 13, 6 f.
'■ Zu Holcrofts „Verdiensten um die Litteratur seiner Nation"
25 mochte Goethe dessen Dramen und Novellen rechnen; um
„fremde I.itteraturen" hatte Holcroft sich durch zahlreiche
Uebersetzungeu in's Englische verdient gemacht; unter
diesen waren Goethe vielleicht in litterarischen Be-
sprechungen die , Essays on Physiognomy by J. C. Lavater'
30 (17931 aufgefallen, oder ,The Life of Baron Frederic Trench"
(1788); aus dem Französischen hatte Holcroft unter An-
derem übersetzt:
,Tiie Follies of a Day, or the Marriage of Figaro, from the
French of M. de Beaumarchais' (1785) und .Posthumous
35 Worlis of Frederic II, King of Prussia' (1789 in dreizehn
Bänden).
= Vielleicht hat das Einbinden des Exemplars Beziehung zu
Nr. 362.
170 HERMANN UND DOROTHEA. 1801
Mai 29, Jena. 361
Indem ich die mir mitgetlieilte Uehersetzung von
jHermann und Dorothea' mit Dank zurücksende^, er-
lauben Sie mir, . . einige Betrachtungen.
Man kann, wie es mir scheint, nach zweierlei Maximen &
übersetzen, einmal wenn man seiner Xation den reinen
Begriff eines fremden Autors überliefern, fremde Zu-
stände derselben anschaulich machen ^nll, wobei man
sich denn genau an das Original bindet; man kann aber
auch ein solches fremdes Werk als eine Art Stoff be- lo
handeln, indem man es, nach eignen Empfindungen und
üeberzeugungen, dergestalt verändert, dass es unserer
Xation näher gebracht und von ihr gleichsam als ein
Originalwerk aufgenommen werden könne-.
In dem letzten Falle scheinen Sie sich zu befinden, is
Sie haben zwar im Ganzen den Gang meines Gedichtes
beibehalten, aber durchaus, so viel ich beurtheilen kann,
die dramatisch charakteristischen, lässlichen Aeusse-
rungen meiner Personen strenger, auffallender, didak-
tischer überliefert, und die gemächhche epische Bewe- 20
gung in einen ernsteren gemessnern Schritt verwandelt.
Xach meiner wenigen Einsicht in die englische Litte-
ratur darf ich schliessen, dass Sie hierbei den Charakter
Ihrer Xation vor Augen gehabt, und es ist mir um so
angenehmer, eine völlige Aufklärung hierüber in, der 25
Vorrede und den Xoten, welche Sie Ihrer Arbeit beizu-
fügen gedenken, nächstens zu erhalten.
Uebrigens kann ich die meisten Abweichungen vom
Original aus meinem gefassten Standpuncte ziemlich
beurtheilen, nur vermag ich nicht einzusehen, warum 30
Holcroft hatte am 18. April die Uebersetzuug im Manuscript
an Goethe geschiclit (Br. 1.5, 353 zu S. 233, 1).
Hiermit möge man vergleichen, was Goetlie von den ,,dreie!-
lei Arten" des Uebersetzens in seinen Noten zum .West-
östlichen Divan', in dem Abschnitt „Uebersetzungen", sagt 55
(W. 7, 235, 7—238, 10).
ISOl HERMANN UND DOROTHEA. 171
[Mai 29, Jena.] [361]
Sie die Stelle vom 126. Vers Ihrer Uebersetzung an bis
zum 142.^ auf den ehemaligen Brand des Städtchens
gedeutet, da, im Original, dieser längst vergangenen Be-
5 gebenheit nur im A'orbeigehen erwähnt und eigentlich
die Beschreibung des Zuges der Ausgewanderten durch
diese Stelle fortgesetzt wird. Doch erhalte ich wohl auch
hierüber einige Belehrung und ergreife vielleicht irgend
eine Gelegenheit, über die vier, nunmehr vor mir lie-
10 genden, Uebersetzungen meines Gedichtes öffentlich
meine Gedanken zu sagen-.
An T. Holcroft. — Br. 15, 233, 1—234, 17.
Juui 3, Weimar. 362
E. W. haben die Gefälligkeit, beiliegendes Gedicht
15 Ihrer Dem. Tochter in meinem Xamen zuzustellen.
Möge sie, wenn es ihr einiges Vergnügen macht, sich
* Vers 112—144 des zweiten Gesangs im Original.
- Die vier Uebersetzungen sind, der Zeitfolge nach:
1. die englische von Mellisb 1798, s. Nr. 329. "^^
20 2. die dänische: , Hermann og Dorothea. Af J. W. v. Göthe,
fordansket og omarbejdet af Jens Smidth. Kjübenhavn.
Forlagt og trykt hos K. H. Seidelin 1799-.
3. die französische von Bitaiibe ISOO, s. 105, 31—34.
4. die englische von Holcroft: .Hermann and Dorothea.
25 A poem froni the Germau of Goethe. Introduction aud
Notes. London, Longmau, 1801'.
Ein Yerzeichniss aller europäischen Uebertragungen findet
man im Anhange der 1891 zu Boston erschienenen amerika-
nischen Uebersetzung von Hewett (Br. 15, 353 zu S. 234. 16^,
30 jetzt auch in der, von demselben Gelehrten veranstalteten,
Ausgabe des Originals: ,neat]rs Modern Language Senes
Goethe's Heraiann und Dorothea Edited with an Introduc-
Ausgabe des Originals: .Heath's Modern Language Series
and CO., publishers 1897'; auch hier ist. wie in der Weimarer
35 Ausgabe von Goethes Briefen. Holcrofts Vorname mit J. be-
zeichnet, während er nach dem Dictionary of national bio-
gi-aphy edited by Sidney Lee (27, 118b) Thomas he"iss*t.
172 HERMANN UND DOROTHEA. 1802
[Juni 3, Weimar.] [362]
dabei manchmal des Verfassers erinnern, der ihrem
Vater so viel Dank schuldig bleibt^.
An J. C. Stark. — Br. 15, 236, 19-237, 3.
Juni 3, Weimar. 363 5
An Herrn Hofrath Stark, Jena, ,Hermann imd Doro-
thea^ übersendet [s. Xr. 362].
Tgb. 3, 14, 22 f.
1802.
Juli 28, Weimar. 364 lo
Unser Eath Jagemann hat eine italienische Ueber-
setznng, in elfsilbigen Versen, von , II e r m a n n und
Dorothea' ausgearbeitet und ist, so viel ich weiss,
beinahe damit fertig. Er wünscht denn freilich einen
Verleger zu finden und sich, für die grosse angewendete is
Mühe, einigermassen honorirt zu sehen. Sie werden
besser als ich beurtheilen können, ob ein solches Werk,
bei den gegenwärtigen Neigungen des Publicums, eine
verkäufliche Waare sein könne. Haben Sie wenigstens
die Gefälligkeit mir Ihre Gedanken darüber zu sagen. 20
Mit der Arbeit selbst bin ich, in so fern ich sie beur-
theilen kann, recht wohl zufrieden. Auch habe ich neu-
lich mit einem Italiener, der beide Sprachen versteht,
darüber gesprochen, welcher ein motivirtes günstiges
Urtheil fällte. Sollten Sie oder sonst Jemand nicht ganz 25
abgeneigt sein den Verlag zu übernehmen, so könnte
man einige Gesänge zur Durchsicht überschicken-.
An Cotta. — Br. 16, 106, 17—107, 10.
^ Stark hatte sicli, bei Goetlies scliwerer Kraulvlieit zu An-
fang des Jalires 1801, abermals als ausgezeiclmeter Arzt 30
bewährt.
- Eine Probe von Jagemauns Uebertragung erschien im April
1803 im , Neuen Teutschen Mercur' 1, 252—258, sodann das
Ganze unter dem Titel .Ermanno e Dorotea. Poema tedesco
del Sign, di Goethe. Tradotto in versi italiani sciolti dal 35
Sign. Jagemann, . . Halle della Sassonia, nella libraria
Ruffa. 1804'.
1804 HERMANN UND DOROTHEA. 173
März 29, Weimar. 305
[Brief an] Professor Jakob, Halle: Dank wegen ,Her-
mann luid Dorothea'^.
5 Tgb. 3, 102. 7 f.
October 22, Jena. 3'36
Könnten E. "\Y. mir auf kurze Zeit ^Hermann und
Dorothea' verschaffen, so geschähe mir ein besonderer
Gefalle.
10 An Eichstädt. — Br. 17, 207, ü— 11.
1805.
[März? Weimar.] 367
Goethe arbeitet an der Ausgabe seiner sämmtlichen
Schriften. . . . Eiemer und ich [Yoss] haben liiebei
15 auch unser Geschäft bekommen. Mir hat Goethe ein
Exemplar von ,Hermann und Dorothea' gegeben, mit '^
Papier durchschossen-. Ich soll die Hexameter mustern
und alle meine Einfälle unter den Xamen Aenderungen
und Vorschläge beischreiben. Darauf wollen wir Con-
20 ferenzen halten und über die Lesarten debattiren.
Mit Heinrich Voss. — Archiv f. L. 11, 126. ^
* Die Eintragung in den „Tagebuchnotizen 1804", unter dem
gleichen Datum, lautet ebenso (Br. 17, 330, 30 f.). Der Brief
ist nicht bekannt.
25 - Von einem derartigen Exemplar ist sonst nichts bekannt.
Ist man berechtigt, im Hinblick auf die (am Beispiel der
, Achilleis' GJ. 17, 91 nachgewiesene) gelegentliche Uuge-
nauigkeit der Vossischen Angaben: dieses „durchschossene"
Exemplar als eines und dasselbe zu betrachten mit der er-
30 haltenen (SO, 2—16. 175, 3 f. genannten) Handschrift?
Nebenbei sei hier bemerkt, dass diese ganze (einem Briefe
Vossens an Solger, von 22. :Mai 1S05, entnommene) Stelle im
Text der ,Vossbriefe' S. 81 Z. 3 durch einen bedauerlichen
Zufall weggeblieben ist.
174 HERMANN UND DOROTHEA. 1805
[März, oder Anfang- ApriP, Weimar.] 308
Ich [A'oäs] habe Goethes ,Herniami und Dorothea"
schon in bessere Hexameter nmgeschmolzen, wozu ich
vierzelm angestrengte Tage gebraucht". Goethe hat
mir seinen Beifall gegeben und mich gelobt, dass ich so 5
schonend verfahren und nie dem Charakter Abbruch
gethan; er meinte, ich habe ihm, wenige Stellen ausge-
nommen, nichts hinein gebracht, was seinem Geiste
fremd wäre.
Mit Heinrich Voss. — Vossbriefe S. 81. 10
[März, oder Anfang ApriP, Weimar.] 309
Ich [Voss] habe in diesen vierzehn Tagen ein Ge-
schäft eigner Art*, das mich ganz beschäftigt. Goethe
hat mir die Umarbeituno- von .Hermann und Dorothea'
Der Brief, dem diese Stelle angehört, ist am 15. April an 15
Abeken geschrieben. Zwischen dieses Datum und dasjenige
des nächstvorhergehendon Briefes vom 9. März fällt gegen-
wärtiges Gespräch.
Dass hier nur vom Anfang dieser ,,Umschmelzung" die
Rede sein kann, geht aus dem unten Z. 26—31 Gesagten hervor. 20
Unter dieses Datum gehört gegenwärtige Stelle (aus einem
Briefe vom 3. August 1805 an Abeken), da die in ihr über-
lieferten Aeusserungen Goethes sich, gleich denen in Ni*. oGS,
nur auf den Anfang der Durchsicht beziehen (s. Z. 19 f.). Da-
nach ist die Datirung In Gespräche 8, 292 f. zu berichtigen. 25
Voss nahm die schon im März begonnene Durchsicht Ende
Juli wieder auf und beendete sie, während Goethe in Lauch-
städt war. Dorthin schrieb er diesem am 31. Juli: „Ich
bin . . bis jetzt noch nicht mit Ernst bei der aufgetragenen
Arbeit, .Hermann und Dorothea', gewesen; doch habe ich 30
in diesen Tagen den Anfang gemacht. Die sechs folgenden
Tage will ich mit allem Eifer daran gehn. Ich bin auf-
merksam 1) auf die Quantität der einzelnen Worte.
2) auf den x'egelmässigen Bau der einzelnen Hexa-
meter, und endlich 3) auf die Verbindung der Hexa- 35
meter unter einander. . . . Meine Einfälle schreibe ich da-
rüber, und an einigen Stellen bin ich, wenn mich nicht alles
trügt, schon so glücklich gewesen, eine Verbesserung
zu finden . . . ." (GJ. 5, 48).
1805 HERMANN I'ND DOROTHEA. 175
[März, oder Anfang April, Weimar.] [369]
aufgetragen, iind ich darf ändern, wo und wie viel icli
will. Dazu hat er mir sein Manuscript gegeben, wo die
einzelnen Yerse so weit von einander abstehn, dass ich
viel dazwischen schreiben kann\ Ich war anfangs
schüchtern dabei, doch nun habe ich, da er es nicht
anders haben will, auch toll hineincorrigirt. „Xicht
bloss begangene Sünden", sagte er, „sondern auch die
Unterlassungssünden suchen Sie zu tilgen". . . . Goethe
lachte fürchterlich, als wir einen Siebenfüssler an-
trafen, dem ward auf der Stelle ein Bein imterge-
schlaeen-. . . .
' Ygl. 173, 15—17. 19 t„beisclireibeu"i. 174. 36 f. (..darüber").
- Diese scherzhafte Redensait ist nicht dahin zu verstehen,
15 dass der , ..Siebenfüssler" geändert oder gar entfernt worden
sei. Dieser besteht vielmehr noch heute als Vers 1S6 des
zweiten Gesanges und lautet:
„Ungerecht bleiben die Männer, und die Zeiten der Liebe
vergehen".
20 Riemer — um diese in eine spätere Zeit fallende Bemer-
kung hier, als an der geeignetsten Stelle, einzusclialten —
Riemer sagt in seinen Mittheilungen (2. 580 Anmerkung;,
unter Hinweis auf den Tadel, welchen der genannte Hexa-
meter im Morgenblatt ISOS (Braun 3, 102) erfahren: der
25 Vers sei ,,mit Bewusstsein und Absicht" in die späteren Aus-
gaben aufgenommen worden. ,,Ich hatte", fährt Riemer
fort, ,.Goetheu bereits aufmerksam darauf gemacht [wann?].
weil aber der Vers, ohne sein p r o v e r b i a 1 i s c h e s An-
sehn zu verlieren imd eine gewisse grata negligentia einzu-
30 büssen, nicht wohl zu ändern war, ich mich auch erinnerte.
dass F. A. Wolf einmal, von diesem Verse sprechend, ihn
nicht nur entschuldigt, sondern auch durch Homerische Bei-
spiele erläutert habe: so Hessen wir ihn stehen oder hin-
gehen". Wenn aber Riemer alsdann immittelbar fortfährt:
35 ,,Nun machte später auch Heinrich Voss, der Sohn, auf ihn
aufmerksam" und die unter Nr. 370 gegebene Aeusserung
aus Vossens Munde überliefert, so ist das eine arge Verschie-
bung der wirklichen Zeitfolge.
176 HERMANN UND DOROTHEA. 1S05
[März, oder Anfang April, Weimar.] [369]
Goethe ist mit dem Anfang meiner Arbeit, den er
nur gesehn hat, zufrieden und sagte: sie -wäre besonnen
und mit Eindringung in seinen Sinn gearbeitet.
Mit Heinrich Voss. — Yossbriefe S. 95 f. 5
][März, oder Anfang Apx'il, Weimar.] 370
Goethe soll, ^ie jener [Heinrich Voss] erzählt, gesagt
haben: „Die siebenfüssige Bestie möge als Wahrzeichen
stehen bleiben^!"
Mit Heinrich Voss. — Riemers Mittheiluugen 2, 5S6. 10
Mai 1, Weimar. 370ii
[In dem brieflich mitgetheilten Entwurf zur Ver-
theilung der Werke auf die zwölf Bände der geplanten
ersten Gesammtausgabe heisst es unter] Band 9:
,Eeineke Fuchs'. 1 Nach neueren prosodischen ^^
,Hermann und Dorothea^ j ^^'el^erzeugungen bearbeitete
,AchilleiLS. Erster Gesang'.
An Cotta. — Er. 19, 15, 10—15.
[September oder October, Weimar.] 371
Goethe ist mit meiner Arbeit [Vossens Durchsicht von 20
,Hermann und Dorothea'] zufrieden und ^\dll jetzt mit
mir das Ganze noch einmal durchgehn, wobei wir, wie
^ Mit Bezug auf den ,,Siebenfüssler" Vers 186 des zweiten
Gesanges, vgl. 175, 9—12.
* Die Worte „Nach . . bearbeitet" sind in dem, von Riemer 25
geschriebenen, Concept des Briefes von Goethe eigenhändig
hinzugefügt.
Das ,,Promemoria", wie Goethe das Schriftstücli in einer.
vom Tage der Absendung desselben: 14. Juni datirten,
Nachschrift nennt, schliesst mit den Worten: 3q
„Das Neue ist roth unterstrichen".
was oben durch gesperrten Druck kenntlich gemacht ist.
Durch eine Verschiebung der hier von Goethe geplanten
Reihenfolge fanden in Band 9 dramatische Dichtungen
Platz, die drei epischen bildeten Band 10. 35
18(K5 HERMANN UND DOROTHEA. 177
[September oder October, Weimar.] [371]
er sich ausdrückte, emmal ein ganzes Vierteljahr auf
Hexameter verwenden wollten^
Mit Heinrich Voss. — Vossbriefe S. 97.
5 1806.
Februar 24, Weimar. — s. Nr. 79-'. 371a
1807.
December 7, Jena. — s. Nr. S4. 371b
December 8, Jena. — s. Nr. 85. 371c
10 1808.
] [Januar 24, Weimar.] 872
Sie fragten in einem Ihrer vorigen Briefe, was es für
eine Bewandtniss haben möchte mit der neuen Ausgabe
von jHermann und Dorothea' durch Vieweg. Es ist eine
lö blosse Freibeuterei. Er hat gar kein Eecht dazu und
hat mich auch desshalb ^cht einmal begTÜsst; welches
freilich ganz natürlich ist^.
An Cotta. — Br. 20. 10,22—11,4.
August 7, Karlsbad. — s. Nr. 87. 372a
20 1 Aus Vossens Brief an Solger vom 80. October 1805. Das
Gespräch hat wahrscheinlich bald nach Goethes Rückkehr
von der Reise, die am 5. September erfolgte, stattgefunden.
Zu einer gemeinsamen Durchsicht kam es nicht, eben so
wenig, wie Goethe Vossens Correcturen verwerthet zu haben
25 scheint, vgl. Vossbriefe S. 101 f. 157—159 und GJ. 17, 90 f.
' Für den ersten Band der Werke Cotta' hatte Goethe am
14. und 16. Januar 1806 eine Durchsicht der zweiten Ab-
theilung der Elegien vorgenommen, deren Schluss die Ele-
gie »Hermann und Dorothea' bildet (s. 79, 18 f.). Nach
30 mehrfachen Erwägungen über die Anordnung der Gedichte
des ersten Bandes am 5. und 6. Februar imd nochmaliger
Durchsicht der Elegien am 14. und 18. Februar, war Band
1 am 21. Februar erledigt und ging am 24. druckfertig au
Cotta ab (Tgb. 3. 114. 27. 115,4. 117, 17. 21 f. 118, 18 f. 24 f.
35 119, 11. 23 f.).
* Vieweg hattv? 1803, 1805, 1806 und 1807 sogenannte ,,neue
Ausgaben" veranstaltet, von denen die letzte hier gemeint
Graf, Goethe über seine Dichtungen T. I. 12
178 HERMANN UND DOROTHEA. 1809
1809.
][Nacb October 10, ?] 373
[Zu 1796. 1797. — Im ältesten biographischen Schema
(s. 29, 7—9) heisst es unter]
1796: ,Hermann und Dorothea^ 5
1797: ^Hermann und Dorothea^
1799: , Hermann und Dorothea' gedruckt^.
W. 26, 860, 10 f. 22 f. 361, 12.
1811.
August 16, Weimar. 374 lo
Abends den Frauenzimmern- ,Hermann und Doro-
thea' vorzulesen angefangen.
Tgb. 4, 227,28—228,2.
181^.
Januar 26, Weimar. 375 15
[Brief an] Geh. Hof-Eath Eichstädt [betreffend]
jHermann und Dorothea' [s. jSTr. 376].
Tgb. 5, 94, 7 f.
Januar 27, Weimar. 376
Man hat ,Hermann und Dorothea' dem Zeitgeist auch 20
als ein Opfer darbringen wollen. Ich kann es nicht niiss-
billigen; denn ich wundre mich selbst, da ich das Büch-
lein lange nicht angesehen, wie genau nach so grossen
Veränderungen der Sinn noch passt und zutrifft. Mag
einer Ihrer würdigen Mitarbeiter in dieser Eücksicht et- 25
was darüber sagen, so "\nrd es mir sehr angenehm sein.
Ich lege desshalb ein Exemplar zu beliebigem Gebrauche
bei^. Man hat von mir einen zweiten Theil verlangt,
sein wird; auch in diesem Jahre, 1808, erschien wieder
eine. Die erste Cottasche Ausgabe kam 1814 heraus, gleich- 30
zeitig mit zwei „neuen" Yiewegschen.
^ Dieser Irrthum ist, wie Nr. 391 zeigt, in den Text der ,Tag-
imd Jahres-Hefte' nicht übergegangen.
- Christiane und?
^ Ein Exemplar der ersten Cottaschen Einzel-Ausgabe (s. 81, 35
17—21). Eichstädt veranlasste, als Leiter der .Jenaischen
allgemeinen Literatur-Zeitung', eine Besprechung des Ge-
dichts, s. Nr. 377.
1814 HERMANN UND DOROTHEA. 179
(Januar 27, Weimar.] [376]
bis jetzt aber wüsste ich, was Grundsätze und Grund-
motive betrifft, diesen nur zu wiederholen. Ist aber das
grosse Werk vollendet, können wir mit Sicherheit ein
5 Gediclit mit Friede! schliessen^, so wäre freilich der
betrachtenden und darstellenden Dichtkunst ein grosses
Feld eröffnet.
An Eichstädt. — Br. au Eichstädt S. 183.
März 12, Weimar. 377
10 E. W. haben mich durch das übersendete Zeitungs-
blatt sehr angenehm überrascht. Wenn dasjenige, was
man in früherer Zeit gethan, auch in späterer von ein-
sichtsvollen und wohldenkenden Männern gebilligi,
wird, so muss es zu gleicher Zeit beruhigend und auf-
15 munternd sein. Danken Sie dem Verfasser auf's
schönste; ich lasse keines seiner Worte weder Jetzt noch
künftig unbeachtet^.
An Eichstädt. — Br. an Eichstädt S. 185.
^ .Hermann und Dorothea' hatte Goethe mit den Worten ge-
25 schlos.sen:
,,I'nd gedächte jeder wie ich, so stünde die Macht auf
Gegen die Macht, und wir erfreuten uns alle dos Friedens."
^ Das ,, übersendete Zeitungsblatt" war Nuunner 4.5 der ..Je-
naischen allgemeinen Literatur-Zeitung- vom März 1814. Hier,
30 -«'erden unter der Rubrik ,, Schriften über die Tagesge-
schichte in Deutschland" drei neue Erscheinungen des
Büchermarkts besprochen: 1. Goethes .Hermauu und Doro-
thea' in der Cottaschen Ausgabe (s. 81, 19—21», 2. Zacharias
Werners .Weihe der Unkraft'. 3. Ernst Moritz Arndts ,Grund-
■25 linien einer deutschen Kriegsordnung'. Aus dem ersten Theil
dieser, mit der Chiffre Ms. unterzeichneten, Besprechung
seien hier die zum Verständniss von Goethes Aeusserung
erwünschten Haupt .^teilen mitgetheilt, um so mehr als
Brauns Werk , Goethe im Urtheile seiner Zeitgenossen' mit
30 dem .Jahre 1812 abbricht.
Am angeführten Ort Spalte 353 f. heisst es mit Bezug auf
, Hermann imd Dorothea': ..Dass wir diese neue Auflage eines
berühmten Gedichts unter den Schriften über die Tagesge-
180 HERMANN UND DOROTHEA. 1814
[März 12, Weimar]. [377]
schichte in Deutschland aufführen, verräth schon den Ge-
sichtspunct, aus welchem wir es hier in Betrachtung ziehen.
Er ist nicht der ästhetische, . . sondern wir verfolgen hier
den politisclien. Es ist so voll schöner Lehre und so um- s
fassender als tiefer Blicke für und in die Umwälzungen und
Umwandelungeu unserer Tage, dass man oft verführt ist zu
glauben, es sei in dem gegenwärtigen Moment erst gedichtet.
Diess geschieht aus drei Ursachen: zuerst, weil jene Zeit, wo
es gedichtet wurde, und aus welcher seine Darstellungen lo
sind, ein Theil ebendesselben Ganzen von Zeit ist, zu welchem
aucli unsere Tage gehören und noch viele Jahrzehnte ge-
hören Averden, und zweitens, weil Goethe, wie alle wahr-
haftig grossen und echten Geister, jede Bewegimg der Zeit,
die einen universellen Charakter gewinnen soll, in allen 15
ihren eigenthümlichen Kreisen wahi-nimmt, und nach
iliren künftigen Strömungen wittert; endlich, weil er ein
Deutscher und welcher ist! Sobald er an der franzö-
sischen Nation vor Augen hatte, was eine Nation vermag,
wenn sie als solche aufgeboten und in ScliAvung gebracht 2»
wird, — und diess hatte sich glänzend offenbart, als jenes
Gedicht gesungen ward — fühlt er glühend den Wunsch für
die deutsche Nation, dass auch sie als solche aufstehen imd
sich herrlicli beweisen möchte. Unerlöschlich schlägt dieser
Wunsch aus seinem . Gesang hervor; und jetzt endlich ist 25
er über alle Erwartung in Erfüllung gegangen.
Goethe hat sich durch die neue Auflage von , Hermann
und Dorothea' hinlänglich mit Sehergeist über das Grosse
erklärt, was jetzt die deutsche Nation vollbringt. Aber
sollte der ewig junge Dichter an der Grenze des höheren 3»
Alters durch die Verjüngung seines Volks, für welches er
so unaussprechlich viel gethan hat, nicht noch Schwung und
Lust zu neuer poetischer Schöpfung erhalten? Der Stoff zu
einem grossen deutschen Nationalepos ist da. Zu schauen
ist, wie ihn Gottes Hand unmittelbar in Russland bereitete. 35
Welche Einleitung zu jenem Epos, dessen Aufgabe der Sieg
der deutschen Nation über die ungeheure, stets bewunderns
würdige I^ersönlichkeit eines Einzigen wäre, welcher die
Arme desjenigen Volks, das immer ihr Gegensatz war, wider
sie richtete. Wer kann mehr zu einem solchen Epos be- 40
rufen sein, als wer s o die deutsche Nation aufrief, und zu-
gleich der Riesenkraft, bei welcher zuletzt nur Erde und
1S14 HERMANN UND DOROTHEA. 181
April 23, Weimar. 378
[Brief an] Frommann mit , Hermann und Dorotliea'\
Tgb. 5. 104. 9 f.
Meer noch Gewicbt hatten, olme Scheu imd ohne Schmei-
5 chelei huldigte?
Goethe hat so oft den ästhetischen Theorien die Grenz-
pfähle verrückt, dass man auch an einem solchen Epos gern
abnehmen würde, wie ein grauer Nebel der Vergangenheit
für die epische Handlung keineswegs nöthig sei; und was
10 kümmerte ihn. wenn manches den heutigen Menschen zu
modern, oder vielmehr zu sehr von heute schien? So unge-
heuer schnell, wie in unserem Zeitalter sich die Jahre folgen,
als wären sie Jahrhunderte, wird überdiess bald der Nebel
der Vergangenheit auf unseren Tagen liegen, und auf die
15 unmittelbare Wirkung seiner Dichtungen und Werke hat
dieser Dichter wohl nie seine erfreulichste Hoffnung gebauet.
Gewiss aber ist. dass er bei jenem Stoff zu einem epischeu
Gedichte vor allen epischen Sängern den Vorzug hätte, die
Mitwelt seiner Geschichte und eine frühe Nachwelt zu-
20 gleich zur lebendigsten Theilnahme zu verbinden".
Knebel schrieb am 2.5. März 1814: ..Sehr erfreut hat es
mich, dass ich in der Litteratur-Zeituug Deinen .Hermann
und Dorothea' unter den politischen Schriften fand. Diess
ist das erste Mal. soviel ich weiss, dass ein deutscher Schrift-
25 steller einem deutschen Gedichte eine Stimme in politischen
Angelegenheiten ertheilt" (G. -Knebel 2, 147).
' Vermuthlieh war es die 81. 19—21 genannte Cottasche Aus-
gabe des Gediclits. deren Goethe sich hier und in der nächst-
folgenden Zeit mehrfach (vgl. Nr. 379. 380) zu Geschenk-
30 zwecken bediente. So sandte Goethe am 9. August dieses
Jahres, nach einem Besuche in de L'Aspees Elementarschule
zu Wiesbaden ..zur Vertheilung unter die Zöglinge eine An-
zahl Exemplare von .Hermann und Dorothea' als Zeichen
seiner Zufriedenheit mit ihnen" (Gespräche 3, 142).
35 Auch an Wilhelm von Humboldt scheint Goethe ein Exem-
plar geschickt zu haben: darauf lassen wenigstens Hum-
boldts Worte im Brief vom 7. März 1814 schliessen: ,.Der
neue Druck .Hermann und Dorotheas' freut mich sehr, und
Ihr freundliches Andenken an meine Beschäftigung damit
40 hat mir auf's neue Ihre Freundschaft und Liebe bewiesen"
(G.-Humboldt S. 2.54).
182 HERMANN UND DOROTHEA. 1815
November 1, Weimar. 379
Zu expediren . . . .* , Hermann und Dorothea'' binden.
Agenda 1814. — Tgb. 5, 304, 14. 24.
1815.
April 3, Weimar. 380 5-
Herren Leutenant Gaub}- zu Unterhaltung und An-
denken im Felde. "Weimar den 3. April 1815. Goethe^
Au Gauby. — GJ. C, 18.
April 5, Weimar. 381
Für Gauby ,Hermann und Dorothea' [s. Xr. 380]. lo
Tgb. 5, 155, 11 f.
Juli 6, Wiesbaden. 382
Madame Bansa hat Wort gehalten und mir das Mäd-
chen 231'oducirt, das allenfalls für Dorotheens jüngere
Schwester gelten könnte-. Gestalten, die nicht aus der i^i
Luft gegriffen sind, müssen sich doch wohl hie und da
auf der Erde wieder finden.
An Antonie Brentano. — G. -Brentano S. 33.
September 17, Gerbermühle bei Frankfurt. 383
Sonntag den 17. [September] zahlreicher Mittags- so
tisch im grossen Saab'. Goethe erzählt von der schönen
Müllerstochter in der Xonnenmühle bei Wiesbaden, mit
der ihn Frau Bansa bekannt gemacht hat, als ein Gegen-
^ Mit diesen Worten übersandte Goethe, als Geschenk an den
Genannten, ein Exemplar der Ausgabe: Stuttgart und Tu- 25
hingen, in der J. G. Cotta'scheu Buchhandlung 1814. Auf
einem vorn eingeklebten Blatte standen, von Schreiberhand,
mit Goethes Unterschrift versehen, Bemerkungen über den
Lebensgang des künftigen Besitzers, des, damals dreiund-
zwanzig jährigen, Officiers Philipp Gauby, der im Kriege aa
weit herumgekommen war. Letzthin hatte er zu Weimar in
Garnison gestanden und zog jetzt gerade wieder zu Felde,
segen Frankreich. An diese Notizen schloss sich eine warme
Empfehlung des jungen Mannes an Goethes Freiinde, „zu
denen ihn das Geschick führen könnte" (G.J. 6, 18 f.). 35
- Vgl. Nr. 383.
' Bei Willemers.
1816 HERMANN UND DOROTHEA. 183
[September 17, Gerbermühle bei Frankfurt.] [383]
stück ZU seiner Dorothea. Eeiiilichkeit, Wohlhaben-
heit, Schönheit, Derbheit. Sie spielt Ciavier, die Brüder
sind zugleich Fuhrleute, eine alte Mutter steht dem
5 Haus vor. Eine alte Muhme ist der Apotheker aus
, Hermann und Dorothea"' und recht gut. Sie hat nocli
eine Zahl kleiner Geschwister^.
Mit S. Boisseree. — Gespräche 3, 235.
1816.
10 August 24, Teuustäclt. 384
[Vormittags] , Piermann und Dorothea'-.
Tgb. 5, 266, 12.
1817?
] [Septeml3er oder später'/ Weimar?] 3S4a
15 [Zu 1796.] Zehn Jahre waren verflossen und mehr,
als meine Verbindung mit Schillern mich aus
diesem wissenschaftlichen Beinhaus [der Knochen-
lehre] in den freien Garten des Lebens rief. Meine
Theilnahme an seinen Unternehmungen, . . und aus
20 ' Goethes Tagebuch (5, 168, 23 f.) vermerkt unter dem 3. Juli
1815: „Mit Madame Bausa auf der Nonnenmühle". Nach
Rudolf Jung (G. -Brentano S. 35) ist das die ,,Klostermühli;
bei Klarenthai"; über die ,, schöne Müllerstochter" findet
man, ebenfalls nach Jungs Angabe, Näheres in der Abhand-
25 lung , Goethe in Nassau' von Fr. Otto, i-a den ,Annalen des
Vereins für Nassauische Alterthumskunde und Geschichts-
forschung' 26, 75.
^ „Goethe hatte sich Exemplare von , Hermann und Dorothea'
schicken lassen, um sie in Tennstädt binden zu lassen" Tgb.
30 5, 396 zu S. 266, 12. Möglich, dass die für uns allzu lako-
nische Tagebuchnotiz nur auf diese geschäftliche Angele-
genheit sich bezieht. Ebenso erlaubt aber ist die Annahme
(zuiual im Hinblick auf die gleichzeitige Tagebuchbemer-
kung Nr. 432): Goethe habe, veranlasst durch die Zusendung,
35 mit dieser seiner Lieblingsdichtung sich näher beschäftigt,
etwa einzelne Stellen für den neuen Druck durchgesehen, der
im folgenden Jahre. 1817, in Band 11 der Werke Cotta= er-
schien.
184 HERMANN UND DOROTHEA. 1818
][September oder später? Weimar?] [384a]
mir selbst hervorgerufene eigene Arbeiten, als yüer-
mann und Dorothea', ,Achilleis', Cellini, . . entfernten
mich entschieden von jenen Arbeiten . . ,
Versuch aus der vergleiclieuden Knochenlehre (Zur 5
Morphologie Band 1 Heft 2). — Nat. W. 8, 125, 21— 126. 5.
1818.
April 15, Jena. 385
Herren Ferjentsek, zu freundlichem Andenken des
Aufenthalts im Saalthale, Jena den 15. April 1818. lo
Goethe^.
Au Ferjents6k. — Chronik dWGY. 1889 4, 10.
April 16, Weimar^. 385a
Die nöthigen Expeditionen vollführt. Die neben-
stehenden abgeschlossen: . . . An Ferjentsek ,Hermann 15
und Dorothea^
Tgb. 6, 196, 16 f. 22 f.
^ ,,Den 15. April 1818 machte Ferjentsek seinen Abschieds-
besuch bei Goethe. Er traf ihn leider nicht zu Hause.
Abends befand sich Ferjentsek in froher Studenten-Gesell- 20
Schaft, da brachte ein Diener in später Stunde noch ein
Päckchen in dem wohlbekannten blauen Packpapier, dessen
sich Goethe in solchen Fällen bediente. Goethe hatte es
eigenhändig adressirt , Herren Ferjentsek'.
Roth gesiegelt war es mit einem sehr kleinen geschnitte- 25
neu Steine, auf dem die Gestalt eines Amors zu ei'kennen
ist. Das Päckchen enthielt Goethes , Hermann und Dorothea',
die Cottasche Taschenausgabe von 1814; lichtgrün steif car-
tonnirt.
Die Innenseite der vorderen Decke enthält Goethes eigen- 30
händige Widmung: .... [s. oben Nr. 385.]
Wir geben von dieser Widmung eine Nachbildung in Ori-
ginalgrösse" (K. .1. Schröer: Goethe und ein Candidat der
Theologie aus Ungarn, Chronik dWGV. 1889 4, 8. 10).
^ Die Abweichung im Datum von Z. 8 und Z. 18 ist wohl so zu 35
erklären: Goethe war, nach einem vierwöchigen Aufenthalt
in Jena, am Abend des 15. Aprils mit Ordnen und Packen für
seine Rückkehr nach Weimar beschäftigt gewesen und am
16. früh von Jena abgefahren; in Weimar vermerkte er dann,
1819 HERMANN UND DOROTHEA. 185
August 14. Karlsbad. 38<J
Abends Vorlesung ,Hermann und Dorothea'^.
Tgb. 6, 236. 10 f.
1819.
5 März [Anfang], Weimar. 387
[Zu 1T96. 1797. — In dem chronologischen Verzeich-
niss von Goethes TTerken aus dem Jahre 1819 (s. Xr. 90)
heisst es unter dem Jahre:]
1796: . . jHermann und Dorothea' begonnen.
1^ 1797: Dasselbe vollendet und herausgegeben: . .
Summarische Jahresfolge Goethescher Schriften. —
WH. 29, 324.
1820.
September 1, Jena. 3S8
15 ^Sieh auf .Hermann und Dorothea' zu beschränken
wäre sittlich und patriotisch; wir haben aber an plasti-
sche Zwecke zu denken, welche auf jenem Wege schwer-
lich erreicht werden können. ]\Iein Vorschlag wäre,
mehrere bedeutende Gegenstände auszusuchen und
20 solche dem Bildhauer vorzulegen, damit er diejenigen
auswählte, welche seiner Kunst am günstigsten sind.
. . ich sende selbst nächstens desshalb einige Vor-
schläge und kann es um so eher thun, als es mir zu
Muthe ist, ich thue es für einen Dritten.
25 An S. Boisseree. — Boisseree 2, 291 f.
zu den am Morgen, vor der Abreise, in .Jena erfolgten Expe-
ditionen, aucli die Sendung an Fen'entsek. die. wenn schon
in ..später Stunde" (s. 184. 21 1. doch noch am 1.5. April ge-
schehen war.
30 ' Wahrscheinlich fand die Vorlesung beim Fürsten Joseph von
Schwarzenberg statt (vgl. Tgb. 6. 235, 20 f. 236. 10. 14i.
' Boisseree liatte am 24. August den Entwurf zu einem Mo-
numente für Goethe überschickt, das in Frankfurt am Main
geplant, später jedoch nicht ausgeführt wurde. Boisseree bat
35 um Goethes Urtheil. es sei ihm um so mehr daran gelegen,
es zu erfahren: ..weil rüeksichtlich der für die Basreliefs
186 HERMANN UND DOROTHEA. 1822
[1822.]
[März, zwischen 11 und 16, Weimar.] 389
[Zu 1796.] AVie mich . . niemals irgend ein xlensseres
mir selbst entfremden konnte, mich vielmehr nur
strenger in's Innere zurückwies, so blieben jene Xaehbil- &
düngen des Zeitsinnes [,Der Gross-Cophta' und ,Der
BürgergeneraF] für mich eine Art von gemüthlieh tröst-
lichem Geschäft. Die ^Unterhaltungen der i^usgewan-
derten', fragmentarischer A^ersuch^, das unvollendete
Stück ,die Aufgeregten', sind eben so viel Bekenntnisse lo
dessen, was damals in meinem Busen vorging; Avie auch
späterliin ,Hermann und Dorothea' noch aus derselbigen
Quelle flössen, welche denn freilich zuletzt erstarrte.
Der Dichter konnte der rollenden Weltgeschichte nicht
nacheilen und musste den Abschluss sich und andern i5
schuldig bleiben, da er das Eäthsel auf eine so entschie-
dene als unerwartete "Weise gelöst sah^.
Campagne in Frankreich 1792. — W. 33, 265, 18—266, 4.
vorgeschlagenen Gegenstände Verschiedenheit der Meinung
obwaltet. Einige Freunde glaubten, statt dem einen Bilder- 20
kreis aus .Hermann und Dorothea" sollte man lieber Vorstel
lungen aus mehreren Werken Avählen, und nun wünscht
auch Thom-aldsen diese Abänderung" j Boisseree schlägt
gleichzeitig sechs Bilder aus fünf Dichtungen vor, das
sechste Bild sollte darstellen ,, Hermann, der die Dorothea 25
von den Auswanderern heimführt" (Boisseree 2, 289 f.).
^ Auffallend ist hier erstlicli: das Felden des Artikels ,,ein"
vor ..fragmentarischer Versuch", zum andern: die Bezeich-
nung der , Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten' als
eines ,. fragmentarischen Versuchs", zum dritten: das Fehlen 30
des Bruchstücks von der .Reise der Söhne Megaprazons' in
dieser Aufzählung der durch die französische Revolution
veranlassten Dichtungen. Mit Recht hat daher Düntzer
vermuthet, dass „Versuch" gar nicht auf die , Unterhal-
tungen' zu beziehen, sondern nach diesem Worte der Titel 35
des eben genannren Tieise-Fragments zu ergänzen sei (WD.
.22, 188 zu Z. 10 f.).
' Zur leichteren Uebersicht über die im Obigen genannten
Werke seien hier die wichtigsten der in Folge der franzö-
1S23 HERMANN UND DOROTHEA. 187
[1823 oder 1824.] 1
[? ? ?] 390
[Zu 1796.] Kaum . . hatte ich mich durch successive
Herausgabe davon befreit [von ,Wilhehn Meisters Lehr-
5 jähren"'], als ich mir eine neue Last auflegte, die jedoch
leichter zu tragen, oder vielmehr keine Last war, weil
sie gewisse Vorstellungen, Gefühle, Begriffe der Zeit aus-
zusprechen Gelegenheit gab. Der Plan von , H e r -
mann und Dorothea' war gleichzeitig mit den
10 Tagesläuften ausgedacht und entwickelt, die Ausfüh-
rung ward während des Septembers begonnen und voll-
brach t% so da SS sie Freunden schon producirt werden
konnte. Mit Leichtigkeit und Behagen war das Gedicht
geschrieben, und es theilte diese Empfindungen mit.
15 Mich selbst hatte Gegenstand und Aiisführung derge-
stalt durchdrungen, dass ich das Gedicht niemals ohne
grosse Rührung vorlesen konnte^, und dieselbe Wirkung
ist mir seit so viel Jahren noch immer geblieben.
Tag- und .Tahres-Hefte, 179G. — W. 35, 65, 11—26.
20 [? ? ?] 391
[Zu 1T97.] . . ,Hermann und Dorothea' erschien als
Taschenbuch, . .
Tag- und Jabres-Hefte, 1797. — W. 35, 71, 2 f.
sisclien Revolution entstandenen Dichtungen, der Zeitfolge
25 nach, zusammengestellt.
1791 ;92: „Der Gross-Cophta'.
1792: ,Reise der S(4me Megaprazous'.
1793: .Der Bürgergeneral'.
1793 94: .Reiueke Tuchs' und ,Die Aufgeregten'.
179495: .Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten*.
1796|97: , Hermann und Dorothea'.
1799—1803: ,Die Natürliche Tochter'.
Vielleicht ist diese Aeusseimng, wie auch Nr. 391, schon 1819
oder 1820 geschrieben.
..vollbracht'', das hoisst: zum grösseren Theile. Die Aus-
führung und Vollendung zog sich noch hin l)is in den .Tuni
1797. s. Nr. 183—287.
Vgl. Nr. 178.
30
188 HERMANN UND DOROTHEA. 1S23
1823.
] [Januar, zwischen 10 und 19, Weimar.] — s. Nr. 92. 391a
Mai [1 oder 2, Weimar.] 392
, Goethes Hermann und Dorothea. Aus Versen in
Prosa umgebildet von C. Th. Kersten. London 1823^ s
— Vom Verfasser^.
Büclier-Yermebrungsliste 1823. — Tgb. 9, 326.
Mai 2, [Weimar.] 393
Xach Tische prosaische Uebersetzung von ,Hermann
und Dorothea' [s. Xr. 392]. lo
Tgb. 9, 44, 25 f.
Juli 8, Marienbad. 394
3Ian brachte mir die lateinische Uebersetzung- von
.Hermann und Dorothea', es ward mir ganz sonderbar
^ Das Buch ist, wie der Verfasser im Vorwort erklärt, für ,,an- js
gehende Liebhaber der deutschen Sprache" im Auslande, be-
sonders in Frankreich und England, bestimmt. Für diese sei
Goethes .Hermann imd Dorothea' die geeignetste Lectüie,
doch müsse das Gedicht in Prosa aufgelöst werden, denn
alle im deutsehen Hexameter ,,voi-kommenden poetischen 20
Freiheiten in der Wahl und Verbindung der Wörter, beson-
ders aber in der Wortfolge, prägen sich ilu-era Gedächtnisse
als eben so viele Beispiele ein. die sie glauben in Prosa nach-
ahmen zu dürfen" (S. VH).
Der genaue Wortlaut des Titels ist .Göthe's Hermann und 25
Doi'othea. Gedicht in neun Gesängen. Aus den Versen in
Prosa umgebildet von Carl Theodor Kersten. [Es folgen drei
Citate: 1. aus W. v. Humboldts Abhandlung. 2. aus Bitaubes
Vorwort zu seiner Uebertraguug. 3. aus der Besprechung A.
W. von Schlegels.] Mit zehn Holzschnitten. London: ge- 30
druckt für den Verfasser; Leipzig, in Commission bei C. F.
W. Vogel. 1823'.
Nur einer der zehn, von William Hughues ausgeführten.
Holzschnitte ist ein selbstständiges Blatt, er steht, die erste
Begegnung zwischen Hermann und Dorothea darstellend. 35
dem Titel gegeuübei-; die übrigen neun sind, nach Art von
Vignetten, über dem ersten Verse der einzelnen entspreclieu-
den Gesänge eingerückt.
- Arminius et Theodora auctore Goethe. Latine vertit M. Ben-
jamin Gottlob Fischer. . . Stuttgardite, sumtu .Tohannis Be- 40
1S23 HERMANN UND DOROTHEA. 189
[Juli 8, Marienbad. J [394]
dabei; ich hatte dieses Lieblingsgedicht viele Jahre nicht
gesehen,, und nun erblickt' ich es wie im Spiegel, der,
wie wir aus Erfahrung und neuerlich aus den entop-
5 tischen [Farljen?] wissen, eine eigne magisclie Kraft
auszuüben die Fähigkeit hat. Hier sah ich nun mein
Sinnen und Dichten in einer viel gebildeteren Sprache,
identisch and verändert, wobei mir vorzüglich auffiel,
dass die römische nach dem Begriff strebt und, was oft
10 im Deutschen sich unschuldig verschleiert, zu einer Art
von Sentenz wird, die, wenn sie sich auch vom Gefühl
entfernt, dem Geiste doch wohlthut\ Ich möchte übri-
gens nicht weiter darüber nachdenken; denn eine solche
Vergleichung führt zu tief in den Text.
15 An Schultz. — G.-Schultz S. 282 f.
Juli 8, Marienbad. 395
, Hermann und Dorothea' lateinisch [s. Xr. 394].
Tgb. 9, 73, 28— 74, 1.
August, zwischen 11 und 21, Marieubad. 396
2ü [Zu 1790. 1797.] ... (de 1797) jusqu'ä 1800 ,H er-
mann et Dorothea', Poeme epique en dix chants . .-
Tabellarische TTebersicht der ,Ouvrages poetiques de
Goethe'. — GJ. 15, 18.
October 27, Weimar. 397
25 Metrische griechische Uebersetzung des ersten Gesan-
ges von Goethes Hermann und Dorothea von Dr. AVinck-
ler. Giessen. — Vom Verfasser^.
Bücher-Yermehrungsliste 1823. — Tgb. 9, 135, 11 f.
nedicti Metzleri. MDCCCXXII; mit dem entsprechenden
deutschen Titel auf der linken Seite, da der Uebertragung
das Original gegenüber gedmckt ist.
' Vgl. 193, 22— 194, 3.
- Die Jahreszahlen sind ungenau angegeben, seltsamer Weise
auch die Anzalil der Gesänge (ebenso wie bei .AchilleTs' in
dem gleichen Schriftstück, s. Nr. 94).
' Die Uebertragung war erschienen als , Einladungsschrift zu
den am 25ten, 2Gten und 27ten September 1823 [im „acade-
190 HERMANN UND DOROTHEA. 1S24
October 27, Weimar. 308
Uebersetzung von , Hermann und Dorothea' in's Grie-
chische [s. Xr. 39?].
Tgb. 9, 135, 11 f.
November 14 Abeuds, Weimar. 399 5
[Zu 1796.] Ich trug alles [von ..poetischen Planen"]
still mit mir herum und niemand erfiüir in der Eegel
etwas, als bis es vollendet war.
Als ich Schillern meinen .Hermann und Dorothea'
fertig vorlegte, war er verwundert, denn ich hatte ihm lo
vorher mit keiner Sill)e gesagt, dass ich dergleichen vor-
hattet
Mit Eckermanu. — Gespräche 4, 319.
182^.
Januar 10. Weimar. ' 400 1 5
,Hermann und Dorothea' prosaisch-.
Tgb. 9, 165, 15 f.
mischen Pädagogium"] anzustellenden üfEeutlichen Prü-
fungen und Redeübungen von Dr. Heinrich Arnold Wilhelm
Wincliler, . . . Giesson, gedruckt mit Schröder'schen Schrif- 20
ten', und trägt auf dem Titel nocli die. in der Copie des Tage-
buches ausgelassene, Angabe mach dem Worte ..Dorothea"):
..mit beigefügtem Original und lateinischer Uebersetzung
von Fischer'".
Im Jahre 1830 liess Winckler. auch als Einladungsschrift, 25
die griechische Uebersetzung des zweiten Gesanges folgen,
der gleichfalls das Original und Fischers lateinische Ueber-
tragung beigefügt sind.
^ Dieses Letztere ist (will man nicht einen Irithum von
Seiten Eckermanns annehmen) eine der seltenen Aeusse- 30
rungen, in denen Goethes Erinneiimg schwer getrübt er-
scheint. Denn gerade das Gegentheil des Behaupteten war
in Wirklichkeit der Fall gewesen, wie schon die beiden
brieflichen Aeussetiiugen Schillers vom 28. October 1796 und
vom 30. October 1797. die man oben 87. 24—32 und 141. 26— 85
33 nachlesen wolle, zur Genüge beweisen.
^- Vgl. Nr. 392. 393.
1824 HERMANN UND DOROTHEA. 191
Februar 20, Weimar. iOl
[Schriftliche Xachricht an] Herrn Eegisseur Durand,
mit .Hermann und Dorothea"\
Tgb. 9, 181, 22 f.
s März 25, Weimar. 402
War früh Herr Durand dagewesen, um mich auf den
Sonnabend [27. März] einzuladen-.
Tgb. 9, 197, 18 f.
^ Das heisst vermuthlicb: mit dem Regie- oder Souftiir-Manu-
10 Script von Tüpfers gleicbmimiger Bübuendicbtimg, die am
27. März in Weimar aufgefübit werden sollte.
Karl Töpfers dramatisches Gedicht »Hermann und Doro-
thea. Idyllisches Familiengemälde in vier Aufzügen. Nach
Goethes Gedicht' war zum ersten Mal am 20. October 1823,
15 im königlichen Theater zu Berlin aufgeführt worden. In
einem Briefe A'arnhagens von Ense an Goethe, vom 7. No-
vember 1823, heisst es über diese Aufführung unter Anderem:
„Der dramatische Bearbeiter hat freilich den glücklichen Ge-
danken von seiner Seite nur traurig ausgeführt, allein sein
20 Unberuf vermochte die hinreissende Kraft des Gedichtes
nicht zu überwältigen; . . . Atisserordentlich war der Ein-
druck, alles in tiefgerührter Bewegung. Die Schauspieler
erhielten den grössten Beifall; doch überluden sie ihre Dar-
stellung, die aus dem reinen hohen Aether des Gedichts
25 völlig in die schwere untere Luft der Bearbeitung nieder-
ging'' (GJ. 14, 66 f.).
Töpfer hat den Pfarrer Goethes in einen ..Rector" ver-
wandelt. Die Bearbeitung ist jetzt bequem zugänglich als
Nr. 2027 der Uuiversal-Bibliothek (Leipzig. Verlag von
30 Philipp Reclam jim.i
^ Zur Aufführung des Töpferschen Stückes (s. oben Z. 12— 14i.
Goethe folgte (wie Nr. 403 zeigt) der Einladung nicht, ob-
gleich auch der Grossherzog Karl August ihn brieflich zum
Besuch des Theaters aufforderte, mit folgenden Worten:
35 „Uebermorgen erscheint wieder [?] .Hermann und Doro-
thea' auf hiesiger Bühne: Dir wird die Vorstellung gewiss
davon sehr gefällig sein. Komm doch hinein. Du kannst ja
in unserer grossen oder in meiner kleinen Loge Dich ein-
hüllen" (G.-Karl August 2, 245).
192 HERMANN UND DOROTHEA. 1824
März 27, Weimar. 403
[Schriftliche Xachricht] An Eegisseur Durand, Ab-
lehnung der Einladung^.
Tgb. 9, 198, 6 f.
März 28, Weimar. 404 5
Mittag Eckermann. . . . war viel von der gestrigen
Vorstellung: ^Hermann und Dorothea' die Eede ge-
wesen^.
Tgb. 9, 198, 22 f. 27 f.
April 20, Weimar. 405 la
Meiner guten artigen Schwiegertochter haben Sie die
beste Gelegenheit verschafft, die Herrlichkeiten des
ersten deutschen Theaters bequem anzusehen und auch
Zeuge zu sein, welche Sorgfalt Sie verwenden, dasjenige
zur glücklichsten Evidenz zu bringen, was von mir und 15
meinen früheren Bemühungen sich gelegentlich ableitet;
von ,Herniann und Dorothea' kann sie noch nicht ohne
äusserstes Entzücken und wahre Herzensrührung
sprechen und 'erzählen". Auch hier ist das Stück aufge-
führt worden und hat eine gute Wirkung in gewissem 2&
Grade nicht verfehlt^.
An Brühl. — Teichmann S. 260.
s. 191, 31 f.
s. 191, 12—14.
Goethes Schwiegertochter hatte während des letzten Winters 30
länger als zwei Monate in Berlin gelebt. Dass sie bei dieser
Gelegenheit Töpfers Dichtung dort hatte auflführen sehen,
erfahren wir auch durch den Kanzler von Müller, der unter
dem 9. Februar 1824 aufzeichnet: „Mittags bei Goethe. . . .
Ottiliens tagebuchartige Schilderung des Eindruckes, den 35
.Hermann und Dorothea' auf sie gemacht" (Unterhaltungen
S. 136).
s. Nr. 404, und vgl. Nr. 414.
1825 HERMANN UND DOROTHEA. 193
][nacli Juli 1\ Weimar.] 406
Voss hat in seiner ,Luise"' diesen häuslichen Ton^ an-
gegeben; in,Hermannund Dorothea' habe ich
ihn aufgenommen, und er hat sich in Deutschland weit
5 verbreitet. Und es ist wohl keine Frage, dass diese dem
Sinne des Volks sich nähernde Dichtart den indivi-
duellen Zuständen am besten zusagt.
Individualpoesie (Aufsatz zur deutschen Lltteraturi. —
WH. 29. 399.
10 October 2, Weimar. 407
Im Schauspiel ^Hermann und Dorothea"'^.
Tgb. 9, 277, 7 f.
October 3, Weimar. 408
Mittag Dr. Eckermann. Ueber die gestrige Vorstellung
lä von .Hermann und Dorothea'^.
Tgb. 9, 277, 13 f.
1835.
Januar 18, Weimar. 409
„ jHermann und Dorothea" ", sagte er unter anderm,
20 „ist fast das ein2dge meiner grossem Gedichte, das mir
noch Freude macht; ich kann es nie ohne innigen An-
theil lesen. Besonders lieb ist es mir in der lateinischen
' Unter dem 7. Juli 1S24 verzeichnet Goethes Tagebuch (9, 240,
17 f.): „Abends Professor Riemer. . . -. Sendung aus Use-
25 dorn"', damit ist ein Gespräch gemeint über die (m. der
Bücher-Termehmngsliste unter dem Juli, ohne Tageszahl,
vermerkten) .Vermischten Gedichte von Wilhelm Meinhold.
Greifswald 1824', die der Verfasser geschickt hatte. Die
obige Datii^ng stellt nur die früheste Grenze der Entste-
30 hungszeit des kleinen Aufsatzes fest, der vielleicht späteren
Jahren angehört.
* Wie er in der ,, Individualpoesie" des pommerschen Geist-
lichen und Dichters Meinhold heiTsoht.
' s. 191. 12—14.
Graf, Goethe über seine Dichtungen T. I. 13
194 HERMANN UND DOROTHEA. 1820
[Januar 18, Weimar.] [409]
Uebersetzung; es kommt mir da vornehmer vor, als wäre
es, der Form nach, zu seinem Ursprünge zurückgekehrt"\
Mit Eckermann. — Gespräche 5, 134.
Juni 18, Weimar. 409a 5
E. "W. halten sich überzeugt, dass ich das Geschäft des
Grammatikers in seinem ganzen Umfang zu schätzen
weiss und dass ich mir gern erst von ilim die Erlaubniss
erbitte, als Poet mich einiger Freiheiten bedienen zu
dürfen. Haben Sie die Gefälligkeit, Ihre Bemühungen, lo
die mir so sehr zu Gute kommen, weiter fortzusetzen,
und so werden wir uns zu rechter Zeit mit Freuden am
Ziele sehen^.
An Göttling. — G.-Göttling S. 8.
Juni 18, Weimar. 409b 15
[Brief an] Herrn Professor Göttling dahin [nach
Jena]., 11. und 12. Band" meiner "Werke [s. Xr. -lOOa].
Tgb. 10, 70, 3 f.
1826.
Februar 1, Weimar. — s. Nr. 95. 409c 20
October 22, Weimar. — s. 221, 7. 409d
December 27, Weimar. 410
„In ästhetischer Hinsicht ist jetzt an gar keine Ver-
bindung und Correspondenz zu denken. Da wollen sie
'^rissen, welche Stadt am Ehein bei meinem ,Hermann 25
^ Vgl. Nr. 394.
' Göttling sah, seit Ende Januar 1825, Goethes Werke, für
die ,yollständige Ausgabe letzter Hand', in grammatischer
und metrischer Hinsicht durch und erhielt zu dieser Arbeit
die Bände der letzten Gesammtausgabe (Cotta"), je zwei und so
zwei, von Goethe zugeschickt.
Mit obigen Worten begleitete Goethe, wie Nr. 409b zeigt,
Band 11. 12. Band 11 enthielt: .Reineke Fuchs', .Hermann
und Dorothea', ,Achilleis', ,Pandora', Band 12: , Werther'
und die .Briefe aus der Schweiz'. 85
» s. Z. 33—35.
1S27 HERMANN UND DOROTHEA. 195
[December 27, Weimar.] [410]
und Dorothea*^ gemeint sei. Als ob es nicht beseer wäre,
sich jede beliebige zu denken! Man \dll Wahrheit, man
will Wirklichkeit und verdirbt dadurch die Poesie"^.
5 Mit Eckermann. — Gespräche 5, 337 f.
Nach 1826.
][? ? ?] 411
[Zu 1800 und später.] Eine Uebersetzung von .Her-
mann und Dorothea' durch Bitaube that nur im Stillen
10 ihre "Wirkung-.
Einzelnheiten über französische Litteratur. — WH. 29,
664.
1827.
Januar 15. Weimar. — s. 223, 9—11. 411a
15 Januar 18, Weimar. — s. 227, 31. 411b
^ Mit solchen Fragen ist Goethe sein Leben lang, vom Er-
scheinen .Werthers' an bis in die letzten Zeiten, belästigt
worden. Hier mag ein kurz vorher empfangener Brief die
Klage veranlasst haben, es ist wenigstens kaum anzu-
20 nehmen, dass sie sich, drei Jahre zuiiick, auf ein Schreiben
Varnhagens von Euse vom 7. November 1823 beziehe.
Varnhagen hatte geschrieben: „ . . so viele Beziehungen [in
, Hermann und Deiothea' zu Goethes Leben] wären zu ver-
folgen, zu erläutern I Die Oertlichkeit insbesondere hat et-
25 Avas unbeschreiblich Anziehendes; man meint diese Stadt
und Gegend zu kennen, man will sie wiederfinden, und die
Einbildungskraft schweift ängstlich über alle Eindrücke hin,
welche die reichen Lande längs des Oberrheins in ihrer tiefe-
ren Erstreckung dem Reisenden ehmals überschwänglich
30 dargeboten, ohne dass die Wahl sich entscheiden und fest-
stellen will'. Ein bestimmter Ort aber, eine bestimmte Gegend,
das nehmen wir für gewiss an, hat, wenn auch nur durch
einige glückliche Tuncte, die Grundlinien der ganzen Schil-
derung geliefert. . . ." (G.L 14, 65 f.)
35 = Im Gegensatz zu den französischen Uebei'tragungen von
.Werthers Leiden', deren „Effect" in Frankreich „gross war
wie überall"; s. 165, 31—36 und vgl. dagegen 166. 24 f.
196 HERMANN UND DOROTHEA. 1828
Januar 31, Weimar. 412
Es ist bei ihnen^ alles verständig, bürgerlich, ohne
grosse Leidenschaft und poetischen Schwung und hat
dadurch viele Aehnlichkeit mit meinem ,Hermann und
Dorothea' sowie mit den englischen Eomanen des Ri-
chardson. Es unterscheidet sich aber wieder dadurch,
dass bei ihnen die äussere Natur neben den menschlichen
Figuren immer mitlebt.
Mit Eckermann. — Gespräche 6, 43.
10
1838.
Januar 15, Weimar. 413
, . freundlicher Aufnahme die Sendung lebhaft em-
pfehlend, . . Inhalt . . . 5. , Hermann und Dorothea',
für Madame Carlyle . . .^.
An Carlyle. -- G.-Carlyle S. 29.
vor October 28, Weimar. 413a 15
Goethe verspricht, Ihnen [Oppenheim] ehestens zu
schreiben. Er lobt die Composition ganz vorzüglich und
ich [Müller] kann betheuern, dass ihm das Ganze grosse
Freude gemacht. Sie haben ,Hermann und Dorothea'
auf's Avürdigste nachgedichtet^ . . , 20
Mit Kanzler von Müller. — Berichte dFDH. 13. 71 f.
* Bei den Chinesen, wie sie sich in einer chinesischen epischen
Dichtung darstellen, die Goethe in der englischen Uebertra-
gung von Thoms letzthin gelesen hatte und noch studirte
(Tagebucheintragung vom 3. Februar 1827: „Chinesisches 2=>
Gedicht Chinese Courtship. Chinesische Werbung", nach W.
von Biedermanns Angabe im Archiv f. L. 13, 542).
* Am 14. März erkundigt Goethe sich brieflich nach dem Em-
pfang der Sendung, die unter Anderem auch Band 6 — 10 der
Werke Cotta' enthielt (G.-Carlyle S. 29. 35). 30
* Der Maler Moritz Oppenheim veröffentlichte 1828 bei
Brönner in Frankfurt am Main Umrisszeichnungen zu , Her-
mann und Dorothea', zehn Blätter in Quer-Folio, von A.
Lucas auf Stein übertragen. Kanzler von Müller bedankt sich
am 28. October 1828 brieflich bei dem Künstler für das ihm 35
gewidmete Work und meldet, dass er das für Goethe be-
nS29 HERMANN UND DOROTHEA. 1!»*
1829.
Febnaar 4, Weimar. 414
„Wenn man meinen , Hermann und Doro-
thea' liest, so denkt man, das wäre auch auf dem The-
5 ater zu sehen. Töpfer hat sieh verführen lassen es hinauf
zu bringen; allein was ist es, was wirkt es, zumal wenn
es nicht ganz vorzüglich gespielt wird, und wer kann
sagen, dass es in Jeder Hinsicht ein gutes Stück sei?^
Für das Theater zu schreiben ist ein Metier, das man
10 kennen soll, und will ein Talent, das man besitzen muss.
Beides ist selten, und wo es sich nicht vereinigt findet,
wird schwerlich etwas Gutes an den Tag kommen".
Mit Eckermann. — Gespräche 7, 8.
März 23. Weimar. 415
15 ,,Ja, mein Guter, man hat von seinen Freunden zu
leiden gehabt! Tadelte doch Humboldt auch an meiner
Dorothea, dass sie bei dem Ueberfall der Krieger zu den
Waffen gegriffen und dreingeschlagen habe! Und doch,
ohne jenen Zug ist Ja der Charakter des ausserordent-
20 liehen Mädchens, wie sie zu dieser Zeit und zu diesen Zu-
ständen recht war, sogleich vernichtet, und sie sinkt in
die Eeihe des Gewöhnlichen herab-. — Aber Sie werden
stimmte Exemplar diesem übermittelt babe (Berichte dPDH.
13, 71). In Müllers .Unterhaltungen' wird des Werlies nicht
25 gedacht, und von einem Briefe Goethes an Oppenheim über
dasselbe ist bisher nichts bekannt.
^ s. 191. 12-14 und vgl. 1Ü2, 24-26.
' W. V. Humboldt beschäftigt sich auf Seite 111—114 seines
IGl, 30—32 angeführten Werkes mit der ..Erzählung des he-
roischen Muths der Jungfrau" (Gesang <j V. 104—118) und
mit der Frage: „Ob der Dichter gut that. gerade diesen
30
198 HERMANN UND DOROTHEA. 1S21>
[März 23, Weimar.] [415]
bei weiterm Leben immer mehr finden, wie wenige
Menschen fähig sind, sich auf den Fuss dessen zu setzen,
was sein muss, und dass vielmehr alle nur immer das
loben und das hervorgebracht wdssen wollen, was ihnen &
selber gemäss ist. Und das waren die Ersten und Besten,
und Sie mögen nun denken, wie es um die Meinungen der
Masse aussah, und wie man eigentlich immer allein
stand".
Mit Eckermann. — Gespräche 7, 37 f. lO
November 14, Weimar. 415a
Die epischen Gedichte sollen, nach meiner jetzigen
Ansicht, das Ganze schliessen, damit der Leser, nach so
Zug aus ihrem Leben herauszuheben ?•' Er müsse „offen-
herzig gestehen, dass, so oft wir noch diese Stelle lasen, sie i&
uns jedesmal den gleichförmigen Strom zu unterbrechen
schien, in dem sonst das ganze übrige Gedicht hinfliesst",
und erlvlärt sich diesen Eindrucli aus zwei Gründen:
1. Die Phantasie müsse sich Dorotheen hier vorstellen: ,,den
Säbel in der Hand, die Feinde vertreibend, . . Zu diesem 20
Bilde aber von demjenigen, das sie bisher von ihr gehabt hat,
überzugehen, und von da aus zu diesem zurückzukehren,
macht ihr Mühe; sie findet etwas Grelles, einen Sprung darin.
Und wenn diess wirklich der Fall ist, so hat auch der
Dichter gefehlt". 25
2. Dorothea könne ,, einen Mord, selbst den eines übermü-
thigen Feindes, nie im mindesten aus freiem Entschluss,
immer nur durch die äusserste N o t h getrieben, begehen, . .
Handlungen aber, die nur die Noth bewirkt, in denen mehr
der Drang der Umstände, als die Energie des Charakters das 3a
thätige ^lotiv ist, sind sehr wenig zu einer poetischen Be-
handlung lauglicli."
Wie tief und bis in sein spätestes Alter dauernd bei Goethe
der Eindruck sololien Missverstehens und Nicht-Verstehens
selbst von Seiten höchstgebildeter Menschen war. das be- 35-
weist seine dem Obigen angeschlossene allgemeine Bemer-
kung (Z. 2—9).
1830
HERMANN UND DOROTHEA.
199
[November 14, Weimar]. [4l5a]
manchem Denken und Urtheilen, endlich wieder auf
Poesie zurückgeführt werde^.
Au Cotta. — Neuestes Yerzeicliniss einer Goethe-Biblio-
5 thek (1767—1874.), S. 230.
1830.
Juni 25, Weimar. — s. Nr. 97.
41ob
^ Ueber die ursprüngliche Einordniiug der epischen Gedichte
vgl. Nr. 95. — Auf Band 23 der .Ausgabe letzter HandS der
10 den Schluss der ."Wanderjahre' enthält, folgen die sechzehn,
mit Stoff zum „Denken und Urtheilen" gefüllten Bände 24
— 39. die (fast ausschliesslich! Schriften zur Lebensge-
schichte Goethes und zur Kunst enthalten.
Joseph.
1767.
Mai 11, Leipzig. 416
Hätte mir einer anno 62 von meinem .Joseph' ge-
sagt, was ich jetzt selbst davon sage, ich -würde so 5
niedergeschlagen worden sein, dass ich nie eine Feder
angerührt hätte^.
An seine Schwester. — Br. 1, 88. 22—25.
October [12], Leipzig. 417
Belsazer, Isabel, Ruth, Selima, ppppp. haben ihre lo
Jugendsünden nicht anders als durch Feuer büssen
können-. Dahin denn auch Joseph wegen der vielen
Gebeie, die er zeitlebens gethan hat, verdammt worden
ist. Ich war lange Willens ihn auf's Waisenhaus an
Bogatzkyen zu schenken, der hätte ihn herausgeben i5
können^. Es ist ein erbauliches Buch, und der Joseph
^ Hiernach scheint die .Geschichte Josephs' im Jahre 1762
schon vollendet gewesen zu sein, während sie im Hinblick
auf das Erscheinungsjahr der 202, 34—36 genannten Dich-
tung Mosers nicht vor dem Jahre 1763, nach 201, 5 f. sogar 20
nicht vor Mitte October dieses Jahres entstanden sein kann.
' Nur zwanzig Verse der zuerst genannten Dichtung haben
sich erhalten mit einem Briefe, in dem Goethe sie seiner
Schwester 1765 mittheilte (Br. 1, 25); von den drei andern
Dichtungen kennen wir bloss die Namen und auch diese 25
nur aus obiger Brief stelle.
' Bogatzky lebte im Franckeschen Waisenhause zu Halle.
Durch sein .Güldenes Schatzkästlein der Kinder Gottes, be-
1811 .lOSEPH. 2ui
[October 12. Leipzig-.] l*!'?]
hat nichts zu thun als zu beten. Wir haben hier manch-
mal über die Einfalt des Kindes gelacht, das so ein
frommes Werk schreiben konnte. Doch ich darf nicht
viel von Kind reden, es ist noch nicht vier Jahre^, dass
er zur Welt kam.
An seine Schwester. — Br. 1. 115. 1—12.
[1811.]
[Juli Ende oder August Anfang, Weimar.] 418
10 [Zu ITß-?.] Wenn eine stets geschäftige Einbildungs-
kraft, wovon jenes Mährchen [,Der neue Paris'], ein
Zeugniss ablegen mag, mich bald da- bald dorthin
führte, wenn das Gemisch von Fabel und Geschichte,
Mythologie und Eeligion mich zu verwirren drohte, so
15 flüchtete ich gern nach jenen morgenländischen Ge-
genden, ich versenkte mich in die ersten Bücher Mosis
und fand mich dort unter den ausgebreiteten Hirtcn-
stämüien zugleich in der grössten Einsamkeit und in
der grössten Gesellschaft.
Diese Familienauftritte, ehe sie sich in eine Ge-
schichte des israelitischen Volks verlieren sollten, lassen
uns nun zum Schluss noch eine Gestalt sehen, an der
sich besonders die Jugend mit Hoff'nungen und Ein-
bildungen gar artig schmeicheln kann: Joseph, das
Kind der leidenschaftlichsten ehelichen Liel)e. Ruhig
erscheint er uns und klai-, und prophezeit sich selbst
die Vorzüge, die ihn über seine Familie erheben sollten.
Durch seine Geschwister in's Unglück gestossen, bleibt
er standhaft und rechtlich in der Sklaverei, widersteht
20
30 Stehend in auserlesenen Spi-üchen heiliger Schrift", das von
Goethes Mutter sehr werth gehalten wurde, war der Name
des Verfassers Goethe früh vertraut geworden.
Vgl. zur Deutung der obigen Briefstelle GJ. 7, 138.
» Vgl. dagegen 202, 4. 17—21.
202 JOSEPH. 1811
[Juli Ende oder August Anfang, Weimar.] [418]
den gefährlichsten Versuchungen, rettet sich durch
Weissagung, und wird zu liohen Ehren nach A^erdienst
erhoben. Erst zeigt er sich einem grossen Königreiche,
sodann den Seinigen hülf reich und nützlich. Er gleicht 5
seinem Urvater Abraham an Euhe und Grossbeit,
seinem Grossvater Isaak an Stille und Ergebenheit.
Den von seinem Vater ihm angestammten Gewerbsinn
übt er im Grossen: es sind nicht mehr Heerden, die
man einem Schwiegervater, die man für sich selbst ge- 10
winnt, es sind Völker mit allen ihren Besitzungen, die
man für einen König einzuhandeln versteht. Höchst
anmuthig ist diese natürliche Erzählung, nur erscheint
sie zu kurz, und man fühlt sich berufen, sie in's Ein-
zelne auszumalen. 15
Ein solclies Ausmalen biblischer, nur im Umriss an-
gegebener Charaktere und Begebenheiten war den
Deutschen nicht mehr fremd. Die Personen des Alten
und Xeuen Testaments hatten durch Klopstock^ ein
zartes und gefühlvolles Wesen gewonnen, das dem 20
Knaben so wie vielen seiner Zeitgenossen höchlich zu-
sagte. Von den Bodmerischen Arbeiten dieser Art
kam wenig oder nichts zu ihm-; aber .Daniel in der
Löwengrube', von Moser^, machte grosse Wirkung auf
^ In dessen religiösem Epos ,Der Messias'. 25
' Ausser den Gesängen von der ,Synd-Flut', von ,Xoah', »Ja-
kob und Rachel' und anderen hatte Bodmer in den Jahren
ITöO bis 1754 mehrere, gerade auf die Geschichte .Tosephs be-
zügliche, Dichtungen verüffentliclit: die Epen ..Jakob und Jo-
seph', , Joseph lind Zulika', und die Trauerspiele ,Der er- 30
kannte Joseph' und .der keusche Joseph'. ,.Den Verdacht,
diese Stücke nachgeahmt zu haben, will Goethe von sich
ablehnen" (G. v. Loeper in WH. 20, 333 Erl. 109».
* Die Pi'osa-Dichtung .Daniel in der Löwen-Grube. In sechs
Gesängen von Friedrich Carl von Moser. Frankfurt am 35
Mayn. Im Verlag .Johann Christian Gebhard. 1703'.
1811 JOSEPH. 203
[Juli Ende oder Augiist Anfang, Weimar.] [418]
das junge Gemüih. . . . Die Geschichte Josephs zu
bearbeiten war mir lang*^ schon wünschenswerth ge-
wesen; allein ich konnte mit der Form nicht zurecht
5 kommen, besonders da mir keine Yersart geläufig war,
die zu einer solchen Arbeit gepasst hätte. Aber nun
fand ich eine prosaische Behandlung^ sehr bequem und
legte mich mit aller Gewalt auf die Bearbeitimg. Xun
suchte ich die Charaktere zu sondern und auszumalen,
10 und durch Einschaltung von Incidenzien und Episoden
die alte einfache Geschichte zu einem neuen und selbst-
ständigen "\^'erke zu machen. Ich bedachte nicht, was
freilich die Jugend nicht bedenken kann, dass hiezu ein
Gehalt nöthig sei, und dass dieser uns nur durch
15 das Gewahrwerden der Erfahrung selbst entspringen
könne. Genug, ich. vergegenwärtigte mir alle Begeben-
heiten bis in's kleinste Detail, und erzählte sie mir der
Eeihe nach auf das genaueste.
Was mir diese Arbeit sehr erleichterte, war ein üm-
20 stand, der dieses Werk und überhaupt meine Autor-
schaft höchst voluminös zu machen drohte. Ein
Junger Mann von vielen Fähigkeiten, der aber durch
Anstrengung und Dünkel blödsinnig geworden war,
wohnte als Mündel in meines Vaters Hause-, lebte ru-
25 hig mit der Familie und war sehr still tmd in sich ge-
kehrt, und wenn man ihn auf seine gewohnte Weise ver-
fahren Hess, zufrieden und gefällig. Dieser hatte seine
akademischen Hefte mit grosser Sorgfalt geschrieben
^ Nach dem Beispiel der MoserscLen Dichtung.
30 ^ ..Der Sohn des verstorbenen Stadtarchivars Clauer, der . .
als Rechtscandidat im Nebengebäude von Goethes elter-
lichem Hause wohnte und geistesirre wurde, als er dieses
beim Umbau im Frühling 1T.j.j verlassen musste. . . .
Goethes Vater hatte dessen Vormundschaft übernommen"
35 (Düntzer in WD. 17, 174 zu Z. 20».
204 JOSEPH. 1811
[Juli Ende oder August Anfang, Weimar.] [418]
und sieh eine flüchtige leserliche Hand erworben. Er
beschäftigte sich am liebsten mit Schreiben und sah
es gern, wenn man ihm etwas zu copiren gab; noch
lieber aber, wenn man ihm dictirte, weil er sich alsdann 5
in seine glücklichen akademischen Jahre versetzt fühlte.
Meinem Yater, der keine expedite Hand schrieb, und
dessen deutsche Schrift klein und zittrig war, konnte
nichts erwünschter sein, und er pflegte daher, bei Be-
sorgung eigner sowohl als fremder Geschäfte, diesem 10
jungen Manne gewöhnlich einige Stunden des Tags zu
dictiren. Ich fand es nicht minder bequem, in der
Zwischenzeit alles, was mir flüchtig durch den Kopf
ging, von einer fremden Hand auf dem Papier fixirt zu
sehen, und meine Erfindungs- und Xachahmungsgabe 15
wuchs mit der Leichtigkeit des Auffassens und Aufbe-
wahrens.
Ein so grosses Werk als jenes biblische, prosaißch-
epische Gedicht hatte ich noch nicht unternommen.
Es war eben eine ziemlich ruhige Zeit, und nichts rief 20
meine Einbildungskraft aus Palästina und Aegypten
zurück. So quoll mein Manuscript täglich um so mehr
auf, als das Gedicht streckenweise, wie ich es mir selbst
gleichsam in die Luft erzählte, auf dem Papier stand,
und nur wenige Blätter von Zeit zu Zeit umgeschrieben 25
zu werden brauchten.
Als das Werk fertig war, denn es kam zu meiner
eignen Yerwundenmg wirklich zu Stande, bedachte ich,
dass von den vorigen Jahren mancherlei Gedichte vor-
handen seien, die mir puch jetzt nicht verwerflich 30
schienen, ^\■elche, in ein Format mit , Joseph' zusammen-
geschrieben, einen ganz artigen Quartband ausmachen
würden, dem man den Titel .Vermischte Gedichte'
geben könnte; welches mir sehr wohl gefiel, weil ich
isii
JOSEPH.
205
[Juli Ende oder August Anfang. Weimar.] [418]
dadurch im Stilleu bekannte und berühmte Autoren
nachzuahmen Gelegenheit fand^.
Diclitung und Wahrheit Theil 1 Buch 4. — W. 20, 221,
1»5— 223, 1. 6— 225, 10.
' Goethe überträgt hier den Gebrauch des Titels , Vermischte
Gedichte' auf jene Zeit, während derselbe erst einige Jahre
später durch die so benannten Gedichtsammlungen von
Rost (1769), Geliert (1770), Lavater (1785), Johann Adolf
10 Schlegel (1787) und Anderen, beliebt wurde.
Margites-Epos.
[1798.]
[Juli Mitte, Weimar.] 419
. . iiiüchten Sie mir doch die Spuren, die sich ^om
M a r g i t e s im Alter thume finden, mit Ihrem Geist 6
zu meinem Privatgebrauch zusammenstellen. Je früher
Sie es thun, desto früher wird Ihnen mein praktischer
Dank entgegen kommen, denn ich habe keinen andern.
Wie sehr wünschte ich eine Hypothese, die ich über
den Inhalt dieses Gedichts schon lange hege, bestätigt lo
zu sehen, um sie in einem kleinen Epos nach meiner
Art den Kennenden vorzulegen\'
An Friedricli Schlegel. — Br. 13, 208. 2—10.
Margites (gr. margos = raseud, toll, thüricht) ist der Name
einer komischen Gestalt der griechischen, Yolkssage, eines 15
sich klug dünkenden Thoreu, der als eine Art von Gegenstück
zum deutschen Eulenspiegel betrachtet werden kann. Von
dem nach diesem seinem Helden benannten Epos .Margites',
das. wo nicht Homer selbst, so doch den Homeriden zuge-
schrieben wird, haben sich nur wenige Bruchstücke er- 20
halten, vgl. SdGG. 13, 859 unter Xr. 2.
Goethe mochte gegenwärtig durch das gerade 1798 in Stet-
tin erschienene Programm .De Margite Homerico' von Gott-
helf Samuel Falbe wieder auf den Gegenstand geführt
worden sein. Weder Goethes , Hypothese', noch eine Antwort 25
Friedrich Schlegels ist bekannt, noch auch scheint Goethe
von dem .kleinen Epos' etwas ausgeführt zu haben.
Der neue Paris.
25
1811.
] [Mai, Juni, Karlsbad, oder Juli. Jena.] 420
[Zu 1756 etwa bis 1T60.] . . Wohlwollende konnte
ich sehr glücklich machen, wenn ich ihnen Mährchen
erzählte, und besonders liebten sie, wenn ich in eigner
Person sprach, und hatten eine grosse Freude, dass mir
als ihrem Gespielen so wunderliche Dinge könnten be-
gegnet sein, und dabei gar kein Arges, wie ich Zeit und
Eaum zu solchen Abenteuern finden können, da sie
doch ziemlich wussten, wie ich beschäftigt war, und wo
ich aus- und einging. Nicht weniger waren zu solchen
Begebenheiten Loealitäten, wo nicht aus einer andern
Welt, doch gewiss aus einer andern Gegend nöthig, und
alles war doch erst heut oder gestern geschehen. Sie
mussten sich daher mehr selbst betriegen, als ich sie
zum Besten haben konnte. Und wenn ich nicht nach
und nach, meinem Naturell gemäss, diese Luftgestalten
und "Windbeuteleien zu kunstmässigen Darstellungen
hätte verarbeiten lernen, so wären solche aufschneide-
rische Anfänge gewiss nicht ohne schlimme Folgen für
mich geblieben.
Betrachtet man diesen Trieb recht genau, so möchte
man in ihm diejenige Anmassung erkennen, womit der
Dichter selbst das Unwahrscheinlichste gebieterisch
ausspricht, und von einem jeden fordert, er solle das-
jenige für wirklich erkennen, was ihm, dem Erfinder,
auf irgend eine Weise als wahr erscheinen konnte.
208 DER NEUE PARIS. ISll
]fMai, Juni, Karlsbad, oder Juli, Jena.] [420]
Was jedoch hier nur im Allgemeinen und betrach-
. tungsweise vorgetragen worden, wird vielleicht durch
ein Beispiel, durch ein Musterstück angenehmer und
anschaulicher werden. Ich füge daher ein solches 5
Mährchen hei, welches mir, da ich es meinen Gespielen
oft wiederholen musste, noch ganz wohl vor der Ein-
bildungskraft und im Gedächtniss sehwebt.
[Hier folgt ,Der neue Paris, Knabenmährchen'.]
Dieses Mährchen, von dessen Wahrheit meine Ge- ^^
spielen sich leidenschaftlich zu überzeugen trachteten,
erhielt grossen Beifall. Sie besuchten, jeder allein,
ohne es mir oder den andern zu vertrauen, den ange-
deuteten Ort, fanden die Xussbäume, die Tafel und
den Brunnen, aber immer entfernt von einander: wie i.>
sie zuletzt bekannten, weil man in jenen Jahren nicht
gern ein Geheimniss verschweigen mag. Hier ging &ber
der Streit erst an. Der eine versicherte: die Gegen-
stände rückten nicht vom Flecke und blieben immer
in gleicher Entfernung unter einander. Der zweite ao
behauptete: sie bewegten feich,''aber sie entfernten sich
von einander. Mit diesem war der dritte über den
ersten Punct der Bewegung einstimmig, doch schienen
ihm Xussbäume, Tafel und Brunnen sich vielmehr zu
nähern. Der vierte wollte noch was Merkwürdigeres 25
gesehen haben: die Xussbäume nämlich in der Mitte,
die Tafel aber und den Brunnen auf den entgegenge-
setzten Seiten, als ich angegeben. In Absicht auf die
Spur des Pf Örtchens variirten sie auch. Und so gaben
sie mir ein frühes Beispiel, wie die Menschen von einer so
ganz einfachen und leicht zu erörternden Sache die
widersprechendsten Ansichten haben und behaupten
können. Als ich die Fortsetzung meines Mährchens
hartnäckig verweigerte, ward dieser erste Theil öfters
wieder begehrt. Ich hütete mich, an den Umständen 35
viel zu verändern, und durch die Gleichförmigkeit
1812 DER NEUE PARIS. 20r>
][Mai, Juni, Karlsbad, oder Juli, Jena.) [420]
meiner Erzählung verw-andelte ich in den Gemüthern
meiner Zuhörer die Fabel in "Wahrheit.
Dichtung und Wahrheit Theil 1 Buch 2. — W. 20, 76,
5 17—77,20. 99,14—100,16.
Juli 3. Jena. 421
[Früli] ,Der neue Paris, Knahenmährchen' dictirt.
Tgb. 4, 217.14.
Juli 4, Jena. 422
10 [Vormittags] Eevision des Mährchens.
Tgb. 4, 217,20.
] [ Juli Ende oder August Anfang, Weimar.] — s. 201, 11. 422a
1812.
][Mai 7—13 oder August 1.3—17, Karlsbad.] — s. ,Wilhelm
15 Meister' u. g. D. 422b
1830.
October 26. Jena. 423
. . wenn ich, gegen so viele Mährchen, die ich in
Cours gehracht hahe% von den Feen den Eing belie-
20 biger Unsichtbarkeit hätte erwerben können, so würdest
Du mich. bald auf Deinem Territorium herumwandelnd
spüren.
An Zelter. — G.-Zelter 3, 163.
1821.
25 September 7, Eger. 424
Dass Sie die drei Mährchen zusammenstellen und ver-
' Man mag hier immerhin zunächst an die drei wirklichem
, Mährchen' denken, an den , Neuen Paris', die, Neue Melusine*^
in , Wilhelm Meisters Wanderjahren' und an ,das Mährehen'
am Schlüsse der , Unterhaltungen deutscher Ausgewander-
ten'; doch braucht Goethe das Wort , Mährchen' sehr häufig
im weiteren Sinne, gleichbedeutend mit .Dichtung', ,Phan-
tasiegebild' überhaupt.
Graf, Goethe über s. Dichtungen T. I. 14
210 DER NEUE PARIS. 18'2]
][Mai, Juni, Karlsbad, oder Juli, Jena.] [424]
gleichen, ist erfreulicli; sollte nicht auch das vierte zu
erfinden und zu schreiben sein?^
An Zauper. — Zauper: Studien 2, 221.
Zauper sagt in seinem Werke , Grundzüge zu einer deutschen 5
tlieoretiscli-pralitisclieu Poetik aus Goetlae's Werken ent-
wickelt' (Wien 1821; Goethe hatte es am 5. April vom Ver-
fasser als Gefcchenk erhalten): „Wenn Goethe das Mährchen
[,Der neue Paris'] . . ein Knabenmährchen nennt, so
könnte -svohl jenes in den .Unterhaltungen deutscher Aus- lo
gewanderten' [,Das Mährchen'] ein Männermährchen
heissen. Denn so wie jenes eine goldene, bunte Freude
kindischmalende Frühlingszeit des Lebens schildert, nicht
ohne Widerschein anfangender Kunst- und Wissenschafts-
bildung, so möchte dieses die reifen, obgleich üppigen i5
Träume des Mannes abbilden, in welchen die Farbe eines
nachdenkenden Geistes und combinirender Erfahrung und
eines ernsteren Lebens schimmert. —
Und so hätten wir denn in der .Neuen Melusine', . . end-
lich zum vollen Ki'anz auch ein Jünglingsmährcben, 20
in welchem der dem Knaben entwachsene Mensch mit
seinen Wünschen, Hoffnungen und Luftschlössern, die er
bereits zu bauen anfängt, ei'scheint" (Studien 1, 170).
Ein viertes, ein ,,Greisenmährchen", hat Goethe nicht ge-
schrieben, wenn es auch den Anschein hat, als habe ihm bei 25
der Abfassung obiger Brief stelle ein solches schon vorge-
schwebt.
Novelle.
Handschriften: Von der .Novelle' befindet sich ein wahrer
Haudschrilten-Stbatz im Goethe- und Schiller- Archiv.
Die Beschreibung desselben in der Weimarer Ausgabe
5 leitet der Herausgeber, Gustav Röthe, mit den Worten
ein: „Die unermüdlich feilende und umgiessende Sorgfalt
auch des greisen Goethe, die sich gar nicht genug thun
kann, tritt nicht leicht so bis in's Kleine hinein zu Tage,
wie an diesem Cabinetstück der Altersprosa" (W. 18, i53),
i) Es sind vorhanden:
1. Drei Schemata-Entwürfe von Goethes Hand, da-
runter einer mit der Datirung .,4. October 1S26".
2. Ein ganz ausführliches Schema in Reinschrift, von
Schreiberhand, datirt ..Weimar 8. October 1826"; es ist
15 abgedruckt in W. 18, 482^88.
3. Tier Niederschriften einzelner Theile der Dichtung
von Goethes eigener Hand.
4. Fünf Hands^chriften. von Schreibern geschrieben,
deren eine das Datum ..Weimar 11. October 1826"' trägt
20 (vgl. Nr. 439i: keine ist vollständig.
Das Druckmniuiscript für den ersten Druck scheint
nicht erhalten zv sein.
Erster Driick: 1828. Werke Cotta= 15. 297—332. Vorangehen
,Die Aufgeregten', .Unterhaltungen deutscher Ausge-
25 wanderten' und .Die guten Weiber'.
Weimarer Ausgabe: 1805. W. 18. 313—348 und 451^90. Vor-
angehen .Die Aufgeregten". .Das Mädchen von Ober-
kirch'. .Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten'. .Die
guten Weiber'; es folgen ,Der Hausball' und .Reise der
30 Söhne Megaprazons'.
212 NOVELLE. 1797
1797.
März 23, Jena. 425
Xeue Idee zu einem epischen Gedichte^. Nachmittag
zu Schiller, darüber gesprochen.
Tsrb. 2, 62, 11—13. 5
März 24, Jena. 426
Alle meine Sachen sind bisher recht gut gegangen
und ich habe sogar wieder allerlei neue Ideen, die auf
die Zukunft gute Frucht bringen werden. Denn es ist
nun einmal nicht anders, dass man, sobald man fertig lo
ist, gleich wieder Avas ISTeues im Sinne haben müsse-.
An Christiane. — Br. 12, 76, 17—21.
April 19, Weimar. — s. 117, 22—25. 426a
April 22, Weimar. — s. 119, 2.3— 120, 11. 426b
April 26, Weimar. 427 15
Mit dem, was Sie in Ihrem heutigen Briefe über
Drama und Epos sagen', bin ich sehr einverstanden:
so wie ich immer gewohnt bin, dass Sie mir meine
Träume erzählen und auslegen. Ich kann nun nichts
weiter hinzufügen, sondern ich muss Ihnen meinen 20
Plan schicken oder selbst bringen. Es werden dabei sehr
feine Puncto zur Sprache kommen, von denen ich jetzt
im Allgemeinen nichts erwähnen mag. Wird der Stoff
nicht für rein episch erkannt, ob er gleich in mehr als
Einem Sinne bedeutend und interessant ist, so muss 25
sich darthun lassen, in welcher andern Form er eigent-
lich behandelt werden müsste. . . .
