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Full text of "Goethe ueber seine Dichtungen, Versuch einer Sammlung aller Aeusserungen des Dichters ueber seine poetischen Werke"

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GOETHE 

UEBER  SEINE  DICHTUNGEN. 

VERSUCH  EINER  SAMMLUNG  ALLER 

AEUSSERüNGEN  DES  DICHTERS 

UEBER  SEINE  POETISCHEN 

WERKE 

VON 

DR.  HANS  GERHARD  GRAF. 

ERSTER    THEIL: 
DIE   EPISCHEN   DICHTUNGEN. 

ERSTER    BAND. 


FRANKFURT  a/m. 

LITERARISCHE    ANSTALT 

RÜTTEX  &  LOENING 

1901. 


Der  Nachdruck  einzeluer  Abschnitte  dieses  Werkes 
ist  ausdrücklich  untersagt. 


Druck  von  Reinliold  Mahlau, 
Fa.  Malilau  &  "Waldschmidt,  Frankfurt  a.  M. 


Inhalts-Verzeichniss. 


Seite. 

I.  Vorwort V— XII 

IL  Erklärung  der  Alikürzungen  von  Wörtern  und  Büclier- 

titeln,  sowie  der  Zeichen  und  Zahlen XIII— XXI 

III.  Übersicht  der  epischen  Dichtungen: 

1.  nach  den  Jahren  ihrer  Entstehung XXII 

2.  nach  ihrer  poetischen  Form XXIII 

IV.  Goethes  Äusserungen  über: 

1.  AcMlleis,  Nr.  1—97 1—33- 

2.  Chromatik,  Nr.  98 34 

3.  Dichtung  und  Wahrheit,  Nr.  99.  100 35.     36 

4.  Egoisten  (Die),  Nr.  101.  102 37 

5.  Ewige  Jude  (Der),  Nr.  103—112 38—  49 

6.  Geheimnisse  (Die),  Nr.  113—146 50—  70 

7.  Guten  Weiber  (Die),  Nr.  147— 162 71—78 

^   8.  Hermann  und  Dorothea,  Nr.  163 — 415b  ....  79 — 199 

9.  Joseph,  Nr.  416—418 200—205 

10.  Margites-Epos,  Nr.  419 206 

11.  Neue  Paris  (Der),  Nr.  420—424 207—210 

12.  Novelle,  Nr.  425—486       211—240 

13.  Pyrmont,  Nr.  487—490 241—247 

^U    Reineke  Fuchs,  Nr.  491— 534e 248—278 

15.  Pieise  der  Sohne  Megaprazons,  Nr.  535    ....  279.    280 

16.  Roman  in  mehreren  Sprachen,  Nr.  536—538    .     .  281-284 

17.  Roman  über  das  Weltall,  Nr.  539-5431.     .     .     .  285—295 

18.  Sultan  wider  Willen,  Nr.  543k 296 

19.  Teil,  Nr.  297— 559b 297—315 

_  20.  Unterhaltungen    deutscher    Ausgewanderten ,    Nr. 

560—630 316—361 

21.  Wahlverwandtschaften  (Die),  Nr.  631-909       .     .  362—488 

V.  Berichtigungen  und  Nachträge 489 — 492 


(Die  Register  befinden  sich  am  Schluss  des  zweiten  Bandes.) 


„Ich  TTÜnschte  besonders  jetzt  die  Chronologie  Ihrer  Werke 
zu  wissen,  .  .  . 

.  .  .  Ich  möchte  .  .  von  den  früheren  Werken,  vom  , Meister' 
selber,  die  Geschichte  wissen.  Es  ist  keine  verlorene  Arbeit, 
dasjenige  aufzuschreiben,  was  Sie  davon  wissen.  Man  kann 
Sie  ohne  das  nicht  ganz  kennen  lernen." 

Schiller  an  Goethe  (17.  Januar  1797). 

„Natur-  und  Kunstwerke  lernt  man  nicht  kennen,  wenn  sie 
fertig  sind;  man  muss  sie  im  Entstehen  aufhaschen,  um  sie 
einigermassen  zu  begreifen." 

Goethe  an  Zelter  (4.  August  1803). 

Das  Werk,  dessen  erster  Theil  liiermit  der  Oeffentlichkeit 
übergeben  wird,  bedarf,  was  seinen  Stoff  anbelangt,  kaum 
einer  Erklärung,  nocb  weniger  eines  rechtfertigenden  Vor- 
wortes. So  gewiss  wir  in  Goethe  vor  allem  stets  den  Dichter 
sehen  werden,  ebenso  gewiss  wird  jede  Aeusserung,  die  er 
über  eines  seiner  poetischen  Werke  im  Besondern,  oder  über 
seine  dichterische  Thätigkeit  im  Allgemeinen  gethan  hat,  für 
uns  von  grosstem  Werthe  sein. 

Diese  Aeusserungen  des  Dichters  sind  das  wichtigste  ur- 
kundliche Material;  sie  bilden  die  naturgemässe  Grundlage 
für  jede  Betrachtung,  die  daraiif  ausgeht,  das  dichterische 
Gebild  in  seiner  Entwickhmgsgeschichte  zu  verfolgen,  es  in 
seiner  Idee  zu  begreifen.  Als  Ergänzung  zur  Leetüre  der 
Dichtungen  wird  das  Studium  dieser  Aeusserungen  jedem 
nothwendig  erscheinen,  der  über  die  Epoche  jugendlich  ersten, 
naiven  Genusses  hinausgeschritten  ist,  die  kein  Wissen  um 
Goethe  kennt;  der  inne  ward,  wie  im  höchsten  Masse  gerade 
Goethes  Dichtungen  I.ebensbekenntnisse  sind,  mit  den 
äusseren  Beziehungen  und  der  Innern  Entwicklung  des  Dichters 
auf's  engste  verbunden,  beides  beleuchtend,  von  beidem  Licht 
empfangend;  genauer  noch:  sich  gegenseitig  bedingend,  wie 
Athemschöpfen  und  Ausathmen. 

Zu  diesen  innem  Gründen  für  die  Entstehung  gegenwär- 
tiger Arbeit  gesellte  sich  ein  äusserer;  aus  rein  praktischen 
Rücksichten  erscheint  eine  Sammlung,    wie    sie  hier  versucht 


VI  VORWORT. 


wird,  erwünscht:  der  Stoff  ist  so  ausserordentlich  reich,  dabei 
so  weit  verstreut  und  theilweise  versteckt,  dass  er  jedem  un- 
übersehbar, unerreichbar  bleiben  muss,  der  sich  nicht  einem 
besonderen,  ausschliesslichen  Studium  der  Goethe-Litteratur 
widmet,  und  sebst  dieser  wird  Mühe  haben,  ihn  in  Vollständig- 
keit zu  überblicken. 

Der  Gedanke  einer  solchen  Sammlung  ist  keineswegs  neu. 
Goethe  selbst  kann  in  gewissem  Sinne  der  Vater  desselben 
genannt  werden.  Denn  der  eigentliche  Zweck  von  , Dichtung 
und  Wahrheit'  ist  ja  doch:  das  organische  Wachsthum,  die 
Genesis  des  Dichters  darzustellen  und  die  Entste- 
hungsgeschichte seiner  AVei'ke  zu  schreiben.  Denselben  Zweck 
fördert  Goethe  sodann  dui'ch  kleinere  Aufsätze,  in  denen  er 
Mittheilungen  über  Idee  imd  Entstehung  einzelner  Dichtungen 
macht;  ferner,  indem  er  die  Veröffentlichung  seines  Brief- 
wechsels mit  Schiller  unternimmt,  den  er  selbst  als  ,, höchst 
wichtig"  bezeichnet  „wegen  der  unmittelbaren  Aeussenmgen 
über  die  litterarischen  Angelegenheiten  des  Augenblicks"  — 
„wie  wundersam",  ruft  (ioethe  bei  dieser  Gelegenheit  aus,  ,.ja 
mitunter  traurig  ist  es,  in  welchen  Zuständen,  unter  welchen 
Bedingungen  die  herrlichsten  Productionen  entstehen!"^ 
Schiller,  der  die  Vollendung  eines  zwanzig  Jahre  alten,  dichte- 
rischen Unternehmens  (, Wilhelm  Meisters  Lehrjahre')  erlebt, 
bittet  in  einem  seiner  Briefe  dringend  um  eine  ., Geschichte" 
von  Goethes  Werken,  indem  er  bemerkt:  ,,Man  kann  Sie  ohne 
das  nicht  ganz  kennen  lernen".  In  wie  reichem  Masse  und  auf 
wie  niannichfoche  Art  Goethe  diesen  Wunsch  während  eines- 
ganzen Menschenalters  zu  erfüllen  bestrebt  war,  davon  legen 
die  folgenden  Blätter  Zeugniss  ab. 

Und  so  haben  denn  auch  von  jeher  die  Litterarhistoriker 
und  Goetheforscher  in  Einleitungen  und  Erläuteningen  zu 
Goethes  poetischen  Werken  oder  in  selbstständigen  Schiliften 
die  Aeusserungen  des  Dichters  sorgfältigst  benutzt  und  in  ihre 
Darstellungen  verflochten.  Schlichte,  acten-  und  urkimdenmä- 
ssige  Zusammenstellungen  dagegen,  in  der  Art.  wie  sie  uns 
vorschwebten,  sind  erst  in  den  letzten  Jalirzehnten  hervor- 
getreten; so  die  Auszüge  „Aus  Goethes  Tagebüchern  1797— 
1832",  die  Erich  Schmidt  seiner  Ausgabe  von  , Goethes  Faust 
in  ursprünglicher  Gestalt  nach  der  Göchhausenschen  Abschrift' 
(Weimar  Hermann  Böhlau  1887)  beigegeben  hat.     Im  Herbst 


*)  An  Heinrich  Meyer,  21.  Juli  1821  (,Briefe  von  und  an  Goethe'  S.  126). 


VORWORT.  VII 


vorigen  Jahres  sodauu,  als  die  ersten  Bogen  gegenwärtigen 
Bandes  bereits  gedruclvt  vorlagen,  erschien  ein  dem  unsrigen 
in  der  Idee  nah  verwandtes  Werk  unter  dem  Titel  .Goethes 
Faust  Zeugnisse  und  Excurse  zu  seiner  Entstehungsgeschichte 
von  Otto  PnioAver  [Motto:  die  oben  angeführte  Stelle  aus 
Goethes  Brief  an  Zelter]  Berlin  Weidmannsche  Buchhandlung 
1899'.  Den  wesentlichen  Inhalt  dieses  Buches  bilden  Goethes 
Aeusserungen  über  seine  Faust-Dichtung,  „in  chronologischer 
Reihe  und  im  allgemeinen  nacli  dem  Datum  ihrer  Entstehung" 
(S.  VIII)  angeorduet;  es  verfolgt  somit  für  Goethes  Hauptwerk 
denselben  Zweck,  wie  das  gegenwärtige  für  alle  Dichtungen 
Goethes;  denselben  Zweck,  und  zugleich  einen  höheren,  inso- 
fern es  nicht  nur  eine  schlichte,  nach  Vollständigkeit  strebende 
Stoffsammlung  geben  will,  wie  das  unsere,  sondern  durch  zahl- 
reiche, in  den  Text  verflochtene,  Einzeluntersuchungen  die 
Entstehungsgeschichte  des  Gedichts  aufzuhellen  sucht. 

„Es  gibt",  sagt  Goethe  in  seinen  , Noten  und  Abhandlungen 
zu  besserem  ^'erstäuduiss  des  W^est-östlichen  Divans',  ,,es  gibt 
nur  drei  echte  Naturformen  der  Poesie:   die  klar  erzählende, 
die  enthusiastisch  aufgeregte    und    die  persönlich  handelnde: 
Epos,  Lyrik    und  Drama".     Diesen    drei  Formen    ent- 
sprechend gliedert  sich  unser  Werk  in  drei  Theile; 
Erster  Theil:  die  epischen  Dichtungen', 
Zweiter  Theil:  die  dramatischen  Dichtungen, 
Dritter  Theil:  die  lyrischen  Dichtungen. 

Aeusserungen,  die  Goethes  Uebersetzungen  aus  fremden 
Sprachen  betreffen,  sind  von  dieser  Sammlung  ausgeschlossen. 

Die  beobachtete  Reihenfolge:  Epos,  Drama,  Lj'rik  (sie  ent- 
spricht der  von  Goethe  in  der  ersten  eigenen  Sammlung  seiner 
, Schriften'  gewählten  Folge)  könnte  befremden,  da  wir  gewohnt 
sind,  nach  dem  Vorbild  der  .Ausgabe  letzter  Hand',  in  den  Ge- 
sanimtausgaben  der  Werke  die  lyrischen  Dichtungen  an  erster, 
die  epischen  an  letzter  Stelle  zu  finden.  Mögen  zu  dieser 
Reihenfolge  den  Dichter  künstlerische  Erwägungen  oder 
äussere  Gründe  geführt  haben,  uns  will  scheinen,  als  habe  in 
frühester  Knabenzeit  Goethes  dichterische  Thätigkeit  mit  der 
Erfindung  von  Mährchen  und  Rittergeschichten  begonnen,  habe 
sich  von  da  alsbald  zu  dramatischer  Production  gewendet,  und 
sei  letztlich    erst    zu    rein  lyrischer  Ausdrucksweise  gelangt. 


')  Die  Gliederunjf  von  Theil  I  und  II  in  je  zwei  Bände  beruht  auf 
keinerlei  inneren  Gründen,  sondern  geschah  nur,  um  die  Handlichkeit  der 
einzelnen  Bände  zu  erhöhen. 


VIII  VORWORT. 


Innerhalb  der  einzelnen  Tlieile  sind  die  Dichtungen  nicht 
chronologisch  nach  der  Zeit  ihrer  Entstellung,  sondern  alpha- 
betisch angeordnet.  Die  chronologische  Anordnung  hätte  sich 
nicht  folgerecht  durchführen  lassen,  da  so  manche  Dichtung  in 
verschiedenen,  weit  aus  einander  liegenden  Zeiträumen  ent- 
standen ist. 

Streng  chronologische  Folge  dagegen  ist  selbstverständlich 
innerhalb  der  einzelnen  Dichtungen  beobachtet.  Freilich  bietet 
die  Datirung  einer  grossen  Zahl  von  Aeusserungen  bedeutende 
Schwierigkeiten;  sie  ist  (das  sei  ausdrüclilich  betont),  soweit 
die  Aeusserungen  nicht  den  Tagebüchern  oder  datirten  Briefen 
und  Gesprächen  angehören,  nur  eine  ungefähre,  und  macht 
auch  da,  wo  nicht  ausdrücklich  ein  Fragezeichen  beigesetzt 
ist,  keinen  Anspruch  auf  absolute  Richtigkeit. 

Die  fliessend  immer  gleiche  Reihe  der  Aeusserungen  in 
grössere  und  kleinere  Gruppen  zu  sondern,  wie  sie  etwa  be- 
deutenden Lebensepochen  und  Arbeitsperioden  des  Dichters 
entsprechen  mögen,  wurde  nach  reiflichster  Erwägung  unter- 
lassen. Wie  sehr  auch  eine  solche  Gruppirung  dem  ästhetischen 
Blick  Bedürfniss,  und  in  Rücksicht  auf  den  mit  dem  Gegen- 
stand weniger  Vertrauten  wünschenswerth  sein  mag,  sie  hätte 
sich  fast  nirgends  ohne  Zwang  und  ganz  reinlich  vollziehen 
lassen;  nothwendig  wäre  durch  sie  etwas  Subjectives  in  den 
Stoff  hineingetragen  worden. 

Der  streng  zeitlichen  Folge  gemäss  sind  die  Tagebuch- 
vermerke, als  am  Abend  des  betreffenden  Tages  niederge- 
schrieben, stets  an  den  Schluss  aller  unter  einen  und  denselben 
Tag  fallenden  Aeusserungen  gerückt.  Es  kommt  demnach 
gelegentlich  vor,  dass  in  einer  Briefstelle  eine  Arbeit  als  fertig 
bezeichnet  wird,  während  eine  später  folgende  Tagebuchnotiz 
erst  diese  Fertigstellung  berichtet. 

Ferner  mussten  nach  dem  Gesetz  der  chronologischen  An- 
ordnung alle  Aeusserungen.  die  Goethes  biographischen 
Schriften  angehören,  unter  Jahr  und  Tag  ihrer  Abfassung  ge- 
bracht werden,  nicht  unter  den  Zeitabschnitt,  auf  den  sie  sich 
beziehen*. 


')  Auf  welche  Weise  in  diesen  Fällen  ein  rasches  und  sicheres  Zurecht- 
finden ermöglicht  ist,  zeigen  zum  Beispiel  die  Stellen  39,  49.  41,  16.  83,  25  f. 
187,  3.  —  Theodor  Vogel  (in  seinem  schönen  Buche  .Goethes  Selhstzeugnisse 
über  seine  Stellung  zur  Religion  und  zu  religiös-kirchlichen  Fragen.  In 
zeltlicher  Folge  zusammengestellt  von  Th.  Vogel.  Zweite  Auflage.  .  .  . 
Leipzig,  Druck  und  Verlag  von  B.  G.  Teubner.  ID^O')  und  Pniower  (in  dem 
oben  angeführten  Werke)  verfahren  umgekehrt ;  Pniower  unterlässt  aber 
nicht,  jedesmal  eine  Angabe  über  die  Zeit  der  Niederschrift  der  betreftenden 
Aeusserung  zu  machen. 


VORWORT.  IX 


Auf  eine,  leider  nothwendige,  Unvollständigkeit  der  Samm- 
lung sei  ausdi-ücklich  aufmerksam  gemacht.  In  der  Weimai'er 
Goethe-Ausgabe  liegt  weder  die  Abtheilung  der  Tagebücher 
noch  die  der  Briefe  vollendet  vor;  diese  i-eicht  vorerst  nur  bis 
zum  Jahre  1810,  jene  bis  zum  Jahre  1826  einschliesslich.  Dieser 
Umstand  ist  sehr  bedauerlich,  insofern  er  die  an  sich  schon 
schwer  zu  erreichende  YoUstäudigkeit  des  Textes  von  vom 
herein  ausschloss.  Indessen  lag  kein  Grund  vor,  die  Veröffent- 
lichung gegenwärtiger  Arbeit  um  jenes  üebelstandes  Willen 
auf  nicht  absehbare  Zeit  hinauszuschieben,  wenn  wir  be- 
denken: dass  im  letzten  halben  Jahrzehnt  von  Goethes  Leben 
mit  der  dichterischen  Production  auch  die  Tagebuch  venu  erke 
über  diese  abnehmen  müssen,  und  dass  für  die  bedeutendste 
Dichtung  dieser  Jahre,  für  ,Fausf.  die  Auszüge  aus  den  Tage- 
büchern schon  besonders  gedruckt  vorhanden  sind.  Was  so- 
dann Goethes  Briefe  aus  den  .Jahren  1811  bis  1832  betrifft,  so 
liegt  der  grössere  und  wichtigste  Theil  dei'selben  in  den  ver- 
schiedenen Briefwechseln  und  sonstigen  Veröffentlichungen 
gedruckt  vor. 

Der  Text  richtet  sich  in  Rechtschreibung  und  Zeichen- 
setzung nach  den  Vorschriften,  die  Goethe,  unter  Güttlings  Bei- 
rath,  für  die  .Ausgabe  letzter  Hand'  seiner  Werke  als  bindend 
anerkannt  hat;  jedoch  mit  steter  Rücksicht  auf  die  Bestim- 
mungen, die  für  die  Weimarer  Goethe-Ausgabe  aufgestellt 
worden  sind\  An  diese  Ausgabe  schliesst  sich  der  Text  auf's 
engste  an;  für  die  in  ihr  noch  nicht  erschienenen  Theile  geht 
er  auf  die  sogenannte  Hempelsche  Ausgabe  zurück^ 

Die  Erläuterungen  enthalten,  ausser  den  selbstverständ- 
lichen biographischen  Notizen.  Erklärungen,  gelegentlichen  Be- 
richtigungen, Angaben  von  Büchertiteln  und    Verwandtem. 

1.  eine    grosse  Zahl    von  Verweisungen  zur  Erleichterung 
des   Ueberblicks  über   das  sachlich   Zusammengehörige; 

2.  die   Antworten   der   Correspondenten.    so    weit    sie   zum 
Verständniss  von  Goethes  brieflichen  Aeussei-ungen  und 


>)  y»l.  W.  1.  XX— XXIV  und  die  Regeln  .Zur  Ortboo^rapliie  und  Inter- 
punction  der  "Weimarisehen  Goetheansgabe.  Für  die  Mitarbeiter  als  ilanu- 
script  gedruckt'. 

')  ßein  orthograrihische  Ungleichheiten,  wie  „Literatur"  neben  „Litteratur", 
^Prokurator"  neben  „Proeurator-.  Schreibungen  wie :  .die  2te  Hälfte  des  fünften 
Buches"  und  Achuliehes  was  in  der  Weimarer  Ausgabe  unangetastet  ge- 
blieben ist)  wurden  ausgeglichen;  an  Verschiedenheiten  dagegen  ^-ie  -fodem" 
neben  „fordern"-,  .ahnden"  neben  .ahnen",  auch  «Epopee-*  neben  .Epopöe*, 
„Packet"  neben  „Paquet",  „nieder  legen"  neben  „niederlegen"  und  Aehnliches 
-wurde  nicht  gerührt. 


VORWORT. 


zur  Charakteristik  des  persönlichen  Verhältnisses  notli- 
wendig  waren^; 
3.  eine  kurze  Uebersicht  der  Handschriften  und  Drucke 
jeder  Dichtung.  Die  Handschriften  befinden  sich,  wo 
nichts  Anderes  bemerkt  ist,  im  Goethe-  und  Schiller-Ar- 
chiv zu  Weimar;  den  Angaben  über  sie  liegen  zumeist 
die  Berichte  der  Herausgeber  in  der  Weimarer  Goethe- 
Ausgabe  zu  Grunde.  Von  den  Drucken  sind  im  Allge- 
meinen nur  diejenigen  aufgeführt,  welche  der  Dichter 
selbst  oder  die  Herausgeber  seines  Nachlasses  veran- 
staltet haben.  Die  ,Octav-Ausgabe'  der  .Ausgabe  letzter 
Hand"  wird,  als  wesentlich  übereinstimmend  mit  der  so- 
genannten , Taschen-Ausgabe',  nicht  mit  aufgeführt. 

Bei  einem  Werke,  das,  wie  gegenwärtiges,  sowohl  dem 
weiten  Kreise  der  Litteraturfreunde,  als  auch  dem  engeren  der 
Fachgelehrten  zu  dienen  wünscht,  ist  es  leider  kaum  zu  ver- 
meiden, dass  in  Bezug  auf  die  erläuternden  Beigaben  bald 
etwas  vermisst,  bald  etwas  überflüssig  gefunden  wird.  Viel- 
fach mussten  die  Erläuterungen,  um  die  Handlichkeit  des 
Buches  nicht  zu  gefährden,  statt  auch  das  Wünschenswerthe 
zu  geben,  sich  auf  das  Unentbehrliche  beschränken. 

Hier  aber  möchte  ich  nicht  unterlassen,  mit  herzlichem 
Danke  der  werthvollen  Unterstützung  zu  gedenken,  deren  ich 
mich  von  vielen  Seiten  zu  erfreuen  hatte.  Als  ganz  besonders 
fördernd  habe  ich  die  rege  Antheilnahme  zu  vei'ehren.  die  Herr 
Professor  Herman  Grimm  in  Berlin  der  vorliegenden  Ai'beit 
von  Anfang  an  zu  widmen  die  Güte  hatte.  Schätzenswerthe 
Mittheilungen  und  Nachweise  verdanke  ich  den  Herren  Direc- 
toren  des  Goethe-  und  Schiller- Archivs,  Bernhard  S  u  p  h  a  u  . 
des  Goethe-National-Museums.  Carl  R  u  1  a  n  d  ,  und  der  Gross- 
herzoglichen Bibliothek  zu  Weimar,  Paul  A'on  Bojanowski, 
sodann  den  Herren  Doctoren  und  Professoren  Woldemar  Frei- 
herm  von  Biedermann  (Dresden),  Ludwig  Geiger 
(Berlin),  Fritz  Jonas  (Berlin),  Max  Koch  (Breslaii),  Albert 
Leitzmann  (Jena),  Gustav  M  i  1  c  h  s  a  c  k  ( Wolfenbüttel), 
Gustav  R  ö  t  h  e  (Göttingen),  Carl  S  c  h  ü  d  d  e  k  o  p  f  (Weimar), 
Julius  Wähle  (Weimar),  sowie  den  Verwaltungen  der  König- 
lichen öffentlichen  Bibliothek  zu   Dresden,   der  Bibliothek 


i'i  Die  Ortho^jraphie  der  in    don   Erliiuterunpen   aiiffefühvten  Stelleu  aus 
Briefen,  Recensionen  und  Anderem  ist  übereinstimmend  mit  der    des  Textea 


behandelt. 


VORWORT.  XI 


des  Freien  Deutscbeu  Hochstiftes  zu  F  r  a  u  k  f  u  r  t  ti  lu  Main 
und  der  Uuiversitäts-Bibliothek  zu  Jena. 

Zum  Scliluss  nocli  ein  Wort  über  das  Aeussere  des  Buebes, 
Insofern  es  in  Antiqua  gedruckt  ist.  Goethes  Mutter  wird  nicht 
müde,  ihren  Sohn  zu  lobpreisen,  dass  er  seine  Werke  nicht  in 
den  „so  fatalen",  „vor  die  grüsste  ilenschenhälfte  unbrauch- 
baren"' lateinischen  Lettern  drucken  lasse,  nicht  müde,  auf 
„diese  neumodische  Fratze"  zu  wettern  und  Goethe  zu  bitten, 
er  möge  ,, deutsch  bleiben  auch  in  den  Buchstaben".  ..Von  Dir, 
mein  lieber  Sohn,"  schreibt  sie  einmal.  ., hoffe  ich,  dass  ich 
nie  ein  solches  menschenfeindliches  Product  zu  sehen  be- 
komme" (SdGG.  4,  .57.  1— .ü.  157,  15—21).  Goethe  selbst  war  dem 
Antiqua-Di'uck  sehr  geneigt.  Das  geht  sowohl  aus  dem  Briefe 
der  Frau  Ratli  an  ihn  vom  12.  März  1798  hervor,  als  auch 
aus  seinen  eigenen  Worten  an  Wilhelm  von  Humboldt,  mit 
Beziehung  auf  .Hermann  und  Dorothea":  ..Zur  zweiten  Aus- 
gabe wüi"de  ich  die  lateinische  Schrift  wählen,  da  sie  heiterer 
aussieht,  .  .  ich  glaube  denn  doch  zu  bemerken,  dass  der  ge- 
bildete Theil  des  Publicums  sich  durchaus  zu  lateinischen 
Lettern  hinneigt"  (s.  unten  125.  S— 13). 

In  diesem  Sinne,  und  mit  Rücksicht  auf  die  ausserdeutschen 
Lande,  in  denen  die  Verehrung  und  das  Studium  von  Goethes. 
Dichtungen  stetig  wächst,  wurden  für  das  vorliegende  Buch 
die  lateinischen  Lettern  gewählt,  und  so  ist  zu  hoffen,  dass 
ihm  der  Vorwurf,  ein  undeutsches,  ,, menschenfeindliches  Pro- 
duct" zu  sein,  erspart  bleibe. 

Möchte  ihm  eine  freundliche  Aufnahme  gegönnt  sein. 
Entsprungen  ist  es  der  innigsten  L'eberzeugung,  dass  wir 
Menschen  wenig  Dinge  besitzen,  die  in  so  hohem  Grade 
gleichermassen  Phantasie  und  Herz  beglücken,  die  Vernunft 
befrieden,  den  Geist  befreien  und  empovläutem,  wie  Goethes 
Dichtungen.  Diese  zwar  sind  nur  einzelne  Erzeugnisse  seiner 
grossartigen  Individualität,  nur  die  ,, Schlangenhäute",  die  uns 
geblieben  sind  von  seiner  dem  All  zurückgegebenen  Persön- 
lichkeit. Wie  viel  grösser  Goethe  selbst,  als  alles,  was  er 
gedichtet,  wie  viel  grösser  noch  als  er  selbst  die  Ideale,  die 
seiner  heiTlichen  Seele  voi"schwebten,  das  vei-mögen  wir  nur 
in  seltenen  Augenblicken  zu  ahnen. 

Goethes  Dichtungen  aber  sind  es  doch,  die  uns  jene  Ideale 
am  reinsten  vermitteln.     Möclite  unser  Buch  an  seinem  Theile 


XII  VORWORT. 


helfen,  das  Verständniss  dieser  Dichtungen  zu  fördern,  ihren 
Genuss  zu  vertiefen  und  zu  beleben,  indem  es  ihre  Biogra- 
phien darbietet,  so  weit  diese  sich  aus  des  Dichters  eigenen 
Aevisserungen  zusammenfügen  lassen. 


Wolfenbüttel,  am  28.  August  1900. 


Dr.  Hans  Gerhard  Graf, 

Hülfsarbeiter  an  der  HerzogUcheu  Bibliothek. 


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^^' 


Erklärung 

DER 

Abkürzungen  von  Wörtern  und  Büchertiteln, 
SOWIE  der  Zeichen  und  Zahlen. 


(Die  Abkürzungen  der  Vornamen  sind  im  Personen-Register  aufgelöst.) 


a.  a.  0.  —  am  angeführten  Orte. 

Abeken  =  Erinnerungen  B.  E.  Abekens  aus  den  beiden  letzten  Jahr- 
zehnten des  vorigen  und  dem  ersten  dieses  Jahrhunderts.  Mit- 
geteilt von  Dr.  A.  Heu  ermann,  .  .  [in:  Festschrift  zur  drei- 
hundertjährigen Jubelfeier  des  Ratsgymnasiums  zu  Osnabrück 
1895  dargebracht  vom  Lehrerkollegium.  (Osnabrück  1895.  Druck 
von  J.  G.  Kisling.)] 

Appell  =  Werther  und  seine  Zeit.  Zur  Goethe-Literatur.  Von  Johann 
Wilhelm  Appell.  Vierte,  verbesserte  und  vermehrte  Auflage.  Olden- 
burg 1896.    Schulzesche  Hof-Buchhandlung. 

Archiv  f.  L.  =  Archiv  für  Litteraturgeschichte  .  .  Band  1  flg.  Leipzig 
1870  flg. 

Aus  Herders  Nachlass  —  Aus  Herders  Nachlass.  Herausgegeben  von 
Heinrich  Düntzer  und  Ferdinand  Gottfried  von  Herder.  Band  1 — 3. 
.  .  .  Frankfurt  a.  M.  Meidinger  Sohn  und  Cornp.  1856.  1857. 
(Auch  unter  dem  Titel:  Aus  Herders  Nachlass.  üngedruckte 
Briefe  von  Herder  und  dessen  Gattin,  Goethe,  Schiller,  .  .  .) 

Berichte  dFDH.  =^  Berichte  des  Freien  Deutschen  Hochstiftes  zu  Frank- 
furt am  Main.  Herausgegeben  vom  Akademischen  Gesamt-Aus- 
Bchuss.  Neue  Folge.  Band  1  flg.  Jahrgang  1885  flg.  Frankfurt 
am  Main.    Druck  von  Gebrüder  Knauer. 

Böttiger  =  Literarische  Zustände  und  Zeitgenossen.  In  Schilderungen 
aus  Karl  Aug.  Böttiger's  handschriftlichem  Nachlasse.  Heraus- 
gegeben von  K.  W.  Böttiger,  .  .  Bändchen  1.  2.  Leipzig:  F.  A. 
Brockhaus.    1838. 

Boisseree  =  Sulpiz  Boisseree.  Band  1.  2.  Stuttgart.  Cotta'scher 
Verlag.    1862. 

Br.  =  Goethes  Briefe  Band  1—21  .  .  Weimar  Hermann  Böhlau  1887 
— 1896.  (Auch  unter  dem  Titel:  Goethes  Werke  Herausgegeben 
im  Auftrage  der  Grossherzogin  Sophie  von  Sachsen  IV.  Ab- 
theilung Band  1—21  .  .  .) 


XIV      ERKLÄRUNG  DER  ABKÜRZUNGEN. 


Br.  an  Eichstädt  =  Goethes  Briefe  an  Eichstädt.  Mit  Erläuterungen 
herausgegeben  von  Woldemar  Freiherrn  von  Biedermann.  Berlin 
Gustav  Hempel.    1872. 

Braun  =  Goethe  irn  Urtheile  seiner  Zeitgenossen.  Zeitungskritiken, 
Berichte,  Notizen,  Goethe  und  seine  Werke  betreffend,  aus  den 
Jahren  1773—1786  (1787—1801.  1802—1812),  gesammelt  und 
herausgegeben  von  Julius  W.  Braun.  Eine  Ergänzung  zu  allen 
Ausgaben  von  Goethes  Werken.  Berlin.  Verlag  von  Friedrich 
Luckhardt.  1883—1835.  (Auch  unter  dem  Titel:  Schiller  und 
Goethe  im  Urtheile  ihier  Zeitgenossen.  .  .  .  Zweite  Abtheilung: 
Goethe.    Band  1—8.  .  .  .) 

Briefe  von  J.  H.  Voss  =  Briefe  von  Johann  Heinrich  Voss  nebst  er- 
läuternden Beilagen  herausgegeben  von  Abraham  Voss.  Band 
1—3(1.2).     Halberstadt,  bei  Carl  Brüggemann.    1829—1833. 

Briefe  von  und  an  Goethe  =  Briefe  von  und  an  Goethe.  Desgleichen 
Apliorismen  und  Brocardica.  Herausgegeben  von  Dr.  Friedrich 
Wilhelm  Kiemer,  .  .  Leipzig,  Weidmann'sche  Buchliandlung.  1846. 

Caroline  =  Caioline.  Briefe  an  ihre  Geschwister,  ihre  Tochter  Auguste, 
die  Familie  Gotter,  .  .  nebst  Briefen  von  A.  W.  und  Fr.  Schlegel 
u.  a.  Herausgegeben  von  G.  Waitz.  Band  1.  2.  ...  Leipzig 
Verlag  von  S.  Hirzel.    1871. 

Charlotte  Schiller  =  Charlotte  von  Schiller  und  ihre  Freunde.  Band 
1—3.  .  .  .    Stuttgart.  J.  G.  Cotta'scher  Verlag.    1860—1865. 

Chronik  dWGV.  =  Chronik  des  Wiener  Goethe -Vereins.  Band  1  flg. 
Wien  1886  flg.    Verlag  des  Wiener  Goethe-Vereins.    4°. 

Düntzer:  Erläuterungen  =  Erläuterungen  zu  den  Deutschen 
Klassikern.  Erste  Abtheilung:  Erläuterungen  zu  Goethes  Werken. 
1  (Hermann  und  Dorothea  .Achte  Auflage.  1897).  2  (Werther. 
Zweite  Auflage  1880).  3  (Wilhelm  Meisters  Lehrjahre.  Zweite 
Auflage.  1875).  4  (Wilhelm  Meisters  Wanderjahre.  Zweite  Auf- 
lage. 1870).  5  (Wahlverwandtschaften.  Zweite  Auflage.  1878). 
15  (Reise  der  Söhne  Megaprazons  und  Unter! laltungen  deutscher 
Ausgewanderten.  0.  J.  [1873]).  16  (Novelle  und  die  guten  Frauen. 
0.  J.  [1895?]).   Leipzig,  Ed.  Wartig's  Verlag  Ernst  Hoppe. 

Düntzer:  Freundesbilder  =  Freundesbilder  aus  Goethe's  Leben. 
Studien  zum  Leben  des  Dichters.  Von  H.  Düntzer.  .  .  .  Leipzig, 
Dyk'sche  Buchhandlung     1853. 

Düntzer:  Goethe  und  Karl  August  =  Goethe  und  Karl  August. 
Studien  zu  Goethes  Leben  von  Heinrich  Düntzer.  Zweite  neu- 
bearbeitete und  vollendete  Auflage.  Drei  Theile  in  einem  Bande. 
Leipzig    Verlag  der  Dyk'schen  Buchhandlung.    1888. 

Düntzer:  Schiller  und  Goethe  =  Schiller  und  Goethe.  Ueber- 
sichten  und  Erläuterungen  zum  Briefwechsel  zwischen  Schiller 
und  Goetlie.  Von  Heinrich  Düntzer.  Stuttgart.  J.  G.  Cotta'scher 
Verlag.    1859. 


ERKLÄRUNG  DER  ABKÜRZUNGEN.       XY 

Dün'izer:  Studien  =  Zu  Goethe's  Jubelfeier.  Studien  zu  Goetlie's 
Werken.  Von  Heinrich  Duntzer.  .  .  .  Elberfeld  und  Iserlohn. 
Julius  Bädeker.     1849. 

Eckermann  =  Gespräche  mit  Goethe  in  den  letzten  Jahren  seines 
Lebens.  Von  Johann  Peter  Eckermann.  Sechste  Auflage.  Mit 
einleitender  Abhandlung  und  Anmerkungen  von  Heinrich  Düntzer. 
.  .  .  Theil  1—3.  Leipzig:  F.  A.  Brockhaus.  1885.  —  In  Theil  3 
hat  Eckermann  Goethes  Gespräche  mit  Soret  eingefügt. 

E.  E.  =  Eure  Escollenz. 

Erl.  =  Erläuterung. 

E.  W.  =  Euer  Wohlgeboren. 

E.  Hochw.  =  Euer  Hochwohlgeboren. 

f.,  flg.  =  folgende  (f.  bei  Einzahl,  flg.  bei  Mehrzahl). 

G. -Bettina  =  Goethes  Briefwechsel  mit  einem  Kinde.  Seiuem  Denkmal. 
Tlieil  1.  2.  .  .  .  Berlin,  bei  Ferdinand  Duinmler.    1835. 

G.-Brentano  =  Goethes  Briefwechsel  mit  Antonie  Brentano  1814— 
1821.  Herausgegeben  von  Rudolf  Jung.  Weimar  Hermann  Böhlaus 
Nachfolger.  1896.  (Auch  unter  dem  Titel:  Schriften  des  Freien 
Deutscheu  Hoehstiftes  in  Frankfurt  a    M.  VII.  .  .  .) 

G.-Carlyle  =  Goethe's  und  Carlyle's  Briefwechsel.  Berlin.  Verlag  von 
Wilhelm  Hertz  (Bessersche  Buchhandlung).    1887. 

G-Frommann  =  Das  Frommannsche  Haus  und  seine  Freunde.  Von 
F.  J.  Frommann.  Zweite  vermehrte  Auflage.  Jena,  Druck  und 
Verlag  von  Fr.  Frommann.     1872. 

G.-Göttling  =  Briefwechsel  zwischen  Goethe  und  K.  Göttling  in  den 
Jahren  1824 — 1831.  Herausgegeben  und  mit  einem  Vorwort  be- 
gleitet von  Kuno  Fischer.  München.  Verlagsbuchhandlung  von 
Fr.  Bassermanii.  IS-fO.  —  (Die  zweite  Ausgabe,  1889,  ist  nur 
Titclauflage) 

G. -Grüner  =  Briefwechsel  und  mündliclier  Verkehr  zwisclicn  Goethe 
und  dem  Rathe  Grüner.  Leipzig,  Verlag  von  Gustav  Mayer.  1853. 

G. -Humboldt  =  Goethe's  Briefwechsel  mit  den  Gebrüdern  von  Humboldt. 
(1795 — 1832.)  Im  Auftrage  der  von  Goethe'schen  Familie  heraus- 
gegeben von  F.  Th.  Bratranek.  Leipzig:  F.  A.  Brockhaus.  1876. 
(Auch  unter  dem  Titel:  Neue  Mittheilungen  aus  Johann  Wolfgang 
von  Goethe's  handschriftlichem  Nachlasse.    Theil  3.  .  .  .) 

G. -Jacob!  =  Briefwechsel  zwischen  Goethe  und  F.  H.  Jacobi  heraus- 
gegeben von  Max  Jacobi  Leipzig,  Weidmann'sche  Buchhandlung. 
1846. 

G. -Karl-August  =  Briefwechsel  des  Grossherzogs  Carl  August  von 
Sachsen -Weimar -Eisenach  mit  Goethe  in  den  Jahren  von  1775 
bis  1828.  Neue  Ausgabe.  Band  1.  2.  .  .  .  Wien  1873.  Wilhelm 
Braumüller  .  . 


XYI      ERKLÄRUNG  DER  ABKÜRZUNGEN. 

G.-Kestner  —  Goethe  und  Werther.  Briefe  Goethe's,  meistens  aus  seiner 
Jugendzeit,  mit  erläuternden  Documenten.  Herausgegeben  von 
A.  Kestner,  .  .  Stuttgart  und  Tübingen.  J.  G.  Cotta'scher  Verlag. 
1854 

G. -Knebel  =  Briefwechsel  zwi!^chen  Goethe  und  Knebel.  (1774 — 1832.) 
Theil  1.  2.    Leipzig:   F.  Ä.  Brockhaus.    1851. 

G.-La-Roche  =  Briefe  Goethe's  an  Sophie  von  La  Roche  und  Bettina 
Brentano  nebst  dichterischen  Beilagen  herausgegeben  von  G.  von 
Loeper.  Berlin.  Verlag  von  Wilhelm  Hertz.  (Bessersche  Buch- 
handlung.)    1879. 

G.-Reinhard  =  Briefwechsel  zwischen  Goethe  und  Reinhard  in  den 
Jahren  18ü7  bis  1832.  Stuttgart  und  Tübingen.  J.  G.  Cotta'scher 
Verlag      1850. 

G.-Rochlitz  =  Goethes  Briefwechsel  mit  Friedrich  Rochlitz.  Heraus- 
geber :  Woldemar  Freiherr  von  Biedermann.  .  .  .  Leipzig.  F.  W. 
V.  Biedermann.     1887. 

G. -Schultz  =  Briefwechsel  zwischen  Goethe  und  Staatsrath  Schultz. 
Herausgegeben  und  eingeleitet  von  H.  Düntzer.  Neue  wohlfeile 
Ausgabe.  .  .  .   Leipzig,   Dyk'sche   Buchhandlung.    0.  J     [1^56.] 

G. -Stein  =  Goethes  Briefe  an  Frau  von  Stein  Herausgegeben  von 
Adolf  Scholl  Dritte  umgearbeitete  Auflage  besorgt  von  Julius 
Wähle.  Band  1.  Zweite  vervollständigte  Auflage  bearbeitet  von 
Willielm  Fielitz.  Band  2.  Frankfurt  a.  M.  Literarische  Anstalt 
Rütten  &  Loening.     1899.  1885. 

G. -Sternberg  —  Briefwechsel  zwischen  Goethe  und  Kaspar  Graf  von 
Sternberg.  (1820—1832)  Herausgegeben  von  F.  Th.  Bratranek. 
Wien,  1866.  Wilhelm  Braumüller  .  . 

G. -Willemer  =  Briefwechsel  zwischen  Goethe  und  Marianne  von  Willemer 
(Suleika).  Herausgegeben  mit  Lebensnachrichten  und  Eiläuterungen 
von  Th.  Creizenach.  Zweite,  vermehrte  Auflage.  Stuttgart.  Verlag 
der  J.  G.  Cotta'schen  Buchhandlung.    lS78. 

G.-Zelter  =  Briefwechsel  zwischen  Goethe  und  Zelter  in  den  Jahren 
1796  bis  1832.  Herausgegeben  von  Dr.  Friedrich  Wilhelm  Kiemer, 
.  .  Theil  1—6,  .  .  .  Berlin,  lfc33.  1834.  Verlag  von  Duncker 
und  Humblot. 

Gespräche  =  Goethes  Gespräche.  Herausgeber:  Woldemar  Freiherr 
von  Biedermann  Band  1—10:  .  .  Leipzig.  F.  W.  v.  Bieder- 
mann. 1889—96.  —  Die  in  den  Erläuterungen  stets  namhaft 
gemachten  Original-Drucke  sind  in  den  meisten  Fällen  verglichen 
und  nach  ihnen  der  Text  berichtigt  worden;  wo  der  Original- 
Druck  nicht  verglichen  werden  konnte,  ist  diess  ausdrücklich 
bemerkt.  Fehlt  die  nähere  Angabe  der  Quelle,  so  findet  man 
diese  im  Verzeichniss  der  Büchertitel  unter  dem  Namen  dessen, 
mit  dem  Goethe  das  betreffende  Gespräch  führte. 


ERKLÄRUNG  DER  ABKÜRZUNGEN.     XVII 

GJ.  =  Goetlie- Jalirbucli.  Herausgegeten  von  Dr.  Ludwig  Geiger. 
Band  1  flg.  Frankfurt  a/M.  Literarische  Anstalt  Rütten  &  Loening. 
1880  flg. 
Goedeke  =  Grundrisz  zur  Geschichte  der  deutschen  Dichtung  aus  den 
Quellen  von  Karl  Goedeke.  , Zweite  ganz  neu  bearbeitete  Auflage. 
Band  1  flg.  .  .  .  Dresden.  Verlag  von  Ls.  Ehlermann. 
M.DCCC.LXXXIV.  flg. 
gr.  =  griechisch. 

Herders  Reise  nach  Italien  =  Herders   Eeise  nach  Italien.     Herders 
Briefwechsel  mit  seiner  Gattin,  vom  August  1788  bis  Juli  1789. 
Herausgegeben  von  Heinrich  Düntzer  und  Ferdinand  Gottfried 
von  Herder.     Giessen,  1859.    J.  Eicker'sche  Buchhandlung. 
Hirzel  =  Salomon   Hirzels  Verzeichniss   einer   Goethe-Bibliothek   mit 
Nachträgen   und  Fortsetzung  herausgegeben  von  Ludwig  Hirzel. 
Leipzig  Verlag  von  S.  Hirzel  1884. 
Humboldt-Jacobi  =  Briefe  von  Wilhelm  von  Humboldt  an  Friedrich 
Heinrich  Jacobi.    Herausgegeben  und  erläutert  von  Albert  Leitz- 
mann  .  .  Halle  a.  d.  S.     Max  Niemejer.    1892. 
Knebel-Henriette  =  Aus  Karl  Ludwig  von  Knebels  Briefwechsel   mit 
seiner  Schwester  Henriette  (1774—1813).  Ein  Beitrag  zur  deutschen 
Hof-    und    Litteraturgeschichte.      Herausgegeben    von    Heinrich 
Düntzer.     Jena,   Druck  und  Verlag  von   Friedrich  Mauke.    1858. 
lat.  =  lateinisch. 

Merck  I.  =  Briefe   an  Jobann   Heinrich  Merck  von    Goethe,  Herder, 
Wieland  und  andern  bedeutenden  Zeitgenossen    .  .  herausgegeben 
von  Dr.  Karl  Wagner,  .  .  Darmstadt,  Verlag  von  Johann  Philipp 
Diehl.    18;:i5. 
Merck  II  =  Briefe  an   und   von  Johann  Heinrich  Merck.  .  .    heraus- 
gegeben von  Dr.  Karl  Wagner.  .  .  .  Darmstadt,  Verlag  von  Johann 
Piiilipp  Diehl.    1838. 
Merck  III    =   Briefe    aus    dem    Freundeskreise    von   Goethe,    Herder 
Höpfner  und  Merck.  .  .  herausgegeben  von  Dr.  Karl  Wagner.  .  . 
Leipzig,  Ernst  Fleischer.    1847. 
Mittheüungen  =  s.  Riemer. 

Müller  =  Goethes  Unterhaltungen  mit  dem  Kanzler  Friedrich  von 
Müller.  Herausgegeben  von  C.  A.  H.  Burkhardt.  Zweite  stark 
vermehrte  Auflage.  Stuttgart,  1898.  Verlag  der  J.  G.  Cotta'schen 
Buchhandlung  Nachfolger. 
Nat.  W.  =  Goethes  Naturwissenschaftliche  Schriften  Band  1—5(1). 
6—12  .  .  .  Weimar  Hermann  Böhlau  1890—1897.  (Auch  unter 
dem  Titel:  Goethes  Werke  Herausgegeben  im  Auftrage  der 
Grossherzogin  Sophie  von  Sachsen  II.  Abtheilung  Band  1-5 
(1).  6-12).  ^ 


XVIII     ERKLÄRUNG  DER  ABKÜRZUNGEN. 

Neue  Schriften  =  Goetlte's  neue  Schriften.  Band  1—7.  Berlin.  Bei 
Johann  Friedrich  Unger.     1792—1800. 

Nr.  =  Nummer. 

0.  J.  =  Ohne  Jahr. 

Pniower  —  Goethes  Faust  Zeugnisse  und  Excurse  zu  seiner  Ent- 
stehungsgeschichte von  Otto  Pniower  .  .  .  Berlin  Weidmannsche 
Buchhandlung  1899. 

Riemer  =  Mittheilungen  über  Goethe.  Aus  mündlichen  und  schrift- 
lichen, gedruckten  und  ungedruckten  Quellen.  Von  Dr.  Friedrich 
Wilhelm  Püemer,  .  .  Band  1.  2.  Berlin,  Verlag  von  Duncker  und 
Humblot.    1841. 

Riemer-Frommann  =  Aus  dem  Goethehause.  Briefe  Friedr.  Wilh. 
Riemers  an  die  Familie  Frommann  in  Jena.  (1803 — 1824.)  Nach 
den  Originalen  herausgegeben  von  Dr.  Ferdinand  HeitmüUer. 
.  .  .  Stuttgart  1892.  Verlag  der  J.  G.  Cotta'schen  Buchhand- 
lung Nachfolger. 

S.  =  siehe. 

S.  -  Seite. 

Schiller-Cotta  =  Briefwechsel  zwischen  Schiller  und  Cotta  Heraus- 
gegeben von  Wilhelm  Vollmer  .  .  .  Stuttgart  Verlag  der  J.  G. 
Cotta'schen  Buchhandlung    1876. 

Schiller-Humboldt  ==  Briefwechsel  zwischen  Schiller  und  Wilhelm  von 
Humboldt.  Dritte  vermehrte  Ausgabe  mit  Anmerkungen  von 
Albert  Leitzmann  .  .  .  Stuttgart  1900  J.  G.  Cotta'sche  Buchhand- 
lung Nachfolger  .  . 

Schiller-Körner  =  Schillers  Briefwechsel  mit  Körner.  Von  1784  bis 
zum  Tode  Schillers.  Zweite  vermehrte  Auflage.  Herausgegeben  von 
Karl  Goedeke.  Theil  1.2:..  Leipzig,  Verlag  von  Veit  &  Comp.  1874. 

Schillers  Br.  =  Schillers  Briefe.  Herausgegeben  und  mit  Anmerkungen 
versehen  von  Fritz  Jonas.  Kritische  Gesamtausgabe.  Band  1 — 7. 
Deutsche  Verlags-Anstalt.  Stuttgart,  Leipzig,  Berlin,  Wien.  0.  J. 
[1892—1897.] 

Schillers  Werke  =  Schillers  Werke.  Herausgegeben  von  Ludwig 
Bellermanii.  Kritisch  durchgesehene  und  erläuterte  Ausgabe. 
Band  1 — 14.  Leipzig  und  Wien.  Bibliographisches  Listitut.  0.  J. 
[1895—1897.] 

Schriften  =  Goethe's  Schriften.  Band  1 — 8.  Leipzig,  bei  Georg 
Joachim  Göschen.    1787—1790. 

Schubarth  —  Zur  Beurtheilung  Goethe's,  mit  Beziehung  auf  verwandte 
Litteratur  und  Kunst.  Von  Schubarth.  Band  1.  2.  Zweite,  ver- 
mehrte Auflage.  1820.  Verlag  von  Josef  Max  in  Breslau.  Wien, 
bey  Karl  Gerold. 

SdGG.  ^  Schriften  der  Goethe-Gesellschaft.  .  .  .  Band  1  flg.  Weimar. 
Verlag  der  Goethe-Gesellschaft.    1885  flg. 


ERKLÄRUNG  DER  ABKÜRZUNGEN.      XIX 


Soret  =  s.  Eckermami. 

Teichmann  =  Johann  Valentin  Teichmann's,  .  .  literarischer  Nachlass, 
herausgegehen  von  Franz  Dingelstedt.  Stuttgart,  Verlag  der 
J.  G.  Cotta'schen  Buchhandlung.    1863. 

Tgb.  =  Goethes  Tagehücher  Band  1—10  .  .  .  Weimar  Hermann 
Böhlau  1887—1899.  (Auch  unter  dem  Titel:  Goethe.s  Werke 
Herausgegehen  im  Auftrage  der  Grossherzogin  Sophie  von  Sachsen 
m.  Abtheilung  Band  1—10  .  .  .) 

u.  g.  D.  =  unter  gleichem  Datum. 

V.  =  Vers. 

Vgl.  =  Vergleiche. 

Von  und  an  Herder  =  Von  und  an  Herder.  Ungedruckte  Briefe  aus 
Herders  Nachlass.  Herausgegehen  von  Heinrich  Düntzer  und 
Ferdinand  Gottfried  von  Herder.  Band  1—3.  .  .  .  Leipzig, 
Dyk'sche  Buchhandlung.     1861.  1862. 

Vossbriefe  =  Goethe  und  Schiller  in  Briefen  von  Heinrich  Voss  .  . 
Briefauszüge,  in  Tagehuchform  zeitlich  geordnet  und  mit  Er- 
läuterungen herausgegeben  von  Dr.  Hans  Gerhard  Graf.  .  .  . 
Leipzig.  Druck  und  Verlag  von  Philipp  Eeclam  jun.  0.  J.  [1896. 
Universal-Bibliothek  3581.  3582.] 

W.  =  Goethes  Werke  Herausgegeben  im  Auftrage  der  Grossherzogin 
Sophie  von  Sachsen  Band  1  flg.  Weimar  Hermann  Böhlau  1887  flg. 

WD.  =  Goethes  Werke  Theil  5.  13.  14.  17—25.  .  .  .  Herausgegeben 
von  Prof.  Dr.  Heinrich  Düntzer  Berlin  und  Stuttgart,  Verlag 
von  W.  Spemann.  0.  J.  [1884  flg.]  (Auch  unter  dem  Titel: 
Deutsche  National -Litteratur  Historisch  kritische  Ausgabe  .  . 
herausgegeben  von  Joseph  Kürschner  Band  86. 94. 95. 98 — 106  .  .  .) 

Werke  Cotta^  ==  Goethe's  Werke.  Band  1—12.  (13.)  Tübingen,  in 
der  J.  G.  Cotta'schen  Buchhandlung.     18Ö6— 1808.  (1810.) 

Werke  Cotta-  =  Goethe's  Werke.  Band  1 — 20.  Stuttgart  und  Tübingen, 
in  der  J.  G.  Cotta'schen  Buchhandlung.     1815 — 1819. 

Werke  Cotta^  =  Goethe's  Werke.  Vollständige  Ausgabe  letzter  Hand. 
Band  1 — 40.  Unter  des  durchlauchtigsten  deutschen  Bundes 
schützenden  Privilegien.  Stuttgart  und  Tübingen,  in  der  J.  G. 
Cotta'schen  Buchhandlung.  1827 — 1830.  (Sogenannte  „Taschen- 
Ausgabe"  .) 

Werke  N.  =  Goethe's  nachgelassene  Werke.  [Herausgegeben  von 
Riemer  und  Eckermann.]  Band  1—20.  Stuttgart  und  Tübingen, 
in  der  J.  G.  Cotta'schen  Buchhandlung.  1832—1842.  (Auch 
unter  dem  Titel :  Goethe's  Werke.  Vollständige  Ausgabe  letzter 
Hand.     Band  41—60.    .  •  •) 

Werke  0-  =  Goethe's  poetische  und  prosaische  Werke  in  Zwei  Bänden. 
[Herausgegeben  von  Piieiiier  und  Eckermann.]  Band  1(1.  2j.  2(1.  2). 
Stuttgart  und  Tübingen.  Verlag  der  J.  G.  Cotta'schen  Buchhand- 
lung. 1836.  1837.  4». 


XX       ERKLÄRUNG  DER  ABKÜRZUNGEN. 


WH.  =  Goethe's  Werke.  Nach  den  vorzügliclisten  Quellen  revidirte 
Ausgabe.  Theil  1—36.  .  .  .  Berlin.  Gustav  Hempel.  0.  J. 
[1868—1879.] 

WH.,  zweite  Ausgabe  =  Goetlie's  Werke.  Band  1—3.  .  .  .  Zweite 
Ausgabe.  Berlin,  1882—1884.  Verlag  von  Gustav  Hempel.  (Bernstein 
u.  Frank.)  (Audi  unter  dem  Titel:  Goetbe's  Gedichte.  Theil  1—3. 
Mit  Einleitung  und  Anmerkungen  von  G.  von  Loeper.  .  .  .) 

Wolzogen  =  Literarischer  Nachlass  der  Frau  Caroline  von  Wolzogen. 
Band  1.  2.  Leipzig.  Druck  and  Verlag  von  BreitkopT  und  Härtel. 
1848.  1849. 

Z.  =  Zeile. 

Zauper  =  Studien  über  Goethe.  Von  J.  St.  Zauper.  Bändchen  1.  2. 
.  .  .  Neue  durchgesehene  und  vermehrte  Auflage.  [Bändchen  2 
trägt  diese  Bezeichnung  nicht.]  Wien.  Druck  und  Verlag  von 
Carl  Gerold.  1840.  (Bändchen  1  auch  unter  dem  Titel;  Grund- 
züge zu  einer  deutschen  theoretisch-praktischen  Poetik  aus  Gocthe's 
Werken  entwickelt  von  J.  St.  Zauper.  .  .  . ;  Bändchen  2  auch 
unter  dem  Titel :  Aphorismen  moralischen  und  ästhetischen 
Inhalts,  meist  in  Bezug  auf  Goethe  Aus  meinem  Tagebuche. 
Von  J.  St.  Zauper.  Nebst  Briefen  Goethe's  an  den  Verfasser.   .  .  .) 

Zeitschrift  fdA.  =  Zeitschrift  für  deutsches  Alterthum  und  deutsche 
Litteratur  .  .  Band  19  flg.    .  .  Berlin  1876  flg. 

. . ;  .  .  . ;  .  .  .  .  =  Zwei  Puncte  deuten  an,  dass  ein  oder  mehrere 
Worte,  drei,  dass  ein  oder  mehrere  Sätze,  vier,  dass  ein  oder 
mehrere  Absätze  ausgelassen  sind;  überspringt  der  Text  mehrere 
Seiten,  so  ist  das  durch  eine  Zeile  von  Puncten  angedeutet. 

*  —  als  erledigt  gestrichen  (in  Goethes  Agenda).  Das  von  der 
Weimarer  Goethe-Ausgabe  in  den  Listen  der  Postsendungen  als 
Zeichen  für  Packete  angewendete  *  ist,  um  Verwechselungen  vor- 
zubeugen, durch  das  Wort  „Packet"  ersetzt. 

(  )  =  Die  runde  Klammer  wurde  im  Text  nur  in  ganz  vereinzelten 
Fällen  angewendet,  um  anzuzeigen,  dass  das  zur  Ergänzung  des 
Satzes  unentbehrliche  Wort  aus  dem  unmittelbar  Vorhergehenden 
herübergenommen  ist. 

][  ]  =  Alle  Zusätze  des  Herausgebers  innerhalb  des  Textes  sind  in 
eckige  Klammern  geschlossen ;  ebenso  alle  ergänzten  Datirungen ; 
eine  nach  links  ofi'ene  Klammer  vor  der  Monatsangabe  bedeutet, 
dass  auch  das  Jahr  ergänzt  ist.  —  In  Zahlengruppen  bei  Citaten, 
wie:  2(1),  73  u.  s.  w.  bezeichnet  die  in  ( )  geschlossene  Zahl  die 
Unterabtheilung  des  betreffenden  Bandes. 

?  =  Ein  Fragezeichen  vor  dem  Datum  deutet  an,  dass  die  Beziehung 
der  betreffenden  Stelle  auf  die  Dichtung  zweifelhaft  ist.  [?  ?  ?] 
bedeutet :  Monat,  Tag  und  Ort  sind  unbekannt. 


ERKLÄRUNG  DER  ABKÜRZUNGEN.      XXI 


Zahlen :  Bezieht  sich  ein  Citat  auf  das  vorliegende  Bucli,  so  zeipt 
die  erste  Zahl  die  ?eite,  die  zweite  die  Zeile  an  (bei  AnfTi'nung 
nach  den  Nummern  sind  der  betreffenden  Zahl  stets  die  Buch- 
staben Nr  vorgesetzt);  bezieht  sich  das  Citat  auf  ein  mehr- 
bändiges Werk,  so  zeigt  die  erste  Zahl  den  Band,  die  zweite 
die  Seite  an  (Beispiel :  Boisseree  1,'27);  hat  das  betreffende  Werk 
Zeilenzählung,  so  ist  als  dritte  Zahl  die  Zeilenzahl  hinzugefügt 
(Beispiele :  W.  27,  160,  4.     Br.  9,  28,  2—12). 

Die  kleine  ünterscheiduugszahl  in  der  Gruppe  Werke  Cotta' 
u.  s.  w.  gibt  zu  Verwechselungen  mit  den  kleinen  auf  die  Er- 
läuterungen bezüglichen  Zahlen  keinen  Anlass,  da  jene  im  Text 
nicht  vorkommt. 

Das  Format  ist  stets  8",  avo  nichts  Anderes  angegeben  ist. 


XXII 


Jahr  der 

Eut- 
stehnng. 


Uebersicht  der  epischen  Dichtungen  nach  den 
Jahren  ihrer  Entstehung. 


Jahr  des 
ersten 
Drucks. 


1754/G5. 

17G0. 
1762. 
1766. 

1768. 
uml770. 

1770. 

1774. 

1774. 
1775/91. 

1780|1819. 

1784/86. 

1786. 

1792. 

1793. 
1794/y(;. 
1794/95. 

1795. 

1796. 

1796/97. 

1797. 

1797/98. 
1798/99. 

1798. 

1800. 

1801. 
1806/08? 
1807/21. 
1807/09. 

1807. 

1807. 

1807/29. 

1807/29. 
1807/09. 

1807/oa. 

1811. 
1811. 
1820. 

1821. 
1825,29. 
1826/28. 


1.  Mährchen   und   Geschichten ;   nicht   bekannt   (in  später 
Niederschrift  .Der  neue  Paris'  1811) 

2.  Roman  in  mehreren  Sprachen,  in  Brieten  ;  nicht  erhalten 

3.  Joseph,  Heldengedicht  in  Prosa ;  nicht  erhalten    . 

4.  Kleine,  romanhafte  Geschichten,  in  Briefen  (für  Gellerts 
Praktilium) ;  nicht  erhalten 

5.  Mährchen  (vgl.  Nr.  1951);  nicht  erhalten 

G.   Roman,   in   Briefen   (,Arianne  an  Wetty');   nur  Bruch- 
stücke bekannt    

7.   Mährchen  von  der  neuen  Melusine ;   nicht  bekannt   (in 
anderer  Gestalt  1807) ... 

8,1.  iWerther',  erste  Fassung       .  

9.   ,Der  ewige  Jude' ;  nicht  vollendet 

10,1.  ,Wi!helm  Meisters  theatralische  Sendung';  nicht  be- 
kannt (theilweise  in  den  , Lehrjahren') 

11.  Roman  über  das  Weltall  (später,  1798,  Naturgedicht  in 
Hexametern) ;  nicht  vollendet 

12.  ,Die  Geheimnisse';  nicht  vollendet 

8,11.  ,Werther',  zweite  Fassung 

13.  ,Reise  der  Söhne  Megaprazons' ;  nicht  vollendet  .     .     . 

14.  ,Reineke  Fuchs' 

10,11. , Wilhelm  Meisters  Lehrjahre' 

15.  jünterhaltungen  deutscher  Ausgewanderten'  (darin  6 
kleine  Erzählungen  und  ,das  Mährchen') 

15a.  ,Das  Mährchen'  (nur  in  den  »Unterhaltungen  deutscher 
Ausgewanderten') 

16.  , [Werthers]  Briefe  aus  der  Schweiz' ;  nicht  vollendet     . 

17.  ,Hermann  und  Dorothea' 

18.  Jagd-Epos ;  nicht  ausgeführt  (später  als  ,Novelle'  be- 
handelt 1826/28) 

19.  Teil,  Epos ;  nicht  ausgeführt 

20.  , Achilleis' ;  nicht  vollendet 

21.  Margites-Epos  (,Monsieur  Nicola') ;  nicht  bekannt      .     . 

22.  ,Die  guten  Weiber'  (darin  5  kleine  Geschichten)  .     .     . 

23.  Pyrmont,  romanhafte  Erzählung ;  nicht  ausgeführt   . 

24.  , Sultan  wider  Willen',  Roman ;  nicht  ausgeführt  . 
25,1. , Wilhelm  Meisters  Wanderjahre',  erste  Fassung  . 

25a.  ,Sanct  Joseph  der  Zweite',  Erzählung 

25b., Die  neue  Melusine',  Mährchen  (vgl.  7) 

25c.  ,Die  gefährliche  W^ette'.  Erzählung  (nur  in  den  , Wander- 
jahren')   

25d.,Der  Mann  von  fünfzig  Jahren',  Novelle 

25e.  ,Das  nussbraune  Mädchen',  Novelle 

26  ,Die  Wahlverwandtschaften'  (darin  ,Die  wunderlichen 
Nac-hbarskinder.  Novelle') 

26a.  ,Die  wunderlichen  Nachbarskinder.  Novelle'  (nur  in  den 
,Wahlverwandrschaften') .     .     . 

27.  ,üie  Egoisten',  Roman ;  nic-ht  ausgeführt     .     .     .     :     . 

28.  ,Der  neue  Paris.  Knabenmährchen'  (vgl.  1) 

25f.  ,Wer  ist  der  Verräther?'  Novelle  (nur  in  den  ,Wander- 

jahren') 

25g. , Nicht  zu  weit!'  Novelle  (nur  in  den  ,Wauderj;»hren')    . 
25,11. , Wilhelm  Meisters  Wanderjahre',  zweite  Fassung  .     . 

29.  ,Novelle'  (vgl.  18) 


1846. 


1774. 
1836. 


1787/89. 

1787. 

1837. 

1794. 
1795/96. 

1795. 

1795. 
1808. 
1797. 


1808. 
1800. 


1821. 

1809. 

181iil8. 

1829. 
1817/29. 
1815/29. 

1809. 

1809. 

1811. 

1821. 
1829. 
1829. 
1828. 


XXIII 


Uebersicht  der  epischen  Dichtungen  nach  der  Form. 


j  Jahr  der 

(Die  in  ( )  beigefügten  Zahlen  beziehen  sich  auf  die  erste  Tabelle.)       ,  ,"'" 

'      stehung. 


A. 

Dich- 
tnngen  in 

unge- 
bundener 

Kede: 


Mährchen : 


II.  Heldengedicht :      1. 


III. 

Erzählungen 

(Geschichten, 

Xovellen) : 


IV. 
ßomaue ; 


liriefen : 


b. 
nicht  in 
Briefen : 


B. 


bundener 
Rede: 


Reimen : 


II. 
in  Hexametern  : 


1.  Mährchen  der  Knabenzeit  (1)  , 

2.  Mährehen  der  Jünglingszeit  (5.7) 

3.  ,Da8  Mährchen'  (15a)  .     .     .     . 

4.  ,Die  neue  Melusine'  (2öh)     .     . 

5.  ,Der  neue  Paris'  (28)  .     .     .     . 

Joseph  (3) 

1.  Geschichten  der  Knabenzeit  (1) 

^.  ,Reise     der    Söhne     Megapra- 

zons'  (13) 

3.  .Unterhaltungen  deutscher  Aus- 
gewanderten' (15) 

4.  ,Die  guten  Weiber'  (22)  .     .     . 

5.  Pyrmont  (23) 

6    ,Sauct  Joseph  der  Zweite'  (25a) 

7.  ,Die  gefährliche  Wette'  (iöc)    . 

8.  ,Der  .Mann  von  fünfzig  Jahren' 
(25d) 

9.  ,Da8  nussbraune  Mädchen'  (-'Se) 

10.  ,Die    wunderlichen    Nachbars- 
kinder' (2na) 

11.  ,Wer  ist  der  Verräther?'  (25f)  . 

12.  ,Nicht  zu  weit!'  (2.ig)      ,     .     . 

13.  .Novelle'  (23) 


1.  Roman  in  mehreren  Sprachen  (2) 

2.  Romanhafte  Geschichten  (4) 

3.  , Roman'  (G) 

4.  ,Werther'  (8,  I.  II)       .     .     .     . 

5.  Roman   über  das  Weltall?  (11) 
C.  .Briefe  aus  der  Schweiz'  (16)    . 

1.  .Wilhelm    Meisters    Lehrjahre' 
(10,  I.  II.) '    .     . 

2.  ,8ultan  wider  Willen'  (24)    ,     . 

3.  , Wilhelm  MeistersWanderjahre' 
(25,1.  II.) 

4.  .Die  Wahlverwandtschaften' (26) 

5.  ,Die  Egoisten'  (27)       .... 

1.  ,Der  ewige  Jude'  (9)  .     .     .     . 

1.  ,Die  Geheimnisse'  (12)     .     .     . 

2.  Jagd-Epos  ?  (18)      .... 


1.  ,Reineke  Fuchs'  (14)  .     .     . 

2.  , Hermann  und  Dorothea'  (17) 

3.  Teil  (19) 

4.  .Achilleis'  (20) 

5.  Margites-Epos  (21)       .     .     . 

6.  Naturgedicht  (11)    .... 


1754/65. 
1768/70. 

1795. 

1807. 

1811. 

1762. 
1754/65. 

1792. 

1794/95. 

1800. 

1801. 
1807/09. 

1807. 

1807/29. 
1807/29. 

1807/09. 

1820. 

1821. 
182C/28. 

1760. 

1766. 
um  1770. 
1774/86. 
1780/1819. 

1796. 

1775/96. 
1806/08  ? 

1807/29. 

1807/09. 

1811. 

1774. 

1784 '86. 
1797. 

1793. 
1796/97. 
1797/98. 
1798'99. 

1798. 
1798/1819. 


A  c  h  i  1 1  e  i  s. 


Handschriften:     Im  Goethe-  und  Schiller- Archiv  befinden  sich: 

1.  Eine  Handschrift  des  ersten  Gesanges,  von  Schreiber- 
hand,    mit    metrischen    Verbesserungsvorschlägen     von 

5  Heinrich  Voss; 

2.  Schemata  und  Eut-svürfe,  über  die  im  Goethe-Jahr- 
buch 8,  269,  nach  einem  Vortrage  Hermann  vSchreyers, 
berichtet  wird:  „Ein  Schema  von  102  Motiven,  in  acht 
Abschnitte     (Gesänge)     getheilt.     lässt    den    allgemeinen 

10  Gang  der  Dichtung  deutlich   erkennen.     Danach  bildete 

die  Liebe  des  Acliilleus  zur  Polyxena.  der  Tochter  des 
Priamos,  den  Mittelpunct  der  Handlung;  der  Kampf 
der  Friedens-  und  Kriegspartei  im  trojanischen  wie  im 
griechischen    Lager    wird    eingehend     geschildert.      Den 

15  Abschlnss  macht  der  Tod  des  Achilleus,  der  Streit  um 

die  Waffen  desselben  zwischen  Aias  und  Odysseus  imd 
der  Wahnsinn  und  Tod  des  Aias.  —  Ausser  dem  Haupt- 
schema finden  sich  noch  spätere  Entwürfe  der  ersten 
sechs   Bücher,   die  zum  Theil  abweichen." 

M  Erster  Druck:  ISOS,  Werke  Cotta*  10,  295—322.  Am  Schluss 
des  Bandes,  voraufgehen  ,Reineke  Fuchs'  und  .Hermann 
und  Dorothea'. 

Zweiter  Druck:     1817,  Werke  Cotta-  11,  29.5—322.   Voraufgehen 
.Reineke  Fuchs'  und  .Hermann  und  Dorothea',  es  folgt 
25  .Pandora'. 

Dritter  Drttck:      1830,  Werke  Cotta'  40,  339—3(59.  Die  Stellung 
wie  im  zweiten  Druck. 

Weimarer  Ausgabe:     1 . . .   ?  W.  Band   öO    (ist    noch  nicht    er- 
schienen,   befindet    sich    aber    unter    der   Presse).     Die 
30  Stellung  wie  im  zweiten  und  dritten  Druck. 

Graf,  Goethe  über  s.  Dichtungen  T.  I.  1 


y 


./ 


ACHILLEIS.  1797 


1797. 

März  13,  Jena.  1 

Abends    zu    iSchiller,    viel  über  epische  Gegenstände 

lind  Vorsätze. 

Tgb.  2,  60,  15—17.  5 

April  10,  Weiinnr.  2 

[Früh?]  Prolegomena  von  Wolf. 
Tgb.  2,  65,  13. 

April  20,  Weimar.  3 

Früh  Prolegomena  von  Wolf.  lo 

Tgb.  2,  65,  15. 

April  28,  Weimar.  4 

Abends  zu  Hause.  Homers  Odyssee. 
Tgb.  2,  66,  9  f. 

December  23,  Weim.ar.  5  15 

In  der  Beilage  erhalten  Sie  meinen  Aufsatz-,  den 
ich  zu  beherzigen,  anzuwenden,  zu  modifieiren  und  zu 
erweitern  bitte.  Ich  habe  mich  seit  einigen  Tagen  dieser 
Kriterien  beim  Lesen  der  Ilias  und  des  Sophokles  be- 
dient, so  wie  bei  einigen  epischen  und  tragischen  Gegen-  20 
ständen,  die  ich  in  Gedanken  zu  motiviren  versuchte, 
und  sie  haben  mir  sehr  brauchbar.  Ja  entscheidend  ge- 
schienen. 

....  Schliesslich  muss  ich  noch  von  einer  sonderbaren 
Aufgabe  melden,  die  ich  mir  in  diesen  Eücksichten  ge-  25 
geben  habe,  nämHch  zu  untersuchen:  ob  nicht  zwischen 
Hektors  Tod  und    der  Abfahrt    der  Griechen    von  der 
trojanischen  Küste  noch  ein  episches  Gedicht  inne  liege? 


^  Prolegomena    ad  Homerum    sive    de    operum    homericorum 
prisea  et  genuina  foi'ma  variisque  mutationibus  et  probabili  30 
ratione  emendandi.  Scripsit  Frid.  Aug.  Wolfius.  Vol.  I.  Halis 
Saxonum,  e  libraria  orphanotrophei.  1795. 

''  jT'^eber   opisolie  und   dramatische   Dichtung'   (WH.    29.   223  — 
220).   vgl.  145.  30  f. 


1797  ACHILLEIS. 


[Üecember  23,  Weimar.]  [5] 

oder  nicht?  ich  vermutlie  fast  das  letzte  und  zwar  aus 
folgenden  Ursachen: 

1.  AYeil    sich    nichts  Ketrogradirendes    mehr    findet, 
5       sondern  alles  unaufhaltsam  vorwärts  schreitet. 

2.  Weil  alle  noch  einigermassen  retardirenden  Vorfälle 
das  Interesse  auf  mehrere  Menschen  zerstreuen  und,  ob- 
gleich in  einer  grossen  Masse,  doch  Privatschicksaien 
ähnlich  sehn.     Der  Tod  des  Achills  scheint  mir  y 

10  ein  herrlich  tragischer  Stoff,  der  Tod  des  Ajax,  die  Eück- 
kehr  des  Philoktets  sind  uns  von  den  Alten  noch  übrig 
geblieben.  Polyxena,  Hekuba  und  andere  Gegenstände 
aus  dieser  Epoche  waren  auch  behandelt.  Die  Erobe- 
rung von  Troja  selbst  ist,  als  Erfüllungsmoment  eines 

1-,  grossen  Schicksals,  weder  episch  noch  tragisch  und 
kann  bei  einer  echten  epischen  Behandlung  nur  immer 
vorwärts  oder  rückwärts  in  der  Ferne  gesehen  werden. 
Virgils  rhetorisch-sentimentale  Behandlung  kann  hier 
nicht  in  Betracht  kommen. 

20  So  viel  von  dem,  was  ich  gegenwärtig  einsehe,  salvo 

meliori,  denn  wenn  ich  mich  nicht  irre,  so  ist  diese 
]\Iatcrie,  wie  viele  andere,  eigentlich  theoretisch  unaus- 
sprechlich. Was  das  Genie  geleistet  hat,  sehen  wir  allen- 
falls, wer  will  sagen,  was  es  leisten  könnte  oder  sollte. 

25  Au  Schiller.  —  Br.  12.  381.  13—20.  384.  22-385.  22. 

Decembcr  27,  Weimar.  6 

Ich  habe  diese  Tage  fortgefahren  die  Ilias  zu  studi- 

ren,  um  zu  überlegen,  ob  zwischen  ihr  und  der  Odyssee 

nicht  noch  eine  Epopee  inne  liege.     Ich  finde  aber  nur 

30      eigentlich  tragische  Stoffe,  es  sei  nun,  dass  es  wirklich 

so  ist,  oder  dass  ich  nur  den  epischen  nicht  finden  kann. 

Das  Lebensende  des  Achills  mit  seinen  Umgebungen 

Hesse  eine  epische  Behandlung  zu  und  forderte  sie  ge- 

wissermassen,    wegen    der  Breite    des    zu  bearbeitenden 

35       Stoffs.     jSTun  würde  die  Frage  entstehen:  ob  man  wohl 


ACHILLEIS.  1798- 


[December  27,  Weimar.]  [6] 

thue,  einen  tragischen  Stoff  allenfalls  episch  zu  be- 
handeln? Es  lässt  sieh  allerlei  dafür  und  dagegen  sagen. 
"Was  den  Effect  betrifft,  so  würde  ein  Xeuer,  der  für 
Xeue  arbeitet,  immer  dabei  im  Yortheil  sein,  weil  man  &• 
ohne  pathologisches  Interesse  wohl  schwerlich  sich  den 
Beifall  der  Zeit  erwerben  wird. 

An    Schiller.   —  Br.    12,   .386,   24—387,    1-5. 

1798. 

März  22,  Jena.  7  !(► 

Abends  bei  Schiller.  .  .  .  Ueber  verschiedne  epische 
A'orsätze^. 

Tgb.  2,  202,  12—14. 

März  2.3,   Jena.  8 

.  .  ich   will    sehen,    ob  ich  in  dieser  absoluten  Stille  15 
des  jenais^chen  Schlosses  auch  wieder^    etwas  hervorzu- 
bringen im  Stande  bin. 

Meine  beiden  epischen  Gegenstände,  sowohl  Teil  als 
Achill,  haben  Schillers  grossen  Beifall. 

An  H.  Meyer.  —  Br.  13,  102,  22—26.  2» 

März   23.   Jena.  9 

Mittag    zu    Schiller.  .  .  über  Episches    und  Drama- 
tisches. 

Tgb.  2,  202, 17—19. 

März  27,  Jena.  10  25 

Bis  jetzt  kann  ich  meinen  hiesigen  Aufenthalt  weder 
ganz    loben    noch    ganz    schelten,    ich  habe  zwar  schon 


^  Nach    dem,    was    Goethe    Tags    darauf    an    Meyer    schrieb 
(s.  Z.  18  f.),  ist  anzunehmen,  dass  über  die  epische  Behand- 
lung der  Teilsage,  besonders  aber  über  den  Plan  der  ,Achil-  3» 
lei's*  gesprochen  wurde. 

Sachlich  ghört  in  diese  imd  die  nächstfolgende  Zeit  Nr.  93, 
mit  den  31,  2.">— 29  gemachten  Einschränkiuigen,  und  Nr. 
384a. 

"  Im  Jahr  zuvor  hatte  Goethe  hier  an   .Hermann   und   Doro-  3» 
thea'  gearbeitet. 


1798  ACHILLEIS. 


[März  27,  Jena].  [10] 

manches  bei  Seite  gebracht,  al)er  das  noch  nicht  gethan 

was  ich  wünschte. 

Au  Christiaue.  —  Br.  13.  103, 18—21. 

i   März  28,   Jeua.  11 

Mittags  bei   Schiller  Fortsetzung  über  das  Tragische 

und  Epische. 

Tgb.  2,  203,  16-18. 

März   29,   Jena.  12 

10  Schema  zur  Äneis.  In  der  Ilias  gelesen. 

Tgb.  2,  203,21. 

März  30,  Jeua.  13 

Das  "Wetter  ist  mir  hier  gar  nicht  günstig  und  ich 
habe  bisher  zwar  manches  gearbeitet,  nur  gerade  das 
15  nicht,  was  ich  wünschte.  Indessen  wird  doch  vieles  vor- 
Ijereitet  und  man  kommt  weiter  ohne  es  selbst  zu  merken. 
Ich  will  noch  einige  Zeit  Geduld  haben,  zuletzt  muss  es 
sich  doch  geben. 

An  Christin  uo.  —  Br.  13.  1(»4.  17—22. 

:20   März  31,  Jeua.  14 

Die  Ilias.     Yerschiedne  Schriften  aus  der  Bibliothek, 
die  sich  darauf  Ijeziehen^     Schemata  und  Auszüge. 
Tgb.  2,  203,  28—204,  2. 

'  Welche   AVerke  Goethe   entlieh,   liisst   sich   nicht  feststellen, 
25      da  (nach  gütiger  Mittheilung  des  Vorstandes  der  Universi- 
täts-Bil)liothek  zu  .Teua)   die   Ausleihebücher  aus  jeuer  Zeit 
nicht  vorhanden  sind.     Wahrscheinlich  befanden  sich  unter 
den  entliehenen  Schriften  die  in  Nr.  10.  18  und  38  genannten. 
Gleichzeitig   sei    bemerkt,    dass   Goethe   aus   der   Weimari- 
ao     sehen  Bibliothek,    vom    23.  December    1797    bis    zum  1.  Fe 
bruar  1798.  als  einziges  den  Gegenstand  betreffendes  Werk, 
das  folgende,  im  Tagebuch  nicht  erwähnte,  entliehen  hatte: 
Dictys  Cretensis  et  Dares  Phrygius  de  hello  et  excidio  Trojffi, 
.  .  Xec  non  Josephus  Iscanus    [de  hello  trojauo.  librisexl... 
^5      Dissertationem  de  Dictye  Cretensi  praefixit  Jac.   Perizonius. 
Amstelaedami,    Ge.    Gallet.    1702,    4".    (Vgl.    Dttntzers    Einlei- 
tung zur   .Achillei's',   Goethes   Werke,   Berlin   und   Stuttgart, 
W.   Spemaun.  O.  .T.   [1884]   .5.  10.5—107.) 


ACHILI.EIS.  1798 


April  1,  Jena.  15 

Fortsetzimir  der  Arbeit  an  der  Ilias. 
Tgb.  2,  204,3. 

April  2,   Jena.  .  16 

Wood  über  Homer ^     Sebema  fortgesetzt.  5 

Tgb.  2,  204,  8. 

April  3,  Jena.  17 

leb  bin  fleissig,  es  ist  mir  aber  doch  nicht  gegangen 
wie  ich  Avünschte. 

An  Christiane.  —  Br.  13.  107,  21  f.  lO 

April  3,  Jena.  18 

[Früh]      Le  Chevalier  p]bene  von  Troja-  und  dahin 
einschlagende  Betrachtungen.  .  .  .Mittag  zu  Schiller,  wo 
viel    über    die    neuen  epischen  und  tragischen  Unter- 
nehmungen gehandelt  wurde.     Abends  in  Wood\.  .  .       i» 
Tgb.  2,  204,  13—18. 

April  5,  Jena.  19 

Früh  Wood^. 
Tgb.  2,  204,  23. 


^  Robert  Woods  Versuch  über  das  Originalgenie  des  Homers  20 
aus  dem  Englischen  [von  Christian  Fi'iedrich  Michaelis]. 
Frankfurt  am  ;Main  in  der  Audreäiscbeu  Buchhandlung  1773. 
Goethe  hatte  das  Werk  1773  in  den  .Frankfurter  gelehrteu- 
anzeigen'  (Nr.  33  vom  23.  April)  besprochen,  und  gedachte 
seiner  später  im  zwölften  Buche  von  , Dichtung  und  Wahr-  2S 
heir  (W.  28,  145,  10—146,  2). 

^  Beschreibung  der  Ebene  von  Troja  mit  einer  auf  der  Stelle 
aufgenommenen  Charte.  Der  Kön.  Societät  zu  Edinburg 
im  Febr.  und  März  1791  vorgelegt  von  ihrem  Mitgliede, 
HeiTn  Leche^alier,  .  .  Mit  Anmerkungen  und  Erläuterungen  30 
von  Herrn  Andreas  Dalzel.  .  .  Aus  dem  Englischen  übersetzt 
[von  K.  F.  Dornedden]  und  mit  Vorrede,  Anmerkungen 
und  Zusätzen  des  Herrn  Hofrath  Heyne  begleitet.  Mit  vier 
Charten.  Leipzig,  1792  in  der  Weidmannschen  Buchhand- 
hmg-  35 

"  s.  Z.  20—22.  —  Am  4.  April  hatte  der  Herzog  Karl  August 
Goethen  brieflich  beglückwünscht  zu  seinem  ..Werk  im  grie- 
chischen Stil"  rG.-Karl  August  1,  234). 


1798  AOHILLEIS.  7 

April  14.  Weimar.  20 

Vor  die  schöne  Homerische  Welt  ist  gleichfalls    ein 
Vorhang  gezogen  und  die  nordischen   Gestalten,   Faust 
und  Compagnie,  haben  sich  eingeschlichen^ 
s  An  Charlotte  Schiller.  —  Br.  13,  116,  3—5. 

April  28,  Weimar.  21 

^Indern  Sie  nur  der  Ilias  erwähnen,  fühle  ich  schon 
wieder  ein  unendliches  Verlangen  mich  an  Jene  Arbeit 
zu  machen,  von  der  wir  schon  so  viel  gesprochen  haben. 
10  Hoffentlich  gelingen  mir  dieses  Jahr  noch  ein  paar  Ge- 
sänge, indessen  niuss  man  alle  Chorizonten  mit  dem 
Fluche  des  Bischofs  Ernulphus  verfluchen^,  und  wie  die 


^  Nicht  nur  durch  die  Arbeit  am  , Faust'  wurde  vom  0.  April 
his  zum  10.  Mai  die  .Achilleis'  iu  den  Hintergrund  gedrängt, 

15       sondern    auch     durch   die    Beschäftigung    mit    dem    zweiten 

Theil    der    .Zauberflöte',    durch  die  Uebernahme  des  Gutes 

Ober-Rossla  und  durch  Ifflands  Gastspiel. 

-  Am  27.  April  hatte  Schiller  berichtet,    er  habe  noch  keine 

Stimmung    zur  Arbeit  finden    können:     ..Dafür    lese    ich    in 

20  diesen  Tagen  den  Homer  mit  einem  ganz  neuen  Vergnügen, 
wozu  die  Winke,  die  Sie  mir  darüber  gegeben,  nicht  wenig 
beitragen.  Man  schwimmt  ordentlich  in  einem  poetischen 
Meere,  aus  dieser  Stimmung  fällt  man  auch  in  keinem  ein- 
zigen Puncte  und  alles  ist  ideal  bei  der  sinnlichsten  AVahr- 

25  heit.  Uebrigens  muss  einem,  wenn  man  sich  in  einige 
Gesänge  hineingelesen  hat.  der  Gedanke  an  eine  rhap- 
sodische Aneinanderreihung  und  an  einen  verschiedenen 
Ursprung  notliwendig  barl)arisch  vorkommen,  denn  die 
herrliche    Continuität     und     Reciprocitüt     des    Ganzen     und 

30       seiner    Theile     ist     eine     seiner     wirksamsten    Schrinheiteu"' 
(Schillers  Br.  5,  372  f.). 
'  ..Chorizonten"  Cgr.  chorizeiu  =  trennen,  sondern  i  wurden  die 
griechischen     Kritiker     genannt,     die    behaupteten:    nur    die 
Ilias,  niclit  aber  die  Odyssee  sei  von  Homer  verfasst. 

35  Ernulfus  oder  Arnulfus  Roffensis  starb  1124  als  Bischof 
von  Rochester.  Er  soll,  als  Benedictinermönch  in  Beauvais, 
sein  Kloster  mit  einem  Fluche  auf  die  darin  herrschende 
Zuchllosigkeit  verlassen  haben. 


8  ACHILIJiJIS.  3798 


[April  2S,  Weimar.]  [21J 

Franzosen,  auf  Leben  und  Tod,  die  Einheit  imd  Un- 
theilbarkeit  des  poetischen  Werthes  in  einem  feinen 
Herzen  festhalten  und  vertheidigen. 

An  Schiller.  —  Br.  13,  126,  20—28.  5 

Mai  2,  Weimar.  22 

Die  Stelle  in  der    Odyssee^    scheint  sich  freilich  auf 
eine  der  unzähligen  Ehapsodien  zu  beziehen,  aus  denen 
nachher  die  beiden  überbliebenen  Gedichte  so  glücklieh 
zusammengestellt    wurden.     Wahirscheinlich    sind    jene  lo 
eben  desswegen  verloren  gegangen,  weil  die  Ilias    und 
Odyssee  in  ein  Ganzes  coalescirten.     So  haben  wir  un- 
zählige   Epigramme     verloren,     weil     man    eine    Epi- 
grammensamnilung  veranstaltete,  so  sind  die  Werke  der 
alten  Eechtslehre  zu  Grunde  gegangen,  weil  man  sie  in  is 
die  Pandekten  digerirte  xi.  s.  -u'.  Verzeihen  Sie  mir  diese 
etwas  chorizontischo  Aeusserung,  doch  scheint  mir  täg- 
lich begi'eifl  icher,  wie  man  aus  dem  ungeheuren  Yor- 
rathe    der    rhapsodischen  Genieproducte,    mit  subordi- 
nirtem  Talent,  ja  beinah  bloss  mit  Verstand,  die  beiden  20 
Kunstwerke,     die    uns    übrig    sind,    zusammen    stellen 
konnte;  ja  wer  hindert  uns  anzunehmen,  dass  diese  Con- 
tiguität  und  Continuität  schon  durch  die  Forderung  des 
Geists   an    den  Ehapsoden   im  allerhöchsten  Grade  vor- 
bereitet gewesen,  sogar  will  ich  einmal  annehmen,    dass  25 
man    nicht    alles    in    die  Ilias  und  Odyssee,    was  wohl 


Schiller  hatte  am  1.  Mai  geschrieben:  „Es  ist  mir  dieser 
Tage  in  der  Odyssee  eine  Stelle  aufgefallen,  welche  auf  ein 
Gedicht,  das  verloren  gegangen,  schliessen  lässt  und  dessen 
Thema  der  Ilias  vorhergeht.  Sie  steht  im  achten  Buch  der  30 
Odyssee  vom  zweiundsiobzipsten  Yerse  an.  Vielleicht  wissen 
Sie  mehreres  davon. 

Möchten  Sie    nur    erst  wieder    in  Ilirer  Homerischen  Welt 
leben.     Ich  zweifle  nicht   im  geringsten,   dass   Ihnen  diesen 
Sommer  und  Herbst  noch  einige  Gesänge  gelingen  werden"  35 
(Scliillers  Br.  5,  376). 


1798  ACHILI.EiS. 


[Mai  2,  Weimar.]  [22] 

hineingepasst  hätte,  aufgenommen  habe,  dass  man  nicht 
dazu,  sondern  davon  gethan  habe. 

Doch  das  sind  Meinungen  über  einen  Gegenstand, 
5  über  den  alle  Gewissheit  auf  ewig  verloren  ist,  und  die 
Yorstellungsart,  die  ich  äussere,  ist  mir  bei  meiner 
jetzigen  Production  günstig,  ich  muss  die  Ilias  und 
Odyssee  in  das  ungeheure  Dichtungsmeer  mit  auflösen, 
aus  dem  ich  schöpfen  will. 
10  An  Schiller.  —  Br.  13.  1.34.  11—135,  11. 

Mai  5,  Weimar.  23 

Ich  habe  fast  keinen  andern  Gedanken  als  mich  mit 

den  Homerischen  Gesängen,  sobald  ich  zu  Ihnen  komme, 

näher  zu  befreunden,  ein  gemeinschaftliches  Lesen  wird 

15       die  beste  Einleitung  sein^. 

Au  Schiller.  —  Br.  13.  136.  16—19. 

Mai  11,  Weimar.  24 

Die  Ilias  wieder  vorgenommen. 
Tgb.  2.  207.  10. 

20  Mal  12,  Weimar.  25 

Ihr  Brief  hat  mich,  wie  Sie  wünschen-,  bei  der  Ilias 

angetroffen,  Avohin  ich  immer  lieber  zurückkehre,  denn 

man  wird  doch  immer,  gleich  ^ne  in  einer  Montgolfiere, 

über    alles  Irdische    hinausgehoben,    und  befindet  sich 


Am  4.  Mai  hatte  Schiller  an  Goethe  geschrieben:  „Es  wäre 
wohl  nicht  übel,  \\-enu  wir  bei  Ihrem  nächsten  Hiersein  den 
Homer  zusammen  läsen.  Die  schöne  Stimmung  nicht  zu 
rechnen,  die  Ihnen  das  zu  Ihrer  Arbeit  gäbe,  würde  es  uns 
auch  die  schönste  Gelegenheit  zu  einem  Ideenwechsel  dar- 
bieten, Avo  das  Wichtigste  in  der  Poesie  nothwendig  zur 
Sprache  kommen  müsste"  (Schillers  Br.  5,  378). 

A^'ohl  mit  Bezug  auf  die  Stelle  in  Schillers  Brief  vom 
11.  Mai:  ,.Dass  Sie  sich  durch  die  Oper  [.Der  Zauberflöte 
zweiter  Theil']  nur  nicht  hindern  lassen,  an  die  Hauptsache 
recht  ernstlich  zu  denken"     (Schillers  Br.  5.  380). 


10  ACHILLEiS.  171)8 


[Mai  12,  Weimar.]  [25] 

walirliaft  in  dem  Zwischenräume,  in  welchem  die  Götter 
hin  und  her  schwebten.  Ich  fahre  im  Schematisiren 
und  Untersuchen  fort,  und  glaube  mich  wieder  einiger 
Hauptpässe  zu  meinem  künftigen  Unternehmen  be-  5 
mächtigt  zu  haben.  Die  Ausfüiirung  wäre  ganz  unmög- 
lich, wenn  sie  sich  nicht  von  selbst  machte,  so  wie  man 
keinen  Acker  Waizen  pflanzen  könnte,  da  man  ihn  doch 
wohl  säen  kann.  Ich  sehe  mich  jetzt  nach  dem  besten 
Samen  um  und  an  Bereitung  des  Erdreichs  soll  es  auch  lo 
nicht  fehlen,  das  Uebrige  mag  dann  auf  das  Glück  der 
Witterung  ankommen. 

Das  "Wichtigste  bei  meinem  gegenwärtigen   Studium 
ist,    dasä    ich    alles  Subjective    und  Pathologische    aus 
meiner    Untersuchung  entferne.     Soll  mir  ein  Gedieht  15 
gelingen,  das  sich  an  die  Ilias  einigermassen  anschliesst, 
so  muss  ich  den  Alten  auch  darinne  folgen,  worin  sie 
getadelt  werden,  ja  ich  muss  mir  zu  eigen  machen,  was 
mir    selbst    nicht  behagt^;  dann  nur  werde  ich  einiger- 
massen sicher  sein,    Sinn  und  Ton    nicht  ganz  zu  ver-  20 
fehlen.     ]\Iit    den    zwei    Avichtigen    Puncten,    dem  Ge- 
brauch   des    göttlichen  Einflusses  und  der  Gleichnisse, 
glaube  ich  im  Reinen  zu  sein,  wegen  des  letzten  habe 
ich  wohl  schon  etwas  gesagt.     Mein  Plan  erweitert  sich 
von.    innen    aus  und  wird,    wie  die  Kenntniss  wächst,  25 
auch  antiker.     Ich  muss  nur  alles  aufschreiben,  damit 
mir  bei  der  Zerstreuung  nichts  entfallen  kann. 

Die  nächste  Zeit,  die  ich  bei  Ihnen  zubringe,  soll  alles 
schon  weiter  rücken  und  einige  Stellen,  von  denen  ich 
am  meisten  gewiss  zu  sein  glaube,  will  ich  ausführen.     30 
An  Schiller.  —  Br.  13,  140,  13-141,  24. 


^  Mit  Bezug  hierauf  schrieb  Schiller  am  lö.  Mai:     ,,Das  was 
Ihnen  im  Homer  missfällt,  w-erden  Sie  wohl  nicht  absicht- 
lich nachahmen,  aber  es  wird,  wenn  es  sich  in  Ihre  Arbeit  35 
einmischt,    für    die  Vollständigkeit    der  Versetzung    in  das 


1798  ACHILLEiS.  11 

Mai  12,  Weimar.  26 

[Vomiittags]  Ilias  fortgesetzt. 
Tgb.  2,  207,  11. 

Mai   13,   Weimar.  27 

5  Früh  Ilias  fortgesetzt. 

Tgb.  2,  207, 14. 

Mai  14,  Weimar.  2S 

Früh  Ilias. 
Tgb.  2,  207,  17. 

10  Mai   15,   Weimar.  29 

Am  ernsthaftesten  imd  anhaltendsten  hat  mich  das 
Studium  der  Ilias  beschäftigt,  das  ich  auch  noch  eine 
Zeit  lang  fortzusetzen  denke. 

Da    mein    erster    epischer  Versuch     [,Hermann   und 

15  Dorothea']  gut  aufgenommen  worden^  so  ist  es  mir  eine 
Art  von  Pflicht  diese  Dichtungsart  noch  näher  zu  stu- 
diren,  um  mich  noch  weiter  drinne  zu  wagen,  denn  ich 
finde  sie  sowohl  meinen  Jahren,  als  meiner  Xeigung, 
so  wie  auch  den  Umständen  überhaupt  am  angemessen- 

20  sten;  ja  vielleicht  dürfen  wir  Deutsche  in  keiner  Dicht- 
art uns  so  nahe  an  die  echten  alten  Muster  halten,  als 
in  dieser,  und  es  kommen  so  viel  Umstände  zusammen, 
die  ein  schwer,  ja  fast  unmöglich  scheinendes  Unter- 
nehmen begünstigen.     Habe  ich  in  , Hermann  und  Do- 

25  rothea'  mich  näher  an  die  Odyssee  gehalten,  so  möchte 
ich  mich  wohl  in  einem  zweiten  Falle  der  Ilias  nähern; 
sollte  aber  auch  ein  solches  Unternehmen  zu  kühn  sein, 
so  gewinne  ich  doch  schon  unglaublich  bei'ni  blossen 
Studio,    und    eine    Aussicht    auf    einen    künftig    prak- 

30  tischen  Gebrauch,  wenn  sie  auch  nur  ein  frommer 
Wahn  wäre,  begünstigt  doch  unglaul^lich  jede  theore- 
tische Untersuchung,  und  selbst  die  klare  Einsicht  von 
Unerreichbarkeit  eines  hohen  Vorbildes  gewährt  schon 
einen  unaussprechlichen  Genuss,  ja  es  ist  jetzo  gewisser- 

35  Homerische  Wesen  und  für  die  Echtheit  Ihrer  Stimmung 
beweisend  sein"  (Schillers  Br.  5,  382). 


12  ACHILLEIS.  1798 


[Mai  15,  Weimar.]  [29] 

massen    einem    jeden,  der  sich  mit  ästhetischen  Gegen- 
ständen   beschäftigt,    die    höchste    Angelegenheit     sich 
über    diese    alteü    Meisterstücke,    wenigstens    mit    sich 
selbst,  in  Einigkeit  zu  setzen,  da  man  von  allerlei  Seiten    5 
so  manches  Sonderbare  darüber  hören  muss\ 
An  Knebel.  —  Br.  13,  14.5,  7—140,  7. 

Mai  15.  Weimar.  30 

Früh  Ilias  fortgesetzt. 
Tgb.  2,  207,  19.  10 

Mai  16,  Weimar.  31 

Ihr  Brief-  trifft  mich  wieder  bei  der  Ilias I  Das  Stu- 
dium derselben  hat  mich  immer  in  dem  Kreise  son 
Entzückung,  Hoffnung,  Einsicht  und  A^erzweiflung 
durchgejagt.  i5 

Ich  bin  mehr  als  jemals  von  der  Einheit  und  Untheil- 
barkeit  des  Gedichts  überzeugt,  und  es  lebt  überhaupt 
kein  Mensch  mehr  und  wird  nicht  wieder  geboren 
werden,  der  es  zu  beurtheilen  im  Stande  wäre.  Ich 
wenigstens  finde  mich  allen  Augenblick  einmal  wieder  20 
auf  einem  subjectiven  Urtheil.  So  ist's  andern  vor  uns 
gegangen  und  wird  andern  nach  uns  gehn.  Indess  war 
mein  erstes  Appereü  einer  .Achilleis'  richtig,  und 
wenn  ich  etwas  von  der  x\rt  machen  will  und  soll,  so 
muss  ich  dabei  bleiben.  25 

Die  Ilias  erseheint  mir  so  rund  und  fertig,  man  mag 
sagen  was  man  will,  dass  nichts  dazu  noch  davon  ge- 
than  werden  kann.     Das  neue  Gedicht,  das  man  unter- 


Knebel  antwortete   am    30.    Mai   aus   Ilmenau:     ,,Dass    Du, 
Lieber,   nun   zu   einer   lliade   sclireitest.   das   ist   freilich   ein  30 
grosses   Unternehmen,   zumalen    in   dem    Städtchen    Weimar, 
aber  für  Dein  Genie,  das  so  vieles  zu  besiegen  weiss,  nicht 
unmöglicli.  Ich  gebe  den  bergmännischen  Zuruf  von  ganzem 
Herzen  dazu,  der  sichrer  eintreffen  wird,  als  der   auf  nnsern 
Gebirgen,    wo    die  golduen  Adern    etwas    selten    sind"  (G.-  35 
Knebel  1,  176). 
Vom  15.  Mai,  s.  10,  32. 


1798  ACHILLEiS.  13 

[Mai  16,  AVeimar.]  [31J 

nähme,  mü^ste  man  gleichfalls  zu  isoliren  suchen  und 
wenn    es    auch,    der  Zeit  nach,  sich  unmittelbar  an  die 
Ilias  anschlösse. 
5  Die   ,Achilleis"   ist  ein    tragischer   Stoff,    der 

aber  wegen  einer  gewissen  Breite  eine  epische  Behand- 
lung nicht  verschmäht. 

Er  ist  durchaus  sentimental  und  würde  sich 
in  dieser  doppelten  Eigenschaft  zu  einer  modernen  Ar- 

10  beit  qualificiren,  und  eine  ganz  realistische  Behandlung 
würde  Jene  beiden  innem  Eigenschaften  in's  Gleichge- 
wicht setzen.  Ferner  enthält  der  Gegenstand  ein  blosses 
persönliches  und  Privatinteresse,  dahingegen  die  Ilias  das 
Interesse  der  Völker,  der  Welttheile,  der  Erde  und  des 

15       Himmels  umschliesst. 

Dieses  alles  sei  Ilinen  an"s  Herz  gelegt  I  Glauben  Sie, 
dass,  nach  diesen  Eigenschaften,  ein  Gedicht  von  grossem 
Umfang  und  mancher  Arbeit  zu  unternehmen  sei,  so 
kann  ich  jede  Stunde  anfangen,  denn  über  das  Wie  der 

20       Ausführung  hin  ich  meist  mit   mir   einig,  werde  aber, 
nach  meiner  alten  "Weise,  daraus  ein  Geheimniss  machen, 
bis  ich  die  ausgeführten  Stellen  selbst  lesen  kannV 
An  Schiller.  —  Br.  13,  148,  1—140. 14. 


^  Schiller  antwortete  am   18.  Mai:    ..Da   es  wohl    seine  Rich- 

25      tigkeit   hat.   dass   keine   Ilias   nach   der   Ilias   mehr   möglich 

ist.     auch     wenn     es   wieder   einen    Homer   und    wieder    ein 

(xriechenland    gäbe,    so    glaube    ich   Ihnen    nichts   Besseres 

wünschen  zu  können,  als  dass  Sie  Ihre  .Achillels',  so  wie  sie 

jetzt    in   Ihrer   Imagination    existirt,    bloss    mit   sich   selbst 

30      vergleichen  imd  beim   Homer  bloss  Stimmung  suchen,  ohne 

Ihr   Geschäft    mit    seinem     eigentlich    zu    vergleichen.      Sie 

Averden  sieh  ganz  gewiss  Ihren  Stoff  so  bilden,  wie  er  sieb 

zu  Ihrer  Form    qualifizirt    und    umgekehrt  werden    Sie    die 

Form     zu    dem    Stoffe     nicht   verfehlen.      Für   beides    bürgt 

3'«       Ihnen  Ihre  Natur    und   Ihre  Einsicht   und  Erfahrung.     Die 

tragische  und  sentimentale  Beschaffenheit  des  Stoffs  werden 

Sie  unfehlbar  durch  Ihren  subjectiven  Dichtercharacter  ba- 

lanciren,    und  sieher  ist  es  mehr  eine  Tugend  als  ein  Fehler 


14  ACHlLLEiS.  1798 

Mai  17,  ^Yeimar.  32 

[Vormittags]    Ilias  fortgesetzt. 
Tgb.  2,  207,  24. 

Mai  10.  Weimar.  33 

Zu  dem  ersten  131att  Ihres  lieben  Briefes'  kann  ich  5 
nur  Amen  sagen,  denn  es  enthält  die  Quintessenz  dessen, 
was  ich  mir  wohl  auch  zu  Trost  und  p]rmunterung  zu- 
rief. Hauptsächlich  entstehen  diese  Bedenkliehkeiten 
aus  der  Furcht,  mich  im  Stoffe  zu  vergreifen,  der  ent- 
weder gar  nicht,  oder  nicht  von  mir,  oder  nicht  auf  lo 
diese  Weise  behandelt  werden  sollte.  Diessmal  wollen 
wir  nun  alle  diese  Sorgen  l)ei  Seite  setzen  und  nächstens 
muthiglich  beginnen. 

.  .  .  Morgen  Abend    bin    ich    bei   Ihnen    und  hoffe 
schon    im   voraus  auf   die   Fruchtbarkeit   der  nächsten  1,5 
vier  Wochen. 

An  Schiller.  —  Br.  13,  151,  1—9.  19—21. 

Mai  21,  Jena.  34 

Das  Schema  der  Ilias  geendigt.  .  .  .  Gegen  Abend  bei 
Schiller.   .  .  viel  über  die  Ilias  sowohl  im  Ganzen  als  in  20 
den  Theilen. 

Tgb.  2,  208,  5  f.  8  f. 

Mai  22,  Jena.  35 

Abends  bei  Schiller,  Fortsetzung  der  Huml)oldtischen 
Abhandlung  über  die  Ilias^.  25 

Tgb.  2,  208.  11—13. 


des  Stoffs,  da  SS  er  den  Forderungen  unseres  Zeitalters  ent- 
gegen kommt,  denn  es  ist  ebenso  unmöglich  als  undankbar 
für  den  Dichter,  wenn  er  seinen  vaterländischen  Boden  ganz 
verlassen  und  sich  seiner  Zeit  wirklich  entgegen  setzen  soll.  30 
Ihr  schöner  Beruf  ist,  ein  Zeitgenosse  und  Bürger  beider 
Dichterwelten  zu  sein,  und  gerade  um  dieses  höhern  Vor- 
zugs Avillen,  werden  Sie  keiner  ausschliessend  angehöreti" 
(Schillers  Br.  5,  384  f.). 
'  Vom  IS.  Mai,  s.  13,  24.  35 

'  Das  Komma  nach  „Abhandlung"  fehlt  im  Tagebuch;  durch 
Einsetzung    desselben    ist    der    Schein    getilgt,    als    sei    von 


1799  ACHTLLEIS.  15 


Mai  23,  Jeua.  36 

Abends  bei  Schiller,  .  .  viel  üljcr  da?  epische  Gedicht 
[,Hermann    und    Dorothea']    nnd    über    das.    was    zu- 
nächst wohl  vorzunehmen  wäre. 
5  Tgb.  2.  208,  16.  18  f. 

Mai  26,  Jeua.  37 

Abends    bei    Schiller    den   Huniboldtischen    Aufsatz 
fortgesetzt.    Ueber    epische,    dramatische    und   lyrische 
Dichtkiinst\ 
10  Tgb.  2.  209, 9-11. 

Juli  16,  [JeuaV  und]  Weimar.  —  s.  160.  24—26.  3Ta 

Juli  19,  Weimar.  38 

Lenz  über  die  Ebne  von  Troja-. 
Tgb.  2.  215,  13. 


15 


1799. 

Februar  17,  Jena.  39 

Mittags    Hofrath    Schiller,    A])ends    ,Achille'is'     be- 
sprochen^. 

Tgb.  2,  235.  7  f. 


20  einer  Abhandlung  über  die  Ilias  die  Rede.  Vielmehr 
handelt  es  sich  um  die,  damals  noch  ungedruekte,  Schrift 
Wilhelm  von  Humboldts  über  .Hermann  und  Dorothea',  an 
deren  gemeinsame  Leetüre  sowohl  das  obige  Gespräch,  als 
auch  die  Unterhaltungen  am  21.,  23.  und  26.   Mai    sich  an- 

2.5      schlössen  (vgl.  161,  30—34). 

^  Während  der  nun  folgenden  Monate,  vom  Juni  1798  bis 
in  den  Februar  1799,  wurde  Goethe,  ausser  durch  Arbeiten 
zur  bildenden  Kunst  (vgl.  32,  2— öl  durch  den  Theaterbau,  den 
Schlossbau.    die    Vorbereitungen    für    die    Aufführung    des 

30      , Wallenstein'  und   durch  die  , Farbenlehre'   in   Anspruch   ge- 
nommen. 
*  Die  Ebene    von  Troja   nach  dem   Grafen  Choiseul  Gouffier 
und  andern  neuern  Reisenden  nebst  Erläuterungen  übev  den 
Schauplatz  der  Ilias  und  die  darauf  vorgefallnen  Begeben- 

35      heiten   von   Carl   Gotthold   Lenz.    Mit    Kupfern.    Xeu-?trelitz 
Michaelis.   1798. 
'  Vgl.  31. 10—14.  33—38. 


10  ACHILLEIS.  179J> 

März  9,  Weimar.  40 

.  .  hier   nur   noch   gnte  Nachrieht:    dass   ich,    durch 
Ihren   Zuruf  ermuntert^,    diese  Tage  meine   Gedanken 
auf    dem    trojanischen    Felde    festgehalten    habe.     Ein 
grosser  Tlieil  des  Gedichts,  dem  es  noch  an  innerer  Ge-    5 
stalt  fehlte,  hat.  sich  bis  in  seine  kleinsten  Zweige  orga- 
nisirt,  und  weil  nur  das  unendlich  Endliche  mich  inte- 
ressiren  kann,  so  stelle  ich  mir  vor,  dass  ich  mit  dem 
Ganzen,  wenn  ich  alle  meine  Kräfte  drauf  wende,  bis 
Ende  Septembers  fertig  sein  kann.  Ich  will  diesen  Wahn  lo 
so  lange  als  möglich  bei  mir  zu  erhalten  suchen. 
An  Schiller.  —  Br.  14,  34,  17—27. 

März  9,  Weimar.  41 

Schema   der  ,  Achill  eis'  auf's  neue  vorgenommen. 
Tgb.  2,  236,  23.  15 

März  10,  Weimar.  42 

Seit  einigen  Tagen  halte  ich  mich  mit  aller  Aufmerk- 
samkeit auf  der  Ebene  von  Troja  fest.  Wenn  meine 
Vorbereitung  glücklich  von  Statten  geht,  so  kann  die 


^  Schiller  hatte  am  5.  März  geschriebeu:  ,,Es  hat  mich  diesen  io 
Winter  oft  geschmerzt,  Sie  nicht  so  heiter  und  muthvoll  zu 
finden,  als  sonst,  .  .  Die  Natiir  hat  Sie  einmal  bestimmt, 
hervorzubringen;  jeder  andere  Zustand,  wenn  er  eine  Zeitlang 
anhält,  streitet  mit  Ihrem  AVesen.  Eine  so  lauge  Pause,  als 
Sie  dsismal  in  der  Poesie  gemacht  haben,  darf  nicht  mehr  2.5 
vorkommen,  imd  Sie  müssen  darinn  ein  Machtwort  aus- 
sprechen und  ernstlich  wollen.  .  .  . 

Das  Frühjahr  und  der  Sommer  werden  alles  gutmachen,  Sie 
werden  sich  nach  der  langen  Pause  desto  reicher  entladen, 
besonders  wenn  Sie  den  Gesang  aus  der  .Achilleis"  gleich  30 
vornehmen,  Aveil  dadurch  eine  ganze  Welt  in  Bewegung  ge- 
setzt Avird.  Ich  kann  jenes  kiu-ze  Gespi'äch,  wo  Sie  mir 
den  Inhalt  dieses  ersten  Gesangs  erzählten  [s.  31,  36— .38],  noch 
immer  nicht  vergessen,  so  wenig  als  den  Ausdruck  von 
heiterm  Feuer  und  aufblüliendem  Leben,  der  sich  bei  dieser  3.5 
Gelegenheit  in  Ilirem  g.iuzen  AA'esen  zeigte^"  (Schillers  Br.  6, 
15  f.). 


1799  -     ACHILLEIS.  17 


[März  10,  Weimar.]  [42] 

schöne  Jahrszeit  mir  viel  bringen.     Verzeihen  Sie  mir 
daher,  wenn   ich  mich  einige  Zeit   stille  halte,  bis   ich 
etAvas  aufweisen  kann\ 
5  An  Schiller.  —  Br.  14,  35,  9—14. 

März  10,  AVeimar.  '  45 

Schema    der    ,Achillei3'.      Anfang    der   Ausführung. 
Tgb.   2,   236,   25  f. 

März  11,  Weimar.  44 

10  [Früh]  Fortgefahren  an  der  ,Achilleis'.  .  .  .  Al)ends 

wieder  mit  jenem   [der  ,xA.chilleis']   beschäftigt. 
Tgb.  2,  237, 1  f. 

März  12,  Weimar.  45 

Fortgefahren  an  der  , Achilleis'. 
15  Tgb.  2,  237,  3. 

März  13,  Weimar.  46 

Es  wird  sehr  erfreulich  sein,  wenn,  indem  Sie  Ihren 
,Wallenstein'  endigen^,  ich  den  Muth  in  mir  fühle,  ein 
neues  Werk  zu  unternehmen.  .  .  . 
20  Leben  Sie  recht  wohl,  ich  sage  weiter  nichts,   denn 

ich  müsste  von  meinen  Göttern  und  Helden  reden  und 
ich  ma^  nicht  voreilig  sein. 

An   Schiller.  —  Br.   14,   36,  7—9.  24—  37,  1. 

März  13,  Weimar.  4T 

25  Wie  gestern  [s.  Nr.  45]. 

Tgb.  2,  237,  5. 


^  Schiller  antwortete  am  12.  März:  ,,Dass  das  trojanische 
Feld  sich  anrängt  um  Sie  auszubreiten,  höre  ich  mit  wahrer 
Freude.  Bleiben  Sie  in  dieser  guten  Stimmung  und  möge  da& 
heitere  Wetter  Sie    dabei    secundiren"     fSchillers  Br.  6,  18). 

'■'  Am  12.  März  hatte  Schiller  geschrieben:  „..  wenn  ich  jeden 
Tag  anwenden  kann,  wie  diese  letztern,  so  ist  es  nicht  un- 
möglich, dass  ich  Ihnen  den  ganzen  Rest  des  ,Wallensteins' 
kommenden  Montag  durch  einen  Expressen  sende.  .  .'" 
(Schillers  Br.  6,  17  f.). 
Graf,  Goethe  über  .«.  Dichtungen  T.  I.  2 


18  ACHILLEiS.  ■  1799 


März  15,  Weimar.  48 

Bei    manchen  äusserlichen  Hindernissen    des  Lebens 
liabe  ich  mir  seit  einiger  Zeit  innerlich  eine  gute  Stim- 
mung   zu    erhalten    gesucht    und    sie  angewendet    eine 
sonderbare  Arbeit  anzufangen,  die  ich  seit  einiger  Zeit    5 
mit  iiiir  herumtrage  und   wovon  ich  Dir  das  Bekennt- 
niss  machen  muss.     Schon  lange  habe  ich  viel  über  das 
epische  Gedicht  nachgedacht;  seit  der  Streitigkeit  über 
das  Alter    der  Homerischen  Gesänge  und    der  Ausfüh- 
rung von  ,Hermann  und  Dorothea'  sind  mir  diese  Ge-  10 
genstände  fast  nie  aus  den  Gedanken  gekommen,  und 
ich  habe    bei    mir  einen  Plan  versucht,    wie  man    die 
Ilias  fortsetzen,  oder  vielmehr  wie  man  ein  Gedicht,  das 
den    Tod     des    Achills    enthielte,     daran    anschliessen 
könnte.     Da    ich    nur    denken    kann,    insofern    ich  15 
p  r  o  d  u  c  i  r  e  ,  so  wird  mir  ein  solches  kühnes  Unter- 
fangen  zur   angenehmsten   Beschäftigung,   und   es   mag 
daraus  entstehen  was  da  will,  so  ist  mein  Genuss  und 
meine  Belehrung  im  Sichern;  denn  wer  l^ei  seinen  Ar- 
beiten nicht  schon  ganz  seinen  Lohn  dahin  hat,  ehe  das  20 
Werk  öffentlich  erscheint,  der  ist  übel  dran. 

Ich    denke    mich    diesen    Sommer    nicht     weit    vom 
Hause  zu  entfernen  und  wir  kommen  vielleicht  einmal 
irgendwo  auf  halbem  Wege  zusammen,  und  wenn  das 
Glück  gut  ist,  so  bringe  ich  schon  einige  Gesänge  mit\  25 
An  Knebel.  —  Br.  14,  43,  1—25. 

ISlärz  16,  AVeüuai'.  49 

Eecht  herzlich  gratulire  zum  Tode  des  theatralischen 

Helden!-  Könnte  ich  doch  meinem  epischen  [Achilles] 


^  Knebel  antwortete  am  19.  ]März:  ,,Ich  freue  mich  von  Deiuer  30 
neuen  Bildung  etwas  zu  hören.     INIir  ist  die  Geschichte  imd 
der  Gegenstand  nicht  ganz  bekannt,  worauf  Du  Dein  Werk 
gründen  werdest;  aber  ich  kann  im  voraus  gewiss  sein,  dass 
es  auf  gutem  Grunde  stehen  werde"  (G.-Knebel  1,  206  f.). 

^  Schiller  hatte  am  15.  März  vom  .Wallensteiu'  geschrieben:  35 
„Todt  ist  er  schon  und  auch  parentirt,  ich  habe  nur  noch  zu 
bossern  und  zu  feilen"  (Schillers  Br.  6,  18). 


17J)t>  ACHILLEIS.  19 


[März  16,  Weimar.]  [49] 

vor  eintretendem  Herbste    auch    das   Lebenslicht    aus- 
blasen. ... 

Von  der  ,Achille'is'  sind  schon  fünf  Gesäuge  motivirt 
5        und  von  dem  ersten  180  Hexameter  geschrieben. 

Durch  eine  ganz  besondere  Eesolution  und  Diät  hal^e 
ich  es  gezwungen  vmd  da  es  mit  dem  Anfange  gelungen 
ist,  so  kann  man  für  die  Fortsetzung  nicht  bange  sein\ 
An   Schiller.   —   Br.    14.   44,6—8.21—45,2. 

10   ][Mäi'z  18.  Weimar.]  50 

Ueber  die  den  Musen  abgetrotzte  Arbeit  will  ich  noch 

nicht  triumphiren,  es  ist  noch  die  grosse  Frage,  ob  sie 

etwas  taugt.     Auf  alle  Fälle  mag  sie  als  Vorbereitung 

gelten^. 

1.5  An  Schiller.  —  Br.  14.  47.  9—12. 


30 


^  Am  17.  März  antwortete  Schiller:  ..Herzlich  gratulire  ich 
zu  den  Progressen  in  der  ,Achilleis',  die  doppelt  wünschens- 
würdig  sind,  da  Sie  dabei  zugleich  die  Erfahrung  machten, 
Avie  viel  Sie  durch  Ihren  Vorsatz  über  Ihre  Stimmung  ver- 
mJigen"  (Schillers  Br.  6, 19). 

-  Schiller  antwortete  am  19.  März:  „Wie  beneide  ich  Sie  um 
Ihre  jetzige  nächste  Thätigkeit.  Sie  stehen  auf  dem  reinsren 
und  höchsten  poetischen  Boden,  in  der  schönsten  Welt  be- 
stimmter Gestalten,  avo  alles  gemacht  ist  und  alles  wieder 
zu  machen  ist.  Sie  wohnen  gleichsam  im  Hause  der  Poesie, 
wo  Si('  A'on  Göttern  bedient  werden.  .  .  . 

Dass  Sie  schon  im  Herbst  die  ,Aehilleis'  zu  vollenden 
hoffen,  es  doch  wenigstens  für  möglich  halten,  ist  mir  bei 
aller  LTeberzengung  von  Ihrer  raschen  Ausführungsweise, 
davon  ich  selbst  Zeuge  war  [zum  Beispiel  Ijei  .Hermann 
und  Dorothea',  s.  87.27-32].  doch  etwas  Unbegreifliches,  be- 
sonders da  Sie  den  April  nicht  einmal  zu  Ihrer  Arbeit  rechnen. 
In  der  That  beklage  ich's.  dass  Sie  diesen  Monat  verlieren 
sollen;  vit>llelcht  bleiben  Sie  aber  in  der  epischen  Stimmung 
und  alsdann  lassen  Sie  sich  ja  durch  die  Theater '«orgen 
nicht  stören.  Was  ich  Ihnen  in  Absicht  auf  den  .Wallenstein' 
dabei  an  Last  abnehmen  kann,  werde  ich  ohnehin  mit  Ver- 
gnügen thnn"  (Schillers  Br.  6.  20  f.). 


20  ACHIIXEIS.  1799 

März  20,  Weimar.  51 

Morgen  früh  gehe  ich  bei  Zeiten  ab  und  bin  zu  Mit- 
tag schon  bei  Ihnen  und  will  alle  meine  diätetischen 
Künste  zusammen  nehmen  um  diessmal  etwas  zu  liefern. 
Können  Sie  sich  nun  auch  zu  einer  neuen  Arbeit  ent-  5 
schliessen,  die  ganz  aus  Ihnen  heraus  kommt  und  so 
auch  Ihren  Neigungen  wie  Ihrem  Talent  angemessen 
ist,  so  sind  wir  auf  den  Sommer  geborgen. 
An  Schiller.  —  Br.  14,  49,23—50,6. 

März  21,  Jena.  52  lo 

.  .  zu  Schiller.      .  .  .  Ueber  Tragödie   und   Epopee. 
Tgb.  2,  238,  2—4. 

März  22,  Jena.  53 

Ich  kann  die  beste  Zeit  der  ,  A  c  h  i  1 1  e  i  s  '  geben  .  .  } 
An  der  ,Achilleis'  ist  heute  gearbeitet  worden.  Wenn  15 
ich  diessmal  nur  den  ersten  Gesang  zu  Stande  bringe, 
will  ich  gern  zufrieden  sein. 

.  .  .  Schicken  Sie  mir  doch  eine  Eeissfeder,  um 
schwarze  Kreide  einzuspannen,  mit  der  ich  mein  Ge- 
dicht concipire.  Die  englischen  Bleistifte  schreiben  sich  20 
so  sehr  ab,  und  da  ich  hier  gute  schwarze  Kreide  fand, 
so  bin  ich  auf  diesen  neuen  Mechanismus  gekommen. 
An  H.  Meyer.  —  Br.  14.  51,  2  f.  9—11.  20—25. 

März  22,  Jena.  54 

Die  ,Achilleis'    ist  eine  alte  Idee,    die    ich    mit  mir  25 
herumtrage  und  die  besonders  durch  die  letzten  Händel 
über  das  Alter  der  Homerischen  Gedichte  und  über  die 


Während  der  nächsten  Monate,  da  Schiller  Goethes  Zeit  nicht 
für  den  Musenalmanach  in  Anspruch  nahm. 

Schiller  schrieb  am  13.  April  an  Cotta:  „Mir  ist  dieses  so  30 
.irlücklich  eintreffende  Gedicht  [,Die  Schwestern  von  Lesbos' 
von  Amalie  von  Imhoff]  doppelt  willkommen  gewesen,  da 
Goethe,  wegen  einer  grossen  Arbeit,  die  er  unter  H.-iuden 
hat,  dieses  .Jahr  für  den  Almanach  nicht  viel  hätte  tluin 
kr.nnen,  .  ."  (Schillers  Br.  0,  24  f.).  35 


1799  ACHILLEIS.  21 

[März  22,  Jena.]  [54] 

rhapsodische  Zusammenstellung  derselben  neues  Leben 
und  Interesse  erhalten  hat.  Ich  fange  mit  dem  Schluss 
der  Ilias  an,  der  Tod  des  Achills  ist  mein  nächster  Ge- 
5  genstand,  indessen  werde  ich  wohl  noch  etwas  weiter 
greifen.  Diese  Arbeit  führt  mich  auf  die  wichtigsten 
Puncte  der  poetischen  Kunst,  indem  ich  über  das 
Epische  nachzudenken  alle  Ursache  habe\ 
An  Knebel.  —  Br.  14,  52.  7—10. 

10  März  22,  Jena.  55 

[Früh]  , Achilleis',  zweite  Kede  der  Thetis  [Vers  189 
—22ß].  .  .  .  Xach  Tische  kam  Herr  Hofrath  Schiller. 
Gespräch  über  .  .  Homerische  Mythologie. 
Tgb.  2,  238.  6  f.  9  f.  12. 

15  März  23.  Jena.  56 

[Früh]  ,AchilleiV. 
Tgb.  2,  238,  19. 

März  24,  Jena.  57 

Früh  jAchilleis^ 
20  Tgb.  2,  238,  24. 

März  25,  Jena.  58 

[Früh]  ,Aehilleis'.    .  .  .  Abends  allein,  die  ,Acbilleis' 

durchcorrigirt. 

Tgb.  2,  238,  26-28. 

23  März  2ü,  [Jena.]  59 

Heute  früh  bin  ich  bis  zur  Eede  der  Minerva  [Vers 
354]  gelangt,  und  weil  diese  eigentlich  den  folgenden 
Abschnitt  eröffnet,  so  bin  ich  geneigt-  Ihnen  meine  bis- 
herige Arbeit  heute  vorzulegen.     Ich  will  um  halb  ein 

30  Uhr  kommen,  noch  vor  Tische  lesen  und  nach  Tische 
der  Botenexpedition  wegen  mich  wieder  empfehlen  und 
frage  an,  ob  Ihnen  diese  Einrichtung  angenehm  sei. 


^  Knebel    antwortete    am  9.  April:     „Ich    nehme    an  Deiner 
,Achilleis'  grossen  Antheil,   doch  freut  es  mich   noch   mehr, 
35      da  SS  Du  desslialb    die  Idee    von  einem  Naturgedichte    [vgl. 
Nr.  543e]  nicht  willst  fahren  lassen"  (G.-Knebel  1.  208). 


22  ACHILLEIS.  1799 


[März  26,  [Jena.]  [59] 

Leben  Sie  recht  wohl,  auf  "Wiedersehn  an  dem   l'fer 
des  Hellesponts. 

An  Schiller.  —  Br.  14.  .53,  15—24. 

März  26,  Jena.  60    5 

[Früh]    jAchilleiV  .  .  .  vor   Tische  hei    Scliiller   vor- 
gelesen, dort  gegessen. 
Tgb.  2,  230,  If. 

März  27,  Jena.  61 

Ich  habe  Ursache  mit  meinem  hiesigen  Autenthalte  lo 
diessmal  zufrieden  zu  sein,  meine  Arbeiten  gehen  gut, 
und    das  Frühjahr    scheint    mich    über  meinen  Winter 
trösten  zu  wollen. 

An  Kinns.  —  Br.  14,  öl,  3 — 6. 

März  27,  Jena.  62  15 

Die  .AchilleiV  ruckt  vor,  ich  habe  schon  350  Yerse^, 
welche  schon  die  übrigen  nach  sich  ziehen  sollen. 
An  H.  Meyer.  —  Br.  14,  58,  2.0—27. 

März  27,  Jena.  '^3 

Voss  Ilias^.  20 

Tgb.  2,  239,  6. 

März  28,  Jena.  64 

Früh  ,Achilleis'. 
Tgb.  2,  2.39.  17. 

:März  29,  Jena.  tJ5  25 

Früh  ,Achilleis'.     .  .  .  Kupfer  von  Flaxman^.     Nach- 
mittag zu  Schiller,    .  .  über  poetische,  besonders  epische 
Gegenstände  und  einige  Lebensfälle. 
Tgb.  2,  2.39,  19.  25.  27  f. 


'   Vgl.  21,  26  f.  30 

-  Homers    Werke    von    Johann    Heinrieh    Voss,     Band    1 — 1. 

Altona,   J.    F.    Hammerich    1793   enthalten  in  Band    1. 2  die 

L'ebersetzung  der  Ilias.  von  der  bis  dahin  nur  Bruchstücke 

erschienen  waren. 
'  Jolm    Flaxmaus    Umrisszeichnungen    zu   Homer.    Aeschylos  35 

und   Dante,    von   Piroli    und   Anderen    in    Kupfer  gestochen, 


1790  ACHILLEIS.  23 

März  30,  Jeua.  06 

[Friih]  ,Aehilleis',  .  .  iil)«-  die  ,AchilleiV,  über  Flax- 
mans  Zeichnimgen  den  Morgen  über  nachgedacht. 
Tgb.  2,  240,  1.  3-Ö. 

5     März  31,  Jeua.  67 

[Früli]  .Achilleis'.  Die  Flaxmanisehen  Kupfer,  durch 

Kath  [August  Wilhelm]  Schlegel  communicirt,  ging  ich 

durch  und  dictirte  etwas  darüber^  Gegen  Abend  sah  ich 

solche  mit  Schillern  noch  einmal  durch. 

10  Tgb.  2,  240,  6—9. 

April  1,  Jena.  08 

Diese  Woche  will  ich  noch  in  vollem  Fleisse  hier  aus- 
leben, wahrscheinlich  wird  der  erste  Gesang  fertig  und, 
wenn  es  mir  möglich  ist,  fange  ich  gleich  den  zweiten 

15  an,  damit  ja  kein  Stillstand  eintrete;  denn  die  Arbeit 
fängt  schon  an,  eine  ungeheure  Breite  zu  zeigen,  wozu, 
ohne  anhaltenden  Fleiss,  das  Leben  wohl  nicht  hin- 
reichen möchte.  Da  schon  vier-  Gesänge  ziemlich  moti- 
virt  vor  mir  liegen,  so  bedarf  es  nur  der  Geduld  der  ein- 

20  zelnen  Ausführung,  indem  diese  Arbeit  ihre  Stimmung 
selbst  mit  sich  führt  und  erzeugt.  .  .  . 

Wahrscheinlich  kommen  wir  [Goethe  und  Schiller] 
Mittwochs  den  10.  April  nach  Weimar,  wo  ich  mich 
freue  Ihnen  meine  Helden  imd  Götter  vorzustellen. 

.ir,  Au  H.  Mever.  —  Br.  14,  61,26  —  62.  S.  11— 13. 


waren  seit  Avenigen  Jaliieu  erschieueu  (Odyssee  Rom  1798, 
Ilias  London  1795);  sie  regten  Goethe  zu  einem  kleinen  Auf- 
satz ,Ueber  die  Flaxuianischen  Werke"  an,  dem  er  eine 
Uebersicht  der  dargestellten  Gegenstände  (aus  der  Ilias  34, 

30       aus  der  Odyssee  28)   mit  knappen   kritischen   Bemerkungen 
ansehloss,  W.  47,  24.5  f.  341— .346. 
'  s.  Z.  27—81. 

^  Diese  Angabe  steht  nicht  in  Widerspruch  zu  19.  4,  da  der  erste 
der,  dort  als  bereits  motivirt  bezeichneten,  fünf  Gesänge  in- 

3.^      zwischen  der  Vollendung  nahe  gerückt  war. 


24  ACHILLEIS.  1791) 

April  1,  Jena.  69 

[Früh]    , Achilleis'.     Schluss  über  die  Flaxmanischen 

Arbeitend 

Tgb.  2.  240,  13  f. 

April  2,  Jena.  'J'O    5 

Ich  schicke  hier  den  ersten  Gesang,  indem  ich  eine 
kleine  Pause  machen  will,  nm  mich  der  Motive,  die  nun 
zunächst  zu  bearbeiten  sind,  specieller  zu  versichern. 
Ich  schicke  das  Manuscript,  damit  Sie  es  selbst  lesen 
und  ihm  schärfer  in's  Auge  sehen.  Ich  habe  den  besten  lo 
Muth  zu  dieser  Arbeit  und  ersuche  Sie  um  fortdauern- 
den Beistand^. 

An  Schiller.  —  Br.  14,  63,  1—7. 

April  4,  Jena.  71 

Ging  ich  vor  und  nach  Mittag  spazieren,  und  über-  15 

legte    den  Schluss    des  ersten  Gesanges  der  , Achilleis'. 
Tgb.  2,  241,  3—5. 

April  5,  Jena.  "2 

[Früh]  ,Achilleis',  Schluss  des  ersten  Gesangs*. 
Tgb.  2,  241,  13.  20 

Mai  10,  Jena.  "3 

A'^erschiednes  durchdacht.  .  .  .    ,Achilleis'. 
Tgb.  2,  247,  14—16. 

Mai  11.  Jena.  "^ 

[Früh]  Ueber  die  , Achilleis'  .  .  verschiednes  gedacht.  2.^ 
Tgb.  2,  247.  23  f. 


'  s.  22,  35  —  23,  31. 

^  Schiller  antwortete  am  selben  Tage:  „Ihre  Sendung  über- 
rascht mich  sehr  angenehm,  ich  will  den  Gesang  mit  aller 
Aufmerksamkeit  lesen  und  studiren.  30 

.  .  .  Ich  hoffe  Sie  bald  zu  sehen  und  Ihnen  meine  Empfin- 
dungen über  das  Gelesene  mitzutheilen"  (Schillers  Br.  G,  23). 

'  Am  10.  April  kehrte  Goethe  für  drei  Wochen  nach  Weimar 
zurück.  r)ie  Proben  zu  .Walleusteins  Tod'  und  Arbeiten  für 
die  .Propyläen'    (.Der  Sammler    imd    die   Seinigen')   nahmen  35 
seine  Zeit  in  Anspruch.    Vgl.  die,  sachlich  hierhergehörende, 
Aeussenmg  32.  2—5. 


1799  ACHILLEIS.  25 


Mai  15,  Jeua.  75 

Verschiedne  Correcturen  .  .  theils  an  der  ,Achilleis'. 
Tgb.  2,  249,  8  f. 

Mai  2G,  Jena.  76 

5  Ihre  Arbeit  üijer  meineu  ,Heraiann  und  Dorothea'/ 

für  die  ich  Ihnen  nochmals  danke,  habe  ich  nun  in 
schönem  Drucke  vor  mir  und  nehme  die  einzelnen  ( Ka- 
pitel nach  und  nach  wieder  vor.  In  wie  fern  ich  davon 
profitire  und  in  meinen  Arbeiten  vorschreite,  sollen  Sie 

10  selbst  beurtheilen,  wenn  Sie  dereinst  zurückkommen- 
und  eine  grössere  epische  Arbeit,  wo  nicht  vollendet, 
doch  im  Gange  finden,  von  der  ich  gegenwärtig  nicht 
einmal  den  Stoff  anzuzeigen  wage,  damit  nicht  Ihre 
freundschaftliche   Sorge  rege  werde:   ob   ich   mir  nicht 

15       etwa  gar  Ikarische  Flügel  zubereite. 

Au  W.  V.  Hunibolclt.  —  Br.  14,  97,  13-23. 

September  22.  Jena.  77 

Was  .  .  diejenigen  grösseren  Arbeiten  betrifft,  so- 
wohl epischer  als  dramatischer  Form,  die  mich  gegen- 

20  wärtig  beschäftigen^,  so  habe  ich  über  dieselben  völlig 
freie  Hand,  imd  ob  man  gleich  für  die  Zukunft,  wegen 
so  mancher  eintretenden  Zufälligkeiten,  nichts  ver- 
sprechen soll,  so  glaube  ich  doch,  in  mehreren  Eück- 
sicht^n  die  Zusage  schuldig  zu  sein:  dass  ich  Ihnen,  ^vie 

25  etwas  zur  Reife  gedeiht,  davon  Xachricht  geben,  Ihre 
Gedanken  vernehmen  und,  unter  gleichen  Bedingungen, 
Ihnen  den  Vorzug  gern  zugestehen  werde.  Dieses  war 
bei  mir  schon  früher  ein  stiller  Vorsatz,  den  mir  Hu- 
Charakter  und  Ihre  Ilandelsweise  abnötliigten,  eh"  mir 

30       die  letzten  Ereignisse*  noch  mehr  Verbindlichkeit  gegen 

Sie  auferlegten. 

An  Cotta.  —  Br.  14.  189.19—190,4. 


'  s.   161,  30-32. 

-  Humboldt  hielt  sich  zu  der  Zeit  in  Paris  auf. 

'  .Achilleis',  .Faust'  und  die  Uebertragung  von  Voltaires 
.Mahomet'. 

*  Hier  ist  wohl  an  die  Verhandlungen  wegen  der  .Propyläen' 
zu  denken,  der  seit  1708  in  Cotlas  Verlag  von  Goethe  heraus- 
gegebenen Kunstzeitschrift, 


26  ACHlLLEiS.  1800 

ISOO. 

?  Ain-il  2.  AVeimar.  78 

Xieht  allein  Ihre  graramatischen,  sondern  auch  Ihre 
kritischen  Bemerkungen  im  Allgemeinen  könnten  einem 
AVerke,  das  '  ich  angefangen  habe,  sehr  zu  Statten  5 
kommen,  wenn  ich  nur  den  Muth  hätte,  gegenwärtig 
daran  zu  denken.  Doch  wage  ich  nichts  davon  sehen  zu 
lassen,  bis  ich  weiter  vorgerückt  bin\ 
Au  A.  W.  Schlegel.  -  Br.  1.5,  öl,  9—14. 

1800.  10 

Februar  24,  Weimar.  79 

Packet    an    Cotta    mit    dem    ersten    Bande    meiner 
Werke.  .  .  . 

Den  Inhalt   der  künftigen  Bände  durchgesehen  und 

berechnet^.  i5 

Tgb.  3,  119,  23  f.  27  f. 

L?  ?  ?]  80 

[In  das  Jahr  1806  und  in  mibestimmte  sj^ätere  Zeit 
gehören  folgende  Gespräche,  die  Riemer  im  Auschluss 
an  Xr.  93  überliefert] :   Die  , Achilleis'  gerieth  .  .  ganz  in  20 
Stocken,  dergestalt,  dass  sie  erst  wieder  bei  der  Heraus- 
srabe  seiner  Schriften  1806,  wobei  ich  ihm  an  Händen 


'  Diese  Stelle  bezieht  sich  wahrscheinlich  nicht  auf  ,Achil- 
leis',  sondern  auf  , Helena.  Zwischenspiel  zu  Faust',  vgl. 
SdGG.  13.  332  zu  Xr.  45.  25 

-  Die  zwölfbändige  (später  durch  Hiuzufügeu  der  .Wahlver- 
wandtschaften* dreizehnbändige),  erste  Cottasche  Ausgabe, 
die  180(5—1808  (1810)  in  Tübiugeu  erschieu.  uud  dereu 
zehnter  Band  .Reiueke  Fuchs".  .Herinauu  uud  Dorothea" 
und  .Achilleis"  enthält.  30 

Die  Voranzeige  dieser  Ausgabe  war  im  lutelligenzblatt 
der  Jenaischen  ^Allgemeinen  Litteratur-Zeitung  schon  am 
20.  August  1805  erschienen.  Schelliug  hatte  Ende  1805  an 
Goethe  gesehrieben:  ,,ilit  welcher  Freude  auch  uns  die 
Ankündigung  Ihrer  Werke,  besonders  aber  des  ergänzten  3.5 
.Faust"  und  der  ,AchilleTs'  erfüllt  hat.  will  ich  nicht  sageu, 
da  sich  diess  versteht"  (SdGG.  13,  246). 


1807  ACHILI.KIS.  27 

f?  ?  ?J  [80] 

ging,  gegen  mich  zur  Sprache  kam;  wo  er  mir  ifeiue  Ab- 
sicht: die  jAchilleis'  in  einen  Koman  zu  verwandeln, 
mittheilte  und  die  Motive  besprach.  Als  er  noch  später 
das  Schema  derselben  aiifgehmden  hatte,  brachte  ich 
ilm  durch  meine  Bemerkung,  dass  jede  Zeit  die  antiken 
Mythen  mit  ihrem  Geiste  behandele,  ja  behandeln 
müsse,  indem  jene  Anfänge  ja  nur  die  Kotyledonen  der 
Sache  seien  und  die  Alten  ja  selbst  ihre  Sagen  und 
Fabeln  weiter  ausgebildet  hätten,  auf  die  Eröffnimg  der 
Idee  des  Ganzen,  die  er  so  ausdrückte:  ..Achill  weiss, 
dass  er  sterben  muss,  verliebt  sich  aber  in  die  Polyxena 
tmd  vergisst  sein  Schicksal  rein  darüber,  nach  der  Toll- 
heit seiner  Xatur." 

Mit  Riemer.  —  Mittlieilnn,i;j:en  2.  .")22  f. 

1807. 

August  10,  Karlsbad.  Sl 

[Vormittags]   Verschiedene  romantische  Sujets  über- 
legt.    Verwandlung  der  ,Achilleis''  in  einen  Eoman^. 
Ti,'b.  3,  256,  9—11. 

September  21,  Weimar.  82 

[Vormittags]      Die    , Achilleis"    angefangen    durchzu- 
sehen-. 

TÄb.  S.  277.  20  f. 


25    '  Riemers  Tagebucli  am   sellu'U  Tage:    „Veber  Tische  Motive 

ziu-  .A<  hilleis'  als  Roman"  (Deutsche  Revue  11,  1.  65). 

-  Für  den  zehnten  Band  der  Werke  Cotta\     Riemer  hatte  die 

Durchsicht    schon  eine  AYoche  früher  begonnen,    sein  Tage- 

l)ueji  bemerkt  unter  dem  14.   September:    .,  .Achilleis-  ange- 

ao      fangen"  (Deutsche  Revue  11,  1.  66). 

In  noch  früherer  Zeit.  1805  oder  1806,  hatte  Heinrich  Voss 
in  die  Handschrift  der  .Achilleis-  zahlreiche  metrische  Ver- 
besserungsvorschläge mit  Tinte  eingetragen.  Diese  waren 
entweder  schon  damals  von  Goethe  geprüft  worden  oder 
a5  Avurden  es  jetzt.  Jedenfalls  hat  Goethe  einige  Aenderungen 
Vossens  angeuonmieu,  vgl.  G.J.  17,  Ol  f.  und  Vossbriefe  S.  160 
(Erläuterung  110). 
Sachlich  gehört  hierher:  Nr.  Ol.  92. 


-28  ACHILLEIS.  1808 

September  22,  Weimar.  83 

[Früh]      ,Achilleis'    erst    allein,    nachher    zusammen 
durchgesehen^. 

Tgb.  3,  278,  5  f. 

T>ecember  7,  Jena.  84    5 

[Früh]     Die    epischen    Gedichte    durchgegangen.  .  . 
Nach  Tische  fortgefahren  an  den  epischen  Gedichten, 
und  verschiedenes  [mit  Eiemer]   besprochen. 
Tgb.  3,  304,  27.  305,  2-4. 

December  8,  Jena.  85  lo 

Einiges    an    den    epischen   Gedichten    arrangirt   und 
diesen  Band  eingepackt.  .  .  .  [Brief]  An  Dr.  Cotta  nach 
Tübingen;  Absendung  des  letzten-  Bandes. 
Tgb.  3,  305,  10  f.  14  f. 

December  17,  Jena.  86  i5 

Abends  um  Sechs  zu  Frommann,  wo  Seebeck  und  sie 
war.  .  .  .  Vom  Plan  der  ,Achille'is''   gesprochen  und  an- 
dern poetischen  Fictionen^. 
Tgb.  3,  308,27  —  309,2. 

1808.  20 

-August  7,  Karlsbad.  87 

Packet    mit    den    zwei    letzten    Lieferungen    meiner 
Werke*. 

Tgb.  3.  369,  19  f. 


'  Mit  Riemer,  dessen  Tagebucli  unter  diesem  Tage  vermerkt:  25 
„  .AcliilleTs'  geendigt"  (Deutsche  Revue  11,  1,  66). 

"  Band  10  wird  hier  der  „letzte"  genannt,  weil  er  als  letzter 
xin  den  Verleger  gelangte.  Der,  die  Ausgabe  schliessende. 
Band  12  war  schon  im  Mai  des  Jahres  erledigt  worden. 

"  Riemers  Tagebuch  am  selben  Tage:    „Abends    mit    Goethe  30 
zu  Frommann.     Las  Goethe  seine  .Pandora'  vor  und  sprach 
vom    Plan   der    .Achilleis'    und    sonst"    (Deutsclie    Revue    11. 
X  67). 

*  Werke  Cotta'  Band  5—12;  Band  10  enthält  ide  Epen. 

Charlotte   Schiller   hatte   diese   beiden   Lieferungen    schon  35 
früher   in   Hunden,   denn   bereits  am   14.   Juni   1808  sehreibt 


1809  ACHILLEiS.  29 


1S09. 

Januar  1,  Weimar.  88 

[Abends?]    Bei   Frau  von  Wolzogen'.    Die  jAchilleiV 
vorgelesen. 
5  Tgb.  4,  1,  6  f. 

][Nach  October  10.  ?]  89 

[Zu  1798.  1799.  —  Im  ältesten  biographischen  Sche- 
ma, das  Goethe  während  des  letzten  Vierteljahres  1809 
für    jDichtung    und    Wahrheit'    zu  entwerfen   l)egann, 
10       heisst  es  unter] 

1798:  , Achilleis";,  Ilias  Schemata. 
1799:  ,AchilleiV,  Flaxman. 
W.  26,  361, 1  f.  10  f. 


sie  au  Goethe:     ,,Die  .Achilleis'  habe  ich  auch  mit  Wehmutb 

15      wieder  begrüsst,    wie  eiueu    alten  Freund,    der    aber  immer 

neu  bleibt.     Es  ist  aber  auch  so  wunderbar  schön.    Ich  habe 

ein  Fieber  bekommen,   wie  ich   die  acht   Bände   so  vor  mir 

sah,  .  ."  (GJ.  4,  256). 

Therese  Huber  —  um  hier  das  Urtheil  einer  andern  Frau 

20  anzuschliessen,  —  schrieb  an  Böttiger,  am  18.  September 
1808:  ,,Und  der  erste  Gesang  der  , Achilleide'?  freilich  Sic 
Genosse  des  erhabensten  Alterthums.  Sie  linden  vielleicht 
da  Schwächen,  wo  ich  meine  alten  Götter  nur  wieder  er- 
kenne,   nicht   in   Homerischem,   aber   in   göttlichem    Glanz  — 

2.5      wie    wünsche   ich.     dass   Goethe   diese   .Achilleide"   vollende! 

ich  hoffe  es  kaum  —  doch  vielleicht  vermag  es  Goethe,  über 

dieser   Zeit    und  dieser  Welt,   ganz   in   seiner   Heroen   Welt 

zu  leben"  (GJ.  18,  125). 

Etwa   in  diese  Zeit  des  ersten  Erscheinens  der  .Achilleis' 

30  mag  auch  ein  Gespräch  Zelters  mit  Friedrich  August  Wolf 
fallen,  dessen  jener  zweimal  in  Briefen  an  Goethe  gedenkt. 
„Ich  erinnere  mich"',  schreibt  Zelter  am  18.  Februar  1826, 
,, recht  gut  seiner  Miene  über  Deinen  neuen  Gesaug  zur 
Ilias.     Was  er  aber  auch  damit  sagen  wollte  oder  nicht:  den 

3.5      Gedanken  hat  er  Dir  nicht  vergeben;    er  hat  ihn  beneidet 
wie  ein  Kaufherr,   der  einen  neuen  Laden  neben  sich   ent- 
stehen   sieht.    —    Wie    konntest  Du  Dir    auch    das  heraus- 
nehmen!" fG.-Zelter  4.  145,  vgl.  auch  4,  274.  6.  302.) 
'  Caroline  von  Wolzogen.  Schillers  Schwägerin. 


30  ACHlLLEiS.  1819 

März  r Anfang].  Weimar.  90 

[Zu  1798.    —    In  dem  chronologischen  Yerzeichniss 
der  AVerke,  das,  zwischen  dem  6.  Februar  und  5.  März 
1819  entstanden,  mit  dem  Datum  „AYeimar.  März  1819"    5 
am  Schluss  Aon  Band  20  der  Werke  Cotta-  erschien,  ist 
aufgeführt  unter  dem  Jahre] 
1798:  .  .  .Achilleis'-:  .  . 

Summarische      .Tahresfolge     (Joetbesclier     Schriften.    — 
^^'H.  29,  324.  10 

182S. 

] [Januar.  zwi.*!chen  9  und  22.  Weimar.]  91 

[Zu  1807.]     Dem  Bande  meiner  epischen  Gedichte^ 
sollte    .Achilleis"    hinzugefügt    ■werden;    ich    nahm    das 
Ganze  wieder  vor,  hatte  jedoch  genug  zu  thun,  nur  die  i.=> 
beiden  ersten  Gesänge*   so   weit  zu  führen,   um   sie  an- 
fügen zu  können. 

Tag- und  Jahres-Hefte  1807.  —  W.  36.  27.7—11. 


^  In  den  Zeitraum  von  1809  bis  1819.  aus  dem  Aeusserungen 
Goethes  über  die  , Achilleis'  nicht  bekannt  sind,  fällt  die  io 
Durchsicht  der  Dicht  iiug  für  deren  zweiten  Druck  (1817. 
Werke  Cotta"  Band  11).  Das  Tagebuch  enthält  hierüber 
keinerlei  Bemerkung.  r>och  darf  aus  der  Absendung  der 
di-uckfertigen  Bände  10  (1816  Juli  8)  und  12  (1816  October  23). 
zusammen  mit  den  unter  Nr.  3S4.  522  f.  für  .Reiueke  Fuchs'  2:> 
und  , Hermann  und  Dorothea"  gegebenen  Tagebuch  vermerken, 
geschlossen  werden,  dass  die  Durchsicht  im  August  oder 
September  1816  geschah. 

■'  Vgl.  31,  25—29. 

'  In  einem   „Bande"   waren   die  epischen   Gedichte   (.Reineke  3o 
Fuchs'   und  , Hermann  und  Dorothea)    bis  dahin    nicht  er- 
schienen; Goethe  dachte  sie  sich  jetzt  bereits  vereint  im 
zehnten  Baude  der,  damals  im  Erscheinen  begriffenen.  Aus- 
gabe der  Werke  Cotta\ 

*  Von  ..zAvei  Gesängen"  ist  auch  in  Nr.  93.  94  die  Rede,  sonst  35 
aber  nirgends:  das  veröffentlichte  Fragment  der  Dichtung  ist 
in  allen  Ausgaben  als  ., Erster  Gesang"  bezeichnet.  Die  Länge 


1823  ACHILLEIS.  31 

HJamiai-.  zwischen  10  uutl  10.  Weimar.]  92 

[Zu  1806.]  Die  projectirte  neue  Ausgabe  meicer 
AYerke  [Cotta\.  1806 — 1810]  nöthigte  mich  sie'  säinrnt- 
lich  wieder  durclizugehen,  und  ich  widmete  jeder  ein- 
zelnen Production  die  gehörige  Aufmerksamkeit,  ob  ich 
gleich  bei  meinem  alten  Vorsätze  blieb  nichts  eigentlich 
umzuschreiben  oder  auf  einen  hohen  Grad  zu  verändern. 
Tag-  und  Jahres-Hefte  1806.  —  W.  35,  247.  l.">— 20. 

][Juli  1.  Eger:  oder  August  11.  12.  Marieubad.]  93 

[Zu  1T98.]  Zur  .Achilleis'  hatte  ich  den  Plan  ganz  im 
Sinne,  den  ich  Schillern  eines  Abends  ausführlich  er- 
zählte. Der  Freund  schalt  mich  aus.  dass  ich  etwas  so 
klar  vor  mir  sehen  könnte,  ohne  solches  auszubilden 
durch  Worte  und  Sylbenmass.  So  angetrieben  und 
fleissig  ermahnt  schrieb  ich  die  zwei  ersten  Gesänge: 
auch  den  Plan  sehrieb  ich  auf,  zu  dessen  Fördemiss  mir 
ein  treuer  Auszuof  aus  der  Ilias  dienen  solltet 


35 


desselben  (051  N'erse)  ist  sehr  auffallend  im  Vergleich  zu 
dem  durchschnittlichen  Umfang  der  Gesänge  der  beiden 
andern  Epen  (etwa  250—300  Yerset. 

Ganz  ungesucht  stellt  sich  die  Vermuthung  ein.  dass  der 
erste  Gesang  mit  dem  Ende  der  Gütterver-sammlung  (Heres 
Worte  zu  Athene.  Vers  397)  geschlossen,  der  zweite  mit 
Atheues  Hinalttlug  zu  Achilleus  begonnen  habe. 
'  Goethe  fasst  hier  die  Arbeit  an  der  .Achillels'.  die  sich  nach 
seinen,  der  Bearbeitung  der  .Tag-  und  Jahres-Hefte-  zu 
Grunde  liegenden,  Tagebüchern  und  nach  dem  biographi- 
schen Schema  von  iS('J9  fs.  Nr.  89.i  auf  die  beiden  Jahre  1798 
und  1799  vertheilt,  in  Ein  Jahr  zusammen,  wie  in  Xr.  90.  Der 
Auszug  aus  der  Ilias  entstand  schon  1798.  ebenso  wie  der 
,.rhur-  der  ,AchiHeis'  zum  gW.ssercn  Theil.  während  die 
Ausführung  erst  1799  geschah. 

Welchen  der  zahlreichen,  bei  Sclüller  verbrachten.  Abende 
Goethe  hier  im  Sinne  hat.  ist  niclit  zweifellos  festzustellen.. 
Am  meisten  Wahrscheinliclikeit  haben  der  22.  März  1798 
(s.  Xr.  7).  und  der  17.  Februar  1799  (s.  Xr.  39).  auf  den  viel- 
leicht auch  ..jenes  kurze  Gespräch''  fällt,  dessen  Schiller  am 
5.  März  17f»9  gegen  Goethe  gedenkt  (s.  16.  31  — 35i.  Wegen 
der  ..zwei  ersten"  Gesänge  s.  30.  35—  31.  24. 


32  ACHILLEIS.  182G 


[Juli  1,  Eger;  oder  August  11.  12,  Marienbad.]  [93] 

Doch  liierTon  leitete  mich  ab  die  Eichtung  zur  bil- 
denden Kunst,  welche  sich  bei  Meyers  Zurückkunft 
aus    Italien    ganz    entschieden    abermals     hervorgethan 

hattet  > 

Tag-  und  .Tabres-Hefte  1798.  —  W.  35,  78,  19—79,  3. 

August,  zwischen  11  und  21,  Maiienbad.  94 

[Zu  1798.  1799.]  ...  [de  1797].  jusqu'  ä  1800:  .  . 
jAchilleide'  en  deux  chants-.  .  .  . 

Tabellarische  Uebersichl    der  ,Ouvrages    poetiques    de  lo 
Goethe'  —  (iJ.  15,  18. 

1836. 

Februar  1,  Weimar^.  95 

Band  12:  Epische  Gedichte  und  Verwandtes:  ,Eei- 
neke     Fuchs^,     ,Hermann    und    Dorothea',    ,Achilleis',  is 

,Pandora'*. 

.\uzeige  von  Goethes  siimnitlichen  Werken,  Yollständige 
Ausgabe  letzter  Hand.  —  AVH.  29,  351. 

1839.  20 

Noveml)er  14,  Weimar.  —  s.  Xr.  41.öa.  95a 

1830. 

März  7,  Weimar.  96 

„Es  ist  nicht  gut,  dass  der  Mensch  allein  sei",  sagte 

Goethe,    „und  besonders  nicht,    dass    er  allein  arbeite; 

vielmehr    bedarf    er    der    Theilnahme    und    Anregimg,  2.=> 

wenn  etwas  gelingen  soll.     Ich  verdanke  Schillern  die 

,Achilleis'  .  .  " 

Mit  Eckermann.  —  Gespräche  7,  240. 


»  Vgl.  15,  20—31. 

-  ^-gl.  30,  35—  31,  24.  aa 

'  Unter  diesem  Datum  bemerkt  das  Tagebuch:  ..Das  Ver- 
zeielniiss  meiner  Werke  in's  Reine  dictirt."  Die  .Anzeige' 
der  Werke  ist  vom  1.  März  1826  datirt. 

*  Durch   die.   während   des   Druckes,   vom    Verleger   herbeige- 
führte Aendernng  der  geplanten  Folge  trat  dieser  Band,  als  35 
der  vierzigste,  an  den  Schluss  der  Ausgabe,  vgl.  Nr.  415a. 


1830 


ACHILLEIS. 


33 


Juni  25,  Weimar.  07 

Die  siebente  Lieferung  meiner  Werke  ist  ange- 
kommen, die  achte  fortgesenclet\  Die  Augsburger  ver- 
sprechen mir  mit  der  Octavausgabe  schnell  nachzu- 
rücken-. Und  so  hätten  wir  dieses  weitaussehende  Werk 
denn  auch  noch  zu  Stande  gebracht. 
An  seinen  Sohn.  —  G.J.  11,  98. 


^  Die  achte  uud  letzte.  1830  erschienene,  Lieferung  (Band  3«3 — 
40)  der  ,YoUständigeu  Ausgabe  letzter  Hand'  enthielt  im 
vierzigsten  Bande  die  Epen,  vgl.  Xr.  41.5  a. 

-  In  Augsburg  befand  sich  Cottas  Druckerei.  Unmittelbar 
nach  der  sogenannten  , Taschen-  oder  Sedez-Ausgabe"  (die 
der  Signatur  nach  jedoch  8°  ist)  wurde  eine,  mit  jener  we- 
sentlich übereinstimmende  „Octavausgal3e"'  gedruckt,  deren 
vierzigster  Band  auch  noch  im  .Talire  1830  erschien. 


•t^Vfe^ 


Graf,  Goethe  über  s.  Dichtungen  T.  I. 


Chromati  k. 


1810. 

Januar  17,  Weimar.  98 

Vorschlag  die  Chromatik  in  einen  Iioman  zu  verwan- 
delnd 

Tgb.  4,  90,  26  f. 


^  Goethes  AVerk  ,Zur  Farbenlehre'  näherte  sich  damals  gerade 
seinem  Abschlnss  und  erschien  noch  1810  in  zwei  Bänden. 
Riemer  berichtet  in  den  , Mittheilungen'  2,  628:  ,, Seine  Farben- 
lehre in  einen  Roman  zu  bringen,  that  ich  Goethen  den  Vor-  lo 
schlag  (ISIO,  den  17.  Januar)  um  sie  mehr  zu  popularisiren 
und  sie  besonders  den  Frauen  zugänglicher  zu  macheu,  in 
einer  Art  etwa  wie  Fontenelle  seine  .Eutretiens  sur  la  plura- 
lite  des  Mondes'.  Der  Einfall  missfiel  ihm  keineswegs 
[Riemer  erinnert  hier  in  einer  Anmerkung  mit  Recht  an  das  15 
didaktische,  die  Geognosie  behandelnde.  Gedicht  des  Eng- 
länders John  Scaf(!  ,King  Goal'  aus  dem  Jahre  1819;  in  dem 
dieses  besprechenden  kleinen  Aufsatze  (Nat.  W.  10,  46 — 50  ge- 
denkt Goethe  seiner  Farbenlehre  nicht] ;  aber  wo  sollte  Zeit, 
Müsse  und  Lust  herkommen  zur  Ausführung  einer  zugleich  20 
Avissenschaftlichen  und  ästhetischen  Aufgabe,  die  den  tiefsten 
Frieden  verlangte,  und  uns  umgab  nur  entweder  Kriegsge- 
töse oder  die  dumpfe  Stille,  die  einem  Gewittersturme,  einem 
Erdbeben  voranzugehen  pflegt." 


Dichtung  und  Wahrheit. 


10 


20 


1810. 

October  25,  ^^'eimal■.  99 

Da  Du  doch  nicht  aufhören  wirst  mir  gern  zu 
schreiben  und  ich  nicht  aufhören  werde  Dich  gern  zu 
lesen,  so  könntest  Du  mir  noch  nebenher  einen  grossen 
Gefallen  thnn.  Ich  will  Dir  nämlich  bekennen,  dass  ich 
im  Begriff  bin  meine  Bekenntnisse  zu  schreiben,  daraus 
mag  nun  ein  Roman  oder  eine  Geschichte  werden,  das 
lässt  sich  nicht  voraussehn^;  aber  in  jedem  Fall  bedarf 
ich  Deiner  Beihülfe.  Meine  gute  Mutter  ist  abge- 
schieden und  so  manche  Andre,  die  mir  das  Vergangne 
wieder  hervorrufen  könnten,  das  ich  meistens  vergessen 
habe.  Nun  hast  Du  eine  schöne  Zeit  mit  der  theuren 
Mutter  gelebt,  hast  ihre  IMährchen  und  Anekdoten 
wiederholt  vernominen  und  trägst  und  hegst  alles  im 
frischen  belebenden  Gedächtniss.  Setze  Dich  also  nur 
gleich  hin  und  schreilie  nieder,  was  sich  auf  mich  und 
die  Meinigen  bezieht  und  Du  wirst  mich  dadurch  sehr 
erfreuen  und  verbinden. 

An  Bettina  Brentano.  —  Br.  21,  408,  13  —  409,  0. 


2.5 


^  Da  .Dichtung  und  Wahrheit'  schliesslich  kein  ..Roman", 
sondern  eine  „Geschichte",  ein  biographisch-litterarisches  Be- 
kenntniss  geworden  ist,  mussten  Goethes  Aeusseruugeu  über 
das  Werk,  bis  auf  die  obige  und  Nr.  100,  von  dieser  Samm- 
lung ausgeschlossen  bleiben.  Die  in  .Dichtung  und  Wahr- 
heit' eingefügten  Dichtungen  dagegen  sind  selbstverstäud- 
lich  an  don  ihnen  gebührenden  Stellen  behandelt  worden. 


36 


DICHTUNG  UND  WAHRHEIT. 


1811 


1811. 

April  27,  Jena.  100 

Er   sagte    mir  [Knebel],    er    sei  in  dieser  Geschichte 
[seine?  Lebens],  bereits  bis  in  sein  zwanzigstes  Jahr  ge- 
kommen,   und    wolle    nun,  da  er  so  manche  andre  ge- 
schrieben, nun  auch  seinen  eignen  Eoman  schreiben, .  . 
Mit  Knebel.  —  Knebels  Briefwechsel  mit  seiner  Schwe- 
ster S.  537. 


A  S^U^Syl~^ 


Die  Egoisten. 


1811. 

März  lö,  Weimar.  101 

Xach  Tische  Plan  von  den  ,Egoisten\ 
5  Tgb.  4,  190,  11  f. 

März  10,  AVeimar.  102 

Der  ,Egoist'  sollte  ein  Eoman  werden,  dessen  Motive 

Goethe  mir  [Riemer]  erzählte  den  10.  März  1811.    Der 

Sinn  war:  ,.dass  die  Meisterschaft  für  Egoismus  gelte"^ 

10  ]*Iit  Riemer.  —  Gespräche  3,  3. 


Riemer  verweist  in  seineu  .Mittbeilungen'  2,  622  auf  deu 
Spruch  in  Prosa;  „Die  Meisterschaft  gilt  oft  für  Egoismus", 
in  dem  Goethe  „weuigstens  diesen  Gedanlien  aufbewahrt" 
habe  (AVH.  10,  04  Xr.  275). 


Der  ewige  Jude. 


Handschriften:  1.  ^'el•s  1 — -1  uud  73 — 108,  im  ersten  Entwurf  vun 
Goethes  Haud.  Die  Beschaffenheit  der  vier  ersten 
Verse:  mit  Bleistift  eiligst  quer  auf  das  Papier  ge- 
worfen, veranschaulicht  das  Entstehen  von  Goethes  da-  5 
maligen  Mauuscripten,  wie  er  selbst  es  im  Eingang  des 
.Ewigen  Juden"  und  im  sechzehnten  Buche  von  .Dichtung 
und  Wahrheit-  (W.  29,  14,  19—15,8)  schildert. 

2.  Einzelne,  ,, zerstreute  Stelleu'"  (vgl.  44,  35 —  45,2),  die, 
von  den  Herausgebern  des  Nachlasses  im  ersten  Druck  lo 
theilweise  verwerthet.  jetzt  in  den  Lesarten  W.   38,  453 
veröffentlicht    sind,    da    sie    sich    ..nicht    mit  genügender 
Sicherheit  in  den  Gang  des  Gedichtes  einfügen  lassen". 

3.  Vers  109—192.  von  Goethes  Hand. 

4.  Vers  1—72  und  193—289.  in  Reinschrift  von  Goethes  15 
Hand,  das  heisst  „Anfang"'  und  ..Schluss"  der  Dichtung 
(vgl.  44,  35—45,  2). 

Erster  Druck:  1836.   Werke  Q.   1(1).  145-147.   Unter  den  Gedich- 
ten der  Rubrik  „Religion  und  Kirche".  (Der  der  Zeitfolge 
nach  nächste  Druck  ist  der  in  der  vierzigbändigen  Cotta-  20 
sehen  Ausgabe,  1840.) 

Zweiter  Druck:  1842.  AVerke  N.  5(5.  19-29.  Unter  den  „Ver- 
mischten Gedichten",  mit  der  Angabe  im  Inhaltsverzeich- 
uiss:  ,.1769—1775". 

Weimarer  Ausgabe:     1897.   W.   38,  53— 64   uud  4.-.U— 456.     Um  er  25 
anderen  Jugenddichtungen. 


1774  DER    EWIGE   JUDE.  39 


[177^.] 

[Frübjalu-  oder  Aufaug  Sommers^S  Frankfurt?]  103 

I7m  Mitternacht  wohl  fang"  ich  an, 
Spring'  aus  dem  Bette  wie  ein  Toller; 
5  Xie  war  mein  Bnsen  seelevoller, 

Zu  singen  den  gereisten  Mann, 


Und  hab'  ich  gleich  die  Gabe  nicht 
A'^on  wohlgeschlifi'nen  leichten  Eeimen, 
So  darf  ich  doch  mich  nicht  versäumen, 
Denn  es  ist  Drang  und  so  ist's  Pflicht. 
Und  wie  ich  dich,  geliebter  Leser,  kenne. 
Den  ich  von  Herzen  Bruder  nenne. 
Willst  gern  vom  Fleck  und  bist  so  faul, 
Ximmst  wohl  auch  einen  Ludergaul, 
Und  ich,  mir  fehlt  zu  Xacht  der  Kiel, 
Ergreif  wohl  einen  Besenstil. 
Drum  hör'  es  denn,  wenn  dirs  beliebt. 
So  kauderAvelsch  wie  mir  der  Geist  es  gibt. 
Des    Ewigen    .Juden    erster    Fetzen    Y.    1 — i.   i:)— 20.  — 
AV.  38,  .54. 


^  Die  früliste  Erwälinung  des  Gedichts  findet  .sich  iu  Lavaters 
Tagebuch.  Dieser  reiste  am  28.  Juni  1774.  iu  Begleitung 
Goethes,  von  Frankfurt  nach  Ems.  und  notirt  unter  diesem 

25  Datum  für  AViesbadeu  und  die  Fahrt  nach  Schwalbach: 
„Sprach  mit  Goethe  am  Fenster,  von  der  Auferstehung 
Christi.  —  Um  2  Uhr  reisten  wir  ab.  Ich  schlief  viel.  Goethe 
recitirte  viel  von  seinem  .Ewigen  Juden'.  Ein  seltsames  Ding 
in  Knittelversen"    (W.  38,  45G);    sodann  unter  dem   Datum 

30      Ems.  Juli  1."»: zvuu  Essen  neben  Goethe.  Von  .  .  .  seinem 

,Ewigen  Juden'—.  .-  (Nord  und  Süd  1899,  Bd  91  S.  58).  Und 
wenn  Gessuer  in  seiner  .Lebensbeschreibung"  Lavaters 
(Winterthur  1802,  2,  129),  auf  Grund  dieses  Tagebuches,  von 
eben  der  Reise  erzählt:    ..Aus  seinen  Gedichten  las  und  reci- 

35  tiite  Goethe  eine  Menge  —  Sache  und  Recitation.  Drama, 
Epopee  uud  Knittelvers,  es  hatte  alles  nur  Eiu  Gepräge, 
hauchte  nur  I']inen  Geist",  so  wird  unter  der  ..Epopee"  nichts 
Anderes  zu  verstehen  sein  als  Theile  aus  .Des  Ewigen 
Juden  erstem  Fetzen". 

40         Sachlich  gehciren  iu  diese  Zeit:  Nr.  108.  110—112. 


40  DER  EWIGE  JUDE.  17S«; 


[August  Ende,  Frankfurt.]  1(>4 

Danke  besonders  für  die  gütige  Theilnehmung^  an  der 
Schätzung  des  Volks,  die  ich  vornehme,  vielleicht  wird 
Avährend  der  Zeit  ein  neuer  Messias  im  Stall  geboren. 
An  Johanna  Fahimer.  —  Br.  2,  193,  17—20. 

1 786. 

October  22,  Giredo.  105 

Heute  früh  sass  ich  ganz  still  im  "Wagen-  und  habe 
den  Plan  zu  dem  grossen  Gedicht  der  Ankunft  des 
Herrn,  oder  dem  .e-oigen  Juden*^,  recht  ausgedacht^. 
Wenn  mir  doch  der  Himmel  nun  Eaum  gäbe  nach  und 
nach  das  alles  auszuarbeiten,  was  ich  im  Sinne  habe. 
Tgb.  1,  314,27—315.4. 

October  27,  Terni.  —  s.  Nr.  109.  105a 

1786—1788. 

[?  ?  Rom.]  106 

Ewiger  Jude.  Pius  TL  Schönster  der  Menschenkinder. 

Xeid.  Will  ihn  einsperren,  ihn  nicht  weglassen,  vrie  ihn 

der  Kaiser  Staatsgefangen  im  Vatikan  behalten,  al  Gesu 

Jesuiten  Tross.    Lob  des  ungerechten  Haushalters*.  20 

W.  38,  455. 


1.5 


^  Diese  „Theilnehmung"  hatte  Johanna  Fahimer  wahrschein- , 
lieh  im  Gespräcli  bezeigt,  als  Goethe  sie,  nach  der  Rückkehr 
von  seiner  Lahn-  und  Rhein-Reise,  Mitte  August  besuchte. 

-  Auf  der  Fahrt  von  Lojano  nach  Giredo,  zwei  kleinen  Orten  25 
in  den  Apenninen,  zwischen  Bologna  und  Florenz. 

*  An  der  entsprechenden  Stelle  der  .Italienischen  Reise'  wird 
dieses  Planes  nicht  gedacht. 

*  Diese  Aufzeichnimg  findet  sich  in  einem  Notizheft,  dessen 
Goethe  sich  in  Rom  bediente,  und  ist  zuerst  in  den  An-  30 
merkungen  zu  Goethes  Tagebüchern  und  Briefen  aus  Italien 
von  Erich  Schmidt,  im  Anschluss  an  Nr.  105,  mit  der  Bemer- 
kung veröffentlicht  worden:  „Ein  neues  stilvolleres  Gedicht 
sollte  die  alte  fragmentari.sche  Skizze  in  Knittelversen  ver- 
drängen" (SdGG.  2,  396).  35 


1S08  DER  EWIGE  JUDE.  41 


1808. 

April  6,  Weimar.  107 

Uebrigens  war  ihm  die  Idee  [des  ,E^Wgen  Juden'] 
noch  nicht  völlig  ans  der  Seele  gewichen,  und  er  sagte 

5  mir  [Piiemer]  noch  im  Jahre  1808  den  6.  April,  er  wolle 
ein  Gedicht  schreiben  ,!Maran  Atha'  oder  ,Der  Herr 
kommt',  ich  solle  ihn  nur  daran  erinnern.  Es  war  nämlich 
von  Galvanismus  und  modernem  Mysticismus  die  Rede, 
imd  ein  anwesender  geistreicher  Naturforscher  [Seebeck] 

10  bemerkte:  dass  man  leicht  glauben  könne  aus  den  Tre- 
mellen,  die  bei  Gewitterregen  zum  Vorschein  kommen, 
käme  der  Messias  her'^. 

Mit   Riemer.  —  Mittlieiluugen   2,   525  f. 

[1813.] 

15  LMärz  26,  Weimar.]  108 

[Zu  177-i.]  .  .  .  die  Kluft,  die  mich  von  jeuer  Lehre- 
trennte, ward  mir  deutlich,  ich  musste  also  auch  aus 
dieser  Gesellschaft  scheiden,  und  da  mir  meine  Xeigung 
zu  den  heiligen  Schriften  so  wie  zu  4em  Stifter  und  den 

20  früheren  Bekennern  nicht  geraubt  werden  konnte,  so 
bildete  ich  mir  ein  Christenthum  zu  meinem  Privatge- 
brauch, und  suchte  dieses  durch  lleissiges  Studium  der 

'  In  Riemers  Tagebuch    heisst    es    unter  demselben  Datum, 
fast   gleiclilauteud:      „Mittags    Seebeck     zu    Tische.      Ueber 

25  Calvanismus  und  modernen  Mysticismus.  bemerkte  See- 
beck, dass  man  leicht  glauben  könne:  der  Messias  könne 
aus  den  Tremellen.  die  bei  Gewitterregen  zum  Vorschein 
kommen  als  eine  Gallerte,  entstehen.  Goethe  fasste  es  auf 
und  AA-oUte  ein  Gedicht  .Maranatha'  oder  .Der  Herr  kommf 

30      machen"  (Gespräche  2.  201). 

Die  Tremellen  (lat.  tremere  =  zittern)  gehören  zu  den  Gal- 
lert-Algen. Riemer  bemerkt,  dass  die  Tremella  Xostoc  L.  im 
Volke  die  Namen  ,Himmelsblume'.  , Himmelsblatt',  ,Erd- 
bluine-  habe  (Mittheilungeu  2,  526). 

35  -  Von  den.  der  Lehre  der  Brüdergemeinde  verwandten,  reli- 
giösen T'eberzeugungen.  die  Goethe  vornehmlich  diirch 
Susanna   von  Klettenberg  nahegebracht  waren. 


42  DER  EAVIGE  JUDE.  181? 


[März  26,  Weimar.]  [108] 

Geschichte,  und  durch  genaue  Bemerkung  derjenigen, 
die  sich  zu  meinem  Sinne  hingeneigt  hatten,  zu  be- 
gründen und  aufzubauen. 

AVeil  nun  aber  alles,  was  ich  mit  Liebe  in  mich  auf-  5 
nahm,  sich  sogleich  zu  einer  dichterischen  Form  anlegte, 
so  ergriff  ich  den  wunderlichen  Einfall,  die  rreschichte 
des  ewigen  Juden,  die  sich  schon  früh  durch  die  Volks- 
bücher bei  mir  eingedrückt  hatte,  episch  zu  behandeln, 
um  an  diesem  Leitfaden  die  hervorstehenden  Puncte  der  lo 
Eeligions-  und  Kirehengeschichte  nach  Befinden  darzu- 
stellen. "Wie  ich  mir  al)er  die  Fabel  gebildet,  und  welchen 
Sinn  ich  ihr  untergelegt,  gedenke  ich  nunmehr  zu  er- 
zählen. 

In  Jerusalem  l)efand  sieh  ein  Schuster,  dem  die  Lc-  is 
gende  den  Xamen  Ahasverus  gibt.  Zu  diesem  hatte  mir 
mein  Dresdner  Schuster^  die  Grundzüge  geliefert.     Icli 
hatte    ihn    mit    eines    Handwerksgenossen,     mit    Hans 
Sachsens  Geist  und  Humor  bestens  ausgestattet,  und  ihn 
durch  eine  Xeigung  zu  Christo  veredelt.     "Weil  er  nun,  20 
bei  offener  "Werkstatt,  sich  gern  mit  den   Vorbeigehen- 
den unterhielt,  sie  neckte  und,  auf  Sokratische  "Weise, 
jeden  nach  seiner  Art  anregte,  so  verweilten  die  Xach- 
barn  und  andre  vom  Volk  gern  bei  ihm,  auch  Phari- 
säer und  Sadducäer  sprachen  zu,  und,  begleitet  von  seinen  25 
Jüngern,  mochte  der  Heiland  selbst  wohl  auch  manch- 
mal bei  ihm  verweilen.  Der  Schuster,  dessen  Sinn  bloss 
auf    die  "Welt  gerichtet    war-,    fasste  doch  zu  unserem 


*  Den  originellen   Seliiister,    bei  dem  er  17<i7  in  Dresden  ge- 
wohnt hatte,  schildert  Goethe  im  achten   Buche  von  ,Dich-  30 
tung-  und  Wahrheit'  (W.  27,  167,  28—170,  18.  171,19—26.175, 
H- 16);  vgl.  iiuch  W.  von  Biedermann:  (ioethe  und  Dresden 
(Berlin,  Gustav  Hempel  1875)  S.  3  f. 

"^  Auf  den  Widerspruch,  in  dem  diese  Cliarakteristik  und  die 
Bezeichnung    des     Schusters    als    eines     „hart-verständigen  35 
Menschen"  (s.  44.  13)   mit  den  Versen  25—27  und   43—72  der 


1813  DER  EWIGE  JUDE.  43 


[März  26,  Weimar.]  [108} 

Herrn  eine  besondere  Xeigung,  die  sieh  hauptsächlich 
dadurch  äusserte,  dass  er  den  hohen  Mann,  dessen  Sinn 
er  nicht  l'asste,  zu  seiner  eignen  Denk-  und  Handels- 
5  weise  bekehren  Avollte.  Er  hig  daher  Christo  sehr  in- 
ständig an,  doch  aus  der  Beschauhchkeit  hen'orzutreten, 
nicht  mit  solchen  Müssiggängern  im  Lande  herumzu- 
ziehn,  nicht  das  Volk  von  der  Arbeit  hinweg  an  sich  in 
die  Einöde  zu  locken:  ein  versammeltes  Volk  sei  immer 

10  ein  aufgeregtes,  und  es  werde  nichts  Gutes  daraus  ent- 
steh n. 

Dagegen  suchte  ihn  der  Herr  von  seinen  höheren  An- 
sichten und  Zwecken  sinnbildlich  zu  belehren,  die  aber 
bei  dem  derben  Manne  nicht  fruchten  wollten.     Daher, 

15  als  Christits  immer  bedeutender,  ja  eine  öffentliche 
Person  ward,  Hess  sich  der  wohlwollende  Handwerker 
immer  schärfer  und  heftiger  vernehmen,  stellte  vor,  dass 
hieraus  nothwendig  Unruhen  und  Aufstände  erfolgen, 
und  Christus  selbst  genöthigt  sein  v,ürde.  sich  als  Par- 

20  teihaiipt  zu  erklären,  welches  doch  unmöglich  seine  Ab- 
sicht sei.  Da  nun  der  Verlauf  der  Sache  wie  wir  wissen 
erfolgi,  Christus  gefangen  und  verurtheilt  ist,  so  wird 
Ahasverus  noch  heftiger  aufgeregt,  als  Judas,  der  schein- 
bar den  Herrn  verrathen,  verzweifelnd  in  die  Werkstatt 

25  tritt,  und  Jammernd  seine  missluugene  That  erzählt.  Er 
sei  nämlich,  so  gxit  als  die  klügsten  der  übrigen  An- 
hänger, fest  überzeugt  gewesen,  dass  Christus  sich  als 
Regent  und  A'olkshaupt  erklären  werde,  und  habe  das 
bisher  unüberwindliche  Zaudern  des  Herrn  mit  (icwalt 

30  zur  That  nöthigen  wollen,  und  desswegen  die  Priester- 
schaft zu  Thätlichkeiten  aufgereizt,  welche  auch  die.-e 
bisher  nicht  gewagt.  Von  der  Jünger  Seite  sei  man  auch 
nicht  unbewaffnet  gewesen,  und  wahrscheinlicher  Weise 
Dicbtunj?   steht,   ist   wiederholt   liiujrewieseu   worden,    besoii- 

35  ders  von  Düutzer  iu  seineu  .Erläuterungen  zu  Goethe* 
Wolken-  27.  48—50  i.ud   G.T.   1,   153. 


44  DER  EWIGE  JUDE.  1813 


[März  26,  Weimar.]  [108] 

wäre  alles  gut  abgelaufen,  wenn  der  Herr  sicli  nic-ht 
selbst  ergeben  und  sie  in  den  traurigsten  Zuständen 
zurückgelassen  hätte.  Ahasverus,  durch  diese  Erzählung 
keineswegs  zur  Milde  gestimmt,  verbittert  vielmehr  noch  5 
den  Zustand  des  armen  Exapostels,  so  dass  diesem  nichts 
übrig  bleibt,  als  in  der  Eile  sich  aufzuhängen. 

Als  nun  Jesus  vor  der  Werkstatt  des  Schusters  vorbei 
zum  Tode  geführt  wird,  ereignet  sich  gerade  dort  die 
bekannte  Scene,  dass  der  Leidende  unt^r  der  Last  de«  lo 
Kreuzes  erliegt,  und  Simon  von  Kyrene  dasselbe  weiter 
zu  tragen  gezwungen  wird.     Hier  tritt  Ahasverus  hervor, 
nach    hart-verständiger    Menschen    Art,    die,  wenn  sie 
jemand  .  durch    eigne   Schuld    unglücklich    sehn,    kein 
Mitleid  fühlen,  ja  vielmehr,  durch  unzeitige  Gerechtig-  is 
keit  gedrungen,  das  Uebel  durch  Vorwürfe  vermehren; 
er  tritt  heraus  und  wiederholt  alle  früheren  "Warnungen, 
die  er  in  heftige  Beschuldigungen  verwandelt,  wozu  ihn 
seine  Xeigung  für  den  Leidenden  zu  l^erechtigen  scheint. 
Dieser  antwortet  nicht,  aber  im  Augenblicke  bedeckt  die  20 
liebende  Veronica  des  Heilands  Gesicht  mit  dem  Tuche, 
nnd  da  sie  es  wegnimmt  und  in  die  Höhe  hält,  erblickt 
Ahasverus  darauf   das  Antlitz   des  Herrn,   aber  keines- 
wegs des  in  Gegenwart  Leidenden,  sondern  eines  herrlich 
Verklärten  und  himmlisches  Lel:)en  Ausstrahlenden.  Ge-  25 
blendet   von   dieser  Erscheinung  wendet   er   die   Augen 
weg,  und  vernimmt  die  Worte:  „Du  wandelst  auf  Erden, 
bis  du  mich  in  dieser  Gestalt  wieder  erblickst".     Der 
Betroffene  kommt  erst  einige  Zeit  nachher  zu  sich  selbst 
zurück,  findet,  da  alles  sich  zum  Geriehtsplatz  gedrängt  30 
hat,  die  Strassen  Jerusalems  öde,  Unruhe  und  Sehnsucht 
treiben  ihn  fort,  und  er  beginnt  seine  Wanderung. 

Von  dieser  und  von  dem  Ereigniss,  wodurch  das  Ge- 
dicht zwar  geendigt,  aber  nicht  abgeschlossen  vrird,  viel- 
leicht   ein    andermal.     Der  Anfang,    zerstreute  Stellen  35 


1813  DER  EWIGE  JUDE.  45 


[März  26,  Weimar.]  [108] 

und  der  Schhiss  waren  geschrieben^:  aber  mir  fehlte  die 
Sammhmg,  mir  fehlte  die  Zeit,  die  nöthigen  Studien 
zu  machen,  dass  ich  ihm  hätte  den  Gehalt,  den  ich 
\\ünschte,  geben  können,  und  es  blieben  die  wenigen 
Blätter  imi  desto  eher  liegen,  als  sich  eine  Epoche  in  mir 
entwickelte,  die  sich  schon,  als  ich  den  ,'Vrerther'  schrieb, 
und  nachher  dessen  Wirkungen  sah,  nothwendig  an- 
spinnen musste^. 

Dichtung    und    Wahrheit  Theil  3,   Buch   15.  —  W.   28. 
300, 18  —310,  17. 


^  Der  „Anfang"  (Vers  1— 72i  imd  ,, zerstreute  Stellen"  ^Vers 
73 — 110)  sind  vorhanden.  Was  aber  unter  „Schluss"  zu  ver- 
stehen sei,  ist  nicht  ohne  "S\'eiteres  klar.     Da  der  ,, Schluss" 

15  ausdrücklieh  als  „geschrieben"  bezeichnet  wird,  so  müssen 
—  will  man  ihn  nicht  als  verloren  gegangen  betrachten  — 
die  letzten  Iheile  des  Bruchstücks.  Vers  111—289.  als  Schluss 
augesehen  werden.  Diese  schildern  die  Wiederkunft  des 
Herrn,  brechen  aber  mit  den,  deutlich  auf  eine  Fortsetzung 

20  hinweisenden,  Worten  (Vers  289)  ab:  ..Wie  ihr"s  bald  weiter 
werdet  sehn".  Demnach  ist  der  ..Schluss"  jedenfalls  nur 
unvollständig  erhalten. 

Die   ..Wanderimg"   des   Juden   blieb   unausgeführt;   zu   ihr 
gehören  vielleicht  die  drei  kleinen  Bruchstücke  Vers  73—83. 

25      84—88.  89—92.  Goethes  Antheil  galt  weniger  der  Wanderung 

Ahasvers,    als    dem    Wiedererscheineu    Christi    auf    Erden. 

Dafür    spricht    unter  Anderem   auch    der  Ausdruck  40. 9  f.: 

,,das  grosse  Gedicht  der  Ankunft  des  Herrn". 

Unter   dem   „Ereigniss,    wodurch   das   Gedicht   zwar  geen- 

30  digt,  aber  nicht  abgeschlossen  wird",  hat  man  den  Besuch 
des  ewigen  Juden  bei  Spinoza  verstehen  wollen,  weil  eines 
solchen  Goethe  im  sechzehnten  Buch  von  .Dichtung  und 
Wahrheit'  gedenkt  (s.  48.  19— 49.  .5).  doch  lassen  die  doit 
von    jener    Begegnung    gebrauchten    Ausdrücke:    „weithes 

35      Ingrediens"    und    „vorübergehender    Scherz"     eher    darauf 

schliessen,  dass  dieser  Besuch  nur  eine  Episode,  nicht  aber 

das  Ende  bilden  sollte. 

-  Es   war  die   Epoche   des  prometheisch   einsamen,   ganz   aus 

der   eigenen    Kraftfülle    sich    nährenden    Schaffens,    der   wir 

40      das  dramatische  Bruchstück    .Prometheus'   verdanken,   über 


4G  DER  EWIGE  JUDE.  1815 


[1815.] 

[April  G.  7,  Weimar.]  109 

[Zu  1TS6,  October  27.].  Die  Gunst  der  Musen  wie  die 
der  Dämonen  besucht  uns  nicht  immer  zur  reciiten  Zeit. 
Heute  ward  ich  aufgeregt,  etwas  aus7Aihiklen,  was  gar    .5 
nicht  an  der  Zeit  ist.  Dem  ]\Iittelpuncte  des  Katholicis- 
nius  mich  nähernd,  von  [vatlioliken  umgeben,  mit  einem 
Priester  in  eine  Sedie  eingesperrt^,  indem  ich  mit  rein- 
stem Sinn  die  wahrhafte  Xatur  und  die  edle  Kunst  zu 
beobachten  und  aufzufassen  trachte,  trat  mir  so  habhaft  lo 
vor  die  Seele,  dass  vom  ursprünglichen  Christenthuin  alle 
Spur  verloschen  ist;  ja,  Avenn  ich  mir  es  in  seiner  Eein- 
heit  vergegenwärtigte,  so  wie  wir  es  in  der  Apostelge- 
schichte sehen,  so  niusste  mir  schaudern,  was  nun  auf 
Jenen  gemüthlichen  x\nfängen  ein  unförmliches,  ja  ba-  ^'^ 
rockes   Heidentimm  lastet.      Da   fiel   mir   der   ewige 
Jude  wieder  ein,  der  Zeuge  aller  dieser  wundere  amen 
Ent-  und  Aufwickelungen  gewesen,  und  so  einen  wunder- 
lichen Zustand  erlebte,  dass  Christus  selbst,  als  er  zu- 
rückkommt, um  sich  nach  den  Früchten  seiner   Lehre  20 
umzusehen,  in  Gefahr  geräth,  zum  zweitenmal  gekreu- 
zigt zu  AA'erden.     Jene  Legende:  Venio  iterum  crucifigi, 
sollte  mir  bei  dieser  Katastrophe  zum  Stoff  dienen-. 
dessen  Entstehung  Goethe    in  .Dichtung    und  AVahrheit'  un- 
mittelbar nach   der  obigen   Erzählung  vom   .Ewigen   Juden'  25 
berichtet.     Vor  allem   aber   war   es   die   (iestalt   Fausts,    die 
damals  und  in  der  Folge  diejenige  des  Ahasverus  in  Goethes 
dichterischer  Thätigkeit  verdrängte. 

Im  ältesten  biographischen  Schema  (vom  Jalu'e  1S09)  wird 
der  , Ewige  Jude'  nicht  genannt.  35 

^  Auf  der  Falu't  von  Spoleto  nach  Terni. 

'  Die  Legende  erzählt:  Petrus,  als  er  auf  Bitten  der  Gläu- 
bigen aus  Rom  floh,  um  dem  Märtyrertode  zu  entgehen,  sei 
vor  der  Stadt  dem  Herrn  begegnet,  und  dieser  habe  dss 
Jüngers  Frage:  ..Herr,  wohin  gehest  Du?"  (Domine,  quo  35 
vadisV)  mit  den  Worten  erwidert:  ,.Ich  komme,  um  aber- 
mals gekreuzigt  zu  werden"  (Yenio  iterum  crucifigi).  Darauf 
sei  Pitrns  voll  Scham  nach  Rom  zurückgekehrt  und  habe 
dort  den  Tod  am  Kreuze  erlitten. 
Zur  Ausführung  des  Planes  ist  Goethe  nicht  gekommen.     ^'> 


1819  DER  EWIGE  JUDE.  47 


[April  6.  7,  AVeimar.]  •  [109] 

Dergieiclien  Träiinio  scliweben  mir  vor.  Denn  ans  L'n- 
gednld,  weiter  zn  kommen,  schlafe  ich  angekleidet  und 
weiss  nichts  Hübscheres,  als  vor  Tag  aufgeweckt  zu 
werden,  mich  schnell  in  den  "Wagen  zu  setzen,  und 
zwischen  Schlaf  und  Wachen  dem  Tag  entgegenzu- 
fahren, und  dabei  die  ersten  1)e5ten  Phantasiebilder  nach 
Belieben  walten  zu  lassen. 

Italienische  Reise.    Ferrara    bis    Rom    (Terui,    27.    Oe- 

tober  1780).  —  WH.  24.  112. 

1819. 

März  f Anfang],  Weimar.  110 

[Zu  1TT4.  —  In  dem  chronologischen  Yerzeichniss  von 

Goethes  Schriften  aus  dem  Jahre  1819  (s.  Xr.  90)  heisst 

es  in  der  Abtheilung:] 

Von  1TG9  bis  1775:  .  .  Fragmente  des  .ewigen  Juden^: .  . 

Summarische     Jalirosfolge     Goethescher     Schriften.     — 

WH.  20.  323. 

]  [Februar  14,  Weimar.]  111 

[Zu  1771.]  TnzAAischen  geschehen  kühnere  Griffe  in 
die  tiefere  Menschheit:  es  entsteht  ein  leidenschaftlicher 
Widerwille  gegen  raissleitende,  beschränkte  Theorien; 
man  widersetzt  sich  dem  Anj^reisen  falscher  Muster.  Alles 
dieses  und  was  daraus  folgt,  war  tief  und  wahr  empfvpi- 
den,  oft  aber  einseitig  und  ungerecht  ausgesprochen. 
Nachstehende  Productionen:  , Faust',  die  Puppens]3iele, 
jProlog  zu  Bahrdt"  sind  in  diesem  Sinne  zu  beurtheilen; 
sie  liegen  jedermann  vor  Augen.  Dagegen  waren  die 
Fragmente  des  , ewigen  .luden'  und  .Hanswursts  Hoch- 
zeit' nicht  mitzutheilen^  .  .  .  ]\Iehreres  dieser  frechen 
Art  ist  verloren  gegangen:  .  . 

Tag-  und  Jahres-Hefte.    Von    1709  bis  1775.  —  W.  35, 
4,  25  -  5,  9.  12  f. 


^  Die  A'eröflfentlichung  des  .Ewigen  Juden'  geschah  erst  1836 
35      durch  Riemer  und  Eckermann  (s.  38.  18  f.). 


48  DER  EWIGE  JUDE.  1821 


[1821?] 

[Octobei-V  WeiiiiarV]'  112 

[Zu  1774.]  Denke  man  .  .  nicht,  dass  ich  seine  [Spi- 
nozas] Schriften   hätte  unterschreiben   und    mich    dazu 
buclistäblich  bekennen  mögen.  Denn  dass  niemand  den    ^ 
andern  versteht,  dass  keiner  bei  denselben  Worten  das- 
selbe,   was    der  andere,  denkt,  dass    ein  Gespräch,  eine 
Leetüre    bei    verschiedenen  Personen    verschiedene  Ge- 
dankenfolgen aufregt,  hatte  ich  schon  allzu  deutlieh  ein- 
gesehen, und  man  wird  dem  Verfasser  von  , Werther'  und  lo 
jFausf^   wohl   zutrauen,    dass   er,   von   solchen    Missver- 
ständnissen tief  durchdrungen,  nicht  selbst  den  Dünkel 
geheg-t,  einen  Mann  vollkommen  zu  verstehen,  der  als 
Schüler  von  Descartes  durch  mathematische  und  rabbi- 
nische  Cultur  sich  zu  dem  Gipfel  des  Denkens  hervor-  i» 
gehoben;  der  bis  auf  den  heutigen  Tag   noch    das  Ziel 
aller  speculativen  Bemühungen  zu  sein  scheint. 

Was  ich  mir  aber  aus  ihm  zugeeignet,  würde  sich 
deutlich  genug  darstellen,  wenn  der  Besuch,  den  der 
ewige  Jude  bei  Spinoza  abgelegt,  und  den  ich  als  ein  20 
werthes  Ingrediens  zu  jenem  Gedichte  mir  ausgedacht 
hatte,  niedergeschrieben  übrig  geblieben  wäre.  Ich  gefiel 
mir  aber  in  dem  Gedanken  so  wohl,  und  beschäftigte 
mich  im  Stillen  so  gern  damit,  dass  ich  nicht  dazu  ge- 
langte,   etwas  aufzuschreiben;  dadurch    erweiterte    sich  25 


^  Diese  Stelle  ist  uiclit  mit  Siclievheit  zn  datiren.  Goethe 
erwähnt  in  den  Tag-  und  Jahres-Heften  von  1821  die  Arbeit 
am  vierten  Bande  (Buch  16—20)  von  , Dichtung  und  Wahr- 
heit' und  sagt:  ,, . .  ein  Drittheil  davon  ward  geschrieben, 
welches  freilich  einladen  sollte,  das  Uebrige  nachzubringen."  so 
Möglicher  Weise  fällt  die  Abfassung  der  Stelle  erst  in  den 
Februar  182.5,  vielleicht  aber  schon  Ende  1816.  wo  das  Tage- 
bucli  vom  11.— 20.  December  die  Beschäftigung  mit  dem 
vierten  Bande  der  Biographie  verzeichnet;  ja  es  ist  sogar 
nicht  ausgeschlossen,  dass  die  Aeusserung  schon  1813  abge-  35 
fasst  ist  in  Folge  der  Leetüre  von  Spinozas  Etliik.  deren  das 
Tagebuch  dieses  Jahres  am  27.  und  29.  August  gedenkt. 


1821 


DER  EWIGE  JUDE. 


49 


[Oetober?  Weimar?]  [112] 

aber  der  Einfall,  der  als  yorübergeheiider  Scherz  nicht 
ohne  Verdienst  gewesen  wäre,  dergestalt,  dass  er  seine 
Anmuth  verlor  und  icli  ihn  als  lästig  ans  dem  Sir)ne 
schlugt. 

Dichtung  und  Wahrheit  Theil  4,  Buch  16.  —  W.  29.  11, 
11  —12,  9. 


'  Vgl.  44,  33  f.  45,  29—37. 


Graf,  Goethe  über  s.  Dichtungen  T.  I. 


Die  Geheimnisse. 

(  E  i  u  s  c  h  1  i  e  s  s  1  i  c  li     der   ,  Z  u  e  i  g  u  u  n  g  '.  ) 


I.  Zueignung. 

Diese,    von    1815    an    in    allen    Ausgaben,    als    selbst- 
ständiges  Gedicht,    an    der  Spitze  von   Goethes  Werken    5 
stehenden  vierzehn   Strophen  finden  hier  ihre   Stelle,   da 
sie    ursprünglich    als   Einleitung    der    , Geheimnisse'   ge- 
dacht und  gedichtet   sind. 

Handschriften:    1.  Eine    Abschrift    von     Herders    Hand,     aus 

dem   Jahre   1784   oder  1785.      Im   Besitz   der  königlichen  10 
Bibliothek  zu  Berlin. 

2.  Eine  Abschrift  von   Schreiberhand   mit   Correcturen 
Herders;  sie  diente  als  Vorlage  für  den  ersten  Druck. 

Erster  Druck:   1787,   Schriften   1,   XVII— XXVI.    Vorauf  geht 
das  Verzeichniss   der   Subscri beuten ;   es  folgt  .Werther'.  15 
Das  Gedicht  eröffnet  somit  die  erste  von  Goethe  veran- 
staltete Gesammtausgabe  seiner  Schriften. 

Zweiter  Druck:  1808,  Werke  Cotta^  8,  357—303.  Ohne  eigene 
Ueberschrift,  als  Strophe  1—14  der  , Geheimnisse',  ent- 
sprechend dem  ursprünglichen  Plane.  20 

Dritter  Druck:  1815,  Werke  Cotta-  1,  1—7.  Vor  den  , Liedern', 
die  Gesammtausgabe  der  Werke  einleitend.  Schon  die 
Stellung  im  ersten  Druck,  mehr  noch  der  Inhalt  des 
Gedichts,  lehrt,  dass  die  , Zueignung'  sich  auf  Goethes 
Dichtungen  überhaupt  bezieht,  keineswegs  bloss  auf  25 
die  Gedichte,  an  deren  Spitze  sie  nur  steht,  weil  diese 
die  Werke  eröffnen. 

Vierter  Druck :  1827,  Werke  Cotta^  1,  1—7.  Die  Stellung  wie  im 
dritten  Druck. 

Weimarer  Ausgabe:    1887,  W.  1,  3—7  und  368—370.  Die  Stellung  30 
wie  im  dritten  und  vierten  Druck. 


DIE  GEHEIMNISSE.  51 

II.    Die  Geheimnisse. 

Handschriften :    1.  Zw  ei    Qiiaitblätter,    vou    Goethe«    Haud,    im 

Besitz   der  Familie   vou   Stein   iu   Kocbberg;   eutlialteud: 

die  zweite  Strophe  (Vers  9—16),  imd,  ohne  üeberschrift, 

5  zwei      ursprünglicli      für     die     .Geheimnisse'     bestimmte 

Stanzen,  die  beginnen: 

..Denn  was  der  Mensel)  in  seinen  Erdeschranken" 
und 
..Wohin  er  auch  die  Blicke  kehrt  und  wendet". 
10  2.  Eine    ursprünglich    ebenfalls    für   die   .Geheimnisse' 

bestimmte  Stanze,  die  den  aus  Braunschweig  vom  21.— 
24.  August  1784  datirteu  Brief  Goethes  an  Charlotte  von 
Stein   schliesst;    sie  beginnt: 

„Gewiss  ich  wäre  schon  so  ferne  ferne." 

15  Erster  Brück:  1789.  Schriften  8,  317—342.  Am  Schluss  des 
Bandes,  vou  dessen  Hauptinhalt,  den  .Vermischten  Ge- 
dichten", getrennt  durch  .Künstlers  Erdewallen'  und 
, Künstlers  Apotheose'.  Die  Dichtung  schliesst  somit  die 
erste  von  Goethe  veranstaltete   Gesammtausgabe   seiner 

^20  Schriften. 

Zweiter  Druck:   1808.     Werke    Cotta'   8,    3.57—376.      Eingeleitet 
durch     die    vierzehn    Strophen    der   .Zueignung'   und   an 
diese,    ohne   Trennungstrich,    sich    unmittelbar   anschlies- 
send.     Folgt  auf  den   .Epilog  zu    Schillers   Glocke',    imd 
25  schliesst  den  Band. 

Dritter  Druck:  1817,  Werke  Cotta-  9,  403-^19.  Ohne  die  Stro- 
phen der  .Zueignung',  wie  im  ersten  Druck;  die  Stellung 
wie  im  zweiten  Druck. 

Vierter  Druck:   1828,  AVerke  Cotta'  13,  176—191.  Zwischen  dem 
30  .Epilog  zu  Schillers  Glocke'  und  den  , Maskenzügen'. 

Weimarer  Ausgabe:  1894.  W.  16,  171—183  und  4.36  f.  Die  Stel- 
lung wie  im  vierten  Druck. 

Die  Stanze 
,.Denn  was  der  Mensch  in  seinen  Erdeschranken" 
35  wurde  zuerst,  mit  der  Üeberschrift  ,Für  ewig',  1820  in  , Kunst 
und  Alterthum'  (2,  3.  30)  gednickt,  dann  1827  in  den  Werken 
Cotta'  8,  49  unter  der  Rubrik  .Lyrisches',  zwischen  .Für's 
Leben'  und  .Zwischen  beiden  Welten',  an  gleicher  Stelle  1S90 
W.  3,  44  und  387. 


52  DIE  GEHEIMNISSE.  1784 

Die  Stanze 

„Wohin  er  aiicb  die  Bliclie  liehrt  und  wendet" 
findet  sicli  zuei'st  gedruclit  1827  in  den  Werken  Cotta^  4,  159 
(nebst   einer   ,anflvlärendeu    Bemerlvung'   4.    191)    als    Nummer 
77     der    Abtheilnng     Jnscbriften,     Deulc-    und    Seudeblüttter',    5 
ohne    Ueberschrift    (im    Inhaltsverzeichniss   jedoch    unter   dem 
Titel     , Anzuwenden'    aufgeführt),     zwischen    den    kleinen    Ge- 
dichten .Bilder-Scenen.   Den  15.   März.  181G'  und  ,Den  6.  Juni 
1816'  (,,Du  versuchst,  o  Sonne,  vergebens");  an  gleicher  Stelle 
1891    W^.    4,    60,    nebst    der  , auf  klärenden  Bemerkung'  W.   4,  lo 
84,  8  f. 

Die  Stanze 

,, Gewiss  ich  wäre  schon  so  ferne  ferne" 
ist    zuerst    gedruckt    1851   in   , Goethes  Briefen  an   Frau   von 
Stein'  3,  91  (zweite  Auflage  2,  209),  jetzt  W.  5  (1),  66  und  Br.  is 
6,  344,  19—26. 

Der  auf  die  , Geheimnisse'  bezügliche  Aufsatz  Goethes 
(s.  Nr.  140)  wurde  zuerst  gedruckt  im  Morgenblatt  1816  April 
27,  Nr.  102,  dann  Werke  Cotta'  45,  327—332,  jetzt  WH.,  zweite 
Ausgabe,   2,   275—278.  20 

178^. 

August  8,  Abends  halb  10  Uhr,  Dingelstädt^  113 

Zwischen  Mühlhauseii  und  hier  brach  uns  heute  die 
Achse  des  schwerbepackten  Wagens;  da  wir  hier  liegen 
bleiben  mussten,  machte  ich  gleich  einen  Versuch,  wie  2S 
es  mit  jenem  versprochnen  Gedichte  gehn  möchte;  was 
ich  hier  schicke  ist  zum  Eingang  bestimmt,  statt  der 
hergebrachten  Anrufung  und  was  dazu  gehört. 

Es    ist  noch  nicht    alles   wie   es    sein  soll,    ich  hatte 
kaum  Zeit    die  Verse    abzuschreiben.  .  .  .  schickt  die  so 
Verse   mit    diesem  Brief    an  Frau  von  Stein  auf's  bal- 
digste. 

An  Herder  und  dessen  Frau.  —  Br.  6,  333,  11—20. 


^  Durch    Dingelstädt,    einen    im    Eichsfeld,    zwischen    Mühl- 
hausen und  Heiligenstadt,  an  der  Unstrut  gelegenen  kleinen  s.-v 
Ort,  kam  Goethe  jetzt  auf  einer  Reise  in  den  Harz  und  nach 
Braunschweig.  Der  Maler  Kraus  aus  Weimar  begleitete  ihn. 
Sachlich  ghört  in  diese  Zeit:  Nr.  140.  145. 


1784  DIE  GEHEIMNISSE.  53 

August  S,  Abends  10  Uhr,  Dingelstädt.  111 

Anstatt  Dir  so  oft  zu  wiederholen,  dass  ich  Dich  liebe, 

schicke    ich  Dir  durch  Herders  etwas,    das    ich  heute 

früh  Euch  gearbeitet  habe.     Z\dsclien  Mühlbausen  und 

5       hier  ist  uns  eine  Achse  gebrochen  und  wir  haben  müssen 

liegen  bleiben.     Um  mich    zu  beschäftigen    und  meine 

unruhigen  Gedanken  von  Dir  abzuwenden  habe  ich  den 

Anfang     des    versprochnen     Gedichtes     gemacht,     ich 

schicke  es  an  Herders,  von  denen  erhältst  Du  es. 

10  An  Ch.  V.  Stein.  —  Br.  G,  334,  1—8. 

August  11.  13.  14,  Zellerfeld.  115 

11.  .  .  .  Du  hast  nun,    ich  hoffe,    den  Anfang    des 

Gedichtes,  den  ich  Dir  durch  Herders  schickte.  Du  wirst 

Dir  daraus  nehmen  was  für  Dich  ist,  es  war  mir  gar 

15       angenehm  Dir  auf  diese  Weise  zu  sagen,  wie  lieb  ich 

Dich  habe. 

13.  früh.  .  .  .  Ich  denlce  fleissig  an  den  Plan  des 
Gedichtes  und  habe  ihn  schon  um  vieles  reiner;  wenn 
uns  Eegenwetter    oder    sonst  ein  Unfall  begegnet,   so 

20       fahre  ich  gewiss  weiter  fort. 

14.  Abends.  .  .  .  An  dem  Gedichte  habe  ich  hin  und 
her  gesonnen,  geschrieben  nichts  wieder. 

An  Ch.  y.  Stein.  —  Br.  6,  334,  22—  335.  4.  17—21.  337,  9  f. 

AugUiSt  24,  Braunseliweig.  116 

23  Je  finis  par  un  vers  allemand,  qui  sera  place  dans  le 

poeme  que  Je  cheris  tnnt,    parceque  j'}'  pourrai  parier 

de  toi,  de  mon  amour  pour  toi  sous  mille  formes  sans 

que  personne  Tentende  que  toi  seule. 

Ge^nss  ich  wäre  schon  so  ferne  ferne^ 
30  An  Ch.  V.  Stein.  —  Br.  G.  344,  15—20. 


'■  Die    Stanze    ist    weder    in  die  .Zueignung-  noch  in  die  .Ge- 
heimnisse' aufgenommen   worden,  vgl.   51.  10—14.  52,   12 — 16. 
Sie  spricht  dicliterisch  aus.  was  Goethe  der  Freundin  schon 
wiederholt  bekannt  hatte,  so  in  den  Briefen  vom  24.  Decem- 
35       ber  1782:     „O   liebe   Lotte,   wenn   ich   Dich    nicht   hätte,    ich 


54  DIB  GEHEIMNISSE.  1784 

August  30.  31,  [BraunschAveig.]  117 

30.  .  .  .  J'ai  ecrit  de  nouveau  quelques  versets^  du 
poeme,  qui  m'est  une  grande  ressource  quand  je  suis 
loin  de  toi;  que  j'aurai  du  plaisir  si  tu  en  es  contente, 
car  c'est  pour  toi  que  je  le  compose;  le  peu  de  mots  que  5 
tu  m'en  dis  dans  ta  derniere  lettre  uront  fait  une  joie 
iniinie'. 

31.  .  .  .  Si  nies  recherclies  le  permettent  je  täclierai 
d'ecrire  encore  ä  mon  poeme;  je  voudrois  pouvoir  tout 
pour  te  faire  du  plaisir  et  je  ne  pourrois  jamais  cesser  lo 
d'etre  ton  debiteur. 

An  eil.  V.  Stein.  —  Br.  6,  350,  21— 2G.  352,  23—27. 

September  16,   [Weimar.]^  HS 

Dass    Dir    mein  Gedicht    so  lieb  ist,    wird  mich  an- 
feuern es  fortzusetzen,  wie  mir  es  möglich  ist.  i» 
An  Cb.  V.  Stein.  —  Br.  6,  355,  21—23. 

?  November  9,  [Weimar.]  119 

Diesen  Abend  bin  ich  bei  Dir  und  wir  lesen  in  denen 
Geheimnissen  fort,  die  mit  Deinem  Gemiith  so  viele 
Verwandtschaft  haben*.  20 

An  Cb.  V.  Stein.  —  Br.  0,  385,  21— 386,  2. 


ging'  in  die  weite  Welt.  .  .  .  leb  lebe  nur  in  Dir,  die  übrige 
Welt  will  nicbt  an  mir  baften",  und  vom  23.  November  1783: 
„  .  .  aucb  das  Entferntste  duld'  icb,  weil  Du  bist,  und  wenn 
Du  nicbt  wärst,  bätt'  icb  alles  lange  abgeschüttelt"  (Br.  6,  25 
HO,  10  f.  14  f.  216,  8—10). 

^  Adolf  ScböU  denlit  hier  insbesondere  an  die  Stropbe: 
,,Denn  vi-as  der  Mensch  in  seinen  Erdeschranken"', 
wohl  veranlasst  durch  die.   freilich  oiur  geringe,   Verwandt- 
schaft des  Sinnes  jener  Verse  mit  dem  im  Obigen  (besonders  30 
Z.  10  f.)  Ausgesprochenen  (G.-Stein  2,  590  Erl.  2  zu  S.  212). 

^  Der  Brief  der  Frau  von  Stein  ist  nicht  erhalten,   wie  fast 
alle  von  ihr  au  Goethe  gerichteten  Briefe. 

^  Tags     zuvor,     am    15.    September,    war    Goethe    von    der 
Reise    zurückgekehrt.     Charlotte  von   Stein   befand   sich    in  35 
Kochberg. 

*  Sehr    wahrse-heiulicb    bezieht    sich    diese   Stelle    nicht    auf 
Goethes  Dichtung,  sondern    auf  Sclu-iften    von  Heuisterhuis 


1TS5  DIE  GEHEIMNISSE.  55 

1785. 

]Miirz  27.  [Weimar.]  120 

Meine  beiden  Terse  halj*  ich  für  heute  gefertigt  und 
bin  nun  bis  Aschermittwochen  gekommen. 
Diese  Kinderei  hilft  mir.  und  die  leeren  Tage  im  Ka- 
lender geben  mir  ein  unüberwindlich  Verlangen  das 
Versäumte  nachzuholen^. 

An  Ch.  V.  Stein.  —  Br.  7,  33,  1—5. 

März  28,  IWeimar.]  121 

Auch  bin  ich  wieder  üeissig  an  meinem  grossen  Ge- 
dichte gewesen  und  bin  bis  zur  vierzigsten  Strophe  ge- 
langt". Das  ist  wohl  noch  sehr  im  Vorhofe.  Das 
Unternehmen  ist  zu  ungeheuer^  für  meine  Lage,  indess 
will  ich  fortfahren  und  sehn,  wie  weit  ich  komme. 
An  Knebel.  —  Br.  7,  33, 15—19. 


oder  auf   die   , Ethik'   Spinozas,   mit  denen   Goetbe   sich   da- 
mals viel  beschäftigte.     So  schrieb  er  an  Knebel  am  11.  No- 
vember 1784:  „Jacobi  hat  mir  alle  Werke  des  Hemsterhuis 
geschickt.   Sie  freuen  mich   sehr. 
20  Ich  lese    mit    der  Frau  von  Stein  die  Ethik    dos  Spinoza'' 

(Br.  6,  387,  4—7). 
'  Täglich  zwei  ,, Verse",  das  heisst:  zwei  Stanzen  zu  schreiben, 
hatte  Goethe  sich  vorgenommen,  um  die  stockende  Dichtung 
zu  fördern.    In  einen  Notizkalender  für  1785  trug  er.  mit  dem 
25      ersten  Januar  beginnend,    die  Stanzen    ein,    auf  jeden  Tag 
eine,  und  war  jetzt  „bis  Aschermittwoch",  bis  zum  9.  Februar, 
gekommen.  Es  waren  somit  viei'zig  Strophen  (s.  Z.  11)  fertig: 
a.     die    vierzehn     ersten,     später     , Zueignung'     genannten. 
Stanzen. 
30      b.   fünfundzwanzig  Stanzen  der  (heute  vierundvierzig   Stro- 
phen  enthaltenden)   , Geheimnisse',   und 
c.  die.    später    nicht    aufgenommene,    in    Nr.    11»!    erwähnte 
Stanze. 
Riemers  Angabe  (Mittheilungen  2,   191),  Goethe  habe  ..bis 
35      in  den  März  dieses  .Jahres  48  Stanzen  geschrieben",  beruht 
vermuthlich  auf  Goethes  Angabe  im  Briefe  an  Knebel  vom 
2.  April  1785  (s.  Nr.  125). 
-  Vgl.  Z.  27. 

'  Vgl.  r.i.  14  f. 


56  DIE  GEHEIMNISSE.  1785 

März  28,  [AVeimar.]  122 

Diesen  Morgen  habe  ich  müssen  dem  Brief  schreiben 
geben,  und  stehn  also  die  Stanzen  noch  bevor,  wenn 
das.  Glück  will. 

An  Ch.  V.  Stein.  —  Br.  7,  34,  4—6.  5 

][März  oder  April,   Weimar'.]  123 

Gestern  Abend  hab"  ich  noch  drei  Stanzen  gemacht. 
An  eil.  Y.   Stein.  —  Br.  7.  34.  12. 

][ÄIärz  oder  April,  Weimar.]  124 

Zur  Xoth  habe  ich  gestern  noch  eine  Stanze  hervor-  lo 
gel^racht.    und    die  übrigen  gern   Deiner  Liebe   aufge- 
opfert, .  . 

An  Ch.  V.  Stein.  —  Br.  7,  35,  1—3. 