Ich kann mich doch nicht enthalten noch eine Frage
über unsere dramatisch epische Angelegenheit zu thun.
Was sagen Sie zu folgenden Sätzen: 30
* „Neue Idee'' im Vergleich zu der älteren des epischen Ge-
dichts , Hermann und Dorothea', das gerade jetzt, am 21.
März, wo nicht vollendet, so doch vorläufig abgeschlossen
war.
Sachlich gehört in diese Zeit: Nr. 4.33, und 223,6—13. 35
- Vgl. die vorhergehende Erläuterung.
' s. 120, 13.
1797 NOVELLE. 213
[April 26, Weimar.] [127]
Im Trauerspiel kann und soll das Schicksal, oder,
welches einerlei ist, die entschiedne Xatur des Menschen,
die ihn blind da oder dorthin führt, walten und herr-
5 sehen, sie muss ihn niemals zu seinem Zweck, sondern
immer von seinem Zweck abführen, der Held darf seines
Verstandes nicht mächtig sein, der Verstand darf gar
nicht in die Tragödie entriren als bei Xebenpersonen
zur Desavantage des Haupthelden u. s. w.
10 Im Epos ist es gerade umgekehrt, bloss der Verstand,
wie in der Odyssee, oder eine zweckmässige Leiden-
schaft, wie in der Ilias, sind epische Agentien. Der Zug
der Argonauten als ein Abenteuer ist nicht episch.
An Schiller. — Br. 12, 100, 14—25. 101, 9—25.
15 April 28, Weimar. 428
Gestern, als ich der Fabel meines neuen Gedichtes
nachdachte, um sie für Sie aufzusetzen, ergriff mich
auf's neue eine ganz besondere Liebe zu diesem Werke,
welche nach allem, was indess zwischen uns verhandelt
20 worden ist, ein gutes Vorurtheil für dasselbe gibt. Da
ich nun weiss, dass ich nie etwas fertig mache, wenn
ich den Plan zur Arbeit nur irgend vertraut, oder je-
manden offenbart habe\. so will ich lieber mit dieser
Mittheilung noch zurückhalten, wir wollen uns im All-
25 gemeinen über die Materie besprechen, und ich kann
nach den Eesultaten im Stillen meinen Gegenstand
prüfen. Sollte ich dabei noch Muth und Lust behalten,
so würde ich es ausarbeiten, und fertig gäbe es immer
mehr Stoff zum Nachdenken, als in der Anlage. Sollte
30 ich daran verzweifeln, so ist es immer noch Zeit auch
nur mit der Idee hervorzutreten.
Haben Sie Schlegels Abhandlung über das epische
Gedicht, im elften Stück .Deutschlands', vom vorigen
' Vgl. dagegen 190. G— 12. 32-36.
214 NOVELLE. 1797
[April 28, Weimar.] [428]
Jalir^ gesehen? lesen Sie es ja! Es ist sonderbar, Avie
er, als ein guter Kopf, auf dem rechten Wege ist und
sich ihn doch gleich wieder seihst verrennt. Weil das
epische Gedicht nicht die dramatische E i.n h e i t »
haben kann, weil man eine solche absolute Einheit in
der Ilias und Od3'ssee nicht gerade nachweisen kann,
vielmehr nach der neuern Idee sie noch für zerstückelter
angibt als sie sind, so soll das epische Gedicht keine
Einheit haben, noch fordern, das heisst, nach meiner lo
Vorstellung: es soll aufhören ein Gedicht zu sein. Und
das sollen reine Begriffe sein, denen doch selbst die
Erfahrung, wenn man genau aufmerkt, widerspricht.
Denn die Ilias und Odyssee, und wenn sie durch die
Hände von tausend Dichtern und Eedacteurs gegangen is-
wären, zeigen die gewaltsame Tendenz der poetischen
und kritischen Xatur nach Einheit. Und am Ende ist
diese neue Schlegelsche Ausführung doch nur zu
Gunsten der Wolfischen Meinung-, die eines solchen
Beistandes gar nicht einmal bedarf. Denn daraus, dass 20-
jene grossen Gedichte erst nach und nach entstanden
sind, und zu keiner vollständigen und vollkommenen
Einheit haben gebracht werden können (obgleich beide
^ Friedrich Schlegels Aufsatz , Lieber die Homerische Poesie.
Mit Rücksicht auf die Wolfischen Untersuchungen' in Rei- 25
chardts Journal ,Deutsohland' 1796 4, 124—156.
^ Zu der von "Wolf, in dem 2, 20 angeführten Werke, vorge-
tragenen Meinung isi zu vergleichen, was Goethe am 17. Mai
1795 au Schiller schreibt: ,, Wolfs Vorrede zur Ilias habe ich
gelesen, sie ist interessant genug, hat mich aber schlecht 30
erbaut. Die Idee mag gut sein und die Bemühung ist respec-
tabel; wenn nur nicht diese Herrn, um ihre schwachen
Flanken zu decken, gelegentlich die fruchtbarsten Gärten
des ästhetischen Reichs verwüsten und in leidige Verschan-
zungen verwandeln müssten. lind am Ende ist mehr Sub- 35-
jectives als man denkt in diesem ganzen Krame" (Br. 10,
260, 17—261,2).
1797 NOVELLE. 215
[April 28, Weimar ] [428]
vielleicht weit vollkommuer organisirt sind, als man
denkt), folgt noch nicht: dass ein solches Gedicht auf
keine "Weise vollständig, vollkommen und Eins werden
5 könne noch solle.
Ich habe indessen über misere bisherigen A^erhand-
Inngen einen kleinen Aufsatz^ aus Ihren Briefen ge-
macht, arbeiten Sie doch die Sache weiter aus, sie ist uns
beiden in theoretischer und praktischer Hinsicht jetzt
10 die wichtigste.
Ich habe die Dichtkunst des Aristoteles wieder, mit
dem gröbsten Vergnügen, durchgelesen, . . . Freilich
über das epische Gedieht findet man gar keinen ^Auf-
schluss in dem Sinne, wie wir ihn wünschen.
15 An Scliiller. — Br. 12, 104, ir>— 106, 1.3. 28— 107. 2.
April 28, Weimar. 429
Ich habe mir wieder eine eigne Welt gemacht und das
grosse Interesse, das ich au der epischen Dichtung ge-
fasst habe, wird mich schon eine Zeit lang hinhalten-.
20 An H. Meyer. — Br. 12, 109, 13—16.
' s. 145, 30—147, 18.
^ „liinlialten", — der Ausdruck ist mit Bezug auf den Adressa-
ten gewählt, in dessen Abwesenheit Goethe sich ,,von allem
Genuss der bildenden Kunst getrennt" fühlte, und der ihm
25 überhaupt „anf allen Seiten fehlte" (Br. 12, 109, 5 — 7).
Darf unter der ..eignen Welt" (Z. 17) im engeren
Sinne die Gestaltenwelt der nenen epischen Dichtung ver-
standen werden, so gab Goethe sich ihr doch voreist nicht
hin. Vielmehr trat, für die nächstfolgenden Wochen, von
30 dichterischen Arbeiten die Gestaltung einiger Balladen-
stofEe in den Vordergrund, sodann die Beschäftigung mit
.Faust'. — Nach 213, 20—27 sollte man annehmen, dass der
neue Plan, l>ei Goethes Aufenthalt in Jena vom 19. Mai bis
16. Juni in den Unterhaltungen mit »Schiller gar nicht zur
35 Sprache gekommen sei, doch spricht Schillers Brief vom
26. Juni dagegen, vgl. besonders 216, 29—35.
216 NOVELLE. 1797
Juui 22, Weimar. 430
L^nser Balladen Studium hat mich wieder auf dieseu
Dunst- und JSTebelweg [der Faust-Dichtung], gebracht, . .
Das Interessante meines neuen epischen Plans geht
vielleicht auch in einem solchen Reim- und Strophen-
dunst in die Luft, wir wollen es noch ein wenig coho-
biren^ lassen.
Au Schiller. — Br. 12, 168,3—6.
' ..cohobiren" (spätlat. coliobare) bedeutet: mehrmals destil-
liren, abziehen, klären, und ist ein ganz zur Sphäre des , Faust' lo
gehörender Ausdruck der Alchymie.
Schiller schrieb am 26. Juni: „Wenn ich Sie neulich recht
verstanden habe [s. Nr. 430], so haben Sie die Idee, Ihr
neues episches Gedicht, ,die Jagd', iu Reimen und Strophen
zu behandeln. Ich vergass neulich [im vorhergehenden 15
Briefe, vom 23. Juni], ein Wort darüber zu sagen, aber dieae
Idee leuchtet mir ein, und ich glaube sogar, dass diess die
Bedingung sein wird, unter welcher allein dieses neue Ge-
dicht neben Ihrem , Hermann' bestehen kann. Ausserdem,
dass selbst der Gedanke des Gedichts zur modernen Dicht- 20
kunst geeignet ist und also auch die beliebte Strophenform
begünstigt, so schliesst die neue metrische Form schon die
Concurrenz und Yergleichung aus; sie gibt dem Leser eben
sowohl als dem Dichter eine ganz andere Stimmung, es ist
ein Concert auf einem ganz andern Instrument. Zugleich 25
participirt es alsdann von gewissen Rechten des roman-
tischen Gedichts, ohne dass es eigentlich eines wäre, es
darf sich wo nicht des Wunderbaren, doch des Seltsamen
und Ueberraschenden mehr bedienen, und die Löwen- und
Tiger-Geschichte, die mir immer ausserordentlich vorkam, 30
erweckt dann gar kein Befremden mehr. Auch ist von
den fürstlichen Personen und Jägern nur ein leichter Schritt
zu den Ritterfiguren, und überhaupt knüpft sich der vor-
nehme Stand, mit dem Sie es in diesem Gedicht zu thun
haben, an etwas Nordisches und Feudalisches an. Die grie- 35
chische Welt, an die der Hexameter unausbleiblich erinnert,
nimmt diesen Stoff daher weniger an, und die mittlere und
neue Welt, also auch die inoderne Poesie, kann ihn mit
Recht reclamiren" (Schillers Br. 5, 206 f.).
1810 NOVELLE. 217
•Juni 27, Weimar. 431
Da ich durch meinen , Faust' bei dem Reimwesen ge-
halten werde, so werde ich gewiss auch noch einiges
liefern^; es scheint mir jetzt auch ansgemacht, dass
meine Tiger und Löwen- in diese Form^ gehören, ich
fürchte nur fast, dass das eigentliche Interessante des
Sujetes sich zuletzt gar in eine Ballade auflösen möchte*.
Wir wollen abwarten, an welches Ufer der Genius das
Schifflein treibt.
An Schiller. — Br. 12, 170. 17—22.
1816.
? August 24, Tennstädt. 482
Abends. Erinnerung an alte Plane epischer Form^'.
Tgb. 5, 266, 14 f.
15 ^ Zu Schillers .Musen-Almanach für rlas Jahr 1798'.
^ Es liegt nahe zu vermuthen, dass Goethe hier, wenn das
Wort ,, meine" auch nicht unterstrichen ist, doch seine ,, Tiger
und Löwen" in Gegensatz denkt zu des Freundes Löwen
und Tiger, da er wenige Tage zuvor, am 18. Juni, Schillers
20 kürzlich entstandene Ballade ,Der Handschuh' erhalten, ge-
lesen und am 21. .Juni zurückgeschickt hatte (Br. 12, 1(?4,
33 f., Schillers Br. 5, 201).
^ Die Form geeigneter Strophen (s. 216, 5 f. 21—25».
* Das geschah nicht, vielmehr verschwindet der Gegenstand
25 von jetzt an für langer als neunundzwanzig Jahre aus dem
Bereich der uns erhaltenen schriftlichen Urkimden über
Goethes dichterische Thätigkeit.
Auch Schiller gedenkt dos Planes nicht weiter. Nur einmal
noch, am 6. Februar 179S. als Goethe ihm am 3. Februar von
30 seinen schriftstellerischen A'orsiitzen für die nächste .Zu-
kunft schreibt (Goethe nennt di? .Farbenlehre', die ,UnTf^r-
haltuugen deutscher Ausgewanderten' und .Faust'), da er-
innert Schiller den Freund: ,,In dem Verzeichniss Ihrer
Arbeits-Peuseu für dieses Jahr finde ich Ihre neue Epopöe
35 nicht, da ich doch glaubte, Sie würden schon im Spätjahr
ernstlich daran gehen können: doch das können Sie ja selbst
noch nicht wissen wie die Göttin Sie führt" (Br. 13, 52. 19
—27 und Schillers Br. 5, 338).
' Es ist erlaubt, hier an den Plan des epischen Jagdgedichts
40 zu denken. Ebenso wohl aber kann Goethes Erinnerung
218 N0VP:LLE. 1823
1823 oder 182^.
][???] 433
[Zu 1797.]. . . jHermann und Dorothea' erschien als
Taschenbuch, und ein neues episch-romantisches Ge-
dicht wurde gleich darauf entworfen^ Der Plan war in
allen seinen Theilen durchgedacht, den ich unglück-
licherweise meinen Freunden nicht verhehlte. Sie riethen
mir ah, und es betrübt mich noch, dass ich ihnen Folge
leistete: denn der Dichter allein kann wissen, was in
sich mit .AchilleisS mit dorn , Ewigen Juden', den , Geheim- lo
nissen*, .Teil" oder anderen „alten Planen" beschäftigt
haben. Die Vergleichung mit der Tagebuchnotiz Nr. 384
vom selben Tage hilft nicht weiter.
Die Beschäftigung mit dem neuen Gedicht, so weit wir sie
mit Hülfe der Tagebücher und Briefe verfolgen liönneu 15
(vgl. Nr. 425 — 430), fiel noch in die letzten Monate der Ar-
beit an , Hermann und Dorotliea', und war, als diese Dich-
tung Mitte October 1797 erschien, schon geraume Zeit in
den Hintergrund des Interesses getreten.
Durch die obige Bemerkung Goethes aber, besonders 20
durch die Worte „gleich darauf", das heisst: im November
oder December des Jahres 1797 (vgl. 221, 6— S», ge-
winnt die 217, 33—36 angeführte Stelle in Schillers Brief
vom 6. Februar 1798 besondere Bedeutung. Und es ist da-
nacii sehr wohl möglich, dass diesen Worten Schillers eine 25
bestimmte Aeusserung Goethes zu Grunde liegt über die
Absicht, im Winter 1797 auf 98 das Jagdgedicht „ernstlieh"
vorzunehmen; und ferner: dass das alte Schema, dessen
Goethe im Gespräch mit Eckermauu gedenkt (s. 223, l2. 14).
in den letzten Monaten des Jahres 1797 entstanden ist. 30
Uebrigens aber lässt die Stelle auch eine andere Auffas-
sung zu, so zwar: dass die Worte „gleich darauf" gar niclit
in strengem, zeitlichem Zusammenhang mit dem E r -
scheinen von .Hermann und Dorothea' zu verstehen
sind, sondern dass Goethe, wie es 221, 6—8. 223. 9—11 der 35
Fall ist. meint: unmittelbar nachdem , Hermann und Doro-
thea' (im Wesentlichen) vollendet war.
182G NOVELLE. 219
[? ? ?] [433]
einem Gegenstände liegt, und Avas er für Eeiz nnd An-
muth bei der Ausführung daraus entwickeln könne^.
Tag- und Jahres-Hefte, 1797. — W. 35, 71,2—10.
5 1836.
October 3, Weimar. 434r
Aeltere Aufsätze und Schemata gesucht". Erforder-
nisse der neuen ,"\Yander jähre" betrachtet.
Tgb. 10, 252, 3 f.
10 October 4, Weimar. 435-
[Früh] Erneuertes Schema der wunderbaren Jagd^.
Tgb. 10, 252, 19.
October S, Weimar. 436
[Früh] An dei Jagdgeschichte schematisirt. Eine
15 Eeinabschrift des Schema dictirt*.
Tgb. 10, 254,13—15.
October 9, Weimar. 437
[Früh] Die ,Jagd', thcihveise Ausführung.
Tgb. 10, 254,27.
20 1 Die Freunde, denen Goetlie seineu Plan mittbeilte und die
einiges Bedenlcen äusserten, waren Scliiller und Wilhelm von
Humboldt (s. 120, 40—121, 43). Doch ist nach 213, 20—27
auzimelmien, dass sie nur im Allgemeinen über den Inhalt
und den ungefähren Gang der Ereignisse unterriclitet waroa.
25 Ein Zeugniss dafür, dass Schiller oder Humboldt von dem
Plane geradezu „abgerathen" haben, besitzen wir. ausser
Goethes eigenen Aeusserungen, nicht. Mit Recht liebt
Düntzer (Erläuterungen 16, 14) hervor, dass Goethe seilest
es war, der den ersten Zweifel äusserte, ob der Stoff zur
30 epischen Behandlung tauge (vgl. 117, 19—25. 119, 31-41).
^ Dass unter die gesuchten Schemata auch das alte Schema
der Jagdgeschichte gezählt werden darf, ist durch 221, 10 f,
223. 14 f. sicher.
' Vgl. 223, 15-18.
35 * s. 211, 13 f.
220 NOVELLE. 1826
October 10, Weimar. 438
Kleines Gedicht zum Abschliiss der projectirten No-
velle^.
Tgb. 10, 255, 13 f.
October 11, Weimar. 4:^9 5
[Nachmittags oder Abends] Betrachtung der Xovelle.
Tgb. 10, 25(5,10.
October 14, Weimar. 440
Abends John dictirt an der Novelle.
Tgb. 10, 257, 10 f. 10
October 15, Weimar, 441
[Früh] An der Novelle dictirt.
Tgb. 10, 257,13.
October 16, Weimar. 442
[Früh] Einiges an der Novelle dictirt. . . . [Nach- 15
mittags] Schrieb an der Novelle fort.
Tgb. 10, 257,26,
October 17, Weimar. 443
[Früh] Erster Entwurf der Novelle geschlossen.
Tgb. 10, 258,1. 20
October 18, Weimar. 444
[Früh] An der Novelle redigirt. . . . [Abends]
Ueberdachte das morgen früh zu Bearbeitende.
Tgb. 10, 258,27.
October 19, Weimar. 445 25
[Früh] Einiges an der Novelle.
Tgb. 10. 259,3.
October 20, Weimar. 446
[Früh] An der Novelle redigirt. . . . John mundirte
die Novelle. 30
Tgb. 10, 259,12—14.
' Das vierstrophige Lied des Knaben (W. 18, 342, 14):
„Aus den Gruben, hier im Graben
Hör' ich des Propheten Sang".
1827 NOVELLE. 221
Octobor 21, Weimar. "147
'[Vormittags]. John schrieb an der Xovelle fort.
Tgb. 10, 259,22.
October 22, Weimar. 448
5 Dann frag' ich mit mehr Zuversicht^: Sie erinnern
sieh wohl noch eines epischen Gedichts, das ich gleich
nach Beendigimg von ,Hermann und Dorothea' im
Sinn hatte: Bei einer modernen Jagd kamen Tiger und
Löwe mit in's Spiel; damals riethen Sie mir die Bear-
10 heitung ab und ich unterliess sie-; jetzt, beim Unter-
suchen alter Papiere, finde ich den Plan wieder' und
enthalte mich nicht, ihn prosaisch auszuführen, da es
dann für eine Xovelle gelten mag, eine Bubrik, unter
welcher gar vieles wunderliche Zeug cursirt.
15 An W. V. Humboldt. — G.-Humboldt S. 280.
October 22. Weimar. -149
[Früh]. John schrieb an der Xovelle fort.
Tgb. 10, 260,3.
November 19, Weimar. 450
20 [Früh] Eetouchirte das Jagdstück.
Tgb. 10, 271,8.
November 20, Weimar. 451
[Früh]. Revision der Jagd-Xovelle fortgesetzt.
Tgb. 10, 271,19.
25 1827.
Januar 11, Weimar. 452
Dr. Eckermann. Demselben die Terzinen vorgelegt.
Auch die ersten Hefte des romantischen Jagdstücks*.
W. 18, 452 (Tgb.).
' Vorher hatte Goethe gefragt, ob Humboldt sich noch „einer
dramatischen Helena, die im zweiten Theile von ,FariSt'
erscheinen sollte", erinnerte (G.-Humboldt S. 279).
- Vgl. 120. 40—121. 4-3 und 21S, 7 f.
' Vgl. 223, 17—19.
* Nach Goethes Tagebuch las Eckermann den Anfang, das
Mittelstück imd den Schluss der ,Novelle', zu gleichen
222 NOVELLE. 1S27
Januar 15, Weimar. 103
Xach Vollendung der ^Helena' hatte Goethe sich im
vergangenen Sommer zur Fortsetzung der , Wander-
jahre' gewendet. . . .
Vor mehreren Wochen hörte ich nun von seinem 5
Secretär [John], dass er an einer neuen Xovelle [für
die , Wanderjahre'] arbeite; . .
Diese ÜSTovelle war nun seit einiger Zeit Tollendet, und
er legte mir diesen Abend^ die ersten Bogen zur Ansicht
vor. 10
Ich war beglückt und las bis zu der bedeutenden
Stelle, wo alle um den todten Tiger herumstehen und
der AVärtel die Nachricht bringt, dass der Löwe oben
an der Paiine sich in die Sonne gelegt habe.
Während des Lesens hatte ich die ausserordentliche u
Deutlichkeit zu bewundern, womit alle Gegenstände bis
auf die kleinste Localität vor die Augen gebracht waren.
Der Auszug zur Jagd, die Zeichnungen der alten
Schlossruine, der Jahrmarkt, der Feldweg zur Euine,
alles trat entschieden vor die xA.nschauung, sodass man 21
genöthigt war, sich das Dargestellte gerade so zu denken,
wie der Dichter es gewollt hatte. Zugleich war alles mit
einer solchen Sicherheit, Besonnenheit und Herrschaft
Theilen, an drei verschiedenen Abenden, den 11., l.j. und
18. Januar (s. Nr. 452. 454. 457), während nach Eekermanns 25
Aufzeichnungen die Leetüre sich nur auf die beiden Abopde
des 15. und 18. vertheilte (s. Nr. 453. 456), und zwar zu
sehr ungleichen Theilen, da die 222, 12—14 genannte Scene
sich erst am Ende des zweiten Drittels der Dichtung be-
findet. Ob hier ein Irrthum Eckermanns oder ein bewussles 30
Zusammenfassen der beiden ersten Abende in Einen aus
ästhetischen Gründen vorliegt, könnte nur eine sorgfältige
Untersuchung des Verfahrens entscheiden, das Eckermnnn
bei der Bearbeitung seiner .Gespräche' für den Druck
beobachtete. 35
* Vgl. dagegen Nr. 452.
1827 NOVELLE.
[Januar 15, Weimar.] [453]
geschrieben, dass man vom Künftigen nichts voraus-
ahnen und keine Zeile weiter blicken konnte als man las.
Euer Excellenz, sagte ich, müssen nach einem sehr
bestimmten Schema gearbeitet haben.
„Allerdings habe ich das", antwortete Goethe; „ich
wollte das Sujet schon vor dreissig Jahren ausführen,
und seit der Zeit trage ich es im Kopfe. Xun ging es
mir mit der Arbeit wunderlich. Damals, gleich nach
jHermann und Dorothea', wollte ich den Gegenstand in
epischer Form und Hexametern behandeln und hatte
auch zu diesem Zwecke ein ausführliches Schema ent-
M^orfen. Als ich nun Jetzt das Sujet wieder vornehme,
um es zu schreiben, kann ich jenes alte Schema nicht
finden und bin also genöthigt, ein neues zu machen
und zwar ganz gemäss der veränderten Form, die ich
jetzt dem Gegenstande zu geben Willens war. Xun aber
nach vollendeter Arbeit findet sich jenes ältere Schema
wieder^, und ich freue mich nun, dass ich es nicht früher
in Händen gehabt, denn es würde mich nur verwirrt
haben. Die Handlung und der Gang der Entwickelung
war zwar unverändert, allein im Detail war es doch ein
ganz anderes; es war ganz für eine epische Behandlung
in Hexametern gedacht und würde also für diese pro-
saische Darstellung gar nicht anwendbar gewesen sein."
Das Gespräch lenkte sich auf den Inhalt. Eine schöne
Situation, sagte ich, ist die, wo Honorio der Fürstin
gegenüljer am todt ausgestreckten Tiger steht, die
klagende, weinende Frau mit dem Knaben herzuge-
kommen ist, und auch der Fürst mit dem Jagdgefolge
zu der seltsamen Gruppe soeben herbeieilt. Das müsste
ein treffliches Bild machen, und ich möchte es gemalt
sehen.
^ Dieses ursprüngliche Scliema hat sich in Goethes Nachlass
35 bis jetzt nicht vorgefunden.
224 NOVELLE. 1827
[Januar 15, Weimar.] [453]
„Gewiss", sagte Goethe, „das wäre ein schönes Bild;
— doch", fuhr er nach einigem Bedenken fort, „der
Gegenstand wäre fast zu reich und der Figuren zu viele,
sodass die Gruppirung und Vertheilung von Licht und 5
Schatten dem Künstler sehr schwer werden würde.
Allein den frühern Moment, wo Honorio auf dem Tiger
kniet und die Fürstin am Pferde gegenübersteht, habe
ich mir wohl als Bild gedacht; und das wäre zu machen."
Ich empfand, dass Goethe recht hatte und fügte hinzu, 10
dass ja dieser Moment auch eigentlich der Kern der
ganzen Situation sei, worauf alles ankomme.
Xoch hatte ich an dem Gelesenen zu bemerken, dass
diese Novelle von allen übrigen 'der , Wander jähre' einen
ganz verschiedenen Charakter trage, indem darin alles is
Darstellung des Aeussern^ alles real sei. „Sie haben
'recht", sagte Goethe, „Innerliches finden Sie in dem
Gelesenen fast gar nicht, und in meinen übrigen Sachen
ist davon fast zu viel."
Nun bin ich neugierig zu erfahren, sagte ich, wie man 20
sich des Löwen bemeistern wird; dass dieses auf eine
ganz andere Weise geschehen werde, ahne ich fast, doch
das Wie ist mir gänzlich verborgen. — „Es wäre auch
nicht gut, wenn Sie es ahnten", sagte Goethe, „und ich
will es Ihnen heute nicht verrathen. Donnerstag Abend 25
[18. Januar] gebe ich Ihnen das Ende; bis dahin liegt
der Löwe in der Sonne"^.
Mit Eckermann. — Gespräche G, 8—11 (dazu Eckcr-
mann 1, 198).
Januar 15, Weimar. 454 30
Abends Dr. Eckermann. ... Er las den mittlem
Theil der romantischen Jagd- [s. Nr. 453].
W. 18, 452 (Tgb.).
^ Vgl. 222, 13 f. (W. 18, 338, 27 f.).
^ Vgl. dagegen 222, 9 f. 35
1827 V NOVELLE. 225
Januar 17, Weimar. 155
Das Gespräch lenkte sich auf das Theater, und Goeihe
neckte mich, dass ich am letzten Montag Abend [15.
Januar] es ihm geopfert. . . . „Aher ich habe Sie auch
entschädigt! Xicht wahr? Habe ich Ihnen nicht schöne
Sachen vorgelegt?" Goethe zielte mit diesen "Worten
auf die neue Xovelle^.
Mit Eckermann. — Gespräche 6, 17 f.
Januar 18, ^yeimar. 4öG
Auf diesen Abend hatte Goethe mir den Scbluss der
Novelle versprochen. Ich ging halb sieben Uhr zu iJim
und fand ihn in seiner traulichen Arbeitsstube allein.
Ich setzte mich zu ihm an den Tisch, und nachdem wir
die nächsten Tagesereignisse besprochen hatten, stand
Goethe auf und gab mir die erwünschten letzten Bogen.
„Da lesen Sie den Schluss", sagte er. Ich begann. Goethe
ging derweile im Zimmer auf und ab und stand abwech-
selnd am Ofen. Ich las wie gewöhnlich leise für mich.
Xicht ohne Rührung hatte ich die Handlung des
Schlusses lesen können. Doch wusste ich nicht, was ich
sagen sollte, ich war überrascht, aber nicht befriedigt.
Es war mir, als wäre der Ausgang zu einsam, zu ideal,
zu lyrisch, und als hätten wenigstens einige der übrigen
Figuren wieder hervortreten und, das Ganze abschlies-
send, dem Ende mehr Breite geben sollen.
Goethe merkte, dass ich einen Zweifel im Herzen
hatte, und suchte mich in's Gleiche zu bringen. „Hätte
ich", sagte er, „einige der übrigen Figuren am Ende
wieder hervortreten lassen, so wäre der Schluss prosa-
isch geworden. Und was sollten sie handeln und sagen,
da alles abgethan war? Der Fürst mit den Seinigen ist
in die Stadt geritten, wo seine Hülfe nöthig sein wird;
Honorio, sobald er hört, dass der Löwe oben in Sicher-
35 ' Vgl. Nr. 453.
Graf, Goethe über s. Dichtungen T. I.
226 NOVELLE. 1827
[Januar 18, Weimar.] [456]
heit ist, wird mit seinen Jägern folgen; der Mann aber
wird sehr bald mit dem eisernen Käfig aus der Stadt
da sein und den Löwen darin zurückführen. Dieses
sind alles Dinge, die man voraussieht und die desshalb 5
nicht gesagt und ausgeführt werden müssen. Thäte man
es, so würde man prosaisch werden.
„Aber ein ideeller, ja lyrischer Schluss wai nöthig
und musste folgen; denn nach der pathetischen L'ede
des Mannes, die schon poetische Prosa ist, musste eine lo
Steigerung kommen, ich musste zur lyrischen Poesie,
ja zum Liede selbst übergehen.
„Um für den Gang dieser Kovelle ein Gleichniss zu
haben", fuhr Goethe fort, „so denken Sie sich aus der
Wurzel hervorschiessend ein grünes Gewächs, das eine is
Weile aus einem starken Stengel kräftige grüne Blätter
nach den Seiten austreibt und zuletzt mit einer Blume
endet. Die Blume war unerwartet, überraschend, aber
sie musste kommen; ja das grüne Blätterwerk war nur
für sie da und wäre ohne sie nicht der Mühe werth 20
gewesen. •'
Bei diesen Worten athmete ich leicht auf, es fiel mir
Avie Schuppen vom Auge, und eine Ahnung von der
Trefflichkeit dieser wunderbaren Composition fing an
sich in mir zu regen. 25
Goethe fuhr fort: „Zu zeigen, wie das Unbändige,
Unüberwindliche oft besser durch Liebe und Frömmig- '
keit als durch Gewalt bezwungen werde, war die Auf-
gabe dieser Novelle, und dieses schöne Ziel, welches sich
im Kinde und Löwen darstellt, reizte mich zur Aus- 30
führung. Diess ist das Ideelle, diess die Blume. Und
das grüne Blätterwerk der durchaus realen Exposition
ist nur dieserwegen da und nur dieserwegen etwas werth.
Denn was soll das Eeale an sich? Wir haben Freude
daran, wenn es mit Wahrheit dargestellt ist, ja es kann 35
uns auch von gewissen Dingen eine deutlichere Erkennt-
1827 NOVELLE. 227
[Januar 18, Weimar.] [456]
niss geben; aber der eigentliche Gewinn für unsere
höhere Xatur liegt doch allein im Idealen, das aus dem
Herzen des Dichters hervorging."
5 Wie sehr Goethe recht hatte, empfand ich lebhaft, da
der Schluss seiner Xovelle noch in mir fortwirkte tind
eine Stimmung Ton Frömmigkeit in mir hervorgebriieht
hatte, wie ich sie lange nicht in dem Grade empfunden.
"Wie rein und innig, dachte ich bei mir selbst, müssen
io doch in einem so hohen Alter noch die Gefühle des
Dichters sein, dass er etwas so Schönes hat machen
können! Ich enthielt mich nicht, mich darüber gegen
Goethe auszusprechen, sowie überhaupt mich zu freuen,
dass diese in ihrer Art einzige Production doch nun
15 existire.
„Es ist mir lieb", sagte Goethe, „wenn Sie zufrieden
sind, und ich freue mich nun selbst, dass ich einen
Gegenstand, den ich seit dreissig Jahren in mir herum-
getragen, nun endlich los bin. Schiller und Humboldt,
20 denen ich damals mein Vorhaben mittheilte, riethen
mir ab, weil sie nicht wissen konnten, was in der Sache
lag, und weil nur der Dichter allein weiss, welche Eeize
er seinem Gegenstande zu geben fähig ist^. Man soll
daher nie .jemand fragen, wenn man etwas schreiben
25 will. Hätte Schiller mich vor seinem ,"\Vallenstein' ge-
fragt, ob er ihn schreiben solle, ich hätte ihm sicherlich
abgerathen, denn ich hätte nie denken können, dass aus
solchem Gegenstande überall ein so treffliches Theater-
stück wäre zu machen gewesen. Schiller war gegen eine
30 Behandlung meines Gegenstandes in Hexametern, wie
ich es damals, gleich nach /Hermann und Dorothea'
"Willens war: er rieth zu den achtzeiligen Stanzen-.
^ ^'gl. 218. 7—219, 3. 20—30. 240, 5—7.
35 - s. 216, 12—39. Schiller hatte rtiess aber, weulgstens so
weit die schriftlichen Zeugnisse darüber ein Urtheil ge-
228 NOVELLE. 1S27
[Januar 18, Weimar.] [456]
Sie sehen aber wohl, dass ich mit der Prosa jetzt
am besten gefahren bin. Denn es kam sehr auf ge-
naue Zeichnung der Localität an, wobei man doch in
solchen Keimen wäre genirt gewesen. Und dann liess s-
sich auch der anfänglich ganz reale und am Schluss
ganz ideelle Charakter der Xovelle in Prosa am besten
geben, so wie sich auch die Liederchen Jetzt gar hübsch
ausnehmen, welches doch so wenig in Hexametern als
in den achtzeiligen Eeimen möglich gewesen wäre." lo
Die übrigen einzelnen Erzählungen und Xovellen der
, Wander Jahre' kamen zur Sprache, und es ward be-
merkt, dass Jede sich von der andern durch einen be-
sondern Charakter und Ton imter scheide^.
„Woher dieses entstanden", sagte Goethe, „will ich is
Ihnen erklären. Ich ging dabei zu Werke wie ein Maler,
der bei gewissen Gegenständen gewisse Farben ver-
meidet und gewisse andere dagegen vorwalten lässt.
Er wird zum Beispiel bei einer j\rorgenlandschaft viel
Blau auf seine Palette setzen, aber wenig Gelb. Malt 20
er dagegen einen Abend, so wird er viel Gelb nehmen
und die blaue Farbe fast ganz fehlen lassen. Auf eine
ähnliche Weise verfuhr ich bei meinen verschiedenarti-
gen schriftstellerischen Productionen, und wenn man
ihnen einen verschiedenen Charakter zugesteht, so mag 25
es daher rühren."
Ich dachte bei mir, dass diess eine höchst kluge Ma-
xime sei, und freute mich, dass Goethe sie ausge-
sprochen.
Sodann hatte ich, vorzüglich bei dieser letzten No- 30
statten, erst gethan, nachdem von Goethe selbst die Be-
handlung in gereimten Strophen als möglich hingest(^llt
worden war; und Schillers Ausführungen hatten den Beifall
Goethes gefunden, vgl. Nr. 430 und 431.
^ ^'gl. 224, 13-19. 35
1827 NOVELLE. 229
(Januar IS, Weimar.] [156]
velle, noch das Detail zu bewundern^ -sromit besonders
das Landschaftliche dargestellt war.
„Ich habe", sagte Goethe, „niemals die Xatur poe-
tischer Zwecke wegen betrachtet. Aber weil mein frü-
heres Landschaftszeichncii und dann mein späteres
Natui'forschen mich zu einem beständigen genauen An-
sehen der natürlichen Gegenstände trieb, so habe ich
die Xatur bis in ihre kleinsten Details nach und nach
auswendig gelernt, dergestalt, dass, wenn ich als Poet
etwas brauche, e= mir zu Gebote steht, und ich nicht
leicht gegen die Wahrheit fehle'"^.
Mit Eckermann. — Gespräche 6, 21—26.
^ Hier sei eine Bemerkung angeschlossen, die Goethe in
15 .Dichtung und Wahrheit' (Buch 19) über sein Zeichnen nach
der Natur macht bei Gelegenheit der Erzählung seiner
ersten Reise in die Schweiz, im Juni 1775: „Ehe wir aber
von diesen herrlichen Höhen wieder zum See und zur freund-
lich liegenden Stadt [Zürich] hinabsteigen, muss ich noch
20 eine Bemerkung machen über meine Versuche, durch Zeich-
nen und Skizziren der Gegend etwas abzugewinnen. Die Ge-
wohnheit, von Jugend auf die Landschaft als Bild zu sehen,
verführte mich zu dem Unternehmen, wenn Ich in der Natur
die Gegend als Bild erblickte, sie fixireu. mir ein sichres An-
25 denken von solchen Augenblicken festhalten zu wollen. Sonst
nur an beschränkten Gegenständen mich einigermasseu
übend, fühlt' ich in einer solchen Welt gar bald meine Unzu-
länglichkeit.
Drang und Eile zugleich nöthigteu mich zu einem wunder-
•30 baren Hülfsmittel: kaum hatte ich einen interessanten Ge-
genstand gefasst und ihn mit wenigen Strichen im Allgemein-
sten auf dem Papier angedeutet, so führte ich das Detail, das
ich mit dem Bleistift nicht erreichen noch durchführen
konnte, in Worten gleich daneben aus und gewann mir auf
■35 diese Weise eine solche innere Gegenwart von dergleichen
Ansichten, dass eine jede Localität, wie ich sie nachher in
Gedicht oder Erzählung nur etwa brauchen mochte, mir
alsobald vorschwebte und zu Gebote stand" fW. 29. 132. 25—
133, 19).
230 NOVELLE. 1827
Januar 18, Weimar. 457
Abends Dr. Eckermann. . . . die Jagdnovelle zu
Ende gelesen [s. Xr. 456].
W. 18, 452 (Tgb.).
Januar 21, Weimar. 458 ^
Ich ging diesen Abend halb Acht zu Goethe und
blieb ein Stündchen bei ihm
Ich brachte das Gespräch auf die iSToYelle, die ich nun
zu Hause wiederholt gelesen und betrachtet hatte. Der
ganze Ani'ang. sagte ich, ist nichts als Exposition, aber lo-
es ist darin nichts vorgeführt als das Xothwendige, und
das Xothwendige mit Anmuth, sodass man nicht
glaubt, es sei eines Andern wegen da, sondern es wolle
bloss für sich selber sein und für sich selber gelten.
.,Es ist mir lieb'"', sagte Goethe, „wenn Sie dieses so 15.
finden. Doch eins muss ich noch thun. Xach den Ge-
setzen einer guten Exposition nemlich muss ich die
Besitzer der Thiere schon vorn auftreten lassen. Wenn
die Fürstin und der Oheim an der Bude vorbeireiten,
müssen die Leute heraustreten und die Fürstin bitten, 20
auch ihre Bude mit einem Besuch zu beglücken." — Ge-
wiss, sagte ich, Sie haben recht; denn da alles Uebrige
in der Exposition angedeutet ist, so müssen es auch
diese Leute werden, und es liegt ganz in der Sache, da
sie sich gewöhnlich an der Gasse aufhalten, dass sie die 25-
Fürstin nicht so unangefochten werden vorbeireiten
lassen. — „Sie sehen", sagte Goethe, „dass man an
einer solchen Arbeit, wenn sie auch schon im Ganzen
fertig daliegt, im Einzelnen noch immer zu thtm hat"^.
Mit Eclvermann. — Gespräche 6, 30. 34 f. ^^
Januar 24, Weimar. 459
MiLtag Dr. Eckermann. Xachher mit demselben ei-
nige verständige Worte über die Xovelle-.
W. 18, 4.52 (Tgb.).
' Der hier als notbwendig bezeichnete Zusatz wurde nicht 35-
gemacht, s. 231, 25—31.
* Es ist lebhaft zu bedauern, dass Eckermanus Aufzeich-
1827 NOVELLE. 231
.lanuar 25, "Weimar. 4G0
Abends Dr. Pkkermann. Sehr fördernde Gespräche
über die Xovelle . .
W. 18, 452 (Tgb.).
5 Januar 29, Weimar. 461
Begleitet von dem ]\Ianiiscript der Xovelle . . ging ich
gegen sieben Thr [Abends] zu Goethe.
„Xim", fuhr Goethe fort, „wie steht es mit der Xo-
15 velle?" — Ich habe sie mitgebracht, sagte ich. Xach-
dem ich sie nochmals gelesen, finde ich, dass Euer Ex-
cellenz die intendirte Aenderung nicht machen dürfen^.
Es thut gar gute "Wirkung, wenn die Leute bei'm ge-
tödteten Tiger zuerst als durchaus fremde neue Wesen
20 mit ihren abweichenden wunderliehen Kleidungen und
Manieren hervortreten und sich als Besitzer der Thiere
ankündigen. Brächten Sie sie aber schon früher, in der
Exposition, so würde diese Wirkung gänzlich ge-
schwächt, ja vernichtet werden.
25 „Sie haben recht", sagte Goethe, „ich muss es lassen
wie es ist. Ohne Erage, Sie haben ganz recht. Es mass
auch bei'm ersten Entwurf in mir gelegen haben, die
Leute nicht früher zu bringen, eben weil ich sie ausge-
lassen^. Diese intendirte Aenderung war eine Forde-
so rung des Verstandes, und ich wäre dadurch bald zu
einem Fehler verleitet worden. Es ist aber dieses ein
merkwürdiger ästbetischer Fall, dass man von einer
Regel abweichen muss, um keinen Fehler zu begehen."
nungen weder von diesem Gespräcli noch von der Abenduuter-
35 haltung am 25. .Januar Xacbriclit geben; sie springen vom 21.
auf den 29. Januar über.
' ^'gl. 230, 16—29.
'^ Goethe versteht hier unter dem ,, ersten Entwurf" doch wohl
nicht das alte, wiederaufgefundene Schema aus dem .Tahre
40 1797, sondern das neue (22.3, 15 genannte), nach welchem
eben die , Novelle' ausgearbeitet worden war. Die in Frage
232 XOA'ELLE. 1827
[Januar 29, Weimar.] [461]
Es kam sodann zur Sprache, welchen Titel man der
Xovelle geben solle; wir thaten manche Vorschläge,
einige waren gut für den Anfang, andere gut für das
Ende, doch fand sich keiner, der für das Ganze passend 5
und also der rechte gewesen wäre, „Wissen Sie was",
sagte Goethe, „wir wollen es ,die Novelle*^ nennen^; denn
was ist eine Lovelle anders als eine sich ereignete uner-
hörte Begebenheit. Diess ist der eigentliche Begriff,
und so vieles, was in Deutschland unter dem Titel No- lo
velle geht, ist gar keine Xovelle, sondern bloss Erzäh-
lung oder was Sie sonst wollen. In jenem ursprüng-
lichen Sinne einer unerhörten Begebenheit kommt auch
die Xovelle in den ,'Wahlverwandtschaften' vor"-.
Wenn man es recht bedenkt, sagte ich, so entsteht 15
doch ein Gedicht immer obne Titel und ist ohne Titel
das, was es ist, so dass man also glauben sollte, der
Titel gehöre gar nicht zur Sache. — „Er gehört auch
nicht dazu", sagte Goethe; „die alten Gedichte hatten
gar keine Titel, es ist diess ein Gebrauch der Xeuern, 20
von denen auch die Gedichte der Alten erst in einer
kommende Stelle desselben (die zugleich als Beispiel dienen
möge für die Art, wie Goethe seine Schemata anzulegen
pflegte) lautet:
„23. Sie reiten durch die Stadt. 25
24. Durch den Jahrmarkt.
25. Buden, Handel und Wandel.
26. Wilde Thiere.
27. Ausgehängte Bilder.
28. Vorsatz nachher einzutreten. 30
29. Oheim Reminiscenz eines Brandes."
(W. 18, 483 f.)
^ Gespräche 6, 40 ist (wie Eckermann 1, 220) als Titel nur das
Wort .Novelle' gefasst, doch sollte die Ueberschrift ursprüng-
lich gerade ,Die Novelle' lauten, wie Nr. 474 und 475 beweisen. 35
' Die Erzählung .Die wunderlichen Nachbarskinder" in den
»Walilverwandtschaften' Theil 2 Capitel 10 hat als Untertitel
die Bezeichnung .Novelle'.
1827 NOVELLE. 233
[Januar 2i>, Weimar.] [461]
spätem Zeit Titel erhalten haben. Doch dieser Ge-
brauch ist von der Xothwendigkeit herbeigeführt, bei
einer ausgebreiteten Litteratur die Sachen zu neniien
5 und von einander zu unterscheiden'"'.
Mit Eckermann. — Gespräche 6, 35. 39 f.
Januar 31, Weimar. 462
Bei Goethe zu Tische
dann fragte ich Goethe, wie es mit der jXovelle' stehe.
10 .v-Ich habe sie dieser Tage ruhen lassen'", sagte er,
„aber eins muss doch noch in der Exposition ge-
schehen. Der Löwe nemlich muss brüllen, wenn die
Fürstin an der Bude vorbeireitet; wobei ich denn einige
gute Eeflexionen über die Furchtbarkeit des gewaltigen
15 Thiers anstellen lassen kann"^.
Dieser Gedanke ist sehr glücklich, sagte ich, denn
dadurch entsteht eine Exposition, die nicht allein an
sich, an ihrer Stelle, gut und nothwendig ist, sondern
wodurch auch alles Folgende eine grössere Wirkuug
20 gewinnt. Bis jetzt erschien der Löwe fast zu sanft, in-
dem er gar keine Spuren von Wildheit zeigte. Dadurch
aber, dass er brüllt, lässt er uns wenigstens seine
Furchtbarkeit ahnen, und wenn er sodann später sanft
der Flöte des Kindes folgt, so wird dieses eine desto
25 grössere Wirkung thun.
„Diese ^4rt, zu ändern tmd zu bessern", sagte Goethe,
„ist nun die rechte, wo man ein noch Unvollkommenes
durch fortgesetzte Erfindungen zum Vollendeten stei-
33
^ Diesen Zusatz hat Goethe angebracht, er findet sich im
zwanzigsten Absatz der Dichtung (beginnend ..So waren sie
nach und nach"» und uuifasst die Worte: ..das sie liaum er-
blicliten" bis ..so furchtbar verlcündige" (W. 18. 325, 6—14).
Die ..guten Reflexionen" über die Furchtbarlieit des Löwen
beschränken sich auf eine kurze Bemerkung, die allgemein
gehalten und nicht einer der betheiligten Personen in den
Mund gelegt ist.
234 NOVELLE. 1827
[Januar 31, Weimar.] [462]
gert. Aber ein Gemachtes immer wieder neu zu machen
und weiter zu treiben, wie zum Beispiel Walter Scott
mit meiner Mignon gethan, die er ausser ihren übrigen
Eigenheiten noch taubstumm sein lässt: diese Art, zu 5
ändern, kann ich nicht loben"^.
Mit Eckermann. — Gespräche 6, 43. 49 f.
Februar 13, Weimar. 463
Einiges zur ,Xoyelle' an John [dictirt].
W. 18, 452 (Tgb.). 10
Februar 19, Weimar. 464
[Nach Mittag], . . die ,Xovelle' vorgenommen.
W. IS, 452 (Tgb.).
Februar 24, Weiiuar. 465
An der ,Xovelle- retouchirt und die Abschrift heften i5
lassen. . . . [Xacli Mittag] Beschäftigte mich mit der
,Xovelle'.
W. 18, 452 (Tgb.).
Februar 25, Weimar. 466
Abschluss der ,Xovelle' um solche Prof. Riemer zu 20
senden.
W. 18, 452 (Tgb.).
Februar 27, AVeimar. 467
Abends Prof. Eiemer, über die ,Xovelle' gesprochen,
und über die Eigenschaften dieser Dichtart überhaupt. 25
W. 18, 452 (Tgb.).
April 17, Weimar. 468
Mittag zu drei-. Kam die ,Xovelle'' zur Sprache.
W. 18, 452 (Tgb.).
^ Die Gestalt der Fenella (Zarab) iu Scotts Roman ,PeTeril 30
of the Peak' ist Miguon nachgebildet. Uebrigens ist Fenella
nicht wirklich taubstumm, sondern stellt sich nur lange
Zeit so.
^ Das heisst vermuthlich: Goethe mit seinem Sohn und seiner
Schwiegertochter. 35
1827 NOVELLE. 235
September 18, Weimar. 4C9
Anbei sende die Eintheihmg der verschiedenen poe-
tischen Arbeiten in die fünf Bände [11 — 15] der
dritten Lieferung; das Meiste ist nun schon in Ihren
Händen, das Original zum 14. und 15. Bande folgt
nächstens. Die beiden ungedruckten Anfügungen zum
12. und 15. Band sende später^. . . . Haben Sie bei
der von mir intentionirten Eintheilung noch irgend
etwas zu erinnern, so bemerken Sie solches gefällig.
An Reichel. — GJ. 2, 304.
October 24, Weimar. 470
. . nach Deiner Abfahrt, einigermassen verdriess-
lich, im Bemerken, dass gerade das Wichtigste miizu-
theilen versäumt worden. Die Eeliquien Schülers
solltest Du verehren, ein Gedicht, das ich auf ihr
Wiederfinden a 1 C a 1 v a r i o gesprochen, ferner eine
Xovelle der eigensten Art-, . .
An Zelter. — G.-Zelter 4, 425.
December 28, Weimar. 471
Die , Xovelle' vorgenommen.
W. 18, 452 (Tgb.).
'■ Die Eintheilung der Werke Cotta^ wie die vom 1. März 182(5
datirte .Anzeige' sie bekannt gegeben batte, war während
des Druckes vom Verleger aufgehoben worden. Jetzt sandte
25 Goethe eine Inhaltsübersicht der Bände 11—15, welche die
dritte Lieferung bilden sollten.
Als „ungedruckte Anfügung" trat die .Novelle' selbststäiidig
an den Schluss von Band 15 (vgl. 211. 23), anstatt unter die
Erzählungen der .Wauderjahre' aufgenommen zu werden, wie
30 anfangs die Absicht gewesen war.
Ungedruckt war in dieser dritten Lieferung ausserdem noch
V. 4613—6036 von , Faust', das heisst: vom zweiten Theil die
ersten Scenen des ersten Acts, bis zu den Worten:
,,Wie's oft geschieht, mir Aviderlichst missfällt"
35 in der Scene .Lustgarten'.
^Der „eigensten Art", das heisst: der eigentlichsten, echtesten
Art, wesshalb Goethe auch als Titel der Dichtung den blossen
Gattungsnamen ,Die Novelle' gewählt hatte (vgl. 232, 7).
Zelter war am 17. imd 18. October in Weimar gewesen.
236 NOVELLE. ]828
Deeember 29, Weimar, 472
Zugleich . . muss ich Sie noch um eine Gefälligli:eit
bitten; um die mitkommende Eolle finden Sie ein Manu-
script [,Die Novelle'] gewickelt, das ich Ihrer Durch-
sicht bestens empfehle, wobei ich nur wünsche, dass 5
der Inhalt Sie für die zu übernehmende Mühe einiger-
massen entschädigen möge. Es ist auch dieses eine von
den vielen früheien Conceptionen, deren Ausführung
immer verschoben worden und zuletzt ganz versäumt
wäre, hätte ich mich nicht kurz entschlossen sie in 10
dieser Form zu überliefern, in welcher ich sie nunmehr
Ihrer Gunst bestens empfehle.
An Göttliug. — G.-Güttling S. 22.
Deeember 29, Weimar. 473
[Brief an] Herrn Prof. Göttling. Mit Packet und 15
einer Eolle [s. Kr. 472],. Nebenstehendes abgesendet.
W. 18, 452 (Tgb.).
1828.
Januar 19, Weimar. 474
Kam von Herrn Prof. Göttling die jNovelle'', mit 20
einem anmuthig theilnehm.enden Schreiben zurück^
W. 18, 452 (Tgb.).
^ In Göttlings Briefe, der vom 15. Januar datirt ist, heisst es:
,,Ew'. Excelleiiz übersende hier mit dem schönsten Danlve die
.Novelle' wieder zurück, die mich ungemein angezogen nud 25
gerührt hat. Die Ueberschrift , D i e Novelle' schien mir an-
zudeuten, dass es in ein grösseres Ganze gehöre imd doch
konnte ich nicht mit mir einig werden, wo der Platz für sie
sei in den mir bekannten Werken Ew. Excellenz; ich ahne
also wohl nicht mit Unrecht, dass es vielleicht ein Theil eines so
grösseren noch unbekannten KuustAverkes sei. Aber auch
für sich ist diese Novelle mit ihrem einfach klaren schönen
Sinne ein so beredtes Ganze, wie ich mich keines in so
kleinem Rahmen zu erinnern weiss. . . . Was ich im Einzel-
nen zu bemerken gefunden habe, ist Folgendes. Ew. Excel- 35
lenz haben zuweilen Veränderungen mit Bleistift an den Rand
bemerkt, über die Sie noch zweifelhaft zu sein scheinen.
1S28 NOVELLE. 237
Jauuar 20, Weimar. 475
Ich wendete meine Aufmerksamkeit auf die Corree-
tur der ,Xovelle^
W. 38, 452 (Tgb.).
5 Januar 27, Weimar. 476
An der ,Xovelle' corrigirt.
W. 18, 452 (Tgb.).
Januar 29, Weimar. 477
An der , Novelle' corrigirt und ajustirt.
10 W. 18, 452 (Tgb.).
Februar 1, Weimar. 478
E.*'W. danke verpflichtet für den so heiter und schön
ausgedrückten Antheil an meiner zuletzt mitgetheilten
Arbeits
15 An Göttling. — G.-Göttling S. 22.
Februar 12, Weimar. 479
Abends Professor Eiemer. Die ,Xovelle' abschliesslich
durchgegangen.
W. 18, 453 (Tgb.).
20 Februar 15, Weimar. 480
Herrn Factor Reichel eine Eolle, enthaltend die ,Xo-
velle' . .
W. 18, 453 (Tgb.).
März 3, Weimar. 481
25 [Brief an] Herrn Factor Reichel in Augsburg wegen
einiger Anfragen . . abgeschlossen und ausgefertigt^.
W. 18, 453 (Tgb.).
Mir ist es eigen darin ergangen, dass ich die alte Lesart vor-
ziehen zu müssen glaubte. . . . Sonst habe ich die Orthogra-
30 phie nach den von Ew. Excellenz gebilligten Grundsätzen
und zuweilen die Interpunotiou verändert" (W. 18, 460. 400).
> s. 230, 2.3—34.
* „Ausgefertigt" scheint der Brief doch erst am folgenden
Tage zu sein, da derselbe, wie Nr. 482 zeigt, vom 4. März
35 datirt ist.
238 NOVELLE. 1828
März 4, Weimar. 482
Die Ueberschrift der kleinen Erzählung, welche das
Ganze schliesst, hiesse ganz einfach: Novelle. Ich
habe Ursache das Wort Eine nicht davor zu setzen\
An Reichel. — W. 18, 461. 5
März 31, Weimar. 483
E. W. ermangele nicht anzuzeigen, dass ein bedeuten-
der Druckfehler sich in den fünfzehnten Band einge-
schlichen hat.
Seite 306 Zeile 10 v. u. lo
ist zu lesen statt Holländer: Hochländer. Sollte diesem
nicht noch durch einen C'arton- zu helfen sein, so
müsste mau wenigstens Sorge tragen das Publikum zu-
gleich mit der Sendung davon auf irgend eine Weise
zu benachrichtigen. E. W. werden, wie diess geschehn i5
kann, am besten zu beurtheilen wissen^.
An Reichel. — W. 18, 46G zu S. 322 Z. 23.
^ Reichel hatte am 28. Februar brieflich den Zweifel geäus-
sert: ,,ob die Worte .Die Novelle' mit abgedruckt
werden. Der Artiiiel , D i e ' macht mich irre, indem diese 20
Ueberschrift somit sagt, dass dieser Aufsatz ,Die Novelle'
betitelt ist, wie der vorhergehende ,Die guten Weiber' heisst.
Mein Zweifel ist also der: Ob der Aufsatz nicht eine an-
dere Ueberschrift erhält, unter welcher dann stehet , E i n e
Novelle'?" (W. 18, 461). 25
Von jetzt an trägt die Dichtung endgültig den Titel , No-
velle'.
^ LTnter ,,Carton" versteht man auf dem Gebiete des Buch-
drucks ein bedrucktes Blatt, mit berichtigtem Wortlaut, das
die Bestimmung hat: in das fertige Werk an die Stelle eines 30
auszuschneidenden fehlerhaften Blattes eingeklebt zu
werden.
"^ Der Carton wurde gedruckt und, so weit noch möglich, den
Exemplaren beigefügt; wo diess nicht mehr niiiglich. wurde
durch einen eingeklebten Zettel in der gegenwärtigen (3,) 35
Lieferung der Werke Cotta^ auf den Druckfehler aufmerk-
sam gemacht und für die folgende (4.) Lieferung der Carton
in Aussicht gestellt (vgl. W. 18, 466 f.).
Die, die , Novelle' enthaheudeu, Aushängebogen 19—21 hatte
1829 NOVELLE. 239
April 22, Weimar. 484
Auf die Messe erscheint . . die dritte Lieferung meiner
neuen Ausgabe; einiges Frische hie und da in diesen
Bändchen darf ich wohl empfelilen^; . .
An Zelter. — G.-Zelter 5, 29.
1839.
Januar 10, Weimar. 485
Indess gereicht es mir zur angenehmsten Empfindung,
dass die , Novelle' freundlich aufgenommen wird; man
fühlt es ihr an, dass sie sich vom tiefsten Grunde meines
Wesens losgelöst hat. Die Conception ist über dreissig
Jahre alt; es müssen sieh Spuren davon in der Corre-
spondenz [mit Schiller] finden-.
An Schultz. — G.-Scluütz S. 361.
15 Goethe am 20. März erhalten; der Carton wurde am 26. Oc-
tober an ihn abgeschickt.
' Vgl. 285, 17.
Zelter gedenkt in seiner Antwort und den folgenden
Briefen der , Novelle' nicht.
20 Dafür stehe hier eine briefliche Aeusserung Knebels vom
11. September 1828: ,,Die artige , Novelle' im 15. Bande habe
ich auch gefunden und sie hat mich ergötzt. Ich las just
am Tage vorher eine indische Erzählung aus der Ramayana,
mit der sie eine ferne Aehnlichkeit hat. In dieser ist viel
25 Zauberhaftes und das ergötzte mich hier auch sehr"; und
wenn Knebel am 11. Juni 1S2S brieflich für den ,. neube-
reicherten , Faust' " dankt und von Goethes ,, Erzählungen"
sagt, sie ,, können für eine kleine Lebensphilosophie gelten,
reich an Fülle und Anmuth", so bezieht dieses Urtheil sich
30 auch mit auf die .Novelle' (G.-Knebel 2, 383. 389).
^ Schultz hatte am 31. December 1828 geschrieben: „Bei
Lesung Ihrer .Novelle' im fünfzehnten Bande f der Werke
Cotta^] — wie athmeten wir Himmelsluft! Diese zarten
Anklänge finden in unserer zu irdischen Atmosphäre kaum
35 einen Widerklang; aber sie werden nicht aufhören, immer
heller zu tönen und die reinsten Gefühle zu wecken und zu
stärken, so lange es Menschen geben wird. Der Brief-
wechsel mit Schiller ist ein unscheinbares Buch-
240 NOVELLE. 1829
Juni 29, Weimar. 48tJ
Euf ich mir jenen Gegenstand^ zurück, so war es
•wahrlich ein Object, an dem man fast ein halbes Jahr-
hundert abspinnen konnte, und es thut mir leid, dass
ich mich damals davon abwendete. Es ist ein eignes
Ding! Der Dichter weiss allein, was in einem Gegen-
stande liegt, der ihm seines Antheils werth erscheint^.
An Schultz. — G.-Schultz S. 380.
lein; ich kann aber nicht enden, es zu lesen und wieder zu
lesen, . . " (G.-Schultz S. 856 f.). k
Die in Goethes Briefwechsel mit Schiller enthaltenen
„Spuren" der ersten Beschäftigung mit dem Stoffe der .No-
velle' konnte Schultz damals noch nicht kennen, weil der,
das Jahr 1797 enthaltende, dritte Theil des Briefwechsels
erst 1829 erschien. So kam Schultz in seinem Briefe vom '5
22. Mai 1829 auf die Sache zurück: „Die Spur Ihrer , No-
velle' im 15. Bande habe ich in der Correspondenz Nr. ?2G
und 327 [s. 216, 12—39. 217, 5—7] allerdings erkannt. Da-
mals hatten Sie ein Epos im Sinne; nun mag man sich
wundern, wie aus der Idee eines Epos zuletzt eine Novelle '^^
geworden. Es ist nichts lehrreicher, als an vorhandenen
gelungenen Werken zu erkennen, wie Form und Behand-
lung in jeder Kunstgattung den Stoff zu der ihr eigenthüm-
lichen Wirkung benutzen können" (G.-Schultz S. 374).
Goethes Antwort hierauf ist Nr. 486. -^5
^ Das Jagdepos, wie es 1797 geplant war, vgl. Z. 18—21.
= Vgl. 218, 9—219, 3. 227, 22—25.
Pyrmonts
15
20
25
1801.
Juni 30. Pyrmont. 487
. . die Erinnerung an alte merkwürdige Vorfälle, die
sich denn doch wohl mögen in der Xachbarschaft ereig-
net haben^, erregt ein ganz eignes Interesse.
^ Dieser Titel ist um seiner Kürze Willen hier gewählt: wäre
der Plan zur Ausführung gekommen, so hätte die Dichtung
wohl sicher einen andern Namen erhalten.
Und mit einer Dichtung, einer romanähnlichen Erzählung
haben wir es hier zu thun, nicht mit einer geschichtlichen
Abhandlung; das beweist erstlich der Bericht .Aufenthalt in
Pyrmont. 1801' (s. Nr. 490), sowohl durch seinen Inhalt als
durch seinen Ton; mag man immerhin die Bezeichnung
„Mährchen" (244. 4) als Beweis für den vorwiegend poeti-
schen Charakter des geplanten Werkes gelten lassen oder
nicht.
Zum andern wird durch den Vergleicli mit den ..Amusemens
des eaux de Spa' (s. 244, 5; vgl. 244, 19—27) ausser Zweifel
gesetzt, dass Goethe beabsichtigte dem Ganzen einen roman-
haften Charakter zu geben, wobei es auch an Liebes-
abenteuern nicht gefehlt haben würde.
Demzufolge ist der unter Nr. 490 abgedruckte Aufsatz zu
betrachten als die späte Mittheilung eines alten, unausge-
führten, dichterischen Planes, der für uns zwar, schon wegen
der örtlichen und zeitlichen Beschränkung seines Gegen-
standes, nicht entfernt die Wichtigkeit hat. wie Goethes
Berichte über so manchen andern, liegen gebliebenen Plan,
der aber doch grössere Beachtung verdient als ihm bisher
geworden ist.
= ^'gl. 242, 14—20.
Graf, Goethe über s. Dichtungen T. I. 16
242 PYRMONT. 1825
[Juni 30, Pyrmont.] [487]
Wenn ich Sie auch künftig davon unterhalten kann,
so hätte ich es doch lieber im Angesicht der Gegenstäade
gethan, worauf ich nun Verzicht leisten muss.
An C. G. Voigt. — Br. lü. 242, 17—24. 5
Juli 12, Pyrmont. 488
Die Totalität des Pyrnionter Zustandes habe ich so
ziemlich vor mir\
An Schiller. — Br. 15, 244. 25 f.
1825. 10
][Mai, zwischen 10 und 13, Weimar.] 4S9
[Zu 1801 Juni 14 bis Juli 16.] Xun . . kann man in
dieser Gegend [um Pyrmont] nicht verweilen, ohne auf
jene Urgeschichten hingewiesen zu werden, von denen
uns römische Schriftsteller so ehrenvolle Nachrichten is
überliefern^. Hier ist noch die Umwallung eines Berges
sichtbar, dort eine Reihe von Hügeln und Thälern. wo
gewisse Heereszüge und Schlachten sich hatten ereignen
können. Da ist ein Gebirgs-, ein Ortsname, der dorthin
Winke zu geben scheint; herkömmliche Gebräuche 20
deuten so^ar auf die frühesten roh feiernden Zeiten,
'■ Dass zu dieser „Totalität" besonders auch das Anregungs-
reiche der Umgegend und der Ortsgeschichte gehört, dem der
Plan seine Entstehung verdankt, beweist Nr. 489.
"• Einen Ueberblicli über diese Dinge fand Goethe in der 25
.Sammlung der Preis- und einiger anderen Schrifften, über
die, von der Academie vorgelegte Frage: Wie weit die alten
Römer in Deutschland eingedrungen? vorher gehet eine nähere
Beurtheiluög und Auflösung derselben Frage. Berlin, bey
A. Haude und J. C. Spener, 1750' 4". Von der darin S. 31— 30
70 (auch in französischer Sprache, S. 105—150) enthaltenen,
preissgekrönteu Abhandlung des Pfarrers Fein zu Hameln
sagt Goethe, sie „enthält besonders über die Gegend von
der Weser bis nach Detmold recht gute Aufklärungen und
plausible Hypothesen in Absicht dessen, was hier vorgefallen 35
sein mochte" (Tgb. 3, 26, 1.3—16).
1825 PYRMONT. 24:1
][Mai, zwischen 10 und 13, Weimar.] [489]
und man mag sich wehren und wenden wie man will,
man mag noch so viel Abneigung beweisen vor solclien
aus dem Ungewissen in'"s Ungewissere verleitenden Be-
5 mühungen, man findet sich wie in einem magischen
Kreise befangen, man identificirt das Vergangene mit
der Gegenwart, man beschränkt die allgemeinste Räum-
lichkeit auf die jedesmal nächste und fühlt sich zuletzt
in dem behaglichsten Zustande, weil man für einen Au-
10 orenblick wähnt, man habe sich das Unfasslichste zur
unmittelbaren Anschauung gebracht.
Durch Unterhaltungen solcher Art, gesellt zum Leoen
von so mancherlei Heften. Büchern und Büchelchen, alle
mehr oder weniger auf die Geschichte von Pyrmont
15 und die Xachbarschaft bezüglich^, ward zuletzt der Ge-
danke einer gewissen Darstellung in mir rege, wozu ich
nach meiner "Weise sogleich ein Schema verfertigte-.
Das Jahr 1582, wo auf einmal ein wundersamer Zug
aus allen "Weltgegenden nach Pyrmont hinströmte und
20 die zwar bekannte, aber noch nicht hochberülimte Quelle
mit unzähligen Gästen heimsuchte, welche bei völlig
mangelnden Einrichtungen sich auf die kümmerlichste
und wunderlichste Art behelfen mussten^, ward als
^ Von jeiieu zalilreicheu ..Büclieru uud Büchelclieii". die
25 Goethe damals gelesen oder durchblättert haben mag (ohne
dass .sein Tagebuch eines vermerkt, mit Ausmihme des
242, 26 augefiihrteu). seien hier zwei genannt: das auoujm
erschienene Heft von Koppel. .Pyrmonts Merkwürdigkeiten.
Eine Skizze für Rfiseude und Kurgäste. . . . Leipzig 1804
30 bei Karl Wilhelm Küchler', und die .Beschreibung von Pyr-
mont. Bd. 1. 2. Mit Kupfern. Leipzig, bey Weidmanns Erben
und Reich. 1784. 1785', von Henrich Matthias Marcard. den
Goethe in Pyrmont kennen lernte.
* Das Tagebuch des Pyrmonter Aufenthalts eutliält keinen
35 anf dieses Schema bezüglichen Vermerk.
' Als den Zeitpuuct dieses merkwürdigen Ereignisses nennen
sowohl die angeführten beiden Werke (Koppel S. 9—11,
244 PYRMONT. 1825
][Mai, zwischen 10 und 13, Weimar.] [489]
prägnanter Moment ergriffen und auf einen solchen Zeit-
punct, einen solchen unvorbereiteten Zustand vorwärts
und rückwärts ein Mährchen erbaut, das zur Absicht
hatte, wie die ,Amusemens des eaux de Spa', sowohl in 5
der Ferne als der Gegenwart eine unterhaltende Beleh-
rung zu gewähren\ Wie aber ein so löbliches Unter-
nehmen unterbrochen und zuletzt ganz aufgegeben
worden, wird aus dem Xachfolgenden deutlich werden.
Jedoch kann ein allgemeiner Entwurf unter andern lo
kleinen Aufsätzen dem Leser zunächst mitgetheilt
werden-.
Tag- und Jahres-Hefte, ISOl. — W. 35, 104, 3—105.17.
Marcard 1, 152—1581. als auch audere, nicht das Jahr 1582.
sondern 1556, sämiutlich wohl auf der Erzählung beruhend. 15
die Heinrich Bünting in seiner , Braunschweigischen uni]
Lüueburgischen Chronica' gibt (Magdeburg 1620, S. 532— 534j.
' Karl Ludwig von PöUnitz ist der Verfasser des anonym er-
schienenen Werkes .Auiusemens des eaux de Spa. Ouvrag»'
utile A ceux qui vont boire ces Eaux Minerales sur les 20
Lieux. Enrichi de tailles-douces. . . T. 1. 2. Auisterdam.
Chez Pierre Mortier. 1734'. Darin wird, wie Goetho in einem
Aufsatze zur Geologie .sagt, „zwischen Liebes- und Spiel-
abenteuern und andern romanhaften Ereignissen" die Lehre
des .Jesuiten Athanasius Kircher von den Ursachen der Tem- 25
peraturunterschiede der Quellen vorgetragen, „zu Verstän-
digung und Unterhaltung der dortigen Cui'gäste" (.Ver-
schiedene Bekenntnisse' Xat. TV. 9. 267, 2 — 5).
' Das dauernd ungünstige "Wetter und Goethes grosse Reiz-
barkeit in Folge des Gebrauchs der Kur, die ihn „zu aller 30
Arbeit untüchtig" machte — von beidem erzählt Goethe in
den Tag- und Jahres-Heften 1801 und im Briefe vom 12. Juli
an Schiller (W. 35, 105.18—28; Br. 15, 243. 10 f.) — sodann
in Göttingen die eifrige Beschäftigung mit der .Farben-
lehre' (vgl. 247, 2.3—25). alles das waren Gründe, wehJie 35
zunächst dem Vorhaben hinderlich waren.
Der ..allgemeine EntMurf" (Z. 10) ist der unter Xr. 490
wiedergegebene Bericht, der zuei"st aus dem Nachlass im
Jahre 1837 Werke Q. 2 (2). 551 f. veröffentlicht worden ist.
1825 PYRMONT. 245
][Mai IIV Weimar.] 490
[Zu 1801, Juni l-t bis Juli 16.] Hiebei wäre nachträg-
lich zu bemerken, dass ich daselbst [in Pyrmont], eine
sehr weitschichtige Arbeit concipirte.
Im Jahre 1582^ begab sich auf einmal aus allen Welt-
theilen eine lebhafte "Wanderschaft nach Pyrmont, einer
damals zwar bekannten, aber doch noch nicht hochbe-
rühmten Quelle; ein Wunder, das niemand zu erklären
wusste. Durch die Xachricht hiervon wird ein deutscher
wackerer Eitter, der in den besten Jahren steht, aufge-
regt; er befiehlt seinem Knappen alles zu rüsten und auf
der Fahrt ein genaues Tagebuch zu führen: denn dieser,
als Knabe zum Mönch bestimmt, war gewandt genug
mit der Feder. Von dem Augenblicke des Befehls an
enthält sein Tagebuch die Anstalten der Abreise, die
Sorge des Hauswesens in der Abwesenheit, wodurch uns
denn jene Zustände ganz anschaulich werden.
Sie machen sich auf den Weg und finden unzählige
Wanderer, die von allen Seiten herzuströmen. Sie sind
hülfreicii, ordnen und geleiten die Menge, welches Ge-
legenheit gibt, diese Zustände der damaligen Zeit vor
Augen zu bringen. Endlich kommt der Eitter als Führer
einer grossen Caravane in Pyrmont an; hier wird nun
gleich so wie bereits auf dem Wege durchaus das Locale
beachtet und benutzt. Es war doch von uralten Zeiten
her noch manches übrig geblieben, das an Hermann und
seine Genossen erinnern durfte. Die Kirche zti Lügde-,
von Karl dem Grossen gestiftet, ist hier von höchster
Bedeutung. Das Getümmel und Gewimmel wird vorge-
fülirt: von den endlosen Krankheiten werden die wider-
wärtigen mit wenig Worten abgelehnt: die psychischen
' Vgl. 243, 36—244. 17.
' Lügde (gesprochen: Lüde), eine halbe Stunde südlich von
Pyrmont gelegen: in der Nähe dieser Stadt befinden sich
35 die Reste der alten Arniiniusburg oder Hermeningsbtirg.
246 PYRMONT. 1825
][Mai 11? Weimar.] [490]
aber, als reinlich und wundervoll, ausführlich behandelt,
sowie die Persönlichkeit der damit behafteten Personen
hervorgehoben. Bezüge von Xeigung und mancherlei
Verhältnisse entwickeln sich und das üncrforschliche. 5
Heilige macht einen wünschenswerthen Gegensatz gegen
das Euhmwürdige. Verwandte Geister zifehen sich zu-
sammen, Charaktere suchen sich, und so entsteht mitten
in der Weltwoge eine Stadt Gottes, um deren unsichtbare
Mauern das Pöbelhafte nach seiner "Weise wüthet und lo
ras't: denn auch Gemeines jeder Art versammelte sich
hier: Marktschreier, die besondern Eingang hatten;
Spieler, Gauner, die jedermann, nur nicht unseren Ver-
bündeten drohten; Zigeuner, die durch wunderbares Be-
tragen, durch Kenntnisse der Zukunft Zutrauen und i5
zugleich die allerbänglichste Ehrfurcht erweckten; der
vielen Krämer nicht zu vergessen, deren Leinwand,
Tücher, Felle vom Eitter sogleich in Beschlag genommen
und dem sittlichen Kreise dadurch ein gedrängter Wohn-
ort bereitet wurde. 2»
Die Verkäufer, die ihre Waare so schnell und nützlich
angebracht sahen, suchten eilig mit gleichen Stoffen zu-
rückzukehren, andere speculirten daraus sich und an-
dern Schirm und Schutz gegen "Wind und "Wetter auf-
zustellen; genug bald war ein weit sich erstreckendes 25
Lager errichtet, wodurch, bei stetigem Abgange, der
Nachfolgende die ersten "Wohnbedürfnisse befriedigt
fand.
Den Bezirk der edeln Gesellschaft hatte der Ritter
mit Palissaden umgeben und so sich vor jedem physi- 3-)
sehen Andrang gesichert. Es fehlt nicht an misswol-
lenden, widerwärtig-heimlichen, trotzig-heftigen Geg-
nern, die jedoch nicht schaden konnten; denn schon
zählte der tugendsame Kreis mehrere Ritter, alt und
jung, die sogleich Wache und Polizei anordnen, es fehlt 35
ihm nicht an ernsten geistlichen Männern, welche Recht
und Gerechtigkeit handhaben.
1825 PYRMONT. 247
][Mai 11? Weimar.] [490]
Alles dieses ward, im Stile Jener Zeit, als unmittelbar
angeschaut, von dem Knappen täglich niedergeschrieben
mit naturgemässen kurzen Betrachtungen, wie sie einem
5 heraufkeimenden guten Geiste wohl geziemten.
Sodann aber erschienen, Aufsehen erregend, lang-
faltig, blendend-weiss gekleidet, stufenweise bejahrt, drei
würdige Männer: Jüngling, Mann und Greis, und traten
unversehens mitten in die wohldenkende Gesellschaft.
10 Selbst geheimnissvoll enthüllten sie das Geheimniss
ihres Zusammenströmens und Hessen auf die künftige
Grösse Pyrmonts in eine freundliche Ferne lichtvoll
hinaussehen.
Dieser Gedanke beschäftigte mich die ganze Zeit
15 meines Aufenthalts, ingleichen auf der Eückreise\ Weil
aber, um dieses Werk gehaltvoll und lehrreich zu
machen, gar manches zu studiren war und viel dazu ge-
hörte, dergleichen zersplitterten Stoff in's Ganze zu ver-
arbeiten, so dass es würdig gewesen wäre von allen Bade-
20 gasten nicht allein, sondern auch von allen deutschen,
besonders niederdeutschen Lesern beachtet zu werden,
so kam es bald in Gefahr, Entwurf oder Grille zu
bleiben, besonders da ich meinen Aufenthalt in Göt-
tingen- zum Studium der Geschichte der Farbenlehre
25 bestimmt hatte, . .
Biographische Einzelnheiten: Aufenthalt in Pyrmont.
1801. — "\Y. 36, 258,1—261, 12.
30
^ Am 13. Juni Abends kam Goethe in Pyrrnout nn. reiste am
Mittag des 17. Juli wieder ah, blieb bis zum 14. August in
Göttingen und kehrte über Cassel. Eisenach. Gotha nach
Weimar zurück, wo er am 30. August eintraf.
' s. Z. 29 f.
Reineke Fuchs.
In den »Tag- imd Jahres-Heften' bezeichnet Goethe seine
Behandlung des ReinelioFuelis-Epos als ».zwischen Ueber-
feetzung lind Umarbeitung schwebend", in der .Campagne in
Frankreich' nennt er seine Arbeit eine , .treue Nachbildung". 6
Dagegen hat Goetlie. als er .Reineke Fuchs' der Oeffent-
lichkeit übergab, nicht für nothwendig erachtet, den Leser (wie
das sonst doch, auch von Goethe geübter, Brauch ist) auf dem
\ Titel oder im Buche davon zu unterrichten: dass man hier
I nicht ein Originalwerk, sondern eine Umdichtnng vor sich habe, lo
Auch später that Goethe dergleichen nicht. .Reineke Fuchs'
' erschien in den drei, vom Dichter selbst veranstalteten. Ge-
sammtausgaben der .Werke' an der, seiner Entstehungszeit nach
ihm gebührenden, ersten Stelle im Bande der epischen Dich-
tungen, als gleichartig und gleichberechtigt mit .Hermann und 15
Dorothea' und .Aehilleis'.
Demzufolge halten wir es nicht für Raub, die Dichtung hier
unter den Originalwerken einzuordnen, anstatt sie .ge-
trennt von diesen, als Bearbeitung oder Uebertragi.ing. für sich
zu behandeln. 20
Handschriften : Eine Reiusclirift (Abschrift eines Dictatst von
Schreiberhand, mit wenigen eigenhändigen Verbesserun-
gen Goethes; sie enthält bloss die vier ersten Gesänge,
imd auch diese nur lückenhaft.
Erster Druck: 1794. Neue Schriften Band 2. Die Dichtung füllt 25
den ganzen Band (401 Seiten 1.
Ein Neudruck dieser Ausgabe. ..mit Probon der älteren
Thierepen". herausgegeben und erläutert von Alexander
Bieling, erschien 1SS2 bei Weidmann in Berlin.
Zweiter Druck : ISOS, Werko Cotta^ 10. 1—201.
mann und Dorothea' und ,Achilleis'.
Es folgen .Her- 30
1793 REINEKE FUCHS. 249
Dritter DrucJc: ISIT. Werke Cotta^ 11. 1—201. Es folgen ,Her-
maui) lind Dorotliea", .Aohilleis" mul .Paudora'.
Vierter Druclc: 1S30. Werke Cotta' 40. 1—229. Die Stellung wie
im dritten Druck.
5 Weimarer Ausgabe : 1 . . . '.' W. 50. 1— ISO (.ist noch niclit er
schienen, befindet sich aber im Druck). Die Stellung wie
im dritten und vierten Druck.
1793^
Februar 1, Weimar, 491
10 Seit einigen Tagen habe ich gleichsam zum erstenmal
im Plato gelesen . . . Darnach ging mir's aber wie
jener Hausfrau, die Katze gewesen war und ihres Mannes
Bis zu diesem Jahre ündet sich das alte Epos oder die Pej son
seines Helden in Goethes Briefen bisweilen genannt, so zum
15 Beispiel schon 1765, in einem Briefe an die Schwester, iann
in einem undatirten Briefchen an Charlotte A'on Stein aus
dem Jahre 1778 (Br. 1, 9, 22 f. 3, 229. 17».
Im .Tahre 1782 bemüht Goethe sich eifrig um die Erlangung
guter alter Exemplare der siebenundfünfzig Reineke-Fuchs-
20 Radirimgen von Allart van Everdingen. die er aus Gottscheds
Uebertragung des Gedichts von 1752 kannte, und freut sich
„kindisch", als dieselben, in vorzüglichen Abdrücken. 1783 in
seinen Besitz gelangen (Br, 5. 208. 4—10. 0. 134. 11—13. 135. 6 f.
152, 9—11. 153. 11—141.
25 Zehn Jahre später, 1793, wurde Gottscheds eben erwähnte
Uebertragung — sie ist jetzt bequem zugänglich in Nr. 1 der
»Quellenschriften zur neueren deutschen Litteratur heraus-
gegeben von Alexander Bieliug" (Halle. Max Niemeyer. 18S0)
— die „Grundlage des Goetheschen Werkes", vgl. die ausführ-
30 liehe Darstellung von Martin Eange ,Ooethes Quellen und
Hilfsmittel bei der Bearbeitung des Reiueke Fuchs' S. 7 (Pro-
gramm Nr. 507 des Künigl. Gymnasiums zu Dresden-Neu-
stadt, Di'esden. 1888). Für Goethes fortdauernde Werth-
schätzung von Everdingens Darstellungen zeugt, ausser dem
35 Tagebuchvermerk am 14. October 1812: ..Die Everdiugischen
Radirungen zum .Reineke Fuchs' in Ordnung gebracht" (Tgb.
4, 331, 15 f.). der 1817 in .Kunst und Alteithum" erschienene
Aufsatz über die .Skizzen zu Casti's Fabelgedicht: Die
redenden Thiere'. s. Nr. 524.
250 REINEKE FUCHS. 17513
[Februar i, "Weimar.] [491]
Tafel gegen eine Maus vertauschte, ich habe eine Arbeit
unternommen, die mich sehr attachirt, von der ich aber
nichts sagen darf, bis ich ein Pröbchen schicket
An F. H. Jacobi. — Br. 10, 47, 24 f. 48, 1—5. 5
? Februar 22, Weimar. 492
Hierbei einige poetische Spässe".
An F. H. Jacobi. — Br. 10, 49, 17.
März 12. Weimar. 493
[Brief an den]. Herzog [Karl Augaist, nach] Frank- 10
fürt mit jReineke' erster Gesang^.
Tgb. 2, 30,15.
' Bei der Lückenhaftigkeit von Goetlies Tage1)ucli und dem
Mangel an Briefen in dieser Zeit ist eine auf den Tag genaue
Angabe über die Plato-Lectüre und damit über den Beginn 15
der Arbeit an ,Reineke Fuchs' unmöglich. Doch ist aus den
Worten ..Seit einigen Tagen" (249. 10( in Verbindung mit
späteren Zeitangaben (vgl. Xr. 495. 529) und dem Datum der
Hinrichtung des Königs von Frankreich, Ludwigs XYL, am
21. Januar 1793, deutlich genug, dass Goethe die Bearbeitung 20
in den letzten .Tanuartagen begann.
•Jacobi erwiderte, Goethes Gleichniss aufnehmend, ain 13.
Februar: „Ich freue mich . . recht auf die Maus, die Du
jagst" (G.-Jacobi S. 150).
Knebels Tagebuch vermerkt am 1. Februar 1793: ..Bei 25
Herders. Vorlesung von Goethes ,Reineke Fuchs' " (Br. 10.
375 zu S. 48, 3).
Sachlich geholt hierher: Xr, 525. 526. 529. 530. 532.
^ Ob darunter das am 1. Februar in Aussicht gestellte ..Pröb-
chen" (s. oben Z. 4) zu verstehen sei (wie Br. 10. 375 zu S. 49. 30
17 und WD. .5. 172 angenommen wirdl. bleibt zu bezweifeln;
die Meinzahl ..einige" und der Ausdruck ..Spässe" sprechen
mehr für Düutzers ursprüngliche Vermuthung. dass einige
A'enetianische Epigramme gemeint seien (.Freundesbilder"
S. 229 t. 35
' Vom Herzog scheint die Handschrift des ersten Gesanges
dann an F. H. Jacobi gelangt zu sein (vgl. Xr. 501), und
vielleicht enthielt Goethes obiger Brief an den Herzog eine
auf diese L'ebermittelung bezügliche Bitte.
Knebels Tagebuch enthält folgende Eintragungen, 1. März: 40
1793 REINEKE FUCHS. 251
März 15. Weimar. 494
[Brief an], Prinz August [von Gotha] mit ,Eeineke'
erster Gesang.
Tgb. 2, 30,16.
5 Mai 2, Weimar. 495
Du kannst denken, wie fleissig ich war. ,Reineke'
ist fertig, in zwölf Gesänge abgetheilt und wird etwa
4500 Hexameter l»etragen\ Ich schicke Dir bald wieder
ein Stück". Ich unternahm die Arbeit um mich das
10 vergangne A'ierteljahr von der Betrachtung der Welt-
händel abzuziehen und es ist mir gelungen'.
An F. H. Jacobi. — Br. 10. 57. 1—6.
Mai 11, Weimar. 496
jReineken" muss ich mitnehmen*. Die Correctur so
15 „Abends bei meiner ScbAvester. der (loethe aus .Reineke
Fuchs' vorbest", 3. März: ..Abends bei Herzogin Mutter,
Goethe Vorlesung, siebenter und achter Gesang .Keineke""';
sodann 15. April: ..Abends ]3ei Herzogin Mutter Vorlesung
von Goethes letzten Gesängen von .Reineke"". 24. April:
20 „Abends bei meiner Schwester, Vorlesung von Goethe. .Rei-
neke Fuchs'" (Br. 10. 375 zu S. 48. 3i.
' Die gedruckte Dichtung enthält 4312 Hexaiueter. Das
niederdeutsche Original, aus 6844 kurzen gereimten Versen
bestehend, ist in vier Bücher eingetheilt, deren jedes aus
25 einer Reihe von Capiteln zusammengesetzt ist. Gottscheds
Uebertragung in hochdeutsche Prosa hatte diese Vlerthei-
luug beibehalten. Dem ersten Buche entsprechen Goethes
sechs erste Gesänge, den drei anderen je zwei der folgen-
den sechs.
30 ^ Nach 2.50. liöf. und 2.54. 10 hatte .Tacobi bis daliiu nur den
ersten Gesang erhalten.
^ Das ..A'ergaugne Vierteljahr", also die Monate Februar,
März, April, was genau übereinstimmt mit den sonstigen .\n-
gaben über die Beweggründe zur Bearbeitung des .Reineke
35 Fuchs', insofern die ..Weltliändel"' gerade Ende .Januar In
Frankreich zu einer Katastrophe geführt hatten, vgl. 2.50. 19 f.
* In das Feldlager vor Mainz, wohin er Tags darauf abreiste.
Knebel hatte am gleichen Tage geschrieben: ..Es thut mir
leid, wenn Du Deinen .Reineke Fuchs' nicht bei uns lässt"
40 (G.-Knebel 1, 107i.
KEIMJKE FUCHS. 1793
[Mai 11, Weimar.] [496]
eines Stücks ist eine Sache, die sich nur nach und nach
macht.
An Knebel. — ßr. 10, 'ü. 2.3— 58. 2.
Juni 7, Lager bei Marienborn. 497 5
Den zweiten Gesang ,Reinekens' sende ich wohl, auch,
wenn ich meine Faulheit überwinden kann, eine Elegie.
Wenn Du jenes Gedicht im Ganzen sehen wirst, hofF' ich,
soll es Dir Freude machen. Ich sollte nur zu Each
schiffen, so könnt" ich es in den gewöhnlichen Betstunden lo
vortragend
An F. H. Jacobi. — Br. 10. 74. 4—9.
Juni 7, Lager bei Marienbox-n. 49S
Die Obelisken und Asterisken- an ,Eeineke' gehe ich
fleissig durch, und corrigire nach Einsicht und Laune, is
Ohne diese Beihülfe des kritischen Bleistifts wäre ich
nicht im Stande meinen Yerbesserungswillen zu richten
und zu fixiren^.
An Herder und dessen Frau. — Br. 10, 76. 2—0.
' Mit der letzteren Bemerkung spielt Goethe auf seinen 20
Aufenthalt im Hause des Freundes au. den er im November
1792, aus der Champagne zurüolvlvehrend, in Penipeltort bei
Düsseldorf besucht hatte.
- Diese bei den Griechen üblichen Ausdrücke für kritische
Zeichen begegnen in Goethes Briefen öfters, so schreibt 25
Goethe bei L'eberseudung des elften Buches von .Dichtung
und Wahrheit' an Riemer, am 10. November 1S12: ,, . . lassen
Sie es an Asterisken und Obelisken nicht fehlen" (Briefe von
und an Goethe S. 193. ähnlich G.-Göttling S. 04). Der Asteris-
kos, ein Sternchen. Avurde bei den Alten zur Bezeichnung 30
besonders schöner Stellen verwendet, der Obeliskos (richti-
ger: Gbelos). ein Avagerechter Strich, liezeiohnete Stellen, die
überflüssig oder unecht erschienen.
' Herder hatte von Anfang an die lebhafteste Theilnahme für
Goethes Bearbeitung. Am 5. April 1793 schrieb Herders Frau 35
an F. H. Jacobi: ..Er hat uns diesen Winter manch frohe
Stunde gemacht mit einem poetischen Werk, wovon er Ihnen
wohl wird geschrieben haben. Sie ist eben ganz einzig, diese
deutsche Epopöe, und Sie werden auch Freude daran haben.
1793 RKINEKE FUCHS.
Juni 8, Lager bei Marieuboru. — s. Nr. 526. 498a
Juni 15, [Lager bei Marieuboru.] 490
Ich komme nun fast nicht mehr vom Zelte weg, corri-
gire an ,Reineke* und sehreibe optische Sätzen
An Herder. — Br. 10, 79, 3—5.
Die guten Götter mögen ihn dafür behüten uud bewahx'en
bei seinem zweiten Feldzug"; Herder selbst fügte hinzu:
„ . . seine Epopöe, die älteste und ewige, ist bald, bald fertig.
Verstehe mich wohl, die ewige auf unsrer Erde, nicht im
10 Saturn, der Sonne oder der jetzt so hell leuchtenden Venus";
am 12. Mai schrieb Herder an Jacobi: ,, Goethe hat eine vor-
treffliche Arbeit vollführt. Glück und sein Genius haben ihm
dabei geholfen" (Aus Herders Xachlass 2, 303—305. 307).
Dem alten Gleim hatte Herder am 12. April mitgetheilt:
13 ,, Goethe hat eine Epopöe, die erste und grösste Epopöe
deutscher Nation, ja aller Nationen seit Homer, und sehr
glücklich versificirt. Rathen Sie welche? Er ist eben zu
Ende. Hmeu wird sie sehr wohl thun, dess bin ich gewiss
und sicher", am 1. Mai folgte die Aufklärung: ,, . . ,Reineke
20 der Fuchs'. Das ist der Aufschluss des Räthsels. Das Gedicht
ist seit Homer die vollkommenste Epopöe, wie Sie's, lieber
Gleim, in Goethes glücklichen Hexametern sehn werden;
sie ist deutscher Nation; denn wenn ihr Grund gleich aus
einem französischen Roman genommen sein mag. so ist doch
25 ihre epische Einrichtung einem Deutschen, dem Heinrich von
Alkmar, zuständig und in Goethes Versification gehört sie
den Deutschen auf eine eigenthümliche Weise mehr. Das
Gedicht ist ein Spiegel der Welt; nur schicken kann ich
Ihnen davon nichts, weil ich's selbst nicht habe" (Von und
30 an Herder 1, 155. 157); Goethe hatte eben die, mit Herdex's
Randzeichen versehene, Handschrift auf die Reise mitge-
nommen.