April  2.   [Weimar.]  125 

Ich  habe  48  Stanzen  an  meinem  Gedichte.  15 

An  Knebel.  —  Br.  7,  37,  19. 

April  2,  [Weimar.]  126 

.  .  ich  will  sehn  vor  Schlafengehn  noch  einige 
Stanzen  vorzuarbeiten. 

An  Ch.  v.  Stein.  —  Br.  7,  38,  6—8.  20 

April  3.  [Weimar.]  127 

Ich  habe  drei  Stanzen. 
An  Ch.  v.  Stein.  —  Br.  7,  38.  18  f. 

IDecember  12,  [Jena.]  128 

Die  Tage  sind  sehr  schön;  wie  der  Xebel  fiel,  dachte  2.5 
ich   an   den  Anfang   meines  Gedichts.     Die  Idee    dazu- 
habe  ich  hier  im  Thale  gefunden.     Hätte  ich  Dir  nur 
die  angenehme  Aussicht  zeigen  können! 
An  Ch.  v.  Stein.  —  Br.  7,  139,  18—21. 


'  Die  Beziehung  auf   .die  Geheimnisse'   macht  die  ungefähre  30 
Datiruug    dieser    und    der  folgenden,  undatirten.   Briefstelle 
möglich. 

^  Das  heisst:   die  „Idee"  zum  ..Anfang",  der  später  als  .Zu- 
eignung' selbständig  geworden  ist.  Anknüpfend  an  das  na- 
türliche Phänomen    steigender,  sinkender  Morgeunebel.    das  3.5 
Goethe  auf  den  Höhen  luu  Jena  wiederholt  hatte  beobachten 


■  1786  DIE  GEHEIMNISSE. 


1T86. 

December  13,  Rom.  129 

Zugleich  kommt^    die    , Zueignung".     Ich  habe  einen 
sonderbaren  Einfall  gehabt,  ich  wünsche,  dass  er  Euren 
5       Beifall  erhalte-. 

An  die  Familie  Herder.  —  Br.  8,  1)0,27—91,1. 

1787. 
Januar  25,  Rom.  130 

.  .  habe  die  Güte  nun  die  letzte  Hand  an  meine  AVerk- 
10       lein  zu  legen,  auch  die  , Zueignung"'  zu  corrigiren  und  zu 
interpunctiren,  dann  sie  mit  den  Platten  nach  Leipzig 
zu  schicken^. 

Es  wird  atif  das  vorstehende  Blatt  nur  gesetzt    Zu- 
eignung, nicht  Zueignung    an's  deutsche 
15       Publicum,    -wde  es  in  der  Anzeige  hiess.     Was  ich 
damals  im  Sinne  hatte,  habe  ich  nicht  ausgeführt,  viel- 
leicht thue  ich  es  zu  Anfang  des  fünften  Bandes  oder 


können,   schildert  dieser  ..Aufaug",   besonders   Strophe   1 — i. 

11.  12:  wie  die  göttliche  Wahrheit,  als  AVeib  gebildet,  sonuen- 
20      haft  aus  Nebelgewölk  hervortritt  und  ihn,  den  Dichter,  mit 

dem  Schleier  der  Dichtung  beschenkt. 
Im  Hinblick  auf  obige  Aeusserung  die  Worte  des  Briefes 

au    den   Herzog   Karl   August     vom     10.    April   1780:      ,,Hier 

schicke 'ich  einen  Traiun  aus  hiesiger  Gegend"  auf  die  ,Zu- 
25      eignung"  zu  deuten  (vgl.  Br.  7.  320  zu  S.  203.  21  f.).  ist  kaum 

möglich.     Schon    der  Ausdruck    ..aus  hiesiger  Gegend'",    das 

heisst  docli:    aus   der  Umgebung   von  Weimar,    wo  der  Brief 

geschriel)en,  spricht  gegen  die  Deutung. 
^  Das   heisst:    ..wird    kommen";   Goethe   versi)richt    in   diesem 
30      Briefe  den  Freunden,    zu  Weihnachten    die  Handschrift    der 

,Iphigeuie    auf  Tauris"    und    mit  dieser    die  .Zueignung'    zu 

senden,   was  jedoch   nicht  geschah;   ,Iphigeuie'  ging  am   13. 

Januar  1787.  die  .Zueignung"  vierzehn  Tage  später  an  Herder 

ab.  s.  Nr.  131. 
35    ''  s.  58,  S-ß. 

'  Herders    wenige    Correcturen    sind    mit    der    Druckvorlage 

erhalten    (s.  50,  12  f.i.    und    W.  1,  309    (zu  Y.  34.  46.  59)    mit- 

getheilt. 


58  DIE  GEHEIMNISSE.  1787 

[Januar  25,  Rom.]  [130] 

vor    dem  letzten  [8.]    der  vemiiscliten  Schriften\     Ich 
■«Tinsche  indess,  dass  Du  billigen  mögest^,  dass  ich  den 
Eingang     des    grossen    Gedichts^    hierher     setze,     mir 
seheint  er  auch  hier  passlich  und  scliicklich,    zugleich    5 
auch  sonderbar,  und  so  mag  es  hingehn. 
An  Herder.  —  Br.  8,  151,  24—  152,  13. 

Jaunar  27,  Rom.  131 

[An]    Herder    schwer    Packet    Kupferplatten,     , Zu- 
eignung", .  .    [s.  Xr.   130.]  10 
Brief tabelle    in   einem    römiscbeu    Notizbuch.    —   Br.    8, 
418,  37. 


^  Goethe  hatte  die  Absicht  gehabt,  die  Sammlung  seiner 
.Schriften'  zu  eröffnen  mit  einer  poetischen  , Zueignung  an 
das  deutsche  Publicum'.  In  einem,  angeblich  an  ,, einen  i5 
Fi-euud"  gerichteten,  Ende  Juni  1786  geschriebenen  Briefe, 
den  die  Yerlagshaudlung  in  ihrer  „Anzeige"  (57,  15)  an  das 
Publicum  alsbald  veröfCeutlichte,  kündigt  Goethe  als  Inhalt 
des  ersten  Bandes  der  , Schriften'  an: 

,, Zueignung  an  das  deutsche  Publicum.  20 

Die  Leiden  des  jungen  Werthers," 

mit  der  Schlussbemerkiuig:  ..Von  den  vier  ersten  Bänden 
kann  ich  mit  Gewissheit  sagen,  dass  sie  die  angezeigten 
Stücke  enthalten  werden;  .  ."  (Br.  7,  235,  15—17,  236,  S— 10). 

Zunächst  blieb  Goethe  auch  bei  diesem  Plane.     In  einem,  25 
von  Verona  aus,  am  18.  September  1786  an  den  Herzog  Karl 
August  geschriebenen  Briefe  heisst  es,   mit  Anspielung  auf 
das    Stück    ,Die    Vögel':    „Alsdann     [nach   Vollendung    der 
,Iphigenie  auf   Tauris']    geht's   an   die   , Zueignung'   und    ich 
weiss  selbst  noch  nicht,  was  ich  denen  Avibus  sagen  werde"  30 
^  (Br.    8,    25,  19—21).      Fünf    Tage    später,    am    23.    September, 
bemerkt  er  in  seinem,  für  Charlotte  von  Stein  bestimmten, 
Tagebuch:     ,. Meine     angefangne    .Zueignung    an's    deutsche 
Publictmi'  werf  ich  ganz  weg  und  mache  eine  neue,  sobald 
die   ,Iphigenie'   fertig   ist"   (Tgb.    1,   224,26—28).      Zu   dieser  35 
,, neuen"  ist  es  aber  nicht  gekommen;  eben  so  wenig  zu  einer 
solchen  vor  dem  fünften  oder  achten  Bande. 
^  Strophe  1—14  der  , Geheimnisse',  als  .Zueignung'. 


1788  DIE  GEHEIMNISSE.  59 


1788. 

Februar  9,  Rom.  132 

Die  ^.Yermischteii  Gedichte'  zum  letzten  [8.]   Bande 
habe  ich  auch  schon  gesammelt  und  meist  zusammen- 
geschrieben;   doch    "will    auch    dieser  achte  Band  wohl 
ausgedacht  und  ausgeziert  sein^. 
An  Göschen.  —  Br.  8,  342,  2.5—28. 


'  Goethes  Aeusseruugen  über  den  achten  Band  der  .Schriften' 
wird  man  im  dritten  Theile  dieses  Werkes  zusammengeord- 
10      uet    finden,    sie    können    hier    nicht    sümmtlich   eingereiht 
werden,    obgleich     sie     sich    mittelbar    auch    auf    .die    Ge- 
heimnisse'    beziehen,     da    diese   Dichtung   den    Scliluss   des 
achten  Bandes  bildet. 
Das  Wichtigste  jedoch    aus  dem  Jahre  1788    sei    hier    zu- 
15      sammengestellt: 

Juli  lö,  Weimar,  an  Göschen.  —  Ehe  ich  von  Rom  ab- 
ging und  selbst  auf  der  Reise  suchte  ich  zwei  Bände,  den 
sechsten  und  achten,  dergestalt  vorzubereiten,  dass  solche 
noch  auf  Michael  erscheinen  sollten;  allein  ich  finde  mich 
20  nach  meiner  Ankunft  hierher  von  so  mancherlei  Zerstreu- 
ungen umgeben,  dass  icli  in  nichts  weiter  gerückt  bin,  und 
fürchte,  dass  ich  vor  einigen  Monaten  nicht  in  die  Lage 
kommen  möchte,  nur  einen  Band  zu  endigen,  dessen  Aus- 
gabe auf  Michaelis  nicht  mehr  besorgt  w'erden  könnte. 
25  Indessen  werde  ich  mein  Möglichstes  thun,  .  .  (Br.  9,  2, 
11—20). 

September  [2    oder  3].  Weimar,    an  Herder.  —  Der    achte 
Band  ist  beinahe  zusammen.     Wieland  hat  ihn  gegenwärtig 
in  der  Revision  (Br.  9,  18.  27  f.i. 
30         September  22,   [Weimar,]  an  Herder.  —  Mein  achter  Band 
ist  in  Ordnung  (Br.  9,  33,  5  f.). 

Herder  befand  sich  damals  in  Italien.     Am  12.  September 
1788    schrieb    seine  Frau  ihm   über  eine  kleine,  in  Goethes 
Gesellschaft    unternommene    Reise:     „Abends    [Sonntag    7. 
^5      September  von  Rudolstadt]   nach  Kochberg  im  Mondschein. 
Goethe  sagte  das  Gedicht  über  die  Rosenkreuzer",  das  heisst 
,die  Geheimnisse',  so  genannt  in  Erinnerung  der  Verse  69  f.: 
„Es   steht   das   Kreuz   mit   Rosen   dicht  umschlungen. 
Wer  hat  dem  Kreuze  Rosen  zugesellt?" 
40  (Gespräche  1,  9.5.) 


60  DIK  GEHEIMNISSE.  1789 


178». 

Januar  26,  Weimar.  133 

Vergebens  habe  ich  Iji.sher  auf  den  letzten  Bogen  des 
acliten  Bandes  gewartet.  Haben  Sie  die  Güte,  mir 
solchen  so  bald   als  möglieh   zu  überschicken\  5 

An  Göschen.  —  Br.  9,  71,  1—3. 

1806. 

Februar  24,  Weimar.  134 

Den  Inhalt  der  künftigen  Bände  [2 — 12  der  \Yerke 
Cotta^].  durchgesehen  und  berechnet^.  lo 

Tgb.   3,   119,  27  f. 

1808. 

Juli  20,  Frauzeusbad^  135 

Nachts  ,die  Geheimnisse'  vorgelesen'*. 

Tgb.  3,  362,23.251  -  jr, 


'  Der  „letzte"  ist  Bogen  X   (Seite  321—342)   und  enthält  ,die 
Geheimnisse'   mit   Ausnahme   der  beiden   ersten   Strophen. 

Am  2.  März  1789  meldete  Goethe  an  Herder:  „Meine 
Schriften  achter  Band  sind  nach  Rom"  (Br.  9,  94,  11).  Und 
Herder  theilte  am  7.  März  von  Rom  aus  seiner  Frau  mit:  20 
,,Goethens  Gedichte  sind  hier  angekommen;  er  hat  ein  Exem- 
plar, noch  ohne  Titel,  an  die  Angelica  [Kauffmann]  ge- 
schickt" (Herders  Reise  nach  Italien  S.  273). 

Es  bleibe  hier  nicht  unerwähnt,  dass  Herder  in  dem,  zwei 
Jahre  später,  1791  erscliienenen  vierten  Theile  seiner  , Ideen  25 
zur  Geschiclite  der  Menschheit'  das  sechzehnte  Buch 
schliesst  mit  Strophe  8  der  .Geheimnisse',  in  der  er  jedoch 
den  ersten  und  die  beiden  letzten  Verse,  seinem  Zwecke  ent- 
sprecliend.    lungestaltet   hat. 

-  Den  acliteu  Band,  der  mit  .Faust'  (genauer:  mit  dessen  ,Zu-  30 
eignung')   beginnt,   schliessen   ,die   Gelieimnisse'   in   der  oben 
51,  21—25  angegebenen  Weise. 

Band  8  bildete  mit  den  Bäiidcni  5 — 7  die  zweite  Lieferung, 
diip  nach  Goethes  Tagebuch  (3,  181, 24  f.)  am  8.  December 
1806  an  Cotta  nach  Tübingen  abging.  35 

Sachlich  gehört  hierher  Nr.  92. 

^  Goethe  brauclit   hier  und  anderwärts  die  damals   üblicliere 
Bezv^ichnung  ,Franzensbrininen'. 

*  Unter  den  Zuhfirern  befand  sich  jedeufalls   Silvie  von   Zie- 
gesar,   wenn  diese  nicht   überhaupt    das    ganze   Auditorium  40 
bildete. 


1811  DIE  GEHEIMNISSE.  61 


August   7,   Karlsbad.  1.36 

Packet    mit    den    zwei    letzten    Liefennigen    meiner 
Werke  [Cotta^  Band  5— 12J^ 
Tgb.  3,  369,  19  f. 

1811. 

November  11,  Weimar.  137 

Wenn    von    Composition    einer    meiner  Arbeiten  die 
Eede  gewesen  wäre,  so  hätte  ich  nicht  leicht  auf  ,  d  i  e 
Geheimnisse'    gerathen.     Sie  machen  mich  durch 
diese  Xachricht  sehr  neugierig-. 
An  Zelter.  —  G.-Zelter  1,  466. 

1815. 

August  3,  Wiesbaden.  138 

,Die    Geheimnisse',    sagte  Goethe,    habe  er  zu  gross 
angefangen",    wie   so  Vieles.  —  Die   zwölf  Eitter  sollten 


'  reber  Band  8  vgl.  60,  30—35. 

Eine  briefliche  Aeusserung  von  Schillers  AVittwe  sei  hier, 
der  Zeitfolge  gemäss,  eingefügt.  Sie  sehreibt,  in  Erinnerung 
an  einen  Aufenthalt  im  Sclnvarzathal,  am  27.  August  1809 
von  Rudolstadt  aus  an  Goetlie:  „..ich  habe  recht  die 
Stanzen  wiederholt,  den  Eingang  zu  den  , Geheimnissen', 
wie  ich  die  Nebelgestalten  an  den  schAvarzen  Bergen  hin- 
ziehen sah.  und  in  dem  Thal,  wo  das  schönste  Grün  glänzt, 
auf  dem  kleinen  Fluss  den  Nebel  zerrinnen  sah. 

..Der  luft'ge  Kampf  war  lange  nicht  vollendet"  etc. 
habe    ich    hier  recht  gesehu,  nur  die  Wahrheit  wollte  uns 
nicht  auch  erscheinen!  wie  dem  Dichter,  der  alles  sah  und 
empfunden  hat"  (GJ.  4.  260). 

^  Zelter  hatte  am  2.5.  Oktober  1811  von  Berlin  aus  au  Goethe 
geschrieben:  ,,Auf  meiner  Reise  [in  Schlesien]  habe  ich 
nur  einen  Theil  Ihrer  Schriften  bei  mir  gehabt  und  daraus 
,die  Geheimnisse*  In  Musik  gesetzt.  Mich  soll  wundern, 
ob  Sie  Ihre  Octaven  wieder  erkennen  werden:  wenn  ich  sie 
Ihnen  nur  vorsingen  könnte.  Einige  Freunde  haben  die  Com- 
position nicht  unrecht  gefunden"  (G.-Zelter  1,  462  f.). 

Nach  V.  Loepers  Angabe  findet  sich  in  Zelters  Nachlass 
nur  Eine  Strophe,  die  dritte  (..Ermüdet  von  des  Tages  langer 
Reise"),  für  Gesang  componirt.  mit  dem  Datum:  Breslau 
19.  August  1811  (AYH.,  zweite  Ausgabe,  2,  370). 

■    Vgl.  55,  12  f. 


G2  DIE  GEHEIMNISSE.  181 G 

[August  s.lWiesbaden.]  [138] 

die  zwölf  Eeligionen  sein,  und  alles  sich,  nachher  ab- 
sichtlich durcheinander  wirren,  das  Wirkliche  als 
Mährchen  und  diess,  umgekehrt,  als  die  Wirklichkeit  er- 
scheinen. 

Mit  Siilpiz  Boissei'^e.  —  Gespracbe  3,  193. 

1816. 

März  23,  Weimar.  139 

[Früh]  Ueber  das  Gedicht:   ,Die  Geheimnisse'^ 
Tgb.    5,    217,14. 


^  Die  unmittelbare  Auregimg  zu  dem  Aufsatz  über  ,die  Ge- 
heimnisse' (s.  Nr.  140)  ging  aus  von  einem  kleinen  Kreise  Kö- 
nigsberger  Studenten,  die  sich  gegen  Ende  des  yorhergeheu- 
den  Jahres,  am  15.  November  1815,  brieflich  an  (lOethe  ge- 
Avaudt  hatten.  Das  Schreiben  laiitet.  mit  Weglassung  einer,  l'> 
den  Eingang  bildenden,  allgemeinen  Betrachtung: 

,,Ein  Kreis  von  wenigen  Freuudeu,  die  in  verschiedenen 
Fächern  einer  höhereu  Ausbildung  alle  nachstreben,  fand 
sich  gern  beisammen.  Der  gesellige  und  zwanglose  Aus- 
tausch der  Gedanken  ward  zur  leichten  Erholung  von  20 
ernsten  Arbeiten  und  führte  endlich  zu  einem  regelmässigen 
Verein,  der  auch  darin  eine  angenehme  Beschäftigung  fand, 
gemeinschaftlich  zu  besprechen  und  zu  erwägen,  was  nicht 
ohne  allgemeineres  Interesse  Avar  und  dem  Nachdenken  des 
Einzelnen  eine  vielseitige  Beleuclituug  zu   erfordern  schien.  25 

So  wurde  Ihr  Gedicht  .Die  Geiieimnisse*  an  einem  Tage 
vorgelesen  und  für  die  nächste  Zusammenkunft  eines  Jeden 
Frtlieil  über  den  Sinn  und  Zweck  desselben  verlangt.  Die 
Meinungen  waren  zu  verschieden  um  sich  vereinigen  zu 
können,  und  so  kam  man  überein,  an  den  berühmten  Ver-  30 
fasser  zu  schreiben.  Nicht  mit  der  Zuversicht,  er  Avolle  und 
werde  eine  deutliche  Auseinandersetzung  seines  Zweckes 
oder  eine  Geschichte  des  Fragments  zu  geben  geneigt  sein; 
doch  mit  der  Hoffnung,  eine  Andeutung  zu  erhalten, 
welchem  Hauptgedanken  das  vollendete  Ganze  entgegen  35 
zu  streben  bestimmt  war.  Es  würde  an  unrechter  Stelle 
sein,  Ihnen  .iedes  einzelne  Urtheil  aufführen  zu  wollen.  Die 
mehrsten  Stimmen  vereinigten  sich  jedoch  in  Folgendem: 

Der  Verfasser  hat   in  Humanus  darstellen  wollen,    bis  zu 
welclier  H(lhe  die  reine  menschliche  Natur,  geläutert  durch  40 


181U                                 DIE  GEHEIMNISSE.  aS 

[März  23  bis]  April  9,  Weimar.  140 
Die  Geheimnisse.    Fragment  von  Goethe.' 

Eine  Gesellschaft  studirender  Jünglinge  in  einer  der 

ersten     Städte     Xord-Deutschlands      [Königsberg  in 


5  das  Umfassen  einer  veredelten  Religion  und  in  dem  Auf- 
schauen zu  dem  idealen  Stifter  derselben  gelangen  könne 
und  werde;  Humanus  selbst  sei  weniger  Person,  als  Bild 
der  veredelten  Menschheit  überhaupt;  alle  anderen  Personen 
würden  in  dem  vollendeten  Gedicht  nur  Nebenrollen  ge- 
10  spielt  haben;  die  geheimnissvolle  Einkleidung  habe  viel- 
leicht besondere  Beziehungen,  oder  nur  das  Ganze  könne 
hier  einen  Schlüssel  geben. 

Wie  Manches  dabei    noch  dunkel  bleibt,  darf  Ihnen,  ver- 
ehrter Mann,  am  wenigsten  bemerkt  werden.     Wir  ersuchen 
15      Sie  nur.  unsere  Frage  keiner  zuversichtlichen  Unbescheiden- 
heit    zuziischreiben,    sondern    nur    dem    Bestreben,    mit    dem 
Geiste   unseres   grössten    Dichters   immer   mehr   vertraut   zu 
werden;    darum     erlauben     wir   uns   den   Wimscli.    von    ihm 
selbst  belehrt  zu  werden." 
20         Hierauf    folgen    die  Namen  der  sechs   Studenten   und   die 
Adresse,     unter    der    die     gehoffte     Antwort    erbeten     war 
(Preussische   Jahrbücher   1868.    21,  3Ö4  f.i. 
^  Eingeleitet    vrurde    der    erste   Druck    dieses,     von   Weimar 
9.  April  1816  datirten.  Aufsatzes  mit  folgenden  Worten: 
25         ., Meine    werthen  Landsleute,    besonders  die  jüngeren,   er- 
wiesen mir  von  je  her  viel  Vertrauen,  welches  sich  noch  zu 
vermehren    scheint,    gegenwärtig,     wo   nach    Befreiung   von 
äusserem   Druck   und  wiederhergestellter  innerer   Ruhe  ein 
jedes    aufrichtige    Streben    nach   dem    Guten   imd    Schönen 
30      sich    auf's    neue  begünstigt    fühlt.     Mit  Avelchem  Dank    und 
Antheil  ich  dieses  erkenne,  kann  ich  jedoch  utir  selten  aus- 
sprechen,    indem    die   Zeit    nicht    hinreicht,     so    mancherlei 
Obliegenheiten   durchaus   genug   zu    tliun.      Dalier   bleibt    zu 
meinem    Leidwesen    mancher    Brief    imheautwortet.    manche 
35      Frage  unerörtert,  manches  Problem  nnaufgelöst. 

Da  ich  jedoch  bemerken  kann,  dass  unter  einer  Menge 
von  Wünschen  und  Fordenmgen  sich  mehrere  finden,  die  ein 
allgemeineres  Interesse  zu  haben  scheinen,  indem  sie 
wiederholt  an  mich  ergehen,  so  habe  ich  den  Vorsatz  ge- 
40  fasst,  über  solche  I'uncte  meine  Erklärungen  durch  das 
Moreenblatt   nach    und   nach    bekannt    zu   machen,    und    da- 


64  DIE  GEHEIMNISSE.  1816 


[März  23  bis  April  9,  Weimar.]  [140] 

Preussen]  haben  ihren  freundschaftlichen  Zusammen- 
künften eine  gewisse  Form  gegeben,  so  dass  sie  erst 
ein  dichterisches  "Werk  vorlesen,  sodann  über  dasselbe 
ihre  Meinungen  wechselseitig  eröffnend,  gesellige  5 
Stunden  nützlich  hinbringen.  Derselbe  Verein  hat 
auch  meinem  Gedichte, 

,Die  Geheimnisse* 
überschrieben,    seine    Aufmerksamkeit    gewidmet,    sich 
darüber    besprochen  und,    als  die  Meinungen  nicht  zu  lo 
vereinigen    gcAvesen,    den    Entschluss    gefasst,    bei  mir 
anzufragen,  inwiefern  es  thunlich  sei,  diese  Eäthsel  auf- 
zuklären:  wobei  sie  mir  zugleich  eine  gar  wohl  haltbare 
Meinung  mitgetheilt,    worin  die  meisten  mit  einander 
übereingekommen  [s.  62,  39 — 63,  12].     Da  ich  nun  in  is 
dem  Antrage  und  der  Art  desselben  so  viel  guten  "Willen, 
Sinn  und  Anstand  finde,  so  will  ich  hierauf  um  so  lieber 
eine  Erklärung    geben,    als  jenes  räthselhafte  Product 
die  Auslegungsgabe  schon  manches  Lesers  beschäftigt 
hat,    und    ich    in  meinen  schriftstellerischen  Bekennt-  20 
nissen     wohl     sobald    nicht    an    die    Epoche    gelangen 
möchte,    wo    diese    Arbeit    veranlasst  und  sogleich  auf 
einmal  in  kurzer  Zeit^  auf  den  Punct  gebracht  worden, 
wie  man  sie  kennt,  alsdann  aber  unterbrochen  und  nie 
wieder    vorgenommen    wurde;    es  war  in  der  Mitte  der  25 
achtziger  Jahre. 

durch    meine    fernen,     niei.-^t    nubekannten    Freunde,     sowie 
aucb   andere,    welche   vielleicht  gleiche   Wünsche   hegen,    in- 
sofern es  sich  thun  lässt.  zusammen  zu  befriedigen.     Miige 
das   Nachstehende   die  gewünschte  Wirkung   hervorbringen"  30 
(Morgeublatt  1816  April  27.  S.  40-5  f.). 
^  Dieses  rasche  Hervorbringen  kann  sich  nur  auf  die  Stanzen 
der    .Ziieignvuig'    beziehen,    von    denen    Goethe    es,    in    ge- 
ti-übter  Erinnerung,  auf  das  Ganze  übertrug;  denn  dass  die 
vierundvierzig     Strophen     .der     Geheimnisse',     zumal     deren  35 
zweite   Hälfte,   nur  langsam   und   fast   mühevoll   entstanden 
sind,  lehren  Goethes  eigene  Aeiisserungen  (Nr.  110—127). 


1816  DIE  GEHEIMNISSE.  Gö 


[März  23  bis  April  s>,  Weimar.]  [140] 

Ich  darf  voraussetzen,  dass  jenes  Gedicht  selbst  dem 
Leser  bekannt  sei,  doch  will  ich  davon  Folgendes  er- 
wähnen: ^lan  erinnert  sich,  dass  ein  junger  Ordens- 
5  geistlicher,  in  einer  gebirgigten  Gegend  verirrt,  zuletzt 
im  freundlichen  Thale  ein  herrliches  Gebäude  antrifft, 
das  auf  Wolinung  von  frommen,  geheimnissvollen 
Männern  deutet.  Er  findet  daselbst  zwölf  Eitter,  welche 
nach     überstandenem     sturmvollen    Leben,    wo    Mühe, 

10  Leiden  und  Gefahr  sich  andrängten,  endlich  hier  zu 
wohnen  und  Gott  im  Stillen  zu  dienen,  Verpflichtung 
übernommen.  Ein  dreizehnter,  den  sie  für  ihren  Obern 
erkennen,  ist  eben  im  Begriff,  von  ihnen  zu  scheiden: 
auf  welche  Art,  bleibt  verborgen;  doch  hatte  er  in  den 

15  letzten  Tagen  seinen  Lebenslauf  zu  erzählen  ange- 
fangen, wovon  dem  neu  angekommenen  geistlichen 
Bruder  eine  kurze  Andeutung  bei  guter  Aufnahme  zu 
Theil  wird.  Eine  geheimnissvolle  Xachtersch  einung 
festlicher  Jünglinge,  deren  Fackeln    bei    eiligem  Lauf 

20       den  Garten  erhellen,  macht  den  Schluss. 

Lm  nun  die  weitere  Absicht,  ja  den  Plan  im  Allge- 
meinen und  somit  auch  den  Zweck  des  Gedichtes  zu 
bekennen,  eröffne  ich,  dass  der  Leser  durch  eine  Art 
von    ideellem  Montserrat^    geführt   werden  und,   nach- 


25  ^  Zu  diesem  Vergleicli  scheint  Goethe  durch  eine  Beschrei- 
bung des  heiligen  Berges  Monserrat  in  Spanien  gekommen 
zu  sein,  die  Wilhelm  von  Humboldt  ihm  im  Jahre  1S»X)  ge- 
schickt hatte.  In  Humboldts  Brief,  der  jene  Beschreibung 
begleitete,   heisst  es:    ..Für  heute  wünsche  ich.    Sie  in  eine 

30  Gegend  zu  führen,  mit  der  wohl  nur  auf's  höchste  noch  ein 
paar  andere  in  Europa  verglichen  werden  können,  wo  die 
Natur  und  ihre  Bewohner  in  wunderbarer  Harmonie  mit- 
einander stehen,  und  wo  selbst  der  Fremde,  sich  auf  einige 
Augenblicke  abgesondert  wähnend    von    der  Welt    und    den 

35  Menschen,  mit  sonderbaren  Gefühlen  auf  die  Dörfer  und 
Städte  hinalibliokt.  die  in  der  unabsehlichen  Strecke  zu 
Graf,  Goethe  über  .'s.  Dichtungen  T.  I.  5 


66  DIE  GEHEIMNISSE.  1810 

[März  23  bis  April  9,  Weimar.]  [140] 

dem  er  durch  die  verschiedenen  Regionen  der  Berg-, 
Felsen-  und  Klippen-Höhen  seinen  Weg  genommen, 
gelegentlich  wieder  auf  weite  und  glückliche  Ebenen 
gelangen  sollte.  Einen  jeden  der  Rittermönche  mirdc  5 
man  in  seiner  Wohnung  besucht  und  durch  Anschau- 
ung klimatischer  und  nationaler  Yerschiedenlieiten  er- 
fahren haben,  dass  die  trefflichsten  Männer  von  allen 
Enden  der  Erde  sich  hier  versammeln  mögen,  wo  jeder 
von  ihnen  Gott  auf  seine  eigenste  Weise  im  Stillen  lo 
verehre. 

Der  mit  Bruder  Markus  herumwandelnde  Leser  oder 
Zuhörer  wäre  gewahr  geworden,  dass  die  verschieden- 
sten   Denk-    und    Empfindungsweisen,    welche    in    dem 


seineu  Füssen  liegen  —  in  die  Eiusiedleiwolmimgen  des  Mon-  15 
serrats  bei  Barcelona. 

Ich  habe  zwei  uuvergesslich  schöne  Tage  dort  zugebracht, 
in  deuen  ich  unendlich  oft  Ihrer  gedachte.  Ihre  , Geheim- 
nisse' schwebten  mir  lebhaft  vor  dem  Gedüchtniss.  Ich  habe 
diese  schöne  Dichtung,  iu  der  eine  so  wunderbar  hohe  und  20 
menschliche  Stimmung  herrscht,  immer  ausserordentlich 
geliebt,  aber  erst,  seitdem  ich  diese  Gegend  besuchte,  hat 
sie  sicli  an  etwas  in  meiner  Erfahrung  angeknüpft;  sie  ist 
mir  nicht  werther,  aber  sie  ist  mir  näher  und  eigener  ge- 
worden. 25 

Wie  ich  den  Pfad  zum  Kloster  hinaufstieg,  der  sich  am 
Abhänge  des  Felsens  langsam  herumwindet,  und  noch  ehe 
ich  es  wahrnahm,  die  Glocken  desselben  ertönteu,  glaubte  ich 
Ihren  frommen  Pilgrim  vor  mir  zu  sehen;  und  wenn  ich 
aus  den  tiefeu  grünbewaclisenen  Klüften  emporblickte,  und  30 
Ki'euze  sah,  welche  heilig  kühne  Hände  in  schwindelnden 
Hölaen  auf  nackteu  Felsspitzen  aufgerichtet  haben,  zu  denen 
dem  Menschen  jeder  Zugang  vei'sagt  scheint,  so  glitt  mein 
Auge  nicht,  wie  sonst,  mit  Gleichgültigkeit  an  diesem  durch 
ganz  .Spanien  unaufhöi-lich  wiederkehrenden  Zeichen  ab.  35 
Es  schien  mir  in  der  That  das, 

Zu  dem  viel  tausend  Geister  sich  verpflichtet. 
Zu  dem  viel  tausend  Herzen  warm  gefleht." 

(G.-Humboldt  S.  165  f.) 


1816  DIE  GEHEIMNISSE.  07 

[März  23  bis  April  9,  Weimar.]  [140] 

Menschen  durch  Atmosphäre,  Landstricli,  Völker- 
schaft, Bedürfniss,  Gewohnheit  entwickelt  oder  ihm 
eingedrückt    werden,    sich  hier  am  Orte  in  ausgezeich- 

5  neten  Individuen  darzus-tellcn  und  die  Begier  nach 
höchster  Ausbildung,  obgleich  einzeln  unvollkommen, 
durch  Zusammenleben  würdig  auszusprechen  berufen 
seien. 

Damit  dieses  aber  möglich  werde,  haben  sie  sich  um 

le  einen  Mann  versammelt,  der  den  Xamen  H  u  m  a  n  u  s 
führt;  wozu  sie  sich  nicht  entschlossen  hätten,  ohne 
sämmtlich  eine  Aehnlichkeit,  eine  Annäherung  zu  ihm 
zu  fühlen.  Dieser  Vermittler  nun  will  unvermuthet 
von  ihnen  scheiden,  und  sie  vernehmen,  so  betäubt  als 

15  erbaut,  die  Geschichte  seiner  vergangenen  Zustände. 
Üiese  erzählt  jedoch  nicht  er  allein;  sondern  jeder  von 
den  Zwölfen,  mit  denen  er  sämmtlich  im  Laufe  der 
Zeiten  in  P^erührung  gekommen,  kann  von  einem  Theil 
dieses  grossen  Lebenswandels  Xachricht  und  Auskunft 

20      geben. 

Hier  würde  sich  dann  gefunden  haben,  dass  jede  be- 
sondere Eeligion  einen  Moment  ihrer  höchsten  Blüthe 
und  Frucht  erreiche,  worin  sie  jenem  obern  Führer  und 
Vermittler  sich  angenaht,  ja  sich  mit  ihm  vollkommen 

25  vereinigt.  Diese  Epochen  sollten  in  jenen  zwölf  Ee- 
präsentanten  verkörj^ert  und  fixirt  erscheinen,  so  dass 
man  jede  Anerkennung  Gottes  und  der  Tugend,  sie 
zeige  sich  auch  in  noch  so  wunderbarer  Gestalt,  doch 
immer  aller  Ehren,  aller  Liebe  würdig  müsste  gefunden 

30  haben.  I'nd  nun  konnte  nach  langem  Zusammenleben 
Humanus  gar  wohl  von  ihnen  scheiden,  weil  sein  Geist 
sich  in  ihnen  allen  verkörpert,  allen  angehörig,  keines 
eigenen  irdischen  Gewandes  mehr  bedarf. 

Wenn    nun   nach    diesem    Entwurf    der    Hörer,     der 

35  Theilnehmer,  durch  alle  Länder  und  Zeiten  im  Geiste 
geführt,  überall  das  Erfreulichste,  was  die  Liebe  Gottes 


68  DIE  GEHEIMNISSE.  181G 

[März  23  bis  April  9,  Weimar.)  [140] 

und  der  Menschen  unter  so  mancherlei  Gestalten  her- 
vorbringt, erfahren,  so  sollte  daraus  die  angenehmste 
Empfindung  entspringen,  indem  weder  Abweichung, 
Missbrauch,  noch  Entstellung,  wodurch  jede  Religion  5 
in  gewissen  Epochen  verhasst  wird,  zur  Erscheinung 
gekommen  wären. 

Ereignet  sich  nun  diese  ganze  Handlung  in  der  Char- 
woclie,  ist  das  Hauptkennzeichen  dieser  Gesellschaft  ein 
Kreuz  mit  Rosen  umwunden,  so  lässt  sich  leicht  voraus-  lo 
sehen,  dass  die  durch  den  Ostertag  besiegelte  ewige 
Dauer  erhöhter  menschlicher  Zustände  auch  hier  bei 
dem  Scheiden  des  Humanus  sich  tröstlich  würde  offenr 
bart  haben. 

Damit  aber  ein  so  schöner  Bund  nicht  ohne  Haupt  15 
und  Mittelsperson  bleibe,  wird  durch  wimderbare 
Schickung  imd  Offenbarung  der  arme  Pilgrim  Bruder 
Markus  in  die  hohe  Stelle  eingesetzt,  der  ohne  ausge- 
breitete TJmsicht,  ohne  Streben  nach  Unerreichbarem, 
durch  Demuth,  Ergebenheit,  treue  Thätigkeit  im  20 
frommen  Kreise  gar  wohl  verdient,  einer  wohlwollenden 
Gesellschaft,  so  lange  sie  auf  der  Erde  verweilt,  vor- 
zustehen. 

AYäre  dieses  Gedicht  vor  dreissig  Jahren,  wo  es  er- 
sonnen und  angefangen  worden,  vollendet  erschienen,  25 
so  wäre  es  der  Zeit  einigermassen  vorgeeilt.  Auch  gegen- 
wärtig, obgleich  seit  Jener  Epoche  die  Ideen  sich  er- 
weitert, die  Gefühle  gereinigt,  die  Ansichten  aufgeklärt 
haben,  würde  man  das  nun  allgemein  Anerkannte  im 
poetischen  Kleide  vielleicht  gerne  sehen  und  sich  daran  3i> 
in  den  Gesinnungen  befestigen,  in  welchen  ganz  allein 
der  Mensch  auf  seinem  eigenen  Montserrat  Glück  und 
Ruhe  finden  kann. 

WH.,  zweite  Ausgabe,  2.  275—278. 

April  9,  Weimar.  141  35 

[Den  Aufsatz  über]  ,Die  Geheimnisse'^  mundirt. 
Tgb.  5,  221,  24. 


1823  DIE  GEHEIMNISSE.  09 


April  10,  Weimar.  142 

Sendung    an  Cotta    in's  Morgenblatt   [Aufsatz]   über 
,die  Geheimnisse'. 
Tgb.  ö,  222.  8  f. 

3   August  24,  Tennstädt.  —  s.  Nr.  432.  142a 

183S. 

[Januar,  zwischeu  10  und  19,  Weimar.]  —  s.  Nr.  92.  142b 

[1825.] 

[Mai  oder  Juni'.  Weimar.]  143 

10  Ein     Bruchstück,     das     aber     der    Denkende     anzu- 

schliessen  -^nssen  wird-. 

, Aufklärende  Bemerkimgen"  zu  den  .Inschriften.   Deuk- 
und  Sende-Blättern'  Nr.  77.  —  W.  4.  84,  8  f. 

1826. 

15  Februar  1,  Weimar^.  144 

Band  1:  Gedichte,  erste  Sammlung:  ,Zueignung'; 
Lieder:  .  . 

Band  10:  Symbolisch-humoristische  Darstelhmgen: 
, Faust':  .  .   [Am  Schluss]    ,Epilog  zu  Schillers  Glocke*^; 

20       ,Die  Geheimnisse'*. 

Anzeige    von    Goethes    sämmtliehen    Werken.    Vollstän- 
dige Ausgabe  letzter  Hand.  —  WH.  29,  350  f. 

1829. 

März  1.  Weimar.  145 

25  [Zu  1T84.  Kt^ö.]   .  .   [ich]  erinnere  mich  noch  recht 

gtit    der  Zeit,    wo  ich  in  Erfurt  das  Gedicht:  ,Geheim- 


'  Beschäftigung    mit    den   , Aufklärenden  Bemerkungen'    ver- 
zeichnet das  Tagebuch  1825:  Mai   14.  Juni  28.  29  (Tgb.   10, 
55,  11.  73,  11.  13). 
30    -  Bezieht  sieh  auf  die  einzelne  Stanze  (s.  52.  2i: 

„Wohin  er  auch   die  Blicke  kehrt  und   wendet'". 
'  Vgl.  32.  28—30. 

*  Für  die  .Geheimnisse'  wurde  diese  Anordnung  nicht  beibe- 
halten, wie  51.  29  f.  zeigt. 


70  DIE  GEHEIMNISSE.  1832 

[März  1,  Weimar.]  [145] 

nisse^,    kaum  als  es  geschrieben  war,    in  ihrer  Gegen- 
wart^ vorlas  und  grossen  Antheil  erweckte,  .  . 
An  W.  V.  Humboldt.  —  G.-Humboldt  S.  284 

1833.  5 

Januar  27,  Weimar.  146 

Dass  ich  das  Kreuz  als  Mensch  und  als  Dichter  zu 
ehren  und  zu  schmücken  verstand,  hab'  ich  in  meinen 
Stanzen^  bewiesen;  .  . 

An  Zelter.  —  G.-Zelter  6,  384.  lo 


In  Gegenwart  von  Caroline  von  Daclieröden,  die  1791 
Wilhelm  von  Humboldts  Frau  wurde.  In  den  Jahren  1784 
und  1785,  als  ,Die  Geheimnisse'  entstanden,  lebte  sie  nocn 
im  elterlichen  Hause  zu  Erfurt. 

Strophe  7 — 10  (besonders  Vers  57 — 72)  der  , Geheimnisse',  in  i5 
der    Beschreibung     des     von    Rosen     dicht    umschlungenen 
Kreuzes    uüd    des    Eindrucks,    den    diese  Erscheinung    auf 
Bruder  Markus  macht,  vgl.  66,  37  f. 


«<;.- 


f/^--^ 


Die  Guten  Weiber. 


Handschriften:  Die  einzige  vorliaudene  Handschrift  ist  nacli 
Goethes  Dictat  von  Schreiberhand  niedergeschrieben  und 
enthält  zahlreiche  eigenhändige  Verbesserungen  Goethes. 

5  „In    allem    erweckt    die  Handschrift    den  Eiudrucli    des 

ersten  Entwurfes,  sie  ist  also  wohl  die  Niederschrift,  die 
Schiller  am  27.  Juni  [1800]  zugesandt  bekam"  (Bernhard 
SeufiEert  W.  18,  42.5).  Eine  nicht  erhaltene,  verbesserte  Ab- 
schrift dieses  Dictats  diente    als  Vorlage  für  den  ersten 

10  Dnick. 

Zwei   kleine,   vielleicht  auf  die   .Guten  "Weiber'   bezieh- 
bare, Paralipomena  sind  W.  18.  449  f.  besprochen. 

Erster  Brück:    ISUl.   unter  dem   Titel:   ,Die  guten   Frauen,   als 
Gegeubilder    der    bösen  Weiber,    auf    den    Kupfern    des 
15  diessjährigen  Damenalmanachs",    in    dem   , Taschenbuch 

für  Damen  auf  das  .Jahr  1801.  Herausgegeben  von 
Huber,  Lafontaine,  Pfeffel  und  andern.  Mit  Kupfern. 
Tübingen  in  der  J.  G.  Cotta'schen  Buchhandlung"  S. 
171—196.  Unmittelbar  vorher  geht  der  Schluss  der  Er- 
2  Zählung    ,Walther   und    Xanny    von    Karoline    von    Wol- 

zogen;  es  folgt  zunächst  Schillers  Gedicht  .Die  Worte 
des  Wahns'.  —  Ueber  die  Kupfer  s.  72.  24— .30. 

Zweiter  Druck:  1817.  T^'erke  Cotta-  13,  1.57—19.5.  unter  dem 
Titel:     .,Die  guten  Weiber".     Zwischen  ,Des  .Toseph  Bal- 


'  So  lautet  der  Titel  in  dem  Exemplar  der  Grossherzoglichen 
Bibliothek  zu  Weimar,  genau  übereinstimmend  mit  W.  18.  426. 

Es  scheint  aber,  nach  den  Angaben  Düntzers.  auch  Exem- 
plare zu  geben,  die  zu  dem  oben  angeführten  Titel  noch  den 
Zusatz  haben:  , .Hierzu  12  kl.  [kleine]  Kupfer'",  vgl.  Düntzers 
Einleitung  WD.  14.  200  und  Düntzers  .Erläuterungen'  16.  96. 

In  der  Weimarer  Ausgabe  ist  hierüber  nichts  bemerkt. 


72  DIE  GUTEN  WEIBER.  1800 

[Zweiter  Druck.] 

saiuo,  geuanut  Ci'gliostro.  Stammbaum'  und  den  .Unter- 
haltungen deutscher  Ausgewanderten".  Ohne  die  Ku])rer. 
Von  hier  ging,  im  selben  Jahre,  die  Diclniuig  in  dis.' 
Supplemontbände  über,  die  der  A'erleger  für  die  Be-  5 
sitzer  der  Werke  Cotta^  herstellte.  Dieser  Druck,  be- 
zeichnet als  ..Vierzehnter  Band.  Erste  Ausgabe"  (S.  3ö."3 — 
393),  bleibt,  als  A'on  (ioethe  nicht  boeinflusst.  hier  un- 
berücksichtigt. 

Dritter  Druck:    1S2S,    Werke   Cotta^   15,   259—296.    Vorhergehen  lo 
die  .Aufgeregten*  und  die  .Unterhaltungen  deutscher  Aus- 
gewanderten', es  folgt  die  .Novelle'.     Ohne  die  Kupfer. 

Weimarer  Ausgabe:  1895,  W.  18.  275— 312  und  424—450.  Die 
Stellung  wie  im  dritten  Druck  (vgl.  aber  die  .Novelle'i. 
Beigegeben  ist  eine  Nachbildung  der  fünften  Kupfeitafel.   15 

1800. 

Mai  6,  Leipzig.  147 

Bei    Cotta    über     die    netten    Kupfer     zum  Damen - 
calender\ 

Tgb.  2,  292,  2  f.  .20 


^  Die  Bezeichnungen  ,.Damencalender",  ,,Caleuder"  und  ..Al- 
manach'"  für  das  oben  angeführte  .Taschenbuch'  wechseln 
häufig,  wie  überhaupt  für  die  Taschenbücher  der  Zeit. 

Die  ..Kupfer"  des  Taschenbuches  sind  von  zwei  Künstlern, 
Hess  und  Ramberg,  gefertigt.  Hess  hat  zunächst  auf  <lem  2.5 
Titelkupfer  Lucretia  dargestellt,  wie  sie.  mit  häuslichen  Ar- 
beiten beschäftigt,  im  Kreis  ihrer  Dienerinnen  von  ihrem 
Gatten,  Tarquinius  Collatinus.  angetroffen  Avivd.  Sodann 
folgen  sechs  Kupfer,  ebenfalls  von  Hess,  die  in  je  zwei 
Bildern  (in  der  Grösse  des  Taschenbuches)  die  Freuden  des  30 
Brautstandes,  des  Ehelebens  und  das  Mutterglück  veran- 
schaulichen sollen  (vgl.  75,  10 — 14). 

Die  sechs  Kupfer  Rambergs  dagegen,  eingeschaltet  zwischen 
den  Seiten  172  bis  189,  zeigen  in  zwölf  Bildchen  (je  zwei  auf 
einem  Kupfer)  lächerliche,  alberne  imd  unwürdige  Auftritte  35 
des  gesellschaftlichen,  besonders  des  ehelichen  Lebens. 

Diese  Rambergschen  Kupfer  sind  jetzt  bequem  erreicl.bar 
durch  die  Nachbildimgeu  in  Heft  21  der  , Deutschen  Littera- 


1800  DIE  GUTEN  WEIBER.  73 

Juni  20,  \yeimar.  148 

Abends    in    den    Garten    gezogen.     Bibliotheque    des 
Eomans^. 

Tgb.  2,  299,  17  f. 

5  Juni  21,  Weimar.  149 

Abends  allein,  Bibliothek  der  Eomane\ 
Tgb.  2,  299,  21  f. 

Juni  22,  Weimar.  150 

Früh  über  den  Aufsatz  zum  Damencalender  nachge- 
10       dacht.     Bibliotheque     des     Romans\    .  .  .  Abends     im 
Garten   wie  Morgens. 
Tgb.  2,  299,  23  f.  26. 

Juni  2."),  Weimar.  151 

Die  , Guten  Frauen*^. 
15  Tgb.  2,  300,  4. 


turdenkmale  des  18.  und  19.  Jahrhunderts  in  Neudrucken 
herausgegeben  von  Bernhai'd  Seuffert',  Heilbroun.  Gebr. 
Henninger.  1885  (jetzt  Stuttgart.  G.J.  Göschen'sehe  Verlags- 
haudluug).  und  in  Düntzers  Ausgabe  der  , Guten  Weiber' 
20       (V\'D.  14,  209—234). 

Wenn   Goethe   am    folgenden   Tage,   7.    Mai,   im    Tagebuch 

(2. 292. 24  f.)    uotirt:     „Mit  Herrn  Cotta  spazieren    und   ver- 

schiedne  litterarische  Verhältnisse  durchgesprochen",    so    ist 

nicht  ausgeschlossen,  dass  auch  da  von  dem  Taschenbuch  die 

25      Rede  gewesen  ist. 

'  Die    Erwähnung   dieser   Lei-türe   musste   hier,   ebenso   in   Nr. 

149  f.,  aufgenommen  werden.  „Als  Quelle  für  Goethe  kann  das 

Werk  nicht  bezeichnet  werden,  aber  es  bot  einige  Anregungen" 

(B.    Seuffert  in   seiner  Abhandlung   .(ioethes   Erzählung   Die 

30      guten  Weiber'  GJ.  15,  153). 

Von  der  .Bibliotheque  universelle  des  romans'  (Paris,  de 
juillet  1775  a  juin  1789)  hatte  Goethe  das  erste  Juliheft  des 
Jahrgangs  1775  liereits  vom  2o.  April  bis  zum  14.  Juni  des 
Jahres  aus  der  herzoglichen  Bibliothek  in  Weimar  entliehen; 
$5  dann,  vom  19.  Juni  an.  entlieh  er  die  übrigen  Hefte  des  Jahr- 
gangs 1775. 
'■'  Sachlich  gehr»reu  liierlier  und  in  den  zunächst  folgenden  Zeit- 
raum Nr.  158a.  160.  161. 


74  DIE  GUTEN  WEIBER.  1800 

Juui  2G,  Weimar.  152 

Die  ,Gi;ten  FraiTen',  Fortsetzimg. 
Tgb.  2,  300,  5. 

Juni  27,  Weimar.  153 

Ich  entschliesse  mich  gleich  meinen  ersten  Entwurf  5 
Ihnen  zur  Benrtheilung  zu  übergeben^.  Da  es  nur  drum 
zu  thun  ist  eine  Arbeit  los  zu  werden,  so  scheinen  mir 
diese  Bogen,  wie  ich  sie  wieder  durchlese,  zu  ihrem  End- 
zweck, beinahe  schon  gut  genug.  Doch  erwarte  ich  Ihr 
UrtheiP.  10 

An  Schiller.  —  Br.  15,  79, 10—15. 

Juni  27,  Weimar.  154 

Die  ,Guten  Frauen'.  Schluss^. 
Tgb.  2,  300,  6. 

Juli  9,  Weimar.  155  15 

Sie  erhalten,  werthester  Herr  Cotta,  in  der  Beilage 
den  kleinen  Aufsatz  über  die  Kupfer.  Ich  hätte  ge- 
wünscht, dass  derselbe  heiterer,  geistreicher  und  unter- 
haltender geworden  wäre,  indessen  lässt  sich  eine  Aus- 
führung nicht  wie  man  wünscht  leisten,  wenn  die  Arbeit  20 
zu  einer  bestimmten  Zeit  fertig  sein  soll.  Möge,  diese 
sei  auch  gerathen  wie  sie  will,  wenigstens  der  Zweck  er- 
reicht werden,  den  unangenehmen  Eindruck  der  Kupfer 
einigermassen  abzustumpfen. 

An  Cotta.  —  Br.  15,  84,  1—9.  25 


Vgl.  71,  2-7. 

Ein  Urtheil  Schillers  über  die  .Guten  AVeiber'  ist  nicht  über- 
liefeit,  seine  abfällige  Aeusserung  über  das  Taschenbuch  im 
Allgemeinen  s.  75,  26 — 31. 

An  dieser  Stelle  sei  daran  erinnert,  dass  Goethe  in  den  , Guten  30 
Weibern'  eben  diese  Dichtung  und  ihr  Zustandekommen  Ge- 
genstand der  Dichtung  sein  lässt.  wenigstens  Gegenstand 
einer  Unterhaltung,  die  den  Rahmen  für  eine  Anzahl  kleiner 
Geschichten  bildet.  Dieser  Hinweis  aber  muss  hier  genügen, 
da  ein  Ausheben  der  auf  die  Dichtung  bezüglichen  Theile  der  35 
Dichtung  unthunlich  war. 


1800  DIE  GUTEN  WEIBER.  75 

Juli  10,  Weimar.  156 

[Brief]    An    Herrn    Cotta   [s.  Xr.  155].    Aufsatz  zu 
dem  Damen-Calender  übersendet. 
Tgb.  2,  301,  20  f. 

5     September  16,  Jena.  157 

Ich  bin  Ihnen  so  lange  auf  manches,  .  .  Antwort 
schuldig,  dass  Ihre  letzte  Sendung  des  Damencalenders 
mich  beschämt.  .  .  . 

Die  Einrichtung  des  Damencalenders  scheint  mir 
10  sehr  günstig.  vSie  haben  vorn  herein^  nächst  der  Lu- 
cretia-,  die  hübschen  Paare,  das  Ring  Anstecken, 
Brüstlein  Betasten,  lüsternes  Agaciren,  und  besonders 
das  Kind  in  der  Wiege,  lauter  Gegenstände,  woran  sich 
tugendhafte  Gemüther,  in  Ehren,  so  gern  ergötzen, 
15  glücklich  zusammengestellt,  so  dass  man  der  Mitte^ 
wohl  die  Caricaturen,  mit  Dialog  untermischt,  verzeihen 
kann*. 

An  Cotta.  —  Br.  15,  106,  5—7.  107,  1—9. 


^  ,,Voru  herein",  hier  im  räumlichen  Sinne  gebraucht  (im 
Gegensatz  zu  der  ..Mitte"  Z.  1.5).  Avie  es  bei  Goethe  und  auch 
sonst  in  damaliger  Zeit  nicht  selten  begegnet  (vgl.  GJ.  15, 
251—256). 

^  Vgl.  72,  2t3— 28. 

'  Es  folgen  im  Taschenbuch  auf  die  , Guten  Frauen'  noch  62' 
Selten  Text. 

*  Tags  darauf,  am  17.  September,  schrieb  Schiller  an  Goether 
„Cottas  Daiuencalender  rumort  hier  [inWeimar]  schon  ziem- 
lich, wie  ich  höre  —  Sie  haben  ihn  nun  auch  in  Händen  und 
werden,  wie  ich.  diese  jämmerliche  Damenschriftstellerel  und 
Buchhändler-Armseligkeit  uusers  Freundes  auf's  neu  be- 
dauert haben";  sodann  an  Cotta.  am  25.  September:  „Dem 
Damen-Calender  Avünsche  ich  das  beste  Glück;  was  man 
auch  gegen  die  Kupfer  einwenden  mag.  so  erregen  sie  doch 
Neugier  durch  ihre  Mannigfaltigkeit,  unter  den  vordem 
Kupfern  betinden  sich  recht  artige,  obgleich  in  allen  der  Ge- 
danke leer  und  trivial  ist"  (Schillers  Br.  6,  201.  203t. 


76  DIE  GUTEN  WEIBER.  1800 

November  17,  Jena.  158 

Dass  Ihnen  die  leidigen  Caricaturfratzen  auch  noch 
durch  Xebenumstände  Verdruss  machen,  thut  mir  leid. 
Ich  verwunderte  mich  selbst  über  das  W  ort,  das  ich 
in  meinen  ersten  Exemplaren  nicht  gefunden  hatte^.  5 
Indessen  wenn  dieser  leidige  und  für  echte  Kunst  ganz 
verderbliche  Geschmack  sich  in  Deutschland  noch  weiter 
verbreiten  sollte,  so  wird  es  noch  manche  Händel  gelten, 
indem  der  ganze  Spass  ja  eigentlich  auf  Deutungen  und 
Missdeutungen  berulit  und  unsere  Grossen,  wenn  man  10 
sie  direct  oder  indirect  treffen  sollte,  wohl  schwerlich  die 
Langmuth  Georgs  III.  und  seiner  Minister  zum  ]i[uster 
nehmen  würden-.  Uebrigens  wünsche  ich,  dass  der  gegen- 
wärtige Fall  keine  Folgen  haben  möge. 

Au  Cotta.  —  Br.  lö,  144,  25—145,  10.  15 


'  Cotta  hatte  am  7.  November  geschrieben  (Br.  15,  333  zu 
S.  144,  25 1:  ,,Auf  einer  der  Caric-atureu  stehet  unter  dem  Schiili- 
maeher-Schild:  Kaiser  —  und  das  deuten  nun  rueine  Feinde 
auf  die  boshafteste  Art",  das  heisst  als  ,,eine  nicht  miss- 
zuverstehende Anspielung  auf  die  Beeinflussung  des  Kaisers  20 
Franz  durch  seine  zweite  Gemahlin  und  deren  Mutter  Karo- 
line von  Neapel"  (B.  Seuflfert  in  seiner  Einleitung  zu  detn 
72,  38  f.  genannten  Neudrucli  S.  Y). 

In  der  That  steht  das  ,,Wort"  —  Kaiser  — .  über  das  Goethe 
sich  verwunderte,  unter  dem  Damenpantoffel,  der  auf  dem  25 
fünften  Bildclien,  dem  oberen  des  dritten  Kupfers,  auf  dem 
Aushängeschild  eines  Schusterladeus  abgebildet  ist.  Das 
Bild,  mit  der  Unterschrift  ..Und  er  soll  dein  HeiT  s"iu", 
stellt  den  Herrn  Pastor  dar.  wie  er  in  demüthig  ergebener 
Haltung  innsclireitet.  während  die  Gattin  an  seinem  Arm.  30 
erhobenen  Hauptes,  nach  jenem  Pantoffelabbild  zu  lüicken 
scheint. 

Nifht  alle  Exemplare  des  Tasclieubuelis  liatteu  das  anzüg- 
liche Wort.     Man  findet    es  jetzt  auf    der  Nachbildimg    in 
SeuCferts  Neudruck,  während  es  auf  derjenigen  der  Düutzer-  35 
sehen  Ausgabe  fehlt. 

-  Ramberg  hatte  Jahre  lang  in  Uondon  gelebt  und  durch  seine 
ausserordentliche  Fertigkeit  im  Zeichnen  von  Caricaturen 
die  besondere  Gunst  des  Königs,  Georgs  III..  gewonnen. 


1809  DIE  GUTEN  WEIBER.  77 

[1809.] 

[Nach  October  10.  ?]  1.58a 

[Zu  1800.  —  Im  ältesten  biographischen  Schema  (s. 
29,  7 — 9)  heisst  es  unter] 
5  1800:  Damencalender.  .Die  guten  Frauen'. 

W.  20,  3G1,  24. 

1817. 

Februai"  24,  Weimar.  1.59 

Brief  an  Cotta,  inliegend:  ,Die  guten  Weiber'\ 
10  Tgb.  6,  16, 19  f. 

1819. 

März  [Anfang].  Weimar.  160 

[Zu    1800.  —  Im    chronologischen    Verzeichniss    der 
Werke  aus  dem  Jahre  1819  (s.  Xr.  90)  heisst  es  unter] 
15  1800:  ,Die  guten  Frauen'  für  den  Damen-Calender. 

Summarische     Jahresfolge     Goethescher     Schriften.     — 
WH.  29,  325. 

[1823?] 

[Juli  1,  Eger?]  161 

20  [1800]   .  .  wurden  .  .  ,die    guten    Frauen',    ein    ge- 

selliger Scherz,  geschrieben. 

Tag-  und  .Jahreshefte  1800.  —  W.  35.  86.  10—12. 


Demnach  war  die  Dichtung,  die  für  den  dreizehnten  Band 
der  Werke  Cotta-  bestimmt  war,  nicht  mit  dem  übrigen 
Inlialt  des  Bandes  am  18.  December  1816  abgesandt  worden, 
unter  welchem  Datum  das  Tagebuch  (5,  295.  19  f.)  bemerkt: 
..Paquet  an  Cotta  mit  dem  dreizehnten  und  vierzehnten  Band 
meiner  Werke". 

In  die  erste  Cottasche  Ausgabe  war  das  Werk  von  Go^nlie 
ni<ht  aufgenommen  worden  (vgl.  aber  72.  »>— 9»;  für  die  zweite, 
berichtet  B.  Seuffert  (W.  18.  430).  ..wurde  es  im  Januar  1815 
bestimmt,  und  der  Titel  .Die  guten  Frauen'  im  Inhaltsver- 
zeichniss  zu  dieser  Ausgabe  von  Goethe  eigenhändig  nach 
.Cagliostro's  Stammbaum',  vor  die  .Unterhaltungen  deutscher 
AusgeAvanderten'  eingeschaltet.  Dieses  Inhaltsverzeichnis» 
ging  am  20.  Februar  1815  (wohl  in  Abschrift)  an  Cotta  ab,  der 
Text  der  Erzählung  am  24.  Februar  1817". 


78  DIE  GUTEN  WEIBER.  1827 

1827. 

September  18,  "Weimar.  1G2 

Anbei  sende  die  Eintheilung-  der  verschiedenen  poeti- 
schen Arbeiten  in  die  fünf  Bände  [11 — 15]  der  dritten 
Lieferung.  Das  Meiste  ist  nun  sehen  in  Ihren  Händen,  5 
das  Original  zum  vierzehnten  und  fünfzehnten  Bande 
folgt  nächstens^  .  .  .  Haben  Sie  bei  der  von  niir  inten- 
tionirten  Eintheilung  noch  irgend  etwas  zu  erinnerii,  so 
bemerken  Sie  solches  gefällig. 

An  Reichel.  —  GJ.  2,  304.  lo 


Band  15  brachte  die  .(4iiten  Weiber"  in  der  72.  10—12  be- 
merkten SteUung.  Anfänglich  war  ein  Wiederabdruck  nicht 
geplant  gewesen,  wenigstens  fehlt  die  Dichtung  in  der  vom  1. 
März  1826  datirten  ,Anzeige  von  Goethes  sämmtlichen  Werken, 
vollständige  Ausgabe  letzter  Hand'  (WH.  29,  3.51):  in  dieser 
war  für  Band  15  der  erste  Band  von  .^^'ilhelm  Meisters  Lehr- 
jahren' bestimmt  gewesen. 

Am  21.  September  ging  die  Druckvorlage  von  Band  15  an 
Cotta  ab  (W.  18,  389). 


Hermann  und  Dorothea. 

(Einschliesslich  der  Elegie  gleichen  N  a  lu  e  n  s.  i 


I.    Die  Elegie. 

5  Handschriften:    1.  Eine  Abschrift  von  unbekannter  Hand,  ohne 

Ueberschrift;   „vielleicht    vor    dem    Druck   für   Friedrich 

August  Wolf  angefertigt"  (W.  2,  364;  vgl.  GJ.  13.  228  f.). 

2.  Eine  Abschrift  von  Schreiberhand,    in  dem    für  den 

zweiten  Druck  bestimmten  Gediclitmanuscript,  zwischen 

10  den  Elegien  der  zweiten  Abtlieilung  .Amyutas"  und  ,I)ie 

Metamorphose  der  Pflanzen';  dazu  metrische  Bemer- 
kungen  von  August  "Wilhelm  Schlegel   aus  dem  Jahre  1800. 

Erster  Druck:  1800,  Neue  Schriften  7.  244—248;  auf  .Die  Me- 
tamorphose der  Pflanzen'  folgend,  am  Schluss  der  zweiten 
15  Abtheilung  der  Elegien. 

Die  Schreibung  ist  hier  und  in  allen  folgenden  Drucken 
..Herrmann",  nicht  ..Hermann". 


Zweiter  Druck:  ISOG,   Werke   Cotta^   1. 
wie  im  ersten  Druck. 


344— 34G.      Die    Stellung 


20  Dritter  Druck:    1815,  Werke  Cotta'  1.  300  f.  Die  Stellung  wie  im 
ersten  und  zweiten  Di'uck. 

Im  Jahre  1820  erschien  die  Elegie  zum  ersten  Mal  als 
Einleitung  vor  dem  Epos  gedruckt  (bei  Vieweg  in  Braun- 
schweig,   als  ..Neue  Ausgabe"  bezeichnet,    ohne  Angabe 

25  des  Jahres). 


Vierter  Druck:   1827.  Werke  Cotta'  1.  330—332. 
wie  im  ersten  bis  dritten  Druck. 


Die  Stellung 


Weimarer  Ausgabe:    1887,  W.  1,  293  f.  431  f..  1888  W.  2,  364  f. 
Die  Stellung  wie  im  ersten  bis  vierten  Druck. 


80 


HERMANN  UND  DOROTHEA. 


/ 


II.    Das  Epos. 

Handschriften:  Ueber  die  einzige  bekauute  Haudselirift.  eine 
Abschrift  von  Sclireiberliand.  bat  Hermauu  Schreyer  iu 
seinem  Aufsatz  über  (ioetbes  Arbeit  au  .Hermann  und 
Dorothea'  Mittbeihniiieu  gemacht.  Darnach  überliefert  die  5 
Handschrift  ..einen  Text,  der  zwa*-  dem  des  ersten  Druckes 
nahe  steht,  doch  aucli  mehrfach  von  diesem  abweicht. 
Im  Falle  der  Abweichung  enthält  die  Handschrift  die 
ursprünglichere,  meist  unvollkommenere  Fassung;  ebenso 
bietet  sie  uoch  die  ältere  Eiutheiluug  der  Dichtung  in  lo 
sechs  Gesänge,  neben  welcher  die  spätere  von  neun 
Gesängen  erst  durch  Correctur  eingetragen  ist"  (GJ.  10, 
1Ö7  f.). 

Es  ist  dasselbe  Manuscript,  in  das  Heinrich  Voss  —  um 
seinen  eigenen  Ausdruck  zu  gebraucheu  —  ,,toll  hinein-   15 
corrigirt"  hat  (s.  175,  7). 

Erster  Druck:  1707.  im  October  erschienen,  unter  dem  Titel: 
, Taschenbuch  für  1798.  Herrmann  und  Dorothea  von 
J.  W.  von  Göthe.  Berlin  bey  Friedrich  Vieweg  dem 
älteren'.  12-'.  Mit  einem  Calender  für  1798,  einem  Titel-  2a 
kupfer  von  Chodowiecki,  die  preussische  Köuigsfamilie 
darstellend,  einem  farbigen  Modekupfer  und  sechs  land- 
schaftlichen Kupfern  von  Darnstaedt  nach  Schubert;  in 
fünf  vei'schiedenen  Ausstattungen: 

1.  Die  kostbarste,  besonders  zum  Geschenk  für  Damen  25 
bestimmte,    Ausgabe,    in    Einband    von    gewirkter    Seide. 
Einzelne   (alle?)    Exemplare   hatten  als   Gratiszugabe   ein 
Messer  und  eine  Schere,  vgl.  140.  7.  25. 

2.  Eine  Ausgabe  in   Futteral   von   rothem    ^laroquin. 

3.  Eine     geringe    Ausgabe     in     gewöhnlichem    Einband  30 
von  Pappe,  mit  buntem  oder  weissem  Umschlag. 

4.  Eine  Ausgabe  ohne  den   Calender. 

5.  Eine  kleinere  Anzahl  von  Exemplaren  ohne  den 
Calender  und  ohne  die  Kupfer.  (Die  ..reinste  typogra- 
phische Form",  vgl.  142.  ;3l.  35 

Die  Schreibung  ist  hier  und  in  den  beiden  folgenden 
Drucken  ,,Heui'mann".  erst  von  1817  an  in  den  bei  Cotta 
erschienenen    Drucken    ,, Hermann". 

Die  zahlreichen   Ausgaben,     welche   Vieweg.     von   1798 
an.    fort  und  fort  veranstaltete  (nahe    an  zwanzig    bis  zu   40 
(ioethes    Tode),     bleiben   hier    ganz   unberücksichtigt,   da 
Goethe  keincrli'l  Eintinss  auf  sie  gehabt  hat;  man  findet 


1796  HERMANN  UND   DOROTHEA.  81 

sie    bei  Hirzel    uud  Goedeke    verzeiflinet.     Nur  Eine    sei 
liier,  mit  Rücksicht  auf  158,  12—20,  augefiibrt  als: 
Ziveiter  Druck:    1799,  .Herrmann  und  Dorothea  von  J.  W.    von 
Göthe.     Neue  Ausgabe  mit  zehn  Kupfern.  Braunschweig, 

5  bei  Friedrich  yie\veg.  1799".  8".     Die  Kupfer,    von  Catel 

gezeichnet,  von  Kohl  imd  Bolt  gestochen,  s^tellen  in  ihren 
oberen  zwei  Drittheilen  neun  Scenen  der  Dichtung  dar, 
im  unteren  Drittheil,  nach  Gemmenart,  die  dem  Namen 
des  betreffenden   Gesangs   entsprechende   Muse. 

10  Daneben    brachte    Yieweg.    unrechtmässiger  Weise    (s. 

Nr.  352.  353),  einen  Druck  in  den  Handel,  der  den  Neben- 
titel führt:  ,Göthe's  neue  Schriften.  Hen^ann  und 
Dorothea.  Mit  zehn  Kupfern.  Braunschweig,  bei  Fried- 
rich Yieweg.  1799'. 

15  Dritter  DrueJc:    1S08.  Werke  Cotta^  10,  203—293.  Zwischen  .Rei- 
neke  Fuchs'  und  , Achilleis'. 

1814  erschien  die  erste  Cottasche  Einzel  -  Ausgabe  des 
Gedichts,  von  Goethe  unbeeinflusst,  aber  genehmigt 
(vgl.    178, 20—22) :    ,HeiTQann   und   Dorothea   von   Goethe. 

20  Stuttgart  und  Tübingen,  in  der  J.   G.  Cotta'schen  Buch- 

handlung 1814'.  Während  Goethes  Lebzeiten  brachte 
Cotta  weiterhin  noch  zwei  Ausgaben,   1817  und  1829. 

Vierter  Druck:  1817,  Werke  Cotta=  11.  203—293.  Vorauf  geht 
.Reineke  Fuchs',  es  folgen  .Achilleis'  und  ,Pandora'. 

25  Fünfter  Druck:  1830.  Werke  Cotta'  40,  231—337.     Die  Stellung 
wie  im   vierten   Druck. 

Weimarer  Ausgabe:  1  .  .  .  ?  W.  Band  50  (.ist  noch  nicht  er- 
schienen, befindet  sich  aber  unter  der  Presse).  Die 
Stellung  wie  im  vierten  und  fünften  Druck. 

30  1796. 

]  [Juli,  zwischen  2  und  7,  Weimar.]  1G3 

Ich  werde,  in  so  fern  man  in  solchen  Dingen  Herr  über 

sich  selbst   ist,   mich  künftig  nur   an  kleinere  Arbeiten 

halten^,  nur  den  reinsten  Stoff  wählen,  um  in  der  Form 


35   -  Diess  ist  mit  Bezug  auf  ,Wilhelm   Meisters   Lehrjahre'   ge- 
sagt, an  deren  Schluss  Goethe  zur  Zeit  arbeitete. 

Dass    , Hermann    und     Dorothea'     ursprünglich    einen   viel 
geringeren  Umfang  haben  sollte,    geht  auch  aus  84,  3  f.  uud 
90,   25  f.   liervor. 
Graf,  Goethe  über  s.  Dichtungen  T.  I.  6 


82  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1796 

][Juli,  zwischen  2  und  7,  Weimar.]  [163] 

j  wenigstens  alles  thun  zu  können,  was  meine  Kräfte  ver- 

mögen. Ausser  ,Hero  und  Leander'  habe  ich.  eine 
bürgerliche  Idylle^  im  Sinn,  weil  ich  doch  so  etwas 
auch  muss  gemacht  haben.^  5 

An  Schiller.  —  Br.  11,  324,  18—24. 

August  17,  Weimar.  164 

Ich  habe  noch  manches  Andere^  im  Sinne,  wozu  sich 
aber  bis  jetzt  noch  keine  Stimmung  finden  wollen. 

An  H.  Mej^er.  —  Br.  11,  164.  10—12.  lo 

September  9,  -Tena.  165 

Ich  kann  Dir  nicht  sagen,  mein  liebes  Kind,  ob  ich  in 
den    nächsten  Tagen    kommen    werde,    es  kommt  alles 
darauf  an,  ob  sich  die  Lust  bei  mir  zu  einer  neuen  Arbeit 
einfindet.  Geschieht  das,  so  bleibe  ich  hier;  es  ist  nem-  15 
/  lieh  die  grosse  Idylle,  von  der  Du  weisst,  könnte  ich  diese 

noch  diesen  ^lonat  fertig  machen,  so  Aväre  ich  über  alle 
Massen  glücklich. 

An  Christiane.  —  Br.  11,  189,  5— 11. 

September  9,  Jena.  166  20 

Die  völlige  Abgesondertheit,  in  d^r  ich  hier  lebe,  setzt 
mich  in  sehr  gute  Stimmungen  und  macht  mir  die  Aus- 
führung von  ge'W'issen  Arbeiten  möglieh,  die  mir  sonst 
sehr  entfernt.  Ja  unmöglich  schienen,  .  . 

An  C.  G.  Voigt.  —  Br.  11,  191,10—14.  25 


'  Denselben  Ausdruck  braucht  Schiller  in  seinem  Briefe  an 
Körner  vom  28.  October  1796.  s.  86,  36. 

Ueber  den  nicht  zur  Ausführung  gelangten  Plan  von 
,Hero  und  Leander'  wird  im  dritten  Theile  dieses  Werkes 
berichtet.  30 

^  Zum  richtigen  Yerständniss  dieser  Worte  vgl.   Nr.   184. 

*  Ausser  der  Elegie  , Alexis  und  Dora',  die  Goethe  mit  diesem 
Brief  übersandte.  Dass  Goethe  hier  an  .Hermann  und  Doro- 
thea' denkt,  ist  nach  Z.  3  f.  und  83,  2  höchst  wahrscheinlich. 


179C  HERMANN   UND   DOROTHEA.  83 

SejJtembei-  9,  Jena.  ,  107 

Neuer  Antrieb  zur  grossen  Idvlle\ 
Tgb.  2.  47,  22. 

September  11.  Jena.  168 

5  Ich  denke  bis  heute  über  acht  Tage  schon  ziemlich 

weit    in   meiner  Arbeit    zu    sein    und  komme  wohl  als- 
dann hinüber. 

An  Christiane.  —  Br.   11.   102.  '6—ö. 

September  11.  Jena.  1G9 

10  Anfang  die  Idylle  zu  rersificiren-. 

Tgb.  2.  47.  25  f. 

September  12,  Jena.  170 

Früh  Idylle. 
Tgb.   2.  48,1. 

15  September  13,  Jena.  171 

Ich  danke  Ilmen  nochmals  für  die  vergangenen  Sonn- 
tag  [11.   September]   mir  so  bald  überschriebene  gute 
Xachricht^:  ich  habe  die  dadurch  mir  gewordene  gute 
Stimmung  gleich  zu  einer  Arbeit  verwendet,  die  Ihnen 
20      vielleicht  dereinst  auch  einiges  Vergnügen  machen  soll. 
An  C.  G.  Voigt.  —  Br.  11.  197, 11—15. 


'  Diesem  „neuen"  war  ein  erster  Antrieb  in  unbestimmbarer 
Zeit  (vgl.  87,  26  f.  und  96,  2  f.),  jedenfalls  aber  vor  Anfang 
Juli  1796  (Vgl.  82,  3  f.)  vorangegangen. 

25         Sachlich      geh'jren    hierher    und    in    die    nächstfolgenden 
Monate  die  Nummern  384a.  387.  389—391.  396. 
^  Der  Umfang  des  an  diesem  und  den  folgenden  acht  Tagen 
Niedergeschriebenen   lässt   ?ich    annähernd    bestimmen   nach 
Schillers  Mittheilung  an  Körner  87,  30—32. 

30  *  Am  11.  September  (Sonntag)  hatte  Goethe  an  Voigt  ge- 
schrieben: ..Hören  Sie  etwas  von  Frankfurt,  so  lassen  Sie 
mir  es  doch  gleich  wissen,  ich  bin  wegen  meiner  Miitter 
sehr  besorgt  .  .  ,"  und  hatte,  am  selben  Tage  noch  durch  be- 
ruhigende Mittheilungen  von  A'oigt  erfreut,  diesem  schon  am 

35      12.  September  brieflich  gedankt  (Br.  11.  193,  9—11.  194,  13  f.). 
Ueber  die  Kriegsbedrängnisse,  unter  denen  Goethes  Vater- 
stadt   damals    zu    leiden    hatte,    vgl.    die  ,Tag-    und  Jahres- 
Hefte'  1796  (W.  35,  67  f.). 


84  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1796 

September  13,  Jena.  172 

Diese  Woche  will  ich  noch  hier  bleiben;  mit  meiner 
Idylle  geht  es  sehr  gut,  sie  -nircl  aber  viel  grösser  als  ich 
gedacht  habe. 

An  Christiane.  —  Br.  11,  198,4—6.  g 

September  ]3,  Jena.  173 

Früh  Idylle.    Ward  fertig  der  zweite  Gesang. 
Tgb.  2,  48,3. 

September  14.  Jena.  174 

Früh  Idylle.  lo 

Tgb.  2,  48,  4. 

Septe.Qiber  15,  Jena.  175 

Früh  Idylle. 
Tgb.  2,  48,  5. 

September  16,   Jena.  176  i» 

Früh  Idj'lle.  Ward  fertig  der  vierte  Gesang  [.5.  6^]. 
Tgb.  2,  48,6. 

September  17.  Jena.  177 

Zweite  Hälfte  des  dritten  Gesangs  [4]. 
Tgb.  2,  48,  7.  g(, 

]  [September,  nach  dem  17.,  Jena.]  178 

Mit  Eührung  erinnere  ich  [Caroline  von  Wolzogen] 
mich,  wie  uns  Goethe,  in  tiefer  Herzensbewegung,  unter 
her^-orquellenden  Thränen,  den  Gesang,  der  das  Ge- 
spräch Hermanns  mit  der  Mutter  am  Birnbäume  ent-  2» 
hält,  gleich  nach  der  Entstehung  vorlas.  „So  schmilzt 
man  bei  seinen  eigenen  Kohlen,"  sagte  er,  indem  er  sich 
die  Augen  trocknete^. 

Mit  Schiller  und  dessen  Angehörigen.  —  Gespräche  1, 
186  Nr.  136^ 


^  Die  hier  und  im  Folgenden  in  Klammern  beigefügten  Zahlen 
beziehen  sich  auf  die  endgültige  Eintheilung  in  neim  Ge- 
sänge;  vgl.  80,   10-12. 

"  Da  der  vierte  Gesang,  der  jenes  Gespriuh  cuthält,  ursprüng- 
lich die  zweite  Hälfte  des  dritten  Gesangs  bildete,  ist  diese  35 
Vorlesung,  mit  Rücksicht  auf  Nr.  177.  in  die  Zeit  unmittelbar 
oder  doch  bald  nach  dem  17.  September  zu  setzen. 

^  Hier    ist    das    Gespräch    in    die  „erste  Hälfte  Septeml)ers" 


1790  HERMANN  UND   DOROTHEA.  S.- 

September 38,    Jena.  179 

Erste  Hälfte    des  dritten  Gesangs   [3].     Der  zweite, 
dritte,  vierte  Gesang   [2 — 6]   zusammen  gehängt. 
Tgb.  2,  48,  8  f. 

5  September  19,  Jena.  180 

Erste  Hälfte  des  ersten  Gesanges. 
Tgb.  2.  48, 10. 

September  22,  Jena.  181 

Aelmliche  Arbeiten  dieser  Art  [wie  , Alexis  und  Dora'] 
10       machen  mich  hier  im   Saalgrunde  vergessen,    dass   ich 
jetzt  eigentlich  am  Arno  wandeln  sollte^. 
An  C.  G.  Kürner.  —  Br.  11,  211.  13—15. 

September  28,  Jena.  182 

Das  epische  Gedicht  Frieder  vorgenommen. 
1.5  Tgb.  2,  48,  16. 

October  15,  Weimar.  183 

Die  zwei  armen  letzten  Gesänge  [5.  6  =  7 — 9]  werden 

noch  eine  Zeit  im  Limho-  verweilen  müssen;  es  ist  wirk- 


gesetzt; das  vorletzte  Wort  lautet  nicht  „Thränen",  sondern 

^0      „Augen",   s.    Caroline   v.    Wolzogen:      Schillers   Leben    (1850) 
S.  307. 
'  Goethe  hatte  für  das  Jahr  eine  Reise  nach  Italien  geplant, 
und  gedachte  bei  den  Worten    ,.am  Arno"    seines  Freundes 
Meyer,  der  sich  zur  Zeit  in  Florenz  aufhielt. 

2o  ^  Die  eigentliche  Bedeutung  des  lateinischen  Wortes  „limbus" 
ist  ,. Streifen.  Saum,  Besatz"  (an  Gewändern).  Hier  aber,  in 
grimmigem  Humor  über  die  ..fürchterlichste  Prosa"  Weimars 
(vgl.  86,  2).  spielt  Goethe  auf  Vorstellungeu  der  katholischen 
Kirche  an,  die  einen  ..limbus  infantum"  und  einen  ,, limbus 

30  patrum"  unterscheidet,  zwei  abgelegene  Orte  am  Saume  der 
Hölle:  in  jenem  befinden  sich  die  Seelen  der  uugetauft  ge- 
storbenen Kinder,  in  diesem  diejenigen  der  Vater  des  Alten 
Testaments.  Für  Goethe  mochte  das  zerstreuende  weima- 
rische Leben  oft  genug  eine  Art  Vorhölle  sein,  gegen  das  ihm 

35  Jena  mit  seiner,  dichterische  Productiou  begünstigenden, 
Ruhe  als  Himmelreich  erschien. 


86  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1796 

[October  15,  Weimar.]  [183] 

lieh  eine  Art  der  fürchterlichsten  Prosa  hier  in  Weimar, 
wovon  man  ausserdem^  nicht  wohl  einen  Begriff  hätte. 
An  Schiller.  —  Er.  11,  232,22—25. 

October  17,  Weimar.  184    5- 

.  .  dann  habe  ich  mich  mit  allen  meinen  Kräften  ajLif 
das  Epische  geworfen  nnd  will  sehen,  am  Ende 
meiner  Laufbahn,  auch  noch  um  diesen  Eckstein  herum- 
zukommen, worüber  ich  denn  sehr  gerne  theoretisch  mit 
Dir  geschwatzt  und  Dir  meine  Versuche  vorgelegt  hätte,  lo 
An  F.  H.  Jacobi.  —  Br.  11,  233,  23  —234,  4. 

October  IS,  Weimar.  185 

Die  drei  ersten  Gesänge  [1 — 4]  des  neuen  Gedichtes 
sind  nun  so  ziemlich  durchgearbeitet,  ich  werde  nunmehr 
an  den  vierten  [5.  6]  gehen.  Alle  vier  zusammen  is- 
werden  etwa  1400  Hexameter  haben,  so  dass,  mit  den 
zwei  letzten  Gesängen  [7 — 9],  das  Gedicht  wohl  auf 
2000  anwachsen  kann^. 

Au  Schiller.  —  Br.  11,  236,16—20. 

October  19,  Weimar.  186  2* 

.  .  sagen  Sie  ihm  [Körner]  etwas  von  meinem  neuen 
Gedichte  und  versichern  Sie  ihn,  dass  ich  mich  freue  es 
dereinst  in  seinen  Händen  zu  sehen^. 
Au  Schiller.  —  Br.  11,  237,  8—10. 


^  ,, Ausserdem"'   hier  im   räumlichen   Sinne  =  ausserhalb,   an    2& 
clerswo,  Avie  es  heute  kaum  noch  gebraucht  wird. 

^  Die  Berechnung    stimmt    fast  ganz  genau.     „Alle   vier  zu- 
sammen", das  heisst,  nach  der  jetzigen  Eintheilung,  Gesang 
1—6.  haben  1408  Hexameter;  dazu  kamen  die  ,,zwei  letzten 
Gesänge"  5.  6  (=  7—9)  mit  626  Versen,  sodass  das  Ganze  2034  30 
Hexameter  zählt. 

*  Das  Letztere    zwar    that  Schiller  nicht,    doch  berichtete  er 
am  28.  October  an  Körner: 

„Goethe    hat  jetzt    ein  neues  poetisches  Werk    unter    der 
Arbeit,  das  auch  grösstentheils  fertig  ist.     Es  ist  eine  Art  3S 
bürgerlicher  Idylle,  durch  die  ,ljuise'  von  Voss  in  ihm  zwar 
nicht  veranlasst,    aber    doch  neuerdings    dadurch    geweckt 
[vgl.   96,10—12];  übrigens  in   seiner  ganzen   Manier,   mithin 


1796  HERMANN   UND   DOROTHEA.  87 

Oetober  21.  Weimar.  "  187 

Das  episclie  Gedicht^  beim  H.  [Herzog  Karl  August] 
gelesen. 

Tgb.  2.  19,  1  f. 

.5  October  26,  Weimar.  188 

An  das  letzte  Stück  der  ,Horen'  dieses  Jahres  wie  an 

die  ersten  des  folgenden  habe  ich  auch  schon  gedacht, 

es  ist  mir  aber  leider  noch  kein  Eath  erschienen.  .  .  . 

Ich  habe  auch  schon  gedacht,  ob  man  nicht  die  drei 

10  Gesänge  [1 — i]  meines  epischen  Gedichts  indessen 
sollte  etwa  in's  er.ste  Stück  geben,  bis  das  liebe  Früh- 
jahr die  übrigen  brächte.  Es  ist  aber  auch  gewagt,  den 
xlnfang  besonders  von  so  einer  kleinen  Composition,  die 
sich  leicht  übersehen  lässt,  zu  publiciren,  und  dann  muss 

lö  man  doch  auch  den  leidigen  Mammon  Ijedenken-,  denn 
da  das  Ganze  so  stark  wird,  als  die  ,Luise'  von  Voss,  so 
würde  es  wenigstens  einen  halben  Band  meiner  Schriften 
geben,  wobei  ich  denn  doch"  den  Spass  hätte,  es  auf 
Einmal  gedruckt  zu  sehen;  ich  weiss  daher  nicht  recht, 

20       was  man  thun  oder  lassen  soll. 

Au  Schiller.  —  Br.  11,  243,  3—5.  337,  3-338,  13. 


Vosseu  völlig  eutgegengesetzt.  Das  Ganze  ist  mit  erstaun- 
lichem Verstände  angelegt,  und  im  echten  epischen  Tone  aus- 
geführt. Ich  habe  zwei  Drittheile  davon,  nemlich  vier  Ge- 
25  sänge  gehört,  die  vortrefflich  sind.  Das  Ganze  kann  wohl 
zwölf  Bogen  betragen.  Die  Idee  dazu  hat  er  zwar  mehrere 
Jahre  schon  [vgl.  96, 2]  mit  sich  herumgetragen,  aber  die 
Ausführung,  die  gleichsam  unter  meinen  Augen  geschah,  ist 
mit  einer  mir  unbegreiflichen  Leichtigkeit  und  Schnelligkeit 
30  vor  sich  gegangen,  so  dass  er  neun  Tage  hintereinander 
[11.— 19.  September]  jeden  Tag  über  anderthalb  hundert 
Hexameter  niederschrieb"  (Schillers  Br.  .5,  97). 

^  Vgl.  131, 15.  27  f. 

^  Statt  „bedenken"  hat  die  Handschrift  „gedenken";  sie  ist 
(nach  Br.  11,  337  zu  Nr.  3421)  ein  .,Concept  oder  cassirtes 
Mundum";  jedenfalls  ist  Z.  9—20  nicht  abgeschickt  worden. 

*  Statt  des  sinngemässen  ..denn  doch"  hat  die  Handschrift 
„dennoch". 


35 


88  HERMANN   UND   DOROTHEA.  179G 

October  29.  Weimar.  189 

Ein  schönes  Glück  wär's,  wenn  mir  in  Ilmenau  noch 
ein  Stück  des  epischen  Gedichts  gelänge,  die  grosse  Ein- 
samkeit scheint  etwas  zu  versprechen^. 

An  Schiller.  —  Br.  11,  24.5,  8—10.  5 

]  [October  Ende,  AVeimar.]  L90 

Ich  habe  mich  jetzt  wieder  in  das  epische  Fach  ge- 
wendet, woraus  ich  Dir  einige  Proben  bald  vorzutragen 
"wünsche-. 

An  Knebel.  —  Br.  11.  251,8—10.  10 

November  1,  Ilmenau.  191 

Das  Eegenwetter  macht  den  hiesigen  Aufenthalt  sehr 
traurig  und  ich  habe  ohngeachtet  der  Einsamkeit  noch 
nicht    zur    Stimmung    gelangen    können    etwas  zu  ar- 
beiten; .  .  15 
An  C.  G.  Voigt.  —  Br.  11,  253,  S-ß. 

November  1,  Ilmenau.  192 

Xoch  will  mir's  hier  nicht  recht  behagen,  denn    der 

Kleine"^,    so  artig    er  auch  übrigens    ist,  lässt  mich    die 

^  Tags  darauf,  am  30.  October.  reiste  Goethe  nach  Ilmenau.  20 
Dorthin  schrieb  Schiller  ihm  am  31.  October:  ,,Ich  begiüsse 
Sie  in  Ihrem  einsamen  Thal,  und  wünsche,  dass  Ihnen  die 
holdeste  aller  Musen  da  begegnen  möge.  Wenigstens  können 
Sie  dort  das  Städtchen  Ihres  Hermanns  finden,  und  einen 
Apotheker  oder  ein  grünes  Haus  mit  Stuccatorarbeit  gibt  es  25 
doit  wohl  auch"  (Schillers  Br.  5,  lOOi. 

-  Dies  geschaJi  wohl  erst  bald  nach  Goethes  Rückkehr  aus 
Ilmenau  um  die  Mitte  des  Novembers,  auf  Veranlassung 
folgenden  Billets  Knebels,  das  nach  Düntzers  Vermuthung 
(.Freundesbilder'  S.  526).  in  diese  Zeit  zu  setzen  ist:  „Ich  30 
darf  Dich  wohl  an  Dein  Versprechen  erinnern,  mir  von 
Deiner  neuen  epischen  Arbeit  etwas  hören  zu  lassen!  Be- 
stimme mir  eine  Stunde  des  Morgens  oder  des  Nachmittags, 
dass  ich  zu  Dir  kommen  kann.  Zu  mir  ist  Dir  wohl  der  Weg 
zu  weit,  und  billig  zu  schmutzig.  35 

Ich  bin  sehr  verlaugend  das  A'ersprochene  zu  hören,  und 
Agauippens  Wasserfall  im  Thüringer-Lande  zu  vernehmen" 
(G. -Knebel  1.  142.  hier  in  den  Februar  1797  gesetzt). 

*  Goethes  siebenjähriger   Sohn   August. 


1796  HERMANN   UND  DOROTHEA.  89 

[November  1,  Ilmenau]  [192] 

Nächte  nicht  ruhig  schlafen  und  Morgens  nicht  arbeiteri. 
So  geht  mir  die  Zeit  verloren  und  ich  habe  noch  nicht 
das  Mindeste  thun  können,  .  . 
5  An  Christiane.  —  Br.  11.  204,20—2.5. 

Noveiilber  12,  Weimar.  193 

Sonst  habe  ich  aber  auch  nicht  den  Saum  des  Kleides 
einer  Muse  erblickt,  ja  selbst  zur  Prosa  habe  ich  mich 
untüchtig    gefunden,    und    weder  Production  noch  Ee- 
10       production  liess  sich  im  geringsten  spüren.     Das  Wei- 
tere müssen  wir  nun  geduldig  erwartend 
An  Scliiller.  —  Br.  11,  2G0.  2S— 261,  4. 

November  1.5,  Weimar.  194 

Die  drei  ersten  Gesänge  [1 — ij   meines  epischen  Ge- 
is     dichts  sind  fleissig  durchgearbeitet  und  abermals  abge- 
schrieben.    Ich  freue  mich  darauf  sie  Humholdts"  ge- 
legentlich vorzulehnen. 

An  Schiller.  —  Br.  11.  2G3.  25—28. 

]  [November  zweite    Hälfte,    oder   December   erste   Tage, 
20  Weimar.]  195 

Erst    die    Gesundheit    des  Mannes,    der,    endlich    vom 

Xamen  Homeros 
Kühn    uns    befreiend,    tms    auch    ruft  in  die  vollere 

Balur. 
25       Denn  wer  wagte  mit  Göttern  den  Kampf?   und  wer  mit 

dem  Einen? 
Doch    Homeride    zu    sein,    auch    nur    als  letzter,    ist 

schön. 


'  Schiller  erwiederte  am  13.  November  lakonisch:  .,  .  .  die 
poetische  Stunde  wird  schon  schlagen"  (Schillers  Br.  5, 107). 

^  Wilhelm  von  Humboldt  war  mit  seiner  Frau  seit  Anfang 
Nov<'mber  in  Jena.  ..Humboldts,  .  .  sehnen  sich.  Sie  zu 
sehen"  hatte  Schiller  am  13.  November  au  Goethe  geschrie- 
ben (Schillers  Br.  5,  108). 

•'  Diese  Stelle  wird  erlilärt  durch  Nr.  205. 


90  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1796 

] [November  zweite  Hälfte,  oder  Deeember  erste  Tage,  Weimar.]  [195] 

Darum   höret    das   neuste    Gedicht!     Xoeh    einmal    ge- 
trunken ! 
Euch    besteche    der  Wein,    Freundschaft    und  Liebe 

das  Ohr.  5 

Deutschen    selber    führ'    ich    euch    zu,    in  die    stillere 

Wohnung, 
Wo    sich,    nah    der  Xatur,    menschlich  der  Mensch 

noch  erzieht. 
Uns  begleite  des  Dichters  Geist^,  der  seine  Luise  lo 

Easch  dem  würdigen  Freund,  uns  zu  entzücken,  ver- 
band. 
Auch    die    traurigen    Bilder    der    Zeit,     sie    führ'    ich 

vorüber; 
Aber  es  siege  der  Muth  in  dem  gesunden  Geschlecht.  15 
Hab'  ich  euch  Thranen  in's  Auge  gelockt,  und  Lust  in 

die  Seele 
Singend  geflösst,  so  kommt,    drücket  mich  herzlich 

an's  Herz! 
Elegie  .Hermann  und  Dorothea'  V.  27 — 40.  —  W.  1,  204.  20 

Deeember  5,  Weimar.  196 

Durch  meine  Idylle  [, Alexis  und  Dora'],  über  welche 
mir  Ihr  Beifall  sehr  wohlthätig  ist,  bin  ich  in  das  ver- 
wandte epische  Fach  geführt  worden,  indem  sich  ein 
Gegenstand,  der  zu  einem  ähnlichen  kleinen-  Gedichte  25 
bestimmt  war,  zu  einem  grössern  ausgedehnt  hat,  das 
sich  völlig  in  der  epischen  Form  darstellt,  sechs  Gesänge 
und  etwa  zweitausend  Hexameter^  erreichen  wird.  Zwei 
Drittel  sind  schon  fertig  und  ich  hoffe  nach  dem  neuen 
Jahre  die  Stimmung  für  den  Ueberrest  zu  finden.  Ich  so 
habe  das  reine  Menschliche  der  Existenz  einer  kleinen 
deutschen    Stadt    in    dem    epischen  Tiegel    von    seinen 

'  Vgl.  92,  14—17. 

=  Vgl.   81,  33  f.   37—39. 

»  Vgl.  80,  27-31.  35 


1796  HERMANN   UND   DOROTHEA.  91 

[December  5,  Weimar.]  [196] 

Schlacken  abzuscheiden  gesucht,  und  zugleich  die 
grossen  Bewegungen  und  Veränderungen  des  Weltthea- 
ters   aus  einem  kleinen  Spiegel  zurück    zu  werfen    ge- 

5  trachtet.  Die  Zeit  der  Handlung  ist  ohngefähr  im  ver- 
gangenen August  und  ich  habe  die  Kühnheit  meines 
Unternehmens  nicht  eher  wahrgenommen,  als  bis  das 
Schwerste  schon  überstanden  war.  In  Absicht  auf  die 
poetische     sowohl     als    prosodische     Organisation     des 

10  Ganzen  habe  ich  beständig  vor  Augen  gehabt,  was  in 
diesen  letzten  Zeiten  bei  Gelegenheit  der  Yossischen  Ar- 
beiten mehrmals  zur  Sprache  gekommen  ist,  und  habe 
verschiedene  streitige  Puncto  praktisch  zu  entscheiden 
gesucht,  wenigstens  kann  ich  meine  Ueberzeugung  nicht 

15       besser  ausdrücken  als  auf  diese  Weise. 

Schillers  Umgang    und  Briefwechsel    bleibt    mir    in 
diesen  Eücksichten  noch  immer  höchst  schätzbar. 
An  H.  Meyer.  —  Br.  11,  272,  25—  273,  23. 

]  [December,  zwischen  ß  und  24',  Weimar.]  197 

20  Als  der  Jüngling  [Max  Jacobi]  die  Blätter-  dem  über- 

gütigen Dichter  tief  bewegt  und  angeregt  wieder  über- 
gab, verbarg  dieser  ihm  seine  Freude  nicht,  heiter  hin- 
zufügend: „Xacli  Ihnen  ist  nun  Böttiger  der  Nächste, 
dem  ich  es  mittheile;  denn  bei  dem  bin  ich  bei  der  Be- 

25  '  Das  Datum  lässt  sieb  nur  anuäliernd  bestimmen,  da  Goethes 
Tagebuch  dieses  Monats  sehr  lückenhaft  ist.  Am  5.  December 
schreibt  Goethe  au  Scliiller,  er  erwarte  „den  jungen  Jacobi 
in  diesen  Tagen"  (Br.  11,  277,  3  f.),  und  am  26.  December 
hatte,  wie  06,  18  f.  beweist,  Max  .Jacobi  die  Handschrift  be- 

30      reits  gelesen,  am  2.x  December  aber  las  Goethe  das  Gedicht 

Böttigern  vor,  s.  96,  27  f. 

^  Vermuthlich  war  es  die  in  Nr.  194  erwähnte  Abschrift  der 

drei  ersten  Gesänge  (1^).     „, Hermann  und  Dorothea',  noch 

nicht    ganz   vollendet,    in    erster   Abschrift"    bemerkt   Max 

35  Jacobi,  der  obige  Aeussemng  in  dem,  von  ihm  herausgege- 
benen .Briefwechsel  zwischen  Goethe  und  F.  H.  Jacobi'  S. 
216  mittheilt. 


92  HERMANN  UND   DOROTHEA.  1796 

][December,  zwischen  6  und  24,  Weimar.]  [197] 

iirtheilung    vor  allem  Einfluss    des  Geniütlies    auf    den 
Verstand  sicher,  und  so  einen  brauche  ich." 
Mit  Max  Jacobi.  —  Gespräche  1,  187. 

December  6,  "Weimar.  198    5 

Eigentlich  hin  ich  sehr  froh,  dass  ich  diese  Composi- 
tion  [, Wilhelm  Meisters  Lehrjahre'],  die  ihrer  Xatur 
nach  nicht  rein  poetisch  sein  kann,  nunmehr  hinter  mir 
sehe,  um  an  etwas  zu  gehen,  das  nicht  so  lang  und,  wie 
ich  für  mich  und  andere  hoffe,  befriedigender  ist.  Bald  lo 
werden  Sie  vielleicht  die  Ankündigung  einer  epischen 
Arbeit  sehen\:  was  davon  fertig  ist,  war  die  Frucht  der 

•     schönen  Herbstzeit,  zum  Schluss  und  zur  Ausarbeitung 

muss  ich  die  neuen  Frühlingstage  erwarten.     Ich  werde 

nicht    verschweigen-,    wie    ^iel     ich    bei    dieser    Arbeit  15 

unserm  Wolf  und  Ihnen  schuldig  bin.      Sie  haben  mir 

den  Weg  gezeigt  und  e  r  hat  mir  Muth  gemacht  ihn  zu 

gehen. 

An  Voss.  —  Br.  11,  277,  17—278,  5. 

December  7,   Weimar.  199  20- 

Sie  finden  auch^  wieder  eine  Elegie,  der  ich  Ihren 
Beifall  wünsche.  Indem  ich  darin  mein  neues  Gedicht 
ankündige,  gedenke  ich  damit  auch  ein  neues  Buch 
Elegien  anzufangen.  .  .  .  Mit  dieser,  wünschte  ich,  er- 
öffneten Sie    das    neue  Jahr    der  .Hören'*,    damit    die  23 


^  Das  heisst:  die  Elegie  .Hermann  und  Dorothea',  die  Goethe 
anfänglieh  dem  Briefe  hatte  beifügen  wollen,  wie  aus  dem 
ursprünglichen  Wortlaut  der  Stelle  hervoi'geht:  „Beiliegen- 
des Gediclit  kündigt  eine  epische  Arbeit  an'",  was  Goethe  im 
Coneept  des  Briefes  eigenhändig  änderte  in  „Bald  .  .  sehen"  30 
(Br.   11.  341  zu   S.   277.   21). 

"  Der  ursprüngliche  AVortlaut  dieser  Stelle:  „Ich  habe  ni<ht 
verschweigen  können"  wurde,  entsprechend  der  auf  Z.  28  f. 
angeführten  Abäudening,  von  Goethe  eigenliäudig  ver- 
bessert in  ..Ich  .  .  verschweigen"  (Br.  11,  341  zu  S.  278.  1).     35 

^  Goethe  schickte  gleichzeitig  ein  Werk  der  Frau  von  Stael, 
daher  das  ..auch". 

♦  Jahigaug  1797  der,  von  Scliillcr  herausgegebenen.  Monats- 
schrift   ,Die    Hören'. 


1796  HERMANN   UND   DOROTHEA.  93 

[December  7,  Weimar.]  [199] 

^Menschen  durchaus  sehen,  dass  man  auf  alle  Weise  fest 
steht  und  auf  alle  Fälle  gerüstet  ist\ 

An   Schiller.   —   Br.    11.   279.  16—19.    22— 2.">. 


ö  1  Die  letztere  Bemerkung  bezieht  sich  auf  das  durch  die 
.Xenien'  hervorgerufene  «Teschrei,  von  dem  Goetlie  .  im 
Hinblick  auf  Schillers  Arbeit  am  .Wallenstein",  auf  die 
eigene  an  , Hermann  und  Dorothea",  sich  abwandte  mit  den 
Worten:     ..  .  .  nach  dem  tollen  Wagestück  mit  den  .Xenien' 

10      müssen    wir    uns   bloss  grosser  und   würdiger  Kimstwerke 
befleissigen    und    unsere  proteische  Natur,   zu  Beschämung 
aller    Gegner,    in    die  Gestalten  des  Edlen  und  Guten   um- 
wandeln-" a.").  November  179«j.  Br.  11.  263.  20— 24). 
Schiller    antwortete    am   9.   December:     ..Dank   Ihnen    rür 

15  das  vorgestern  Ueberschickte.  Die  Elegie  macht  einen  eige- 
nen, tiefen,  rührenden  Eindi-uck.  der  keines  Lesers  Herz, 
wenn  er  eins  hat,  verfehlen  kann.  Ihre  nahe  Beziehung 
auf  eine  bestimmte  Existenz  gibt  ihr  noch  einen  Nachdruck 
mehr,  und  die  hohe  schöne  Ruhe  mischt  sich  darin  so  schön 

2»  mit  der  leidenschaftlichen  Farbe  des  Augenblicks.  Es  ist 
mir  eine  neue  trosti"eiche  Erfahrung,  wie  der  poetische 
Geist  alles  Gemeine  der  Wirklichkeit  so  schnell  und  so 
glücklich  unter  sich  bringt,  und  durch  einen  einzigen 
Schwung,  den  er  sich  selbst  gibt,  aus  diesen  Banden  heraus 

25  ist,  so  dass  die  gemeinen  Seelen  ihm  nur  mit  hoffnungsloser 
Verzweiflung  nachsehen  können. 

Das  Einzige  gebe  ich  Ihnen  zu  bedenken,  ob  der  gegen- 
wärtige Moment  zur  Bekanntmachung  des  Gedichts  auch 
ganz    günstig    ist?     In    den    nächsten   zwei,   drei   Monaten, 

30  fürchte  ich.  kann  bei  dem  Publicum  noch  keine  Stimmung 
erwartet  werden  gerecht  gegen  die  .Xenien'  zu  sein.  Die 
vermeintliche  Beleidigung  ist  noch  zu  frisch;  wir  scheinen 
im  Tort  zu  sein,  und  diese  Gesinnung  der  Leser  wird  sie 
verhärten.     Es  kann  aber  nicht  fehlen,  dass  unsere  Gegner, 

35      durch    die  Heftigkeit    und  Plumpheit    der  Gegenwehr,   sich 
noch    mehr    in  Nachtheil    setzen    und    die  Bessergesinmen 
gegen  sich  aufbringen.     Alsdann,  denke  ich.  würde  die  Ele- 
gie den  Tnumph  erst  vollkommen  machen. 
.  .  .  Möge  die  Muse  mit  ihren  schönsten  Gaben  bei  Ihnen 

40  sein  und  ihrem  herrlichen  Freund  seine  .Tugend  recht  lange 
bewahren I     Ich  bin  noch  immer  in  der  Elegie  —  jedem,    der 


94  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1796 

Deceuiber  8,   Weimar.  200 

Wie  ein  Schiffer,  der  von  einer  gefährlichen  Fahrt 
zurückkommt,  sieh  desswegen  doch  nicht  im  Hafen 
halten  kann,  sondern  wieder  sobald  möglich  ausfährt, 
so  habe  ich  mich  auch  ^neder  auf  eine  neue  Eeise  5 
begebend  Ein  einsches  Gedicht,  das  etwa  auf  sechs  Ge- 
sänge und  zweitausend  Hexameter  steigen  kann,  ist 
jetzo  meine  Liebe  und  meine  Sorge.  Je  mehr  man  dem 
Beifall  gibt,  was  davon  schon  fertig  ist,  desto  bänger  bin 
ich,  ob  ich  auch  so  endigen  werde,  Avie  ich  angefangen  lo 
habe;  doch  hilft  hier,  wo  bei  einem  für  recht  erkannten 
Plan  die  Ausführung  bloss  von  dem  Augenblick  ab- 
hängt, weder  hoffen  noch  sorgen,  hier  ist  der  Glaube 
eigentlich  am  Platz.  Die  zur  Einleitung  bestimmte 
Elegie  lege  ich  in  Abschrift  bei.  i5 

.  .  .  Dorchen  wird  sehen,  dass,  ich  weiss  nicht  durch 
welchen  Zauber,  meine  neue  Heldin  schon  wieder  Doro- 
thea heisst^. 

An  Körner.  —  Br.   11,  284, 8—21.  285,  17—19. 


nur  irgend  eine  Affinität  zu  Ihnen  bat,  wird  Ihre  Existenz,  20 
Ihr    Individuum    darin    so  nahe  gebracht'"  (Schillers  Br.  5, 
128  f.). 

^  Nach  Vollendung  von  , Wilhelm  Meisters  Lehrjahren'. 

^  Wie    die    „Heldin"    der    im    Mai    dieses  Jahres  gedichteten 
Elegie    , Alexis   und   Dora'.      ,,Dorclien"   ist   Dorothea    Stock,  25 
Körners   Schwägerin. 