Gleichzeitig sprach Herder sich öffentlich über den un-
schätzbaren Werth des alten Epos vom , Ulysses aller Uly sse'
35 in seinem .Andenken an einige ältere deutsche Dichter' aus,
dessen vierter Brief ganz dieser Dichtung gewidmet ist. Der
kleine Aufsatz, der Goethes Bearbeitung jedoch nicht er-
wähnt oder voraus verkündigt, erschien 1793, in der fünften
Sammlung von Herders , Zerstreuten Blättern'.
40 ' Herders Frau antwortete am 12. Juli: „Dass Ihnen die Ar-
beit an ,Reineke' und der Optik wohlgelingt, freut uns sehr.
254 REINEKE POUCHS. 1793
Juli 2. Lager bei Marienborn. 500
Wie sehr wünscht' ich den Musen des Friedens iiul-
digen zu können! Was möglich ist thue ich doch. ,liei-
neken' habe ich stark durchgeputzt, . . ^
An Knebel. — Br. 10. 84, 1—3. 5
Juli 7. Lager bei Marienborn. 501
Deinen Brief an den Herzog habe ich noch nicht ge-
lesen, es wird ihn gefreut haben. Denn er schien ver-
driesslich, dass Du nicht geantwortet hattest, als er Dir
zum ersten Gesang .Reinekens" ein Wort schrieb". lo
An F. H. Jacobi. — Br. 10. 91. 12—15.
September 9, Weimar. 502
Von ,Reineke' schickt' ich gern den zweiten Gesang,
leider ist es der, welcher noch die meiste Arbeit bedarf
um präsentabel zu werden. 15
An F. H. Jacobi. — Br. 10. 109. 26—28.
September 26, [Weimar.] 503
Beiliegende drei Gesänge ,Reinekes'^ wollte ich erst
recht sauber abschreiben lassen und nochmals durch-
sehen, eh' ich sie, lieber Herr und Bruder, Deiner Sanc- 20
tion unterwürfe. Da man aber in dem was man thun
will meist einige Schritte zurückbleibt, so sende ich sie
in einem etwas unreineren Zustand. Du hast die Güte,
sie, den kritischen GrifEel in der Hand, zu durchgehen.
30
Erhalten Sie sich diese Schöpfersfreude mitten in der Zer- 25
Störung und bringen uns eine Beute Ihres Geüstes mit, wenn
die meisten arm und krank nach Hause kehren" (C4J. 8. 30);
gleichzeitig übersandte sie ein Exemplar der. Herders Brief
über das Reineke-Fuchs-Epos enthaltenden, fünften Samm-
lung der .Zerstreuten Blätter' (vgl. 253, 35—39).
' Knebel erwiderte am 17. Juli: ..Es freut mich gar sehr, dass
sich .Reineke der Fuchs' bei dem Donner der Kanonen so
unter Deinen Händen verbessert. Das zeigt von seiner guten
Natur, und es gehört mit zur schönsten Fabel Deines Ge-
dichts" (G.-Knebel 1. 111).
- Vgl. 2.50. 35 f — Am 22. August traf Goethe wieder in Weimar
ein.
35
1793 REINEKE FUCHS. 255
[September 26, [Weimar.] [503]
mir Winke zu weiterer Correctur zu geben und mir zu
sagen: ob ich die Ausgabe dieser Arbeit beschleunigen,
oder sie noch einen Sommer solle reifen lassen. Du ver-
5 zeilist, dass ich mich eines alten Rechts bediene, das
ich nicht gern entbehren möchte und weisst, welchen
grossen Werth ich auf Deine Bemerkungen und Deine
Beistimmung lege\
An Wieland. — ' Br. ict. 111. K»— 112, 2.
10 ] [September. Ende, oder October. Weimar.] 504
Hier schicke ich, werther Freund und Kunstgenosse,
den ersten Gesang ,Reinekes'^ mit der Bitte, ihn wohl zu
beherzigen und kritisch zu beleuchten, indem ich ihn
zum Druck bald abzu.senden gedenke^.
15 An Knebel. — Br. 10. 112. 1.5—18.
November 18, Weimar. 505
jEeineke Fuchs' naht sich der Druckerpresse.
Ich hoffe, er soll Dich unterhalten. Es macht mir noch
viel Mühe, dem Terse die Aisance und Zierlichkeit zu
20 geben, die er haben muss. "Wäre das Leben nicht so
^ Wiederholt hatte Wieland durch seine kritischen Bemer-
kungen Goethe gefördert, besonders bei der Durchsicht der
Werke für die erste von Goethe veranstaltete Gesammtaus-
25 gäbe 1787—1700.
Als Ersatz für Wielauds fehlende Autwort an Goethe sei
hier eine gesprächsweise Aeusserung mitgetheilt, die Bötti-
ger, nach einer Unterhaltung mit Falk und Wieland am 20.
Januar 1799. aufgezeichnet hat: „Wielaud wundert sich, dass
30 man Goethes .Reineke Fuchs' nicht mehr schätze. Er lese
oft mit Vergnügen darin. Falk tadelt die Hexameter. Hier
hätten bloss Knittelreime hingehört. Wieland nimmt sich
des Hexameters an" (Büttiger: Literarische Zustände und
Zeitgenossen 1, 234).
35 ' Hiernach scheint es, als habe inzwischen Wieland auf
Goethes Anfrage (s. Z. 3 f.) zum baldigen Druck rathend
geantwortet.
256 REINEKP: fuchs. . 1794
[November 18, Weimar.] [iC5]
kurz, ich liess' ihn noch eine ^Veile liegen, so mag er
aber gehen, dass ich ihn los werde^.
An F. H. Jacobi. — Br. 10, 127, 18—23.
179^. 5
April 29, Weimar. 506
Ich habe in dieser letzten Zeit noch manche Sorgfalt
auf meinen losen Fuchs gewendet, der gegen Pfingsten^
wieder einen Versuch machen wird, sich in der Welt auf
seine Weise zu produciren. lo
An Charl. v. Kalb. — Br. 10, I.jG, 22—25.
Juni 9, Weimar^ 507
Hierbei liegt mein ,Eeineke', ich wünsche, dass dieses
^ Die der Zeit nach nächste briefliche Aeusserung gegen
Jacobi über ,Reineke Fuchs' ist uns mit dem Briefe selbsi 15
verloren. Sie fiel in den Anfang des Monats Mai 1794, kurz
bevor die Dichtung erschien. Jacobi schreibt am 7. Juni 1791
an Goethe: ..Deinen Brief vom sechsten [Mai] wegen
,Reineke Fuchs' und der englischen [Uebersetzung von]
.Iphigenia', lieber alter Freund, lasse ich unbeantwortet. Du 20
schreibst mir wohl nach .Jahr und Tag über seinen Inhall
einen andern" (G.-Jacobi S. 187).
Erinnert man sich dessen, was Goethe in der ,Campagne'.
gelegentlich seines Besuches bei Jacobi in Pempelfort 1792,
über seinen damaligen „Realismus" und seinen ,, verhärteten 25
Sinn" sagt, der ihm unmöglich machte, den Freunden seine
.Iphigenie' vorzulesen, die er gewiss schon zu jener Zeit
„verteufelt human" fand, so wird man zu der Annahme
geführt, dass es ein sehr derbes Wort zu Gunsten des derben
.Reineke' gewesen ist, das Jacobi befremden musste (W. 38. 30
191, 20— 192, 7. Br. 16. 11, 19).
^ ,, Pfingsten, das liebliche Fest" kam dieses Jahr am 8. .Juni;
zur Jubilate-Messe (Jubilate 11. Mai) erschien die Dichtung
als zweiter Band von Goethes , Neuen Schriften'.
^ Kiu'z vor diesem Tage, in der ersten Juniwoche 1794 hatte 35
Johann Heinrich Voss Weimar besucht und Goethe persön-
lich kennen gelernt. Die Vorlesungen aus seinem deutschen
Homer (im vorhergehenden Jahre, 1793, waren die Ilias neu
1794 REINERE FUCHS.
[Juni 9, Weimar] [507]
uralte Weltkind Ihnen in seiner neusten Wiedergeburt
nicht missfallen möge.
An Lichtenberg. — G.J. 18, 42.
5 und die Odyssee umgearbeitet zum erstenmale als ein Ganzes
erschienen) fanden bei Goethe, Wieland, Herder den grössten
Beifall.
Goethe, so scheint es wenigstens nach den folgenden Brief-
stelleu, schenkte in diesen Tagen ein Exemplar des .Keiuelie
10 Fuchs" an Voss. Dieser berichtet am 13. .Juni, auf der Heim-
reise nach Eutin begriffen, an seine Frau: „Goethes ,Reineke
Voss' habe ich angefangen zu lesen; aber ich kann nicht
durchkommen. Goethe bat mich, ihm die schlechten Hexa-
meter anzumerken; ich muss sie ihm alle nennen, wenn ich
15 aufrichtig sein will. Ein sonderbarer Einfall, den ,Reineke'
in Hexameter zu setzen" (Briefe von J. H. Voss 2, .3921.
An Goethe schreibt Voss am 17. Juli 1794: „Ihr ,Reineke'
hat mich im Wagen begleitet. Da ich das Original fast jeden
Winter den Meinigen vorlese, so war mir's zum Vergleichen
20 gegenwärtig genug. Der Ton scheint mir dem Inhalte und
der gewählten Versart gemäss, die erste Linie über dem
gelassenen Bürgerton; der Versbau leicht und ohne An-
spruch auf zwecklosen Ausdruck, so wie ihn die Idylle und
das Epigramm verlangt. Was ich vermisse, soll ich sagen?
25 Midi deucht, die Wortfüsse oder Rhythmen sollten etwas
mannichfaltiger, und mehr aus dem Fache des Lieblichen ge-
wählt sein"; es folgt sodann eine Anzahl von Bemerkungen
über einzelne Versarten und Verse der Dichtung iGJ. 5,
38 f.), vgl. 277, 20 f.
30 Fast ein .Jahrzehnt später, 1803, als Voss in .Jena wohnte
und Goethe viel mit ihm verkehrte, kam ,Reineke Fuchs'
nochmals zur Sprache. In den Mittheilungen, die Ernestine
Voss aus eigener Erinnerung über ihres Mannes Verhältniss
zu Schiller und Goethe niedergeschrieben hat. heisst es zum
35 Jahre 1803: „Aus Erfahrung kannte er [Goethe] meine
Gewohnheit, mich neben die Männer zu setzen, wenn sie
mit einander lasen oder sprachen. .„Diessmal"'. sagte er,
„,dürfen Sie nicht bei uns sein [Goethe wollte mit Voss die
.Natürliche Tochter' in Bezug auf den Versbau durch-
40 gehen], bei der nächsten Vorlesung werde ich Sie aber
selbst bitten, Sitz und Stimme zu haben'". Dazu war der
Graf, Goethe über s. Dichtungen T. I. 17
258 REINEKE FUCHS. 1794
Juni 28. Weimar. SOS
Hier, liebe Freundin, kommt Reineke Fuchs, der
Schelm, und verspricht sich eine gute Aufnahme. Da
dieses Geschlecht auch zu unsern Zeiten bei Höfen,
besonders aber in Eepubliken sehr angesehn und un-
/
,Reineke Fuchs' bestimmt, über den beide sehr verschie-
dene Ansichten hatten; denn Voss hielt dafür, dass Goethe
schon durch die Wahl des Hexameters den rechten Ton habe
/ verfehlen müssen. Zu dieser Vorlesung kam es nie, . ."
(Briefe von J. H. Voss 3 (2», 58). lo
Anders dachte Schiller über die Wahl des Hexameters
für das Reineke-Fuchs-Epos.
„Mir deucht", schreibt er am 21. März 1796 an Wilhelm
von Humboldt, „dass sich die alten Silben-Masse, wie zum
Beispiel der Hexameter, desswegen so gut zu naiven Poe- 15
sien qualificiren, weil er e r n s t und gesetzt einher schreitet
und mit seinem Gegenstand nicht spielt. Nun gibt dieser
Ernst, zum Beispiel im , Fuchs' der Erzählung einen gewissen
grössei'n Schein von Wahrhaftigkeit, und diese ist das erste
Erfoderniss des naiven Tons, wo der Erzähler nie den 20
Spassmacher spielen und aller Witz ausgeschlossen bleiben
soll. Auch, deucht mir, ist uns der Hexameter schon dess-
wegen in dergleich Gedichten so angenehm und vermehrt
das Naive, weil er an Homer und die Alten erinnert"
(Schillers Br. 4, 434). 25
Im Anschluss daran, zugleich im Gegensatz zu Vossens
abfälligen Aeusserungen hier noch eine Stelle aus Knebels
Brief vom 22. December 1795 an Goethe: ,, . . da Du im
vollkommenen Besitz bist, auch hierüber [über die antiken
Versmasse] Regel auf dem Parnass zu geben, und ich zum 30
Beispiel Deinen , Reineke Fuchs' für das beste und der
Sprache eigenthümlichste Werk deutscher Prosodie halte,
so wollte ich nicht, dass Du andern, die bei weitem nicht
Gefühl und Geschmack genug zu dieser Sache haben, aus
zu vieler Nachsicht und Gutheit zu viel einräumtest. Der 35
lebendige Geist, mit Sinn und Geschmack verbunden, fehlt
.ia fast überall noch in unsern Gedichten, und was soll es
werden, wenn sich unsre einzigen Muster unter die Regel
einseitiger oder fühlloser Pedanten schmiegenl" (G.-Knebe!
1, 125). 40
1794 REINEKE FUCHS. 25'.)
10
[Juni 28, "Weimar.] 1^08]
entbehrlich ist, so möchte nichts billiger sein, als seine
Ahnherrn recht kennen zu lernend
An Charl. v. Kalb. — Br. 10. 168,9—14.
Juli 7, Weimar. ^>^
.Eeineken' an Körners mit vielen Empfehlungen-.
An H. Meyer. — Br. 10. 171. 22.
Juli 16, Weimar. 510
Hierbei folgt, mein V\'erthester, ein Exemplar von
,Eeineke Fuchs'. Ich wünsche, dass dieser Freund, in
der noch immer unruhigen Lage, in der Sie sich be-
finden müssen, Ihnen einige gute Stunden machen mögel
An Sümmei-ing. — Br. lu. 171. 23— 172, 3.
' Charlotte von Kalb erwiderte am 9. August: „Tausend
15 Dank für Ihren .Reiueke' — ich wollte ihn lesen, aber siehe.
ich bin zu hyyochouder, als dass ich mich möchte und
könnte mit den Thaten und Ruhm dieses Erzschelms ab-
geben: besonders jetzo. wo diese Art so grausam herrscht.—
Diese Stimmung wird bald vorübergehn und dann will ich
20 mit doppelter Lust die Wahrheit. Kunst und Schönheit
dieses Werks bewundern" (GJ. 13. 46 f. i.
» Meyer hielt sich zur Zeit in Dresden i Körners Wohnsitz)
auf, um in der Gemäldegalerie zu copireu.
Körner kannte das neue Werk Goethes bereits. Schon am
25 25. Mai hatte er an Schiller geschrieben: ..Die Messe ist für
die Litteratur nicht sehr ergiebig. Goethens ,Reineke
Fuchs- ist fast das Bedeutendste'-; Schiller antwortete am
12. Juni: „ ,Reineke Fuchs' von Goethe hast Du ohne
Zweifel schon in Händen. Mir beliagt er ungemein, beson-
ders um des Homerischen Tones Willen, der ohne Affec
tation darin beobachtet ist-', worauf Körner am 17. Juni
erwiderte: „ ,Reineke Fuchs' habe ich gelesen. Ich ver-
kenne den Kunstwerth daran gewiss nicht; aber wenn ich
die Zeit und Mühe bedenke, die Goethe darauf verwendet
haben muss, so dächte ich doch, dass er uns etwas Bedeu-
tenderes hätte geben können. Vieles ist doch trocken und
langweilig darin" fSchiller-Kömer 2, 101 f. 104).
» Sömmering war von Mainz, wo Goethe im Jahre vorher mit
ihm zusammengetroffen war. wegen der politischen Wirren
40 nach Frankfurt übergesiedelt. In Goethes ,Tag- und Jahres-
30
35
£60 REIXEKE FUCHS. 1795
1795 oder 1796.
] [Zwischen December 1795 und Sommer 1796.] 511
Reineke Fuchs.
Vor Jahrhunderten hätte ein Dichter dieses gesungen?
Wie ist das möglicli? Der Stoff ist ja von gestern 5-
Tind heut.
Xenien V. 539 f. — W. 5 (1), 244, Nr. 270.
] [Zwischen December 1795 und Sommer 1796.] 512
N i c 0 1 a i s E 0 m a n e\
Kennt ihr im ,Eeineke Fuchs' die appetitliche Höhle-? lo
Just so kommt er mir vor unter den Kindern des
Geists.
Xenien (Aus dem Xachlass) V. 165 f. — W. 5 (1), 281,
Nr. 83.
] [Zwischen December 1795 und Sommer 1796.] 513 15
Die Epopöen.
Der steigt über den Menschen hinauf und jener
hinunter;
Wer es am glücklichsten traf, weiss ich, doch sag' ich
es nicht^. 20
Xenien (Aus dem Nachlass) V. 165 f. — W. 5 (1), 281,
Nr 86.
Heften' heisst es zu 1794: ,, S ö m m e r i n g mit seiner treff-
lichen Gemalilin hielt es in Franlifurt aus, die foitwährende
Unruhe zu ertragen" (W. o5, 30, 3 — 5). 25-
^ In erster Linie ist hier wohl an die , Geschichte eines dicken
Mannes worin drei Heurathen und drei Körbe nebst viel
Liebe. Berlin und Stettin, 1794' (Titel nach Goedeke 4, 172
Nr. 30) zu denken, die auch Schiller in seiner Abhandlung
,L'eber naive und sentimentalische Dichtung' (Werke 8. 383, 3»
12—15) brandmarkt, vgl. SdGG. 8, 153 zu Xenion Nr. 343.
^ In Gesang 11 V. 180—198 schildert der Fuchs die Meerkatzen
und ihre Behausung; es heisst da unter Anderem:
„Im faulen Heue gebettet
Fand ich die garstige Brut und über und über be- 3>
schlabbert
Bis an die Ohren mit Koth; es stank in ihrem Reviere
Aerger als höllisches Pech."
• „Die Epopöen" sind ,Der ^Messias' und ,Reineke Fuchs'. In
1795 REINEKE FUCHS. 261
][Zwischen December 1795 und Sommer 1796.] [513]
jenem steigt Klopstock zum Uebermeiisclilicheu, zu den Sera-
phim, ja zu Gottes Sohn und Gott selbst liinauf, während
in diesem Goethe in's Unteruieuschliche, zu den Thieren
5 hinabsteigt.
Der Zeit nach geliurt liierher folgende Aeusserung Schillers,
aus einem Briefe an Wilhelm von Humboldt, vom 2.5. .Januar
179G: „Woltmann sagte mir, dass eine ganze saft- und kraft-
lose Recension des ,Reinike Fuchs' jetzt für die Litteratur-
10 Zeitung eingeschickt worden; eine so schlechte, dass sogar
Hufeland auf Unterdrückung votirt habe. Ich zweifle nicht,
dass man Goethen und mir zu Lieb' sie wirklich unterdrücken
wird, wenn i c h eine andre verspreche. Aber so gern ich
diese Arbeit übernähme, und so sehr es mich reuet, dass ich
15 nicht schon in meinem Aufsatz über das Naive [im Jahrgang
1795 der , Hören', Band 4, gleichbedeutend mit dem ersten
Teil der Abhandlung ,Ueber naive und seutimentalische
Dichtung'] mich förmlich dai'über herausgelassen habe, so
wissen Sie doch, lieber Freund, dass ich jetzt von meiner
20 poetischen Activität mich nicht wohl zerstreuen kann. Ich
gäbe daher sehr viel darum, wenn Sie an meiner Statt diese
Arbeit übernähmen; ich würde dann, da wir in unsern kri-
tischen Grundsätzen so sehr harmoniren, die Recension als
die meinige in die Litteratur-Zeitung geben. Wollten Sie
25 dieses nicht, so könnte sie, was noch besser wäre, zu einem
Aufsatz für die , Hören' dienen. Da der ,Reinike Fuchs',
wenn man gerecht sein will, das beste poetische Product ist,
was seit so vielen, vielen Jahren in Umlauf gekommen ist,
und sich mit Recht an die ersten Dichterwerke anschliesst,
30 so ist es in der That horribel. dass er so schlecht behandelt
werden soll. Goethe Aveiss von meiner Idee nichts, und ich
werde ihm auch nicht eher etwas davon sagen, als wenn sie
schon ganz ausgeführt ist; aber ich betrachte es als meine
eigene Angelegenheit, zn machen, dass man entweder eine
35 andere Meinung davon bekomme, oder sich doch derjeni-
gen schäme, die man davon hat" (Schillers Br. 4. 399).
Jene „schlechte" Recension erschien nicht; die Angelegen-
heit scheint dann in Vergessenheit gerathen und von Schiller
brieflich nicht weiter berührt worden zu sein, obwohl Hum-
40 boldt. in seiner Antwort vom 2. Februar 1796. sich zu der
gewünschten Besprechung bereit erklärte (vgl. Schiller-
Humboldt 275. 2.5—276, 32).
2G2 REINEKE FUCHS. ISOO
1800.
April 2, AVeimar. 514
^Olj es der Mühe werth sein Vvird den ,Reineke Fuchs*^
nochmals gleichsam umzuarbeiten, darüber müssen wir
gelegentlich zu Käthe gehen^. 5
An A. W. Schlegel. — Br. lö, öO. 15—17.
Erst acht Jahre später, 18Ü4, als die ,Allgemeiue Literatur-
Zeitung' bereits von Jena nach Halle übergesiedelt war, er-
schien in ihr am 31. December (Band 4 Spalte 721 — 731) eine
Besprechung des ,Reineke Fuchs'. Der anonyme Kritiker la
würdigt gleichzeitig die inzwischen erschienene Uebertrag-
ung von Soltau (Berlin 1803 bei Heinrich Frülich) und
setzt dessen, dem Original nachgebildete, kurze Reimpaare
Goethes Hexametern rühmend entgegen.
^ Schlegel, . der seit einiger Zeit mit der Durchsicht von Goethes 15
hexametrischen Gedichten für Band 7 der .Neuen Schriften'
beschäftigt war, hatte am 1. April geschrieben: .,Ich habe
im .Reineke Fuchs' verschiedne Stellen iu metrischer Hin-
sicht durchgegangen, mir scheint der Versbau darin dem in
den Episteln am ähnliclisten zu sein: ich glaube, man würde 20
dabei auf wenige so hartnäckige Verse stossen wie in den
älteren Elegien und Epigrammen. Es ist in diesem epischen
Gange alles weniger gebunden. Freilich wäre es immer noch
eine beträchtliche Arbeit, das ganze Gedicht nach Ihren
jetzigen metrischen Grundsätzen zu reformiren. wenn man 25
auch, wie billig, alle die Licenzen, welche drollige Namen
oder andre vertrauliche Redensarten betreffen, zugestände"
(SdGG. 13, 72).
" Hierauf erwiderte Schlegel am 4. April: ..Wegen des
.Reineke Fuchs' können wir uns mündlich ausführlicher 30
besprechen [Schlegel lebte damals iu .Teua]. Für die
Wirkung, die es bei Alten und Jungen bis auf die
kleinsten Kinder nicht verfehlen kann, ist die jetzige Bear-
beitung völlig hinreichend. Eine neue wäre hauptsächlich
nur ein Compliment. das den Fortschritten der alten Silben- 35
masse gemacht würde. Der grösste Vortheil dabei wäre viel-
leicht, dass hier und da die Ausführung noch mehr homerisirt
w.'rdf-n wfiid«--' rSdGG. 13, 77).
1802 REINEKE FUCHS. 263
1803.
Januar 17, Jena. 515
Abends Correctur von ,]Reineke Fuchs"'^.
Tgb. .3, 4C, 25 f.
5 Nach I8O32.
][? ? ?] 516
Am liebenswürdigsten erschien er, vrenn er aus seinif^n
eigenen Gedichten einzelne Yerse oder ganze Stellen
bald mit einem besondere ^Vichtigkeit ausdrückenden
10 Lehrton, bald mit einem achselzuckendes Bedauern oder
auch behagliches Zugeben andeutenden Conversations-
ton, als vrie im Augenblick erst improvisirt, vorbrachte.
Zum Beispiel aus dem ,Reineke Fuchs': „Und so ist es
beschaffen" u. s. w. oder „Handelt einer mit Honig, er
15 leckt zuweilen die Finger", oder „wir hätten ein halb
Dutzend verzehrt, wofern sie zu haben gewesen", bei
Genuss eines Lieblingsgerichts, wie etwa Tauben^.
Mit Riemer. — Briefe von und an Goethe S. 378.
" Sollte dieser, ganz vereinzelt stehende, Vermerk die unter
20 Nr. 533 mitgetheilte Stelle aus den ,Tag- und Jahres-Heften'
veranlasst haben, die sachlich hierher gehört?
* Riemer, der die Mittheilung macht, kam im Herbst 1803
nach Weimar.
' Die Citate finden sich in Gesang 12 V. 379 (.,Denn so ist es
25 beschafEen, so wird es bleiben", diese Worte führt Goethe
auch gern in Briefen an. vgl. Br. 10, 70, 1 f . 12. 20. 10 f., G.-
Zelter 5, 160), Gesang 8 V. 94 („Handelt einer . ."), und Gesang
7 V. 219 („ . . und hätten gewisslich] Ein halb Dutzend ver-
zehrt . .").
30 In Goethes Briefen begegnet man Anspielungen auf .Rei-
neke Fuchs' nicht selten, so, wenn er statt „Pfingsten"
schreibt „das liebliche P^st" (Br. 12. 14G, 1), oder auch „Pfing-
sten, das liebste, lieblichste Fest" (GJ. 20. 59), oder wenn er
sein Haus, sein Zimm.n- ..Malerartus" nennt (Br. 15, 12, 4.
35 18, 11, 6).
264 REIXEKE FUCHS. Ib05
1805.
Mai 1, Weimar. — s. Nr. 37üa. 516a
December 25, Weimar. 517
Was jHenning den Halm^ betrifft, so ist es immer
ein schätzbares Ueberbleibsel älterer Zeit, aber freilich 5
mit ,Eeineke Fuchs' sowohl wegen dem Gehalt als der
Form nicht wohl zu vergleichen^. Ihre Uebersetzung
ist heiter und bequem; doch würde ich immer rathen,
sie vor dem Druck nochmals, besonders wegen des
Sylbenmasses, durchzugehen. Unser ganzes prosodisches lo
Wesen hat seit einigen Jahren eine vortheilhafte TJm-
wandlung erlitten, und wenn die Herren von der stricten
Observanz vielleicht hie und da zu weit gehen, so kann
man doch gewissen aufgestellten Gesetzen seinen Beifall
nicht versagen, und sich ihrer Befolgung nicht ent- i5
ziehen-. . . . Leider ist Vossens Prosodie'^ schwer ge-
schrieben und zu einem heiteren Selbstunterricht nicht
geeignet.
An Nikolaus Meyer. — Br. 19, S6, 11—23. 87, 1—3.
* Im Jalire 1732 w^ar eiue Fortsetzung des alten niederdeut- 20
sehen Epos ,Reynke de Vos' unter dem Titel ,Hennynk de
Hau' erschienen, die, gleich jenem in gereimten vierfüssigen
Jamben, die Geschichte Reinekes bis zu dessen Tode weiter-
erzählt. Der Verfasser, Kaspar Friedrich Renner, hatte durch
eine vorgedriickte Bemerkung den Schein erweckt, als gebe 25
er die Handschrift eines im ersten Viertel des sechzelmten
Jahrhunderts verfertigten Gedichts heraus.
Dieses Werk hatte Meyer, dem von Goethe im ,Reineke
Fuchs' gegebenen Beispiele folgend, in hochdeutsche Hexa-
meter übertragen: er verJJttcntlichte die Uebertragung. nebst 30
dem Original und zwölf Radirungen von Menken, im Jahre
1813 (bei Heyse in Bremen).
' Vgl. dagegen Nr. 518.
• »Zeitmessung der deutsclien Sprache von Johann Heinrich
Voss. Beilage zu den Oden und Elegieen. Königsberg 1802. 35
Bei Friedrich Nicolovius'.
1806 REIXEKE FUCHS. 265
1806.
Februar 24, Weimar. — s. Nr. 79. 517a
März 2S. Weimar. 518
AVas Ihre Uebersetzung^ betrifEt, so dächte ich, Sie
5 Hessen solche drucken, wie sie dasteht. Bemerkungen
darüber, wie Sie wünschen, könnte ich Ihnen so bald
nicht senden: denn vor einem halben Jahre komme ich
selbst nicht an meine epischen Sachen-, wo es alsdann
wohl in Einem hinginge. Bei manchen Schriften kann
10 und soll man mehr an die Lesenden als an die ürthei-
lenden denken; und wenn man überlegt, dass in Deutsch-
land sich noch manche tausend Leser befinden, die mit
dem bisherigen Hexameter noch ganz wohl zufrieden
sind, so kann man sich um desto eher beruhigen, wenn
13 eine neue Schule, oder vielmehr Familie", nach selbst
gegebenen Gesetzen, gar wunderliche Forderungen auch
an andre macht: wobei es besonders merkwürdig bleibt,
dass wir Gedichte von der vollkommensten Technik er-
leben, welche völlig ungeniessbar sind. Lassen Sie also
20 Ihren .Henning"' in der hasse cour, wo er geboren und
erzogen ist, sein Glück suchen, bis es Zeit wird, die Ge-
setze und Verordnungen, nach welchen die rhythmische
licniie cour ihre l'rthcile fällt, näher zu prüfen.
An Nikolaus Meyer. — Br. 19. 118. 23— 119. 19.
25 1807.
September 5. Karlsbad. 519
Abends im Zincgref [gelesen] und Bäthsel aufge-
löst. (Zauberformel im ,Eeineke Fuchs'.)*
Tgb. 3. 270. 21 f.
30 ^ s. Nr. 517.
' Das heisst: zur Durchsicht für die Aus.ii^abe der Werke
CottaS die sogar erst mehr als anderthalb Jahre später, im
December 1807, stattfand.
' Voss, der ..baberechtische Griesgram" (Br. 21. 132. 19>, und
35 sein ältester Sohn Heinrich, ^'gl. dagegen 264, 10—16.
* Dass hier Zincgrefs .Apophthegmata' Ceine. zuerst 1G26 er-
schienene, später vielfach neu aufgelegte und vermehrte,
266 REINEKE FUCHS. 180S
December 7, Jena. — s. Nr. 84. r>19a
DecemlHT 8, Jena. — s. Nr. S5. .519b
1808.
August 7, Karlsbad. — s. Nr. 87. -519c
October 23, Jena. 520 5
Keineke Fuchs.
Tgb. 3, 394, 15.
1814.
Mai 7, Weimar. 521
[Vor ^littag] ,Reineke Fuchs' durch Görres A^evan- lo
lassimg\
Tgb. 5, 105, 23 f.
Sammlung von Sprich v.üitern und sinnvollen Ausspi'üchen)
gemeint seien, ist sehr wahrscheinlich, da Riemer in seinen
, Mittheilungen' (1, .396) berichtet, Goetlie habe unter anderen i5
Werken auch dieses auf Reisen mit ihm gelesen. Auch
heisst es unterm 9. Mai dieses Jahres in Goethes Tagebuch
(3, 208. 17 f.): „Zincgrefs Apophthegmen".
Die „Zauberformel"' (Frau Rückenau, die Aeffin, spricht sie
als Gebet über Reineke vor dessen Zweikampf mit dem 20
Wolf) bildet im niederdeutschen Original Vers 6225 und
6226; sie besteht aus sieben sinnlosen Worten und wurde
von Gottsched unverändert in seine Uebertragung aufge-
nommen. Goethe setzte an ihre Stelle einen Hexameter (Ge-
sang 11 V. 403), der nur von hinten nach vorn gelesen einen 25
Sinn gibt und dessen Worte auch dann noch zum Theil aus-
einandergerissen dastehen.
— Am 11. September kehrte Goethe von seinem Aufenthalt
in Karlsbad nach Weimar zuinick. Zehn Tage später begann
die Durchsicht der .AchilleTs' (s. Nr. 82). Am 26. September 30
vermerkt Riemer in seinem Tagebuch: ..Schickte Goethe
das bis in den vierten Gesang umdictirte Manuscript des
,Reineke' herauf [Riemer wohnte im zweiten Stock, in der
Dachwohnung von Goethes Haus], das ich anfing durch-
zusehen" (Deutsche Revue 11. 1, 66). IJeber diese Hand- 3»
Schrift, die einzige, die sich erhalten zu haben scheint (vgl.
248, 21—24), wird in Band 50 der Weimarer Ausgabe be-
richtet werden.
^ Sulpiz Boisser^e hatte am 29. April 1814 an Goethe ge-
schrieben: ..Ist Ihnen die Zeitung .Der Rheinische Merkur', 40
ISIG REINEKE FUCHS. 261
1816.
Juli 25, Tennstädt. 522
[Früh] Um 5 Uhr aufgestanden. ,Remeke Fuchs'
erstes Biich\
5 Tgb. n. 2.57,24.
August 17, Tennstädt. 52S
[Vormittags] .Reineke Fuchs'-.
Tgb. 5, 265, 7 f.
1817.
10 ][October 2.3—25, Weimar.] 524
"A^on bildlichen Darstellnngem welche zu einem ge-
schriebenen Werke gefertigt werden, darf man freilich
welche Gürres in Coblenz schreibt, noch nicht bekannt, so
lassen Sie sich dieselbe doch ja geben, besonders auch die
15 Blätter von diesem Monat seit der Einnahme von Paris. . . .
Bei den letzten Blättern hat er angefangen Denksprüche
voranzuschicken, und zwar alle aus , Reineke Fuchs' " (Bois-
seree 2, 37).
^ A\'ie in Nr. .523 Durchsicht für den neuen Druck in Baud 11
20 der Werke Cotta", der 1817 erscheinen sollte.
'^ s. die vorhergehende Erläuterung.
^ Wenn die nachfolgenden Aeusserungen Goethes sich auch
nicht unmittelbar auf seine Bearbeitung des Reineke-Fuchs-
Epos beziehen, so betreffen sie doch zum Theil jene Dar-
25 Stellungen der Fuchs-Fabel durch Everdingen, die Goethes
Phantasie schon zehn .Jahre vor seiner Umdichtung auf das
Lebhafteste beschäftigten und die ihm während der Arbeit
am .Reineke Fuchs' auch in der Uebertragung Gottscheds
immer vor Augen lagen (vgl. 249, 18—39).
30 I'eberdiess ist es für uns. die wir alle Kaulbachs meister-
hafte Zeichnungen zu Goethes Gedicht kennen, von beson-
derem Werthe, zu hören: was Goethe über die bildliehen
Darstellungen zu Thier-Gedichten dachte, was er von ihnen
forderte.
35 Die Skizzen (nach denen Goethes obiger Aufsatz beuannt
ist) waren bestimmt zu Radirungen für eine deutsehe Ueber-
tragung der von Casti. im .Jahre 1802, veröffentlichten Fabel-
dichtung ,Gli animali parlanti'. Der Künstler, Maler Menken,
hatte die Blätter an Goethe geschickt und um dessen Tr-
io theil gebeten, vgl. G.J. 12, 16 f.
2G8 REIXEKE FUCHS. 1811
][October 23—25, Weimar.] [524]
nicht so streng verlangen, class sie sich selbst aussprechen
sollen^; aber dass sie an und für sich gute Bilder seien,
dass sie nach gegebener Erklärung den Beifall des
Kunstfreundes gewinnen, lässt sich wohl erwarten. 5
"Was jedoch solchen Productionen eigentlich den
höchsten AA^erth gibt, ist ein guter Humor, eine heitere,
leidenschaftslose Ironie, wodurch die Bitterkeit des
Scherzes, der das Thierische im Menschen hervorhebt,
gemildert und für geistreiche Leser ein geschmackvoller lo
Beigenuss bereitet wird. Musterhaft sind hierin J o s t
A m m o n [Amman] und Aldert von Ever-
dingen in den Bildern zu ,Reineke Fuchs', . . .
Die Thierfabel gehört eigentlich dem Geiste, dem
Gemüth, den sittlichen Kräften, indessen sie uns eine i5
gewisse derbe Sinnlichkeit vorspiegelt. Den verschie-
I denen Charakteren, die sich im Thierreich aussprechen,
! borgt sie Intelligenz, die den Menschen auszeichnet, mit
allen ihren Vortheilen: dem Bewusstsein, dem Ent-
! schluss, der Folge, und wir finden es wahrscheinlich, weil 20
1 kein Thier aus seiner beschränkten, bestimmten Art
herausgeht und desshalb immer zweckmässig zu handeln
scheint.
Wie die Fabel des Fuchses sich durch lange Zeiten
durchgewunden und von mancherlei Bearbeitern erwei- 25
tert, bereichert und aufgestutzt worden, darüber gibt
uns eine einsichtige Litteraturgeschichte täglich mehr
Aufklärung^.
^ Unmittelbar vorher sagt Goethe: zwei der Skizzen seien
..nicht zu entziffern; wenn man den Zwecli nicht schon weiss, 30
so versteht man sie nicht, . ." (AV. 49(1), 3.50, 2— 4l.
* Unter den damals vorhandenen und Goethe Ijekannten
Uebersichten über diesen Gegenstand mag eine der aus-
führllc'listen die von Flögel gewesen sein, in dessen ,Ge-
scliiehte der komischen Litttratur' 3. 28—04: „Vom Reineke 35
1817 REIXEKE FUCHS. 2üi)
][October 23 - 25, AVeimar.J [524]
Dass wir sinnliche Gegenstände, wovon wir hören,
auch mit Augen sehen wollen, ist natürlich, weil sich
alles, was wir vernehmen, dem Innern Sinn des Auges
mittheilt und die Einbildungskraft erregt. Diese For-
derung hat aber der bildenden Kunst, ja allen äusserlich
darstellenden, grossen Schaden gethan und richtet sie
mehr oder weniger zu Grunde. Die Thierfabel sollte
eigentlich dem Auge nicht dargestellt werden, und doch
ist es geschehen; untersuchen wir an einigen Beispielen,
mit welchem Glück.
J 0 s t Am m o n , in der zweiten Hälfte des sech-
zehnten Jahrhunderts, gab zu einer lateinischen me-
trischen Uebersetzung des ,Eeineke Fuchs' kleine aller-
liebste Holzschnitte^. In dem grossen Kunstsinne der
damaligen Zeit behandelt er die Gestalt der Thiere sym-
bolisch, flügelmännisch, nach heraldischer Art und
Weise, wodurch er sich den grössten Yortheil verschafft,
von der naivsten Thierbewegung bis zu einer übertriebe-
nen, fratzenhaften Menschenwürde gelangen zu können.
Jeder Kunstfreund besitzt und schätzt dieses kleine
Büchelchen.
Fuchs und dessen Verfassern" (Liegnitz und Leipzig, bei
David Siegert, 1786).
Die bedeutendste Darstellung erschien zwei Jahre nach
Goethes Tode: ,Reinhart Fuchs. Von .Jacob Grimm. Ber-
lin bei Reimer 1834'. Folgende Stelle daraus (S. CLXXX)
sei bei dieser Gelegenheit hier mitgetheilt: „Goethes
Gedicht zeugt laut für die epische Kraft der auch ein classi-
sches Gewand ertragenden Fabel, hat aber ihre natürliche,
einfache Vertrautheit oft daran gegeben".
* Hartmann Schoppers lateinische Febertragung des nieder-
deutschen Gedichts, in kurzen jambischen Versen, erschien
in neuer Ausgabe 1574. 1.579 und öfters, mit fünfzig Holz-
schnitten von .Tost Amman, unter dem Titel ,Specvlvm vitse
anliefe. De admirabili fallacia et astvtia vvlpecvla? Reinikes
libri qvatvor, . . Auetore Hartmanno Schoppero. . . Frnn-
cof. ad Moenvm, 1.579', gedruckt bei Nikolaus Bassaeus'.
270 REINEKE FUCHS. 1817
][October 23-2.5, Weimar.] [524]
A 1 d e r t v o n P] v e r d i n g e n zog als vortrefäiclier
Landschaftsmaler die Thierfabel in den Xaturkreis
herüber, und wusste, ohne eigentlich Thiermaler zu
sein, vierfüssige Thiere und Vögel dergestalt an's ge- 5
meine Leben heran zu bringen, dass sie, wie es denn
auch in der Wirklichkeit geschieht, zu Reisenden und
Fuhrleuten, Bauern und Pfaffen gar wohl passend, einer
und eben derselben "Welt unbezweifelt angehören. Ever-
dingens ausserordentliches Talent bewegte sich auch 10
hier mit grosser Leichtigkeit, seine Thiere nach ihren
Zuständen passen vortrefflich zur Landschaft und com-
poniren mit ihr auf's Anmuthigste. Sie gelten eben so
gut für verständige Wesen, als Bauern, Bäuerinnen,
Pfaffen und Xonnen. Der Fuchs in der Wüste, der Wolf is
an"s Glockenseil gebunden, einer wie der andere sind an
ihrem Platz. . . .
Diese Sammlang in guten Abdrücken ist jedem Lieb-
haber werth. Im Xothfall kann man sich aus der Gott-
schedischen Quartausgabe, wozu man die schon ge- 20
schwächten Platten benutzte, immer noch einen Begriff
von dem hohen Verdienst dieser Arbeit machen^.
Von allen Künstlern, welche die Thierfabel zum Ge-
genstand ihrer Bemühungen erkoren, hat wohl keiner
so nahe den rechten Punct getroö'en, als P a u 1 P 0 1 1 e r 25
in einem Gemälde von mehreren Abtheilungen, so sich
ehemals in der Galerie zu Cassel befunden-. Die Thiere
haben den Jäger gefangen, halten Gericht, verurtheilen
und bestrafen ihn; auch des Jägers Gehülfen, Hunden
und Pferd, wird ein schlimmes Loos zu Theil. Hier ist 30
alles ironisch, und das Werk scheint uns als gemaltes
^ Vgl. 249, 18—39. Eine Beschreibung der .57 Blätter Ever-
dingens findet man bei Adam Bartsch .Le peiutre graveur'
2. 220—238 fVienne. 1803).
' Jetzt befindet sich das Original in der Gemäldesammlung 35
der Eremitage zu St. Petersburg.
1817 REINEKE FUCHS. 271
][October 23-2,), Weimar.] [-,24]
Gedicht ausserordentlich hoch zu stehen. Wir sagen
absichtlich als gemaltes Gedicht, denn obgleich Potter
der Mann war, dass alles von ihm Herrührende von Seite
5 der Ausführung Verdienste hat, so gehört doch gerade
das erwähnte Stück nicht unter diejenigen, wo er uns
als ]\raler Bewunderung abnöthigt. . . .
Gibt Potters Gemälde ein Beispiel, in welchem Geist
Thierfabeln, woi'ern der bildende Künstler sich die-
10 selben zum Gegenstande wählt, zu behandeln seien, so
möchte hingegen die bekannte Folge von Fabeln, welche
der sonst wackere Elias Eiedinger eigenhändig radirt
hat, als Beispiel durchaus fehlerhafter Denkweise und
misslungener Erfindung in dieser Art angeführt werden.
15 Verdienst der xlusfülirung ist ihnen wohl nicht abzu-
sprechen; allein sie sind so trocken ernsthaft, haben
einen moralischen Zweck, ohne dass die Moral aus dem
Dargestellten errathen werden kann; es gebricht ihnen
gänzlich an jener durchaus geforderten ironischen
Würze, sie sprechen weder das Gemüth an, noch ge-
währen sie dem Geist einige Unterhaltung^
Wer sich jedoch in diesem Fache bemüht, wie denn
dem geistreichen Talente sein Glück nirgends zu ver-
sagen ist, dem wäre zu wünschen, dass er die radirten
Blätter des Benedetto Castiglione immer vor
Augen habe-, welcher die, doch mitunter allzubreiten,
halbgeformten, unerfreulichen Thiergestalten so zu be-
nutzen gewusst, dass einige das Licht in grossen Massen
aufnehmen, andere wieder durch kleinere Theile, so wie
30 ^ Von Riedingers .Thierfabeln' erschienen 1734 sechzehn
Blätter in Folio, mit erläuterndem Text, sodann 1744 zwan-
zis; Bliitter in Augsburg.
* Zur eigentlichen Thierfabel hat Castiglione, unseres
Wissens, keine Blätter radirt. Von seinen Thierdarstellungen
35 mochte Goethe hier besonders den Einzug der Thiere in
Noahs Arche im Auge haben.
20
25
272 REINEKE FUCHS. 1819
] [October 23—25, Weimar.] [524]
durch Loealtinten die Schattenpartien mannichfaltig
beleben. Dadurch entspringt der ästhetische Sinnenreiz,
welcher nicht fehlen darf, wenn Kunstzwecke bewirkt
worden sollen. 5
.Skizzen zu Castis Fabelgedicht: Die redenden Thiere. —
W. 49 (1), 3.50, 5—19. 23- 3.52. 19. 24— 3.53, 16. 21— 3:54, 18.
1819.
März [Anfang], "Weimar. 525
[Zu 1T93. — In dem chronologischen Yerzeichniss von lo
Goethes "Werken aus dem Jahre 1819 (s. Xr. 90) heisst
es unter]
1793: ,Reineke Fuchs'; . .
Summariscbe Jaliresfolge Goetbesclier Schriften. —
WH. 29, 324. 15
1820.
] [Februar 14V Weimar.] 526
[Zu 1793.] Den S. Juni setzte ich meine Arbeit an
,Eeineke Fuchs' fleissig fort^; . .
Belagei-ung von Mainz. — W. 33, 284, 24 f. 20
1821.
November 1, Jena. 527
[Abends]. Späterhin ,Eeineke Fuchs'.
Tgb. 8, 131, 24 f.
November 3, Jena. 528 25
Xachts .Eeineke Fuchs'.
Tgb. 8, 132,22.
1822.
][März, zwischen 12 und 16, Weimar.] 529
[Zu 1793, Frühjahr] . . aus diesem grässlichen TTn- so
heiP suchte ich mich zu retten, indem ich die ganze
^ Vgl. Nr. 498. — Im ältesten biographischen Schema (s. 29,
7—91 wird .Reineke Fuchs' gar nicht genannt.
' s. 2.50. 19. 251, 9—11.
1822 REIXEKE FUCHS. 273
][März. zwischen 12 und 16, Weimar.] [629]
Welt für nichtswürdig erklärte, woljei mir denn durch
eine besondere Fügimg ,Eeineke Fuchs" in die Hände
kam^. Hatte ich mich bisher an Strassen-, Markt- und
Pöbel-Auftritten bis zum Abscheu übersättigen müssen,
so war es nun wirklich erheiternd in den Hof- und Ee-
gentenspiegel zu blicken: denn wenn auch hier das
Menschengeschlecht sich in seiner ungeheuchelten Thier-
heit ganz natürlich vorträgt, so geht doch alles, wo nicht
nnisterhaft, doch heiter zu, und nirgends fühlt sich der
gute Humor gestört.
Um nun das köstliche Werk recht innig zu geniessen,
begann ich alsobald^ eine treue Xachbildung: solche je-
doch in Hexametern zu unternehmen, war ich folgender-
weise veranlasst.
Schon seit vielen Jahren schrieb man in Deutschland
nach Klopstocks Einleitung sehr lässliche Hexameter;
Voss, indem er sich wohl auch dergleichen bediente,
Hess doch hie und da merken, dass man sie besser machen
könne, ja er schonte sogar seine eigenen vom Publicum
gut aufgenommenen Arbeiten und ITebersetzungen nicht.
Ich hätte das gar gern auch gelernt, allein es wollte mir
nicht glücken. Herder und Wieland waren in diesem
Puncte Latitudinarier^ und man durfte der Yossschen
25 Bemühungen, wie sie nach und nach strenger und für
den Augenblick ungelenk erschienen, kaum Erwähnung
* Doch lernte Goethe nicht jetzt überhaupt erst die Dichtucg
kennen, vgl. 249. 1.3—29.
- Vgl. Xr. 491.
30 ' „Latitudinarier" dat. latitudo = die Breite), das heisst:
Weitherzige, Freisinnige waren Herder und Wieland in Be-
zug auf die VersknnsT. im Gegensatz zu Voss, dem Strengen,
dem Rigoristeu. Audi Knebel gehörte zu diesen Latitudina-
riem <vgl. 2-58, 28—39); als er die obige Stelle in der ,Cam-
35 pagne in Frankreich' 1822 gelesen hatte, schrieb er am 14.
Mai an Goethe: „ . . von Voss brauchst Du Dich nicht in der
Verskunst unteiTichten zu lassen" (G. -Knebel 2, .30?)
Graf, Goethe über s. Dichtungen T. I. 18
20
274 REINEKE FUCHS. 1S22
][März, zwischen 12 und 16, Weimar.] [529]
thun. Das Publicum selbst schätzte läxigere Zeit die
A'ossschen früheren Arbeiten als geläufiger, über die
späteren; ich aber hatte zu Voss, dessen Ernst man nicht
verkennen konnte, immer ein stilles Vertrauen und 5
wäre, in jüngeren Tagen oder anderen Verhältnissen,
wohl einmal nach Eutin gereist, um das Geheimniss zu
erfahren^; denn er, aus einer zu ehrenden Pietät für
Klopstock, wollte, so lange der würdige, allgefeierte
Dichter lebte, ihm nicht geradezu in's Gesicht sagen: 10
dass man in der deutschen Ehythmik eine strictere Ob-
servanz einführen müsse, wenn sie irgend gegründet
werden solle-. Was er inzwischen äusserte, waren für
mich sibyllinische Blätter. Wie ich mich an der Vor-
rede zu den ,Georgiken^ abgequält habe, erinnere ich 15
mich noch immer gerne, der redlichen Absicht wegen,
aber nicht des daraus gewonnenen Vortheils'.
Da mir recht gut bewusst war, dass alle meine Bil-
dung nur praktisch sein könne, so ergriff ich die Gele-
genheit, ein paar tausend Hexameter hinzuschreiben, 20
die bei dem köstlichsten Gehalt selbst einer mangel-
^ Statt dessen erschien Voss, zu Goethes grosser Freude, un-
mittelbar nach der Veröffentlichung des ,Reineke Fuchs", in
Weimar, wo denn auch die Metrik, zumal der Hexameter,
einen Hauptgesprächstoff bildete, vgl. 256, 35 — 257, 7. 25
* Vgl. die ganz ähnlich lautende Aeusserung 275, 23 — 2ö.
Klopstock übrigens, der 1803 starb, erlebte das Erscheinen
von Vossens .Zeitmessung der deutschen Sprache' (s. 264, 34)
gerade noch.
• jPublii Virgilii Maronis Georgicon libri quatuor. Des Publlas 30
Virgilius Maro Landbau, vier Gesänge. Uebersezt und er-
klärt von lohann Heinrich Voss. Eutin bei dem Verfasser,
und Hamburg bei C. E. Bohn. 1789'.
In der Vorrede wird auf S. XIII— XXII von der Metrik
des Hexameters gesprochen und an einem Beispiel aus dem 35
.Messias' gezeigt, in welcher Weise ,,der Klopstockische Vers
vom alten Hexameter" sich häufig „verliert".
1823 REIXEKE FUCHS. 275
][März, zwischen 12 und IJ. Weimar] [529]
haften Technik gute Aufnahme und nicht vergänglichen
Werth verleihen durften. Was an ihnen zu tadeln sei,
werde sich, dacht' ich, am Ende schon finden; und so
5 wendete ich jede Stunde, die mir sonst übrig blieb, an
eine solche schon innerhalb der Arbeit vorläufig dank-
bare Arbeit, . .
Campagne in Frankreich 1792. — W. 33, 266, 16— 268, 13,
1823.
10 J[Juli 1 ? Eger ?] 530
[Zu 1793.] Eben dieser widerwärtigen Art, alles Sen-
timentale zu verschmähen, sich an die unvermeidliche
Wirklichkeit halb verzweifelnd hinzugeben^, begegnete
gerade , E e i n e k e Fuchs' als wünschenswerthester
15 Gegenstand für eine, zwischen Uebersetzung und Umar-
beitung schwebende Behandlung. Meine, dieser u n h e i -
1 i g e n W e 1 1 b i b e P gewidmete Arbeit gereichte mir
zu Hause und auswärts zu Trost und Freude. Ich nahm
sie mit zur Blockade von Mainz, der ich bis zum Ende der
20 Belagerung beiwohnte: auch darf ich zu bemerken nicht
vergessend dass ich sie zugleich als Uebung im Hexa-
meter vornahm, den wir freilich damals nur dem Gehör
nachbildeten. Voss, der die Sache verstand, wollte, so
lange Klopstock lebte, aus Pietät dem guten alten Herrn
25 nicht in's Gesicht sagen, dass seine Hexameter schlecht
seien; das mussten wir Jüngeren aber büssen. die wir
* In dem, diesen Worten unmittelbar vorhergehenden. Schluss
satze des Abschnitts 1792 der ,Tag- und Jahres-Hefte" deutet
Goethe auf jene Epoche des ., Realismus", des „verhärteten
30 Sinnes" hin, in der die Freunde sich vergeblich bemühten.
das Weiche („Sentimentale", s. Z. 11 f.) „früherer Gefühle
wieder hervorzurufen" (W. 33, 191, 22 f.), vgl. auch 256. 25 f.
' Diese treffende Bezeichnung findet ihre ausdrückliche Be-
gründung in y. 373—378 des Schlussgesanges.
35 » Zum Yerständniss des Folgenden vgl. 273, 13—274, 17
nebst den dazugehörigen Erläuterungen.
276 REIXEKE FUCHS. 1824
][Juli 1 ? Eger '?] [530]
von Jugend auf uns in jene Ehythmik eingeleiert hatten.
Voss verläugnete selbst seine Uebersetzung der Odyssee,
die wir verehrten, fand an seiner ,Luise' auszusetzen,
nach der wir uns bildeten, und so wussten wir nicht, 5
welchem Heiligen wir uns widmen sollten.
Tag- und Jahres-Hefte, 17Ü3. — W. 35, 22, 2— 23.
][Juli, zwischen 19 und 22, Marienbad.] 531
[Zu 1816.] . . ward . . ,Eeineke Fuchs' durchge-
sehen% . . lo
Tag- und Jahres-Hefte, 181G. — W. 36, 107, 17 f.
August, zwischen 11 und 21, Marienbad. 532
[Zu 1793.]. ... de 1790 ä 1793 . . . ,Eeineke le Ee-
nard'' traduit de l'ancien allemand.
Tabellarische Uebersicht der ,Ouvrages poetiques de 15
Goethe'. — GJ. 15, 18.
] [Zwischen Januar 5 und Februar 11, Weimar.] 533
[Zu 1802.] ,Eeineke Fuchs' durfte nun auch in
jedem leidenschaftlich-leichtfertigen Momente hervor- 20
treten, so war er wohl empfangen und für gewisse Zeit
ebenfalls gepflegt^.
Tag- und Jahres-Hefte, 1802. — W. 35, 144, 28—145,3.
] [Zwischen Juli 18 und October 16, Weimar.] 534
[Zu 1794.] Von litterarischen Arbeiten zu reden, so 25
war der ,Eeineke Fuchs' nunmehr* abgedruckt;
"■ s. Nr. 522. 523.
* Vielleicht ist die Stelle erst 1825 niedergeschrieben, avo
Goethe im Februar. Mai und Juni an diesem Abschnitte der
,Tag- und Jahres-Hefte' arbeitete. 30
* „Ebenfalls", das heisst: wie ,Die Natürliche Tochter' und
,Benvenuto Cellini', dei'en unmittelbar vorher Erwähnung
geschieht. Von Goethes Beschäftigung mit ,Reineke Fuchs'
im Jahre 1802 wissen wir, ausser durch diese Stelle, nur noch
durch den unter Nr. 515 mitgetheilten Tagebuchvermerk. 35
* s. 2.56, 33 f.
1824 REINEKE FUCHS. 277
][Zwisehen Juli 18 und October 16. Weimar.] [534]
allein die Unbilden, die aus A'ersendung der Freiexem-
plare sich immer hervorthnn, blieben auch diessmal
nicht aus. So verdarb eine Zufälligkeit mir die frische
5 Theiinahme meiner Gothaischen Gönner und Freunde.
Herzog Ernst hatte mir verschiedene physikalische In-
strumente freundlichst geborgt, bei deren Eücksendung
ich die Exemplare des Scherzgedichtes beipackte, ohne
derselben in meinem Briefe zu erwähnen, ich weiss
10 nicht, ob aus Uebereilung, oder eine Ueberraschung
beabsichtigend^. Genug, der mit solchen Geschäften Be-
auftragte des Fürsten war abwesend und die Kiste blieb
lange Zeit unausgepackt; ich aber, eine theilnehmende
Erwiderung so werther und sonst so pünetlicher Freunde
15 mehrere "Wochen entbehrend, machte mir tausend Gril-
len, bis endlich nach Eröffnung der Kiste nur Entschul-
digungen, Anklagen, Bedauernisse wiederholt ausge-
drückt, mir statt einer heitern Aufnahme unglück-
licherweise zu Theil wurden.
20 Von der beurtheilenden Seite aber waren Vossens
rhythmische Bemerkungen- nicht tröstlich, und ich
musste nur zufrieden sein, dass mein gutes Verhältniss
zu den Freunden nicht gestört wurde, anstatt dass es
sich hätte erhöhen und beleben sollen. Doch setzte
25 sich alles bald wieder in's Gleiche: Prinz August ftihr mit
seinen litterarischen Scherzen fort, Herzog Ernst ge-
währte mir unausgesetzt ein wohlgegründetes Vertrauen,
. . Auch Voss konnte mit mir zufrieden sein, indem
^ B. Suphan hält für möglich, dass der Grund, wesshalb die
30 Dichtung ..sozusagen als blinder Passagier . . spedirt wurde",
eine ..kleine Trübung des Verhältnisses" gewesen ist. Sei es
nun. dass diese durch die politischen Zeitläufte veranlasst
war. sei es, durch einen jener, unten erwähnten. ..littera-
rischen Scherze" des Prinzen August (B. Suphan: Goethe
35 und Prinz Anglist von Gotha in G.J. 6. 53).
' s. 'S'ossens Brief an Goethe 2-57, 17 — 29.
278 REINEKE FUCHS. 1825
][Zwischen Juli 18 und October 16, Weimar.] [534]
ich auf seine Bemerkungen achtend mich in der Folge
nachgiebig und bildsam erwies^.
Tag- und Jahres-Hefte. 17^14. — W. .35, 34. 20— 35, 24.
1825. 5
Juni 18, Weimar. — s. Nr. 409a. 409b. 53ia.b
1826>
Februar 1, Weiiüar. — s. Nr. 95. o34c
1829.
November 14, Weimar. — s. Nr. 41.5a. 534d lo
1830.
Juni 25. Weimar. — s. Nr. 97. 534e
^ Insofern Goethe bei der Vorbereitung des .Reineke Fuchs' zu
den späteren Drucken und bei der metrischen Ausfeilung der
nach ihm entstandenen Dichtungen die von Voss aufgestell- 15
ten Regeln zu Rathe zog.
Reise der Söhne Megaprazons.
Handschriften : 1. Eine Handschrift, tbeils eigenhändige Nie-
derschrift Goethes, theils Abschrift eines Dictats von
Schreiberhand. Sie enthält von den Bruchstücken dieses
5 Reiseromans nicht mehr, als was die Herausgeber von
Goethes Nachlass im Druck bekannt gemacht haben.
2. Ein Schema von Goethes Hand, welches wo nicht
den Plan des Ganzen, so doch des grüssten Theils der
Dichtung umfasst.
10 Erster BrucTc: 1837, Werke Q. 2 (1), 445—450, mit der Ueber-
schrift: , Reise der Söhne Megaprazons. Fragmente. 1792\
Das Schema ist hier und im zweiten Druck, unter der
Ueberschrift ,,Ein vorgefundenes Stück des Planes", mit-
getheilt, doch so, dass die einzelnen Sätze und Worte des-
15 selben, nach dem Ermessen der Herausgeber, zu Gmppen
vereinigt worden sind.
Die Dichtung steht hier, in der Abtheilung „Romane
und Novellen'", zwisclieu , Wilhelm Meisters Wander-
jahren' und den , Unterhaltungen deutscher Ausgewan-
20 deiten'.
Zioeiter Druck: 1842, Werke N. .56, 179—206. Die Teberschrift "
wie im ersten Druck, doch ohne die Jahreszahl 1792.
Ueber das Schema, vgl. den ersten Druck.
Die Dichtung steht hier, zusammen mit sehr Unglelch-
25 artigem, in der Abtheiluug ,. Verschiedenes Einzelne."
Weimarer Ausgabe : 1895, W. 18, 359—383 und 49.5— .503. Das
Schema ist hier, im Gegensatz zum ersten und zweiten
Druck, genau nach Goethes Handschrift abgedruckt.
Ferner hat die Reihenfolge der Bruchstücke, nach Mass-
so gäbe des Schemas, eine Berichtigung erfahren. Wegen der
Stellung vgl. 211, 29 f.
280 REISE DER SOEHXE MEGAPRAZONS. 1820
1820.
] [Februar 28, Weimar.] 535
[Zu 1792, November.]. Ich hatte seit der Eevolution,
mich von dem Avilden Wesen einigermassen zu zerstreuen,
ein wunderhares Werk begonnen, eine Keise von sieben 5
Brüdern^ verschiedener Art, jeder nach seiner Weise
don Bunde dienend, durchaus abenteuerlich und mähr-
chenliaft, verworren, Aussicht und Absicht verbergend,
ein Gleichniss unsers eignen Zustandes. Man ver-
langte eine Vorlesung, ich Hess mich nicht viel bitten lo
und rückte mit meinen Heften hervor; aber ich be-
durfte auch nur wenig Zeit um zu bemerken, dass nie-
mand davon erbaut sei. Ich Hess daher meine wan-
dernde Familie in irgend einem Hafen und mein weite-
res Manuscript auf sich selbst beruhen^. 15
Campagne in Frankreich 1792. — W. 33, 191, 7—19.
^ In den erhaltenen Bruchstücken der Dichtung treten nur
sechs Brüder auf; auch nach dem Schema sind es ihrer nur
sechs, doch tritt hier als siebenter Reisegenosse der Vater
selbst auf. 20
' Die Zuhörer bei dieser Vorlesung waren Friedrich Heinrich
Jacobi und dessen Familienkreis in Pempelfort bei Düssel-
dorf, wo Goethe, auf der Rückkehr aus dem Feldzug. im No-
vember 1792 mehrere Wochen verlebte.
Weder im Tagebuch noch in Briefen, uocli in den Tag- und 25
Jahres-Heften gedenkt Goethe der Dichtung; auch wird sie
im chronologischen Verzeichnis« der Werke vom Jahre 1819
nicht aufgeführt, und ist erst aus Goethes Nachlass an die
Oeffentlichkeit getreten.
Eine Darlegung ihres muthmasslicheu Verlaufs, an der 30
Hand des erhaltenen Planes, gibt Heinrich Düntzer in seinen
.Erläuterungen' 15, 12—88 (früher schon in den , Studien'
S. 1-12).
Roman in mehreren Sprachen.
1809.
][Nacli October 10, ?] ^36
[Zu IT 60. — Im ältesten biographischen Schema
(s. 29, 7 — 9) heisst es unter],
1T60^: Eoman in mehreren Sprachen. Einleitung,
Englisch, Judendeutsch".
W. 26, 349, 17—19.
1811.
10 ] [Erste Hälfte des Jahres.] 537
[Zu 1760.] In Gefolg von diesem^' hegte mein Yater
eine neue Sorsrfalt. dass auch das Englische hübsch in
15
20
25
^ Statt der im Original stehenden, offenbar unrichtigen Jahres-
zahl 1750 wird von den Goetheforschern übereinstimmend
1760 als das höchst wahrscheinlich von Goethe gemeinte .Jahr
angenommen.
= Vgl. 283, 5—10.
ä Nicht lange vorher war ein englischer Sprachmeister in
Frankfurt erschienen, „welcher sich anheischig machte,
innerhalb vier AVocheu, einen jeden, der nicht ganz roh in
Sprachen sei, die englische zu leliren und ihn so weit zu
bringen, dass er sich mit einigem Fleiss weiter helfen könne.
, . . Mein Vater entschloss sich auf der Stelle den Versuch
zu machen, und nahm mit mir und meiner Schwester bei dem
expediten Meister Lection" (Dichtung und Wahrheit Theil 1.
Buch 4, W. 26. 194, 20— 195, 1).
2S2 ROMAN IX MEHREREN SPRACHEN. 1811
] [Erste Hälfte des Jahres]. [537]
der Eeihe der übrigen Spraclibeschäftigungen bliebe.
Xun bekenne ich, dass es mir immer lästiger wurde,
bald an? dieser, bald aus jener Grammatik oder Bei-
spielsammlung, bald aus diesem oder jenem Autor den 5
Anlass zu meinen Arbeiten zu nehmen, und so meinen
Antheil an den Gegenständen zugleich mit den Stunden
zu verzetteln. Ich kam daher auf den Gedanken, alles
mit einmal abzuthun, und erfand einen Roman von
sechs bis sieben Geschwistern, die, von einander ent- lo
fernt und in der Welt zerstreut, sich wechselseitig Xach-
richt von ihren Zuständen und Empfindungen mit-
theilen. Der älteste Bruder gibt in gutem Deutsch Be-
richt von allerlei Gegenständen und Ereignissen seiner
Eeise. Die Schwester, in einem frauenzimmerlichen i5
Stil, mit lauter Puncten und in kurzen Sätzen, unge-
fähr wie nachher ,SiegAvart" geschrieben wurde% er-
widert bald ihm, bald den andern Geschwistern, was
sie theils von häuslichen Verhältnissen, theils von
Herzensangelegenheiten zu erzählen hat. Ein Bruder 20
studirt Theologie und schreibt ein sehr förmliches La-
tein, dem er manchmal ein griechisches Postscript hin-
zufügt. Einem folgenden, in Hamburg als Handlungs-
diener angestellt, ward natürlich die englische Corre-
^ Millers Roman .Siegwart. Eine Klostergeschichte' erschieu. 25
anonym, zuerst 1776 in zwei, dann 1777 vermehrt in drei
Theilen zu Leipzig in der Wevgandschen Buchhandlung. G.
V. Loeper sagt bei obiger Stelle in seinen Anmerkungen zu
.Dichtung und Wahrheit': .Siegwart' ..liebt allerdings die
kurzen Sätze, um naive Menschen sicti aussprechen zu 30
lassen, z. B. Franz (I. 69) und den Junker Veit (I. 222). Vor-
züglich aber hatte Goethe wohl die Briefe Theresens an
ihren Bruder Siegwart im Auge" (WH. 20, 323 zu S. 115
unten). Aehnlich äiis^ert sich Düntzer (Erläuterungen 36.
34: WD. 17. 1.54 zu Z. 30). Der Ausdruck ..mit lauter Puncten" 35
(er kann. Aveil ., 11 n d in kurzen Sätzen" folgt, nicht auf die
Satzlänge bezogen werden) hat mit , Siegwart' nichts zu thun.
1811 ROMAN IN MEHREREN SPRACHEN. 283
][Erste Hälfte des Jahres.] [537]
spondenz zu Theil, so wie einem Jüngern, der sich in
Marseille aufhielt, die französische. Zum Italienischen
fand sich ein Musicus auf seinem ersten Ausflug in die
5 "Welt, und der jüngste, eine Art von naseweisem Xest-
quackelchen^ hatte, da ihm die übrigen Sprachen abge-
schnitten Avaren, sich auf's Judendeutsch gelegt, und
brachte durch seine schrecklichen Chiffern die übrigen
in Yerzweillung und die Eltern über den guten Einfall
10 zum Lachen^.
Für diese wunderliche Form suchte ich mir einigen
Gehalt, indem ich die Geographie der Gegenden, wo
meine Geschöpfe sich aufhielten, studirte, und zu jenen
trockenen Localitäten allerlei Menschlichkeiten hinzu
15 erfand, die mit dem Charakter der Personen und ihrer
Beschäftigung einige Verwandtschaft hatten. Auf diese
Weise wurden meine Exercitienbücher viel voluminöser;
der A'ater war zufriedener, und ich ward eher gewahr,
was mir an eigenem Yorrath und an Fertigkeiten ab-
20 ging.
Dichtung und Wahrheit Theil 1. Buch 4. — W. 26, 195,
11— 196. 25.
^ Im .Werther' (Buch 1. Brief vom 1. Julius) heisst es:
., . . [Lotte] herzte seinen garstigen, schmutzigen, jüngsten
25 Buben, das Quakelchen seines Alters'- ( W. 19. 42. 19—21). Des
Raben Sohn im .Reineke Fuchs' wird „Quackeier" genannt
rOesang 9. V. 247 f.. W. .öO, 127).
Ein Quack oder Quak ist ..einer, der .quack' oder einen
ähnlichen Ton hören lässt" (Grimms Deutsches Wörterbuch
30 Band 7 Spalte 2289 f.), also zum Beispiel der Frosch, die
Ente, der Rabe; Quackel (mittellateinisch quaquila) die Wach-
tel. Davon abgeleitet ist die Koseform Quackelchen oder
Quakelchen, und Nestquack. Nestquackelchen, das heisst:
das Jüngste im Neste Hn Thüringen ., Nesthäkchen").
35 * Dass Goethe in jungen Jahren auch sonst das Judendeutsch
scherzweis verwenden mochte, beweist das erhaltene Bruch-
stück einer ,Judenpredigt' ( W. 37, 59 f., dazu W. 38. 221 f.)
284
ROMAN IN MEHREREN SPRACHEN.
1819
1819.
] [Februar 14, Weimar.] 538
[Zu 1760.] Yielschreiberei in mehreren Sprachen,
durch frühzeitiges Dictiren begünstigt^.
Tag- und Jahres-Hefte, ^'ou 1749 bis 1764. — W. 3ö. 5
3, 13 f.
* s. Nr. 537. Ueber das ,. frühzeitige Dictiren" vgl. 203, 19 —
204, 17.
Roman über das Weltall.
Unter der, eiuem Briefe Goethes an Charlotte von Stein ent-
lehnten, Bezeichnung , Roman über das "Weltall' (s. Xr. 542)
sind hier eine Reihe von Aeusseiiingen zusammengeordnet,
5 deren Deutung unsicher ist, die sich aber alle ohne Zwang auf
jene grossartige Dichtung von der ,Weltschöpfuug" oder ,Welt-
ersehaffung' beziehen lassen, die Goethe zwar nicht vollendet
hat, von der uns aber das Bruchstück ,Die Natur", die .Ab-
handlung über den Granit' und der Plan einer , Allgemeinen
10 Geschichte der Natur' eine Ahnung geben können. Auch dürfen
wir annehmen, dass spätere Gedichte, wie manche der in der
Gruppe „Gott und "Welt" vereinigten, besonders ,Die Metamor-
phose der Pflanzen' und .Metamorphose der Thiere', sich nach
und nach aus Keimen entfaltet haben, die schon der Plan jenes
15 unausgeführten, allumfassenden Naturepos enthielt.
Das antike Yersmass der eben genannten Gedichte deutet
schon an, dass Goethe in späterer Zeit statt der romanartigen
Prosa-Behandlung eine rhythmische plante. Sonach würde hier
der umgekehrte Vorgang sich vollzogen haben, wie bei dem.
20 ursprünglich als Epos (in Hexametern?) geplanten, Stoffe der
„Jagd", der später in imgebundener Rede (als die , Novelle')
Gestalt gewann.
Der zu Anfang des Jahres 178.3 im ..Journal oder Tagebuch
von Tieffurth' unter dem Titel , Fragment' erschienene Aufsatz
25 oder Hymnus über die Natur (SdGG. 7, 258—261) kann, ganz
abgesehen hier von dem Zweifel, ob und wie weit Goethe der
Verfasser desselben ist. trotz seines wahrhaft dichterischen
Charakters, nicht wohl als ein dem .Roman über das "Weltall'
angehöriges Bruchstück betrachtet werden. Goethe bezeichnet
30 das Schriftstück sowohl 1783, in seinem Briefe an Knebel vom
3. März (Br. 6, 134, 3), als auch 1828 in seinem erläuternden
Schreiben darüber an den Kanzler von Müller (Nat. "Vi'. 11,
286 ROMAN UEBER DAS WELTALL. 1780
10—13) als „Aufsatz", an letzterer Stelle auch als „Betrach-
tungen'", und es ist von den Herausgebern der Werke in die
Abtheilung der naturwissenschaftlichen Schriften aufgenom-
men worden (Mat. W. 11, 5—9).
Das Gedicht , Metamorphose der Thiere' dagegen wird von 5
manchen für einen Theil des grossen Naturgedichts gehalten,
so zum Beispiel von Victor Helm (vgl. GJ. G, 228 f.». Den An-
fang (V. 1):
„Wagt ihr, also bereitet, die letzte Stufe zu steigen"
nennt Gustav von Loeper „wie aus der Mitte eines umfassen- lo
deren Gedichts sich zu einer Einzeldarstellung wendend. Jetzt
kann er als Anschluss an das vorangegangne Gedicht von der
Pflauzenmetamorphose genommen werden" (WH., zweite Aus-
gabe, 2, 530).
Goethe hat später die .Metamori^hose der Thiere". mit an- 15
deren naturwissenschaftliclieu Gedichten, in die grosse Samm-
lung seiner lyrischen Dichtungen eingereiht; dem entsprechend
wird das Gedicht erst im dritten Theile dieses Werkes be-
handelt.
1 7SO. 20
April 3, Weimar. 539
Von Dramas und Eomanen ist auch Verschiedenes in
Bewegung^.
An Merck. — Br. 4. 202. 14 f.
? April, zwischen 4 und 15. Weimar. 540 25
. . tändle an einem Dranr oder Roman-.
Tgb. 1, 116, 7.
^ Bei den ,, Dramas" ist vor allem an .Egmont' und .Tasso' zu
denken, die „Romane" sind .Wilhelm Meister" und der .Ro-
man über das Weltall". — Vgl. auch die Aeusserungen über 30
BufCons , Epochen der Natur" im gleichen Briefe an Merck
und in dem vom 11. October 1780 (Br. 4, 202. 19—25. 311,
19-22).
* Der Ausdruck „tändle" passt im Grunde weder auf .Tasso',
noch auf ,Wilhelm Meister' oder den .Roman über das Welt- 35
all'; mit den zu letzterem nöthigen Studien war es Goethe
^, Ernst", er hatte sich ihnen „mit einer völligen Leidenschaft
-ergeben" (Br. 4, 809, 28. 312. 2).
Ist es erlaubt, obige Bemerkung auf die im Tagebuch theils
1781 ROMAN UEBER DAS WELTALL. 287
10
?] September 9. [Ilmeuau.] und lu. .^tützerbach. 541
9. [Xachts.]. . . . hab' immer schreiben wollen, bald
an Sie, bald an meinem Eoman nnd bin immer nicht
dazu gekomm.en.
10. Abends Früh hab' ich einige Briefe des
grossen Romans geschrieben. Es wäre doch gar hübsch,
wenn ich nur vier "Wochen Ruh hätte, um wenigstens
Einen Theil zur Probe zu liefernd
An Ch. T. Stein. — Br. 4. 2S7. 1 f. 15^22.
1781.
December 7, Erfurt. 542
Meinen neuen- Roman über das "Weltall hab" ich
unmittelbar, theils kurz vorhergehenden Worte zu beziehen
(Tgb. 1, 115, 25 f. 116, 6k ..Las zur Geschichte Herzog Bern-
15 hards. . . . indess erhol' ich mich in der Geschichte"? Dachte
Goethe gelegentlich auch an eine dichterische Behandlung
dieses Gegenstandes und ..tändelte" an einem Entwurf des-
selben als ..Dram" oder Roman"? Der Ausdruck ..oder'*
würde dann an Verständlichkeit gewinnen.
■20 ^ Auch bei diesen beiden Stellen ist die Beziehung, wie bei
der vorigen, unsicher; die Deutung auf , Wilhelm Meister'
erscheint durchaus erlaubt. Doch nahmen allerdings Beo-
bachtungen über die Bildung und Umbildung des Erd-
körpers auf dieser Geschäftsreise in das Thüringer Wald-
25 gebirge Goethe ganz besonders in Anspruch. Einen Tag vor
dem obigen Briefe, am 8. September, theilt er derselben
Freundin mit: „Jetzt leb' ich mit Leib und Seel" in Stein
und Bergen, und bin sehr vergnügt über die weiten Aus-
sichten, die sich mir aufthun, . . Die Welt kriegt mir nun
30 ein neu ungeheuer Ansehn" (Br. 4. 285. 8 — 13).
Das Wort „Briefe" in folgender Stelle aus Knebels Tage-
buch vom 3. October ITSO: ..Goethe las mir von seinen Sachen
vor. Ode an die Phantasie. Briefe etc.'" wird von Düntzer
(Goethe und Karl August S. 129i auf den .Roman über das
35 Weltair und damit auf Z. 5 f. der obigen Aeusserung be-
zogen.
' Im Gegensatz etwa zu .Wilhelm Meister*, dem schon 1777
begonnenen ..alten" Romane?
2S8 KOMAX UEBER DAS WELTALL. 17S4
[December 7, Eit'urt.] [542]
unterwegs^ noch diirchgedacht und gewünscht, das^
ich Dir ihn dictiren könnte, es gäbe eine Unterhaltung
und das Werk käme zu Papier-.
An Cb. V. Stein. — Br. .5, 232,8—11.
178^.
Juni 7, Eisenach. 543
Die Berge und Klüfte versprechen mir viel Unter-
haltung, sie sehen mir zwar nicht mehr so malerisch
^ Zwischen Weimar und Erfurt. Am Abend des G. Decem- lO
bei's Avar Goethe von Weimar aufgebrochen, um dem Herzog
Karl August zur Jagd nach Eiseuach zu folgen.
^ Wenn es für die folgenden zwei .Jahre an Zeugnissen fehlt,
die Goethes Beschäftigung mit dem Romau beweisen, so
gingen doch die ihm gewidmeten Vorstudien ununterbrochen 15
fort. Bedeutende Aeusserungen über die Fortschritte von
Goethes geologischen Kenntnissen enthalten unter Anderem
die Briefe an Merck (1782 October 27), an Knebel (1782 No-
vember 21), an Charlotte von Stein (1783 September 20, Br. 6,
76,11—77,5. 98,5—9. 199,19—22). 20
Am 18. Januar 1784 meldet Goethe au Frau von Stein:
,, Ich habe heut früh an meiner Abhandlung
über den Granit dictirt, . ." (Br. 6, 236, 13 f.). lu
dieser heisst es, mit verhüllter Hindeutung auf ,Werther' und
mauclie andre ,, Schilderung des menschlichen Herzens": 25
,,Ich fürchte den Vorwurf nicht, dass es ein Geist des Wider-
spruches sein müsse, der mich von Betrachtung und Schilde-
rung des menschlichen Herzens, des jüngsten, manuichfal-
tigsten, beweglichsten, veränderlichsten, erschütterlichsten
Theiles der Schöpfung zu der Beobachtung des ältesten, feste- so
sten, tiefsten, unerschütterlichsten Sohues der Xatur geführt
hat. Denn man wird mir gerne zugeben, dass alle natürlichen
Diuge in einem genauen Zusammenhange stehen, dass der
forschende Geist sich nicht gerne von etwas Erreichbarem
ausschliessen lässt. Ja man gönne mir, der ich durch die Ab- 35
Wechselungen der menschlichen Gesinnungen, durch die
schnellen Bewegungen derselben in mir selbst und in andern
manches gelitten habe und leide, die erhabene Ruhe, die
jene einsame stumme Nähe der grossen, leise sprechenden
1784 ROMAN UEBER DAS WELTALL. 289
[Juni 7, Eisenach.] [543]
und poetisch aus, doch ist's eine andre Art Malerei
und Poesie, womit ich sie jetzt besteiget
An Ch. V. Stein. — Er. 6, 288, 13—16.
5 Xatur gewährt, und wer davon eine Abudimg hat, folge mir"
(,Ueber den Grauif, Xat. W. 9, 173, 5—21).
* Das heisst: mit der Einbildungskraft des genialen Natur-
forschers, welche, der dichterischen nah verwandt, die ver-
wirrende Masse der Eiuzelerfahrungeu ordnet und die in ihr
10 gesetzmässig waltende Harmonie aufdeckt.
Fernere Zeugnisse für Goethes geologische P^orschuugen,
die man als Vorarbeiten zu dem geplanten , Roman über das
Weltall' allenfalls betrachten kann, finden sich besonders
in den Briefen an Charlotte von Stein vom 12. und 17. Juni,
15 27. August und .5. October 1784 (Br. C, 297,27—298,2. 302.
27—303,4. 346,4—14. 366,16—21). Am 7. Juni 1785 meldet
er der gleichen Freundin von Ilmenau aus: „Ich habe . .
etwas au meiner Gebirgs-Lehre geschrieben". Dieser Aus-
druck ,, Lehre" schon zeigt, dass das, was an dem Plane rein
20 poetisch sein mochte, immer mehr gegen das Wissenschaft-
liche zurücktrat.
An einem Modell wollte «^oethe seine Ideen über die Ent-
wickelung der Erde anschaulich machen. Von ihm habe er
viel geträumt, schreibt er am 8. September 1786, auf der
25 Höhe des Brennerpasses, in sein Tagebuch, und: „Zu meiner
Weltsch«'3pfung hab' ich manches erobert" fTgb. 1, 160, 25).
— Reich an dichterischen, wie an naturwissenschaftlichen
Früchten war der Zeitraum von vierzehn Jahren, der
zwischen der obigen und der zunächst folgenden Aeusserung
30 liegt. Goethe erzählt in seiner Erläuterung zu dem aphoristi-
schen Aufsatz ,Die Natur': „In jenen Jahren, wohin ge-
dachter Aufsatz fallen möchte, war ich hauptsächlich mit
vergleichender Anatomie beschäftigt und gab mir 1786 [1784]
unsägliche Mühe, bei anderen an meiner Ueberzeugung: dem
35 Menschen dürfe der Zwischenknochen nicht
abgesprochen werden, Theilnahme zu erregen. . . .
Die Yersatilität der Natur im Pflanzenreiche verfolgte ich
unablässig, und es glückte mir Anno 1788 [1787] in Sicilien,
die Metamorphose der Pflanzen, so im Ansehauen wie im Be-
*o griff, zu gewinnen [1790 veröffentlichte Goethe seinen ,Ver-
Gräf, G oethe über s. Dichtungen T. I. 19
290 ROMAN UEBER DAS WELTALL. 1798
1798.
Juni 18, Jena. 543a
Abends zu Schiller, über die Möglichkeit einer Dar-
stellung der Naturlehre durch einen Poeten^
Tgb. 2, 212, 22—24. 5
Juli 16, Weimar. 543b
Ich lege Dir das vergessne Blatt [das Gedicht ,Die
Metamorphose der Pflanzen'], bei und kann mir eine
gute Aufnahme versprechen.
Ich denke vielleicht ehestens ein Gedicht über die i»
magnetischen Kräfte, auf eben die Weise, aufzustellen.
Man muss einzeln versuchen, was im Ganzen unmöglich
werden möchte-.
An Knebel. — Br. 13. 213, 6-11.
such die Metamorphose der Pflanzen zu erklären']. Die 15
Metamorphose des Thierreichs lag nahe dran, und im Jahre
1790 offenbarte sich mir in Venedig der Ursprung des
Schädels aus Wirbelknochen; ich verfolgte nun eifriger die
Construction des Typus, dietirte das Schema im Jahre
1795 . ." (Nat. W. 11, 11, 17—22. 27— 12, 7). 20
Durch das Studium des Hexameters im Gefolg der eigenen
grossen und kleinen Dichtungen in diesem Versmasse, durch
den Ideenaustausch mit Schiller und Schelliug, durch die
theilnahmvoll begleitete Arbeit Knebels an der Verdeut-
schung des Lehrgedichts ,De rerum natura' von dem Römer 25
Lucretius, im Gefolg endlich des Wandels und Wachsthums
der eignen Naturanschauuug gewann auch, wie es scheint,
der Plan jener grossen, das Naturgauze umfassenden, Dich-
tung andere Gestalt. Doch lässt sich diese aus den wenigen
und dürftigen Aeusserungen, die uns erhalten sind, nicht 30
ahnen, geschweige denn klar erkennen.
^ An diesem und dem vorhergehenden Tage ist das Gedicht
,Die Metamorphose der Pflanzen' entstanden.
' In Knebels Antwort vom 18. Juli heisst es: „So führst Du
also die Poesie auf die simplen belehrenden Formen wieder 35
zurück, die sie zum Theil bei den Griechen und Römern
hatte. So haben Empedokles, Lucrez, Virgil
und so viele Andere, die Naturkenntnisse, die sie hatten, in
Verse gebracht. Es ist wahrer Sinn der Sache und erhebt
1799 ROMAN UEBER DAS WELTALL. 291
1799.
Januar 18, Weimar. 543c
Knebels Lucrez erstes Buch^. . . . Abends mit
Schiller. Ideen zu einem Natur-Gedichte.
Tgb. 2, 230, 14 f.
Januar 22, Weimar. o43d
Das erste Buch Deines Lucrez habe ich erhalten^ und
will es im Februar mit nach Jena nehmen. Indem ich
es durchlas, hat sich manches bei mir geregt, denn seit
dem vorigen Sommer habe ich oft iiber die Möglichkeit
die Poesie von einer gefälligen Freundin zur Lehrerin. Ich
freue mich herzlich darüber, auch dass Du den eiteln poe-
tischen Schmuck verworfen hast. Die Sache und ihr reiner
Vortrag muss sich selbst hier durch höhere Schönheit
15 schmücken. . . .'■ (G.-Knebel 1, 182.)
'■ Tags vorher hatte Knebel, von Ilmenau aus, das Manu-
script an Goethe geschickt (vgl. G.-Knebel 1, 200). Das Werk
erschien erst zweiundzwanzig Jahre später, unter dem Titel:
,T. Lucretius Carus von der Natur der Dinge. . . Leipzig
.20 bei Georg Joachim Göschen 1821' 4".
An Matthisson hatte Knebel am 1.5. Januar 1799 geschrie-
ben: ,,Das Wichtigste, was ich Ihnen zu sagen vergessen
habe, ist. dass Goethe im Ernste daran zu denken scheint,
ein Gedieht in der Art des Lucrez zu verfertigen. Es war
-.25 diess längst mein geheimer Wunsch, da ich mich selbst von
dieser Bahn, die eine Hoffnung meiner Jugend war, durch
Alter und Umstände verscheucht sehe. Er kann es mit
höherm Sinn und grössern Kräften, und es dürfte vielleicht
der dauerndste Lorbeer in seinem Kranze werden. Er
.30 rechnet auf meine Uebersetzung als Basis zu seiner Arbeit"
(Friedrich v. Matthisson's Literarischer Nachloss nebst
einer Auswahl von Briefen seiner Freunde. Berlin, bei
August Mylius. 1832' 3, 8. — Vergleicht man die letzten
Worte, Z. 30, mit dem, was Goethe am 22. Januar an
35 Knebel schreibt (292, 7), so möchte man anuehmen, dass
Knebels Brief an Matthisson erst nach Empfang von
Goethes Schreiben abgefasst wäre).
- Vgl. die vorhergehende Erläuterung.
292 ROMAN UEBER DAS WELTALL. 1799
[Januar 22, Weimar.] [543d]
eines Xaturgediehtes iu iinsern Tagen gedacht, und seit
der kleinen Probe über die Metamorphose der Pflanzen
bin ich verschiedentlich aufgemuntert worden^ Um so
interessanter wäre es auch für mich, wenn Dein Lucrez 5
recht vollendet in unserer Sprache hervorgehen könnte,
damit das Alte als die Base des Xeuen dastünde-.
An Knebel. — Br. 14, 9, 19—10, 5.
März 22, Jena. 543e
■'^Jenes grosse Xaturwerk habe ich auch noch nicht 1*
* Das Gedicht ,Die Metamorphose der Ptlanzon' war Ende
179vS in Schillers ,Musen-Almanach für das Jahr 1799' er-
schienen.
^ Knebel erwiderte am 16. Februar: „Die Möglichkeit eines
Naturgedichts von Deiner Arbeit, die Du mich ahnen lassest, 15
hat mich mit innigster Freude erfüllt. Schon lange war es
mein geheimer Wunsch, und er ist auch mir bei Deinem Ge-
dichte über die Metamoi-phose der Pflanzen gewachsen. Es
ist allerdings ein ungeheures Uuieruehmeu, das aber Deine
Schultern allein zu tragen vei'iuügeu. Selbst in Rücksicht 20
des Gemüthes würde es ein Wagestück sein, da Du Dich
von der Wahrheit des Lucrezischen Geistes nicht würdest
entfernen wollen. Zu einer Zeit aber, wo man, aus Mangel
gesunderer Grundsätze, offenbar ein Verfinsterungssj'stera
einzuführen sucht, würde man bei Aufdeckung solcher Wahr- 2s
heiten, um deren willen es fast allein der Mühe werth wäre,
eine solche Arbeit zu unternehmen — Gefahr laufen. Der
Himmel segne Dich, und setze Deinen vielen Bemühungen
den schönsten Kranz dadurch auf!" (G. -Knebel 1, 202 f.)
' Am 15. März hatte Goethe Knebeln brieflich mitgetheilt, so
dass er eine epische Dichtung über den Tod des Achilleus
plane (s. Nr. 48); da er des Naturgedichtes bei dieser Gele-
genheit keinerlei Erwähnung gethan hatte, schrieb Knebel
in seiner Antwort vom 19. März: „Dass Du, wie es scheint,
von der Idee eines Lucrezischen Gedichts abgekommen bist. 35
nimmt mich eigentlich nicht AVunder. Der Stoff gehört zu
den widerstrebenden und vei'einigt sich nicht eigentlich mit
dem wahren Sinne der Dichtung" (G.-Knebel 1, 206). Hierauf
erwidert Goethe, wie folet.
1799 ROMAN UEBER DAS WELTALL. 293
[März 22, Jena.] t'^^®]
aufgegeben. ^Mir deucht, icli könnte den Aufwand von
Zeit und Kräften, die ich an jene Studien gewendet,
nicht besser nutzen, als wenn ich meinen Yorrath zu
5 einem Gedicht verarbeite. Du hast den kleinen Ver-
such über die Metamorphose der Pflanzen gut aufge-
nommen^ und Herder hat mir auch etwas besonders
Freundliches darüber gesagt, welches mich sehr er-
muntert, an das grössere Werk zu denken. Freilich ist
10 es im Ganzen ein fürchterlicher Anblick, doch muss
man denken, dass man nach und nach durch anhalten-
den Fleiss vieles zu Stande bringt-.
An Knebel. — Br. 14. 52, 2.3-53, 9.
Mai S, Jena. ^^^
15 Abends mit Hofrath Schiller gegen Lobeda spazieren
gefahren. Die Idee von dem Xaturgedichte durchge-
sprochen^.
Tgb. 2. 216, 25—27.
October 4, Jena. »43g
20 Abends zu Schiller, über Naturphilosophie. [Ueber]
Poetischen Vortrag derselben.
Tgb. 2. 263, 16—18.
1 Vgl. 290, 34—291, 15.
- Knebels Antwort s. 21. 3?.— 30. Im unmittelbaren Anscbluss
25 an das dort Angeführte schreibt Knebel: „Zuweilen denk'
ich. wie solclies werden kann'. Der Lucrezische Weg kann
Dein Weg nicht sein. Dieser fasste alles zusammen, wie in
einem orbls pictus, weil die Wissenschaft noch enge war, und
die philosophische Welt noch etwas unmündig. Dass dieses
30 anders geworden sei. ist klar. Indessen hat doch diese Un-
mündigkeit und Enge dem Werk, als Gedicht, aufgeholfen,
da es mehr für die Sinne zu sprechen fand, wo wir jetzt,
in allgemeinerer Ausiclit. nur dem Verstände reden" (G.-
Knebel 1. 208).
35 » Sachlich gehört hierlier und in den Sommer dieses Jahres
Nr. 543i.
294 ROMAN UEBER DAS WELTALL. 1S19
1819.
Juli 18, Jena. 543h
[Nachmittags] Naturgedicht. Daher und dahin
Fliessendes^
Tgb. 7, 71, 21 f. 6
1833.
][Juni 30 oder Juli 1, Eger.] 543i
[Zu 1799.]. . . so war auch Schiller aufgeregt, unab-
lässig die Betrachtung über Xatur, Kunst und Sitten
gemeinschaftlich anzustellen. Hier fühlten wir immer lo
mehr die Xothwendigkeit von tabellarischer und. sym-
bolischer Behandlung. ... so ist denn auch das
Schema der Farbenlehre öfters bearbeitet worden.
. , . Schelling theilte die Einleitung zu seinem Ent-
wurf der Naturphilosophie- freundlich mit; er besprach 15.
gern manclierlei Physikalisches, ich verfasste einen all-
gemeinen Schematismus über Xatur und Kunst^.
Im August und September bezog ich meinen Garten
am Stern, um einen ganzen Mondswechsel durch (?in
* Es ist zweifelhaft, ob dieser Vermerk sich auf das Ganze der 20
geplanten Dichtung bezieht, oder nur auf das 1806 entstan-
dene Gedicht »Metamorphose der Thiere', dessen Goethes
Tagebuch (7, 82, 5 f.) auch am 14. August 1819 gedenkt, und
das bald darauf, 1820, im zweiten Hefte des ersten Bandes
,Zur Moiphologie' erschien. 2&
Die gleichzeitige Beschäftigung aber mit Knebels Lucrez-
übertragung (am Abend des 12. und 17. Juli, Tgb. 7, 69, 17 f.
71, 16 f.) macht es doch wahrscheinlich, dass hier das ,.Xatur-
gedicht" als Ganzes gemeint sei. dass also Goetheu auch jetzt
noch der alte, seit mehr als dreissig Jahren gehegte, Plan 30.
„vor der Seele schw^ebte" (vgl. 295, 5 f.).
* , Einleitung zu seinem Entwurf eines Systems der Natur-
philosophie. Oder: Lieber den Begriff der speculativen Phy-
sik . . Ton F. W, J. Schelling. Jena und Leipzig, bei
Christian Ernst Gabler. 1799'. 3S
* Goethes Tagebuch (2, 267, 15 f.) vermerkt unter dem 29. Oc-
tober 1799: ..Ueberlegung eines allgemeinen Schematis über
Natur und Kunst zu etwanigen Vorlesungen"'.
3823 ROMAN UEBER DAS WELTALL. 295
][Juni 30 oder Juli ], Eger.] [543i]
gutes Spiegel-Teleskop zu beobachten, und so ward ich
denn mit diesem, so lange geliebten und bewunderten
Nachbar endlich näher bekannt. Bei allem diesem lag
ein grosses Xaturgedicht, das mir vor der Seele
schwebte, durchaus im Hintergrund^.
Tag- und Jahres-Hefte, 1799. — W. 35, 83, 17—22. S4, 3 f.
7—19.
^ Dauernd hinderte der ungeheure Umfang des Stoffs die Aus-
10 führung dieses „Xaturgedichts". Bis in sein hohes Alter aber
fuhr Goethe fort, gelegentlich in kleineren Gedichten die eine
und andere seiner naturwissenschaftlichen Ideen zu gestalten,
denn, wie er 1798 an Knebel geschrieben hatte: .,Man muss
einzeln versuchen, was im Ganzen unmöglich werden möchte"
15 (290, 12 f.). Und auch diese Thätiglieit betrieb Goethe „läss-
lich", denn (so schreibt er im Jahre 1821 an Riemer): ,, Leider
ist bei solchen Dingen das "Sn ollen dem Vollbringen nicht sehr
förderlich; es sind Gaben und Gunsten des Augenblicks, die
zuletzt, nach langer Vorbereitung, zufällig, ungefordert er-
20 scheinen" (Briefe von und an Goethe S. 220).
Auf Riemers Anregung suchte Goethe 1821 seine „in Druck
und Manuscript zerstreuten naturwissenschaftlichen Gedichte
zusammen, und ordnete sie nach Bezug und Folge" (Tag- und
Jahres-Hefte. 1S21. W. 36, 187. 17—20». So entstand die Ge-
25 dichtgruppe ,Gott und Welt', die dann 1827 im dritten Bande
der , Ausgabe letzter Hand' zum erstenmal an die Oeffent-
lichkeit trat.
^^^'^'"^•^^■■^^
Sultan wider Willen.
1808.
November 6, Weimar. 543k
[Früh] ,Wahlver\vandtschaften' und andre Eomau-
gegenstände. , Sultan wider "Willen'^.
Tgb. 3, 397, 3 f.
^ Ueber den Plan macht Riemer fol.ijeude Mittlieilung: „Goelhe
hat sich immer und zumeist im Jahr 1806 mit dieser Ge-
schichte getragen, für die er eine besondere Liebe zu haben
schien. Vier Damen von ganz verschiedenen Cliaraliteren
iuteressiren sich alle für einen Manu. Jede ist auf eine
eigene Art liebenswürdig; jede trifft er. wenn er sich ihr
nähert, seinem Znstande angemessen, allein liebenswürdig,
und unbegreiflich, wie er eine andere lieben kann. u. s. w."
(Riemer 2, 638).
10
15
Teil.
1797.
September 30 bis October 7'. 544
30. September 1797. , . Sehwyz . . . Betrachtung über
die Lage des ganzen Cantons, bezüglich auf politische
Verhältnisse.
Ein viertel auf Xeun gingen wir bei heiterm Sonnen-
schein von Sehwj'z ab und genossen eines herrlichen
Eückblicks auf die ernsten Mvthen ....
;io ^ Die Angabe des Orts ist hier ausnahmsweise weggelassen.
Da Goetlies Reisebescliieibung. saclilich genau mit dem Tage-
buch übereinstimmend, auf Notizen beruht, die, wo nicht an
Ort und Stelle, so doch wohl am Abend jedes Tages oder
wann gerade eine Rast Gelegenheit bot. niedergeschrieben
15 sind, so geben die oben im Text angeführten Ortschaften den
nüthigen Anhalt.
Goethe war mit Meyer am 20. September in Zürich zusam-
mengetroffen und Tags darauf nach Stiifa gefahren, wo der
Freund wohnte. A'on hier aus unternahmen beide eine ge-
20 meinsame Reise nach dem Vierwaldstiitter See und dem St.
Gotthardt. Sie waren vom 28. September bis 8. October unter-
wegs. Die auf die Geschichte Teils und der vier Waldstätte
bezüglichen Stellen in Goethes .Reise in die Schweiz 1797'
sind im Folgenden kurz zusammengestellt.
25 Sachlich gehen der obigen Nr. .544 die .Goethes erste
Schweizerreise (177.">i betreffenden. Aeusserungen Nr. .559a.
559b voraus.
298 TELL. 1797
[September 30 bis October 7.J [544]
Wir kamen nach Brunnen und . . schifften uns ein.
. . . Freiheits-Grütli^. . . . Gegen die Teilenplatte ist
eine schöne Stelle, . . . wir landeten und traten in
Teils Capelle. ... »
G. October 1797. . . gingen wir von Altorf zeitig ab
und kamen nach Flüelen zum Vierwaldstätter See, um
hinab nach Beckenried zu fahren. . . . Wir kamen dem
Axenberg näher; . . man kommt an eine Halbbucht,
dann folgt eine zweite, etwas tiefere, dann die Teilen- lo
platte. Die Beleuchtung war sehr schön, die Capelle lag
im Schatten; . . .
. . . Wir kamen am Grütli vorbei, . . .
. . Stanz . . Wir traten im Gasthofe „Zur Krone"
ein, wo man der Kirche gegenüber auf einen hübschen 15
Platz sieht. In der ISIitte steht ein Brunnen, auf den der
alte AYinkelried gestellt ist, mit den. Speeren im Arm.
Nikolaus von der Flüe hing in der Stube. Auf gemalten
Fensterscheiben waren über verschiedenen Wappen die
Hauptmomente der Schweizerchronik aufgezeichnet. 20
Wir lasen in einem Buche: „Kleiner Versuch einer be-
so-ndern Geschichte des Freistaates Unterwaiden. Lu-
zern 1789.-^2_ ^ _ _
Heilige, Helden, Staatsleute und Frauen aus der Ge-
schichte des Landes. 25
7. October 1797. ... Bei etwas Xebel fuhren wir
ab [über den See]. . . .
* „ Links am See, wenn mau
'Such Brunnen fährt, dem Mythenslein grad' über.
Liegt eine Matte heimlich im Gehölz, 30
Das Rütli heisst sie bei dem Volk der Hirten,
Weil dort die Waldung ausgereutet ward*'
(Schillers .Wilhelm Teil', Aufzug 1 Scene 4, V. 725—729).
* Die Verfasser dieses Werkes, dessen zweiter Theil 1791 er-
schien, sind Franz Nikolaus Zeiger und Joseph Busingor. 35
1797 TELL. 299
[September 30 bis October 7] [544]
Wir sahen uns überall nach dem Eaynalschen Monu-
ment um, aber vergebens; man wies uns den Felsen, wo
es gestanden hatte^. . . .
5 . . Küssnaclit . . . Wir erreichten die Höhe der
kleinen Erdzunge, welche den Yierwaldstätter und den
Zuger See trennt, und wo eine Capelle zum Andenken
von Gesslers Tode steht.
Reise in die Schweiz 1797. — WH. 26, 127—120. 135. 137
10 -139^
October 9, Stäfa^ 54.5
. . die Schweizerchronik wegen der Geschichte des
Teil gelesen und mit Meyer über die Behandlung der-
selben . . gesprochen*.
15 Reise in die Schweiz 1797. — WH. 26, 140.
October 10. Stäfa. 546
. . in Tschudis Chronik weiter gelesen. Zeichnung
Teils mit dem Knaben"^.
Reise in die Schweiz 1797. — WH. 26, 141.
20 ^ Raynal hatte 17S3, auf einer lileiuen Insel im Yiei-wald-
stätter See, den drei Schweizern Walther Fürst, Werner
Stauffacher und Arnold von Melchthal ein Denkmal er-
richten lasspu. Es war durch einen Blitz beschädigt und in
der Folge abgetragen worden (vgl. WH. 26. 201 unier Nr.
25 188, WD. 23, 148 zu Z. 13).
* Die entsprechenden Stellen in Goetlies Tagebuch finden sich
Tgb. 2, 166, 6 f. 22 f. 26—167, 1. 18 f. 26. 168. 11. 16. 178, 10.
12 f. 22—24. 26 f. 179, 8 f. 181. 2.5-182. 11. 25 f. 183, 16—18.
184, 1. 8—10.
30 Sachlich gehört hierher: Nr. .555. 550. 559.
' Am Abend vorher waren Goethe und Meyer von ihrer
Reise durch die Frcantone zurückgekehrt.
* Fast wörtlich übereinstimmend mit der entsprechenden
Stelle in Goethes Reisetagebueh (Tgb. 2. 186. 24—26).
35 " Von Meyer? (Vermuthung Düntzers WD. 23, 161 zu Z. 9.)
,Aegidy Tscbudii Chronicum Helveticum. . . zum ersten-
mal aus dem Originali herausgegeben. . , von Johann Ru-
dolf Iselin, . . Eri^ter Tbeil vom Jahre M bis MCCCCXV.
300 ^J'ELL. 1797
? October 13. Stäfa. 547
[Nach], Zürich [Brief an] Madarne Schulthess. lieber
epische Dichtung, . .^
Briefverzeicliniss 1797. — Br. 12, 470.
October 14, Stäfa. 548 5 ]
Wenn ich Ihnen nun von meinem Zustande sprechen
soll, so kann ich sagen, dass ich bisher mit meiner Reise
alle Ursache habe zufrieden zu sein. Bei der Leichtig-
keit, die Gegenstände aufzunehmen, bin ich reich ge-
worden, ohne beladen zu sein, der StofE incommodirt lo
mich nicht, weil ich ihn gleich zu ordnen oder zu ver-
arbeiten weiss, und ich fühle mehr Freiheit als Jemals,
mannichfaltige Formen zu wählen, um das Verarbeitete
für mich oder andere darzustellen. Von den unfrucht-
baren Gipfeln des Gotthardts bis zu den herrlichen is
Kunstwerken, welche Meyer mitgebracht hat-, führt uns
ein labyrinthischer Spazierweg durch eine verwickelte
Eeihe von interessanten Gegenständen, welche dieses
sonderbare Land enthält. Sich durch's unmittelbare
Ansehauen die naturhistorischen, geographischen, öko- 20
nomischen und politischen Verhältnisse zu vergegen-
Avärtigen, und sich dann durch eine alte Chronik die
vergangnen Zeiten näher zu bringen, auch sonst
manchen Aufsatz der arbeitsamen Schweizer zu nutzen,
Basel MDCCXXXIV 2' (An-abe des Titels nach Ildephons 25
Fuchs: Egidius Tsehudi's von Glarus Leben und Schriften. .
St. Gallen, bei Huber & Cie. 1805 2. 119»: das dem Titel
gegenüberstehende Kupfer zeigt im Hintergrnnde rechts
Teil vor Gessler, links seitwärts den Knaben mit dem Apfel
auf dem Kopfe. Vielleicht wurde Goethe durch diese D.ar- 30
Stellung angeregt, im Augenblick selbst eine Zeichnung zu
entwerfen.
^ „Den Hauptinhalt [dieses Briefes] also bildete wohl eine
Mittheilung über das epische Gedicht ,Tell'. das sich damals
in ihm gestalten wollte, . ." (B. Suphan: Goethe und Bar- 35
bara Schulthess. GJ. IH, 159).
- Aus Italien.
1797 TELL. 301
[October 14, Stäfa.] [548]
gibt, besonders bei der Umschriebenlieit der helvetischen
Existenz, eine sehr angenehme Unterhaltung, und die
Uebersieht sowohl des Ganzen als die Einsicht in's Ein-
5 zelne wird besonders dadurch sehr beschleunigt, dass
Me3'er hier zu Hause ist, mit seinem richtigen und
scharfen Blick schon so lange die Verhältnisse kennt
und sie in einem treuen Gedächtnisse bewahrt. So
haben wir in kurzer Zeit mehr zusammengebracht, als
10 ich mir vorstellen konnte, und es ist nur Schade, dass
wir um einen Monat dem AYinter zu nahe sind; noch eine
Tour von vier "Wochen müsste uns mit diesem sonder-
baren Lande sehr weit bekannt machen.
"Was werden Sie nun aber sagen, wenn ich Ihnen
15 vertraue, dass, zwischen allen diesen prosaischen Stoffen,
sich auch ein poetischer hervorgethan hat, der mir viel
Zutrauen einflösst. Ich bin fast überzeugt, dass die
Fabel vom Teil sich werde episch behandeln lassen,
und es würde dabei, Avenn es mir, wie ich vorhabe, ge-
20 lingt, der sonderbare Fall eintreten, dass das Mährchen
durch die Poesie erst zu seiner vollkommenen "Wahr-
heit gelangte, anstatt dass man sonst um etwas zu
leisten die Geschichte zur Fabel machen muss. Doch
darüber künftig mehr. Das beschränkte, höchst be-
25 deutende Local, worauf die Begebenheit spielt, habe
ich mir wieder recht genau vergegenwärtigt, so wie ich
die Charaktere, Sitten und Gebräuche der Menschen in
diesen Gegenden, so gut als in der kurzen Zeit möglich,
beobachtet habe, und es kommt nun auf gut Glück an,
30 ob aus diesem Unternehmen etwas werden kann^.
An Schiller. — Br. 12, 327, 3— 328, 24.
* Die ganze Stelle findet sich, mit unwesentlichen stilistischen
Aenderungen, in der ,Reise in die Schweiz 1797*, WH, 26,
142 f.
35 Schiller erwiderte am 30. October: „Die Idee von dem
, Wilhelm Teil' ist sehr glfioklich, und genau überlegt
302 TBLL. 1797
October 18, Stäfa. 549
Abends den Anfang von Tschudis Chronik gelesen^.
Tgb. 2, 188, 7 f.
Decenaber 6, Weimar. 550
. . ich werde wohl zunächst an meinen .Faust' gehen, 5
theils um diesen Tragelaphen- los zu werden, theils um
köuuten Sie. nach dem .Meister" und uach dem .Hermann'
nur einen solchen, völlig local-charakttristischeu Stoff, mit
der gehörigen Originalität Ihres Geistes und der Frischheit
der Stimmung behandeln. Das Interesse, welches aus einer lo
streng umschriebenen, charakteristischen Localität und
einer gewissen historischen Gebundenheit entspringt, ist
vielleicht das Einzige, was Sie sich durch jene beiden vor-
hergegangenen Werke nicht weggenommen haben. Diese
zwei Werke sind auch dem Stoff nach ästhetisch frei, und 15
so gebunden auch in beiden das Local aussieht und ist, so
ist es doch ein rein poetischer Boden und repräsentirt eine
ganze Welt. Bei dem .Teil" wird ein ganz andrer Fall sein,
aus der bedeutenden Enge des gegebenen Stoffes wird da
alles geistreiche Leben hervorgehen. Es wird darin liegen. 20
dass man durch die Macht des Poeten recht sehr beschränkt
und in dieser Beschränkung innig und intensiv gerührt und
beschäftigt wird. Zugleich öffnet sich aus diestem schönen
Stoffe wieder ein Blick in eine gewisse Weite des Menschen-
geschlechts, wie zwischen hohen Bergen eine Durchsieht 25
in freie Fernen sich aufthut.
Wie sehr wünschte ich, auch dieses Gedichtes wegen, bald
Wieder mit Ihnen vereinigt zu sein. Sie würden sich viel-
leicht jetzt eher gewöhnen, mit mir darüber zu sprechen, da
die Einheit und Reinheit Ihres .Hermanns' durch Ihre Mit- 30
theilungen an mich, während der Arbeit, so gar nicht ge-
stört worden ist" (Schillers Br. 5, 282).
* Die ,Reise in die Schweiz 1797' hat an dieser Stelle ab-
weichend: ,, Abends in Tschudis Chronik weiter gelesen"
(WH. 26, 151), was nach Düntzers Bemerkung iWD. 23. 167 35
zu Z. 10 f.) eine willkürliche Aenderung Eckermanns sein
soll.
' „Tragelaph" (gr. trag-§laphos = Bockhirsch, ein fabelhaftes
Thier des Orients) ist ein von Goethe öfters gebrauchter
Ausdruck zur Bezeichnung eines wunderlichen Gebildes, in 40
welchem einander Widersprechendes zu Einem verschmolzen
erscheint.
1798 TELL. 303
[December 6, Weimar.] [550]
mich zu einer höhern und reinern Stimmung, vielleiclit
zum ,Tell', vorzubereiten^.
An Schiller. — Br. 12. 372, 5—9.
5 1798.
März 22, Jena. — s. Nr. 7. 550a
März 23, Jena — s. Nr. 8. 0. 550b
März 28. Jena. — s. Nr. 11. 550c
Mai 23. Jena. — s. Nr. 36. 550d
10 Mai 2C. Jena. — s. Nr. 37. 550e
Juni 30, Weimar. 551
Das Beste, was mir indessen- zu Theil geworden ist.
möchte wohl die nähere Motivirung der ersten Gesänge
des , Teils' sein, so wie die klarere Idee, wie ich dieses
15 Gedicht in Absicht auf Behandlung und Ton ganz von
dem ersten [,Hermann und Dorothea'] trennen kann,
wobei unser Freund [Wilhelm von] Humboldt gelobt
werden soll, dass er mir durch die ausführliche Dar-
legung der Eigenschaften des ersten^ das weite Feld
20 deutlich gezeigt hat, in welches hinein ich das zweite
spielen kann. Ich hoffe, dass Sie meine Vorsätze billigen
werden.
An Schiller. — Br. 13. 199. 7—16.
^ Am 8. December antwortete Schiller: ,,Es ist wohl nicht
25 übel, dass Sie zwischen Ihr erstes und zweites Epos [, Her-
mann und Dorothea' und ,Tell'] den .Faust' einschieben.
Sie schwellen dadurch den poetischen Strom, und erregen
sich ein ungeduldiges Verlangen nach der neuen reinen l'ro-
duction. welches schon die halbe Stimmung ist. Der .Faust',
30 wenn Sie Ihn nun durchgearbeitet, lässt Sie auch sicherlich
nicht so, wie Sie zu ihm kommen; er übt und schärft irgend
eine neue Kraft in Ihnen und so kommen Sie reicher und
feuriger zu Ihrem neuen Werke" (Schillers Br. 5. 295).
* Goethe hatte zuletzt am 28. Juni an Schiller geschrieben; die
35 letzte Unterhaltung hatte am 20. Juni in Jena stattgefunden.
' s. 161, 30—32.
304 ^rBLL. 1798
Juli 21, Weimar. 552
Eigentlich sollte man mit uns Poeten verfahren wie
die Herzoire von Sachsen mit Luthern, nns auf der
Strasse wegnehmen nnd auf ein Bergschloss sperren^.
Ich wünschte, man machte diese Operation gleich mit
mir, und bis Michael sollte mein ,Tell' fertig sein-.
An Schiller. — Br. 13, 222, 12—17.
^ Das heisst: sie in eine Lage versetzen, wo sie, ohne alle
Ablenkung und Störung von aussen, ganz ihren Dichtungen
leben könnten. Unmittelbar veranlasst wurde diese Aeusser- lo
ung durch Schillers Klage über die Langsamkeit, mit der
der Bau seines Gartenhauses tortschritt. „Heute habe ich
endlich den Trost, das Häuschen unter Dach bringen zu
sehen. Diese Arbeiten ziehen mich öfters, als nöthig ist,
vom Geschäft ab" (Schillers Br. ö, 407). i&
* Die nächste Aeusserung Goethes über den Gegenstand findet
sich (abgesehen von Nr. o52a) erst fünf Jahre später, und
zwar fast auf den Tag genau, in seinem Tagebuch, wo er
unter dem 22. Juli 1803 vermerkt:
„ [Mit] H o f r a t h von Schiller s p a z i e r e n. 2a
Anlagevon,Tell'";
und zwei Tage weiter, am 24. Juli:
„Schiller C o u s t r. [Construction?] vou , T e 11 '."
(Tgb. 3, 74, 21 f. 75, 2.)
Hier aber handelt es sich bereits um Schillers drama- 25
tische Bearbeitung des Stoffes.
Schiller hatte, wie wir gesehen haben, die briefliche Mit-
theilung von Goethes neuem epischen Plane mit Freuden
begrüsst (s. 301, 35—302, 32) und später auch mündlich dem
Freunde seinen grossen Beifall für den Gegenstand ausge- 30
sprochen (s. 4, 18 f.). Er selbst, überreich an dramatischen
Plänen und vollauf in Anspruch genommen durch die Arbeit
am ,Wallenstein', an ,Maria Stuart' und der ,Jungfrau von
Orleans', hatte bis dahin nie an eine Bearbeitung der Tell-
sage gedacht. Nun aber, im Laufe des Jahres 1801, wurde er 35
wiederholt an sie erinnert durch Anfragen, die von auswärts
zu ihm gelangten. „Ich habe", schreibt Schiller an Cotta, am
16. März 1802, „so oft das falsche Gerücht hören müssen,
als ob ich einen ,Wilhelm Teil' bearbeitete, dass ich endlich
auf diesen Gegenstand aufmerksam worden bin, und das 40
1799 TELL. 305
1799.
? Juli 11. Weimar. 552a
Den Tschudi^ gelesen.
Tgb. 2, 255, 24.
5 1806.
Jan Uli r 16, "Weimar. 553
"Wie Goethe mir [Eiemer] mündlich schon den 16.
Januar 1806 sagte, so sollte sowohl Teil als der Laiid-
vogt in einem heitern Charakter erscheinen; jener
10 mehr der gute, aber unbesonnene Teil, und der
Cbronicon Helveticum vou Tschudi studirte. Diess hat
iiiicli so sehr angezogen, dass ich nun in allem Ernst einen
.\\'ilhelm Teir zu bearbeiten gedenke, und das soll ein Schau-
spiel werden, womit wir Ehre einlegen wollen"; schon am
15 10. März 1802 hatte Schiller, ohne den Gegenstand zu nennen,
Goethe brieflich mitgetheilt: seit sechs Wochen ziehe ihn
ein neuer dramatischer Stoff an, und zwar ,,mit einer Kraft
und Innigkeit, wie es ihm lange nicht begegnet sei" (.Schillers
Br. 6, 363. 365), Aehnlich wie 1802 an Cotta schrieb Schiller
20 im folgenden Jahre über ,Teir an Iffiand (1803 April 22);
und unter dem 25. August 1803, also etwa vier Wochen nach
den (304, 20 — 23 angeführten) Unterredungen mit Goethe,
heisst es in Schillers Calender: ,, Diesen Abend an den ,Tell'
gegangen". Nur einmal noch, am 31. October 1803, finden
25 wir in Goethes Tagebuch eine hierhergehörende Bemerkung:
„Abends bei Schiller. , T e 1 T. ,.F a u s t '. P h i -
losophlca" (Tgb. 3, 85, 13 f.).
Schneller als Schiller gedacht hatte, wurde die Dichtung vol-
lendet. Bereits um die Mitte des Januars 1804 konnte er den
30 ersten und zAveiten Aufzug an Goethe schicken, am 18. Feb-
niar das Ganze.
In der ersten Hälfte des März fanden die Proben statt.
„Den 17. März war die Aufführung und durch diese erste wie
durch die folgenden Vorstellungen, nicht weniger durch das
35 Glück, welches dieses Werk durchaus machte, die darauf
gewendete Sorgfalt und ^Nlühe vollkommen gerechtfertigt
und belohnt" (Tag- und .Jahres-Hefte, 1804, W. 35, 186, 12—17).
Sachlich gehört hierher: 309, 11—29. 310, 4—18. 314, 2—8.
' s. 299, 36.
Graf, Goethe über s. Dichtungen T. I. 20
306 TELL. 1816
[Januar 16, Weimar.] [553]
Landvogt wenigstens gegen die "Weiber freundlich und
zuthulich sein; kurz alles lässlieher gehalten, und,
soviel ich mich erinnere, auch der Apfelschuss nicht so
barsch präcipitirt. 6
Mit Riemer. — Riemer 2, 639.
Januar 16, Weimar. 554
IS^ach Tische mit Riemer manches, besonders über den
epischen ,Tell' [vgl. Nr. 553]^.
Tgb. 3, 115, 4 f. 10
1816.
? August 24, Tenustädt. — s. Xr. 432. 554a
1833 oder 182^.
][? ? ?] 555
[Zu 1T97.] Zum drittenmale besucht* ich die kleinen is
Cantone-, und weil die epische Form bei mir gerade das
UebergeAvicht hatte, ersann ich einen , T e 11 ' unmittel-
bar in der Gegenwart der classischen Oertlichkeit. Eine
solche Ableitung und Zerstreuung war nöthig, da mich
die traurigste Nachricht mitten in den Gebirgen er- 20
reichte. Christiane Neumann, verehlichte Becker, war
von uns geschieden; . .^
Tag- und Jalares-Hefte, 1797. — W. 35, 74, 24— 75, 4.
^ Sachlich gehört hierher und in die folgenden Monate des
Jahres: Nr. .557. 25
* Der erste Besuch hatte im Sommer 1775, der zweite zu Ende
des Jahres 1779 stattgefunden.
* Die höchstbegabte Schauspielerin Christiane Becker war, im
Alter von neunzehn Jahren, am 22. September 1797 gestorben.
Dieses Datum macht es allerdings wahrscheinlich, dass die 30
Trauernachricht Goethe nicht schon während der Reise (vgl.
Nr. 544) „mitten in den Gebirgen", sondern erst nach der
Rückkehr, in Stäfa, getroffen, und demzufolge die oben an-
gegebene Beziehung zur Arbeit am ,Tell" in Wirklichkeit nicht
gewaltet haben könne. 35
Als wirklich aber kann gerade dieser Zusammenhang
1823 TELL. 307
1823 oder 1835.
][? ? ?] 556
[Zu 1T9T— 1804.]. Im Jahre 1:97 hatte ich, mit dem
aus Italien zurückkehrendeu Freunde Meyer, eine
5 "Wanderung nach den kleinen Cantonen, wohin mich
nun schon zum drittenmale^ eine unglaubliche Sehn-
sucht anregte, heiter vollbracht. Der Yierwaldstätter
See, die Schwyzer Hocken, Flüelen und Altorf, auf
dem Hin- und Herwege nur wieder mit freiem offenem
10 Auge beschaut-, nöthigten meine Einbildungskraft,
diese Localitäten als eine ungeheure Landschaft mit
Personen zu bevölkern, und welche stellten sich schneller
dar als Teil und seine wackern Zeitgenossen? Ich er-
sann hier an Ort und Stelle ein episches Gedicht, dem
15 ich um so lieber nachhing, als ich wünschte, wieder^
eine grössere Arbeit in Hexametern zu unternehmen, in
dieser schönen Dichtart, in die sich nach und nach
unsre Sprache zu finden wusste, wobei die Absicht war,
mich immer mehr durch Uebung und Beachttmg mit
20 Freunden darin zu vervollkommnen.
Von meinen Absichten melde nur mit v>-enigem,
dass ich in dem Teil eine Art von Demos darzustellen
30
Goethen, beinahe ein Menschenalter später, desshalb sehr
Avobl erschienen sein, weil er in seiner, das Andenken von
Christiane Becker feiernden. Elegie ,Euphrosvne' ..mitten in
den Gebirgen" den Schauplatz sein lässt, wo der Geist der
Heimgegangenen ihm ihr Abscheiden selbst verkündet. Und
dieses innerliche Erlebniss haftete tiefer in des Dich-
ters Gedächtniss, als die Erinnerung an Ort und Zeit, wo er
in Wirklichkeit zuerst die Botschaft empfangen hatte.
Uebrigens ist es erlaubt, das Fehlen jeglicher Notiz über
das Eintreffen der Nachricht im Reisetagebuch auch allenfalls
gegen die Richtigkeit des Zusammenhangs, wie Goethe ihn
oben darstellt, geltend zu machen (vgl. Düntzers Erläute-
rungen 24. 177 f.).
^ Tgl. 306, 26 f.
- Vgl. Nr. 544.
' Nach .Reineke Fuchs' und .Hermann und Dorothea'.
308 TELL. 1823
][???] [556]
vorhatte und ihn clesshalb als einen kolossal kräftigen
Lastträger bildete^ die rohen Thierfelle und sonstige
"Waaren dureh's Gebirg herüber und hinüber zu tragen
sein .Lebenlang beschäftigt, und, ohne sich weiter um &
Herrschaft noch Knechtschaft zu bekümmern, sein
Gewerbe treibend und die unmittelbarsten persön-
licher. L'ebel abzuwehren fähig und entschlossen. In
diesem Sinne war er den reichern und höhern Land-
leuten bekannt, und harmlos übrigens auch unter den lo
fremden Bedrängern. Diese seine Stellung erleichterte
mir eine allgemeine in Handlung gesetzte Exposition,
wodurch der eigentliche Zustand des Augenblicks an-
schaulich ward.
!Mein Landvoigt war einer von den behaglichen Ty- is
rannen, welche herz- und rücksichtlos auf ihre Zwecke
hin dringen, übrigens aber sich gern bequem fmden, dess-
halb auch leben und leben lassen, dabei auch humori-
stisch gelegentlich diess oder jenes verüben, was ent-
Aveder gleichgültig wirken oder auch wohl Nutzen und 20
Schaden zur Folge haben kann. Man sieht aus beiden
Schilderungen, dass die Anlage meines Gedichtes von
beiden Seiten etwas Lässliches hatte und einen gemesse-
nen Gang erlaubte, welcher dem epischen Gedichte so
wohl ansteht. Die älteren Schweizer und deren treue 25^
Eepräsentanten, an Besitzung, Ehre, Leib und Ansehn
verletzt, sollten das sittlich Leidenschaftliche zur inne-
ren Gährung, Bewegung und endlichem Ausbruch
treiben, indess jene beiden Figuren persönlich gegen
einander zu stehen und unmittelbar auf einander zu 30
wirken hatten.
Diese Gedanken und Einbildungen, so sehr sie mich
auch beschäftigt und sich zu einem reifen Ganzen ge-
bildet hatten, gefielen mir, ohne dass ich zur Ausfüh-
rung mich hätte bewegt gefunden. Die deutsche Pro- 35
1823 TELL. 309
][? ? ?] [556J
sodie, insofern sie die alten Sylbenmasse nachbildete.
Avard, anstatt sieh zu regeln, immer problematischer;
die anerkannten ^Meister solcher Künste und Künstlich-
h keiten lagen bis zur Feindschaft in Widerstreit. Hier-
durch ward das Z^veifelhafte noch Ungewisser^; mir
aber, wenn ich etwas vorhatte, war es unmöglich über
die Mittel erst zu denken, wodurch der Zweck zu er-
reichen wäre; jene mussten mir schon bei der Hand
10 sein, wenn ich diesen nicht alsobald aufgeben sollte.
Ueber dieses innere Bilden und äussere Unterlassen
waren wir in das neue Jahrhundert eingetreten. Ich
hatte mit Schiller diese Angelegenheit oft besprochen
und ihn mit meiner lebhaften Schilderung jener Fels-
15 wände und gedrängten Zustände oft genug unterhalten,
dergestalt, dass sich bei ihm dieses Thema nach seiner
Weise zurechtstellen und formen musste^. Auch er
machte mich mit seinen Ansichten bekannt, und ich
entbehrte nichts an einem Stoff, der bei mir den Eeiz
20 der Xeuheit und des unmittelbaren Anschauens ver-
loren hatte, und überliess ihm daher denselben gerne
und förmlich, wie ich schon früher mit den ,Kranichen
des Tbykus' und manchem andern Thema gethsn
hatte^; da sich denn aus jener obigen Darstellung, ver-
25 glichen mit dem Schillerischen Drama, deutlich ergibt,
dass ihm alles vollkommen angehört, und dass er mir
nichts als die Anregung und eine lebendigere Anschau-
ung schuldig sein mag, als ihm die einfache Legende
hätte gewähren können*.
3, Tag- und .Jahres-Hefte, 1804. — \S'. 35, 182, 28— 185, 26.
Vgl. 273, 16—274, 17. 275. 23—276. 6.
Vgl. Nr. 558.
Von den Stoffen, die Schiller zu Balladen benutzte, hatte
Goethe ausser den .Kranichen des Ibykus' .Hero imd Lean-
der' in seiner Weise behandeln wollen (vgl. Br. 11. 84, 2 — 4.
324. 12. 169. 17—19. 2.59. 5—7 und Schillers Br. 4. 451. 5,
208. 232).
Zur richtigen Auffassung dieser Stelle vgl. 304, 27. Danach ist
310 TEI.L. 1823
][? ? ?] 557
[Zu 1806, und 1797—1804.] So gelangte ich dieses
Jahr bis zum vierten Theil einschliesslich^, aber mich
beschäftigte ein wichtigeres Werk. Der epische ,Tell'
kam wieder zur Sprache^, wie ich ihn 1797 in der 5
Schweiz concipirt, und nachher dem dramatischen
jTell' Schillers zu Liebe bei Seite gelegt. Beide konnten
recht gut neben einander bestehen; Schillern war mein
Plan gar wohl bekannt, und ich war zufrieden, dass
er den Hauptbegriff eines selbstständigen, von den übri- lo
gen ^''erschwornen unabhängigen Teil benutzte; in der
Ausführung aber musste er, der Richtung seines Talents
zufolge, so wie nach den deutschen Theaterbedürf-
nissen, einen ganz anderen "Weg nehmen, und mir blieb
das Episch-ruhig-grandiose noch immer zu Gebot, so is
wie die sämmtlichen Motive, wo sie sich auch berührten,
in beiden Bearbeitungen durchaus eine andere Gestalt
nahmen.
Ich hatte Lust wieder einmal Hexameter zu schreiben,
und mein gutes Verhältniss zu Voss, Vater und Sohn, 20
liess mich hoffen auch in dieser herrlichen Yersart
immer sicherer vorzuschreiten^. Aber die Tasre und
klar; dass Schiller zu seiner Tell-Dicbtuug nicht durch
Goethe veranlasst worden ist. Wolil aber gab ihm Goethe die
„Anregung", indem er durch die Mittheilung seines eigenen 25
epischen Planes Schillers Aufmerksamkeit auf den Gegen-
stand und auf Tschudis Chronik lenkte, vgl. 314, 2—8. Weg<u
der „lebendigeren Anschauung" (309. 27 f.), vgl. Nr. 558.
* Goethe war damals mit der Anordnung und Durchsicht seiner
Schriften für die Ausgabe der Werke Cotta^ beschäftigt. Der 30
,, vierte Theil" (das heisst: Band), der die erste Lieferung
schloss, ging am 20. August 1806 an Cotta ab.
' Vgl. Nr. 553. 554.
' Der Vater Voss liatte schon im Sommer 1805 Jena verlassen
und war nach Heidelberg übergesiedelt; der Sohn Heinrich. 35
bis dahin in Weimar lebend, folgte iliin im November 1800.
Sein damaliges Verhältniss zu beiden erschien Goethen im
1827 TELT^. 311
J[? ? ?] [557]
Wochen waren so ahnungsvoll, die letzten Monate so
stürmisch^ nnd so "vrenig Hoffnung zu einem freieren
Athemholen, dass ein Plan, auf dem Yierwaldstätter
5 See und auf dem V\^ege nach Altorf, in der freien Xatur
concipirt, in dem beängstigten Deutschland nicht wohl
wäre auszuführen gewesen.
Tag- und Jahres-Hefte, 180G. — W. 35, 247, 23— 248, 21.
1827.
10 Januar 18, Abends, Weimar. 558
[Zu 1798—1803.] -,,In Schülern lag dieses Xatur-
betrachten nicht. Was in seinem ,Tell"' von Schweizer
Localität ist, habe ich ihm alles erzählt; aber er war ein
so bewundernswürdiger Geist, dass er selbst nach solchen
15 Erzählungen etwas machen konnte, das Eealität hatte"^.
Mit Eckerniann. — Gespräclie 6, 26.
Mai 6, "Weimar. 559
[Zu 1797—1804.] . . Tischgesellschaft bei Goethe^. . .
hohen Alter als ein ..gutes'"; richtiger wohl ist --s lum einen
20 Lieljlingsaiisdriick Goethes zu brauchen) als ein ..lüssliches"
zii bezeichnen, wo nicht gar als ein kühles; und dass Goethe
sich damals gegen die überstrengen Forderungen Vossens ab-
lehnend verhielt, beweisen gleichzeitige Aeusserungen zur
Genüge, zum Beispiel 265, 9—23.
25 ^ Mit dem 14. Oetober 1806, dem Tage der Schlacht bei Jena,
war, wie Goethe in den Tag- und Jahres-Heften sagt. ..das
grimmigste Unheil" über Stadt und Land Weimar hereinge-
broclien (W. 35. 259, 16 f.).
' s. 229, 4 — 12. dem die obige Aeusserung sich unmittelbar an-
30 schliesst.
' Dass Schillers meisterhafte Darstellung der ,. Schweizer Lo-
calität" den Erzählungen Goethes manches verdankt, ist
zweifellos; wichtiger jedoch als diese oder zum Wenigsten
gleichwichtig war für sie Schillers geniales Studium zahl-
35 reicher, die Natur und das Volk der Schweiz schildernder,
Schriften. Die wichtigsten dieser Quellenwerke findet man
verzeichnet in Schillers Werken 5, 513 f.
* Ausser Eckermann waren, als Gäste Goethes, Ampere und
Stapfer zugegen.
312 * TELL. 1827
[Mai 6, Weimar.] [559]
Goethe erzählte ims . . wie er im Jahre 1797 den Plan
gehabt, die Sage vom Teil als episches Gedicht in Hexa-
metern zu behandeln.
„Ich besuchte'', sagte er, „im gedachten Jahre noch 5
einmal die kleinen Cantone um den Vierwaldstättersee,
und diese reizende, herrliche und grossartige Natur
machte auf mich abermals einen solchen Eindruck,
dass es mich anlockte, die Abwechselung und Fülle
einer so unvergleichlichen Landschaft in einem Gedicht 10
darzustellen. Um aber in meine Darstellung mehr Eeiz,
Interesse und Leben zu bringen, hielt ich es für gut,
den höchst bedeutenden Grund und Boden mit ebenso
bedeutenden menschlichen Figuren zu staffiren, wo denn
die Sage vom Teil mir als sehr erwünscht zu Statten 15
kam^.
„Den Teil dachte ich mir als einen urkräftigen, in
sich selbst zufriedenen, kindlich-unbewussten Helden-
menschen, der als Lastträger die Cantone durchwandert,
überall gekannt und geliebt ist, überall hülfreich, übri- 20
gens ruhig sein Gewerbe treibend, für Weib und Kind
sorgend, und sich nicht kümmernd wer Herr oder
Knecht sei.
„Den G e s s 1 e r dachte ich mir dagegen zwar als
^ Hiernach, ebenso nach 313, 25 — 32, scheint es, als ob, wo 25
nicht ausscliliesslich, so doch vor allem die ,, unvergleichliche
Landschaft" der Schweizer Alpen und Seen Goethes Neigung
zur Dichtung eines Teil-Epos geweckt habe; den gleichen Ein-
druck empfängt man, wenn mau Goethes Tagebuch jener
Reise (oder den, von diesem wenig verschiedenen, Text der 33
,Reise in die Schweiz 1797') liest.
Dagegen erscheint in der Darstellung der, Tag- und .lahros-
Ilefte, 1804' (s. Nr. 556) neben dem Interesse an der Land-
schaft als gleich stark die Theilnahme an den Gestalten der
Teil-Sage, wälirend wiederum die letztere in Goethes Brief au 35
Schiller vom 14. October 1797 (s. Nr. 548) als das Ursprüng-
liche imd Bewegende erscheint.
1827 TELL. 313
[Mai 6, Weimar.] [559]
einen Tyrannen, aber als einen von der behaglichen
Sorte, der gelegentlich Gutes thut, wenn es ihm Spass
macht, imd gelegentlich Schlechtes thut, wenn es ihm
5 Spass macht, und dem übrigens das Volk und dessen
Wohl und AVehe so völlig gleichgültige Dinge sind, als
ob sie gar nicht existirten.
„Das Höhere und Bessere der menschlichen Xatur
dagegen, die Liebe zum heimathlichen Boden, das Ge-
10 fühl der Freiheit und Sicherheit unter dem Schutze
vaterländischer Gesetze, das Gefühl ferner der Schmach,
sich von einem fremden "Wüstling unterjocht und ge-
legentlich misshandelt zu sehen, uud endlich die zum
Entschluss reifende Willenskraft, ein so verhasstes Joch
15 abzuwerfen — alles dieses Höhere und Gute hatte ich
den bekannten edeln Männern W a 1 1 h e r Fürst,
Stauffacher, Winkelried^ und andern zuge-
theilt, und dieses waren meine eigentlichen Helden,
meine mit Bewusstsein handelnden höhern Kräfte, wäh-
20 rend der Teil und Gessler zwar auch gelegentlich han-
delnd auftraten, aber im ganzen mehr Figuren passiver
Natur waren.
,.Yon diesem schönen Gegenstande war ich ganz voll,
und ich summte dazu schon gelegentlich meine Hexa-
25 meter. Ich sah den See im ruhigen Mondschein, er-
leuchtete Xebel in den Tiefen der Gebirge. Ich sah ihn
im Glänze der lieblichsten Morgensonne, ein Jauchzen
und Leben in Wald und Wiesen. Dann stellte ich einen
Sturm dar, einen Gewittersturm, der sich aus den
30 Schluchten auf den See wirft. Auch fehlte es nicht an
nächtlicher Stille und an heimlichen Zusammenkünften
über Brücken und Steffen^.
^ Winkelried steht hior walirsoheinlich irrtliümlicb für Arnold
vom Melchthal.
35 - Sollte es nicht heissen müssen „Stege"?
314 TELL. 1830
[Mai 6, Weimar.] [559]
„Von allem Diesen erzählte ich Schillern, in dessen
Seele sich meine Landschaften und meine handelnden
Figiiren zu einem Drama bildeten^. Und da ich andere
Dinge zu thun hatte und die Ausführung meines Vor- 5
Satzes sich immer weiter verschob, so trat ich meinen
Gegenstand Schillern völlig ab, der denn darauf sein
bewundernswürdiges Gedicht schrieb."
Wir freuten uns dieser Mittheilung, die allen interes-
sant zu hören war. Ich machte bemerklich, dass es mir 10
vorkomme, als ob die in Terzinen geschriebene prächtige
Beschreibung des Sonnenaufgangs in der ersten Scene
vom zweiten Theile des jFaust'^ aus der Erinnerung
jener Xatureindrücke des Vierwaldstättersees entstan-
den sein möchte. 15
..Ich will es nicht läugnen", sagte Goethe, „dass diese
Anschauungen dort herrühren; ja ich hätte ohne die
frischen Eindrücke jener wundervollen Xatur den In-
halt der Terzinen gar nicht denken können. Das ist
aber auch alles, was ich aus dem Golde meiner Tell-Lo- 20
calitäten mir gemünzt habe. Das übrige Hess ich Schil-
lern, der denn auch davon, wie wir wissen, den schönsten
Gebrauch gemacht."
Mit Eckerniann. — Gespräche G, 131—134.
1830. 25
] [November, zweite Hälfte? Weimar.]^ o59a
[Zu 1775, Juni.] Am neunzehnten [Juni], . . hinab
an den Waldstätter See, . . Gegen zwei Uhr dem Grütli
gegenüber, wo die drei Teilen schwuren, darauf an der
Platte, wo der Held aussprang, und wo ihm zu Ehren die 30
Legende seines Daseins und seiner Thaten durch Malerei
verewigt ist. Um drei Uhr in Flüelen, wo er eingeschifft
ward, um vier L'hr in Altdorf, wo er den Apfel schoss.
' Vgl. dagegen 309. 38-310, 27.
» Fausts Monolog (V. 4679-4727. W. 15 (1), 5—7): 35
..Des Lebens Pulse schlagen frisch lebendig."
t Wegen der Datirung vgl. die erste Erläuterung zu Nr. 1122.
1830 TELL. 315
] [November, zweite Hälfte? Weimar.] [559a]
An diesem poetischen Faden schlingt man sich billig
durch das Labyrinth dieser Felsenwände, die steil bis in
das Wasser hinabreichend nns nichts zu sagen haben.
5 Sie, die Unerschütterlichen, stehen so ruhig da, wie die
Coulissen eines Theaters; Glück oder Unglück, Lust oder
Trauer ist bloss den Personen zugedacht, die heute auf
dem Zettel stehen.
Dergleichen Betrachtungen jedoch waren gänzlich
10 ausser dem Gesichtskreis jener Jünglinge^; . . .
Dichtung und Wahrheit Theil 4 Buch 18. — W. 29, 119,
7-25.
] [November, zweite Hälfte? Weimar.]^ .550b
[Zu 1775, Juni.]. Xicht ohne manche neue wie erneii-
15 erte Empfindungen und Gedanken gelangten wir^ durch
die bedeutenden Höhen des Yierwaldstätter Sees nach
Küssnacht, wo wir landend und unsere Wanderung fort-
setzend, die am Wege stehende Tellen-Capelle* zu be-
grüssen und jenen der ganzen AYelt als heroisch-patrio-
20 tisch-rühmlich geltenden Meuchelmord zu gedenken
hatten.
Dichtung und Wahrheit Theil 4 Buch 19. — W. 29, 132,
3—10.
* Das heisst: Goethes und des Theologen .Jakob Ludwig
25 Passavant; dieser, aus Frankfurt gebürtig, zwei Jahre
jünger als jener, lebte damals in Zürich, und hatte Goethe
zu einem Besuche der Urcantoue aufgefordert.
= s. 314, 37.
' Goethe und Passavaut (s. Z. 24-27). Die Empfindungen
30 waren zum Theil ..erneuert", in so fern die Reisenden we-
nige Tage vorher, auf dem Wege nach dem St. Gotthardt,
die gleichen Oertlichkeiten beinihrt hatten.
* Vgl. 299. 7 f.
Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten.
Handschriften : siud nicht bekannt.
Erster Druck: 1795, in ,Die Hören eine Monatsschrift heraus-
gegeben von Schiller. Tübingen in der J. G. Cottaischen
Buchhandlung 1795', und zwar enthält: 5
Band 1 Stück 1 [Januar] S. 49—78 die Einleitung bis zu
den Worten des „Alten", kurz vor Beginn der ersten Ge-
schichte: ,, . . gespannte Erwartung wird selten befrie-
digt" (W. 18, 95—127, 23);
Band 1 Stück 2 [Februar] S. 1—28 die vier ersten Ge- 10
schichten, bis zum Beschluss der Abendunterhaltung (W.
18, 127, 24—158, 3);
Band 2 Stück 4 [April] S. 41— G7 die Morgenunterhal-
tung und. als fünfte Geschichte, die Erzählung vom Pro-
curator (W. 18, 158, 4—187, 23); 15
Band 3 Stück 7 [Juli] S. 50—76 die weitere Unterhal-
tung und. als sechste Geschichte, die Erzählung von Eer-
dinand und Ottilie bis zu den Worten Luisens: ..Diese
Geschichte gefällt mir" (W. 18, 187, 24^21(3. 2G);
Band 3 Stück 9 [September] S. 45—52 den Schluss der 20
Geschichte von Ferdinand und Ottilie und den Rest der
Unterhaltung, bis zum .Mährchen' (W. 18, 216. 27—222, 24);
Band 4 Stück 10 [October] S. 108—152 das , Mährchen'
(W. 18, 225—273).
Goethes Name ist nicht genannt, da die Verfasser der 25
Beiträge in den .Hören' nicht namhaft gemacht wurden.
Zweiter Drucl-: 1808. Werke Cotta' 12. 157—342. Voran gehen
.Das Römische Carneval', ,Ueber Italien. Fragmente eines
Reisejoumals', .Cagliostro', Die , Unterhaltungen' schlies-
175M UNTERHALTUNGEN D. A. 317
sen den Band und damit zugleich die ganze Ausgabe
der Werke Cotta\
Dritter Druck: 1S17, Werke Cotta= 13, 197— 3S2. Die Stellung
wie im zweiten Druck, nur dass vor den ,Unterl\altungen*
5 noch ,Die guten Weiber' eingeschoben sind.
Vierter Druck: 1S2S, Werke Cotta' 15, 79—258. Voran gehen
,Dle Aufgeregten', es folgen ,Die guten Weiber' und die
.Novelle'.
Im Inlialtsverzeichniss führt die Dichtung den Namen
10 .Die Ausgewanderten'.
Weimarer Ausgabe: 1895. W. 18, 93—273 und 413—423. Wegen
der Stellung s. 211, 27—30.
179^.
October 28, Weimar. 560
15 ^. . die Erzählung soll zu Ende des Jaiirs bereit
sein . .-
An Schiller. — Br. 10, 205, 10 f.
^ Am 26. October hatte Goethe Schillern aufgefordert: ..Schrei-
ben Sie mir doch, was Sie noch etwa zu den .Hören' von mir
20 wünschen und wann Sie es brauchten*' (Br. 10, 204, 19 — 21).
Darauf hatte Schiller am -28. October, dem Tage der obigen
Aeusserung. erwidert: ,,Da Sie mich aufifordeiTi, Ihnen zu
sagen, was ich für die ersten Stücke [der , Hören'] noch von
Ihrer Hand wünsche, so erinnere ich Sie an Ihre Idee, die
25 Geschichte des ehrlichen Procurators aus dem Boccaz zu be-
arbeiten. . . . Rechne ich . ., dass in dem ersten Stück Ihre
Elegien und die erste Epistel, in dem zweiten die zweite
Epistel und was Sie etwa diese Woche noch schicken, und in
dem dritten wieder eine Epistel und die Geschichte aus dem
so Boccaz von Ihnen erscheint, so ist jedem dieser drei Stücke
sein Werth schon gewiss" (Schillers Br. 4, 49 f.).
' An Kürner meldet Schiller am 7. November 1794: ,,Er
[Goethe] ist jetzt beschäfigt, eine zusammenhängende Suite
von Erzählungen im Geschmack des ,Decameron' des Boccaz
35 auszuarbeiten, welche für die , Hören' bestimmt ist" (Schillers
Br. 4, 54).
Sachlich gehört in diese und die folgende Zeit: Nr. 623—626.
628.
318 UNTERHALTUNGEN D. A. 1794
November 27, Weimar. 561
Hier schicke ich das Manuseript^ und wünsche, dass
ich das rechte Mass und den gehörigen Ton möge ge-
troffen haben. Ich erbitte mir es bald wieder zurück,
weil hier und da noch einige Pinselstriche nöthig sind, 5
um gewisse Stellen in ihr Licht zu setzen. Kann ich die
zweite Epistel und die erste Erzählung- zum zweiten
Stücke stellen, so wollen wir sie folgen lassen und die
Elegien zum dritten aufheben, wo nicht, so mögen diese
voraus. Zu den kleinen Erzählungen habe ich grosse 10
Lust, nach der Last, die einem so ein Pseudo-Epos, als
der Roman^ ist, auflegt.
Au Schiller. — Br. 10, 207, 8—18.
^ So weit es in Stück 1 der ,Horeu' zum Abdruck kam.
^ Vom „Procurator" (vgl. Nr. 560). 15
^ ."S^'ilhelm Meister' war gerade im Erscheinen begriffen.
Sciiillers Antwort, vom 29. November, lautet: ,,Sie haben
mich mit der unerwartet schnellen Lieferung des Eingangs zu
Ihren Erzählungen sehr angenehm überrascht, und ich bin
Ihnen doppelt dankbar dafür. Nach meinem L'rtheil ist das £o
Ganze sehr zweckmässig eingeleitet, und besonders finde ich
den strittigen Punct [vgl. 319, 3] sehr glücklich in"s Reine
gebracht. Nur ist es Schade, dass der Leser zu wenig auf
einmal zu übersehen bekommt, und daher nicht so im Staude
ist, die nothwendigen Beziehungen des Gesagten auf das 25
Ganze geliürig zu beurtheilen. Es wäre daher zu wünschen
gewesen, dass gleich die erste Erzählung hätte können mit-
gegeben werden. Aber ich möchte nicht gerne in meinen
Wünschen unbescheiden sein und Sie veranlassen, Ihre Theil-
nahme an den Hören als ein Onus zu betrachten. Ich unter- 30
drücke also diesen Wunsch und versichere Ihnen bloss, dass,
wenn Sie ihn, ohne sich zu belästigen, realisiren können, Sie
mir ein grosses Geschenk machen würden.
Nach dem Ueberschlag, den ich gemacht (und ich habe ei-
nige Blätter durch die Worte gezählt), kann das Manuscript 35
nicht mehr als zwei inid einen halben Bogen betragen, dass
also noch immer ein ganzer Bogen zu füllen übrig bleibt.
Wenn es auf keine andere Art zu machen ist. so will ich zu
diesem siebenten Bogen Rath schaffen und ein Morceau aus
171)4 UNTERHALT [NGEX D. A. 319
December 2. Weimar. 562
Mir ist sehr erfreulich, dass Sie mit meinem Prologus
im^ Ganzen und im Hauptpuncte^ nicht unzufrieden sind;
der Niederländischen Geschichte, das für sich iuteressiren
5 kann, die Belagerung von Autweri)en nuter Philipp IL, d'u^
viel Merkwürdiges hat, kurz beschreiben. Diese Arbeit macht
mir weniger Mühe, uud es würde der kleine Neben-Zweck
dabei erreicht, dass schon im ersten Stück das historische
Feld besetzt Aviire. Es versteht sich aber, dass dieses Expe-
10 diens, wenigstens für das erste Stüc-k, uuterbleibt. sobald
Hoffnung da ist. noch mehr von Ihren Erzählungen zu er-
halten. Dass die Erscheinung dieses ersten Stücks nun um
eine "Woche verzögert wird, kann freilich nicht venuieden
werden; indessen ist das L'ebel so gross nicht, uud vielleicht
15 können wir es dadurch gut macheu, dass das zweite Stück
gleich eine Woche nachher erscheint.
Weil ich mich in meiner Annonce au das Publicum auf
unsere Keuschheit in politischen Urtheilen berufen werde, so
gebe ich Ihnen zu bedenken, ob an dem, was Sie dem Ge-
20 heimenrath in den Mund legen, eine Partei des Publicums,
und nicht die am wenigsten zahlreiche, nicht vielleicht An-
stoss nehmen dürfte? Obgleich hier nicht der Autor, sondern
ein Interlocutor spricht, so ist das Gewicht doch auf seiner
Seite, und wir haben uns mehr vor dem, was scheint, als
25 was ist, in Acht zu nehmen. Diese Anmerkung kommt von
dem Redacteur. Als blosser Leser würde ich ein Vorwort für
den Geheimenrath einlegen, dass Sie ihn doch durch den
hitzigen Karl, wenn er sein L'nrecht eingesehen, möchten zu-
rückholen und in unserer Gesellschaft bleiben lassen. Auch
30 würde ich mich des alten Geistlichen gegen seine unbarm-
herzige Gegnerin annehmen, die es ihm fast zu arg macht.
Ich glaube aus einigen Zügen, besonders aus einer grössern
Umständlichkeit der Erzählung am Anfange schliessen zu
können, dass Sie die Absicht haben, die Vermuthung bei dem
35 Leser zu erwecken, dass etwas wirklich Vorgefallenes im
Spiele sei. Da Sie im Verlauf der Erzählungen ohnehin mit
der Auslegungs-Sucht oft Ihr Spiel treiben werden, so wäre
es wenigstens nicht übel, gleich damit anzufangen xmd das
Vehikel selbst in dieser Rücksicht problematisch zu machen.
40 Sie werden mir meine eigene Auslegungs-Sucht zu Gute
halten" (Schillers Br. 4. 70—72).
^ Was unter dem „Hauptpuncte" in der Einleitung der ,Un-
320 UNTERHALTUNGEN D. A. 1794
[December 2, Weimar.] [562]
mehr als diesen kann ich aber für's erste Stück nicht
liefern. Ich will ihn noch einmal durchgehen, dem Ge-
heimen Eath und Luisen Sordinen auflegen und Karlen
vielleicht noch ein Forte geben, so wird's ja wohl jii's 5
Gleiche kommen^. . . . In's zweite Stück hoffe ich die
Erzählung- zu bringen, überhaupt gedenke ich aber wie
die Erzählerin in der ,Tausend und Einen Nacht' zu
verfahren^. Ich freue mich Ihre Anmerkungen sogleich
terbaltungen' zu verstehen sei, ist zweifelhaft; jedenfalls ist lo
es dasselbe, was Schiller in seinem Briefe vom 29. November
den „strittigen Punet" genannt hatte, der von Goethe „sehr
glücklich in's Reine gebracht" sei (s. 318, 22 f.).
^ Vgl. Schillers Bedenken und Rathschläge 319, 17—31,
Unter ,, Sordine" (ital. il sordino = der Dämpfer) versteht 15
man eine Vorrichtung, um die Tonstärke musikalischer In-
strumente zu verringern. Goethe, in dessen Briefen der Ver-
gleich nicht selten begegnet, hat, wie der Ausdruck „auf-
legen" beweist, den Dämpfer für Violinen vor Augen.
* Vom Procurator. 20
* Das heisst: gerade so, wie es in den .Unterhaltungen' die
Baronesse von C. nicht liebt. Denn dieser legt Goethe fol-
gende, an den Geistlichen gerichtete, Worte in den Mund (die
übrigens gewiss des Dichters eigene Ansicht aussprechen) :
., . . wenn Sie uns eine Geschichte zur Probe geben wollen, 25
so muss ich Ihnen sagen, welche Art ich nicht liebe. Jene
Erzählungen machen mir keine Freude, bei welchen, nach
Weise der ,Tausend und Einen Nacht', eine Begebenheit in
die andere eingeschachtelt, ein Interesse durch das andere
verdrängt wird; wo sich der Erzähler genöthigt sieht, die 30
Neugierde, die er auf eine leichtsinnige Weise erregt hat.
durch Unterbrechung zu reizen, und die Aufmerksamkeit,
anstatt sie durch eine vernünftige Folge zu befriedigen, nur
durch seltsame und keineswegs lobenswürdige Kunstgriffe,
aufzuspannen. Ich tadle das Bestreben, aus Geschichten, 35
die sich der Einheit des Gedichts nähern sollen, rhapsodische
Räthsel zu machen und den Geschmack immer tiefer zu ver-
derben. Die Gegenstände Ihrer Erzählungen gebe ich Ihnen
1794 UNTERHALTUNGEN D. A. 321
[December 2, Weimar.] [562]
ZU nutzen und dadurcli neues Leben in diese Composi-
tion zu bringen^.
An Schiller. — Br. 10, 208, 13-19. 21—20!», 2.
30
5 ganz frei, aber lassen Sie uns wenigstens au der Form sehen,
dass wir in guter Gesellschaft sind. Geben Sie uns zum
Anfang eine Geschichte von wenig Personen und Begeben-
heiten, die gut erfunden und gedacht ist, wahr, natürlich und
nicht gemein, so viel Handlung als unentbehrlich und so
10 viel Gesinnung als nüthig; die nicht still steht, sich nicht
auf Einem Flecke zu langsam bewegt, sich aber auch nicht
übereilt; in der die Menschen ei'scheinen. wie man sie gern
mag, nicht volllvonimen. aber gut. uiclir ausserordentlich,
aber interessant und liebenswürdig. Ilire Geschichte sei
15 unterhaltend, so lauge wir sie hören, befriedigend, wenn sie
zu Ende ist, und hinterlasse uns einen stillen Reiz weiter
nachzudenken" (W. 18, 158, 19—159, 20).
Vgl. die sachlich hierher gehörende Aeussemng Nr. 605.
* Der Brief, welchem obige Stelle angehört, ist, in etwas an-
20 derem Wortlaut, von Goethe eigenhändig geschrieben, noch
einmal vorhanden. Das Original dieser zweiten Fassung
wurde im Jahre 1891 in London versteigert, und kann hier
(wie in der Weimarer Brief -Ausgabel nur nach einer engli-
schen Uebersetzung angeführt werden, die der betreffende
25 Auctionskatalog brachte:
„It is a great source of pleasure to me that you are not
dissatisfied with mj- Prologue on the Whole and in Material
Parts. I cannot however let you have more than this for the
first portion. I will go through it once more. I will streng-
then the (characters of ) the Privy-Counsellor and Louise and
bring out that of Charles more prominently and in this
manner all will be well balanced — this Impromptu working
is such a very ticklish affair: Since your paper will be
printed first — I have probably yet some time. I shall take
away from the first part what ought to be taken away. In
the second portion I hope to write the narrative. I am glad
Graf, Goethe über s. Dichtungen T. I. 21
35
322 UNTERHALTUNGEN D. A. 17!)4
December 5, Weimar. 563
^Hierbei das Manuscript^, ich habe daran gethan, was
die Zeit erlaubte, Sie oder Herr von Humboldt sebn
es ja vielleiclit noch einmal durch^.
Ich habe den Schlussstrich weggestrichen, weil mir 5
eingefallen ist, dass ich wohl noch auf eine schickliche
Weise etwas anhängen könnte. Wird es eher fertig als
Ihre Anzeige*, so könnte es zugleich mit abgehen.
Schreiben Sie mir nur durch den rückkehrenden Boten:
ob Ihnen etwas von einer Gespenster massigen lo
Mystifications-Geschichte bekannt sei,
to be able at onee to make use of your suggestions and by so
doing a introduce a new life into this work: . ." (Br. 10, 403).
^ Am 3. December hatte Schiller geschrieben: „Da ich eben
einen Brief von Cotta erhalte, worin er wünscht und ver- 15
spricht, noch vor Ende dieses Monats das erste Horenstüek
zu versenden, wenn es nicht an Manuscripte fehle, so bitte
ich Sie, mir die Erzählungen [die Einleitung der .Unterhal-
tungen', s. 316, 6—9] womöglich Freitags [5. December] zu
übersenden, wo ich sie abschicken kann. ... 20
Da die Post sogleich abgeht, so habe ich nur soviel Zeit,
um Ihnen für die Güte, mit der Sie meine Bemerkungen [s.
318, 17] aufnahmen, . . zu danken" (Schillei-s Br. 4. 74 f.).
* s. 316, 6-9.
' Wilhelm von Humboldt, der zur Zeit in Jena lebte. Ob 25
dieser oder Schiller Goethes Manuscript durchgesehen habe,
ist unbekannt. Jedenfalls sandte Schiller es noch am selben
Tage an Cotta ab. Gleichzeitig schrieb er an Körner: ,,Von
ihm [Goethe] findest Du in dem ersten Stück noch [ausser
der , Ersten Epistel'] den Anfang einer Reihe von Erzäh- 30
lungen; aber dieser Anfang, der zur Einleitung dienen soll,
hat meine Erwartung keineswegs befriedigt. Leider trifft
dieses Unglück schon das erste Stück; aber e? war nicht
mehr zu ändern", ähnlich am 29. December an ebenden-
selben (Schillers Br. 4, 76. 90). 35
* Das geschah nicht. Schillers ,, Anzeige", das ist die öffent-
liche Ankündigung der , Hören', erschien schon am 10. De-
cember in Nr. 140 des Intelligenzblattes der .Allgemeinen
Litteratur-Zeitung' in Jena.
1794 UNTERHALTUNGEN D. A. 323
(December 5, Weimar.] [563]
welche vor vielen Jahren Mademoiselle C 1 a i r o n be-
gegnet sein soll? und ob vielleicht in irgend einem Jour-
nal das Mährchen schon gedruckt ist? Wäre das nicht.
5 so lieferte ich sie noch, und wir fingen so recht vom Un-
glaublichen an, welches uns sogleich ein unend-
liches Zutrauen erwerben würde. Ich wünschte doch,
dass das erste Stück mit voller Ladung erschiene. Sie
fragen ja wohl bei einigen fleissigen Journallesern wegen
10 der Ciaironischen Geschichte nach, oder stellen die An-
frage an den Bücherverleiher Voigt, der doch so etwas
wissen sollte^.
Au Schiller. — Br. 10. 210, 11— 211, 5.
December G, Weimar. 564
15 An den ,Unterhaltungen' will ich sachte fort arbeiten,
. . Ich hoffe, es soll alles gut und leicht gehen, v,>enn wir
nur erst im Gange sind.
'■ Diese Geschichte der französischen Schauspielerin Clairon
benutzte Goethe dann („travestirte" sie, s. 339, 17) in der
20 ersten Erzählung seiner »Unterhaltungen*. Auf welchem
Wege sie, nicht lange vor dieser Zeit, in Goethes Bekannten-
kreis und zu ihm selbst gedrungen war, darüber berichtet
eingehend Düutzer (.Erläuterungen' 15, 45»; vgl. 339, 30.
Schiller, der der Meinung war: Goethe wünsche die Ge-
« schichte erst kennen zu lernen, erwiderte am 6. (.oder schon
am 5.) December: ,,Nach der Gespenstermässigen Geschichte
will ich mich mit dem heutigen Tage sogleich sorgfältig
umthvm. Ich habe nichts davon weder gelesen noch gehört.
. . . [Für die Füllung von Stück 1 der , Hören' sei nun
30 gesorgt.] Wenn Sie indessen, während dass das erste Stück
gedruckt wird, mit der Continuation der , Unterhaltungen'
fertig werden sollten, so ist der Setzer sogleich für das
zweite Stück beschäftigt. . . .
Cotta wünscht gar zu sehr, dass zu den einzelnen Auf-
35 Sätzen die Namen gedruckt werden möchten. Man könnte
ihm, deucht mir, unter der Restriction willfahren, dass
er bei denjenigen Auff^ätzen wegbliebe, wo der Verfasser
nicht gleich genannt sein will. . . . Sollten Sie bei den
324 UNTERHALTUNGEN D. A. 1794
[Deceinber 6, Weimar.] [564]
( *otta mag recht haben, dass er Namen verhmgt^,
er kennt das Publicum, das mehr auf den Stempel als
den Gehalt sieht^. Ich will daher den übrigen Mitar-
beitern die Entscheidung wegen ihrer Beiträge völlig 5-
überlassen haben; nur was die meinigen betrifft, muss
ich bitten, dass sie s ä m m 1 1 i c h anonym erscheinen,
dadurch wird mir ganz allein möglich, mit Freiheit und
Laune, bei meinen übrigen Verhältnissen, an Ihrem
Journale theilnehmen zu können^. lo
Au Schiller. — Br. 10, 212, 10—22.
December 10, Weimar. 565
AVegen der Ciaironischen Geschichte bin ich nun be-
ruhigt*, und nun bitte ich nichts weiter davon zu sagen.
Bis wir sie produciren. is
An Schiller. — Br. 10, 214, 1—3.
December 23, Weimar. 566
Ich will nun auch an die Gespenster-Geschichten
gehen. Vor Ende des Jahrs bring" ich noch manches bei
.Unterhaltungen' entweder gar nicht genannt, oder nur mit 2a
einem simpelu G. bezeichnet zu werden wünschen, so
werden Sie die Güte haben, mich in Ihrem nächsten Briefe
davon zu benachrichtigen" (Scliillers Br. 4, 77 f., vgl. wegen
des Datums ebenda 4, 488 zu S. 77 Z. 18).
' s. 323, 34-38. 2&
* „Nur auf den Gehalt und nicht auf den Stempel" werde
man bei Aufnahme der Beiträge sehen, heisst es, auffallend
gleicldautend, am Schluss der öffentlichen Anliündigung der
.Hören', deren Ausarbeitung Schiller am 9. December, also
nach Empfang des obigen Briefes, beendete (Schillers 30
Werke 13, 393, 1 f.).
•^ Schiller antwortete am 9. December: „Auf Ihren und unser
aller Namen habe ich bei Cotta Arrest gelegt, . . .
Von der Geschichte, Mademoiselle Clairon betreffend, habe
ich nichts in Erfahrung bringen können. . . ." (Schillers Br. 35
4, 81).
" Vgl. 322, 10-323, 3.
17Ü5 UNTERHALTUNGEN D, A. 325
[December 23, Weimar.] [566]
Seite, um Sie mit desto freirem Muthe im neuen begrüs-
sen zu könnend
An Schiller. — Br. 10, 216, 0—9.
5 1795.
Januar 3, Weimar. 567
Die Gespenstergeschichten denke ich zur rechten Zeit
zu liefern.
An Schiller. — Br. 10, 226, 16 f.
10 Januar 7, Weimar. 568
Sonnabends [10. Januar], erhalten Sie meine Mähr-
chen für die ,Horen'; ich wünsche, dass ich meines
grossen Vorfahren in Beschreibung der Ahndungen und
Visionen nicht ganz unwürdig möge geblieben sein-,
15 An Schiller. — Br. 10, 227, 3—6.
Januar 10, AVeimar. 569
Beikommendes Manuscript^ habe ich nach der Ab-
schrift nicht wieder durchsehen können. Es sollte mir
lieb sein, wenn Ihnen meine Bemühung mit dem grossen
20 Hennings* zu wetteifern nicht missfiele^.
An Schiller. — Br. 10. 228, 11—14.
'■ Gleichzeitig schickte Goethe die drei ersten Aushängebogen
der .Hören' Stück 1 zurück, die Schiller ihm am Tage vor-
her zugestellt hatte.
25 * Scherzhafte Anspielung auf den Professor der I^ogik und
Äletaphysik Hennings in Jena, „der in den Jahren 1777—
1784 eine ganze Reilie von Schriften veröffentliclit hatte
über Ahnungen, Visionen, Geister. Träume und Nachtwand-
lerei" (E. v. d. Hellen in Br. 10, 407 zu S. 227, 5); vgl. auch
30 den Schluss von Nr. 569.
* Der für Stück 2 der , Hören' bestimmte Theil der ,TTnter-
haltungen'. s. 316, 10 f.
* s. Z. 26—29.
° Eine briefliche Antwort Schillers erfolgte hierauf nicht,
35 da Goethe Tags darauf nach Jena kam, wo er bis zum
23. Januar blieb.
Am 25. Januar sandte Schiller die. Goethe gebührenden,
Exemplare des ersten Stücks der , Hören', das einen Tag
nach Goethes Abreise in Jena eingetroffen war.
326 UNTERHALTUNGEN D. A. 1795
Februar 25, Weimar. 570
Da ich . . gleich daran^ gehen muss, so werden Sie
mich vom dritten Stück entschuldigen^; dagegen soll
der jProcurator', in völliger Zierlichkeit, zum vierten
aufwarten. ^
An Schiller. — Br. 10, 237, 7—10.
März 11, Weimar. 571
Lassen Sie mich indessen sagen, dass ich fleissig war,
. . und dass der ,Procurator' auch durchgearbeitet ist.
Ich wünsche, dass die Art, wie ich die Geschichte ge- lo
fasst und ausgeführt, Ihnen nicht missfallen möge.
An Schiller. — Br. 10, 241, 8. 10—12.
März IS, Weimar. 572
Der ,Procurator"' ist . . geschrieben und darf nur
durchgesehen werden. Sie können ihn also zur rechten 15.
Zeit haben. . . .
. . . Der ,Procurator' ist vor der Thüre.
An Schiller. — Br. 10, 245, 3—5. 21 f.
März 19, Weimar. 573
Dem ,Procurator', der hier erscheint, wünsche ich 20
gute Aufnahme.
Ilaben Sie die Güte mir ihn bald zurückzuschicken,
weil ich ihn des Stils wegen gerne noch einigemal durch-
gehen möchte*.
An Schiller. — Br. 10, 246, 1-5. 25
' Au die Durchsicht des vierten Buchs von ,Wilhf>lm Meisters
Lehrjahren'.
' Am 22. Februar hatte Schiller geschrieben: „Noch mus«
ich Sie ernstlich bitten, sich unsers dritten Srücks der
.Heren' zu erinneni. . . . Glauben Sie wohl, um diese Zeit so
[bis zum 3. März] mit dem , Procura tor' fertig zu sein?
Meine Mahnung darf Sie aber keineswegs belästigen, denn
Sie haben völlig freie Wahl, ihn entweder für das dritt»
oder vierte Stück zu bestimmen, weil doch eines von dieseii
beiden Stücken von Ihnen übergangen werden soll" (Schillers 35
Br. 4, 133 f.).
• Am selben Tage schrieb Schiller: „Sie würden mir einen
1795 UXTERHAT/rUNGEN D. A. 327
März 21, Weimar. 574
Das Manuseript^ schicke ich morgen Abend mit der
reitenden Post an Sie ab*.
An Schiller. — Br. 10, 246, 9 f.
5 grossen Dienst erweisen, wenn Sie mir den selmlieb erwar-
teten .Prociirator' bis Montag [23. März] gewiss schicken
könnten. Ich würde alsdann nicht genüthigt sein, den An-
fang meiner Geschichte [, Belagerung von AntwerjJen'] in
den Druck zu geben, ehe das Ende fertig ist. Sollten Sie
10 aber verhindert sein, so bitte ich mir es noch Sonnabends
zu wissen zu thun. Doch hoffe ich das Beste. . . .
20. [März.] Diesen Morgen erhalte ich Ihr Paquet, welches
mich in jeder Rücksicht froh überraschte. Die Erzählung?
liest sich mit ungemeinem Interesse; was mich besonders
15 erfreute, war die Entwicklung. Ich gestehe, dass ich diese
erwartete, und ich hätte mich nicht zufrieden geben können,
wenn Sie hier das Original nicht verlassen hätten. Wenn
ich mich nemlich anders recht erinnere, so entscheidet beim
Boccaz bloss die zeitig erfolgte Rückkehr des Alten das
20 Glück der Cur.
Könnten Sie das Manuscript mir Montags [23. März] früh
zurücksenden, so geschähe mir dadurch eine grosse Gefällig
keit. Sie werden wenig mehr dabei zu thun finden"
(Schillers Br. 4. 149 f.).
25 Ueber Goethes Quelle für die Erzählung vom Procurator,
deren Schluss er nach seiner Weise veredelte, vgl. GJ. 4,
438 f. und die Vorreden der Herausgel^er (so WH. 16. 12- -
15. WD. 14, 25 f.), wo auch Schillers leichte Irrthümer in
Bezug auf Boccaccio und auf die Art des Schlusses in der
30 italienischen Fassung der Geschichte genugsam berichtigt
sind.
^ Die .Unterhaltungen', so weit sie im vierten Stück der .Hören*
zum Abdruck kamen, s. 316, 13—15.
* Wilhelm von Humboldt, dem Schiller das Manuscript mit-
35 theilte. bevor es zum Druck abging, schrieb am 23. März
an Goethe: „Den .Procurator' habe ich mit grosser Freude
gelesen. Es ist eine gar zierliche Geschichte und die Dar-
stellung ist Ihnen in hohem Grade gelungen. Nebenher habe
ich mich auch gefreut, dass Sie den Nutzen des Wasser-
40 t r i n k e n s so in's Licht stellen" (G.T. 8, 64).
Die wenigsten Urtheile lauteten so beifällig. Schon am
328 UNTERHALTUNGEN D. A. 1795
Mai 3, Weimar. 575
Erinnern Sie mich manchmal an die Desiderata^ da-
mit mein guter AYille zur That werde.
An Scliiller. — Br. 10, 254, 19 f.
19. Februar liatte Charlotte von Stein über die im zweiten 5
Stücli der , Hören' entlialtenen Erzählungen an Schillers
Frau geschrieben: ,,Dem Goethe scheint's gar nicht mehr
Ernst um's Schreiben zu sein, dass er die bekannte Ge-
schichte der Mademoiselle Clairou, die er nach Italien trans-
portirt, die vom Klopfen, welche mir vor drei Jahren Herr 10
von Pannewitz erzählte, dass sie sich in seiner Eltern Haus
zugetragen, und die aus des Bassompierre sehr bekannten
memoires, die er doch walirhaftig uic'it wird für eine Geister-
geschichte wollen passiren lassen, indem sie sehr körperlich
war, gut genug zum Inlialt eines so respectabeln Journals 15
wie die .Hören' hält" (Charlotte Schiller 2, 299).
Kürner hatte am 10. Februar über den ersten Abschnitt
an Schiller geschrieben: „Die .Unterhaltungen deutscher
Ausgewanderten' erkennt man wohl für ein Goethesches Pro-
duct. und freut sich über einzelne Stellen; aber den , Meister' 20
— den ich nun endlich seit ein paar Tagen bekommen habe
— darf man nicht daneben stellen"; am 8. ISIai aber heisst
es in seinem Briefe an Schiller: ,. . . was meint denn Goethe
eigentlich mit seinen ,Unterhaltungen'? Das erste Stück war
mir begreiflich, und ich erkannte ihn in manchen Stellen. 25
Auch im zweiten interessirte mich die Darstellung bei der
ersten Erzählung. Aber für das dritte weiss ich nichts zu
sagen. Und was soll daraus werden, wenn es noch immer
decrescendo geht? Von allen Seiten hör' ich Klagen über
diese Aufsätze, und wenn icli mich ihrer annehme, so werde 30
ich der Parteilichkeit beschuldigt" (Schiller-Körner 2. 142.
154).
Endlich stehe hier noch eine Mittheilung aus Wilhelm von
Humboldts Brief an Schiller vom 17. Juli: „Ich war . . Einen
Tag in Berlin und melde Ihnen doch einige possierliche 35
Dinge.
Zuerst über die ,Horen'. Nichts als was wir längst hörten.
Die ,Unterhaltungen' missfallen durchaus und total, auch
der .Procurator'. . . ." (Schiller-Humboldt S. 60. 24—28). 40
Vgl. dagegen Nr. 576.
» Zu diesen gehörten auch die , Unterhaltungen'. „Verlassen
1795 UNTERHALTUNGEN D. A. 329
Mai 16, Weimar. 576
^Zum siebenten Stück [der ,Horen'], kann ich Ihnen
nahe an zwei Bogen versprechen.
Lassen Sie uns nur unsern Gang unverrückt fort-
5 gehen; wir wissen, was wir geben können und w e n
wir vor uns haben. Ich kenne das Possenspiel des
deutschen Autorwesens schon zwanzig Jahre in- und
auswendig; es nauss nur fortgespielt werden,
weiter ist dabei nichts zu sagen-.
10 An Schiller. — Br. 10, 258, 15—23.
Juni 13, Weimar. 577
Vor Ende dieses Monats geh' ich von hier nicht weg,
und lasse Ihnen noch für das siebente Stück eine ge-
wöhnliche Portion^ , Unterhaltungen" zurück.
15 Sie sich darauf", antwortete Schiller am 4. Mai, „dass ich
Ihrem Gedächtniss zu Hülfe kommen werde. Ich schenke
Ihnen kein Versprechen. Der Chronologie der , Hören* nach
würden Sie jetzt bald wieder auf die ,Unterhaltungen' zu
denken haben" (Schillers Br. 4, 165).
20 ^ Schiller sehrieb am 15. Mai: „Cotta ist mit der Messe ziem-
lich zufrieden. . . . Nur bittet er [in Bezug auf die , Hören']
sehr um grössere Mannichfaltigkeit der Aiifsätze. Viele
klagen über die abstracten Materien, viele sind auch an
Ihren .Unterhaltungen' irre, weil sie, wie sie sich aus-
25 drücken, noch niiht absehen können, was damit werden soll.
Sie sehen, unsre deutschen Gäste verläugneu sich nicht; sie
müssen immer wissen, w a s sie essen, wenn es ihnen recht
schmecken soll. Sie müssen Begriff davon haben"
(Schillers Br. 4, 172).
30 ' Schiller antwortete am 18. Mai: ..Dass Sie für das siebente
Stück so freundlich sorgen, dafür sei Ihnen tausend Dank
gesagt" (Schillers Br. 4, 175).
* Eine ,, gewöhnliche Portion", wie aucli Stück 7 der .Hören'
sie bringen sollte, füllte sechsundzwanzig bis dreissig Seiten
35 des Horen-Formats. Für Stück 7 war die sechste Ge-
schichte bestimmt (.Ferdinand und Ottilie').
Schiller hatte am 12. Juni, begierig auf einen, von Goethe
versprochenen, anderweitigen Beitrag für die , Hören', ange-
330 UNTERHALTUNGEN D. A. 1795
[Juni 18, Weimar.] [577]
Bis dahin ist auch die zweite Hälfte des fünften Buchs
[,Wilhelm Meisters Lehrjahre'] abgeschrieben, und so
hätten wir uns der Widerwärtigkeit^ so gut als möglich
zu unsern Arbeiten bedient. 5
An Schiller. — Br. 10, 267, 13—19.
Juni 18, Weimar. r.78
Ich werde etwa zu Ende der andern Woche bei Ihnen
sein und wo möglich die versprochene Erzählung^ mit-
bringen. 10
An Schiller. — Br. 10, 268, 16-18.
Juni 27, Weimar, 579
Eine Erzählung für die ,Horen'^ und ein Blättchen
für den Abnanach mögen meine Vorläufer sein*.
An Schiller. — Br. 10, 272, 8 f. 15
Juli 8, Karlsbad. 580
Indem ich auf meiner Herreise^ einige alte Mährchen
durchdachte, ist mir verschiedenes über die Behand-
lungsart derselben durch den Kopf gegangen. Ich will
ehstens eins schreiben, damit wir einen Text vor uns 20
haben®.
An Schiller. — Br. 10, 277, 7—11,
fragt: „Kann ich aber auch noch auf die Fortsetzung der
, Unterhaltungen' für das siebente Stück zählen?" und ant-
wortete auf Obiges am 15. Juni: „ . . auf die .Unterhai- 25
tungen', wozu Sie mir Hoffnung gemacht haben, harre ich
mit grossem Verlangen" (Br. 4, 183. 188).
' Körperlichen Uebelbefindens,
* Die sechste Geschichte der ,Unterhaltungen' C, Ferdinand
und Ottilie') für Stück 7 der .Hören'. 30
^ s. die vorhergehende Erläuterung.
* Zwei Tage später, am 29. Juni, traf Goethe in Jena ein und
reiste am 2. Juli weiter, nach Karlsbad.
° Von Jena nach Karlsbad, am 2. und 3. Juli.
* Während des Aufenthaltes in Karlsbad hat Goethe mög- 35 ;
licherweise an dem , Mährchen' gearbeitet und vielleicht
auch auf der Rückreise (die ihn am 10. August wieder über
Jena führte) mit Schiller darüber gesprochen.
1795 UNTERHALTUNGEN D. A. 331
August 17, Weimar, 581
Ich sehe voraiis, dass ich Anfangs September nacli
Ilmenau muss und dass ich unter zehn bis vierzehn
Tagen dort nicht loskomme; bis dahin liegt noch vieler-
5 lei auf mir und ich wünschte noch von Ihnen zu -n-issen.
was Sie zu den , Hören" bedürfen. Soviel ich übersehe,
könnte ich Folgendes leisten:
August. jUnterhaltungen", Schluss der letzten Ge-
schichte^
30 September.
Das .Mährchen". Ich würde die , Unterhal-
tungen" damit schliessen, und es würde vielleicht
nicht übel sein, wenn sie durch ein Product der
Einbildungskraft gleichsam iu's Unendliche aus-
35 liefen.
Oetober. Fortsetzung des ,Mährchens"'^.
An Schiller. — Br. 10, 285, 26—286, 16.
August 18, Weimar. 5S2
20 Den Beschluss der Geschichte und den Uebergang
zum 3Iährchen" übersende ich bald möglichst, ich glaube
aber nicht, dass es einen gedruckten Bogen ausfüllen
wird^. Zu dem ,Mährchen"' selbst habe ich guten Mutli,.
es unterhält mich und wird also doch wohl auch einiger-
25 massen für andere unterhaltend sein.
An Schiller. — Br. 10, 288, 22—289, 3.
August 21, Weimar. 583
Mehr ein Uebersprung als ein Uebergang vom bür-
' s. 330, 29 f.
30 ' Schiller erAviderte am selben Tage: ..Mit der Ausführuag
dessen, was Sie für die restirenden Monate in die .Hören'
versprechen, werden Sie mir grosse Freude machen, . . . Das
, Mährchen' wird mich recht herzlich erfreuen und die .Un-
terhaltungen' für dieses Jahr schön schliessen" (Schillers
35 Br, 4, 236).
' Gerade die Hälfte, acht Seiten, wurden gefüllt, s. 316, 20.
332 UNTERHALTUNGEN D. A. 1795
[August 21, Weimar.] [583]
gerlichen Leben zum ,Mährchen' ist mein diessmaliger
Beitragt geworden. Nehmen Sie damit vorlieb.
. . . Die erste Portion des ,Mährchens' erhalten Sie
vor Ende des Monats-. 5
An Schiller. — Br. 10, 290, 1—3. 8 f.
August 22, Weimar. 584
Es freut mich, dass meine kleine Gabe zur rechten
Zeit kam^. Die erste Hälfte des ,Mährchens' sollte
nach meiner Eechnung auch in's neunte Stück kommen; lo
inwiefern es nöthig oder thulich sei, wollen wir Mon-
tags [2-1:. August] bereden, da ich Sie mit Meyern zu
besuchen gedenke*.
An Schiller. - Br. 10. 290, 18-291, 4.
^ Für Stück 9 der .Hören', s. 316, 20—22. 15
^ Noch am Abend desselben Tages antwortete Schiller: ,,Tch
erinnere mieli. wie ich einmal vor sieben Jahren in Weimar
sass und mir alles Geld bis etwa auf zwei Groschen Porco
ausgegangen war, olme dass ich wusste, woher neues zu
bekommen. In dieser Extremität denken Sie Sich meine 20
angenehme Bestürzung, als mir eine längst vergessene
Schuld der Litterat ur-Zeitung an demselben Tage übersendet
wurde. Das war in der That Gottes Finger, und das ist
auch Ihre heutige Mission. Ich wusste in der That nicht,
was ich Cottaen. der Manuscript für das neunte Stück 25
Döthig hat, heute senden sollte, und Sie, als ein wahrer
Himmelsbote, senden mir zwar nur etwa V2 Bogen, aber
doch genug, um mit dem , Apollo' [Hymnus, nach dem Grie-
chischen, von Goethe; W. 4. 321—326] einen ganzen auszu-
machen. 30
Ich werde kaum Zeit haben, dieses Manuscript noch zu
lesen, ob ich es gleicli in orthographischer Rücksicht sorg-
fältig durchlaufen Avill.
Auf Ihr , Mährchen' freue ich micli selir. denn es scheint
unter sehr guten Auspicien zur Welt zu kommen" (Schillers 35
Br. 4. 243 f.).
' s. Z. 15—30.
* Goethe kam, seiner Ankündigung entsprechend, am 24.
August auf einige Stunden nach Jena, fand aber den Freund
1795 UNTERHALTUNGEN D. A. 333
August 24 Abends, Weimar. 585
Ich ■wünsche zu vernehmen, dass der gute Effect des
, Mährchens' nachgekommen ist und die Folge den an-
fänglichen bösen Eindruck wieder ausgelöscht hat^.
5 An Schiller. — Br. 10, 291, 14—17.
körperlich leidend, so dass aus diesem Grunde oder aus
Mangel an Zeit die beabsichtigte Besprechung unterblieben
zu sein und Schiller während Goethes Anwesenheit nur den
Aufaui^ des .Mährchens" kennen gelernt zu haben scheint.
10 Am Abend desselben Tages, nach Weimar zurückgekehrt,
schrieb Goethe, wie in Nr. 585 zu lesen.
* Vgl. die vorhergehende Erläuterung. Am 29. August schrieb
Schiller: ,,Das .Mälirchen' ist bunt und lustig genug, v.nd
ich linde die Idee, deren Sie einmal erwälinten: ,,daÄ geg^u-
15 seitige Hülfleisten der Kräfte und das Zurückweisen auf
einander" recht artig ausgeführt. Meiner Frau hat es viel
"\'ergnügen gemacht; sie findet es im Voltairischen Ge-
schmack, und ich muss ihr Recht geben. Uebrigens haben
Sie durch diese Beliaudlungsweise sich die Verbindliclikeit
20 aufgelegt, dass alles Symbol sei. Man kann sich nicht ent-
halten, in allem eine Bedeutung zu suchen. Die vier Könige
präsentiren sich gar prächtig, und die Schlange als Brücke
ist eine charmante Figur. Sehr charakteristisch ist die
schöne Lilie mit ihrem Mops. Das Ganze zeigt sich über-
25 haupt als die Production einer sein- fröhlichen Stimmung.
Doch hätte ich gewünscht, das Ende wäre nicht vom An-
fang getrennt, weil doch beide Hälften einander zu sehr
bedürfen, und der Leser nicht immer behält, was er gelesen.
Liegt Ihnen also nichts daran, ob es getrennt oder ganz er-
30 scheint, so will ich das nächste Stück damit anfangen; ich
weiss zum Glück für das neunte Rath, und kommt dann das
, Mährchen' im zehnten Stück aiif einmal ganz, so ist es um
so willkommener" (Schillers Br. 4, 24G).
Da Schiller über diese Angelegenheit baldigst Goethes
35 Meinung zu erfahren Avünschte, sandte er dem Briefe
(welcher, in einem Packet nach Weimar beigelegt, dort vor-
aussichtlich liegen blieb) am 31. August einen zweiten nach,
worin er seinen Vorschlag wiederholt: das , Mährchen'
lieber ,,auf einmal" in Stück 10 zu geben. ,,Das Publicum
40 ist immer mit dem Abbrechen unzufrieden, und jetzt
334 UNTERHALTUNGEN D. A. 1795
September 3. Ilmenau. 586
Das jMährcheii' ^^iinscht' ich getrennt, weil eben bei
so einer Production eine Hauptabsicht ist die Neugierde
zu erregen. Es wird zwar immer auch am Eude nocli
Eäthsel genug bleibend 5
An Schiller. — Br. 10, 297, 22—298, 2.