Körner  antwortete  am  17.  December:  ..Wüssten  Sie,  wie 
viel  Freude  Sie  mir  und  den  Meinigen  durch  Mittheilung  der 
neuen  Elegie  gemacht  hätten,  Sie  würden  einen  besondorn 
Copisten  halten,  um  jedes  Ihrer  Producte  sogleich,  wie  es  30 
fertig  wäre,  für  uns  abschreiben  zu  lassen.  Der  Ton  dieses 
Prologs  konnte  nur  in  einem  sehr  glücklichen  Momente  ge- 
funden werden,  und  es  war  gewiss  kein  kleines  Verdienst, 
ihn  auch  nur  in  einem  so  kurzen  Gedichte  festzuhalten. 
Diese  Weichheit  ohne  Schwäche,  diese  Ruhe  ohne  Entkräf-  35 
tung,  diese  Lieblichkeit  mit  jugendlichem  Muth  verbunden 
bringt  eine  sonderbare  gemischte  Wirkung  hervor,   die    zu- 


1796  HERMANN   UND    DOROTHEA.  95 

Deceniber  10,   Weimar.  201 

Dass  Sie  sieh  der  Elegie  erfreuen^  thut  mir  sehr  wohl, 
ich  vermuthe,  dass  einige  Gesellen  bald  nachfolgen 
werden.  "Was  das  Drucken  betrifft,  darüber  bleibt  Ihnen 
das  Urtheil  ganz  anheim  gestellt,  ich  bin  auch  zufrieden, 
dass  sie  noch  ruht".  Ich  werde  sie  indess  in  der  Hand- 
schrift Freunden  und  Wohlwollenden  niittheilen,  denn 
ich  habe  aus  der  Erfahrung,  dass  man  zwar  bei  ent- 
standenem Streit  und  Gährung  seine  Feinde  nicht  be- 
kehren kann,  aber  seine  Freunde  zu  stärken  Ursache 
hat. 

An  Schiller.  —  Br.  11,  287.  9  f.  11— 18. 

DeceDiber  21,  Weimar.  202 

Es  freut  mich  sehr,  dass  die  Elegie  bei  Körner  gut 
gewirkt  hat".  Im  Ganzen  bin  ich  aber  überzeugt,  dass 
Ihre  Bemerkung*  richtig  ist,  dass  sie  nemlich  öffent- 
lich noch  zu  früh  käme:  ich  bin  auch  privatim  sehr 
sparsam  damit  umgegangen^. 

An  Schiller.  —  Br.  11,  292, 1—5. 


20  gleich  rührend  und  stärkend  ist.  Wie  begierig  mnss  man 
nun  auf  das  grössere  Gedicht  werden,  und  wie  sehr  müssen 
Sie  verzeihen,  wenn  Ihre  Güte  ims  unbescheiden  macht. 
Wäre  es  denn  nicht  möglich,  uns  nur  ein  kleines  Fragment 
davon  lesen  zu  lassen?"     (GJ.  4,  300.) 

25  Aehulich,    nur    kürzer,    hatte    Körner    schon    am    15.  De- 

ceniber über  die  Elegie  an   Schiller  geschrieben. 
'  s.  93.  15—26. 

*  Sie  blieb  ungedruckt  bis  zum  Jahre  1800. 

"  Vgl.  den  94.  27—95.  24  mitgetheilten  Brief  Körners  an  Goethe 
30  vom  17.  December;  Schiller  hatte  am  18.  December  an 
Goethe  berichtet:  „Körnern  und  seine  Familie  hat  Ihre 
Elegie  sehr  lebhaft  interessirt.  Sie  wissen  nicht  genug  da- 
von zu  erzählen,  und  Ihrem  epischen  Gedichte  sehen  sie 
mit  unbeschreiblicher  Sehnsucht  entgegen"  (Schillers  Br. 
35      5,  135). 

*  Vgl.  93.  27—38. 

'  Zu  denen,  die  Goethe  mit  der  Elegie  bekannt  gemacht  hatte. 
gehört  auch  Knebel,  der  an  einem  unbestimmten  Tage  des 


96  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1796 

][December  25,  Weimar.]  .'203 

^Goethe  ging  seit  zwei  Jahren  mit  diesem  Sujet 
schwanger  und  versuchte  es  erst  als  Drama-,  dann  als 
eine  Idyllenreihe  .... 

Die  Charaktere  der  handelnden  Personen  sind  aus  5 
der  Menschenclasse  genommen,  die  in  unsern  Tagen 
allein  noch  Individualität  und  Xaturgepräge  haben, 
und  doch  ist  es  keine  phantastische  Idyllenwelt.  Es 
sind  die  sogenannten  Honoratioren  einer  kleinen  Stadt, 
wie  sie  leiben  und  leben.  „Diess",  sagte  Goethe,  „ist  lo 
Vossens  Verdienst,  oline  dessen  ,Luise'^  diess  Gedicht 
nicht  entstanden  sein  könnte". 

Mit  Büttiger.  —  K.  A.  Böttiger:    Literarische  Zustände 
1,  74—76. 

December  26,   Weimar.  204  15 

Ich  wünsche  mir,  dass  ich  die  Passion  zu  meinem 
neuen  epischen  Gedicht  in  das  nächste  Jahr,  recht  leb- 
haft^ mit  hinüber  bringen  möge.  Die  Art,  wie  Max 
solches  genommen,  hat  mir  wieder  neuen  Muth  dazu 
gegeben^.  20 

An  F.   H.  .Jacobi.  —  Br.  11,  294,  8—12. 


Decembers  au  Goetlie  schrieb:    ,,lcli  danke  Dir.  Lieber,  für 
das  liebe  Geschenk  Deiner  Muse.     Es  erfreut  mich  herzlich. 
Wie    wohl    thun    die  Töne,    die  unmittelbar  aus  der  Brust 
hervordringen!     Ich   sage    .Ja!  und  Amen!   zu   Allem.    .   .    ."  25 
(G.-Knebel  1,   137). 

^  Nach  Böttigers  Angabe  las  Goethe  an  diesem  Tage  , Her- 
mann und  Dorothea'  vor,  und  zwar  Gesang  1 — 3  (1 — 4)  ganz 
und  den  vierten  Gesang  bis  zu  der  Stelle,  wo  ..die  Ab- 
gesandten gehen,  nachdem  ihnen  Hermann  zuvor  durch  eine  30 
meisterhafte  Schilderung  das  Mädchen  kenntlich  gemacht 
hat",  das  heisst  bis  gegen  das  Ende  (etwa  Vers  183)  des 
jetzigen   fünften   Gesanges. 

Die   nachfolgenden   Angaben    und   Aeusserungen    sind    zu 
denken  als  von  Goethe  während  des  Gesprächs  gethan.  das  35 
an  die  Vorlesung  sich  Ivuüpfte. 

-  Von    einer  geplanten  Behandlung    des  Stoffs    als    „Drama" 
ist  sonst  nichts  bekannt. 

'  Ueber  Max  .Jacobi  s.  Nr.  197. 


1796  HERMANN   UND   DOROTHEA.  97 

December  26,  Weimar.  205 

Vielleicht  sende  ich  Ihnen  bald  mit  niehrerem 
Muthe^  die  Ankündigimg  eines  epischen  Gedichtes,  in 
der  ich  nicht  verschweige,  wie  viel  ich  Jener  Ueher- 
5  Zeugung  schuldig  bin,  die  Sie  mir  so  fest  eingeprägt 
haben^.  Schon  lange  war  ich  geneigt,  mich  in  diesem 
Fache  zu  versuchen  und  immer  schreckte  mich  der 
hohe  Begriff  von  Einheit  und  Untheilbarkeit  der 
Homerischen  Schriften  ab;  nunmehr  da  Sie  diese  herr- 

10  liehen  Werke  einer  Familie  zueignen,  so  ist  die  Kühn- 
heit geringer  sich  in  grössere  Gesellschaft  zu  wagen  und 
den  Weg  zu  verfolgen,  den  uns  Voss  in  seiner  ,Luise' 
so  schön  gezeigt  hat. 

Da  ich  nicht  im  Falle  bin,  Ihre  Schrift^  theoretisch 

15  zu  prüfen,  so  wünsche  ich  nur,  dass  Sie  mit  diesem 
praktischen  Beifall  nicht  unzufrieden  sein  mögen;  denn 
der  thätige  Mann  will  ja  nicht  allein  überzeugen,  son- 
dern auch  wirken,  und  diese  doppelte  Freude  erleben 
Sie    an  Ihren  Schülern    alle  Tage.     Warum   kann    ich 

20  doch  nicht,  da  ich  das,  was  mir  von  Zeit  und  Lebens- 
kraft übrig  bleibt,  der  Erkenntniss  wahrer  Kunst  und, 
wenn  der  Genius  will,  ihrer  Ausübung  zu  -widmen  hoffe, 
auch  Ihnen  näher  sein,  um  von  Ihren  Arbeiten  un- 
mittelbar den  erwünschten  Vortheil  zu  gewinnen. 

25  Leben  Sie  recht  wohl  und  füllen  die  Lücken,  die  eine 

strenge   Kritik,  an    meinen   Arbeiten    finden   möchte, 
durch  ein  fortgesetztes  Wohlwollen  aus. 
An  F.  A.  Wolf.  —  Br.  11,  296,  19—297,  20. 

]  [December  27,  Weimar.]  -06 

30  Seitdem  ich  Ihnen  jene  Bemerkungen  über  die  Elegie 

'  „Mit    mehrerem    Muthe"    als    er    jetzt    ,Wilbelm    Meistors 

Lehrjabre'  übersandte. 
'  Die  Elegie   ,Hermann   und   Doratbea',   V.   27—30  (s.   89,  21— 
28). 
35    '  s.  2,  29—32. 

Graf,  Goethe  über  s.  Dichtungen  T.  I.  7 


98  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1797 

][December  27,  Weimar.]  [206] 

danke^,    habe  ich  manches  erfahren  und  gedacht,  und 
ich  wünsche  Ilinen  bei  der  gegenwärtigen^ 
An  Schiller.  —  Br.  11,  300,  25—28. 

1797.  5 

Januar  3,  Dessau.  207 

An    das  Gedicht    habe    ich  wenigstens  gedacht  und 

werde  den  Plan  ausarbeiten,  so  weit  mir  nur  möglich 

ist,  so  kann  es  alsdann  einmal,  ehe  wir  es  uns  versehen, 

fertig  sein.  lo 

Au  Cbristiane.  —  Br.  12.  4.  10—13. 

Januar  8,  Leipzig.  208 

Das  Schema  zum  Schluss  des  epischen  Gedichtes 
ward  in  diesen  Tagen  fertig. 

Tgb.  2,  53,  7  f.  15 

Januar  11,  Weimar.  209 

Poetisches  hat  mir  die  Reise  nichts  eingetragen,  als 
dass  ich  den  Schluss  meines  epischen  Gedichts  voll- 
kommen sehematisirt  habe^. 

An  Schiller.  —  Br.  12,  5,  8—10.  20 


1  In   Schillers  Brief   vom  9.   December  1796,   s.   93.14. 

*  Mit    diesem  Worte  geht  der  erste  Bogen  dieses  Briefes  zu 
Ende,  das  Uebrige  ist  nicht  erhalten. 

Die  Stelle    betiifCt    einen  Angriff  Reichardts  auf  Schiller 
wegen  der  ,Xenien'.     Schiller  wollte  heftig  entgegnen,   v.as  25 
Goethe  verhinderte. 

Mit  Bezug  auf  Goethes  bevorstehende  Abreise  nach  Leip- 
zig und  auf  »Hermann  und  Dorothea'  hatte  Schiller  am  25. 
December    geschrieben:     ,,Ihr    längeres  Ausbleiben    ist    mir 
sehr     unangenehm:     möchte     es     nur    Ihre     jetzige     schöne  30 
Thätigkeit  nicht  zu  lang  unterbrecheu"  (Schillers  Br.  5,  135). 

'  Folgende  Stelle  aus  Schillers  Brief  vom  17.  Januar  ist  hier 
einzuschalten,  da  die  in  ihr  enthaltene  Betrachtung  vor 
allem  durch  »Hermann  und  Dorothea'  veranlasst  ist:  „Be- 
sonders .  .  erfreut  mich  Ihre  lebhafte  Neigung  zu  einer  fort-  35 
gesetzten  poetischen  Thätigkeit.  Ein  neuere?;  schöneres 
Leben  thut  sich  dadurch  A'or  Ihnen  auf,  es  wird  sich  auch 


1797  HERMANN   UND   DOROTHEA.  99 

Jauuar  14,  Weimar.  210 

Früh  Hermann  ,de  Metris'^  [Besprechung  mit]  Bötti- 
ger wegen  des  epischen  Gedichts-. 
Tgb.  2,  53,  28-54,  1. 


5  mir  nicht  nur  in  dem  Werke,  es  wird  sicli  mir  aucli  diuxli  die 
Stimmung,  in  die  es  Sie  versetzt,  mittheilen  und  mich  er- 
quiclien.  Ich  Avünschte  besonders  jetzt  die  Chronologie 
Ihrer  Werlie  zu  wissen,  es  sollte  mich  wundem,  wenn  sich 
an    den   Entwicli;luDgen    Ihres   Wesens    nicht    ein   gewisser 

10  nothwendiger  Gang  der  Natur  im  Mensclien  überhaupt 
nachweisen  liesse.  Sie  müssen  eine  gewisse,  nicht  sehr 
kurze,  Epoche  gehabt  haben,  die  ich  Ihre  analytische  Periode 
nennen  möchte,  wo  Sie  durch  ihre  Theilung  und  Trennung 
zu    einem   Ganzen    strebten,    wo  Ihre  Natur  gleichsam  mit 

15  sich  sellist  zerfallen  war  und  sich  durch  Kunst  und  Wissen- 
schaft wieder  herzustellen  s\ichte.  Jetzt,  däucht  mir.  kehren 
Sie.  ausgebildet  und  reif,  zu  Ihrer  Jugend  zurtick  und 
werden  die  Frucht  mit  der  Blüthe  verbinden.  Diese  zweite 
Jugend  ist  die  Jugend  der  Götter  und  unsterblich  wie  diese. 

20  Ihre  kleine  und  grosse  Idylle  [.Alexis  und  Dora'  und  .Her- 

mann   und    Dorothea']      und    noch    neuerlich    Ihre    Elegie 
[.Hermann  und  Dorothea']    zeigen  dieses,   so  wie  die  alren 
Elegien  und  Epigramme"  (Schillers  Br.  5.  142  f.). 
^  ,De  metris  poetarum  graecorum  et  rouiauorum  1.  I— III"  war 

25  179Ö  in  Leipzig  erschienen.  Gottfried  Hermann  legt  darin 
die  Gnindzüge  seiner  Metrik  dar. 

Am  10.  Februar  1797  schreibt  Wilhelm  von  Humboldt  an 
Goethe:  , .Wollten  Sie  wohl  Sonntag  [12.  Februar  nach  Jena] 
den  Hermann  ,de  metris'  mitbringen?     Ich  muss  mein  hier 

30  geliehenes  Exemplar  zurückgeben  und  möchte  nicht  gern 
den  Faden  verlieren,  den  es  immer  so  sauere  Mühe  anzu- 
knüpfen kostet"  (G.-Humboldt  S.  27),  und  sodann  am  16. 
Februar:  „Ich  habe  nunmehr  in  Hermann  das  Capitel  vom 
Hexameter  durchgelesen,  und  glaube  Ihneu  davon  Rechen- 

35       Schaft  geben  zu  können",  dabei  folgt  ein  Auszug  aus  dem 

betreffenden  Capitel  (GJ.  8,  65). 

*  Böttiger   stand  mit   dem   späteren   Verleger   von   .Hermann 

und  Dorothea',   Vieweg  dem  Aelteren  in  Berlin,   seit  Mitte 

November  1796  in  Briefwechsel  wegen  eines  Taschenbuchs, 

40  dessen  Inhalt,  nach  Yiewegs  Wunsch,  ein  Werk  Goetlies 
bilden  sollte.     Durch  Böttigers  Vermittelung  erhielt  Vieweg 


100  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1797 


]  [Januar  16,  Weimar.]  211 

Icli  übersende  Ihnen  im  versiegelten  Anschlüsse  ein 
Manuscript.  AYill  Herr  Aaeweg  dafür  nicht  200  Fricd- 
riehd'or  zahlen,  so  beliebe  er  den  Pack  zurückzu- 
senden, ohne  ihn  zu  entsiegeln.^ 

An  H.  F.  Vieweg.  —  Br.  12,  11, 1-^. 

Januar  16,  Weimar.  212 

(Für  das  epische  Gedicht  ,Hermann  und  Dorothea' 
verlange  ich  Eintausend  Thaler  in  Golde.  Weimar  den 
16.  Januar  1797.    Goethe.) 

Herr  Oberconsistorialrath  Böttiger  wird  ersucht  Ge- 
genwärtiges bis  zur  bekannten  Epoche  bei  sich  uner- 
öffnet  liegen  zu  lassen-. 

An  Böttiger.  —  Br.  12,  11,  5—12. 


,Hermann  und  Dorotbea'.     Die  Geschichte  der  hierüber  ge-  is 
pflegten  Verhandlungen  hat  Ludwig  Geiger,  mit  Benutzung 
der    Briefe    Yiewegs    an    Böttiger,    ausführlich    dargestellt 
(,Zeitschrift  für  Bücherfreunde'.    Hsg.  von  Fedor  von  Zobel- 
titz.  1897  Jahrgang  1,  143—349). 

Hier  genügt  zu  erwähnen,  dass  Böttiger  gegen  Ende  No-  2» 
vember  1796  Goethe  den  Plan  Yiewegs  mündlich  vorge- 
tragen, sowie  als  Probe  einen  Bogen  und  zwei  Kupfer  des 
zunächst  bei  Vieweg  erscheinenden  Calenders  vorgelegt 
hatte.  Die  Probeblätter  gelangten  noch  Ende  November  oder 
Anfang  December  wieder  in  Böttigers  Hände,  mit  einem  25 
Briefe  Goethes: 

„Die  auf  den  Berliner  Almanach  bezüglichen  Papiere  nebst 
dem  Portefeuille  schicke  ich  dankbar  zurück"  (Briefe  11, 
270,  18  f.). 

Goethe  hatte  sich   bereit  erklärt,   und  Vieweg  war  durch  so 
Böttiger,   nach   der  Vorlesung   am  25.  December  (s.  Nr.  203), 
näher  über  Goethes  Dichtung  unterrichtet  worden. 
^  ,,Es   ist   nicht   unmöglich,   dass   dieses   Billet  kein   wirklich 
geschriebenes,  sondern    ein    aus  der  Tradition    der  Vieweg- 
schen  Buchhandlung    irrig  reconstruirtes    ist"  (Eduard    von  35 
der  Hellen  in  Br.  12,  396  zu  Nr.  3467),  denn  das  Billet  passt 
nicht    zu  Goethes    gleichzeitigem    Brief     an    Vieweg,    noch 
weniger  in  den  April  oder  Mai  des  Jahres,  da  nach  Nr.  213 
und  218  das  Geschäft  Ende  Januar  abgeschlossen   wurde. 
*  Die     in    Klammern    eingeschlossenen    Worte    stehen,     von  40 
Goethe  geschrieben,    „auf  der  ersten   Seite    eines   enggefal- 


1797  HERMANN   UND   DOROTHEA.  101 

Januar  16,  Weimar.  213 

Ich  bin  geneigt,  Herrn  Yieweg  in  Berlin  ein 
episches  Gedicht  .Hermann  und  Dorothea',  das  ohnge- 
fähr  "2000  Hexameter  stark  sein  tv-ird,  zum  Verlag  zu 
5  überlassen.  Und  zwar  dergestalt,  dass  solches  den  In- 
halt seines  Almanachs  auf  1798  ausmache  und  dass  ich 
nach  Verlauf  von  2  Jahren  allenfalls  dasselbe  in  meiuen 
Schriften  -wieder  aufführen  könne.  "Was  das  Honorar 
betrifft,  so  stelle  ich  Herrn  Oberconsistorialrath  Bötti- 
10  ger  ein  versiegeltes  Billet  [Xr.  312]  zu,  worin  meine 
Forderung  enthalten  ist  und  erwarte,  was  Herr  Vieweg 
mir  für  meine  Arbeit  anbieten  zu  können  glaubt.  Ist 
sein  Anerbieten  geringer  als  meine  Forderung,  so  nehme 
ich  meinen  versiegelten  Zettel  unerötfnet  zurück,  und  die 
15  Xegotiation  zerschlägt  sich,  ist  es  höher,  so  verlange  ich 
nicht  mehr  als  in  dem,  alsdann  von  Herrn  Obercon- 
sistorialrath zu  eröffnenden  Zettel  verzeichnet  ist. 

Die  Anzahl  der  Exemplarien,    welche  gewöhnlich  an 
den  Verfasser  abgegeben  werden,  stelle  Herrn  Vieweg 
20       anheim. 

Zu  Kupfern  bringe  ich  Vorstellungen  aus  .Wilhelm 
Meister'  zum  A'orschlag  und  werde  sogleich  eine  Anzahl 
Gegenstände  dazu  vorschlagen. 

Das  Manuscript  kann,    zum  Theil,  zu  Anfang  April, 
25       der  Schluss  aber  gewiss  auf  die  Jubilatemesse  abgegeben 
werden,  auf  welcher  auch  das  Honorar  bezahlt  würde. 
An  H.  F.  Vieweg.  -  Br.  12.  11.  14-12.  16.  20-23. 

Januar  18.  Weimar.  -^^ 

Bei    Knebel    im  Garten    über  deutsche  Prosodie    ge- 

30       sprochen.^ 

Tgb.  2.  ö4.  in  f. 


teteu  Quartbogens,  die  an  Böttiger  gerichteten  Worte,  von 
Sclireiberliand.  auf  dem  Couvert.  das  die  Forderung  ein- 
schloss"  (Br.  12,  396  zu  Nr.  3468». 
Wegen  der  ..bekannten  Epoche"  s.  101, 11—17. 
»  Wohl  im  Anschluss  an  die  Leetüre  von  Hermanns  Werli 
über  die  antiken  Versmasse  (s.  Nr.  210)  und  mit  Rücksiclit 
auf   .Hermann  und  Dorothea'. 


102  HERMANN  UND   DOROTHEA.  1797 

JaDuar  28,  Weimar.  215 

Lassen  Sie  uns  auf  die  Ausbildung  des  Gedichts  desto 
mehr  Sorgfalt  wenden.^ 

An  Büttiger.  —  Br.  12,  24,  10  f. 

Januar  28,  Weimar.  216    5 

Früh  .  .  Mit  Böttiger  abgeschlossen  wegen  dem  Al- 
mana eh. 

Tgb.  2,  .55,  4  f. 

Januar  29,  [Weimar.]  217 

Ferner    habe    ich    auch    mein  episches  Gedicht  yer-  lo 
handelt,    wobei    sich    einige    artige    Begebenheiten  er- 
eignet haben^. 

An  Scliiller.  —  Br.  12,  25,  5—7. 

Januar  30,  Weimar.  218 

Ihr  Anerbieten  trifft  genau  mit  dem  Blatte",  welches  1.5 
Herr  Oberconsistorialrath  Böttiger  in  Händen  hat, 
überein,  und  ich  überlasse  Ihnen,  mit  Vergnügen,  das 
benannte  Gedicht,  auf  die  in  Ihrem  Briefe  bemerkten 
Bedingungen,  nemlich  für  den  Calender  von  1798,  und 
für  die  beiden  darauf  folgenden  Jahre,  zum  alleinigen  20 
Verlag  und  Besitz. 

Dass  Sie  eine  geringere  Ausgabe  drucken  lassen,  bin 
ich  gleichfalls  zufrieden,  und  werde  der  Uebersendung 
des  Honorars  nach  völliger  Einsendung  des  Manu- 
scripts  entgegen  sehen.  -'& 

Nach  meiner  vorigen  Aeusserung  wünschte  ich  die 
erste  Hälfte  des  Gedichtes  Anfangs  April  zu  schicken, 

^  Im  Gegensatz    zu    der    „so  unreinen  Form"    von  ,WillieIm 

Meisters  Lelirjaliren'  (Br.  12,  24,  8). 
'  Schiller    erwiderte    am    31.   Januar:  ,,  .  .  was    das    epische  30 

Werk  betrifft,  so  hoffe  ich,  Sie  sind  in  gute  Hände  gefallen. 

Das  Werk    wird    einen  glänzenden  Absatz  haben,    und    bei 

solchen    Schriften   sollte   der  Verleger  billigst   keinen   Pi'ofit 

zu  machen  suchen,    sondern    sich    mit    der  Elu'e  begnügen. 

Mit  schlechten  Büchern  mag  er  reich  werden"  (Schillers  Br.  35 

5,  148). 
'  s.  Nr.  212.  213. 


1797  HERMANN   UND   DOROTHEA.  103 

[Januar  30,  Weimar  ]  [2i8] 

weil  ich  das  Ganze  erst  fertig  zu  haben  wünschte,  ehe 
ich  einen  Theil  aus  den  Händen  gäbe;  dazu  brauche  ich 
zwar  nicht  viel  Zeit,  aber  die  reinste  Stimmung,  wie  sie 
5  die  ünrulie  des  AVinters  und  die  Zerstreuung  desselben 
nicht  leicht  hervorbringen.  Sollten  Sie  Jedoch  Ihrer 
Anstalten  wegen  das  Manuscript  nothwendig  früher 
brauchen,  so  lässt  sich  Eath  schaffen  und  ich  bitte  Sie, 
sich    hierüber    näher  zu  erklären.     Freilich  da  ich  ein- 

10  mal  so  viel  Sorgfalt  an  diese  Arbeit  gewendet  habe,  so 
wünschte  ich  sie  nun  zuletzt,  soweit  meine  Kräfte 
reichen,  zu  vollenden^. 

Herr  Oberconsi.storialrath  Böttiger  wird  noch  einiges 
hinzufügen. 

15  An  H.  F.  Yieweg.  —  Br.  12,  20,  7—27.  7. 

Februar  4,  Weimar.  219 

Uebrigens  sind  jetzt  alle  meine  "Wünsche  auf  die  Yoll- 
endung  des  Gedichtes  gerichtet  und  ich  muss  meine  Ge- 
danken mit  Gewalt  davon  zurückhalten,  damit  mir  das 
20       Detail  nicht  in  Augenblicken  zu  deutlich  werde,  wo  ich 
es  nicht  ausführen  kann-. 

An  Schiller.  —  Br.  12.  32.  3—7. 


'  Die  Worte    „so  wüusclite  —  vollenden"  bat  Goethe  im  Con- 
cept  eigenhändig  eingesetzt  für  das  ursprüngliche:  ..so  möchte 
25      ich  es  min  zuletzt  an  nichts  fehlen  lassen,  um  ihr  im  Ganzen 
sowohl  als  im  Einzelnen  die  ^'olleudung  zu  geben,  deren  der 
Gegenstand  fähig  ist"  (Br.  12.  398  zu  Nr.  3477). 
^  Besonders  durch  Theaterangelegenheiten  war  Goethes  Zeit 
damals  in  Anspiiich  genommen.     Er  kam  sich  vor  ,.wie  ein 
30      Ball,  den  eine  Stunde  der  andera  zuwirft"  (Br.  12.  3.5,  7). 
Am   7.   Februar  fragt  Schiller  an:     ..Soll  ich   Ihre   Elegie 
[.Hermann  und  Dorothea*]  nun  etwa  zum  Druck  abschicken, 
dass  sie  am  Anfange  Aprils  in's  Publicum  kommt?"  (Schillers 
Br.    5.  1.57).     Schriftlich    scheint    Goethe    hierauf    nicht     ge- 
35      antwortet    zu  haben.     Jedenfalls  erschien    die  Elegie    nicht 
in  den  , Hören'. 


104'  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1797 

Febiniar  6,  Weimar.  220 

Schon    vor  einiger  Zeit  sclu-ieb    ich  Ihnen,    dass   ich 
mich  mit  dem  epischen  Altvater  beschäftige,  jetzt  kann 
ich  Ihnen  sagen,  dass  ich  mit  einem  eig"nen  Gedichte,  von 
der  erzählenden  Art,  beinahe  fertig   bin.     Ich    darf    es    & 
Ihnen  ja  wohl,  sobald  es  gedruckt  ist,  zuschicken? 
An  die  Fürstin  Gallitzin.  —  Br.  12,  34,  20—24. 

Februar  9,   Weimar.  221 

Bald  sehen  Sie  wieder  ein  episches  Grcdicht  von  mir, 
dem  ich  eine  so  gute  Aufnahme,  auch  in  Ihrem  Zirkel,  lo 
wünsche  als  die  Neigung  stark  ist,  womit  ich  es  ange- 
griffen habe  und  nun  bald  zu  vollenden  hoffe^. 
An  Sara  Wulff  (geb.  Meyer).  —  Br.  12,  37,  24—28. 

Februar  18,  Weimar.  222 

-Ich  wage  es  endlich  Ihnen  die  drei  ersten  Gesänge  15 
[1 — 4]  des  epischen  Gedichtes  zu  schicken,  haben  Sie 
die  Güte  es  mit  Aufmerksamkeit  durchzusehen  und 
theilen  Sie  mir  Ihre  Bemerkungen  mit;  Herrn  von 
Humboldt  bitte  ich  gleichfalls  um  diesen  Freund- 
schaftsdienst.    Geben  Sie    beide    das  Manuscript   nicht  20 

^  Zu  jenem  ,, Zirkel"  gehörten  vor  allem  Raliel  Leviu  und  die 
Schwester  der  Adressatin,  Marianne  Meyer  (spätere  Fvau 
von  Eybenberg).  An  die  letztere  schi-ieb  Goethe  einige  Zeit 
später  gleichfalls  (der  Brief  ist  nicht  überliefert),  ^md 
schickte  ihr  eine  Abschrift  der  Elegie  , Hermann  und  Doro-  25 
thea'.  wofür  Marianne  Meyer  sich  am  11.  März  1797  brieflich 
bedankt,  zugleich  grosses  Verlangen  nach  dem  Epos 
äussernd  (GJ.  14,  108). 

^  Tags  zuvor,  am  17.  Februar,  hatte  Schiller  geschrieben: 
„Wünschten  Sie  Ihren  Almanach  nicht  auf  dem  Papier  ge-  30 
druckt  zu  sehen,  worauf  ich  hier  schreibe?  Es  ist  viel 
wohlfeiler  als  A'elin  und  mir  kommt  es  wirklich  eben  so 
schön  vor.  Das  Buch  kommt  ohngefähr  auf  13  Groschen, 
da  das  Velin  18  Groschen  kostet.  , Hermann  und  Dorothea' 
müssten  sich  prächtig  darauf  ausnehmen.  35 

Leben  Sie  Avohl.  Sehen  Sie,  dass  Sie  sich  sobald  möglich 
von  Ihren  Geschäften  losmachen  und  Ihr  Werk  vollenden" 
(Schillers  Br.  5,  162  f.). 


1797  HERMANN   UND  DOROTHEA.  105 


[Februar  IS,  Weimar.]  r222] 

aus  der  Hand  und  lassen  Sie  mich  es  bald  wieder  haben. 
Ich   bin  jetzt  an  dem  vierten  [5.  6.]  Gesang  und  hoffe 
mit  diesem  wenigstens  auch  bald  im  Eeinen  zu  sein\ 
5  An  Schiller.  —  Br.  12,  41,  .5—13. 

Februar  24,  Jena.  223 

.  .  sage  Dir    nur:  dass    ich  wohl  bin  imd  an  allerlei 
Dingen  arbeite,  in  Erwartung  der  Laune  zum  Gedieht-. 
An  Christiane.  —  Br.  12,  52,  6—8. 

lö  Februar  27,  [Jena.]  -  224 

Wir  wollen  hoffen,    dass    wir,    aus    der  Erniedrigung 

dieser  realen  Bedrängnisse^  zur  Herrlichkeit  poetischer 

Darstellungen  nächstens  gelangen  werden,  imd  glauben 

diess   um   so    sichrer,    als  uns  die  Wunder  der  stetigen 

15       Xaturwirkungen  bekannt  sind. 

An  Schiller.  —  Br.   12,  53,6—10. 

][]März   Anfang,   Jena.]  225 

Der  Besuch    der  ]\Iusen,    die    sich    zwar  wieder    zur      y 
rechten  Zeit  einofefunden  haben,  hat  sich  diessmal  auf 


20    1  Wilhelm    von  Humboldt    lebte    von  Anfang  November  1796 

bis  Ende  April  1797  in  Jena.  —  Zwei  Tage  darauf,  am  20. 

Februar,  traf  Goethe  in  Jena  ein. 

-  An  diesem  Tage  schrieb  Schüler  über  das  104,  15  f.  genannte 

^[anuscript.    das    inzwischen    in    Goethes  Hände    zurückge- 

25      langt  oder  noch  bei  Wilhelm  von  Humboldt  war,  an  Körner: 
„Vielleicht    kann   ich  die  drei  ersten  Gesänge  seines  epi- 
schen Gedichts  noch  zeitig  genug  bekommen,  um  sie  beizu- 
legen;   denn    er  hat  sich  entschlossen,    sie  Dir  mitzutheilen. 
Kommen  sie  heute  nicht  mit,    so  erhältst  Du    sie    mit    der 

30      nächsten  Post"  (Schillers  Br.  5,  164);    die  Handschrift  ging 

schon  jetzt  mit  ab. 

"  Goethe  war  von  einer  starken  Erkältung  befallen  worden, 

vgl.  106,  2  f.  —  Schiller  antwortete  am  gleichen  Tage:  „Wir 

beklagen    Sie    hei-zlich,    dass    Sie   etwas   so   ganz   Anderes 

35  hier  gefunden  haben  als  Sie  suchten.  In  solchen  Umständen 
wünschte  ich  Ihnen  meine  Fertigkeit  im  Uebelbefindeo. 
so  würde  Ihnen  dieser  Zustand  weniger  unerträglich  sein" 
(Schillers  Br.  5.  164). 


106  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1797 

][März  Anfang,  Jena.]  [225] 

eine  imfreundliclie  Weise,  durch  einen  sehr  heftigen 
Katarrh  angekündigt,  doch  sc-heinen  sie  den  astheju- 
sehen^  Zustand,  in  welchen  ich  durch  dieses  Uebel  ver- 
setzt bin,  nicht  zu  verschmähen,  vielmehr  sich  nur  desto  5 
freundlicher  zu  betragen.  Wenn  der  Faden  nicht  ab- 
reisst,  hoffe  ich  mit  meiner  Arbeit  bald  fertig  zu  sein, 
zu  der  ich  besondere  Lust  habe,  weil  sie  ^nrklich  als 
etwas  Ganzes  erscheinen  kann'. 

Au  den  Herzog  Karl  August.  —  Br.   12,  -53,  14 — 23.  lo 

März  1.  .Jena.  226 

Xachdem    die    Insecten    mich    an    den    vergangenen 

Tagen  beschäftigt,    so  habe  ich  heute  Muth  gefasst  den 

vierten  Gesang    [5.  6]    völlig    in  Ordnung  zu  bringen, 

und  es  ist  mir  gelungen,  ich  schöpfe  daraus  einige  Hoff-  i» 

nung  für  die  Folge^. 

An  Schiller.  —  Br  12,  55,  4—8. 

März  1.   [.Jena].  '  227 

^lein  Katarrh  ist   zwar  merklich  besser,   doch  fange 

ich  an  die  Stube  lieb  zu  gewinnen,  und  da  es  ohnedem  20 

scheint,  dass  die  Musen  mir  günstig  werden  wollen,  so 

könnte   ich   wohl    selbst  meinen  Hausarrest   auf  einige 


^  Asthenisch  (gv.  astheues  =  kraftlos,  schwach,  nnvermögenflt 
ist  hier  humoristisch  gebraucht,  mit  Bezug  atif  die  geistige 
Zeugungskraft.  25 

-  Der  Herzog  antwortete  am  4.  März:  ..Wenn  der  Schnupfen 
der  Geburt  nicht  hinderlich  ist,  so  ist  es  doppelt  gut,  dass 
sich  die  Natur  reiniget,  während  dass  sie  etwas  Schönes  auf 
die  Welt  bringt;  aller  berühmten  T.,eute  Mütter  waren  in 
eben  diesem  Falle"  (G.-Karl  August  1.  20G».  ^^ 

^  Goethes  Brief,  dem  obige  Stelle  entnommen  ist.  schliesst: 
„  .  .  sagen  Sie  der  lieben  Frau:  dass  ich  für  meine  Thee- 
scheue  durch  den  abscheulichsten  Kräuterthee  bestraft 
werde"  (Br.  12,  55,  9—11).  Hieran  anknüpfend  erwidert 
Schiller  am  selben  Tage:  ..Es  freut  micli  lun-zlith.  dass  35 
Loders  Ivräuterthee.  so  übel  er  auch  schmeckt,  einen  poe- 
tischen Humor  imd  Lust  zum  Heldengedicht  bei  Ihnon 
geweckt  hat"  (Schillers  Br.  5,  165). 


IT'JT  HERMANN   UND   DOROTHEA.  107 

[März  1,  [Jena].]  [227] 

Tage  verlängern,  denn  der  Ge^^'innst  wäre  zu  gross,  wenn 
man  so  unversehens  an's  Ziel  gelangte. 
An  Schiller.  —  Br.  12,  55,  20—56,  3. 

:,   März  1.  .Jena.  :i28 

Früh   den  vierten  Gesang   in  Ordnung  gebracht   und 
zum  Abschreiben  gegeben. 
Tgb.  2,  58,  9"  f. 

März  2.  .Jena.  229 

10  .  .  seitdem^  habe  ich  mich  zu  meinen  poetischen  Ar- 

beiten, nach  gewohnter  Weise,  vorbereitet  und  bin  nun 
so  nach  und  nach  zur  Stimmung  gekommen,  in  der  ich, 
wenn  sie  mich  nicht  zu  früh  verläset,  mein  Gedicht  zii 
endigen  hoffe. 
15  ...  Ich  muss  mich  nun  die  erste  Zeit  recht  zusam- 

menhalten, bis  mein  letzter  Gesang  [6  =  8.  9]  auch  aus 
seiner  Puppe  ausgekrochen  ist   und  ihm  die  Flügel  ge- 
wachsen sind-,  dann  hoffe  ich  ^^'ieder  eine  Zeit  lang  will's 
Gott  als  ein  freier  Mensch  zu  leben^. 
20  Au  Knebel.  —  Br.  12.  56,  12—16.  öS.  10—14. 

März  2.  .Jena.  230 

Aus  der  Glitte  des  sechsten  [8.  9.]  Gesangs.    An  den 
vorhergehenden  corrigirt. 
Tgb.  2.  58,  15  f. 

25    März  3.  .Jena.  231 

Ich  kann  glücklicherweise  vermelden,  dass  das  Gedicht 

im  Gange  ist  und,  A\enn  der  Faden  nicht  abreisst,  wahr- 

'  Das    heisst:      seit    Empfang     eines     (noch     ungedruckten) 

Briefes  von  Knebel  vom  21.  Februar  1797  (vgl.  v.  d.  Hellen 

30      in  Br.  12,  105  zu  S.  56,  11). 

^  Das  Bild  lag  besonders  nahe,  da  Goethe  sich  gerade  in 
diesen  Tagen  viel  mit  Schmetterlings-  und  Insectenkunde 
beschäftigt  hatte. 
'  Knebel  antwortete  am  4.  März:  ..Ich  freue  mich  recht  sehr 
etwas  von  Dir  zu  hören,  und  insonderheit  auch,  dass  Du  in 
guter  Stimmung  bist  und  Dein  Gedicht  heranwiichst.  Mögen 
Dich  die  Götter  des  Himmels,  die  sich  zwar  jetzt  heiter 
aber  kalt  zeigen,  immer  dabei  erhalten"  (G.-Knebel  1,  144). 


35 


108  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1797 

[März  3,  Jena.]  [231] 

sclieinlicli  glücklich  vollbracht  Averden    -wird.     So    ver- 
schmähen    also    die  Musen    den  asthenischen  Zustand 
nicht,  in   welchen  ich  mich  durch  das  Uebel  versetzt 
fühle,  vielleicht  ist  er  gar  ihren  Einflüssen  günstig,  wir    5 
wollen  nun  einige  Tage  so  abwarten. 
An  Schiller.  —  Br.  12,  59,5—11. 

jNIii.rz  3,  Jena.  232 

Xun  kann  ich  Dir  die  gute  Xachricht  sagen:  dass  das 
Gedieht  wieder  im  Werk  ist  und  dass  es  wahrscheinlich  lo 
in  kurzem  fertig  sein  -uird.  Ein  leidiger  Katarrh,  den  ich 
mir  wahrscheinlich  durch  einen  Spaziergang  zuzog,  hat 
mich  diese  Tage  her  geplagt,  jedoch,  weil  ich  zu  Hause 
bleiben  musste,  meine  Arbeit  mehr  gefördert  als  gehin- 
dert. Man  kann  schon  zufrieden  sein,  wenn  das  Uebel  i5 
nur  zu  etwas  gut  ist. 

Ich  sehe  indessen  auch  die  ersten  Gesänge  durch  und 
so  wird  eins  mit  dem  andern  fertig  werden.  Bis  heut 
über  acht  Tage  wird  alles  entschieden  sein. 

Au  Christiaue.  —  Br.   12,  60,  1—11.  20 

März  .3,  Jeua.  233 

Der  Anfang  des  sechsten  Gesangs  [8];  .  . 
Tgb.  2,  58,  18. 

JVIärz  4,  Jeua.  234 

Die  Arbeit  rückt  zu  imd  fängt  schon  an  Masse  zu  25 
machen,  worüber  ich  denn  sehr  erfreut  bin  und  Ihnen 
als  einem  treuen  Freunde  und  Xachbar  die  Freude  so- 
gleich mittheile.  Es  kommt  nur  noch  auf  zwei  Tage  an, 
so  ist  der  Schatz  gehoben,  und  ist  er  nur  erst  einmal 
über  der  Erde,  so  findet  sich  alsdami  das  Poliren  von  30 
selbst.  Merkwürdig  ist^s,  wie  das  Gedicht  gegen  sein 
Ende  sich  ganz  zu  seinem  idyllischen  ürspnmg  hin- 
neigte 

Au  Schiller.  —  Br.  12,  60.  16—61,  2. 


*  Am    Abend    dieses    Tages    erwiderte    Schiller:     ..Es  konnte  35 
gar  nicht  fehlen,  dass  Ihr  Gedicht  idyllisch  endigte,  sobald 


1797  HERMANN   UND   DOROTHEA.  109 


März  4,  Jena.  235 

Früh  am  sechsten  [8.  9.]  Gesang. 
Tgb.  2,  58,21. 

März  5,  Jena.  2.36 

5  Mit  dem  Gedichte  geht  es  gut,  .  . 

An  Christiane.  —  Br.   12.  62, 1. 

März  5,  Jena.  237 

Früh  am  sechsten  [8.  9.]  Gesang,  .  . 
Tgb.   2.   58,  26. 

10  März  6,  Jena.  238 

Früh  Bergrath  von  Humboldt  .  .  .  vorher  sein  Bruder, 
Bemerkungen  zu  den  zwei  ersten  Gesängen  durchge- 
gangen, .  . 

Tgb.  2.  59,3—5. 

lö  März  7,  Jena.  239 

Mit  dem  Gedichte  geht  es  ganz  gut  und  ich  bin  nahe 

am  Ende,  doch  weil  ich  die  ersten  Gesänge  wieder  Tor- 

nehmen  muss,  so  gibt  es  noch  manches  zu  thim  und  ich 

will  daran  arbeiten,  so  lange  ich  Lust  behalte,  damit  ich 

20  mich  so  \ie\  als  möglich  frei  da^on  mache.  Ich  T\ill 
desswegen  lieber  etwas  länger  liier  bleiben  imd  mich  a1  ler 
der  Yortheile  bedienen,  die  ich  aus  der  hiesigen  Lage 
ziehen  kann,  wir  können  nachher  desto  ruhiger  eine  Zeit 

lang  zusammen  sein. 
25  An   Christiane.  —  Br.   12,  62,  12—21. 

März  9,  Jena.  -iO 

Früh  am  Gedichte  corrigirt^,  .  . 
Tgb.  2.  .59, 17. 


man  dieses  Wort  in  seinem  höchsten   Gehalte  nimmt.     Die 
30      ganze  Handlung  war  so  unmittelbar  an  die  einfache  länd- 
liche Natur  angebaut,   und  die  enge  Beschränkung  konnte, 
wie    ich    mir's    denke,   nur  durch   die  Idylle   ganz   poetisch 
werden.     Das   was   man   die   Peripetie  darin   nennen   miiss. 
w^rd  schon  von   weitem   so   vorbereitet,   dass   es   die   ruhige 
3.5     Einheit  des  Tons  am  Ende  durch  keine  starke  Passion  mehr 
stören  kann"  (Schillers  Br.  5,  166). 
'  An   diesem   Tage  schreibt   Schiller  an   Körner:    „Wenn   Du 
das  Goethesche  Gedicht    [s.   105,2.5-30]    noch  nicht  auf  die 


110  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1797 

März  10,  Jena.  241 

Durch  die  Anwesenheit  des  Herzogs  bin  ich  ein  wenig 
an  meinem  Gedicht  gestört  worden,  doch  ist  es  noch 
recht  gut  im  Gange  und  wird  gewiss  fertig,  wenn  ich 
mir  nur  die  gehörige  Zeit  lasse.  Ich  will  nicht  eher  von  5 
hier  weggehen,  bis  das  Ganze  beisammen  ist  und  bis  die 
ersten  drei  Gesänge  [1 — i]  abgeschrieben  und  fortge- 
schickt sind.  Dadurch  gewinne  ich  auch  ein  paar  Monate 
die  schönste  Euhe  und  Freiheit,  denn  ich  möchte  jetzt 
um  vieles  nicht  den  guten  Gang  unterbrechen,  in  welchen  lo 
ich  diese  Arbeit  eingeleitet  habe. 

Sobald  das  Gedicht  fertig  ist,  soll  die  Seife  ankommen 
und  noch  etwas  dazu,  damit  Du  Dich  auch  auf  Deine 
Art  mit  mir  freuen  könnest. 

An  Christiane.  —  Br.  12,  63,  18-64,  6.  i:, 

März  10,  Jena.  242 

Früh  am  Gedichte  corrigirt  und  abgeschrieben,  .  . 
Tgb.  2,  59,23. 

März  11,  .Jena.  243 

Den  ganzen  Tag  zu  Hause,  viel  am  Gedichte  arran-  20 
girt  und  corrigirt. 

Tgb.  2,  59,28—60,1. 

März  12,  Jena.  244 

Früh  zu  Hause,  am  Gedichte  corrigirt. 
Tgb.  2,  60,  6.  25 


Post  gegeben  haben  solltest,  so  sende  mir's  doch  ja  mit  erster 
Post.  Er  braucht  es  sehr  nöthig,  da  die  ersten  Gesäuge  )nit 
Anfang  Aprils  zum  Druck  abgehen  sollen"  (Schillers  Br. 
5,  165). 

Körner  berichtete,  noch  vor  Empfang  dieser  Aufforderung,  30 
am  10.  März  ausführlich  über  den  Eindruck  der  Leetüre  und 
schrieb:  ,,Goethen  kannst  Du  versichern,  dass  ich  die  Mit- 
theilung seines  Gedichts  zu  schätzen  weiss.  Schreib'  mir 
doch,  wann  ich  es  zurückschicken  muss.  Es  wird  mir 
schwer  mich  davon  zu  trennen.  Soi'ge  ja,  dass  ich  die  Fort-  35 
Setzung  bald  bekomme";  am  13.  März  schickte  Körner  die 
Handschrift  an  Goethe  zurück  (Schiller-Körner  2,  248  f.  251). 


1797  HERilANX   UND   DOROTHEA.  111 


März  13.  Jeua.  245 

Früh  am  Gedicht  dem  Ende  zugeruckt.  .  .  .  Abends 
zu  Schiller,  viel  über  epische  Gegenstände  und  Vorsätze. 
Tgb.  2.  60,  13.  15—17. 

5  März  14,  Jeua.  246 

.  .  jetzt  befinde    ich    mich  wieder    völlig  hergestellt 

und  habe  nichts  verloren,  da  mein  Gedicht  sich  zu  Ende 

neigt;  ich  ^yill  aber,  da  ich  einmal  so  weit  bin,  von  hier 

nicht  weggehen  bis  das  Ganze  fertig  ist  und  die  drei 

10       ersten  Gesänge  [1 — i]  nach  Berlin  abgeschickt  sind. 

An  Christiane.  —  Br.  12,  65, 1—6. 

März  15,  Jena.  247 

Früh  das  Gedicht  geendigt,  .  . 
Tgb.  2.  60,  23. 

15  Mäi-z  16.  Jeua.  248 

Früh  am  ersten  Gesang  corrigiii,  .  . 
Tgb.  2.  60.  27. 

März  17,  Jena.  249 

Abends  ...  Zu  Scliiller,  über  die  Eubriken  der  ein- 
20       zelnen  Gesänge. 

Tgb.  2,  61,  13  f. 

März  18,  Jena.  250 

Ich    habe  indessen  meine  Zeit    gut  angewendet,    das 

epische  Gedicht  wird  gegen  Ostern  fertig  und  kommt 

25       auch  in  Calenderform  bei  Yieweg  in  Berlin  heraus.   Aul 

diesem  Wege  wird  es  am  meisten  gelesen  und  am  besten 

bezahlt.  Was  kann  ein  Autor  mehr  verlangen  .... 

.  .  .  Mein  Gedicht    und  dessen    letzte  Ausarbeitung 
erfordert  viel  Aufmerksamkeit,  Anfangs  April  geht  die 

erste  Hälfte  ab. 

An  H.  Meyer.  —  Br.  12,  72.  1—6.  74,  8—10. 

März  18,  Jena.  251 

Früh  in  Schillers  neuem  Garten  .  .  vorher  den  ersten 
und  zweiten  Gesang  noch  einmal  durchgegangen. 
Tgb.  2,  61, 15-17. 


30 


112  HERMANN   UND   DOROTHEA,  1797 

März  19,  Jeua.  252 

Früh  am  Gedicht  corrigirt,  .  . 
Tgb.  2,  Ol,  22. 

März  20,  Jena.  253 

[Früh]  Am  Gedicht  corrigirt,  besonders  am  sechsten    5 
[8.  9.]   Gesänge.  Sodann  D.  Scherer.  .  .   [ISTach  dessen 
Weggang]  "Weiter  an  dem  Gedichte. 
Tgb.  2,  61,  27  f.  62,  2  f. 

März  21,  Jena.  254 

Ich  bin  nun  so  weit,  dass  die  letzte  Hälfte  des  Gedichts  lo 
nun  auch  rein  abgeschrieben  ist,  freilich  nicht  zum 
letztenmale;  indess  ist  schon  viel  gewonnen,  die  erste 
Hälfte  ist  beinah  ganz  im  Reinen,  doch  gibt's  immer 
dabei  noch  genug  zu  tliun;  es  wird  sich  nun  ausweisen, 
wann  ich  wieder  kommen  kann.  15 

.  .  .  Sonst  weiss  ich  weiter  nichts  zu  sagen,  denn,  ich 
habe   mich  diese  Zeit   fast  bloss   mit    dem  Gedicht  be- 
schäftigt, und  fast  weiter  nichts  gehört  noch  gesehn. 
An  Christiane.  —  Br.  12,  76,  1—6.  10—12. 

März  21,  Jena.  255  20 

Früh  den  Schluss  des  letzten  Gesangs^     x\nfang  zur 
Abschrift  der  drei  letzten  Gesänge  [4 — 6  =  5 — 9].  Diese 
^Nachmittags  bei  Schiller  vorgelesen^. 
Tgb.  2,  62,  5—7. 

März  22,  Jena.  256  25 

Früh  corrigirt.  [Vossens]  ,Luise^  durchgesehen. 
Tgb.  2,  62,  9. 


'  Dieser  „Schluss"  war  nur  ein  vorläufiger  Abschluss,  wie  128, 
23—25  beweist.  Der  endgültige  Schluss  fand  sich  erst  am 
7.  Juni  ein,  vgl.  129, 13  f. 

-  Kurz  vor  dieser  oder  der  am  30.  März  stattfindenden  Vorle- 
sung mag  ein  Briefchen  von  Schillers  Frau  geschrieben  sein, 
in  dem  es  heisst:  ,, Schiller  hat  Ihnen  unsre  Wünsche  vorge- 
tragen, Sie  machen  uns  unendlich  glücklich,  wenn  Sie  durch 
Ihre  Stimme  auch  diese  neue  zauberische  Welt  uns  beleben, 
liassen  Sie  es  bald  geschehen!"  (GJ.  4,  235,  hier  ist  als  Da- 
timi:  März  oder  April  1797  gesetzt). 


1707  HERMANN    UND   DOROTHEA.  113 

März  25.  Jeua.  2^1 

Zu  Hause  gegessen,    dann    bei  Humboldts    die  letzte 
Hälfte    des  Gedichts    [Gesang  4 — 6  =  5 — 9]    gelesen. 
Dann  zu  Schiller,  über  das  Gedicht. 
5  Tgb.  2,  62,  17—19. 

März  27,  Jeua.  2G8 

[Vormittags]   .  .  zu  ihm  [Schiller]   in's  Haus,  wo  er 
viel  über  das  Gedicht  sprach. 
Tgb.  2,  02.  2.5  f. 

10  März  28,  Jena.  259 

Indessen  suche  ich  meine  Zeit  so  gut  als  möglich  an- 
zuwenden und  habe  eben  ein  episches  Gedicht,  das  den 
Titel:  , Hermann  und  Dorothea'  führen  wird, 
zu  Ende  gebracht.  Es  ^\ärd  vielleicht  gegen  den  Herbst 
15  öffentlich  erscheinen  und  ich  ^^iinsche,  dass  Sie  meiner 
dabei  im  Guten  gedenken  mögen. 

Au  G.  W.  A.  V.  Pape.  —  Br.  12,  80,  17—22. 

März  28,  Jeua.  260 

Wenn  Du  mein  Gedicht  sehen  wirst,  das  beinahe  ganz 
20       geendigt  und  von  vorn  bis  hinten  nochmals   durchge- 
arbeitet ist,  so  wirst  Du  am  besten  beurtheilen  können, 
dass  ich  diese  vier  Wochen  nicht  müssig  war. 
Au  Kuebel.  —  Br.  12,  81,  10—14. 

März  30,  Jeua.  261 

2.5  Abends  bei  Schiller  gelesen^. 

Tgb.  2,  63,  15  f. 


"■  Es  ist  möglich,  ja  wahrscheiulich,  dass  diese  Notiz  sich  auf 

,Hermaun  und  Dorothea'  bezieht. 

Am  folgenden  Tage,  31.  März,  kehrte  Goethe  nach  Weimar 

30      zurück.     Schillers  erster  Brief  nach  diesem  Beisammeuseiu, 

am  4.  April  geschrieben,  schliesst    mit    den  Worten:     „Mich 

umgeben  noch  immer  die  schönen  Geister,  die  Sie  mir  hier 

gelassen    habeu.    und    ich    hoffe  immer  vertrauter  damit    zu 

werden";  und  am  7.  April  schreibt  Schiller  an  Körner:  „Das 

35      epische  Gedieht  von  Goethen.  das  ich  habe  entstehen  sehen, 

und  welches,  in  unseren  Gesprächen,  alle  Ideen  über  epische 

und  dramatische  Kunst  in  Bewegung  brachte,  hat.  verbunden 

Graf,  Goethe  über  s.  Dichtungen  T.  I.  8 


114  HERMANN    UND   DOROTHEA.  1797 

April  8,  TN'eimar.  262 

Wir^  haben  über  die  letzten  Gesäuge  ein  genaues  pro- 
sodisches  Gericht  gehalten  und  sie  so  viel  es  möglich 
war  gereinigt.  Die  ersten  sind  nun  bald  in's  Reine  ge- 
schrieben und  nehmen  sich,  mit  ihren  doppelten  In-  5 
Schriften-,  gar  artig  aus.  Ich  hoffe  sie  die  nächste  AVoche 
abzusenden. 

.  .  .  Diejenigen  Yortheüe,  deren  ich  mich  in  meinem 
letzten  Gedicht  bediente,  habe  ich  alle  von  der  bildenden 
Kunst  gelernt.  Denn  bei  einem  gleiclizeitigen,  sinnlich  lo 
vor  Augen  stehenden  Werke  ist  das  üeberflüssige  weit 
auffallender,  als  bei  einem,  das  in  der  Succession  vor 
den  Augen  des  Geistes  vorbeigeht.  ...  Es  kommt  im 
Ganzen  und  im  Einzelnen  alles  darauf  an:  dass  alles  von 
einander  abgesondert,  dass  kein  Moment  dem  andern  is 
gleich  sei;  so  vne  bei  den  Charakteren,  dass  sie  zwar  be- 
deutend von  einander  abstehen,  aber  doch  immer  unter 

Ein  Geschlecht  gehören. 

An  Schiller.  —  Br.  12,  84,  8—13.  85, 1—6.  14—19. 

April  8,  Weimar.  263  20 

Früh    am    Gedichte.  .  .  .  Knebel    blieb    lange    [am 

mit  der  Leetüre  des  Shakespeare  und  Sophokles,  die  mich  seit 
mehrern  Wochen  beschäftigt,  auch  für  meinen  ,Wallenstein' 
grosse  Folgen"  (Schillers  Br.  5,  169.  171). 

^  Goethe  und  Wilhelm  von  Humboldt;  dieser  war  vom  2.  bis  25 
9.  April  in  Weimar. 

*  Aus  der  Nennung  der  „doppelten  Inschriften"  geht  hervor, 
dass  jetzt,  statt  der  alten  Eintheilung  in  sechs  Gesänge,  die 
heutige  in  neun  beschlossen  war:  dergestalt,  dass  jeder  Ge- 
sang als  erste  „Inschrift"  den  Namen  einer  der  neun  Musen,  30 
als  zweite  ein  oder  zwei  auf  den  Inhalt  des  betreffenden  Ge- 
sanges bezügliche  Worte  trägt.  Vielleicht  war  diess  Ver- 
fahren schon,  im  Gespräch  mit  Schiller,  am  17.  März  (s.  Nr. 
249)  festgesetzt  worden;  doch  war  zunächst  jedenfalls  noch 
für  die  letzten  Gesänge  die  alte  Zählung:  5.  6  (=  7—9)  in  Ge-  35 
brauch  geblieben.  Am  15.  April  nennt  Goethe  neben  den  „vier 
ersten  Musen"  die  „fünf  letztern",  vgl.  Nr.  266  und  G.I.  10. 
204  f. 


1707  HERMANN   UND   DOROTHEA.  llü 

[April  8,  Weimar.]  [263] 

Xachniittag] .     Vorlesung  des  fimften  imd  sechsten  Ge- 
sanges^. 

Tgb.  2,  64,  8—11. 

5  April  11,  Weimar.  264 

Hier  kommen  endlich  die  vier  ersten  Musen,  haben 
Sie  die  Güte,  das  was  an  ihren  "Worten  und  Werken  zu 
erinnern  ist,  mit  Bleistift  zu  unterstreichen,  worüber 
wir  sodann  mündlich  conferiren.  Ich  wünsche  sodann 
10  auch  Ihnen  und  unserm  wackern  Schotten-  die  letzten 
Gesänge  [5 — 9]  vorzulesen. 

Au  Büttiger.  —  Br.  12,  85,   24—86,  4. 

April  13,  Weimar.  265 

[Vormittags]    Böttiger  wegen  des  Gedichts^. 
15  Tgb.  2,  64,  25  f. 

April  15,  Weimar.  266 

Montags  gehen  die  vier  ersten  Musen  ab*,  indess 
ich  mich  mit  den  fünf  letztern  fleissig  beschäftige,  und 
'  Nimmt  mau  an  (was  nach  114, 28  f.  erlaubt  ist),  dass  hiev 
unter  Gesang  5.  6  nicht  die  beiden  letzten  Gesäuge  zu  ver- 
stehen sind,  sondern  Gesang  4  der  alten  Zählung,  dann  fügt 
sich  folgendes  aus  dem  April,  doch  ohne  Tagesdatum,  über- 
lieferte   Billet   Knebels  sehr  wohl  hier  zwischen  den  8.  und 
15.   April  ein,   als  etwa   am   12.   oder  13.   April  geschrieben: 
..Wie  geht  es  Dir,  Lieber?  Ich  habe  Dir  seitdem  jeden  Tag 
wieder  danken  wollen  .  .  für   Deine   letzte  liebe   Vorlesung 
[am  8.].  Möchte  es  Dir  vielleicht  einmal  dünken,  um  den  Oit 
zu  verändern,    mir    das  Ende  davon    in  meinem  Garten  ge- 
messen zu  lassen?-'  (G.-Knebel  1,  146  f.). 
-  Unter  dem  ..Schotten"  ist  (hier  und  Nr.  267)  wahrscheinlich 
.Tames  Macdonald  zu  verstehen,  der  seit  Ende  1796  bei  Bötti- 
ger wohnte  (Br.  12,  410  zu  S.  86,  3;  vgl.  Düutzer:  Freundes - 
bilder  S.  527). 
=  Es  ist  anzunehmen,  dass  Böttiger  die  am  11.  April  empCan- 
geue  Handschrift  (s.  Nr.  264)  zurückgab,  und  die  Vorlesung 
der  fünf  letzten  Gesänge  auf  den  15.  April  festgesetzt  wurde. 
'  „Montags"    den  17.  April.    Am  22.  April  meldet  Vieweg  an 
Böttiger:    ,.Mein    sehnlichstes  Erwarten    ist    erfüllt.     Heute 
•empfing    ich    den  Anfang    des  Manuscripts,  .  ."  (Zeitschrift 
für  Bücherfreunde  1.  147  b.) 


20 


116  HERMANN   UND    DOROTHEA.  17'Jl 


[April  15,  Weimar.]  [266] 

nun  besonders  die  prosodischen  Bemerkungen  Freund 
Humboldts  benutzet 

An  Schiller.  —  Br.  12,  87,  14—17. 

April  15,  Weimar.  267     5 

Abends  Böttiger,  v.  Knebel  und  der  Schotte.  Vorle- 
sung der  fünf  letzten  Gesänge-. 
Tgb.  2,  65,  5  f.' 

April  19,  Weimar.  268 

Einen  Gedanken  über  das  episclie  Gedicht  will  ich  is- 
doch  gleich  mittheileu.  Da  es  in  der  grössten  Euhe 
und  Behaglichkeit  angehört  werden  soll,  so  macht  der 
Verstand  vielleicht  mehr  als  an  andere  Dichtarten 
seine  Forderungen,  und  mich  wunderte  diessmal  bei 
Durchlesung  der  Odyssee  gerade  diese  Verstandesfor-  20 
derungen  so  vollständig  befriedigt  zu  sehen.  Betrachtet 
man  nun  genau,  was  von  den  Bemühungen  der  alten 
Grammatiker  und  Kritiker,  so  wie  von  ihrem  Talent 
und  Charakter  erzählt  wird,  so  sieht  man  deutlich,  dass 
es  Verstandsmenschen  waren,  die  nicht  eher  ruhten,  2» 
bis  jene  grossen  Darstellungen  mit  ihrer  Vorstellungs- 
art überein  kamen.  Und  so  sind  wir,  wie  denn  auch 
Wolf  sich  zu  zeigen  bemüht,  unsem  gegenwärtigen 
Homer  den  Alexandrinern  schuldig,  das  dann 
freilich  diesen  Gedichten  ein  ganz  anderes  Ansehen  gibt.  30- 

Xoch    eine    specielle  Bemerkung.     Einige  Verse    im 
Homer,  die  für  völlig  falsch  und  ganz  neu  ausgegeben 


'  Schiller  erwiderte  am  18.  April:    „Zur  Absendung  der  vier 
ersten  Musen  wünsche  ich  Glück.    Es  ist    in  der  That  merk- 
würdig, wie  rasch  die  Natur  dieses  Werk  geboren,  und  wie  35 
sorgfältig    und  bedächtlich    die  Kunst    es  ausgebildet    hat" 
(Schillers  Br.  5,  179). 

-  In  Böttigers  Aufzeichnungen   heisst  es  entsprechend:   „Don 
15.  April  1797.  Ich  habe  diesen  Abend  die  letzten  fünf  Ge- 
siinse  A-on  .Hennann  und  Dorothea'  vom  Meistersäuger  selbst  io. 
vorlesen  höi-en"  (.Literarische  Zustände"  1,  77). 
Ueber  den   „Schotten"   vgl.    115,   30  f. 


1797  HERMANN    UND   DOROTHEA.  117 

[April  19,  Weimar.]  [268] 

werden,  sind  von  der  Art  wie  ich  einige  selbst  in  mein 
Gediclit,  nachdem  es  fertig  war,  eingeschoben  habe,  um 
das  Ganze  klarer  und  fasslieher  zu  machen  und  künftige 

5  Ereignisse  bei  Zeiten  vorzubereiten.  Ich  bin  sehr  neu- 
gierig, was  ich  an  meinem  Gedicht,  wenn  ich  mit  meinen 
jetzigen  Studien^  durch  bin,  zu  mehren  oder  zu  mindern 
werde  geneigt  sein,  indessen  mag  die  erste  Eecension  in 
die  Welt  gehen. 

10  Eine  Haupteigenschaft  des  epischen  Gedichts  ist,  dass 

es  immer  vor  und  zurück  geht,  daher  sind  alle  retar- 
direnden  Motive  episch.  Es  dürfen  aber  keine  eigent- 
lichen Hindernisse  sein,  welche  eigentlich  in's 
Drama  gehören. 

15  Sollte    dieses  Erforderniss    des  Eetardirens,  welches 

durch  die  beiden  Homerischen  Gedichte  überschwäng- 
lich  erfüllt  wird,  und  welches  auch  in  dem  Plan  des 
meinigen  lag,  Avirklich  wesentlich  und  nicht  zu  erlassen 
sein,    so    würden    alle  Plane,    die  gerade  hin  nach  dem 

20  Ende  zu  schreiten,  völlig  zu  verwerfen  oder  als  eine 
subordinirte  liistorische  Gattung  anzusehen  sein.  Per 
Plan  meines  zweiten  Gedichts  [,Die  Jagd'J  hat  diesen 
Fehler,  wenn  es  einer  ist,  und  ich  werde  mich  hüten,  bis 
wir  hierüber  ganz  im  Klaren  sind,  auch  nur  einen  Yers 

.25       davon  niederzuschreiben.     Mir  scheint  die  Idee  ausser- 
ordentlich fruchtbar.  Wenn  sie  richtig  ist,  muss  sie  uns 
-viel  weiter  bringen  und  ich  will  ihr  gern  alles  aufopfern-. 
An  Schiller.  —  Br.  12.  90,  10—  91.  25. 


^  Die  „Studien"  beziehen  sich  auf  Wolfs  ,Prolegomena'  (vgl. 
Nr.  2  f.),  auf  die  Homerischen  Gedichte  und  die  Poetik  des 
Aristoteles;  ihr  Zweck  ist  die  klare  Erkenntnis  der  Unter- 
schied   zwischen    epischer    und   dramatischer    Dichtung. 

-  Schiller  antwortet  am  21.  April:  ..Es  wird  mir  aus  allem,  was 
Sie  sagen,  immer  klarer,  dass  die  Selbstständigkeit  seiner 
Theile  einen  Hauptcharakter  des  epischen  Gedichtes  aus- 
macht.    Die  blosse,  aus  dem  Innersten  herausgeholte  Wahr- 


118  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1707 

April  22,  Weimar.  269 

Ich  danke  Ihnen  für  Ihre  fortgesetzten  Betrachtungen 
über  das  epische  Gedicht^;  ich  hoffe,  Sie  werden  bald 
nach  Ihrer  Art,  in  einer  schönen  Folge,  die  Natur  und 
Wesen  desselben  ent'wickeln,  hier  indessen  einige  meiner    5- 
Vermuthungen. 

Ich  suchte  das  Gesetz  der  Eetardation  unter  ein 
höheres  unterzuordnen,  und  da  scheint  es  unter  dem.  zu 
stehen,  welches  gebietet:  dass  man  von  einem  guten 
Gedieht  den  Ausgang  wissen  könne,  ja  wissen  müsse  und  lo 
dass  eigentlich  das  W  i  e  bloss  das  Interesse  machen 
dürfe.  Dadurch  erhält  die  Neugierde  gar  keinen  Antheil 
an  einem  solchen  Werke  und  sein  Zweck  kann,  me  Sie 
sagen,  in  jedem  Puncto  seiner  Bewegung  liegen. 

Die  Odyssee    ist    in    ihren    kleinsten  Theilen    beinah  15 
retardirend,  dafür  wird  aber  aucli  vielleicht  funfzigmal 
versichert    und  betheuert,  dass    die  Sache  einen  glück- 
lichen Ausgang  haben  werde.     So    viele    den  Ausgang 

heit  ist  der  Zweck  des  epischen  Dicliters:  er  schildert  ims 
bloss  das  ruhige  Dasein  und  Wirken  der  Dinge  nach  ihren  20 
Naturen;  sein  Zweck  liegt  schon  in  jedem  Punet  seiner  Be- 
wegung, darum  eilen  wir  nicht  ungeduldig  zu  einem  Ziele, 
sondern  verweilen  uns  mit  Liebe  bei  jedem  Sehritte.     Er  er- 
hält uns  die  höchste  Freiheit  des  Gemiitlis.  und  da  er  uns  in 
einen   so  grossen   Vortheil   setzt,    so  macht  er  dadurch   sich  25 
selbst  das  Geschäft  desto  schwerer,  denn  wir  machen  nun 
alle  Anforderungen  an  ihn,  die  in  der  Integrität  und  In  der 
allseitigen  vereinigten  Thätigkeit  imserer  Kräfte  gegründet 
sind.     Ganz    im  Gegentheil  raubt  uns  der  tragische  Dichter 
unsre  Gemüthsfreiheit.  und  indem  er  unsre  Thätigkeit  nach  30 
einer  einzigen  Seite  richtet  und  concentrirr.  so  vereinfacht  er 
sich  sein  Geschäft  um  vieles,  und  setzt  sich  in  Vortheil.  in- 
dem er  uns  in  Nachtlieil  setzt. 

Ihre  Idee  von  dem  i'etardireuden  Gange  des  epischen  Ge- 
dichts leuchtet  mir  ganz  ein.     Docli  begreife  ich  noch  nicht  3» 
ganz,  nach  dem  was  ich  von  Ihrer  neuen  Epopee  weiss,  dass 
jene  Eigenschaft  bei  dieser  fehlen  soll"  (Schillers  Br.  5,  180). 
>  s.    117.  33. 


1797  HERMANN   UND   DOROTHEA.  119 


[April  22,  Weimar.]  [269] 

anticipirende  Vorbedeutungen  und  Weissagungen 
stellen,  wie  mich  dünkt,  das  Gleichgewicht  gegen  die 
ewige  Ret^rdation  -«deder  her.  In  meinem  ,Hermann' 
bringt  die  Eigenschaft  des  Plans  den  besondern  Reiz 
hervor,  dass  alles  ausgemacht  und  fertig  scheint  und 
durch  die  retrograde  Bewegung  gleichsam  wieder  ein 
neues  Gedicht  angeht. 

So  hat  auch  das  epische  Gedicht  den  gTOssen  Vor- 
theil,  dass  seine  Exposition,  sie  mag  noch  so  lang  sein, 
den  Dichter  gar  nicht  genirt,  ja  dass  er  sie  in  die  Mitte 
des  Werks  bringen  kann,  wie  in  der  Odyssee  sehr 
künstlich  geschehen  ist.  Denn  auch  diese  retrograde 
Bewegung  ist  wohlthätig;  aber  eben  desshalb,  dünkt 
mich,  macht  die  Exposition  dem  Dramatiker  viel  zu 
schaffen,  weil  man  von  ihm  ein  ewiges  Fortschreiten 
fordert  und  ich  würde  das  den  besten  dramatisclien 
Stoff  nennen,  wo  die  Exposition  schon  ein  Theil  der 
Entwicklung  ist. 

Dass  ich  aber  nunmehr  dahin  zurückkehre,  avo  ich 
angefangen  habe,  so  wollte  ich  Ihnen  Folgendes  zur 
Prüfung  unterwerfen: 

Mein  neuer  Stoff  [,Die  Jagd']  hat  keinen  einzigen 
retardirenden  Moment,  es  schreitet  alles  von  Anfang 
bis  zu  Ende  in  einer  geraden  Reihe  fort,  allein  er  hat 
die  Eigenschaft,  dass  grosse  Anstalten  gemacht  werden, 
dass  man  viele  Kräfte  mit  Verstand  und  Klugheit  in 
Bewegung  setzt,  dass  aber  die  Entwicklung  auf  eine 
Weise  geschieht,  die  den  Anstalten  ganz  entgegen  ist 
und  auf  einem  ganz  unerwarteten,  jedoch  natürlichen 
Wege.  Xun  fragt  sich,  ob  sich  ein  solcher  Plan  auch 
für  einen  epischen  ausgeben  könne,  da  er  unter 
dem  allgemeinen  Gesetz  begriffen  ist:  dßss  das  eigent- 
liche Wie  und  nicht  das  Was  das  Interesse  macht, 
oder  ob  man  ein  solches  Gedicht  nicht  zu  einer  sub- 
ordinirten  Classe  historischer  Gedichte  rechnen    müsse. 


120  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1797 


[April  22,  Weimar.]  [269] 

Sehen  Sie  nun,  mein  Werther,  Avie  sich  etwa  diese  zer- 
streuten und  flüchtigen  Gedanken  besser  ausarbeiten 
und  verknüpfen.  Ich  habe  jetzt  keine  interessantere 
Betrachtung  als  über  die  Eigenschaften  der  Stoffe,  in  5 
wiefern  sie  diese  oder  jene  Behandlung  fordern.  Ich 
habe  mich  darinnen  so  oft  in  meinem  Leben  vergriffen, 
dass  ich  endlich  einmal  in's  Klare  kommen  möchte,  um 
wenigstens  künftig  von  diesem  Irrthum  nicht  mehr  zu 
leiden.  Zu  mehrerer  Deutlichkeit  schicke  ich  nächstens  lo 
meinen  neuen  Plan\ 

Au  Schiller.  —  Br.   12,  92,  1-94,  10. 

^  Schiller  antAvortet  am  25.  April:  ,,Dass  die  Forderimg  des 
Retnrdirens  aus  eiuem  höheru  epischeu  Gesetze  folgt,  dem 
auch  uoch  wohl  auf  eiuem  auderu  Wege  Geuüge  geschehen  15 
kauu,  scheiut  mir  ausser  Zweifel  zu  sein.  Auch  glaube  ich, 
es  gibt  zweierlei  Arteu  zu  retardireu,  die  eiue  liegt  iu  der 
Alt  des  Wegs,  die  audre  iu  der  Art  des  Geheus.  imd  diese, 
däucht  mir.  kauu  auch  bei  dem  geradesteu  Weg  uud  folglich 
auch  bei  eiuem  Plan,  wie  der  Ihrige  ist,  sehr  gut  statt  finden.  20 

Indessen  möchte  ich  jenes  höhere  epische  Gesetz  doch 
nicht  ganz  so  aussprechen,  wie  Sie  gethan  haben.  In  d  e  r 
Formel:  dass  eigentlich  nur  das  Wie  und  nicht  das  Was 
in  Betrachtung  komme  etc..  dünkt  es  mir  viel  zu  allgemein 
uud  auf  alle  pragmatischen  Dichtungsarten  ohue  Unterschied  25 
anwendbar  zu  sein.  Wenn  ich  meinen  Gedanken  darüber 
kurz  heraus  sagen  soll,  so  ist  er  dieser.  Beide,  der  Epiker 
uud  der  Dramatiker,  stellen  uns  eine  Handlung  dar,  nur  dass 
diese  bei  dem  letztern  der  Zweck,  bei  ersterem  blosses 
Mittel  zu  einem  absoluten  ästhetischen  Zwecke  ist.  Aus  30 
diesem  Grundsatz  kann  ich  mir  vollständig  erklären,  wa- 
rum der  tragische  Dicliter  rascher  und  directer  fort- 
schreiten muss,  warum  der  epische  bei  einem  zögernden 
Gange  seine  Rechnung  besser  findet.  Es  folgt  auch,  wie 
mir  däucht,  daraus,  dass  der  epische  sich  solcher  Stoffe  35 
wolü  thut  zu  enthalten,  die  den  Aftect,  sei  es  der  Neu- 
gierde oder  der  Theilnahme.  schon  für  sich  selbst  stark 
erregen,  wobei  also  die  Handlung  zu  sehr  als  Zweck  in- 
teressirt,  um  sich  in  den  Grenzen  eines  blossen  Mittels  zu 
halten.     Ich    gestehe,    dass    ich  dieses  Letztere    bei   Ihrem  40 


1797  HEKMAX.X    INI)    DOROTHEA.  121 

[April  22,  Weimar.]  [2G9] 

neuen  Gedit-bt  tnuigerinasseu  fürc-htt-.  obglcit-h  ich  Ilii'cr 
poetischen  Uebernnu-ht  über  den  Stoff  (bis  Möj^bclie  zu- 
trauen darf. 

5  Die  Art.    wie   Sie  Ihre   Handlung   entwickeln    wolK-n, 

scheint  mir  mehr  der  Komödie  als  dem  Epos  eigen  zu  sein. 
Wenigstens  werden  Sie  viel  zu  thuu  liaben.  ihr  das  Uel>er- 
raschende,  Verwunderung  Erregende  zu  neluuen.  weil  dieses 
nicht  so  recht  episch  ist. 

10  Ich  erwarte  Ihren  Plan  mit  grosser  Begierde.    Etwas  be- 

denklich kommt  es  mir  vor  ,dass  es  Humboldten  damit  auf 
dieselbe  Art  ergangen  ist  wie  mir,  ungeachtet  wir  vorlier 
nicht  darüber  communicirt  liaben.  Er  meint  uemlich,  dass 
es  dem  Plan  an  individueller  epischer  Handlung  felile.    Wie 

15  Sie  mir  ztierst  davon  sprachen,  so  wartete  aucli  ich  immer 
auf  die  eigentliche  Handlung;  alles  was  Sie  mir  erzählten, 
schien  mir  nur  der  Eingang  und  das  Feld  zu  einer  sob-hen 
Handlung  zwischen  einzelnen  Hauptfiguren  zu  sein,  und 
wie  ich  nun  glaubte,   dass   diese  Handlung   angelieu   sollte, 

20  waren  Sie  fertig.  Freilich  begreife  ich  wohl,  dass  die 
Gattung,  zu  welcher  der  Stoff  gehört,  das  Individuum  mehr 
verlässt  und  mehr  in  die  Masse  und  ein  Ganzes  zu  gehen 
zwingt,  da  doch  einmal  der  Verstand  der  Held  darin  ist.  der 
weit  mehr  unter  sich,  als  in  sich  fasst. 

25  Uebrigens  mag  es  mit  der  epischen  Qualität  Ihres  neuen 
Gedichts  bewandt  sein,  wie  es  will,  so  wird  es  gegen  Ihren 
, Hennann'  gehalten  immer  eine  andere  Gattung  sein,  und 
w'äre  also  der  .Hermann'  ein  reiner  Ausdruck  der  epischen 
Gattung   und   nicht   bloss   einer  epischen   S  p  e  c  i  e  s  .   so 

30      würde    daraus    folgen,    dass  das  neue  Gedicht   um    so   viel 
weniger  episch  wäre.  Aber  das  wollten  Sie  ja  eben  wissen, 
ob  der  , Hermann'  nur  eine  epische  Art  oder  die  ganze  Gat- 
tung darstelle,  und  wir  stehen  also  wieder  bei  der  Frage. 
Ich     würde     Hu-    neues     Gedicht    geradezu    ein    komisch- 

35  episches  nennen,  wenn  uemlich  von  dem  gemeinen  einge- 
schränkten und  empirischen  Begriff"  der  Komödie  und  des 
komischen  Heldengedichts  ganz  abstrahirt  wird.  Ihr  neues 
Gedicht,  kommt  mir  vor,  verhält  sich  ungefähr  ebenso  zu 
der  Komödie,  wie  der  .Hermann'  zu  dem  Trauerspiel:    mit 

40  dem  Unterschied  nemlich,  dass  die.ser  es  mehr  durch  seinen 
Stoff  thut,  jenes  mehr  durch  die  Behandlung. 

Aber  ich  Avill  erst  Ihren  Plan  erwarten,  um  mein-  darüber 
zu  sagen"  (Schillers  Br.  .5.  181—183). 


122  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1707 

April  28,  Weimar.  270 

Mein  Gedicht  ist  fertigt,  es  bestellt  aus  zweitausend 
Hexametern   und   ist  in  neun  Gesänge  getheilt,  und  ich 
sehe  darin  wenigstens  einen  Theil  meiner  Wünsche  er- 
füllt;   meine  hiesigen  und  benachbarten  Freunde  sind    5 
wohl    damit    zufrieden,    und    es    kommt  hauptsächlich 
noch   darauf   an:    ob  es  auch  vor  Ihnen  die  Probe  aus- 
hält?   denn    die   höchste  Instanz,    vor  der  es  gerichtet 
werden    kann,    ist  die,  vor  welche  der  Menschenmaler 
seine    Compositionen    bringt^,    und    es    wird  die  Frage  lo 
sein,    ob  Sie    unter  dem  modernen  Costüm  die  wahren 
echten    Menschenproportionen    und  Gliederformen  an- 
erkennen  werden?     Der  Gegenstand  selbst  ist  äusserst 
glücklich,  ein  Sujet,  wie  man  es  in  seinem  Leben  viel- 
leicht  nicht   zweimal   findet.     Wie  denn  überhaupt  die  i5 
Gegenstände  zu  wahren  Kunstwerken  seltner  gefunden 
werden    als   man  denkt,  desswegen  auch  die  x^lten  be- 
ständig sich  nur  in  einem  gewissen  Kreis  bewegen^. 
An  H.  Meyer.  —  Br.  12,  109,  16—110,  5. 

Mai  3,  Weimar.  271  20 

Ich  .  .  hoffe  Sie  bald  zu  sehen  und  Ihnen  die  letzten 
Gesänge  meines  Gedichts  vorzutragen. 
An  G.  Hufeland.  —  Br.  12,  114.  20—22. 

Mai  10,  Weimar.  272 

[Vormittags]      Bei     der     regierenden    Herzogin    das  25 
epische  Gedicht  gelesen. 
Tgb.  2,  07,  21  f. 


30 


^  Das  lieisst:  im  Allgemeinen  „fertig",  im  Besondern  l)lieb 
noch  manches,  znmal  am  eigentlichen  Sclilnsse,  zu  thnn. 

'  A'gl.  135.  3  f. 

*  Fast  wih-tlich  ist  diese  ganze  Stelle  aufgenommen  in  den 
ersten  Abschnitt  , Einleitendes"  des  von  Eckermann  bear- 
beiteten Werkes  ,Ans  einer  Reise  in  die  Schweiz  iil)er  Frank- 
furt, Heidelberg,  Stuttgart  und  Tübingen  im  .Tahre  1707'. 
WH.   2(5.   20.  35 


1707  HERMANN   UND   DOROTHEA.  123 


Mal  13,  Weiuiav.  273 

Von  Humboldt  habe  ich  einen  weitläufigen  nnd 
freundschaftlichen  Brief,  mit  einigen  guten  Anmer- 
kungen   über  die  ersten  [4]  Gesänge,    die  er  in  Berlin 

5  nochmals  gelesen  hat\  Auf  den  Montag  [15.  Mai] 
schicke  ich  abermals  viere  [5 — 8]  fort  und  komme 
nach  Jena,  um  den  letzten  zu  endigen-.  Auch  mir 
kommt  der  Friede  zu  Statten,  und  mein  Gedicht  ge- 
winnt dadurch  eine  reinere  Einlieit^. 

10  An  Schiller.  —  Br.   12,  120,  17—23. 

Mai   13.    Weimar.  :;74 

t'orrectur  am  Gedicht*. 
Tgb.    2,   67,27. 


'  Wilhelm  von  Humboldt  hatte  am  24.  April,  im  Begriff  Joua 

15  zu  verlassen,  Goethe  mitgetheilt:  ..Von  Berlin  aus  schreibe 
ich  Ihnen  gleidi.  Ich  sehne  mich  sehr,  Ihren  , Hermann' 
dort  wiederzusflien  [im  Driidimanuscript  und  in  Correctur- 
bogen],  er  wird  mich  so  lebendig  zu  Ihnen  zurückver- 
setzen" (G.-Humboldt  S.  28i.  Humboldts  ..weitläutiger"  Brief 

20      (vom  6.  Mai)    enthält  auf    den  letzten   Seiten   eine  grössere 

Zahl   von  Bemerkungen   über  das   Yersmass   xmd   die  Inter- 

punctiou  der  ersten  Gesänge  (s.  G.-Humboldt  S.  32—3-5). 

==  Am   10.   Mai   erwiderte   Schiller:   „Es   ist  reclit  schön,   dass 

Sie   Ihr  Gedicht,    das    hier    angefangen    wurde,    auch   hier 

25  vollenden.  Die  .Tudenstadt  darf  sich  was  darauf  einbilden. 
Ich  freue  mich  schon  im  voraus,  nicht  auf  das  Gedicht 
allein,  auch  auf  die  schöne  Stimmung,  in  welche  die  Dich- 
tung und  die  A'oUendung  Sie  versetzen  wird"  (Schillers  Br. 
.5,    194.     Ueber    den    nicht   genügend   erklärliaren   Ausdruck 

30  ...Tudenstadt"  vgl.  .lonas  in  der  Anmerkung  zu  diesem 
Briefe  5,  526). 

*  Die  Nachricht  vom  Frieden  zu  Leoben.  am  IS.  April 
zwischen  Oesterreich  und  Frankreich  geschlossen,  war  am 
24.  April  in  Weimar  eingetroffen  (vgl.  Br.  12,  100,  1-A   und 

35      die  Lesart  dazu  S.  412). 

*  Wahrscheinlich  an  Gesang  5—8.  die  (nach  Nr.  273)  am  15. 
Mai  abgeschickt  werden  sollten;  ebenso  wird  die  Be- 
sprechung mit  B.Utiger  am  14.  Mai  (s.  Nr.  276)  sich  zum  Theil 
auf  diese  vier  (»esänge  bezogen  haben. 


124  HERMANN    UND   DOROTHEA.  1797 

Mai   14  und  15,   Weimar.  275 

Wie  viel  Dank  bin  ich  Ihnen  schuklig,  werthester 
Fremid,  dass  Sie,  bei  so  vielen  eignen  Geschäften, 
meinem  Gedicht  noch  eine  solche  Aufmerksamkeit  wid- 
men wollen,  die  ich  selbst  darauf  zu  wenden  nicht  im  5 
Stande  wäre;  "wie  sehr  bin  ich  Ihnen  verpflichtet  für 
die  feinen  kritischen  Bemerkungen,  da  ich  an  meinen 
Sachen,  sobald  die  Stimmung,  die  sie  hervorbrachte, 
vorüber  ist,  so  wenig  zu  thun  im  Stande  bin. 

Auf  einem  beiliegenden  Blatte  finden  Sie  die  Verän-  lo 
derungen,  die  ich  versucht  liabe,  und  es  soll  ganz   von 
Ihnen  abhängen,    ob  Sie  solche  genehmigen,    das  Alte 
beibehalten,    oder  etwas  Eigenes,    Ihrer  Ueberzeugung 
Gemässes,  einschalten  wollen. 

Der  Druck^  ist  freilich  nicht  sehr  reizend,  allein  da  es  i5 
einmal    Calenderformat    sein    soll,     und    da    man    noch 


^  In  Humboldts  ausfühi'lichem  Briefe  vom  6.  Mai  lieisst  es: 
..Vieweg  liat  .  .  mir  das  bereits  Abgedruckte  vorgelegt,  und 
auch  Ihr  Manuscript  noch  einmal  zur  Diux-hsicht  der  et- 
waigen Schreibfehler  mitgetheilt.  20 

Den  I)i-uck  haben  Sie  jetzt  selbst  schon  gesehen.  Ich 
muss  offenherzig  gestehen,  dass  ich  ihn  nicht  billigen  kann. 
Die  Lettern  mcichten  noch  angehen,  allein  die  Kleinheit  des 
Formats,  die  Enge  der  Zellen  und  noch  ausserdem  der  ganz 
überflüssige  Strich  unter  der  Seitenzahl,  der  das  Ganze  noch  25 
mehr  drückt,  machen,  dünkt  mich,  keinen  recht  angenehmen 
Eindruck"  .  Vieweg.  der  übrigens  alles,  was  in  seinen 
Kräften  stehe,  zu  thun  bereit  sei,  wolle  indess  eine  „Neben- 
auflage" von  500  Exemplaren,  in  anderem  Format,  mit  an- 
deren Lettern  veranstalten.  ,.Er  hat  auf  meinen  Vorsehlag  30 
eine  Probe  davon  mit  deutscher  und  lateinischer  Schrift 
drucken  lassen,  die  er  mir  aufträgt.  Ihnen  anliegend  zu 
übermachen.  .  .  .  Ich  gestehe  zwar  offenherzig,  dass  es 
mir  nicht  lieb  ist,  dass  der  , Hermann',  für  den  ich  einen  so 
lebhaften  Enthusiasmus  fühle,  nicht  in  dem  allerschönsten  35 
Gewände  erscheint;  im  Ganzen  aber  ist  doch,  glaube  ich, 
für  das  Gedicht  gewonnen,  dass  es  in  einem  A  1  m  a  n  a  c  h  e 
gedruckt    wird.     Dadurch    und    selbst    durch    die  deutschen 


1797  HERMANN  UND   DOROTHEA.  125 


[Mai  14  und  15,  Weimar.J  [275] 

überdiess  wegen  schon  fertiger  Decke  genirt  ist,  so  mnss 
er  denn  wohl  hingehen,  übrigens  ist  er  denn  doch  deut- 
lich und  nicht  unangenehm  zu  lesen.     Da  es  bei  diesem 

5  Gedicht  auch  mit  um  die  augenblickliche  Ausbreitung 
zu  thun  ist,  so  war  diese  Calendergestalt,  nach  der  jetzi- 
gen Ijage  der  Dinge,  immer  das  bequemste  Veliikel. 

Zur     zweiten    Ausgabe     würde     ich    die    lateinische 
Schrift  wählen,     da    sie   heiterer  aussieht,  und  da  auch 

10  wir  nun  schon  einen  deutschen  Druck  haben;  ich  glaube 
denn  doch  zu  bemerken,  dass  der  gebildete  Theil  des 
Publicums  sich  durchaus  zu  lateinischen  Lettern  hin- 
neigt. 

Auf     den     Kupfern,     welche    die    Musen    vorstellen 

15  sollten,  bestehe  ich  nicht  weiter,  so  Avie  es  auch  scheint, 
dass  Yieweg  sich  wegen  der  Landschaften  beruhigt.  Es 
traf  sich  mit  diesen  Blättchen  gar  zu  sonderbar,  dass 
sie  gerade  Vorstellungen  enthalten,  die  mir  äusserst 
verhasst    sind,    und    die    ganz    antipodisch    zu    meiner 

20  Denk-  und  Dichtart  stehen.  Böttiger,  der  mir  manches 
von  Vieweg  gebracht  hat,  erwähnt  derselben  nicht 
weiter,  und  ich  wünsche,  dass  es  auch  dabei  verbleibe'. 


30 


Lettern  erhält  os  ein  ungleich  grösseres  Publicum,  nud 
(liess  ist  bei  einem  solchen  Producte,  das  eines  so  allgemeinen 
Eindrucks  fähig  ist,  in  der  That  nicht  gleichgültig"  (G.- 
Humboldt S.  29  f.). 
'  Statt  der  anfänglich  vorgeschlageneu  Illustrationen  zu  .Wil- 
helm Meister'  hatte  Goethe  Darstellungen  der  neun  Musen 
gewünscht,  entsprechend  den  Ueberschriften  der  neun  Ge- 
sänge, und  hatte  zur  Ausführung  Schadow  in  Berlin  empfoh- 
len. Dieser  Künstler  aber  konnte  aus  Mangel  au  Zeit  die 
Arbeit  nicht  übernehmen.  So  blieben  denn  schliesslich  nur 
jene  Goethen  „äusserst  verhassteu"  Gartenansichten  übrig 
(„von  Darnstedt  nach  Schubert"  gestochen,  wie  Vieweg  an 
Böttiger,  am  11.  März,  berichtet).  Ueber  diese  Kupfer  schrieb 
Humbdldt,  mit  Bezug  auf  Yieweg,  am  6.  Mai:  „Er  habe  nie 
dieAlisicht   gehabt,   sie  Ihrem  Gedichte  beizufügen.    Sie  hätten 


120  HERMANN    UND   DOROTHEA.  17U7 

[Mai  14  und  15,  Weimar.]  [275] 

Die  vier  nächsten  Musen  [5 — 8]  gehen  heute  über 
acht  Tage  ah.  Erlaubt  es  Ihnen  Ihre  Zeit,  so  gönnen 
Sie  auch  diesen  einen  aufmerksamen  Bhck.  Wie 
manches  wird  noch  darinnen  anzuzeichnen  sein!  ob  5 
ich  gleich  selbst  nicht  einmal  die  Schreibfehler  darin 
mehr  gewahr  werde,  besonders  da  ich  es  vor  einigen 
Tagen  wieder  vorgelesen  habe^  wodurch  mir  alles  In- 
teresse auf  eine  ganze  Zeit  wieder  erschöpft  ist. 

Heute    über    acht  Tage  denke  ich  denn  auch  wieder  lo 
nach  Jena  zu  gehen,  da  ich  denn  den  Schluss  des  neun- 
ten   Gesanges    bald    zu   finden   hoffe,    besonders  da  die 
Erfüllung    des  Friedens  auch  meine  Arbeit  begünstigt. 
....  haben  Sie  nochmals  meinen  besten  Dank. 

An  W.   V.   Humboldt.  —  Br.   12,   121,  5  —123,  1.  lö  f.  is 


bloss  in  der  Zeitrechnung  stehen  und  also  ebenso  abgeson- 
dert von  Ihrem  , Hermann'  sein  sollen,  als  das  von  Ihnen 
bereits  gebilligte  [Titel-]  Kupfer  der  königlichen  Familie.  So- 
viel ich  gesehen  habe,  läge  ihm  sehr  viel  daran,  dass  Sie  ihm 
die  Erlaubniss  ertheilten,  diesen  Plan  doch  noch  auszuführen.  20 
Er  versichert,  dass  ihm  eine  nicht  unbeträchtliche  Menge 
von  Käufern  sonst  entgehen  würde,  die  ohne  Rücksicht  auf 
weitern  Inhalt  nur  eiiieu  Caleuder.  aber  keinen  Calender 
ohne  Kupfer  kaufen  wollen,  und  die  ihm  doch  nicht  unbe- 
deutend sein  können.  Ich  habe  die  Landschaften  nicht  ein-  25 
mal  gesehen,  nnd  habe  also  gar  kein  eigenes  Urtheil  darüber. 
Ich  habe  Ihnen  nur  sein  Anliegen,  da  er  wirklich  ein  guter 
braver  Mann  ist  und  sich  mit  diesem  Unternehmen  sehr  viel 
Mühe  gibt,  vortragen  wollen"  (G.-Humboldt  S.  31). 

Am  20.  Juni  sandte  Vieweg  einen  Probedruck  des  Titel-  so 
Kupfers  für  Goethe  an  Böttiger  und  bat  diesen,  Goethes  Ein- 
willigung für  die  Benutzung  der  fraglichen  Landschaften  zu 
erwirken,  von  denen  er  gleichfalls  Probedrucke  mitschickte. 
..Eine  Ausgabe",  setzte  Vieweg  hinzu,  ,.ist,  wie  Sie  wissen, 
ganz  ohne  Kupfer",  und:  „Die  Vorstellungen  aus  Goethes  35 
.Meister'  werden  leider  nicht  fertig"  (Zeitschrift  für  Bücher- 
freunde 1,  148a).  Goethe  muss  seine  Einwilligung  gegeben 
haben,  denn  das  Taschenbuch  erschien  mit  den  Landschaften. 
'  Am  10.  Mai,  s.  Nr.  272. 


1797  HERMANN  UND   DOROTHEA.  127 


Mai  14,  Weimar.  27G 

Früh  Böttiger.  .  .  .  Geld  von  Yieweg\ 
Tgb.  2.  68. 1. 

Mai  17,  Weimar.  277 

5  Der  Beifall,  den  Du  meinem  Gediclite  geben  magst, 

ist  mir  imschätzbar,   icli  wünsche,  dass  Du  es  desselben 
bis  zu  Ende  und  auch  künftig  werth  finden  mögest-. 
An  Herder.  —  Br.  12,  124,  5—7. 

Mal  17,  Weimar.  278 

10  Ich  suche  so  viel  als  möglich  aufzuräumen,  um  mir 

ein  paar  ganz  freie  Wochen  zu  verdienen,  und  womög- 
lich die  Stimmung  vom  Schluss  meines  Gedichts  zu 
finden. 

Au  Scliiller.  —  Br.  12,  124,  IG— 19. 

15  Mai  26,  Jena.  279 

Es  ist  mir  sehr  angenehm  zu  hören,  dass  Sie  mit  der 

Interpunction    des  Gedichtes    zufrieden  sind,  und  wir 

haben  Ursache  dem  Freunde^  dankbar  zu  sein,    der  uus 

diesen  Dienst    leistet,    es    ist    eine  Kunst,  die  ich  nie 

20      habe  lernen  könneu. 

.  .  .  Meinem  ruhigen  Aufenthalte  hier  ist  die  Muse 
nicht  ganz  ungünstig,  doch  habe  ich  den  Schluss  des 
Gedichtes  noch  zu  erwarten. 

An  Böttiger.  —  Br.  12,  128,  1-5.  14—16. 

25  Mai  29,  Jena.  280 

Am  letzten  Gesänge.     "Ward  derselbe  abgeschrieben. 
Tgb.  2,  70,  22  f. 

Juni  3,  Jena.  ^81 

Den  letzten  Gesang  scliicke  ich  morgen  durch  einen 

30       Boten,    damit  Freund  Vieweg    nicht  abgehalten  werde; 


Vgl.  123,  37—39.    Vieweg  schickte  einen  Tlieil  des  Honorars 
für  .Hermann  und  Dorothea'. 

In  einem  uudatirten.  wahrscheinlich  am  8.  Mai  1797  geschrie- 
benen. Billet  Herders  heisst  es:     „Gestern  habe  ich  vier  Ge- 
sänge Deiner  Helden  Dorothea  und  braven  Hermann  gehört; 
mit  grosser  Freude"  (GJ.  8,  36). 
Wilhelm   von  Humboldt,   vgl.  123.  19—22. 


128  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1797 

[Juni  3,  Jena.]  [281] 

ich  wünsche  selbst,  dass  Herr  von  Humboldt  noch  einen 
Blick  darauf  werfen  möge.    Die  eingegangenen  100  l)n- 
caten  bitte  nebst  beiliegendem  Billete  in  mein  Haus  zu 
schicken    und  nur  gegen  einen  Empfangschein  abgeben    5 
zu  lassen. 

Grüssen  Sie  Herrn  Vieweg  schönstens  und  danken 
ihm  für  volhdchtige  Bezahlung;  ich  werde,  wenn  ich 
den  kleinen  Eest  des  Gedichts  schicke,  selbst  schreiben^. 

Was  noch  abgeht  ist  wenig  über  100  Hexameter,  also  lo 
etwa  noch  vier  Blätter. 

Zu  der  andern  Ausgabe-  bin  ich  ganz  wohl  mit  der 
hierbei    zurückkommenden    lateinischen  Schrift  zufi-?e- 
den,    nur    wünsche    ich  einen  breiten  Steg"  und  über- 
haupt viel  Rand,  als  die  wahre  Zierde  eines  Buches.       i5 
An  Böttiger.  —  Br.   12,  134,  20—135,   11. 

Juni  3,  Jena.  282 

[Brief  nach]  "Weimar  [an]  Oberconsistorialrath  Böt- 
tiger: Quittung  über  die  1000  rh.  Wegen  der  Ausgabe 
mit  lateinischen  Lettern*.  20 

Briefverzeicliniss  1797.  —  Br.  12,  462. 

Juni  3,  [Jena.]  283 

Hierbei  ,Urania''*.  Möchten  uns  doch  die  Xeune,  die 
uns  bisher  beigestanden  haben,  bald  noch  zum  epischen 
Schweife  verhelfen.  ...  25 

Ich  bitte  mir  den  Gesang,  sobald  Sie  ihn  gelesen 
haben,  wieder  zurückzuschicken,  indem  ich  ihn  gleich 
abzusenden  denke. 

An  Schiller.  —  Br.  12.  136,  Cy—S.  20—22. 


^  Das  geschah  am  8.  Juni,  s.  Nr.  288.  30 

^  Vgl.  124,  27—33. 

'  Unter  ,,Steg"  versteht  Goethe  hier  den  inneren  der  vier  zu 
einer  Seite  gehörigen  Stege,  den  sogenannten  „Bundsteg", 
das  heisst:  den  weissen  Raum  an  der  Innenseite  des  gefalzten 
Bogens.  35 

'  s.   Z.    12—1.5. 

°  Der  neunte  Gesang,  mit  Ausnahme  der  letzten  (nach  Z.  10 
etwa  100)  Hexameter. 


1797  HERMANN   UND   DOROTHEA.  12J) 

Juni  4,  Jena.  284 

[Xacli]    Weimar    [an]   Oberconsistorialratli  Böttiger: 
, Urania'  übersendet^. 

Briefverzeichuiss  1797.  —  Br.  12,  402. 

5  Juni  6,  Jena.  285 

Schreibe  mir  doch,  ob  Böttiger  Dir  die  100  Dueaten 

mit  einem  Briefe  Ton  mir  überschickt  hat?  ob  Du  den 

Schein  abgegeben  und  das  Geld  verwahrt  hast?- 

.  .  .  Der  Sehluss  des  Gedichtes  hat  sich  noch  nicht 

10       gezeigt,  .  . 

An  Christiane.  —  Br.  12,  144,  19—22.  14.'5,  lU  f. 

Juni  7,  Jena.  286 

Hnniboldtische  Erinnerung  zum  Gedicht^.  Sehluss  des 
epischen  Gedichtes.  Briefe  an  Humboldt  und  Vieweg*. 
15  Tgb.  2,  72,  20—22. 

Juni  8,  .Jena.  287 

Früh  Sendung  an  Yieweg  geschlossen^. 
Tgb.  2,  72.  24. 


•  p.  Nr.  283. 
20    '  Vgl.  128,  3—6. 

^  Am  30.Mai  tiatte  Wilhelm  von  Humboldt  geschrieben:  ..Ver- 
zeihen Sie.  theurer  Freund,  wenn  ich  heute  auf  Ihren  freund- 
schaftlichen Brief  vom  14.  dieses  (Nr.  275)  nichts,  als  einige 
Bemerkungen  über  Ihre  neuen,  vier  Musen  [Gesang  5—8]  er- 
25  widern  kann";  es  folgen  mehrere  Aenderungsvorschläge.  die 
sich  jedoch  nur  auf  Gesang  5.  6  beziehen,  dann  heisst  es 
weiter:  .,Ihre  vorigen  Aenderungen  [s.  124.  10—14]  habe  ich, 
so  viel  es  geschehen  konnte,  eingeschaltet.  Einige  nun  abgeän- 
derte Stellen  waren  aber  schon  abgedeckt.  Konnten  Sie  mir 
30  Ihre  Meinung  über  die  drei  mit  NB.  bezeichneten  Stellen  mit 
umgehender  Post  sagen,  so  wäre  es  mir  sehr  lieb.  Theils  geht 
der  Druck  schnell,  theils  reise  ich  bald  ab.  .  .  . 

Möchte  mir  Ihre  neunte  Muse  noch  hier  erscheinen!"  (GJ.  8. 
67-69). 
35    *  Die  Absendung  der  Briefe,  die  beide  nicht  erhalten  zu  sein 
scheinen,  erfolgte  erst  am  8.  Juni,  s.  Nr.  288. 
=  s.  Nr.  288. 

Graf,  Goethe  über  s.  Dichtungen  T.  I.  9 


130  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1797 


Juni  8.  Jena.  288 

[Xach]  Berlin  [an]  Friedrich  Vieweg:  Das  Ende  des 

epischen  Gedichts  geschickt.  Dank  für  gute  Bezahlung. 

[Xach]    Berlin    [an]   Legationsrath    von    Humboldt: 

Verbesserungen  einiger  Stellen\  5 

Briefverzeichniss  1797.  —  Br.  12.  462  f. 


^  Vgl.  129.  21—31.  In  Humboldts  Brief  vom  30.  Mai  hiess  es: 
„  .  .  haben  Sie  die  Güte  Ihren  Eutschluss.  wie  diese  oder 
die  übrigen  [von  Humboldt  angemerkten]  Stellen  bleiben 
sollen,  lieber  geradezu  an  Vieweg  zu  schicken,  und  ihm  auch  lo 
die  Antwort  auf  diesen  Brief  einzulegen.  Meine  Abreise  ist 
noch  ungewiss,  doch  sicherlich  bald"  (G.I.  8,  69). 

Goethes  Antwort  wurde,  da  Humboldt  inzwischen  nach 
Dresden  gereist  war,  diesem  dahin  nachgeschickt;  auf  sie 
nimmt  Humboldt  in  einem  undatirteu.  hier  einziiordnenden,  15 
Schreiben  an  Vieweg  Bezug:  ..Ich  sage  E.  W.  den  gehor- 
samsten Dank  für  die  mir  gütigst  mitgetheilten  zwei  Bogen 
des   Goetheischen   Gedichts.  .  .  . 

Von  den  überschickten  Aenderungen  sind  nicht  alle  mehr 
zu  benutzen  gewesen.  Goethe  äussert,  ob  Sie  nicht  die,  welche  20 
jetzt  nicht  aufgenommen  werden  konnten,  in  der  neuen  Aus- 
gabe mit  lateinischen  Lettern  brauchen  wollten,  und  ich 
hielte  diess  für  ganz  schicklich"  (Berichte  des  Freien  Deut- 
schen Hochstiftes  N.  F.  1889  5,  261). 

An  Goethe  schrieb  Humboldt,  in  Erwidemng  des  Briefes  25 
vom  8.  Juni,  am  28.  dieses  Monats:  ..Ihre  Aenderungen  der 
angezeigten  Stellen  hat  mir  Vieweg  nicht  mitgeschickt.  Er 
schreibt  mir  indess,  dass  er.  ZAvei  ausgenommen,  von  allen 
übrigen  hat  Gebrauch  machen  können.  Ich  bewundere,  wie 
unermüdlich  Sie  beschäftigt  sind,  diesem  schönen  Werke  30 
auch  die  letzte  Vollendung  zu  geben,  und  da  Sie  es  wünschen, 
so  sollen  meine  kleinlichen  Bemerkungen  auch  mit  dem 
Druck  selbst  noch  nicht  aufhören. 

Der  Schluss  des  Ganzen,  den  Sie  mir  zugleich  mittheilen, 
ist  Ihnen  vortrefflich  gelungen.  Er  hilft  das  grosse  Bild  voa  35 
der  Lage  der  Zeit  nach  der  neuen  L'mgestaltuug  der  Dinge, 
worauf  das  ganze  Gedicht  wie  auf  einer  Ungeheuern  Basis 
ruht,  trefflich  vollenden,  und  die  Gesinnungen  der  beiden 
Verlobten  Dorotheens  greifen  so  schön  ineinander  ein,  dass 
sie  nun  im  eigentlichsten  Verstände  alles  umschliessen.  was  -»o 
nur  über  diesen  Gegenstand  menschlich  gedacht  und  empfun- 
den Averdon  kann  .  .  .  ."  (G.-Humboldt  S.  38.) 