September 7, Weimar. 587
Die gute Aufnahme meines ,Mährchens' erfreut micii
und muntert mich auf. Wenn nur Einer von den
hundert Kobolden des Alten von Ferney- drinne w
spukt, so bin ich schon zufrieden. Wenn es zusammen
ist, wünsche ich über die Intention und das Gelingen
Ihre Gedanken zu hören.
Die zweite Hälfte des .Mährchens' und der Schluss
des sechsten Buches des Romans^ sind nun meine ,5
nächsten Arbeiten. Wann müssen Sie das ,Mährchen'
haben?*
An Schiller. — Br. 10, 298, 28— 299, 8.
müssen wir es bei guter Laune erhalten" (Schillers Br. 4,
247). 20
^ Diess ist die Antwort auf Schillers Brief vom 31. August
(s. 333, 37—334, 19).
Am 6. September, von Ilmenau heimkehrend, fand Goethe
Schillers Packet mit dem Briefe vom 29. August (s. 333, 12)
und beantwortete diesen Tags darauf. 25
- Vgl. 333, 17 f.
^ .Wilhelm Meisters Lehrjahre'.
* Schiller antwortete am 9. September: ,.Das ,Mährcheu"
kann nun erst im zehnten Stück der .Hören' erscheinen, da
ich in der Zeit, dass ich Ihre Resolution erwartete, das 30
nächste Beste aus meinen Abhandlungen zum neunten
Stück habe absenden müssen. Auch ist es im zehnten Stück
noch nöthiger. Aveil ich zu diesem sonst noch keine glän-
zende Aussichten habe. Wollen Sie es alsdann noch ge-
trennt, so kann der Schluss im eilften Stücke nachfolgen. 35
Ich bin aber nie für das Trennen, wo dieses irgend zu ver-
hindern ist. weil man das Publicum nicht genug dazu an-
halten kann, das Ganze an einer Sache zu übersehen und
darnach zu urtheilen" (Schillers Br. 4. 2*^1 1.
1795 UNTERHALTUNGEN D. A. 335
September 16, Weimar. 5S8
Haben Sie die Güte mir das ,Mahrcben"' zurück zu
schicken, es soll vollendet zurück kehrend
An Schiller. — Br. 10, 301, 19—21.
5 September 23, Weimar. 5S9
Das jMährchen' ist fertig und wird in neuer Abschrift
Sonnabends [26. September], aufwarten. Es war recht
gut, da SS Sie es zurückhielten-, theils weil noch manches
ZTirecht geruckt werden konnte, theils weil es doch nicht
10 übermässig gross geworden ist. Ich bitte besonders die
liebe Frau es nochmals^ von vorne zu lesen.
An Schiller. — Br. 10, 302, 15—303. 3.
September 26. Weimar. 5;K)
Wie ich in dieser letzten unruhigen Zeit meine Tonne
15 gewälzt habe, wird Ihnen, werther Mann, aus Beilie-
gendem* bekannt A^'erden. Selig sind die da Mälirchen
schreiben, denn Mährchen sind ä l'ordre du jour. Der
Landgraf von Darmstadt ist mit Zweihundert Pferden
in Eisenach angelangt, und die dortigen Emigrirteu
20 drohen sich auf uns zu repliiren, der Churfürst von
Aschaffenburg wird in Erfurt erwartet.
Achl warum steht der Tempel nicht am Flusse!
Ach! warum ist die Brücke nicht gebaut!^
Ich wünsche indessen, weil wir doch immer Menschen
25 und Autoren bleiben, dass Ihnen meine Production
'■ Am 18. September erwiderte Schiller: ..Nach Verlangen
folgt hier das .Mührchen'. Wenn ich es nur in acht Tagen
zurück erhalte, so kommt es noch recht zum Druck"
(Schillers Br. 4, 271).
30 = Vgl. 334, 28—39.
' Vgl. 333, 16—18.
* Der Handschrift des zu Ende geführten .Mährchens'.
° Ueber den Sinn, den diese beiden, dem .Mährchen' ange-
hörenden. Verse (W. 18. 249. 7f.i an dieser Stelle haben
35 mögen, sind die Forscher, wie über die Auslegung der
ganzen Dichtung, sehr verschiedener Ansicht. Mit ausge-
336 UNTERHALTUNGEN D. A. 1795
[September 26, Weimar.] [590]
niclit missfallen möge; wie ernsthaft jede Kleinigkeit
wird, sobald man sie kunstmässig behandelt, hab' ich
auch diessmal wieder erfahren. Ich hoffe die achtzehn
Figuren dieses Dramatis sollen, als soviel Eäthsel, dem 5
Eäthselliebenden willkommen sein^
An Schiller. — Br. 10, 303, 12—304, 3.
October 3, [Weimar.] 591
Dass mir, nach Ihrem UrtheiP, das ,Mährchen'' ge-
glückt ist, macht mir viel Freude und ich wünsche über 10
das ganze Genre nunmehr mit Ihnen zu sprechen und
noch einige Versuche zu machen.
An Schiller. — Br. 10, 305, 19—306, 2.
zeichneter Grüudlichlieit, Feiusinnigkeit und Liebe hat den
Gegenstand Friedrich Meyer von Waldeck behandelt in 15
seinem Buche ,Goethe's INIärchendichtungen' (Heidelberg.
Carl WinteFs Uuiversitiitsbuchhaudlung. 1879). Hier findet
mau auch die mannichfachen Deutungen, welche die Per-
sonen, Thiere und Gegenstände des , Mährchens' seit dessen
Bekanntwerden erfahren haben, auf einer Tabelle, chrono- 20
logisch übersichtlich zusammengestellt.
Mit den obigen Versen scheint Goethe hier nur seinem
„Unmuth über die Stcirung der eigenen Ruhe und Thätig-
keit Worte gegeben" zu haben (S. 196 des eben angeführten
Werkes und WH. 16, 17). 25
^ Schiller antwortete am 2. October: „Das ,Mährchen' hat
uns recht unterhalten, und es gefällt gewiss allgemein.
Mündlich ein Mehreres" (Schillers Br. 4, 279).
In dem, das Manuscript begleitenden, Briefe an Cotta,
vom 28. September, hatte Schiller richtig prophezeit: „An 30
dem , Mährchen' werden die Ausleger zu käuen haben".
Cotta erwidert am 23. October: „Auf die Erklärung von
Goethes , Mährchen' wäre ich sehr begierig", und fragt am
9. November an: „ . . gibt Goethe nicht den Schlüssel zu
seinem , Mährchen'?" Darauf Schiller am 16. November: 35
„Vom Goetheschen .Mährchen' wird das Publicum noch
mehr erfahren. Der Schlüssel liegt im ,Mährchen' selbst"
(Schillers Br. 4, 277. 321 und Schiller-Cotta S. 125. 132).
* Vgl. Z. 26 f.
1795 UNTERHALTUNGEN D. A. 337
] [November IS etwa, Weimar.] 592
Ich verlange zu hören, was Sie über meine neuesten
Produetionen sagen. Besonders freue ich mich auf Ihre
Auslegung des ,Mährchens'^.
5 Au Charl. v. Kalb. — Br. 10, 333, 1—3.
November 21, Weimar. 593
Die Zeugnisse für mein ,Mälirchen' sind mir sehr \ie\
werth^, und ich werde künftig auch in dieser Gattung
mit mehr Zuversicht zu Werke gehen.
10 1 lu einem undatirten, etwa am 20. November geschriebenen,
Briefeben erwiderte Charlotte von Kalb: „Den dritten
Band von , Wilhelm Meister' hab' ich noch nicht gelesen -
er ist noch bei'm Buchbinder. Aber das ,MJihrchen'. Ich will
es wiederlesen, und dann will ich Ihnen meinen Wahn und
15 Traum von diesem Mährchen sagen. — Es haben schon viele
über meine Deutung gelächelt, und andere gestutzt — für
mich ist viel AYahrheit und Sinn darin, und das Licht,
welches mir das Ganze beleuchtet, wird, hoffe ich, noch
kommen; einiges dünkt mir bekannt, vieles ist mir ver-
20 ständlich: — " fGJ. 13, 53 f.), vgl. Nr. 597.
- Zu den , .Zeugnissen" Schillers und der Frau von Kalb
(s. Z. 10 und 336, 26) kommt zunächst Körners Urtheil, in
dessen Brief an Schiller vom 6. November: ,, Goethes , Mähr-
chen' gehört, deucht mir, zu den vorzüglichsten Producten von
25 dieser Gattung. Mit aller Leichtigkeit der Erzählung und dem
Reichthum der Phantasie, wodurch sich die Hamilton-
schen Mährchen auszeichnen, verbindet es einen Sinn, der
auch den Geist nicht unbefriedigt lässt" (Schiller-Körner
2, 17S; vgl. auch Schillers Br. 4, 322 Z. 5).
30 Von zwei weiteren Beifallsäusserungen meldet Schiller
am 20. November: „Schlegel . . i.st sehr entzückt über das
, Mährchen'; auch Humboldts haben grosse Freude daran.
Werden Sie vielleicht Müsse finden das neue [vgl. 336, 12]
noch für den Januar fertig zu bringen? Wenn ich es in den
35 ersten Tagen des Januars spätestens hätte, so könnte
es noch in das erste Stück [der , Hören' 1796] kommen.
Mir wäre diess ungemein lieb, da wir doch gut anfangen
müssen, und ich noch nichts im Fach der Darstellung habe"
(Schillers Br. 4, 323).
40 August Wilhelm Schlegel hatte, am 9. November, an
Graf, Goethe über seine Dichtungen T. I. 22
338 UNTERHALTUNGEN D. A. 1795
[November 21, Weimar]. [593]
. . . Das neue Mährchen kann wohl schwerlich im
December fertig werden, selbst darf ich nicht wohl, ohne
etwas auf eine oder andere Weise über die Auslegung
des ersten gesagt zu haben, zu Jenem übergehen. Kanu 5
ich. etwas Zierliches dieser Art noch im December leisten,
so soll es mir lieb sein auch auf diese Weise an dem
ersten Eintritt in's Jahr Theil zu nehmen.
An Schiller. — Br. 10, 336, 15—17. 22-28.
] [December 3, Weimar.] 594 lO
Schiller sagt mir, dass Ihnen mein. ,Mährchen' nicht
missfallen hat\ worüber ich mich sehr freue, denn, wie
Schiller geschrieben: „Goethe scheint in diesem artigsten
aller Mährchen die Reichthümer der lieblichsten und muth-
willigsten Phantasie erschöpft zu haben, und doch ist es 15
auch wieder, als ob ihm dieser ganze Aufwand nichts ge-
kostet hätte" (Preussische Jahrbücher 9, 203).
Von Wilhelm von Humboldt dagegen scheint ein brieflich
gegen Schiller ausgesprochenes Urtheil über das , Mähr-
chen', von dem dieser am 20. November Goethen hätte 20
berichten können, nicht vorzuliegen. Wohl aber schrieb
Humboldt unter eben diesem 20. November an Schiller:
„Das zehnte Horenstück . . hat mich sehr ergötzt. Ihre
, Elegie' [,Der Spaziergang'] abgerechnet, mit der freilich
nichts streiten darf, ist das , Mährchen', meinem Urtheil 25
nach, das ^'orzüglichste. Es strahlt ordentlich unter den
Untex-haltungen hervor, . . Das , Mährchen' hat alle Eigen-
schaften, die ich von dieser Gattung erwartete, es deutet
auf einen gedankenvollen Inhalt hin, ist behend und artig
gewandt, und versetzt die Phantasie in eine so bewegliche, 30
oft wechselnde Scene, in einen so bunten, schimmernden
und magischen Kreis, dass ich mich nicht erinnere, in einem
deutschen Schriftsteller sonst etwas gelesen zu haben, das
dem gleich käme" (Schiller-Humboldt 206, 12—15).
^ Vgl. 337, 30—32. — In einem Briefe W. v. Humboldts an 35
Schiller, vom 4. December, heisst es: er habe ,,das , Mährchen'
schon mehrmals tadeln hören. Die Leute klagen, dass es
nichts sage, keine Bedeutung habe [vgl. 350, 5 f. 15 f.],
nicht witzig sei u. s. w., kurz, es ist nicht piquant. und
3795 UNTERHALTUNGEN D. A. 339
][December 3, Weimar.] [594]
Sie wissen, weit darf man nicht in's deutsche Publicum
hineinhorchen, wenn man ^luth zu arbeiten behalten
will.
5 An W. T. Humboldt. — Br. 10, 343, 5—9.
Decernber 15, Weimar. 595
Vielleicht kann ich zum ]\Iärz Jenes zweite Mälirchen,
von dem ich eine Skizze vorgetragen, fertig schreiben
und dabei mit einem kleinen Eingang über die Aus-
10 legung des ersten wegschlüpfen. Dass dieses seine
"Wirkung nicht verfehlt, sehen Sie aus beiliegendem
Briefe des Prinzen^
Es wäre sehr gut, wenn man von der ,Religieuse' für
die jHoren" Gebrauch machen könnte*. Sie könnten
15 dazu die Erlaubniss durch llerdern am besten erhalten:
ich mag nicht gerne darüber anfragen, weil mir bei
dieser Gelegenheit die Travestirung der Ciaironischen
Geschichte könnte zu Gemüthe geführt werden".
An Schiller. — Br. 10, 348. 22—349. 5.
20 für ein leichtes, schönes Spiel der Phantasie haben die
Menschen keinen Sinn'' (Schiller-Humboldt 232, 4—7).
^ Prinz August von Gotha.
- Schiller hatte am 29. November, bei Rücksendung eines,
Ihm von Goethe mitgetheilten, Briefes des Prinzen August
25 von Gotha, gefragt: „Könnten wir nicht durch diesen
Prinzen Yergüustigung erhalten, die Diderotische Erzäh-
lung .La Religieuse', die sich in dem geschriebenen Journale
befindet . . . für die .Hören' zu übersetzen?" (Schillers
Br. 4, 331.)
30 ' Wegen der „Ciaironischen Geschichte", die Goethe mög-
licher Weise unmittelbar durch den Prinzen August von
Gotha erfahren hatte, vgl. 323, 18.
Schiller antwortete am 17. December: „Es ist prächtig,
dass der scharfsinnige Prinz sich in den mystischen Sinn
35 des .Mährchens' so recht verbissen hat. Hoffentlich lassen
Sie ihn eine Weile zappeln: ja wenn Sie es auch nicht
thäten, er glaubte Ihnen auf Ihr eigenes Wort nicht, dass
er keine gute Nase gehabt habe" (Schillers Br. 4. 353»; vgl.
Nr. 596.
340 UNTERHALTUNGEN D. A. 1795
][December 21, Weimar.] 59G
'Ueber die Entdeckung, welche Iliro Durchlaucht
gemacht haben, dass der Jünger Quaestionis noch leben
müsse, bin ich freilich um so mehr erstaunt, als mich die
nähere Bekanntschaft mit dem Werke selbst völlig von 5
Ihrer, anfangs allzu verwegen scheinenden Hypothese
überzeugt hat. Ich finde in der belobten Schrift, welche
nur ein so frevelhaftes Zeitalter als das unsrige für ein
Mährchen ausgeben kann, alle Kennzeichen einer Weis-
sagung und das vorzüglichste Kennzeichen im höchsten 10
Grad. Denn man sieht offenbar, dass sie sich auf das
Vergangene wie auf das Gegenwärtige und Zukünftige
bezieht.
Ich müsste mich sehr irren, wenn ich nicht unter
den Riesen und Kohlhäuptein Bekannte angetroffen 15
hätte, und ich getraute mir theils auf das Vergangene
mit dem Finger zu deuten, theils das Zukünftige, was
uns zur Hoffnung und Warnung aufgezeichnet ist, ab-
zusondern, wie Ihro Durchlaucht aus meiner Auslegung
sehen werden, die ich aber nicht eher heraus zu geben 20
gedenke, als bis ich 99 Vorgänger vor mir sehen werde.
Denn Sie wissen wohl, dass von den Auslegern solcher
Schriften immer nur der letzte die Aufmerksamkeit
auf sich zieht.
An Prinz August v. Gotha. — Br, 10, 351. 22—352, 21. 25
December 23, [Weimar.] 597
Hier liegt . . eine Erklärung der dramatischen Per-
sonen des ,Mährchens' bei, von Freundin Charlotte^.
' Nacli Br. 10. 427 (zu Nr. 3244) ist das Folgende die „Ant-
wort auf einen Brief des Prinzen August vom 13. December, 30
in welchem witzig ausgeführt wird, der ungenannte Ver-
fasser des , Mährchens' könne kein andrer sein als der, so-
mit noch lebende. Jünger und Evangelist Johannes", vgl. 339,
12. 34. 354, 10—15. 29—34.
== Vgl. 337, 4. 14. 356, 2-4. 2.5—27. 35
1795 UNTERHALTUNGEN D. A. 341
[December 23, [NVeimar] ] [597]
Schicken Sie mir doch geschwijid eine andere Erklärung
dagegen, die ich ihr mittheilen könnte.
. . . Ich habe noch geschwind einige Varianten zur
5 Erklärung gesetzt; wenn Sie auch noch die Summe ver-
mehren, so wird eine Verwirrung ohne Ende aus diesen
Aufklärungen zu hoffen sein.
. . . XB. Die roth unterstrichnen sind meine Vari-
anten^.
10 An Schiller. — Br. 10, 353, 9—12. 354, 5—8. 11.
December 26, Weimar. 598
Es ist recht gut, dass die Eecension des poetischen
Theils der ,Horen' in die Hände eines Mannes aus der
neuen Generation gefallen ist-, mit der alten werden
15 "«'ir wohl niemals einig werden. Vielleicht lese ich sie
bei Ihnen, denn, wenn es mir möglich ist, geh' ich den
dritten Januar von hier ab^.
^ Am 25. December erwiderte Schiller: „Hier einen kleinen
Beitrag zu der Interpretation des , Mährchens'. Er ist mager
20 genug, da Sie mir mit dem Besten schon zuvorgekommen
sind. In dergleichen Dingen erfindet die Phantasie selbst
nicht soviel, als die Tollheit der Menschen wirklich aus-
heckt, und ich bin übei'zeugt: die schon vorhandenen Ausle-
gimgen werden alles Denken übersteigen" (Schillers Br. 4,
25 364).
In Schillers Brief an Goethe vom 23. December heisst es:
„Von der zu erwartenden Recension der ,Horen' durch
Schütz hörte ich gestern, dass es Ernst damit sei, und dass
wir sie in wenigen Wochen zu Gesicht bekommen werden.
30 ... Er [Schütz] hat . . dem jungen Schlegel den poe-
tischen Tlieil derselben zu recensiren aufgetragen, sowie
auch die ,Unterhaltungen' u. s. w., [Schiller selbst hatte
August Wilhelm Schlegel diesen Vorschlag brieflich schon
am 29. October gethan] und dieser hat die Recension. wie
35 er mir heute schrieb, schon an Schütz gesendet. Wenn er
nicjits in diese Arbeit hineingepfuscht, so erwarte ich et-
was Gutes davon'" (Schillers Br. 4, 361).
■ Vgl. Z. 30.
^ Diess geschah. Goethe war vom 3. bis 17. Januar 179G in
342 UNTERHALTUNGEN D. A. 1795
[December 26, Weimar.] [698]
Jena, und man dai'f annehmen, dass er hier die ausführ-
liche, während der ersten Januar-Woche erschienene, Be-
sprechung des ersten Jahrgangs der , Hören' in der , Allge-
meinen Literatur-Zeitung' gelesen habe. Der auf die .Unter- »
haltungen' bezügliche Theil steht in Nr. 6, vom 6. Januar,
Spalte 44 f. Wilhelm Schlegel sagt hier: „Die ,Unter-
haltimgen deutscher Ausgewanderten' sind das, wofür der
Verfasser sie gibt, eine leichte, angenehme Erholung, welche
nicht sowohl den ermüdeten Geist von sich selbst ablenkt lo
und zerstreut, als durch den ruhigen Ton, der darin
herrscht, zur Sammlung einladet, womit ihm oft der
grössere Dienst geschieht. Der Eingang erinnert an einen
ähnlichen, zu einer sonst noch genug von dieser verschie-
denen Reihe von Erzählungen, dem ,Decameron' des Boccaz. is-
Dort flüchtete man sich von dem Schauplatze physischer
Zerrüttung, wie hier von dem Schauplatze der politischen.
Nur konnten die anmuthigsten Erzählungen eine Pest nicht
beschwören, da sie hingegen Hader und Zwietracht wohl
in den Schlaf zu wiegen vermögen. Die Einleitung zu 20
diesem LTnternehmen hat freilich das Ansehen eines Wider-
spruchs; denn es bringt dem Gedächtnisse die Gegenstände
sehr nahe, welche man sich zu entfernen vorsetzte, doch ist
er nicht unauflösbar. Das Uebel musste noch einmal so
lebendig geschildert werden, dass es jedem, welcher je Par- 25
tei genommen hatte, leicht wird, sich von dem Dasein des-
selben durch eine aufwallende Theilnehmung an diesem
Gespräch zu überzeugen. Die Erwähnung des Galgens und
der Guillotine berührt eben den Gipfel beider entgegen-
gesetzten Denkarten, und man ist nicht betrübt, den braven 30
Mann abreisen zu sehn, der sie herbeiführte [vgl. dagegen
Schillers entgegengesetzte Meinung 319, 20—29]. Nun ge-
winnt man Raum, sich an den folgenden Gesprächen zu
erfreuen, worin Vernunft und Witz, allgemeine und be-
sondre Wahrheiten auf's glücklichste gemischt sind, wo es 35
der Namen nicht bedarf, um die Sprechenden von einander
abzusondern, und ein jeder seinen Charakter behauptet. Ja,
bis in die kleinste der kleinen Geschichten, welche vorge-
tragen werden, lässt sich jene feine und lebhafte drama-
tische Wendung nicht verkennen. Auch die Spuren dessen, 40
was man Manier nennen möchte, gefallen noch daran: wa-
1795 UNTERHALTUNGEN D. Ä. 343
[December 2ö, Weimar.] [598]
rum sollte man eine zierliche Manier nicht lieben? Diese
hier ist nicht karg mit Worten und Aufzählung kleiner
Umstände, aber sie haben alle Leben und Grazie, und
5 werden durch einen einfachen Gang zusammengehalten.
Ohne Prunk und geflissentlich erregte Spannung erreicht
die erste dieser Erzählungen ihre Absicht, unsre Aufmerk-
samkeit zu fesseln und die Phantasie anzuregen, wobei es
nicht ohne Schauder abgeht. Anordnung und Ausdruck
10 sind so kunstlos und darstellend, dass man gern zu ihnen
zurückkehrt, und es sich schon gefallen lässt. das Wort
dieses Räthsels. so wie der andern nachher aufgegebnen,
nicht gefunden zu haben. Besonders ist alles, was darin
zur Bezeichnung der Charaktere dient, vortrefflich. Alle
15 Zaubereien des Verfassers reichen dagegen nicht hin. den
harten Contrast in dem Abenteuer des Marschalls de
BassompieiTe ohne Widerwillen verschmerzen zu lassen.
Dass die Begebenheit der schönen Strohwlttwe mit einem
Procurator zu Genua nicht unbekannt ist, schadet aller-
20 dings dem Vergnügen nicht, womit wir sie hier wieder
lesen; doch schadet es ihrer Moralität, dass alles Verdienst
auf die Kälte und Geistesgegenwart des jungen Weisen
kommt, und die Entsagung der artigen Frau nach aufgehob-
nem Fasten vielleicht nicht Stand halten möchte. [Hier-
25 nach hat Schlegel, seltsamer Weise, die von Goethe mit dem
Schluss der Geschichte vorgenommene Aenderung gar nicht
bemerkt, obwohl gerade diese erst die ..Moralität" der Er-
zählung vollendet, ja recht eigentlich herstellt: vgl. Schil-
lers Aeusserung 327, 14 — 20. vor allem aber folgende Stelle der
30 .Unterhaltungen' selbst (W. 18. 187, 24—188. 24):
,,Man muss Ihren Procurator loben, sagte die Baronesse,
er ist zierlich, vernünftig, unterhaltend und unterrichtend;
so sollten alle diejenigen sein, die uns von einer Verirrung
abhalten oder davon zurück bringen wollen. Wirklich ver-
35 dient die Erzählung vor vielen andern den Ehrentitel einer
moralischen Erzählung. Geben Sie uns mehrere von dieser
Art und unsre Gesellschaft wird sich deren gewiss erfreuen.
Der Alte. Wenn diese Geschichte Ihren Beifall hat. so
ist es mir zwar sehr angenehm, doch thut mir's leid, wenn
40 Sie noch mehr moralische Erzählungen wünschen, denn es
ist die erste und letzte.
344 UNTERHALTUNGEN D. A. 1795
[December 26, Weimar.] [598]
Luise. Es bringt Ibnen uicht viel Ehre, dass Sie in Ihrer
Sammlung gerade von der besten Art nur eine einzige haben.
Der Alt e. Sie verstehn mich unrecht. Es ist nicht die
einzige moralische Geschichte, die ich erzählen kann, son- 5
dern alle gleichen sich dergestalt, dass man immer nur die-
selbe zu erzählen scheint.
Luise. Sie sollten sich doch endlich diese Paradoxen ab-
gewüimen, die das Gespräch nur verwirren; erklären Sie sich
deutlicher. lo
Der Alte. Recht gern. Nur diejenige Erzählung ver-
dient moralisch genannt zu werden, die uns zeigt, dass der
Mensch in sich eine Kraft habe, aus Ueberzeugung eines
Bessei'n, selbst gegen seine Neigung zu handeln. Dieses
lehrt uns diese Geschichte, und keine moralische Geschichte 15
kann etwas Anderes lehren.'"] Uns dünkt daher die Ge-
schichte des verirrten Jünglings moralisclier. Eine über-
zeugende "^'ahrheit der Darstellung und der Bemerkungen,
die dem Verfasser in der That so natürlich wie das Athmen
zu sein scheint, spricht uns darin an. Gegen das Ende 20
entsteht indessen die Frage, ob eine solche Erfahrung, wie
die, welche Ferdinands Rettung begleitet, nicht zu denen
gehört, an die, bei Gelegenheit des Sprungs zweier ver-
brüderten Schreibtische die Forderung gemacht wird, dass
sie wahr sein müssen, und die man also nur gern in .Hein- 25
rieh Siillings Leben' liest.
"Was aber alles Belehrende und Erg(3tzeude in den vorigen
Unterhaltungen dahinten lässt, was ein sanftes Wohlge-
fallen in das lebhafteste Vergnügen verwandelt, ist das
, Mährchen', zu dem wir durch treffende Winke über das 30
Wesen der Phantasie vorbereitet werden. Sie gaukelt uns
alsdann das lieblichste Mährchen vor, das je von ihrem
Himmel auf die düx're Erde herabgefallen ist. Alle ihre
Jugend und Fröhlichkeit scheint wach geworden zu sein.
So bunt sie aber ihr Gemälde mischt, so gemildert ist es 35
dennoch in seiner Haltung. Eine Reihe der lieblichsten
Bilder zieht uns fort; sie gehen zuweilen in eine lächelnde
Charakteristik, und dann wieder in's Rührende über: doch
liegt das Rührende mehr in der holden Zartheit der Schil-
derung, als im Mitleiden, das der Gegenstand enveckt. Nie 40
1795 UNTERHALTUNGEN D. A. 345
[December 26, Weimar.] [593]
. . . Ich danke für den Beitrag zur Auslegung des
jMährchens'^, wir würden freilich noch ein Bisschen
zusehen. Ich hoffe aber doch noch auf eine srünstisre
5 gab es einen liebenswürdigeren Schmerz als den der süssen
Lilie; überhaupt en-egt sie ein Gefühl, als wenn man den
Duft der Blume, deren Namen sie führt, in freier Luft ein-
athmete. Dazwischen bringt irgend ein komischer Zug, wie
die Verlegenheit der guten Alten um ihre Hand, zum
10 Lächeln, oder man erheitert sich bei den Irrlichtern, einem
Völkchen, das hier in seiner ganzen Beweglichkeit ergriffen
und wie fest gezaubert ist, ohne still zu stehn. Es ist eine
Zeichnung, bei der man nicht ohne Ergötzen vei"weilen
kann; sie erschöpfet, Avas sie darstellen soll, und gleitet
15 doch leicht darüber hinweg, wie die Nymphe über die
Spitzen des Grases. So schwebt das ganze Mährchen hin,
und wer sich nicht an ihm erfreuen wollte, müsste wenig-
stens nicht mit unbefangnem Geist sich belustigen können,
oder alle Werke, woran die Einbildungskraft allein Theil
20 hat, lästig finden. Alsdann könnte es ihn vielleicht noch
unterhalten, nach einem haltbaren Faden der Deutung zu
suchen, welches wir noch nicht unternommen haben. Im
Einzelnen ist Sinn und Bedeutung nicht schwer zu er-
kennen. Bei der Flüchtigkeit, die man sonst den Lands-
25 leuten der In-liciiter zutrauen sollte, schimmert ein gewisser
Ernst durch, der ,, nicht schwer wird über allem", wie die
Laudsleute des Verfassers, sondern eben hinreicht, eine
desto angenehmere Erinnerung der empfundnen Lust zu-
rückzulassen. Es ist kaum nöthig, zu bemerken, dass nlr-
30 gends Ueberladung, weder in der Sprache, noch in den Be-
schreibungeu stattfindet. "Wollte die Kritik auch dieses
schöne Wolkenbild nicht ohne Tadel vorbeischlüpfen lassen,
so könnte man sagen, dass die Katastrophe, wobei die
Theilnahme an den Lieblingen still steht, nicht nahe genug
35 an's Ende gerückt ist. Allein diess stört den Genuss nicht;
und wenn wir geendigt haben, so sehen wir im Geist den
Erzähler, der bisher unter der Gestalt eines alten Geist-
lichen aufgetreten ist, die Maske abwerfen imd mit einem
Flügelpaar dastehn".
40 ' \gl. 341, 18.
346 UNTERHALTUNGEN D. A. 1795
[Decemter 26, Weimar.] [598]
Wendung in den ^Unterhaltungen', meinen beliebigen
Spass darüber machen zu können.
An Schiller. — Br. 10, 355, 8—12.
Nach 1795. 5
][? ? ?] 598a
Goethe im ,Paradies', einem Spaziergang längs des
Saalufers bei Jena, auf und nieder wandelnd, sah jen-
seits des Flusses auf bunter, mit Bäumen besetzter,
Wiese eine schöne Frau, der die Natur eine herrliche lo
Stimme geschenkt hatte, in weissem Kleide und buntem
Turban mit andern Frauen umherstreifen, und hörte
ihren Gesang über das Wasser herüber. In der Nähe
des ,Paradieses' wohnte ein alter Mann, der um ge-
ringen Lohn Jeden, welcher da wollte, in einem schmalen is
Kahn nach dem jenseitigen Ufer brachte. Als es schon
dämmerte, kamen ein paar Studenten und schifften mit
Hülfe des alten Fischers lachend und den Kahn schau-
kelnd über den Fluss. Jener Abend erweckte, wie
Goethe einmal erzählte, in ihm den Gedanken an das 20
Mährchen mit der grünen Schlange^.
Mit? — Karl Schönborn: Zur Verständigung über
Goethes Faust (Breslau, bei Georg Philipp Aderholz.
1838) S. 15 f.
1795 oder 1796. 25
] [Zwischen December 1795 und Sommer 1796.] 599
Mehr als zwanzig Personen sind in dem Mährchen
geschäftig.
„Nun, und was machen sie denn alle?'' Das Mähr-
cheu, mein Freund. 30
Xenlen V. 273 f. — W. 5 (1), 224, Nr. 137.
^ Schönborn sagt nicht, von wem er diese Erzählung habe,
bemerkt jedoch ausdrücklieh: er verdanke sie „einer sehr
zuverlässigen Hand". Auch über die Zeit, wann Goethe
dieses Erlebniss gehabt haben soll, fehlen alle Angaben; 35
1796 UNTERHALTUNGEN D. A. 347
] [Zwischen December 1795 und Sommer 1796.] 600
Was mit glühendem Ernst die liebende Seele gebildet,
Eeizte dich nicht, dich reizt, Leser, mein Kobold
allein^
5 Xenien (Aus dem Naclilass) V. 183 f. — W. 5 (1), 282,
Nr. 92.
1796.
Januar 30, Weimar^. 601
Eine andere Gesellschaft hatte einen Zug von ge-
10 mischten Masken aufgeführt, unter welchen sich ein
vgl. Düntzers Erläuterungen 1.5, 49 f. und Meyer von '^'al-
deck S. 158 f. des unter 336, 15 f. angeführten Werkes.
' Der ., Kobold" macht die Beziehung auf das .Mährcheu'
zweifellos, vgl. auch 334, 10. Bei'm ersten Verse mag mau
15 zunächst an die, im sechsten Horenstück erschienenen,
römischen , Elegien' denken.
Das Distichon scheint gegen eine ganz bestimmte Aeusse-
rung eines Kritikers gerichtet zu sein.
* Zwei Wochen hatte Goethe sich während des Januars in
20 Jena aufgehalten. Dass er in dieser Zeit mit Schiller viel
über die , Hören" und deren Fortsetzung gesprochen habe,
ist kaum zu bezweifeln. In Gefolg dessen wird auch die
Fortführung der .Unterlialtungen* zur Sprache gekommen
sein. Und Goethe mag dem Freunde neue Stoffe genannt
25 haben, die er für diesen Zweck zu bearbeiten dachte.
So konnte Schiller, in Erwiderung des Goethesclicn
Briefes vom 23. Januar (in dem zahlreiche zunächst bevor-
stehende Hoffestlichkeiten genannt, von den eigenen Ar-
beiten aber nur .Wilhelm Meister' angeführt wird) am 24.
30 Januar schreiben: „Für einen Scliriftsteller, der mit der
Katastrophe eines Romans [, Wilhelm Meisters Lehrjahre'],
mit tausend Epigrammen [, Xenien'] und zwei weitläufti-
gen Erzählungen aus Italien imd China beschäftigt ist,
haben Sie diese nächsten zehn Tage ganz leidliche Zer-
35 Streuungen" (Schillers Br. 4, 397).
Gerade dass Schiller dieser Erzählungen hier gedenkt,
stimmt gut zu der lebhaft dringenden Art des eifrigen
Horen-Herausgebers, und macht es wahrscheinlich, dass
diese beiden Erzählungen, deren indess später nicht mehr
40 Erwähnung geschieht, für die .Unterhaltungen' geplant waren
(vgl. Düntzers Erläuterungen 15, 62).
348 UNTERHALTUNGEN D. A. 1796
[Januar 30, Weimar.] [601]
paar Irrlichter sehr zu ihrem Tortheil ausnahmen; sie
waren 'sehr artig gemacht und streuten, indem sie sich
drehten und schüttelten, Goldblättchen und Gedichte
aus^ 5
. . . Hat er [Eeichardt-] sich emancipiret, so soll er
' Der :Maskenzug war auf der, am 29. Januar, zur Vorfeier
von der Herzogin Luise Geburtstag abgehaltenen Redoute
veranstaltet worden.
L'eber die Ersclieinung der ..Irrlichter" wurde im ,Jour- lo
nal des Luxus und der Moden. Herausgegeben von F. J. Ber-
tucli und G. M. Kraus', im Miirzheft 179G (11, 143 f.) be-
richtet und bemerlvt: ,,Die erste Idee dazu war ohne Zwei-
fel aus dem witzigen und zur Verzweiflung aller Deutler
und Exegeten noch immer nicht befriedigend ausgelegten 15
, Mährchen" im zehnten Stücke der , Hören' 1795 genommen";
auch ist hier eines der Gedichte mitgetheilt.
Schiller schrieb am 31. Januar: ,.Ich wünsche Glück
zu dem erwünschten Ausgang der Festivität, . . Die Irr-
lichter haben mich besonders gefreut" (Schillers Br. 4, 4(Uj. 20
- Schiller hatte am 27. Januar berichtet, Reichardt habe sich
in seinem Journal , Deutschland' über die »Unterhaltungen'
bei Gelegenheit einer Horen-Recension „schrecklich eman-
cipirt" (Schillers Br. 4, 400).
In dieser Recension werden die einleitenden Gespräche 25
der ,L'nterhaltungen' und der in ihnen geführte heftige
Streit über politische Tagesfragen und Gesinnungen kurz
geschildert, sodann aber gefragt: ,, . . heisst das strenges
Stillschweigen über das Lieblingsthema
des Tages, über Krieg, politische Meiaiin-3C
gen und Staatskritik strenges Stillschwei-
gen beobachten? Alle Beziehungen auf den
jetzigen W e 1 1 1 a u f , auf die nächsten Erwar-
tungen der Menschheit vermeiden? [ Die ge-
sperrt gedruckten AVorte sind Schillers ,OefEeutlicher An- 35
kündigung der Hören" entnommen, die dem ersten Stück der
Zeitschrift vorgedruckt war.] Heisst das nicht vielmehr, die
wichtigen Gegenstände mit dictatorischem Uebermutbe ab-
urtheilen. uud das einseitige L'rtheil mit hämischer Kunst
dem Schwachen und Kurzsichtigen annehmlicli, durch im- 40
1796 UNTERHALTUNGEN D. A. 349
[Januar 30, Weimar.] [601]
dagegen mit Carnevals-Gips-Drageen^ auf seinen Büti'el-
rock begrüsst -werden, dass man ihn für einen Perüeken-
niacher halten soll.
Au Schiller. — Br. 11. !<*.. 7—12. 17. 21—24.
ponirende Namen ehrwürdig maclieu wollen V So uuschuldig
der achtungswerthe Herausgeber auch immer au dem In-
halte dieses Aufsatzes sein mag, so uuverzeihlieli bleibt es
doch, so etwas ganz dem angekündigten Plan Eutgegen-
10 laufendes von irgend einem Mitarbeiter aufzunehmen.
Um uns bei diesen ,Unterlialtungen", die einen grossen
Theil der , Hören' einnehmen, künftig nicht weiter aufzu-
halten, wollen wir nur noch mit Einem Worte bemei'keu,
dass es bei'm Autor derselben eine sehr geringe Meinung von
15 der deutscheu LescAvelt voraussetzt, wenn er weiterhin
glaubt, sie durch leere Gespeustergeschichtchen von dem
zwar nicht reinen, aber wahren grossen Interesse der
Menschheit abziehen zu können, durch plumpe italienische
Keuchheitsmethodeu. die durch das beschränkte
CO Interesse der Gegenwart in Spannung ge-
setzten deutschen Gemüt her zur Ruhe zu
bringen [vgl. 348, 3"»] . .'"; au anderer Stelle heisst es
in der gleichen Besprechung: „In dem .Mälirchen' staunen
wir mit allen uns bekannten Lesern der .Hören' die uner-
25 schfjpfliche Pliantasie, den reichen Witz des Dichters an,
vergeblich auf Deutung des Ganzen sinnend, so unverkenn-
bar auch einzelne Züge auf die innere und äussere Natur-
geschichte des Menschen deuten. Vielleicht will der Erfinder
von seinen Lesern, mit denen er so gern allerlei Muthwillen
30 treibt, auch nur kindlich angestaunt Averdeu. — Die Sprache,
die in den verschiedenen Abtheilungen der .Unterhaltungen'
einen absichtlich vorgezeichneten Kreis zu durchlaufen
scheint, und im erzälüenden Vortrage Muster verschiedener
Art aufstellt, sclieint in diesem Aufsatze die höchste Höhe
35 des edeleinfachen prosaischen Ausdrucks erreicht zu haben"
(,Deutschland. Berlin 1796. bei .Johann Friedlich Unger',
1, 62 f. 377).
' Schei*zhafte Bezeichnung für die.Xenien', von denen gerade
damals viele entstanden. Die ..Drageen", vom italienischen
40 traggea (griecli. trägema = Knupperwerk. Naschwerk», sind
350 UNTERHALTUNGEN D. A. 1790
][Mai 27, Jena.] 002
Ich danke Ihnen für den Antheil, den Sie fortgesetzt
an meinen Arbeiten nehmen. Was Sie über das ,Mälir-
chen' sagen, hat mich unendlich gefreut^. Es war frei-
lich eine schwere Aufgabe, zugleich bedeutend und
deutungslos zu sein-. Ich habe noch ein anderes im Sinne,
eine Art Schrotkörner von Zucker. Den tibermiithigen, ja
wilden Gebrauch, welchen die Italiener gelegentlich von den,
diese Drageen nachahmenden. ,, Gipszeltlein" machen, schil-
dert Goethe höchst lebendig in dem .Confetti' überschrie- lo
benen Abschnitte seines .Römischen Carnevals" (WH. 16.
314—316).
^ ^'gl. 338, 22—34.
'„Diesen Abend verspreche ich Ihnen ein
ai ährchen, durch das Sie au nichts und an 15
alles erinnert werden sollen", sagt der alte
Geistliche, der Erzähler des .Mährchens', kurz bevor dieses
anhebt (W. 18, 224. 19—21).
Auch finde hier das, den eben angeführten Worten des
,. Alten" unmittelbar voranfgehende Gespräch Platz, da es 20
dazu dienen kann, Goethes eigene Ansicht über Mährchen-
dichtung kennen zu lernen:
..Wissen Sie nicht, sagte Karl zum Alten, uns irgend ein
Mährchen zu erzählen? Die Einbildungskraft ist ein schönes
Vermögen, nur mag ich nicht gern, wenn sie das. was wirk- 25
lieh geschehen ist. verarbeiten will; die luftigen Gestalten,
die sie erschafft, sind ims als Wesen einer eigenen Gattung
sehr willkommen; verbunden mit der Wahrheit bringt sie
meist nur Ungeheuer hervor und scheint mir alsdann ge-
wöhnlich mit dem Verstand und der Vernunft im Wider- 30
Spruche zu stellen. Sie muss sich, deucht mich, an keinen
Gegenstand hängen, sie muss luis keinen Gegenstand auf-
dringen wollen; sie soll, wenn sie Kunstwerke hervorbringt,
nur wie eine Musik auf uns selbst spielen, uns in uns selbst
bewegen und zwar so, dass Avir vergessen, dass etwas ausser 35
uns sei, das diese Bewegung hervorbringt.
Fahren Sie nicht fort, sagte der Alte, Ihre Anforderungen
1797 UNTERHALTUNGEN D. A. 351
[Mai 27, Jena]. [602]
das aber, gerade umgekehrt, ganz allegorisch werden soll,
"lind das also ein sehr subordinirtes Kunstwerk geben
müsste, wenn ich nicht hoffte, durch eine sehr lebhafte
Darstellung- die Erinnerung an die Allegorie in jedem
Augenblick zu tilgen^.
An W. V. Humboldt. — Br. 11, 77, 10—19.
1797.
?Februar 4, "Weimar. 603
Vielleicht bildet sich die Idee zu einem Mährchen, die
mir gekommen ist, weiter aus. Es ist nur gar zu yer-
ständig und verständlich, drum will mir's nicht recht
behagen; kann ich aber das Schiffchen auf dem Ocean
der Imagination recht herumjagen, so gibt es doch viel-
leicht eine leidliche Composition, die den Leuten besser
gefällt, als wenn sie besser wäre-.
An Schiller. — Br. 12, 31, 20—27.
an ein Product der EinbildungskrafL umständlicher auszu-
führen! Auch das gehört zum Genuss an solchen Werken,
20 dass wir ohne Forderungen geniessen; denn sie selbst kann
nicht fordern, sie muss erwarten, was ihr geschenkt wird. Sie
macht keine Plane, nimmt sich keinen Weg vor. sondern sie
wird von ihren eigenen Flügeln getragen und gefühlt, und
indem sie sich hin und her schwingt, bezeichnet sie die
25 wunderlichsten Bahnen, die sich in ihrer Richtung stets ver-
ändern und wenden" (W. 18, 223, IS— 224. 10).
' Vgl. Nr. 603, nebst der zugehörigen Erläuterung.
- Schüler erwideite am 7. Februar: ,,Zu dem Mährchen
wünsche ich bald eine recht günstige Stimmung" (Schillers
30 Br. 5, 157).
Es ist gar nicht sicher, ob Goethe dieses Mährehen für die
(Unterhaltungen' plante. Nur mit Rücksicht auf Nr. 604 ist
obige Aeussenmg hier, als an der passendsten Stelle, ein-
gerückt worden.
35 Weder dieses Mäljrchen noch das in Nr. 602 genannte ist
ausgeführt worden. In dem 336, 15—17 namhaft gemachten
352 UNTERHALTUNGEN D. A. 1798
1798.
Februar 3, Weimar. 604
Uebrigens habe ich etwa ein halb Dutzend Mährclien
und Geschichten im Sinne, die ich, als den zweiten Theil
der , Unterhaltungen' meiner Ausgewanderten, bear- s
beiten, dem Ganzen noch auf ein gewisses Fleck helfen
und es alsdann in der Folge meiner Schriften heraus-
geben werde^.
An Schiller. — Br. 13, 52, 19-24.
Nach I8O32. 10
][? ? ?] 605
Goethe wollte darin [in den ,Unterhaltungen'], wie
er mir sagte, eine Art von , Tausend und einer
Nacht' liefern, so nemlich, dass eine Erzählung durch
die andere hervorgerufen wtTrde^; dankte aber zuletzt i5
Gott, dass er bis an das , M ä h r c h e n ' kam.
Mit Riemer. — Riemer 2, 601.
1806.
Februar 24, Weimar. — s. Nr. 79. 605a
1807. 20
April 20, Weimar. 606
Die .Erzählungen deutscher Ausgewanderten"' ange-
fangen durchzugehn*.
Tgb. 3, 205, 26 f.
Wei'ke (S. 15 f.) werden beide Aeusserungen (Nr. 602 und 603) 25
auf ein und dasselbe Mährclien bezogen, und dieses in den
Bruchstücken der ,Reise der Söhne Megaprazons' erkannt.
' Zu einem „zweiten Theil" der .Unterhaltungen' ist es nicht
gekommen. Auch wurde die Dichtung, so weit sie in den
,Horen' erschienen M^ar, nicht schon in die „Folge der 30
Schriften" aufgenommen; diese, unter dem Titel ,Neue
Schriften' erschienene. Sammlung fand vielmehr im .Jahre
1800 ihren Abschluss mit einem Bande (dem siebenten), der
fast nur Lyrik und gar keine Prosadichtung enthielt.
^ Vgl. 263. 22 f. 35
' Vgl. 320. 7—9.
* Für den zweiten Druck in Band 12 der Werke Cotta'.
1809 UNTERHALTUNGEN D. A. 353
April 21, Weimar. 607
Die ^Erzählungen deutscher Ausgewanderten' durch-
gegangen bis zu Ende.
Tgb. 3, 205, 28— 206, 1.
5 Mai 7, Weimar. 608
Alles eingepackt zum zwölften Bande^.
Tgb. 3, 208, 7 f.
1809.
][???] 609
10 [Zu 1T95. — Im ältesten biographischen Schema (s.
29, 7 — 9) heisst es unter:]
1795: Die ,Horen' . .
1796: . . ,Emigrirte' . .-
W. 26, 360, 4. 8.
15 März 9, Weimar. 610
Abends bei Madame Schopenhauer. Xach Tische das
,Mährchen*'.
Tgb. 4, 15, 15 f.
März 10, Weimar. 611
20 Abends . . Xach Tische Schluss des ,Mährchens''.
Tgb. 4, 15, 20—22.
Riemers Tagebuch hat zwei Vermerke über die seinerseits
vollzogene Durchsicht der Dichtung, am 19. Mäi"z 1807: ,. .Er-
zählung deutscher Ausgewanderten' durchgesehen", und am
25 8. April: „ ,Die deutschen Ausgewanderten' beendigt''
(Deutsche Revue 11 (1), 62).
* Der Inhalt von Band 12 ist 316, 27— 317, 1 angegeben.
Tags darauf, am 8. Mai, kam Cotta nach Weimar, und
Goethe übergab ihm bei dieser Gelegenheit die Druckvorlage
30 für die Bände 9. 11. 12, mit Ausnahme des , Werthers' und
zweier Dramen (vgl. W. 18, 415).
' Hier sind die , Unterhaltungen' irrthümlich ein Jahr später
angesetzt, als sie in Wirklichkeit in den .Hören' erschienen.
Die Arbeit an der Dichtung begann sogar schon, wie Nr. 560
35 zeigt, im letzten Viertel des Jahres 1794.
' Beziehen die Nr. 610 — 613 sich auf Vorlesungen Goethes bei
Johanna Schopenhauer?
Graf, Goethe über s. Dichtungen T. I. 23
354 UNTERHALTUNGEN D. A. 1810
?März 11, Weimar. 612
Abends . . Nach Tische: das Mährchen vom klingen-
den Gespenst^
Tgb. 4, 15, 27 f.
März 17, Weimar. 613 5
Abends die Geschichte des weisen Procurators aus den
^Erzählungen deutscher Ausgewanderten'.
Tgb. 4, 17, 4—6.
März 21, Weimar. 614
Jenes erste ,Mährchen' wurde auch damals von diesem lo
so, von jenem anders gedeutet, und Goethe sagte zu mir:
,,es komme ihm gerade so vor wie die Offenbarung St.
Johannis, die man noch heut zu Tage auf Napoleon
deute. Es fühle ein jeder, dass noch etwas drin stecke,
und wisse nur nicht was"^. i5
Mit Riemer. — Riemer 2, 604.
1810.
Juli 19, Karlsbad. 615
[Abends] Bei Frau von Eybenberg. Das ,Mährchen'
und in wiefern es eine Deutung habe. 20
Tgb. 4, 141, 8 f.
^ Die in Nr. 610. 611. 613 verzeichnete Leetüre der , Unterhal-
tungen' legt die Vermuthung nahe, dass unter dem „Mähr-
chen vom klingenden Gespenst" die erste oder zweite Ge-
schichte der .Unterhaltungen' zu verstehen sei. 25
^ Wegen der „Offenbarung St. Johannis" vgl. Nr. 596.
Obige Stelle beruht auf folgender, nur wenig abweichender
Eintragung Riemers in dessen Tagebuch:
„Bei Gelegenheit der De|/tung, die man von der Apolia-
lypse noch heutzutage auf Napoleon mache, äusserte Goethe: 30
Sein ,Mährchen' komme ihm gerade so vor wie die Offen-
barung Johannis. Schubert hatte es gedeutet, andere anders:
,Es fühlt ein jeder, dass noch etwas drin steckt, er weiss nur
nicht was' " (Deutsche Revue 12 (1), 16; hiernach Gespräche
2, 251). 35
Nähere Angaben über den hier genannten Deutungsver-
1811 UNTERHALTUNGEN D. A. 355
?August 30, Teplitz. G16
[Abends] Frau von Grotthus, Erzählungen^.
Tgl). 4, 150, 22.
-liigiist 31, Teplitz. 617
5 [Früh] , Unterhaltungen der Ausgewanderten'^.
Tgb. 4, 150, 23.
November 20, Weimar. 618
. . zum Thee hei Frau von Schardt. Das jMährchen'
vorgelesen.
10 Tgb. 4, 168, 2 f.
1811.
September 19, AVeimar. 619
[Abends] Das ,Mährchen' . den Frauenzimmern vor-
gelesen^.
15 Tgb. 4, 234, 21 f.
1816.
Juni 24, Weimar. 620
Das ,Mährchen', welches die ^Unterhaltungen der
Ausgewanderten' schloss, ladet zu Deutungen ein, indem
20 es Bilder, Ideen und Begriffe durch einander schlingt.
Zur Zeit seiner Erscheinunsr versuchten sich mehrere
sucli Schuberts vemiag icli niclit zu machen, finde auch in
den, in Frage kommenden, Werken der Goethe - Litteratur
nichts darüber. — Unter dem 13. Mai 1809 vermerkt Riemers
25 Tagebuch: ,, Dünkelhafte .Natur, die dynamisch wirkt und
atomistisch ergreift.
So bemerkt Goethe in seinem Tagebuche von 1809 [s. Nr.
1961]. den 13. Mai. Geht es auf Oken? oder ist es auf das
.Mährchen' bezüglich?" (Deutsche Revue 12 (1), 18).
30 ^ Da Goethe wiederholt die , Unterhaltungen' auch als ,Er-
zälilungen deutscher Ausgewanderten' bezeichnet (s. Nr.
606. 607. 613), so ist nicht ausgeschlossen, dass diese hier ge-
meint sind, und dass sich Nr. 617 auf eine am andern Morgen
fortgesetzte Vorlesung bezieht.
35 - Vgl. die vorhergehende Erläuterung.
' Christiane und? wie Nr. 374.
356
UNTERHALTUNGEN D. A.
181T
[Juni 24, Weimar.] [620]
Freunde daran. Drei solcher Auslegungen, wovon die
letzte einem Frauenzimmer gehört, habe ich in nach-
stehender Tabelle zu erhalten gesucht^
Aufschrift eines die Tabelle enthaltenden Foliobogens. 5.
- Tgb. 5, 391 f. zu S. 245, 18.
Juni 24, Weimar. 621
Auslegungen des ,Mährchens'' [s. Nr. 620]..
Tgb. 5. 245, 18 f.
December 18, Weimar. — s. Nr. 884. 621a lo
1817.
Juni 25, Jena. 622
. . gegen ein Uhr bei den Prinzessinen-. Der Sehluss
des jMährehens^ Um drei Uhr zurück.
Tgb. 6, 67, 25 f. is
^ Es ist zu bedauern, dass diese, im Goethe- und Schiller-
Archiv befindliche „Tabelle" nicht in der Weimarer Ausgabe,
als Anhang im kritischen Apparat zum , Mährchen', veröffent-
licht worden ist. Die obige Aeusserung zeigt genugsam, dass
diese Auslegungen dem Dichter werthvoll waren; im höchsten 20
Alter noch erinnert er sich ihrer, denn man darf wohl an-
nehmen, dass die beiden Deutungen des , Mährchens', dio
Goethe 1830 an Carlyle schicken wollte (s. Nr. 630), zu den
hier in Rede stehenden Auslegungen gehören.
Will man über die drei Verfasser eine Vermuthung aus- 25
sprechen, so ist das Nächstliegende bei dem „Frauen-
zimmer" an Charlotte von Kalb zu denken (vgl. Nr. 597).
die beiden andern dürften Prinz August von Gotha und
Schiller sein (vgl. 341, 18 f. und Nr. 596).
* Maria und Augusta, die Enkeliimen des Grossherzogs Karl 30
August, die eine neun, die andere sechs Jahre alt.
In Goethes Tagebuch steht übrigens nicht „bei den",
sondern „bei die". Die Herausgeber ändern ,,die" als
thüringisch in „den". Sollte nicht, wenn man einmal das
Mundartliche wegschaffen will, auch das ,,bei" geändert 35.
und gelesen werden müssen „zu den"? In diesem Sinne
ist ,,bei" mit dem Accusativ in Thüringen ganz gebräuchlich.
1819 UNTERHALTUNGEN D. A. 357
1819.
März [Anfang], Weimar. 623
[Zu 1794. 1795. — In dem chronologischen Yerzeich-
niss von Goethes Werken aus dem Jahre 1819 (s. Xr. 90)
5 heisst es unter dem Jahre],
1793: . . die ^Unterhaltung der Ausgewanderten'
mit dem angefügten ,Mährchen'^.
1794: Vorbereitung zu den ,Horen^
1795: Abdruck derselben und Theilnahme daran; . .
10 Summarische Jal^resfolge Gootliesclier Sctiriften. —
WH. 29, 324.
1820.
October 26, Jena. — s. Nr. 423. 623a
1S22.
15 ][März, zwisclieu 11 und IG. Weimar.] — s. Nr. 3.S9. 623b
1823.
] [Januar, zwischen 10 und 19, Weimar.] — s. Nr. 92. 623c
][Juli 1? Eger?] 624
[Zu 1794. 1795.] Einem thätigen productiven Geiste,
20 einem wahrhaft vaterländisch gesinnten, und einlieimi-
Ueberdiess entsprechen sich dann die beiden Zeitangaben
genauer: Goethe ging gegen ein Uhr hin, um drei Uhr
zurück.
' Wie in Nr. 009 um ein Jahr zu spät, ist hier die Entstehung
25 der .Unterhaltungen' irrthümlich um ein Jahr zu früh ange-
setzt, ebenso in Nr. 625.
Der Irrthum lag nahe, da für den rüclischauenden Dichter,
in späten Jahren, die durch die französische Revolution
veranlassten Dichtungen sich in das Jahr 1793 zusam-
30 mendrängten (21. Januar Hinrichtung Ludwigs XVI.),
und weil er gewohnt war, die ,L'nterhaltungen' mit .Reineke
Fuchs' und den Dramen .Der Bürgergeneral' und .Die Auf-
geregten' zusammen zu denken, die sämmtlich, theils ihrem
Entstehen, theils ihrem Erscheinen nach, dem Jahre 1793 an-
35 gehören (vgl. 358. 9—15. 359. 2—7).
358 UNTERHALTUNGEN D. A. 1S24
][Juli 1? Eger?] [624]
sehe Litteratur befördernden Manne wird man es zu
Gute halten, wenn ihn der Umsturz alles Vorhandenen
schreckt, ohne dass die mindeste Ahnung zu ihm
spräche, was denn Besseres, Ja nur anderes daraus er- &
folgen solle. Man wird ihm beistimmen, wenn es ihn
verdriesst, dass dergleichen Influenzen sich nach
Deutschland erstrecken, und verrückte, ja unwürdige
Personen das Heft ergreifen. In diesem Sinne war , d e r
Bürgergeneral' geschrieben, ingleichen , d 1 e lo
Aufgeregten' entworfen, sodann die , U n t e r -
haltungen der Ausgewanderten'. Alles
Productionen, die dem ersten Ursprung, ja sogar der
Ausfülirung nach, meist in dieses und das folgende Jahr
gehören^. i&
Tag- und Jahres-Hefte, 1793. — W. 35, 24, 4—18.
August, zwischen 11 und 21, Marienbad. 625
[Zu 1794. 1795.] ... de 1790 ä 1793-: . . Les
,entretiens des Emigres'. Eeceuil de Contes.
Tabellarische Uebersicht der ,Ouvrages po§tiques de 20
Goethe'. — GJ. 15, 18.
][October? Weimar?] 626
[Zu 1795.] Die ,Horen' wurden ausgegeben, Epi-
steln, Elegien, , Unterhaltungen der 25
Ausgewanderten' von meiner Seite beigetragen.
Tag- und Jahres-Hefte, 1795. — W. 35, 42, 6—8.
1826.
Februar 1. Weimar'. 627
Band 11: Symbolisch-satirische Theaterstücke: .Tri- 30
umph der Empfindsamkeit'; ,Die Vögel'; ,Der Gross-
^ Vgl. Nr. 389 und die Uebersicht der durch die französische
Revolution veranlassten Dichtungen 187, 2G— 32.
^ Wegen der irrigen Zeitangabe vgl. 357, 24—26.
' Vgl. 32, 28—30. 35
1829 UNTERHALTUNGEN D. A. 359
[Februar 1, Weimar.] [627]
kophta'; ,Der BürgergeneraF; ,Die Aufgeregten'; ,Unter-
haltung der Ausgewanderten'. (Letzteres, obgleich nicht
eigentlich dramatisch, hat man hier angefügt, weil es
5 im Sinne der drei vorhergehenden geschrieben ist und
das grosse Unheil unwürdiger Staatsumwälzung in leb-
haftem Dialog Tor die Seele bringt.)'-
Anzeige von Goethes sämmtlicben Werken, Vollständige
Ausgabe letzter Hand. — WH. 29, 351.
10 1829.
Januar 10, Weimar. 628
[Zu 1794. 1795.]. Hätt' es ihm [Schiller] nicht an
Manuscript zu den ,Horen' . . gefehlt, ich hätte die
^Unterhaltungen der Ausgewanderten' nicht geschrie-
15 bea, . .2
An Schultz. — G.-Schultz S. 362.
1830.
April 19, Weimar. 629
Einige Auskunft über die Räthsel, welche in meinen
20 kleinen Gedichten und den grossem Werken^ vor-
^ Für die ,Unterlialtungen" wui'de diese Auordnimg abgeän-
dert, wie 317, 6 — 8 zeigt.
Als Knebel im Jalire 1828 die , Unterhaltungen' neuerdings
gelesen hatte, wie sie im Band 15 der .Ausgabe letzter Hand',
25 vereinigt mit den , Guten Weibern' und der , Novelle' erschie-
nen waren, schrieb er am 11. Juni an Goethe: ..Gewiss, Deine
Erzählungen liönnen für eine Ivleine Lebensphilosophie gelten,
reich an Fülle und Anmuth" (G.-Knebel 2, 383).
* Wie so manches Andere, dessen Zustandekommen Goethe
30 dem ,, neuen Frühling" verdankte, der ihm durch das Zu-
sammenleben mit Schiller aufgegangen war.
Die Stelle, der obige Worte entnommen sind, kann in
ganzer Ausdehnung erst im dritten Theile dieses Werkes
ihren Platz finden imter den Aeusserungen Goethes über
35 Schillers Einwirken auf seine dichterische Thätigkeit.
* Unter diesen kommt hier in erster Linie das .Mährcheu' in
360 UNTERHALTUNGEN D. A. 1830
[April 19, Weimar.] [629]
kommen, Hesse sich anmuthig von Mund zu Mund, aber
nicht wohl schriftlich mittheilen. Soviel jedoch würde
sich durchaus ergeben, dass irgendwo ein Vorzüg-
lichstes, sowohl der Innigkeit als der Dauer nach. 5
auffallend entgegen träte.
An Marianne Willemer. — G.-Willemer S. 270 f.
Juni 6, Weimar. 630
^Ihrer lieben Gattin das Allerfreundlichste! ... Es
freut mich, dass jenes famose ,Mährchen' auch dort seine lo
Frage, wie folgende Stelle in Marianne Willemers Brief aus
dem Januar 1830 zeigt, auf die Obiges die Antwort ist:
„Wenn mir bei dem wiederholten Lesen der neuen Ausgabe
[der Werke Cotta^] gar viele Lichter aufgehen, und in
Schillers Briefen manches Räthsel gelöst wird, so bleibt doch 15
zu vielem das goldne Schlüsseleheu nothwendig, was freilich
Sie allein zu gewähren wissen; das ,Mährclieu'' bleibt mir zum
Theil verschlossen, aucli was in den Briefen davon gesagt
wird, macht mich noch neugieriger [vgl. 333, 13—25]. Die
»Weissagungen [des Bakis]', wer die zu lösen vermöchte, 20
ach, und vollends die Personenräthsel, die muss man schon
verschleiert lassen; ich freue und tröste mich an dem, was
mir klar und andern ein Räthsel ist. Jedoch will ich nicht
in Abrede stellen, dass ein kleiner Fingerzeig über obige un-
verfängliche Gegenstände höchst Avünschenswerth sein 25
dürfte" (G.-Willemer S. 268 f.).
^ Am 23. Mai hatte Carlyle aus seinem weltabgeschiedenen
Craigenputtock geschrieben:
,,nier in unsrer Bergeseinsamkeit weilen Sie oft als unser
Hausgenosse unter uns und können weise Lehren und anmu- 30
thige Erzählungen in das Ohr der Hausfrau selbst flüstern.
Sie bringt manchen Abend mit Ihnen zu . . Eine ihrer letzten
Leistungen war, die , Deutschen Ausgewanderten' und jenes
herrliche ,Mälirchen' zu lesen, ein wahres Universum der
Phantasie, für dessen mannichfaltige, unerschöpfliche Bedeu- 35
tung (denn das weibliche Auge vermuthete Bedeutung darin)
ich häufiger um Erklärung angegangen wurde, als ich sie
geben konnte, und schliesslicli, das Dringen zu beschwichti-
gen, versprechen musste. später einen Commentar darüber zu
1830 UNTERHALTUNGEN D. A. 301
[Juni 6, Weimar.] [630|
Wirkung nicht verfehlt. Es ist ein Kunststück, das
zum zweiteumale schwerlieh gelingen würde. Eine gere-
gelte Einbildungskraft fordert unwiderstehlich den Ver-
stand auf, ihr etwas Gesetzliches und Folgerechtes abzu-
gewinnen, womit er nie zu Stande kommt. Indessen habe
ich doch zwei Auslegungen, die ich aufsuchen und, wo
möglich, dem Kästchen beilegen wilP.
An Carlylo. — G.-Carlyle S. 104.
10 schreiben als über eines der tiefsten, poetiscListeu Dinge, die
selbst Goethe je geschrieben hat" (G.-Carlyle S. 95).
^ Wegen der ,, Auslegungen'" vgl. Nr. 620. Carlyle erwiderte am
31. August: ,, . . hier wird mir aufgetragen, Sie, wenn es
sein darf, ohne Zudringlichkeit an jene versprochene Deu-
15 tung des , Mährchens' zu erinnern, nach welcher der weibliche
Verstand noch immer ernstlich begehrt'" (G.-Carlyle S. 113).
Wenn Goethe sodann am 5. October -von jenem Kästchen
schreibt: ,, . . es wird die letzte Lieferung meiner Werke
enthalten, der ich noch einiges Interessante hinzuzufügen
20 hoffe"", so mag er bei dem Letzteren auch an die, in Aussicht
gestellten, zwei Deutungen des , Mährchens' gedacht haben.
Da diese aber weder in Goethes Brief erwähnt werden, der
die (erst am 15. Juni 1831 abgefertigte) Sendung begleitete
und ein Yerzeichuiss von deren Inhalt enthält, noch auch :n
25 Carlyles Antwort vom 13. August, so bleibt zweifelhaft, ob
sie überhaupt mitgeschickt worden sind.
Auch in der Einleitung zu seiner Uebertragung des .Mähr-
chens' in's Englisclie gedenkt Carlyle der hier in Frage ste-
henden Auslegungen nicht (,Critical and miscellaneous essays:
30 third edition. London: Chapman and Hall, 1847" 4, 431^39).
Die Wahlverwandtschaften.
Handschriften: sind nicht bekannt.
Erster Druck: 1S09, unter dem Titel ,Die Walilverwandtschaf-
ten. Ein Roman von Goetlie. Erster (Zweiter) Tlieil. Tü-
bingen, in der J. G. Cottaischen Buchhandlung. 1809', zwei 5
Bände.
Zweiter Bruch: 1810, Werke Cotta^ Band 13, als Ergänzungs-
band der zwölfbändigen Ausgabe angefügt.
Dieser Druck wurde auch als selbstständiges Buch
xerkauft mit der Bezeichnung „Zweite Auflage" auf dem lo
Titel.
Dritter Druck: 1817, Werke Cotta= Band 14.
Vierter Druck: 182S, ^^'erke Cotta^ Band 17.
Weimarer Ausgäbe: 1S92, W. Band 20.
1807.
?Mai 26, zwischen Schleiz und Hof\ 631
[Früh] Um fünf Uhr von Schleiz abgefahren. Un-
terweges Motive zu den ,WanderJahren'-.
Tgb. 3, 214, 11 f.
15
^ Goethe befand sich, in Begleitung Riemers, auf der Reise 20
nach Karlsbad, die er Tags zuvor, am 25. Mai, von Jena
aus angetreten hatte.
' Von diesem wie auch von den nächstfolgenden neun Tage-
buclivermerken (Nr. 632— G39a) wissen wir nicht mit Sicher-
heit, ob sie sich unter anderem auch auf die Anfänge der 25
»Wahlverwandtschaften' beziehen. Doch ist diess sehr
1807 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 3G3
?Mai 27. Franz. >nsbad. 632
Xach Tische Motive aiifgeschrieben.
Tgb. 3, 215, 9 f.
?Juli 2, Karlsbad. 633
5 Abends zu Hause. Mit verschiedenen Entvrürfen be-
schäftigt.
Tgb. 3, 234. 8 f.
?August 6, Karlsliad. 634
[Früh] Die ronianenhaften Motive zu den ,"\Vander-
10 Jahren*^ überdacht.
Tgb. 3, 253, 24 f.
?August 7, Karlsbad. 635
[Früh] . . abermals die verschiedenen Eomanenmo-
tive durchgedacht.
15 Tgb. 3, 254, 12 f.
?August 10. Karlsbad. — s. Nr. 81. 635a
?Xovember 14, Jena. 636
[Früh] Yerscliiedenes imaginirt und vorbereitet^.
Tgb. 3, 295, 13.
20 ? December 9, Jena. 637
[Früh], Novellen zu ^Wilhelm Meisters "Wanderjahren'.
Lange im Bette.
Tgb. 3, 305, 16 f.
?December 11, Jena. 638
25 [Früh], A'erschiedenes durchgedacht. . . . Xovellen
und Romane.
Tgb. 3, 306, 11—13.
"wahrscheinlleJi, denn urspiünglich sollte die, nachmals zum
Roman erweiterte, Erzählung unter den kleinen für .Wilhelm
30 ileisters Wanderjahre' bestimmten Geschichten ihren Platz
finden, vgl. Nr. 640 (hier, am 11. April 1808, wird zum
erstenmal der Name .Wahlverwandtschaften* genannt) und
die sachlich hierher gehörige Nr. 890.
* Am 11. November war Goethe in Jena eingetroffen imd blieb
35 hier bis zum 18. December.
Die obige Aeusserung bezieht sich wahrscheinlich nicht mit
364 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1808
?December 13, Jena. ' 639
[Früh] Mit kleinen poetischen Dingen und sonstigen
Betrachtungen beschäftigt^.
Tgb. 3, 307, 3 f.
?Dec8uiber 17, Jena. — s. Nr. 86. 639a 5
1808.
April 11, Weimar. 640
[Früh] An den kleinen Erzälilungen Schema tisirt.
besonders den ^Wahlverwandtschaften' und dem ,Mann
von fünfzig Jahren^ . . . Abends Hofrath Meyer. .St. lo
Joseph der Zweite' vorgelesen. Ueber die kleinen Erzäh-
lungen überhaupt gesprochen.
Tgb. 3, 327, 26—328, 3.
AprU 12, Weimar. 641
[Früh] Wie gestern [s. Nr. 640]. is
Tgb. 3, 328, 4.
?April 24, Jena. 641a
[Kaehmittags] In's Paradies mit Meyer. Pandorisches
und andres^.
Tgb. 3, 330, 9 f. 20
?April 27, Jena. 642
[Nachmittags] Ausbildung, Gewahrwerden verschie-
dener ]\Iotive und ihrer Behandlung.
Tgb. 3, 330, 25-27.
auf die ,WablA'erwandtschaften', sondern auf die Vorberei- 25
tung zur Arbeit an dem Festspiel ,Paudora', dem diese fünf
Wochen bauptsäcblieb gewidmet wurden.
^ Unter den ,. kleinen poetischen Dingen" sind wohl Sonette
zu verstehen.
^ Vom 23. April bis zum 1. Mai befand Goethe sieh in Jena, 30
hauptsächlich an ,Pandora' arbeitend, auf die auch das Obige
wahrscheinlich Bezug hat. Doch ist die Möglichkeit einer
Beziehung auf die ,W^ahlverwandtscbaften' keineswegs aus-
geschlossen, vgl. 464, 25—27.
1808 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 365
?April 28, Jeua. 643
[Früh] Pandora. Andre Schemata.
Tgb. 3, 331, 1.
Mai 1, zwischen Jena und Weimar. 644
5 Gegen Acht von Jena weggefahren. Schöne Witte-
rung. Hofrath Meyern die erste Hälfte der ,Wahlver-
wandtschaften' erzählt^.
Tgb. 3, 331, 17—19.
Mai 4, Weimar. 64.>
10 [Kach Mittag] Mit Hofrath Meyer besonders über die
^Wahlverwandtschaften'.
Tgb. 3, 332, 23 f.
?Mai 13, zwischen Pössneck und Hof^ 646
ünterweges . . De rebus aestheticis et poeticis.
15 Tgb. 3, 335, 6—8.
Mai 29, Karlsbad. 647
[Vormittags] Angefangen an den ,Wahlverwandt-
schaften' zu schematisiren. . . . Nach Tische Fort-
setzung des Schemas von heute früh.
20 Tgb. 3, 340, 15 f. 19 f.
^ Dieser Fahrt gedachte Scliucliardt bei Gelegenheit eines Ge-
sprächs mit Robert Springer über Goethes Gewohnheit, seine
Werke zu dictiren und sie, längere Zeit vor der Niederschrift,
schon im Geiste völlig auszuarbeiten. Schuchardt berichtet:
25 „Meyer, gegen den ich mich verwundert daniber aussprach,
erzählte mir sogai*, Goethe habe ihm auf einer Fahrt von
Jena nach Weimar im Wagen ganze Abschnitte aus den
.Wahlverwandtschaften', von denen damals noch nichts
niedergeschrieben gewesen, so geläufig vorgetragen, als ob er
30 von einem Buche abgelesen habe" (,Die klassischen Stätten
von Jena und Ilmenau. Ein Beitrag zur Goethe-Literatur.
von Robert Springer. . . . Berlin 1869. Verlag von .Julius
Springer' S. 68).
^ Auf der Falirt nach Karlsbad, wo Goethe am Abend des
35 15. Mais eintraf. Riemer war, wie im Jahre vorher, sein Be-
gleiter.
566 DIE AVAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1808
Mai 30, Karlsbad. 648
[Früh] Das Schema zu den ,AVahlver\vaiidtschaften'
fortgesetzt und umgeschrieben. . . . [Nach Mittag]
über den Xeu-, Theresien- und Schlossbrunn auf den
Chotekschen Weg, den ^Wahlverwandtschaften' nachge- 5
dacht.
Tgb. 3, 341, 1 f. S— 10.
Mai 31, Karlsbad. 649
Früh . . besonders an den ,Wa]ilver\vandtschaften'
schematisirt. lo
Tgb. 3, 341, 12 f.
Jur.i 1. Karlsbad. 650
[Früh] Die zwei ersten Capitel der , Wahlverwandt-
schaften' dictirt. . . . Abends zu Hause und an den
jWahlverwandtschaften' schematisirt^. i5
Tgb. 3, 341. 22—26.
^ Rieuier vermerkt gleichzeitig in seinem Tagebuche: „Fi-iih
um sieben Uhr bei Goethe, der au den zwei ersten Capiteln
der ,'\Vahlyerwandtschafteu' dictirte bis halb zwölf Uhr. . . .
Abends mit Goethe über die , Wahlverwandtschaften' " 20
(Deatsche Revue 11, 4, 27).
Auch sei hier eingeschaltet, was Riemer in dem von Goethes
„Reisen" handelnden Abschnitte seiner .Mittheilungen' Hier-
hergehöriges, Insbesondere auf die ,Wahlverwandtschaften'
Bezügliches berichtet: 25
,,.Tena imd Karlsbad wai*en für seine poetischen Prodnc-
tionen sehr günstige und förderliche Orte. Nicht nur die So-
nette, die ,Wahlverwandtschaften'. .Pandora', sondern auch
die kleinen Gemälde, .St.Joseph'. die ,Xeue Melusine" und
andere mehr wurden dort, wenn nicht alle concipirt, doch 30
grüsstentheils ausgebildet und zur ersten Erscheinung ge-
bracht.
. . . ich (war) hier nicht nur Augenzeuge, sondern auch Ge-
hülfe bei Entstehung und Bildung der lieblichsten Novellen,
Mährchen und Allegorien, indem ich mit rascher Feder die 35
Dictate des Dichters auffasste und sie zur ätissern Erschei-
nung, zur nähern Uebersicht, zur ferneren Ueberarbeitung
ISOS DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 367
Juni 2. Karlsbad. 651
[Früh] Das dritte und vierte Capitel der j'Walilver-
"wandtscliaften' dictirt. Vor und nach Tische das Schema
Ton den folgenden Capiteln durchgedacht und mnge-
5 schrieben^.
Tgb. 3. 342, 1— t.
Juni 3, Karlsbad. 652
[Vormittags] Einiges am Schema zu den ,Wahlver-
■wandtschaften^
10 Tgb. 3. 312. Sf.
Juni 4. Karlsbad. 653
[Vormittags] An den ^Wahlverwandtschaften' sche-
matisirt. Xach Tische fortgefahren.
Tgb. 3. 342. 24 f.
15 Juni ö. Karlsbad. C."4
[Xachmittags] Einiges schematisirt an den ,Walil-
verAvandtschaften^
Tgb. 3, 343. 7 f.
und Ausbildung in Wort und Stil, in reinlicher Hinsclirift vor
20 Augen legen konnte.
Das Besprechen des Plans, die Prüfung und Anwendimg
der einzelnen Motive, füllte die Mussestunden der Spazier-
gänge, der Tischzeit: wozu sich Bemerliungen und Reflexi-
onen aus dem Leben überhaupt gesellten.
25 Man lebte und verkehrte selbst unter diesen eingebildeten
Personen der Phantasie, als wären es wirkliche: wie sie denn
auch zu Vergleichungen mit wirklichem Anlass und Parallele
boten.
Für Charlottens Persönlichkeit fand ich bald unter
30 den Badegästiunen eine Goethen nicht unwillkommene Re-
präsentantin. So fehlte es auch nicht an einem Haupt-
mann, nicht an einem leibhaften Lord: und für Mitt-
lern wie für den Architect liess sich sogar eine por-
traitähnliche Verwandtschaft nachweisen" (Mittheilungen
35 1, 390 f.1.
' Riemers Tagebuch vom gleichen Tage: ..Goethe dictirle das
dritte und vierte Capitel der .Walilverwandtschaften'. L'eber
368 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEX. 1808
Juni C, Karlsbad. 655
[Früh] Die ^Wahlverwandtschaften' fünftes und
sechstes Capitel und Anfang des siebenten dictirt. . . .
meist mit Scheniatisirung der ^Wahlverwandtschaften'
begriffen. ^
Tgb. 3, 343, 9—12.
Juni 7, Karlsbad. 656
[Früh] Das siebente Capitel der ,WahIverwandt-
schaften', sodann noch das achte. . . . jSTach Tische am
Schema der ^Wahlverwandtschaften'. ^°
Tgb. 3, 343, 18 f. 21 f.
Juni 11, Karlsbad. 657
[Vormittags] . . Schema von den ,Wahlverwandt-
schaften' fortgesetzt.
Tgb. 3, 345, 2 f. 15
Juni 14, Karlsbad. 658
[Früh] An den ^Wahlverwandtschaften' das neunte
und zehnte Capitel.
Tgb. 3, 346, 17 f.
Juni 16, Karlsbad. 659 20
Xach Tische Schema von den ^Wahlverwandtschaften'.
Tgb. 3, 348, 10 f.
Juni 24, Karlsbad. 660
Früh . . am ferneren Schema der ^Wahlverwandt-
schaften'. 25
Tgb. 3, 351, 23 f.
Juni 25, Karlsbad. 661
[Früh] Schema der ,AYahlverwandtschaften'.
Tgb. 3, 352, 5.
Juli 2, Karlsbad. 662 30
Soweit für diessmal. Doch will ich nicht vergessen
noch hinzuzufügen, dass ich abermals kleinere und grös-
Tische darüber gesprochen. Artigkeit dieses empirischen Aus-
druckes" (Deutsche Revue 11, 4, 27).
1808 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 369
[Juli 2, Karlsbad.] [662]
sere Geschichten bearbeite, "um mit meinen Yorle-
sungen fortfahren zn können, "^enn wir uns wieder-
sehen^.
5 An Knebol. — Br. 20, 107, 1.5—19.
Juli 2. Karlsbad. n62a
An kleinen Erzählungen war ich bisher lieissig.
An Cb. V. Stein. — Br. 20, 109, 18 f.
Juli 4. Karlsbad. GG3
10 [Früh] An den ,"\Valilverwandtschaften* das elfte
Capitel. . . . Xach Tische am Schema der ,TVahlver-
wandtschaften' weiter gedacht tmd dieses Abends auf
der Promenade fortgesetzt.
Tgb. 3. 3.57, 6—9.
15 Juli 5. Karlsbad. 664
[Fxüli] Die ,TVahlverwandtschaften*, zwölftes Capitel.
Tgb. 3, 357, 17.
Juli 6, Karlsbad. 665
[Früh] Schema der ,"WahlYerwandtschaften' umge-
20 schrieben bis zu Ende. Allein spazieren nach der Karls-
brücke und über diese Dinge gedacht.
Tgb. 3, 357, 28— .3.58. 2.
Juli 7. Karlsbad. 666
[Früli] An den ,Wahlverwandtschaften"' dictirt das
25 dreizehnte Capitel.
Tgb. 3, 3.5S, 1-t f.
Juli 8. Karlsbad. 667
[Fruit] Am Schema der ^Wahlverwandtschaften'.
Tgb. 8, 358, 22.
30 Juli 10. Franzeusbad-. 668
[Vormittags] Schema der ,Wahlverwandtschaften'.
Tgb. 8, 359, 13 f.
' Goethe dachte hierbei an Vorlesungen wie die vom 28. April
1808 Abends, vgl. Nr. 1465.
35 ^ Vom 9.— 21. .Juli hielt Goethe sich in Frauzensbad auf und
traf in der Frühe des 22. Juli wieder in Karlsbad ein.
Graf, Goethe über seine Dichtungen T. I. 24
370 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1808
Juli 19, Franzensbad. 66&
. . ich hoffe nach meiner Rückkehr von den ^Wahl-
verwandten' stark angezogen zu werden.
An Riemer. — Br. 20, 117, 10—12.
Juli 23, Karlsbad. 670 5
[PYüh] ,Wahlverwandtschaften'\
Tgb. 3, 3«j3, 17.
Juli 24, Karlsbad. 671
[Früh] ,Wahlverwandtschaften'. . . . [Nachmittags]
Mit Frau von Eybenberg ausgefahren. Vorgelesen. ,"\Yahl- lo
Verwandtschaften'.
Tgb. 3. 363, 20. 22 f.
Juli 25, Karlsbad. 672
[Früh] Die ^Wahlverwandtschaften'. Capitel 17. 18.
. . . [Nachmittags] Mit Frau von Eybenberg spazieren i5
. . [Abends?] derselben die ,Wahlverwandtschaften' bis
zu Ottiliens Brief an die Freunde- [vorgelesen].
Tgb. 3, 363. 27. 364, 3. 5 f.
?Juli 26, Karlsbad. 673
[Nachmittags] Mit Frau von Eybenberg spazieren . 20
Abends gelesen,
igb. 3. 364. 10 f.
Juli 28. Karlsbad. 674
[Früh] Die ,AYahlverwandtschaften' bis zu Ende sche-
matisirt. Vorarbeiten zu völliger Durcharbeit. 25
Tgb. 3, 364, 23 f.
Juli 29, Karlsbad. 675
[Früh] Schema des Schlusses der ,"\Yahlverwandt-
schaften'.
Tgb. 3. 365, 4. 30
^ Riemers Tagebuch vom gleichen Tage: „Früh um sechs Uhr
zu Goethe, an den .Wahlverwandtschaften' dictirt bi« um elf
Uhr" (Deutsche Revue 11, 4, 29).
= Dieser Brief findet sich in Theil 2 Capitel 17 (W. 20. 304 f.).
nahe dem Schluss der Dichtung, den Goethe am 28. 29. und 35
30. .Tuli schrieb.
1808 DIE WAHLVERWANDTSCHArTEX. 371
Juli 30. Karlsbad. 676
Früh Schluss der ,\yahlverwandtschaften'\
Tgh. 3. 365, 23.
J[Juli 31. Karlsbad.] 677
5 Fleissig war ich aucli auf mancherlei Weise, theils
fortsetzend, theils beginnend-.
An den Herzog Karl August. — Br. 20. 122. 18 f.
August 1. Karlsbad. 67S
Mit meinem hiesigen Aufenthalte bin ich noch sehr
10 zufrieden, ich habe mich viel besser befunden und mehr
gethan als vor einem Jahre.
An Christiane. — Br. 20. 124. 12—14.
August 3. Karlsbad. H7'J
. . ich wendete meine Bemühen besonders ^Morgens
15 an Gegenstände, die Ihnen, hoffe ich, auch Freude
machen sollen. . . . noch vierzehn Tage muss ich
tüchtig fleissig sein, sonst wird mir's für Herbst und
Winter bange: im Juni und Juli habe ich mir allzuwohl
sein lassen".
20 An Silvie v. Ziegesar. — Br. 20. 127. 7—9. 24—27.
August 7. Karlsbad. 680
Was mich betrifft, so mag ich noch von hier nicht fort;
ich komme so bald nicht wieder in die Arbeit, wie ich
jetzt im Zug bin, . .
25 An Christiane. — Br. 20. 133. 11—13.
' Riemers Tagebuch gleichzeitig: ..Früli den Schluss der .Wald-
verwandtschaften' " (Deutsche Revue 11, 4. 29t.
- Unter dem ..Fortgesetzten" halien wir in erster Linie das
Festspiel .Pandora" zu verstehen, unter dem ..Begonnenen"
30 die .Wahlverwandtschaften'.
^ Dichterische Arbeiten, au die mau zunächst deulieu möchte,
scheinen hier docli nicht gemeint zu sein. Denn diese gerade
waren im .Juni und .Juli gefördert worden, während das Tage-
buch der nächstfolgenden Wochen kaum etwas von der-
35 gleichen meldet. Erst Ende des Monats tritt die Arbeit an
den , Wahlverwandtschaften' wieder, für uns sichtl:)ar. hervor.
Inzwischen aber widmete Goethe sich besonders der Ge-
schichte der .Farbenlehre'.
DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1808
August 14, Karlsbad. 681
Mit einiger gewonnenen Ausbeute hoffen wir den
Freunden an der Saale zu dienen und wünschen dagegen
freundlichen Empfang.
An Johanna Frommann. — Br. 20, 139, 20—23. 5
August 16, Karlsbad. C82
Alle meine wissenschaftlichen, litterarischen und poe-
tischen Unternehmungen sind um etwas zugerückt.
An Cb. V. Stein. — Br. 20, 141, 9 f.
] [August 16, Karlsbad.] 683 lo
Ich hin nun in der vierzehnten Woche hier. Ich
wollte, der Sommer ging' von neuem an und ich wollte
immer so fort mein Leben und "Wesen hinführen. Das
klingt nicht sehr höflich für die abwesenden Freunde!
und doch habe ich vielleicht in diesen Wochen auch für 1»
Sie mehr gethan als sonst in Jahren. . . . Ich habe mich
sehr wohl befunden und bringe davon einige Zeugnisse
mit.
An Cb. V. Schiller. — Br. 20. 143, 1—7. 10 f.
August 17, Karlsbad. 684 20
So habe ich auch meine Gedanken auf kleine Romane
und Erzählungen gewendet, einiges dieser Art angelegt,
anderes ausgeführt.
An seinen Sohn. — Br. 20, 146, 15—17.
August 22. Karlsbad. 685 25.
Ton mir kann ich so viel sagen, dass ich meine Tage
gerade so zubringe, als wenn ich erst mein Fortkommen
in der Welt suchen wollte. Ich bin unausgesetzt auf
allerlei Weise fleissig. Möge dadurch Ihnen auch einmal
eine frohe Stunde werden^. 30
An Marianne v. Eybenberg. — Br. 20, 160, 12-16.
August 28, Karlsbad. 686
[Früh] Die ,Wahlverwandtschaften' wieder vorge-
^ Frau von Eybenberg war am 31. Juli nach Teplitz abgereist.
180S DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 373
{August 28, Karlsbad.] [Ü86]
nommen und sie in verschiedenen Beziehungen durch-
gedacht.
Tgb. 3, 377, 28— 378, 2.
5 August 28, Karlsbad. 687
Goethes Geburtstag. Mit ihm über den neueren Ro-
man, besonders den seinigen.
Er äusserte, seine Idee bei dem neuen Eoman ,üie
Wahlverwandtschaften' sei: sociale Verhältnisse und die
10 Conflicte derselben s}Tnbolisch gefasst darzustellen.
Mit Riemer. — Gespräclie 2. 216\
August 29, Karlsbad. 688
[Früh] Die ,Wahlverwandtschaften' studirt.
^ Tgb. 3, 378, 15.
15 August 30. zwischen Karlsbad und Maria-Kulm-. 689
Früh um sechs Uhr von Karlsbad weggefahren. Un-
terwegs über die jAVahlverwandtschaften* gesprochen
und gedacht^.
Tgb. 3, 378. 20—28.
20 September 11. Frauzeusbad. 090
[Früh] Die , Wahlverwandtschaften' überlegt.
Tgb. 3, 384, 20.
September 19, Weimar. 691
Ich bin glücklieh von Karlsbad zurück und habe dort
25 manches gearbeitet, das ich Ihnen früher oder später
an's Herz zu legen denke.
An Zelter. — Br. 20. lOÖ. 5—7.
^ Aus Riemers Tagebuch (Deutsche Revue 11, 4, 33).
- An diesem Tage trat Goethe, in Gesellschaft Riemers, die
Rückreise von Karlsbad an, blieb zunächst in Franzensbad
bis zum 12. September und traf am 14. in Jena, am 17. in
Weimar ein.
' In Riemers Tagebuch heisst es unter dem 30. August: ..Um
sechs L'hr von Karlsbad weggefahren. Ueber die ,Wahlver-
wandtschaften* und was noch zu thun sein möchte"; am
31. August: ..Die ."\\'alilverwandtschaften' gelesen"; am 2. Sep-
tember: „Den Park aus den .Wahlverwandtschaften' ent-
worfen" (Deutsche Revue 11, 4, 33).
374 DIE WAHLVERWANDTSCHAI^TEN. 1808
November (3, Weimar. — s. Xr. 548a. 691a
][December 2, Weimar.] 692
Dass alle litterarischen Arbeiten zugleich mit allen
andern Geschäften durch diese Begebenheiten^ unter-
brochen worden, ist leider zu vermuthen. Ich versuche &
dieses und Jenes wieder anzuknüpfen; noch aber will es
nicht liiessen. So ist indess von der .Farbenlehre' leider
nur ein Bogen zu Stande gekommen.
An Ausarbeitung anderer in Karlsbad vorbereiteter,
für's Publicum vielleicht mehr erfreulicher, Arbeiten lo
liess sich bis jetzt gar nicht denken^. Indessen wird eins
nach dem andern, wenigstens im Geiste, vorgeschoben.
An Cotta. — Br. 20, 22«i, 12—23.
1809.
Januar 1<3, Weimar. 693 15
. . glauben Sie, wenn ich mich wieder nach Karlsbad
sehne, so ist es nicht zum kleinsten Theil, weil ich hoffen
kann, Ihnen wieder näher zu kommen.
Hoffentlich wird Ihre Gegenwart mich wieder zu
manchem Guten befeuern: denn leider hab' ich seit 20
meinem Hiersein doch auch gar nichts hervorgebracht^.
Ja ich kann fast sagen, seit den letzten Capiteln jenes
Eomans, die ich so geschwind zusammenschrieb, um
Ihnen keinen fragmentarischen Eindruck zu hinter-
lassen*, ist mir fast gar nichts gelungen, was denn 25
* Durch die Zusammenliunft Napoleons mit dem Kaiser Ale-
xander von Russland, Goethes Unterredung mit Napoleon,
dessen Aufenthalt in Weimar und mancherlei durch diese Er-
eignisse vei-anlasste Unruhen.
' Bei diesen ..Arbeiten" ist. wie bei allen ähnliehen, allge- 30
meinen Aeusserungen aus dieser Zeit sowohl an die .Wahl-
verwandtschaften' als an die kleinen Erzählungen in .Wilhelm
Meisters Wanderjahren' zu denken.
' ^ gl. Nr. 692.
* \s\. Nr. 67r.. 67(; vom 20. und 30. ,Tuli 1808; am 31. .Tuli hatte 3.^
Frau von Eybenberg Karlsbad verlassen.
1809 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 375
[Januar 16, Weimar.] [693]
auch wohl sehr natürlich ist, weil ich fast gar nichts
unternommen habe.-
An Marianne v. Eybenberg. — Br. 20, 280, 22—281, 9.
5 Februar 10, "\\'einiar. 694
Ich arbeite an gar manchem, das anch Ihnen dereinst
Freude machen wird. Desshalb verzeihen Sie mir mein
Schweigen , .
An Zelter. — Br. 20, 29V, 0—8.
10 April 1.5, Weimar. 695
[Früh] .Wahlverwandtschaften'. Spazieren in Ueber-
legung des Schemas zur Ausfüllung und Ausführung.
Tgb. 4, 22. 15 f.
April 1(>, Weimar. 690
15 [Früh] Die ,Wahlverwandtschaften^
Tgb. 4, 22, 19.
April 18, Weimar. 697
[Gegen Abend] . . bei Durchlaucht der Herzogin:
die jWahlverwandtschaften' [vorgelesen] ^
20 Tgb. 4, 23, 2 f.
April 20, Weimar. 698
[Vormittags] Die ,Wahlverwandtschaften^
Tgb. 4, 23. 9.
April 21, Weimar. 699
25 [Früh] Die ,Wahlverwandtschaften'. Doctor Cotta^.
Tgb. 4, 23, 13.
* Knebels Schwester Henriette war bei dieser Voi'lesung zu-
gegen und schrieb am folgenden Tage ihrem Bruder: ,,Es
war ewig schade, dass Du nicht die Erzählung von Goethe
30 mit angehört hast. Sie ist voll Geist und Leben und versetzt
in die mildeste Gemüthsstimmung*' (Knebel-Henriette S. 363).
Goethe las an diesem ersten Abend vermuthlich die ersten
acht oder neun Capitel vor, vgl. 376. 23—26. 381. 3—7.
^ Riemers Tagebuch vermerkt gleiclizeitig: „Früh bei Goethe.
35 Einiges zu seinem Roman" (Deutsche Revue 12, 1, 17).
370 DIE WAHLVER^^'A^•DTSCHAFTEN. 1809
April 22, Weimar. 700
[Früh] Die ,Wahlvenvancltschaften^
Tgb. 4, 23, 16.
April 26, Weimar. 701
[Vormittags] Schema der , Wahlverwandtschaften'.
Tgb. 4, 24, 4 f.
April 28, Weimar. T02
Heut Abend führ' ich noch zu guter Letzt meine
Geister wieder vor^.
An Ch. V. Stein. — Br. 20, 318, 22 f. 10
Cotta, Goethes Verleger, hatte am 2. März 1809 an Charlotte
Schiller geschrieben: „Wenn doch Goethe mit seinem Roman
herausrückte; anfangs sagte er's mir zu, nun ist er aber
wieder abgeneigt, ihn sogleich zu publiciren" (Schiller-Cotta
S. 562). Die hier ei'\\'ähnte Zusage mag in einem der nicht
bekannten Briefe Goethes an Cotta stehen, die in der Tabelle 15
der „Postsendungen" 1808 September 22. 23, November 4,
1809 Januar 24 verzeichnet sind (Br. 20, 395 f.). Jetzt wird
mündlich die Angelegenheit verhandelt und die Veröffent-
lichung der ,Wahlvei-wandtschaften' zur Michaelismesse des
laufenden Jahres beschlossen worden sein. 20
^ „Zu guter Letzt", da Goethe am andern Morgen (29. April)
für längere Zeit nach Jena übersiedelte, und „wieder", mit
Beziehung auf die erste Vorlesung am 18. April (s. Nr. 697),
las Goethe an diesem Abend die zweite Hälfte des ersten
Theils der .Wahlverwandtschaften' bei der Herzogin Luise 25
vor, vgl. 381, 3—7.
Charlotte von Stein schrieb Tags darauf, am 29. April, ihrem
Sohne Fritz: „Es that einem wohl, auf einige Stunden in
eine idealische Welt zu kommen. Wie viel Keuntniss des
menschlichen Herzens, was für feine Gefühle, Avie viel Sitt- 30
lichkeit. Verstand und Anstand darin vorgetragen ist, kann
ich Dir nicht genug sagen. Der Himmel gebe, <lass e/ ihn
vollenden kann. Er hatte ihn voriges Jahr in Karlsbad ange-
fangen, und nun will er ihn auch dort vollenden, und die
Kriogsunruhen [der Krieg Napoleons gegen Oeslerreich] ver- 35
hindern die Reise" (G.-Stein, zweite Auflage, 2, 668 zu S. 436).
Henriette Knebel, die gleichfalls bei der Vorlesung anwe-
send war. schrieb am 29. April an Knebel: ,, Heute wird
Goethe auf einige Tage nach Jena kommen. Er hat uns gestern
180'j DIE WAHLVEFvWAXDTSCHAFTEN. 377
April 2S, Weimar. 703
Abends Vorlesung bei der Herzogin von den ,Wahl-
verwandtschaften'^
Tgb. 4, 24, 17 f.
5 Mai 9, Jena. 704
Indessen man in "Weimar meiner so gnädig und
freundlich, gedachte und von meinen romantischen ^lit-
theilungen einen guten Xachklang empfand-, ist es mir
zum Eintritt hier gleich sehr übel gegangen, indem ich
10 einen Anfall erleiden musste, von dem ich nun drei
Jahre befreit geblieben, nnd der mir nun imi so :nehr
Apprehension gibt, als es doch immer unwahrscheinlich
bleibt, dass ich nach Karlsbad gelangen kann^. . . . Dass
durch die Fortsetzung seines Romans einen der seltnen und
15 auserlesenen Abende verschafft und hat uns ganz in seinen
Zauberlireis hineingezogen. Seine Gemälde siud nicht allein
volUvommen richtig gezeichnet, sondern jedes Detail ist zu-
gleich mit so lebhaften Farben und so äusserst delicat ausge-
malt, dass man dieses neue Product als ein Meisterwerk nicht
20 genug bewundern und sich darüber erfreuen liauu. Ich gäbe
was drum, wenn er Dir's vorläse. Es hat uns sehr glücklich
gemacht," und am 3. Mai, ebenfalls an Knebel: „Goethe hat
sich grosses Verdienst um uns erworben, da er uns mit sanfter
und sichrer Hand aus dem bösen Weltgetümmel gezogen und
25 uns Geist und Sinne auf das lieblichste gefesselt hat. Wir
hoffen dafüi-, dass er den süssesten Lohn auch an seiner
Gesundheit empfinden wird. Uebrigeus genügt ihm schon
unsre herzliche Dankbarkeit und Freundschaft" (Km-bel-
Henriette S. 366 f.).
30 1 Vgl. die vorhergehende Erläuterung. •
' Das heisst: von der A'orlesung der .Wahlverwandtschaften*
(vgl. Nr. 702. 703), über die Charlotte von Stein Goetheu ähn-
liehe Beifallsäusserungen der Herzogin Luise und der Prin-
zessin Caroline mochte mitgetheilt haben, wie deren die Briefe
35 von Knebels Schwester enthielten (vgl. 376. 37). Die letzteren
hatte Knebel gewiss dem Freunde schon vorgelesen, als dieser
das Obige schrieb, denn im gleichen Briefe heisst es: ..Knebel
besucht mich treulich Morgens und Abends" (Br. 20, 330. 10).
' Vgl. 376. 33-36.
378 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1809
[Mai 9, Jena.] [704]
unter solchen Adspecten nicht viel geleistet wird, können
Sie wohl denken. Ich habe schon einigemal mein Gebet
an die heilige Ottilie^ gewendet; allein ich habe noch
keine Gegenwirkung empfunden. Es jammert mich nur, 5
dass die schöne Zeit so ganz ungenützt vorbeistreichen
soll. Vielleicht, wenn ich noch eine Zeitlang hier bleibe,
geniesse ich besserer Einflüsse.
An Ch. V. Stein. — Br. 20, 329, 9—17. 21— 330, 4.
Mai 11, .Jena. 705 10
[Früh] jWahlverwandtschaften' Schema.
Tgb. 4, 28, 10.
Mai 12, Jena. 706
Indessen geht mir, was ich arbeite, gut von Statten und
m.ehr bedarf ich nicht. Wenn ich noch einige Zeit hier 15
bin, soll der Roman, hoffe ich, zum Druck befördert sein.
Denn ich lasse ihn hier drucken, und es soll damit, wie
mit einigen andern Dingen, rasch gehen. Worüber Du
Dich erfreuen wirst.
An Christiane. — Br. 20, 332, 21-333, 3. 20
Mai j3, .Tena. 707
[Früh] ,Wahlverwandtschaften'.
Tgb. 4, 28, 21.
Mai 14, .Jena. 708
[Früh] ,Wahlverwandtschaften'-. 25
Tgb. 4, 28, 28.
^ Vgl. Nr. SSO.
" Die der Zeit uach näeliste Aeusserung ist vom 19. Mai. Zum
17. Mai sei Folgendes hier eingeschaltet.
Bettina lässt in ihrem, der Wirklichkeit entrückten, aus 30
Dichtling und Wahrheit wundersam gebildeten Werke
, Goethes Briefwechsel mit einem Kinde' den Dichter am
17. Mai 1809 an sie schreiben:
„Ich habe mich nun hier in Jena in einen
Roman eingesponnen, um weniger von allem 35
ISO«) DIE WAHI, VERWANDTSCHAFTEN. 3T«J
Mai 19, Jeua. 705)
Vom Besondern erwähne ich nichts, als dass ich Ihnen
eine sorgfältige Prüfung der Manuscripte^ empfehle, eli'
sie dem Druck übergeben werden.
5 An Riemer. — Br. 20, 333, 2G— 334, 2.
üebel der Zeit ergriffen zu werden; ich
hoffe, der Schmetterling, der da heraus-
fliegt, wird Dich noch als Bewohner dieses
Erdenrunds begrüssen und Dir beweisen,
10 wie die Psychen auch auf scheinbar vcr-
schiednen Bahnen einander begegnen".
Mit diesen Worten lässt Bettina (ioethen auf folgende Stelle
ihres Briefes vom 10.|20. April eingehen: ,,0, Goethe, wenn
ich sollte in's Tyrol wandern, imd zu rechter Zeit kommen.
15 dass ich den Heldentod sterbe! . . . Wenn ich sterbe, ich freue
mich schon drauf, so gaukle ich als Schmetterling aus dem
Sarg meines Leibes hervor, und dann treffe ich Dich in "liesei
herrlichen Sommerzeit unter Blumen, . . dann glaube sicher,
es ist mein Geist, der auf dem Tyrolerschlachtfeld frei ge-
20 maclit ist von irdischen Banden, dass er hin kann, w^o die
Liebe ihn ruft" (G. -Bettina 2, .50 f.). — Und auf Goethes Brief
voui 17. Mai antwortet Bettina am 22.: „O, lieber Freund,
während Du Dich abwendest vor dem Unheil trüber Zeil, in
einsamer Hfilie Geschicke bildest und mit scharfen Sinnen
25 sie lenkest, dass sie ihrem Glück nicht entgehen, denn sicher
ist diess schöne Buch, welches Du Dir zum Trost über alles
Traurige erfindest, ein Schatz köstlicher Genüsse, wo Du in
feinen Organisationen und grossen Anlagen der Charaktere
Stimmungen einleitest und Gefülile. die beseligen; wo Du
30 mit freundlichem Hauch die Blume des (ilücks ei"Aveckest und
in geheimuissvoll glühenden Farben erblühen machst, was
unser Geist entbehrt. — Ja, Goethe, während diesem hat es
sich ganz anders in mir gestaltet düstere Hallen, die
prophetische Monumente gewaltiger Todeshelden umschlies-
35 sen, sind der Mittelpunct meiner schweren Ahnungen; . . .
Ach vereine Dich doch mit mir, ihrer [der Tyroler] zu ge-
denken, . . es ist des Dichters Ruhm, dass er den Helden die
Unsterblichkeit sichere" (G.-Bettina 2, 68 f. 71).
* Nach GJ. 1, 243 waren diess die .Wahlverwandtschaften' und
40 der Anfang von .Wilhelm Meisters Wanderjahren'.
380 I»IE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1809
Mai 24. Jena. 710
[A'ormittag-s] Den Eoman durchgedacht.
Tgb. 4, 31, 8.
Mai 25. Jena. 711
[Vormittags] Betrachtungen über den Roman^. 5
Tsfb. 4, 31, 17.
Mai 2G, Jena. 712
[Früh] Der .Wahlverwandtschaften' drittes Buch
augefangen-.
Tgb. 4, 31, 22 f. 10
Mai 28, Jena. 715
[Früh] An den .AVahlverwandtschaften''^.
Tgb. 4, 32, 10.
Mai 29, Jena. 714
[Früh] An den ,"\Vahl Verwandtschaften'. . , . Das is
erste Buch der ,Wahlverwandtschaften' besonders durch-
gegangen*.
Tgb. 4, 32, 16—19.
Mai 30, Jena. 715
Wende alles, was Du kannst, die nächsten acht Tage 20
von mir ab: denn ich bin gerade jetzt in der Arbeit so
begriffen, -wie ich sie seit einem Jahre nicht habe an-
fassen können. Würde ich Jetzo gestört, so wäre alles
für mich verloren, was ich ganz nahe vor mir sehe und
was in kurzer Zeit zu erreichen ist. Wie gesagt, mein 25
Kind, lass nur die nächsten acht Tage nichts an mich
heran, was abzuhalten ist.
An Christiane. — Br. 20. 339, 7—14.
^ Riemers gleichzeitiges Tagebuch enthält die nemlicheu Worte
(Deutsche Revue 12. 1, 18). 30
- s. die vorliei'gehende Erläuterung.
' Riemers Tagebuch gleichzeitig: „Früh zu Goethe, an den
,Wahlyei-Avandtschaften' " (Deutsche Revue 12. 1. 18>.
* Riemers Tagebuch. Mai 29: ..Bei Goethe Wahlverwandt-
schaften' " (Deutsche Revue 12. 1, 19). 35
1809 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEX. 381
Mai 30, Jena. 710
. . es ist mir in diesen Tagen gelungen, an dem Roman
fortzuarbeiten, der mir durch die gute Aufnahme s'j'iner
ersten Hälfte^ erst wieder werth geworden. Mögen Sic
5 unsrer verehrten Fürstin sagen, dass ich, indem ich mir
jene Wirkungen zurückrief, die dasjenige hervorgebracht
hatten, was schon auf dem Papier fixirt war, mir den
Muth und die Freude geben konnte, das Uebrige, was
noch zwischen Sein und Nichtsein schwebte, hervorzu-
10 rufen und festzuhalten. So viel habe ich mir fest vor-
gesetzt: ich will alles abweisen und vermeiden, was mich
hindern könnte das Angefangene zu Stand zu bringen.
Verzeihen Sie, wenn ich Sie von dem ausschliesslich
unterhalte, was mich jetzt interessirt. Ein künftiges
15 Interesse hängt vom gegenwärtigen ab.
An Ch. v. Stein. — Br. 20, 340, 13— 341, 1.
Mai 30, Jena. 717
Sie werden, . . ihm- . . gewiss alles Freundliche er-
zeigen, dass ich hier ruhig bleiben kann, woran mir so-
20 viel gelegen ist: denn würde ich jetzt in meiner Arbeit
unterbrochen, so verlöre ich ein ganzes Jahr. Ich ver-
lange zwar nicht, dass mir das jemand glauben soll: weil
es aber am Ende immer nur heisst: Arzt hilf dir selber!
so bleibt mir nichts übrig, als meine eignen Zustände
25 nach meiner Art zu beurtheilen. . . .
. . . Ich befinde mich n^'cht mehr ganz übel, weil ich
wieder etwas thun kann^. Wenn ein Arzt auf seinem
Todbette noch einen andern für ein langes Leben retten
kann, so sehe ich nicht ein, warum wir andern nicht
30 ' Vgl. Nr. 697. 702—704.
^ Dem Maler Kaaz. der inzwischen uacli Weimar gekommen
war, um dort eine Ausstellung eigener Gemälde zu veran-
stalten und die Prinzessin Caroline zu unten-icbten.
»A'gl. 377, 9—11.
382 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1809
[Mai 30, Jena.] [717]
noch, indem wir uns übel befinden, etwas thun sollten,
was die Menschen erfreut.
An H. Meyer. — Br. 20, 341. 24— 342, 1. 3—10. 343, 20—2'».
Mai 30, Jena. TIS 5
[Früh] An den ,AVahl Verwandtschaften^, theils neu ge-
schrieben, theils corrigirt\
Tgb. 4, 32, 27 f.
Mai 31, Jena. 719
Früh an den .Wahlverwandtschaften'^. lo
Tgb. 4, 33, 6.
Juni 1, Jena. 7*^0
Da es noch nicht räthlich war nach Karlsbad zu gehen,
so befind'" ich mich in Jena, wo ich einen Eoman fertig
zu schreiben suche, den ich vor'm Jahre in den böhnii- i5
sehen Gebirgen concipirt und angefangen hatte^. Wahr-
scheinlich kann ich ihn noch in diesem Jahj-e heraus-
geben und ich eile um so mehr damit, weil es ein Mittel
ist, mich mit meinen auswärtigen Freunden wieder ein-
mal vollständig zu unterhalten. Ich hoffe, Sie sollen 20
meine alte Art und Weise darin finden. Ich habe viel
hineingelegt, manches hinein versteckt. Möge auch
Ihnen diess ofl'enbare Gcheimniss zur Freude gereichen*.
An Zelter. — Br. 20, 34Ö, 21— 346, 3.
Juni 1, Jena. 721 25
[Früh] Die jAVahlverwandtschaften'^.
Tgb. 4, 33. 12.
^ Rieiners Tagebuch, Mai 30: ,,Früli zu Goethe; ,Wahlvei--
wauiltscliaften". U e b e r T i s c- li von dem Roman, über
die Weiber und sonstiges'" (Deutsche Revue 12. 1, 19). 30
' Riemers gleichzeitiger Tagebuchvermerk lautet ebenso, nur
das Wort „Früh" fehlt (Deutsehe Revue 12, 1, 173).
^ Vgl. 370, 33 f.
* Zelter erwiderte am 12. Juni: ..Ueber Ihre Thätigkeit bin ich
sehr erfreut. Das soll einmal wieder ein Schmausen geben, 35
das uns die Götter beneiden sollen" (G. -Zelter 1, 3(>4).
* Riemers Tagebuch. Juni 1: ..Die .Wahlverwandtschaften'"
(Deutsche Revue 12, 1, 173).
1809 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 383
Juni 2. Jena. 722
[Früh] Die ."Wahlverwandtschaften'.
Tgb. 4. 33. 17.
Juni 5, Jena. 723
5 [Früh] Die ,"\Vahl Verwandtschaften'.
Tgb. 4, 34. 12.
Juni tj, Jena. 724
Mit meinen Arbeiten geht es gut, und wenn nichts
weiter dazwischen kommt, gedenke ich zu Johannis^ Dich
10 hier zu erwarten, und mich einzurichten, dass wir als-
dann zusammen wieder zurückkönnen: denn bis dahin
lässt sich noch vieles thun.
An Christiane. — Br. 20. 352. 8—12.
Juni 0, Jena. 725
15 . . ungeachtet des schönen Wetters und der grünen-
den Flächen und Hügel, der blühenden Gärten und
mancher andern guten Ingredienzen des Lebens, ist doch
alles, was mich in Jena umgibt, so trümmerhaft gegen
vorige Zeiten, und ehe man sicli's versieht, stolpert man
20 einmal wieder über einen P^rdhöcker, wo, Ane man zu
sagen pflegt, der Spielmann oder der Hund begraben
liegt.
A'ielleicht aber sind diese Umstände gerade daran
schuld, dass ich mehr in mich selbst zurückge^viesen
25 werde und meine Arbeit mir ganz gut von Statten geht.
Ueber die Hauptschwierigkeiten bin ich hinaus, und
wenn ich noch vierzehn Tage weder rechts noch links
hinsehe, so ist dieses wunderliche Unternehmen geborgen.
Freilich gehört zum letzten Zusammenarbeiten, ich will
30 es nicht Ausarbeiten nennen, noch die grösste innere
Harmonie, damit auch das Werk harmonisch würde.
Empfehlen Sie mich Durchlaucht der Herzogin zu
gnädigem Andenken. Ich wünsche nur fertig zu werden,
um wieder zum Vorlesen- zu gelangen.
35 An Ch. V. Stein. — Br. 20. 353. ie>— 354. 11.
* Sonnabend den 24. Juni.
^ Vgl. Nr. 697. 703.
384 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1809
Juni 6, Jena. 726
[Früh] Die ^Wahlverwandtschaften'. . . . [Vor
Tische] Den Eoman durchgegangen.
Tgb. 4, 34, 24. 27.
Juni 7, Jena. 727 5
[Früh] ^Wahlverwandtschaften', am ersten Theil revi-
dirt.
Tgb. 4, 35, 3.
Juni 8. Jena. 728
[Früh] , Wahlverwandtschaften', am ersten Theil zn lo
revidiren fortgefahren.
Tgb. 4, 35, ]0f.
Juni 9, Jena. 72i:i
Da ich nicht allein gegen Sie, sondern gegen mehrere
Frennde seit geraumer Zeit ein briefliches Stillschweigen 15
beobachte, das ich mir *selbst nicht verzeihen würde,
wenn man Jetzt nicht oft abgehalten wäre sich münd-
lich zu äussern, und man schriftlich gar nicht weiss, was
man von einem Posttag zum andern sagen soll, so habe
ich mir ein andres Organ in die Ferne ausgedacht, nem- 20
lieh einen Eoman zu schreiben, der sich zwar nur um
einen besonderu Gegenstand herumdreht, doch aber auf
manches allgemeine menschliche Interesse hinzielt. Ich
hoffe ihn noch dieses Jahr in Ihren Händen zu sehen
und mich wenigstens auf diese Weise an Ihre Seite zu 25
setzen, an Ihren Familienkreis anzuschliessen^.
An K. F. V. Reinliard. — Br. 20, 358, 20— 359, 5.
Juni 9, Jena. 730
[Früh] , Wahlverwandtschaften' ersten Theil zu revi-
diren fortgefahren, 30
Tgb. 4, 35, 15 f.
^ Reinhard antwortete am 18. Juni: „Ihren Roman erwarten
wir, wie Ausgehungerte die treffliche Mahlzeit" (G.-Relnhard
S. 58 f.).
1809 DIE W.AHLYERWAXDTSCHAFTEX. 385
?Juni 10, Jena. 731
[Früh] Verschiedenes üherlegt und schematisirt^.
Tgb. 4, 35, 24.
Juni 11, Jena. 732
5 [Vormittags] Einiges zum Eoman Gehörige durchge-
dacht.
Tgb. 4, 36, 4.
Juni 1.6, Weimar^. 733
Von mir kann ich wenig melden, denn ich habe dieses
10 Jahr viel Zeit verloren. Xur seit vier bis sechs Wochen
konnte ich in Jena zu einiger Thätigkeit kommen. Der
zweite Theil des Romans hat in dieser Zeit einigen Be-
stand gewonnen, und ich kann noch hoffen, dass er vor
Michaelis Ihnen irgend wo begegnen wird. Man findet
15 sich schon glücklich genug, wenn man sich in dieser be-
wegten Zeit in die Tiefe der stillen Leidenschaften
flüchten kann^.
An Marianne v. Eybenberg. — Br. 20, 366, 9—17.
Juni 27, Weimar. 734
20 Von mir wüsste ich nichts zu sagen, als dass ich die
Euhe, die uns gegönnt ist, zu meinen stillen Zwecken
möglichst anzuwenden suche*.
An K. F. V. Reinhard. — Br. 20, 369, 4—6.
' Es ist möglich, dass diese Bemerkung sich auf die Geschichte
25 der Farbenlehre bezieht, an der Goethe gleichzeitig arbeitete.
^ Drei Tage vor dem Datum dieses Briefes, am 13. Juni, war
Goethe von Jena zurückgekehrt, über die Gründe dieser frühen
Heimkehr vgl. 465. 25—466, 4.
' Vgl. Nr. 891.
30 * Folgende Stelle aus Reinhards Antwort vom 28. Juni dürfte
sich auf die obigen Worte beziehen: ,.S i e benutzen die Zeit.
die ich hier verschwende [in Sachsen, wohin Reinhard, von
Cassel aus, dem Könige von Westphalen gefolgt war, vgl.
466, 2 f.] ; sie wird wieder mein werden, wenn ich mir zueignen
35 darf, was Sie aus ihr gemacht haben" (G.-Reinhard S. 61).
Graf, Goethe über s. Dichningen T. I. 25
386 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1809
Juli 24, Jena^ 735
„Die sittlichen Symbole in den Naturwissenschaften
(zum Beispiel das der „Wahlverwandtschaft", vom
grossen Bergman- erfunden und gebraucht) sind geist-
reicher und lassen sich eher mit Poesie, ja mit Societät
verbinden, als alle übrigen, die ja auch, selbst die mathe-
matischen, nur anthropomorphisch sind, nur dass jene
dem Gemüth, diese dem Verstände angehören"^.
Mit Riemer. — Gespräche 2, 270 f.*
^ Tags vorlier, am 23. Juli, war Goethe, von Riemer begleitet, lo
in Jena angekommen, wo er nun blieb, bis der Druck der
»Wahlverwandtschaften' beendet war. Erst am 7. Octobcr
kehrte er nach Weimar zurück.
Riemer vermerkt in seinem Tagebuch am 23. Juli: „Von
Weimar weggefahren. Unterwegs über den Titel des RomanK"* 15
(Deutsche Revue 12, 1, 177).
^ Nach der Lehre von den chemischen Wahlverwandtschaften,
wie sie durch den schwedischen Naturforscher Bergman,
etwa seit 1775, aufgestellt worden war, findet bei dem Auf-
einanderwirken zweier Verbindungen a b und c d entweder 20
keinerlei Veränderung statt oder aber eine völlige Trenmmg
und Neu Verbindung in die Gruppen a c und b d; ganz ähn-
lich lässt Goethe in seinem Roman den Hauptmann die Sache
vorti-agen (Theil 1 Capitel 4 gegen Ende, W. 20, 56, 7—15).
^ Vgl. hierzu das von Goethe in der Voranzeige des Romans 25
Gesagte (Nr. 747), und folgende Stelle, die sich findet im
dritten Abschnitt der .Vorträge über die drei ersten Capitel
des Entwurfs einer allgemeinen Einleitung in die verglei-
chende Anatomie, ausgehend von der Osteologie':
„Sie [die Mineralkörper] haben nach ihrer Grundbestim- 30
mung gewisse stärkere oder schwächere Verhältnisse, die,
wenn sie sich zeigen, wie eine Art von Neigung aussehen,
desswegen die Chemiker auch ihnen die Ehre einer Wahl bei
solchen Verwandtschaften zuschreiben, und doch sind es oft
nur äussere Determinationen, die sie da - oder dorthin 35
stossen oder reissen, wodurch die Mineralkörper hervorge-
bracht werden, ob wir ihnen gleich den zarten Antheil. der
ihnen an dem allgemeinen Lebenshauche der Natur gebührt,
keineswegs absprechen wollen" (Nat. W. 8, 79, 20—80. 2).
* Aus Riemers , Mittheilungen' 2, 710. 40
1809 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 387
Juli 24, Jena. 736
[Vor Tische] Corrigirt an den ^Wahlverwandtscliaf-
ten'^
Tgb. 4, 46, 2.
5 Juli 25, Jena. 737
Wir sind fleissig, und wenn wir so fortfahren, so
werden wir mit Zufriedenheit zurückkehren. Künftige
Woche wird angefangen am Eoman zu drucken^.
An Christiane. — Br. 21, 11, 17—20.
10 Juli 25, [Jena.] 738
Sobald ich in meinen Arbeiten Licht sehe, bin ich bei
Ihnen . .
An Silvie von Ziegesar. — Br. 21, 12, 9 f.
Juli 25, Jena. 739
15 [Früh] An dem Eoman revidirt und einige Haupt-
stellen durchgedacht^.
Tgb. 4, 46, 9 f.
Juli 26, Jena. 740
[Früh] An dem Eoman revidirt.
20 Tgb. 4, 46, 16.
Juli 27, Jena. 741
[Früh] An dem Eoman revidirt und verbessert.
Tgb. 4, 46, 22.
Juli 28, Jena. 742
25 Die ersten Bogen des Eomans sind in die Druckerei.
und es braucht nur sechs bis acht Wochen Euhe und
Sammlunff, so ist die Sache absrethan und ich kann an
^ Riemers Tagebuch, Juli 24: ..Früh Goethe. Roman. Corrigirt
daran. Kam Frommann und besprach Drucli und Stärke"
30 (Deutsche Revue 12, 1, 177).
* Goethe schrieb diess an einem Dienstag, schon am folgen-
den Sonntag (30.) erhielt er den ersten Druckbogen zur
Correctur (s. Nr. 745).
' Riemers Tagebuch, Juli 25: „Früh am Roman" (Deutsclie
35 Revue 12, 1, 178).
388 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1809
[Juli 28, Jena.] [742]
etwas Andres gehen. Eiemer ist mir anf die beste Weise
behülflich.
. . , Für mich wünsche ich weiter nichts als ein leid-
liches Befinden, dass ich in diesen paar Monaten mit s
meiner vorgesetzten Arbeit fertig werde, . .
An Christiane. — Br. 21, 12, 20—13, 3. 10—12.
Juli 28, Jena. 743
[Früh] An dem Koman revidirt und den Anfang in
die Druckerei geschickt^. lo
Tgb. 4, 47, 1 f.
Juli 29, Jena. 744
[Früh] Am Eoman fortgefahren.
Tgb. 4, 47, 11.
Juli 30, Jena. 74.5 15
[Früh] Am Eoman. Erster Druckbogen desselben.
Xach Tische . . Herr Frommann. Berathschlagung über
den ersten Bogen^.
Tgb. 4, 47, 18—20.
Juli 31, Jena. 740 20
Früh am Eoman.
Tgb. 4, 47, 26.
] [August, zwischen 1 und 21, Jena.]^ 747
Notiz.
Wir geben hiermit vorläufige I^achricht von einem 25
Werke, das zur Michaelismesse im Cottaschen Verlage
herauskommen wird:
^ Riemers Tagebuch lautet ebenso, nur fehlt das Wort
„revidirt" (Deutsche Revue 12, 1, 178).
* Riemers Tagebuch, Juli 30: „Frommann brachte den ersten 30
Druckbogen vom Roman. Darüber gesprochen und ge-
scherzt, dass es nur ein Abklatsch wäre" (Deutsche Revue
12, 1, 178).
' Wann die Anzeige des Romans niedergeschrieben ist, lässt
sich auf den Tag nicht feststellen; Goethes Tagebuch ge- 3S
1809 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 389
[[August, zwischen 1 und 21, Jena.] [747]
Die Wahlverwandtschaften, ein Eoman
vonGoethe.
In zwei Theilen.
5 Es scheint, dass den Verfasser seine fortgesetzten
physikalischen Arbeiten zu diesem seltsamen Titel ver-
anlassten. Er mochte bemerkt haben, dass man in der
Naturlehre sich sehr oft ethischer Gleichnisse bedient,
um etwas von dem Kreise menschlichen Wissens weit
10 Entferntes näher heranzubringen, und so hat er auch
wohl in einem sittlichen Falle eine chemische Gleichniss-
rede zu ihrem geistigen Ursprünge zurückführen
mögen^, um so mehr, als doch überall nur eine Xatur
ist und auch durch das Eeich der heitern Yernunftfrei-
15 heit die Spuren trüber, leidenschaftlicher Xothwendigkeit
sich unaufhaltsam hindurchziehen, die nur durch eine
höhere Hand und vielleicht auch nicht in diesem Leben
völlig auszulöschen sind.
:Mor.genblatt für gebildete Stände 3, 844 (Nr. 211, vom
20 4. September 1809). — WH. 29, 289 f.
August 1, Jena. 748
Wir haben den Druck des Eomans angefangen, ohne
zu wissen, wie wir damit zu Ende kommen wollen. In-
dessen, wenn wir den August und September gut an-
25 wenden, so ist Hoffnung, dass wir fertig werden.
An Christiane. — Br. 21, 17. 22—18, 1.
August 1, Jena. 749
Wir sind fleissig und hoffen vor Winters noch etwas
an den Tag zu fördern.
30 An H. Meyer. — Br. 21, 18. 21 f.
denkt ihrer Entstehung nicht, nur ihrer Absendung an den
Verleger am 22. August (s. Nr. 773). Vielleicht verfasste
Goethe sie schon in den letzten Julitagen, schwerlich aber
vor der ersten Besprechung mit Frommann über den Druck
35 am 24. Juli (s. 387, 29).
^ Vgl. Nr. 735. nebst den zugehörigen Erläuterungen.
390 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1809
August 1, Jena. 750
Aus beiliegendem Blättchen^ sehen Sie, dass der
Eoman anfängt gedruckt zu werden. Lassen Sie Ihre
guten Wünsche bei uns sein, damit wir ihn bald nach
Michael gebunden sehen. Es ist eine grosse Reise, die 5
mir bevorsteht und die sich leider nicht mit Extrapost
machen lässt^.
An Ch. V. Schiller. — Br. 21, 20, 13-18.
August 1, Jena. ' 751
[Früh] Erster Bogen des Eomans zur Revision. . . . lo
[Nachmittags Brief] An Frau Hofrath Schiller mit dem
ersten Bogen des Romans [s. Nr. 750].
. Tgb. 4, 48, 4. 10 f.
August 3, Jena. 752
[Früh] Correctur des zweiten Bogens vom Roman, 15
des vierten Capitels im Manuscript,
Tgb. 4, 49, 8 f.
August 4, Jena. 753
Weiter weiss ich nichts zu sagen, als dass es uns ganz
wohl geht, weil unsre Geschäfte im Gange sind. 20
An Christiane. — Br. 21, 23, 24 f.
August 4, Jona. 754
[Früh] Correctur des dritten Bogens vom Roman.
Einige Capitel desselben im Manuscript durchgegangen.
Tgb. 4, 49, 13 f. 25
August 5, Jena. 755
[Früh] Am Roman fortgefahren.
Tgb. 4, 49, 28.
* s. Z. 11 f.
^ In ihrer Antwort vom 27. August berührt Charlotte Schiller 30
das Obige mit den Worten: „Ich möchte wohl wissen, wie
Sie leben, und wie sich unsre neuen Freunde befinden, Char-
lotte und Ottilie und so weiter. Wenn Sie nur recht unge-
stört arbeiten können" (GJ. 4, 260).
1809 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 391
August G, Jena. 756
[Früh] Vierter Bogen des Romans zur Correctur. Die
nächsten Capitel nochmals durchgedacht.
Tgb. 4, 50, 9 f.
5 August 7, Jena. 757
[Vormittags] Siebentes und achtes Capitel "umge-
schrieben.
Tgb. 4, 50, 18 f.
August 8, Jena. 758
10 [Vormittags] Das sechste Capitel durchgesehen zum
Druck. . . . Abends allein. Fünfter Bogen des Romans.
Tgb. 4, 50, 22 f. 26 f.
August 9, Jena. 759
[Vormittags] Das neunte Capitel umgeschrieben.
15 Tgb. 4, 51, If.
August 10, Jena. 760
[Vormittags] Revision des sechsten Bogens. Das
neunte Capitel im ]Manuscript durchgesehen.
Tgb. 4, 51, 8 f.
20 August 11, Jena. 761
Der neue Roman ist bis zum siebenten Bogen gedruckt
in unsern Händen. Es wird sorgfältig daran redigirt,
corrigirt und revidirt und ist kaum abzusehen, wie bis
^lichael das Ganze fertig sein soll. Indessen ohne eine
25 solche Xöthigung käme man gar nicht zu Stande.
An PI. Meyer. — Br. 21, 30, 23—28.
August 11, Jena. 762
[Früh] Correctur des siebenten Bogens vom Roman.
Das zehnte Capitel im Manuscript durchgegangen.
30 Tgb. 4, 51, 24 f.
August 12. Jena. 763
[Früh] Correctur des achten Bogens. Das elfte Capitel
im Manuscript durchgesehen.
Tgb. 4, 52, 6 f.
392 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1809
August 13, Jena. 764
[Früh] Xochmalige Durchsicht des achten Correctur-
bogens. Das zwölfte Capitel im Manuscript durchge-
gangen.
Tgb. 4, 52, 13 f. 6
August 14. Jena. 765
[Früh] Correctur des neunten Bogens. Schema vom
dreizehnten Capitel dictirt^.
Tgb. 4, 52, 22 f.
August 15, Jena. 766 lo
[Früh] Correctur des zehnten Bogens. Dreizehntes
Capitel umdictirt,
Tgb. 4, 53, 5.
August 16, Jena. 767
[Früh] Vom fünfzehnten Capitel an das Manuscript 15
revidirt. Kach Tische das dreizehnte durchgegangen. . . .
Abends . . . Der elfte Bogen zur Revision. Der sechste
Aushängebogen war angekommen.
Tgb. 4, 53, 10 f. 13—15.
August 17, Jena. 768 20
[Früh] Siebzehntes Capitel umgeschrieben. Revision
des elften Bogens^.
Tgb. 4, 53, 16 f.
August 18, Jena. 769
[Früh] Fünfzehntes Capitel umdictirt. ...[Abends?] 25
Zwölfter Correcturbogen.
Tgb. 4, 53, 21. 54, 4.
August 19. Jena. 770
[Früh] Correctur des zwölften Bogens. Das fünf-
zehnte bis siebzehnte Capitel im Manuscript durchge- 30
gangen.
Tgb. 4, 54, 5 f.
^ Riemers Tagebuch, August 14: ..Bei Goethe. Schema vom
dreizehnten Capitel" (Deutsche Revue 12, 1, 181>.
' Riemers Tagebuch, August 17: „Bei Goethe. Umdictirt das 35
siebzehnte Capitel" (Deutsche Revue 12, 1, 181).
1809 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 393
August 20, Jena. 771
[Vormittags] Die Capitel 15. 16. 17 durchgegangen.
Tgb. 4, 51, 13.
August 21, Jena. 772
5 Früh . . Das achtzehnte Capitel nmdictirt^.
Tgb. 4. 54, 18 f.
August 22. Jena. 773
[Früh] Das achtzehnte Capitel durchgegangen. . . .
[Brief] An Herrn Doetor Cotta nach Tübingen mit der
10 Anzeige des Eomans^.
Tgb. 4, 54. 28—55, 4 f.
August 23. Jena. 774
[Früh] Den vierzehnten Bogen corrigirt.
Tgb. 4, 55, 10.
15 August 24, Jena. 775
Ich lebe seit sechs "Wochen in Jena, ruhig und fleissig.
und denke vor Michael noch manches zu arbeiten.
An seinen Sohn. — Br. 21, 39, 20—40. 1.
August 25, Jena. 776
20 [Früh] Ausführliches Schema zum zweiten Theile.
Tgb. 4, 56, 3.
August 26, Jena. 777
"Wo Ihnen auch mein neuer Eoman begegnet, nehmen
Sie ihn freundlich auf. Ich bin überzeugt, dass Sie der
25 durchsichtige und undurchsichtige Schleier nicht rer-
hindem wird, bis auf die eigentlich intentionirte Ge-
stalt hineinzusehen'.
An Zelter. — Br. 21. 46. 12—16.
^ Riemers Tagebuch. August 21: ..Früh bei Goethe, der das
30 achtzehnte Capitel dictirte" (Deutsche Revue 12. 1, 279).
■ s. Nr. 747.
' Am 11. October erst erwiderte Zelter: „Von Ihrem neuen
Roman ist mir noch nichts begegnet. Was ich im Cotta-
schen Taschenbucho finde, ist eine Fortsetzung des ,Wilhelm
35 Meister' [,Sanct Josepli der Zweite']; wie aber ist es mit
jenem Roman? der mir überall willkommen sein wird. So-
394 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1S09
August 26, Jena. "'8
[Früh] Correctur des sechzehnten Bogens. Den An-
fang des zweiten Theils durchgegangen^.
Tgb. 4, .56, 10 f.
August 27, Jena. "79 5
[Früh] Das dritte Capitel im zweiten Theil nmge-
geschrieben und einige andre revidirt.
Tgb. 4, 56, 22 f.
August 28, [Jena.] 780
. . helfen Sie einem treuen Freunde mit guten und lo
frommen Wünschen nach, der jetzt sich in einer Art
Klemme befindet; sonst war' er früher und öfter bei
Ihnen gewesen.
An Silvie v. Ziegesar. — Br. 21, 47, 3—6.
August 29, Jena. 781 15
Ich bin heute wieder in meinen Fleiss zurückgekehrt-
und hoffe, es soll alles ganz gut werden.
Au Christiane. — Br. 21, 47, 10—12.
August 29, Jena. 782
Ich bin fleissig, so gut es gehen will, und nehme mich 20
nach einigen Störungen^ wieder zusammen.
An H. Meyer. — Br. 21, 48, 15 f.
August 29, Jena. 783
[Früh] Der siebzehnte Bogen zur Eevision. Das
ZM-ölfte Capitel umdictirt. . . . Abends den Plan des 25
zweiten Theils durchgegangen.
Tgb. 4, 57, 4 f. 9 f.
bald Sie ein Exemplar haben, bitte ich mir ja eins zu
senden, denn unsere Buchhändler sind die säumigsten
Menschen von der Welt; ich habe überall nachgefragt und 30
noch nichts erhalten können als das Cottasche Taschenbuch"
(G.-Zelter 1, 370).
^ Riemers Tagebuch vermerkt gleichzeitig: „Am Roman
zweiter Theil" (Deutsche Revue 12, 1, 279).
^ Den 28. August, seinen Geburtstag, hatte Goethe in Gesell- 35
Schaft Christianens und mehrerer Freunde verlebt.
• Vgl. die vorhergehende Erläuterung.
1809 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 395
August 30, Jena. 784
[Früh] Am achtzehnten Capitel und einigen andern
umdictirt.
Tgb. 4, 57, 11.
5 August 31, Jena. 785
[Früh] Den achtzehnten und neunzehnten Bogen zur
Eevision. Letztes Capitel vom zweiten Theil umdictirt.
Einzelnes in verschiedenen anderen. . . . Abends . .
Einiges am Eoman schematisirt und durchgedacht^
10 Tgb. 4, 57, 20—22. 27 f.
September 2, Jena. 786
Indem Sie mich, theure Freundin, von dem lieben
Kreise weit entfernt glauben, so bin ich ihm nicht leicht
näher gewesen. Meine einzige Beschäftigung ist, das-
15 jenige zu endigen, dessen Anfang Freude zu machen
schien. Die gestrige Anwesenlieit unsrer gnädigsten
Herrschaften^ erleichterte mir die Gewährung des
Wunsches noch eine Zeitlang hierbleiben zu können, ja
nicht eher wegzugehen als nach völlig vollbrachter
20 Arbeit.
An Ch. V. Stein. — Br. 21, 50, 1—9.
September 2, Jena. 787
[Früh] Anfang des zweiten Theils.
Tgb. 4, 58, 10.
25 September 3, Jena. 788
[Früh] Die drei ersten Capitel des zweiten Theils
durdigegangen und zum Druck befördert.
Tgb. 4, 58, 17 f.
^ Riemers Tagebuch, August 31: ,,Früli zu Goethe. Correc-
30 tur. An mehreren Capiteln des zweiten Theils umgeschrie-
ben. . . .
Ueber den Roman und einige neue Motive" «Deutsche
Revue 12, 1, 280).
* Tags zuvor, am 1. September, hatte die Herzogin Luise mit
35 ihren Kindern Jena besucht.
396 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1809
September 4, Jena. T89
[Vormittags] Das vierte und fünfte Capitel. . . .
Verschiedenes zum Tagebuehe\
Tgb. 4, 58, 23 f.
September 5. Jena. 790 5
Es soll mir recht angenehm sein, Dich diese Woche
hier zu sehen, besonders wenn ich's ]\Iittags vorausweiss.
und dass Du nicht zu früh kommst: denn die Morgen
müssen jetzt sehr ernstlich angewendet werden, wenn
wir mit unserer Arbeit diesen Monat fertig werden lo
wollen.
An Christiane. — Br. 21, 51, 1-6.
September 5, Jena. 791
Unsre Arbeit hier geht auch ganz gut von Statten.
Ich hoffe die nächsten vier Wochen sollen den vier vor- is
hergehenden gleichen, und so wollen \yii mit ein paar
Bändchen nach "Weimar zurückkehren, . .
An H. Meyer. — Br. 21, 52, 7—11.
September 5, Jena. 792
[Früh] Viertes und fünftes Capitel, so wie das Tage- 20
buch zu den beiden.
Tgb. 4, 59, If.
September 6, Jena. 793
[Früh] Viertes und fünftes Capitel nebst dem dazu-
gehörigen Tagebuch-. 25
Tgb. 4. 59. 14 f.
September 7, Jena. 794
[Früh] Sechstes Capitel erste Hälfte^ . . . [Nach-
mittags] . . erster Bogen des zweiten Theils.
Tgb. 4. 59, 22—24. 30
^ Mittheilungen aus Ottiliens Tagebuch finden sich im zweiten
Theil des Romans am Schluss der Capitel 2. 3. 4. 5. 7. 9.
* Riemers Tagebuch, September 6: „Am vierten und fünften
Capitel noch einiges nachgebessert" (Deutsche Revue 12,
1, 2S1). 35
« Capitel 6 des zweiten Theils beschäftigte Goethe, verhält-
1809 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEX. 397
September 8, Jena. 795
. . ob ich Dich gleich ganz gerne wieder sähe und
spräche, so sind "\nr doch mit iinsern Arbeiten in einer so
gedrängten Lage, dass es mir lieber ist, Du kommst jetzt
5 nicht herüber: denn wir müssen jede Stunde zusammen-
nehmen, und ich sehe noch kaum, wie wir fertig werden
wollen.
An Christiane. — Br. 21, 56, 3—9.
September 8, Jena. 796
10 [Früh] Sechstes Capitel und einiges Andre. . . .
[Xachmittags] Zweiter Bogen und dessen besseres Ar-
rangement.
Tgb. 4, 60, 1. 5 f.
September 9, Jena. 797
15 [Früh] Den zweiten Bogen ajustirt. Das sechste Ca-
pitel behandelt.
Tgb. 4, 60, 8 f.
September 10, Jena. 798
Früh lang im Bette geblieben. Das sechste Capitel
20 durchgegangen. . . . [Nachmittags] Am sechsten Ca-
pitel.
Tgb. 4, 60, 19 f. 26,
September 11, Jena. 799
Gegenwärtig nur soviel von mir, dass ich mich in Jena
25 befinde und vor lauter Verwandtschaften nicht recht
weiss, welche ich wählen soll.
Wenn das Büchlein, das man Ihnen angekündigt hat,
zu Ihnen kommt, so nehmen Sie es freundlich auf. Ich
kann selbst nicht dafür stehen, was es geworden ist^.
30 An Bettina Brentano. — Br. 21, 61, 20—26.
nissmässig zu den andern Abschnitten, ganz besonders
lange, und zwar von sechs Tagen vier (7. 9. 10. 11. September)
ausschliesslich. Den wesentlichen Inhalt des Capitels bildet
die Erzählung der, vom Architekten veranstalteten, Darstel-
35 lung der Weihnachtsgruppe, mit Ottilien als Jungfrau Maria.
* Bettina hat in , Goethes Briefwechsel mit einem Kinde' obige
398 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1809
September 11, Jena. 800
[Früh] Das sechste Capitel. Correctur des zweiten
Bogens. . . . Nach Tische noch einige Beschäftigung
mit der Correctur. Abends . . . kam der dritte Bogen
an.
Tgb. 4, 60, 28—01, 1. 3 f. 6.
Aeupserung wortgetreu und an der ihr gebührenden Stelle
wiedergegeben, lässt aber Goethen, am Schluss des Briefes,
noch sehreiben:
,.W as Du zum voraus über die ,Wahlver-io
wandtschaften' sagst, ist prophetischer
Blick, denn leider geht die Sonne düster
genug dort unter" (G.-Bettina 2, 110).
Dass diese Worte von Bettina erdichtet seien, wird schon
durch die Briefdaten wahrscheinlich, da Goethe am 11. Sep- 15
tember schwerlich schon (., jedenfalls . . noch nicht" sagt
G. V. Loeper, G.-La-Roche S. 179j auf Bettinas Brief vom
9. September antworten konnte.
Bettina aber hatte geschrieben:
,,Es geht hier eine Sage unter dem Volk, es werde bald 20
eine Erscheinung sein, die soll , Wahlverwandtschaften'
Geissen und von Dir in Gestalt eines Romans ausgehen. Ich
habe einmal einen fünf Stunden langen, saueren Weg nach
einem Sauerbrunnen gemacht, er lag so einsam zwischen
Felsen, der Mittag konnte nicht zu ihm niedersteigen, die 25
Sonne zerbrach tausendfach ihre Strahlenkrone an dem Ge-
stein, alte dürre Eichen und Ulmen standen wie die Todes-
helden dnuii her, und Abgründe, die man da sah, waren
keine Abgründe der Weisheit, sondern dunkle. schAvarae
Nacht, mir wollt's nicht behagen, dass die himmlische Natur 30
solche Launen habe, der Athem wurde mir schwer und ich
hatte das Gesicht in's Gras gewühlt. Wenn ich aber diese
(Wahlverwandtschaften' dort an der Quelle wüsste, gern wollt'
ich den schauerlichen, unheimlichen Weg noch einmal machen,
und zwar mit leichtem Schritt und leichtem Sinn, denn 35
erstens dem Geliebten entgegengehen, beflügelt den Schritt,
und zweitens mit dem Geliebten heimgehen ist der Inbegriff
aller Seligkeit" (G.-Bettina 2. 106 f.).
In ihrem Briefe sodann vom 26. September beschwert
Bettina sich, dass Goethe das obige Schreiben (.vom 11. 40
1809 DIE >YAHLVERWAXDTSCHAFTEX. 399
September 12, Jena. 801
Mein Geschäft hier geht ganz gut und wird auch
hoffentlich so zu Ende gelangen, . .
An Christiane. — Br. 21, 62, 16 f.
5 September 12, Jena. 802
TTnsre hiesigen Geschäfte gehen ihren Gang, ^^'enn
ich Ihnen sage, dass wir heute den dritten Bogen des
zweiten Theils revidiren, und dieser, wie der erste, etwa
zwanzig Bogen haben -wird, so sehen Sie, was gethan
10 worden und was noch zu thun ist. Ich wünsche, dass
alles vor Ende Septembers geleistet sei.
An H. Meyer. — Br. 21, 64. 4—9.
September 12, Jena. 803
[Früh] Das siebente Capitel. Correctur des dritten
15 Bogens. . . . Abends das sechste Capitel im Manuscript
durchgegangen und den yierten Bogen revidirt.
Tgb. 4, 61, 7 f. 10 f.
[September 13M Jena. 804
-Ich befinde mich seit länger als sieben Wochen hier
20 und komme mir vor wie jene Schwangere, die weiter
September) von seinem ,,Secretair" habe „abschnurren
lassen", und fährt fort: ..Verliebt bist Du und zwar in die
Heldin Deines neuen Romans und das macht Dich so einge-
zogen und so kalt gegen mich; Gott weiss, welches Muster
25 Dir hier zum Ideal diente; . ." (G.-Bettina 2. 112i.
' Der Brief, dessen erster Hälfte die nachfolgende Aeusse-
rung entnommen ist, wurde von Goethe in zwei Abschnitten
dictirt, und trägt in Folge dessen am Schluss das Datum:
1. October (vgl. Nr. 836).
30 Die Datirung des ersten Abschnitts geschah nach
Tgb. 4, 61, 16 f.
- Reinhard hatte in seinem Briefe vom 18. August lakonisch
gefragt: ,.Wann der Roman?" und am 23. August ge-
schrieben: ,,Dass Sie in Jena sind, deutet auf Förderung der
35 Geschenke, die Sie uns für die künftige Messe bereiten, und
auch darum begleit' ich Sie mit meinen Wünschen in diese
friedliche Abgeschiedenheit" (G.-Reinhard S. 63).
400 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1809
[September 13, Jena.] [80*]
nichts wünscht, als dass das Kind zur Welt komme, es
sei übrigens und entstehe was will. Diese Geburt wird
sich etwa in der Hälfte Octobers bei Ihnen präsentiren.
Ich bitte um gute Aufnahme. ^
An K. F. V. Reinhard. — Br. 21, 102. 14—19.
September 13, Jena. 805
[Früli] Das siebente Capitel, umdictirt. Eevision des
vierten Bogens. . . . [Xachmittags] Eevision des
fünften Bogens. lo
Tgb. 4, 61, 12 f. 20.
September 14, Jena. 806
[Früh] Das zehnte und elfte Capitel umdictirt. Ee-
Ansion des fünften Bogens. . . . Abends . . den sechsten
Bogen revidirt. i^
Tgb. 4, 61, 23 f. 28—62, 2.
September 1.5, Jena. 807
. . sodann schicke ich ein Bündchen^, aber nur unter
folgenden Bedingungen:
1. Dass Ihr es bei verschlossenen Thüren leset. 20
2. Dass es niemand erfährt, dass Ihr's gelesen habt.
3. Dass ich es künftigen Mittwoch- wieder erhalte.
4. Dass mir alsdann zugleich etwas geschrieben werde
von dem, was unter Euch bei'm Lesen vorgegangen.
An Christiane. — Br. 21, 64, 16—24. 25
September 1.5, Jena. 808
Abends bei Frommanns. Vorher Eevision des siebenten
Bogens . .
Tgb. 4, 62, 7 f.
September 16, Jena. 809 30
[Früh] Das neunte, zehnte, elfte Capitel im Manu-
script durchgegangen und zum Druck befördert.
Tgb. 4, 62, 10 f.
Den ersten Theil der ,Wahlverwandtschaften'.
Arn 20. September. 85
1809 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 401
Septejuber 17, Jena. 810
[Früh] Das zwölfte Capitel durchgegangen. Kevision
des achten Bogens. . . . [Abends] Den Schluss des Eo-
mans durchgesehen und durchgedacht.
5 Tgb. 4, 62, 16 f. 20 f.
September 18, Jena. 811
[Früh] Das dreizehnte bis fünfzehnte Capitel im Ma-
nuscript durchgegangen. Den achten Bogen revidirt,
Tgb. 4, 62, 22 f.
10 September 19, Jena. 812
[Früh] Die letzten drei Capitel durchgegangen. Den
neunten Bogen zur Eevision. . . , Abends . . Kam der
zehnte Bogen zur Eevision.
• Tgb. 4, 63, 1 f. 6—8.
13 September 20, Jena. 813
Ich brauche wenigstens noch acht Tage, um mit dem-
jenigen in Ordnung zu kommen, was ich mir vorge-
nommen habe; nicht allein mit dem Druck des Eomans
muss ich im Eeinen sein, . . . Ich bitte Dich inständig.
20 mir alle Besuche abzuhalten; . .
An Christiane. — Br. 21, 74, 18—21. 75, 1 f .
September 20, Jena. 814
[Früh] Das zwölfte Capitel zum Drucke befördert.
Das dreizehnte bis zur Hälfte. Eevision des zehnten
25 Bogens.
Tgb. 4, 63, 9 f.
September 21, Jena. 815
[Früh] Das dreizehnte und vierzehnte Capitel. Eevi-
sion des elften Bogens.
30 Tgb. 4, 63, 19 f.
September 22. Jena. 816
Heute bin ich im Bett geblieben; wir können aber
tmsere Arbeiten demungeachtet fortsetzen^.
' Zur Erläuterung dient Goethes Tagebuch vom 21. Septem-
35 ber: ..Dr. Meyer und Lortzing von Weimar. Dieselben zu
Graf, Goethe über s. Dichtungen T. I. 26
402 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN, 1809
{September 22, Jena.] [816]
Weil Ihr Euch üher den ersten Theil des Eomans
so freundlich geäussert habt, so soll die Hälfte des
zweiten bis an einen Abschnitt die nächste Woche unter
eben den Bedingungen zu Euch gelangen\ Du schickst 5
mir den Band wieder, den Du in Händen hast-, und ^vi^
hoffen nun das Ende bald zu erreichen. Doch brauchen
wir, wenn kein Hinderniss daz\rischenkomint, immer
noch zehn Tage. Wenn Du etwa hören solltest, dass
jemand zu mir herüberkommen will,, so lehne es Ja ab: lo
denn es kommt doch, wie ich auch diessmaP gesehen
habe, für die Besuchenden auch nicht das Geringste
heraus.
An Christiane. — Br. 21, 75, 23—76, 12.
September 22, Jena. 817 i5
[Früh] Das fünfzehnte Capitel durchgegangen. Ee-
vision des zwölften Bogens*.
Tgb. 4, 63, 28—64, 1.
September 23, Jena. 818
[Früh] Das seclwehnte und siebzehnte Capitel zum 20
Druck befördert.
Tgb. 4, 64, 12.
September 24, Jena. 819
Meine Frau grüsst zum schönsten, . . Zugleich soll
ich . . Dir einige Feigen übersenden, damit Du Dir von 25
ihrer Obstcultur einen guten Begriff machst.
Tische. . . . Befand mich nicht ganz wohl, doch ging der
Anfall bald vorbei" (Tgb. 4, 63, 20-23).
^ Vgl. Nr. 807.
' Hiernach scheint Christiane die dritte der von Goethe ge- 30
stellten Bedingungen (s. 400, 22) nicht erfüllt zu haben.
» Vgl. 401, 35.
* Riemers Tagebuch vom gleichen Tage: ,,Bei Goethe, der
noch im Bett blieb. An den letzten Capiteln" (Deutsche
Revue 12, 1, 281). 35
1809 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEX. 403
[September 24, Jena.] [819]
Und da ich nun einmal Dich mit Süssigkeiten be-
steche, so will ich bei dieser Gelegenlieit auch den ersten
Theil meines Eomans unterschieben, mit Bitte ihn
5 freundlich aufzunehmen, jedoch ja nicht aus Händen zu
geben^.
An Knebel. — Br. 21, 77, 11. 14—22.
September 24, Jena. S20
[Früh] Anfang des achtzehnten Capitels. Der drei-
10 zehnte Bogen zur Eerision. An Major von Knebel den
ersten Theil des Eomans geschickt [s. Xr. 819].
Tgb. 4, 64, 23—25.
September 25, Jena. 821
[Früh] Am achtzehnten CapiteP.
15 Tgb. 4, 65, 3.
September 26, Jena. 822
Das unternommene Geschäft ist indessen zu Stande
gekommen, und es ^vird sich Ihnen ein wunderliches Ge-
bilde in vierzehn Tagen bis drei Wochen präsentiren.
20 dem ich eine freundliche Aufnahme wünsche. Selten
wird in der Welt etwas genommen, vde es gegeben wird:
es müsste denn das tägliche Brod vom Bäckerladen sein.
Bei dieser meiner neuen Arbeit wünschte ich, dass Sie
sich mancher schöner Momente unseres für mich einzig
25 frohen Zusammenwirkens erinnerten.
An C. G. Voigt. — Br. 21, 83, 20—84, 3.
September 26, Jena. 823
[Früh] Das achtzehnte Capitel. . . . [Abends?] Den
vierzehnten Bogen revidirt.
30 Tgb. 4, 65. 9. 15 f.
^ Ueber das Urtheil Knebels, das dieser dem Freunde münd-
lich, vermuthlich schon am 27. September, aussprach (vgl. Xr.
824). erfahren wir nur mittelbar etwas aus 414. 24. 432, 10—14.
- Riemers Tagebuch. September 25: ..Bei Goethe, das acht-
35 zehnte Capitel" (Deutsche Revue 12, 1, 282).
404 DIB WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1809
September 27, Jena. 824
[Vormittags] . . Herrn von Knebel besucht, bei ihm
geblieben: über den Eoman^, Leben und dergleichen.
Tgb. 4, 65, 18 f.
September 28, Jena. 825 5
Der Druck des Eomans neigt sich zum Ende und doch
werden immer noch acht Tage hingehen.
An H. Meyer. — Br. 21, 90, 4 f.
September 28, Jena. 826
Ich habe hier einige Monate auf die Bearbeitung und lo
auf den Druck eines Eomans verwendet, der in wenig
Tagen die Presse verlassen wird. Da Sie sich in diesem
Fache selbst so löblich hervorgethan-, so wünschte ich
wohl Ihre Meinung über meine Arbeit zu hören, und
w^enn es Ihnen gelegen wäre, öffentlich. Es gibt, wie Sie is
selbst wissen, mehr als eine Art dergleichen Productio-
nen zu beurtheilen: eine gedrängte, welche die Haupt-
momente hervorhebt, würde mir sehr ^-illkommen sein^.
An Rochlitz. — Br. 21, 92, 3—13.
20
^ Vgl. 414, 24—29 und 432, 10—14.
* Goethes Interesse galt übrigens mehr den dramatischen
Dichtungen Rochlitzens, als dessen Romanen und Erzäh-
lungen. Von diesen waren seit Anfang des Jahrhunderts
eine ganze Reihe erschienen.
' Rochlitz erwiderte zunächst am 4. October: „Den Roman, 25
womit Sie uns alle so sehr überraschen, werde ich mir, so-
bald er auf der Messe erscheint, verschaffen; werde ihn in
ruhigen Stunden erst in einem Strich durchlesen, um das
Ganze möglichst rein zu fassen und die frische Blüthe des
Genusses mir vollgültig zu verschaffen, und dann, nach eini- 30
ger Zwischenzeit, alles langsam wiederholen, um nun auch
das Einzelne in dem Ganzen erkennen, schätzen und geniessen
zu lernen. Was mir nun hierbei von selbst Bedürfniss wird
aufzuschreiben, das schreibe ich auf und sende es Ihnen zu.
Sie werden dann entscheiden, ob es bei Seite gelegt, oder für 35
das Publicum benutzt werden, und, wenn Sie diess erwähle-
ten, wo es geschehen soll. Eine eigentliche Recension wird
1809 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 405
September 28, Jena. 827
[Vormittags] Den fünfzehnten ßevisionsbogen\
Tgb. 4, 66, 1 f.
September 29, Jena. 828
5 Durch den Abgang des Boten überrascht, sende ich
heute nur mit wenigen Worten . . den ersten Theil des
Eomans. Ich wünsclio, dass dieser Ihnen und den Ihrigen
eine angenehme Unterhaltung geben möge; nur bitte ich
ihn nicht aus Händen zu geben.
10 An C. G. Voigt. — Br. 21, 94, 8—14.
September 29, Jena. 829
[Vormittags] Der sechzehnte Eevisionsbogen. . . .
Abends Oberstlieutenant von Hendrich. Ueber Auf-
nahme neuer "Werke, besonders von Freunden und Stadt-
15 genossen.
Tgb. 4, 66, 9. 12—14.
] [September 30, Jena.] 830
Soeben verlässt ein Eoman von mir die Presse. Ich
■will suchen durch Herrn Dufour Ihnen ein Exemplar
25
20 es aber ganz gewiss nicht; denn wenn ich mir diese von einem
Werke solclier Art schon nicht einmal denken kann, so kann
ich sie noch weit weniger verfassen" (G.-Rochlitz S. 102 f.).
Drei Woclien später, am 25. Oetober, wurde Rochlitz durch
Eichstädt, den Leiter der Jenaischen Allgemeinen Litteratur-
Zeitung. brieflich an Goethes Wunsch erinnert, mit den
Worten: ,,Ich darf hoffen, verehrtester Freund, dass die \eT-
anlassung zu diesem Briefe Ihnen nicht ganz unwillkommen
sein wird. Goethe wünscht seinen neuen Roman .Die Wahl-
verwandtschaften' in unsrer Allgemeinen Litteratur-Zeitung
von Ihnen recensirt zu sehen" (GJ. 20. 273 f.).
Rochlitz aber lehnte eine öffentliche Besprechung ab. so-
v\'ohl Goethe gegenüber, am Schluss seines ausführlichen
Briefes über die Dichtung, vom 5. November (s. 421, 18), als
auch gegeu Eichstädt. Denn auf eine derartige Mittheil nng
Eichstädts an Goethe nimmt dieser am 2.5. November Bezug
(s. 426, 2).
^ Riemers Tagebuch, September 28: „Früh bei Goethe: den
fünfzehnten Revisionsbogen" (Deutsche Revue 12, 1, 282).
406 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. ISO»
][September 30, Jena.] [830]
ZU überschieken. So ein nordisches Product muss unter
römischer Umgebung^ einen ganz eignen Eindruck
machen, und ich habe es daher doppelt Ihrer Nachsicht
zu empfehlen. Sie wissen ja schon, dass jeder ültramon- 5
tane^ eine eigne Tournüre mitbringt.
An Caroline v. Humboldt. — Br. 21, 97, 1—7.
September 30, Jena. 831
Es liegt ein Brief an Frau von Humboldt bei^, . . und
ich wünschte, dass Sie ihr zugleich ein Exemplar meines 10
Eomans, der eben die Presse verlässt, überbrächten: viel-
leicht gibt er Ihnen auch unterwegs einige Unterhal-
tung. Ich lasse daher in Leipzig ein solches Exemplar
mit dem gegenwärtigen Brief an Ihr Handelshaus über-
geben, um es Ihnen, wenn Sie noch nicht gar zu entfernt 1»
sein sollten, nachzuschicken*.
An Dufour-Feronce. — Br. 21, 97, 23—98, 6.
September 30, Jena. 832
[Vormittags] Der siebzehnte Eevisionsbogen. . . .
Nach Tische der achzehnte Eevisionsbogen. 20
Tgb. 4, 66, 15. 18 f.
][October 1, Jena».] 833
Die Aushäne-eboo-en des Eomans werden nun bald in
^ Caroline von Humboldt wohnte noch in Rom, wo die Familie
seit Ende des Jahres 1802 ihren Aufenthalt genommen hatte; 25
ihr Gatte, Wilhelm von Humboldt, befand sich zur Zeit des
obigen Briefes in Königsberg. Vgl. Nr. 866.
^ „Der Ausdruck „Ultramontan" ist natürlich im umgekehrten
Sinne als dem uns geläufigen gebraucht, wie auch der Römer
den von Norden über die Alpen kommenden Wind die Tra- 30
montana nennt" (Otto Harnack, der Herausgeber des Briefes,
im GJ. 16, 47).
» s. Nr. 830.
* Da Dufours Reise nach Rom nicht zur Ausführung kam,
„wurde Goethes Brief mit dem Geschenke der Adressatin 35
von Leipzig aus übersandt" (O. Hamack, GJ. 16, 47).
" Dieses Datum tragen zwei verschiedene Concepte von Briefen
1809 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 407
][October l, Jena.] [833]
Ihren Händen sein; und ich wünsche, dass diese beiden
Bändchen zuerst Ihnen und dann dem Publicum Ver-
gnügen machen. Es ist so manches hineingelegt, das.
wie ich hoffe, den Leser zu wiederholter Betrachtung auf-
fordern ^\'ird^.
An Cotta. — Br. 21, 99, 8—13,
][October 1, JenaM 834
Dass der Roman als Fortsetzung meiner Werke^ ab-
gedruckt werde, bin ich wohl zufrieden und so, dass es
damit wie mit dem Uebrigen nach unsrer Verabredung
gehalten werde.
Einen Preis für diese Arbeit* wüsste ich nicht auszu-
sprechen. Ich habe daran, was ich vermochte, gewendet
und ich bin von Ihnen überzeugt, dass Sie mich und die
^reinigen dagegen das Billige und Rechte werden ge-
niessen lassen^.
An Cotta. — Br. 21, 462 f.
an Cotta: das eine (Nr. 833) befindet sich in der grossen
20 Sammlung der Briefconcepte, das andere (Nr. 834) in der
Sanmilung der „Acta die Ausgabe meiner Werke bei Cotta
betr. 1805—1814" (vgl. Br. 21, 462 zu S. 99, 15).
* Noch am 20. October waren nicht alle Aushängebogen des
Romans in Cottas Händen, wie folgende Stelle aus Cottas
25 Brief an Charlotte Schiller von diesem Tage zeigt: „Goethes
,Wahherwandtschaften', die ich leider noch nicht ganz be-
sitze, sind mir ein Schatz von Weisheit, ein wahres Lebens-
buch, wie alles von Goethe" (Schiller-Cotta S. 563).
^ Vgl. 406, 37— 407, 22.
30 ' Vgl. 362, 7 f.
* „dieses Werkchen" hatte Goethe zuerst dictirt
^ Goethes Honorar-Conto in J. F. Cottas Rechnungsbüchern
(Schiller-Cotta S. 691) verzeichnet unter 1809:
„October 19 .Wahlverwandtschaften' incl. des Ab-
35 drucks in den Werken Rth. 2000.—
November 26 "SA'eiter für .Wahlverwandtschaf-
ten', da Nachdruck [unleserlich] „ 500.—"
408 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1809
October 1, Jena. 835
Der Eoman, den Sie durch Ihre Theilnahme so sehr
gefördert haben^, ist nun bald völlig abgedruckt und
wird seinen Weg auf die Leipziger Messe nehmen. Ich
schicke Ihnen kein Exemplar, weil Sie es, bei dem jetzi- 5
gen theuern Porto, bequemer durch den Buchhandel er-
halten^.
G-edenken Sie mein unter dem Lesen, gedenken Sie der
guten Tage, in welchen dieses Werkchen grösstentheils
in Ihrer Nähe entstand. 10
An Marianne v. Eybenberg. — Br. 21, 101, 22— 102, 5.
October 1, Jena. 836
Noch bin ich in Jena und hoffe, die letzten Bogen
meines Eomans noch vor Ablauf des Stillstandes, oder
vor Unterzeichnung des Friedens, gedruckt zu sehen^. i5
Es ist auf dieses kleine Werk so viel verwendet worden.
dass ich hoffen kann, man wird es mit Antheil auf-
nehmen.
Das erste, vollständige, geheftete Exemplar gebe ich
für Sie auf die fahrende Post. Indessen können noch 20
immer vierzehn Tage hingehen, bis es in Ihre Hände
kommt.
An K. F. V. Reinhard. — Br. 21, 104, 7—14.
] [October 1, Jena.] 837
Ich befinde mich noch in Jena auf dem Platze, wo 25
Sie mich verlassen*. Der Roman ist indessen gedruckt
^ Vgl. 374, 22—25, nebst der zugehörigen Erläuterung.
" Nach einem, an andrer Stelle mitzutheilenden Briefe der
Frau von Eybenberg. scheint Goethe der Freundin später doch
noch ein Exemplar der Dichtung geschickt zu haben, s. 428, 13. 30
* Diese Hoffnung erfüllte sich, da die Friedensverhandlungen
zwischen Frankreich und Oesterreich (deren Reinhard in
seinem letzten Briefe an Goethe, vom 23. August, gedacht
hatte) erst am 14. October im Al>schluss des Wiener Friedens
ihr Ende fanden. 35
* Zum letztenmale war Goethe am 4. Juni mit Werner zu-
1809 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 409
][October l. Jena.] [837]
worden, den ich Ihnen hiermit zur freundlichen Auf-
nahme empfehlen wilP.
An Zach. Wemer. — Br. 21. 105, 3—6.
. 5 sammen gewesen, uud zwar in grösserer Gesellschaft bei
Frommanns.
Indem Goethe sagt, er befinde sich ..noch" in Jena, bleibt
als gleichgültig ausser Acht, dass er inzwischen vom 14. Juni
bis 22. Juli sich in Weimar aufgehalten hatte.
10 ^ In Rom, am 31. Januar 1810, bei Caroline von Humboldt
sah AVerner die .Wahlverwandtschaften" uud las die Dichtung
bald darauf. Die Wirkung dieser Leetüre hat er später in
folgenden Versen seines Gedichts .Abschied von Rom* ge-
schildert (hier nach Düntzers Buch .Zwei Bekehrte. Zacharias
15 AA'erner und Sophie von Schardf Leipzig. Hahn'sche Verlags-
buchhandlung. 1873 S. 188 f.»:
„Vergebens I den die Schuld verstockt.
Der wird zum Abgrund hingelockt
Selbst durch der Schönheit Strahlen:
20 Kunst, Andacht reizten mein Gelüst.
Durch Romas Tempel rannt' ich wüst
Genüssen nach und Qualen.
Da Hess der Herr den Blitz erglühn:
..Nur der Entsagung wird verziehnl"
25 Sprach Gott in Blitzesflimmer.
Ottiliens erstarrter Schmerz
Schoss wie der Blitz iu's wunde Herz,
Und ich entsagt' für immer."
Am 19. April 1811 sodann trat Werner zum Katholieismus
30 über, und schrieb vier Tage später, am 23. April 1811. an
Goethe einen umfangreichen Brief, in dem es unter Anderem
heisst: „Sie werden von mir gar uichts mehr hören noch
wissen wollen I Warum, das wissen Sie schon jetzt, indem
ich diess schreibe:
35
Keimt ein Glaube neu.
Wird oft Lieb' und Treu'
Wie ein altes L'nkraut ausgerauft!
410 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1809
October 1, Jena. 838
[Vormittags] Den achtzehnten Eevisionsbogen.
Tgb. 4, 67, 3.
October 2, Jena. 839
Mit unserm Geschäft wird's nicht lange mehr dauern,
nur noch zwei Capitel sind zu druckend
An Christiane. — Br. 21, 107, 3—5.
so beisst es in dem Gedicht [.Die Braut von Korinth' V. 12 —
14], welches, näclist Gott und Ew. Excelleuz, niemand so gut
versteht als ich! Nicht in mir wird Lieb' und Treue gegen lo
Sie ausgerauft werden, kein Glaube kann imd wird meine
Liebe, meine Treue, meine Dankbarkeit gegen Sie ausraufen,
am wenigsten der christliche, den ich, nachdem icli ihm
lauge heimlich auf den schändlichsten Irrwegen nachgerannt
bin, endlich gefunden und öffentlich bekannt habe. Beides 15
verdanke ich — o zürnen Sie nicht. Huldvollster'. — Ihren
.Wahlverwandtschaften'. ,„Nur unter der Bedingung einer
völligen Entsagung'", heisst es darin [Theil 2 Capitel 15, W.
20, 374, 1 — 4], , „hatte Ottilie sich verziehen, nur diese Beding-
ung war für ihre ganze Lebenszeit unerlässlich'". Diese 20
von Gottes Geist Ihnen in die Feder dictirten, und als ich sie
zuerst, vor Ihrer Herrlichkeit erstarrend las, von Gottes Blitz
[vgl. 409, 23—29] auf der nemlichen Stelle, an der
ich jetzt dieses schreibe, illuminirten ewigen Worte, sie sind
es und — was auch der deutsche Pöbel über mich lügen 25
mag — sie, diese Worte, (und nicht der Sinnentand, die
Phantasterei, die Gaukelei, womit man alles Heilige und
auch die Kirche, die ewig heilige überkleistert liat) sind es,
die mich katholisch gemacht haben und mich zwingen, es,
mag auch über mich ergehen, mag auch dabei von mir zu 30
Grunde gehen, was da wolle, es lebenslang und ewiglich zu
bleiben! . , ." In einer Fussnote zu dem Worte .Wahlver-
wandtschaften' (Z. 17) sagt Werner: „Ich habe ein Sonett
über diess mir ewig merkwürdige Buch, sowie ein paar
andre beizufügen gewagt. Haben Ew. Exccllenz damit 35
gütige Nachsicht" (SdGG. 14, 61 f.).
^ Bogen 19. den Goethe am Morgen dieses 2. Octobers durch-
sah (s. Nr. 840), enthielt auch schon das vorletzte, siebzehnte,
Capitel, mit Ausschluss von Ottiliens Brief an die Freunde.
1809 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 411
October 2, Jena. 840
[Früh] Den neunzehnten Eevisionsbogen.
Tgb. 4, 67, 12.
October 3, Jena. 841
5 Der Eonian kommt in diesen Tagen zu Stande, ob ich
gleich kaum werde ein vollständiges Exemplar mit-
bringen können.
An Christiane. — Br. 21, 109, 13—15.
October 3, Jena. , 842
10 [Früh] Den zwan;:igsten Eevisionsbogen^ -
Tgb. 4, 67, 17.
October 4, Jena. 843
[Xachmittags] Eevision des letzten Bogen s vom Eo-
man-.
15 Tgb. 4, 68, 7 f.
October ^, Jena. 84f
Die Briefe des Professor Yoigt^, worin er . . das
Glück, sich unter den Pariser Schätzen zu befinden,
meldet, erregt meine Wünsche auf's neue, auch daran
20 Theil zu nehmen. Da sie Jedoch nicht in Erfüllung
gehen können, so will ich wenigstens etwas von inir
hinüberschicken, und zwar einen kleinen Eoman, der
soeben fertig geworden. Sie werden gewiss freundlich
aufnehmen, dass darin Ihr !N^ame von schönen Lippen
25 ausgesprochen wird. Das, was Sie uns geleistet haben,
geht soweit über die Prosa hinaus, dass die Poesie sich
wohl anmassen darf, Sie bei Leibesleben unter ihre
Heroen aufzunehmen'*'.
An A. V. Humboldt. — Br. 21, 110. 23—111. 9.
30 ' Sachlich gehört hierher: 466, 19—21.
' Riemers Tagebuch, October 4: „Letzter Correcturbogen des
Romans. Nach Tische ihn durchgesehen allein und dann mit
Goethe" (Deutsche Revue 12, 1, 282).
* Der Naturforscher Voigt, Director des botanischen Gartens
35 in Jena, war im Sommer 1809, ausgestattet mit einer warmen
Empfehlung Goethes an Alexander von Humboldt, nach
Paris gereist (vgl. Br. 21, 15, 5—11. 21—25).
* Fnter den Stellen aus Ottiliens Tagebuche, die wir am
412
DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN.
1S09
October G, Weimar.
Es wird nun Zeit, dass '
ich auch etwas von mir
hören lasse, und zwar
thue ich es, indem ich
Ilinen einen Eoman von
mir übersende, der soeben
die Presse verlässt.
Ich kann weder verlan-
gen noch erwarten, dass
dieses kleine Werk einem
Franzosen, als solchem, ge-
fallen solle; da Sie sich
aber um uns Deutsche, un-
sere Art zu sein und zu
denken, näher umgethan.
845
. . aussi est-il grand
temps, de mon cote, que je
Yous temoigne ma recon-
naissance, et c'est dans ce 6
but que je Vous envoie un
roman de moi qui vient de
paraitre.
Je ne puis esperer ni
meme desirer que ce petit lo
ouvrage plaise ä un Fran-
cais, en tant que Frangais;
mais Yous connaissez assez
notre maniere de penser
et de nous exprimer, ä nous i5
autres Allemands, et Yous
Schluss des siebenten Capitels von Theil 2 lesen, befindet
sicli folgende, auf die Goethe hier deutet:
,,Xur der Naturforscher ist verehiningswerth, der uns das
Fremdeste, Seltsamste, ndt seiner Localität, mit aller Nach- 20
barschaft, jedesmal in dem eigensten Elemente zu schildern
und darzustellen weiss. Wie gern möchte ich nur einmal
Humboldten erzählen hören" (W. 20, 292, 18—23).
Wilhelm von Humboldt schreibt, in seinem am 10. Februar
1810 an Goethe gerichteten Briefe, über seinen Bruder unter 25
Anderem: „Von Alexander habe ich einen sehr frischen
Brief. ... Er spriclit mir viel von den .Wahlverwandtschaf-
ten', die Sie ihm geschickt haben. Es hat ihn unendlich
gefreut. Auch mit Achim Arnim lässt sich darüber besser wie
mit andern reden" (G. -Humboldt S. 236). Dieser Brief Ale- 30
xander von Himiboldts scheint sich leider nicht erhalten zu
haben.
Ein Wort des von Humboldt genannten Arnim über die
Dichtung findet sich in seinem Briefe an Goethe vom 19.
November 1809: „Für die ,Wahlverwandtschaften' sage ich 35
im Namen vieler Freunde und Bekannten einen schmerzlichen
Dank, sie machen manche Veränderung glücklicher Ver-
hältnisse klar, die so mancher empfunden" (SdGG. 14, 144 f.).
1809 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 413
[October 6, Weimar.] [845]
etes assez initie ä notre
caraetere pour trouver
peut-etre quelque plaisir ä
la lecture de ce livre, qui
Yous rappellera le temps
qiie A^ous avez passe parmi
nous^.
und einigen Antheil an
unsern Eigenheiten ge-
nommen : so darf ich
5 Ihnen dieses Buch ja wohl
übersenden mit der Hoff-
nung, dass Sie sich dabei
gern der Zeiten erinnern
werden, die Sie unter uns
10 zugebracht.
All L. cridevüle. — Br. 21, 4(J4 f. 112, 3—13.
] [Nach October 10, ?]= 846
[Zu 1808. 1809. — Im cältesten biographischen Schema
(s. 29, T— 9) heisst es unter]
15 1808: . . . ,'\Vahlverwandtschaften'.
Karlsbad, ,Pandora'^, ,Wahlverwandtschaf-
ten', . . .
1809: ... Die ,Wahlverwandtschaften^ . .
W. 26, 363, 35. 364, 1. 10.
20 ^ Am Schluss der Skizze, die Goethe uns von seiner ,,Unter-
redinig mit Napoleon 1808" gegeben hat, heisst es für den
14.0ctober: Ich erhalte den Orden der Ehren-Legion. Talma
und Frau und Minister Marets Secretär Le Lorgne d'Ide-
ville finden sich bei mir zusammen". (W. 36, 276, 2 — 4).
25 Bei Gelegenheit der Veröffentlichung des obigen Briefes
sagt der Sohn des Adressaten: „Mon pere, . . logeait chez
Goethe avec le duc de Bassano. . . sa eonnaissance appro-
fondie de l'allemand et son goüt pour la litterature l'avaient
fait remarquer de Goethe" (Henry d'Ideville: Journal d'un
30 diplomate en Alleuiagne et en Grece Notes intimes pouvant
servir ä l'histoire du second empire . . Paris librairie Hachette
et Cie 1875 S. 109).
^ Am 7. October kehrte Goethe, nach einem elfwöchigen Auf-
enthalt in Jena, nach Weimar zurück. Sein Tagebuch er-
35 wähnt den Roman in dieser Zeit nicht, dasjenige Riemers
aber vermerkt unter October 6: ..Kamen die letzten Aus-
hängebogen", und October 9: „Kam der Roman an" (Deut-
sche Revue 12, 1, 283).
41-i DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEX. 1S09
October 16, Weimar. 847
Diesen Morgen, ist der Eoman abgegangen. Gute Auf-
nahme! und freundliche Erinnerung.
An Fr. v. Müller. — Br. 21, 115, 6 f.
October 16, Weimar. 848 5
Den Eoman an Herrn von Eeinhard, an Herrn Hof-
rath Sartorius.
Tgb. 4, 71, 3 f.
October 21, Weimar. 849
Den zweiten Theil meines Eomans schicke ich Dir lo
nicht; Du möchtest mich darüber noch mehr als über
den ersten ausschelten. Kommt er Dir von andern
Seiten her in die Hände, so bin ich alsdann unschuldig
daran. Die armen Autoren müssen viel leiden, und es
ist hergebracht, dass gerade die Exemplare, die sie selbst 15
ausgeben, ihnen die grösste Xoth machen^.
An Knebel. — Br. 21, 120, 27— 121, 5.
^ Ueber Knebels Beurtheilung des ersten Theils der »Wahl-
verwandtschaften' vgl. Z. 24—29 und 432, 10—14.
Am 13. October hatte Knebel geschrieben: „Den zweiten 20
Theil der .Wahlverwandtschaften' erwarte ich mit Schmer-
zen"; auf das Obige sodann antwortete er am 23. October:
„Es ist wohl etwas unfreundlich von Dir, dass Du mir Dein
neues Werlv nicht schiclien willst. Ich weiss nicht, worüber
ich gescholten hätte, und ist diess die Art nicht, wie ich 25
Deinen Schriften begegne. Wenn ich vielleicht einige Sätze
noch zweifelhaft fand, so zeigt das mehr von der Art, wie
ich micli damit beschäftige und kommt nicht so sehr auf
Rechnung des Werks, als der Personen, die darin agiren.
Ich erwarte den Aufschluss von dem zweiten Bande viel- 30
leicht; und Du solltest schon mehr auch für meine Repu-
tation besorgt sein, da jetzt, wo alles Dein Werk hier [in
Jena] liest und lobet, es mir zum wahren Vorwurfe gereicht,
wenn ich der Einzige bin. der es nicht gelesen hat" (G.-
Knebel 1, 351. 354). 35
Darauf liess Goethe durch seinen Sohn, der am 27. October
zur Fortsetzung seiner juristischen Studien nach Jena über-
siedelte, dem Freunde ein Exemplar des Romans zustellen.
1809 - DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 415
October 30, Weimar.' S50
Mit diesen w-enigen TTorten erhalten Sie meinen Eo-
man-. Tliun Sie, als wenn der grösste Tlieil Ihnen zu-
geschrieben wäre^ und verzeihen mir mein übriges
Schweigen und Stocken. Es wird beinahe jetzt unmög-
lich mit dem Einzelnen von einzelnen Dingen zu
sprechen; fasst man aber breitere Verhältnisse ins Auge,
so mag man wohl noch manches darstellend aussprechen.
An Zelter. — Br. 21, 123, 24—124, 3.
10 Knebel aber schrieb am 31. October: „Dein August hat
mir die beiden Bände der .Wahlverwandtschaften' richtig
überschickt, und ich danke einstweilen dafür. Wenn ich sie
werde gelesen haben, werde ich schon mehr danken"; ferner
am 5. November: ,,Aber was soll ich sagen zu Deinem zwei-
15 ten Theil der .Wahlverwandtschaften', den ich nun gelesen!
Ich wäre wohl gestraft gewesen, wenn Du mir ihn nicht
geschickt hättest. Jedes Capitel ist in seinem Inhalte tief,
vortrefflich und schön — meisterhaft geschrieben. Ich habe
mich sehr ergötzt an dem tief Erkannten, und gleichsam
20 ganz auf eine neue Art an's Licht Geförderten. Was soll
ich zu der schönen Novelle [,Die wunderlichen Nachbars-
kinder' in Theil 2 Capitel 10] sagen? und dann zu der
schaurigen Ruhe, zu der die Geschichte gegen das Ende
steigt? Es ist neu und doch wahr und vortrefflich. Mit
25 M'elchem Auge hast Du die Menschen und ihre Dinge ge-
sehen?" (G.-Knebel 1, 358.)
' Ob die Bemerkung in Riemers Tagebuch vom 28. October:
„Lange bei Tisch. Ueber Roman- Verhältnisse, . . " (Deut-
sche Revue 12, 1. 284) sich auf die .Wahlverwandtschaften*
30 oder etwa auf .Wilhelm Meisters Wanderjahre' bezieht, muss
dahingestellt bleiben.
' Zelter hatte die .Wahlverwandtschaften' bereits gelesen,
und zwar am 27. October. drei Tage bevor Goethe das für
den Freund bestimmte Exemplar abschickte. In Zelters
•35 Brief von eben dem 27. October heisst es: „Es gibt gewisse
Symphonien von Haydn, die durch ihren losen liberalen
Gang mein Blut in behagliche Bewegung bringen und den
freien Theilen meines Körpers die Neigung und Richtung
geben wohlthätig nach aussen zu wirken. Meine Finger
■40 werden dann weicher und länger, meine Augen möchten
il6 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1809
October 30, Weimar. 851
[Brief] An Herrn Professor Zelter (mit einem Exem-
plar des Romans)^ durch Lortzing. [Brief] An Herrn
Stadtgerielitsratli Dr. Schlosser (mit einem Exemplar des
Romans) durch Stromeyer. 5
Tgb. 4, 74, 6—10.
November 8, Weimar. S52
[Nachmittags] Brief von Zelter über die , Wahlver-
wandtschaften'-.
Tgb. 4, 76, 28— 77, 1. 10
etwas ersehen, das nocli kein Blick berührt hat, die Lippen
öffnen sich, mein Inneres will hinaus in's Freie.
So geht mir's, wenn ich Ihre Romane lese und so ist mir's
geworden, wie ich heute Ihre ,Wahlverwandtschaften' las.
Das muth-svillige geheimuissvolle Spiel mit den Dingen dei 15
Welt und den Figuren, die darinne angestellt und geleitet
werden, kann Ihnen niemals missliugen, mag auch zwischen
durchlaufen, was Platz hat, oder sich Platz macht.
Dazu eignet sich endlich noch eine Schreibart, welche wie
das klare Element beschaffen ist, dessen flinke Bewohner 20
durcheinander schwimmen, blinkelnd oder dunkelnd auf und
abfahren, ohne sich zu verirren oder zu verlieren.
Mau könnte zum Poeten werden über eine solche Prosa,
und ich möchte des Teufels werden, dass ich keine solche
Zeile schreiben kann. 25
Der Titel Ihres Romans macht eine ganz besondere Sensa-
tion auch unter Ihren Freunden. Manche können gar nicht
darüber Avegkommen. dass ihnen alles Urtheil wie abge-
schnitten ist; sie möchten doch gern ihre Meinung sagen und
können eigentlich zu keiner gelangen. Einigen hab' ich so- 30
gar darüber Rede stehen sollen; besonders soll der Titel er-
klärt werden: wie. warum, woher, wohin?
Da steh' ich dann wie ein armer Sünder, indem man mir
die Ehre anthut mich für einen zu halten, der um Ihre Ge-
heimnisse weiss. 35
Sie aber wissen und Gott weiss es auch, dass ich nichts
weiss und, so wahr als ich Sie beide liebe, nichts verrathen
werde" (G.-Zelter 1, 373 f.).
s. Nr. 850.
s. 415, 34 f. 40
1809 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEX. 417
Xorember 14, AVeimar. 853
. . [vor Tische] spazieren bei schönem Wetter. . . .
Frau Griesbach [begegnet], die von Wielands Antheil an
den ^Wahlverwandtschaften' erzählte^.
Tgb. 4, 78, 9—12.
November 15, Weimar. 854
- Das A'ertrauen, womit ich mir ein Urtheil über mein
Xeuestes von Ihnen erbat, ist durch Ihren liebenswür-
^ Vgl. Nr. 855a, nebst der zugehörigen Erläuterung.
10 " Auf Goethes briefliche Aufforderaug vom 28. September (s.
Nr. 826) antwortete Rochlitz am 5. November: ,,Ew. Excel-
lenz neues Werk, die ,'^'ahlverwandtschaften', habe ich in
den letzten Tagen erst lesen können und in dieser Stunde
habe ich es beendigt. Von Ihrer Aufforderung ermuthiget,
15 kann ich es nicht lassen. Ihnen sogleich einiges darüber zu
schi'eiben, ohngeachtet ich nicht weiss, ob ich eben jetzt nur
einen Theil dessen, was ich wohl sagen möchte, gehörig aus-
zusprechen im Stande sein werde.
Ich bemühe mich um keine Einkleidung, auch um keine
20 Ordnung, sondern gebe, was und wie sich's mir von selbst
eben darstellt.
Ich bin auf's innigste durchdningen, ich bin erschüttert bis
zum Sclimerz: und gleichwohl ist mein ganzes Wesen Leben,
Freude und schöner Genuss: ja selbst jener Schmerz ist ein
25 nothwendiger Theil meines Glücks. Ich kenne Werke dieser
Gattung, welche Höheres und Grösseres wollen: aber durch-
aus keins, das, was es will, so vollkommen leistet. Ich be-
wundere den so leise, aber so bestimmt in allen seinen Linien
angelegten Plan: ich bewundere jedoch noch mehr die Um-
so Sicht, die Klarheit und die Ausdauer in der Ausführung dieses
Plans bis in's Kleinste. Die Begebenheiten, die Charaktere,
die Situationen, selbst die Scene, worauf sich jedes zeigt —
alles ist In reiner Harmonie und wirkt mithin vollkommen
eins und dasselbe. So sehr die Ausbeugungen, betrachtet man
35 sie einzeln für sich, diesem zu widersprechen scheinen, so
sehr bestätigen sie es, siehet man sie im Ganzen und aus dem
Ganzen an. Dieser innere Zusammenhang macht es. dass
man lesend sich nicht zu lesen scheint, sondern zu leben,
nicht zu denken, sondern zu handeln, mit einzugreifen, mit
40 zu l^.lühen und mit zu vergehen.