1797  HERMANN   UND   DOROTHEA.  131 


Juni  9,  Jena.  289 

Die  beste  Xacliricht.  die  ich   Dir  zu  geben  habe,  ist 
denn  doch  wohl,  dass  das  Gedicht  fertig  ist,  und  so  wäre 
es  recht  gut,  wenn  ich  nur  sonst  ruhen  könnte;  .  . 
5  An  Christiane.  —  Br.  12,  151,  15—17. 

Juni  9.  Jena.  290 

[Xach]  Weimar  [Brief  an]  Geheimen  Kath  Voigt: 
Schluss  des  Gedichts  angezeigte 

[Xach]  Weimar  [Brief  an]  Consistorialrath  Böttiger: 
10       Xachricht  des  geendigten  Gedichts  und  der  Absendung. 
[Xach]     Weimar     [Brief     an]     Demoiselle    Yulpius: 
Xachricht  vom  geendigten  Gedicht". 
Briefverzeicbuiss  1797.  —  Br.  12,  4G3. 

Juni  12,  Jena.  291 

15  Das  Gedicht,  dessen  Anfang  Ihnen  nicht  missfiel,  ist 

nun  geendigt  und  es  wird  nun  bald  in  die  deutsche  Welt 
ausgehen^. 

An  den  Herzog  Karl  August.  —  Br.  12.  153, 1—3. 

Juni  13,  Jena.  292 

20  Ew.    Wohlgeboren    gratuliren    mir    gewiss,    dass    das 

Ende  des  Gedichtes  endlich  erschienen  sei;  ich  wünsche 
nur    auch  Ihre  Gratulation    zu  vernehmen,    dass    eben 
dieses  Ende  gerathen  sei;  haben  Sie  die  Güte,  solches 
nunmehr  an  Herrn  Yieweg  zu  befördern. 
25  An  Böttiger.  —  Br.  12,  155,  10—14. 

][Juni  13,  Jena.]  293 

Sie  haben  an  dem  Gedichte  einen  so  gütigen  Antheii 
genommen,  dass  ich  wohl  wagen  darf  den  Schluss  zu 
überschicken  in  der  Hoffnung,  dass  Sie  ihn  dem  Uebri- 


30    '  Dieser  Brief  scheint  sich   nicht  erhalten  zu   haben,   ebenso 
wenig  der  folgende  an  Böttiger. 
-  s.  Nr.  289. 

'  Vgl.  Nr.  187.  Der  Herzog  erwiderte  am  17.  Juni:  „Sehr  freue 
ich  mich  .  .  zumal  auf  das  Gedicht  par  excellence"  (G.-Karl 
35      August   1,    218). 


332  HERMANN   UND    DOROTHEA.  1797 


][Juui  IJ,  Jena.]  [293] 

gen  nicht  ungleich  finden  werden.  Das  Ganze  schien  mir 
zu  fordern,  dass  die  zwei  Ges.innungen,  in  die  sich  jetzt 
beinahe  die  ganze  Welt  thedlt,  neben  einander  und  zwar 
auf  die  Weise,  wie  es  geschehen  ist,  dargestellt  würden,    s 
An  die  Herzogin  Luise.  —  Br.  12,  157,  18—158,  6. 

Juni  13,  Jena.  294 

[Xach]  Weimar    [an]  Oberconsistorialrath    Eöttiger: 
Ende  des  Gedichts. 

[Xach]  Weimar  [an  die]  Eegierende  Herzogin:     Das  lo 
Ende  des  Gedichts^,  .  . 

Briefverzeichuiss  1797.  —  Br.  12,  463. 

Juni  22,  Weimar.  295 

Die  vergangenen  vier  Wochen  habe  ich  in  Jena  zuge- 
bracht und  daselbst  mein  episches  Gedicht  geendigt,  .  .  i5 
von  jenem  habe  ich  zuletzt  keine  reine  Abschrift  in 
Händen  behalten^,  sonst  würde  ich  Ihnen  das  Ganze 
geschickt  und  es  nochmals^  zu  freundschaftlichem  An- 
theil  empfohlen  haben.  Nehmen  Sie  es  freundlich  auf, 
wenn  es  gedruckt  vor  Sie  kommt.  2a 

An  Körner.  —  Br.  12,  166,  1—3.  5—9. 


s.  Nr.  292.  293. 
'  Körner  hatte  am  29.  Mai  geschrieben:    ,,Uns  verlaugt  sehr 
nach  , Hermann  und  Dorothea'  und  bis  Michael  können  wir 
uns   unmöglicli   gedulden.      Eine  Abschrift   haben    Sie     doch  25 
wohl     bei     sich,    wenn  Sie     noch  diesen    Sommer    zu     uns 
kommen?"  (GJ.  8,  56.) 

Am  1.  Mai  hatte  Schiller  Körnern  mltgetheilt:     „Goethens 
, Hermann   und   Dorothea'   ersciieint  diese  Michaelismesse  in 
Calenderform  bei  Vieweg  in  Berlin.  Er  hat  diese  Form  vor-  30 
gezogen,  theils  weil  man  ihn  noch  einmal  so  gut  dafür  be- 
zahlen kann,  theils,  um  das  Gedicht  auf  diese  Weise  recht 
in  Umlauf  zu  bringen"  (Schillers  Br.  5,  185). 
Vgl.    105.   27—30.    110,   36  f.     Körner  antwortete   auf   obigen 
Brief  am  30.  Juni:  .,Auf  , Hermann  und  Dorothea'  warte  ich  3& 
wie  die  Kinder  auf  Weihnachten.  Humboldt  verspricht  mir 
die  Aiishängel)ogen  zu  schaffen"  (GJ.  8,  56  f.). 


1797  HERMANN   UND   DOROTHEA.  133 


Juli  1,  Weimar.  296 

Von  meinem  Gedichte  sind  sieben  Bogen  angekommen, 
welche  fünf  Gesänge  und   die  Hälfte    des  sechsten  ent- 
lialten. 
5  An  Schiller.  —  Br.   12.  179.   17  f. 

Juli  7.  Weimar.  297 

^Zum  AA'illkomm    auf    deutschem  Grund  und   Boden 
sende  ich  Ihnen  etwas  über  die  Hälfte  meines  neuen  Ge- 
dichtes. Möge  Ihnen  die  Aura,  die  Ihnen  daraus  ent- 
10       gegenwehet,  angenehm    und    erquicklich    sein.     Weiter 
sage  ich  nichts. 

An  H.  Meyer.  —  Br.  12,  186,  7—11. 

Juli  7,  Weimar.  298 

[Nach]     Stäfa     bei    Zürich    [an]     Professor    Meyer: 
15       Uebersendung  der  ersten  Aushängebogen-  des  ejjischen 
Gedichts. 

Brielverzeiclmiss  1797.  —  Br.  12,  4G4. 

Juli  14,  Weimar.  299 

Ich  hoffe,  Sie  haben  meinen  Brief  vom  7.  [Juli]  mit 
20       dem  Anfange  des  Gedichts  richtig  erhalten^,  .  . 
An  H.  Meyer.  —  Br.  12,  191, 11—13. 


'  Die  Stelle  ist,  Avie  Xr.  270,  wörtlich  in  den  ersten  Abschnitt 
der  , Reise  in  die  Schweiz  1797'  aufgenommen  worden 
(WH.  26.  25).  —  Meyer  kehrte  gerade  aus  Italien  zurück. 

25    '  Vgl.  Nr.  297. 

^  Als  Ersatz  für  die  vorerst  noch  ungedruckte  Antwort 
^leyers  (vgl.  aber  Xr.  302)  sei  hier  eine  Stelle  aus  Schillers 
Brief  an  Meyer  vom  21.  Juli  eingefügt:  ,,Auch  wir  waren  in- 
dess  [während  Meyers  Aufenthalt  in  Italien]  nicht  unthätig, 

30  wie  Sie  wissen,  und  am  wenigsten  unser  Freund,  der  sich  in 
diesen  letzten  Jahren  wirklich  selbst  übertrofCen  hat.  Sein 
episches  Gedicht  haben  Sie  gelesen;  Sie  werden  gestchen,  dass 
es  der  Gipfel  seiner  und  unsrer  ganzen  neueren  Kunst  ist.  Icii 
hab'  es  entstehen  sehen  und  mich  fast  eben  so  sehr  über  die 

35  Art  der  Entstehung  als  über  das  Werk  verwundert.  Während 
wir  andern  mühselig  sammeln  und  prüfen  müssen,  um  etwas 
Leidliches  laugsam  hervorzubringen,  darf  er  nur  leis  an 
dem  Baume  sclüittelu,   um   sich  die  schönsten  P'rüchte,  reif 


134  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1797 


Juli  20,  Weimar.  300 

.  .  lassen  (Sie)  sich  mein  idyllisch-episches  Gedicht 
gefallen.  Leider  ist  auch  dieses  wie  die  meisten  meiner 
Sachen  beinah  nur  aus  dem  Stegreife;  meine  Tage 
rollen  sich  gar  zu  geschwinde  auf,  und  ich  möchte  mir  5 
die  Ehre  anthun,  mich  mit  der  Leier  des  Orpheus  zu  ver- 
gleichen, die  nur  noch  zufällige  Töne  von  sich  gibt,  in- 
dem sie  von  den  Wellen  eilig  dem  grossen  Meere  zuge- 
schaukelt wird. 

An  Körner.  —  Br.  12,  198,  21—  199,  7.  lo 

Juli  26,  Weimar.  301 
Vom  Viewegischen  Almanach  wünschte  ich  folgende 
Exemplare  abgegeben. 

An    die    drei    Fürstlichen    Per^onen^;    jeder  ein 

Exemplar 3  i5 

Herder 1 

"Wieland 1 

Schiller 2 

Voigt           1 

In  mein  Haus 2  20 

Nach  Frankfurt  an  meine  Mutter 2 

Ex!      12 
Die  allenfalls  übrigen  bitte  mir  aufzuheben-. 
An  Böttiger.  —  Br.  12,  200,  12—22. 

und  scliwer,  zufallen  zu  lassen.  Es  ist  unglaublich,  mit  25 
welcher  Leichtigkeit  er  jetzt  die  Früchte  eines  wohlange- 
wandten Lebens  und  einer  anhaltenden  Bildung  an  sich 
selber  einerntet,  wie  bedeutend  und  siclier  jetzt  alle  seine 
Schritte  sind,  wie  ihn  die  Klarheit  über  sicli  selbst  und  über 
die  Gegenstände  vor  jedem  eiteln  Streben  und  Herumtappen  30 
bewahrt"  (Schillers  Br.  5,  226). 

^  Herzog  Karl  August,  Herzogin  Luise,  Herzogin-Mutter  Anna 
Amalia. 

*  Goethe  traf  diese  Anordnung,    da    er    bei    der  Ankunft  der 
Exemplare  voraussichtlich  nicht  in  Weimar  war.   Seine  Ab-  35 
reise  erfolgte  am  30.  Juli,  die  Ankunft  in  Frankfurt  am  Main 
am  3.  August. 


1797  HERMANN    UND    DOliOTHEA.  13:> 

August  5,  Frankfurt.  302 

Der  Beifall,  den  Sie  meinem  Gedichte  geben,  ist  mir 
unendlich  schätzbar,  denn  der  Menschenmalcr  ist  eigent- 
lich der  competenteste  Richter  der  epischen  Arbeit\  L'ie 
::5  nachfolgenden  Bogen  sollen,  hoff'  ich,  noch  vor  mir  bei 
Ihnen  eintreffen.  Ich  habe  diese  Arbeit  mit  vieler  Sorg- 
falt und  völligem  Be^nlsstsein,  obgleich  in  kurzer  Zeit, 
fertig  gebracht. 

An  H.  Meyer.  —  Br.  12,  211. 12—18. 

10  August  [12],  Frankfurt.  303 

Hier  möchte  ich  nun  mich  an  ein  grosses  Stadtleben 

wieder  gewöhnen,  mich  gewöhnen  nicht  nur  zu  reisen, 

sondern  auch  auf  der  Eeise  zu  leben;  wenn  mir  nur  dieses 

vom  Scliicksal  nicht    ganz  versagt    ist,  denn    ich  fühle 

15  recht  gut,  dass  meine  Xatur  nur  nach  Sammlung  und 
Stimmung  strebt,  und  an  allem  keinen  Genuss  hat,  was 
diese  liindert.  Hätte  ich  nicht  an  meinem  ,Hermann 
und  Dorothea'  ein  Beispiel,  dass  die  modernen  Gegen- 
stände,   in  einem  gewissen  Sinne  genommen,    sich  zum 

20       Epischen  bequemten,    so  möchte    ich    von    aller  dieser 
empirischen  Breite  nichts  mehr  wissen. 
An  Schiller.  —  Br.  12.  228, 17—  229,  5. 

]  [August  10.  Frankfurt.]  304 

Die    letzten  Bogen    des    epischen  Gedichtes  bitte    ich 
25       baldmöglichst    immittelbar    an  Herrn  Professor  Meyer 
[nach  Stäfa]  zu  schicken. 

An  Böttiger.  —  Br.  12,  241,  3-5. 

September  5,  Stuttgart.  30.5 

Abends  bei  Rapp.     Vorlesung  des  .Hermann'-. 
30  Tgb.  2.  124.  28. 


»  Vgl.  122.  8—10. 

^  Diese  Notiz  üuclet  sich  gleichlautend  in  der  .Reise  in  die 
Schweiz  1797'.  nur  ist  hier  der  Titel  der  Dichtung  vervoll- 
ständigt in  .Ht^rniann  und  Dorothea'  (WH.  26,  81). 


13G  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1797 

]  [September  12.  Tübingen.]  306 

Als    ich  [in  Stuttgart]  bemerken  konnte,    dass  mein 
Verhältniss    zu  Rapp  und  Dannecker  im  'W'aclisen  war 
und  beide  manchen  Grundsatz,  an  dem  mir  theoretisch 
so  viel  gelegen  ist,  aufzufassen  nicht  abgeneigt  waren,    5 
auch  von  ihrer  Seite  sie  mir  manches  Angenehme,  CJute 
und    Brauchbare    mittheilten,    so    entschloss  ich  mich, 
ihnen  den  ,Hermann''  vorzulesen,  das  ich  denn  auch  in 
einem  Abend  vollbrachte.     Ich  hatte  alle  Ursache  mich 
des  Effects  zu  erfreuen,    den  er  hervorbrachte,  und   es  lo 
sind  uns  allen  diese  Stunden  fruchtbar  geworden^ 
An  Schiller.  —  Br.  12,  3U0,  12—22. 

September  12,  Tübingen.  307 

[Brief  nach]  Jena  [an]  Hofrath  Schiller:  Letzte  Tage 
des   Stuttgarter  Aufenthalts.   Rapp.   Dannecker.   Yorie-  i5 
sung  des  , Hermann'-  [s.  Nr.  306]. 

Bnefverzeiehniss  17'J7.  —  Br.  12.  409. 


^  Fast  wörtlich  übereinstimmend  in  der  , Reise  in  die  Schweiz 
1797',  hier  ist  der  Brief  vom  14.  September  datirt  (WH.  26, 
97).  —  Die  Vorlesung  hatte  am  5.  September  bei  Rapp  statt-  20 
gefunden  (vgl.  Nr.  305).  Dannecker  erzählt  von  ihr  in  einem 
Briefe  an  Wilhelm  von  Wolzogen,  am  20.  October  1797: 
..Meinem  Schwager  [Rapp]  und  seiner  Frau,  meinem  lieben 
Weibchen  und  mir  las  er  eines  Abends  seine  Elegie  [vielmehr 
das  Epos]  vor.  Ach  Gott  wie  schön,  wie  gross,  wie  voll  Ge-  25 
fühl  ist  dieses  Werk!  Das  heiss'  ich  zeichnen,  malen,  bilden, 
kurz  ich  war  entzückt;  es  fatiguirte  mich  auch  so,  dass  ich 
den  andern  Tag  zu  nichts  taugte"  (Caroline  von  AVolzogen: 
Literarischer  Nachlass  1,  463). 

^  Zwei  Tage  nach  der  Vorlesung,  am  7.  September,  war  Goetlie  so 
von  Stuttgart  abgereist.  Schiller  erwiderte  am  22.  September: 
,.Ich  wäre  sehr  begierig  gewesen,  den  Eindruck,  den  Ihr 
, Hermann'  auf  meine  Stuttgarter  Freunde  gemacht,  zu  be- 
obachten. An  einer  gewissen  Innigkeit  des  Empfaugens  hat 
es  sicher  nicht  gefehlt,  aber  so  wenige  Menschen  können  das  35 
Nackende  der  menschlichen  Natur  ohne  Störung  geniessen. 
Indessen  zweifle  ich  gar  nicht,  dass  Ihr  .Hermann'  schlechter- 
dings über  alle  diese  Subjectivitäten  triumphiren  wird,  und 
dieses  durch  die  schönste  Eigenschaft  bei  einem  poetischen 


1797  HERMANN   UND   DOROTHEA. 


Septeiiiber  27,  Stäfa.  308 

.  .  senden  (Sie)  mir  sowohl  Ihren^    als    den  Viewegi- 
schen  Almanach,  wenn  er  zu  gedachter  Zeit  in  Zürich 
eintreffen  kann,  unter  oben  bemerkter  Adresse. 
5  An  Cotta.  —  Br.  12,  321,  22—25. 

]l September  27,  Stäfa.]  309 

Me3^ern  habe  ich  gefunden  wie  einen  Steuermann,  der 
aus  Ophir  zurückkehrt-;  es  ist  eine  herrliche  Empfin- 
dung,   mit    einer    so  bedeutenden  Xatur    nach  einerlei 

10       Schätzen  zu  streben  und  sie  nach  einerlei  Sinn  zu  be- 
wahren und  zu  verarbeiten.  Hätte  ich  doch  auch,  meine 
Liebe,  die  Ueberzeugung  mitnehmen  können,  das»  \nr 
Werk,  nemlich  clureli    sein  Ganzes,  durch    die  reine  Klarheit 
seiner  Form  und  durch  den  völlig  erschöpften  Kreis  mensch- 

15  lieber  Gefühle";  am  2.  Oetober  sodann  meldet  Schiller: 
,,  .Hermann  und  Dorothea'  rumoriren  schon  im  Stillen;  auch 
Körner  schreibt  mir,  dass  er  das  Ganze  gelesen,  und  findet, 
dass  es  in  P^ine  Klasse  mit  dem  Besten  gehöre,  was  Sie  ge- 
schrieben.    Dank's  ihm  der  T  — !"  (Schillers  Br.  5,  263.  212}. 

20  Die  Stelle  in  Körners  Brief  an  Schiller  vom  27.  September 
1797  lautet:  „, Hermann  und  Dorothea'  habe  ich  nun  ganz 
gelesen,  aber  noch  nicht  studirt.  Der  Ton  ist  durchaus 
glücklich  gehalten  inid  der  höhere  Schwung  vor  dem  Schlüsse 
thut  treffliche  Wirkung.  Das  ganze  Product  gehört  unstreitig 

25  unter  Goethes  Werke  vom  ersten  Range.  Aber  fast  ist  es  von 
zu  hohem  ästhetisciien  Werthe,  um  nach  Verdienst  aufge- 
nommon  zu  werden. 

Der  grösste  Theil    des  Piiblicums  klebt  immer    am  Stoffe. 
und  hier  sind  die  herrschenden  politischen  Parteien  eiuiger- 

30      massen  interessirt;    daher  erwarte    ich    die  seltsamsten  Ur- 
theile  im  Lob  und  Tadel"  (Schiller-Körner  2,  270  f.). 
'  Das    heisst:    den    bei   Cotta    von   Schiller  herausgegebenen 
,Mnsen-Almanach  für  das  .lahr  1798'.  der  zahlreiche  Beiträge 
Goethes  enthielt. 

35  =  Ein  Vergleich,  den  Goethe  mit  Vorliebe  braucht,  dem  Alten 
Testament  entnominen,  wo  es  unter  Anderm  im  ersten  Buche 
.Von  den  Königen'  Capitel  9.  Vers  27  f.  heisst:  ..Und  Hiram 
sandte  seine  Knechte  im  Schiff,  .  .  Und  kamen  gen  Ophir, 
und    holeten    daselbst    vier  hundert    und  zwanzig    Centner 

40      Gold.  .  ." 


138  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1797 


[September  27,  Stäfa.]  [309] 

uns  beide  nocli  in  deniRelben  Fall  befinden.  Prüfe  Du 
diese  Zweifel  indessen  an  meiner  letzten  Arbeit  [, Her- 
mann und  Dorothea'],  wovon  ich  Dir  die  erste  Hälfte 
überschickte;  ich  habe  da  hinein,  so  wie  immer,  den 
ganzen  laufenden  Ertrag  meines  Daseins  verwendet. 
Sollte  dieses  Gedicht  ein  Mittler  zwischen  uns  werden, 
so  würde  mich  seine  Existenz  um  so  mehr  freuend 
An  Barbara  Sclmltbess.  —  Br.  12,  322. 17—  323,  G. 


^  Ueber    die    damalige   Ti-übung   des   Verhältnisses  zwischen  lo 
(xoctlie  und   Barbara   Schulthess  belehrt  Bernhard   Suphans 
Abhandlung  im  Goethe- Jahrbuch  13,  149—162. 

Barbara  Schulthess  erwiderte  am  10.  October:  ..Dein  .Her- 
mann' macht  mir  grosse  Freude;  ist's  einem  doch,  der  alte 
Homer    lebte    unter    uns    —    und  erzähle  Gesell ichten  unsrer  15 
Tage  .  . 

Möchte  nur  M.  [Meyer]  Sceuen  aus  dem  liöstlichen  Stücke 
uns  zeichnen,  Avie  ich  letzthin  mit  der  Feder  gemachte  Copien 
Homerischer  Scenen  sah  nach  einem  —  Flaxmann,  glaub' 
ich  [s.  22,  26] .  20 

Nur  die  Gänse  in  die  geflüchteten  Ställe  müsst'  er  nicht 
vergessen  —  [erster  Gesang  Vers  124 — 126]  dass  sie  dem 
Bäbeli  [Barbara  Gessner,  dem  Enkelchen  der  Schreibenden] 
nicht  mangelten.  .  .",  und  am  25.  November  schrieb  sie: 
,, Immer  wollte  ich  ein  freundliches  Wort  von  Dir  abwarten,  25 
.  .  noch  gestern  Abend  täuschte  mich  ein  Brief,  den  ich 
unwillig  öffnete,  doch  söhnten  mich  die  Worte  darin  wieder 
aus:  ,,Ich  habe  , Hermann  und  Dorothea'  verschlungen,  ge- 
lesen und  aber  gelesen,  und  wenn  ich's  noch  siebenmal  lese, 
werd'  ich's  nur  immer  schöner  finden"  .  .  und  ich  kann  nicht  30 
länger  zögern.  Dir  meine  Freude  über  Deine  Dorothea  zu 
sagen  .  .  wie  lieblich  hast  Du  das  trefflich  Begonnene  vol- 
lendet, das  Vorgesehene  auf  den  unvorgesehensten  Wegen 
zum  Ziele  geführt,  mit  all  den  schönsten  Farben  den  Charak- 
ter der  Edeln  im  hellsten  Glänze  vorgestellt.  Dass  Hermann  35 
den  Mondschein  vorüber  gehen  Hess,  ist  mir  gar  so  lieb.  das. 
hätt'  auch  nicht  einer  gethan,  und  dann  die  Scene  mit  dem 
Vater,  und  die  des  Geistlichen,  die  beide  ihr  das  erwünschte 
Geständniss  abnöthigen,  das  sie  so  unbefangen  ablegte  .  . 
ich   meine  diese  drei   seien  das  Schönste  von   allem  .  .  und  40 


1797  HERMANN   L'ND    DOROTHEA  139 


October  25,  ZüricL.  310 

Ich  freue  mich,  wenn  der  Ahnanaeh^  Ihnen  etwas  An- 
genehmes gebracht  hat:  sowohl  dieser  als  der  Yiewegi- 
sche    sollte    schon  aufgewartet  haben,    wenn  meine  Be- 
5       stellnngen  alle  wären  richtig  besorgt  worden-. 
Au  C.  G.  Voigt.  —  Br.  12,  343,  12—15. 

October  25,  Zürich.  311 

Die  Freunde,  denen  ich  liier  ,Hermann  und  Dorotbca' 

gein  mitgetheilt  hätte,  werden  sich  denn  wohl  noch  eine 

15       Zeit  lang  gedulden;  Yieweg  hat  vielleicht  Ursache,  dass 

er    einzelne    Exemplare,     ehe     die     ganze    Versendung 

gemacht  ist,  nicht  in  die  "Welt  streuen  mag^. 

An  Büttiger.  —  Br.  12,  344,  8—13. 


aber  was  bat  man  nicbt  lieb  am  Ganzen,  wie  kann  mau  genug 
20      ehren  dieses  kunstverbergende  Kunstwerk**  —  den  Reichthum 
und  Geist,  der  durch  das  Ganze  athmet  und  lebt. 

Nur  eine  Frage  möchte  ich  Dir  nocli  einmal  machen  über 
Eine  Stelle,  von  der  ich  mir  das  Warum  nicht  denken  kann" 
(GJ.  13,  21.  23  f.). 
25       s.  137,  32—34. 

'  Gleichlautend    in    der  .Reise    in    die  Schweiz  1797'  (WH.  26, 

154). 
^  ..Am   13.  October    1797    sandte  Vieweg  von  Leipzig  aus   IS 
Exemplare,  tlieils  in  Seide,  theils  in  Maroquin  an  Böttiger, 
30      von  denen 

2  für  den  eben  Genannten, 

8  für  Goethe, 

3  für  die  fürstliclieu   Personen, 
2  für  Schiller. 

35  je  1  für  Herder.  Wielaud.  Voigt 

bestimmt  waren.  Am  9.  December  Hess  er  12  weitere  Exem- 
plare für  Goethe  folgen"  (Ludwig  Geiger  in  der  .Zeitschrift 
für  Bücherfreunde-  1,  148  b);  vgl.  Nr.  301. 

Goethe  bekam  das  Taschenbuch  erst  Anfang  November, 
40      auf  der  Rückreise,  in  Nürnberg  zu  Gesicht. 

Schiller  dagegen  konnte  schon  am  18.  October  an  Büttiger 
schreiben:  ..Haben  Sie  recht  schönen  Dank  von  mir  und 
meiner  Frau  für  das  schöne  Geschenk,  das  unser  edler 
Freund  uns  durch  Sie  sendet.     Man  weiss  kaum,   was  man 


140  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1791 


October  25,  Zürich.  312 

Keinen  Musenalmanach,  keinen  ,Hermann'  habe  ich 
noch  gesehen,  alles  das  und  mehrere?  wird  mir  denn 
wohl  in  Deutschland  begegnend 

An  Schiller.  —  Br.  12,  34(;,  2.5—  347,  2.  5 

dazu  sagen  soll,  wenn  mau  Gedichte  von  dieser  Art  und  Ab- 
kunft in  Verbindung  mit  Messer  und  .Schere  in  die  Hand  bf 
kommt  und  so  die  höchsten  imd  die  gemeinsten  Bedürfnisse 
der  Sterblichkeit  zugleich  befriediget  sieht.  Es  hat  aber  auch 
dieser  Umstand,  obgleich  nur  ein  Buchhändlers-Einfall,  doch  10 
einen  eiguen  Reiz  für  mich:  er  erregt  augeuljlicklich  die  Täu- 
sehuug.  als  ob  wirklich  iinsre  Märkte  uns  solche  Waaren 
liefern  könnten,  da  doch  ohne  Uebertreibung  manches  Jahr 
hundert  vergangen  ist  und  künftig  vergehen  dürfte,  wo  an 
einen  solchen  Artikel  nicht  zu  denken  sein  möchte.  15 

Führen  Sie  ja  Ihren  Vorsatz  aus.  einige  Worte  über  die 
grossen  Vortheile  der  lauten  Reciüition  bei  dergleichen 
Dichterwerken  dem  Publicum  an's  Herz  zu  legen:  .  .  .  Ich 
wünschte  in  allem  Ernst,  es  kämen  in  dieser  speculations- 
reichen  Zeit  einige  gute  Köpfe  auf  den  Einfall,  ein  Gedicht.  20 
wie  unser  .Hermaun  und  Dorothea'  ist,  von  Dorf  zu  Dorf  auf 
Kirchweihen  und  Hochzeiten  zu  recitiren  und  so  die  alte 
Zeit  der  Rhapsoden  und  Minstrels  zurückzuführen'"  (Schillers 
Br.  5,  274  f.). 

Dass  nicht  alle  Geschenk-Exemplare  mit  ..Messer  und  25 
Schere"  ausgestattet  waren,  —  einer  für  uns  verwiuiderlichen 
Zugabe,  die  nach  einer  Note  in  Böttigers  , Litterarischen  Zu- 
ständen' 2,  205  bei  Taschenbüchern  auch  ..sonst  gebräuchlich" 
war  —  möchte  man  daraus  schliessen.  dass  Goethes  Mutter, 
die  lustige  Frau  Rath.  derselben  in  ihren  Dankbriefen  beide-  30 
mal  mit  keiner  Silbe  gedenkt  (SdGG.  4.  142.  22— 2(5.  145.3-5). 
*  Gleichlautend  in  der  .Reise  in  die  Schweiz  1797'  (WH.  26,  155*. 

Schiller  schrieb  am  20.  October:  ,,Vor  einigen  Tagen  über- 
schiekte  ims  Böttiger  zwei  schöne  Exemplare  Ihres  .Her- 
manns', womit  wir  sehr  erfreuet  wurden  [vgl.  139,  34].  Er  ist  35 
also  nunmehr  in  der  Welt  und  wir  wollen  hören,  wie  sich 
die  Stimme  eines  Homerischen  Rhapsoden  in  dieser  neuen 
politischrhetorischen  Welt  ausnehmen  wird.  Ich  habe  das 
Gedicht  nun  wieder  mit  dem  alten  ungeschwächten  Eindrtick 
und  mit  neuer  Bewegung  gelesen:  es  ist  schlechterdings  voll-  40 
kommen    in  seiner  Gattimg,    es    ist  pathetisch    mächtig    und 


1797  HERMANN   UND   DOROTHEA.  141 

October  25,   Züricli.  313 

Dass  nichts  bei  Dir  ankommt,  wundre  Dicli  nicht,  es 
geht  mir  eben  so,  ich  habe  auch  nocli  keinen  ,llermann'^ 
An  Christiane.  —  Br.  12,  340, 12—14. 

5  October   30,    Tübingen.  314 

Es  freut  mich,  dass  ,Herniann'  in  Ihren  Händen  ist 
und  dass  er  sich  hält^. 

An  Schiller.  —  Br.  12,  352,  19  f. 


doch  reizend  in  höchstem  Grade,  kurz  es  ist  schün  was  nxiin 

10      sagen  kann. 

Auch  den  , Meister  habe  ich  ganz  kürzlich  wieder  gelesen, 
und  es  ist  mir  noch  nie  so  auffallend  gewesen,  was  die  äus- 
sere Form  doch  bedeutet.  Die  Form  des  , Meisters',  wie  über- 
haupt jede   Romanform,    ist   schlechterdings   nicht   poetisch. 

15  ...  "Wer  fülilt  nicht  alles  das  im  .Meister',  was  den  .Her- 
mann' so  bezaubernd  macht  I  Jenem  fehlt  nichts,  gar  nichts 
von  Ihrem  C4eiste.  er  ergreift  das  Herz  mit  allen  Kräften 
der  Dichtkunst  und  gewährt  einen  immer  sich  erneuenden 
Genuss,  und  doch  führt  mich  der  , Hermann'  (und  zwar  bloss 

20      durch  seine  rein  poetische  Form;   in  eine  göttliche  Dichter- 
welt,  da   mich  der  ,:Meister'  aus  der  wirklichen  "Welt  nicht 
ganz  herauslässt"  (Schillers  Br.  5,  277  f.i. 
^  Tags  darauf,  am  26.  October,  trat  Goethe  die  Rückreise  an. 
-  Vgl.  Schillers  Brief  vom  20.  October  (140,  33). 

25  Im  letzten  Briefe,  den  Schiller  an  Goethe  während  dessen 
Abwesenheit  richtete,  heisst  es,  am  30.  October:  „Sie 
würden  sich  vielleicht  jetzt  [bei  der  neuen  epischen  Arbelt, 
,Teir]  eher  gewölmen.  mit  mir  darüber  zu  sprechen,  da 
die  Einheit  und  Reinheit  Ihres  .Hermanns'  durch  Ihre  Mit- 

30      theilungen  an   mich,   während  der  Arbeit,   so   gar  nicht   ge- 
stört worden  ist.     Und  ich  gestehe,  dass  ich  nichts  auf  der 
Welt  weiss,  wobei  ich  mehr  gelernt  hätte,  als  jene  Communi- 
cationen,  die  mich  recht  in's  Innre  der  Kunst  hineinführten. 
.  .  .  Ich     las     neulich     den    ,Hermann'     vor    einer    Gesell- 

35  Schaft  von  Freunden  in  Einem  Abend  vom  Anfang  bis  zum 
Ende:  er  rührte  uns  wieder  unbeschreiblich,  und  mir 
brachte  er  noch  die  Abende,  wo  Sie  ihn  uns  vorlasen,  so 
lebhaft  zurück,  dass  ich  doppelt  bewegt  war"  (Schillers 
Br.  5,  282  f.). 

40  Charlotte  Schiller  legte  diesem  Schreiben  ihres  Mannes* 
einen  eigenen  Brief  bei,   in  dem   sie  sich  für  das  erhaltene 


142  HERMANN   UND   DOROHTEA.  1797 


November  8,  Nürnberg.  31. "i 

Sie  erhalten  hierbei,  werthester  Herr  Eapp,  das  Ge- 
dicht in  seiner  reinsten  typographischen  Form,  gönnen 
Sie  ihm  abermals  eine  gute  Aufnahme^. 

An  Rapi).  —  Br.  12,  355,  2-4.  5 

November  27,  Weimar.  310 

Mit    vieler  Frende    vernehme    ich  Ihre  fortdauernde 
Neigung  zu  meinem  neusten  Gedichte-.    Wenn  man  eine 
solche  Arbeit    nur  abgeschieden    von    der  Welt  hervor- 
bringen kann,    so    ist   es  desto  lohnender,  wenn    sie  bei  "lo 
ihrer  Erscheinung  ihre  Wirkung  nicht  verfehlt. 
An  Rapp.  —  Br.  12,  3(M,  8—12. 


Exemplar  rter  Dichtung  bedankt,  und  gleichfalls  von  dem 
tiefen  Eindrucli  spricht,  den  die  Vorlesung  durch  Schiller 
jüngst  gemacht  habe  (GJ.  4.  235  f.).  20 

Goethes  ilutter  bedanlit  sich  am  5.  November,  in  einem 
Briefe  an  Clu'istiane.  für  die  ZAvei,  durcli  Goetlies  Schwager 
an  sie  überscliiclvten,  ,,in-  und  äusserlicli  ganz  herrliclieu" 
Exemplare.  Im  Sommer  schon,  am  17.  .Juni,  hatte  sie  an 
Goethe  geschrieben;  ,.Auf  das  Wcrli.  worinnen  eine  Frau  25 
Aja  vorkommen  soll,  freiie  icli  micli  selir",  nun  aber  meldet 
sie  ihm  am  4.   December  1707: 

..Was  .Hermann  und  Dorothea'  hier  für  grosse  Wirlvung 
verursacht  hat,  davon  habe  schon  etwas  an  meine  liebe 
Tochter  geschileben  [s.  Z.  21  f.];  Hufnagel  ist  so  ganz  da-  30 
von  belebt,  dass  er  bei  Copulationen  imd  wo  es  nur  möglich 
ist  Gebrauch  davon  macht.  ...  Er  beliauptet.  so  hättest 
Du  noch  gar  nichts  geschriel^en.  Für  die  vortrefflichen 
Taschenbücher  danke  herzlicli,  in-  und  auswendig  sind  sie 
zum  Küssen.  Hufnagel  hält  alle,  die  es  nicht  haben  oder  35 
es  nicht  als  ein  Handbuch  im  Sack  bei  sich  tragen,  für 
Hottentotten.  Die  Elisa  Bethmann  musste  in  seiner  Gegen- 
wart sogleich  eins  von  den  theuersten  Exemplaren  kaufen 
u.  s.  w."  (SdGG.  4,  133,  6—8.  142.  21—143.  4.  144.  2.5—145.  9). 

1  Wegen  der  ..reinsten"  Form  vgl.  80.  .33  f.  —  „abermals",   in  40 
Erinnerung  an  die  Vorlesung  in  Stuttgart,  vgl.  Nr.  .305.  30(>. 

'  Rapp  liatte  am  10.  November  brieflich  gedankt  (Br.  12.  4.55 
zu  Nr.  3084). 


1797  HERMANN   UND   DOROTHEA.  143 


December  IG,   Weimar.  317 

Bewahren  Sie  beikommendes  Exem})laT  meines  neue- 
sten Getliclites  zu  meinem  Andenken;  wie  .^elir  wün>che 
ich  auch  Ihre  Gedanken  darüber  zu  hören  .  .^ 
5  Au  A.   AV.   Schlpgel.  —  Br.   12.   379,20—23. 

Deoeuiber  !(!.   AA  eiiuar.  318 

[Xach]  Jena  [an]  Eath  Schleoel:  Mit  Uebersendung 
meines    , Hermanns'-    hr^e  ich  die  Guictzc  der  Epopöe 
Briofvevzeicliiiiss  1797.  —  Br.   12.  472. 

10  December  20,  Weimar.  319 

Seit    der    Erscheinung    der  Sclüegelschen  Recension 

meines  ,Hermauns'-   habe   ich   die   Gesetze   der  Epopee 

und  des  Dranuis  wieder  durchgedacht   und  glaube  auf 

gutem    Wege    zu    sein.     Die    Schwierigkeit    bei    diesen 

15  theoretischen  Bemühungen  ist  immer,  die  Dichtarten 
von    allem  Zufälligen  zu  l)efreien.     Nächstens  erhalten 

^  Am  24.  September  hatte  A.  AV.  Schlegel  au  Goethe  ge- 
schriebeu:  ..lu  etwa  acht  Tageu  hat  man  uns  .Hermauu  und 
Dorothea'  versprochen,  daun  ist  aber  uusre  poetische  Wein- 

20      lese  für  den  Herbst  so  ziemlich  vorbei"*  (SdGG,  13,  14). 

Wenige  Tage  vor  dem  Obigen,  am  11.,  12.  und  13.  De- 
cember, war  eine  ausführliche  Besprechung  des  Gedichts 
von  A.  W.  Schlegel,  anonym,  in  Nr.  393—396  der  Allgemeinen 
Literatur-Zeituug   erschieuen.      Diese    bedeutende    Recension 

25  (leider  gestattete  ihr  Umfang  nicht,  sie  an  dieser  Stelle  auf- 
zunehmen! findet  man  in  Schlegels  .Charakteristiken  und  Kri- 
tiken' 2,  260—308  (Königsberg  1801»  uud  in  Band  11  seimr 
,Sämmtlichen  Werke'  (Leipzig  1847),  jetzt  auch  bei  Braun  2. 
252 — 265.    Schlegel   beschliesst  die   Recension   von   ,Hermaim 

30  und  Dorothea'  mit  den  Worten:  „Es  ist  ein  in  iiohem  Grade 
sittliches  Gedicht,  nicht  wegen  eines  moralisclien  Zwecks, 
sondern  insofern  Sittlichkeit  das  Element  schöner  Darstellung 
ist,  .  .  .  Der  Haupteindruck  ist  Rührung,  aber  keine  weich- 
liche,   leidende,    sondern    zu  wohlthätiger  Wirksamkeit    er- 

35       weckende  Rührung.  .Hermann  und  Dorothea'  ist  ein  vollen- 
detes Kunstwerk  im  grossen  Stil,  und  zugleich  fasslich,  herz- 
lich,    vaterländisch,     volksmässig:     ein    Buch     voll     goldner 
Lehren  der  Weisheit  imd  Tugend." 
^  s.  Z.  21—24. 


144  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1797 

[December  20,  Weimar.]  [319] 

Sie  wohl  einen  kleinen  Aufsatz^  darüber  und  icli  mag 
daher  nichts  weiter  voraussagen. 

An  Schiller.  —  Br.  12,  380,  20—381,  2. 

December  23,  Weimar.  320    5 

Es  ist  mir  dabei-  recht  aufgefallen,  wie  es  kommt,  dass 
wir  Modernen  die  Genres  so  sehr  zu  vermischen  geneigt 
sind,  ja  dass  wir  gar  nicht  einmal  im  Stand  sind  sie  von 
einander  zu  unterscheiden.  Es  sclieint  nur  daher  zu 
kommen,  weil  die  Künstler,  die  eigentlich  die  Kunst-  lo 
werke  innerhalb  ihrer  reinen  Bedingungen  hervor- 
bringen sollten,  dem  Streben  der  Zuschauer  und  Zu- 
hörer, alles  völlig  wahr  zu  finden,  nachgeben.  Meyer 
hat  bemerkt,  dass  man  alle  Arten  der  bildenden  Kunst 
hat  bis  zur  Malerei  hinantreiben  wollen,  indem  diese  15 
durch  Haltung  und  Farben  die  Nachahmung  als  völlig 
wahr  darstellen  kann.  So  sieht  man  auch  im  Gang  der 
Poesie,  dass  alles  zum  Drama,  zur  Darstellung  des  voll- 
kommen Gegenwärtigen  sich  hindrängt.  So 
sind  die  Eomane  in  Briefen  völlig  dramatisch,  man  20 
kann  desswegen  mit  Recht  förmliche  Dialoge,  wie  auch 
Bichardson  gethan  hat,  einschalten;  erzählende  Eomane 
mit  Dialogen  untermischt  würden  dagegen  zu  tadeln 
sein. 

Sie  werden  hundertmal  gehört  haben,  dass  man  nach  25 
Lesung  eines  guten  Eonians  gewünscht  hat,  den  Gegen- 


^  Vgl.  145,  30  f.  —  Schiller  erwiderte  am  22.  December:  ,,Die 
Schlegelsche  Recension  Ihres  .Hermanus'  kenne  ich  noch 
nicht  und  Aveiss  überhaupt  nicht,  von  Avelchem  Schlegel  sie. 
ist.  Sie  sei  aber  von  welchem  sie  wolle,  so  finde  ich  bei  30 
keinem  die  ganze  Competenz  dazu,  denn  es  gehört  vorzugs- 
weise zu  Würdigung  dieses  Gedichts  das,  was  man  Gemüth 
heisst,  und  dieses  fehlt  beiden,  ob  sie  sich  gleich  der  Ter- 
minologie davon  anmassen. 

Ihren,     dadurch     veranlassten,    Aufsatz    erwarte    ich    mit  35 
Verlangen"  (Schillers  Br.  5,  304). 

"  s.   d'e,    dem    Obigen    inuiiittellKir    vorhergehenden.     Sätze  2. 
10-23. 


1797  HERMANN   UND   DOROTHEA.  145 

[December  23,  Weimar.]  [320] 

stand  auf  dem  Theater  zu  sehen,  und  wie  viel  schlechte 
Dramen  sind  daher  entstanden!  Ehen  so  wollen  die 
Menschen  jede  interessante  Situation  gleich  in  Kupfer 

5  gestochen  sehen.  Damit  nur  ja  ihrer  Imagination  keiue 
Thätigkeit  ührig  bleibe,  so  soll  alles  sinnlich  wahr,  voll- 
kommen gegenwärtig,  dramatisch  sein  und  das  Drama- 
tische selbst  soll  sich  dem  wirklich  Wahren  völlig  an 
die   Seite    stellen.      Diesen   eigentlich  kindischen,   bar- 

10  barischen,  abgeschmackten  Tendenzen  sollte  mm  der 
Künstler  aus  allen  Kräften  widerstehn,  Kunstwerk  von 
Kunstwerk  durch  undurchdringliche  Zauberkreise  son- 
dern, jedes  bei  seiner  Eigenschaft  und  seinen  Eigen- 
heiten erhalten,  so  wie  es  die  Alten  getlian  haben  und 

15  dadurch  eben  solche  Künstler  wurden  und  waren.  Aber 
■wer  kann  sein  Schiff  von  den  Wellen  sondern,  auf  denen 
es  schwimmt?  Gegen  Strom  und  AYind  legt  man  nur 
kleine  Strecken  zurück. 

.  .  .  Um  nun  zu  meinem  Aufsatze  zurückzukommen, 

20  so  habe  ich  den  darin  aufgestellten  Massstab  an  ,Her- 
mann  und  Dorothea'  gehalten,  und  bitte  Sie,  dess- 
gleichen  zu  thun,  wobei  sich  ganz  interessante  Bemer- 
kungen machen  lassen^,  als  zum  Beispiel: 

1.  Dass  kein  ausschliesslich  episches  Motiv,  das  heisst 

25  kein  retrogradirendes,  sich  darin  befinde,  sondern  dass 
nur  die  vier  andern,  welche  das  epische  Gedicht  mit  dem 
Drama  gemein  hat,  darin  gebraucht  sind. 


30 


25 


'  Zur  leichteren  Yergleiclumg  mit  dem  in  den  folgenden  vier 
Absätzen  Gesagten  sei  hier  die  entsprechende  Stelle  aus 
Goethes  Aufsatz  ,Ueber  epische  und  dramatische  Dichtung- 
eingeschaltet: 

..Das  epische  Gedicht  stellt  vorzüglich  persönlich  be- 
schränkte Thätigkeit,  die  Tragödie  persönlich  beschränktes 
Leiden  vor;  das  epische  Gedicht  den  ausser  sich  wir- 
kenden Menschen:  Schlachten,  Reisen,  jede  Art  von 
Unternehmung,  die  eine  geAvisse  sinnliche  Breite  fordert; 
Graf,  Goethe  über  s    Dichtungen  T.  I.  10 


146  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1707 

[December  23,  Weimar.]  [320] 

2.  Dass  es  nicht  ausser  sich  wirkende,  sondern  n?ich 
innen  geführte  Menschen  darstellt  und  sich  auch  da- 
durch von  der  Epopee  entfernt  und  dem  Drama  nähert. 

die   Tragödie   deu    nach    i  u  u  e  ii   geführten    Meuseheu.    5 
und    die  Handlungen    der  echten  Tragödie  bedürfen  daher 
nur  Aveniges  Raumes. 
Der  Motive  kenne  ich  fünferlei  Arten: 

1.  V  o  r  Av  ji  r  t  s  s  c  h  r  e  i  t  e  n  d  e  .  welche  die  Handlung 
fördern;  deren  bedient  sich  vorzüglich  das  Drama.  10 

2.  Rückwärtsseh  reitende,  welche  die  Handlung 
von  ihrem  Ziele  entfernen;  deren  bedient  sich  das  epische 
Gedicht  fast  ausschliesslich. 

3.  Retar  dir  ende,    welche  deu  Gang  aufhalten  oder 
den  Weg  verlängern;  dieser  Ijedieneu  sich   beide   Dichtarten  15 
mit  dem  grössten  Vortheile. 

4.  Zurückgreifende,  durch  die  dasjenige,  was  vor 
der  Epoche  des  Gedichts  geschehen  ist,  hereingehoben  wird. 

5.  Vorgreifende,      die      dasjenige,      was     nach     der 
Epoc^ie     des    Gedichts     geschehen     w4rd,     anticipiren:    beide  20 
Arten   braucht  der  epische   sowie  der   dramatische   Dichter, 
um  sein  Gedicht  vollständig  zu  machen. 

Die  Welten,  welche  zum  Anschauen  gebracht  werden 
sollen,  sind  beiden  gemein: 

1.  Die  physische,  und  zwar  erstlich  die  nächste,  25 
wozu  die  dargestellten  Personen  gehören  und  die  sie  um- 
gibt. In  dieser  steht  der  Dramatiker  meist  auf  Einem 
Puncte  fest;  der  Epiker  bewegt  sich  freier  in  einem  grössern 
Local.  Zweitens  die  entferntere  Welt,  wozu  ich 
die  ganze  Natiu'  rechne.  Diese  bringt  der  epische  Dicliter,  30 
der  sich  üljerhaupt  an  die  Imagination  wendet,  durch 
Gleichnisse  näher,  deren  sich  der  Dramatiker  sparsamer 
bedient. 

2.  Die   sittliche  ist   l)eideu  ganz  gemein  und   wird  am 
glücklichsten     in     ihrer   physiologischen    und   pathologischen  35 
Einfalt   dargestellt. 

3.  Die  AVelt  der     Phantasien,     Ahnungen,      Er- 
scheinungen.    Zufälle   und   Schicksalt.      Diese 
steht  beiden  offen,    nur  versteht  sich,  dass    sie    an  die  sinn- 
liche   herangebracht    werde,    wobei   denn    für   die    Modernen  40 
eine    besondere    Schwierigkeit    entsteht,    weil    wir   für  dm 


1797  HERMANN   UND   DOROTHEA.  147 

[Detember  23,  Weimar.]  [320] 

3.  Dass  es  sieh  mit  Recht  der  Gleichnisse  enthält, 
weil  bei  einem  mehr  sittlichen  Gegenstande  das  Zii- 
dringen    von    Bildern    aus    der    physischen  Xatur  nur 

5       mehr  lästig  gewesen  wäre. 

4.  Dass  es  aus  der  dritten  "Welt,  ob  gleich  nicht  auf- 
fallend, noch  immer  genug  Einfluss  empfangen  hat, 
indem  das  grosse  "Weltscliieksal  theils  ^\irklich,  theils 
durch  Personen,  symbolisch,  eingeflochtcn  ist  und  \  on 

10  Ahndung,  von  Zusammenhang  einer  sichtbaren  und 
unsichtbaren  '\^'elt  doch  auch  leise  Spuren  angegeben 
sind,  welches  zusammen  nach  meiner  Ueberzeugung  an 
die  Stelle  der  alten  Götterbilder  tritt,  deren  physisch- 
poetische  Gewalt  freilich  dadurch  nicht  ersetzt  wird\ 

15  An  Schiller.  —  Br.   12.  381.21—383.0.  22—384.  21. 


Wundergeschöpfe.  ixötter.  Wahrsager  und  Orakel  der  Alteu. 
so  sehr    es    zu  wünschen  wäre,    nicht    leicht  Ersatz    finden" 
(WH.  20.   224  f. I. 
'  Hierauf  folgt  im  Briefe  der  die  .Achilleis"  betreffende  Ah- 

20  schnitt  2.  24  —  3.  24.  —  In  Schillers  Antwort  vom  2(>.  December 
heisst  es:  .,Ihr  .Hermann"  hat  wirklich  eine  gewisse  Hinnei- 
gung zur  Tragödie,  wenn  man  ihm  den  reinen,  strengen  Be- 
griff der  Epopöe  gegenüber  stellt.  Das  Herz  ist  inniger  und 
ernstlicher  beschäftigt,  es  ist  mehr  pathologisches  Interesse 

25  als  poetische  Gleichgültigkeit  darin.  So  ist  auch  die  Enge  des 
Schauplatzes,  die  Sparsamkeit  der  Figuren,  der  kurze  Ab- 
lauf der  Handlung  der  Tragödie  zugehörig,  ümgekelirt 
schlägt  Ihre  .Iphigenie'  offenbar  in  das  epische  Feld  hinüber, 
sobald  man  ihr  den  strengen  Begriff  der  Tragödie  entgegen- 

30  hält.  Von  dem  .Tasso'  will  ich  gar  nicht  reden.  Für  eine 
Tragfidie  ist  in  der  .Iphigenie"  ein  zu  ruhiger  Gang,  ein  zu 
grosser  Aufenthalt,  die  Katastrophe  nicht  einmal  zu  rech- 
nen, welche  der  Tragödie  widerspricht.  Jede  Wirkung,  die 
ich  von  diesem  Stücke  theils  an  mir  selbst,  theils  an  andern 

35  erfahren,  ist  generisch  poetisch,  nicht  tragisch  gewesen, 
und  so  wird  es  immer  sein,  wenn  eine  Tragödie,  auf  epische 
Art,  verfehlt  wird.  Aber  an  Ihrer  .Iphigenie'  ist  dieses  An- 
nähern an's  E])ische  ein  Fehler,  nach  meinem  Begriff:  an 
Ihrem  , Hermann'  ist  die  Hinneigung  zur  Tragödie  offenbar 


148  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1798 


1798. 

Januar  3,  Weimar.  321 

Wenn  uns  als  Dichtern,  wie  den  Taschenspielern, 
daran  gelegen  sein  müsste,  dass  niemand  die  Art,  wie 
ein  Kunststückchen  hervorgebracht  vrird,  einsehen  & 
dürfte,  so  hätten  wir  freilich  gewonnen  Spiel,  so  wie 
jeder,  der  das  Publicum  zum  Besten  haben  mag,  indem 
er  mit  dem  Strome  schwimmt,  auf  Glück  rechnen  kann. 
In  jHermann  und  Dorothea'  habe  ich,  was  das  Material 
betrifft,  den  Deutschen  einmal  ihren  Willen  geth.an  lo 
und  mm  sind  sie  äusserst  zufrieden\  Ich  überlege 
jetzt,  ob  man  nicht  auf  eben  diesem  Wege  ein  drama- 
tisches Stück  schreiben  könnte?  das  auf  allen  Theatern 
gespielt    werden    müsste    und    das    jedermann  für  vor- 


kein    Fehler,    wenigstens    dem   Effecte    nach  ganz  und  gar  15 
nicJit.  Kommt  dieses  etwa  davon,  weil  die  Tragödie  zu  einem 
bestimmten,  das  epische  Gedicht  zu  einem  allgemeinen 
und  freien  Gebrauche  da  ist?"  (Schillers  Br.  5,  311). 
^  Diese  Bemerkung    ist    veranlasst    durch  folgende  Stelle    in 
Schillers  Brief  vom  2.  Januar:  20 

„Von  .Hermann  und  Dorothea'  las  ich  kürzlicli  eine  Recen- 
sion  in  der  Nürnberger  Zeitung.  Avelche  mir  wieder  bestätigt, 
dass  die  Deutschen  nur  für's  Allgemeine,  fiir's  Verständige 
und  für's  Moralische  Sinn  haben.  Die  Beurtheilung  ist  voll 
guten  Willens,  aber  auch  nicht  etwas  darin,  was  ein  Gefühl  25 
des  Poetischen  zeigte  oder  einen  Blick  in  die  poetische  Oeko- 
noniie  des  Ganzen  verrieth.  Bloss  an  Stellen  hängt  sieh  der 
gute  Mann  und  vorzugsweise  an  die.  welche  in's  Allgemeine 
und  Breite  gehen  und  einem  etwas  an's  Herz  legen'"  (Schillers 
Br.  5,  314).  30 

Die  ,Neue  Nürnbergische  gelehrte  Zeitung'  hatte  unter  dem 
12.  December  1797  eine  kleine  anonyme  Besprechung  ge- 
bracht, aus  der  hier  liesouders  folgende  Stelle  in  Betracht 
kommt:  ,.Ueberall  [in  dem  Gedicht]  herrscht  die  schönste 
Simplieität  in  den  Empfindungen  .  .  imd  besonders  eine  so  3^ 
schlichte  und  populäre  Lebensweisheit,  dass  es  auch  als  gol- 
denes Sittenbüchlein  mehr  als  einmal  gelesen  zu  werden  ver- 
dient" (Braun  2,  206),  vgl.  143,  37  f. 


1798  HERMANN   UND   DOROTHEA.  141» 


[Januar  3,  Weimar.]  [321] 

trefflich  erklärte,    ohne  dass  es  der  Autor  selbst  dal'iir 
zu  halten  brauchte. 

An  Schiller.  —  Br.  13,  ö,  1—14. 

5  Januar  12,  "Weimar.  322 

Es  freut  mich,  dass  Du  mein  Gedicht  nochmals  vf)j- 
lesen  wollend  Einer  Gesellschaft  von  Freunden  har- 
monische Stimmungen  zu  geben  und  manches  aufzu- 
regen, was  bei  den  Zusammenkünften  der  besten 
IC  Menschen  so  oft  nur  stockt,  sollte  von  rechtswegen  die 
Ijeste  Wirkung  der  Poesie  sein. 
An  Knebel.  —  Br.  13.  17,  23—28. 

]  [.Januar  30,  Weimar.]  323 

Wenn  .Hermann  und  Dorothea'    in  Berlin  eine  gute 

15       Sensation  machen,  ist  es  mir  sehr  erfreulich.     Berlin 

ist  vielleicht  der  einzige  Ort,  von  dem  man  sagen  kann, 

dass  ein  Publicum  beisammen  sei,  imd  um  so  mehr 

muss  es  einen  Autor  interessiren,  wenn  er  daselbst  gut 

aufgenommen  wird-. 

20  An  Aloys  Hirt.  —  Br.  13.  4.5.  2.">— 40.  2. 

rebruar  3,  Weimar.  324 

Die  Idylle'*    ist    wirklich   wieder    eine    sonderbare  Er- 
scheinung.    "Wieder     ein     beinahe     weibliches    Talent, 

'  Knebel,  mit  dem  Goethe  auf  der  Rückreise  aus  der  Schweiz 
25      im    November    1797    in    Nürnberg    zusammengetroffen    war. 
hatte  von   doit  am  5.  Januar  geschrieben:     „Ich  habe  Deinen 
, Hermann  und  Dorothea'  diese  Zeit  wieder  bei  Holzschuher 
und  den  Seiuigen  vorgelesen.  Sie  haben  uns  den  allermeisten 
[vielleicht  verdruckt  für  ..allerreinsten"?]  Genuss  verschafft. 
30      Kein  Wort  fiel  ohngefühlt  zur  Erde.     Wir  lieben  und  bewun- 
dern diess  herrliche  Product  einer  seltenen  Geistosintegrität" 
(G.-Knebel  1,  154). 
■  „Hirt  hatte  von  einer  Vorlesung  des  Gedichts  und  mehreren 
Vorträgen  über  dasselbe  berichtet"  (E.  v.  d.  Hellen  in  Br.  13, 
35      380  zu  4.Ü.  2')). 

'  ,Die  Capelle  im  Walde.  Idylle'  von  Luise  Brachmann.  Schiller 
hatte  die  Dichtung  im  Manuscript  zur  Beurtheilung  an 
Goethe  geschickt,  der  es  mit  „einigen  Verbesserungen"  ver- 


150  HERMANN   UND   DOROTHEA.  179S 


[Februar  3,  Weimar.]  [3241 

hübsche  jugendliche  Ansichten  der  Welt,  ein  freund- 
liches, ruhiges,  sittliches  Gefülil.  "Wäre  es  mm  den 
Deutschen  möglich  sich  zu  bilden,  und  eine  solche  Per- 
son lernte,  was  doch  zu  lernen  ist,  in  Absicht  auf  innere  5 
und  äussere  Form  des  Gedichts,  so  könnte  daraus  was 
recht  Gutes  entstehen,  anstatt  dass  es  Jetzt  bei  einer 
gewissen  gleichgültigen  Anmuth  bewenden  muss.  .  .  . 

Zu  läugnen  ist  es  nicht,  dass  , Hermann  und  Doro- 
thea' schon  auf  diese  Xatur  gewirkt  hat%  und.  es  ist  10 
wirklich  sonderbar,  wie  unsere  jungen  Xaturen  das,  was 
sich  von  einer  Dichtung  durch's  Gemüth  auffassen 
lässt,  an  sich  reissen,  nach  ihrer  Art  reproduciren  und 
dadurch  zwar  mitunter  ganz  was  Leidliches  hervor- 
bringen, aber  auch  gewöhnlich  was  man  durch  die  ganze  is 
Kraft  seiner  Xatur  zum  Stil  zu  erhöhen  strebte,  so- 
gleich zur  Manier  herabwürdigen  und  gerade  dadurch, 
ueil  sie  sich  dem  Publico  mehr  nähern,  öfters  einen 
grössern  Beifall  davon  tragen  als  das  Original,  von 
dessen  Verdiensten  sie  nur  theilweise  etwas  losgerissen  20 

haben. 

An  Schiller.  —  Br.  13.  53.3—11.  17—28. 


sali,  die  beim  Druck  verwertbet  wurdeu  (vgl.  Scbillers  Brief 
an  Goetbe    vom  25.  Juni   1798i.     Das  Gedicbt  eröffnet    das 
zwölfte    Stück     des    letzten    Bandes    von    Schillers    Monats-  25 
.Schrift  ,Die  Hören-  Jahrgang  1797;  da  es  eine  Zeit  lang  Char- 
lotte von  Schiller  zugeschrieben  wurde,    fand    es  Aufnahnie 
in  Karl  Hoffmeisters  .Nachlese  zu  Schillers  Werken"  3.  379-- 
389. 
^  Diese  Bemerkung,  betrachtet  in  Verbindung  mit  den  Worten  30 
„Wieder  ein  beinahe  weibliches  Talent"  (149.  23)  und  mit  dem 
Datum    des  Briefes,  macht    es  wahrscheinlich,    dass  Schiller 
am    Schluss    seines    Schreibens    vom  30.  Januar  .die  Capelle 
im  Walde'  meint;    er    sagt:     „Dieser  Tage    hat    sich  wieder 
ein  neuer  Poet  angemeldet,    der   mir  gar  nicht    übel  scheint.  35 
es  müsste  mich  denn  ein  gewisser  Widerschein  Ihres  Geistes 
bestechen,  denn  dieser  scheint  viel  auf  ihn  gewirkt  zu  haben. 
Ich  lege  das  Gedicht  bei.  sagen  Sie  mir  doch  Ihre  Meinung 
darüber"  (Schillers  Br.  5,  335  f.). 


1798 


HERMANN   UND   DOROTHEA.  löl 


10 


Februar  28,  \\'eimar.  ^-'^ 

[Voss,]    der    am  Ende    denn  doch  überzeugt  ist, 
dass  er  ganz  allein  Hexameter  inaclien  kann  nnd  soll. 

Mein  Gedicht  scheint,  wie  ich  aus  diesen  X  achrieh ren 
sehe^  ihm  nicht  so  wohlthätjg  als  nur  das  seine.  Ich 
bin  mir  noch  recht  gut  des  reinen  Enthusiasmus  be- 
wusst,  mit  dem  ich  den  Pfarrer  von  Grünau  aufnahm, 
als  er  sich  zuerst  im  Merkur  sehen  liess,  wie  oft  ich  ihn 
vorlas,  so  dass  ich  einen  grossen  Theil  davon  noch  aus- 
wendig weiss,  und  ich  habe  mich  sehr  gut  dabei  be- 
funden-.    Denn    diese  Freude    ist  am  Ende  doch  pro- 


1  Aus   Schillers  Brief    vom   23.   Februar,    in    dem    es    lieisst: 
..[Wilhelm   von]    Humboldt    schreibt  mir   auch   das   Urtheil. 
welches  Voss  über  Ihren   .Hermann'   gefällt  hat:   er  hat  es 
15      von  Vieweg.  der  jetzt  in  Paris  ist.  „  „Er  habe  gefürchtet,  sagt 
Voss,    der  .Hermann*  würde    seine  ,Luise'    in  Vergessenheit 
bringen.     Das  sei  nun  zwar  nicht  der  Fall,  aber  er  enthalte 
doch  einzelne  Stellen,  für  die  er  seine  ganze  ,Luise'  hingeben 
würde.     Dass  Sie  im  Hexameter  die  Vergleichung  mit  ihm 
20      nicht  aushalten  könnten,   sei  Ihnen  nicht  zu  verdenken,   da 
diess  einmal  seine  Sache  sei,  aber  doch  finde  er,  dass  Ihre 
neuesten  Hexameter  viel  vollkommener  seien.-'  —  Man    sieht. 
dass    er    auch    keine    entfernte  Ahndung    von    dem    Innern 
Geist  des  Gedichts  und  folglich  auch  keine  von  dem  Geisi 
25      der  Poesie  überhaupt  haben  muss,  kurz  keine  allgemeine  imd 
freie  Fähigkeit,  sondern  lediglich  seinen  Kunsttrieb,  wie  der 
Vogel    zu  seinem  Nest    und    der  Biber    zu    seinen  Häusern" 
(Schillers  Br.  5,  350). 
^  In    der    ,Campagne    in    Frankreich'    erzählt    Goethe    (unter 
30      dem   Datum   ..Münster  November  1792"):   ..  .  .  man  wusste. 
dass  ich  die  ,Luise-  von  Voss,  wie  sie  im  Novemberheft  des 
Merkur  1784  erschienen  war.   leidenschaftlich   verehrte   und 
sie  gerne  vortrug"  (W.  33,  243, 10-13).  und  in  einem  Briefe 
an  Voss  vom  1.  Juli  1795  heisst  es  mit  Bezug  auf  die  damals 
35      erschienene  erste  Buchausgabe  der  Dichtung:  ..Für  das.  was 
Sie   an   Luisen  aufs   neue  gethan   haben,   danke   ich    Ihnen, 
als  wenn  Sie  eine  meiner  ältesten  Freundinnen  ausgestattet 
und  versorgt  hätten.     Ich  habe  besonders    die  dritte  Idylle, 
seitdem  sie  im  Merkur  stand,  so  oft  vorgelesen  und  recitirt. 


152  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1798 

[Februar  28,  Weimar.]  [325] 

ductiv  bei  mir  geworden,  sie  hat  inicli  in  diese  Gattung 
gelockt,  den  ,Iierniann'  erzeugt  und  wer  weiss,  was  noch 
daraus  entstehen  kann.  Dass  Voss  dagegen  mein  Ge- 
dicht nur  se  defendendo  geniesst^  thut  mir  leid  für  ihn,  s 
denn  was  ist  denn  an  unserm  ganzen  Bisschen  Poesie, 
wenn  es  uns  nicht  belebt  und  uns  für  alles  und  jedes, 
was  gethan  wird,  empfänglich  macht.  "Wollte  Gott,  ich 
könnte  wieder  von  vorn  anfangen  und  alle  meine  Ar- 
beiten als  ausgetretne  Kinderschuhe  hinter  mir  lassen  lo 
und  was  Bessers  machen. 

An  Schiller.  —  Br.  13,  83,  14—84,  6. 


dass  ich  mir  sie  ganz  zii  eigen  gemaclit  habe"  (Br.  10,  278, 
20—  274,  3). 

üeber  eine  solche  Vorlesung  aus  .Luise'  durch  Goethe  be-  15 
sitzen  wir  eine  anschauliche  Schilderung  von  Heinrich  Vos>, 
dem  Sohne  des  Dichters  (s.  Yossbriefe  S.  18). 

,Der  Teutsfhe  Mei-kur'  vom  Jahre  1784  hatte  im  Novemljer- 
heft  (4,  97—136),  mit  der  Ueberschrift  ,. Luise",  die  dritte  (jeizt 
„Die  Vermählung"    lieuauute)  Idylle    gebracht,    die    anhebt:  io 
,,"\Ver   den    redlit-lieu    I'fax-rer    von    Grünau    neulich    besucht 
hat",  und  diese  Worte  erklären  Goethes  Ausdruck  151.  7  f. 
^  Ein  Beweis  hierfür  ist  (ausser  der  durch  Wilhelm  von  Hum- 
boldt überlieferten  Aeusseruug  151.  13)  Vossens  Brief  au  Gleim 
vom   24.    September  1797:     „Ueber  das   Goelhesche   Gedieht  25 
, Hermann   und   Dorothea'   denke    ich    völlig,    wie   Ernestine 
[  Vossens  Frau] .    Lesen  Sie  nur  durch ;    Sie  werden  für  manche 
zu  eilfertig  gearbeitete  Stellen  durch  sehr  schöue  entschädigt 
werden.  Die  zur  ^'orrede  bestimmt  gewesene  Elegie  beweist 
hinlänglich,  dass  e.s  ihm  Ernst  war,  etwas,  wo  nicht  Home-  30 
risches,  doch  Homeridisches  aufzustellen:  um  a  u  c  h  d  i  e  s  e  n 
K  ranz  des  Apollo  zu  gewinnen.     Ich  Averde  mich  herzlich 
fi-eun,  wenn  Griechenlands  Geist  uns  Deutsclieu  ein  vollen- 
detes Kunstwerk  gewährt,  und  nicht  engherzig  nach  meiner 
.Luise"   mich  umsehn.     Aber  eben  so  ehrlich  denke  ich  für  85 
micli,    und  sage    es  Ihnen:    die  Dorothea  gefalle,    wem    sie 
wolle;  Luise  ist    sie  uiclit.  Sieh,    ich  wollte  keck  thuu.    und 
fühle  doch,  dass  ich  roth  Averde"  (Briefe  von  .Toliann  Heinrich 
Voss  2,  339  f.). 


1798  HERMANN   UND    DOROTHEA.  153 


März  17,  Weimar.  326 

Den  französischen  Aufsatz  über  ^Hermann'  habe  ich 

nun  noch  einmal,  und  zwar  mit  Ihren  Augen,  angesehen 

und   ihn  denn    auch    von    der  Art  gefunden,  dass  man 

5       damit  nicht  ganz  unzufrieden  sein  solle.  Ja  er  wäre  ein 

Wunder,  wenn    ihn    ein  Franzos  geschrieben    hätte;    es 

ist  aber  ein  Deutscher,  wie  ich  wohl  weisse 

An  Schiller.  —  Br.  13,  96,  1—6. 

April  28.  Weimar.  327 

10  Ich  will  nun  auch  Freund  Humboldt  antworten  und 

ihn  besonders  ersuchen,  mit  Brinckmann  einen  proso- 
dischen    Congress   über   ,Hermann   und   Dorothea'    zu 
halten,  so  wie  ich  Ihnen  noch  mehr  dergleichen  Fragen 
im  Allgemeinen  vorzulegen  gedenke-. 
15  An  Schiller.  —  Br.  13.  126,  15—19. 

]  [April?  Weimar?]  328 

Sie   haben   tnir    durch    Ihren    Brief    und    durch    das 


'  Schiller  hatte  am  14.  März  gesehrieben:  ,,Der  Discours  über 
.Hermann  und  Dorothea'  gefällt  mir  doch  gar  nicht  übel,  und 

20      wenn  ich  wüsste,  dass  er  von  einem  recht  leibhaften  Fran- 
zosen hernilu'te,  so  könnte  mich  diese  Empfinglichlieit  für 
das  Deutsche  des  Stoffes  imd  das  Homerische  der  Form  er- 
freuen und  rühren"  (Schillers  Br.  5,  360). 
Der    Verfasser     des  Aufsatzes    hat    noch    nicht    ermittelt 

25      werden  kihinen  (vgl.  E.  v.  d.  Hellen  in  Br.  13.  387  zu  S.  96. 
1,  und  unten  154,  31—34.  ferner  F.  Jonas  in  Schillers  Br.  5.  556 
zu  S.  360,  12,  und  G.-Humboldt  S.  51). 
-  An  Wilhelm  von  Humboldt,  der  sicli  gleichzeitig  mit  Brinck- 
mann in  Paris  aufhielt,  schrieb  Goethe  erst  am  16.  .Juli  dieses 

30  Jahres:  „Da  Sie  denn  doch  einmal  ein  so  erklärter  Deutscher 
sind,  so  wünschte  ich.  dass  Sie  noch  mit  Brinckmann  eine 
Prosodie  unserer  Sprache  zu  Staude  brächten,  die  sich  auch 
von  Pai'is  her  datirte.  es  wäre  kein  geringes  Verdienst,  be- 
sonders um  Poeten  von  meiner  Natur,  die  nun  einmal  keine 

35      gra)iimatische  Ader  in  sich  fühlen"  (Br.  13.  217.  18—24». 

„Ihnen"  (Z.  13)  in  ..ihnen"  zu  ändern,  was  nahe  liegt  ist  man 
nach  Br.  13.  393  (zu  S.  126,  18)  nicht  berechtigt. 


154  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1798 


J [April V    Weimar?]  [328] 

Ueberschickte^  eine  ans  manchen  Elementen  zusammen- 
gesetzte Freude  gemacht.  In  der  Zeit,  wo  das  rechte 
und  linke  Rheinufer  im  schwersten  Conflicte  sind,  lassen 
Sie  mich  fühlen,  dass  es  im  Einzelnen  noch  eine  völlige  5 
Uebereinstimmung  der  Gemüther  gebe;  wenn  ich  denken 
muss,  dass  die  Zeit  und  die  Ungeheuern  Wirkungen  alle 
einzelne  Empfindungen  müssen  ausgelöscht  haben,  so 
versichern.  Sie  mich,  dass  es  Personen  an  dem  Orte  gibt, 
denen  ich  eine  frühere  Bildung  verdanke,  [die]  sich  eines  lo 
Verhältnisses  gern  erinnern,  das  freilich  unschätzbar  ist 
und  nicht  ■«ieder  kommt,  weil  beide  Theile  sich  nun 
mit  der  Zufriedenheit,  die  nur  das  Edle  und  dute  be- 
gleitet, sich  dessen  erinnern  können.  ...  So  selten  es 
ist,  einen  wirklichen  Einklang  bei  so  viel  Scheinbarem  i5 
zu  vernehmen,  so  sehr  muss  er  erfreuen,  wenn  man  ihn 
gewahr  wird.  Wie  angenehm  muss  es  uns  sein,  uns  mit 
Ihnen  in  dem  Fall  zu  befinden. 

.  .  .  Möchte  doch   bald    die  Communication  zwischen 
beiden  Ufern  sich  ganz  frei  wieder  herstellen,  dass  wiv  20 
nicht  nur  in  Schriften  und  Gesinnungen,  sondern  auch 
in  persönlicher  Gegenwart  auf  eine  sichre  und  bequeme 
Weise  mit  einander  communiciren  können. 

An  J.  G.  Schweighäuser.  —  Br.  13,  128,  1—20.  129,  1— G. 

Mai  2,  Weimar.  329  25 

Die  englische  IJebersetzung  meiner  ,Dorothea'^,  welche 
Herr  Mellish  unternommen  hat,  ist,  wie  er  mir  gestern 
sagte,  fertig;  er  will  mir  die  vier  ersten  Gesänge  zeigen, 
die  er  mit  liat.  Ich  selbst  kann  so  was  gar  nicht  beur- 
theilen;  ich  will  veranlassen,  dass  Schlegel  sie  zu  sehen  3« 


Der  in  Strassburg  lebende  Adressat  „gab  iu  eiuem  Brief  au 
Goethe  vom  7.  April  seiner  Bewunderung  für  .Hermann  und 
Dorothea'  Ausdruck  und  übersandte  den  Druck  eines  fran- 
zösischen Aufsatzes,  den  er  über  dieses  Gedicht  geschriebeu" 
(E.  V.  d.  Hellen  in  Br.  13,  393  zu  Nr.  3784).  vgl.  (^».-Humboldt  35 
S.  51. 


1798  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1.'.5 

[Mai  2,  Weimar.]  [329] 

kriegt,  der  das  Verhältniss  beider  Sprachen  mehr  stu- 
dirt  hat\ 

An  Schiller.  —  Br.  1.3.  13ö.  20—26. 

5  Mai  1.5,  Weimar.  —  s.  11.  14—17.  24—20.  330 

Mai  10.  Weimar.  331 

Von  einer  unerwartet  erfreulichen  Xovität  habe  ich 

keine  Ahndung  noch  Muthniassung,  doch  soll  sie  mir 

ganz  willkommen  sein-.    Es  ist  nicht  in  meinem  Lebens- 

10       gange,    dass    mir    ein  unvorbereitetes,  unerharrtes    und 

unernmgenes  Gute  begegne. 

An  Schiller.  —  Br.  13,  149. 15—10. 

Mai  19,  Weimar.  332 

Humboldts  Arbeit^  erwartete  ich  wirklich  nicht  und 

15       freue  mich  sehr  darauf.  Um  so  mehr  als  ich  fürchtete. 


'  Im  Briefwechsel  zwischen  Goethe  und  A.  W.  Schlegel  wird 
die  Uebersetzwng  nicht  genannt;  Schiller  thut  ihrer  Erwäh- 
nung am  24.  August  1799  (Br.  0.  77)  und  sagt.  Mellish  habe 
sie  dem  Buchhändler  .John  Bell  in  London  ..zum  Verlag  ge- 

co      geben".     Sie  scheint  jedoch  nicht  herausgekommen  zu  sein. 

-  Am  12.   Mai    hatte   Schiller    die  Abhandlung   Wilhelm    von 

Humboldts    über    , Hermann  und  Dorothea'    im   Manuscript 

erhalten,  imd  davon  am  1.5.  Mai  an  Goethe  geschrieben:    ..Da 

Sie  hoffentlich  nächstens  hier  sind,  so  behalte  Ich  bis  dahin 

25       eine    ganz    neue    und  unerwartete  Novität  zuräck.    die    Sie 

.sehr  nahe  angeht  und  die  Ihnen  viel  Freude  machen  wird. 

wie  ich  hoflfe.     Vielleicht   erratheu   Sie   sie   aber"   (Schillere 

Br.  5.  382). 

^  Schiller  hatte  am  IS.  Mai  mitgt'theilt:  ..   .  .  die  Xovität.  von 

30  der  ich  Ihnen  schrieb  imd  worülier  ich  Sie  nicht  in  eine  zu 
grosse  Erwartung  setzen  will,  ist  ein  Werk  über  Ihren  , Her- 
mann", von  Hvimboldt  mir  in  ^Manuscript  zugeschickt.  Ich 
nenne  es  ein  Werk,  da  es  ein  dickes  Buch  geben  wird,  und  in 
die   Materie  mit   grösster   Ausfülulichkeit   und   Gründlichkeit 

35  eingeht.  Wir  wollen  es.  wenn  es  Ihnen  recht  ist,  mit  einan- 
der lesen;  es  wird  alles  zur  Sprache  bringen,  was  sich  durch 
Raisonnement  über  die  Gattung  und  die  Arten  der  Poesie  aus- 
machen oder  ahnden  lässt.  Die  scheine  Gerechtigkeit,  die 
Ihnen  darin  durch  einen  denkenden  Geist  und  durch  ein  gc- 


156  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1798 

[Mai  19,  Weimar.]  [332] 

dass    uns    seine    Eeise    seinen    theoretischen    Beistand, 
wenigstens  auf  eine  Weile,  entziehen  würde.    Es  ist  kein 
geringer  Vortheil  für  mich,  dass  ich  wenigstens  auf  der 
letzten  Strecke    meiner    poetischen  Laufbahn    mit    der    5 
Ki'itik  in  Einstimmung  gerathe^. 

All   Schiller.  —  Br.   13.   151,  10—16. 

Mai  21,  Jena.  333 

Gegen  Abend  bei  Schiller,  den  Humboldtischen  Auf- 
satz über  das  epische  Gedicht  angefangen.  lo 
Tgb.  2.  208,6-8. 

Mai  22,  Jena.  331 

Abends  bei  Schiller,  Fortsetzung  der  Humboldtischen 
Abhandhmg,  über  die  Ilias-. 

Tgb.  2,  208,  11—13.  j5 


fühlvolles  Herz  erzeigt  wird,  muss  Sie  freuen,  so  wie  dieses 
laute  und  gründliche  Zeugnlss  auch  das  unbestimmte  Ur- 
theil  unsrer  deutschen  Welt  leiten  helfen,  und  den  Sieg  Ihrer 
:Muse  über  jeden  AViderstaud.  auch  auf  dem  Wege  des  Rai- 
sounements  entscheiden  und  beschleunigen  wird"  (Schillers  20 
Br.  5,  385). 

^  In  Schillers  Briefe  vom  18.  Mai  heisst  es  weiter:  „Ueber 
das.  was  ich  mit  Cotta  gesprochen,  mündlich.  Was  mich 
aber  besonders  von  ihm  zu  hih-en  freute,  ist  die  Nachricht, 
die  er  mir  von  der  ungeheuren  Ausbreitimg  .Hermanns  und  25 
Dorotheas'  gab.  Sie  haben  sehr  recht  gehabt,  zu  erwarten, 
dass  dieser  Stoff  für  das  deutsche  Pulüicum  besonders 
glücklich  war,  denn  er  entzückte  den  deutschen  Leser  auf 
seinem  eigenen  Grund  und  Boden,  in  dem  Kreise  seinei' 
P"'ähigkeit  und  seines  Interesses,  und  er  entzückte  ihn  doch  30 
wirklich,  welches  zeigt,  dass  nicht  der  Stoff,  sondern  die 
dichterische  Belebung  gewirkt  hat.  Cotta  meint.  Vieweg 
hätte  eine  wohlfeile  schlechte  Ausgabe  gleich  veranstalieu 
sollen,  denn  er  sei  sicher,  dass  bloss  in  Schwaben  eiiiiue 
tausende  würden  abgegangen  sein"  (Schillers  Br.  5,  385  f.).     35 

Am  20.  Mai  Nachmittags  reiste  Goethe  für  einige  Zelt  nach 
Jena. 

-  s.   14,  36—15,  25. 


1798  HERMANN   UND   DOROTHEA.  157 

Mai  23,  Jena.  335 

Abends  bei  Schiller,  Fortsetzung  des  Huraboldtischen 

Aufsatzes.  Und  bei  Gelegenheit  desselben  viel  über  das 

epische  Gedicht  [,Hermann  und  Dorothea']    und    über 

5       das,  was  zunächst  wohl  vorzunehmen  wäre. 

Tgb.  2,  208,  16—19. 

Mai  25,  Jena.  336 

Abends  bei  .  .  Schiller.  Humboldts  Abhandlung  fort- 
gesetzt, ,  . 
10  Tgb.  2,  209.  2-4. 

Mai  26,  Jena.  337 

Abends  bei  Schiller  den  Humboldtischen  Aufsatz  fort- 
gesetzt. Ueber  epische,  dramatische  und  lyrische  Dicht- 
kunst. 
15  Tgb.   2.   209,9—11. 

Mai  27,  Jena.  33S 

Abends     bei    Scliiller.     Fortsetzung    von    dem  Hum- 
boldtischen Aufsatz. 
Tgb.  2,  209,  14—16. 

23  Juni  30,  Weimar.  339 

Ihr  Schreiben  an  [Wilhelm  von]  Humboldt  ist  zwar 
recht  schön  und  gut,  doch  wird  es  dem  Freunde  nicht 
ganz  erquicklich  sein,  denn  es  druckt  nur  allzusehr  aus: 
dass  diese  Arbeit  nicht  ganz  in  unsere  gegenwärtigen 
25  Umstände  eingreifen  konnte.  Sie  haben  einen  recht 
wichtigen  Punct  berührt:  die  Schwierigkeit,  im  Prak- 
tischen etwas  vom  Theoretischen  zu  nutzen^.  Ich  glaube 


^  In  seinem  langen  Briefe  an  Humboldt  vom  27.  .Juni  sagt 
Schiller:  ...Meine  ganze  Thätigkeit  hat  sich  gerade  jetzt  der 
Ausübung  zugewendet  [gleich  der  Goethes,  s.  oben  Z.  24  f. 
..gegenwärtige  Umstände"],  ich  ei'fahre  täglich,  wie  wenig 
der  Poet  durch  allgemeine  reine  Begriffe  bei  der  Aus- 
übung gefördert  wird,  und  wäi"e  in  dieser  Stimmung  zuweileu 
unphilosophisch  genug.  Alles,  was  ich  selbst  und  andere  von 
der  Elementarästbetik  wissen,  für  einen  einzigen  empiri- 
schen Yortheil,  für  einen  Kvmstgriff  des  Handwerks  hinzu 


158  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1798 


[Juni  30,  Weimar.]  [339] 

wirklich,  dass  zwischen  beiden,  sobald  man  sie  getrennt 
ansieht,     kein  Y  e  r  b  i  n  d  ii  n  g  s  m  i  1 1  e  1     statt  finde, 
und  dass  sie  nur  in  so  fern  verbunden  sind,  als  sie  von 
Haus  aus  verbunden  A^-irken,  welches  bei  dem  Genie  von    5 
jeder  Art  statt  findet. 

An  Schiller.  —  Br  13,  198,  1—12. 

Juli  12,  Weimar.  340 

Auf  Ihren  Brief,  werthester  Herr  Yieweg,  früher  zu 
antworten  hat  mich  eine  kleine  A'erlegenlieit  abgehalten,  lo 
indem  ich  wirklich  nicht  weiss,  was  ich  darauf  erwidern 
könnte.     Ich  läugne  nicht,  dass  ich  bei  unserer  Abrede, 
mir  eine  Octavausgabe  gleichzeitig  mit  der  in  Duodez 
dachte,  wenigstens  erwartete  ich  sie  <iuf  der  Ostermesse. 
Xun  aber    will    ich  auch    nicht  dagegen    sein,    dass  Sie  15 
solche  noch  nachbringen,  und  wünsche,  dass  sie  Ihnen 
einigen  Yortheil    gewähre.     Wahrscheinlich  nehme    ich 
das  Gedicht  in  Bezug  auf  eine  zweite  Ausgal>e  so  bald 
nicht  wieder  vor^,  -«-ie  ich  denn  auch  gegenwärtig  keine 
Yeränderungen    mittheilen    könnte;    doch    möchte    ich  20 
nicht  ausdrücklich  Ihr  Yerlagsrecht  verlängern-,  da  so 
manche  Umstände  eintreten  können,  unter  welchen  man 
nicht  gebunden  zu  sein  wünscht. 
An  Yieweg.  —  Br.  13,  203.  6—21. 


geben.  In  Rücksiclit  auf  das  Hervorbringen  werden  Sie  mir  25 
zwar  selbst  die  Unzuläugliclikeit  der  Theorie  einräumen,  aber 
ich  dehne  meinen  Unglauben  auch  auf  das  B  e  u  r  t  h  e  i  1  e  n 
aus  und  mfichte  behaupten,  dass  es  kein  Gefäss  gibt,  die 
Werke  der  Einbildungskraft  zu  fassen,  als  eben  diese  Ein- 
bildungskraft selbst,  und  dass  auch  Ihnen  die  Abstraction  30 
und  die  Sprache  Ihr  eigenes  Anschauen  und  Empfinden  nur 
unvollkommen  hat  ausmessen  und  ausdrücken  können" 
(Schillers  Br.  5,  394). 

'  Diess  geschah  erst  für  den  Druck  in  den  Werken  C'otta'  1806 
und  1807.    Hier  scheint  es  sich  um  die  Ausgabe  von  1799  zu  35 
handeln,  vgl.  Nr.  352.  353. 

^  Vgl.  101.  5—8. 


1798  HERMANN   UND   DOROTHEA.  159 

Juli  12,  Weimar.  3-U 

[Nach]    Berlin    [an]    Vieweg:     Antwort    wegen    der 
zweiten  Ausgabe  von  , Hermann  und  Dorothea'   [s.  Xr. 
340]. 
5  Briefverzeicliniss  1798.  —  Br.  13,434. 

Juli  IG,   [Jena?  und]   Weimar^  342 

Bei  meiner  Ankunft  hier  überraschte  midi  Schiller 

mit  Ihrem  Aufsatze  über  , Hermann  und  Dorothea',  wir 

lasen  den  grössten  Theil  zusammen  und,  nachdem  wir 

10  verschiedene  ]\Ial  unterbrochen  worden,  habe  ich  den 
Schluss  für  mich  allein  gelesen  und  nach  Anleitimg  des 
Inhalts  und  der  Uebersicht  manche  einzelne 
Theile  wiederholt,  und  nun  sei  Ihnen  dafür  sogleich  der 
schönste  und  beste  Danlc  gesagt. 

15  Dass  Sie  Ihre  Theilnahme  für  mich  und  meine  Ar- 

beiten auch  mit  in  das  merkwürdige  Land"  nehmen 
würden,  durfte  ich  hoffen,  dass  Sie  aber  ein  so  fortge- 
setztes Nachdenken  meinem  Gedichte  widmen  sollten, 
dass  Sie  sich  entschliessen  könnten,  eine  so  grosse  Ar- 
-^  beit,  als  diese  Entwicklung  ist,  in  einer  Zeit  zu  unter- 
nehmen, die  Ihnen  so  mannigfaltige  andere  Genüsse 
anbot,  konnte  ich  auch  nicht  zum  fernsten  ahnden,  und 
diese  Erscheinung  ist  mir  nun  um  so  erfreulicher,  t^Ls 


'   Dieser   Brief   trägt,   aui    Stliluss.   das   Ortsdatuiu   ..Weimar"'. 
25      Da  aber  unter  den  Worten  ..Bei  meiuer  Anlcunft  liier"  (Z.  7) 
nur  Jena  verstanden  werden  kann,  wo  Goethe,  am  20.   Mai 
ankommend.  Abends  Seliiller  besuclite  (vgl.  Tgb.  2.  208,  2—4), 
und  am  folgenden  Tage  die  gemeinsame  Leetüre  von  Hum 
boldts  Abhandlung    begann  (s.  Xr.  333).    so  muss    der  Brief 
30      theihveise  in  Jena  gesehrieben  und  in  Weimar  beendet  sein. 
Der  Ausdruck    „überraschte"  (Z.   7l  ist  vollberechtigt,    ob- 
gleich Schiller,  wie  155,  31  f.  beweist,  schon  vorher  über  das 
Werk  und  dessen  Verfasser  an  Goethe  geschrieben  hatte. 
"  Frankreich.  Im  Druck  der  Abhandlung  trägt  der  zwischen 
35      das  Inhaltsverzeichniss  und  den  Text  eingefügte  Nebentitel 
die  Datirung  „Paris,  im  April  1798". 


IGO  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1798 

[Juli  16,  [Jena?  und]  Weimar.]  [342] 

sie  mir  beweist,  wie  innig  Sie  der  Kunst,  Ihrem  Vater- 
lande und  Ihren  Freunden  angehören. 

Ich  will  Ihnen  gern  gestehen,  dass  mich  Ihr  Studium 
meines  Gedichtes,  wenn  Sie  auch  nicht  ganz  so  günstig  s 
davon  zu  urth  eilen  geneigt  gewesen  wären,  doch  be- 
schämt haben  würde,  wenn  ich  nicht  zugleich  gedächte, 
dass  es  Ihnen  mit  angehört  und  Sie  also  eine  Art  von 
Xeigung,  wie  zu  einer  eignen  Arbeit,  gegen  dasselbe 
fühlen  müssen.  Es  ist  nicht  eine  Höflichkeit,  die  ich  lo 
hier  sage,  denn  Sie  \Aassen  selbst,  -wie  sehr  wir  in  dem 
Kreise,  in  dem  wir  nun  schon  eine  Zeit  lang  zusammen 
leben,  uns  wechselseitig  auszubilden  unaufhörlich  ge- 
arbeitet haben. 

Dem  sei  nun  wie  ihm  sei,  so  habe  ich  Ursache  mich  is 
zu  freuen,  dass  gerade  meine  Arbeit  Sie  veranlasst  hat, 
diese  \Aächtige  Materie  durchzudenken,  mit  sich  selbst 
darüber  einstimmig  zu  werden,  und  eine  lebhafte  Com- 
munication  mit  uns  und  andern  zu  eröffnen. 

Auch  diese  Ihre  neue  Schrift,  in  welcher  Sie  uns  20 
einen  solchen  Schatz  von  Ideen  und  Beobachtungen 
überliefern,  soll  Ihnen  künftig  doppelt  werth  sein,  wenn 
Sie  durch  die  That  erfahren,  dass  sie  in  mehr  als  Einem 
Sinne  auf  mich  gewirkt  hat.  Mein  lebhafter  Wunsch  ist 
der,  bald  wieder  an  eine  neue  epische  Arbeit  [,Achil-  25 
leis']  gehen  zu  können.  Ich  habe  zeither  sehr  viel  über 
diese  Dichtungsart  gedacht,  und  Ihr  Aufsatz  hat  nicht 
allein  alles  wieder  auf's  neue  und  von  A^erschiednen 
Seiten  erregt,  sondern  er  hat  mich  auch  auf  gewisse 
Puncte  aufmerksam  gemacht,  die  mir,  ob  ich  sie  gleich  30 
im  Auge  hatte,  doch  erst  durch  Ihre  Ableitimg  recht 
wichtig  geworden  sind.  So  freue  ich  mich  voraus,  dass 
Sie  dasjenige,  was  Sie  billigen  und  für  recht  halten,  in 
meinen  Arbeiten  noch  inmier  mehr  ausgedruckt  und 
vollendet  finden  sollen.  35 


1798  HERMANN  UND   DOROTHEA.  161 

[Juli  16,  [Jena?  undj  Weimar.]  [342] 

Indem     ich.    Ihnen     nun    diesen    praktischen    Dank 
bereite,  so  Trird  Schiller  Sie  umständlicher  unterhalten, 
wie  der  Theoretiker  Ihre  Deduction  aufnehmen  möchte, 
5       wozu  mir  von  dem  Himmel  das  Organ  versagt  ist. 

Xehmen  Sie  nun  auch  meinen  Dank  für  die  freund- 
schaftKche  Art,  mit  der  Sie  meiner  Mängel  erwähnen. 
Man  mag  sich  noch  so  sehr  zum  iyigemeinen  ausbilden, 
so  bleibt  man  immer  ein  Individuum,  dessen  Xatur, 
10  indem  sie  gewisse  Eigenschaften  besitzt,  andere  noth- 
wendig  ausschliesst. 

An  W.  v.  Humboldt.  —  Br.  13,  214,  19—  216,  28. 

Juli  28,  Weimar.  343 

Aufrichtig  .  .  will  ich  gestehen,  dass  ich  nicht  sehe, 
15      wie  es  mögHch  sein  soll,  eine  Eevision  seiner  [Wilhelm 
von  Humboldts]  Arbeit,  wie  er  sie  vorschlägt,  zu  veran- 
stalten.   Denn  wenn  Sie,  nach  Ihrer  Vorstellung,  daran 
zu  rücken  anfangen,    so  wird  Ja  das  Gebäude  mehr  ge- 
regt, als  dass  es  in  aUen  seinen  Fugen  bleiben  könnte. 
20      Xach  meiner  Vorstellungsart  Hesse  sich  so  etwas  kaum 
durch  Gegenwart  und  Gespräch  leisten^. 
An  Schiller.  —  Br.  13,  232, 12—20. 


^  Humboldts  Brief  an  Schiller  scheint  nicht  mehr  vorhanden; 
er  war  am  25.  Juli  angeliommeu,  und  Schiller  hatte  ihn  zwei 

25  Tage  später  an  Goethe  geschickt,  mit  der  Bemerliung:  die 
von  Humboldt  erwartete  Durchsicht  des  Werkes  komme  ihm 
„etwas  ungelegen,  und  das  Corrigiren  in  fremden  Arbeiten 
ist  eine  ebenso  undankbare  als  schwierige  Arbeit"'  (Schillers 
Br.  5,  410). 

30  Die  Abhandlung  erschien  1799  unter  dem  Titel  ,Wilhelm 
von  Humboldt's  Aesthetische  Versuche.  Erster  Theil.  Ueber 
Göthe's  Hen-mann  und  Dorothea'  bei  dem  Verleger  der  Dich- 
tung, Friedrich  Vieweg,  der  sein  Geschäft  inzwischen  nach 
Braunschweig  verlegt  hatte. 

35  Schiller  wird  sich,  bei  aller  Anerkennung  der  Gründlich- 
keit, Tiefe  und  Feinheit  des  Werkes,  doch  bald  der  daran  ge- 
knüpften Hoffnung  (s.  156, 17—20)  entschlagen  haben.  Er 
fürchte  schreibt  er  an  Körner  am  25.  Mai  1798:  „es  wird  lange 
Graf,  Goethe  über  seine  Dichtungen  T.    I.  11 


162  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1799 


1799. 

März  15,  Weimar.  —  s.  18.  9—11.  344 

Mai  7,  Jena.  345 

Die  Viewegischen  Exemplare  von  ^Hermann  und  Do- 
rothea' schicken  Sie  mir  doch  hierher,  damit  ich  sie  be-    5 
schaue,  ehe  ich  sie  an  Freunde  austheile^. 
An  H.  Meyer.  —  Br.  14,  81,  3—5. 

Mai  9,  Jena.  346 

Die    vier  Exemplare    .Hermann  und  Dorothea'    sind 
glücklich  angekommen^.  lo 

An  H.  Meyer.  —  Br.  14,  83,  8  f. 

Mai  9,  Jena.  347 

.  .  ein  Bote  von  Weimar  mit  den  Exemplaren  , Her- 
mann und  Dorothea'  [s.  Xr.  345]. 

Tgb.  2,  247,  2  f.  15 

Mai  12,  Jena.  348 

Ich    schicke  Dir  von  ,Hermann  und  Dorothea'  zwei 

Exemplare,  eins  für  die  Mutter^  und  eins  für  Dich;  lasse 


den  Eindruck  niclit  maclien,  den  es  verdient,  denn  ausserdem 
da  SS  es  mit  den  bekannten  Fehlern  des  Humboldtiscben  Stils  20 
behaftet  ist,  ist  es  für  einen  allgemeinen  Gebrauch  noch  viel 
zu  schulmässig  steif  geschrieben",  xmd  gegen  Humboldt 
selbst  bekennt  er  ganz  offen  (27.  Juni  1798),  das  Buch  sei  „für 
den  geTvöhnlichen  Leser  zu  technisch  und  auch  zu  streng,  für 
den  Kunstgenossen  aber  oft  unnöthigerweise  ausführlich  und  25 
popularisirt"  (Schillers  Br.  5,  386.  396;  vgl.  auch  ebenda  5. 
432  f.  6,  12  und  Schüler-Körner  2,  320). 

,,Vier  von  sieben  Exemplaren  der  , Neuen  Ausgabe  mit  zehn 
Kupfern'  [s.  81,3—5],  am  26.  April  durch  Böttiger  an  Goethe 
geschickt"  (E.  v.  d.  Hellen  in  Br.  14,  261  zu  S.  81.  3).  30 

s.  Nr.  345. 
'  Christiane  hatte  um  ein  E:Semplar  für  Goethes  Mutter  ge- 
beten (Br.  14,  263  zu  S.  91,  5). 

Am  24.  Mai  bedankte  Frau  Rath  sich  bei  Goethe:    ..Lieber 
Sohn:    Sage    meiner    lieben  Tochter    vielen    und  herzlichen  35 
Dank  für  das  vortreffliche  Exemplar  von  .Hermann  und  Do- 
rothea' —  das  Werk  verdient  solche  Verschönerungen  [wohl 


1799  HERMANN   UND   DOROTHEA.  163 


[Mai  12,  Jena.]  [348] 

aber  Deins  nicht  durch  viele  Hände  gehen,    indem  ich 
Dir,    "n'enn's   beschmutzt     ist,    kein»     so    leicht    wieder 
scliaffen  kann,  und  lebe  indessen  recht  wohl. 
5  An  Christiaue.  —  Br.  14,  91,  4—8. 

Mai  12,  Jena.  349 

[Brief  an]  Dem.  Yulpius  .  .  .  zwei  Exemplare  , Her- 
mann und  Dorothea"  [.«.  Xr.  348]. 
Tgb.  2,  248, 13.  15  f. 

10  Mai  20.  .Jena.  —  s.  25,  5—10.  349a 

Juli  10,  Weimar.  350 

Ich  lege  meine  letzte  Arbeit  bei,  welche  durch  einen 
Ihrer  Landsleute,   der   sich    in  unserer   Xachbarschaft 
aufhält^,  übersetzt  worden  ist. 
15  Sollte  ich  in  dieser  oder  in  einer  ähnlichen  Art  wieder 

etwas  publiciren,    so  werde  ich   es  mit  Vergnügen  mit- 
theilen, .  . 

An  J.  Daltou.  —  Br.  14,  130,  8-13. 


mit  Bezug  auf  die  Kupfer  gesagt]  —  denn  es  ist  ein  Meister- 
te     stück  ohne  gleichen:  Ich  trage  es  herum  wie  die  Katze  ihre 
Jungen  —  bis  Sonntag  nehme    ich    es  mit    zu  Stoclis  —  die 
werden  krähen    und  jublen.  .  .  .  Uebrigens  freue    ich  mich, 
dass  Du  wieder  in  oder  um  Jena  bist  —  da  gibt's  wieder  so 
einen  , Hermann'  —  oder  dergleichen  —  Gott  segne  Dich  und 
25      erhalte  Dich  gesund  und  froh"  (SdGG.  4,  177,2—9.  178.4—8). 
Später,  am  22.  März  1800,  schreibt  Goethes  Mutter:  ..Senior 
Hufnagel  überschickt  Dir  hier  etwas  —  dass  von  , Hermann 
und  Dorothea'  die  Rede  darinnen  ist,  kannst  Du  leicht  er- 
ratheu —  dieses  vortreffliche  Werk  hat  auf  ihn  einen  Eindruck 
30      gemacht,  der  nicht  leicht  grösser  sein  kann"  (SdGG.  4,  189. 
19 — 23).     Das  Ueberschickte  war  die  Abhandlung  .I'eber  das 
Verdienst    des    vollendeten    Gesangs:    Hermann   und  Doro- 
thea,   religiösen   Bürger-    und    Familiensinn   allgemeiner   zu 
verbreiten'    in    Hufnagels    ,Für   Christenthum,    Aufklärung 
35      und  Mensehenwohr  Band  2  Heft  8,  XX  (nach  Suphans  An- 
gabe SdGG.  4.  385  zu  S.  189.  19). 
'  s.  Nr.  329.    Mellish  wohnte  in  Dornburg. 


164  HERMANN  UND  DOROTHEA.  1799 

Juli  13,  Weimar.  351 

.Hermann  und  Dorothea'  nach  London  abgeschickt^ 
durch  Herrn  Bergrath  Scherer. 
Tgb.  2,  256, 11  f. 

August  5,  Weimar.  35l;    & 

Mit  Herrn  Yieweg  hatte  ich  bisher  alle  Ursache  zu- 
frieden zu  sein,  indem  er  seine  Obliegenheiten  gegen 
mich  pünctlich  erfüllt  hat;  aber  das  kann  ich  nicht 
loben,  dass  er  ,Hermann  und  Dorothea'  als  den  ersten 
Band  einer  neuen  Sammlung  verkauft,  worüber  zwischen  lo 
uns  keine  Abrede  getroffen  worden-. 
An  Unger.  —  Br.  14,  144,  16—21. 

September  22,  Jena.  353 

Dass  Herr  Yieweg  , Hermann  und  Dorothea'  auch  als 
ersten  Band  neuster  Schriften  ausgibt,    daran    thut    er  is 
nicht  wohl,  indem  liierüber  zwischen  uns  nichts  verab- 
redet worden^. 

An  Cotta.  —  Br.  14,  189, 15—18. 


^  Vielleicht    dieselbe  Sendung    wie  die  in  Nr.  350  genannte".' 
Dalton  hatte  als  seine  Adresse  angegeben   „Dalton  Albury  2» 
Guildford  Angleterre"  (Br.  14,  268  zu  Nr.  4079). 

^  Goethes  Verleger  Unger  in  Berlin  ,, hatte  am  23.  Juli  gemel- 
det, dass  Vieweg  die  Dichtung  unter  dem  Titel  ,Neue 
Schriften  Erster  Band'  gedruckt  habe;  er  sah  hierdurch 
sein  gleichbetiteltes  Unternehmen  [,Goethe's  neue  Schriften'  25 
sieben  Bände,  1792—1800]  gescliädigt  und  fragte  an,  ob  Vie- 
weg von  Goethe  dazu  ermäclitigt  sei"  (Br.  14,  272  zu  S.  144. 
19). 

Ungers  Angabe    war  übrigens    nicht    genau,  insofern    di»^ 
neue  Ausgabe  Viewegs  nicht  als  „Erster  Band"  bezeichnet  3> 
ist,  vgl.  81,  10—14. 

Die  dieser  Ausgabe  beigegebenen  unerfreulichen  Kupfer 
(vgl.  81,  5—9)  hatte  Catel  gezeichnet.  Wilhelm  von  Humboldt 
sandte,  Ende  August  1799  von  Paris  aus,  eine  Zeichnung 
Catels  an  Goethe,  mit  dem  Bemerken:  „Er  wünschte  sie  35. 
Ihnen  vorzulegen,  um  vielleicht  dadurch  das  ungünstige  Ur- 
theil  auszuwischen,  was  die  Kupfer  zu  , Hermann  und  Doro- 
thea' bei  Ihnen  erweckt  haben  könnten"  (G. -Humboldt  S,  130). 

'  Vgl.   Nr.  3.52. 


1800  HERMANN   UND   DOROTHEA.  165 


ISOO. 

März  5,  Weimar.  354 

Durch  die  Vorschläge  zur  Verbesserung  meiner  [Eö- 

mischen]  Elegien  haben  Sie  mir  eine  besondere  Gefällig- 

5       keit  erzeigt.  .  .  nun   folgt    mit  meinem  Danke  freilieh 

auch  die  zweite  Sammlung.  .  .  . 

Meine  gegenwärtige  Lage  ist  so  unpoetisch  als  unkri- 
tisch imd  es  sind  mir  daher  bei  diesem  Geschäft,  dem  ich 
nicht    ausweichen   kann,    die  freundschaftlichen  Winke 

10      um  desto  schätzbarer^. 

Au  A.  W.  Schlegel.  —  Br.  15,  33, 1—5.  S— 11. 

Mai  7,  Leipzig.  355 

Heute    erhielt    ich   die    Probe   von    Bitaubes   Veber- 
setzung  von  .Hermann  und  Dorothea'-. 
15  Tgb.  2,  293, 10  f. 


20 


'■  Baud  T  von  Goethes  , neuen  Schriften',  erschienen  1800,  ent- 
hält imter  den  Gedichten  auch  die  beiden  Abtheilungen  der 
Elegien. 

Schlegel  schickte  das  Manuscript  am  8.  März  zurück, 
., nebst  wenigen  Vorschlägen,  die  ich  Ihnen  wie  die  vorigen 
auf  Gnade  und  Ungnade  übergebe"  (SdGG.  13,  G7).  Die  Tor- 
schläge für  die  Elegie  ,Hermanu  und  Dorothea'  sind  abge- 
druckt W.  1,  431  f. 
Seine  Absicht,  die  bis  dahin  uugedruckte  Elegie  jetzt  an 

25  dieser  Stelle  zu  veröffentlichen,  theUte  Goethe  Schillern  am 
2.3.  März  mündlich  mit.  wie  aus  Schillers  Briefe  vom  24. 
März  hervorgeht,  in  dem  es  heisst:  ,.Da  Sie.  wie  Sie  gestern 
sagten,  die  noch  ungedruckte  Elegie,  welche  so  viel  persön- 
liche Beziehung  auf  Sie  selbst  hat.  mit  abdnicken  lassen . ." 

30      (Schillers  Br.  ß.  143t. 

^  .Herman  et  Dorothee.  eu  IX  chants;  Poeme  allemand  de 
Goethe,  traduit  Par  Bitaube.  .  .  Paris  et  Strasbourg.  Treut- 
tel  et  Wurtz.  de  Timprimerie  de  Didot  le  jeune.  An  IX.  — 
1S00-.  Mit  einem,  nach  Catel  von  F.  Huot  gestochenen, 
Kupfer  zu  Gesang  8  V.  91-98.  -  Bitaiibes  Uebertragung  ist 
in  ungebundener  Rede  verfasst. 


35 


166  HERMANN   UND   DOROTHEA.  ISO» 


November  3,  Weimar.  35ß 

So  könnte   ich  Dir   die  Ueljersetzung   von  ,Hennann 
und  Dorothea'    durch  Bitaube    schickend     Die  Ueber- 
setzmig  selbst  sowohl  als  seine  Aeusserungen  in  der  Vor- 
rede, und  einige  Bemerkungen  eines  Eecensenten,  in  der    5^ 
jDecade  philosophique',  sind  desshalb  merkwürdig,  weil 
die  französische  Nation  hier  in  einem  bedeutenden  Ge- 
gensatz gegen  die  deutsche  erscheint.   Es  zeigt  sich,  dass 
Avir  durch  Schätzung  des  Mittelstandes  echt  republica- 
nische  Gesinnung  verrathen,  anstatt  dass  die  Eepubli-  lo 
caner  clavon  gar  nichts  wissen  wollen,  sondern  sich  noch 
immer,  nach  dem  Zeugniss  ihrer  eignen  Landsleute,  als 
eingefleischte  Aristokraten  beweisen^. 
An  Knebel.  —  Br.  15,  137,  7—19. 