Graf. Goethe über seine Dichtungen T. I. 27
418 DIE Va^AHLYERWAXDTSCHAFTEN. 1809
[November 15, Weimar]. [854]
digen Brief gar schön belohnt worden; ich danke Ihnen
dafür auf das herzlichste. Billig ist es wohl, dass die
Im Einzelneu, die Charaktere — sie sind keine wesenlosen
Ideen, sondern wahre Personen, ohne jedoch an Hinz oder 5
Kunz zu erinnern; sind wahre Individuen, ohne dass viel
auf das gezählt wäre, was man im gemeinen Loben Eigen-
heiten nennt. Diese scheinen vielmehr, wie kleine späte
Drucker auf das Gemälde, nur aufgetragen, den Schein der
Wirklichkeit täuschender — so täuschend zu machen, als die lo
würdige Kunst täuschen mag. Bewundernswerth und äus-
serst kunstreich finde ich dabei, dass die Personen nur in
Gruppen einander entgegengestellt sind; dass mm die Theile
jeder Gnippe, wie billig, einander nicht wenig verwandt,
und doch so weit, so sicher, so consequent geschieden sind. 15
ja auch in dieser Verschiedenheit wieder so geistreich ante r
sich gruppirt erscheinen.
Im Einzelnen, die Situationen — sie sind so natürlich nicht
nur gewählt, sondern auch herbeigeführt und hingestellt, dass
man sie täglich selbst zu erwarten sich bei'echtigt glaubt, 20
und eben dadurch noch mehr, eben dadurch wahrhaftig un-
widerstehlich in sie hineingezogen wird. Selbst das Schwie-
rigste und Häkolicliste in der Behandlung ist da mit einer
Vollständigkeit, Fülle und Gegenwart, und doch zugleich mit
einer Delicatesse gegeben, welche vereint noch kein Roman- 25
dichter, ausser Ihnen, erreicht hat.
Nur um verständlich zu sprechen führe ich hier die Scenen
in Anwesenheit des Grafen und der Baronesse um die Mitte
des ersten Theils au. — Kaum einigemal scheinen mir die
Personen etwas mehr um des Dichters und besonders um so
der herbeizuführenden Situation Willen, als aus sich selbst
und ihrem inuern Wesen zu thun: zum Beispiel Theil 1 Seite
212 [im zwölften Capitel. W. 20. 13.5, 6—9: Eduard steigt in
den Kahn, wo der Hauptmann und Charlotte schon I'latz
genomiuen haben. „ . . aber als er eben im Abstossen be- 35
griffen war. gedachte er Ottiliens, . . sprang wieder an's
Land. . . und eilte, sich flüchtig entschuldigend, nach
Hause"], was, wie mich dünkt, solch ein Mann jetzt wohl
möchte, aber nicht thäte. (Vielleicht wären auch dort die
Empfindimgen Eduards bei der Rückkehr Charlottens besser 40
aus seinem Benehmen zu errathen segeben, als so unverholen
1800 DIE WAHLA'ERWANDTSCHAFTEX. 419
[November 15, Weimar.] [854]
Freunde des Schönen und Guten mir ein tröstliches AVort
über diese Production sao:en, die wenigstens ein forto'e-
ausLie.si)roehen worden. Ein Gleiches scheint mir bei einigen
5 ähnlichen Stellen weiter hin zu wünschen. Doch kann es
sein, dass mich eben bei solclien Anlässen meine Individuali-
tät in's Superfeine irre führt). —
In den letzten tragischen Situationen ist etwas so Unge-
heures, und doch so Nahes, dass es einen hinreisst, wie
10 Lears Geschick. AVird jedoch nicht die für viele gewiss wirk-
samste dieser Scenen, der Tod des Kindes, zu schnell a on
den Personen und fast auch vom Dichter vergessen? — i.st
es befriedigend, dass Charlotte und der Major am Ende
stillschweigend aufgegeben werden?
15 Freilich wüsste ich mit ihnen nichts weiter zu thun —
denn die Sterbenden zu häufen, oder nach dem Tode jenes
Paares für dieses, wenn auch noch so leise, heitere Aus-
sichten zu eröffnen, wäre gleich unstatthaft: abeü ich bin
auch nicht der Dichter, unü der Dichter kann alles.
20 Das Episodische ist wunderschön, ist auch äusserst be-
quem herbeigeführt und greift dann trefflich zuräck und hin-
über in die Hauptsache. Nur zu Anfang des zweiten Theils
geschieht diess vielleiclit etwas zu spät. Ueberhaupt findet
man da den r o t h e n Faden für Ottilien zwar leicht, für
25 Charlotten wohl auch noch: aber man dürfte wohl auch
einen andern. Avenn gleich weniger hervorstechenden für
Eduard und den Hauptmann nicht unbillig herbeiwünschen.
Wenigstens möclite ich den nichr schelten, der hier be-
hauptete, diese beiden herrlichen Männer wären dem Leser
30 zu lange und zu weit aus den Augen entrückt.
Ich komme auf die Summe echter Lebensweisheit, welche
einem, und nicht etwa allein aus Ottiliens Tagebuche, zuge-
spielt wii'd. Das muss ein schlechter Leser sein, dem nicht
mehrere ihrer Aussprüche lebenslang gegenwärtig bleiben.
35 wie die Kernsprüche der Bibel, die er in Knabenjahren er-
lernet hat.
Am treffendsten imd eingreifendsten wirken unter diesen
Allssprüchen freilich die. welche gleichsam halb verdeckt,
nur aus der Sache selbst nothwendig heiworzugehn. und
40 ohne alle Gewichtigkeit vertraulich hingesprochen scheinen.
Indem sie nur für den Augenblick sich geltend machen wollen.
420 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEX. 1809
[November 15, Weimar.] [854]
setztes redliches Streben andeutet und die mich in
manchem Sinne theuer zu stehen kommt; ja, wenn ich
gehen sie desto sit-berer und tiefer ein, wie ein unerwartet
freundlicher Zuspruch, der uns nicht zum Empfang in Pa- 5
rade findet.
Nun die Haltung des Ganzen in Ton und Farbe; und diese
Vollendung der Sprache, diess Wort in weitestem Umfang
und aller Fülle genommen I In diesen Vorzügen, und beson-
ders im letzten, halte ich dieses Werk selbst unter allen den lo
Ihrigen, welche erzählen, für das vollendetste; und wenn in
den frühern eine gewisse gemüthliche Unbesorgtheit aller-
dings sehr wohl thut, leichter gewinnet und auch mehr Effect
macht: so muss diese classische Gediegenheit, Rundimg,
Sicherheit und Harmonie. Avenigstens auf den gebildeten 15
Mann, von der erA\ ünschtesten Wirkung sein. Ich getraue
mir auf eben dieses mein Urtheil etwas zu halten, weil ich
in diesem Stück mich wohl auch selbst mit Fleiss und Sorg-
sauikeit yersucht habe. — Dass Sie in Ihren Gleichnissen
einzig sind, muss selbst Ihr Gegner eingestehen; und auch 20
in diesem Betracht ist diess Werk sehr reich und äusserst
anziehend.
Aber auch den Adel der Gesinnung, die Reinheit der ausser-
poetischen Absicht neben der poetischen, das grosse, schöne
Herz des Verfassers, das sich an so vielen Orten dieses Werks 25
so unverkennbar zeigt tmd den Leser auch von dieser Seite
seines bessern Selbst erfasset; so wie alle die Merkmale eines
reichen, in den mannichfaltigsten und sehr bedeutenden Ver-
hältnissen geführten, nicht kurzen Lebens, die den Leser,
welcher ebenfalls mit Besonnenheit seine Tage verbringt, so 30
würdevoll ansprechen und so ernsthaft beschäftigen, ohne
jedoch *[im] geringsten sich ihm aufzudrängen — : auch diese
muss ich hoch , so übermüthig man auch jetzt von
gewöhnlichen Poetikern Richtung des Blicks nach
den Seiten hin angelassen wird. 35
Endlich erwähne ich noch das Verhältnissmässige in der
Ausführung der meisten Theile zum Ganzen. AA-elches mir
hier weit vollkommener zu sein scheint, als im .Meister' ;
*) Die hier und auf der folgerden Seite fehlenden Worte sind durch
Mäusefrass zerstört [Bemerkung des Herausgebers W. v. Biedermann]. -40
3809 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEX. 421
[November 15, Weimar.] [854]
die Umstände bedenke, unter denen das Werkchen fertig
geworden, so scheint es mir ein Wunder, dass es auf
dem Papier steht.
Seitdem es abgedruckt ist, habe ich es nicht in der
Folge gelesen, eine solche Prüfung pflege ich gewöhnlich
zu verspäten. Ein gedrucktes Werk gleicht einem auf-
getrockneten Fresco-Gemälde, an dem sich nichts mehr
wodurch denn auch hier noch sicherer, als dort erreicht wird,
10 dass man immerfort, selbst ohne sich besonders zusammen
zu nehmen, das Einzelne im Ganzen und das Ganze im
Einzelnen anschaut, durchdringt und geniesset.
Diess alles nun und noch manches, was sich nicht so kurz
darlegt, auf das Fundament zuzugestehender Grundsätze
15 zu stellen, es dem Leser jeder Art deutlich zu machen und
stückweise iai Werke selbst nachzuweisen, würde mir eben
so viel Freude, als Nutzen gewähren; und wollte man das
hernach eine Recension nennen, so müsste mir das auch ganz
recht sein: aber ich vermag es nicht, vermag es wenigstens
20 jetzt und geraume Zeit hin nicht, da ich, wegen der Verbin-
dung, welcher ich entgegengehe, und worin ich ein Glück
finde, dessen ich mich früher nicht für fähig gehalten, bei
weitem zu viel, innerlich und äusserlich, beschäftigt, abgezo-
gen und zerstreut bin. Ein Werk dieser Gattung will aber
25 früher augezeigt sein, als ich die dazu mithige Sammlung.
Klarheit und Ordnung zu gewinnen mit Sicherheit erwaiten
kann.
Nehmen Ew. Excellenz dieses mein aufrichtig Gest in
Bezug auf den mir früher gegebenen, ehrenvollen nicht
30 ungeneigt auf. Ich würde mich schämen: mehr sagen
will, ich würde mich an Ihre wenn ich etwas Alltäg-
liches und Verworrenes daiüber aussagte: das müsste ich
aber jetzt, und die Besorgniss, dass diess geschähe, müsste
jene Mängel nur vermehren. Ich werde es als ein Geschenk
35 Ihrer Güte ansehen. Avenn Sie mir zusichern, dass Sie diese
meine Entschuldigung ohne Missfallen aufgenommen haben.
Ich bin wirklich unruhig darüber — wie ich es ja über alles
sein rauss. wovon icli mir auch nur als möglich denken kann,
es könne die Geneigtheit, womit Sie mich seit so manchen
40 Jahren auszeichnen, vermindern" (G.-Rochlitz S. 106— 114i.
422 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1800
[November 15, Weimar.] [854]
thun lässt. Soviel es mir noch im Sinne schwebt und
wie es sich mir durch Ihre Bemerkungen vergegenwärtigt,
möchte ich wohl noch einige Schraffuren anbringen, der
A'erknü})fung und Plarmonie "Willen. Weil aber das nicht 5
angeht, so tröste ich mich damit, dass der gewöhnliche
Leser dergleichen Mängel nicht gewahr wird, und der
Kunstgebildete, eben indem er die Forderungen macht,
für sich selbst das Werk ergänzt und vollendet.
Dass Sie ein solcher Leser und Schauer sind, wussf ;o
ich wohl und erfahre es auch diessmal. Haben Sie
doppelten Dank für die Theilnahme und für die Mit-
theilung; haben Sie dreifachen, dass Sie es in einer Zeit
thun, in welcher mancher Andre, mit Fug und Eecht.
seinen Freunden schwiege und sich mit seinem eigenen 15
Glück beschäftigte. Möge das Gute, das Ihnen bereitet
ist, so klar zu Urnen treten, als Sie Welt und Kunst er-
blicken . .^
Au Rochlitz. — Br. 21, 133, 2.3— 135, 2.
November 1.5, Weimar. 855 20
[Vormittags Brief] An Bury [nach] Berlin mit . .
einem Exemplar der ,Wahlverwandtschaften''.
Tgb. 4, 78, 17 f.
][Nov.^inber 21? Weimar?] 855a
Das Buch muss (wie Goethe selbst sagt) dreimal 25
gelesen werden, . ?
Mit Wieland. — (bespräche 2, 291.
^ Berührt Goethe hier die gewünschte öffentliche Besprechung
und deren Ablehnung mit keiner Silbe weiter, ja. benutzt er
sogar, am Schlüsse seines Briefes, den von Rochlitz ange- 30
fühlten GiTind der Ablehnung zu einem feinsinnigen Lobe
(Z. 13— Hb. so war er doch mit dem, was Rochlitz brieflich
vorgetragen hatte, derart einverstanden, dass er auf den Ge-
danken kam, eben diesen Brief selbst für den in Rede stehen-
den Zweck zu verwerthen. s. Nr. 857. 35
* Diese Stelle, einem Briefe Wielands (an seine Tochter
1S09 DIE WAHLVEinVAXDTSCHAFTEX. 423
][November 21 ? Weimar]. [855a]
Cliarlotte) vom 10. Februar 1810 angehörend, ist hier einge-
reilit, da Goethe (wie Nr. 8ÖG zeigt), am 21. November mit
Wiehxnd über die ,Wahlverwandtschaften' sich unterhalten
5 hat. Es ist sehr wohl möglich, dass Wieland Goethes
Aeusserung gar nicht von diesem selbst, sondern durch
einen Dritten vernommen hat, und an irgend einem andera
Tage in dem Zeitraum zwischen dem October 1800 und dem
10. Februar 1810.
10 In einem anderen Briefe äussert Wieland sich iiloer die
Dichtang, wie folgt: ..Mit lebhaftem Intex-esse habe ich Ihr
Urtheil über Goethes , Wahlverwandtschaften' gelesen und
wie so oft den Scharfsinn Ihres Verstandes bewundert, der
immer dem Herzen die Wagschale hält und wo Sie wollen do-
15 minirt. Diess scheint mir der Fall mit Goethens genialisch-^m
Geistesproduct gewesen zu sein. Da Ihnen die moralische
Tendenz so wenig als mir gefallen konnte, wollten Sie sich
auch durch [..nichts" scheint hier ausgefallen] mehr rühren
lassen, und Ihr feiner Witz behielt die Oberhand. — Gerne
20 gebe ich Ihnen zu. dass die Stellen, welche Sie vorzüglich
choquirt haben, auch mein Gefühl beleidigten, allein ich bin
toleranter im Puncte der Liebe, als meine strenge Freundin.
Was ich nicht selbst erfahren, kann ich mir dennoch als mög-
lich denken — und ich finde die Nuancen der Entstehung
25 dieser im Anfang so unschuldigen Neigung so zart und fein,
dass sie. wie micli dünkt, die zartesten Saiten des mensch-
lichen Herzens berühren. — Mir schauderte innerlich davor,
dass ein so reines unschuldiges Kind als diese Ottilie so ver-
strickt werden konnte, und ich finde den Gang ihrer Em-
30 pfindung nicht [verschrieben für ..recht"?] natürlich. Auch
die Liebe, welche sie dem neuen Ankömmling beweist, alles
bürgt für die Reinheit ihrer Gefühle für Eduard. Dieser Edu-
ard aber wäre mein Mann auch nicht, er zeigt am unrechten
Ort Kraft und Festiirkeit. doch scheint es mir. Goethe wollte
35 auch keinen Helden aus ihm machen. Er schildert ihn wie
alle übrigen Personen mit allen ihren Mängeln und Gebrechen
und liebenswürdigen Eigenschaften. Das Leben und Weben
dieser Person [..Personen"?] geht so natürlich an uns vor-
über. Wir glauben sie spielend auftreten zu sehen, und ich ge-
40 stehe Ilmen. meine Freimdin. dass ich dieses wirklich schauer-
liche Werk nicht ohne warmen Antheil zu nehmen gelesen
424 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1S09
November 21, Weimar. 856
[Vor Tische] Bei Hofrath "Wieland, der sehr freund-
lich über die ,AValil Verwandtschaften' sprach^.
Tgb. 4, 80, 6—8.
November 22, Weimar. 857 5
^Ich sende den an mich gerichteten Eochlitzischen
Briefe, worin seine Aeusserungen über meinen Eoman
habe" (,Heinricli v. Kleist in der Schweiz Von Theophil
Zolling Stuttgart Verlag von W, Spemann 1882' S. 98);
Zolling gibt an, die Adressatin des Briefes (der nur in Ab- lo
Schrift, uicht im Original vorlag) sei Herders Witwe.
Caroline Herder war jedoch schon am 15. September 1809
gestorben, also noch ehe Goethe den Roman vollendet hatte.
An K. A. Böttiger schrieb Wieland am 13. Januar 1812:
„Sagen Sie mir doch sub rosa, was für eine Wirkung haben 15
. . Goethes .Wahlverwandtschaften' in Dresden, Wien,
Leipzig und überhaupt im Publicum gemacht, und Avas ur-
theilen die sani von ,Aus meinem Leben Wahrheit und Dich-
tung'? Das erstemal verkümmerte mir alles, was mir miss-
fiel, den Geuuss dessen, was mir gefiel; doch hielt das Eine 20
dem Andern ziemlich das Gleichgewicht; das zweitemal gab
ich mir alle Mühe, mich selbst zu täuschen und mir alles
gefallen zu lassen. Das drittemal legte ich die »Wahl-
verwandtschaften' in die eine Wagschale und mein Ideal
eines guten Romans in die andere, und siehe da, von dem 25
ersten Augenblicke an, da die junge Heldin des Stücks er-
scheint, fing die Schale des Goethischen Romans an zu
steigen, und stieg, mit wenigen Abwechselungen, immer höher,
bis sie endlich an den Wagebalken anstiess und dort wie
an einem künstlichen Magnet hängen blieb. — Dafür habe 30
ich hingegen den ersten Theil seiner sogenannten Bio-
graphie mit grossem Vergnügen gelesen, . ." (,Historisches
Taschenbuch. . . herausgegeben von Friedrieh von Raumer.
Zehnter Jahrgang. Leipzig: F. A. Brockhaus. 1839' S. 460 f.).
* Vgl. Nr. 855a. — Riemers Tagebuch vom 21. November: 35
..Bei Goethe. Lieber die AVii'kungen des neuen Romans"
(Deutsche Revue 12, 1, 285).
■ Das Folgende ist nur der Entwurf eines Briefes, dessen
wesentlich veränderte Gestalt in Nr. 860 erscheint.
' s. 417. 11—421. 40. 40
1809 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 425
[November 22, Weimar.] [857]
enthalten sind. Könnten Sie nicht daraus eine kurze
Anzeige dieses Werkchens redigiren? Denn wozu bedarf
es denn ausführlicher, motivirter und theoretischer Re-
5 censionen über ein Büchelchen, das in jedermanns Hände
kommt und das gewöhnlich theilweise getadelt und theil-
weise gelobt wird. Der Einsichtigere mag im Ganzen
darüber denken und sagen, was er will.
Einen solchen, dergestalt redigirten Aufsatz schickten
10 Sie, meo voto, Herrn Hofrath Eochlitz mit der freund-
lichen Anfrage, ob er den Druck desselben erlauben wolle.
Vielleicht findet er sich bewogen, ein wenig hinein zu
arbeiten, und wir kommen auf eine lässliche Weise zu
unserm Zweck.
15 An Eichstädt. — Br. 21, 467, 15—27.
November 22. Weimar. 858
Mittags Falk, der über . . die , Wahlverwandtschaften*
weitläuftig sprach.
Tgb. 4, 80. 15. 17 f.
20 November 24. [Weimar.] S59
Tausend Dank für die guten Worte von Sich und der
lieben Schwester, sie waren mir sehr erquicklich zu
einer Zeit, wo doch manches Alberne^ über meine Arbeit
zu mir in die Clause dringt.
25 Möge die theure Entfernte- doch ja den guten Tor-
satz ausführen mir zu schreiben, damit auch durch Sie'
mein Muth belebt werde, zu Ostern den ersten Theil der
jAVanderjahre' herauszugeben.
An Ch. V. Schiller. — Br. 21, 140, 5—12.
30 ' Vgl. 427, 2—5.
- Caroline von Wolzogen, die sich zur Pflege ihres schwer
kranken Gatten in Wiesbaden befand.
' Man erwartet „sie" statt „Sie". Denn Charlotte Schiller hatte
gerade durch ihre „guten Worte" (Z. 21) über die .Wahl-
35 Verwandtschaften' Goethes Muth „belebt"; es ist daher wohl
zu ergänzen: ,.Sie Beide".
42(J DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. ISUO
November 2ö, Weimar. 860
Dass Herr Hofrath Eochlitz die Eecension abgelehnt^
thut mir umsomehr leid, als er in einem Briefe an micli-
über das in Frage stehende Werk sich sehr einsichtig
und zart geäussert hat. Unter diesen Umständen ge- 5
stehe ich meinen aufrichtigen Wunsch, dass eine Eecen-
sion vorerst unterbleiben möge. Ein Buch, das in aller
gebildeten Menschen Hände kommt und von jedem
nach seiner Weise beurtheilt wird, bringt ein iittera-
risches Institut vielleicht am besten später zur Sprache, lo
und recapitulirt und rectificirt mit Ernst und Einsicht,
die bisherigen schwankenden Urtheile^.
An Eichstäclt. — Br. 21, 142, 1—11.
' Vgl. 40.5, 23-35.
■' s. 417, 11—121, 40. 15
^ Dessen ungeachtet bracüte die .Temiisehe Allgemeine Littera-
tur-Zeitung bald darauf eine ausführliclie Besprechung. Sie
erschien am 18. und 19. .Januar 1810. in Nr. 16 und IT (Jahr-
gang 7 Spalte 121-131), und hatre Delbrück zum Verfasser:
man findet sie jetzt bei Braun 3, 236—246. Eine Aeusseruug 20
Goethes über diese Eecension ist, so viel ich sehen kann,
nicht überliefert. Doch ist gar nicht zu bezweifeln, dass er
sie gelesen habe.
In Brauns Sammlung findet man unter anderen Be-
sprechungen auch diejenige, welche die , Zeitung für di( ^5
elegante V\'elt* am 2. .Tanuar 1810 brachte. Dieser — um das
hier, als am geeignetsten Orte, gleich vorauszunehmen —
gedenkt C. G. von Voigt in einem Briefe an Biittiger vom
8. Februar 1810: „Herr Geheimer Kath von Goethe liest die
elegante Zeitung, auch weiss ich, dass dort von der Ansicht 30
der .Wahlverwandtschaften' mit Beifall gesproclien worden.
Selbst aber habe ich noch nichts vernommen, und die „Ele-
gante" noch nicht gelesen, . . . Bei den zuchtreichen Damen
siegt (und das ist immer glücklich genug) das moralische
Gefühl; als Kunstwerk, als wahrer Menschenherzenverrath 35
oder Ausspreclumg wird es nicht betrachtet, ob man wohl
immer leicht in den eignen Busen greifen möchte" (G.T. 1,
334 f.).
1809 1>IE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 4:27
] [December, Weimar.] SGI
Unter andern Philister-Kritiken über die ,Wahlver-
wandtschaften", gleich nach ihrer Erscheinung, war
auch die: dass mau keinen Kampf des Sittlichen mit der
5 Xeigung sehe. — Goethe bemerkte dabei gegen mich
[Eiemer] : „Dieser Kampf ist aber hinter die Scene ver-
legt, und man sieht, dass er vorgegangen sein müsse. Die
Menschen betragen sich wie vornehme Leute, die bei
allem Innern Zwiespalt doch das äussere Decorum be-
10 haupten. Der Kampf des Sittlichen eignet sich nie-
mals zu einer ästhetischen Darstellung: denn entweder
siegt das Sittliche oder es Avird übervnmden. Im ersten
Falle weiss man nicht, was und w a r u m es darge-
stellt worden; im andern ist es schmählich, das mitanzu-
15 sehen. Denn am Ende muss doch irgend ein Moment
dem Sinnlichen das Uebergewicht geben, und dieses
Moment gibt der Zuschauer gerade nicht zu, sondern
verlaugt ein noch schlagenderes, das der Dritte immer
wieder eludirt. Je sittlicher er selbst ist. In solchen Dar-
io Stellungen muss stets das Sinnliche Herr werden, aber
bestraft durch das Schicksal, das heisst: durch die
sittliche Xatur, die sich durch den Tod ihre Freiheit
salvirt. So muss der W e r t h e r sich erschiessen, nach-
dem er die Sinnlichkeit Herr über sich werden lassen;
25 so muss Ottilie karteriren^ und Eduard dess-
gleichen, nachdem sie ihrer Xeigung freien Lauf ge-
lassen. Xun feiert erst das Sittliche seinen Triumph".
Mit Riemer. — Riemer 2. 607. •
' Zu diesem Fremdworte macht Riemer die Anmerkung:
33 ..Nach dem gx-ieohischen karterein, sich enthalten (der
Speise, des SchhTfs xi. s. w.). von Goethe der Kürze wegen
gebi*axicht, wie öfter solche fremdsprachige Worte in dem
Cotterie-Jargon, den wir unter xms führten" (Mittheihmgen
2. G07>.
35 ^ Mit kleinen Abweichungen findet sich die ganze Stelle sclion
in Riemers Tagebuch (Deutsche Revue 12, 1, 280'». nach dem
428 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1809
December 21, Weimar. 862
Jetzt bin ich fleissig\, . . indessen meine lieben Lands-
leute mit den ,AYahlverwandtschaften' verwandt zu
werden trachten, und doch mitunter nicht recht wissen,
wie sie es anfangen sollen-.
An Marianne v. Eybenberg. — Br. 21, 149, 7 f. 10—12.
W. V. Biedermann sie' in die ,Gespräclie' 2, 285 f. aufge-
nommen hat. Die „Mittheilungen" schienen hier den Voi'zug
zu verdienen, da sie die, im Tagebuch fehlenden, nicht un-
wichtigen Worte bringen: ,, Goethe bemerkte dabei gegen 10
mich" (427, 5).
An der Geschichte der Farbenlehre.
Marianne von Eybenberg schrieb am 24. Februar 1810, in
Ervi^iderung eines späteren, nicht des obigen, Briefes von
Goethe an diesen: ,,[ Wilhelm von] Humboldt hat seiner 15
Mephistopheles-Natur zufolge mir Ihren Brief wenigstens
zehn Tage vorenthalten, . . nach vielem Schicken erhielt
ich endlich das Paquet und mit welchem Genuss las ich zum
drittenmal dieses interessante Product wieder! Der Gegen-
stand bleibt der nemliclie, allein auf so liübschem geglätteten 20
Papier ist es doch etAvas Anderes, es ist, als sähe man
einen theuren Freund in einer schönen, hell erleuchteten
Wohnung; auf dem Fliesspapier ist's mir, als sei er nicht
einlogirt, als es für ihn passe und zieme, als habe er nicht,
was ihm gebühre — schelten Sie mich thöricht, kindisch, 25
so ist's und nicht anders! Nie habe so enthusiastisch, so
gescheut und so dumm und absurd über etwas sprechen
hören, als über diesen Roman, und nie sind die Buchhändler
so bestürmt worden, — es war wie vor einem Bäckerhause,
in einer Hungersnoth — die ersten vier Sendungen waren 30
so vergriffen, dass sie nicht einmal Zeit hatten, es in den
Zeitungen setzen zu lassen. Was ich von feinen gebildeten _
Menschen kenne, urtheilen und beherzigen es meist, eine
Classe, die eine gewisse französische Bildung haben, rado-
tirt stark darüber" (GJ, 14, 44), 35
Hiernach scheint Frau von Eybenberg sich, zunächst nach
dem Erscheinen des Romans, ein Exemplar (auf ,, Fliesspa-
pier") „durch den Buchhandel", wie Goethe ihr gerathen (s,
408, 5 f.), besorgt zu haben. Sodann scheint es nach Z, 17 f ,,
ISO!) DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 429
Deceruber 31, Weimar. 863
Die ,"\Valilverwandtschaften' schickte ich eigentlich
als ein Circiüar an meine Freunde, damit sie meiner
wieder einmal an manchen Orten und Enden gedächten.
5 "Wenn die Menge dieses Werkchen nebenher auch liest,
so kann es mir ganz recht sein. Ich weiss, zu wem ich
eigentlich gesprochen habe, und wo ich nicht missver-
standen werde. Mit dieser I'eberzeugung war auch
Ihnen das Büchlein adressirt, und Sie sind sehr liebens-
10 würdig, mich ausdrücklich zu versichern, dass ich mich
nicht geirrt habe^.
Das Publicum, besonders das deutsche, ist eine när-
rische Caricatur des demos'-; es bildet sich wirklich ein,
eine Art von Instanz, von Senat auszumachen, und
15 im Leben und Lesen dieses oder jenes wegvotiren zu
können, was ihm nicht gefällt. Dagegen ist kein Mittel
als ein stilles Ausharren. Wie ich mich denn auf die
Wirkung freue, welche dieser Eoman in ein paar Jahren
auf manchen bei'm Wiederlesen machen -^nrd. Wenn
;o ungeachtet alles Tadeins und Geschreis das, Avas das
Büchlein enthält, als ein unveränderliches Factui:ti vor
der Einbildungskraft steht, wenn man sieht, dass man
mit allem Willen und Widerwillen daran doch nichts
ändert, so lässt man sich in der Fabel zuletzt auch so ein
25 apprehensives Wunderkind gefallen, wie man sich in der
als habe Goethe der Freundin ein feines Geschenk-Exemplar,
durch Humboldts Vermittelung, überschickt.
Im Hinblick auf 428, 18 f. und auf 422, 25 f. möchte man an-
nehmen: dass Goethe in seinem Briefe an Frau von Eyben-
30 berg etwas von der Notliwendigkeit dreimaligen Lesens ge-
schrieben hatte.
* Reinhards Antwort auf die Zusendung des Romans (vgl.
Nr. 84S) ist nicht bekannt gewor<len.
- Das griechische Wort ..demos" bezeichnet, in der Bedeutung,
35 die Goethe hier im Sinne hat. das ..Yolk" in seiner Beziehung
auf den Staat, die Gesammtheit der freien Bürger.
430 DIE WAHLVER\YANL)TSCHAFTEX. 1809
[December 31, Weimar.] [3(53]
Geschichte nach einigen Jahren die Hinrichtung eines
alten Königs und die Krönung eines neuen Kaisers ge-
fallen lässt. Das Gedichtete behauptet sein Eecht, wie
das Geschehene^.
All K. F. V. Reiuliai-d. — Br. 21. 152, IS— 153, 21.
' Reiubard erwiderte am 16. Februar 1810: „Was Sie vom
AA'iederlesen der .WablverAvandtscbafteu' voraussagen, ist
bei mir bereits eingetroffen. leb babe sie wiedergelesen und
icb bin leiebt dabin gelangt, mir von Ottiliens Eigentbüm- lo
liebkeit (denn um diese Hauptfigur scbeinen mir alle andern
sieb zu gruppiren) eine deutlicbe Recbenscbaft abzulegen.
Dieses lieblicbe Wesen stebt unter einer Art von Naturuotb-
Aveudigkeit, die von ibr auf alle ibre Umgebungen ausgebt,
durc-b Anzieben und Zurückstossen. Sie existirt so zu sagen 15
in einem beständigen Zustand der Magnetisation. Weder in
ibreni Wirken nocb in ibreni Leiden ist volles, belies Be-
wusstsein; sie bandelt und empfindet, sie lebt und stirbt so
und nicbt anders, weil sie nicbt anders kann. Dieser Roman
bat jnir mancbe Ibrer Aeusserungen in Karlsbad wieder in's 20
Angedenken gebraebt, und icb glaubte darin die Befugniss
zu linden, sie besser zu verstellen als mancber Andere. Was
Eduard betrifft, so versiebt er sieb freilieb darin, dass er sich
etwas nacbsiebt. aber wer siebt sieb nicbt etwas nacb. und
wer bätte darum das Recbt. ibn einen ärmlicben Cbarakter 25
zu scbelten? Aber unser verfeinertes Lesepublicum bat sieb,
wie das französiscbe für's Tbeater, für Moralität und Drang
gewisse conventionelle Regeln gescbaffen, nacb denen die
Cbaraktere Avie Puppen am Drabte sieb bewegen sollen, und
in diesem Sinne haben Sie vollkommen recht, dass das Ge- 30
dichtete sein Recbt behaupte wie das Geschehene, um so
mehr. Avenn das Gedichtete so tief aus der Natur gegriffen
ist, dass es sogleich lebendig in die Reihe des Geschehenen
eintritt. Spiritualistiscb freilich sind Ihre Charaktere und
Ereignisse nielit. und für .Taeobi AA-erden sie ein Aergemiss 35
sein, sowie für Schelling eine himmlische Erscheinung. In-
dessen, wenn Avir jemals zu einer tieferen Kenntniss der
Geheimnisse unserer Natur gelangen, so dass wir im Stande
sind, uns davon Rechenschaft abzulegen, so ist es möglich,
dass Ihr Buch alsdann als eine wunderbare Anticipation von 40
1809 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEX. 431
]l? ? ?]' 864
General von Eühle erzählte mir [Varnhagen von
Ense], Goethe selbst habe ihm einmal gesagt, er habe die
erste Anregung zu den ,AYahlverwandtsehaften' durch
Schelliug erhalten, wie Kapp in seinem Buche richtig
bemerkt". In der Charlotte wollte man die Herzosrin
Wahrheiten dastehe, von denen wir jetzt nur eine dunkle
Ahnung haben" (,G. -Reinhard S. OS f.). — Goethes Antwort
hierauf bringt Nr. 870.
10 Der Schluss von Nr. 863 (429, 21 f.) findet sich, mit geringen
Abweichungen, unter den von Riemer mitgetheilten Aus-
sprüchen Goetlies (, Briefe von und an Goethe' S. 344), imd
zwar, ohne Datum, unter dem Jahre 1811 eingeordnet
zwischen August 6 und December 11, mit der Bemerkung:
15 ,,Bei Gelegenheit der .Wahlverwandtschaften'.'" — 429. 21—25
lauten hier:
,,W ie etwas als ein unveränderliches Fac-
tum vor der Einbildungskraft steht, so dass
man mit allem Willen und ^^' i d e r w i 1 1 e u doch
20 nichts daran ändert: so lässt man sich auch
in einer Dichterfabel das Apprehensive ge-
fallen, . . . "
Das darauf Folgende stimmt wörtlich mit dem Briefe an
Reinhard überein.
.25 '■ Jahr, Tag imd Ort sind unbestimmt. Die Aeusserung gegen
Rühle von Lilienstern wird vielleicht erst im Sommer ISIO
stattgefunden haben, wo Goethe sowohl in Karlsbad und
Teplitz, als auch in Dresden wiederholt mit Rühle zusammen
war (vgl. Tgb. 4. 131, 15. 20. 149. 1. 10. 155. 2. 23 und öfters).
.30 Bei dem Gespräcli mit Knebel liegt es nahe, an den 27.
September 1809 zu denken (s. Nr. 824 j.
- Kapp sagt in seiner anonym erschienenen Schrift , Friedrich
Wilhelm Joseph von Schelling. Ein Beitrag zur Geschichte
des Tages von einem Aieljährigen Beobachter' (Leipzig.
35 Verlag von Orto Wigand. 1843) S. 193: „Dass Goethe schon
1803 den Frofessor Schelling ohne Weiteres nach Würzburg
abziehen Hess, hat seine guten Gründe. Auch Hegeln achtete
er früher wegen seiner (Gediegenheit und Gründlichkeit
weit höher, als den vorlauten Schelling. obgleich .ifner durch
40 seine Planeten-Schrift arg angestossen hatte, und Schelling
432 DIE AYAHLVERWAXDTSCHAFTEX. 1S09
][???] [864]
Luise erkennen, in dem Hauptmann den Freiherrn von
Müffling, jetzigen^ Gouverneur von Berlin, in Luciane
einige Züge des Fräulein von Eeitzenstein, und so noch
andre, — in dem Maler^ einen jungen Künstler aus 5
Cassel, — Goethe sagte einmal zu Eühle: „Ich heid-
nisch? Xun, ich habe doch Gretchen hinrichten und
Ottilien verhungern lassen, ist denn das den Leuten
nicht christlich genug? "Was vollen sie noch Christ-
licheres?"' — Das erinnert an die empörte Antwort, die lo
er Knebeln wegen der sittlichen Bedenken desselben
gegen die ,Wahlverwandtschaften" gab: „Ich hab's
auch nicht für Euch, ich hab's für die jungen Mädchen
geschrieben!"
Mit Rühle v. Lilieustern; mit Knebel. — Gespräche 9 15
(1), 112^
schon in Jena nach einer anderen Richtung hin, doch ohne
Absicht, dem Dichter äusserliche und theilweise Veran-
lassung zu einem späteren Unternehmen gab, nemlich zu
seinem ausgezeichnetsten, daher am meisten verschrieenen 20
Romane".
Dass Schelling auch später, nachdem er Jena verlassen
hatte, durch seine Aufsätze Goethen für Einzelnheiten seines
Romans Anregung bot, ist verschiedentlich hervorgehoben
worden (vgl. auch GJ. 4, 43S;i. Besonders liommen für Theil 25
2 Capitel 11 (W. 20, 33S— 340) in Betracht Schellings Auf-
sätze im .Morgenblatt' 1807 (Nr. 26) und im Intelligenzblatt
der .Jenaischen Allgeiueinen Literatur-Zeitung' 1807 (Nr. 36),
die anknüpfen au Ritters Versuche mit dem siderischen Pen-
del und der Wünschelruthe, welche dieser Gelehrte an sich 30
selbst, besonders aber an dem jungen Italiener Campetti an-
stellte (Schellings .sämmtlicheWerlce. Erste Abtheilung' 7. 487
— 197, Stuttgaii; und Augsburg J. G. Cotta'scherVerlag. 1860).
^ Vamhagen "\on Ense. dessen Tagebüchern 2, 194 die ganze
Stelle entnommen ist. schrieb diess am 28. Juni 1843. 35-
^ Ueber den Architekten, der hier wegen der von ihm voll-
brachten Ausmalung der Capelle als „Maler"' bezeichnet
wird. vgl. Nr. 896.
' s. Z. 34 f.
1809 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 433
][? ? ?]' 865
Ich [?] kann dieses Buch durchaus nicht billigen,
Herr Ton Goethe; es ist wirklich unmoralisch, und ich
empfehle es keinem Frauenzimmer.
Darauf hat Goethe eine Weile ganz ernsthaft ge-
schwiegen, und endlich mit vieler Innigkeit gesagt:
„Das thut mir leid, es ist doch mein bestes Buch.
Glauben Sie nicht, dass es die Grille eines alten Mannes
ist, ja, man liebt das Kind am meisten, welehes aus
der letzten Ehe, aus der spätesten Zeit unserer Zeugungs-
kraft stammt. Aber Sie thun mir und dem Buche Un-
recht; das Gesetz in dem Buche ist wahr, das Buch ist
nicht unmoralisch, Sie müssen es nur vom grösseren Ge-
sichtspuncte betrachten, der gewöhnliche moralische
Massstab kann bei solchem Verhältnisse sehr unmora-
lisch auftreten.
Mit einer Unbekannten. — Gespräche 2, 292.
^ Die Aeusserungen Nr. 865 und 865a finden sich in dem zwei-
ten (,, Briefe und Gespräche Goethes" überschriebenen) Ab-
20 schnitte der ,ReisenoveIlen von Heinrich Laube. . . Zweite
Auflage. Neunter Theil. Mannheim. Verlag von Heinrich
Hoff. 1847' (aucli unter dem Titel , Heinrich Laube's Novel-
len. Zweite Auflage. Neunter Theil. ... 0 S. 35 und 36.
Laube sagt hier, nachdem er Auszüge aus Briefen Goethes
25 an Friedrich August Wolf mitgetheilt hat: ,.Ich gehe nun
zu einigen Unterredungen mit Goethe über. Sie stammen
aus verschiedener Quelle, am wenigsten aber daher, woraus
im Vorhergehenden die mündliche Mittheilung über Gall
geflossen ist. . . ." (von dieser, abgedruckt als Nr. 237 der
30 , Gespräche' 2, 17 f., gibt Laube auch die Quelle nicht an,
vielleicht ist es eine Aufzeichnung Friedrich August Wolfs.)
Grösstentheils verschweigen wolle er ,,die Mittheilungen
einer lebhaften Dame, welche reich an schlagendem Aus-
drucke sind, ich fürchte, die Dame interessirt .sich dabei viel
35 weniger für Goethe, als für die Erzählung von ihm". Von
dieser Unbekannten (sie sei Goethen ,, einmal in Dresden
wieder begegnet", Goethe redet sie bei dieser Gelegenheit
„gnädiges Fräulein" an) ist das Gespräch Nr. 865 überliefert.
Graf, Goethe über seine Dichtungen T. I. 28
434 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. IbOy
][? ? ?]' 86öa
„Ob die ^Wahlverwandtschaften* wahr sind, ob sie auf
Thatsächliehem beruhen? Jede Dichtung, die nicht
übertreibt, ist wahr, und alles, was einen dauernden
tiefen Eindruck macht, ist nicht übertrieben, üebri- 5
gens soll es den Menschen gleichgültig sein; der blossen
Keugierde muss man nicht Eede stehen. Das Benutzen
der Erlebnisse ist mir immer alles gewesen; das Erfin-
den aus der Luft war nie meine Sache, ich habe die Welt
stets für genialer gehalten, als mein Genie." 10
Mit einem Unbek:annten. — Gespräche 2, 292. (Vgl. 433,
18.)
1810.
Januar, zwisclien 2 und 20, Weimar^. 866
Goethe grüsst Dich [Caroline von Humboldt] herz- 15
lieh, er hat Dir seinen neuesten Eoman ,Die Wahlver-
Es mag, wie Nr. 864 und 865a, bald nach dem Erscheinen
der , Wahlverwandtschaften', vielleicht auch erst im Sommer
1810 stattgefunden haben.
* Vgl. die vorhergehende Erläuterung. Heinrich Laube fährt 20
a. a. O., unmittelbar nach der Mittheilung von unserer
Nr. 865, fort: „Verlassen wir nun aber die Dame, welche
drastisch mittheilt, und halten wir uns an einen Mann, der
mein* denn einmal in ausfüln-lichen und intimen Gesprächen
mit Goethe verkehrt hatte. Einige Stücke vom Tagebuche 25
desselben liegen zur Mittheilung vor, ich gebe sie wört-
lich und ohne Zusatz. Die Gespräche sind nicht immer
ausgeführt, oft sind nur die Themata mit einzelnen Worten
angedeutet". Hierauf folgen Nr. 1531 a — c der , Gespräche'
8. 852 f., dann unsre Nr. 865a, sodann Nr. 1531d— h der ,Ge- 30
spräche' 8, 353—358 (s. unten Nr. 1603).
W. V. Biedermann datirt die obige Nr. 865a: „1809 (?)", die
Nr. 1531a— h der , Gespräche': „Um 1819 (?)", und hält für
möglich, dass Friedricli August Wolf der Ungenannte sei.
^ Nach dem Tagebuch hatte Goethe am 2. 3. 4. 5. 6. 18. 19. 20. 35
Januar Gespräche mit Wilhelm von Humboldt. Am 26. De-
cember 1809 hatte dieser seinen Besuch angemeldet und ge-
schrieben: ..Wir haben ja so mancherlei zu besprochen, auch
die .Wahlverwandtschaften', die mir einige sehr glückliche
Tage in Königsberg gemacht haben" (GJ. 8, 77). 40
1810 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 43"
[Januar, zwiselien 2 und 20, Weimar.] [S66]
Avandtscliaften' durch einen Eeisenden geschickt^ und
man sah ihm an, dass ihm daran gelegen hat, den Eoman
von Dir gelesen zu wissen.
5 Mit W. V. Humboldt. — Gespräcbe 10. G3'.
?Jaiiuar 18. Weimar. S(Xn
Abends Herr [Wilhelm] von Humboldt. . . . Ueber . .
Eomane und dergleichen.
Tgb. 4. 91. 9—11.
10 ] [Januar 24?' Weimar.] 867
Zugleich soll ich [Eiemer] ansagen, dass Herr a on
Humboldt in Paris noch am 3. Januar nicht die ,Wahl-
verwandtschaften' erhalten hatte; und ob man vielleicht
dahinter kommen könnte, wie und woher das Hinderniss
15 entstanden*.
lüit Riemer. — Riemer-Frommann S. 153.
] [uacb Januar 24°, Weimar?] 8(J8
Das Buch machte bei seinem Erseheinen ausserordent-
liches Aufsehen und erfuhr die verschiedensten Beur-
20 theilungen. Goethe selbst, der im Allgemeinen ungern
über seine Dichtimgen sprach, war mit Eudolf Abekens
Eecension in der Litteratur-Zeitung", welche die silt-
' Vgl. Nr. 830. 831.
- Aus .Gabriele von Biilow Tocbter Wilbelm von Humboldts.
•25 Ein Lebensbild. . . Viei'te Auflage. . . Berlin 1894. Ernst
Siegfried Mittler und Sohn' S. 62 f.
' Riemers Brief an Frommann ist vom 24. Januar datirt.
* Hiernach hatte Goethe das für Alexander von Humboldt be-
stimmte Exemplar des Romans (vgl. 411. 21 f.) durch From-
30 mann expediren lassen. Bald nach dem 3. .Januar muss die
Sendung aber eingetroffen sein, vgl. 412, 24—28.
^ Diese Datirung ist angesetzt mit Rücksicht auf den letzten
Abschnitt von Abekens Besprechung, der am 24. Januar im
3Iorgenblatt erschien. That Goethe die Aeusserung in Jena,
35 so wäre diese Nummer „nach März 11" zu datiren, da Goethe
1810 erst am 12. März zum erstenmale nach .Jena kam.
° Hier liegt ein Ii'rthum vor, denn Abekens Besprechung er-
schien im .Morgenblatt' und der Recensent in der .Jeuaisehen
Allgemeinen Literatiu'-Zeitung' war Delbrück (vül. 426. 16).
436 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEX. 1810
][nach Januar 24, Weimar?] [868]
liehe Tendenz des Eomans ausführlich darlegte, ganz
einverstanden, äusserte auch gegen meine Mutter: ,,dass
es zu bösen Häusern hinausgehn muss, sieht man ja
gleich im Anfang"^, 5
Mit F. J. und Johanna Frommann. — G. -Frommann
S. 111.
] [Zwischen Januar 24 und März 23-, Weimar und Jena.] 809
Ihr Brief, lieber Abeken, hat mir [Gries] eine sehr
angenehme Ueberraschung gemacht. Ich kann Ihnen le
nicht sagen, wie sehr es mich freut, Sie als den Ver-
fasser eines Aufsatzes kennen zu lernen, der unstreitig
unter allem, was über die ,Wahlverwandtschaften' ge-
schrieben worden ist, bei weitem den ersten Platz ein-
^ Ein Urtheil Johanna Frommanns über die , Wahlverwandt- i»
Schäften' finden wir in ihrem Briefe vom 18. October 1809,
wo sie ilirem Gatten schreibt: ,,Es ist mir eigentlich recht
schwer geworden, ohne Dich auszulesen. . . . Wie hat mich
die Stelle ergriffen, wo das Kind in's Wasser fällt und der
Ruf des Schicksals, den man lange vernommen, immer deut- 20
lieber wirdi Und doch muss ich glauben, wir ahnden nur
erst, was der Dichter meint und bezweckt. Mir war es oft,
als stiegen alte Griechen und Juden aus ihren Gräbern und
freuten sich des neuen Werks und sagten: Für euch ist es zu-
A'iel. Ach schon die Ahnung ist uns soviel 1 — Ich fühle eine 25
sonderbar contrastirende Empfindung in mir: indem immer
gesagt wird von Eduard, er m u s s t e , fühl' ich meine Kraft
sich stählen, nicht zu müssen. Ich rufe mir immer zu:
sei nicht vermessen, und mir ist, als müsst' ich knien vor
dem Bilde der Liebe, weil nur die wahre Liebe in allen so
Nöthen hilft" (G.-Frommann S. 111).
* Die im Folgenden erwähnten Aeusserungen Goethes fallen
in die Zeit nach dem Erscheinen von Abekens Besprechung
im , Morgenblatt' (vgl. 447, 26) und vor Abfassung des. vom
23. :März 1810 datirten, Briefes von Gries, dem dia Stelle 35.
entnommen ist. Abeken, zu dieser Zeit als Hauslehrer von
Schillers Kindern in Weimar lebend, hatte sich brieflich am
IS. März gegen Gries als den Verfasser der Beurtheilung im
, Morgenblatt' bekannt.
1810 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 437
][Zwlschen Januar 2i und März 23, AVeimar und Jena.] [869]
nimmt. Das will nicht viel sagen, meinen Sie vielleicht,
denn das l'ebrige ist freilich nicht weit her. So lassen
Sie sich denn an der Tersicherting des grossen Meisters
5 genügen, der Ihnen das Zeugniss gibt, dass Sie den
rechten Fleck getroffen haben.
Goethe hatte Ihren Aufsatz schon im ,!Morgenblatt'
gelesen und gleich damals seine grosse Zufriedenheit
darüber geäussert. Diess brachte Eiemern auf den Ge-
10 danken, ihn hier von Frommann nachdrucken zu lassen,
um, wie er sagte, Goethen eine angenehme Ueber-
raschung zu machen. Es gehe fast kein Tag hin, wo
Goethen oder ihm nicht etwas über die ,"Wahlverwandt-
schaften' gesagt oder geschrieben werde, und meistens
15 sehr abgeschmacktes Zeug. Um nun nicht immer das-
selbe -«äederholen zu müssen, habe er diesen Xachdruck
veranstaltet. So geht nun Ihr Aufsatz, der durch des
Meisters Siegel und Unterschrift gleichsam Gesetzes-
kraft erhalten hat und völlig wie eine interpretatio au-
20 thentica anzusehen ist, in alle Welt, um die Heiden zu
bekehren, wozu der Himmel sein Gedeihen gebe. Goethe
und Riemer verschicken und vertheilen ihn an alle
Freunde und Bekannte. . . ^
Was nun den Verfasser anbetrifft, so "war Riemer auf
25 den Gedanken gekommen, es sei kein andrer als Schel-
ling. Er hatte diess auch Goethen und andern ziemlich
plausibel zu machen ge-oiisst; . . .
* Abeken, der in seinen .Erinnerungen' (S. 57) den Verlauf
dieser Angelegenheit ähnlich, nur kürzer, erzählt, berichtet
noch: ,,Wie war mir zu Muthe. als Frau von Schiller mir,
dem nichts Ahnenden, eins der ihr von Riemer zugeschickten
Exemplare überreichte (17. März 1810). Sie wusste den Ver-
fasser nicht: ich hatte mich als diesen niemandem genannt.
. . . Ich erinnere mich, dass in diesen Tagen Goethes Gattin,
da sie mich im Park sah. auf mich zukam und in ihrer
Lebhaftigkeit mir xurief, wie ..der Geheimrath'" sich gefreut
und das Blatt seinen Freunden zusende."
438 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. ISlO
] [Zwischen Jauuar 24 und Mäi'z 23, Weimar und Jena.] [S69]
Da ich mich hauptsächlich mit Frommann über diesen
Pimct oft sehr lebhaft gestritten hatte, so konnte ich
mir den Triumph nicht versagen, ihm Ihren Brief noch
ganz brühwarm zu überschicken. Dadurch haben denn 5
auch die andern das Geheimniss erfahren, und Goethe
besonders hat mehrmals seine Freude darüber bezeigt.
Mit Riemer und Anderen^ — Gespräche 2, 303 f. (Vgl.
436, 35.)
^ Unter diesen Anderen ist besonders au Fioninianu und lo
dessen Angehörige zu denken, wohl auch an Grios selbst.
Abekens Besprechung kann nicht eigentlich ein Aufsatz
genannt werden, wie Gries es hier thut. Richtiger bezeichnet
der Vei'fasser selbst sie im ,Morgeublatf und in seinen , Er-
innerungen' (S. 56) als „Fragmente". Bruchstücke sind es 15
von Betrachtungen, die Abeken sich als vertraulich brief-
liche Mittheilungen an einen seiner Freunde gerichtet dachte,
etAva an Heinrich Voss in Heidelberg, durch dessen Ver-
mittelung die Blätter auch im , Morgenblatt' zum Abdruck
kamen. Für sich selbst hatte Heinrich Voss abgelehnt, wie 20
er unter dem 26. December 1809 an Goethe schreibt: „Cotta
wollte, ich sollte sie [die .Wahlverwandtschaften'] für's
, Morgenblatt' recensiren. Mir war, als sollte ich die Welt
recensiren; und ich bin noch zufrieden, dass ich es abge-
schlagen liabe. • Entweder meisterhaft oder gar nicht" (GJ. 25
5, 77).
Eine Wiedergabe der, von Goethe besonders geschätzten,
Abekenschen Beurtheilung darf hier um so mehr erwartet
werden, als dieselbe in Brauns Sammelwerk nicht aufgenom-
men ist. 30
,, IT e b e r Goethes Wahlverwandtschaften.
(Fragmente aus einem Briefe).
1.
— Dass die .Wahlverwandtschaften' viele Menschen nicht
ansprechen, dass so sonderbare Urtheile über sie gefällt 35
werden, befremdet mich nicht. In der That, man sieht es
oft genug, wie Gegenstände, welche dem Menschen nahe
liegen und ein fast allgemeines Interesse haben, leicht und
oberflächlich dargestellt, ihre Wirkung nicht verfehlen; wie
1810 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 430
][Zwischeii Januar 24 und Miiiz i'3, Weimar und Jena.] [869J
sie aber die Menge und die für die Welt Gebildeten kalt
lassen, -wie sie oft gar nicht begriffen werden, wenn ein
grosser Geist sie lil-ir in ihrem tiefsten Grunde und in ihrer
5 höchsten Bedeutung ausspricht. — Ist es nicht so mit dem
Gegenstande, mit dem jener herx'liche Roman sich beschäf-
tigt? — Dass es Menschen gibt, die ihrer Xatur nach ver-
wandt sind, dass diese Verwandtschaft Liebe erzeugt,
welchen Kampf, welches Unglück diese veranlasst, wenn
10 menschlicher Irrthum und irdische Verhältnisse ihren Weg
durchkreuzen, das ist das Thema fast aller Romane. Wenig-
stens liegt der Gedanke einer natürlichen Verwandtschaft,
wenn auch dunkel, dem zum Grunde, was von Sj-mpathie
geredet wird. Solche Bücher werden immer geschrieben
15 und immer gelesen werden; jeder Leser hat dergleichen
gesehen und erlebt; er wird bewegt, und fühlt, dass auch
er dem Loose unterworfen ist. welches die Liebe trifft. —
Dasselbe Thema finden wir in den ,Wahlverwandtschaf-
teu'; aber wie anders behandelt! wie klar bis in die tiefsten
20 Geheimnisse, wie selbstständig und voll innern heiligen
Lebens liegt es vor uns da! — Hier sehen wir, v\-ie dieselben
ewigen Gesetze, die in dem walten, was v\ir Xatur nennen,
auch über den Menschen ihre Herrschaft üben und ihm oft
mit unAA'iderstehliclier Strenge gebieten; wie es eine, nur
25 gesteigerte, Kraft ist, die leblose Stoffe zu einander zwingt
und diesen Menschen zu einem andern zieht. Schilt mich
nicht um dieser Aeusserung Willen. Ruht doch auch die
Liebe der Eltern zu dem Kinde auf der Xatur und ent-
springt aus ihr; und doch wird dieser Trieb durch Freiheit
30 zu einem schönen sittlichen Verhältnisse. — Die neuere
Xaturlehre wird nocii manches Geheirauiss in Bezug auf
den Menschen enthüllen, vor dessen Offenbarung dem grauen
möchte, welcher die Kräfte der Xatur nicht als lebendige
und ewige erkennt, und welchen die Beobachtung der Men-
35 sehen und ihrer Schicksale nicht gelehrt hat, dass etwas in
ihrem tiefsten Innern liegt, was über jenen Kräften ist. was
vielleicht einer höhern Welt angehört. — Das sind die heili-
gen hohen Gedanken, die im tiefsten Grunde der Seele ent-
springen, welche der ^lensch mit freier Gewalt festhält, die
40 ihm eAvig vorschweben als höchste Muster, als Sitte, als
unveränderliches Gebot. Wo wir solche Gedanken wahr-
440 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEX. ISIO
] [Zwischen Januar 2'1 und März 2a, Weimar und Jena.] [869]
nehmen, da ist unser Interesse für den Menschen entschieden;
und wenn der Gang der Dinge auf Erden und irdische Ver-
hältnisse mit ihnen jene Gesetze der Natur in Streit bringen,
der nicht rein zu schlichten ist, da werden wir zur liöchsten 5
Theilnalime bewegt. Das Mäclitigste führt ihn, und das
Liebste, dem wir die längste Dauer unter uns wünschten,
soll ihm zum Opfer fallen. Es ergreift uns ein Gefühl, nicht
unähnlich dem, was jene köstlichen Worte in der , E u p h r o -
s y n e ' in uns erwecken [V. 69 f. 77 f., W. 1, 283 f.] : 10
Ach, Natur, wie gross und sicher in allem erscheinst du!
Himmel und Erde befolgt ewiges festes Gesetz.
Alles entsteht und lebt ihm gemäss; — nur über den Menschen
herrschet ein schwankendes Loos.
Wo in den übrigen Wiesen die Natur ihre Kräfte walten 15
lässt, da entsteht Leben, da ist Dauer; und den Menschen
vernichtet sie oft durch eben diese Kräfte. — Das ist das
tragisclie Princip, das in den , Wahlverwandtschaften'
herrscht, und das unwiderstelalich uns ergreift und die
Menschheit in uns erschüttert. 20
2.
Hier sehen wir zwei Naturen vor uns, durch das Geschick
getrennt, durch Verwandtschaft gewaltsam zu einander
gezogen, durch natürliche Verwandtschaft. Das wun-
derbare Kopfweh der beiden Liebenden ist von grossem Ge- 25
Wichte. Eduard fühlt alsbald, wie nahe er Ottilien ange-
hört; er gibt sich dem Zuge hin, ohne Widerstand zu leisten,
und seine Leidenschaft ist mit Bewusstsein vermählt. —
Anders Ottilie. Nicht von bewusster Leidenschaft, sie wird
vom Schicksal hingerissen, und findet sich von seinem 30
Strome gefasst, ehe sie weiss, dass sie hineingerathen ist.
Es m u s s t e also sein. — Da beginnt das Tragische der Ge-
schichte, und schon im Anfange des Buches, wir wissen nicht
wie, ergreift uns der Schmerz und die bange Ahnung —
welche ihre höchste Höhe erreicht an Ottiliens Geburtstage, 35
da Eduard das Feuerwerk in die Lüfte rauschen lässt.
Hier ist das erhabene Gedicht in seiner Begeisterung, in
einem heiligen Wahnsinne, einer Gährung, von welcher aus
sich das glühendste Leben in alle Enden verbreitet. Es er-
1810 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEX. 441
][Zwischen Janunr 2i uud März 23, 'Weimar und Jena.] [Sß9]
greift uns eiu Schwiudel, und doch erkennen wir die rulaige
Weisheit, die nüchterne Mässigung, die alles lenkt und alles
ordnet, wodurch das AVerk ein vollendetes, selbstständiges
5 Ganzes wii'd, das sich selbst trägt und erhält. So thut sich
der Schöpfer in seinen Werken kund.
Und jener Wahnsinn ist zugleich ein Symbol für das Ge-
schick der Liebenden. Eduards Leidenschaft hat zu
Ottiliens Fest das Feuerwerk bereitet; nichts auf der Welt
10 vermag ihn von der Ausführung zurückzuhalten. Und wie
die Feuerkugel, mit brennbarem Stoffe gefüllt, wenn sie ein-
mal in Brand geratlaon ist, sausend durch die Luft fährt,
und ihre Bahn durchstürmt und keinen Halt kennt — bis
sie zerstiebt uud sich vernichtet, — so fähit das Geschick mit
15 den Liebenden dahin, da es sie ergriffen und dem Untergange
geweiht hat.
Was vermögen hier menschliche Klugheit uud Verstand?
Der Mittler spricht wohlmeinend und ver.stäudig; aber
wo nach menschlichem Ansehn noch zu rathen ist, da ent-
20 fernt er sich, aus Prineip, wie er's nennt, und er selbst wird
am Ende ein Diener des Geschicks;
Denn wer sich vermisst, es klüglich zu wenden.
Der muss es selber erbau'n und vollenden.
[Schillers , Braut von Messina' V. 2490 f.]
25 3.
Einen schönen Gegensatz gegen Eduards und Ottiliens
leidenschaftliche Liebe macht Charlottens Neigung zu dem
Hauptmann. Auch sie werden von einander angezogen; aber
des Hauptmanns fester Sinn und Verstand und Charlottens
30 Mässigung und Vernunft sind von der Art, dass ein nicht zu
schlichtender Kampf zwischen diesen und der Leidenschaft
nicht entstehen konnte. In des edeln Weibes Seele wohnt das
Recht und das Mass; das schöne Gleichgewicht in ihr. wie
zart es gebildet sein mag. widersteht dem andrängenden
35 L'ngestüm andrer Gewalten. Daher kommt die himmlische
Milde, die Klarheit der Vernunft, mit welcher Charlotte
durch die ganze Geschichte waltet. ^- Wodurch sie sich von
Ottilien unterscheidet, das hat der Dichter am deutlichsten
durch den Pendul aussedrückt. der in ihrer Hand ruhig, un-
442 DIE WAHT.VERWAXDTSCHAFTEX. 1810
][Z\vischeu Jumiar 24 und März 2J, Weimar uiul Jena.] [869]
beweglich schwebt, da er hingegeu, vou (Jttilieu berührt, in
die lieftigsteu Schwingungen gerüth.
4.
Halte ja manche Nebenpersonen, vor allem die, welche 5
gegen eine der Hauptpersonen eine Anziehungskraft bewei-
sen, nicht für unbedeutend. So ziehen sich, wenn wir Stoffe
von geringerer oder grösserer Verwandtschaft in die Lage
bringen, dass sie ihre Kräfte gegen einander äussern können,
auch die weniger verwandten an, aber nur ein wenig, und sie lo
kommen zu keinem vereinten Leben. Lass die inniger ver-
wandten Raum gewinnen, sie vermählen sich und vor ihnen
verschwinden die Kräfte der übrigen.
5.
Einen herrlichen Gegensatz gegen Charlottens Gesinnung 15
machen die Weltgebildeten, der Graf und die Baronesse mit
ihrem Raisonnement; und das tolle Ti-eiben Lucianens, ihr
weltliches Rasen, hebt die himmlische Ruhe Ottiliens, in
welcher sie, wie auch ihr Geschick raset, beharret und
zunimmt. 20
Es ist nicht ohne Bedeutung, dass Luciaue die Affen so liebt,
und dieser Zug macht uns auf eine neue Verwandtschaft
aufmerksam, die in dem reichen Buche uns dargelegt wird.
Denn wie dieses mit eigner Lust und schöner Begeisterung
die fernsten Grenzen berührt und vor die Seele bringt, welche 25
der Mensch erreichen kann, so zeigt es auch im Contraste,
welche niedrige Neigungen und Aehulichkeiten selbst den
gebildeten Menschen unter seine Sphäi'e liinaljziehen können.
Luciane ergötzt sich an Affen und vergleicht sie mit
Menschen, während Ottilie Engel malt und selbst ein Engel 30
wird in dieser Umgebung.
6.
Welch ein herrliches, reiches Bild hat uns der Dichter vor
die Augen gebracht in der Scene, da Ottilie die Mutter
Gottes vorstellt! — Ich möchte diese, in Rücksicht auf die 35
Wirkung, die sie in dem Gedichte hervorbringt, das Gegen-
stück zu jener Naeht-Scene nennen, da Ottiliens Geburtstag
mit dem Feuerwerke gefeiert wird. — Charlotte sitzt vor dem
1810 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 443
][Zwische!i Januar j: und März 23, Weimar und Jena.] [869]
Heiligen-Bilde und betrachtet das schlafende heilige Kind;
und sie gedenkt >lessen, das sie unter dem Herzen teigt,
denkt, was es ihrem Hause werden soll in der Zeit der Xoth,
5 und Thränen treten in ihre Augen. — Ach, es soll kein Ver-
söhner für sie sein; es v.'ird geboren, und seinem Gesichte
ist das aufgeprägt, was den nicht zu lösenden Streit erzeugt
und erhält. Es kommt in die Welt, aber nicht als Bote des
Lebens, sondern des Todes; und der Greis, der es in seine
10 Arme nimmt, fährt hin, aber ach! niclit in F r i e d e n —
Als eine wahre Versöhneriu dagegen steht Ottilie da in dem
herrlichen Bilde; sie ist die Schmerzenreiche, die Betrübte,
der das Schwert durch die Seele dringt; aber wir ahnen in
ihr auch die Heilige. Die Xaeht verschwindet, und das hei-
15 lige Licht bricht herein.
7.
Man hat es befremdend gefunden, dass in Ottiliens Tage-
buche keine Retlexionen über ihre Liebe zu Eduard vor-
kommen. Aber ist Ottilie in einem Zustande, dass sie Be-
-0 tracJitungen über ihre Liebe anstellen kann? — Sie wird fort-
gerissen von ihrem Geschicke und ist, ohne Schuld, einer
fremden Macht anheimgefallen. — Und konnte die hohe,
seltne Bildung ihres Geistes, konnte die himmlische Ruhe, in
der ihre Seele bei allen Stürmen beharrt, besser dargestellt
25 werden, als durch dieses Tagebuch? — L'nd ihre Blätter
offenbaren, was in ihrer Seele vorgeht, v."as ihr selbst nicht
beu'usst ist; und wunderbar ergreift es uns, wenn wir sehen,
in welcher nalien Verbindung der menschliche Geist, der nur
auf die Gegenwart, und höchstens auf die Vergangenheit an-
30 gewiesen scheint, mit der Zukunft steht. — Hier sitzt Ottilie
im alten Kirchenstuhle in der heiligen Capelle, wie im
Todtenreiche, und erwartet die Geliebten, die das heilige
ernste Leben mit ihr beginnen sollen. Sie ist dem Tode ge-
weiht, und auch ihr Jahr ist fast abgeklungen.
35 ,„Wir blicken so gern in die Zukunft, weil wir das Unge-
fähre, das sich in ihr hin- und herbewegt, durch stille
Wünsche so gern zu unsem Gunsten heranleiten möchten'"
[Theil 2 Capitel 4, W. 20, 239, 3— 6]. Blickst du auch in die
ZiTkunft, herrliche Ottilie I und weisst du, was du wünschest,
40 und weisst du. was es ist. das dich heranbewegt? — Der
444 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1810
][Zwischen Januar 2i und März 2J, Weimar und Jena.] [869]
unerbittliche Tod liat seine Sichel schon gescharrt; der Halm
muss fallen.
„,Doch in der abgesichelten Aehre liegt überschwänglich
viel Nährendes und Lebendiges'" [Theil 2 Capitel 3, W. 20, 5
225, 6 f.].
So beginnt das herrliche Tagebuch. Es nimmt fast einen
umgekehrten Gang mit Ottiliens Tagen. Es Avird heitrer,
macht tiefe zarte Bemerkungen über das Leben, und in den
Ansichten vom Werthe des Menschen und von seiner Erzie- 10
hung offenbart sich eine schöne Geistesverwandtschaft jeuer
edeln Natalie. — Warum konnte der beiden Geschick nicht
vervrandt sein? — Zarte, innige Beziehungen sind überall in
den Blättern zerstreut; wer vermöchte sie alle zu enthüllen?
und wer wollte sie erläutern? — Das hiesse von der schwel- 15
lenden Traube den zarten Duft abwischen, mit dem der
frische Morgen sie angehaucht, oder den Staub vom Schmet-
terlingsflügel streifen, um ihn unter dem Mikroskope zu be-
trachten.
Gegen das Ende wird die Stimmung wieder ernster. Zwar 20
ist der Frühling gekommen; ,,.das Jahresmährchen ist an
seinem artigsten Capitel, dessen Vignetten Veilchen und
Maiblumen sind'" [Theil 2 Capitel 9, W. 20, 309, 15—19]. Aber
wir ahnen die Astern als Schlussvignette des letzten, ernsten
Capitels. 25
Das Tagebuch ist an seinem Ziele; es schliesst mit dem
schönen Gedanken: „,dass ein Leben ohne Liebe ein schlechtes
Schubladenstück ist, wo man überall von vorn anfangen
muss und überall enden möchte"' [Theü 2 Capitel 9, W. 20.
311, 3—9]. — Ist es Ottilie, die diese Bemerkung macht? — 30
Ist es das Buch selbst, das hier in seine Tiefen blickt und
die Gottheit erkennt, die in ihm waltet? — wie eine alte
Sage spricht, dass Menschen kurz vor ihrer Vollendung ihr
eignes Selbst erblicken. — Ich weiss es nicht. Aber dem
Ende nahet sich das Buch, der Vollendung; und eine schmerz- 35
liehe Ungeduld ergreift uns. Denn ,„wenn Knospen und
Blüthen kommen, dann wird man ungeduldig, bis das volle
La\ib hervortritt, und der Baum sich als eine Gestalt uns
entgegendrängt'". ,„Und alles Vollkommene in seiner Art
muss über seine Art hinausgehen, dass es etwas Andres, 40
etwas Unvergleichbares werde'" [Theil 2 Capitel 9. W. 20,
310, 20—27].
1810 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 445
][Zwischeu Januar 24 und März 23, Weimar und Jena ] [s69]
8.
Denn was ist es, das bei der tiefen Trauer, die uns erfüllt,
bei dem herzzerreissendeu Schmerze uns beruhigt und eine
5 Ahnung des Himmels gibt? — Das ist es, was jeglicher
wahren Tragödie die Kraft verleiht, uns zu erheitern und in
die seligen Regionen zu erheben, was bei den Ungeheuern
Schicksalen der wirklichen Welt den edeln Menschen auf-
recht erhält und mit dem Leben versöhnt. — Die Würde der
10 menschlichen Natur, die in dem furchtbaren Drange der Noth
und des Leids erst recht hervortritt, siegreich, anbetungs-
würdig. — Siehe Ottilien an. Sie ist der Naturnothwendigkeit
unterworfen; ihr Geschick i-eisst sie blind dahin; da sie von
Eduard schon entfernt ist. wird sie unwillkürlich wieder in
15 seine Nähe gezogen; und da sie schon wie ein abgeschiedner
Geist in den Gemächern des einst so freudenreichen Hauses
wandelt, bewegt sich jene Kraft noch sichtbar in ihrem
Innern; es ist, als ob dieses durchsichtig vor unsern Augen
läge.
20 Aber wie gross und frei erhebt sie sich über diese Noth-
wendigkeit in ihrem festen Anhalten an die heiligen Ge-
danken, die ihr selbstgeschafCenes Gesetz und ihr höheres
Leben sind. Ergriffen konnte sie werden von jener Noth-
wendigkeit, beherrscht konnte sie werden von ihr, sie, die
23 sogar das dringendste, furchtbarste Bedürfniss der Speise
sich ven\'ehren kann; vernichtet werden konnte sie,
aber nicht überwunden. — Man liest in den Leben der
Heiligen, dass sie zu ihrer Heiligkeit durch Busse gelangten;
hier hast Du eine solche Busse und eine Heilige, die sich
30 kühn unter die Herrlichsten stellen kann.
Dieser Triumph des Menschen musste, sollte anders das
Gedicht zu unsrer völligen, seligen Befriedigung sich
schliessen, klar vor unsre Seele gebracht werden; das war
die letzte Aufgabe des Meisters, und er hat sie herrlich ge-
35 löst. Wir nennen diejenigen Heilige, die durch ihre Tugend
die niedere Welt übei*winden, und als Heilige thut sich Ottilie
uns kund in ihrem Scheiden, und der Himmel selbst verklärt
sie, und umgibt sie mit dem heiligen Scheine, da sie wunder-
thätig wirkt, und den Sterbliehen Trost und Genesung in
40 ihrer Nähe zu Theil wird. — Engel umgeben sie. wie sie in
ihrem Sarge, mit Blumen geschmückt, daliegt, imd lächeln
446 DIB WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1810
][Zwisclien Januar 24 und Miirz 23, Weimar und Jena.] [8G9J
ihr freundlich zu; das wunderbar genesene Kind kniet zu
ihren Füssen; und zur Seite der VerJvlärteu, in der heiligen
Capelle, steht der liebenswürdige Freund und weint über ihr,
und mit ihm weinen die Edeln der ganzen Erde, trauernd 5
über das verlorene Kleinod.
9.
Wirf nun noch einen Blick auf den .W e r t h e r', der mit
dem vor uns liegenden Gedichte in mehr als einer Hinsicht
verwandt ist, des Meisters frühestes Werk, das ihn schon lo
ankündigt in seiner Kraft; und erfreue Dich mit mir an der
Betrachtung, zu welcher Höhe die Kunst steigen kann, wenn
der Künstler sich, seiner Kraft vertrauend, muthig ein fernes
Ziel steckt, nach dem er unablässig wandelt, und wenn ihm
die belebende Wärn:ie der Seele zu Theil geworden ist, die i5
auch auf dem weitesten Wege nicht erkaltet.
Und lass mich noch Eines hinzusetzen, um desswillen mir
eben in dieser Zeit dieses Buch eine herrliche Erscheinung
ist. Vielleicht spricht ein individuelles Gefühl aus mir. Viel-
leicht dass mehrere hierüber gleiche Gedanken und Empfin- 20
düngen mit mir hegen. — Die grossen politischen Begeben-
heiten des Tages ziehen alle unsre Aufmerksamkeit auf sich,
und wir vergessen daräber. dass wir noch in einer andern
Hinsicht in einer bedenklichen Zelt leben. — V\^as hat die
neuere Naturlehre, obgleich sie erst ihre grossen Ent- 25
Deckungen verbreitet, nicht für Wunder an's Licht gebracht?
und wen hat wohl nicht, vorübergehend oder dauernder, ein
Schauer erfasst, wenn er von den Organen des Gehirns, von
den magnetischen Curen, von der Gewalt, die ein mensch-
licher Körper gegen den andern übt, gehört hat? — Ist nicht 30
wohl manchem das alte Gespenst des Materialismus wieder
erschienen? — Da ist es gut, wenn der Mensch überzeugend
auf eine Kraft in seinem Innern aufmei'ksam gemacht wird,
die über die Natur erhaben ist, die ihn zum Herrn der Welt
macht. Der Philosoph wirkt mit seiner Wissenschaft nur 35
auf einen engen Kreis; aber des Dichters Wort verbreitet
sich weit und dringt gewaltig in die Seele jedes Menschen,
dem Sinn und Gefühl verliehen sind. — Und siehe, hier zeigt
uns der Dichter in Charlotten, wie Mass und ruhige Ver-
nunft eine Stimmung der Seele erzeugen, an der die Gewalt 40
1810 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 447
] [Zwischen Januar 21 und März 23, Weimar und Jena.] [869]
der Natur sich bricht; und ist diese heftiger und lebendiger
im Menschen — wirf einen Bliclc auf Ottilien. Es gibt eine
Kraft in der menschlichen Seele, die nicht zu berechnen ist,
5 die auch das Ungeheuerste überwindet. Ottilie erfreuet uns
und trJistet uns, wenn wir uns vei'suclit fühlen, auf Eduard
zu zürnen, der, besonders in den letzten Scenen, in der That
nur ihre Folie ist und nur durch einzelne liebenswürdige
Eigenschaften und durch den Muth, mit dem er Gefahren
10 entgegengeht, unser Interesse gewinnt. Wir freuen uns, dass
er im Tode in der Nähe der Geliebten ruht; die heilige Ottilie
wird alsbald für ihn bitten können am Throne des Richters.
— um so natürlicher liommt mir dieser Gedanke, da in dem
Buche so viele Winke vorkommen, die auf ein künftiges
15 Leben deuten. Wird dort das Heilige, das Ottilie mit hinüber
nimmt. Gesetz und Element sein? — Doch sei dem, wie ilim
wolle; die höchste der Aufgaben ist mir in dem Buche auch
für diese Welt befriedigend gelöst. — Und Ottilie selbst
weiset mit itiren letzten Worten in das Leben zurück; und da
20 AA'ir ihre Hülle in der heiligen Capelle liegen sehen, und uns
verlangt, dem verklärten Geiste in jene Regionen zu folgen,
da erinneii; uns der liebenswürdige Künstler, der an ihrem
Sarge steht, wie viel Edles und Schönes auf Erden wohnt,
und dass in des Menschen Seele eine Kraft lebt, die einen
25 Himmel auf der Erde zu schaffen vermag" (Morgenblatt 4,
73 f. 78. 83 f., 1810 Januar 22. 23. 24).
Die in den , Fragmenten' angeführten Stellen (Abeken citirt
offenbar aus dem Gedächtniss) sind in ihrer Ungenauigkeit
belassen worden, um so mehr, als diess auch in dem von
30 Riemer für Goethe besorgten Sonderabdruck gescliehen ist.
Dieser Abdruck (vier Seiten im Quartformat des , Morgen-
blattes') stimmt genau mit seiner Vorlage überein, doch ist
die Bezeichnung „Fragmente aus einem Briefe" weggelassen;
auch fehlt .jede Angabe über Ort und Zeit des Erscheinens.
35 Am 28. Janiiar 1810 vermerkt Riemer in seinem Tagebuche:
,, Mittags Frommann zu Tisch, der allerlei Deraisonnements
von Philistern über die , Wahlverwandtschaften' erzählte:
Unter anderen hat sich auch ein Philister über die ,Wahlver-
wandtschaften' gewundert; er Ivönne nicht begreifen, wie
40 Goethe zwei Bände über diese chemische Sache schreiben
möge, da er ja nichts, als das Bekannte, was in einem Capitel
der Chemie vorkäme, abhandle" (Deutsche Revue 12 (3). 57).
448 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1810
Februar 5, Weimar. 869a
[^lieber die , Wahlverwandt Schäften' nur diess: der
Dichter war bei der Entwickeluno; dieser herben Ge-
^ Die nachfolgende Aeusserung ist in Goethes Brief an Bet-
tina vom 5. Februar 1810 nicht enthalten und müsste dem- 5
nach als freie Erdichtung Bettinas betrachtet werden. Wenn
sie trotzdem hier im Text aufgenommen wui'de, so geschah
es, weil man für möglich, ja, bei eindringender Betrachtung,
für wahrscheinlich halten muss, dass Bettina in diesem Falle
ihr gegenüber gethane, gesprächsweise Aeusserungen Goethes lo
benutzt und, wenn schon nach ihrer Art geschmückt, über-
liefert habe. Während des Badeaufenthaltes in Teplitz 1810
sah Goethe Bettinen, die, mit ihren Freunden Savignj-s, am
9., 10., 11. August in Teplitz verweilte und am Morgen des 12.
weiterreiste. Goethes Tagebuch 4, 146, 18. 27 vormerkt am 15
11. August: „[Früh] Mit Bettinen im Park spazieren. . . .
[Abends] Savignys. Bettine. Zelter. . . ." Es wäre unnatür-
lich anzunehmen, dass bei dieser Gelegenheit nicht von den
, Wahlverwandtschaften' gesprochen worden wäre, die gerade
damals alle Gemüther beschäftigten. Ueberdiess wird es uns 20
aber bezeugt durch Riemers Tagebuch vom 11. August:
„Abends bei Goethe mit Zelter, war Bettine auch da . . .
Tieck habe die »Wahlverwandtschaften' „Qualverwandt-
schaften" genannt" (Deutsche Revue 12 (4), 41).
Bettina hatte sich in den letzten Monaten des Jahres 1800 25
wiederholt gegen Goethe in Briefen über die ,Wahlvel'^vandt-
schaften' ausgesprochen; so zunächst am 9. November, un- -
mittelbar nach dem ersten Lesen:
„Wenn Dein Genius eine Sturmwolke an dem hohen blauen
Himmel hinträgt und sie endlich von den breiten, mächtigen 30
Schwingen niederschmettern lässt in die volle Blüthe der
Rosenzeit, das erregt nicht allgemeines Mitleid; mancher
geniesst den Zauber der Verwirrung, mancher löst sein
eignes Begehren drinn auf; ein dritter (mit diesem ich) senkt
sich neben die Rose hin, so wie sie vom Sturm gebrochen 35
ist, und erblasst mit ihr und stirbt mit ihr, und wenn er
dann wieder auflebt, so ist er neu geboren in schönerer Ju-
gend. — Durch Deinen Genius, Goethe. Diess sag' ich Dir
von dem Eindruck jenes Buchs: ,die Wahlverwandtschaften'.
Eine helle Mondnacht hab' ich durchwacht, um Dein Buch 40
zu lesen, das mir erst vor wenig Tagen in die Hände kam.
1810 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 449
[Februar 5, Weimar.] [86 9a]
schicke tief bewegt, er hat sein Theil Schmerzen ge-
tragen, schmäle daher nicht mit ihm, dass er auch die
Freunde zur Theilnahme auffordert. Da nun so manches
5 Du kannst Dir denken, dass in dieser Nacht eine ganze Welt
sich durch meine Seele drängte. Ich fühle, dass man nur
bei Dir Balsam für die Wunde holen kann, die Du schlägst;
denn als am andern Morgen Dein Brief kam mit allen Zeichen
Deiner Güte, da wusste ich ja, dass Du lebst, und auch für
10 mich; ich fühlte, dass mir der Sinn mehr geläutert war,
mich Deiner Liebe zu würdigen. Diess Buch ist ein sturm-
erregtes Meer, da die Wellen drohend an mein Herz schlagen,
mich zu zermalmen. Dein Brief ist das liebliche Ufer, wo ich
lande, und alle Gefahr mit Ruhe, ja sogar mit Wohlbehagen
15 übersehe.
Du bist in sie verliebt, Goethe, es hat mir schon lange
geahnt, jene Venus ist dem brausenden Meer Deiner Leiden-
schaft entstiegen, und nachdem sie eine Saat von Thränen-
perlen ausgesäet, da verschwindet sie wieder in überirdi-
20 schem Glanz. Du bist gewaltig, Du willst, die ganze Welt
soll mit Dir trauern, und sie gehorcht weinend Deinem Wink.
Aber ich, Goethe, hab' auch ein Gelübde gethan; Du scheinst
mich frei zu geben in Deinem Verdruss, ,,Lauf hin", sagst
Du zu mir, „und such Dir Blumen", und dann verschliesst
25 Du Dich in die innerste Wehmuth Deiner Empfindung; ja,
das will ich, Goethe! — Das ist mein Gelübde, ich will
Blumen suchen, heitere Gewinde sollen Deine Pforte
schmücken, und wenn Dein Fuss strauchelt, so sind es
Kränze, die ich Dir auf die Schwelle gelegt, und wenn Du
30 träumst, so ist es der Balsam magischer Blüthen, der Dich
betäubt; Blumen einer fernen fremden Welt, wo ich nicht
fremd bin wie hier, in dem Buch, wo ein gieriger Tiger das
feine Gebild geistiger Liebe verschlingt; ich verstehe es nicht,
dieses grausame Räthsel, ich begreife nicht, warum sie alle
35 sich unglücklich machen, warum sie alle einem tückischen
Dämon mit stachelichem Scepter dienen; und Charlotte, die
ihm täglich, ja stündlich Weihrauch streut, die mit mathe-
matischer Consequenz das Unglück für alle vorbereitet. Ist
die Liebe nicht frei? — sind jene beiden nicht verwandt? —
40 warum will sie es ihnen wehren, diess unschuldige Leben
Graf, Goethe über seine Dichtungen T. I. 29
450 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1810
[Februar 5, Weimar.] [869a]
Traurige unbeklagt den Tod der Vergangenheit stirbt,
so hat sich der Dichter hier die Aufgabe gemacht, in
mit- und neben einander? Zwillinge sind sie; in einander
verscliränkt reifen sie der Geburt in's Licht entgegen, und 5
sie "Will diese Keime trennen, weil sie nicht glauben kann an
eine Unschuld; das ungeheure Vorurtheil der Sünde impft
sie der Unschuld ein, o, welche unselige Vorsicht'.
Weisst Du was? keiner ist vertraut mit der idealischen
Liebe, jeder glaubt an die gemeine, und so pflegt, so gönnt lo
man kein Glück, das aus jener höheren entspringt, oder durch
sie zum Ziel geführt könnte werden. . . .
. . . einen Architekten lernte ich früher schon kennen, der
in Deinen , Wahlverwandtschaften' unverkennbar erscheint;
er verdient es durch frühere enthusiastische Liebe zu Dir". 15
Sodann heisst es in einem Briefe vom 28. — 30. November:
„Ach, wie konnte doch Ottilie frülier sterben wollen? — O ich
frage Dichf ist es nicht auch Busse. Glück zu tragen, Glück
zu geniessen? — O Goethe, konntest Du keinen erschaffen,
der sie gerettet hätte? — Du bist herrlich, aber grausam, dass 20
Du diess Leben sich selbst vernichten lässt; nachdem nun
einmal das Unglück herein gebrochen war. da musstest Du
decken, wie die Erde deckt, und wie sie neu über den Grä-
bern erblüht, so mussten höhere Gefühle und Gesinnungen
aus dem Erlebten erblühen, und nicht durfte der imreife 25
jünglinghafte Mann so entwurzelt weggeschleudert werden;
und was hilft mich aller Geist und alles Gefühl in Ottiliens
Tagebuch? nicht kindlich ist's, dass sie den Geliebten ver-
lässt und nicht von Ihm die Entfaltung ihres Geschicks er-
wartet; nicht weiblich ist's, dass sie nicht bloss sein Ge- so
schick berathet, und nicht mütterlich, da sie ahnen muss die
jungen Keime alle, deren Wurzeln mit den ihrigen verwebt
sind, dass sie ihrer nicht achtet und alles mit sich zu Grunde
richtet.
Es gibt eine Grenze zwischen einem Reich, was aus der 3.1
Noth wendigkeit entsteht, und jenem höhereu. was der freie
Geist anbaut; in die Nothwendigkeit sind wir geboren, wir
finden uns zuerst in ihr, aber zu jenem freien werden wir
erhoben. W^ie die Flügel den Vogel in die Lüfte tragen, der
unbefiodert vorher in's Nest gebannt war, so trägt jener Geist 40
1810 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEX. 451
[Februar 5, Weimar.] [86 9a]
diesem einen erfundnen Geschick, wie in einer Grabes-
urne, die Tliränen für manclies Versäumte zu sammeln.
unser Glück stolz und unabhängig in die Freiheit; hart an
diese Grenze führst Du Deine Lieben, liein Wunder! wir alle,
die Avir denken und lieben, harren an dieser Grenze unserer
Erlösung; ja die ganze Welt kommt mir vor wie am Strand
versammelt und einer Ueberfahrt haiTend. durch alle Yor-
urtheile, böse Begierden und Laster hindurch zum Land, da
einer himmlischen Freiheit gepflegt werde. Wir thun un-
recht, zu glauben, dazu müsse der Leib abgelegt werden, um
in den Himmel zu kommen. Wahrhaftig! wie die ganze Natur
von Ewigkeit zu Ewigkeit sich vorbereitet, ebenso bereitet
sich der Himmel vor, in sich selbsten, in der Erkenntniss
eines keimenden geistigen Lebens, dem man alle seine Kräfte
widmet, bis es sich von selbst in die Freiheit gebäre; diess
ist unsre Aufgabe, unsre geistige Organisation, es kommt
drauf an. dass sie sich belebe, dass der Geist Natur werde,
damit dann wieder ein Geist, ein weissagender, sich aus
dieser entfalte. Der Dichter (Du Goethe) muss zuerst diess
neue Leben entfalten, er hebt die Schwingen und schwebt
über den Sehnenden und lockt sie und zeigt ihnen, wie man
über dem Boden der Yorurtheile sich erhalten könne; aber
ach! Deine Muse ist eine Sappho; statt dem Genius zu folgen,
hat sie sich hinabgestürzt.
Ach schreibe mir bald, ich bin unruhig über alles, was ich
gewagt habe in diesem Brief. . . ich könnte zwar zurück-
halten, was ich Dir über die .Wahlverwandtschaften' .sagte,
aber war* es recht, dem Freund zu verschweigen, w a s i m
Labyrinth der Brust wandelt in der Nacht?"
L'nd endlich am 13. December 1809 hatte Bettina ge-
schrieben: ,, Beiliegende Zeichnung ist das Portrait von
Tiedemann. eines hiesigen Professors der Medicin. er inte-
ressirt sich so sehr für die Fische, dass er ein schönes Werk
über die Fischherzen schrieb. . . da Du nun in Deinen
,"^'ahlverwandtschaften' gezeigt, dass Du Herz und Nieren
genau prüfst, so werden Dir Fischherzen auch interessant
sein, und vielleicht entdeckst Du. dass Deine Charlotte das
Herz eines Weissfisches hat; . . .
452 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1810
[Februar 5, Weimar.] [869a]
Deine tiefen, aus dem Geist und der Wahrheit entsprin-
genden Ansichten gehören jedoch zu den schönsten
Opfern, die mich erfreuen, aber niemals stören können;
ich bitte daher recht sehr, mit gewissenhafter Treue 5
dergleichen dem Papier zu vertrauen, und nicht allen-
falls in Wind zu schlagen, wie bei Deinem geistigen
Conuners und Ueberfluss an Gedanken leichtlich zu be-
fahen ist.]
An Bettina Brentano. — G. -Bettina 2, 155 f. lo
Februar 21, Weimar. 870
Da Sie mir meine liebe Ottilie so echt, gut und freund-
lich nehmen und auch dem Eduard Gerechtigkeit wider-
fahren lassen, der mir wenigstens ganz unschätzbar
scheint, weil er unbedingt liebt^, so gewinnen Sie gewiss 15
diesem zweiten Theile des Farbenwesens so viel ab, dass
er dem ersten, der Ihre Gunst erwerben konnte, die
Wage hält^.
An K. F. V. Reinhard. — Br. 21, 196, 2—8.
März 27, Jena. 871 20
Am 27. März bei Goethe, ... Er dankte mir [Abe-
ken] für meine Theilnahme an den ,Wahlverwandt-
. . . O wie ist das traurig, Sklave der Vortrefflichkeit zu
sein: da bringt man es nicht weiter, wie Charlotte es ge-
bracht hat, man ketzert sich und andre mit der Tugend ab. 25
Verzeih nur, dass ich immer wieder von Deinem Buch an-
fange; ich sollte lieber schweigen, da ich nicht Geist genug
habe es ganz zu fassen" (G.-Bettina 2, 134—137. 141. 143—
145. 147. 150 f.).
Diese Worte sind veranlasst durch die, in Reinhards Urtheil 30
über den Roman enthaltene, Bemerkung: man habe kaum
das Recht, Eduard einen .Ȋrmlichen" Charakter zu nennen
(s. 430, 25 f.), und stehen keineswegs in Widerspruch zu der
missfälligen Aeusserung, die Goethe über Eduard später
gegen Eckermann gethan hat (s. 480, 4); vgl. Düntzers Er- 35
läuterungen 5, 70.
Goethe übersandte dreissig Aushängebogen seiner , Ge-
schichte der Farbenlehre'.
1810 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEX. 453
[März 27, Jena.] [871]
Schäften-, und sprach über das Buch. Hätte ich nur
alles behalten! Doch schien er sich, in Hinsicht auf meine
jFragmente" besonders darüber zu freuen, dass ich das
Buch als ein für sich bestehendes, mit eigenem Leben
begabtes Ganzes angesehen. „Ein solches Werk'"', sagte
er ungefähr, „wächst einem unter den Händen und legt
einem die Xothwendigkeit auf, alle Kraft aufzubieten,
um seiner ]\Ieister zu bleiben und es zu vollenden; wo
denn die Scheere nicht gespart, werden darf.'"' — Die
Leser seien ihm die liebsten, die sich ganz und gar in
einem Buche verlieren könnten. Sonst sprach er von
dem Werke mit einer Bescheidenheit, die mir wunderbar
schien; als wenn es nur für seine Zeit etwas sein sollte. -
Mit Abeken. — Abeken S. 57 f.