'  Bitaube  hatte    am  6.  September,  von  Pai'is    aus,    ein  Exem-  15 
plar  als  Geschenk  an  Goethe  gesandt,  wofür  dieser  sich  am 
19.  November  bedankt  (s.  Nr.  357). 

Knebel   bittet   in   seiner   Antwort   vom   20.    November   um 
Mittheilung  der  Uebersetzung  (die  er  schon  in  seinem  Briefe 
an  Goethe  vom  18.  März  zu  sehen  gewünscht  hatte)    und  um  20 
die  Besprechung  des,  oben  Z.  5  f.  erwähnten,  französischen 
Kritikers  (G.-Knebel  1,  242.  252  f.). 

Wilhelm  von  Humboldt  schreibt  am  10.  October  1800  an 
Goethe:  ,,Die  Uebersetzung  , Hermanns  und  Dorotheas'  hat 
doch  ein  ziemliches  Publicum  gefunden  [vgl.  dagegen  Nr.  25 
411].  Indess  muss  man  in  solchen  Fällen  den  Beifall  der 
Franzosen  nicht  auf  eine  für  sie  und  ihren  Geschmack  z;i 
günstige  Art  auslegen.  Auch  das  Gute  gefällt  ihnen  in  dieser 
Art  meist  durch  eine  schiefe  Ansicht.  In  der  letzten  Sitzung 
des  Nationalinstituts  wurde  öffentlich  dieser  Uebersetzung  so 
und  dabei  Ihrer,  Schillers  und  Klopstocks  erwähnt"  (G.- 
Humboldt S.  172). 

^  Das  Pariser  Journal  ,La  decade  philosophique,  litteraire  «-t 
politique.  Par  une  Society  de  Gens  de  lettres'  brachte  in 
Nr.  2.  3,  vom  20.  und  30.  Vendemialre  neuvieme  annee  di'  35- 
la  republique,  S.  69—77  und  161—168,  eine,  mit  der  Chiffirr» 
D.  G.  unterzeichnete,  Bespreclumg  von  Bitaubes  Ueber- 
tragung,   aus   der  offenbar  folgende   Stellen   Goethe   sowohl 


1800  HERMANN   UND 'DOROTHEA.  167 

November  19,  Weimar.  357 

Wenn    es  rühmlieh   für  einen  Schriftsteller   ist,    von 

fremden  Xationen  gekannt  zu  sein,  so  ist  es,  dünkt  mich, 

noch  ehrenvoller,    von  Männern  geschätzt    zu  werden, 

5       welche  die  Muster  kennen,  nach  denen  er  sich  zu  bilden 

gesucht  hat. 

Sie  haben,  würdiger  Mann,  mein  Gedicht  der  Ueber- 

setzung  nicht  unwerth  geachtet,  nachdem  Sie,  in  friihe- 

rer  Zeit,  Ihr  Gefühl  für  unsere  Lehrer,  die  Griechen,  und 

10      für    den    Beiz    patriarchalischer    Sitten,    durch  Ueber- 

setzuno^  und  eis^ne  Arbeit  an  den  Tag  geleckt  hatten^. 


zu  obiger  Aeusserung  als  zu  der  äbnliclieu  in  seinem  Briefe 
an  ßitaube  (s.  168,  6—11)  veranlasst  haben. 
„  ,Hermann  et  Dorothöe'  ",  sagt  der  französische  Kritiker, 

15      ,,fait  les  delices  de  l'Allemagne.     Un  Poeme,  dont  le  sujet 

serait  tire  d'une  petite  ville    de  France,    et    ne    fei'ait    que 

deerire  Texistence  Interieure  d'une  de  ses  familles,  ne  serait 

pas  lu  ä  Paris";  und  an  einer  andern  Stelle  heisst  es: 

,.Une  hotellerie  serait  parmi  nous  un  lieu  fort  mal  choisi 

20  poiu-  etablir  le  lieu  de  la  scene,  ä  moins  qu'ou  ne  voulüt 
faire  du  Poeme  une  comedie.  Mais  en  AUemagne  l'etat 
d'hOte  est  beaucoup  plus  eonsid§re;  l'hote  est  ordiuairement 
un  personnage  considerable,  un  riche  proprietaire,  souvent 
un    des    preraiers    magistrats    de    la    ville.     Un  des  princi- 

25  paux  persounages  dans  .Hermann  et  Dorothee'  est  un 
voisin  apotliicaire.  Mais  ce  titre  d  '  a  p  o  t  h  i  c  a  i  r  e  reveille 
parmi  nous  des  idees  de  ridicule  qui  n'existe  point 
eu  AUemagne,  idees  que  le  Traducteur  a  essaye  de  detour- 
ner,    en    adoptant  le  mot  de  pharmacien.     Le  pasteur 

30  d'un  bourg  allemand  ressemble  assez  peu  ä  un  de  nos  eures. 
Les  details  sur  les  chevaux  et  l'etat  de  l'ecui'ie  sont  pour 
nous  des  idees  triviales;  mals  elles  ont  aux  yeux  de  1' Alle- 
mand une  plus  haute  importance,  parce  qu'il  regarde  ses 
chevaux  comme  sa  plus  interessante  propri§te,  et  qu'il  leur 

35      donne  les  plus  grands  soins.     On  pourrait  etendre  a  Tlnüni 

ces  eompai-aisons"  (a.  a.  O.  S.  72.  75). 

^  Bitaubes    französische   Prosaübersetzung  der  Uias  und  der 

Odyssee,    mit  Anmerkungen,    war    1787  in   dritter  Auflage 

erschienen.     Abhandhmgen  über  Homer  und  über  die  Kunst 

40  des  Uebersetzens  waren  diesem  Werke  vorausgegangen  und 
folgten  ihm  nach. 


168  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1801 


[November  19,  Weimar.]  [357] 

Sie  lassen  dureli  diesen  Antheil  an  meinem  Gedicht 
dem  Bestreben  Gereelitigkeit  widerfahren,  das  in  mir 
immer  lebendig  war,  mich  von  den  Formen  der  Alten  so 
viel  als  möglieh  zu  durchdringen.  5 

Ich  wünsche  Ihrer  Arbeit  in  Frankreich  um  so  melir 
Beifall,  als  schon  der  Inhalt  für  den  Leser  nicht  ohne 
Nutzen  bleiben  kann.  In  jedem  Staat,  besonders  aber 
in  einer  Eejsublik,  ist  es  höchst  wichtig,  dass  der  Mittel- 
stand geachtet  werde  und  sich  selbst  achte;  AA^elches  bei  10 
Ihren  Landsleuten  nicht  immer  der  Fall  zu  sein  scheint^. 

Wäre  ich  jünger,  so  würde  ich  den  Plan  machen  Sie 
zu  besuchen,  die  Sitten  und  Localitäten  Frankreichs,  die 
Eigenheiten  seiner  Bewohner,  so  wie  die  sittlichen  und 
geistigen  Bedürfnisse  derselben  nach  einer  so  gTossen  15 
Krise  näher  kennen  zu  lernen.  A'ielleicht  geläüge  es  mir 
alsdann,  ein  Gedicht  zu  schreiben,  das,  als  jSTebenstück 
zu  ,Hermann  und  Dorothea',  von  Ihrer  Hand  übersetzt, 
nicht  ohne  Wirkung  bleiben  sollte,  die,  wenn  sie  auch 
nur  beschränkt  wäre,  doch  dem  üebersetzer  wie  dem  20 
Verfasser  genug  thun  könnte.  * 

Doch  ein  solches  unternehmen  erfordert  Kräfte,  die 
ich  mir  nicht  mehr  zutraue. 

An  Bitaube.  —  Br.  15,  148, 12—149,  22. 

November  19,  Jena.  358  25 

An  Herrn  Bitaube  Paris.     Dank  für  ,Hermann  und 
Dorothea'  eingeschlossen  [s.  Xr.  357]. 
Tgb.  2,  313,21—23. 

1801. 

]  [April  2,   Ober-Rossla-.]  359  30 

Ein  Schreiben  von  einem  ]\Ianne  zu  erhalten,  dessen 
Verdienste  sowohl  um  die  Litteratur  seiner  Nation,  als 
um  fremde  Litteraturen-,  mir  schon  längst  wohl  bekannt 

1  Vgl.  166,  7—13. 

'  Die  Datirung  dieses  Concepts  ist  nacli  Tgb.  3,  11,  16  f.  ge-  35 

schoben  („Dictat  an  einem  frühereu  Tage  möglich",  Br.  15, 

348  zu  Nr.  4375). 


1801  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1G9 

j[April  2,  Ober-Rossla.]  [359] 

sein  mussten^,  war  mir  um  so  angenehmer,  als  ich  daraus 
den  Antheil  ersah,  welchen  derselbe  an  meinen  Produc- 
tionen  zu  nehmen  geneigt  ist.  ^Hermann  und  Dorothea' 
5  auch  durch  Sie  übersetzt  zu  sehen,  kann  mir  nicht  anders 
als  schmeichelliaft  sein,  und  Sie  würden  mir  ein  beson- 
deres Vergnügen  machen,  wenn  Sie  mir  Ihre  Arbeit, 
entweder  im  Manuscri2)t  oder  sobald  sie  die  Presse  ver- 
lassen hat,  zusenden  wollen. 

10  Die  Verwandtschaft  der  englischen  Sprache   mit    der 

deutschen  begünstigt  auch  eine  metrische  Uebersetzung, 
und  wenn  Sie  an  einigen  Stellen  von  dem  Original  abge- 
wichen sind,  so  werde  ich  wahrscheinlich  die  Ursachen 
billigen  inüssen,  welche  Sie  dazu  bewogen  haben.     Sehr 

15       gern  werde    ich,  sobald    ich    mit  Ihrer  Arbeit  bekannt 
geworden,  hierüber  meine  Gedanken  eröffnen. 

Wenn  Sie  mir  das  Paquet  durch  die  fahrende  Post 
schicken  wollen,  so  wird  dasselbe  mir  bald  und  sicher 

zukommen. 
20  An  T.  Holcroft.  —  Br.  l.j,  211.  15—212.  14. 

Mai  10,  Weimar.  360 

jHermann  und  Dorothea'  zum  einbinden-. 
Teb.  3.  13,  6  f. 


'■  Zu  Holcrofts  „Verdiensten  um  die  Litteratur  seiner  Nation" 
25  mochte  Goethe  dessen  Dramen  und  Novellen  rechnen;  um 
„fremde  I.itteraturen"  hatte  Holcroft  sich  durch  zahlreiche 
Uebersetzungeu  in's  Englische  verdient  gemacht;  unter 
diesen  waren  Goethe  vielleicht  in  litterarischen  Be- 
sprechungen die  , Essays  on  Physiognomy  by  J.  C.  Lavater' 
30  (17931  aufgefallen,  oder  ,The  Life  of  Baron  Frederic  Trench" 
(1788);  aus  dem  Französischen  hatte  Holcroft  unter  An- 
derem übersetzt: 

,Tiie  Follies  of  a  Day,  or  the  Marriage  of  Figaro,  from  the 

French    of    M.    de    Beaumarchais'    (1785)    und  .Posthumous 

35      Worlis    of    Frederic  II,   King  of  Prussia'  (1789  in  dreizehn 

Bänden). 

=  Vielleicht    hat  das  Einbinden  des  Exemplars  Beziehung  zu 

Nr.  362. 


170  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1801 


Mai  29,  Jena.  361 

Indem  ich  die  mir  mitgetlieilte  Uehersetzung  von 
jHermann  und  Dorothea'  mit  Dank  zurücksende^,  er- 
lauben Sie  mir,  .  .  einige  Betrachtungen. 

Man  kann,  wie  es  mir  scheint,  nach  zweierlei  Maximen  & 
übersetzen,  einmal  wenn  man  seiner  Xation  den  reinen 
Begriff  eines  fremden  Autors  überliefern,  fremde  Zu- 
stände derselben  anschaulich  machen  ^nll,  wobei  man 
sich  denn  genau  an  das  Original  bindet;  man  kann  aber 
auch  ein  solches  fremdes  Werk  als  eine  Art  Stoff  be-  lo 
handeln,  indem  man  es,  nach  eignen  Empfindungen  und 
üeberzeugungen,  dergestalt  verändert,  dass  es  unserer 
Xation  näher  gebracht  und  von  ihr  gleichsam  als  ein 
Originalwerk  aufgenommen  werden  könne-. 

In  dem  letzten  Falle  scheinen  Sie  sich  zu  befinden,  is 
Sie  haben  zwar  im  Ganzen  den  Gang  meines  Gedichtes 
beibehalten,  aber  durchaus,  so  viel  ich  beurtheilen  kann, 
die  dramatisch  charakteristischen,  lässlichen  Aeusse- 
rungen  meiner  Personen  strenger,  auffallender,  didak- 
tischer überliefert,  und  die  gemächhche  epische  Bewe-  20 
gung  in  einen  ernsteren  gemessnern  Schritt  verwandelt. 

Xach  meiner  wenigen  Einsicht  in  die  englische  Litte- 
ratur  darf  ich  schliessen,  dass  Sie  hierbei  den  Charakter 
Ihrer  Xation  vor  Augen  gehabt,  und  es  ist  mir  um  so 
angenehmer,  eine  völlige  Aufklärung  hierüber  in,  der  25 
Vorrede  und  den  Xoten,  welche  Sie  Ihrer  Arbeit  beizu- 
fügen gedenken,  nächstens  zu  erhalten. 

Uebrigens  kann  ich  die  meisten  Abweichungen  vom 
Original  aus  meinem  gefassten  Standpuncte  ziemlich 
beurtheilen,  nur  vermag  ich  nicht  einzusehen,  warum  30 


Holcroft  hatte  am  18.  April  die  Uebersetzuug  im  Manuscript 
an  Goethe  geschiclit  (Br.  1.5,  353  zu  S.  233, 1). 
Hiermit  möge  man  vergleichen,  was  Goetlie  von  den  ,,dreie!- 
lei    Arten"    des   Uebersetzens  in   seinen   Noten   zum   .West- 
östlichen  Divan',  in  dem  Abschnitt  „Uebersetzungen",   sagt  55 
(W.  7,  235,  7—238, 10). 


ISOl  HERMANN   UND   DOROTHEA.  171 

[Mai  29,  Jena.]  [361] 

Sie  die  Stelle  vom  126.  Vers  Ihrer  Uebersetzung  an  bis 
zum  142.^  auf  den  ehemaligen  Brand  des  Städtchens 
gedeutet,  da,  im  Original,  dieser  längst  vergangenen  Be- 

5  gebenheit  nur  im  A'orbeigehen  erwähnt  und  eigentlich 
die  Beschreibung  des  Zuges  der  Ausgewanderten  durch 
diese  Stelle  fortgesetzt  wird.  Doch  erhalte  ich  wohl  auch 
hierüber  einige  Belehrung  und  ergreife  vielleicht  irgend 
eine  Gelegenheit,  über  die  vier,  nunmehr  vor  mir  lie- 

10      genden,    Uebersetzungen    meines    Gedichtes    öffentlich 
meine  Gedanken  zu  sagen-. 

An  T.  Holcroft.  —  Br.  15,  233,  1—234,  17. 

Juui  3,   Weimar.  362 

E.  W.    haben    die  Gefälligkeit,    beiliegendes  Gedicht 

15       Ihrer    Dem.    Tochter    in    meinem  Xamen  zuzustellen. 

Möge  sie,  wenn  es  ihr  einiges  Vergnügen  macht,  sich 


*  Vers  112—144  des  zweiten  Gesangs  im  Original. 
-  Die  vier  Uebersetzungen  sind,  der  Zeitfolge  nach: 

1.  die  englische  von  Mellisb  1798,  s.  Nr.  329.  "^^ 

20  2.  die  dänische:  , Hermann  og  Dorothea.  Af  J.  W.  v.  Göthe, 
fordansket  og  omarbejdet  af  Jens  Smidth.  Kjübenhavn. 
Forlagt  og  trykt  hos  K.  H.  Seidelin  1799-. 

3.  die  französische  von  Bitaiibe  ISOO,  s.  105,  31—34. 

4.  die    englische  von   Holcroft:     .Hermann   and    Dorothea. 
25      A    poem     froni    the   Germau   of   Goethe.     Introduction   aud 

Notes.     London,  Longmau,  1801'. 

Ein  Yerzeichniss  aller  europäischen  Uebertragungen  findet 
man  im  Anhange  der  1891  zu  Boston  erschienenen  amerika- 
nischen Uebersetzung  von  Hewett  (Br.  15,  353  zu  S.  234.  16^, 

30  jetzt  auch  in  der,  von  demselben  Gelehrten  veranstalteten, 
Ausgabe  des  Originals:  ,neat]rs  Modern  Language  Senes 
Goethe's  Heraiann  und  Dorothea  Edited  with  an  Introduc- 
Ausgabe  des  Originals:  .Heath's  Modern  Language  Series 
and  CO.,  publishers  1897';  auch  hier  ist.  wie  in  der  Weimarer 

35  Ausgabe  von  Goethes  Briefen.  Holcrofts  Vorname  mit  J.  be- 
zeichnet, während  er  nach  dem  Dictionary  of  national  bio- 
gi-aphy  edited  by  Sidney  Lee  (27,  118b)  Thomas  he"iss*t. 


172  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1802 

[Juni  3,  Weimar.]  [362] 

dabei   manchmal    des    Verfassers    erinnern,    der    ihrem 
Vater  so  viel  Dank  schuldig  bleibt^. 

An  J.  C.  Stark.  —  Br.  15,  236,  19-237,  3. 

Juni  3,  Weimar.  363    5 

An  Herrn  Hofrath  Stark,  Jena,  ,Hermann  imd  Doro- 
thea^  übersendet  [s.  Xr.  362]. 
Tgb.  3,  14,  22  f. 

1802. 

Juli  28,  Weimar.  364  lo 

Unser  Eath  Jagemann    hat    eine    italienische  Ueber- 
setznng,  in  elfsilbigen  Versen,  von  ,  II  e  r  m  a  n  n  und 
Dorothea'  ausgearbeitet  und  ist,  so  viel  ich  weiss, 
beinahe  damit  fertig.     Er  wünscht  denn  freilich  einen 
Verleger  zu  finden  und  sich,  für  die  grosse  angewendete  is 
Mühe,    einigermassen   honorirt   zu   sehen.     Sie    werden 
besser  als  ich  beurtheilen  können,  ob  ein  solches  Werk, 
bei  den  gegenwärtigen  Neigungen  des  Publicums,  eine 
verkäufliche  Waare  sein  könne.     Haben  Sie  wenigstens 
die  Gefälligkeit  mir  Ihre  Gedanken  darüber  zu  sagen.  20 
Mit  der  Arbeit  selbst  bin  ich,  in  so  fern  ich  sie  beur- 
theilen kann,  recht  wohl  zufrieden.  Auch  habe  ich  neu- 
lich mit  einem  Italiener,  der  beide  Sprachen  versteht, 
darüber  gesprochen,  welcher    ein  motivirtes   günstiges 
Urtheil  fällte.  Sollten  Sie  oder  sonst  Jemand  nicht  ganz  25 
abgeneigt  sein    den  Verlag   zu  übernehmen,    so  könnte 
man  einige  Gesänge  zur  Durchsicht  überschicken-. 
An   Cotta.   —  Br.    16,    106,  17—107,  10. 


^  Stark    hatte    sicli,   bei  Goetlies  scliwerer  Kraulvlieit  zu  An- 
fang   des   Jalires   1801,    abermals   als   ausgezeiclmeter   Arzt  30 
bewährt. 

-  Eine  Probe  von  Jagemauns  Uebertragung  erschien  im  April 
1803  im  , Neuen  Teutschen  Mercur'  1,  252—258,  sodann  das 
Ganze  unter  dem  Titel  .Ermanno  e  Dorotea.  Poema  tedesco 
del  Sign,  di  Goethe.  Tradotto  in  versi  italiani  sciolti  dal  35 
Sign.  Jagemann,  .  .  Halle  della  Sassonia,  nella  libraria 
Ruffa.    1804'. 


1804  HERMANN  UND  DOROTHEA.  173 


März  29,  Weimar.  305 

[Brief  an]  Professor  Jakob,  Halle:  Dank  wegen  ,Her- 
mann  luid  Dorothea'^. 
5  Tgb.  3,  102.  7  f. 

October   22,    Jena.  3'36 

Könnten  E.  "\Y.    mir  auf  kurze  Zeit  ^Hermann  und 
Dorothea'  verschaffen,  so  geschähe  mir  ein  besonderer 
Gefalle. 
10  An  Eichstädt.  —  Br.   17,   207,  ü— 11. 

1805. 

[März?  Weimar.]  367 

Goethe  arbeitet  an  der  Ausgabe  seiner  sämmtlichen 

Schriften.  .  .  .  Eiemer    und    ich   [Yoss]    haben  liiebei 

15       auch  unser  Geschäft  bekommen.     Mir    hat  Goethe  ein 

Exemplar  von  ,Hermann  und  Dorothea'  gegeben,  mit  '^ 

Papier  durchschossen-.   Ich  soll  die  Hexameter  mustern 

und  alle  meine  Einfälle  unter  den  Xamen  Aenderungen 

und  Vorschläge  beischreiben.     Darauf  wollen  wir  Con- 

20      ferenzen  halten  und  über  die  Lesarten  debattiren. 

Mit  Heinrich  Voss.  —  Archiv  f.  L.  11,  126.  ^ 


*  Die  Eintragung  in  den  „Tagebuchnotizen  1804",  unter  dem 
gleichen  Datum,  lautet  ebenso  (Br.  17,  330,  30  f.).  Der  Brief 
ist  nicht  bekannt. 

25  -  Von  einem  derartigen  Exemplar  ist  sonst  nichts  bekannt. 
Ist  man  berechtigt,  im  Hinblick  auf  die  (am  Beispiel  der 
, Achilleis'  GJ.  17,  91  nachgewiesene)  gelegentliche  Uuge- 
nauigkeit  der  Vossischen  Angaben:  dieses  „durchschossene" 
Exemplar  als  eines  und  dasselbe  zu  betrachten  mit  der  er- 

30      haltenen  (SO,  2—16.  175,  3  f.  genannten)  Handschrift? 

Nebenbei  sei  hier  bemerkt,  dass  diese  ganze  (einem  Briefe 
Vossens  an  Solger,  von  22.  :Mai  1S05,  entnommene)  Stelle  im 
Text  der  ,Vossbriefe'  S.  81  Z.  3  durch  einen  bedauerlichen 
Zufall  weggeblieben  ist. 


174  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1805 


[März,  oder  Anfang-  ApriP,  Weimar.]  308 

Ich  [A'oäs]  habe  Goethes  ,Herniami  und  Dorothea" 
schon  in  bessere  Hexameter  nmgeschmolzen,  wozu  ich 
vierzelm  angestrengte  Tage  gebraucht".  Goethe  hat 
mir  seinen  Beifall  gegeben  und  mich  gelobt,  dass  ich  so  5 
schonend  verfahren  und  nie  dem  Charakter  Abbruch 
gethan;  er  meinte,  ich  habe  ihm,  wenige  Stellen  ausge- 
nommen, nichts  hinein  gebracht,  was  seinem  Geiste 
fremd  wäre. 

Mit  Heinrich  Voss.  —  Vossbriefe  S.  81.  10 

[März,  oder  Anfang  ApriP,  Weimar.]  309 

Ich  [Voss]  habe  in  diesen  vierzehn  Tagen  ein  Ge- 
schäft eigner  Art*,  das  mich  ganz  beschäftigt.  Goethe 
hat  mir  die  Umarbeituno-  von  .Hermann  und  Dorothea' 


Der    Brief,    dem  diese  Stelle  angehört,  ist  am  15.  April  an  15 
Abeken  geschrieben.     Zwischen  dieses  Datum  und  dasjenige 
des  nächstvorhergehendon  Briefes  vom  9.  März  fällt  gegen- 
wärtiges Gespräch. 

Dass  hier  nur  vom  Anfang  dieser  ,,Umschmelzung"  die 
Rede  sein  kann,  geht  aus  dem  unten  Z.  26—31  Gesagten  hervor.  20 
Unter  dieses  Datum  gehört  gegenwärtige  Stelle  (aus  einem 
Briefe  vom  3.  August  1805  an  Abeken),  da  die  in  ihr  über- 
lieferten Aeusserungen  Goethes  sich,  gleich  denen  in  Ni*.  oGS, 
nur  auf  den  Anfang  der  Durchsicht  beziehen  (s.  Z.  19  f.).  Da- 
nach ist  die  Datirung  In  Gespräche  8,  292  f.  zu  berichtigen.  25 
Voss  nahm  die  schon  im  März  begonnene  Durchsicht  Ende 
Juli  wieder  auf  und  beendete  sie,  während  Goethe  in  Lauch- 
städt  war.  Dorthin  schrieb  er  diesem  am  31.  Juli:  „Ich 
bin  .  .  bis  jetzt  noch  nicht  mit  Ernst  bei  der  aufgetragenen 
Arbeit,  .Hermann  und  Dorothea',  gewesen;  doch  habe  ich  30 
in  diesen  Tagen  den  Anfang  gemacht.  Die  sechs  folgenden 
Tage  will  ich  mit  allem  Eifer  daran  gehn.  Ich  bin  auf- 
merksam 1)  auf  die  Quantität  der  einzelnen  Worte. 
2)  auf  den  x'egelmässigen  Bau  der  einzelnen  Hexa- 
meter, und  endlich  3)  auf  die  Verbindung  der  Hexa-  35 
meter  unter  einander.  .  .  .  Meine  Einfälle  schreibe  ich  da- 
rüber, und  an  einigen  Stellen  bin  ich,  wenn  mich  nicht  alles 
trügt,  schon  so  glücklich  gewesen,  eine  Verbesserung 
zu  finden  .  .  .  ."  (GJ.  5,  48). 


1805  HERMANN   I'ND   DOROTHEA.  175 


[März,  oder  Anfang  April,  Weimar.]  [369] 

aufgetragen,  iind  ich  darf  ändern,  wo  und  wie  viel  icli 
will.  Dazu  hat  er  mir  sein  Manuscript  gegeben,  wo  die 
einzelnen  Yerse  so  weit  von  einander  abstehn,  dass  ich 
viel  dazwischen  schreiben  kann\  Ich  war  anfangs 
schüchtern  dabei,  doch  nun  habe  ich,  da  er  es  nicht 
anders  haben  will,  auch  toll  hineincorrigirt.  „Xicht 
bloss  begangene  Sünden",  sagte  er,  „sondern  auch  die 
Unterlassungssünden  suchen  Sie  zu  tilgen".  .  .  .  Goethe 
lachte  fürchterlich,  als  wir  einen  Siebenfüssler  an- 
trafen, dem  ward  auf  der  Stelle  ein  Bein  imterge- 
schlaeen-.  .  .  . 


'  Ygl.   173,   15—17.   19  t„beisclireibeu"i.   174.  36  f.   (..darüber"). 

-  Diese  scherzhafte  Redensait  ist  nicht  dahin  zu  verstehen, 

15      dass  der  , ..Siebenfüssler"  geändert  oder  gar  entfernt  worden 

sei.     Dieser   besteht    vielmehr    noch  heute  als  Vers  1S6  des 

zweiten  Gesanges  und  lautet: 

„Ungerecht  bleiben  die  Männer,    und  die  Zeiten  der  Liebe 

vergehen". 

20  Riemer  —  um  diese  in  eine  spätere  Zeit  fallende  Bemer- 
kung hier,  als  an  der  geeignetsten  Stelle,  einzusclialten  — 
Riemer  sagt  in  seinen  Mittheilungen  (2.  580  Anmerkung;, 
unter  Hinweis  auf  den  Tadel,  welchen  der  genannte  Hexa- 
meter   im   Morgenblatt    ISOS   (Braun  3,   102)   erfahren:    der 

25  Vers  sei  ,,mit  Bewusstsein  und  Absicht"  in  die  späteren  Aus- 
gaben aufgenommen  worden.  ,,Ich  hatte",  fährt  Riemer 
fort,  ,.Goetheu  bereits  aufmerksam  darauf  gemacht  [wann?]. 
weil  aber  der  Vers,  ohne  sein  p  r  o  v  e  r  b  i  a  1  i  s  c  h  e  s  An- 
sehn zu  verlieren  imd  eine  gewisse   grata  negligentia    einzu- 

30  büssen,  nicht  wohl  zu  ändern  war,  ich  mich  auch  erinnerte. 
dass  F.  A.  Wolf  einmal,  von  diesem  Verse  sprechend,  ihn 
nicht  nur  entschuldigt,  sondern  auch  durch  Homerische  Bei- 
spiele erläutert  habe:  so  Hessen  wir  ihn  stehen  oder  hin- 
gehen".    Wenn  aber  Riemer  alsdann  immittelbar  fortfährt: 

35  ,,Nun  machte  später  auch  Heinrich  Voss,  der  Sohn,  auf  ihn 
aufmerksam"  und  die  unter  Nr.  370  gegebene  Aeusserung 
aus  Vossens  Munde  überliefert,  so  ist  das  eine  arge  Verschie- 
bung der  wirklichen  Zeitfolge. 


176  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1S05 

[März,  oder  Anfang  April,  Weimar.]  [369] 

Goethe  ist  mit  dem  Anfang  meiner  Arbeit,  den  er 
nur  gesehn  hat,  zufrieden  und  sagte:  sie  -wäre  besonnen 
und  mit  Eindringung  in  seinen  Sinn  gearbeitet. 

Mit  Heinrich  Voss.  —  Yossbriefe  S.  95  f.  5 

][März,  oder  Anfang  Apx'il,  Weimar.]  370 

Goethe  soll,  ^ie  jener  [Heinrich  Voss]  erzählt,  gesagt 
haben:  „Die  siebenfüssige  Bestie  möge  als  Wahrzeichen 
stehen  bleiben^!" 

Mit  Heinrich  Voss.  —  Riemers  Mittheiluugen  2,  5S6.        10 

Mai  1,  Weimar.  370ii 

[In  dem  brieflich  mitgetheilten  Entwurf  zur  Ver- 
theilung  der  Werke  auf  die  zwölf  Bände  der  geplanten 
ersten  Gesammtausgabe  heisst  es  unter]  Band  9: 

,Eeineke  Fuchs'.  1    Nach  neueren   prosodischen      ^^ 

,Hermann  und   Dorothea^  j  ^^'el^erzeugungen  bearbeitete 

,AchilleiLS.    Erster  Gesang'. 
An  Cotta.  —  Er.  19,  15, 10—15. 

[September  oder  October,  Weimar.]  371 

Goethe  ist  mit  meiner  Arbeit  [Vossens  Durchsicht  von  20 
,Hermann  und  Dorothea']  zufrieden  und  ^\dll  jetzt  mit 
mir  das  Ganze  noch  einmal  durchgehn,  wobei  wir,  wie 


^  Mit  Bezug  auf  den   ,,Siebenfüssler"   Vers   186   des   zweiten 

Gesanges,  vgl.  175,  9—12. 
*  Die  Worte  „Nach  .  .  bearbeitet"  sind  in  dem,  von  Riemer  25 

geschriebenen,  Concept  des  Briefes  von  Goethe  eigenhändig 

hinzugefügt. 
Das  ,,Promemoria",  wie  Goethe  das  Schriftstücli  in  einer. 

vom   Tage    der   Absendung    desselben:     14.     Juni     datirten, 

Nachschrift  nennt,  schliesst  mit  den  Worten:  3q 

„Das  Neue  ist  roth  unterstrichen". 

was   oben   durch   gesperrten   Druck   kenntlich   gemacht   ist. 
Durch    eine  Verschiebung  der  hier  von   Goethe  geplanten 
Reihenfolge    fanden    in    Band    9    dramatische   Dichtungen 
Platz,  die  drei  epischen  bildeten  Band  10.  35 


18(K5  HERMANN   UND   DOROTHEA.  177 

[September  oder  October,  Weimar.]  [371] 

er    sich   ausdrückte,    emmal    ein  ganzes  Vierteljahr  auf 
Hexameter  verwenden  wollten^ 

Mit  Heinrich  Voss.  —  Vossbriefe  S.  97. 

5  1806. 

Februar  24,  Weimar.  —  s.  Nr.  79-'.  371a 

1807. 

December  7,  Jena.  —  s.  Nr.  S4.  371b 

December  8,  Jena.  —  s.  Nr.  85.  371c 

10  1808. 

]  [Januar  24,  Weimar.]  872 

Sie  fragten  in  einem  Ihrer  vorigen  Briefe,  was  es  für 
eine  Bewandtniss  haben  möchte  mit  der  neuen  Ausgabe 
von  jHermann  und  Dorothea'  durch  Vieweg.  Es  ist  eine 
lö  blosse  Freibeuterei.  Er  hat  gar  kein  Eecht  dazu  und 
hat  mich  auch  desshalb  ^cht  einmal  begTÜsst;  welches 
freilich  ganz  natürlich  ist^. 

An  Cotta.  —  Br.  20.  10,22—11,4. 

August  7,  Karlsbad.  —  s.  Nr.  87.  372a 


20  1  Aus  Vossens  Brief  an  Solger  vom  80.  October  1805.  Das 
Gespräch  hat  wahrscheinlich  bald  nach  Goethes  Rückkehr 
von  der  Reise,  die  am  5.  September  erfolgte,  stattgefunden. 
Zu  einer  gemeinsamen  Durchsicht  kam  es  nicht,  eben  so 
wenig,  wie  Goethe  Vossens  Correcturen  verwerthet  zu  haben 

25      scheint,  vgl.  Vossbriefe  S.  101  f.  157—159  und  GJ.  17,  90  f. 
'  Für    den  ersten  Band    der  Werke  Cotta'  hatte  Goethe    am 
14.    und    16.    Januar    1806    eine  Durchsicht  der  zweiten  Ab- 
theilung der  Elegien  vorgenommen,  deren   Schluss  die  Ele- 
gie   »Hermann    und    Dorothea'    bildet    (s.    79,    18  f.).     Nach 

30  mehrfachen  Erwägungen  über  die  Anordnung  der  Gedichte 
des  ersten  Bandes  am  5.  und  6.  Februar  imd  nochmaliger 
Durchsicht  der  Elegien  am  14.  und  18.  Februar,  war  Band 
1  am  21.  Februar  erledigt  und  ging  am  24.  druckfertig  au 
Cotta  ab  (Tgb.  3.   114.  27.   115,4.  117,  17.  21  f.   118, 18  f.  24  f. 

35      119, 11.  23  f.). 

*  Vieweg  hattv?  1803,  1805,  1806    und  1807  sogenannte    ,,neue 
Ausgaben"    veranstaltet,    von  denen  die  letzte  hier  gemeint 
Graf,  Goethe  über  seine  Dichtungen  T.  I.  12 


178  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1809 

1809. 

][Nacb  October  10,    ?]  373 

[Zu  1796.  1797.  —  Im  ältesten  biographischen  Schema 
(s.  29,  7—9)  heisst  es  unter] 

1796:  ,Hermann  und  Dorothea^  5 

1797:  ^Hermann  und  Dorothea^ 
1799:  , Hermann  und  Dorothea'  gedruckt^. 
W.  26,  860,  10  f.  22  f.  361,  12. 

1811. 

August  16,  Weimar.  374  lo 

Abends    den  Frauenzimmern-    ,Hermann    und  Doro- 
thea' vorzulesen  angefangen. 
Tgb.  4,  227,28—228,2. 

181^. 

Januar  26,  Weimar.  375  15 

[Brief    an]    Geh.    Hof-Eath    Eichstädt    [betreffend] 
jHermann  und  Dorothea'  [s.  jSTr.  376]. 
Tgb.  5,  94,  7  f. 

Januar  27,  Weimar.  376 

Man  hat  ,Hermann  und  Dorothea'  dem  Zeitgeist  auch  20 
als  ein  Opfer  darbringen  wollen.  Ich  kann  es  nicht  niiss- 
billigen;  denn  ich  wundre  mich  selbst,  da  ich  das  Büch- 
lein lange  nicht  angesehen,  wie  genau  nach  so  grossen 
Veränderungen  der  Sinn  noch  passt  und  zutrifft.     Mag 
einer  Ihrer  würdigen  Mitarbeiter  in  dieser  Eücksicht  et-  25 
was  darüber  sagen,  so  "\nrd  es  mir  sehr  angenehm  sein. 
Ich  lege  desshalb  ein  Exemplar  zu  beliebigem  Gebrauche 
bei^.     Man  hat  von  mir  einen  zweiten  Theil  verlangt, 
sein    wird;    auch    in    diesem    Jahre,    1808,    erschien    wieder 
eine.     Die  erste  Cottasche  Ausgabe  kam  1814  heraus,  gleich-  30 
zeitig  mit  zwei  „neuen"  Yiewegschen. 
^  Dieser  Irrthum  ist,  wie  Nr.  391  zeigt,  in  den  Text  der  ,Tag- 

imd  Jahres-Hefte'  nicht  übergegangen. 
-  Christiane  und? 

^  Ein  Exemplar  der  ersten  Cottaschen  Einzel-Ausgabe  (s.  81,  35 
17—21).     Eichstädt    veranlasste,    als    Leiter  der  .Jenaischen 
allgemeinen    Literatur-Zeitung',    eine    Besprechung    des    Ge- 
dichts, s.  Nr.  377. 


1814  HERMANN   UND   DOROTHEA.  179 

(Januar  27,  Weimar.]  [376] 

bis  jetzt  aber  wüsste  ich,  was  Grundsätze  und  Grund- 
motive betrifft,  diesen  nur  zu  wiederholen.  Ist  aber  das 
grosse  Werk  vollendet,  können  wir  mit  Sicherheit  ein 
5  Gediclit  mit  Friede!  schliessen^,  so  wäre  freilich  der 
betrachtenden  und  darstellenden  Dichtkunst  ein  grosses 
Feld  eröffnet. 

An  Eichstädt.  —  Br.  au  Eichstädt  S.  183. 

März  12,  Weimar.  377 

10  E.  W.    haben  mich  durch  das  übersendete  Zeitungs- 

blatt sehr  angenehm  überrascht.  Wenn  dasjenige,  was 
man  in  früherer  Zeit  gethan,  auch  in  späterer  von  ein- 
sichtsvollen und  wohldenkenden  Männern  gebilligi, 
wird,  so  muss  es  zu  gleicher  Zeit  beruhigend  und  auf- 
15  munternd  sein.  Danken  Sie  dem  Verfasser  auf's 
schönste;  ich  lasse  keines  seiner  Worte  weder  Jetzt  noch 
künftig  unbeachtet^. 

An  Eichstädt.  —  Br.  an  Eichstädt  S.  185. 


^  .Hermann  und  Dorothea'  hatte  Goethe  mit  den  Worten  ge- 

25      schlos.sen: 

,,I'nd  gedächte  jeder  wie  ich,  so  stünde  die  Macht  auf 
Gegen  die  Macht,  und  wir  erfreuten  uns  alle  dos  Friedens." 
^  Das  ,, übersendete  Zeitungsblatt"   war  Nuunner  4.5  der  ..Je- 
naischen allgemeinen  Literatur-Zeitung-  vom  März  1814.  Hier, 

30  -«'erden  unter  der  Rubrik  ,, Schriften  über  die  Tagesge- 
schichte in  Deutschland"  drei  neue  Erscheinungen  des 
Büchermarkts  besprochen:  1.  Goethes  .Hermauu  und  Doro- 
thea' in  der  Cottaschen  Ausgabe  (s.  81,  19—21»,  2.  Zacharias 
Werners  .Weihe  der  Unkraft'.  3.   Ernst  Moritz  Arndts  ,Grund- 

■25  linien  einer  deutschen  Kriegsordnung'.  Aus  dem  ersten  Theil 
dieser,  mit  der  Chiffre  Ms.  unterzeichneten,  Besprechung 
seien  hier  die  zum  Verständniss  von  Goethes  Aeusserung 
erwünschten  Haupt  .^teilen  mitgetheilt,  um  so  mehr  als 
Brauns  Werk   , Goethe  im  Urtheile   seiner  Zeitgenossen'  mit 

30      dem  .Jahre  1812  abbricht. 

Am  angeführten  Ort  Spalte  353  f.  heisst  es  mit  Bezug  auf 
, Hermann  imd  Dorothea':  ..Dass  wir  diese  neue  Auflage  eines 
berühmten  Gedichts  unter  den  Schriften  über  die  Tagesge- 


180  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1814 


[März  12,  Weimar].  [377] 


schichte    in  Deutschland  aufführen,    verräth  schon    den  Ge- 
sichtspunct,  aus  welchem  wir  es  hier  in  Betrachtung  ziehen. 
Er  ist  nicht  der  ästhetische,  .  .  sondern  wir  verfolgen  hier 
den    politisclien.     Es    ist    so  voll  schöner  Lehre  und  so  um-    s 
fassender  als  tiefer  Blicke  für  und  in  die  Umwälzungen  und 
Umwandelungeu  unserer  Tage,  dass  man  oft  verführt  ist  zu 
glauben,  es  sei  in  dem  gegenwärtigen  Moment  erst  gedichtet. 
Diess  geschieht  aus  drei  Ursachen:  zuerst,  weil  jene  Zeit,  wo 
es  gedichtet    wurde,    und    aus  welcher    seine  Darstellungen  lo 
sind,  ein  Theil  ebendesselben  Ganzen  von  Zeit  ist,  zu  welchem 
aucli  unsere  Tage  gehören    und    noch    viele  Jahrzehnte  ge- 
hören Averden,  und  zweitens,  weil  Goethe,  wie  alle  wahr- 
haftig grossen  und  echten  Geister,  jede  Bewegimg  der  Zeit, 
die    einen    universellen  Charakter  gewinnen    soll,    in    allen  15 
ihren     eigenthümlichen    Kreisen     wahi-nimmt,      und     nach 
iliren   künftigen   Strömungen  wittert;   endlich,    weil    er    ein 
Deutscher  und  welcher  ist!  Sobald  er  an  der  franzö- 
sischen Nation    vor  Augen  hatte,    was  eine  Nation  vermag, 
wenn    sie  als  solche  aufgeboten  und    in  ScliAvung  gebracht  2» 
wird,  —  und  diess  hatte  sich  glänzend  offenbart,  als  jenes 
Gedicht  gesungen  ward  —  fühlt  er  glühend  den  Wunsch  für 
die   deutsche   Nation,   dass   auch   sie  als  solche  aufstehen  imd 
sich  herrlicli  beweisen  möchte.     Unerlöschlich  schlägt  dieser 
Wunsch  aus  seinem .  Gesang  hervor;  und  jetzt  endlich  ist  25 
er  über  alle  Erwartung  in  Erfüllung  gegangen. 

Goethe  hat   sich   durch   die   neue   Auflage   von    , Hermann 
und   Dorothea'   hinlänglich   mit  Sehergeist  über  das   Grosse 
erklärt,  was  jetzt  die  deutsche  Nation  vollbringt.  Aber 
sollte    der  ewig  junge  Dichter    an  der  Grenze    des  höheren  3» 
Alters  durch  die  Verjüngung  seines  Volks,   für  welches  er 
so  unaussprechlich  viel  gethan  hat,  nicht  noch  Schwung  und 
Lust  zu  neuer  poetischer  Schöpfung  erhalten?     Der  Stoff  zu 
einem  grossen  deutschen  Nationalepos  ist  da.     Zu   schauen 
ist,  wie  ihn  Gottes  Hand  unmittelbar  in  Russland  bereitete.  35 
Welche  Einleitung  zu  jenem  Epos,  dessen  Aufgabe  der  Sieg 
der  deutschen  Nation  über  die  ungeheure,  stets  bewunderns 
würdige   I^ersönlichkeit    eines   Einzigen    wäre,   welcher    die 
Arme  desjenigen  Volks,  das  immer  ihr  Gegensatz  war,  wider 
sie  richtete.     Wer    kann    mehr    zu  einem  solchen  Epos  be-  40 
rufen  sein,  als  wer  s  o  die  deutsche  Nation  aufrief,  und  zu- 
gleich   der  Riesenkraft,    bei  welcher  zuletzt    nur  Erde  und 


1S14  HERMANN   UND   DOROTHEA.  181 


April  23,  Weimar.  378 

[Brief  an]  Frommann  mit  , Hermann  und  Dorotliea'\ 


Tgb.  5.  104.  9  f. 


Meer  noch   Gewicbt   hatten,   olme   Scheu   imd   ohne   Schmei- 
5      chelei  huldigte? 

Goethe  hat  so  oft  den  ästhetischen  Theorien  die  Grenz- 
pfähle verrückt,  dass  man  auch  an  einem  solchen  Epos  gern 
abnehmen  würde,  wie  ein  grauer  Nebel  der  Vergangenheit 
für  die  epische  Handlung  keineswegs  nöthig  sei;   und  was 

10  kümmerte  ihn.  wenn  manches  den  heutigen  Menschen  zu 
modern,  oder  vielmehr  zu  sehr  von  heute  schien?  So  unge- 
heuer schnell,  wie  in  unserem  Zeitalter  sich  die  Jahre  folgen, 
als  wären  sie  Jahrhunderte,  wird  überdiess  bald  der  Nebel 
der  Vergangenheit  auf  unseren  Tagen  liegen,   und  auf  die 

15  unmittelbare  Wirkung  seiner  Dichtungen  und  Werke  hat 
dieser  Dichter  wohl  nie  seine  erfreulichste  Hoffnung  gebauet. 
Gewiss  aber  ist.  dass  er  bei  jenem  Stoff  zu  einem  epischeu 
Gedichte  vor  allen  epischen  Sängern  den  Vorzug  hätte,  die 
Mitwelt    seiner    Geschichte    und    eine    frühe    Nachwelt    zu- 

20      gleich  zur  lebendigsten  Theilnahme  zu  verbinden". 

Knebel  schrieb  am  2.5.  März  1814:  ..Sehr  erfreut  hat  es 
mich,  dass  ich  in  der  Litteratur-Zeituug  Deinen  .Hermann 
und  Dorothea'  unter  den  politischen  Schriften  fand.  Diess 
ist  das  erste  Mal.  soviel  ich  weiss,  dass  ein  deutscher  Schrift- 

25      steller  einem  deutschen  Gedichte  eine  Stimme  in  politischen 
Angelegenheiten  ertheilt"  (G. -Knebel  2,  147). 
'  Vermuthlieh  war  es  die  81.  19—21  genannte  Cottasche  Aus- 
gabe des  Gediclits.  deren  Goethe  sich  hier  und  in  der  nächst- 
folgenden   Zeit    mehrfach    (vgl.  Nr.  379.  380)    zu  Geschenk- 

30  zwecken  bediente.  So  sandte  Goethe  am  9.  August  dieses 
Jahres,  nach  einem  Besuche  in  de  L'Aspees  Elementarschule 
zu  Wiesbaden  ..zur  Vertheilung  unter  die  Zöglinge  eine  An- 
zahl Exemplare  von  .Hermann  und  Dorothea'  als  Zeichen 
seiner  Zufriedenheit  mit  ihnen"  (Gespräche  3,  142). 

35  Auch  an  Wilhelm  von  Humboldt  scheint  Goethe  ein  Exem- 

plar geschickt  zu  haben:  darauf  lassen  wenigstens  Hum- 
boldts Worte  im  Brief  vom  7.  März  1814  schliessen:  ,.Der 
neue  Druck  .Hermann  und  Dorotheas'  freut  mich  sehr,  und 
Ihr  freundliches   Andenken   an   meine  Beschäftigung  damit 

40  hat  mir  auf's  neue  Ihre  Freundschaft  und  Liebe  bewiesen" 
(G.-Humboldt  S.  2.54). 


182  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1815 

November  1,  Weimar.  379 

Zu  expediren  .  .  .  .*  , Hermann  und  Dorothea''  binden. 
Agenda  1814.  —  Tgb.  5,  304, 14.  24. 

1815. 

April  3,  Weimar.  380    5- 

Herren  Leutenant  Gaub}-  zu  Unterhaltung  und  An- 
denken im  Felde.     "Weimar  den  3.  April  1815.    Goethe^ 
Au  Gauby.  —  GJ.  C,  18. 

April  5,  Weimar.  381 

Für    Gauby   ,Hermann   und  Dorothea'    [s.  Xr.  380].  lo 
Tgb.  5,  155,  11  f. 

Juli  6,  Wiesbaden.  382 

Madame  Bansa  hat  Wort  gehalten  und  mir  das  Mäd- 
chen   231'oducirt,  das  allenfalls  für  Dorotheens  jüngere 
Schwester  gelten  könnte-.     Gestalten,  die  nicht  aus  der  i^i 
Luft  gegriffen  sind,  müssen  sich  doch  wohl  hie  und  da 
auf  der  Erde  wieder  finden. 

An  Antonie  Brentano.  —  G. -Brentano  S.  33. 

September  17,  Gerbermühle  bei  Frankfurt.  383 

Sonntag    den    17.    [September]    zahlreicher  Mittags-  so 

tisch  im  grossen  Saab'.    Goethe  erzählt  von  der  schönen 

Müllerstochter  in  der  Xonnenmühle  bei  Wiesbaden,  mit 

der  ihn  Frau  Bansa  bekannt  gemacht  hat,  als  ein  Gegen- 


^  Mit  diesen  Worten  übersandte  Goethe,  als  Geschenk  an  den 
Genannten,  ein  Exemplar  der  Ausgabe:  Stuttgart  und  Tu-  25 
hingen,  in  der  J.  G.  Cotta'scheu  Buchhandlung  1814.  Auf 
einem  vorn  eingeklebten  Blatte  standen,  von  Schreiberhand, 
mit  Goethes  Unterschrift  versehen,  Bemerkungen  über  den 
Lebensgang  des  künftigen  Besitzers,  des,  damals  dreiund- 
zwanzig jährigen,  Officiers  Philipp  Gauby,  der  im  Kriege  aa 
weit  herumgekommen  war.  Letzthin  hatte  er  zu  Weimar  in 
Garnison  gestanden  und  zog  jetzt  gerade  wieder  zu  Felde, 
segen  Frankreich.  An  diese  Notizen  schloss  sich  eine  warme 
Empfehlung  des  jungen  Mannes  an  Goethes  Freiinde,  „zu 
denen  ihn  das  Geschick  führen  könnte"  (G.J.  6,  18  f.).  35 

-  Vgl.  Nr.  383. 

'  Bei  Willemers. 


1816  HERMANN   UND   DOROTHEA.  183 

[September  17,  Gerbermühle  bei  Frankfurt.]  [383] 

stück  ZU  seiner  Dorothea.  Eeiiilichkeit,  Wohlhaben- 
heit, Schönheit,  Derbheit.  Sie  spielt  Ciavier,  die  Brüder 
sind  zugleich  Fuhrleute,  eine  alte  Mutter  steht  dem 
5  Haus  vor.  Eine  alte  Muhme  ist  der  Apotheker  aus 
, Hermann  und  Dorothea"'  und  recht  gut.  Sie  hat  nocli 
eine  Zahl  kleiner  Geschwister^. 

Mit  S.  Boisseree.  —  Gespräche  3,  235. 

1816. 

10  August  24,  Teuustäclt.  384 

[Vormittags]  , Piermann  und  Dorothea'-. 
Tgb.  5,  266,  12. 

1817? 

]  [Septeml3er  oder  später'/  Weimar?]  3S4a 

15  [Zu  1796.]     Zehn  Jahre  waren  verflossen  und  mehr, 

als  meine  Verbindung  mit  Schillern  mich  aus 
diesem  wissenschaftlichen  Beinhaus  [der  Knochen- 
lehre] in  den  freien  Garten  des  Lebens  rief.  Meine 
Theilnahme    an    seinen   Unternehmungen,  .  .  und    aus 

20  '  Goethes  Tagebuch  (5,  168,  23  f.)  vermerkt  unter  dem  3.  Juli 
1815:  „Mit  Madame  Bausa  auf  der  Nonnenmühle".  Nach 
Rudolf  Jung  (G. -Brentano  S.  35)  ist  das  die  ,,Klostermühli; 
bei  Klarenthai";  über  die  ,, schöne  Müllerstochter"  findet 
man,  ebenfalls  nach  Jungs  Angabe,  Näheres  in  der  Abhand- 

25      lung  , Goethe  in  Nassau'  von  Fr.  Otto,  i-a  den  ,Annalen  des 
Vereins   für   Nassauische   Alterthumskunde   und   Geschichts- 
forschung' 26,  75. 
^  „Goethe  hatte  sich  Exemplare  von  , Hermann  und  Dorothea' 
schicken  lassen,  um  sie  in  Tennstädt  binden  zu  lassen"  Tgb. 

30  5,  396  zu  S.  266, 12.  Möglich,  dass  die  für  uns  allzu  lako- 
nische Tagebuchnotiz  nur  auf  diese  geschäftliche  Angele- 
genheit sich  bezieht.  Ebenso  erlaubt  aber  ist  die  Annahme 
(zuiual  im  Hinblick  auf  die  gleichzeitige  Tagebuchbemer- 
kung Nr.  432):  Goethe  habe,  veranlasst  durch  die  Zusendung, 

35  mit  dieser  seiner  Lieblingsdichtung  sich  näher  beschäftigt, 
etwa  einzelne  Stellen  für  den  neuen  Druck  durchgesehen,  der 
im  folgenden  Jahre.  1817,  in  Band  11  der  Werke  Cotta=  er- 
schien. 


184  HERMANN   UND    DOROTHEA.  1818 

][September  oder  später?  Weimar?]  [384a] 

mir  selbst  hervorgerufene  eigene  Arbeiten,  als  yüer- 
mann  und  Dorothea',  ,Achilleis',  Cellini, . .  entfernten 
mich  entschieden  von  jenen  Arbeiten  .  .  , 

Versuch    aus    der    vergleiclieuden    Knochenlehre    (Zur    5 
Morphologie  Band  1  Heft  2).  —  Nat.  W.  8,  125,  21— 126.  5. 

1818. 

April  15,  Jena.  385 

Herren    Ferjentsek,    zu    freundlichem  Andenken  des 
Aufenthalts   im   Saalthale,    Jena    den    15.  April    1818.  lo 
Goethe^. 

Au  Ferjents6k.  —  Chronik  dWGY.  1889  4,  10. 

April  16,  Weimar^.  385a 

Die    nöthigen    Expeditionen    vollführt.     Die  neben- 
stehenden abgeschlossen:  .  .  .  An  Ferjentsek  ,Hermann  15 
und  Dorothea^ 

Tgb.  6,  196,  16  f.  22  f. 


^  ,,Den  15.  April  1818  machte  Ferjentsek  seinen  Abschieds- 
besuch bei  Goethe.  Er  traf  ihn  leider  nicht  zu  Hause. 
Abends  befand  sich  Ferjentsek  in  froher  Studenten-Gesell-  20 
Schaft,  da  brachte  ein  Diener  in  später  Stunde  noch  ein 
Päckchen  in  dem  wohlbekannten  blauen  Packpapier,  dessen 
sich  Goethe  in  solchen  Fällen  bediente.  Goethe  hatte  es 
eigenhändig  adressirt  , Herren  Ferjentsek'. 

Roth  gesiegelt  war  es  mit  einem  sehr  kleinen  geschnitte-  25 
neu  Steine,  auf  dem  die  Gestalt  eines  Amors  zu  ei'kennen 
ist.  Das  Päckchen  enthielt  Goethes  , Hermann  und  Dorothea', 
die  Cottasche  Taschenausgabe  von  1814;  lichtgrün  steif  car- 
tonnirt. 

Die  Innenseite  der  vorderen  Decke  enthält  Goethes  eigen-  30 
händige  Widmung:  ....   [s.  oben  Nr.  385.] 

Wir  geben  von  dieser  Widmung  eine  Nachbildung  in  Ori- 
ginalgrösse"  (K.  .1.  Schröer:  Goethe  und  ein  Candidat  der 
Theologie  aus  Ungarn,  Chronik  dWGV.  1889  4,  8.  10). 

^  Die  Abweichung  im  Datum  von  Z.  8  und  Z.  18  ist  wohl  so  zu  35 
erklären:  Goethe  war,  nach  einem  vierwöchigen  Aufenthalt 
in  Jena,  am  Abend  des  15.  Aprils  mit  Ordnen  und  Packen  für 
seine  Rückkehr  nach  Weimar  beschäftigt  gewesen  und  am 
16.  früh  von  Jena  abgefahren;  in  Weimar  vermerkte  er  dann, 


1819  HERMANN   UND   DOROTHEA.  185 

August  14.  Karlsbad.  38<J 

Abends  Vorlesung  ,Hermann  und  Dorothea'^. 
Tgb.  6,  236.  10  f. 

1819. 

5  März  [Anfang],  Weimar.  387 

[Zu  1T96.  1797.  —  In  dem  chronologischen  Verzeich- 
niss  von  Goethes  TTerken  aus  dem  Jahre  1819  (s.  Xr.  90) 
heisst  es  unter  dem  Jahre:] 

1796:  .  .  jHermann  und  Dorothea'  begonnen. 
1^  1797:  Dasselbe  vollendet  und  herausgegeben: .  . 

Summarische     Jahresfolge     Goethescher     Schriften.    — 
WH.  29,  324. 

1820. 

September  1,  Jena.  3S8 

15  ^Sieh  auf  .Hermann    und  Dorothea'    zu  beschränken 

wäre  sittlich  und  patriotisch;  wir  haben  aber  an  plasti- 
sche Zwecke  zu  denken,  welche  auf  jenem  Wege  schwer- 
lich erreicht  werden  können.  ]\Iein  Vorschlag  wäre, 
mehrere     bedeutende     Gegenstände     auszusuchen    und 

20  solche  dem  Bildhauer  vorzulegen,  damit  er  diejenigen 
auswählte,  welche  seiner  Kunst  am  günstigsten  sind. 
.  .  ich  sende  selbst  nächstens  desshalb  einige  Vor- 
schläge und  kann  es  um  so  eher  thun,  als  es  mir  zu 
Muthe  ist,  ich  thue  es  für  einen  Dritten. 

25  An  S.  Boisseree.  —  Boisseree  2,  291  f. 


zu  den  am  Morgen,  vor  der  Abreise,  in  .Jena  erfolgten  Expe- 
ditionen, aucli  die  Sendung  an  Fen'entsek.  die.  wenn  schon 
in  ..später  Stunde"  (s.  184.  21 1.  doch  noch  am  1.5.  April  ge- 
schehen war. 

30    '  Wahrscheinlich  fand  die  Vorlesung  beim  Fürsten  Joseph  von 
Schwarzenberg  statt  (vgl.  Tgb.  6.  235,  20  f.  236.  10.  14i. 
'  Boisseree  liatte    am  24.  August  den  Entwurf  zu  einem  Mo- 
numente für  Goethe  überschickt,  das  in  Frankfurt  am  Main 
geplant,  später  jedoch  nicht  ausgeführt  wurde.  Boisseree  bat 

35      um  Goethes  Urtheil.  es  sei  ihm  um  so  mehr  daran  gelegen, 
es  zu  erfahren:     ..weil   rüeksichtlich  der  für  die  Basreliefs 


186  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1822 

[1822.] 
[März,  zwischen  11  und  16,  Weimar.]  389 

[Zu  1796.]  AVie  mich  .  .  niemals  irgend  ein  xlensseres 
mir    selbst    entfremden    konnte,    mich    vielmehr    nur 
strenger  in's  Innere  zurückwies,  so  blieben  jene  Xaehbil-    & 
düngen    des    Zeitsinnes    [,Der  Gross-Cophta'  und  ,Der 
BürgergeneraF]  für  mich  eine  Art  von  gemüthlieh  tröst- 
lichem Geschäft.     Die  ^Unterhaltungen  der  i^usgewan- 
derten',    fragmentarischer    A^ersuch^,    das    unvollendete 
Stück  ,die  Aufgeregten',  sind  eben  so  viel  Bekenntnisse  lo 
dessen,  was  damals  in  meinem  Busen  vorging;  Avie  auch 
späterliin  ,Hermann  und  Dorothea'  noch  aus  derselbigen 
Quelle  flössen,  welche    denn  freilich    zuletzt  erstarrte. 
Der  Dichter  konnte  der  rollenden  Weltgeschichte  nicht 
nacheilen   und  musste  den  Abschluss    sich   und  andern  i5 
schuldig  bleiben,  da  er  das  Eäthsel  auf  eine  so  entschie- 
dene als  unerwartete  "Weise  gelöst  sah^. 

Campagne  in  Frankreich  1792.  —  W.  33,  265,  18—266,  4. 


vorgeschlagenen  Gegenstände  Verschiedenheit  der  Meinung 
obwaltet.  Einige  Freunde  glaubten,  statt  dem  einen  Bilder-  20 
kreis  aus  .Hermann  und  Dorothea"  sollte  man  lieber  Vorstel 
lungen  aus  mehreren  Werken  Avählen,  und  nun  wünscht 
auch  Thom-aldsen  diese  Abänderung"  j  Boisseree  schlägt 
gleichzeitig  sechs  Bilder  aus  fünf  Dichtungen  vor,  das 
sechste  Bild  sollte  darstellen  ,, Hermann,  der  die  Dorothea  25 
von  den  Auswanderern  heimführt"  (Boisseree  2,   289  f.). 

^  Auffallend  ist  hier  erstlicli:  das  Felden  des  Artikels  ,,ein" 
vor  ..fragmentarischer  Versuch",  zum  andern:  die  Bezeich- 
nung der  , Unterhaltungen  deutscher  Ausgewanderten'  als 
eines  ,. fragmentarischen  Versuchs",  zum  dritten:  das  Fehlen  30 
des  Bruchstücks  von  der  .Reise  der  Söhne  Megaprazons'  in 
dieser  Aufzählung  der  durch  die  französische  Revolution 
veranlassten  Dichtungen.  Mit  Recht  hat  daher  Düntzer 
vermuthet,  dass  „Versuch"  gar  nicht  auf  die  , Unterhal- 
tungen' zu  beziehen,  sondern  nach  diesem  Worte  der  Titel  35 
des  eben  genannren  Tieise-Fragments  zu  ergänzen  sei  (WD. 
.22,  188  zu  Z.  10  f.). 

'  Zur    leichteren   Uebersicht    über  die   im   Obigen   genannten 
Werke    seien    hier    die  wichtigsten  der  in  Folge  der  franzö- 


1S23  HERMANN   UND   DOROTHEA.  187 


[1823  oder  1824.]  1 
[?  ?  ?]  390 

[Zu  1796.]  Kaum  .  .  hatte  ich  mich  durch  successive 

Herausgabe  davon  befreit  [von  ,Wilhehn  Meisters  Lehr- 

5  jähren"'],  als  ich  mir  eine  neue  Last  auflegte,  die  jedoch 
leichter  zu  tragen,  oder  vielmehr  keine  Last  war,  weil 
sie  gewisse  Vorstellungen,  Gefühle,  Begriffe  der  Zeit  aus- 
zusprechen Gelegenheit  gab.  Der  Plan  von  ,  H  e  r  - 
mann  und  Dorothea'     war  gleichzeitig  mit  den 

10  Tagesläuften  ausgedacht  und  entwickelt,  die  Ausfüh- 
rung ward  während  des  Septembers  begonnen  und  voll- 
brach t%  so  da  SS  sie  Freunden  schon  producirt  werden 
konnte.  Mit  Leichtigkeit  und  Behagen  war  das  Gedicht 
geschrieben,  und    es  theilte    diese  Empfindungen    mit. 

15       Mich  selbst  hatte  Gegenstand  und  Aiisführung  derge- 
stalt durchdrungen,  dass  ich  das  Gedicht  niemals  ohne 
grosse  Rührung  vorlesen  konnte^,  und  dieselbe  Wirkung 
ist  mir  seit  so  viel  Jahren  noch  immer  geblieben. 
Tag-  und  .Tahres-Hefte,  179G.  —  W.  35,  65,  11—26. 

20   [?  ?  ?]  391 

[Zu  1T97.]   .  .  ,Hermann  und  Dorothea'  erschien  als 

Taschenbuch,  .  . 

Tag-  und  Jabres-Hefte,  1797.  —  W.  35,  71,  2  f. 

sisclien   Revolution    entstandenen    Dichtungen,    der   Zeitfolge 
25      nach,  zusammengestellt. 

1791  ;92:      „Der   Gross-Cophta'. 

1792:    ,Reise   der   S(4me    Megaprazous'. 

1793:     .Der  Bürgergeneral'. 

1793  94:    .Reiueke    Tuchs'    und    ,Die    Aufgeregten'. 

179495:     .Unterhaltungen   deutscher  Ausgewanderten*. 

1796|97:    , Hermann  und  Dorothea'. 

1799—1803:     ,Die  Natürliche  Tochter'. 
Vielleicht  ist  diese  Aeusseimng,  wie  auch  Nr.  391,  schon  1819 
oder  1820  geschrieben. 

..vollbracht'',   das   hoisst:    zum   grösseren   Theile.      Die   Aus- 
führung und  Vollendung  zog  sich  noch  hin  l)is  in  den  .Tuni 
1797.  s.  Nr.  183—287. 
Vgl.  Nr.  178. 


30 


188  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1S23 

1823. 

]  [Januar,  zwischen  10  und  19,  Weimar.]  —  s.  Nr.  92.  391a 

Mai  [1  oder  2,  Weimar.]  392 

, Goethes   Hermann   und    Dorothea.     Aus    Versen    in 
Prosa    umgebildet    von  C.  Th.  Kersten.  London  1823^    s 
—  Vom  Verfasser^. 

Büclier-Yermebrungsliste  1823.  —  Tgb.  9,  326. 

Mai  2,  [Weimar.]  393 

Xach  Tische  prosaische  Uebersetzung  von  ,Hermann 
und  Dorothea'  [s.  Xr.  392].  lo 

Tgb.  9,  44,  25  f. 

Juli  8,  Marienbad.  394 

3Ian  brachte  mir  die  lateinische  Uebersetzung-   von 

.Hermann  und  Dorothea',  es  ward  mir  ganz  sonderbar 

^  Das  Buch  ist,  wie  der  Verfasser  im  Vorwort  erklärt,  für  ,,an-  js 
gehende  Liebhaber  der  deutschen  Sprache"  im  Auslande,  be- 
sonders in  Frankreich  und  England,  bestimmt.  Für  diese  sei 
Goethes  .Hermann  imd  Dorothea'  die  geeignetste  Lectüie, 
doch  müsse  das  Gedicht  in  Prosa  aufgelöst  werden,  denn 
alle  im  deutsehen  Hexameter  ,,voi-kommenden  poetischen  20 
Freiheiten  in  der  Wahl  und  Verbindung  der  Wörter,  beson- 
ders aber  in  der  Wortfolge,  prägen  sich  ilu-era  Gedächtnisse 
als  eben  so  viele  Beispiele  ein.  die  sie  glauben  in  Prosa  nach- 
ahmen zu  dürfen"  (S.  VH). 

Der  genaue  Wortlaut  des  Titels  ist  .Göthe's  Hermann  und  25 
Doi'othea.  Gedicht  in  neun  Gesängen.  Aus  den  Versen  in 
Prosa  umgebildet  von  Carl  Theodor  Kersten.  [Es  folgen  drei 
Citate:  1.  aus  W.  v.  Humboldts  Abhandlung.  2.  aus  Bitaubes 
Vorwort  zu  seiner  Uebertraguug.  3.  aus  der  Besprechung  A. 
W.  von  Schlegels.]  Mit  zehn  Holzschnitten.  London:  ge-  30 
druckt  für  den  Verfasser;  Leipzig,  in  Commission  bei  C.  F. 
W.  Vogel.  1823'. 

Nur  einer  der  zehn,  von  William  Hughues  ausgeführten. 
Holzschnitte  ist  ein  selbstständiges  Blatt,  er  steht,  die  erste 
Begegnung  zwischen  Hermann  und  Dorothea  darstellend.  35 
dem  Titel  gegeuübei-;  die  übrigen  neun  sind,  nach  Art  von 
Vignetten,  über  dem  ersten  Verse  der  einzelnen  entspreclieu- 
den  Gesänge  eingerückt. 
-  Arminius  et  Theodora  auctore  Goethe.  Latine  vertit  M.  Ben- 
jamin Gottlob  Fischer.  .  .  Stuttgardite,  sumtu  .Tohannis  Be-  40 


1S23  HERMANN   UND   DOROTHEA.  189 

[Juli  8,  Marienbad.  J  [394] 

dabei;  ich  hatte  dieses  Lieblingsgedicht  viele  Jahre  nicht 
gesehen,,  und  nun  erblickt'  ich  es  wie  im  Spiegel,  der, 
wie  wir  aus  Erfahrung  und  neuerlich  aus  den  entop- 
5  tischen  [Farljen?]  wissen,  eine  eigne  magisclie  Kraft 
auszuüben  die  Fähigkeit  hat.  Hier  sah  ich  nun  mein 
Sinnen  und  Dichten  in  einer  viel  gebildeteren  Sprache, 
identisch  and  verändert,  wobei  mir  vorzüglich  auffiel, 
dass  die  römische  nach  dem  Begriff  strebt  und,  was  oft 

10  im  Deutschen  sich  unschuldig  verschleiert,  zu  einer  Art 
von  Sentenz  wird,  die,  wenn  sie  sich  auch  vom  Gefühl 
entfernt,  dem  Geiste  doch  wohlthut\  Ich  möchte  übri- 
gens nicht  weiter  darüber  nachdenken;  denn  eine  solche 
Vergleichung  führt  zu  tief  in  den  Text. 

15  An  Schultz.  —  G.-Schultz  S.  282  f. 

Juli  8,  Marienbad.  395 

, Hermann  und  Dorothea'  lateinisch  [s.  Xr.  394]. 
Tgb.  9,  73,  28—  74, 1. 

August,  zwischen  11  und  21,  Marieubad.  396 

2ü  [Zu  1790.  1797.]   ...  (de  1797)    jusqu'ä  1800  ,H er- 

mann et  Dorothea',  Poeme  epique  en  dix  chants  .  .- 

Tabellarische  TTebersicht    der  ,Ouvrages    poetiques    de 
Goethe'.  —  GJ.  15,  18. 

October  27,  Weimar.  397 

25  Metrische  griechische  Uebersetzung  des  ersten  Gesan- 

ges von  Goethes  Hermann  und  Dorothea  von  Dr.  AVinck- 
ler.  Giessen.  —  Vom  Verfasser^. 

Bücher-Yermehrungsliste    1823.   —   Tgb.    9,    135, 11  f. 


nedicti    Metzleri.     MDCCCXXII;     mit    dem     entsprechenden 

deutschen  Titel    auf  der  linken  Seite,    da  der  Uebertragung 

das  Original  gegenüber  gedmckt  ist. 
'  Vgl.  193,  22— 194,  3. 
-  Die  Jahreszahlen  sind  ungenau  angegeben,  seltsamer  Weise 

auch    die  Anzalil    der  Gesänge    (ebenso  wie  bei  .AchilleTs'  in 

dem  gleichen  Schriftstück,  s.  Nr.  94). 
'  Die  Uebertragung  war  erschienen  als  , Einladungsschrift  zu 

den  am  25ten,  2Gten  und  27ten  September  1823  [im  „acade- 


190  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1S24 

October  27,   Weimar.  308 

Uebersetzung  von  , Hermann  und  Dorothea'  in's  Grie- 
chische [s.  Xr.  39?]. 
Tgb.  9,  135,  11  f. 

November  14  Abeuds,  Weimar.  399    5 

[Zu  1796.]  Ich  trug  alles  [von  ..poetischen  Planen"] 
still  mit  mir  herum  und  niemand  erfiüir  in  der  Eegel 
etwas,  als  bis  es  vollendet  war. 

Als    ich  Schillern    meinen  .Hermann    und  Dorothea' 
fertig  vorlegte,  war  er  verwundert,  denn  ich  hatte  ihm  lo 
vorher  mit  keiner  Sill)e  gesagt,  dass  ich  dergleichen  vor- 
hattet 

Mit  Eckermanu.  —  Gespräche  4,  319. 

182^. 

Januar  10.  Weimar.  '  400  1 5 

,Hermann  und  Dorothea'  prosaisch-. 
Tgb.  9,  165,  15  f. 


mischen  Pädagogium"]  anzustellenden  üfEeutlichen  Prü- 
fungen und  Redeübungen  von  Dr.  Heinrich  Arnold  Wilhelm 
Wincliler,  .  .  .  Giesson,  gedruckt  mit  Schröder'schen  Schrif-  20 
ten',  und  trägt  auf  dem  Titel  nocli  die.  in  der  Copie  des  Tage- 
buches ausgelassene,  Angabe  mach  dem  Worte  ..Dorothea"): 
..mit  beigefügtem  Original  und  lateinischer  Uebersetzung 
von  Fischer'". 

Im  Jahre  1830  liess  Winckler.  auch  als  Einladungsschrift,  25 
die  griechische  Uebersetzung  des  zweiten  Gesanges   folgen, 
der  gleichfalls  das  Original  und  Fischers  lateinische  Ueber- 
tragung  beigefügt  sind. 

^  Dieses  Letztere  ist  (will  man  nicht  einen  Irithum  von 
Seiten  Eckermanns  annehmen)  eine  der  seltenen  Aeusse-  30 
rungen,  in  denen  Goethes  Erinneiimg  schwer  getrübt  er- 
scheint. Denn  gerade  das  Gegentheil  des  Behaupteten  war 
in  Wirklichkeit  der  Fall  gewesen,  wie  schon  die  beiden 
brieflichen  Aeussetiiugen  Schillers  vom  28.  October  1796  und 
vom  30.  October  1797.  die  man  oben  87.  24—32  und  141.  26—  85 
33  nachlesen  wolle,  zur  Genüge  beweisen. 

^-  Vgl.  Nr.  392.  393. 


1824  HERMANN   UND   DOROTHEA.  191 

Februar  20,    Weimar.  iOl 

[Schriftliche  Xachricht  an]  Herrn  Eegisseur  Durand, 
mit  .Hermann  und  Dorothea"\ 
Tgb.  9,  181,  22  f. 

s  März  25,  Weimar.  402 

War  früh  Herr  Durand  dagewesen,  um  mich  auf  den 
Sonnabend  [27.  März]  einzuladen-. 
Tgb.    9,    197,    18  f. 


^  Das  heisst  vermuthlicb:  mit  dem  Regie-  oder  Souftiir-Manu- 

10  Script  von  Tüpfers  gleicbmimiger  Bübuendicbtimg,  die  am 
27.  März  in  Weimar  aufgefübit  werden  sollte. 

Karl  Töpfers  dramatisches  Gedicht  »Hermann  und  Doro- 
thea. Idyllisches  Familiengemälde  in  vier  Aufzügen.  Nach 
Goethes  Gedicht'  war  zum  ersten  Mal  am  20.  October  1823, 

15  im  königlichen  Theater  zu  Berlin  aufgeführt  worden.  In 
einem  Briefe  A'arnhagens  von  Ense  an  Goethe,  vom  7.  No- 
vember 1823,  heisst  es  über  diese  Aufführung  unter  Anderem: 
„Der  dramatische  Bearbeiter  hat  freilich  den  glücklichen  Ge- 
danken von  seiner  Seite  nur  traurig  ausgeführt,  allein  sein 

20  Unberuf  vermochte  die  hinreissende  Kraft  des  Gedichtes 
nicht  zu  überwältigen;  .  .  .  Atisserordentlich  war  der  Ein- 
druck, alles  in  tiefgerührter  Bewegung.  Die  Schauspieler 
erhielten  den  grössten  Beifall;  doch  überluden  sie  ihre  Dar- 
stellung,   die    aus    dem    reinen  hohen  Aether  des  Gedichts 

25  völlig  in  die  schwere  untere  Luft  der  Bearbeitung  nieder- 
ging'' (GJ.  14,  66  f.). 

Töpfer  hat  den  Pfarrer  Goethes  in  einen  ..Rector"  ver- 
wandelt. Die  Bearbeitung  ist  jetzt  bequem  zugänglich  als 
Nr.     2027     der     Uuiversal-Bibliothek     (Leipzig.    Verlag    von 

30      Philipp  Reclam  jim.i 

^  Zur  Aufführung  des  Töpferschen  Stückes  (s.  oben  Z.  12— 14i. 
Goethe  folgte  (wie  Nr.  403  zeigt)  der  Einladung  nicht,  ob- 
gleich auch  der  Grossherzog  Karl  August  ihn  brieflich  zum 
Besuch    des    Theaters    aufforderte,    mit   folgenden  Worten: 

35  „Uebermorgen  erscheint  wieder  [?]  .Hermann  und  Doro- 
thea' auf  hiesiger  Bühne:  Dir  wird  die  Vorstellung  gewiss 
davon  sehr  gefällig  sein.  Komm  doch  hinein.  Du  kannst  ja 
in  unserer  grossen  oder  in  meiner  kleinen  Loge  Dich  ein- 
hüllen" (G.-Karl  August  2,  245). 


192  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1824 

März  27,  Weimar.  403 

[Schriftliche  Xachricht]   An  Eegisseur  Durand,  Ab- 
lehnung der  Einladung^. 
Tgb.  9,   198,  6  f. 

März  28,  Weimar.  404    5 

Mittag  Eckermann.  .  .  .  war  viel  von  der  gestrigen 
Vorstellung:  ^Hermann  und  Dorothea'  die  Eede  ge- 
wesen^. 

Tgb.  9,  198,  22  f.  27  f. 

April  20,   Weimar.  405  la 

Meiner  guten  artigen  Schwiegertochter  haben  Sie  die 
beste  Gelegenheit  verschafft,  die  Herrlichkeiten  des 
ersten  deutschen  Theaters  bequem  anzusehen  und  auch 
Zeuge  zu  sein,  welche  Sorgfalt  Sie  verwenden,  dasjenige 
zur  glücklichsten  Evidenz  zu  bringen,  was  von  mir  und  15 
meinen  früheren  Bemühungen  sich  gelegentlich  ableitet; 
von  ,Herniann  und  Dorothea'  kann  sie  noch  nicht  ohne 
äusserstes  Entzücken  und  wahre  Herzensrührung 
sprechen  und  'erzählen".  Auch  hier  ist  das  Stück  aufge- 
führt worden  und  hat  eine  gute  Wirkung  in  gewissem  2& 
Grade  nicht  verfehlt^. 

An  Brühl.  —  Teichmann  S.  260. 


s.  191,  31  f. 

s.  191,  12—14. 

Goethes  Schwiegertochter  hatte  während  des  letzten  Winters  30 

länger  als  zwei  Monate  in  Berlin  gelebt.     Dass  sie  bei  dieser 

Gelegenheit    Töpfers  Dichtung    dort  hatte  auflführen  sehen, 

erfahren  wir  auch  durch  den  Kanzler  von  Müller,  der  unter 

dem  9.  Februar  1824  aufzeichnet:  „Mittags  bei  Goethe.   .  .  . 

Ottiliens    tagebuchartige    Schilderung    des   Eindruckes,   den  35 

.Hermann  und  Dorothea'  auf  sie  gemacht"  (Unterhaltungen 

S.   136). 

s.  Nr.  404,  und  vgl.  Nr.  414. 


1825  HERMANN   UND   DOROTHEA.  193 

][nacli  Juli  1\  Weimar.]  406 

Voss  hat  in  seiner  ,Luise"'  diesen  häuslichen  Ton^  an- 
gegeben; in,Hermannund  Dorothea'  habe  ich 
ihn  aufgenommen,  und  er  hat  sich  in  Deutschland  weit 
5  verbreitet.  Und  es  ist  wohl  keine  Frage,  dass  diese  dem 
Sinne  des  Volks  sich  nähernde  Dichtart  den  indivi- 
duellen Zuständen  am  besten  zusagt. 

Individualpoesie  (Aufsatz  zur  deutschen  Lltteraturi.  — 
WH.  29.  399. 

10  October  2,  Weimar.  407 

Im  Schauspiel  ^Hermann  und  Dorothea"'^. 
Tgb.  9,  277,  7  f. 

October  3,  Weimar.  408 

Mittag  Dr.  Eckermann.  Ueber  die  gestrige  Vorstellung 
lä      von  .Hermann  und  Dorothea'^. 
Tgb.   9,  277,   13  f. 

1835. 

Januar  18,  Weimar.  409 

„  jHermann  und  Dorothea"  ",  sagte  er  unter  anderm, 

20      „ist  fast  das  ein2dge  meiner  grossem  Gedichte,  das  mir 

noch  Freude  macht;  ich  kann  es  nie  ohne  innigen  An- 

theil  lesen.  Besonders  lieb  ist  es  mir  in  der  lateinischen 


'  Unter  dem  7.  Juli  1S24  verzeichnet  Goethes  Tagebuch  (9,  240, 
17 f.):     „Abends   Professor  Riemer.  .  .  -.  Sendung   aus   Use- 
25      dorn"',    damit    ist    ein    Gespräch    gemeint    über    die    (m.  der 
Bücher-Termehmngsliste    unter    dem  Juli,    ohne  Tageszahl, 
vermerkten)   .Vermischten  Gedichte  von  Wilhelm   Meinhold. 
Greifswald    1824',    die    der  Verfasser  geschickt  hatte.     Die 
obige  Datii^ng    stellt    nur  die  früheste  Grenze  der  Entste- 
30      hungszeit  des  kleinen  Aufsatzes  fest,  der  vielleicht  späteren 
Jahren  angehört. 
*  Wie    er    in    der  ,, Individualpoesie"  des  pommerschen  Geist- 
lichen und  Dichters  Meinhold  heiTsoht. 
'  s.   191.   12—14. 

Graf,  Goethe  über  seine  Dichtungen  T.  I.  13 


194  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1820 


[Januar  18,  Weimar.]  [409] 

Uebersetzung;  es  kommt  mir  da  vornehmer  vor,  als  wäre 
es,  der  Form  nach,  zu  seinem  Ursprünge  zurückgekehrt"\ 
Mit  Eckermann.  —  Gespräche  5,  134. 

Juni  18,   Weimar.  409a    5 

E.  "W.  halten  sich  überzeugt,  dass  ich  das  Geschäft  des 

Grammatikers   in  seinem    ganzen  Umfang    zu  schätzen 

weiss  und  dass  ich  mir  gern  erst  von  ilim  die  Erlaubniss 

erbitte,    als  Poet    mich  einiger  Freiheiten  bedienen    zu 

dürfen.     Haben  Sie  die  Gefälligkeit,  Ihre  Bemühungen,  lo 

die  mir  so  sehr  zu  Gute  kommen,  weiter  fortzusetzen, 

und  so  werden  wir  uns  zu  rechter  Zeit  mit  Freuden  am 

Ziele  sehen^. 

An  Göttling.  —  G.-Göttling  S.  8. 

Juni  18,  Weimar.  409b  15 

[Brief    an]    Herrn  Professor  Göttling    dahin    [nach 
Jena].,  11.  und  12.  Band"  meiner  "Werke  [s.  Xr.  -lOOa]. 
Tgb.   10,   70,  3  f. 

1826. 

Februar  1,  Weimar.  —  s.  Nr.  95.  409c  20 

October  22,  Weimar.  —  s.  221,  7.  409d 

December  27,  Weimar.  410 

„In  ästhetischer  Hinsicht  ist  jetzt  an  gar  keine  Ver- 
bindung und  Correspondenz  zu  denken.  Da  wollen  sie 
'^rissen,  welche  Stadt  am  Ehein  bei  meinem  ,Hermann  25 


^  Vgl.  Nr.  394. 

'  Göttling  sah,    seit  Ende  Januar  1825,    Goethes  Werke,    für 
die  ,yollständige  Ausgabe  letzter  Hand',   in  grammatischer 
und    metrischer  Hinsicht  durch  und  erhielt  zu  dieser  Arbeit 
die  Bände  der  letzten  Gesammtausgabe  (Cotta"),  je  zwei  und  so 
zwei,  von  Goethe  zugeschickt. 

Mit  obigen  Worten  begleitete  Goethe,  wie  Nr.  409b  zeigt, 
Band  11.  12.  Band  11  enthielt:  .Reineke  Fuchs',  .Hermann 
und  Dorothea',  ,Achilleis',  ,Pandora',  Band  12:  , Werther' 
und  die  .Briefe  aus  der  Schweiz'.  85 

»  s.  Z.  33—35. 


1S27  HERMANN    UND    DOROTHEA.  195 

[December  27,  Weimar.]  [410] 

und  Dorothea*^  gemeint  sei.    Als  ob  es  nicht  beseer  wäre, 
sich  jede  beliebige  zu  denken!    Man  \dll  Wahrheit,  man 
will  Wirklichkeit  und  verdirbt  dadurch  die  Poesie"^. 
5  Mit  Eckermann.  —  Gespräche  5,  337  f. 

Nach  1826. 
][?  ?  ?]  411 

[Zu  1800  und  später.]    Eine  Uebersetzung  von  .Her- 
mann und  Dorothea'  durch  Bitaube  that  nur  im  Stillen 
10      ihre  "Wirkung-. 

Einzelnheiten  über  französische  Litteratur.  —  WH.  29, 
664. 

1827. 

Januar  15.  Weimar.  —  s.  223,  9—11.  411a 

15  Januar  18,  Weimar.  —  s.  227,  31.  411b 


^  Mit  solchen  Fragen  ist  Goethe  sein  Leben  lang,  vom  Er- 
scheinen .Werthers'  an  bis  in  die  letzten  Zeiten,  belästigt 
worden.  Hier  mag  ein  kurz  vorher  empfangener  Brief  die 
Klage    veranlasst    haben,     es    ist    wenigstens    kaum    anzu- 

20  nehmen,  dass  sie  sich,  drei  Jahre  zuiiick,  auf  ein  Schreiben 
Varnhagens  von  Euse  vom  7.  November  1823  beziehe. 
Varnhagen  hatte  geschrieben:  „  .  .  so  viele  Beziehungen  [in 
, Hermann  und  Deiothea'  zu  Goethes  Leben]  wären  zu  ver- 
folgen, zu  erläutern I     Die  Oertlichkeit  insbesondere  hat  et- 

25  Avas  unbeschreiblich  Anziehendes;  man  meint  diese  Stadt 
und  Gegend  zu  kennen,  man  will  sie  wiederfinden,  und  die 
Einbildungskraft  schweift  ängstlich  über  alle  Eindrücke  hin, 
welche  die  reichen  Lande  längs  des  Oberrheins  in  ihrer  tiefe- 
ren   Erstreckung    dem    Reisenden    ehmals  überschwänglich 

30  dargeboten,  ohne  dass  die  Wahl  sich  entscheiden  und  fest- 
stellen will'.  Ein  bestimmter  Ort  aber,  eine  bestimmte  Gegend, 
das  nehmen  wir  für  gewiss  an,  hat,  wenn  auch  nur  durch 
einige  glückliche  Tuncte,  die  Grundlinien  der  ganzen  Schil- 
derung geliefert.  .  .  ."    (G.L  14,  65  f.) 

35  =  Im  Gegensatz  zu  den  französischen  Uebei'tragungen  von 
.Werthers  Leiden',  deren  „Effect"  in  Frankreich  „gross  war 
wie  überall";  s.  165,  31—36  und  vgl.  dagegen  166.  24  f. 


196  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1828 

Januar  31,  Weimar.  412 

Es  ist  bei  ihnen^  alles  verständig,  bürgerlich,  ohne 
grosse  Leidenschaft  und  poetischen  Schwung  und  hat 
dadurch  viele  Aehnlichkeit  mit  meinem  ,Hermann  und 
Dorothea'  sowie  mit  den  englischen  Eomanen  des  Ri- 
chardson.  Es  unterscheidet  sich  aber  wieder  dadurch, 
dass  bei  ihnen  die  äussere  Natur  neben  den  menschlichen 
Figuren  immer  mitlebt. 

Mit  Eckermann.  —  Gespräche  6,  43. 


10 


1838. 

Januar  15,  Weimar.  413 

,  .  freundlicher  Aufnahme  die  Sendung  lebhaft  em- 
pfehlend, .  .  Inhalt  .  .  .  5.  ,  Hermann  und  Dorothea', 
für  Madame  Carlyle  .  .  .^. 

An  Carlyle.   --  G.-Carlyle  S.  29. 

vor  October  28,  Weimar.  413a  15 

Goethe  verspricht,  Ihnen  [Oppenheim]  ehestens  zu 
schreiben.  Er  lobt  die  Composition  ganz  vorzüglich  und 
ich  [Müller]  kann  betheuern,  dass  ihm  das  Ganze  grosse 
Freude  gemacht.  Sie  haben  ,Hermann  und  Dorothea' 
auf's  Avürdigste  nachgedichtet^  .  .        ,  20 

Mit  Kanzler  von  Müller.  —  Berichte  dFDH.  13.  71  f. 


*  Bei  den  Chinesen,  wie  sie  sich  in  einer  chinesischen  epischen 
Dichtung  darstellen,  die  Goethe  in  der  englischen  Uebertra- 
gung  von  Thoms  letzthin  gelesen  hatte  und  noch  studirte 
(Tagebucheintragung  vom  3.  Februar  1827:  „Chinesisches  2=> 
Gedicht  Chinese  Courtship.  Chinesische  Werbung",  nach  W. 
von  Biedermanns  Angabe  im  Archiv  f.  L.  13,  542). 

*  Am  14.  März  erkundigt  Goethe  sich  brieflich  nach  dem  Em- 
pfang der  Sendung,  die  unter  Anderem  auch  Band  6 — 10  der 
Werke  Cotta'  enthielt  (G.-Carlyle  S.  29.  35).  30 

*  Der  Maler  Moritz  Oppenheim  veröffentlichte  1828  bei 
Brönner  in  Frankfurt  am  Main  Umrisszeichnungen  zu  , Her- 
mann und  Dorothea',  zehn  Blätter  in  Quer-Folio,  von  A. 
Lucas  auf  Stein  übertragen.  Kanzler  von  Müller  bedankt  sich 
am  28.  October  1828  brieflich  bei  dem  Künstler  für  das  ihm  35 
gewidmete  Work  und  meldet,    dass    er    das  für  Goethe  be- 


nS29  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1!»* 


1829. 

Febnaar  4,  Weimar.  414 

„Wenn    man    meinen  , Hermann     und  Doro- 
thea'  liest,  so  denkt  man,  das  wäre  auch  auf  dem  The- 
5      ater  zu  sehen.  Töpfer  hat  sieh  verführen  lassen  es  hinauf 
zu  bringen;  allein  was  ist  es,  was  wirkt  es,  zumal  wenn 
es  nicht    ganz  vorzüglich  gespielt  wird,   und   wer  kann 
sagen,  dass  es  in  Jeder  Hinsicht  ein  gutes  Stück  sei?^ 
Für  das  Theater  zu  schreiben  ist  ein  Metier,  das  man 
10      kennen  soll,  und  will  ein  Talent,  das  man  besitzen  muss. 
Beides  ist  selten,  und  wo  es  sich  nicht  vereinigt  findet, 
wird  schwerlich  etwas  Gutes  an  den  Tag  kommen". 
Mit  Eckermann.  —  Gespräche  7,  8. 

März  23.  Weimar.  415 

15  ,,Ja,  mein  Guter,  man   hat   von  seinen  Freunden   zu 

leiden  gehabt!  Tadelte  doch  Humboldt  auch  an  meiner 
Dorothea,  dass  sie  bei  dem  Ueberfall  der  Krieger  zu  den 
Waffen  gegriffen  und  dreingeschlagen  habe!  Und  doch, 
ohne  jenen  Zug  ist  Ja  der  Charakter  des  ausserordent- 
20  liehen  Mädchens,  wie  sie  zu  dieser  Zeit  und  zu  diesen  Zu- 
ständen recht  war,  sogleich  vernichtet,  und  sie  sinkt  in 
die  Eeihe  des  Gewöhnlichen  herab-.  —  Aber  Sie  werden 


stimmte  Exemplar  diesem  übermittelt  babe  (Berichte  dPDH. 
13,  71).  In  Müllers  .Unterhaltungen'  wird  des  Werlies  nicht 
25  gedacht,  und  von  einem  Briefe  Goethes  an  Oppenheim  über 
dasselbe  ist  bisher  nichts  bekannt. 

^  s.  191.  12-14  und  vgl.  1Ü2,  24-26. 

'  W.  V.  Humboldt  beschäftigt  sich  auf  Seite  111—114  seines 
IGl,  30—32  angeführten  Werkes  mit  der  ..Erzählung  des  he- 
roischen Muths  der  Jungfrau"  (Gesang  <j  V.  104—118)  und 
mit    der    Frage:     „Ob    der  Dichter  gut  that.  gerade  diesen 


30 


198  HERMANN   UND   DOROTHEA.  1S21> 

[März  23,  Weimar.]  [415] 

bei  weiterm  Leben  immer  mehr  finden,  wie  wenige 
Menschen  fähig  sind,  sich  auf  den  Fuss  dessen  zu  setzen, 
was  sein  muss,  und  dass  vielmehr  alle  nur  immer  das 
loben  und  das  hervorgebracht  wdssen  wollen,  was  ihnen  & 
selber  gemäss  ist.  Und  das  waren  die  Ersten  und  Besten, 
und  Sie  mögen  nun  denken,  wie  es  um  die  Meinungen  der 
Masse  aussah,  und  wie  man  eigentlich  immer  allein 
stand". 

Mit  Eckermann.  —  Gespräche  7,  37  f.  lO 

November  14,  Weimar.  415a 

Die    epischen  Gedichte    sollen,    nach  meiner  jetzigen 

Ansicht,  das  Ganze  schliessen,  damit  der  Leser,  nach  so 


Zug    aus    ihrem  Leben  herauszuheben ?•'     Er  müsse  „offen- 
herzig gestehen,  dass,  so  oft  wir  noch  diese  Stelle  lasen,  sie  i& 
uns    jedesmal    den    gleichförmigen    Strom    zu  unterbrechen 
schien,    in    dem    sonst  das  ganze  übrige  Gedicht  hinfliesst", 
und  erlvlärt  sich  diesen  Eindrucli  aus  zwei  Gründen: 

1.  Die  Phantasie  müsse  sich  Dorotheen  hier  vorstellen:  ,,den 
Säbel  in  der  Hand,  die  Feinde  vertreibend,  .  .  Zu  diesem  20 
Bilde  aber  von  demjenigen,  das  sie  bisher  von  ihr  gehabt  hat, 
überzugehen,  und  von  da  aus  zu  diesem  zurückzukehren, 
macht  ihr  Mühe;  sie  findet  etwas  Grelles,  einen  Sprung  darin. 
Und  wenn  diess  wirklich  der  Fall  ist,  so  hat  auch  der 
Dichter  gefehlt".  25 

2.  Dorothea  könne  ,, einen  Mord,  selbst  den  eines  übermü- 
thigen  Feindes,  nie  im  mindesten  aus  freiem  Entschluss, 
immer  nur  durch  die  äusserste  N  o  t  h  getrieben,  begehen,  .  . 
Handlungen  aber,  die  nur  die  Noth  bewirkt,  in  denen  mehr 
der  Drang  der  Umstände,  als  die  Energie  des  Charakters  das  3a 
thätige  ^lotiv  ist,  sind  sehr  wenig  zu  einer  poetischen  Be- 
handlung lauglicli." 

Wie  tief  und  bis  in  sein  spätestes  Alter  dauernd  bei  Goethe 
der  Eindruck  sololien   Missverstehens  und   Nicht-Verstehens 
selbst    von  Seiten   höchstgebildeter  Menschen    war.    das   be-  35- 
weist  seine    dem   Obigen  angeschlossene  allgemeine  Bemer- 
kung (Z.  2—9). 


1830 


HERMANN   UND   DOROTHEA. 


199 


[November  14,  Weimar].  [4l5a] 

manchem  Denken    und  Urtheilen,  endlich  wieder    auf 
Poesie  zurückgeführt  werde^. 

Au  Cotta.  —  Neuestes  Yerzeicliniss  einer  Goethe-Biblio- 
5  thek  (1767—1874.),  S.  230. 


1830. 

Juni  25,  Weimar.  —  s.  Nr.  97. 


41ob 


^  Ueber  die  ursprüngliche  Einordniiug  der  epischen  Gedichte 
vgl.  Nr.  95.  —  Auf  Band  23  der  .Ausgabe  letzter  HandS  der 
10  den  Schluss  der  ."Wanderjahre'  enthält,  folgen  die  sechzehn, 
mit  Stoff  zum  „Denken  und  Urtheilen"  gefüllten  Bände  24 
— 39.  die  (fast  ausschliesslich!  Schriften  zur  Lebensge- 
schichte Goethes  und  zur  Kunst  enthalten. 


Joseph. 


1767. 

Mai  11,  Leipzig.  416 

Hätte  mir  einer  anno  62    von    meinem  .Joseph'    ge- 
sagt,   was    ich   jetzt    selbst    davon    sage,    ich  -würde  so    5 
niedergeschlagen  worden  sein,  dass  ich  nie  eine  Feder 
angerührt  hätte^. 

An  seine  Schwester.  —  Br.  1,  88.  22—25. 

October  [12],  Leipzig.  417 

Belsazer,  Isabel,  Ruth,  Selima,  ppppp.  haben  ihre  lo 
Jugendsünden  nicht  anders  als  durch  Feuer  büssen 
können-.  Dahin  denn  auch  Joseph  wegen  der  vielen 
Gebeie,  die  er  zeitlebens  gethan  hat,  verdammt  worden 
ist.  Ich  war  lange  Willens  ihn  auf's  Waisenhaus  an 
Bogatzkyen  zu  schenken,  der  hätte  ihn  herausgeben  i5 
können^.     Es  ist  ein  erbauliches  Buch,  und  der  Joseph 

^  Hiernach    scheint    die  .Geschichte  Josephs'    im  Jahre  1762 
schon  vollendet  gewesen  zu  sein,  während  sie  im  Hinblick 
auf  das  Erscheinungsjahr  der  202,  34—36    genannten  Dich- 
tung Mosers  nicht  vor  dem  Jahre  1763,  nach  201,  5  f.  sogar  20 
nicht  vor  Mitte  October  dieses  Jahres  entstanden  sein  kann. 

'  Nur  zwanzig  Verse  der  zuerst  genannten   Dichtung   haben 
sich  erhalten  mit  einem  Briefe,   in  dem   Goethe    sie    seiner 
Schwester  1765  mittheilte  (Br.  1,  25);  von  den  drei  andern 
Dichtungen  kennen   wir   bloss    die    Namen    und    auch    diese  25 
nur  aus  obiger  Brief  stelle. 

'  Bogatzky   lebte   im    Franckeschen   Waisenhause    zu    Halle. 
Durch  sein  .Güldenes  Schatzkästlein  der  Kinder  Gottes,  be- 


1811  .lOSEPH.  2ui 

[October  12.  Leipzig-.]  l*!'?] 

hat  nichts  zu  thun  als  zu  beten.  Wir  haben  hier  manch- 
mal über  die  Einfalt  des  Kindes  gelacht,  das  so  ein 
frommes  Werk  schreiben  konnte.  Doch  ich  darf  nicht 
viel  von  Kind  reden,  es  ist  noch  nicht  vier  Jahre^,  dass 

er  zur  Welt  kam. 

An  seine  Schwester.  —  Br.  1.  115. 1—12. 


[1811.] 

[Juli  Ende  oder  August  Anfang,  Weimar.]  418 

10  [Zu  ITß-?.]  Wenn  eine  stets  geschäftige  Einbildungs- 

kraft, wovon  jenes  Mährchen  [,Der  neue  Paris'],  ein 
Zeugniss  ablegen  mag,  mich  bald  da-  bald  dorthin 
führte,  wenn  das  Gemisch  von  Fabel  und  Geschichte, 
Mythologie  und  Eeligion  mich  zu  verwirren  drohte,  so 
15  flüchtete  ich  gern  nach  jenen  morgenländischen  Ge- 
genden, ich  versenkte  mich  in  die  ersten  Bücher  Mosis 
und  fand  mich  dort  unter  den  ausgebreiteten  Hirtcn- 
stämüien  zugleich  in  der  grössten  Einsamkeit  und  in 
der  grössten  Gesellschaft. 

Diese  Familienauftritte,  ehe  sie  sich  in  eine  Ge- 
schichte des  israelitischen  Volks  verlieren  sollten,  lassen 
uns  nun  zum  Schluss  noch  eine  Gestalt  sehen,  an  der 
sich  besonders  die  Jugend  mit  Hoff'nungen  und  Ein- 
bildungen gar  artig  schmeicheln  kann:  Joseph,  das 
Kind  der  leidenschaftlichsten  ehelichen  Liel)e.  Ruhig 
erscheint  er  uns  und  klai-,  und  prophezeit  sich  selbst 
die  Vorzüge,  die  ihn  über  seine  Familie  erheben  sollten. 
Durch  seine  Geschwister  in's  Unglück  gestossen,  bleibt 
er  standhaft  und  rechtlich  in  der  Sklaverei,  widersteht 


20 


30      Stehend  in  auserlesenen  Spi-üchen  heiliger  Schrift",  das  von 
Goethes  Mutter  sehr  werth  gehalten  wurde,  war  der  Name 
des  Verfassers  Goethe  früh  vertraut  geworden. 
Vgl.  zur  Deutung  der  obigen  Briefstelle  GJ.  7,  138. 
»  Vgl.  dagegen  202,  4.  17—21. 


202  JOSEPH.  1811 

[Juli  Ende  oder  August  Anfang,  Weimar.]  [418] 

den  gefährlichsten  Versuchungen,  rettet  sich  durch 
Weissagung,  und  wird  zu  liohen  Ehren  nach  A^erdienst 
erhoben.  Erst  zeigt  er  sich  einem  grossen  Königreiche, 
sodann  den  Seinigen  hülf reich  und  nützlich.  Er  gleicht  5 
seinem  Urvater  Abraham  an  Euhe  und  Grossbeit, 
seinem  Grossvater  Isaak  an  Stille  und  Ergebenheit. 
Den  von  seinem  Vater  ihm  angestammten  Gewerbsinn 
übt  er  im  Grossen:  es  sind  nicht  mehr  Heerden,  die 
man  einem  Schwiegervater,  die  man  für  sich  selbst  ge-  10 
winnt,  es  sind  Völker  mit  allen  ihren  Besitzungen,  die 
man  für  einen  König  einzuhandeln  versteht.  Höchst 
anmuthig  ist  diese  natürliche  Erzählung,  nur  erscheint 
sie  zu  kurz,  und  man  fühlt  sich  berufen,  sie  in's  Ein- 
zelne auszumalen.  15 

Ein  solclies  Ausmalen  biblischer,  nur  im  Umriss  an- 
gegebener Charaktere  und  Begebenheiten  war  den 
Deutschen  nicht  mehr  fremd.  Die  Personen  des  Alten 
und  Xeuen  Testaments  hatten  durch  Klopstock^  ein 
zartes  und  gefühlvolles  Wesen  gewonnen,  das  dem  20 
Knaben  so  wie  vielen  seiner  Zeitgenossen  höchlich  zu- 
sagte. Von  den  Bodmerischen  Arbeiten  dieser  Art 
kam  wenig  oder  nichts  zu  ihm-;  aber  .Daniel  in  der 
Löwengrube',  von  Moser^,  machte  grosse  Wirkung  auf 


^  In  dessen  religiösem  Epos  ,Der  Messias'.  25 

'  Ausser  den  Gesängen  von  der  ,Synd-Flut',  von  ,Xoah',  »Ja- 
kob und  Rachel'  und  anderen  hatte  Bodmer    in    den  Jahren 
ITöO  bis  1754  mehrere,  gerade  auf  die  Geschichte  .Tosephs  be- 
zügliche, Dichtungen  verüffentliclit:  die  Epen  ..Jakob  und  Jo- 
seph',    , Joseph   lind   Zulika',    und   die   Trauerspiele    ,Der  er-  30 
kannte  Joseph'   und   .der  keusche  Joseph'.     ,.Den   Verdacht, 
diese  Stücke  nachgeahmt    zu  haben,    will  Goethe    von    sich 
ablehnen"  (G.  v.  Loeper  in  WH.  20,  333  Erl.  109». 
*  Die  Pi'osa-Dichtung  .Daniel  in  der  Löwen-Grube.     In  sechs 
Gesängen    von    Friedrich    Carl    von    Moser.     Frankfurt  am  35 
Mayn.  Im  Verlag  .Johann  Christian  Gebhard.  1703'. 


1811  JOSEPH.  203 

[Juli  Ende  oder  Augiist  Anfang,  Weimar.]  [418] 

das  junge  Gemüih.  .  .  .  Die  Geschichte  Josephs  zu 
bearbeiten  war  mir  lang*^  schon  wünschenswerth  ge- 
wesen;   allein   ich    konnte  mit  der  Form  nicht  zurecht 

5  kommen,  besonders  da  mir  keine  Yersart  geläufig  war, 
die  zu  einer  solchen  Arbeit  gepasst  hätte.  Aber  nun 
fand  ich  eine  prosaische  Behandlung^  sehr  bequem  und 
legte  mich  mit  aller  Gewalt  auf  die  Bearbeitimg.  Xun 
suchte  ich  die  Charaktere  zu  sondern  und  auszumalen, 

10  und  durch  Einschaltung  von  Incidenzien  und  Episoden 
die  alte  einfache  Geschichte  zu  einem  neuen  und  selbst- 
ständigen "\^'erke  zu  machen.  Ich  bedachte  nicht,  was 
freilich  die  Jugend  nicht  bedenken  kann,  dass  hiezu  ein 
Gehalt    nöthig    sei,    und    dass   dieser  uns   nur    durch 

15  das  Gewahrwerden  der  Erfahrung  selbst  entspringen 
könne.  Genug,  ich.  vergegenwärtigte  mir  alle  Begeben- 
heiten bis  in's  kleinste  Detail,  und  erzählte  sie  mir  der 
Eeihe  nach  auf  das  genaueste. 

Was  mir  diese  Arbeit  sehr  erleichterte,  war  ein  üm- 

20  stand,  der  dieses  Werk  und  überhaupt  meine  Autor- 
schaft höchst  voluminös  zu  machen  drohte.  Ein 
Junger  Mann  von  vielen  Fähigkeiten,  der  aber  durch 
Anstrengung  und  Dünkel  blödsinnig  geworden  war, 
wohnte  als  Mündel  in  meines  Vaters  Hause-,  lebte  ru- 

25  hig  mit  der  Familie  und  war  sehr  still  tmd  in  sich  ge- 
kehrt, und  wenn  man  ihn  auf  seine  gewohnte  Weise  ver- 
fahren Hess,  zufrieden  und  gefällig.  Dieser  hatte  seine 
akademischen  Hefte  mit  grosser  Sorgfalt  geschrieben 


^  Nach  dem  Beispiel  der  MoserscLen  Dichtung. 

30  ^  ..Der  Sohn  des  verstorbenen  Stadtarchivars  Clauer,  der  .  . 
als  Rechtscandidat  im  Nebengebäude  von  Goethes  elter- 
lichem Hause  wohnte  und  geistesirre  wurde,  als  er  dieses 
beim  Umbau  im  Frühling  1T.j.j  verlassen  musste.  .  .  . 
Goethes    Vater    hatte    dessen  Vormundschaft  übernommen" 

35      (Düntzer  in  WD.  17,  174  zu  Z.  20». 


204  JOSEPH.  1811 

[Juli  Ende  oder  August  Anfang,  Weimar.]  [418] 

und  sieh  eine  flüchtige  leserliche  Hand  erworben.  Er 
beschäftigte  sich  am  liebsten  mit  Schreiben  und  sah 
es  gern,  wenn  man  ihm  etwas  zu  copiren  gab;  noch 
lieber  aber,  wenn  man  ihm  dictirte,  weil  er  sich  alsdann  5 
in  seine  glücklichen  akademischen  Jahre  versetzt  fühlte. 
Meinem  Yater,  der  keine  expedite  Hand  schrieb,  und 
dessen  deutsche  Schrift  klein  und  zittrig  war,  konnte 
nichts  erwünschter  sein,  und  er  pflegte  daher,  bei  Be- 
sorgung eigner  sowohl  als  fremder  Geschäfte,  diesem  10 
jungen  Manne  gewöhnlich  einige  Stunden  des  Tags  zu 
dictiren.  Ich  fand  es  nicht  minder  bequem,  in  der 
Zwischenzeit  alles,  was  mir  flüchtig  durch  den  Kopf 
ging,  von  einer  fremden  Hand  auf  dem  Papier  fixirt  zu 
sehen,  und  meine  Erfindungs-  und  Xachahmungsgabe  15 
wuchs  mit  der  Leichtigkeit  des  Auffassens  und  Aufbe- 
wahrens. 

Ein  so  grosses  Werk  als  jenes  biblische,  prosaißch- 
epische  Gedicht  hatte  ich  noch  nicht  unternommen. 
Es  war  eben  eine  ziemlich  ruhige  Zeit,  und  nichts  rief  20 
meine  Einbildungskraft  aus  Palästina  und  Aegypten 
zurück.  So  quoll  mein  Manuscript  täglich  um  so  mehr 
auf,  als  das  Gedicht  streckenweise,  wie  ich  es  mir  selbst 
gleichsam  in  die  Luft  erzählte,  auf  dem  Papier  stand, 
und  nur  wenige  Blätter  von  Zeit  zu  Zeit  umgeschrieben  25 
zu  werden  brauchten. 

Als  das  Werk  fertig  war,  denn  es  kam  zu  meiner 
eignen  Yerwundenmg  wirklich  zu  Stande,  bedachte  ich, 
dass  von  den  vorigen  Jahren  mancherlei  Gedichte  vor- 
handen seien,  die  mir  puch  jetzt  nicht  verwerflich  30 
schienen,  ^\■elche,  in  ein  Format  mit  , Joseph'  zusammen- 
geschrieben, einen  ganz  artigen  Quartband  ausmachen 
würden,  dem  man  den  Titel  .Vermischte  Gedichte' 
geben  könnte;  welches  mir  sehr  wohl  gefiel,  weil  ich 


isii 


JOSEPH. 


205 


[Juli  Ende  oder  August  Anfang.  Weimar.]  [418] 

dadurch    im  Stilleu    bekannte    und  berühmte  Autoren 
nachzuahmen  Gelegenheit  fand^. 

Diclitung  und  Wahrheit  Theil  1  Buch  4.  —  W.  20,  221, 
1»5—  223,  1.  6—  225, 10. 


'  Goethe  überträgt  hier  den  Gebrauch  des  Titels  , Vermischte 

Gedichte'  auf  jene  Zeit,  während  derselbe  erst  einige  Jahre 

später    durch    die    so    benannten    Gedichtsammlungen    von 

Rost  (1769),  Geliert    (1770),    Lavater    (1785),    Johann    Adolf 

10      Schlegel  (1787)  und  Anderen,  beliebt  wurde. 


Margites-Epos. 


[1798.] 
[Juli  Mitte,  Weimar.]  419 

.  .  iiiüchten  Sie  mir  doch  die  Spuren,  die  sich  ^om 

M  a  r  g  i  t  e  s  im  Alter thume  finden,  mit  Ihrem  Geist    6 

zu  meinem  Privatgebrauch  zusammenstellen.  Je  früher 

Sie  es  thun,  desto  früher  wird  Ihnen  mein  praktischer 

Dank  entgegen  kommen,  denn  ich  habe  keinen  andern. 

Wie  sehr  wünschte    ich  eine  Hypothese,  die    ich  über 

den  Inhalt  dieses  Gedichts  schon  lange    hege,    bestätigt  lo 

zu  sehen,  um    sie    in  einem  kleinen  Epos  nach  meiner 

Art  den  Kennenden  vorzulegen\' 

An  Friedricli  Schlegel.  —  Br.  13,  208.  2—10. 


Margites  (gr.  margos  =  raseud,  toll,  thüricht)  ist  der  Name 
einer  komischen  Gestalt  der  griechischen,  Yolkssage,  eines  15 
sich  klug  dünkenden  Thoreu,  der  als  eine  Art  von  Gegenstück 
zum  deutschen  Eulenspiegel  betrachtet  werden  kann.  Von 
dem  nach  diesem  seinem  Helden  benannten  Epos  .Margites', 
das.  wo  nicht  Homer  selbst,  so  doch  den  Homeriden  zuge- 
schrieben wird,  haben  sich  nur  wenige  Bruchstücke  er-  20 
halten,  vgl.  SdGG.  13,  859  unter  Xr.  2. 

Goethe  mochte  gegenwärtig  durch  das  gerade  1798  in  Stet- 
tin erschienene  Programm  .De  Margite  Homerico'  von  Gott- 
helf  Samuel  Falbe  wieder  auf  den  Gegenstand  geführt 
worden  sein.  Weder  Goethes  , Hypothese',  noch  eine  Antwort  25 
Friedrich  Schlegels  ist  bekannt,  noch  auch  scheint  Goethe 
von  dem  .kleinen  Epos'  etwas  ausgeführt  zu  haben. 


Der  neue  Paris. 


25 


1811. 

]  [Mai,  Juni,  Karlsbad,  oder  Juli.  Jena.]  420 

[Zu  1756  etwa  bis  1T60.]  .  .  Wohlwollende  konnte 
ich  sehr  glücklich  machen,  wenn  ich  ihnen  Mährchen 
erzählte,  und  besonders  liebten  sie,  wenn  ich  in  eigner 
Person  sprach,  und  hatten  eine  grosse  Freude,  dass  mir 
als  ihrem  Gespielen  so  wunderliche  Dinge  könnten  be- 
gegnet sein,  und  dabei  gar  kein  Arges,  wie  ich  Zeit  und 
Eaum  zu  solchen  Abenteuern  finden  können,  da  sie 
doch  ziemlich  wussten,  wie  ich  beschäftigt  war,  und  wo 
ich  aus-  und  einging.  Nicht  weniger  waren  zu  solchen 
Begebenheiten  Loealitäten,  wo  nicht  aus  einer  andern 
Welt,  doch  gewiss  aus  einer  andern  Gegend  nöthig,  und 
alles  war  doch  erst  heut  oder  gestern  geschehen.  Sie 
mussten  sich  daher  mehr  selbst  betriegen,  als  ich  sie 
zum  Besten  haben  konnte.  Und  wenn  ich  nicht  nach 
und  nach,  meinem  Naturell  gemäss,  diese  Luftgestalten 
und  "Windbeuteleien  zu  kunstmässigen  Darstellungen 
hätte  verarbeiten  lernen,  so  wären  solche  aufschneide- 
rische Anfänge  gewiss  nicht  ohne  schlimme  Folgen  für 
mich  geblieben. 

Betrachtet  man  diesen  Trieb  recht  genau,  so  möchte 
man  in  ihm  diejenige  Anmassung  erkennen,  womit  der 
Dichter  selbst  das  Unwahrscheinlichste  gebieterisch 
ausspricht,  und  von  einem  jeden  fordert,  er  solle  das- 
jenige für  wirklich  erkennen,  was  ihm,  dem  Erfinder, 
auf  irgend  eine  Weise  als  wahr  erscheinen  konnte. 


208  DER  NEUE   PARIS.  ISll 

]fMai,  Juni,  Karlsbad,  oder  Juli,  Jena.]  [420] 

Was  jedoch  hier  nur  im  Allgemeinen  und  betrach- 
.  tungsweise  vorgetragen  worden,  wird  vielleicht  durch 
ein  Beispiel,  durch  ein  Musterstück  angenehmer  und 
anschaulicher  werden.  Ich  füge  daher  ein  solches  5 
Mährchen  hei,  welches  mir,  da  ich  es  meinen  Gespielen 
oft  wiederholen  musste,  noch  ganz  wohl  vor  der  Ein- 
bildungskraft und  im  Gedächtniss  sehwebt. 

[Hier  folgt  ,Der  neue   Paris,   Knabenmährchen'.] 
Dieses  Mährchen,    von    dessen  Wahrheit    meine  Ge-  ^^ 
spielen  sich  leidenschaftlich  zu  überzeugen  trachteten, 
erhielt  grossen  Beifall.     Sie    besuchten,    jeder    allein, 
ohne  es  mir  oder  den  andern  zu  vertrauen,  den  ange- 
deuteten Ort,  fanden    die  Xussbäume,    die  Tafel  und 
den  Brunnen,  aber  immer  entfernt  von  einander:  wie  i.> 
sie  zuletzt  bekannten,  weil  man  in  jenen  Jahren  nicht 
gern  ein  Geheimniss  verschweigen  mag.  Hier  ging  &ber 
der  Streit    erst    an.     Der  eine  versicherte:  die  Gegen- 
stände rückten  nicht  vom  Flecke  und  blieben  immer 
in  gleicher  Entfernung    unter  einander.     Der    zweite  ao 
behauptete:  sie  bewegten  feich,''aber  sie  entfernten  sich 
von  einander.     Mit  diesem    war    der  dritte  über    den 
ersten  Punct  der  Bewegung  einstimmig,  doch  schienen 
ihm  Xussbäume,  Tafel  und  Brunnen  sich  vielmehr  zu 
nähern.     Der  vierte  wollte  noch  was  Merkwürdigeres  25 
gesehen  haben:  die  Xussbäume  nämlich  in  der  Mitte, 
die  Tafel  aber  und  den  Brunnen  auf  den  entgegenge- 
setzten Seiten,  als  ich  angegeben.     In  Absicht  auf  die 
Spur  des  Pf  Örtchens  variirten  sie  auch.     Und  so  gaben 
sie  mir  ein  frühes  Beispiel,  wie  die  Menschen  von  einer  so 
ganz    einfachen    und   leicht    zu  erörternden  Sache    die 
widersprechendsten    Ansichten    haben    und    behaupten 
können.     Als    ich    die  Fortsetzung  meines  Mährchens 
hartnäckig  verweigerte,  ward  dieser  erste  Theil  öfters 
wieder  begehrt.     Ich  hütete  mich,  an  den  Umständen  35 
viel    zu  verändern,    und    durch    die   Gleichförmigkeit 


1812  DER  NEUE  PARIS.  20r> 

][Mai,  Juni,  Karlsbad,  oder  Juli,  Jena.)  [420] 

meiner  Erzählung  verw-andelte  ich  in   den   Gemüthern 
meiner  Zuhörer  die  Fabel  in  "Wahrheit. 

Dichtung    und    Wahrheit    Theil  1  Buch  2.  —  W.  20,  76, 
5  17—77,20.   99,14—100,16. 

Juli  3.  Jena.  421 

[Früli]    ,Der    neue  Paris,  Knahenmährchen'  dictirt. 
Tgb.  4,   217.14. 

Juli  4,  Jena.  422 

10  [Vormittags]   Eevision  des  Mährchens. 

Tgb.   4,    217,20. 

]  [  Juli  Ende  oder  August  Anfang,  Weimar.]  —  s.  201,  11.  422a 

1812. 

][Mai  7—13  oder  August  1.3—17,  Karlsbad.]  —  s.  ,Wilhelm 
15  Meister'  u.  g.  D.  422b 

1830. 

October  26.  Jena.  423 

.  .  wenn  ich,  gegen  so  viele  Mährchen,   die  ich  in 

Cours  gehracht  hahe%  von  den  Feen  den  Eing  belie- 

20      biger  Unsichtbarkeit  hätte  erwerben  können,  so  würdest 

Du  mich. bald  auf  Deinem  Territorium  herumwandelnd 

spüren. 

An  Zelter.  —  G.-Zelter  3,  163. 

1821. 

25  September  7,  Eger.  424 

Dass  Sie  die  drei  Mährchen  zusammenstellen  und  ver- 


'  Man  mag  hier  immerhin  zunächst  an  die  drei  wirklichem 
, Mährchen'  denken,  an  den  , Neuen  Paris',  die,  Neue  Melusine*^ 
in  , Wilhelm  Meisters  Wanderjahren'  und  an  ,das  Mährehen' 
am  Schlüsse  der  , Unterhaltungen  deutscher  Ausgewander- 
ten'; doch  braucht  Goethe  das  Wort  , Mährchen'  sehr  häufig 
im  weiteren  Sinne,  gleichbedeutend  mit  .Dichtung',  ,Phan- 
tasiegebild'  überhaupt. 
Graf,  Goethe  über  s.  Dichtungen  T.  I.  14 


210  DER  NEUE  PARIS.  18'2] 

][Mai,  Juni,  Karlsbad,  oder  Juli,  Jena.]  [424] 

gleichen,  ist  erfreulicli;  sollte  nicht  auch  das  vierte  zu 
erfinden  und  zu  schreiben  sein?^ 

An  Zauper.  —  Zauper:  Studien  2,  221. 


Zauper  sagt  in  seinem  Werke  , Grundzüge  zu  einer  deutschen    5 
tlieoretiscli-pralitisclieu   Poetik    aus    Goetlae's    Werken    ent- 
wickelt' (Wien  1821;  Goethe  hatte  es  am  5.  April  vom  Ver- 
fasser als  Gefcchenk  erhalten):  „Wenn  Goethe  das  Mährchen 
[,Der  neue  Paris']  .  .  ein  Knabenmährchen  nennt,  so 
könnte  -svohl  jenes    in    den  .Unterhaltungen    deutscher  Aus-  lo 
gewanderten'  [,Das  Mährchen']  ein  Männermährchen 
heissen.     Denn    so    wie    jenes    eine    goldene,    bunte  Freude 
kindischmalende  Frühlingszeit    des  Lebens    schildert,    nicht 
ohne   Widerschein   anfangender   Kunst-  und   Wissenschafts- 
bildung,   so    möchte    dieses    die    reifen,     obgleich    üppigen  i5 
Träume  des   Mannes  abbilden,   in  welchen  die   Farbe   eines 
nachdenkenden   Geistes   und   combinirender   Erfahrung    und 
eines  ernsteren  Lebens  schimmert.  — 

Und  so  hätten  wir  denn  in  der  .Neuen  Melusine',  .  .  end- 
lich zum  vollen  Ki'anz  auch  ein  Jünglingsmährcben,  20 
in    welchem    der    dem    Knaben    entwachsene    Mensch    mit 
seinen  Wünschen,   Hoffnungen    und  Luftschlössern,    die    er 
bereits  zu  bauen  anfängt,  ei'scheint"  (Studien  1,  170). 

Ein  viertes,  ein  ,,Greisenmährchen",  hat  Goethe  nicht  ge- 
schrieben, wenn  es  auch  den  Anschein  hat,  als  habe  ihm  bei  25 
der  Abfassung    obiger  Brief  stelle    ein  solches    schon  vorge- 
schwebt. 


Novelle. 


Handschriften:  Von  der  .Novelle'  befindet  sich  ein  wahrer 
Haudschrilten-Stbatz  im  Goethe-  und  Schiller- Archiv. 
Die  Beschreibung  desselben    in    der  Weimarer  Ausgabe 

5  leitet  der  Herausgeber,  Gustav   Röthe,   mit  den  Worten 

ein:  „Die  unermüdlich  feilende  und  umgiessende  Sorgfalt 
auch  des  greisen  Goethe,  die  sich  gar  nicht  genug  thun 
kann,  tritt  nicht  leicht  so  bis  in's  Kleine  hinein  zu  Tage, 
wie  an  diesem  Cabinetstück  der  Altersprosa"  (W.  18,  i53), 

i)  Es  sind  vorhanden: 

1.  Drei   Schemata-Entwürfe    von    Goethes    Hand,     da- 
runter einer  mit  der  Datirung  .,4.  October  1S26". 

2.  Ein  ganz  ausführliches  Schema  in  Reinschrift,   von 
Schreiberhand,    datirt  ..Weimar  8.   October  1826";   es   ist 

15  abgedruckt  in  W.  18,  482^88. 

3.  Tier  Niederschriften  einzelner  Theile   der   Dichtung 
von  Goethes  eigener  Hand. 

4.  Fünf     Hands^chriften.     von    Schreibern     geschrieben, 
deren  eine  das  Datum  ..Weimar  11.  October  1826"'  trägt 

20  (vgl.  Nr.  439i:  keine  ist  vollständig. 

Das    Druckmniuiscript    für    den    ersten  Druck    scheint 
nicht  erhalten  zv   sein. 

Erster  Driick:   1828.   Werke   Cotta=    15.   297—332.     Vorangehen 
,Die    Aufgeregten',    .Unterhaltungen     deutscher    Ausge- 
25  wanderten'  und  .Die  guten  Weiber'. 

Weimarer  Ausgabe:    1805.   W.   18.  313—348  und  451^90.    Vor- 
angehen   .Die    Aufgeregten".    .Das    Mädchen    von  Ober- 
kirch'.  .Unterhaltungen  deutscher  Ausgewanderten'.   .Die 
guten  Weiber';  es  folgen  ,Der  Hausball'  und  .Reise  der 
30  Söhne  Megaprazons'. 


212  NOVELLE.  1797 

1797. 

März  23,  Jena.  425 

Xeue  Idee  zu  einem  epischen  Gedichte^.  Nachmittag 
zu  Schiller,  darüber  gesprochen. 

Tsrb.  2,  62, 11—13.  5 

März  24,  Jena.  426 

Alle  meine  Sachen  sind  bisher  recht  gut  gegangen 
und  ich  habe  sogar  wieder  allerlei  neue  Ideen,  die  auf 
die  Zukunft  gute  Frucht  bringen  werden.  Denn  es  ist 
nun  einmal  nicht  anders,  dass  man,  sobald  man  fertig  lo 
ist,  gleich  wieder  Avas  ISTeues  im  Sinne  haben  müsse-. 
An  Christiane.  —  Br.  12,  76, 17—21. 

April  19,  Weimar.  —  s.  117,  22—25.  426a 

April  22,  Weimar.  —  s.  119,  2.3—  120,  11.  426b 

April  26,  Weimar.  427  15 

Mit  dem,  was  Sie  in  Ihrem  heutigen  Briefe  über 
Drama  und  Epos  sagen',  bin  ich  sehr  einverstanden: 
so  wie  ich  immer  gewohnt  bin,  dass  Sie  mir  meine 
Träume  erzählen  und  auslegen.  Ich  kann  nun  nichts 
weiter  hinzufügen,  sondern  ich  muss  Ihnen  meinen  20 
Plan  schicken  oder  selbst  bringen.  Es  werden  dabei  sehr 
feine  Puncto  zur  Sprache  kommen,  von  denen  ich  jetzt 
im  Allgemeinen  nichts  erwähnen  mag.  Wird  der  Stoff 
nicht  für  rein  episch  erkannt,  ob  er  gleich  in  mehr  als 
Einem  Sinne  bedeutend  und  interessant  ist,  so  muss  25 
sich  darthun  lassen,  in  welcher  andern  Form  er  eigent- 
lich behandelt  werden  müsste.  .  .  . 

Ich  kann  mich  doch  nicht  enthalten  noch  eine  Frage 
über  unsere  dramatisch  epische  Angelegenheit  zu  thun. 
Was  sagen  Sie  zu  folgenden  Sätzen:  30 

*  „Neue  Idee''  im  Vergleich  zu  der  älteren  des  epischen  Ge- 
dichts  , Hermann   und   Dorothea',   das   gerade   jetzt,   am   21. 
März,   wo   nicht  vollendet,   so  doch   vorläufig  abgeschlossen 
war. 
Sachlich  gehört  in  diese  Zeit:    Nr.  4.33,  und  223,6—13.  35 

-  Vgl.  die  vorhergehende  Erläuterung. 

'  s.  120,  13. 


1797  NOVELLE.  213 

[April  26,  Weimar.]  [127] 

Im  Trauerspiel  kann  und  soll  das  Schicksal,  oder, 
welches  einerlei  ist,  die  entschiedne  Xatur  des  Menschen, 
die  ihn  blind  da  oder  dorthin  führt,  walten  und  herr- 

5  sehen,  sie  muss  ihn  niemals  zu  seinem  Zweck,  sondern 
immer  von  seinem  Zweck  abführen,  der  Held  darf  seines 
Verstandes  nicht  mächtig  sein,  der  Verstand  darf  gar 
nicht  in  die  Tragödie  entriren  als  bei  Xebenpersonen 
zur  Desavantage  des  Haupthelden  u.  s.  w. 

10  Im  Epos  ist  es  gerade  umgekehrt,  bloss  der  Verstand, 

wie    in    der    Odyssee,    oder  eine  zweckmässige  Leiden- 
schaft, wie  in  der  Ilias,  sind  epische  Agentien.  Der  Zug 
der  Argonauten  als  ein  Abenteuer  ist  nicht  episch. 
An  Schiller.  —  Br.  12,  100,  14—25.  101,  9—25. 

15  April  28,  Weimar.  428 

Gestern,  als  ich   der  Fabel  meines  neuen  Gedichtes 

nachdachte,    um    sie  für  Sie  aufzusetzen,  ergriff    mich 

auf's  neue  eine  ganz  besondere  Liebe  zu  diesem  Werke, 

welche  nach  allem,  was  indess  zwischen  uns  verhandelt 

20  worden  ist,  ein  gutes  Vorurtheil  für  dasselbe  gibt.  Da 
ich  nun  weiss,  dass  ich  nie  etwas  fertig  mache,  wenn 
ich  den  Plan  zur  Arbeit  nur  irgend  vertraut,  oder  je- 
manden offenbart  habe\.  so  will  ich  lieber  mit  dieser 
Mittheilung  noch  zurückhalten,  wir  wollen  uns  im  All- 

25  gemeinen  über  die  Materie  besprechen,  und  ich  kann 
nach  den  Eesultaten  im  Stillen  meinen  Gegenstand 
prüfen.  Sollte  ich  dabei  noch  Muth  und  Lust  behalten, 
so  würde  ich  es  ausarbeiten,  und  fertig  gäbe  es  immer 
mehr  Stoff  zum  Nachdenken,  als  in  der  Anlage.     Sollte 

30  ich  daran  verzweifeln,  so  ist  es  immer  noch  Zeit  auch 
nur  mit  der  Idee  hervorzutreten. 

Haben    Sie    Schlegels  Abhandlung  über  das  epische 
Gedicht,  im  elften  Stück  .Deutschlands',  vom  vorigen 


'  Vgl.  dagegen  190.  G— 12.  32-36. 


214  NOVELLE.  1797 

[April  28,  Weimar.]  [428] 

Jalir^  gesehen?  lesen  Sie  es  ja!  Es  ist  sonderbar,  Avie 
er,  als  ein  guter  Kopf,  auf  dem  rechten  Wege  ist  und 
sich  ihn  doch  gleich  wieder  seihst  verrennt.  Weil  das 
epische  Gedicht  nicht  die  dramatische  E  i.n  h  e  i  t  » 
haben  kann,  weil  man  eine  solche  absolute  Einheit  in 
der  Ilias  und  Od3'ssee  nicht  gerade  nachweisen  kann, 
vielmehr  nach  der  neuern  Idee  sie  noch  für  zerstückelter 
angibt  als  sie  sind,  so  soll  das  epische  Gedicht  keine 
Einheit  haben,  noch  fordern,  das  heisst,  nach  meiner  lo 
Vorstellung:  es  soll  aufhören  ein  Gedicht  zu  sein.  Und 
das  sollen  reine  Begriffe  sein,  denen  doch  selbst  die 
Erfahrung,  wenn  man  genau  aufmerkt,  widerspricht. 
Denn  die  Ilias  und  Odyssee,  und  wenn  sie  durch  die 
Hände  von  tausend  Dichtern  und  Eedacteurs  gegangen  is- 
wären,  zeigen  die  gewaltsame  Tendenz  der  poetischen 
und  kritischen  Xatur  nach  Einheit.  Und  am  Ende  ist 
diese  neue  Schlegelsche  Ausführung  doch  nur  zu 
Gunsten  der  Wolfischen  Meinung-,  die  eines  solchen 
Beistandes  gar  nicht  einmal  bedarf.  Denn  daraus,  dass  20- 
jene  grossen  Gedichte  erst  nach  und  nach  entstanden 
sind,  und  zu  keiner  vollständigen  und  vollkommenen 
Einheit  haben  gebracht  werden  können  (obgleich  beide 


^  Friedrich  Schlegels  Aufsatz  , Lieber  die  Homerische   Poesie. 
Mit  Rücksicht  auf  die  Wolfischen  Untersuchungen'  in  Rei-  25 
chardts  Journal  ,Deutsohland'  1796  4,  124—156. 

^  Zu  der  von  "Wolf,  in  dem  2,  20  angeführten  Werke,  vorge- 
tragenen Meinung  isi  zu  vergleichen,  was  Goethe  am  17.  Mai 
1795  au  Schiller  schreibt:  ,, Wolfs  Vorrede  zur  Ilias  habe  ich 
gelesen,  sie  ist  interessant  genug,  hat  mich  aber  schlecht  30 
erbaut.  Die  Idee  mag  gut  sein  und  die  Bemühung  ist  respec- 
tabel;  wenn  nur  nicht  diese  Herrn,  um  ihre  schwachen 
Flanken  zu  decken,  gelegentlich  die  fruchtbarsten  Gärten 
des  ästhetischen  Reichs  verwüsten  und  in  leidige  Verschan- 
zungen verwandeln  müssten.  lind  am  Ende  ist  mehr  Sub-  35- 
jectives  als  man  denkt  in  diesem  ganzen  Krame"  (Br.  10, 
260,  17—261,2). 


1797  NOVELLE.  215 

[April  28,  Weimar  ]  [428] 

vielleicht  weit  vollkommuer  organisirt  sind,  als  man 
denkt),  folgt  noch  nicht:  dass  ein  solches  Gedicht  auf 
keine  "Weise  vollständig,  vollkommen  und  Eins  werden 

5      könne  noch  solle. 

Ich  habe  indessen  über  misere  bisherigen  A^erhand- 
Inngen  einen  kleinen  Aufsatz^  aus  Ihren  Briefen  ge- 
macht, arbeiten  Sie  doch  die  Sache  weiter  aus,  sie  ist  uns 
beiden   in  theoretischer   und  praktischer  Hinsicht  jetzt 

10      die  wichtigste. 

Ich  habe  die  Dichtkunst  des  Aristoteles  wieder,  mit 
dem    gröbsten    Vergnügen,    durchgelesen,  .  .  .  Freilich 
über  das  epische  Gedieht  findet  man  gar  keinen  ^Auf- 
schluss  in  dem  Sinne,  wie  wir  ihn  wünschen. 
15  An  Scliiller.  —  Br.  12,  104,  ir>—  106,  1.3.  28—  107.  2. 

April  28,  Weimar.  429 

Ich  habe  mir  wieder  eine  eigne  Welt  gemacht  und  das 

grosse  Interesse,  das  ich  au  der  epischen  Dichtung  ge- 

fasst  habe,  wird  mich  schon  eine  Zeit  lang  hinhalten-. 

20  An  H.  Meyer.  —  Br.  12,  109, 13—16. 


'  s.  145,  30—147,  18. 

^  „liinlialten",  —  der  Ausdruck  ist  mit  Bezug  auf  den  Adressa- 
ten gewählt,  in  dessen  Abwesenheit  Goethe  sich  ,,von  allem 
Genuss  der  bildenden  Kunst  getrennt"  fühlte,  und  der  ihm 

25      überhaupt  „anf  allen  Seiten  fehlte"  (Br.  12,  109,  5 — 7). 

Darf  unter  der  ..eignen  Welt"  (Z.  17)  im  engeren 
Sinne  die  Gestaltenwelt  der  nenen  epischen  Dichtung  ver- 
standen werden,  so  gab  Goethe  sich  ihr  doch  voreist  nicht 
hin.     Vielmehr  trat,    für  die   nächstfolgenden  Wochen,   von 

30  dichterischen  Arbeiten  die  Gestaltung  einiger  Balladen- 
stofEe  in  den  Vordergrund,  sodann  die  Beschäftigung  mit 
.Faust'.  —  Nach  213,  20—27  sollte  man  annehmen,  dass  der 
neue  Plan,  l>ei  Goethes  Aufenthalt  in  Jena  vom  19.  Mai  bis 
16.  Juni  in  den  Unterhaltungen    mit  »Schiller    gar    nicht    zur 

35  Sprache  gekommen  sei,  doch  spricht  Schillers  Brief  vom 
26.  Juni  dagegen,  vgl.  besonders  216,  29—35. 


216  NOVELLE.  1797 

Juui  22,   Weimar.  430 

L^nser  Balladen  Studium  hat  mich  wieder  auf  dieseu 
Dunst-  und  JSTebelweg  [der  Faust-Dichtung],  gebracht, . . 
Das  Interessante  meines  neuen  epischen  Plans  geht 
vielleicht  auch  in  einem  solchen  Reim-  und  Strophen- 
dunst in  die  Luft,  wir  wollen  es  noch  ein  wenig  coho- 
biren^  lassen. 

Au  Schiller.  —  Br.  12,  168,3—6. 


'  ..cohobiren"   (spätlat.   coliobare)   bedeutet:    mehrmals  destil- 
liren,  abziehen,  klären,  und  ist  ein  ganz  zur  Sphäre  des  , Faust'  lo 
gehörender  Ausdruck  der  Alchymie. 

Schiller  schrieb  am  26.  Juni:  „Wenn  ich  Sie  neulich  recht 
verstanden  habe  [s.  Nr.  430],  so  haben  Sie  die  Idee,  Ihr 
neues  episches  Gedicht,  ,die  Jagd',  iu  Reimen  und  Strophen 
zu  behandeln.  Ich  vergass  neulich  [im  vorhergehenden  15 
Briefe,  vom  23.  Juni],  ein  Wort  darüber  zu  sagen,  aber  dieae 
Idee  leuchtet  mir  ein,  und  ich  glaube  sogar,  dass  diess  die 
Bedingung  sein  wird,  unter  welcher  allein  dieses  neue  Ge- 
dicht neben  Ihrem  , Hermann'  bestehen  kann.  Ausserdem, 
dass  selbst  der  Gedanke  des  Gedichts  zur  modernen  Dicht-  20 
kunst  geeignet  ist  und  also  auch  die  beliebte  Strophenform 
begünstigt,  so  schliesst  die  neue  metrische  Form  schon  die 
Concurrenz  und  Yergleichung  aus;  sie  gibt  dem  Leser  eben 
sowohl  als  dem  Dichter  eine  ganz  andere  Stimmung,  es  ist 
ein  Concert  auf  einem  ganz  andern  Instrument.  Zugleich  25 
participirt  es  alsdann  von  gewissen  Rechten  des  roman- 
tischen Gedichts,  ohne  dass  es  eigentlich  eines  wäre,  es 
darf  sich  wo  nicht  des  Wunderbaren,  doch  des  Seltsamen 
und  Ueberraschenden  mehr  bedienen,  und  die  Löwen-  und 
Tiger-Geschichte,  die  mir  immer  ausserordentlich  vorkam,  30 
erweckt  dann  gar  kein  Befremden  mehr.  Auch  ist  von 
den  fürstlichen  Personen  und  Jägern  nur  ein  leichter  Schritt 
zu  den  Ritterfiguren,  und  überhaupt  knüpft  sich  der  vor- 
nehme Stand,  mit  dem  Sie  es  in  diesem  Gedicht  zu  thun 
haben,  an  etwas  Nordisches  und  Feudalisches  an.  Die  grie-  35 
chische  Welt,  an  die  der  Hexameter  unausbleiblich  erinnert, 
nimmt  diesen  Stoff  daher  weniger  an,  und  die  mittlere  und 
neue  Welt,  also  auch  die  inoderne  Poesie,  kann  ihn  mit 
Recht  reclamiren"  (Schillers  Br.  5,  206  f.). 


1810  NOVELLE.  217 

•Juni   27,   Weimar.  431 

Da  ich  durch  meinen  , Faust'  bei  dem  Reimwesen  ge- 
halten werde,  so  werde  ich  gewiss  auch  noch  einiges 
liefern^;  es  scheint  mir  jetzt  auch  ansgemacht,  dass 
meine  Tiger  und  Löwen-  in  diese  Form^  gehören,  ich 
fürchte  nur  fast,  dass  das  eigentliche  Interessante  des 
Sujetes  sich  zuletzt  gar  in  eine  Ballade  auflösen  möchte*. 
Wir  wollen  abwarten,  an  welches  Ufer  der  Genius  das 
Schifflein  treibt. 

An  Schiller.  —  Br.  12,  170.  17—22. 

1816. 

?  August  24,  Tennstädt.  482 

Abends.    Erinnerung  an  alte  Plane  epischer  Form^'. 
Tgb.  5,  266,  14  f. 


15   ^  Zu  Schillers  .Musen-Almanach  für  rlas  Jahr  1798'. 

^  Es  liegt  nahe  zu  vermuthen,  dass  Goethe  hier,  wenn  das 
Wort  ,, meine"  auch  nicht  unterstrichen  ist,  doch  seine  ,, Tiger 
und  Löwen"  in  Gegensatz  denkt  zu  des  Freundes  Löwen 
und  Tiger,  da  er  wenige  Tage  zuvor,  am  18.  Juni,  Schillers 

20      kürzlich  entstandene  Ballade  ,Der  Handschuh'  erhalten,  ge- 
lesen   und  am  21.  .Juni  zurückgeschickt  hatte  (Br.   12,   1(?4, 
33  f.,  Schillers  Br.  5,  201). 
^  Die  Form  geeigneter  Strophen  (s.  216,  5  f.  21—25». 
*  Das  geschah  nicht,  vielmehr  verschwindet  der  Gegenstand 

25  von  jetzt  an  für  langer  als  neunundzwanzig  Jahre  aus  dem 
Bereich  der  uns  erhaltenen  schriftlichen  Urkimden  über 
Goethes  dichterische  Thätigkeit. 

Auch  Schiller  gedenkt  dos  Planes  nicht  weiter.  Nur  einmal 
noch,  am  6.  Februar  179S.  als  Goethe  ihm  am  3.  Februar  von 

30  seinen  schriftstellerischen  A'orsiitzen  für  die  nächste  .Zu- 
kunft schreibt  (Goethe  nennt  di?  .Farbenlehre',  die  ,UnTf^r- 
haltuugen  deutscher  Ausgewanderten'  und  .Faust'),  da  er- 
innert Schiller  den  Freund:  ,,In  dem  Verzeichniss  Ihrer 
Arbeits-Peuseu  für  dieses  Jahr  finde  ich  Ihre  neue  Epopöe 

35      nicht,    da  ich  doch  glaubte,    Sie  würden  schon  im  Spätjahr 

ernstlich  daran  gehen  können:  doch  das  können  Sie  ja  selbst 

noch  nicht  wissen  wie  die  Göttin  Sie  führt"  (Br.   13,  52.  19 

—27  und  Schillers  Br.  5,  338). 

'  Es  ist  erlaubt,  hier  an  den  Plan  des  epischen  Jagdgedichts 

40      zu    denken.     Ebenso    wohl  aber  kann   Goethes   Erinnerung 


218  N0VP:LLE.  1823 


1823  oder   182^. 

][???]  433 

[Zu  1797.].  .  .  jHermann  und  Dorothea'  erschien  als 
Taschenbuch,  und  ein  neues  episch-romantisches  Ge- 
dicht wurde  gleich  darauf  entworfen^  Der  Plan  war  in 
allen  seinen  Theilen  durchgedacht,  den  ich  unglück- 
licherweise meinen  Freunden  nicht  verhehlte.  Sie  riethen 
mir  ah,  und  es  betrübt  mich  noch,  dass  ich  ihnen  Folge 
leistete:  denn  der  Dichter  allein  kann  wissen,  was  in 


sich  mit  .AchilleisS  mit  dorn   , Ewigen  Juden',  den  , Geheim-  lo 
nissen*,     .Teil"     oder    anderen    „alten    Planen"    beschäftigt 
haben.     Die    Vergleichung    mit    der  Tagebuchnotiz   Nr.   384 
vom  selben  Tage  hilft  nicht  weiter. 

Die  Beschäftigung  mit  dem  neuen  Gedicht,  so  weit  wir  sie 
mit  Hülfe  der  Tagebücher  und  Briefe  verfolgen  liönneu  15 
(vgl.  Nr.  425 — 430),  fiel  noch  in  die  letzten  Monate  der  Ar- 
beit an  , Hermann  und  Dorotliea',  und  war,  als  diese  Dich- 
tung Mitte  October  1797  erschien,  schon  geraume  Zeit  in 
den  Hintergrund  des  Interesses  getreten. 

Durch  die  obige  Bemerkung  Goethes  aber,  besonders  20 
durch  die  Worte  „gleich  darauf",  das  heisst:  im  November 
oder  December  des  Jahres  1797  (vgl.  221,  6— S»,  ge- 
winnt die  217,  33—36  angeführte  Stelle  in  Schillers  Brief 
vom  6.  Februar  1798  besondere  Bedeutung.  Und  es  ist  da- 
nacii  sehr  wohl  möglich,  dass  diesen  Worten  Schillers  eine  25 
bestimmte  Aeusserung  Goethes  zu  Grunde  liegt  über  die 
Absicht,  im  Winter  1797  auf  98  das  Jagdgedicht  „ernstlieh" 
vorzunehmen;  und  ferner:  dass  das  alte  Schema,  dessen 
Goethe  im  Gespräch  mit  Eckermauu  gedenkt  (s.  223,  l2.  14). 
in  den  letzten  Monaten  des  Jahres  1797  entstanden  ist.  30 

Uebrigens  aber  lässt  die  Stelle  auch  eine  andere  Auffas- 
sung zu,  so  zwar:  dass  die  Worte  „gleich  darauf"  gar  niclit 
in  strengem,  zeitlichem  Zusammenhang  mit  dem  E  r  - 
scheinen  von  .Hermann  und  Dorothea'  zu  verstehen 
sind,  sondern  dass  Goethe,  wie  es  221,  6—8.  223.  9—11  der  35 
Fall  ist.  meint:  unmittelbar  nachdem  , Hermann  und  Doro- 
thea' (im  Wesentlichen)  vollendet  war. 


182G  NOVELLE.  219 

[?  ?  ?]  [433] 

einem  Gegenstände  liegt,  und  Avas  er  für  Eeiz  nnd  An- 

muth  bei  der  Ausführung    daraus    entwickeln    könne^. 

Tag-  und  Jahres-Hefte,   1797.  —  W.  35,  71,2—10. 

5  1836. 

October  3,  Weimar.  434r 

Aeltere  Aufsätze  und  Schemata  gesucht".     Erforder- 
nisse der  neuen  ,"\Yander jähre"  betrachtet. 
Tgb.  10,  252,  3  f. 

10  October  4,  Weimar.  435- 

[Früh]  Erneuertes  Schema    der    wunderbaren  Jagd^. 
Tgb.  10,  252,  19. 

October  S,  Weimar.  436 

[Früh]    An    dei   Jagdgeschichte  schematisirt.     Eine 
15       Eeinabschrift  des  Schema  dictirt*. 
Tgb.  10,  254,13—15. 

October  9,  Weimar.  437 

[Früh]  Die  ,Jagd',  thcihveise  Ausführung. 
Tgb.   10,   254,27. 


20  1  Die  Freunde,  denen  Goetlie  seineu  Plan  mittbeilte  und  die 
einiges  Bedenlcen  äusserten,  waren  Scliiller  und  Wilhelm  von 
Humboldt  (s.  120,  40—121,  43).  Doch  ist  nach  213,  20—27 
auzimelmien,  dass  sie  nur  im  Allgemeinen  über  den  Inhalt 
und  den  ungefähren  Gang  der  Ereignisse  unterriclitet  waroa. 

25  Ein  Zeugniss  dafür,  dass  Schiller  oder  Humboldt  von  dem 
Plane  geradezu  „abgerathen"  haben,  besitzen  wir.  ausser 
Goethes  eigenen  Aeusserungen,  nicht.  Mit  Recht  liebt 
Düntzer  (Erläuterungen  16,  14)  hervor,  dass  Goethe  seilest 
es    war,    der    den  ersten  Zweifel  äusserte,  ob  der  Stoff  zur 

30      epischen  Behandlung  tauge  (vgl.  117,  19—25.  119,  31-41). 
^  Dass  unter  die  gesuchten  Schemata  auch  das  alte  Schema 
der  Jagdgeschichte  gezählt  werden  darf,  ist  durch  221,  10  f, 
223.  14  f.  sicher. 
'  Vgl.  223,  15-18. 

35    *  s.   211,   13  f. 


220  NOVELLE.  1826 

October  10,  Weimar.  438 

Kleines  Gedicht  zum  Abschliiss  der  projectirten  No- 
velle^. 

Tgb.   10,  255, 13  f. 

October  11,   Weimar.  4:^9    5 

[Nachmittags  oder  Abends]  Betrachtung  der  Xovelle. 
Tgb.   10,  25(5,10. 

October  14,   Weimar.  440 

Abends  John  dictirt  an  der  Novelle. 

Tgb.    10,    257,  10  f.  10 

October  15,   Weimar,  441 

[Früh]  An  der  Novelle  dictirt. 
Tgb.  10,  257,13. 

October  16,   Weimar.  442 

[Früh]   Einiges  an  der  Novelle  dictirt.  .  .  .   [Nach-  15 
mittags]   Schrieb  an  der  Novelle  fort. 
Tgb.   10,  257,26, 

October  17,  Weimar.  443 

[Früh]  Erster  Entwurf  der  Novelle  geschlossen. 
Tgb.   10,  258,1.  20 

October   18,   Weimar.  444 

[Früh]     An     der    Novelle     redigirt.  .  .  .   [Abends] 
Ueberdachte  das  morgen  früh  zu  Bearbeitende. 
Tgb.    10,   258,27. 

October  19,   Weimar.  445     25 

[Früh]  Einiges  an  der  Novelle. 
Tgb.  10.  259,3. 

October  20,   Weimar.  446 

[Früh]  An  der  Novelle  redigirt.  .  .  .  John  mundirte 
die  Novelle.  30 

Tgb.   10,  259,12—14. 


'  Das  vierstrophige  Lied  des  Knaben  (W.  18,  342,  14): 
„Aus  den   Gruben,   hier  im   Graben 
Hör'  ich  des  Propheten  Sang". 


1827  NOVELLE.  221 

Octobor   21,   Weimar.  "147 

'[Vormittags].  John  schrieb  an  der  Xovelle  fort. 
Tgb.  10,  259,22. 

October  22,   Weimar.  448 

5  Dann  frag'    ich  mit  mehr  Zuversicht^:    Sie  erinnern 

sieh  wohl  noch  eines  epischen  Gedichts,  das  ich  gleich 
nach  Beendigimg  von  ,Hermann  und  Dorothea'  im 
Sinn  hatte:  Bei  einer  modernen  Jagd  kamen  Tiger  und 
Löwe  mit  in's  Spiel;  damals  riethen  Sie  mir  die  Bear- 

10  heitung  ab  und  ich  unterliess  sie-;  jetzt,  beim  Unter- 
suchen alter  Papiere,  finde  ich  den  Plan  wieder'  und 
enthalte  mich  nicht,  ihn  prosaisch  auszuführen,  da  es 
dann  für  eine  Xovelle  gelten  mag,  eine  Bubrik,  unter 
welcher  gar  vieles  wunderliche  Zeug  cursirt. 

15  An  W.  V.  Humboldt.  —  G.-Humboldt  S.  280. 

October   22.    Weimar.  -149 

[Früh].  John  schrieb  an  der  Xovelle  fort. 
Tgb.  10,  260,3. 

November  19,  Weimar.  450 

20  [Früh]  Eetouchirte  das  Jagdstück. 

Tgb.  10,  271,8. 

November  20,   Weimar.  451 

[Früh].  Revision  der  Jagd-Xovelle  fortgesetzt. 
Tgb.  10,  271,19. 

25  1827. 

Januar  11,  Weimar.  452 

Dr.    Eckermann.     Demselben  die  Terzinen  vorgelegt. 
Auch  die  ersten  Hefte  des  romantischen  Jagdstücks*. 
W.   18,  452  (Tgb.). 


'  Vorher  hatte  Goethe  gefragt,  ob  Humboldt  sich  noch  „einer 
dramatischen  Helena,  die  im  zweiten  Theile  von  ,FariSt' 
erscheinen   sollte",   erinnerte   (G.-Humboldt   S.   279). 

-  Vgl.  120.  40—121.  4-3  und  21S,  7  f. 

'  Vgl.  223,  17—19. 

*  Nach  Goethes  Tagebuch  las  Eckermann  den  Anfang,  das 
Mittelstück     imd     den    Schluss    der    ,Novelle',    zu    gleichen 


222  NOVELLE.  1S27 

Januar  15,  Weimar.  103 

Xach  Vollendung  der  ^Helena'  hatte  Goethe  sich  im 
vergangenen  Sommer  zur  Fortsetzung  der  , Wander- 
jahre' gewendet.  .  .  . 

Vor  mehreren  Wochen    hörte    ich    nun    von  seinem    5 
Secretär  [John],  dass  er  an  einer  neuen  Xovelle   [für 
die  , Wanderjahre']  arbeite;  .  . 

Diese  ÜSTovelle  war  nun  seit  einiger  Zeit  Tollendet,  und 
er  legte  mir  diesen  Abend^  die  ersten  Bogen  zur  Ansicht 
vor.  10 

Ich  war  beglückt  und  las  bis  zu  der  bedeutenden 
Stelle,  wo  alle  um  den  todten  Tiger  herumstehen  und 
der  AVärtel  die  Nachricht  bringt,  dass  der  Löwe  oben 
an  der  Paiine  sich  in  die  Sonne  gelegt  habe. 

Während  des  Lesens  hatte  ich  die  ausserordentliche  u 
Deutlichkeit  zu  bewundern,  womit  alle  Gegenstände  bis 
auf  die  kleinste  Localität  vor  die  Augen  gebracht  waren. 
Der  Auszug  zur  Jagd,  die  Zeichnungen  der  alten 
Schlossruine,  der  Jahrmarkt,  der  Feldweg  zur  Euine, 
alles  trat  entschieden  vor  die  xA.nschauung,  sodass  man  21 
genöthigt  war,  sich  das  Dargestellte  gerade  so  zu  denken, 
wie  der  Dichter  es  gewollt  hatte.  Zugleich  war  alles  mit 
einer  solchen  Sicherheit,  Besonnenheit  und  Herrschaft 


Theilen,  an  drei  verschiedenen  Abenden,  den  11.,  l.j.  und 
18.  Januar  (s.  Nr.  452.  454.  457),  während  nach  Eekermanns  25 
Aufzeichnungen  die  Leetüre  sich  nur  auf  die  beiden  Abopde 
des  15.  und  18.  vertheilte  (s.  Nr.  453.  456),  und  zwar  zu 
sehr  ungleichen  Theilen,  da  die  222,  12—14  genannte  Scene 
sich  erst  am  Ende  des  zweiten  Drittels  der  Dichtung  be- 
findet. Ob  hier  ein  Irrthum  Eckermanns  oder  ein  bewussles  30 
Zusammenfassen  der  beiden  ersten  Abende  in  Einen  aus 
ästhetischen  Gründen  vorliegt,  könnte  nur  eine  sorgfältige 
Untersuchung  des  Verfahrens  entscheiden,  das  Eckermnnn 
bei  der  Bearbeitung  seiner  .Gespräche'  für  den  Druck 
beobachtete.  35 

*  Vgl.  dagegen  Nr.  452. 


1827  NOVELLE. 


[Januar  15,  Weimar.]  [453] 

geschrieben,   dass   man   vom   Künftigen   nichts   voraus- 
ahnen und  keine  Zeile  weiter  blicken  konnte  als  man  las. 

Euer  Excellenz,  sagte  ich,  müssen  nach  einem  sehr 
bestimmten  Schema  gearbeitet  haben. 

„Allerdings  habe  ich  das",  antwortete  Goethe;  „ich 
wollte  das  Sujet  schon  vor  dreissig  Jahren  ausführen, 
und  seit  der  Zeit  trage  ich  es  im  Kopfe.  Xun  ging  es 
mir  mit  der  Arbeit  wunderlich.  Damals,  gleich  nach 
jHermann  und  Dorothea',  wollte  ich  den  Gegenstand  in 
epischer  Form  und  Hexametern  behandeln  und  hatte 
auch  zu  diesem  Zwecke  ein  ausführliches  Schema  ent- 
M^orfen.  Als  ich  nun  Jetzt  das  Sujet  wieder  vornehme, 
um  es  zu  schreiben,  kann  ich  jenes  alte  Schema  nicht 
finden  und  bin  also  genöthigt,  ein  neues  zu  machen 
und  zwar  ganz  gemäss  der  veränderten  Form,  die  ich 
jetzt  dem  Gegenstande  zu  geben  Willens  war.  Xun  aber 
nach  vollendeter  Arbeit  findet  sich  jenes  ältere  Schema 
wieder^,  und  ich  freue  mich  nun,  dass  ich  es  nicht  früher 
in  Händen  gehabt,  denn  es  würde  mich  nur  verwirrt 
haben.  Die  Handlung  und  der  Gang  der  Entwickelung 
war  zwar  unverändert,  allein  im  Detail  war  es  doch  ein 
ganz  anderes;  es  war  ganz  für  eine  epische  Behandlung 
in  Hexametern  gedacht  und  würde  also  für  diese  pro- 
saische Darstellung  gar  nicht  anwendbar  gewesen  sein." 

Das  Gespräch  lenkte  sich  auf  den  Inhalt.  Eine  schöne 
Situation,  sagte  ich,  ist  die,  wo  Honorio  der  Fürstin 
gegenüljer  am  todt  ausgestreckten  Tiger  steht,  die 
klagende,  weinende  Frau  mit  dem  Knaben  herzuge- 
kommen ist,  und  auch  der  Fürst  mit  dem  Jagdgefolge 
zu  der  seltsamen  Gruppe  soeben  herbeieilt.  Das  müsste 
ein  treffliches  Bild  machen,  und  ich  möchte  es  gemalt 
sehen. 


^  Dieses  ursprüngliche  Scliema  hat  sich  in  Goethes  Nachlass 
35      bis  jetzt  nicht  vorgefunden. 


224  NOVELLE.  1827 

[Januar  15,  Weimar.]  [453] 

„Gewiss",  sagte  Goethe,  „das  wäre  ein  schönes  Bild; 
—  doch",  fuhr  er  nach  einigem  Bedenken  fort,  „der 
Gegenstand  wäre  fast  zu  reich  und  der  Figuren  zu  viele, 
sodass  die  Gruppirung  und  Vertheilung  von  Licht  und  5 
Schatten  dem  Künstler  sehr  schwer  werden  würde. 
Allein  den  frühern  Moment,  wo  Honorio  auf  dem  Tiger 
kniet  und  die  Fürstin  am  Pferde  gegenübersteht,  habe 
ich  mir  wohl  als  Bild  gedacht;  und  das  wäre  zu  machen." 
Ich  empfand,  dass  Goethe  recht  hatte  und  fügte  hinzu,  10 
dass  ja  dieser  Moment  auch  eigentlich  der  Kern  der 
ganzen  Situation  sei,  worauf  alles  ankomme. 

Xoch  hatte  ich  an  dem  Gelesenen  zu  bemerken,  dass 
diese  Novelle  von  allen  übrigen  'der  ,  Wander  jähre'  einen 
ganz  verschiedenen  Charakter  trage,  indem  darin  alles  is 
Darstellung  des  Aeussern^  alles  real  sei.  „Sie  haben 
'recht",  sagte  Goethe,  „Innerliches  finden  Sie  in  dem 
Gelesenen  fast  gar  nicht,  und  in  meinen  übrigen  Sachen 
ist  davon  fast  zu  viel." 

Nun  bin  ich  neugierig  zu  erfahren,  sagte  ich,  wie  man  20 
sich  des  Löwen  bemeistern  wird;  dass  dieses  auf  eine 
ganz  andere  Weise  geschehen  werde,  ahne  ich  fast,  doch 
das  Wie  ist  mir  gänzlich  verborgen.  —  „Es  wäre  auch 
nicht  gut,  wenn  Sie  es  ahnten",  sagte  Goethe,  „und  ich 
will  es  Ihnen  heute  nicht  verrathen.  Donnerstag  Abend  25 
[18.  Januar]  gebe  ich  Ihnen  das  Ende;  bis  dahin  liegt 
der  Löwe  in  der  Sonne"^. 

Mit    Eckermann.    —    Gespräche  G,    8—11   (dazu  Eckcr- 
mann 1,  198). 

Januar  15,  Weimar.  454  30 

Abends  Dr.  Eckermann.  ...  Er    las    den    mittlem 
Theil  der  romantischen  Jagd-  [s.  Nr.  453]. 
W.  18,  452  (Tgb.). 


^  Vgl.  222,  13  f.  (W.  18,  338,  27  f.). 

^  Vgl.  dagegen  222,  9  f.  35 


1827  V         NOVELLE.  225 

Januar  17,   Weimar.  155 

Das  Gespräch  lenkte  sich  auf  das  Theater,  und  Goeihe 
neckte  mich,  dass  ich  am  letzten  Montag  Abend  [15. 
Januar]  es  ihm  geopfert.  .  .  .  „Aher  ich  habe  Sie  auch 
entschädigt!  Xicht  wahr?  Habe  ich  Ihnen  nicht  schöne 
Sachen  vorgelegt?"  Goethe  zielte  mit  diesen  "Worten 
auf  die  neue  Xovelle^. 

Mit  Eckermann.  —  Gespräche  6,  17  f. 

Januar  18,  ^yeimar.  4öG 

Auf  diesen  Abend  hatte  Goethe  mir  den  Scbluss  der 
Novelle  versprochen.  Ich  ging  halb  sieben  Uhr  zu  iJim 
und  fand  ihn  in  seiner  traulichen  Arbeitsstube  allein. 
Ich  setzte  mich  zu  ihm  an  den  Tisch,  und  nachdem  wir 
die  nächsten  Tagesereignisse  besprochen  hatten,  stand 
Goethe  auf  und  gab  mir  die  erwünschten  letzten  Bogen. 
„Da  lesen  Sie  den  Schluss",  sagte  er.  Ich  begann.  Goethe 
ging  derweile  im  Zimmer  auf  und  ab  und  stand  abwech- 
selnd am  Ofen.     Ich  las  wie  gewöhnlich  leise  für  mich. 

Xicht  ohne  Rührung  hatte  ich  die  Handlung  des 
Schlusses  lesen  können.  Doch  wusste  ich  nicht,  was  ich 
sagen  sollte,  ich  war  überrascht,  aber  nicht  befriedigt. 
Es  war  mir,  als  wäre  der  Ausgang  zu  einsam,  zu  ideal, 
zu  lyrisch,  und  als  hätten  wenigstens  einige  der  übrigen 
Figuren  wieder  hervortreten  und,  das  Ganze  abschlies- 
send, dem  Ende  mehr  Breite  geben  sollen. 

Goethe  merkte,  dass  ich  einen  Zweifel  im  Herzen 
hatte,  und  suchte  mich  in's  Gleiche  zu  bringen.  „Hätte 
ich",  sagte  er,  „einige  der  übrigen  Figuren  am  Ende 
wieder  hervortreten  lassen,  so  wäre  der  Schluss  prosa- 
isch geworden.  Und  was  sollten  sie  handeln  und  sagen, 
da  alles  abgethan  war?  Der  Fürst  mit  den  Seinigen  ist 
in  die  Stadt  geritten,  wo  seine  Hülfe  nöthig  sein  wird; 
Honorio,  sobald  er  hört,  dass  der  Löwe  oben  in  Sicher- 


35   '  Vgl.  Nr.  453. 

Graf,  Goethe  über  s.  Dichtungen  T.  I. 


226  NOVELLE.  1827 

[Januar  18,  Weimar.]  [456] 

heit  ist,  wird  mit  seinen  Jägern  folgen;  der  Mann  aber 
wird  sehr  bald  mit  dem  eisernen  Käfig  aus  der  Stadt 
da  sein  und  den  Löwen  darin  zurückführen.  Dieses 
sind  alles  Dinge,  die  man  voraussieht  und  die  desshalb  5 
nicht  gesagt  und  ausgeführt  werden  müssen.  Thäte  man 
es,  so  würde  man  prosaisch  werden. 

„Aber  ein  ideeller,  ja  lyrischer  Schluss  wai   nöthig 
und  musste  folgen;  denn  nach  der  pathetischen  L'ede 
des  Mannes,  die  schon  poetische  Prosa  ist,  musste  eine  lo 
Steigerung  kommen,    ich  musste    zur  lyrischen  Poesie, 
ja  zum  Liede  selbst  übergehen. 

„Um  für  den  Gang  dieser  Kovelle  ein  Gleichniss  zu 
haben",  fuhr  Goethe  fort,  „so  denken  Sie  sich  aus  der 
Wurzel  hervorschiessend  ein  grünes  Gewächs,  das  eine  is 
Weile  aus  einem  starken  Stengel  kräftige  grüne  Blätter 
nach  den  Seiten  austreibt  und  zuletzt  mit  einer  Blume 
endet.  Die  Blume  war  unerwartet,  überraschend,  aber 
sie  musste  kommen;  ja  das  grüne  Blätterwerk  war  nur 
für  sie  da  und  wäre  ohne  sie  nicht  der  Mühe  werth  20 
gewesen.  •' 

Bei  diesen  Worten  athmete  ich  leicht  auf,  es  fiel  mir 
Avie  Schuppen  vom  Auge,  und  eine  Ahnung  von  der 
Trefflichkeit  dieser  wunderbaren  Composition  fing  an 
sich  in  mir  zu  regen.  25 

Goethe    fuhr    fort:    „Zu  zeigen,  wie  das  Unbändige, 
Unüberwindliche  oft  besser  durch  Liebe  und  Frömmig-  ' 
keit  als  durch  Gewalt  bezwungen  werde,  war  die  Auf- 
gabe dieser  Novelle,  und  dieses  schöne  Ziel,  welches  sich 
im  Kinde  und  Löwen  darstellt,    reizte  mich    zur  Aus-  30 
führung.     Diess  ist  das  Ideelle,  diess  die  Blume.     Und 
das  grüne  Blätterwerk  der  durchaus  realen  Exposition 
ist  nur  dieserwegen  da  und  nur  dieserwegen  etwas  werth. 
Denn  was  soll    das  Eeale    an  sich?    Wir  haben  Freude 
daran,  wenn  es  mit  Wahrheit  dargestellt  ist,  ja  es  kann  35 
uns  auch  von  gewissen  Dingen  eine  deutlichere  Erkennt- 


1827  NOVELLE.  227 

[Januar  18,  Weimar.]  [456] 

niss  geben;  aber  der  eigentliche  Gewinn  für  unsere 
höhere  Xatur  liegt  doch  allein  im  Idealen,  das  aus  dem 
Herzen  des  Dichters  hervorging." 

5  Wie  sehr  Goethe  recht  hatte,  empfand  ich  lebhaft,  da 

der  Schluss  seiner  Xovelle  noch  in  mir  fortwirkte  tind 
eine  Stimmung  Ton  Frömmigkeit  in  mir  hervorgebriieht 
hatte,  wie  ich  sie  lange  nicht  in  dem  Grade  empfunden. 
"Wie  rein  und  innig,  dachte  ich  bei  mir  selbst,  müssen 

io  doch  in  einem  so  hohen  Alter  noch  die  Gefühle  des 
Dichters  sein,  dass  er  etwas  so  Schönes  hat  machen 
können!  Ich  enthielt  mich  nicht,  mich  darüber  gegen 
Goethe  auszusprechen,  sowie  überhaupt  mich  zu  freuen, 
dass  diese    in  ihrer  Art  einzige  Production    doch    nun 

15      existire. 

„Es  ist  mir  lieb",  sagte  Goethe,  „wenn  Sie  zufrieden 
sind,  und  ich  freue  mich  nun  selbst,  dass  ich  einen 
Gegenstand,  den  ich  seit  dreissig  Jahren  in  mir  herum- 
getragen, nun  endlich  los  bin.     Schiller  und  Humboldt, 

20  denen  ich  damals  mein  Vorhaben  mittheilte,  riethen 
mir  ab,  weil  sie  nicht  wissen  konnten,  was  in  der  Sache 
lag,  und  weil  nur  der  Dichter  allein  weiss,  welche  Eeize 
er  seinem  Gegenstande  zu  geben  fähig  ist^.  Man  soll 
daher    nie    .jemand  fragen,  wenn  man  etwas  schreiben 

25  will.  Hätte  Schiller  mich  vor  seinem  ,"\Vallenstein'  ge- 
fragt, ob  er  ihn  schreiben  solle,  ich  hätte  ihm  sicherlich 
abgerathen,  denn  ich  hätte  nie  denken  können,  dass  aus 
solchem  Gegenstande  überall  ein  so  treffliches  Theater- 
stück wäre  zu  machen  gewesen.    Schiller  war  gegen  eine 

30  Behandlung  meines  Gegenstandes  in  Hexametern,  wie 
ich  es  damals,  gleich  nach  /Hermann  und  Dorothea' 
"Willens    war:    er    rieth    zu    den  achtzeiligen  Stanzen-. 


^  ^'gl.  218.  7—219,  3.  20—30.  240,  5—7. 
35    -  s.   216,   12—39.      Schiller    hatte    rtiess    aber,     weulgstens    so 
weit    die    schriftlichen    Zeugnisse    darüber    ein   Urtheil   ge- 


228  NOVELLE.  1S27 

[Januar  18,  Weimar.]  [456] 

Sie  sehen  aber  wohl,  dass  ich  mit  der  Prosa  jetzt 
am  besten  gefahren  bin.  Denn  es  kam  sehr  auf  ge- 
naue Zeichnung  der  Localität  an,  wobei  man  doch  in 
solchen  Keimen  wäre  genirt  gewesen.  Und  dann  liess  s- 
sich  auch  der  anfänglich  ganz  reale  und  am  Schluss 
ganz  ideelle  Charakter  der  Xovelle  in  Prosa  am  besten 
geben,  so  wie  sich  auch  die  Liederchen  Jetzt  gar  hübsch 
ausnehmen,  welches  doch  so  wenig  in  Hexametern  als 
in  den  achtzeiligen  Eeimen  möglich  gewesen  wäre."         lo 

Die  übrigen  einzelnen  Erzählungen  und  Xovellen  der 
,  Wander  Jahre'  kamen  zur  Sprache,  und  es  ward  be- 
merkt, dass  Jede  sich  von  der  andern  durch  einen  be- 
sondern Charakter  und  Ton  imter scheide^. 

„Woher  dieses  entstanden",  sagte  Goethe,    „will  ich  is 
Ihnen  erklären.  Ich  ging  dabei  zu  Werke  wie  ein  Maler, 
der    bei    gewissen    Gegenständen    gewisse    Farben  ver- 
meidet   und    gewisse    andere  dagegen  vorwalten  lässt. 
Er  wird  zum  Beispiel  bei  einer  j\rorgenlandschaft  viel 
Blau  auf  seine  Palette  setzen,  aber  wenig  Gelb.    Malt  20 
er  dagegen  einen  Abend,  so  wird  er  viel  Gelb  nehmen 
und  die  blaue  Farbe  fast  ganz  fehlen  lassen.     Auf  eine 
ähnliche  Weise  verfuhr  ich  bei  meinen  verschiedenarti- 
gen   schriftstellerischen    Productionen,  und  wenn  man 
ihnen  einen  verschiedenen  Charakter  zugesteht,  so  mag  25 
es  daher  rühren." 

Ich  dachte  bei  mir,  dass  diess  eine  höchst  kluge  Ma- 
xime sei,  und  freute  mich,  dass  Goethe  sie  ausge- 
sprochen. 

Sodann    hatte    ich,  vorzüglich  bei  dieser  letzten  No-  30 


statten,    erst    gethan,   nachdem   von   Goethe   selbst  die   Be- 
handlung   in    gereimten    Strophen    als    möglich    hingest(^llt 
worden  war;  und  Schillers  Ausführungen  hatten  den  Beifall 
Goethes  gefunden,  vgl.  Nr.  430  und  431. 
^  ^'gl.  224,  13-19.  35 


1827  NOVELLE.  229 

(Januar  IS,  Weimar.]  [156] 

velle,  noch  das  Detail  zu  bewundern^  -sromit  besonders 
das  Landschaftliche  dargestellt  war. 

„Ich  habe",  sagte  Goethe,  „niemals  die  Xatur  poe- 
tischer Zwecke  wegen  betrachtet.  Aber  weil  mein  frü- 
heres Landschaftszeichncii  und  dann  mein  späteres 
Natui'forschen  mich  zu  einem  beständigen  genauen  An- 
sehen der  natürlichen  Gegenstände  trieb,  so  habe  ich 
die  Xatur  bis  in  ihre  kleinsten  Details  nach  und  nach 
auswendig  gelernt,  dergestalt,  dass,  wenn  ich  als  Poet 
etwas  brauche,  e=  mir  zu  Gebote  steht,  und  ich  nicht 
leicht  gegen  die  Wahrheit  fehle'"^. 

Mit  Eckermann.  —  Gespräche  6,  21—26. 


^  Hier    sei    eine    Bemerkung    angeschlossen,    die    Goethe    in 

15  .Dichtung  und  Wahrheit'  (Buch  19)  über  sein  Zeichnen  nach 
der  Natur  macht  bei  Gelegenheit  der  Erzählung  seiner 
ersten  Reise  in  die  Schweiz,  im  Juni  1775:  „Ehe  wir  aber 
von  diesen  herrlichen  Höhen  wieder  zum  See  und  zur  freund- 
lich   liegenden    Stadt   [Zürich]    hinabsteigen,  muss  ich  noch 

20  eine  Bemerkung  machen  über  meine  Versuche,  durch  Zeich- 
nen und  Skizziren  der  Gegend  etwas  abzugewinnen.  Die  Ge- 
wohnheit, von  Jugend  auf  die  Landschaft  als  Bild  zu  sehen, 
verführte  mich  zu  dem  Unternehmen,  wenn  Ich  in  der  Natur 
die  Gegend  als  Bild  erblickte,  sie  fixireu.  mir  ein  sichres  An- 

25      denken  von  solchen  Augenblicken  festhalten  zu  wollen.  Sonst 
nur     an    beschränkten     Gegenständen     mich     einigermasseu 
übend,  fühlt'  ich  in  einer  solchen  Welt  gar  bald  meine  Unzu- 
länglichkeit. 
Drang  und  Eile  zugleich  nöthigteu  mich  zu  einem  wunder- 

•30  baren  Hülfsmittel:  kaum  hatte  ich  einen  interessanten  Ge- 
genstand gefasst  und  ihn  mit  wenigen  Strichen  im  Allgemein- 
sten auf  dem  Papier  angedeutet,  so  führte  ich  das  Detail,  das 
ich  mit  dem  Bleistift  nicht  erreichen  noch  durchführen 
konnte,  in  Worten  gleich  daneben  aus  und  gewann  mir  auf 

■35  diese  Weise  eine  solche  innere  Gegenwart  von  dergleichen 
Ansichten,  dass  eine  jede  Localität,  wie  ich  sie  nachher  in 
Gedicht  oder  Erzählung  nur  etwa  brauchen  mochte,  mir 
alsobald  vorschwebte  und  zu  Gebote  stand"  fW.  29.  132.  25— 
133,  19). 


230  NOVELLE.  1827 

Januar  18,  Weimar.  457 

Abends     Dr.     Eckermann.  .  .  .  die     Jagdnovelle     zu 
Ende  gelesen  [s.  Xr.  456]. 
W.  18,  452  (Tgb.). 

Januar  21,  Weimar.  458    ^ 

Ich    ging   diesen    Abend    halb  Acht    zu  Goethe    und 

blieb  ein  Stündchen  bei  ihm 

Ich  brachte  das  Gespräch  auf  die  iSToYelle,  die  ich  nun 
zu  Hause  wiederholt  gelesen  und  betrachtet  hatte.  Der 
ganze  Ani'ang.  sagte  ich,  ist  nichts  als  Exposition,  aber  lo- 
es  ist  darin  nichts  vorgeführt  als  das  Xothwendige,  und 
das  Xothwendige  mit  Anmuth,  sodass  man  nicht 
glaubt,  es  sei  eines  Andern  wegen  da,  sondern  es  wolle 
bloss  für  sich  selber  sein  und  für  sich  selber  gelten. 

.,Es  ist  mir  lieb'"',  sagte  Goethe,  „wenn  Sie  dieses  so  15. 
finden.  Doch  eins  muss  ich  noch  thun.  Xach  den  Ge- 
setzen einer  guten  Exposition  nemlich  muss  ich  die 
Besitzer  der  Thiere  schon  vorn  auftreten  lassen.  Wenn 
die  Fürstin  und  der  Oheim  an  der  Bude  vorbeireiten, 
müssen  die  Leute  heraustreten  und  die  Fürstin  bitten,  20 
auch  ihre  Bude  mit  einem  Besuch  zu  beglücken."  —  Ge- 
wiss, sagte  ich,  Sie  haben  recht;  denn  da  alles  Uebrige 
in  der  Exposition  angedeutet  ist,  so  müssen  es  auch 
diese  Leute  werden,  und  es  liegt  ganz  in  der  Sache,  da 
sie  sich  gewöhnlich  an  der  Gasse  aufhalten,  dass  sie  die  25- 
Fürstin  nicht  so  unangefochten  werden  vorbeireiten 
lassen.  —  „Sie  sehen",  sagte  Goethe,  „dass  man  an 
einer  solchen  Arbeit,  wenn  sie  auch  schon  im  Ganzen 
fertig  daliegt,  im  Einzelnen  noch  immer  zu  thtm  hat"^. 
Mit  Eclvermann.  —  Gespräche  6,  30.  34  f.  ^^ 

Januar  24,  Weimar.  459 

MiLtag  Dr.  Eckermann.     Xachher  mit  demselben  ei- 
nige verständige  Worte  über  die  Xovelle-. 
W.  18,  4.52  (Tgb.). 


'  Der  hier  als  notbwendig  bezeichnete  Zusatz  wurde  nicht  35- 

gemacht,  s.  231,  25—31. 
*  Es   ist   lebhaft   zu    bedauern,     dass   Eckermanus    Aufzeich- 


1827  NOVELLE.  231 

.lanuar  25,  "Weimar.  4G0 

Abends    Dr.  Pkkermann.     Sehr  fördernde  Gespräche 
über  die  Xovelle  .  . 
W.  18,  452  (Tgb.). 

5  Januar  29,  Weimar.  461 

Begleitet  von  dem  ]\Ianiiscript  der  Xovelle  .  .  ging  ich 
gegen  sieben  Thr   [Abends]   zu  Goethe. 

„Xim",  fuhr  Goethe  fort,   „wie  steht  es  mit  der  Xo- 
15      velle?"  —  Ich  habe  sie  mitgebracht,  sagte  ich.     Xach- 
dem  ich  sie  nochmals  gelesen,  finde  ich,  dass  Euer  Ex- 
cellenz die  intendirte  Aenderung  nicht  machen  dürfen^. 
Es    thut    gar  gute  "Wirkung,  wenn  die  Leute  bei'm  ge- 
tödteten  Tiger  zuerst  als  durchaus  fremde  neue  Wesen 
20      mit  ihren  abweichenden  wunderliehen  Kleidungen  und 
Manieren  hervortreten  und  sich  als  Besitzer  der  Thiere 
ankündigen.     Brächten  Sie  sie  aber  schon  früher,  in  der 
Exposition,     so    würde     diese     Wirkung    gänzlich     ge- 
schwächt, ja  vernichtet  werden. 
25  „Sie  haben  recht",  sagte  Goethe,  „ich  muss  es  lassen 

wie  es  ist.  Ohne  Erage,  Sie  haben  ganz  recht.  Es  mass 
auch  bei'm  ersten  Entwurf  in  mir  gelegen  haben,  die 
Leute  nicht  früher  zu  bringen,  eben  weil  ich  sie  ausge- 
lassen^. Diese  intendirte  Aenderung  war  eine  Forde- 
so rung  des  Verstandes,  und  ich  wäre  dadurch  bald  zu 
einem  Fehler  verleitet  worden.  Es  ist  aber  dieses  ein 
merkwürdiger  ästbetischer  Fall,  dass  man  von  einer 
Regel  abweichen  muss,  um  keinen  Fehler  zu  begehen." 


nungen  weder  von  diesem  Gespräcli  noch  von  der  Abenduuter- 
35      haltung  am  25.  .Januar  Xacbriclit  geben;  sie  springen  vom  21. 
auf  den  29.  Januar  über. 
'  ^'gl.  230,  16—29. 

'^  Goethe  versteht  hier  unter  dem  ,, ersten  Entwurf"  doch  wohl 

nicht  das  alte,  wiederaufgefundene  Schema  aus  dem  .Tahre 

40      1797,  sondern  das  neue  (22.3,  15    genannte),    nach    welchem 

eben  die  , Novelle'  ausgearbeitet  worden  war.     Die  in  Frage 


232  XOA'ELLE.  1827 

[Januar  29,  Weimar.]  [461] 

Es  kam  sodann  zur  Sprache,  welchen  Titel  man  der 
Xovelle  geben  solle;  wir  thaten  manche  Vorschläge, 
einige  waren  gut  für  den  Anfang,  andere  gut  für  das 
Ende,  doch  fand  sich  keiner,  der  für  das  Ganze  passend  5 
und  also  der  rechte  gewesen  wäre,  „Wissen  Sie  was", 
sagte  Goethe,  „wir  wollen  es  ,die  Novelle*^  nennen^;  denn 
was  ist  eine  Lovelle  anders  als  eine  sich  ereignete  uner- 
hörte Begebenheit.  Diess  ist  der  eigentliche  Begriff, 
und  so  vieles,  was  in  Deutschland  unter  dem  Titel  No-  lo 
velle  geht,  ist  gar  keine  Xovelle,  sondern  bloss  Erzäh- 
lung oder  was  Sie  sonst  wollen.  In  jenem  ursprüng- 
lichen Sinne  einer  unerhörten  Begebenheit  kommt  auch 
die  Xovelle  in  den  ,'Wahlverwandtschaften'  vor"-. 

Wenn  man  es  recht  bedenkt,  sagte  ich,  so  entsteht  15 
doch  ein  Gedicht  immer  obne  Titel  und  ist  ohne  Titel 
das,  was  es  ist,  so  dass  man  also  glauben  sollte,  der 
Titel  gehöre  gar  nicht  zur  Sache.  —  „Er  gehört  auch 
nicht  dazu",  sagte  Goethe;  „die  alten  Gedichte  hatten 
gar  keine  Titel,  es  ist  diess  ein  Gebrauch  der  Xeuern,  20 
von    denen   auch    die  Gedichte    der  Alten  erst  in  einer 


kommende  Stelle  desselben  (die  zugleich  als  Beispiel  dienen 
möge  für  die  Art,  wie  Goethe  seine  Schemata  anzulegen 
pflegte)  lautet: 

„23.  Sie  reiten  durch  die  Stadt.  25 

24.  Durch  den  Jahrmarkt. 

25.  Buden,  Handel  und  Wandel. 

26.  Wilde  Thiere. 

27.  Ausgehängte  Bilder. 

28.  Vorsatz  nachher  einzutreten.  30 

29.  Oheim   Reminiscenz    eines  Brandes." 

(W.  18,  483  f.) 
^  Gespräche  6,  40  ist  (wie  Eckermann  1,  220)  als  Titel  nur  das 
Wort  .Novelle'  gefasst,  doch  sollte  die  Ueberschrift  ursprüng- 
lich gerade  ,Die  Novelle'  lauten,  wie  Nr.  474  und  475  beweisen.  35 
'  Die  Erzählung  .Die  wunderlichen  Nachbarskinder"  in  den 
»Walilverwandtschaften'  Theil  2  Capitel  10  hat  als  Untertitel 
die  Bezeichnung  .Novelle'. 


1827  NOVELLE.  233 

[Januar  2i>,  Weimar.]  [461] 

spätem    Zeit    Titel    erhalten  haben.     Doch  dieser  Ge- 
brauch   ist    von  der  Xothwendigkeit  herbeigeführt,  bei 
einer    ausgebreiteten    Litteratur    die  Sachen  zu  neniien 
5      und  von  einander  zu  unterscheiden'"'. 

Mit  Eckermann.  —  Gespräche  6,  35.  39  f. 

Januar  31,  Weimar.  462 

Bei  Goethe  zu  Tische 

dann  fragte  ich  Goethe,  wie  es  mit  der  jXovelle'  stehe. 

10  .v-Ich    habe    sie    dieser  Tage  ruhen  lassen'",  sagte  er, 

„aber  eins  muss  doch  noch  in  der  Exposition  ge- 
schehen. Der  Löwe  nemlich  muss  brüllen,  wenn  die 
Fürstin  an  der  Bude  vorbeireitet;  wobei  ich  denn  einige 
gute  Eeflexionen  über  die  Furchtbarkeit  des  gewaltigen 

15      Thiers  anstellen  lassen  kann"^. 

Dieser  Gedanke  ist  sehr  glücklich,  sagte  ich,  denn 
dadurch  entsteht  eine  Exposition,  die  nicht  allein  an 
sich,  an  ihrer  Stelle,  gut  und  nothwendig  ist,  sondern 
wodurch    auch    alles  Folgende  eine  grössere  Wirkuug 

20  gewinnt.  Bis  jetzt  erschien  der  Löwe  fast  zu  sanft,  in- 
dem er  gar  keine  Spuren  von  Wildheit  zeigte.  Dadurch 
aber,  dass  er  brüllt,  lässt  er  uns  wenigstens  seine 
Furchtbarkeit  ahnen,  und  wenn  er  sodann  später  sanft 
der  Flöte    des  Kindes    folgt,    so  wird  dieses  eine  desto 

25      grössere  Wirkung  thun. 

„Diese  ^4rt,  zu  ändern  tmd  zu  bessern",  sagte  Goethe, 
„ist  nun  die  rechte,  wo  man  ein  noch  Unvollkommenes 
durch    fortgesetzte  Erfindungen    zum  Vollendeten  stei- 


33 


^  Diesen  Zusatz  hat  Goethe  angebracht,  er  findet  sich  im 
zwanzigsten  Absatz  der  Dichtung  (beginnend  ..So  waren  sie 
nach  und  nach"»  und  uuifasst  die  Worte:  ..das  sie  liaum  er- 
blicliten"  bis  ..so  furchtbar  verlcündige"  (W.  18.  325, 6—14). 
Die  ..guten  Reflexionen"  über  die  Furchtbarlieit  des  Löwen 
beschränken  sich  auf  eine  kurze  Bemerkung,  die  allgemein 
gehalten  und  nicht  einer  der  betheiligten  Personen  in  den 
Mund  gelegt  ist. 


234  NOVELLE.  1827 

[Januar  31,  Weimar.]  [462] 

gert.  Aber  ein  Gemachtes  immer  wieder  neu  zu  machen 
und  weiter  zu  treiben,  wie  zum  Beispiel  Walter  Scott 
mit  meiner  Mignon  gethan,  die  er  ausser  ihren  übrigen 
Eigenheiten  noch  taubstumm  sein  lässt:  diese  Art,  zu    5 
ändern,  kann  ich  nicht  loben"^. 

Mit  Eckermann.  —  Gespräche  6,  43.  49  f. 

Februar  13,  Weimar.  463 

Einiges  zur  ,Xoyelle'  an  John    [dictirt]. 
W.  18,  452  (Tgb.).  10 

Februar  19,   Weimar.  464 

[Nach  Mittag],  .  .  die  ,Xovelle'  vorgenommen. 
W.  IS,  452  (Tgb.). 

Februar  24,  Weiiuar.  465 

An  der  ,Xovelle-  retouchirt  und  die  Abschrift  heften  i5 
lassen.  .  .  .   [Xacli  Mittag]   Beschäftigte  mich  mit  der 

,Xovelle'. 

W.  18,  452  (Tgb.). 

Februar  25,  Weimar.  466 

Abschluss    der  ,Xovelle'  um  solche  Prof.  Riemer  zu  20 
senden. 

W.  18,  452  (Tgb.). 

Februar  27,  AVeimar.  467 

Abends  Prof.  Eiemer,  über  die  ,Xovelle'  gesprochen, 
und  über  die  Eigenschaften  dieser  Dichtart  überhaupt.  25 
W.  18,  452  (Tgb.). 

April  17,  Weimar.  468 

Mittag  zu  drei-.     Kam  die  ,Xovelle''  zur  Sprache. 
W.  18,  452  (Tgb.). 


^  Die  Gestalt  der  Fenella  (Zarab)   iu   Scotts   Roman   ,PeTeril  30 
of  the  Peak'  ist  Miguon  nachgebildet.     Uebrigens  ist  Fenella 
nicht    wirklich    taubstumm,    sondern    stellt    sich    nur    lange 
Zeit  so. 

^  Das  heisst  vermuthlich:  Goethe  mit  seinem  Sohn  und  seiner 
Schwiegertochter.  35 


1827  NOVELLE.  235 

September  18,  Weimar.  4C9 

Anbei  sende  die  Eintheihmg  der  verschiedenen  poe- 
tischen Arbeiten  in  die  fünf  Bände  [11 — 15]  der 
dritten  Lieferung;  das  Meiste  ist  nun  schon  in  Ihren 
Händen,  das  Original  zum  14.  und  15.  Bande  folgt 
nächstens.  Die  beiden  ungedruckten  Anfügungen  zum 
12.  und  15.  Band  sende  später^.  .  .  .  Haben  Sie  bei 
der  von  mir  intentionirten  Eintheilung  noch  irgend 
etwas  zu  erinnern,  so  bemerken  Sie  solches  gefällig. 
An  Reichel.  —  GJ.  2,  304. 

October  24,  Weimar.  470 

.  .  nach  Deiner  Abfahrt,  einigermassen  verdriess- 
lich,  im  Bemerken,  dass  gerade  das  Wichtigste  miizu- 
theilen  versäumt  worden.  Die  Eeliquien  Schülers 
solltest  Du  verehren,  ein  Gedicht,  das  ich  auf  ihr 
Wiederfinden  a  1  C  a  1  v  a  r  i  o  gesprochen,  ferner  eine 
Xovelle  der  eigensten  Art-,  .  . 
An  Zelter.  —  G.-Zelter  4,  425. 

December  28,  Weimar.  471 

Die  , Xovelle'  vorgenommen. 
W.  18,  452  (Tgb.). 


'■  Die  Eintheilung  der  Werke  Cotta^  wie  die  vom  1.  März  182(5 

datirte   .Anzeige'   sie   bekannt   gegeben   batte,    war   während 

des  Druckes  vom  Verleger  aufgehoben  worden.     Jetzt  sandte 

25      Goethe  eine  Inhaltsübersicht  der  Bände   11—15,   welche  die 

dritte  Lieferung  bilden  sollten. 

Als  „ungedruckte  Anfügung"  trat  die  .Novelle'  selbststäiidig 
an  den  Schluss  von  Band  15  (vgl.  211.  23),  anstatt  unter  die 
Erzählungen  der  .Wauderjahre'  aufgenommen  zu  werden,  wie 
30      anfangs  die  Absicht  gewesen  war. 

Ungedruckt  war  in  dieser  dritten  Lieferung  ausserdem  noch 
V.  4613—6036  von  , Faust',  das  heisst:  vom  zweiten  Theil  die 
ersten  Scenen  des  ersten  Acts,  bis  zu  den  Worten: 

,,Wie's  oft  geschieht,   mir  Aviderlichst   missfällt" 
35      in  der  Scene  .Lustgarten'. 

^Der  „eigensten  Art",  das  heisst:  der  eigentlichsten,  echtesten 
Art,  wesshalb  Goethe  auch  als  Titel  der  Dichtung  den  blossen 
Gattungsnamen    ,Die  Novelle'    gewählt    hatte    (vgl.  232,   7). 
Zelter  war  am  17.  imd  18.  October  in  Weimar  gewesen. 


236  NOVELLE.  ]828 

Deeember  29,  Weimar,  472 

Zugleich  .  .  muss  ich  Sie  noch  um  eine  Gefälligli:eit 
bitten;  um  die  mitkommende  Eolle  finden  Sie  ein  Manu- 
script  [,Die  Novelle']  gewickelt,    das  ich  Ihrer  Durch- 
sicht   bestens    empfehle,    wobei  ich  nur  wünsche,  dass    5 
der  Inhalt  Sie  für  die  zu  übernehmende  Mühe  einiger- 
massen  entschädigen  möge.    Es  ist  auch  dieses  eine  von 
den    vielen  früheien    Conceptionen,  deren  Ausführung 
immer    verschoben    worden  und  zuletzt  ganz  versäumt 
wäre,    hätte    ich    mich    nicht    kurz  entschlossen  sie  in  10 
dieser  Form  zu  überliefern,  in  welcher  ich  sie  nunmehr 
Ihrer  Gunst  bestens  empfehle. 
An  Göttliug.  —  G.-Güttling  S.  22. 

Deeember  29,  Weimar.  473 

[Brief  an]   Herrn  Prof.  Göttling.     Mit  Packet  und  15 

einer  Eolle   [s.  Kr.  472],.  Nebenstehendes  abgesendet. 
W.  18,  452  (Tgb.). 

1828. 
Januar  19,  Weimar.  474 

Kam    von    Herrn    Prof.    Göttling  die  jNovelle'',  mit  20 
einem  anmuthig  theilnehm.enden  Schreiben  zurück^ 
W.  18,  452  (Tgb.). 


^  In  Göttlings  Briefe,  der  vom  15.  Januar  datirt  ist,  heisst  es: 
,,Ew'.  Excelleiiz  übersende  hier  mit  dem  schönsten  Danlve  die 
.Novelle'  wieder  zurück,  die  mich  ungemein  angezogen  nud  25 
gerührt  hat.     Die  Ueberschrift  ,  D  i  e  Novelle'  schien  mir  an- 
zudeuten,  dass  es  in  ein  grösseres  Ganze  gehöre  imd  doch 
konnte  ich  nicht  mit  mir  einig  werden,  wo  der  Platz  für  sie 
sei  in  den  mir  bekannten  Werken  Ew.  Excellenz;  ich  ahne 
also  wohl  nicht  mit  Unrecht,  dass  es  vielleicht  ein  Theil  eines  so 
grösseren   noch   unbekannten   KuustAverkes   sei.     Aber  auch 
für  sich  ist  diese  Novelle  mit  ihrem  einfach  klaren  schönen 
Sinne  ein    so  beredtes  Ganze,    wie    ich    mich  keines    in    so 
kleinem  Rahmen  zu  erinnern  weiss.  .  .  .  Was  ich  im  Einzel- 
nen zu  bemerken  gefunden  habe,  ist  Folgendes.  Ew.  Excel-  35 
lenz  haben  zuweilen  Veränderungen  mit  Bleistift  an  den  Rand 
bemerkt,  über  die  Sie    noch  zweifelhaft    zu    sein    scheinen. 


1S28  NOVELLE.  237 

Jauuar  20,  Weimar.  475 

Ich  wendete  meine  Aufmerksamkeit  auf  die  Corree- 
tur  der  ,Xovelle^ 

W.  38,  452  (Tgb.). 

5  Januar  27,  Weimar.  476 

An  der  ,Xovelle'  corrigirt. 
W.    18,    452   (Tgb.). 

Januar  29,   Weimar.  477 

An  der  , Novelle'  corrigirt  und  ajustirt. 
10  W.  18,  452  (Tgb.). 

Februar  1,  Weimar.  478 

E.*'W.  danke  verpflichtet  für  den  so  heiter  und  schön 
ausgedrückten  Antheil  an  meiner  zuletzt  mitgetheilten 
Arbeits 
15  An  Göttling.  —  G.-Göttling  S.  22. 

Februar  12,   Weimar.  479 

Abends  Professor  Eiemer.  Die  ,Xovelle'  abschliesslich 
durchgegangen. 

W.  18,  453  (Tgb.). 

20  Februar  15,  Weimar.  480 

Herrn  Factor  Reichel  eine  Eolle,  enthaltend  die  ,Xo- 

velle'  .  . 

W.  18,  453  (Tgb.). 

März  3,  Weimar.  481 

25  [Brief  an]  Herrn  Factor  Reichel  in  Augsburg  wegen 

einiger  Anfragen  .  .  abgeschlossen  und  ausgefertigt^. 
W.  18,  453  (Tgb.). 


Mir  ist  es  eigen  darin  ergangen,  dass  ich  die  alte  Lesart  vor- 
ziehen zu  müssen  glaubte.  .  .  .  Sonst  habe  ich  die  Orthogra- 
30      phie  nach  den  von   Ew.   Excellenz  gebilligten   Grundsätzen 
und  zuweilen  die  Interpunotiou  verändert"  (W.  18,  460.  400). 
>  s.  230,  2.3—34. 

*  „Ausgefertigt"    scheint    der  Brief  doch  erst  am   folgenden 
Tage  zu    sein,    da  derselbe,  wie  Nr.  482  zeigt,  vom  4.  März 
35      datirt  ist. 


238  NOVELLE.  1828 

März  4,  Weimar.  482 

Die  Ueberschrift  der  kleinen  Erzählung,  welche  das 
Ganze  schliesst,  hiesse  ganz  einfach:  Novelle.  Ich 
habe  Ursache  das  Wort  Eine  nicht  davor  zu  setzen\ 

An  Reichel.  —  W.  18,  461.  5 

März  31,  Weimar.  483 

E.  W.  ermangele  nicht  anzuzeigen,  dass  ein  bedeuten- 
der Druckfehler  sich  in  den  fünfzehnten  Band  einge- 
schlichen hat. 

Seite  306  Zeile  10  v.  u.  lo 

ist  zu  lesen  statt  Holländer:  Hochländer.  Sollte  diesem 
nicht  noch  durch  einen  C'arton-  zu  helfen  sein,  so 
müsste  mau  wenigstens  Sorge  tragen  das  Publikum  zu- 
gleich mit  der  Sendung  davon  auf  irgend  eine  Weise 
zu  benachrichtigen.  E.  W.  werden,  wie  diess  geschehn  i5 
kann,  am  besten  zu  beurtheilen  wissen^. 
An  Reichel.  —  W.  18,  46G  zu  S.  322  Z.  23. 


^  Reichel  hatte  am  28.  Februar  brieflich  den  Zweifel  geäus- 
sert: ,,ob  die  Worte  .Die  Novelle'  mit  abgedruckt 
werden.  Der  Artiiiel  ,  D  i  e  '  macht  mich  irre,  indem  diese  20 
Ueberschrift  somit  sagt,  dass  dieser  Aufsatz  ,Die  Novelle' 
betitelt  ist,  wie  der  vorhergehende  ,Die  guten  Weiber'  heisst. 
Mein  Zweifel  ist  also  der:  Ob  der  Aufsatz  nicht  eine  an- 
dere Ueberschrift  erhält,  unter  welcher  dann  stehet  ,  E  i  n  e 
Novelle'?"  (W.  18,  461).  25 

Von  jetzt  an  trägt  die  Dichtung  endgültig  den  Titel  , No- 
velle'. 

^  LTnter  ,,Carton"   versteht   man  auf  dem   Gebiete   des   Buch- 
drucks ein  bedrucktes  Blatt,  mit  berichtigtem  Wortlaut,  das 
die  Bestimmung  hat:   in  das  fertige  Werk  an  die  Stelle  eines  30 
auszuschneidenden      fehlerhaften      Blattes      eingeklebt      zu 
werden. 

"^  Der  Carton  wurde  gedruckt  und,  so  weit  noch  möglich,  den 
Exemplaren  beigefügt;  wo  diess  nicht  mehr  niiiglich.  wurde 
durch  einen  eingeklebten  Zettel  in  der  gegenwärtigen  (3,)  35 
Lieferung  der  Werke  Cotta^  auf  den  Druckfehler  aufmerk- 
sam gemacht  und  für  die  folgende  (4.)  Lieferung  der  Carton 
in  Aussicht  gestellt  (vgl.  W.  18,  466  f.). 
Die,  die  , Novelle'  enthaheudeu,  Aushängebogen  19—21  hatte 


1829  NOVELLE.  239 

April  22,  Weimar.  484 

Auf  die  Messe  erscheint  .  .  die  dritte  Lieferung  meiner 
neuen    Ausgabe;    einiges  Frische  hie  und  da  in  diesen 
Bändchen  darf  ich  wohl  empfelilen^;  .  . 
An  Zelter.  —  G.-Zelter  5,  29. 

1839. 

Januar  10,  Weimar.  485 

Indess  gereicht  es  mir  zur  angenehmsten  Empfindung, 
dass  die  , Novelle'  freundlich  aufgenommen  wird;  man 
fühlt  es  ihr  an,  dass  sie  sich  vom  tiefsten  Grunde  meines 
Wesens  losgelöst  hat.  Die  Conception  ist  über  dreissig 
Jahre  alt;  es  müssen  sieh  Spuren  davon  in  der  Corre- 
spondenz  [mit  Schiller]  finden-. 
An  Schultz.  —  G.-Scluütz  S.  361. 


15        Goethe  am  20.  März  erhalten;  der  Carton  wurde  am  26.  Oc- 
tober  an  ihn  abgeschickt. 
'  Vgl.  285,  17. 

Zelter    gedenkt    in    seiner    Antwort    und    den    folgenden 
Briefen  der  , Novelle'  nicht. 

20  Dafür  stehe  hier  eine  briefliche  Aeusserung  Knebels  vom 

11.  September  1828:  ,,Die  artige  , Novelle'  im  15.  Bande  habe 
ich  auch  gefunden  und  sie  hat  mich  ergötzt.  Ich  las  just 
am  Tage  vorher  eine  indische  Erzählung  aus  der  Ramayana, 
mit    der    sie  eine  ferne  Aehnlichkeit  hat.     In  dieser  ist  viel 

25  Zauberhaftes  und  das  ergötzte  mich  hier  auch  sehr";  und 
wenn  Knebel  am  11.  Juni  1S2S  brieflich  für  den  ,. neube- 
reicherten , Faust'  "  dankt  und  von  Goethes  ,, Erzählungen" 
sagt,  sie  ,, können  für  eine  kleine  Lebensphilosophie  gelten, 
reich  an  Fülle  und  Anmuth",  so  bezieht  dieses  Urtheil  sich 

30       auch  mit  auf  die  .Novelle'  (G.-Knebel  2,  383.  389). 

^  Schultz  hatte  am  31.  December  1828  geschrieben:  „Bei 
Lesung  Ihrer  .Novelle'  im  fünfzehnten  Bande  f der  Werke 
Cotta^]  —  wie  athmeten  wir  Himmelsluft!  Diese  zarten 
Anklänge  finden  in  unserer  zu  irdischen  Atmosphäre  kaum 
35  einen  Widerklang;  aber  sie  werden  nicht  aufhören,  immer 
heller  zu  tönen  und  die  reinsten  Gefühle  zu  wecken  und  zu 
stärken,  so  lange  es  Menschen  geben  wird.  Der  Brief- 
wechsel    mit     Schiller     ist  ein  unscheinbares  Buch- 


240  NOVELLE.  1829 

Juni  29,   Weimar.  48tJ 

Euf  ich  mir  jenen  Gegenstand^  zurück,  so  war  es 
•wahrlich  ein  Object,  an  dem  man  fast  ein  halbes  Jahr- 
hundert abspinnen  konnte,  und  es  thut  mir  leid,  dass 
ich  mich  damals  davon  abwendete.  Es  ist  ein  eignes 
Ding!  Der  Dichter  weiss  allein,  was  in  einem  Gegen- 
stande liegt,  der  ihm  seines  Antheils  werth  erscheint^. 
An   Schultz.  —   G.-Schultz   S.   380. 


lein;  ich  kann  aber  nicht  enden,  es  zu  lesen  und  wieder  zu 
lesen,  .  .  "  (G.-Schultz  S.  856  f.).  k 

Die     in    Goethes    Briefwechsel     mit    Schiller    enthaltenen 
„Spuren"  der  ersten  Beschäftigung  mit  dem  Stoffe  der  .No- 
velle'   konnte    Schultz    damals  noch  nicht  kennen,  weil  der, 
das   Jahr    1797  enthaltende,   dritte   Theil   des   Briefwechsels 
erst   1829   erschien.     So   kam    Schultz   in  seinem  Briefe  vom  '5 
22.  Mai  1829  auf  die  Sache  zurück:     „Die  Spur  Ihrer  , No- 
velle' im  15.  Bande  habe  ich  in  der  Correspondenz  Nr.  ?2G 
und  327   [s.  216,  12—39.  217,  5—7]   allerdings  erkannt.     Da- 
mals   hatten    Sie    ein    Epos    im    Sinne;  nun  mag  man  sich 
wundern,  wie  aus  der  Idee  eines  Epos  zuletzt  eine  Novelle  '^^ 
geworden.     Es    ist    nichts    lehrreicher,    als    an  vorhandenen 
gelungenen  Werken    zu    erkennen,     wie  Form  und  Behand- 
lung in  jeder  Kunstgattung  den  Stoff  zu  der  ihr  eigenthüm- 
lichen  Wirkung  benutzen  können"  (G.-Schultz  S.  374). 
Goethes  Antwort  hierauf  ist  Nr.  486.  -^5 

^  Das  Jagdepos,  wie  es  1797  geplant  war,  vgl.  Z.  18—21. 

=  Vgl.  218,  9—219,  3.  227,  22—25. 


Pyrmonts 


15 


20 


25 


1801. 

Juni  30.  Pyrmont.  487 

.  .  die  Erinnerung  an  alte  merkwürdige  Vorfälle,  die 
sich  denn  doch  wohl  mögen  in  der  Xachbarschaft  ereig- 
net haben^,  erregt  ein  ganz  eignes  Interesse. 

^  Dieser  Titel  ist  um  seiner  Kürze  Willen  hier  gewählt:  wäre 
der  Plan  zur  Ausführung  gekommen,  so  hätte  die  Dichtung 
wohl  sicher  einen  andern  Namen  erhalten. 

Und  mit  einer  Dichtung,  einer  romanähnlichen  Erzählung 
haben  wir  es  hier  zu  thun,  nicht  mit  einer  geschichtlichen 
Abhandlung;  das  beweist  erstlich  der  Bericht  .Aufenthalt  in 
Pyrmont.  1801'  (s.  Nr.  490),  sowohl  durch  seinen  Inhalt  als 
durch  seinen  Ton;  mag  man  immerhin  die  Bezeichnung 
„Mährchen"  (244.  4)  als  Beweis  für  den  vorwiegend  poeti- 
schen Charakter  des  geplanten  Werkes  gelten  lassen  oder 
nicht. 

Zum  andern  wird  durch  den  Vergleicli  mit  den  ..Amusemens 
des  eaux  de  Spa'  (s.  244,  5;  vgl.  244,  19—27)  ausser  Zweifel 
gesetzt,  dass  Goethe  beabsichtigte  dem  Ganzen  einen  roman- 
haften Charakter  zu  geben,  wobei  es  auch  an  Liebes- 
abenteuern nicht  gefehlt  haben  würde. 

Demzufolge  ist  der  unter  Nr.  490  abgedruckte  Aufsatz  zu 
betrachten  als  die  späte  Mittheilung  eines  alten,  unausge- 
führten, dichterischen  Planes,  der  für  uns  zwar,  schon  wegen 
der  örtlichen  und  zeitlichen  Beschränkung  seines  Gegen- 
standes, nicht  entfernt  die  Wichtigkeit  hat.  wie  Goethes 
Berichte  über  so  manchen  andern,  liegen  gebliebenen  Plan, 
der  aber  doch  grössere  Beachtung  verdient  als  ihm  bisher 
geworden  ist. 
=  ^'gl.  242,  14—20. 

Graf,  Goethe  über  s.  Dichtungen  T.  I.  16 


242  PYRMONT.  1825 

[Juni  30,  Pyrmont.]  [487] 

Wenn  ich  Sie  auch  künftig  davon  unterhalten  kann, 
so  hätte  ich  es  doch  lieber  im  Angesicht  der  Gegenstäade 
gethan,  worauf  ich  nun  Verzicht  leisten  muss. 

An  C.  G.  Voigt.  —  Br.  lü.  242, 17—24.  5 

Juli  12,  Pyrmont.  488 

Die  Totalität  des  Pyrnionter  Zustandes  habe  ich  so 

ziemlich  vor  mir\ 

An  Schiller.  —  Br.  15,  244.  25  f. 

1825.  10 

][Mai,  zwischen  10  und  13,  Weimar.]  4S9 

[Zu  1801  Juni  14  bis  Juli  16.]  Xun  .  .  kann  man  in 
dieser  Gegend  [um  Pyrmont]  nicht  verweilen,  ohne  auf 
jene  Urgeschichten  hingewiesen  zu  werden,  von  denen 
uns  römische  Schriftsteller  so  ehrenvolle  Nachrichten  is 
überliefern^.  Hier  ist  noch  die  Umwallung  eines  Berges 
sichtbar,  dort  eine  Reihe  von  Hügeln  und  Thälern.  wo 
gewisse  Heereszüge  und  Schlachten  sich  hatten  ereignen 
können.  Da  ist  ein  Gebirgs-,  ein  Ortsname,  der  dorthin 
Winke  zu  geben  scheint;  herkömmliche  Gebräuche  20 
deuten  so^ar  auf    die  frühesten    roh  feiernden  Zeiten, 


'■  Dass  zu  dieser  „Totalität"  besonders  auch  das  Anregungs- 
reiche der  Umgegend  und  der  Ortsgeschichte  gehört,  dem  der 
Plan  seine  Entstehung  verdankt,  beweist  Nr.  489. 

"•  Einen    Ueberblicli    über    diese   Dinge    fand   Goethe   in   der  25 
.Sammlung  der  Preis-  und  einiger  anderen  Schrifften,   über 
die,  von  der  Academie  vorgelegte  Frage:  Wie  weit  die  alten 
Römer  in  Deutschland  eingedrungen?  vorher  gehet  eine  nähere 
Beurtheiluög  und   Auflösung  derselben   Frage.     Berlin,   bey 
A.  Haude  und  J.  C.  Spener,  1750'  4".     Von   der   darin  S.  31—  30 
70  (auch  in  französischer  Sprache,  S.  105—150)  enthaltenen, 
preissgekrönteu  Abhandlung  des    Pfarrers    Fein    zu  Hameln 
sagt   Goethe,   sie   „enthält  besonders   über  die   Gegend   von 
der  Weser  bis  nach  Detmold  recht  gute  Aufklärungen  und 
plausible  Hypothesen  in  Absicht  dessen,  was  hier  vorgefallen  35 
sein  mochte"  (Tgb.  3,  26,  1.3—16). 


1825  PYRMONT.  24:1 


][Mai,  zwischen  10  und  13,  Weimar.]  [489] 

und  man  mag  sich  wehren  und  wenden  wie  man  will, 
man  mag  noch  so  viel  Abneigung  beweisen  vor  solclien 
aus  dem  Ungewissen  in'"s  Ungewissere  verleitenden  Be- 

5  mühungen,  man  findet  sich  wie  in  einem  magischen 
Kreise  befangen,  man  identificirt  das  Vergangene  mit 
der  Gegenwart,  man  beschränkt  die  allgemeinste  Räum- 
lichkeit auf  die  jedesmal  nächste  und  fühlt  sich  zuletzt 
in  dem  behaglichsten  Zustande,  weil  man  für  einen  Au- 

10  orenblick  wähnt,  man  habe  sich  das  Unfasslichste  zur 
unmittelbaren  Anschauung  gebracht. 

Durch  Unterhaltungen  solcher  Art,  gesellt  zum  Leoen 
von  so  mancherlei  Heften.  Büchern  und  Büchelchen,  alle 
mehr    oder    weniger    auf    die  Geschichte    von    Pyrmont 

15  und  die  Xachbarschaft  bezüglich^,  ward  zuletzt  der  Ge- 
danke einer  gewissen  Darstellung  in  mir  rege,  wozu  ich 
nach  meiner  "Weise  sogleich  ein  Schema  verfertigte-. 

Das  Jahr  1582,  wo  auf  einmal  ein  wundersamer  Zug 
aus  allen  "Weltgegenden  nach  Pyrmont  hinströmte  und 

20  die  zwar  bekannte,  aber  noch  nicht  hochberülimte  Quelle 
mit  unzähligen  Gästen  heimsuchte,  welche  bei  völlig 
mangelnden  Einrichtungen  sich  auf  die  kümmerlichste 
und    wunderlichste    Art    behelfen  mussten^,    ward    als 


^  Von    jeiieu    zalilreicheu    ..Büclieru    uud    Büchelclieii".     die 
25      Goethe  damals  gelesen  oder  durchblättert  haben  mag  (ohne 
dass  .sein    Tagebuch    eines    vermerkt,    mit    Ausmihme    des 
242,  26  augefiihrteu).  seien  hier  zwei  genannt:    das  auoujm 
erschienene  Heft  von  Koppel.  .Pyrmonts  Merkwürdigkeiten. 
Eine   Skizze   für   Rfiseude   und   Kurgäste.  .  .  .  Leipzig    1804 
30      bei  Karl  Wilhelm  Küchler',  und  die  .Beschreibung  von  Pyr- 
mont. Bd.  1.  2.  Mit  Kupfern.  Leipzig,  bey  Weidmanns  Erben 
und  Reich.    1784.  1785',  von  Henrich  Matthias  Marcard.  den 
Goethe  in  Pyrmont  kennen  lernte. 
*  Das   Tagebuch   des    Pyrmonter   Aufenthalts    eutliält    keinen 
35      anf  dieses  Schema  bezüglichen  Vermerk. 

'  Als  den  Zeitpuuct  dieses  merkwürdigen  Ereignisses  nennen 
sowohl    die    angeführten    beiden    Werke    (Koppel    S.  9—11, 


244  PYRMONT.  1825 


][Mai,  zwischen  10  und  13,  Weimar.]  [489] 

prägnanter  Moment  ergriffen  und  auf  einen  solchen  Zeit- 
punct,  einen  solchen  unvorbereiteten  Zustand  vorwärts 
und  rückwärts  ein  Mährchen  erbaut,  das  zur  Absicht 
hatte,  wie  die  ,Amusemens  des  eaux  de  Spa',  sowohl  in  5 
der  Ferne  als  der  Gegenwart  eine  unterhaltende  Beleh- 
rung zu  gewähren\  Wie  aber  ein  so  löbliches  Unter- 
nehmen unterbrochen  und  zuletzt  ganz  aufgegeben 
worden,  wird  aus  dem  Xachfolgenden  deutlich  werden. 
Jedoch  kann  ein  allgemeiner  Entwurf  unter  andern  lo 
kleinen  Aufsätzen  dem  Leser  zunächst  mitgetheilt 
werden-. 

Tag-  und  Jahres-Hefte,  ISOl.  —  W.  35,  104,  3—105.17. 


Marcard  1,  152—1581.  als  auch  audere,  nicht  das  Jahr  1582. 
sondern  1556,  sämiutlich  wohl  auf  der  Erzählung  beruhend.  15 
die    Heinrich    Bünting    in    seiner   , Braunschweigischen   uni] 
Lüueburgischen  Chronica'  gibt  (Magdeburg  1620,  S.  532— 534j. 

'  Karl  Ludwig  von  PöUnitz  ist  der  Verfasser  des  anonym  er- 
schienenen Werkes  .Auiusemens  des  eaux  de  Spa.  Ouvrag»' 
utile  A  ceux  qui  vont  boire  ces  Eaux  Minerales  sur  les  20 
Lieux.  Enrichi  de  tailles-douces.  .  .  T.  1.  2.  Auisterdam. 
Chez  Pierre  Mortier.  1734'.  Darin  wird,  wie  Goetho  in  einem 
Aufsatze  zur  Geologie  .sagt,  „zwischen  Liebes-  und  Spiel- 
abenteuern und  andern  romanhaften  Ereignissen"  die  Lehre 
des  .Jesuiten  Athanasius  Kircher  von  den  Ursachen  der  Tem-  25 
peraturunterschiede  der  Quellen  vorgetragen,  „zu  Verstän- 
digung und  Unterhaltung  der  dortigen  Cui'gäste"  (.Ver- 
schiedene Bekenntnisse'  Xat.  TV.  9.  267,  2 — 5). 