^ s. 43S, 31—447, 25.
- AVas Abeken über Wielaud berichtet, verdient um so mehr
hier eingeschaltet zu werden, als es Schlüsse erlaubt auf
den Inhalt jenes Gesprächs, das Goethe am 21. November
20 1809 mit Wieland hatte (vgl. Nr. 856). Abeken erzifhlt:
„Von Wieland, dem das Buch ziemlich exceutrisch und
von dem Mass, das er sich gebildet und angeeignet, abwei-
chend erscheinen mochte, wurden meine .Fragmente' nicht
so gut aufgenommen. Ich musste einen schalkhaften Tadel
25 von ihm hinnehmen, als ich (am 10. April [1810]) mit Gries-
bachs. . . Mittags bei ihm speisete. Uebrigens war er nicht
so ungerecht, dass er das Kind mit dem Bade liätte ver-
schütten sollen. Einzelnes entzückte ihn. so das von Eduard
über Ottilie am ersten Morgen nach ihrer Ankunft auf seinem
30 Schlosse ausgesprochene Wort: ,.,Sie ist ein angenehmes
unterhaltendes Mädchen,'" worauf Charlotte antwortet:
„.Unterhaltend? sie hat ja noch nicht den Mund aufgetlian'"
[Theil 1 Capitel G, zu Anfang. W. 20, 65. 19—22]. ...Für
dieses eine Wort, sagte Wieland, würde ich. wenn ich der
35 Herzog wäre. Goethen ein Rittergut schenken.'" Sollte wohl
Wieland in seiner Bewunderung das volle Gewicht, das
Goethe in diese Worte gelegt, erkannt haben? Wie sehr
Wieland auch das Mass ehrte und beachtete — wo er auf
454 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEX. 1810
April 27, Jena. 872
Die beiden Contradrucke folgen auch. Das gute
Kind^ kann wohl was und könnte noch mehr lernen,
aber das schlimmste ist, sie denkt falsch wie die sämmt-
liche Theecompanie ihrer Zeitgenossinnen: denn in 5
unsrer Sprache zu reden, so hole der Teufel das junge
künstlerische Mädchen, das mir die heilige Ottilie
schwanger auf's Paradebett legt. Sie wissen besser
als ich, was ich sage. Jene können nicht vom Ge-
meinen und Xiederträchtigen, von der Amme, von der lo
Madonna loskommen und dahin zerren sie alles, wenn
man sie auch gelinde davon zu entfernen wünscht. Das
todte, wirklich todte Kind gen Himmel zu heben, das
war der Augenblick, der gefasst werden musste, wenn
man überhaupt solches Zeug zeichnen will. So wie 15
im andern Falle in der Capelle für malerische Dar-
stellung nichts gelten kann, als das Herantreten des
Architekten. Aber wo sollte das Yölklein, bei allem
freundlichen Antheil, hernehmen, worauf es ankommt.
An H. Meyer. — Br. 21, 249, 24—250, 16. 20
April 27, Jena. 873
Nach Tische . . [Brief] An Hofrath Meyer, die
Zeichnungen der Demoiselle Eeinhard zurückgeschickt
[s. Xr. 872].
Tgb. 4, 113, 7—9. 25
Mai 15. Jena. 874
-Ich hoffe, dass Sie die Gegenwart des sorgfältigen
Architekten beim Einpacken Ihrer unschätzbaren Zeich-
elwas iluii besonders Zusagendes und Schönes sliess, konnte
er im Lob übersehwänglicli sein" (Abeken S. .58). 30
^ s. Z. 23.
^ Boisserge hatte am 8. Mai „sechs Zeichnungen von der
Domkirche zu Köln" an Goethe geschickt und diese Sendung
mit einem längeren Schreiben begleitet, in dessen Nach-
schrift es, mit Bezug auf die Rücksendung der Blätter, 35
heisst: ,, . . wenn ich mich an den Architekten in den
10
1810 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 455
[Mai 15, Jena.] [874]
nungen niclit vermissen werden. Das Zutrauen, uns
so köstliche und mehrjährige Arbeiten zu überscliieken,
liat bei'm Vorzeigen sowohl, als sonst, unsere gewöhn-
liche Sorgfalt noch erhöht.^
An v«!ulpiz Boisseree. — Br. 21. 301. lö— 18.
November 18, Weimar. 875
Habe ich Ihnen nicht zwei Exemplare meiner Werke
zugeschickt, eins auf Yelin, das andre auf ordinär
Papier? . . . Schreiben Sie mir, so scliicke ich den
dreizehnten Theil, welcher die ,Wahlverwandtschaft€n'
enthält^.
An Zelter. — Br. 21. 419, 1—3. 5 f.
.Wahlverwandtschaften' erinnere, werden Sie es nicht übel
15 nehmen, wenn ich Sie um besondern Auftrag für sorgfäl-
tiges Einpacken bitte: . ." (Boisseree 2, 1. 6.)
^ Goethe, dem gegenüber Boisseröes Bitte kaum nöthig ge-
wesen wäre, der sie aber voll zu würdigen wusste, lässt den
Architekten sagen (und wir hören dabei des Dichters
20 eigenste Meinung i: ..Wenn Sie wüssten, . . wie roh selbst
gebildete Menschen sich gegen die schätzbarsten Kunstwerke
verhalten. Sie würden mir verzeihen, wenn ich die meinigen
nicht unter die Menge bringen mag. . . . Ohne daran zu
denken, dass man ein grosses Blatt mit zwei Händen an-
25 fassen müsse, greifen sie mit Einer Hand nach einem un-
schätzbaren Kupferstich, einer unersetzlichen Zeichnung,
wie ein anraasslicher Politiker eine Zeitung fasst und durch
das Zerknittern des Papiers schon im voraus sein Urtheil
über die Weltbegebenheiten zu erkennen gibt. Niemand
30 denkt daran, dass wenn nur zwanzig Menschen mit einem
Kunstwerke hinter einander eben so verführen, der einund-
zwanzigste nicht mehr viel daran zu sehen hätte" (Theil 2
Capitel fi. W. 20. 268. 7—10. 15—251.
' Vgl. 362, 7 f. Zelter erzählt mit Humor, in seiner Antwort
35 vom 16. Febi-uar 1811. auf welche Weise ihm beide Exem-
plare der Werke Cotta^ abhanden gekommen seien (G.-
Zelter 1, 425 f.).
456 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1810
November 25, Jena\ 875a
Quant ä l'objet qui me procure Fhonneur de Vous
ecrire-, j'ai celui de Vous marquer que Monsieur Cotta
libraire ä Stuttgart et ä Tubingue, Eoyaume de ^Vurtem-
berg, et de Societe pour plusieurs ouvrages importants, 5
avec les libraires de Paris et de Strasbourg, est celui
qui pour le moment s'est charge de l'impression et de
la vente de mes oeuvres poetiques, litteraires, ou qui
ont les Sciences et les Arts pour objet.
C'est en son nom et au mien que j'invoque avec recon- 10
naissance l'effet de la faveur accordee aux auteurs par
le quarantieme Articie du Decret concernant les libraires
et les ecrivains etrangers, et je supplie Yotre Escellence
de vouloir bien user de l'autorite de sa Place pour faire
surveüler nos interets avec la meme bonte qui l'a 15
engagee ä nous y rendre attentifs.
Si jamais Je contracte quelque engagement dans
l'etendue de l'enipire Franeois, soit avec Monsieur
Fabricius de Cologne avec lequel je nai eu jusqu' ä
present aucune relation, soit avec quelque autre libraire, 20
j'aurai soin de munir mes arrangemens de clauses pro-
pres ä les faire legitimer sous Yotre supreme Direction,
et j'ose esperer que Yous voudrez bien nie permettre d'en
faire ä Yotre Excellence un hommage que la crainte
d'importuner m'a interdit jusqu' ä present. 25
An J. M. von Portalis. — Br. 21, 424, 20—425, 20.
December 7, Weimar. 87G
Nächstens erhalten Sie eine Abschrift eines sehr
artigen Elogiums, das der Prince de Ligne meinen
^ Das Concept ist (wie jedenfalls aucli der Brief selbst) von 30
Weimar datiit. aber in Jena geschrieben.
' Der Anlass zu diesem Sehreiben an den Director der kaiser-
lich französischen Druckerei war ein, in Köln am Rhein,
von dem Verleger Fabricius (s. Z. 19» veranstalteter Nach-
druck der .Wahlverwandtschaften': vgl. Nr. 895. die sachlich 35
hierher gehört.
1810
DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 457
[December 7, ^^ eimar.]
^Wahlverwandtschaften' gegönnt hat, von welchen die
französische Uebersetzung zu ihm gelangt ist^
An Sara v. Grotthus. - Br. 21, 436. 14-lS.
][Dect'iuuer t. ueimar.J
Der Prinz de Ligne hat an den Herzog einen äusserst
lustigen Brief geschrieben. Ich lasse hiebei die Stelle
copiren. welche meine ,Wahlverwandt Schäften' betrifit.
Sie rechnen mir diese kleine Eitelkeit nicht hoch an:
, da sich so viele Gegner alle Mühe geben, diess Werklein
zu disereditiren, so mag es wohl auch erlaubt sein, unter
Freunden, was Freunde denken, mitzutheüen.
.,Aide dune bonne traduction^, j'ai In avec admiration
les',affiiütes electives': et je plains les hommes begueules,
5 et les femmes qui souvent le sont moins, de uavoir pas
trouve, au lieu d-immoralites qui n'existent pas, tous les
secrets du coeur humain, le developpement de miUe
choses qu'on n'a pas senties, parcequon ne reflechit pas,
des tableaux du monde, de la nature. et deux portraits
,0 piquants et neufs, Lucienne dans un genre et Eitler
dans un autre. Quel chef d'oeuvre, meme en francais
que les tablettes d-Ottilie! et que de profondeur, et
d-attachant, et d'imprevu dans cet ouvrage, ou ü y a la
,5 ^^ z'wei'iranlisiche Uebersetzungen erschienen noch im Jahre
1810. die eine (und diese scheint, nach Z. 14. der Pr.nz gelesen
u haben) unter dem Titel: .Les afünit.s elect.ves vornan de
Goethe, traduit de l'allemand tP^^ /^-^-;-^; ^'^
God:ulh. Manget et Depping]. Paris, S. E. LhmlUer, 1810, m
30 drei Bänden; zu Ihr macht J. M. Qu.rard (nach «dessen .La
" Ft^nce litt.raire' Paris 1829. 3. 394 der Titel h.er angefuhr
.vird. die Bemerkung: „Imite de l'allemand pU^ot que
rlduit". Die andre Tehersetzung nennt sich: ,Ottüxe ou le
P^voir de la Sympathie. t..duit de rallemand de Goe h •
3-, auteur de Wenher. par M. Breton. Paris, ^ ettve Lepet.t,
1810 . zwei Barde.
458 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEX. 1811
][Deceinber 7, Weimar.] [877]
plus grantle superiorite sur ceux des autres nationsl —
J'espere et Vous aussi surement, Monseigneur, que le
Major et Charlotte se consolent un peu a present, et que
s'ils ont des petites fantaisies de part et d'autre, ils se 5
les confient: ear e'est lä la seule maniere d'etre heureux
en mariage. ete/*'
Hierauf folgen einige Honnetetäten für des Autors
Persönlichkeit, wie es einem so gewandten Welt- und
Hofmanne geziemt. Treffen Sie den Prinzen irgendwo. 10
so sagen Sie ihm etwas Freundliches und Verbindliches
in meinem Xamen.
An Marianne v. Ej'benbei-g. — Br. 21, 438, 17— 439, 19.
1811.
Februar 28, Weimar. 878
Was meine Werke betrifft, sollen Sie vor allen Dingen 15
den dreizehnten Band erhalten, Velin und ordinair^.
An Zelter. — G.-Zelter 1, 429.
März 29, Weimar. 879
Hiebei folgt, lieber Freund, nach Ihrem Verlangen.
der dreizehnte Band auf milchweissem A^elinpapier und 20
also wirklich möglichst präsentabeP.
^ An Zelter. — G.-Zelter 1, 447.
^ Schon im November des vorhergehenden Jahres Latte Goethe
die neue Ausgabe des Romans dem Freunde versprochen
(vgl. Nr. 875). 25
Zelter erwiderte jetzt zunächst (in einem uudatirten Briefe):
..Dass Sie mir Undankbaren [vgl. 455, 34] den dreizehnten
Band Ihrer Werke senden wollen, ist eine schöne Sache;
denn er wandert, sobald ich ihn habe, sogleich dahin, wo
die andern zwölfe sind"; ferner am 21. Mäi-z: ..Haben Sie 30
denn noch den dreizehnten Theil Ihrer Schriften auf Velin-
papier bei der Hand, so erfreuen Sie mich, wenn Sie ihn
gleich einpacken und gerade mit der Post senden. Schon liabo
ich Meldung davon gethan, man muss Eisen schmieden,
weil's warm ist, tmd meine Sachen fangen an in Gang zu 35
kommen" (G.-Zelter 1, 487. 446;».
* Wegen Zelters „Verlangen" vgl, Z. 30—33.
Am 8, April schreibt Zelter: ,, Tausend Dank für die herr-
10
1812 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEX. 459
März 30, Weimar. S79a
[Brief] An Herrn Professor Zelter nach Berlin mit
dem dreizehnten Band meiner Werke [s. Xr. 879].
Tgb. 4, 194, 24 f.
1812.
][Mai. Karlsbad, oder November, Jena?]^ SSO
Einer mit hundert, ja tausend Gläubigen auf den Ot-
tilienberg begangenen Wallfahrt denk' ich noch immer
gern. Hier, wo das Grundgemäuer eines römischen
Castells noch übrig, sollte sich in Euinen und Stein-
ritzen eine schöne Grafentochter, aus frommer Xeigung,
aufgehalten haben. Unfern der Capelle, wo sich die
Wanderer erbauen, zeigt man ihren Brunnen und er-
zählt gar manches Anmuthige-. Das Bild, das ich mir
15 liehe Sendung. Der dreizehnte Band Iln-er Schriften ist vor-
gestern eingegangen und sofoit übergeben. Er bat Gelegen-
heit gegeben, dass ich den Roman wieder lese und mich
auf's neue daran belehre und erbaue*' (G.-Zelter 1, 447». —
Später in einem der. für Goethe bestimmten, ausführlichen
20 Reiseberichte schildert Zelter in seiner ergötzlichen Weise,
wie er bei Gelegenheit die ,Wahlverwandtschaften' gegen
eine Gesellschaft moralisirender Damen venheidigt habe
(G.-Zelter 3, 44 — 46i. Da Goethe dieser Schilderung in seiner
Antwort nicht gedenkt, mag hier der Hinweis genügen.
25 Ueber eine von Riemer in die zweite Hälfte des Jahres ISll
verlegte Aeusserung Goethes s. 431. 10—22.
' Wie Monat. Tag und Ort. so ist auch das .Jahr zweifelhaft.
* Diese „Wallfahrt" that Goethe, einundzwanzigjährig, als
Student von Strassburg aus, wahrscheinlich im Juli 1770. zum
30 Fest der Erhebung der Gebeine der heiligen Odilie. Der
Odilienberg. zu den nördlichen Theilen des Wasgaugebirgs
gehörig, liegt im Nieder-Elsass. etwa fünf Stunden in süd-
westlicher Richtung von Strassburg. Eine Abbildung des
Klosters mit der Odilien-Capelle gibt Düntzer in seiner Aus-
35 gäbe von .Dichtung und Wahrheit' (WD. 19. 67).
Nach der Sage gründete Odilie. „die Tochter des Herzogs
Eticho und der Bereswinde. im siebenten oder achten .Jahr-
460 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1812
][Mai, Karlsbad, oder November, Jena?] [880]
von ihr machte, und ihr Name, prägte sich tief bei mir
ein. Beide trug ich lange mit mir herum, bis ich end-
lich eine meiner zwar spätem, aber darum nicht minder
geliebten Töchter damit ausstattete, die von frommen 6
und reinen Herzen so günstig aufgenommen wurde.
Dichtung und Wahrheit Theil 3, Buch 11. — W. 28,
79, 12-25.
Juni 8, Karlsbad. 880a
[Gegen Abend] ,AYahlverwandtschaften'^ lo
Tgb. 4, 293, 2.
Juni 10, Karlsbad. 881
Vor E. Hochw. möchte ich nicht immer mit ganz
leeren Händen erscheinen, desswegen wünsche ich, dass
dieselben die beikommenden Hefte freundlich aufnehmen 15
und zu meinem Andenken verwahren möchten.^
An Leopold v. Lämel. — GJ. 11, 90.
] [Juni 10? Karlsbad.] 881a
Herren Leopold Edler von Lämel zu geneigtem An-
denken für besondere Gefälligkeiten dankbar, der Ver- 20
fasser^.
Widmung in ein Geschenl^exemplar. — GJ. 11, 92.
hundert das Kloster Hohenburg mit Kirchen, Capellen,
Brunnen, Kreuzgängen und hängenden Gärten. In Stein-
ritzen [459, 10 f.] hat sie sich aufgelialten, da ihr Vater, der 25
auf die Geburt eines Sohnes gezählt, sie verfolgte und ver-
jagte, aber ein Fels, auf dem sie betete, sich öffnete und sie
aufnahm. Eine Viertelstunde entfernt, am Wege nach
Niedermünster, befindet sich ihr Brunnen [4.59. 12 f.] die
Odilien-Quelle, überdacht und mit Ruhebänken an den 3C
Seiten" (G. v. Loeper, WH. 22, 279). Die wunderthätigen
Gebeine der Heiligen ruhen, in einem steinernen Sarge, in der
Odilien-Ca pelle.
Dieser Vermerk steht wohl in Zusammenhang mit Nr. 881.
' Vgl. Nr. 881a, nebst der zugehörigen Erläuterung. 35
' Diese eigenhändig geschriebene Widmung Goethes findet sich
nach G.T. 11. 92 in einem brochirten Exemplar des ersten
1813 DIE WAHLVERAVANDTSCHAFTEX. 4G1
Juni IS, Karlsbad. 881b
[Abends] Das Packet mit den ^Wahlverwandtschaf-
ten' an Lämel [s. Xr. 881. 881a].
Tgb. 4, 295, 26 f.
1813.
] [Februar? Weimar.]^ 882
Ein Gespräch über Fouques Werke, wo er einmal
recht aus sich heraus ging . . . dass er ihn eben nicht
liebt und achtet^ und dass er sich besonders „über die
vielen zerknickten, verbogenen und verzogenen ,Wahl-
verwandtschaften", die immer als neue Ragouts von der
Grundlage der seinigen von diesen neueren Schrift-
stellern uns aufgetischt würden", ereiferte, lass Dir
[Pauline Schelling] nur ganz kurz gesagt sein und entre
nous, so wie diess ganze herrliche Gespräch ein freund-
liches ,Entre nous' war, das er hundertmal abbrach
und doch immer wieder anfing mit tausend: „Sei still!"
— „'s ist gut!" — „Lass mir diess Fieber, diese Eötheln
der Zeit ruhen; ich werde sie auch noch überleben"'
wieder unterbrach — und dabei so liebenswürdig war,
dass ich dem Himmel für diese Stunden ewig dankbar
sein werde.
Mit Luise Seidler. — Gespräche 3, 75^
Druckes der ,WahlYerwandtscliaften' (auf der Innenseite des
25 vorderen Umschlags); vgl. Nr. 881.
* Luise Seidlers Brief, dem das Folgende entnommen ist, trägt
das Datum 4. März 1813.
' Diese Behauptung wird, wo nicht völlig widerlegt, so doch
eingeschränkt durch manche Aeusserungen Goethes gegen
30 Fouque selbst und gegen Andere, so gegen Eckermann (1828
October 3) über die schon 1811 erschienene ,Undine' (vgl. Ge-
spräche 6, 3.30 f.. auch ebenda 3, 93 und öfters).
* Aus , Erinnerungen und Leben der Malerin Louise Seidler'
von Hermann L^hde (zweite umgearbeitete Auflage, Berlin,
35 Verlag von Wilhelm Hertz. 1875 S. 87 f.).
— Als zu den Jahren 1813 und 1814 gehörig sei hier eines
Ereignisses gedacht, das Riemer in seinen , Mittheilungen'
(2, 608) erzählt: „Der rothe Faden, der nun aus den
462 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 181.'
1815.
October 5, zwischen Karlsruhe und Heidelberg. 883
unterwegs kamen Avir dann auf die ,Wahlverwandt-
schaften' zu sjDrechen. Er legte Gewicht darauf, wie
rasch und unaufhaltsam er die Katastrophe herbeige- 6
führt. Die Sterne waren aufgegangen: er sprach von
seinem Yerhältniss zur Ottüie, wie er sie lieb gehabt,
und wie sie ihn unglücklich gemacht. Er wurde zuletzt
fast räthselhaft ahndungsvoll in seinen Eeden.
Mit Sulpiz Boisserße. — Gespräche 3, 254. lo
November 27, Weimar. 883a
* Koetlie ,Wahlverwandtschaften^^
Agenda 1815. — Tgb. 5, 306, 14.
1816.
December 18, Weimar. 884 15
Paquet an Cotta mit dem dreizehnten und vierzehnten
Band meiner Werke (fahrende Post)-.
Tgb. 5, 295, 19 f.
»Wahlverwandtschaften' [Theil 2 Capitel 2. 4, W. 20, 212.
14—20. 238, 6] für alle Welt zur Phrase geworden, hatte für 2o
Goethe den realen und reellen Erfolg, dass im Jahr 1813, als
die englische Flotte vor der Elbe lag. ein Oberwundarzt der-
selben, HeiT .lohn Forbes. nachdem er in Hamburg von einer
Freundin Goethes erfahren, dass dieser in den ,Wahlver-
wandtschaften' von dem rothen Faden der englischen Schiffs- 25
taue spreche, in der Freude darüber sich augenblicklich er-
bot, ein Stücli eines solches Taues an den Dichter zu senden,
mit der Bitte, er möge es als einen Beweis seiner hohen
Achtung annehmen. Es geschah durch eben jene Freundin,
und Goethe zeigte es uns am 9. .Januar 1814 mit billigem Be- so
hagen vor".
^ Es handelt sich hier vielleicht um ein Geschenkt^xemplar des
Romans für den Professor der Theologie und Archidiakonus
Koethe in Jena, den Gatten von Goethes Freundin Silvie von
Ziesesar. Goethe hatte ihn bei seinem letzten Aufenthalt in 85
Jena (vom 19. bis 24. November) besucht, das Tagebuch ver-
merkt unter dem 20. November: ..Bei Koethe"; da ist viel-
leicht von den .Wahlverwandtschaften' gesprochen worden.
* Band 14 die ,Wahverwandtschaften'. Feber den Inhalt von
Band 13 s. 317. 3—5. *o
1817 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 4(13
1817.
Februar 8, Weimar. 885
* Vierzehnter Band^ Cotta.
Agendabogen 1817. — Tgb. 6, 281, 22.
5 Februar 11, Weimar. 886
[Früh] Briefe: An Cotta wegen des vierzehnten
Bandes. . . . -
Tgb. 6, 12, 4.
April 18, Jena. 887
10 [Vormittags Brief] An Doctor Cotta nach Stutt-
gart. . . wegen des vierzehenden Bandes".
Tgb. 6, 38, 22—24.
1819.
März [Anfang]. Weimar. 888
15 [Zu 1S09. — In dem chronologischen Verzeicliniss
von Goethes Scliriften aus dem Jahre 1819 (s. Nr. 90)
heisst es -unter]
]809: Die ,"\VahlTerwandtschaften^
Summarische Jahresfolge Goethescher Schriften. — WH.
20 29, 325.
1830.
Januar 6, Weimar. 8S8a
[Xaclimittags] Die ^Wahlverwandtschaften' zu lesen
angefangen.
25 Tgb. 7, 126, 5 f.
^ Den vierzehnten Band der Werke Cotta- bilden die .Wahl-
verwandtschaften'. Das hier auf einem einzelnen Foliobogen,
mit vielem Anderen, zur Erledigung Vorgemerkte, später als
erledigt Gestrichene bezieht sich auf den in Nr. 886 genannten
30 Brief an Cotta.
Wenn auf der zweiten Seite des eben genannten Agenda-
foliobogens nochmals zu lesen ist:
„♦Cotta vierzehnter Band deralten Ausgabe"
so bezieht sich das wohl auf die gleiche Angelegenheit, denn
35 die „alte Ausgabe" (Werke Cotta- in zwölf Bänden) erhielt
erst im Lauf des Jahres 1817 einen vierzehnten Band, und
zwar dadurch, dass für die Besitzer der Werke Cotta^ acht
Bände (Band 13—20) der neuen Ausgabe (Werke Cotta-j als
Supplemente der alten ausgegeben wurden.
40 = Vgl. die vorhergehende Erläuterung.
464 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 182:^
1821.
September 7, Eger. 889
Der sehr einfache Text dieses weitläufigen Büchleins
sind die Worte Christi: Wer ein Weib ansieht.
ihr zu hegehren etc. Ich weiss nicht, ob irgend 5
jemand sie in dieser Paraphrase wieder erkannt hat.
Dem eigentlichen Sinne des Dichters gemäss war folgen-
de Erfahrung. Eine sehr schöne, liebenswürdige. Junge
Frau gestand ihm: sie habe die ,Wahlverwandtschaf-
ten' gelesen und nicht verstanden; sie habe sie nicht lo
wieder gelesen, und verstehe sie jetzt. Mehr sagte sie
nicht; aber wahrscheinlich hatte sie der innere Beicht-
vater, bei ähnlichen überraschenden Eegungen, auf jene
Erfahrungen und Folgen hingewiesen und heilsame
Warnungen angedeutet. i5
An Zauper. — Zauper 2, 219 f.
1822 oder 1823.
][Deeember 1822 oder Januar 182.3, Weimar.] 890
[Zu 1807 und 1808.] Die . . kleinen Erzählungen-
beschäftigten mich in heitern Stunden, und auch die 20
,Wahlverwandtschaften' sollten in der Art kurz behan-
delt werden. Allein sie dehnten sich bald aus; der Stoff
war allzubedeutend, und zu tief in mir gewurzelt, als dass
ich ihn auf eine so leichte Weise hätte beseitigen können.
.Pandora' sowohl als die ,Wahlverwandtschaften' 25
drücken das schmerzliche Gefühl der Entbehrung aus,
und konnten also nebeneinander gar wohl gedeihen. . .
das Schema der ,Wahlvenvandtschaften' war weit ge-
diehen, und manche Vorarbeiten theilweise vollbracht^.
Tag- und Jahres-Hefte 1807. — W. 36, 28, 3—12. 14—16. 30
* Die ,Neue Melusine', der ,Mann von fünfzig Jahren', die
.Pilgernde Thörin', vgl. Nr. 1807.
^ Goethe fasst hier die Arbeit der Jahre 1807 und 1808 in Eins
zusammen, ebenso wie in Bezug auf ,Pandora*, und nennt
beide Dichtungen in den Tag- und Jahres-Heften von 1808 35
überhaupt nicht.
1822 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 465
][December 1822 oder Januar 1823, Weimar.] 89]
[Zu 1809.] Dieses Jahr muss mir in der Erinnening,
schöner Resultate wegen, immer lieb und theuer
bleiben^; . .
5 Was ich mir . . in Jena zu leisten vorgenommen-,
sollte eigentlich durch einen ganz ununterbrochenen
Aufenthalt begünstigt sein; dieser war mir Jedoch nicht
gegönnt; unerwartete Kriegsläufte drangen zu und
nöthigten zu einem mehrmaligen Ortswechsel.
10 ... Um von poetischen Arbeiten nunmehr zu sprechen»
so hatte ich von Ende Mai's an^ die ^Wahlverwandt-
schaften', deren erste Conception mich schon längst be-
schäftigte, nicht wieder aus dem Sinne gelassen. Nie-
mand verkennt an diesem Eoman eine tief leidenschaft-
15 liehe Wunde, die im Heilen sich zu schliessen scheut.
ein Herz, das zu genesen fürchtet. Schon vor einigen
Jahren war der Hauptgedanke gefasst, nur die Aus-
führung erweiterte, vermannichfaltigte sich immerfort
und drohte die Kunstgränze zu überschreiten. Endlich
20 nach so vielen Vorarbeiten bestätigte sich der Ent-
schluss, man wolle den Druck beginnen, über manchen
Zweifel hinausgehen, das eine festhalten, das andere
endlich bestimmen*.
In diesem raschen Vorschritt ward ich jedoch auf ein-
25 mal gestört; denn indem man die Nachrichten des ge-
waltsamen Vordringens der Franzosen in Oesterreich
' Zu diesen „Resultaten" gehört auf dem Gebiete der Dich-
tung die Vollendung und das Erscheinen der ,Wahlverwandt-
schaften'.
30 * Die Vollendung und Drucklegung der .Wahlverwandtschaf-
ten', und die Fortführung der .Geschichte der Farbenlehre'.
• Schon am 15. April begann die regelmässige Arbeit an der
Dichtung (vgl. Nr. 695).
* ..Das eine" die Drucklegung, ,,das andere" die Zweifel er-
35 regenden Stellen des Romans.
Graf, Goethe iiljer seine Dichtungen T. I. 30
466 DIE WAHLYERWANDTSCHAFTEX. 1823
][December 1822 oder Januar 1823, Weimar.] [891]
mit Bangigkeit vernommeii hatte, begann der König
von Westfalen einen Zug gegen Böhmen, wesshalb ich
den 13. Juni nach Weimar zurückgingt Die Xach-
richten von dieser sonderbaren Expedition waren sehr 5
ungewiss, als zwei, dem Hauptquartier folgende, diplo-
matische Freunde, von Eeinhard und Wangenheim,
mich unerwartet besuchten, einen unerklärlichen Rück-
zug rcäthselhaft ankündigend. Schon am 15. Juli kommt
der König nach Weimar, der Eückzug scheint in. Flucht 10
auszuarten und gleich am zwanzigsten ängstigt das
umherstreifende Oelsische Corps uns und die Nachbar-
schaft. Aber auch dieses Grewitter zieht schnell in nord-
westlicher Eichtung vorüber, und ich säume nicht am
dreiundzwanzigsten Juli wieder nach Jena zu gehen-. 15
Unmittelbar darauf werden die ,Wahlverwandt-
schaften' in die Druckerei gegeben, und indem diese
fleissig fördert, so reinigt und rundet sich auch nach
und nach die Handschrift, und der 3. October befreit
mich von dem Werke^, ohne dass die Empfindung des 20
Inlialts sich ganz hätte verlieren können.
Tag- und Jahres-Hefte 1809. — W. 36, 42, 7 f. 14—18. 43,
21^5, 2.
1833>
August, zwischen 11 und 21, Marienbad. 892 25
[Zu 1809.] . . . 1809: Les ,affinites electives, Eoman.
Tabellarische Uebersicht der ,Ouvrages poetiques de
Goethe'. — GJ. 15, 18.
^ Goethes Tagebuch (4, 36, 14 f.) vom 13. Juni: ..Nach Tische
abgefahren. Nachrichten von Bewegungen der Oestreicher". 30
* Für diese Zeit vgl. Goethes Tagebuch vom 14. bis 20. Juli;
nach diesem wird es oben (Z. 7) wahrscheinlich ..Gem-
mingen" statt ., Wangenheim" heissen müssen, wie Düntzer
(WD. 25, 5 Erl. zu Z. 11) als gewiss bezeichnet.
" Die Durchsicht des letzten Revisionsbogens fiel auf den 35
4. October (s. Nr. 843).
1823 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 467
October 21, Weimar. 892a
Ich [Eckermann] war diesen Abend bei Goethe. "Wir
sprachen über die ,Pandora'. . . .
. . . Ich sagte ihm, dass ich wegen dieses Gediclits
nicht ganz mit Schu])artli zufrieden, der darin alles das
vereinigt finden wolle, was im ,Werther', ,\Vilhelm
Meister', ,Fanst' und ,Wahlverwandtschaften' einzeln
ausgesprochen sei, wodurch doch die Sache sehr un-
fasslich und schwer werde.
„Schubarth", sagte Goethe, „geht oft ein wenig tief;
doch ist er sehr tüchtig, es ist bei ihm alles prägnant".^
Mit Eckermann. — Gespräche 4, 295 f.
'■ Die Aeusserung, welche Ecliermann im Sinne hat, findet
sich in Schubarths Werli ,Zur Beurtheilung Goethes' 1, 32 f.:
15 „I'nd so ist das Verhältniss der ,Walilverwandtschafteu' das
nemliche zum , Faust', wie der , Lehrjahre Wilhelm Meisters'
zu ,Werthers Leiden'. Sie lösen auf dieselbe Weise den-
selben, noch einmal anders geknüpften Knoten. Bildung
stellt das Gleichgewicht und ein ebenes Verhältniss des
20 Menschen zur Natur her, wie Uebung der Tugend und
höchsten Pflicht es allein abwendet, dass das Gefühl und
Bewusstsein von der Gottheit und dem Göttlichen für den
Menschen nicht verderblich werde, ihn verwüste und zer-
störe.
25 Diese vier Richtungen, in einem gewissen Ebenmasse, nicht
in so gewaltigen Gegensätzen, nur sehr gelinde, gegen einan-
der sich bewegend, die im , Werther' und , Meister', im , Faust'
und in den ,Wahlverwandtschaften' einzeln veranschaulicht
sind, zu einer Gesammtanschauung wiederholt, in die An-
30 schauung des, bei allen seinen verschiedenen, bald unzuläng-
lich, bald widersprechend erscheinenden Kräften dennoch sich
harmonisch hervorthuenden, auf diesen Widerstreit gegrün-
deten und hierdurch allbegabteu und allbegabeuüen Welt-
ganzen aufgelöst, erzeugten jene eigenthümliche, von allen
35 vorigen späteste Production der , P a n d o r a ', die auch
noch in einem anderen, zweiten Sinne A 1 1 g a b e des Goethe-
schen Vermögens genannt werden kann, wie jene frühern
vorgehenden Leistungen einzelne Gaben des Goetheschen
Talents sind".
468 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1824
MHrz 30, Weimar. 893
Abends bei Goethe. Ich [Eckermaim] war allein mit
ihm. . . . Wir kamen . . auf die ^Wahlverwandtschaf-
ten' zu reden, und Goethe erzählte mir von einem durch- s
reisenden Engländer, der sich scheiden lassen wolle,
wenn er nach England zurückkäme. Er lachte über
solche Thorheit und erwähnte mehrere Beispiele von
Geschiedenen, die nachher doch nicht hätten voneinan-
der lassen können. lo
„Der selige Eeinhard in Dresden", sagte er, „wunderte
sich oft über mich, dass ich in Bezug auf die Ehe so
strenge Grundsätze habe, während ich doch in allen
übrigen Dingen so lässlich denke. "^
Diese Aeusserung Goethes war mir aus dem Grunde i5
merkwürdig, weil sie ganz entschieden an den Tag legt,
wie er es mit jenem so oft gemissdeuteten Eomane ei-
gentlich gemeint hat.
Mit Eclvemiann. — Gespräche 5, 60.
December 3, Weimar. 894 20
^Die Wirkung der ,Mitschuldigen' ist ganz die rechte
Ein sogenanntes gebildetes Publicum will sich selbst auf
^ Den Oberliofpredigor Reinhard aus Dresden hatte Goethe
1807 in Karlsbad kennen gelernt. Goethe spricht, in den Tag-
und Jahi'es-Heften über diesen Badeaufenthalt, mit hoher 25
A'^erehrung von Reinhards „fein ausgebildetem Geiste" und
gedenkt auch der mit ihm geführten ,, sittlichen, das Unver-
gängliche berührenden Gespräche" (W. 36. 15, 25—16, 21).
Ob eine der obigen Aeusserungen Reinhards im Anschluss
an eine Unterhaltung über die .Wahlverwandtschaften' ge- so
schah, ist zweifelhaft, doch sehr wohl möglich, so zum Bei-
spiel bei Gelegenheit von Goethes Aufenthalt in Dresden
und Besuch bei Reinhard am 23. September 1810 (Tgb. 4,
155, 17 f.).
' Nur mittelbar hat die nachfolgende Aeusserung Bezug auf 35
die .Wahlverwandtschaften', indem sie die Antwort ist auf
folgende Mittheilung Zelters aus Berlin, vom 27. November:
1S24 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEX. 4G9
[Deceinber 3, Weimar.] [894j
dem Theater sehen und fordert ungefähr eben soviel
vom Drama als von der Societät; es entstehen Conve-
nancen zwischen Acteur und Zuschauer; das Volk aber
ist zufrieden, dass die Hanswurste da droben ihm
Spässe vormachen, an denen es keinen Theil verlangt.
Uebrigens, könntest Du lesen, was ich über das Stück,
ich weiss nicht wo, gesagt habe, so würdest Du es mit
den Gefühlen des ersten Eanges ganz gleich gestimmt
finden^.
An Zelter. — G.-Zelter 3, 467 f.
„So habe ich die .Mitschuldigeu" gestern zum erstenmale in
meinem Leben und zwar recht gut gesehn". Er habe „die
Herzhaftigkeit der Direction wie ihre Kenntuiss des vor-
15 städtischen Publicums bewimdert, das, jedes gute Schau-
spiel gern sehend, in Dreistigkeit seines Beifalls sich hervor-
zuilmn wusste gegen den ersten Rang, wo ich heut meinen
Platz hatte.
Die Wirkung des Stücks auf uns als den ersten Rang
20 möchte ich mit der Wirkung der .Wahlverwandtschaften'
vergleichen, indem sie geistig ist ohne wohlthuend zu sein"
(G.-Zelter 3, 462 f.).
' Die Goethe vorschwebende Stelle findet sich in .Dichtung
und Wahrheit' Theil 2 Buch 7 und lautet: ..Die .Mitschul-
23 digen' sind das einzige fertig gewordene (Stück), dessen heite-
res und burleskes Wesen auf dem düsteren Familiengrundo
als von etwas Bänglichem begleitet erscheint, so dass es bei
der Vorstellung im Ganzen ängstiget, wenn es im
Einzelnen ergötzt. Die hart ausgesproche-
30 nen widergesetzlichen Handlungen ver-
letzen das ästhetische und moralische Ge-
fühl, und dess wegen konnte das Stück auf dem deutschen
Theater keinen Eingang gewinnen. . ." (AV. 27, 114. 8 — 16).
Die in Frage kommenden Worte dieser Stelle (sie sind hier
35 durch Sperrdruck hervorgehoben) dürfen jedocli keineswegs
als ein L'rtheil angesehen werden, das Goethe über die
, Wahlverwandtschaften' hätte fällen wollen. Fm so mehr
möchten sie der Empfindung entsprechen, die manche Zeit-
genossen Goethes dem Roman gegenüber gehabt haben.
470 DIE AVAHLVEKWANDTSCHAFTEN. 1825
1825.
] [Mai 3? Weimar.]^ 895
[Zu 1810.] Bezüglich auf die Eeclite des Autors
musste man merkwürdig finden, dass Minister Porta-
lis bei mir anfragte: ob es mit meiner Bewilligung gc- 5
schehen könne, dass ein Kölnischer Buchhändler die
^Wahlverwandtschaften' abdrucke? Ich antwortete dank-
bar in Betreff meiner, verwies aber die Angelegenheit
an den rechtmässigen Verleger^. So viel höher standen
schon die Franzosen im Begriff von geistigem Besitz und lo
gleichem Eecht des Höhern und Xiedern, wozu sich die
guten Deutschen wohl sobald nicht erheben werden.
Tag- und Jahres-Hefte, 1810. — W. 36, Gl, 3-12.
][Mai 4, Weimar.] 896
[Zu 1811.] Von Personen, die dieses Jahr in Weimar is
eingesprochen, find' ich folgende bemerkt: Engel-
hard t , Architekt von Cassel, auf seiner Durchreise
nach Italien. Man wollte behaupten, ich habe ihn in
früherer Zeit als Musterbild seines Kunstgenossen in
den ,Wahlverwandtschaften' im i^uge gehabt^. ... 20
Tag- und Jahres-Hefte, 1811. — W. 36, 70, 18—23.
Zelter antwortet am 10. December, indem er zugleich ab-
schriftlich seinen Brief an einen Dritten mittheilt, worin er
über das Stücli^, die .Mitschuldigen', sagt: „ . . doch ist es
eben darum von keiner angenehmen Wirkung, weil es 25
vor jede Thür tritt, weil es die Guten mittrifft, und so habe
ich es mit den , Wahlverwandtschaften' verglichen, wo auch
die Besten was zu verheimlichen haben und sich selber an-
klagen müssen nicht auf dem rechten Weg zu sein.
... In Summa: halten wir uns so schön als wir mögen; 30
gerecht ist keiner und der Psalmist hat uns längst vorgebetet:
Herr, gehe nicht in's Gericht mit Deinem Knecht, denn vor
Dir ist kein Lebendiger gerecht" (G.-Zelter 3, 474).
^ Vielleicht schon in früherer Zeit geschrieben.
' Vgl. Goethes Brief an Portalis, Nr. 875a. 35
* Nach Goethes Tagebuch von 1811 (4, 176, 15—17. 177, 2) be-
suchte Engelhardt den Dichter am 3. Januar Vormittags und
1S25 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 471
Juli 23, Weimar. 897
Ew. Wohlgeboren erhalten hiebe! die ,"Wahl Verwandt-
schaften' und jWanderjahre' nach Gelegenheit gefälligst
durchzugehen . .^
An Göttling. — G.-Gottling S. 9.
speiste am 4. Januar zu Mittag bei ihm. Im Jahre 1809 ver-
merkt Goethe Engelhardts Besuch am 26. Januar (Tgb. 4. 7,
11—13) und schreibt am 22. Februar, mit Bezug darauf, an
Bettina Brentano: „Neulich war ein s c h 1 a n li e r
10 Architekt von Cassel hier, auf den Du auch
magst Eindruck gemacht haben" (Br. 20, 299,
3—5; vgl. Bettinas Brief vom 9. November 1809, G.-Bettina
2, 141 f.).
Hier erinnert uns dieses . eine, bezeiclmende Beiwort
15 „schlank" sogleich an den Architekten der ,Wahlvei-wandt-
schaften', von dem es im ersten Capitel des zweiten Theils
heisst, er sei „ein Jüngling im vollen Sinne des AVorts" ge-
wesen. ,, wohlgebaut, schlank, eher ein wenig zu gross" (W.
20, 199, 19 f.).
20 In Riemers Tagebuch lesen wir schon unter dem 24. No-
vember 1808: „Architekt Engelhardt Avar 1808 im Spätherbst
nach Weimar gekommen. Goethe hat ihn in seinen ,Wa]il-
verwandtschaften' so zu sagen porträtirt; wenigstens glaubte
alle Welt ihn in dem jungen dort geschilderten Manne zu
25 erkennen" (Deutsche Revue 11 (4), 35). Vgl. auch 432, 5, und
Bertuchs briefliche Aeusserung gegen Böttiger vom 12. Ja-
nuar 1811: ,.Herr Engelhardt war v©r zwei Jahren hier, wo
er im Schopenhauerschen Kreise Goethe gefiel, der ihn als
Architekt in den , Wahlverwandtschaften' aufgeführt hat"
30 (GJ. 10, 155).
' In Bezug auf Sprachrichtigkeit und Interpunction, für den
bevorstehenden Druck in der , Ausgabe letzter Hand'. Die
.Wahlverwandtschaften' sandte Goethe in einem Exemplar
von Band 14 der Werke Cotta-, gleichzeitig von derselben
35 Ausgabe Band 3 und 4, die , Lehrjahre' enthaltend, denn
so, nicht , Wanderjahre' muss es oben Z. 3 heissen, wie aus
Goethes Tagebuch vom 23. Juli 1825 (Nr. 898), noch deutlicher
aus Götclings Brief an Goethe vom 27. September 1825 hervor-
geht, vgl. W. 22, 361.
472 DIE WAHLVEinVANDTSCHAFTEX. 182G
Juli 23, T\'eimar. 898
[An] Herrn Professor Göttling die ,Wahlverwan(lt-
schaften' und , "Wilhelm Meister', nach Jena [s. Xr. 897].
Tgb. 10, 82, 11—13.
October 8, Weimar. 899 5
E. W. verfehle nicht anzuzeigen: dass die sämmtlichen
beigeschriebenen Correcturen der Bände 14. 15. 16
dankbar gebilligt, auch anderes bemerkt und nachge-
tragen habe^. . . .
Uebrigens billige gern wegen mehre und g y p - lo
s e n e- die vorgeschlagene Form und bitte fernerhin um
geneigten Antheil.
An Göttling. — G.-Göttling S. 10.
1836.
Februar 1, Weimai-". 900 15
Band 1-1: ,Die Wahlverwandtschaften'*.
Anzeige von Goetlies sämmtlichen Werken, Vollstän-
dige Ausgabe letzter Hand. — WH. 29, 351.
September 19, Weimar. 901
Jahrzehnte haben wir uns mit Berthollet in den Wahl- 20
Verwandtschaften abgemüdet, die man jetzt so wenig als
meinen Eoman will gelten lassen^.
An K. V. Stemberg. — G.-Stemberg S. 165.
^ Band 14 enthielt die , Wahlverwandtschaften' (vgl. Nr. 897),
Band 15. 16 .Benvenuto Cellini', 2
^ In Theil 2 Capitel 5 (W. 20, 248, 7) stand bis dahin „ein
gypsernes oder ein lebendes Haupt". Göttling schlug statt
dessen die Form „gypsenes" vor. die dann, wie die obigen
Worte zeigen, mit Goethes Zustimmung, in die Ausgabe
letzter Hand übergegangen ist. (Auffallender Weise schreibt jq
dagegen die Weimarer Ausgabe, mit zwiefacher Aenderuug,
,, gipsernes", und gibt in den Lesarten für den dritten Druck
(1817) irrig die Form ,, gypsenes" an).
« Tgl. 32. 31—33.
* Durch die, während des Druckes herbeigeführte, Aenderung 35
der geplanten Reihenfolge rückte der Roman vor in Band 17,
während in Band 14 dramatische Dichtungen Platz fanden.
" Die oben (386, 17) erwähnte Lehre Bergmans von den
1827 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 473
1827.
Januar 21 Abends, Weimar. ^02
Ich [Eckermann] ging diesen Abend halb Acht zu
Goethe und blieb ein Stündchen bei ihm. . . .
5 ... „Da will ich Ihnen doch etwas zeigen", sagte
Goethe, „das für Sie Interesse haben wird. Reichen Sie
mir doch einen der Bände, die vor Ihnen liegen. Solger
ist Ihnen bekannt?" — Allerdings, sagte ich, ich habe
ihn sogar lieb. . . . „Sie wissen, er ist vor mehrern
10 Jahren gestorben", sagte Goethe, „und man hat jetzt
eine Sammlung seiner nachgelassenen Schriften und
Briefe herausgegeben^ . . seine Briefe sind vortrefflich.
In einem derselben schreibt er an Tieck- über die ,Wahl-
chemisclien Wahlverwandtschaften war durch BerthoUet
15 theils weiter ausgeführt, theils bekämpft worden, gegen
dessen Ansichten nunmehr Berzelius xmd andere Forscher
auftraten.
^ Solger war schon 1819 gestorben. Aus seiner Hinterlassen-
schaft erschienen in zwei Bänden .Solger's nachgelassene
20 Schriften und BriefAvechsel. Herausgegeben von Ludwig
Tieck und Friedrich von Raumer. Band 1. 2. Leipzig:
F. A. Brockhaus. 1826.'
^ Dieser Brief findet sich in Solgers nachgelassenen Schriften
1. 175—18.5. mit der Ueberschrift ,,Uel)er die Wahlver-
25 wandtschaften", ohne Angabe eines Adi'essaten und ohne
Datirung. Nach den Daten des unmittelbar vorhergehenden
und des nachfolgenden Briefes zu schliessen, ist er nicht vor
dem 19. November 1809 geschrieben, gehcirt aber noch diesem
Jahre an.
30 An Tieck, wie Goethe sagt, kann der Brief nicht wohl
gerichtet sein, da Solgers Bekanntschaft mit Tieck erst im
Jahre 1810 begann (der erste an Tieck gerichtete Brief ist
vom 7. Juni 1811, Solgers nachgelassene Schriften 1, 214 f.).
Auch bev.eisen schon die Worte „Ihr werdet Euch das Wahre
35 herausfühlen" (s. unten 476, 14 f.) gegen Tieck als Adressaten.
Am ehesten möchte man, gerade aus den eben angeführten
Worten, schliessen, dass der Brief an ein Mitglied des so-
genannten ,, Freitags" gerichtet sei. eines, von der Universi-
tätszeit her bestehenden, Vereins von Studiengenossen, zu
474 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1827
[Januar 21 Abends, Weimar.] [902]
Verwandtschaften', und diesen muss ich Ihnen vorlesen,
denn es ist nicht leicht etwas Besseres über Jenen Eoman
gesagt worden."
Goethe las mir die treffliche Abhandlung vor^, und wir
dem Solger, Krause, Heinrich Voss, Rudolf Abeken und
andere gehörten, deren Briefe unter den Mitgliedern die
Runde zu machen pflegten (vgl. Vossbriefe S. 137 oben).
Abeken ist als Adressat nicht anzunehmen, da Solger an
diesen am 28. October 1810 sehreibt: „Wie gern setzte ich lo
Dir meine Gedanken über die ,Wahlverwandtschaften' aus-
einander, deren sich mir eine ganze Kette au dieses Werk
gefügt hat. . . . Was Du darüber gesagt [s. 438, 31], ist
sehr schön; ich habe wieder manche andei-e Seite aufgefasst,
besonders au der Natiu-ansicht darin" (Solgers nachge- 15
lassene Schriften 1, 203 f.).
^ Solger schreibt: .,Wenn ich meine vorläufige Meinung über
die .Wahlverwandtschaften* sagen soll, so muss ich schon
diessmal nach Art der Recensenten, die freilich nicht meine
Lieblingsart ist, mit etwas allgemeiner Theorie anfangen. 20
Doch bitte ich recht sehr, diess nur als ein vorläufiges Wort
anzusehen. Es ist hier wieder ein unerschöpfliches Kunst-
werk, ein immcnsum infinitumque, und ich kann noch bloss
vom ersten Eindruck sprechen.
. . . Ich möchte die Hoffnimg fassen, dass aus diesem 25
Werke, dergleichen ich lange eins gcM'ünscht habe, den
Menschen einmal ein Licht aufgehen werde über das Schick-
sal überhaupt, und besonders in der antiken Kunst, worüber
alle neueren Kunstrichter unaufhörlich sprechen, und das
keiner so verstanden hat, w^ie ich. Was icli aber darüber 30
denke, ziehe ich nicht bloss aus der Gestalt der Kunstwerke
ab, sondern ich sehe es in seinen innersten Gründen ein.
Avelche ich hier nicht entwickeln kann.
Die ganze alte Welt ist die Welt der Gattung als eins
und aus Einem Stücke. Das Ebenbild Gottes in ihr ist als 35
die Idee der gesammten Menschheit erschienen, und es gab
nur Menschen innei'halb der Nationen. Es gab also auch
nur ein Geschick der Menschheit: denn diese war die erste
Erzeugimg Gottes, die zweite erst setzte einzelne Menschen
ab. Diese Einzelnen konnten daher nur bestehen, so lange 40
1827 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 475
[Januar 2i Abends, Weimar.] [902]
besprachen sie punctweise, indem wir die von einem
sie (las Geschick der Menscliheit au dem ihrigen machten:
wollten sie ihr eigenes für sich haben, so wurden sie von
5 jenem allgemeinen ergriffen und zertrümmert. Diess be-
weist nicht allein die Kunst, welche es in seineu tiefsten
Keimen darstellt, sondern auch die Geschichte in den
höchsten Resultaten mit ihren Verbannungen, Ostracismen
u. s. w. Kein grosser Mann Griechenlands, der es durch
10 seine Individualität war, ist anders als im Elende gestorben.
AVas ist nun aber jenes allgemeine Geschicli der Mensch-
heit? Aeusserlich, was das Geschlecht begräuzt, die ph\si-
sehen Gebrechen, denen jeder unterworfen ist; innerlich die
nothwendige Art zu denken, die unwillkürliche Verknüpfung
15 der Gedanken, die in dem Grossen und Kleineu, dem Edlon
und Schlechten dieselbe ist. Und dass er diesen allgemeinen
Gesetzen nicht entweichen kann, das stürzt eben den Ein-
zelnen. Das Drama ist die wahrste Darstellung der Gattung
als des Erstgebornen und des Individuums als des Zweiten.
20 Die alte Kunst ist also in ihren innersten Gründen drama-
tisch; selbst in der Erzählung, wie bekannt, im Homer.
Ich übergehe die sogenannte romantische AVeit, welches
mich zu weit führen würde, und komme auf die moderne.
Hier ist das Erstgeborne das Individuum, welches das
25 Ebenbild Gottes in sich trägt. Und zwar trägt es dasselbe
in sich nicht als das Allgemeine oder als den absoluten
Gott, sondern als das, welches gerade diesen bestimmten
Punct endlicher Erscheinung (welchen wir eben Individuum
nennen) mit seinem eigenen, durchaus nur ihm gehörigen
30 Wesen beseelt. Es kann also heut zu Tage jeder seinen Gott
nur in sich selbst finden und auch seine Philosophie und
seine Kunst, oder wie Ihr es nennen wollt. Das Zweite ist
die Gattung, und um kurz zu sein, sage ich nur, der Mensch
lebt in der Gattung durch Anschauung aller übrigen Indi-
35 vidualitäten, welches das System der Ehre und der zweck-
mässigen Staatseinrichtungen bildet. Sein Geschick aber
ist seine Individualität, oder (recht verstanden) sein Charak-
ter, und der Ausdruck dieses Geschicks die Liebe und
Freundschaft. Nur dadurch kann ihm das Ebenbild Gottes
40 in ihm zugleicli wirklich werden. Der Mensch hat jetzt
kein anderes Geschick als die Liebe. Wer seiner Indivi-
476 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEX. 1827
[Januar 21 Abends, Weimar,] [902]
grossen Charakter zeugenden Ansichten und die Conse-
dualitüt sein Yei'hältuiss zu der Gattung unterwii-ft, oder
diess mit ihr vereinigt, der kommt durcli. Und das stellt die
Kunst im Roman dar. Alle heutige Kunst beruht auf dem 5
Roman, selbst das Drama (.Iphigenia', ,Tasso'). Wer seine
Individualität falsch versteht und meistert, oder (wie Krause
so wahr sagt) die Stimme des Gewissens überhört und dem
klügelnden Verstände folgt, der geht unter. Und das ist
der Gipfel der heutigen Kunst, der tragische Roman. Bei 10
den Alten gibt es dagegen eine (so zu sagen) i'omantische
Tragödie, wo der Charakter gerechtfertigt und im Sturze
selbst verklärt wird (,Oedipus in Kolonos').
Alles diess ist von mir sehr roh hinge.stellt. Ihr werdet
Euch das Wahre herausfühlen. Die protarelios äte [das 15
heisst: der erste, alles folgende Unheil veranlassende. Frevel,
nach dem .Agamemnon" des Aeschylos V. 1151] liegt hier
nicht bloss in dem Entschlüsse, den Hauptmann und Ottilien
kommen zu lassen, sondern schon in dem schwankenden Zu-
stande, in dem die weislich von Gott getrennte Verbindung 20
Eduards und seiner ehemaligen Geliebten, die ihm noch
dazu selbst Ottilien bestimmte, doch geschlossen wird. Aber
hier sind eben die Motive gerade in einander gewirrt, wie
es sein muss, wo Unheil entstehen soll. Ich denke, niemand
wird hier verkennen, wie im Verlaufe der Handhmg selbst 25
alles von den Individualitäten ausgeht, und diese immer ein-
seitiger werden (besonders Eduard), je mehr sie gegen die
Umgebungen zu kämpfen haben. Diese Betrachtung, dass sio
dadurch einseitiger werden, rechtfertigt mir auch den
Eduard, der mir sonst zu wenig seiner selbst mächtig ist. 30
Und doch bin ich niclit ganz mit ihm zufrieden. Ich glaube,
alles würde gewonnen haben, wenn er innerlich grösser
wäre, und doch fallen müsste. Aber das Grösste und Heilig-
ste darin ist wahrlicli die so tief innerliclie Ottilie, die ihr
keusches Inneres herausgeben muss an den Tag des Schick- 35
sals, der dieser Sturm ihre Knospe aufweht und ihren
heiligen Blüthenstaub verstreut. Und göttlich ist es, dass
auch ihr erhabener Vorsatz und ihr Gelübde nichts mehr
hilft. Sie kann ihre eigene innere Macht nur noch dazu an-
wenden, sich durch sich selbst zu vernichten. So ist es 40
gründlich durchgeführt.
1827 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 477
[Januar 21 Abends, Weimar.] [902 J
qneiiz seiner Ableitungen und Folgerungen bewunder-
Die vielen Reflexionen und Beobaclitungen sind recht
charakteristisch. Sie gehen immer auf Beobachtung und
5 Untersuchung menschlicher Individualität, selbst wenn sie
von der Natur ausgehen. Seht, wohin seihst das Studium
der Natiu' diesen wahrhaften Dicliter des Zeitalters gefülirt
hat! In der Natur selbst erkennt er die Liebe, das sind die
Wahlverwandtschaften.
10 Eben dazu gehören die Details der Umgebungen, wovon
ich mir auch nicht ein Jota rauben lasse. Gerade diese sind
das sichtbare Kleid der Persönlichkeiten. L'nd sie haben
noch eine andere iiohe Bedeutung. Sie sind das tägliche
Leben, worin sicli die Persönlichkeit ausdrückt, sofern sie
15 mit andern in äussere BerüliiTing kommt und sich von ihnen
unterscheidet. Diese bleiben immer der eigenthümliche
gleichartige Ausdruck desselben, während das Innere sich
gewaltsam umkehrt. Diese Umkehrung ist eben schrecklich
einleuchtend, wenn einmal der Blick zugleich auf die eigen-
20 thümlichen L'mgebungen fällt, die immer dieselben blieben
oder gleichartig fortschritten.
Es könnte vielleicht scheinen, als wenn manches von dem,
was ich zuerst gesagt habe, einen Widerspruch erlitte durch
die Art, wie hier die Natur behandelt ist, ja wie sich dieses
25 ganze Buch auf die Natur gründet. Der geheime innere Zu-
sammenhang zwischen Eduard und Ottilien, ,,die sich sogar
in den Kopfschmerz getheilt haben", der zuletzt, wo sie so
still neben einander zu sitzen pflegen, zur wahren Anzieh-
ungskraft wird, Ottiliens Auffinden des Steinkohlenlagers
30 durch blosse hohe Sensibilität, die Thätigkeit des Pendels
in ihrer Hand, endlich überhaupt die Wahlverwandtschaften
selbst zeigen deutlich, dass hier die allgemeine Verwandt-
schaft der Natur mit sich selbst das Schicksal ist, welches
alles hervorbringt. Nun könnte man sagen: also geht es nicht
35 von den Individuen aus, sondern von jener allgemeinen
Macht.
Aber bei tieferer Ansicht wird jeder entdecken, dass dieser
Macht in der Hervorbringung der einzelnen Begebenheiten,
Handlungen. Verhältnisse auch nicht der geringste Spielraum
40 verstattet ist, sondern sie nur im Hintergrunde liegt, nicht
als wirkliche Erscheinung hervortritt, sondern als das Wesen,
478 DIE AVAHLVERWAXDTSCHAFTEX. 1827
[Januar 21 Abends, AVeimar.j
[902]
ten. Obgleich Solger zugestand, dass das Factum in
welches iuuerbalb der Erscheinung ist. Und wie das durch-
geführt ist, das ist wieder eine der allerausserordentlichsten
Vollendungen der Kunst, der fast nichts aus irgend einer 5
Zeit vorgezogen werden darf. Jede einzelne Regung oder Be-
wegung in dem ganzen Verlaufe ist unmittelbar in dem Cha-
rakter der Personen gegründet, und wo jenes Naturverhält-
niss ausdrücklich erwähnt wird, erscheint es entweder als
zufällig bemerkt, oder gar als Folge der persönlichen Ver- lo
hältnisse, wie eben jene gegenseitige Anzieliung der beiden
Liebenden. Ich muss noch einmal zurückgelm auf die Ver-
gleichimg mit den Alten. Bei ihnen beruht das Geschick nicht
auf Gesetzen der sogenannten physischen Natur, sondern der
sittlichen, und diese sondert sich auch schon ganz als Prin- 15
cip des Schiclvsals von jener ab. Bei ihnen werden auch die
Handlungen der einzelnen Personen gänzlich vom Geschick
selbst hervorgebracht, und der Charakter der Menschen sup-
plirt jenes erst; hier ist es gerade umgekehrt.
Die Grösse des Gegenstandes und die erhabene und reine 20
Ansicht desselben hat eine solche Einfachheit der äusseren
Hülfsmittel der Darstellung hervorgebracht, dass sich auch
hierin das Werk der alten Tragödie sehr nähert, und dass
man nach gemeiner Ansicht die Geschichte selbst fast nur
das Gerippe eines Romans nennen könnte. Daher rührt auch 25
die grosse Kürze der Erzählung gegen die langen und häu-
figen Reflexionen, und auch dieses, dass die Ei-zählung oft
in das Präsens übergeht und mit kurzen, auf den ersten An-
blick haii: scheinenden Zügen Zustände der Pei"sonen uni-
reisst. 30
TJeber die Details der Umgebungen habe ich mich schon
geäussert. So wie diese das ganz tägliche wirkliche Leben
der Personen immer in gleicher Schwebung erhalten und
gleichsam als Folie dienen, so verhält sich die Einflechtiing
von allem, was jetzt Mode ist. als Gartenkunst. Liebhaberei 35
an der Kunst des Mittelalters. Darstellung von Gemälden
durch lebende Personen und was sonst dahin gehört, zu dem
Leben der Leser und des gesammten Zeitalters. In der Be-
handlung dieser Dinge liegt ebenfalls eine Kunst, die ich
nicht genug bewundem kann. Sie sind als vollkommen 40
gültig, wahr und in der Zeit lebendig aufgefasst und von
1827 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEX. 4TJ)
[Januar 21 Abemis, Weimar.] [902]
den jWalilverwandtschaften' aus der Xatur aller Cha-
dem liüchsten und reinsten Standpunct aus dargestellt. Sie
sind sogar in die Handlung selbst als bedeutend vei-flocliteu:
5 Avenn zum Beispiel der Architekt am Ende beim Sarge Ot-
tiliens dieselbe Stellung annimmt, die er einst als Hiite in
dem Gemälde halten musste. So sind wir ganz auf einhei-
mischem und frischem Boden der Zeit. In diesem Roman
ist, wie im alten Epos, alles was die Zeit Bedeutendes und
10 Besonderes hat. enthalten, und nach einigen Jahrhunderten
würde man sich hieraus ein vollkommenes Bild von unserm
jetzigen täglichen Leben entwerfen können.
Eben dazu gehören die überall ausgestreuten Reflexionen.
Es ist heut zu Tage fast kein anderes Mittel da, auf Menschen
15 zu wirken und in höherem Sinne in der menschlichen <Je-
sellschaft gesellig zu leben, als eben das Privatgespräch und
die Reflexionen daiün. Wir müssen jetzt wahrlich unsere
ganze Welt und unsere ganze Lebensthätigkeit hauptsächlich
darin suchen. Diese aber sind auch hier wieder recht, was
20 sie im gemeinen Leben sein sollen, Betrachtungen über das
Nächste, das was in den täglichen Sitten liegt, Betrachtun-
gen aber, welche nie in Philosophie übergehen, und doch im
wirklichen Leben selbst allemal tief in das Wesentliche und
wahrhaft Bedeutende eingreifen. Ja diese Reflexionen sind
25 eigentlich das wahre Leben, das wir führen, insofern wir
uns über das ganz Gemeine und Sinnliche erheben. Es trägt
also in ihrer Darstellung recht die höchste Aufgabe der
Kunst, nemlich das Tiefe und Innere in den Gestaltungen
der reinen Wirklichkeit selbst zum Sein zu bringen. Und
30 wie vollkommen ist sie hier gelöstl Diese Reflexionen sind
das Element, worin das Einzelne athmet, sie sind das Accom-
pagnement zu den Arien der Begebenheiten und Handlungen.
Wer aber nicht einen Sinn hat, gebildet für Goethe und
durch ihn. der wird sie ohne Zweifel sehr langweilig finden.
35 Was [Friedrich Heinrich von der] Hagen über Ottilie sagt,
finde ich vortrefflich. An Zurechnung ihres Vergehens kann
niemand denken, der diese reine verschlossene Knospe zu
verstehen fähig ist. Sie weiss es ja in der That nicht, wie es
mit ihr und Eduard steht, sondern es i s t so. ja sie selbst
40 ist das ganze Verhältnis?. Dass dieses hervorspringt und
wirklich von dem verstehenden Leser gefasst werden kann.
480 DIE WAHI.VERWANDTSCHAFTEN. 1827
[Januar 21 Abends, Weimar.] [902]
raktere hervorgehe, so tadelte er doch den Charakter des
Eduard^
„Ich kann ihm nicht verdenken", sagte Goethe, „dass
er den Eduard nicht leiden mag, ich mag ihn selber niciit
ist allein eine Glorie um Goethes Haupt. Eduard bleibt mir
immer noch ein wenig zu weichlich. Was mir dieses allein
rechtfertigt, ist, dass Ottilie rein die Hauptperson ist und
sein muss. Sie ist ja das Avahre Kind der Natur und ihi'
Opfer zugleich. Mit diesen zwei Worten ist alles Schöne und lo
Grosse ausgesprochen, was von Frauen zu sagen ist. Und
wie unendlich und unerschöpflich ist diess! Es musste noth-
wendig hier eine Frau die Hauptperson sein.
Ich eile nur noch einige Bemerkungen über die Nebenper-
sonen beizufügen. Vor allen liebe ich nur den Architekt. 15
Dieses ist eine grossartige Figur, eine der höchsten viel-
leicht im ganzen Werke, wie voll Grazie und Grösse. Weise
ist er nur unter die Nebenfiguren gestellt; ich möchte sagen,
er war zu trefflich zum Haupthelden der Tragödie. Wohl-
verstanden, diese Trefflichkeit liegt zugleich mit in dem zu- 20
fällig erscheinenden Umstand, dass ihn keine überwiegende
Gewalt an den Tag des Schicksals reisst. Aber solche Um-
stände liegen mit in der Person. Ich muss innerlich lachen,
wenn es heisst: ,,Ja wie würde sich der nun zeigen, wenn er
in diese oder jene Lage käme?" Er kommt aber nicht darein, 25
und das gehört schon mit zu ihm. Also ist diese stille innei*-
liche Grösse eines jugendlichen Heros etwas sehr Hohes,
selbst mit dadurch, dass sie an Umständen nicht geprüft
wird. Denn bei'm Prüfen freilich wird immer etwas von
einer solchen Ganzheit abgerieben. Nur entzieht er sieh der 30
Prüfung freilich nicht durch absichtliche Beschränkung, son-
dern durch seine Natur. Er gehört zu dem, was bei den
Alten der Chor war.
Der Gehülfe der Pensionsanstalt hat einen Anstrich von
Pedanterei. Sein Verhältniss zu Ottilien ist aus unserm heu- 35
tigen eigensten Leben herausgegriffen. Er gehört zu den ein-
sichtsvollen, verständigen Personen, die Goethe so sehr liebt,
und streift an das Erhabene einer solchen Art von Bildung,
wie es im , Wilhelm Meister' einigemal hervortritt."
^ Vgl. 476, 30—33, und oben.Z. 6 f. 40
1827 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 481
[Januar 21 Abends, Weimar.] [902]
leiden, aber ich miisste ihn so machen, um das Factum
hervorzubringen. Er hat übrigens viele Wahrheit, denn
man findet in den höhern Ständen Leute genug, bei
5 denen ganz wie bei ihm der Eigensinn an die Stelle des
Charakters tritt."
Hoch vor allen stellte Solger den Architekten, denn
wenn alle übrigen Personen des Romans sich liebend und
schwach zeigten, so sei er der einzige, der sich stark und
10 frei erhalte. Und eben das Schöne an seiner Natur sei
nicht sowohl dieses, dass er in die Verirrungen der üb-
rigen Charaktere nicht hineingerathe, sondern dass der
Dichter ihn so gross gemacht, dass er nicht hineinge-
rathen k ö nn e ^.
15 Wir freuten uns über dieses Wort. „Das ist freilich
sehr schön", sagte Goethe. — Ich habe, sagte ich, den
Charakter des Architekten auch immer sehr bedeutend
und liebenswürdig gefunden, allein dass er eben dess-
wegen so vortrefflich sei, dass er vermöge seiner Natur
20 in jene Verwickelungen der Liebe nicht hineingeratheu
könne, daran habe ich freilich nicht gedacht^. —
„Wundern Sie sich darüber nicht", sagte Goethe, „denn
ich habe selber nicht daran gedacht, als ich ihn machte.
Aber Solger hat recht, es liegt allerdings in ihm."
25 „Dieser Aufsatz", fuhr Goethe fort, „ist schon im
Jahre 1809 geschrieben, und es hätte mich damals
freuen können, ein so gutes Wort über die ,Wahlver-
w'andtschaften*^ zu hören, während man in jener Zeit und
* Vgl. 480, 15-33.
* Diess beweisen auch Eckermanns Bemerkungen über die
»Wahlverwandtschaften' .in seinen (1828 veröffentlichten)
(Beiträgen zur Poesie mit besonderer Hinweisung auf Goethe'.
Uebrigens spricht er sich hier (S. 174), wenn auch nur kurz,
doch mit ausserordentlich feinem Verständniss über die Ge-
stalt des Architekten aus.
Graf, Goethe über seine Diclituugen T. I. 31
482 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1827
[Januar 21 Abends, Weimar.] [902]
später mir eben nicht viel Angenehmes über jenen
IJonian erzeigte"^.
Mit Eekermanu. — Gespräche 0. 30—33.
Januar 29, Weimar. — s. 232. 12—14. 902a 5
Mai 6, Weimar. 903
„Es war im ganzen", fuhr Goethe fort, „nicht meine
Art, als Poet nach Verkörperung von etwas A b s t r a c -
t e m zu streben. . . .
Wollte ich jedoch einmal als Poet irgendeine Idee lo
darstellen, so that ich es in kleinen Gedichten, wo
eine entschiedene Einheit herrschen konnte und welches
zu übersehen war, wie zum Beispiel die ,Metamorphose
der Thiere', die ,der Pflanzen', das Gedicht ,Yermächt-
niss', und viele andere. 15
Das einzige Product von g r ö s s e r m Umfang, wo
ich mir bewusst bin nach Darstellung einer durchgrei-
fenden Idee gearbeitet zu haben, wären etwa meine
,Wahlverwandtschaften'. Der Eoman ist dadurch für den
Verstand fasslich geworden; aber ich will nicht sagen, 20
dass er dadurch besser geworden wäre! Vielmehr bin ich
der Meinung: je inconi mensurabler und für
den Verstand unfasslicher eine poeti-
sche Production, desto besse r."
. Mit Eckermann\ — Gespräche 6, 135 f. 25
' Zu dem „Angenehmen" gehörte vor allem Abekens Beur-
theilung im .Morgenblatt' (s. 438, 31), an die Goethe bei der
Leetüre von Solgers Briefwechsel durch die oben 474, 13.
angeführte Stelle erinnert werden konnte.
Es ist beachtenswerth, dass von den Besprechungen der 30
.Wahlverwandtschaften' diejenigen beiden, welche Goethe
am meisten schätzte, zwei eng befreundete junge Männer zu
Verfassern hatten, beide 1780 geboren, also bei'm Erscheinen
des Romans neunundzwanzig Jahre alt.
- Goethe tliat die Aeusserung während eines Tischgespräches, ?,:>
bei dem, ausser Eckermann. Ampere und Stapfer als Gäste
Goethes zugegen waren.
1827 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 483
Juli 21 Abends, Weimar. 904
„Sie wissen, Aristoteles sagt vom Trauerspiele, es
müsse Furcht erregen, wenn es gut sein solle^. Es
gilt dieses jedoch nicht bloss von der Tragödie, sondern
auch von mancher andern Dichtung. Sie finden es in
meinem ,Gott und die Bajadere', Sie finden es in jedem
guten Lustspiele und zwar bei der Verwickelung, ja Sie
finden es sogar in den , Sieben Mädchen in Uniform'-,
indem wir doch immer nicht wissen können, ^ne der
Spass für die guten Dinger abläuft. Diese Furcht nun
kann doppelter Art sein: sie kann bestehen in Angst,
oder sie kann auch bestehen in Bangigkeit. Diese letztere
Empfindung wird in uns rege, wenn wir ein moralisches
Uebel auf die handelnden Personen heranrücken und
sich über sie verbreiten sehen, wie zum Beispiel in den
,Wahlven\^andtschaften'. Die Angst aber entsteht im
Leser oder Zuschauer, wenn die handelnden Personen
von einer physischen Gefahr bedroht werden, zum Bei-
spiel in den , Galeerensklaven' und im ,Freischütz'^; . ."
Mit Eckermann, — Gespräche 6, 166 f.
November 21, Weimar. 905
Die Kunden* erlauben wohl dem Schneider, hier oder
' Vgl. 485, 33.
* Dieses Liederspiel von Louis Angely war zuerst 1825 im
April am Königstädter Theater in Berlin, dann im Laufe des
Jahres auch noch in Weimar aufgeführt worden (vgl. G.-
Zelter 4, 121); gedruckt erschien es in Band 2 von Angelys
Sammlung ,Vaudevilles und Lustspiele' (Berlin, 1830).
' ,Die beiden Galeerensklaven oder die Mühle von St. Alderon.
Schauspiel in drei Acten' von Winkler hatte im September
1823, ,Der Freischütz. Romantische Oper in drei Acten' von
Friedrich Kind, Musik von Karl Maria von Weber, am IS.
Juni 1821 in Berlin die erste Aufführung erlebt.
* Unter ihnen ist hier das Lesepublicura zu verstehen; Goethes
Aeusserung betrifft insbesondere die Aufnahme von Walter
Scotts Wei'ke ,The life of Napoleon Buonaparte, emperor
484 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1829
[November 21, Weimar.] [905]
dort ein gewisses Tuch auszunehmen, den Rock aber
wollen sie auf den Leib gepasst haben, und sie beschwe-
ren sich höchlich, wenn er ihnen zu eng oder zu weit
ist; am besten befinden sie sich in den polnischen Schlaf- 5
rocken des Tags und der Stunden, worin sie ihrer voll-
kommensten Bequemlichkeit pflegen können, da sie, wie
Du Dich wohl erinnern wirst, sich gegen meine ,Wahl-
verwandtschaften' wie gegen das Kleid des Nessus ge-
berdet haben^. 10
An Zelter. — G.-Zelter 4, 442.
18:39.
Januar 17, Weimar. 905a
E. W. erhalten hiebei die vierte Lieferung" der kleinen
Ausgabe und die erste der in Octav. Wenn ich mit diesen 15
Sendungen fortfahre, so erlauben Sie zugleich den fort-
gesetzten Wunsch auszusprechen: Sie mögen den An-
of the French. By the autlior of „Waverley" &c'. (Edin-
burgh, 1827, neun Bände).
Das heisst eigentlich: rasend, wild schreiend vor Schmerz, 20
mit dem ungestümen Bestreben, sich davon zu befreien; wie
Herakles that, als das Gewand, welches Dei'aneira, seine
Gattin, mit dem vergifteten Blute des Kentauren Nessos
bestrichen hatte, seine unaufhaltsam zerstörende Wirkung
ausübte. 25
Der hier von Goethe gewählte Vergleich fällt auf durch
seine ausserordentliche Stärke.
— Die ganze Stelle findet sich fast wörtlich wiederholt in
Goethes Brief an Kaspar von Sternberg vom 27. November
desselben Jahres (G.-Stemberg S. 184; hier heisst es statt 30
„auszunehmen", s. oben Z. 2, „mitzunehmen").
Lieferung 4, die Göttling zur Durchsicht für die sogenannte
„Octavausgabe" empfing, umfasste Band 16 (, Werther', .Briefe
aus der Schweiz'), 17 (, Wahlverwandtschaften'), 18—20
(.Wilhelm Meisters Lehrjahre'). 35
1830 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 485
[Januar 17, Weimar.] [905a]
theil an meinen Arbeiten auch fernerhin erhalten und,
wie bis jetzt, gefällig bethätigen. . . .
An Göttling. — G.-Göttling S. 70.
Februar 9. AVeimar. 906
Goethe sprach viel über die ,Walilverwandtschaften',
besonders dass jemand sich in der Person des Mittler
getroffen gefunden, den er früher im Leben nie gekannt
und gesehen. „Der Charakter", sagte er, „muss also
wohl einige Wahrheit haben und in der Welt mehr als
einmal existiren. Es ist in den ,Wahlverwandtschaften'
überall keine Zeile, die ich nicht selber erlebt hätte, und
es steckt darin mehr, als irgend jemand bei einmaligem
Lesen aufzunehmen im Stande wäre."
Mit Eckermann. — Gespräche 7, 8 f.
1830.
Januar, zwischen 13 und 25, Weimar.* 907
Zum Scherz und l^eberfiuss lass mich in G-efolg des
Vorigen erwähnen: dass ich in meinen , W a h 1 v e r -
wand tschaften' die innige, wahre Katharsis so
rein und vollkommen als möglich abzuschliessen bemüht
war^; desshalb bild' ich mir aber nicht ein, irgend ein
* Diese Datining ergibt sieh aus dem Text des, in zwei Ab-
sätzen dictirten, Briefes, dessen Schluss das Datum ,,29.
25 Januar" trägt.
- Diese Bemerkung gehört zu dem Meinungsaustausch der
beiden Freunde über Goethes Aufsatz ,Nac]ilese zu Aristo-
teles' Poetik' im sechsten Bande von , Kunst und Alterthuui'
(1827, S. 84—91), worin Goethe die Aristotelische BegrifEs-
30 bestimraung der Tragödie, nacli seiner Weise, übersetzt und
erläutert. Zum Yerständniss des Obigen dient folgende
Stelle des angeführten Aufsatzes:
„Er [Aristoteles] spricht ganz klar und richtig aus: wenn
sie [die Tragödie] durch einen Verlauf von Mitleid und
35 Furcht erregenden Mitteln durchgegangen, so müsse sie mit
486 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 1830
[Januar, zwischen 13 und 25, 'Weimar.] [907]
hübscher Mann könne dadurch von dem Gelüst, nach
eines Andern Weih zu blicken, gereinigt werden^. Das
sechste Gebot, welches schon in der Wüste dem Elohim-
Jehova so nöthig schien, dass er es, mit eigenen Fingern,
Ausgleichung, mit Versöhnung solcher Leidenschaften zu-
letzt auf dem Theater ihre Arbeit abschliessen.
Er versteht imter K a t h a r s i s diese aussöhnende Ab-
rundung, welche eigentlich von allem Drama, ja sogar von
allen poetischen Werken gefordert wird" (WH. 29, 491). lo
lieber die Stellung Goethes zu der aristotelischen Lehre
vom Wesen der Tragiklie vgl. Hermann Baumgarts Schrift
, Aristoteles, Lessing und Goethe. Ueber das ethische und
das aesthetische Princip der Tragödie' (Leipzig, Druck und
Verlag von B. G. Teubner. 1877), besonders S. 76—8.3; auch 15
Düntzers Abhandlung .Goethes Ansicht über das Wesen der
Tragödie' GJ. 3, 132—158.
^ In Goethes Aufsatz , Nachlese zu Aristoteles' Poetik' heisst
es am Schluss: ,,Hat nun der Dichter an seiner Stelle seine
Pflicht erfüllt, einen Knoten bedeutend geknüpft und würdig 20
gelöst, so wird dann dasselbe in dem Geiste des Zuschauers
vorgehen: die Verwicklung wird ihn verwirren, die Auf-
lösung aufklären, er aber um nichts gebessert nach Hause
gehen; er würde vielmehr, wenn er asketisch aufmerksam
genug wäre, sich über sich selbst verwundern, dass er ebenso 25
leichtsinnig als hartnäckig, ebenso heftig als schwach, ebenso
liebevoll als lieblos sich wieder in seiner Wohnung findet.
Avie er hinausgegangen". Dass aber Goethe hier keineswegs
bloss die dramatische Dichtung, sondern ebenso die epische
im Sinne hat, und seine Worte demzufolge auch auf die 30
.Wahlverwandtschaften' Bezug haben, ist aus den folgenden,
kurz vorhergehenden Worten ersichtlich: „Wer nun auf dorn
Wege einer wahrhaft sittlichen inneren Ausbildung fort-
schreitet, wird empfinden und gestehen, dass Tragödien und
tragische Romane den Geist keineswegs beschwichtigen. 35
sondern das Gemüth und das, was wir das Herz nennen,
in Unruhe versetzen und einem vagen, imbestimmten Zu-
stande entgegenführen; diesen liebt die Jugend und ist da-
her für solche Productionen leidensch.iftlich eingenommen"
(WH. 29, 493). 40
1831 DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEX. 487
[Januar, zwischen 13 und 25, Weimar.] [907]
in Granittafeln einschnitt, wird in nnsern löschpapier-
nen Katechismen immerfort aufrecht zu halten nöthig
sein.
5 Verzeihung dieses! denn die Sache ist von so grosser
Bedeutung, dass Freunde sich immer darüber berathen
sollten; ja ich füge Folgendes hinzu: es ist ein gränzen-
loses Verdienst unsres alten Kant um die Welt, und
ich darf auch sagen, um mich, dass er, in seiner , Kritik
10 der ürtheilskraft', Kunst und X a t u r neben einan-
der stellt und beiden das Eecht zugesteht: aus grossen
Principien zwecklos zu handeln\ So hatte mich Spi-
noza früher schon in dem Hass gegen die absurden
Endursachen geglaubiget. Xatur und Kunst sind zu
15 gross, um auf Zwecke auszugehen und haben's auch nicht
nöthig, denn Bezüge gibt's überall und Bezüge sind das
Leben.
An Zelter. — G.-Zelter 5, 381.
Februar 17, Weimar. 908
20 ^'on seinen , Wahlverwandtschaften' sagt er, dass darin
kein Strich enthalten, der nicht erlebt, aber kein Strich
so, Av i e er erlebt worden-.
Mit Eckermann. — Gespräche 7, 218.
1831.
25 October 31, Weimar. J)09
^Die Frömmler habe ich von jeher verwünscht, die
' In gleichem Sinn äussert Goethe sich hierüber ausführ-
licher in dem Aufsatz .Einwirliung der neuern Philosophie'
(Nat. W. 11, 50—52, besonders 51, 5 f.: „Meine Abneigung
30 gegen die Endursachen ward nun geregelt und gerecht-
fertigt").
* Vgl. 485, 11 f.
' Zelter hatte am 27. October gemeldet: „Unser theologischer
Eiferer Hengstenberg soll eine bleischwere Kritik
35 über die .Wahlverwandtschaften' entlassen haben. Ich kenn'
488
DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN.
1831
[October 31, Weimar.] [909]
Berliner, so wie ich. sie kenne, durchaus verflucht, und
daher ist es hillig, dass sie mich in ihrem Sprengel in
den Bann thun^.
An Zelter. — G.-Zelter 6, 327. 5
ihn nicht, und wenn er Dich nicht versteht, wirst Du ihn
auch nicht liennen" (G.-Zelter 6, 321).
Die von dem streng ortliodoxen Theologen Hengstenberg
in Berlin herausgegebene .Allgemeine evangelisch-lutherische
Kirchen-Zeitung' hatte 1831 in den Nummern 57—61, vom lo
IG., 20., 23., 27. und 30. Juli (Spalte 449—488) einen anonymen
Aufsatz über Goethes Roman gebracht. In dem Exemplar
der Königlichen Bibliothek zu Berlin ist (nach freundlicher
Mittheilung Ludwig Geigers) der Name Göschel mit Bleistift
beigeschrieben. 15
^ So hätten auch hier jene Spottverse gepasst, die Goethe,
mehr als ein halbes Jahrhundert früher, auf Nicolais An-
griffe gegen , Werther' dichtete (vgl. Nr. 1029):
,,Was schiert mich der Berliner Bann,
Geschmäcklerpfaffenwesenl 20
Und wer mich nicht verstehen kann,
Der lerne besser lesen".
Berichtigungen und Nachträge.
1, 20 nach 322 ist einzuschalten: mit der Bezeichnung .Erster
Gesang' (ebenso in allen folgenden Drucken).
G, 38: 5,
5 6, 23 f. lies: Merck [statt „Goethe"] . . gelehrten Anzeigen' . .
Goethe gedenkt [statt „und gedachte"]
7. 32: chorizein
13, 23: hierauf ist einzuschalten:
Mai 16, Weimar. 31a
10 [Vormittags] Ilias fortgesetzt.
Tgb. 2, 207, 21.
14, 25: Abhandlung,
17, 34: Montag [18. März]
26, 9: hierauf ist einzuschalten:
15 1805.
Mai 1, Weimar. — s. Nr. 37üa. 78a
26, 23 — 25 Pniower weist (bei Besprechung von Goethes Brief
an Schiller vom 12. September 1800, Br. 15, 102, 14r- 103, 2)
die Beziehung obiger Stelle auf .Helena' als unrichtig ab;
20 es sei bei dem Werk, das Goethe angefangen habe, ,,doch
wohl an die ,AcMlleis' zu denken'" (Pniower S. 74 Nr. 173).
28, 34: die Epen.
30, 20: sind (vgl. aber Nr. 432),
32, 11: hierauf ist einzuschalten:
25 1825.
Juni 18, Weimar. — s. Nr. 40'ja. 4091). ' ^^- ^■
34, 18: 50)
38, 13 ist nach dem Citat beizufügen: (Jakob Minor in W. 38,
451)
30 41, 25: Galvanismus
45, 11: hierauf ist einzuschalten:
März 26, Weimar. 108a
[Früh] Biographika, der ,ewige Jude' . . [s. Xr. 108.]
Tgb. 5, 27, 4.
35 46, 18 ist das Komma zu streichen.
490 BERICHTIGUNGEN UND NACHTRAGE.
46, 30 ist die Zeilenzahl zu verbessern (ebenso 179, 20. 25. 30. 35.
231, 10. 15. 20. 25. 30. 35).
47, 28—31: vgl. dazu den Schluss des kleinen Aufsatzes ,Parali-
pomena' WH. 29. 348.
48, 30 ist nach dem Citat beizufügen: (W. 36, 188, 13—15) 5
55, 1: hierauf ist einzuschalten:
?][März 7, Jena.] — s. ,Wilhelm Meister' u. g. D. 119a
69, 32: Vgl. 32, 31—33.
71, 13: 1800
75, 2 f. als Erl.: Cottas Honorar-Conto für Goethe verzeichnet lo
unter dem 3. September 1800 (Schiller-Cotta S. 691):
„26 Seiten im Damen-Calender für ISOl fl. 132.—".
77, 0: hierauf ist einzuschalten:
1816.
üeeember 18, Weimar. — s. Nr. 884. I.j8b 15
81, 12: Herrmann
82, 6: hierauf ist einzuschalten:
Juli 26, Weimar. — s. den Schluss von Nr. 1384. 163a
82, 10: hierauf ist einzuschalten:
August 17, Weimar. — s. Nr. 1391. 164a 20
87, 18. 37: denn noch
100, 19: 1897 Verlag von Velhagen & Klasing in Bielefeld und
Leipzig.
107, 6: Gesang [5. 6]
107, 33 ist anzufügen: (vgl. 106, 12). 25
109, 38: 26 [statt „25"]
117, 31 f. : Unterscliiede
125, 34: Darnstädt
139, 25 ist die Erläuterungszahl ^ zu ergänzen.
143, 8 ist zu streichen und zu lesen: von .Hermann und Doro- 30
thea' [s. Nr. 317].
148, 38: 266
153, 36: liegt,
161, 38: fürchte,
171, 33 ist zu streichen und zu lesen: tion and Notes By Water- 35
man T. Hewett, . . Boston, Heath
173, 32: vom
191, 33: ihn, am selben Tage,
199, 5 ist nach der Klammer einzufügen: August 1874. Ge-
druckt bei Breitkopf und Härtel in Leipzig. O. J. [1874.] 40
202, 36: Mayn,
BERICHTIGUNGEN UND NACHTRÄGE. 491
206, 2: [Juni G oder 7. Jena.]
H. Düutzer macht es, mit sehr einleuchtenden Gründen,
wahi-scheinlich, dass Goethes Brief (die Antwort auf Fried-
rich Schlegels Schreiben vom 3. Juni 1798) schon am 0.
5 oder 7. Juni geschrieben sei, und bezieht folgende drei
Tagebuchvermerke, die wir hier nachbringen, auf das
Margites-Epos:
1798.
Juni 5, Jena. -ilSa
10 [Früh] .Monsieur Niccola'.
Tgb. 2, 210, 18.
Juni 6. Jena. 418b
[Früh] ,Monsieur Xiceola^
Tgb. 2, 210, 21.
15 Juni 7, Jena. 418c
Früh ,Monsieur Xiccola'.
Tgb. 2, 210, 24.
Düntzer sagt: „Die im Jahre 1798 erschienene Abhandlung
Falbes ,De Margite Homerico', . . kannte Goethe offenbar
20 nicht, sonst würde er Schlegel nicht mit der Zusammen-
stellung aller Nachrichten über dieses Homerische Gedicht
bemüht haben. Er hatte das Gedicht schon begonnen,
zur Förderung desselben wünschte er alles zu erfahren,
was A^om Homerischen Gedichte bekannt sei, und zwar so
25 rasch wie möglich. . . das Gedicht war der 'Monsieur
Niecola', mit welchem Namen, der kaum auf eine wirk-
liche Person geht, Goethes Tagebuch am Morgen des 5.,
6. und 7. [Juni] beginnt. Dieser Monsieur Niecola muss
ein eulenspiegelerischer Bedienter sein. Niecola ist ein
30 bekannter Dienername, woraus sich denn ergibt, dass
Goethe den Helden des ,Margites', von dem es heisst, er
habe vieles, aber nichts recht verstanden, als einen Sklaven
sich dachte, worin er auch recht gehabt haben wird" (Zeit-
schrift für deutsche Philologie 1899 31, 5.52 f.).
35 Zu beachten ist auch folgende Notiz, die Goethe sich
nebst mehreren anderen zu Büschings , Volkssagen, Mähr-
chen und Legenden' (er erhielt das Werk im Sommer 1812)
macht: „Büsching aufmerksam zu machen auf 1) . . 2)
der . . den seine Mutter ausschickt nach Butter, und der
40 unterwegs die Ritzen der aufgeborstenen Erde damit zu-
streicht. — Art Margites" (SdGG. 14, 362).
492 BERICHTIGUNGEN UND NACHTRÄGE.
207, 1: hierauf ist einzuschalten:
Handschriften: sind nicht bekannt.
Erster Druck: 1811, in ,Aus meinem Leben Dichtung und
Wahrheit. Von Goethe. Erster Theil. . . . Tübingen,
in der J. G. Cottaischen Buchhandlung. 1811' S. 105— 5
138; in Buch 2.
Zweiler Druck: 1818, Werlie Cotta^ 17, 78—99. An gleicher
Stelle.
Dritter Druck: 1829, Werke Cotta' 24, 78—99. An gleicher
Stelle. jjj
M'ei7narer Ausgabe: 1889, W. 26, 78 — 99. An gleicher Stelle.
217, 23: gereimter Strophen
234, 33: Vgl. Nr. 1825.
261, 42: man wolle beachten, dass die Erläuterimg noch auf die
folgende Seite übergreift (ebenso 375, 35. 433, 38. 451, 40. 15
469, 39).
304, 23: Schiller. •
310, 28: das Komma nach der Klammer ist zu streichen.
315, 17: unsre
328, 31: 142. 20
349, 36: das Komma ist zu streichen.
421, 29. 31: die Lücken sind grösser, als hier angedeutet ist.
437, 21: Gespräche 2, 304 steht irrig „belehren".
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