'  Das  dauernd  ungünstige  "Wetter  und  Goethes  grosse  Reiz- 
barkeit in  Folge  des  Gebrauchs  der  Kur,  die  ihn  „zu  aller  30 
Arbeit  untüchtig"  machte  —  von  beidem  erzählt  Goethe  in 
den  Tag-  und  Jahres-Heften  1801  und  im  Briefe  vom  12.  Juli 
an  Schiller  (W.  35,  105.18—28;  Br.  15,  243. 10  f.)  —  sodann 
in  Göttingen  die  eifrige  Beschäftigung  mit  der  .Farben- 
lehre' (vgl.  247,  2.3—25).  alles  das  waren  Gründe,  wehJie  35 
zunächst  dem  Vorhaben  hinderlich  waren. 

Der  ..allgemeine  EntMurf"  (Z.  10)  ist  der  unter  Xr.  490 
wiedergegebene  Bericht,  der  zuei"st  aus  dem  Nachlass  im 
Jahre  1837  Werke  Q.  2  (2).  551  f.  veröffentlicht  worden  ist. 


1825  PYRMONT.  245 

][Mai  IIV  Weimar.]  490 

[Zu  1801,  Juni  l-t  bis  Juli  16.]  Hiebei  wäre  nachträg- 
lich  zu  bemerken,  dass  ich  daselbst  [in  Pyrmont],  eine 
sehr  weitschichtige  Arbeit  concipirte. 

Im  Jahre  1582^  begab  sich  auf  einmal  aus  allen  Welt- 
theilen  eine  lebhafte  "Wanderschaft  nach  Pyrmont,  einer 
damals  zwar  bekannten,  aber  doch  noch  nicht  hochbe- 
rühmten Quelle;  ein  Wunder,  das  niemand  zu  erklären 
wusste.  Durch  die  Xachricht  hiervon  wird  ein  deutscher 
wackerer  Eitter,  der  in  den  besten  Jahren  steht,  aufge- 
regt; er  befiehlt  seinem  Knappen  alles  zu  rüsten  und  auf 
der  Fahrt  ein  genaues  Tagebuch  zu  führen:  denn  dieser, 
als  Knabe  zum  Mönch  bestimmt,  war  gewandt  genug 
mit  der  Feder.  Von  dem  Augenblicke  des  Befehls  an 
enthält  sein  Tagebuch  die  Anstalten  der  Abreise,  die 
Sorge  des  Hauswesens  in  der  Abwesenheit,  wodurch  uns 
denn  jene  Zustände  ganz  anschaulich  werden. 

Sie  machen  sich  auf  den  Weg  und  finden  unzählige 
Wanderer,  die  von  allen  Seiten  herzuströmen.  Sie  sind 
hülfreicii,  ordnen  und  geleiten  die  Menge,  welches  Ge- 
legenheit gibt,  diese  Zustände  der  damaligen  Zeit  vor 
Augen  zu  bringen.  Endlich  kommt  der  Eitter  als  Führer 
einer  grossen  Caravane  in  Pyrmont  an;  hier  wird  nun 
gleich  so  wie  bereits  auf  dem  Wege  durchaus  das  Locale 
beachtet  und  benutzt.  Es  war  doch  von  uralten  Zeiten 
her  noch  manches  übrig  geblieben,  das  an  Hermann  und 
seine  Genossen  erinnern  durfte.  Die  Kirche  zti  Lügde-, 
von  Karl  dem  Grossen  gestiftet,  ist  hier  von  höchster 
Bedeutung.  Das  Getümmel  und  Gewimmel  wird  vorge- 
fülirt:  von  den  endlosen  Krankheiten  werden  die  wider- 
wärtigen mit  wenig  Worten  abgelehnt:  die  psychischen 


'  Vgl.  243,  36—244.  17. 

'  Lügde    (gesprochen:   Lüde),    eine  halbe  Stunde  südlich  von 
Pyrmont    gelegen:    in   der  Nähe  dieser   Stadt  befinden   sich 
35      die  Reste  der  alten   Arniiniusburg  oder  Hermeningsbtirg. 


246  PYRMONT.  1825 

][Mai  11?  Weimar.]  [490] 

aber,  als  reinlich  und  wundervoll,  ausführlich  behandelt, 
sowie  die  Persönlichkeit  der  damit  behafteten  Personen 
hervorgehoben.  Bezüge  von  Xeigung  und  mancherlei 
Verhältnisse  entwickeln  sich  und  das  üncrforschliche.  5 
Heilige  macht  einen  wünschenswerthen  Gegensatz  gegen 
das  Euhmwürdige.  Verwandte  Geister  zifehen  sich  zu- 
sammen, Charaktere  suchen  sich,  und  so  entsteht  mitten 
in  der  Weltwoge  eine  Stadt  Gottes,  um  deren  unsichtbare 
Mauern  das  Pöbelhafte  nach  seiner  "Weise  wüthet  und  lo 
ras't:  denn  auch  Gemeines  jeder  Art  versammelte  sich 
hier:  Marktschreier,  die  besondern  Eingang  hatten; 
Spieler,  Gauner,  die  jedermann,  nur  nicht  unseren  Ver- 
bündeten drohten;  Zigeuner,  die  durch  wunderbares  Be- 
tragen, durch  Kenntnisse  der  Zukunft  Zutrauen  und  i5 
zugleich  die  allerbänglichste  Ehrfurcht  erweckten;  der 
vielen  Krämer  nicht  zu  vergessen,  deren  Leinwand, 
Tücher,  Felle  vom  Eitter  sogleich  in  Beschlag  genommen 
und  dem  sittlichen  Kreise  dadurch  ein  gedrängter  Wohn- 
ort bereitet  wurde.  2» 

Die  Verkäufer,  die  ihre  Waare  so  schnell  und  nützlich 
angebracht  sahen,  suchten  eilig  mit  gleichen  Stoffen  zu- 
rückzukehren, andere  speculirten  daraus  sich  und  an- 
dern Schirm  und  Schutz  gegen  "Wind  und  "Wetter  auf- 
zustellen; genug  bald  war  ein  weit  sich  erstreckendes  25 
Lager  errichtet,  wodurch,  bei  stetigem  Abgange,  der 
Nachfolgende  die  ersten  "Wohnbedürfnisse  befriedigt 
fand. 

Den  Bezirk  der  edeln  Gesellschaft  hatte  der  Ritter 
mit  Palissaden  umgeben  und  so  sich  vor  jedem  physi-  3-) 
sehen  Andrang  gesichert.  Es  fehlt  nicht  an  misswol- 
lenden, widerwärtig-heimlichen,  trotzig-heftigen  Geg- 
nern, die  jedoch  nicht  schaden  konnten;  denn  schon 
zählte  der  tugendsame  Kreis  mehrere  Ritter,  alt  und 
jung,  die  sogleich  Wache  und  Polizei  anordnen,  es  fehlt  35 
ihm  nicht  an  ernsten  geistlichen  Männern,  welche  Recht 
und  Gerechtigkeit  handhaben. 


1825  PYRMONT.  247 

][Mai  11?  Weimar.]  [490] 

Alles  dieses  ward,  im  Stile  Jener  Zeit,  als  unmittelbar 
angeschaut,  von  dem  Knappen  täglich  niedergeschrieben 
mit  naturgemässen  kurzen  Betrachtungen,  wie  sie  einem 

5      heraufkeimenden  guten  Geiste  wohl  geziemten. 

Sodann  aber  erschienen,  Aufsehen  erregend,  lang- 
faltig, blendend-weiss  gekleidet,  stufenweise  bejahrt,  drei 
würdige  Männer:  Jüngling,  Mann  und  Greis,  und  traten 
unversehens  mitten    in  die  wohldenkende  Gesellschaft. 

10  Selbst  geheimnissvoll  enthüllten  sie  das   Geheimniss 

ihres  Zusammenströmens  und  Hessen  auf  die  künftige 
Grösse  Pyrmonts  in  eine  freundliche  Ferne  lichtvoll 
hinaussehen. 

Dieser   Gedanke    beschäftigte    mich    die    ganze   Zeit 

15  meines  Aufenthalts,  ingleichen  auf  der  Eückreise\  Weil 
aber,  um  dieses  Werk  gehaltvoll  und  lehrreich  zu 
machen,  gar  manches  zu  studiren  war  und  viel  dazu  ge- 
hörte, dergleichen  zersplitterten  Stoff  in's  Ganze  zu  ver- 
arbeiten, so  dass  es  würdig  gewesen  wäre  von  allen  Bade- 

20  gasten  nicht  allein,  sondern  auch  von  allen  deutschen, 
besonders  niederdeutschen  Lesern  beachtet  zu  werden, 
so  kam  es  bald  in  Gefahr,  Entwurf  oder  Grille  zu 
bleiben,  besonders  da  ich  meinen  Aufenthalt  in  Göt- 
tingen- zum  Studium  der  Geschichte  der  Farbenlehre 

25       bestimmt  hatte,  .  . 

Biographische    Einzelnheiten:    Aufenthalt   in    Pyrmont. 
1801.  —  "\Y.   36,  258,1—261,   12. 


30 


^  Am  13.  Juni  Abends  kam  Goethe  in  Pyrrnout  nn.  reiste  am 
Mittag  des  17.  Juli  wieder  ah,  blieb  bis  zum  14.  August  in 
Göttingen  und  kehrte  über  Cassel.  Eisenach.  Gotha  nach 
Weimar  zurück,  wo  er  am  30.  August  eintraf. 

'  s.  Z.  29  f. 


Reineke  Fuchs. 


In  den  »Tag-  imd  Jahres-Heften'  bezeichnet  Goethe  seine 
Behandlung  des  ReinelioFuelis-Epos  als  ».zwischen  Ueber- 
feetzung  lind  Umarbeitung  schwebend",  in  der  .Campagne  in 
Frankreich'  nennt  er  seine  Arbeit  eine  , .treue  Nachbildung".       6 

Dagegen  hat  Goetlie.  als  er  .Reineke  Fuchs'  der  Oeffent- 
lichkeit  übergab,  nicht  für  nothwendig  erachtet,  den  Leser  (wie 
das  sonst  doch,  auch  von  Goethe  geübter,  Brauch  ist)  auf  dem 
\  Titel  oder  im  Buche  davon  zu  unterrichten:  dass  man  hier 
I    nicht  ein  Originalwerk,  sondern  eine  Umdichtnng  vor  sich  habe,  lo 

Auch  später  that  Goethe  dergleichen  nicht.  .Reineke  Fuchs' 
'  erschien  in  den  drei,  vom  Dichter  selbst  veranstalteten.  Ge- 
sammtausgaben  der  .Werke'  an  der,  seiner  Entstehungszeit  nach 
ihm  gebührenden,  ersten  Stelle  im  Bande  der  epischen  Dich- 
tungen, als  gleichartig  und  gleichberechtigt  mit  .Hermann  und  15 
Dorothea'  und  .Aehilleis'. 

Demzufolge  halten  wir  es  nicht  für  Raub,  die  Dichtung  hier 
unter  den  Originalwerken  einzuordnen,  anstatt  sie  .ge- 
trennt von  diesen,  als  Bearbeitung  oder  Uebertragi.ing.  für  sich 
zu  behandeln.  20 

Handschriften  :  Eine  Reiusclirift  (Abschrift  eines  Dictatst  von 
Schreiberhand,  mit  wenigen  eigenhändigen  Verbesserun- 
gen Goethes;  sie  enthält  bloss  die  vier  ersten  Gesänge, 
imd  auch  diese  nur  lückenhaft. 

Erster  Druck:    1794.  Neue  Schriften  Band  2.  Die  Dichtung  füllt  25 
den  ganzen  Band  (401  Seiten  1. 

Ein  Neudruck  dieser  Ausgabe.  ..mit  Probon  der  älteren 
Thierepen".  herausgegeben  und  erläutert  von  Alexander 
Bieling,  erschien  1SS2  bei  Weidmann  in  Berlin. 


Zweiter  Druck  :  ISOS,  Werko  Cotta^  10.  1—201. 
mann  und  Dorothea'  und  ,Achilleis'. 


Es  folgen  .Her-  30 


1793  REINEKE  FUCHS.  249 

Dritter  DrucJc:  ISIT.  Werke  Cotta^  11.  1—201.     Es  folgen  ,Her- 
maui)  lind  Dorotliea",  .Aohilleis"  mul  .Paudora'. 

Vierter  Druclc:    1S30.  Werke  Cotta'  40.  1—229.     Die  Stellung  wie 
im  dritten  Druck. 

5  Weimarer  Ausgabe :  1  .  .  .  '.'  W.  50.  1— ISO  (.ist  noch  niclit  er 
schienen,  befindet  sich  aber  im  Druck).  Die  Stellung  wie 
im  dritten  und  vierten  Druck. 

1793^ 

Februar  1,  Weimar,  491 

10  Seit  einigen  Tagen  habe  ich  gleichsam  zum  erstenmal 

im  Plato  gelesen  .  .  .  Darnach    ging    mir's    aber    wie 
jener  Hausfrau,  die  Katze  gewesen  war  und  ihres  Mannes 

Bis  zu  diesem  Jahre  ündet  sich  das  alte  Epos  oder  die  Pej  son 
seines  Helden  in  Goethes  Briefen  bisweilen  genannt,  so  zum 

15  Beispiel  schon  1765,  in  einem  Briefe  an  die  Schwester,  iann 
in  einem  undatirten  Briefchen  an  Charlotte  A'on  Stein  aus 
dem  Jahre  1778  (Br.  1,  9,  22  f.  3,  229.  17». 

Im  .Tahre  1782  bemüht  Goethe  sich  eifrig  um  die  Erlangung 
guter  alter  Exemplare  der  siebenundfünfzig  Reineke-Fuchs- 

20  Radirimgen  von  Allart  van  Everdingen.  die  er  aus  Gottscheds 
Uebertragung  des  Gedichts  von  1752  kannte,  und  freut  sich 
„kindisch",  als  dieselben,  in  vorzüglichen  Abdrücken.  1783  in 
seinen  Besitz  gelangen  (Br,  5.  208.  4—10.  0.  134.  11—13.  135.  6  f. 
152,  9—11.  153.  11—141. 

25  Zehn  Jahre  später,  1793,  wurde  Gottscheds  eben  erwähnte 
Uebertragung  —  sie  ist  jetzt  bequem  zugänglich  in  Nr.  1  der 
»Quellenschriften  zur  neueren  deutschen  Litteratur  heraus- 
gegeben von  Alexander  Bieliug"  (Halle.  Max  Niemeyer.  18S0) 
—  die  „Grundlage  des  Goetheschen  Werkes",  vgl.  die  ausführ- 

30  liehe  Darstellung  von  Martin  Eange  ,Ooethes  Quellen  und 
Hilfsmittel  bei  der  Bearbeitung  des  Reiueke  Fuchs'  S.  7  (Pro- 
gramm Nr.  507  des  Künigl.  Gymnasiums  zu  Dresden-Neu- 
stadt, Di'esden.  1888).  Für  Goethes  fortdauernde  Werth- 
schätzung  von  Everdingens  Darstellungen  zeugt,  ausser  dem 

35  Tagebuchvermerk  am  14.  October  1812:  ..Die  Everdiugischen 
Radirungen  zum  .Reineke  Fuchs'  in  Ordnung  gebracht"  (Tgb. 
4,  331,  15  f.).  der  1817  in  .Kunst  und  Alteithum"  erschienene 
Aufsatz  über  die  .Skizzen  zu  Casti's  Fabelgedicht:  Die 
redenden  Thiere'.  s.  Nr.  524. 


250  REINEKE  FUCHS.  17513 

[Februar  i,  "Weimar.]  [491] 

Tafel  gegen  eine  Maus  vertauschte,  ich  habe  eine  Arbeit 
unternommen,  die  mich  sehr  attachirt,  von  der  ich  aber 
nichts  sagen  darf,  bis  ich  ein  Pröbchen  schicket 

An  F.  H.  Jacobi.  —  Br.  10,  47,  24  f.  48,  1—5.  5 

?  Februar  22,  Weimar.  492 

Hierbei  einige  poetische  Spässe". 
An  F.  H.  Jacobi.  —  Br.  10,  49,  17. 

März   12.   Weimar.  493 

[Brief  an  den].  Herzog  [Karl  Augaist,  nach]   Frank-  10 
fürt  mit  jReineke'  erster  Gesang^. 
Tgb.   2,   30,15. 


'  Bei  der  Lückenhaftigkeit  von  Goetlies  Tage1)ucli  und  dem 
Mangel  an  Briefen  in  dieser  Zeit  ist  eine  auf  den  Tag  genaue 
Angabe  über  die  Plato-Lectüre  und  damit  über  den  Beginn  15 
der  Arbeit  an  ,Reineke  Fuchs'  unmöglich.  Doch  ist  aus  den 
Worten  ..Seit  einigen  Tagen"  (249.  10(  in  Verbindung  mit 
späteren  Zeitangaben  (vgl.  Xr.  495.  529)  und  dem  Datum  der 
Hinrichtung  des  Königs  von  Frankreich,  Ludwigs  XYL,  am 
21.  Januar  1793,  deutlich  genug,  dass  Goethe  die  Bearbeitung  20 
in  den  letzten  .Tanuartagen  begann. 

•Jacobi  erwiderte,  Goethes  Gleichniss  aufnehmend,  ain  13. 
Februar:  „Ich  freue  mich  .  .  recht  auf  die  Maus,  die  Du 
jagst"  (G.-Jacobi  S.  150). 

Knebels   Tagebuch   vermerkt   am    1.    Februar   1793:      ..Bei  25 
Herders.  Vorlesung    von  Goethes    ,Reineke    Fuchs'  "  (Br.  10. 
375  zu  S.  48,  3). 
Sachlich  geholt  hierher:  Xr,  525.  526.  529.  530.  532. 

^  Ob  darunter  das  am  1.  Februar  in  Aussicht  gestellte  ..Pröb- 
chen" (s.  oben  Z.  4)  zu  verstehen  sei  (wie  Br.  10.  375  zu  S.  49.  30 
17  und  WD.  .5.  172  angenommen  wirdl.  bleibt  zu  bezweifeln; 
die  Meinzahl  ..einige"  und  der  Ausdruck  ..Spässe"  sprechen 
mehr  für  Düutzers  ursprüngliche  Vermuthung.  dass  einige 
A'enetianische  Epigramme  gemeint  seien  (.Freundesbilder" 
S.  229  t.  35 

'  Vom   Herzog  scheint  die  Handschrift  des  ersten   Gesanges 
dann    an  F.  H.  Jacobi  gelangt  zu    sein    (vgl.  Xr.  501),    und 
vielleicht  enthielt  Goethes  obiger  Brief  an  den  Herzog  eine 
auf  diese  L'ebermittelung  bezügliche  Bitte. 
Knebels  Tagebuch  enthält  folgende  Eintragungen,  1.  März:  40 


1793  REINEKE  FUCHS.  251 


März  15.  Weimar.  494 

[Brief  an],  Prinz  August   [von  Gotha]   mit  ,Eeineke' 
erster  Gesang. 

Tgb.  2,   30,16. 
5  Mai    2,    Weimar.  495 

Du  kannst  denken,  wie  fleissig  ich  war.  ,Reineke' 
ist  fertig,  in  zwölf  Gesänge  abgetheilt  und  wird  etwa 
4500  Hexameter  l»etragen\  Ich  schicke  Dir  bald  wieder 
ein  Stück".  Ich  unternahm  die  Arbeit  um  mich  das 
10  vergangne  A'ierteljahr  von  der  Betrachtung  der  Welt- 
händel abzuziehen  und  es  ist  mir  gelungen'. 
An   F.   H.  Jacobi.  —  Br.   10.  57.  1—6. 

Mai  11,  Weimar.  496 

jReineken"  muss  ich  mitnehmen*.     Die  Correctur  so 


15  „Abends  bei  meiner  ScbAvester.  der  (loethe  aus  .Reineke 
Fuchs'  vorbest",  3.  März:  ..Abends  bei  Herzogin  Mutter, 
Goethe  Vorlesung,  siebenter  und  achter  Gesang  .Keineke""'; 
sodann  15.  April:  ..Abends  ]3ei  Herzogin  Mutter  Vorlesung 
von   Goethes    letzten   Gesängen     von   .Reineke"".    24.    April: 

20      „Abends  bei  meiner  Schwester,  Vorlesung  von  Goethe.  .Rei- 
neke Fuchs'"  (Br.  10.  375  zu  S.  48.  3i. 
'  Die    gedruckte    Dichtung     enthält     4312     Hexaiueter.      Das 
niederdeutsche  Original,  aus  6844  kurzen  gereimten   Versen 
bestehend,  ist    in    vier  Bücher  eingetheilt,  deren  jedes    aus 

25  einer  Reihe  von  Capiteln  zusammengesetzt  ist.  Gottscheds 
Uebertragung  in  hochdeutsche  Prosa  hatte  diese  Vlerthei- 
luug  beibehalten.  Dem  ersten  Buche  entsprechen  Goethes 
sechs  erste  Gesänge,  den  drei  anderen  je  zwei  der  folgen- 
den sechs. 

30    ^  Nach  2.50.  liöf.  und  2.54.  10  hatte  .Tacobi  bis  daliiu  nur  den 

ersten  Gesang  erhalten. 

^  Das    ..A'ergaugne    Vierteljahr",    also    die    Monate    Februar, 

März,  April,  was  genau  übereinstimmt  mit  den  sonstigen  .\n- 

gaben  über  die  Beweggründe  zur  Bearbeitung  des  .Reineke 

35      Fuchs',   insofern   die   ..Weltliändel"'   gerade   Ende   .Januar   In 

Frankreich  zu  einer  Katastrophe  geführt  hatten,  vgl.  2.50.  19  f. 

*  In  das  Feldlager  vor  Mainz,  wohin  er  Tags  darauf  abreiste. 

Knebel  hatte  am  gleichen  Tage  geschrieben:     ..Es  thut  mir 

leid,  wenn  Du  Deinen  .Reineke  Fuchs'  nicht  bei  uns  lässt" 

40      (G.-Knebel  1,  107i. 


KEIMJKE   FUCHS.  1793 


[Mai  11,  Weimar.]  [496] 

eines  Stücks  ist  eine  Sache,  die  sich  nur  nach  und  nach 
macht. 

An  Knebel.  —  ßr.  10,  'ü.  2.3—  58.  2. 

Juni  7,  Lager  bei  Marienborn.  497    5 

Den  zweiten  Gesang  ,Reinekens'  sende  ich  wohl,  auch, 
wenn  ich  meine  Faulheit  überwinden  kann,  eine  Elegie. 
Wenn  Du  jenes  Gedicht  im  Ganzen  sehen  wirst,  hofF'  ich, 
soll  es  Dir  Freude  machen.  Ich  sollte  nur  zu  Each 
schiffen,  so  könnt"  ich  es  in  den  gewöhnlichen  Betstunden  lo 
vortragend 

An  F.  H.  Jacobi.  —  Br.  10.  74.  4—9. 

Juni  7,  Lager  bei  Marienbox-n.  49S 

Die  Obelisken  und  Asterisken-  an  ,Eeineke'  gehe  ich 
fleissig  durch,  und  corrigire  nach  Einsicht  und  Laune,  is 
Ohne    diese  Beihülfe  des  kritischen  Bleistifts  wäre  ich 
nicht  im  Stande  meinen  Yerbesserungswillen  zu  richten 
und  zu  fixiren^. 

An  Herder  und  dessen  Frau.  —  Br.  10,  76.  2—0. 


'  Mit    der    letzteren   Bemerkung    spielt    Goethe    auf    seinen  20 
Aufenthalt  im  Hause  des  Freundes  au.  den  er  im  November 
1792,  aus  der  Champagne  zurüolvlvehrend,   in  Penipeltort  bei 
Düsseldorf  besucht  hatte. 

-  Diese  bei  den  Griechen  üblichen  Ausdrücke  für  kritische 
Zeichen  begegnen  in  Goethes  Briefen  öfters,  so  schreibt  25 
Goethe  bei  L'eberseudung  des  elften  Buches  von  .Dichtung 
und  Wahrheit'  an  Riemer,  am  10.  November  1S12:  ,,  .  .  lassen 
Sie  es  an  Asterisken  und  Obelisken  nicht  fehlen"  (Briefe  von 
und  an  Goethe  S.  193.  ähnlich  G.-Göttling  S.  04).  Der  Asteris- 
kos,  ein  Sternchen.  Avurde  bei  den  Alten  zur  Bezeichnung  30 
besonders  schöner  Stellen  verwendet,  der  Obeliskos  (richti- 
ger: Gbelos).  ein  Avagerechter  Strich,  liezeiohnete  Stellen,  die 
überflüssig  oder  unecht  erschienen. 

'  Herder  hatte  von  Anfang  an  die  lebhafteste  Theilnahme  für 
Goethes  Bearbeitung.  Am  5.  April  1793  schrieb  Herders  Frau  35 
an  F.  H.  Jacobi:  ..Er  hat  uns  diesen  Winter  manch  frohe 
Stunde  gemacht  mit  einem  poetischen  Werk,  wovon  er  Ihnen 
wohl  wird  geschrieben  haben.  Sie  ist  eben  ganz  einzig,  diese 
deutsche  Epopöe,  und  Sie  werden  auch  Freude  daran  haben. 


1793  RKINEKE  FUCHS. 


Juni  8,  Lager  bei  Marieuboru.  —  s.  Nr.  526.  498a 

Juni  15,   [Lager  bei  Marieuboru.]  490 

Ich  komme  nun  fast  nicht  mehr  vom  Zelte  weg,  corri- 
gire  an  ,Reineke*  und  sehreibe  optische  Sätzen 
An  Herder.  —  Br.  10,  79,  3—5. 


Die  guten  Götter  mögen  ihn  dafür  behüten  uud  bewahx'en 
bei  seinem  zweiten  Feldzug";  Herder  selbst  fügte  hinzu: 
„  .  .  seine  Epopöe,  die  älteste  und  ewige,  ist  bald,  bald  fertig. 
Verstehe   mich   wohl,   die  ewige  auf   unsrer   Erde,   nicht   im 

10      Saturn,  der  Sonne  oder  der  jetzt  so  hell  leuchtenden  Venus"; 
am  12.  Mai  schrieb  Herder  an  Jacobi:  ,, Goethe  hat  eine  vor- 
treffliche Arbeit  vollführt.  Glück  und  sein  Genius  haben  ihm 
dabei  geholfen"  (Aus  Herders  Xachlass  2,  303—305.  307). 
Dem  alten   Gleim   hatte  Herder  am   12.   April   mitgetheilt: 

13  ,, Goethe  hat  eine  Epopöe,  die  erste  und  grösste  Epopöe 
deutscher  Nation,  ja  aller  Nationen  seit  Homer,  und  sehr 
glücklich  versificirt.  Rathen  Sie  welche?  Er  ist  eben  zu 
Ende.  Hmeu  wird  sie  sehr  wohl  thun,  dess  bin  ich  gewiss 
und  sicher",  am  1.  Mai  folgte  die  Aufklärung:  ,,  .  .  ,Reineke 

20  der  Fuchs'.  Das  ist  der  Aufschluss  des  Räthsels.  Das  Gedicht 
ist  seit  Homer  die  vollkommenste  Epopöe,  wie  Sie's,  lieber 
Gleim,  in  Goethes  glücklichen  Hexametern  sehn  werden; 
sie  ist  deutscher  Nation;  denn  wenn  ihr  Grund  gleich  aus 
einem  französischen  Roman  genommen  sein  mag.  so  ist  doch 

25  ihre  epische  Einrichtung  einem  Deutschen,  dem  Heinrich  von 
Alkmar,  zuständig  und  in  Goethes  Versification  gehört  sie 
den  Deutschen  auf  eine  eigenthümliche  Weise  mehr.  Das 
Gedicht  ist  ein  Spiegel  der  Welt;  nur  schicken  kann  ich 
Ihnen  davon  nichts,  weil  ich's  selbst  nicht  habe"    (Von  und 

30  an  Herder  1,  155.  157);  Goethe  hatte  eben  die,  mit  Herdex's 
Randzeichen  versehene,  Handschrift  auf  die  Reise  mitge- 
nommen. 

Gleichzeitig   sprach   Herder  sich  öffentlich   über    den    un- 
schätzbaren Werth   des  alten  Epos   vom  , Ulysses  aller  Uly sse' 

35  in  seinem  .Andenken  an  einige  ältere  deutsche  Dichter'  aus, 
dessen  vierter  Brief  ganz  dieser  Dichtung  gewidmet  ist.  Der 
kleine  Aufsatz,  der  Goethes  Bearbeitung  jedoch  nicht  er- 
wähnt oder  voraus  verkündigt,  erschien  1793,  in  der  fünften 
Sammlung  von  Herders  , Zerstreuten  Blättern'. 

40  '  Herders  Frau  antwortete  am  12.  Juli:  „Dass  Ihnen  die  Ar- 
beit an  ,Reineke'  und  der  Optik  wohlgelingt,  freut  uns  sehr. 


254  REINEKE  POUCHS.  1793 

Juli  2.  Lager  bei  Marienborn.  500 

Wie  sehr  wünscht'  ich  den  Musen  des  Friedens  iiul- 
digen  zu  können!  Was  möglich  ist  thue  ich  doch.  ,liei- 
neken'  habe  ich  stark  durchgeputzt,  .  .  ^ 

An  Knebel.  —  Br.  10.  84,  1—3.  5 

Juli  7.  Lager  bei  Marienborn.  501 

Deinen  Brief  an  den  Herzog  habe  ich  noch  nicht  ge- 
lesen, es  wird  ihn  gefreut  haben.  Denn  er  schien  ver- 
driesslich,  dass  Du  nicht  geantwortet  hattest,  als  er  Dir 
zum  ersten  Gesang  .Reinekens"  ein  Wort  schrieb".  lo 

An  F.  H.  Jacobi.  —  Br.  10.  91.  12—15. 

September  9,  Weimar.  502 

Von  ,Reineke'  schickt'  ich  gern  den  zweiten  Gesang, 
leider  ist  es  der,  welcher  noch  die  meiste  Arbeit  bedarf 
um  präsentabel  zu  werden.  15 

An  F.  H.  Jacobi.  —  Br.  10.  109.  26—28. 

September  26,    [Weimar.]  503 

Beiliegende  drei  Gesänge  ,Reinekes'^  wollte  ich  erst 
recht  sauber  abschreiben  lassen  und  nochmals  durch- 
sehen, eh'  ich  sie,  lieber  Herr  und  Bruder,  Deiner  Sanc-  20 
tion  unterwürfe.  Da  man  aber  in  dem  was  man  thun 
will  meist  einige  Schritte  zurückbleibt,  so  sende  ich  sie 
in  einem  etwas  unreineren  Zustand.  Du  hast  die  Güte, 
sie,  den  kritischen  GrifEel  in  der  Hand,  zu  durchgehen. 


30 


Erhalten  Sie  sich  diese  Schöpfersfreude  mitten  in  der  Zer-  25 
Störung  und  bringen  uns  eine  Beute  Ihres  Geüstes  mit,  wenn 
die  meisten  arm  und  krank  nach  Hause  kehren"  (C4J.  8.  30); 
gleichzeitig  übersandte  sie  ein  Exemplar  der.  Herders  Brief 
über  das  Reineke-Fuchs-Epos  enthaltenden,  fünften  Samm- 
lung der  .Zerstreuten  Blätter'  (vgl.  253,  35—39). 

'  Knebel  erwiderte  am  17.  Juli:  ..Es  freut  mich  gar  sehr,  dass 
sich  .Reineke  der  Fuchs'  bei  dem  Donner  der  Kanonen  so 
unter  Deinen  Händen  verbessert.  Das  zeigt  von  seiner  guten 
Natur,  und  es  gehört  mit  zur  schönsten  Fabel  Deines  Ge- 
dichts" (G.-Knebel  1.  111). 

-  Vgl.  2.50.  35  f  —  Am  22.  August  traf  Goethe  wieder  in  Weimar 
ein. 


35 


1793  REINEKE  FUCHS.  255 


[September  26,  [Weimar.]  [503] 

mir  Winke  zu  weiterer  Correctur  zu  geben  und  mir  zu 
sagen:  ob  ich  die  Ausgabe  dieser  Arbeit  beschleunigen, 
oder  sie  noch  einen  Sommer  solle  reifen  lassen.  Du  ver- 
5  zeilist,  dass  ich  mich  eines  alten  Rechts  bediene,  das 
ich  nicht  gern  entbehren  möchte  und  weisst,  welchen 
grossen  Werth  ich  auf  Deine  Bemerkungen  und  Deine 
Beistimmung  lege\ 

An  Wieland.  — '  Br.   ict.   111.   K»— 112,  2. 

10  ]  [September.  Ende,  oder  October.   Weimar.]  504 

Hier  schicke  ich,  werther  Freund  und  Kunstgenosse, 

den  ersten  Gesang  ,Reinekes'^  mit  der  Bitte,  ihn  wohl  zu 

beherzigen  und  kritisch  zu  beleuchten,  indem  ich  ihn 

zum  Druck  bald  abzu.senden  gedenke^. 

15  An  Knebel.  —  Br.  10.  112.  1.5—18. 

November  18,  Weimar.  505 

jEeineke  Fuchs'  naht  sich  der  Druckerpresse. 

Ich  hoffe,  er  soll  Dich  unterhalten.     Es  macht  mir  noch 

viel  Mühe,    dem  Terse  die  Aisance  und  Zierlichkeit  zu 

20      geben,    die    er  haben  muss.     "Wäre  das  Leben  nicht  so 


^  Wiederholt  hatte  Wieland  durch  seine  kritischen  Bemer- 
kungen Goethe  gefördert,  besonders  bei  der  Durchsicht  der 
Werke  für  die  erste  von  Goethe  veranstaltete  Gesammtaus- 

25      gäbe  1787—1700. 

Als  Ersatz  für  Wielauds  fehlende  Autwort  an  Goethe  sei 
hier  eine  gesprächsweise  Aeusserung  mitgetheilt,  die  Bötti- 
ger, nach  einer  Unterhaltung  mit  Falk  und  Wieland  am  20. 
Januar  1799.  aufgezeichnet  hat:  „Wielaud  wundert  sich,  dass 

30  man  Goethes  .Reineke  Fuchs'  nicht  mehr  schätze.  Er  lese 
oft  mit  Vergnügen  darin.  Falk  tadelt  die  Hexameter.  Hier 
hätten  bloss  Knittelreime  hingehört.  Wieland  nimmt  sich 
des  Hexameters  an"  (Büttiger:  Literarische  Zustände  und 
Zeitgenossen  1,  234). 

35  '  Hiernach  scheint  es,  als  habe  inzwischen  Wieland  auf 
Goethes  Anfrage  (s.  Z.  3  f.)  zum  baldigen  Druck  rathend 
geantwortet. 


256  REINEKP:  fuchs.  .  1794 

[November  18,  Weimar.]  [iC5] 

kurz,    ich  liess'  ihn  noch  eine  ^Veile  liegen,    so  mag  er 
aber  gehen,  dass  ich  ihn  los  werde^. 

An  F.  H.  Jacobi.  —  Br.  10,  127,  18—23. 

179^.  5 

April  29,  Weimar.  506 

Ich  habe  in  dieser  letzten  Zeit  noch  manche  Sorgfalt 

auf  meinen  losen  Fuchs  gewendet,  der  gegen  Pfingsten^ 

wieder  einen  Versuch  machen  wird,  sich  in  der  Welt  auf 

seine  Weise  zu  produciren.  lo 

An  Charl.  v.  Kalb.  —  Br.  10,  I.jG,  22—25. 

Juni  9,  Weimar^  507 

Hierbei  liegt  mein  ,Eeineke',  ich  wünsche,  dass  dieses 


^  Die  der  Zeit  nach  nächste  briefliche  Aeusserung  gegen 
Jacobi  über  ,Reineke  Fuchs'  ist  uns  mit  dem  Briefe  selbsi  15 
verloren.  Sie  fiel  in  den  Anfang  des  Monats  Mai  1794,  kurz 
bevor  die  Dichtung  erschien.  Jacobi  schreibt  am  7.  Juni  1791 
an  Goethe:  ..Deinen  Brief  vom  sechsten  [Mai]  wegen 
,Reineke  Fuchs'  und  der  englischen  [Uebersetzung  von] 
.Iphigenia',  lieber  alter  Freund,  lasse  ich  unbeantwortet.  Du  20 
schreibst  mir  wohl  nach  .Jahr  und  Tag  über  seinen  Inhall 
einen  andern"  (G.-Jacobi  S.  187). 

Erinnert  man  sich  dessen,  was  Goethe  in  der  ,Campagne'. 
gelegentlich  seines  Besuches  bei  Jacobi  in  Pempelfort  1792, 
über  seinen  damaligen  „Realismus"  und  seinen  ,, verhärteten  25 
Sinn"  sagt,  der  ihm  unmöglich  machte,  den  Freunden  seine 
.Iphigenie'  vorzulesen,  die  er  gewiss  schon  zu  jener  Zeit 
„verteufelt  human"  fand,  so  wird  man  zu  der  Annahme 
geführt,  dass  es  ein  sehr  derbes  Wort  zu  Gunsten  des  derben 
.Reineke'  gewesen  ist,  das  Jacobi  befremden  musste  (W.  38.  30 
191,  20—  192,  7.  Br.  16.  11,  19). 

^  ,, Pfingsten,  das  liebliche  Fest"  kam  dieses  Jahr  am  8.  .Juni; 
zur  Jubilate-Messe  (Jubilate  11.  Mai)  erschien  die  Dichtung 
als  zweiter  Band  von   Goethes  , Neuen   Schriften'. 

^  Kiu'z  vor  diesem  Tage,  in  der  ersten  Juniwoche  1794  hatte  35 
Johann  Heinrich  Voss  Weimar  besucht  und  Goethe  persön- 
lich kennen  gelernt.     Die  Vorlesungen  aus  seinem  deutschen 
Homer  (im  vorhergehenden  Jahre,  1793,  waren  die  Ilias  neu 


1794  REINERE  FUCHS. 


[Juni  9,  Weimar]  [507] 

uralte  Weltkind  Ihnen  in  seiner  neusten  Wiedergeburt 
nicht  missfallen  möge. 

An  Lichtenberg.  —  G.J.  18,  42. 


5  und  die  Odyssee  umgearbeitet  zum  erstenmale  als  ein  Ganzes 
erschienen)  fanden  bei  Goethe,  Wieland,  Herder  den  grössten 
Beifall. 

Goethe,  so  scheint  es  wenigstens  nach  den  folgenden  Brief- 
stelleu, schenkte  in  diesen  Tagen  ein  Exemplar  des  .Keiuelie 

10  Fuchs"  an  Voss.  Dieser  berichtet  am  13.  .Juni,  auf  der  Heim- 
reise nach  Eutin  begriffen,  an  seine  Frau:  „Goethes  ,Reineke 
Voss'  habe  ich  angefangen  zu  lesen;  aber  ich  kann  nicht 
durchkommen.  Goethe  bat  mich,  ihm  die  schlechten  Hexa- 
meter anzumerken;  ich  muss  sie  ihm  alle  nennen,  wenn  ich 

15  aufrichtig  sein  will.  Ein  sonderbarer  Einfall,  den  ,Reineke' 
in  Hexameter  zu  setzen"  (Briefe  von  J.  H.  Voss  2,  .3921. 

An  Goethe  schreibt  Voss  am  17.  Juli  1794:  „Ihr  ,Reineke' 
hat  mich  im  Wagen  begleitet.  Da  ich  das  Original  fast  jeden 
Winter  den  Meinigen  vorlese,  so  war  mir's  zum  Vergleichen 

20  gegenwärtig  genug.  Der  Ton  scheint  mir  dem  Inhalte  und 
der  gewählten  Versart  gemäss,  die  erste  Linie  über  dem 
gelassenen  Bürgerton;  der  Versbau  leicht  und  ohne  An- 
spruch auf  zwecklosen  Ausdruck,  so  wie  ihn  die  Idylle  und 
das  Epigramm  verlangt.     Was  ich  vermisse,  soll  ich  sagen? 

25  Midi  deucht,  die  Wortfüsse  oder  Rhythmen  sollten  etwas 
mannichfaltiger,  und  mehr  aus  dem  Fache  des  Lieblichen  ge- 
wählt sein";  es  folgt  sodann  eine  Anzahl  von  Bemerkungen 
über  einzelne  Versarten  und  Verse  der  Dichtung  iGJ.  5, 
38  f.),  vgl.  277,  20  f. 

30  Fast  ein  .Jahrzehnt  später,  1803,  als  Voss  in  .Jena  wohnte 
und  Goethe  viel  mit  ihm  verkehrte,  kam  ,Reineke  Fuchs' 
nochmals  zur  Sprache.  In  den  Mittheilungen,  die  Ernestine 
Voss  aus  eigener  Erinnerung  über  ihres  Mannes  Verhältniss 
zu  Schiller  und  Goethe  niedergeschrieben  hat.  heisst  es  zum 

35  Jahre  1803:  „Aus  Erfahrung  kannte  er  [Goethe]  meine 
Gewohnheit,  mich  neben  die  Männer  zu  setzen,  wenn  sie 
mit  einander  lasen  oder  sprachen.  .„Diessmal"'.  sagte  er, 
„,dürfen  Sie  nicht  bei  uns  sein  [Goethe  wollte  mit  Voss  die 
.Natürliche    Tochter'    in    Bezug    auf    den   Versbau    durch- 

40      gehen],    bei    der    nächsten  Vorlesung    werde    ich   Sie   aber 
selbst  bitten,  Sitz   und  Stimme   zu   haben'".     Dazu    war    der 
Graf,  Goethe  über  s.  Dichtungen  T.  I.  17 


258  REINEKE  FUCHS.  1794 


Juni  28.  Weimar.  SOS 

Hier,    liebe    Freundin,    kommt    Reineke    Fuchs,    der 

Schelm,  und  verspricht  sich  eine  gute  Aufnahme.    Da 

dieses    Geschlecht    auch    zu  unsern   Zeiten  bei  Höfen, 

besonders    aber  in  Eepubliken  sehr  angesehn  und  un- 


/ 


,Reineke  Fuchs'  bestimmt,  über  den  beide  sehr  verschie- 
dene Ansichten  hatten;  denn  Voss  hielt  dafür,  dass  Goethe 
schon  durch  die  Wahl  des  Hexameters  den  rechten  Ton  habe 
/  verfehlen  müssen.  Zu  dieser  Vorlesung  kam  es  nie,  .  ." 
(Briefe  von  J.  H.  Voss  3  (2»,  58).  lo 

Anders    dachte    Schiller   über   die   Wahl   des    Hexameters 
für  das  Reineke-Fuchs-Epos. 

„Mir  deucht",  schreibt  er  am  21.  März  1796  an  Wilhelm 
von  Humboldt,  „dass  sich  die  alten  Silben-Masse,  wie  zum 
Beispiel  der  Hexameter,  desswegen  so  gut  zu  naiven  Poe-  15 
sien  qualificiren,  weil  er  e  r  n  s  t  und  gesetzt  einher  schreitet 
und  mit  seinem  Gegenstand  nicht  spielt.  Nun  gibt  dieser 
Ernst,  zum  Beispiel  im  , Fuchs'  der  Erzählung  einen  gewissen 
grössei'n  Schein  von  Wahrhaftigkeit,  und  diese  ist  das  erste 
Erfoderniss  des  naiven  Tons,  wo  der  Erzähler  nie  den  20 
Spassmacher  spielen  und  aller  Witz  ausgeschlossen  bleiben 
soll.  Auch,  deucht  mir,  ist  uns  der  Hexameter  schon  dess- 
wegen in  dergleich  Gedichten  so  angenehm  und  vermehrt 
das  Naive,  weil  er  an  Homer  und  die  Alten  erinnert" 
(Schillers  Br.  4,  434).  25 

Im  Anschluss  daran,  zugleich  im  Gegensatz  zu  Vossens 
abfälligen  Aeusserungen  hier  noch  eine  Stelle  aus  Knebels 
Brief  vom  22.  December  1795  an  Goethe:  ,,  .  .  da  Du  im 
vollkommenen  Besitz  bist,  auch  hierüber  [über  die  antiken 
Versmasse]  Regel  auf  dem  Parnass  zu  geben,  und  ich  zum  30 
Beispiel  Deinen  , Reineke  Fuchs'  für  das  beste  und  der 
Sprache  eigenthümlichste  Werk  deutscher  Prosodie  halte, 
so  wollte  ich  nicht,  dass  Du  andern,  die  bei  weitem  nicht 
Gefühl  und  Geschmack  genug  zu  dieser  Sache  haben,  aus 
zu  vieler  Nachsicht  und  Gutheit  zu  viel  einräumtest.  Der  35 
lebendige  Geist,  mit  Sinn  und  Geschmack  verbunden,  fehlt 
.ia  fast  überall  noch  in  unsern  Gedichten,  und  was  soll  es 
werden,  wenn  sich  unsre  einzigen  Muster  unter  die  Regel 
einseitiger  oder  fühlloser  Pedanten  schmiegenl"  (G.-Knebe! 
1,   125).  40 


1794  REINEKE  FUCHS.  25'.) 


10 


[Juni  28,  "Weimar.]  1^08] 

entbehrlich  ist,  so  möchte  nichts  billiger  sein,  als  seine 
Ahnherrn  recht  kennen  zu  lernend 

An  Charl.  v.  Kalb.  —  Br.  10.  168,9—14. 

Juli  7,   Weimar.  ^>^ 

.Eeineken'  an  Körners  mit  vielen  Empfehlungen-. 
An  H.  Meyer.  —  Br.  10.  171.  22. 
Juli  16,  Weimar.  510 

Hierbei   folgt,    mein   V\'erthester,    ein  Exemplar    von 
,Eeineke  Fuchs'.     Ich  wünsche,  dass  dieser  Freund,  in 
der   noch    immer  unruhigen  Lage,    in  der  Sie  sich  be- 
finden müssen,  Ihnen  einige  gute  Stunden  machen  mögel 
An  Sümmei-ing.  —  Br.  lu.  171.  23—  172,  3. 


'  Charlotte    von    Kalb    erwiderte    am    9.   August:     „Tausend 

15  Dank  für  Ihren  .Reiueke'  —  ich  wollte  ihn  lesen,  aber  siehe. 
ich  bin  zu  hyyochouder,  als  dass  ich  mich  möchte  und 
könnte  mit  den  Thaten  und  Ruhm  dieses  Erzschelms  ab- 
geben: besonders  jetzo.  wo  diese  Art  so  grausam  herrscht.— 
Diese  Stimmung    wird    bald  vorübergehn  und  dann  will  ich 

20      mit    doppelter    Lust    die    Wahrheit.     Kunst   und   Schönheit 
dieses  Werks  bewundern"  (GJ.  13.  46  f.  i. 
»  Meyer  hielt  sich  zur  Zeit    in  Dresden   i  Körners  Wohnsitz) 
auf,  um  in  der  Gemäldegalerie  zu  copireu. 
Körner  kannte  das  neue  Werk  Goethes  bereits.     Schon  am 

25  25.  Mai  hatte  er  an  Schiller  geschrieben:  ..Die  Messe  ist  für 
die  Litteratur  nicht  sehr  ergiebig.  Goethens  ,Reineke 
Fuchs-  ist  fast  das  Bedeutendste'-;  Schiller  antwortete  am 
12.  Juni:  „  ,Reineke  Fuchs'  von  Goethe  hast  Du  ohne 
Zweifel  schon  in  Händen.  Mir  beliagt  er  ungemein,  beson- 
ders um  des  Homerischen  Tones  Willen,  der  ohne  Affec 
tation  darin  beobachtet  ist-',  worauf  Körner  am  17.  Juni 
erwiderte:  „  ,Reineke  Fuchs'  habe  ich  gelesen.  Ich  ver- 
kenne den  Kunstwerth  daran  gewiss  nicht;  aber  wenn  ich 
die  Zeit  und  Mühe  bedenke,  die  Goethe  darauf  verwendet 
haben  muss,  so  dächte  ich  doch,  dass  er  uns  etwas  Bedeu- 
tenderes hätte  geben  können.  Vieles  ist  doch  trocken  und 
langweilig  darin"  fSchiller-Kömer  2,  101  f.  104). 
»  Sömmering  war  von  Mainz,  wo  Goethe  im  Jahre  vorher  mit 
ihm  zusammengetroffen  war.  wegen  der  politischen  Wirren 

40      nach  Frankfurt  übergesiedelt.     In  Goethes  ,Tag-  und  Jahres- 


30 


35 


£60  REIXEKE  FUCHS.  1795 

1795  oder  1796. 
]  [Zwischen  December  1795  und  Sommer  1796.]  511 

Reineke  Fuchs. 
Vor  Jahrhunderten  hätte  ein  Dichter  dieses  gesungen? 
Wie  ist  das  möglicli?     Der  Stoff  ist  ja  von  gestern    5- 

Tind  heut. 
Xenien  V.  539  f.  —  W.  5  (1),  244,  Nr.  270. 

]  [Zwischen  December  1795  und  Sommer  1796.]  512 

N  i  c  0  1  a  i  s    E  0  m  a  n  e\ 
Kennt  ihr  im  ,Eeineke  Fuchs'  die  appetitliche  Höhle-?  lo 
Just  so  kommt  er  mir  vor  unter  den  Kindern  des 

Geists. 
Xenien  (Aus  dem  Xachlass)  V.  165  f.  —  W.  5  (1),  281, 
Nr.  83. 

]  [Zwischen  December  1795  und  Sommer  1796.]  513  15 

Die    Epopöen. 
Der     steigt     über     den    Menschen     hinauf    und    jener 

hinunter; 
Wer  es  am  glücklichsten  traf,  weiss  ich,  doch  sag'  ich 

es  nicht^.  20 

Xenien   (Aus   dem  Nachlass)  V.  165  f.  —  W.  5  (1),  281, 
Nr  86. 


Heften'  heisst  es  zu  1794:  ,,  S  ö  m  m  e  r  i  n  g  mit  seiner  treff- 
lichen Gemalilin  hielt  es  in  Franlifurt  aus,  die  foitwährende 
Unruhe  zu  ertragen"  (W.  o5,  30,  3 — 5).  25- 

^  In  erster  Linie  ist  hier  wohl  an  die  , Geschichte  eines  dicken 
Mannes  worin  drei  Heurathen  und  drei  Körbe  nebst  viel 
Liebe.  Berlin  und  Stettin,  1794'  (Titel  nach  Goedeke  4,  172 
Nr.  30)  zu  denken,  die  auch  Schiller  in  seiner  Abhandlung 
,L'eber  naive  und  sentimentalische  Dichtung'  (Werke  8.  383,  3» 
12—15)  brandmarkt,  vgl.  SdGG.  8,  153  zu  Xenion  Nr.  343. 
^  In  Gesang  11  V.  180—198  schildert  der  Fuchs  die  Meerkatzen 
und  ihre  Behausung;  es  heisst  da  unter  Anderem: 

„Im  faulen  Heue  gebettet 

Fand   ich    die    garstige  Brut    und   über    und    über    be-  3> 

schlabbert 
Bis  an  die  Ohren  mit  Koth;  es  stank  in  ihrem  Reviere 
Aerger  als  höllisches  Pech." 
•  „Die  Epopöen"  sind  ,Der  ^Messias'  und  ,Reineke  Fuchs'.  In 


1795  REINEKE  FUCHS.  261 


][Zwischen  December  1795  und  Sommer  1796.]  [513] 


jenem  steigt  Klopstock  zum  Uebermeiisclilicheu,  zu  den  Sera- 
phim,   ja    zu  Gottes  Sohn  und  Gott  selbst  liinauf,    während 
in    diesem    Goethe    in's    Unteruieuschliche,    zu  den  Thieren 
5      hinabsteigt. 

Der  Zeit  nach  geliurt  liierher  folgende  Aeusserung  Schillers, 
aus  einem  Briefe  an  Wilhelm  von  Humboldt,  vom  2.5.  .Januar 
179G:  „Woltmann  sagte  mir,  dass  eine  ganze  saft-  und  kraft- 
lose Recension  des  ,Reinike  Fuchs'  jetzt  für  die  Litteratur- 

10  Zeitung  eingeschickt  worden;  eine  so  schlechte,  dass  sogar 
Hufeland  auf  Unterdrückung  votirt  habe.  Ich  zweifle  nicht, 
dass  man  Goethen  und  mir  zu  Lieb'  sie  wirklich  unterdrücken 
wird,  wenn  i  c  h  eine  andre  verspreche.  Aber  so  gern  ich 
diese  Arbeit  übernähme,  und  so  sehr  es  mich  reuet,  dass  ich 

15  nicht  schon  in  meinem  Aufsatz  über  das  Naive  [im  Jahrgang 
1795  der  , Hören',  Band  4,  gleichbedeutend  mit  dem  ersten 
Teil  der  Abhandlung  ,Ueber  naive  und  seutimentalische 
Dichtung']  mich  förmlich  dai'über  herausgelassen  habe,  so 
wissen  Sie  doch,  lieber  Freund,  dass  ich  jetzt  von  meiner 

20  poetischen  Activität  mich  nicht  wohl  zerstreuen  kann.  Ich 
gäbe  daher  sehr  viel  darum,  wenn  Sie  an  meiner  Statt  diese 
Arbeit  übernähmen;  ich  würde  dann,  da  wir  in  unsern  kri- 
tischen Grundsätzen  so  sehr  harmoniren,  die  Recension  als 
die   meinige   in   die   Litteratur-Zeitung   geben.     Wollten   Sie 

25  dieses  nicht,  so  könnte  sie,  was  noch  besser  wäre,  zu  einem 
Aufsatz  für  die  , Hören'  dienen.  Da  der  ,Reinike  Fuchs', 
wenn  man  gerecht  sein  will,  das  beste  poetische  Product  ist, 
was  seit  so  vielen,  vielen  Jahren  in  Umlauf  gekommen  ist, 
und  sich  mit  Recht  an  die  ersten  Dichterwerke  anschliesst, 

30  so  ist  es  in  der  That  horribel.  dass  er  so  schlecht  behandelt 
werden  soll.  Goethe  Aveiss  von  meiner  Idee  nichts,  und  ich 
werde  ihm  auch  nicht  eher  etwas  davon  sagen,  als  wenn  sie 
schon  ganz  ausgeführt  ist;  aber  ich  betrachte  es  als  meine 
eigene  Angelegenheit,  zn  machen,  dass  man  entweder  eine 

35  andere  Meinung  davon  bekomme,  oder  sich  doch  derjeni- 
gen schäme,  die  man  davon  hat"  (Schillers  Br.  4.  399). 

Jene  „schlechte"  Recension  erschien  nicht;  die  Angelegen- 
heit scheint  dann  in  Vergessenheit  gerathen  und  von  Schiller 
brieflich  nicht  weiter  berührt  worden  zu  sein,  obwohl  Hum- 

40  boldt.  in  seiner  Antwort  vom  2.  Februar  1796.  sich  zu  der 
gewünschten  Besprechung  bereit  erklärte  (vgl.  Schiller- 
Humboldt  275.  2.5—276,  32). 


2G2  REINEKE  FUCHS.  ISOO 


1800. 

April  2,  AVeimar.  514 

^Olj  es  der  Mühe  werth  sein  Vvird  den  ,Reineke  Fuchs*^ 
nochmals  gleichsam  umzuarbeiten,  darüber  müssen  wir 
gelegentlich  zu  Käthe  gehen^.  5 

An  A.  W.  Schlegel.  —  Br.  lö,  öO.  15—17. 


Erst  acht  Jahre  später,  18Ü4,  als  die  ,Allgemeiue  Literatur- 
Zeitung'  bereits  von  Jena  nach  Halle  übergesiedelt  war,  er- 
schien in  ihr  am  31.  December  (Band  4  Spalte  721 — 731)  eine 
Besprechung  des  ,Reineke  Fuchs'.  Der  anonyme  Kritiker  la 
würdigt  gleichzeitig  die  inzwischen  erschienene  Uebertrag- 
ung  von  Soltau  (Berlin  1803  bei  Heinrich  Frülich)  und 
setzt  dessen,  dem  Original  nachgebildete,  kurze  Reimpaare 
Goethes  Hexametern  rühmend  entgegen. 

^  Schlegel, .  der    seit  einiger  Zeit  mit  der  Durchsicht  von  Goethes  15 
hexametrischen  Gedichten  für  Band  7  der  .Neuen  Schriften' 
beschäftigt  war,   hatte  am   1.  April  geschrieben:  .,Ich  habe 
im   .Reineke  Fuchs'  verschiedne   Stellen   iu   metrischer  Hin- 
sicht durchgegangen,  mir  scheint  der  Versbau  darin  dem  in 
den  Episteln  am  ähnliclisten  zu  sein:  ich  glaube,  man  würde  20 
dabei  auf  wenige  so  hartnäckige  Verse  stossen  wie  in  den 
älteren  Elegien  und  Epigrammen.     Es  ist  in  diesem  epischen 
Gange  alles  weniger  gebunden.  Freilich  wäre  es  immer  noch 
eine  beträchtliche   Arbeit,    das    ganze   Gedicht    nach   Ihren 
jetzigen  metrischen   Grundsätzen  zu  reformiren.   wenn  man  25 
auch,   wie  billig,  alle  die  Licenzen,   welche   drollige   Namen 
oder  andre  vertrauliche  Redensarten  betreffen,  zugestände" 
(SdGG.  13,  72). 

"  Hierauf  erwiderte  Schlegel  am  4.  April:  ..Wegen  des 
.Reineke  Fuchs'  können  wir  uns  mündlich  ausführlicher  30 
besprechen  [Schlegel  lebte  damals  iu  .Teua].  Für  die 
Wirkung,  die  es  bei  Alten  und  Jungen  bis  auf  die 
kleinsten  Kinder  nicht  verfehlen  kann,  ist  die  jetzige  Bear- 
beitung völlig  hinreichend.  Eine  neue  wäre  hauptsächlich 
nur  ein  Compliment.  das  den  Fortschritten  der  alten  Silben-  35 
masse  gemacht  würde.  Der  grösste  Vortheil  dabei  wäre  viel- 
leicht, dass  hier  und  da  die  Ausführung  noch  mehr  homerisirt 
w.'rdf-n  wfiid«--'  rSdGG.  13,  77). 


1802  REINEKE  FUCHS.  263 


1803. 

Januar  17,  Jena.  515 

Abends  Correctur  von  ,]Reineke  Fuchs"'^. 
Tgb.  .3,  4C,  25  f. 

5  Nach   I8O32. 

][?  ?  ?]  516 

Am  liebenswürdigsten  erschien  er,  vrenn  er  aus  seinif^n 

eigenen  Gedichten    einzelne  Yerse    oder  ganze  Stellen 

bald   mit    einem    besondere  ^Vichtigkeit  ausdrückenden 

10  Lehrton,  bald  mit  einem  achselzuckendes  Bedauern  oder 
auch  behagliches  Zugeben  andeutenden  Conversations- 
ton,  als  vrie  im  Augenblick  erst  improvisirt,  vorbrachte. 
Zum  Beispiel  aus  dem  ,Reineke  Fuchs':  „Und  so  ist  es 
beschaffen"  u.  s.  w.  oder  „Handelt  einer  mit  Honig,  er 

15      leckt   zuweilen  die  Finger",    oder   „wir  hätten  ein  halb 
Dutzend   verzehrt,    wofern    sie   zu  haben  gewesen",  bei 
Genuss  eines  Lieblingsgerichts,  wie  etwa   Tauben^. 
Mit  Riemer.  —  Briefe  von  und  an  Goethe  S.  378. 


"  Sollte  dieser,   ganz  vereinzelt  stehende,   Vermerk  die   unter 

20      Nr.  533  mitgetheilte  Stelle  aus  den  ,Tag-  und  Jahres-Heften' 
veranlasst  haben,  die  sachlich  hierher  gehört? 
*  Riemer,  der  die  Mittheilung  macht,    kam    im  Herbst    1803 

nach  Weimar. 
'  Die  Citate  finden  sich  in  Gesang  12  V.  379  (.,Denn  so  ist  es 

25  beschafEen,  so  wird  es  bleiben",  diese  Worte  führt  Goethe 
auch  gern  in  Briefen  an.  vgl.  Br.  10,  70,  1  f .  12.  20.  10  f.,  G.- 
Zelter 5,  160),  Gesang  8  V.  94  („Handelt  einer  .  ."),  und  Gesang 
7  V.  219  („  .  .  und  hätten  gewisslich]  Ein  halb  Dutzend  ver- 
zehrt .  ."). 

30  In  Goethes  Briefen  begegnet  man  Anspielungen  auf  .Rei- 
neke  Fuchs'  nicht  selten,  so,  wenn  er  statt  „Pfingsten" 
schreibt  „das  liebliche  P^st"  (Br.  12.  14G,  1),  oder  auch  „Pfing- 
sten, das  liebste,  lieblichste  Fest"  (GJ.  20.  59),  oder  wenn  er 
sein  Haus,  sein  Zimm.n-  ..Malerartus"  nennt  (Br.  15,  12,  4. 

35      18,  11,  6). 


264  REIXEKE  FUCHS.  Ib05 


1805. 

Mai  1,  Weimar.  —  s.  Nr.  37üa.  516a 

December  25,  Weimar.  517 

Was    jHenning  den  Halm^    betrifft,    so  ist  es  immer 
ein  schätzbares  Ueberbleibsel  älterer  Zeit,  aber  freilich    5 
mit  ,Eeineke  Fuchs'  sowohl  wegen  dem  Gehalt  als  der 
Form    nicht    wohl  zu  vergleichen^.     Ihre  Uebersetzung 
ist  heiter  und  bequem;    doch  würde  ich  immer  rathen, 
sie    vor    dem    Druck    nochmals,    besonders  wegen  des 
Sylbenmasses,  durchzugehen.    Unser  ganzes  prosodisches  lo 
Wesen  hat  seit  einigen  Jahren  eine  vortheilhafte  TJm- 
wandlung  erlitten,  und  wenn  die  Herren  von  der  stricten 
Observanz  vielleicht  hie  und  da  zu  weit  gehen,  so  kann 
man  doch  gewissen  aufgestellten  Gesetzen  seinen  Beifall 
nicht    versagen,    und    sich    ihrer  Befolgung   nicht  ent-  i5 
ziehen-.  .  .  .  Leider    ist    Vossens    Prosodie'^  schwer  ge- 
schrieben und  zu  einem  heiteren  Selbstunterricht  nicht 
geeignet. 

An  Nikolaus  Meyer.  —  Br.  19,  S6,  11—23.  87,  1—3. 


*  Im  Jalire  1732  w^ar  eiue  Fortsetzung  des  alten  niederdeut-  20 
sehen  Epos  ,Reynke  de  Vos'  unter  dem  Titel  ,Hennynk  de 
Hau'  erschienen,  die,  gleich  jenem  in  gereimten  vierfüssigen 
Jamben,  die  Geschichte  Reinekes  bis  zu  dessen  Tode  weiter- 
erzählt. Der  Verfasser,  Kaspar  Friedrich  Renner,  hatte  durch 
eine  vorgedriickte  Bemerkung  den  Schein  erweckt,  als  gebe  25 
er  die  Handschrift  eines  im  ersten  Viertel  des  sechzelmten 
Jahrhunderts  verfertigten  Gedichts  heraus. 

Dieses    Werk    hatte  Meyer,  dem  von  Goethe  im   ,Reineke 
Fuchs'  gegebenen  Beispiele  folgend,  in  hochdeutsche  Hexa- 
meter übertragen:  er  verJJttcntlichte  die  Uebertragung.  nebst  30 
dem  Original  und  zwölf  Radirungen  von  Menken,  im  Jahre 
1813  (bei  Heyse  in  Bremen). 
'  Vgl.  dagegen  Nr.  518. 

•  »Zeitmessung  der  deutsclien   Sprache   von  Johann   Heinrich 
Voss.   Beilage  zu   den  Oden   und  Elegieen.    Königsberg  1802.  35 
Bei  Friedrich  Nicolovius'. 


1806  REIXEKE  FUCHS.  265 


1806. 

Februar  24,  Weimar.  —  s.  Nr.  79.  517a 

März  2S.  Weimar.  518 

AVas  Ihre  Uebersetzung^  betrifEt,    so  dächte  ich,    Sie 

5  Hessen  solche  drucken,  wie  sie  dasteht.  Bemerkungen 
darüber,  wie  Sie  wünschen,  könnte  ich  Ihnen  so  bald 
nicht  senden:  denn  vor  einem  halben  Jahre  komme  ich 
selbst  nicht  an  meine  epischen  Sachen-,  wo  es  alsdann 
wohl  in  Einem  hinginge.     Bei  manchen  Schriften  kann 

10  und  soll  man  mehr  an  die  Lesenden  als  an  die  ürthei- 
lenden  denken;  und  wenn  man  überlegt,  dass  in  Deutsch- 
land sich  noch  manche  tausend  Leser  befinden,  die  mit 
dem  bisherigen  Hexameter  noch  ganz  wohl  zufrieden 
sind,   so  kann  man  sich  um  desto  eher  beruhigen,  wenn 

13  eine  neue  Schule,  oder  vielmehr  Familie",  nach  selbst 
gegebenen  Gesetzen,  gar  wunderliche  Forderungen  auch 
an  andre  macht:  wobei  es  besonders  merkwürdig  bleibt, 
dass  wir  Gedichte  von  der  vollkommensten  Technik  er- 
leben, welche  völlig  ungeniessbar  sind.     Lassen  Sie  also 

20       Ihren  .Henning"'  in  der  hasse  cour,  wo  er  geboren    und 
erzogen  ist,  sein  Glück  suchen,  bis  es  Zeit  wird,  die  Ge- 
setze und  Verordnungen,  nach  welchen  die  rhythmische 
licniie  cour  ihre  l'rthcile  fällt,  näher  zu  prüfen. 
An  Nikolaus  Meyer.  —  Br.  19.  118.  23—  119.  19. 

25  1807. 

September  5.   Karlsbad.  519 

Abends  im  Zincgref    [gelesen]    und    Bäthsel    aufge- 
löst. (Zauberformel  im  ,Eeineke  Fuchs'.)* 
Tgb.  3.  270.  21  f. 


30    ^  s.  Nr.  517. 

'  Das  heisst:    zur    Durchsicht    für    die    Aus.ii^abe    der    Werke 
CottaS  die  sogar  erst  mehr  als  anderthalb  Jahre  später,  im 
December  1807,  stattfand. 
'  Voss,  der  ..baberechtische  Griesgram"  (Br.  21.  132.  19>,  und 
35      sein  ältester  Sohn  Heinrich,    ^'gl.  dagegen  264,  10—16. 

*  Dass  hier  Zincgrefs  .Apophthegmata'  Ceine.  zuerst  1G26  er- 
schienene,   später    vielfach    neu    aufgelegte  und  vermehrte, 


266  REINEKE  FUCHS.  180S 


December  7,  Jena.  —  s.  Nr.  84.  r>19a 

DecemlHT  8,  Jena.  —  s.  Nr.  S5.  .519b 

1808. 

August  7,  Karlsbad.  —  s.  Nr.  87.  -519c 

October  23,  Jena.  520    5 

Keineke  Fuchs. 
Tgb.  3,  394, 15. 

1814. 

Mai  7,  Weimar.  521 

[Vor  ^littag]   ,Reineke  Fuchs'  durch  Görres  A^evan-  lo 
lassimg\ 

Tgb.  5,  105,  23  f. 


Sammlung  von  Sprich v.üitern  und  sinnvollen  Ausspi'üchen) 
gemeint  seien,  ist  sehr  wahrscheinlich,  da  Riemer  in  seinen 
, Mittheilungen'  (1,  .396)  berichtet,  Goetlie  habe  unter  anderen  i5 
Werken  auch  dieses  auf  Reisen  mit  ihm  gelesen.  Auch 
heisst  es  unterm  9.  Mai  dieses  Jahres  in  Goethes  Tagebuch 
(3,  208.  17  f.):   „Zincgrefs  Apophthegmen". 

Die  „Zauberformel"'  (Frau  Rückenau,  die  Aeffin,  spricht  sie 
als  Gebet  über  Reineke  vor  dessen  Zweikampf  mit  dem  20 
Wolf)  bildet  im  niederdeutschen  Original  Vers  6225  und 
6226;  sie  besteht  aus  sieben  sinnlosen  Worten  und  wurde 
von  Gottsched  unverändert  in  seine  Uebertragung  aufge- 
nommen. Goethe  setzte  an  ihre  Stelle  einen  Hexameter  (Ge- 
sang 11  V.  403),  der  nur  von  hinten  nach  vorn  gelesen  einen  25 
Sinn  gibt  und  dessen  Worte  auch  dann  noch  zum  Theil  aus- 
einandergerissen dastehen. 

—  Am  11.  September  kehrte  Goethe  von  seinem  Aufenthalt 
in  Karlsbad  nach  Weimar  zuinick.  Zehn  Tage  später  begann 
die  Durchsicht  der  .AchilleTs'  (s.  Nr.  82).    Am  26.  September  30 
vermerkt    Riemer    in   seinem   Tagebuch:     ..Schickte   Goethe 
das    bis  in    den    vierten  Gesang  umdictirte  Manuscript  des 
,Reineke'  herauf   [Riemer  wohnte  im  zweiten   Stock,  in  der 
Dachwohnung    von    Goethes    Haus],  das  ich  anfing  durch- 
zusehen" (Deutsche    Revue  11.    1,  66).     IJeber  diese  Hand-  3» 
Schrift,  die  einzige,  die  sich  erhalten  zu  haben  scheint  (vgl. 
248,  21—24),  wird    in    Band    50    der    Weimarer   Ausgabe   be- 
richtet werden. 
^  Sulpiz    Boisser^e    hatte    am    29.    April    1814  an  Goethe  ge- 
schrieben:    ..Ist  Ihnen  die  Zeitung  .Der  Rheinische  Merkur',  40 


ISIG  REINEKE  FUCHS.  261 


1816. 

Juli  25,  Tennstädt.  522 

[Früh]     Um    5  Uhr  aufgestanden.     ,Remeke  Fuchs' 
erstes  Biich\ 
5  Tgb.   n.   2.57,24. 

August  17,  Tennstädt.  52S 

[Vormittags]   .Reineke  Fuchs'-. 
Tgb.  5,  265,  7  f. 

1817. 

10   ][October  2.3—25,  Weimar.]  524 

"A^on  bildlichen  Darstellnngem  welche  zu  einem  ge- 
schriebenen Werke  gefertigt  werden,  darf  man  freilich 


welche  Gürres  in  Coblenz  schreibt,  noch  nicht  bekannt,   so 
lassen    Sie    sich    dieselbe  doch  ja  geben,  besonders  auch  die 
15      Blätter  von  diesem  Monat  seit  der  Einnahme  von  Paris. . . . 
Bei    den    letzten  Blättern    hat    er    angefangen  Denksprüche 
voranzuschicken,  und  zwar  alle  aus  , Reineke  Fuchs'  "  (Bois- 
seree  2,  37). 
^  A\'ie  in  Nr.  .523  Durchsicht  für  den  neuen  Druck  in  Baud  11 
20      der  Werke  Cotta",  der  1817  erscheinen  sollte. 
'^  s.  die  vorhergehende  Erläuterung. 

^  Wenn  die  nachfolgenden  Aeusserungen  Goethes  sich  auch 
nicht  unmittelbar  auf  seine  Bearbeitung  des  Reineke-Fuchs- 
Epos  beziehen,  so  betreffen  sie  doch  zum  Theil  jene  Dar- 
25  Stellungen  der  Fuchs-Fabel  durch  Everdingen,  die  Goethes 
Phantasie  schon  zehn  .Jahre  vor  seiner  Umdichtung  auf  das 
Lebhafteste  beschäftigten  und  die  ihm  während  der  Arbeit 
am  .Reineke  Fuchs'  auch  in  der  Uebertragung  Gottscheds 
immer  vor  Augen  lagen  (vgl.  249,  18—39). 
30  I'eberdiess  ist  es  für  uns.  die  wir  alle  Kaulbachs  meister- 

hafte Zeichnungen    zu  Goethes  Gedicht  kennen,    von  beson- 
derem   Werthe,    zu  hören:    was  Goethe  über  die  bildliehen 
Darstellungen  zu  Thier-Gedichten  dachte,  was  er  von  ihnen 
forderte. 
35  Die  Skizzen  (nach  denen  Goethes  obiger  Aufsatz  beuannt 

ist)  waren  bestimmt  zu  Radirungen  für  eine  deutsehe  Ueber- 
tragung  der  von  Casti.  im  .Jahre  1802,  veröffentlichten  Fabel- 
dichtung ,Gli  animali  parlanti'.  Der  Künstler,  Maler  Menken, 
hatte  die  Blätter  an  Goethe  geschickt  und  um  dessen  Tr- 
io     theil  gebeten,  vgl.  G.J.  12,  16  f. 


2G8  REIXEKE  FUCHS.  1811 


][October  23—25,  Weimar.]  [524] 

nicht  so  streng  verlangen,  class  sie  sich  selbst  aussprechen 
sollen^;  aber  dass  sie  an  und  für  sich  gute  Bilder  seien, 
dass  sie  nach  gegebener  Erklärung  den  Beifall  des 
Kunstfreundes  gewinnen,  lässt  sich  wohl  erwarten.  5 

"Was  jedoch  solchen  Productionen  eigentlich  den 
höchsten  AA^erth  gibt,  ist  ein  guter  Humor,  eine  heitere, 
leidenschaftslose  Ironie,  wodurch  die  Bitterkeit  des 
Scherzes,  der  das  Thierische  im  Menschen  hervorhebt, 
gemildert  und  für  geistreiche  Leser  ein  geschmackvoller  lo 
Beigenuss  bereitet  wird.  Musterhaft  sind  hierin  J  o  s  t 
A  m  m  o  n  [Amman]  und  Aldert  von  Ever- 
dingen  in  den  Bildern  zu  ,Reineke  Fuchs',  .  .  . 

Die   Thierfabel   gehört   eigentlich   dem    Geiste,    dem 
Gemüth,    den  sittlichen  Kräften,    indessen  sie  uns  eine  i5 
gewisse    derbe  Sinnlichkeit  vorspiegelt.     Den  verschie- 
I    denen  Charakteren,  die  sich  im  Thierreich  aussprechen, 
!     borgt  sie  Intelligenz,  die  den  Menschen  auszeichnet,  mit 
allen   ihren    Vortheilen:    dem    Bewusstsein,    dem   Ent- 
!     schluss,  der  Folge,  und  wir  finden  es  wahrscheinlich,  weil  20 
1    kein  Thier    aus    seiner    beschränkten,    bestimmten  Art 
herausgeht  und  desshalb  immer  zweckmässig  zu  handeln 
scheint. 

Wie    die  Fabel    des  Fuchses  sich  durch  lange  Zeiten 
durchgewunden  und  von  mancherlei  Bearbeitern  erwei-  25 
tert,  bereichert  und  aufgestutzt  worden,    darüber    gibt 
uns    eine    einsichtige  Litteraturgeschichte  täglich  mehr 
Aufklärung^. 


^  Unmittelbar  vorher  sagt  Goethe:    zwei    der    Skizzen    seien 
..nicht  zu  entziffern;  wenn  man  den  Zwecli  nicht  schon  weiss,  30 
so  versteht  man  sie  nicht,  .  ."  (AV.  49(1),  3.50,  2— 4l. 

*  Unter  den  damals  vorhandenen  und  Goethe  Ijekannten 
Uebersichten  über  diesen  Gegenstand  mag  eine  der  aus- 
führllc'listen  die  von  Flögel  gewesen  sein,  in  dessen  ,Ge- 
scliiehte  der  komischen  Litttratur'  3.  28—04:     „Vom  Reineke  35 


1817  REIXEKE  FUCHS.  2üi) 


][October  23  -  25,  AVeimar.J  [524] 

Dass  wir  sinnliche  Gegenstände,  wovon  wir  hören, 
auch  mit  Augen  sehen  wollen,  ist  natürlich,  weil  sich 
alles,  was  wir  vernehmen,  dem  Innern  Sinn  des  Auges 
mittheilt  und  die  Einbildungskraft  erregt.  Diese  For- 
derung hat  aber  der  bildenden  Kunst,  ja  allen  äusserlich 
darstellenden,  grossen  Schaden  gethan  und  richtet  sie 
mehr  oder  weniger  zu  Grunde.  Die  Thierfabel  sollte 
eigentlich  dem  Auge  nicht  dargestellt  werden,  und  doch 
ist  es  geschehen;  untersuchen  wir  an  einigen  Beispielen, 
mit  welchem  Glück. 

J  0  s  t  Am  m  o  n  ,  in  der  zweiten  Hälfte  des  sech- 
zehnten Jahrhunderts,  gab  zu  einer  lateinischen  me- 
trischen Uebersetzung  des  ,Eeineke  Fuchs'  kleine  aller- 
liebste Holzschnitte^.  In  dem  grossen  Kunstsinne  der 
damaligen  Zeit  behandelt  er  die  Gestalt  der  Thiere  sym- 
bolisch, flügelmännisch,  nach  heraldischer  Art  und 
Weise,  wodurch  er  sich  den  grössten  Yortheil  verschafft, 
von  der  naivsten  Thierbewegung  bis  zu  einer  übertriebe- 
nen, fratzenhaften  Menschenwürde  gelangen  zu  können. 
Jeder  Kunstfreund  besitzt  und  schätzt  dieses  kleine 
Büchelchen. 


Fuchs    und    dessen  Verfassern"    (Liegnitz  und   Leipzig,  bei 
David  Siegert,  1786). 

Die  bedeutendste  Darstellung  erschien  zwei  Jahre  nach 
Goethes  Tode:  ,Reinhart  Fuchs.  Von  .Jacob  Grimm.  Ber- 
lin bei  Reimer  1834'.  Folgende  Stelle  daraus  (S.  CLXXX) 
sei  bei  dieser  Gelegenheit  hier  mitgetheilt:  „Goethes 
Gedicht  zeugt  laut  für  die  epische  Kraft  der  auch  ein  classi- 
sches  Gewand  ertragenden  Fabel,  hat  aber  ihre  natürliche, 
einfache  Vertrautheit  oft  daran  gegeben". 
*  Hartmann  Schoppers  lateinische  Febertragung  des  nieder- 
deutschen Gedichts,  in  kurzen  jambischen  Versen,  erschien 
in  neuer  Ausgabe  1574.  1.579  und  öfters,  mit  fünfzig  Holz- 
schnitten von  .Tost  Amman,  unter  dem  Titel  ,Specvlvm  vitse 
anliefe.  De  admirabili  fallacia  et  astvtia  vvlpecvla?  Reinikes 
libri  qvatvor,  .  .  Auetore  Hartmanno  Schoppero.  .  .  Frnn- 
cof.  ad  Moenvm,  1.579',  gedruckt  bei  Nikolaus  Bassaeus'. 


270  REINEKE  FUCHS.  1817 


][October  23-2.5,  Weimar.]  [524] 

A  1  d  e  r  t  v  o  n  P]  v  e  r  d  i  n  g  e  n  zog  als  vortrefäiclier 
Landschaftsmaler  die  Thierfabel  in  den  Xaturkreis 
herüber,  und  wusste,  ohne  eigentlich  Thiermaler  zu 
sein,  vierfüssige  Thiere  und  Vögel  dergestalt  an's  ge-  5 
meine  Leben  heran  zu  bringen,  dass  sie,  wie  es  denn 
auch  in  der  Wirklichkeit  geschieht,  zu  Reisenden  und 
Fuhrleuten,  Bauern  und  Pfaffen  gar  wohl  passend,  einer 
und  eben  derselben  "Welt  unbezweifelt  angehören.  Ever- 
dingens  ausserordentliches  Talent  bewegte  sich  auch  10 
hier  mit  grosser  Leichtigkeit,  seine  Thiere  nach  ihren 
Zuständen  passen  vortrefflich  zur  Landschaft  und  com- 
poniren  mit  ihr  auf's  Anmuthigste.  Sie  gelten  eben  so 
gut  für  verständige  Wesen,  als  Bauern,  Bäuerinnen, 
Pfaffen  und  Xonnen.  Der  Fuchs  in  der  Wüste,  der  Wolf  is 
an"s  Glockenseil  gebunden,  einer  wie  der  andere  sind  an 
ihrem  Platz.  .  .  . 

Diese  Sammlang  in  guten  Abdrücken  ist  jedem  Lieb- 
haber werth.    Im  Xothfall  kann  man  sich  aus  der  Gott- 
schedischen   Quartausgabe,    wozu    man    die    schon    ge-  20 
schwächten  Platten  benutzte,  immer  noch  einen  Begriff 
von  dem  hohen  Verdienst  dieser  Arbeit  machen^. 

Von  allen  Künstlern,  welche  die  Thierfabel  zum  Ge- 
genstand ihrer  Bemühungen  erkoren,  hat  wohl  keiner 
so  nahe  den  rechten  Punct  getroö'en,  als  P  a  u  1  P  0  1 1  e  r  25 
in  einem  Gemälde  von  mehreren  Abtheilungen,  so  sich 
ehemals  in  der  Galerie  zu  Cassel  befunden-.  Die  Thiere 
haben  den  Jäger  gefangen,  halten  Gericht,  verurtheilen 
und  bestrafen  ihn;  auch  des  Jägers  Gehülfen,  Hunden 
und  Pferd,  wird  ein  schlimmes  Loos  zu  Theil.  Hier  ist  30 
alles  ironisch,  und  das  Werk  scheint  uns  als  gemaltes 


^  Vgl.  249,  18—39.  Eine  Beschreibung  der  .57  Blätter  Ever- 
dingens  findet  man  bei  Adam  Bartsch  .Le  peiutre  graveur' 
2.  220—238  fVienne.  1803). 

'  Jetzt  befindet   sich   das   Original   in   der  Gemäldesammlung  35 
der  Eremitage  zu  St.  Petersburg. 


1817  REINEKE  FUCHS.  271 

][October  23-2,),  Weimar.]  [-,24] 

Gedicht  ausserordentlich  hoch  zu  stehen.  Wir  sagen 
absichtlich  als  gemaltes  Gedicht,  denn  obgleich  Potter 
der  Mann  war,  dass  alles  von  ihm  Herrührende  von  Seite 
5  der  Ausführung  Verdienste  hat,  so  gehört  doch  gerade 
das  erwähnte  Stück  nicht  unter  diejenigen,  wo  er  uns 
als  ]\raler  Bewunderung  abnöthigt.    .  .  . 

Gibt  Potters  Gemälde  ein  Beispiel,  in  welchem  Geist 
Thierfabeln,  woi'ern    der  bildende  Künstler    sich    die- 

10  selben  zum  Gegenstande  wählt,  zu  behandeln  seien,  so 
möchte  hingegen  die  bekannte  Folge  von  Fabeln,  welche 
der  sonst  wackere  Elias  Eiedinger  eigenhändig  radirt 
hat,  als  Beispiel  durchaus  fehlerhafter  Denkweise  und 
misslungener  Erfindung  in  dieser  Art  angeführt  werden. 

15  Verdienst  der  xlusfülirung  ist  ihnen  wohl  nicht  abzu- 
sprechen; allein  sie  sind  so  trocken  ernsthaft,  haben 
einen  moralischen  Zweck,  ohne  dass  die  Moral  aus  dem 
Dargestellten  errathen  werden  kann;  es  gebricht  ihnen 
gänzlich  an  jener  durchaus  geforderten  ironischen 
Würze,  sie  sprechen  weder  das  Gemüth  an,  noch  ge- 
währen sie  dem  Geist  einige  Unterhaltung^ 

Wer  sich  jedoch  in  diesem  Fache  bemüht,  wie  denn 
dem  geistreichen  Talente  sein  Glück  nirgends  zu  ver- 
sagen ist,  dem  wäre  zu  wünschen,  dass  er  die  radirten 
Blätter  des  Benedetto  Castiglione  immer  vor 
Augen  habe-,  welcher  die,  doch  mitunter  allzubreiten, 
halbgeformten,  unerfreulichen  Thiergestalten  so  zu  be- 
nutzen gewusst,  dass  einige  das  Licht  in  grossen  Massen 
aufnehmen,  andere  wieder  durch  kleinere  Theile,  so  wie 

30    ^  Von    Riedingers    .Thierfabeln'    erschienen     1734     sechzehn 

Blätter  in  Folio,  mit  erläuterndem  Text,  sodann  1744  zwan- 

zis;  Bliitter  in  Augsburg. 
*  Zur      eigentlichen      Thierfabel      hat      Castiglione,      unseres 

Wissens,  keine  Blätter  radirt.  Von  seinen  Thierdarstellungen 
35      mochte    Goethe    hier    besonders    den  Einzug    der  Thiere  in 

Noahs  Arche  im  Auge  haben. 


20 


25 


272  REINEKE  FUCHS.  1819 

]  [October  23—25,  Weimar.]  [524] 

durch  Loealtinten  die  Schattenpartien  mannichfaltig 
beleben.  Dadurch  entspringt  der  ästhetische  Sinnenreiz, 
welcher  nicht  fehlen  darf,  wenn  Kunstzwecke  bewirkt 
worden  sollen.  5 

.Skizzen  zu  Castis  Fabelgedicht:  Die  redenden  Thiere.  — 
W.  49  (1),  3.50,  5—19.  23-  3.52.  19.  24—  3.53,  16.  21—  3:54,  18. 

1819. 

März    [Anfang],   "Weimar.  525 

[Zu  1T93.  —  In  dem  chronologischen  Yerzeichniss  von  lo 
Goethes  "Werken  aus  dem  Jahre  1819  (s.  Xr.  90)  heisst 
es  unter] 

1793:  ,Reineke  Fuchs';  .  . 

Summariscbe     Jaliresfolge     Goetbesclier    Schriften.    — 

WH.  29,  324.  15 

1820. 

]  [Februar  14V  Weimar.]  526 

[Zu  1793.]  Den  S.  Juni  setzte    ich  meine  Arbeit    an 
,Eeineke  Fuchs'  fleissig  fort^;  .  . 

Belagei-ung  von  Mainz.  —  W.  33,  284,  24  f.  20 

1821. 

November  1,  Jena.  527 

[Abends].  Späterhin  ,Eeineke  Fuchs'. 
Tgb.  8,  131,  24  f. 

November  3,  Jena.  528  25 

Xachts  .Eeineke  Fuchs'. 
Tgb.  8,  132,22. 

1822. 

][März,  zwischen  12  und  16,  Weimar.]  529 

[Zu  1793,  Frühjahr]   .  .  aus  diesem  grässlichen  TTn-  so 
heiP  suchte  ich  mich  zu  retten,  indem  ich  die  ganze 


^  Vgl.  Nr.  498.  —  Im  ältesten  biographischen  Schema   (s.  29, 

7—91  wird  .Reineke  Fuchs'  gar  nicht  genannt. 
'  s.  2.50.  19.  251,  9—11. 


1822  REIXEKE    FUCHS.  273 

][März.  zwischen  12  und  16,  Weimar.]  [629] 

Welt  für  nichtswürdig  erklärte,  woljei  mir  denn  durch 
eine  besondere  Fügimg  ,Eeineke  Fuchs"  in  die  Hände 
kam^.  Hatte  ich  mich  bisher  an  Strassen-,  Markt-  und 
Pöbel-Auftritten  bis  zum  Abscheu  übersättigen  müssen, 
so  war  es  nun  wirklich  erheiternd  in  den  Hof-  und  Ee- 
gentenspiegel  zu  blicken:  denn  wenn  auch  hier  das 
Menschengeschlecht  sich  in  seiner  ungeheuchelten  Thier- 
heit  ganz  natürlich  vorträgt,  so  geht  doch  alles,  wo  nicht 
nnisterhaft,  doch  heiter  zu,  und  nirgends  fühlt  sich  der 
gute  Humor  gestört. 

Um  nun  das  köstliche  Werk  recht  innig  zu  geniessen, 
begann  ich  alsobald^  eine  treue  Xachbildung:  solche  je- 
doch in  Hexametern  zu  unternehmen,  war  ich  folgender- 
weise veranlasst. 

Schon  seit  vielen  Jahren  schrieb  man  in  Deutschland 
nach  Klopstocks  Einleitung  sehr  lässliche  Hexameter; 
Voss,  indem  er  sich  wohl  auch  dergleichen  bediente, 
Hess  doch  hie  und  da  merken,  dass  man  sie  besser  machen 
könne,  ja  er  schonte  sogar  seine  eigenen  vom  Publicum 
gut  aufgenommenen  Arbeiten  und  ITebersetzungen  nicht. 
Ich  hätte  das  gar  gern  auch  gelernt,  allein  es  wollte  mir 
nicht  glücken.  Herder  und  Wieland  waren  in  diesem 
Puncte  Latitudinarier^  und  man  durfte  der  Yossschen 
25  Bemühungen,  wie  sie  nach  und  nach  strenger  und  für 
den  Augenblick  ungelenk  erschienen,  kaum  Erwähnung 

*  Doch  lernte  Goethe  nicht  jetzt  überhaupt  erst  die  Dichtucg 

kennen,  vgl.  249.  1.3—29. 
-  Vgl.  Xr.  491. 
30    '  „Latitudinarier"    dat.    latitudo  =  die    Breite),    das    heisst: 
Weitherzige,  Freisinnige  waren  Herder  und  Wieland  in  Be- 
zug auf  die  VersknnsT.  im  Gegensatz  zu  Voss,  dem  Strengen, 
dem  Rigoristeu.  Audi  Knebel  gehörte  zu  diesen  Latitudina- 
riem  <vgl.  2-58,  28—39);  als  er  die  obige  Stelle  in  der  ,Cam- 
35      pagne  in  Frankreich'  1822  gelesen  hatte,   schrieb  er  am   14. 
Mai  an  Goethe:  „  .  .  von  Voss  brauchst  Du  Dich  nicht  in  der 
Verskunst  unteiTichten  zu  lassen"  (G. -Knebel  2,  .30?) 
Graf,  Goethe  über  s.  Dichtungen  T.  I.  18 


20 


274  REINEKE   FUCHS.  1S22 

][März,  zwischen  12  und  16,  Weimar.]  [529] 

thun.  Das  Publicum  selbst  schätzte  läxigere  Zeit  die 
A'ossschen  früheren  Arbeiten  als  geläufiger,  über  die 
späteren;  ich  aber  hatte  zu  Voss,  dessen  Ernst  man  nicht 
verkennen  konnte,  immer  ein  stilles  Vertrauen  und  5 
wäre,  in  jüngeren  Tagen  oder  anderen  Verhältnissen, 
wohl  einmal  nach  Eutin  gereist,  um  das  Geheimniss  zu 
erfahren^;  denn  er,  aus  einer  zu  ehrenden  Pietät  für 
Klopstock,  wollte,  so  lange  der  würdige,  allgefeierte 
Dichter  lebte,  ihm  nicht  geradezu  in's  Gesicht  sagen:  10 
dass  man  in  der  deutschen  Ehythmik  eine  strictere  Ob- 
servanz einführen  müsse,  wenn  sie  irgend  gegründet 
werden  solle-.  Was  er  inzwischen  äusserte,  waren  für 
mich  sibyllinische  Blätter.  Wie  ich  mich  an  der  Vor- 
rede zu  den  ,Georgiken^  abgequält  habe,  erinnere  ich  15 
mich  noch  immer  gerne,  der  redlichen  Absicht  wegen, 
aber  nicht  des  daraus  gewonnenen  Vortheils'. 

Da  mir  recht  gut  bewusst  war,  dass  alle  meine  Bil- 
dung nur  praktisch  sein  könne,  so  ergriff  ich  die  Gele- 
genheit, ein    paar    tausend  Hexameter    hinzuschreiben,  20 
die  bei   dem  köstlichsten  Gehalt   selbst  einer  mangel- 


^  Statt  dessen  erschien  Voss,  zu  Goethes  grosser  Freude,  un- 
mittelbar nach  der  Veröffentlichung  des  ,Reineke  Fuchs",  in 
Weimar,  wo  denn  auch  die  Metrik,  zumal  der  Hexameter, 
einen  Hauptgesprächstoff  bildete,  vgl.  256,  35 —  257,  7.  25 

*  Vgl.  die  ganz  ähnlich  lautende  Aeusserung  275,  23 — 2ö. 
Klopstock  übrigens,  der  1803  starb,  erlebte  das  Erscheinen 
von  Vossens  .Zeitmessung  der  deutschen  Sprache'  (s.  264,  34) 
gerade  noch. 

•  jPublii  Virgilii  Maronis  Georgicon  libri  quatuor.  Des  Publlas  30 
Virgilius  Maro  Landbau,  vier  Gesänge.     Uebersezt  und  er- 
klärt von  lohann  Heinrich  Voss.   Eutin   bei  dem   Verfasser, 
und  Hamburg  bei  C.  E.  Bohn.  1789'. 

In  der  Vorrede  wird    auf  S.  XIII— XXII    von    der  Metrik 
des  Hexameters  gesprochen  und  an  einem  Beispiel  aus  dem  35 
.Messias'  gezeigt,  in  welcher  Weise  ,,der  Klopstockische  Vers 
vom  alten  Hexameter"  sich  häufig  „verliert". 


1823  REIXEKE    FUCHS.  275 


][März,  zwischen  12  und  IJ.  Weimar]  [529] 

haften  Technik  gute  Aufnahme  und  nicht  vergänglichen 
Werth  verleihen  durften.  Was  an  ihnen  zu  tadeln  sei, 
werde  sich,  dacht'  ich,  am  Ende  schon  finden;  und  so 
5  wendete  ich  jede  Stunde,  die  mir  sonst  übrig  blieb,  an 
eine  solche  schon  innerhalb  der  Arbeit  vorläufig  dank- 
bare Arbeit,  .  . 

Campagne  in  Frankreich  1792.  —  W.  33,  266,  16—  268,  13, 

1823. 

10   J[Juli  1   ?  Eger  ?]  530 

[Zu  1793.]  Eben  dieser  widerwärtigen  Art,  alles  Sen- 
timentale zu  verschmähen,  sich  an  die  unvermeidliche 
Wirklichkeit  halb  verzweifelnd  hinzugeben^,  begegnete 
gerade  ,  E  e  i  n  e  k  e  Fuchs'  als  wünschenswerthester 

15  Gegenstand  für  eine,  zwischen  Uebersetzung  und  Umar- 
beitung schwebende  Behandlung.  Meine,  dieser  u  n  h  e  i  - 
1  i  g  e  n  W  e  1 1  b  i  b  e  P  gewidmete  Arbeit  gereichte  mir 
zu  Hause  und  auswärts  zu  Trost  und  Freude.  Ich  nahm 
sie  mit  zur  Blockade  von  Mainz,  der  ich  bis  zum  Ende  der 

20  Belagerung  beiwohnte:  auch  darf  ich  zu  bemerken  nicht 
vergessend  dass  ich  sie  zugleich  als  Uebung  im  Hexa- 
meter vornahm,  den  wir  freilich  damals  nur  dem  Gehör 
nachbildeten.  Voss,  der  die  Sache  verstand,  wollte,  so 
lange  Klopstock  lebte,  aus  Pietät  dem  guten  alten  Herrn 

25  nicht  in's  Gesicht  sagen,  dass  seine  Hexameter  schlecht 
seien;  das  mussten  wir  Jüngeren  aber  büssen.  die  wir 


*  In  dem,  diesen  Worten  unmittelbar  vorhergehenden.  Schluss 
satze  des  Abschnitts  1792  der  ,Tag-  und  Jahres-Hefte"  deutet 
Goethe  auf  jene  Epoche  des  ., Realismus",  des  „verhärteten 

30  Sinnes"  hin,  in  der  die  Freunde  sich  vergeblich  bemühten. 
das  Weiche  („Sentimentale",  s.  Z.  11  f.)  „früherer  Gefühle 
wieder  hervorzurufen"  (W.  33,  191,  22  f.),  vgl.  auch  256.  25  f. 
'  Diese  treffende  Bezeichnung  findet  ihre  ausdrückliche  Be- 
gründung in  y.  373—378  des  Schlussgesanges. 

35  »  Zum  Yerständniss  des  Folgenden  vgl.  273,  13—274,  17 
nebst  den  dazugehörigen  Erläuterungen. 


276  REIXEKE    FUCHS.  1824 

][Juli  1  ?  Eger  '?]  [530] 

von  Jugend  auf  uns  in  jene  Ehythmik  eingeleiert  hatten. 
Voss  verläugnete  selbst  seine  Uebersetzung  der  Odyssee, 
die  wir  verehrten,  fand   an   seiner  ,Luise'    auszusetzen, 
nach  der  wir  uns  bildeten,  und  so  wussten  wir  nicht,    5 
welchem  Heiligen  wir  uns  widmen  sollten. 

Tag-  und  Jahres-Hefte,  17Ü3.  —  W.  35,  22,  2—  23. 

][Juli,  zwischen  19  und  22,  Marienbad.]  531 

[Zu    1816.]   .  .  ward  .  .  ,Eeineke     Fuchs'     durchge- 
sehen%  .  .  lo 

Tag-  und  Jahres-Hefte,  181G.  —  W.  36,  107,  17  f. 

August,  zwischen  11  und  21,  Marienbad.  532 

[Zu  1793.].  ...  de  1790  ä  1793  .  .  .  ,Eeineke  le  Ee- 
nard''  traduit  de  l'ancien  allemand. 

Tabellarische   Uebersicht  der     ,Ouvrages   poetiques  de  15 
Goethe'.  —  GJ.  15,  18. 

]  [Zwischen  Januar  5  und  Februar  11,  Weimar.]  533 

[Zu  1802.]  ,Eeineke  Fuchs'  durfte  nun  auch  in 
jedem   leidenschaftlich-leichtfertigen   Momente    hervor-  20 
treten,  so  war  er  wohl  empfangen  und  für  gewisse  Zeit 
ebenfalls  gepflegt^. 

Tag-  und  Jahres-Hefte,  1802.  —  W.  35,  144,  28—145,3. 

]  [Zwischen  Juli  18  und  October  16,  Weimar.]  534 

[Zu  1794.]  Von  litterarischen  Arbeiten   zu  reden,    so  25 
war  der  ,Eeineke  Fuchs'  nunmehr*  abgedruckt; 

"■  s.  Nr.  522.  523. 

*  Vielleicht  ist  die  Stelle  erst  1825  niedergeschrieben,  avo 
Goethe  im  Februar.  Mai  und  Juni  an  diesem  Abschnitte  der 
,Tag-  und  Jahres-Hefte'  arbeitete.  30 

*  „Ebenfalls",  das  heisst:  wie  ,Die  Natürliche  Tochter'  und 
,Benvenuto  Cellini',  dei'en  unmittelbar  vorher  Erwähnung 
geschieht.  Von  Goethes  Beschäftigung  mit  ,Reineke  Fuchs' 
im  Jahre  1802  wissen  wir,  ausser  durch  diese  Stelle,  nur  noch 
durch  den  unter  Nr.  515  mitgetheilten  Tagebuchvermerk.        35 

*  s.  2.56,  33  f. 


1824  REINEKE    FUCHS.  277 


][Zwisehen  Juli  18  und  October  16.  Weimar.]  [534] 

allein  die  Unbilden,  die  aus  A'ersendung  der  Freiexem- 
plare sich  immer  hervorthnn,  blieben  auch  diessmal 
nicht  aus.  So  verdarb  eine  Zufälligkeit  mir  die  frische 
5  Theiinahme  meiner  Gothaischen  Gönner  und  Freunde. 
Herzog  Ernst  hatte  mir  verschiedene  physikalische  In- 
strumente freundlichst  geborgt,  bei  deren  Eücksendung 
ich  die  Exemplare  des  Scherzgedichtes  beipackte,  ohne 
derselben    in    meinem  Briefe   zu   erwähnen,    ich   weiss 

10  nicht,  ob  aus  Uebereilung,  oder  eine  Ueberraschung 
beabsichtigend^.  Genug,  der  mit  solchen  Geschäften  Be- 
auftragte des  Fürsten  war  abwesend  und  die  Kiste  blieb 
lange  Zeit  unausgepackt;  ich  aber,  eine  theilnehmende 
Erwiderung  so  werther  und  sonst  so  pünetlicher  Freunde 

15  mehrere  "Wochen  entbehrend,  machte  mir  tausend  Gril- 
len, bis  endlich  nach  Eröffnung  der  Kiste  nur  Entschul- 
digungen, Anklagen,  Bedauernisse  wiederholt  ausge- 
drückt, mir  statt  einer  heitern  Aufnahme  unglück- 
licherweise zu  Theil  wurden. 

20  Von  der    beurtheilenden  Seite    aber    waren    Vossens 

rhythmische  Bemerkungen-  nicht  tröstlich,  und  ich 
musste  nur  zufrieden  sein,  dass  mein  gutes  Verhältniss 
zu  den  Freunden  nicht  gestört  wurde,  anstatt  dass  es 
sich  hätte  erhöhen    und  beleben    sollen.     Doch    setzte 

25  sich  alles  bald  wieder  in's  Gleiche:  Prinz  August  ftihr  mit 
seinen  litterarischen  Scherzen  fort,  Herzog  Ernst  ge- 
währte mir  unausgesetzt  ein  wohlgegründetes  Vertrauen, 
.  .  Auch   Voss   konnte  mit   mir  zufrieden   sein,   indem 


^  B.  Suphan  hält  für  möglich,  dass  der  Grund,  wesshalb  die 
30      Dichtung  ..sozusagen  als  blinder  Passagier  .  .  spedirt  wurde", 
eine  ..kleine  Trübung  des  Verhältnisses"  gewesen  ist.     Sei  es 
nun.  dass  diese  durch  die  politischen   Zeitläufte   veranlasst 
war.   sei   es,   durch   einen  jener,   unten   erwähnten.    ..littera- 
rischen   Scherze"    des    Prinzen    August   (B.    Suphan:    Goethe 
35      und  Prinz  Anglist  von  Gotha  in  G.J.  6.  53). 
'  s.  'S'ossens  Brief  an  Goethe  2-57,  17 — 29. 


278  REINEKE    FUCHS.  1825 

][Zwischen  Juli  18  und  October  16,  Weimar.]  [534] 

ich  auf  seine  Bemerkungen  achtend  mich  in  der  Folge 
nachgiebig  und  bildsam  erwies^. 

Tag-  und  Jahres-Hefte.  17^14.  —  W.  .35,  34.  20—  35,  24. 

1825.  5 

Juni  18,  Weimar.  —  s.  Nr.  409a.  409b.  53ia.b 

1826> 

Februar  1,  Weiiüar.  —  s.   Nr.  95.  o34c 

1829. 

November  14,  Weimar.  —  s.  Nr.  41.5a.  534d  lo 

1830. 

Juni  25.  Weimar.  —  s.  Nr.  97.  534e 


^  Insofern  Goethe  bei   der  Vorbereitung  des  .Reineke  Fuchs'  zu 
den  späteren  Drucken  und  bei  der  metrischen  Ausfeilung  der 
nach  ihm  entstandenen  Dichtungen  die  von  Voss  aufgestell-    15 
ten  Regeln  zu  Rathe  zog. 


Reise  der  Söhne  Megaprazons. 


Handschriften :   1.  Eine   Handschrift,    tbeils   eigenhändige    Nie- 
derschrift Goethes,    theils   Abschrift    eines   Dictats    von 
Schreiberhand.  Sie  enthält  von  den  Bruchstücken  dieses 
5  Reiseromans  nicht  mehr,   als   was  die  Herausgeber  von 

Goethes  Nachlass  im  Druck  bekannt  gemacht  haben. 

2.  Ein  Schema  von  Goethes  Hand,  welches  wo  nicht 
den  Plan  des  Ganzen,  so  doch  des  grüssten  Theils  der 
Dichtung  umfasst. 

10  Erster  BrucTc:  1837,  Werke  Q.  2  (1),  445—450,  mit  der  Ueber- 
schrift:  , Reise  der  Söhne  Megaprazons.  Fragmente.  1792\ 
Das  Schema  ist  hier  und  im  zweiten  Druck,  unter  der 
Ueberschrift  ,,Ein  vorgefundenes  Stück  des  Planes",  mit- 
getheilt,  doch  so,  dass  die  einzelnen  Sätze  und  Worte  des- 

15  selben,  nach  dem  Ermessen  der  Herausgeber,  zu  Gmppen 

vereinigt  worden  sind. 

Die  Dichtung  steht  hier,  in  der  Abtheilung  „Romane 
und  Novellen'",  zwisclieu  , Wilhelm  Meisters  Wander- 
jahren'   und   den   , Unterhaltungen   deutscher   Ausgewan- 

20  deiten'. 

Zioeiter  Druck:  1842,  Werke  N.  .56,  179—206.     Die  Teberschrift " 
wie    im    ersten  Druck,    doch    ohne    die  Jahreszahl    1792. 
Ueber  das  Schema,  vgl.  den  ersten  Druck. 

Die  Dichtung  steht  hier,  zusammen  mit  sehr  Unglelch- 
25  artigem,  in  der  Abtheiluug  ,. Verschiedenes  Einzelne." 

Weimarer  Ausgabe :  1895,  W.  18,  359—383  und  49.5— .503.  Das 
Schema  ist  hier,  im  Gegensatz  zum  ersten  und  zweiten 
Druck,  genau  nach  Goethes  Handschrift  abgedruckt. 
Ferner  hat  die  Reihenfolge  der  Bruchstücke,  nach  Mass- 
so gäbe  des  Schemas,  eine  Berichtigung  erfahren.  Wegen  der 
Stellung  vgl.  211,  29  f. 


280  REISE   DER  SOEHXE   MEGAPRAZONS.  1820 


1820. 

]  [Februar  28,  Weimar.]  535 

[Zu  1792,  November.].  Ich  hatte  seit  der  Eevolution, 
mich  von  dem  Avilden  Wesen  einigermassen  zu  zerstreuen, 
ein  wunderhares  Werk  begonnen,  eine  Keise  von  sieben    5 
Brüdern^    verschiedener    Art,    jeder  nach  seiner  Weise 
don  Bunde  dienend,  durchaus  abenteuerlich  und  mähr- 
chenliaft,  verworren,  Aussicht  und  Absicht  verbergend, 
ein    Gleichniss    unsers    eignen    Zustandes.     Man    ver- 
langte eine  Vorlesung,  ich  Hess  mich  nicht  viel  bitten  lo 
und    rückte    mit    meinen  Heften  hervor;  aber  ich  be- 
durfte auch  nur  wenig  Zeit  um  zu  bemerken,  dass  nie- 
mand   davon    erbaut  sei.     Ich  Hess  daher  meine  wan- 
dernde Familie  in  irgend  einem  Hafen  und  mein  weite- 
res Manuscript  auf  sich  selbst  beruhen^.  15 
Campagne  in  Frankreich  1792.  —  W.  33,  191,  7—19. 


^  In  den  erhaltenen  Bruchstücken  der  Dichtung  treten  nur 
sechs  Brüder  auf;  auch  nach  dem  Schema  sind  es  ihrer  nur 
sechs,  doch  tritt  hier  als  siebenter  Reisegenosse  der  Vater 
selbst  auf.  20 

'  Die  Zuhörer  bei  dieser  Vorlesung  waren  Friedrich  Heinrich 
Jacobi  und  dessen  Familienkreis  in  Pempelfort  bei  Düssel- 
dorf, wo  Goethe,  auf  der  Rückkehr  aus  dem  Feldzug.  im  No- 
vember 1792  mehrere  Wochen  verlebte. 

Weder  im  Tagebuch  noch  in  Briefen,  uocli  in  den  Tag-  und  25 
Jahres-Heften  gedenkt  Goethe  der  Dichtung;  auch  wird  sie 
im  chronologischen  Verzeichnis«  der  Werke  vom  Jahre  1819 
nicht  aufgeführt,  und  ist  erst  aus  Goethes  Nachlass  an  die 
Oeffentlichkeit  getreten. 

Eine  Darlegung    ihres    muthmasslicheu    Verlaufs,    an    der  30 
Hand  des  erhaltenen  Planes,  gibt  Heinrich  Düntzer  in  seinen 
.Erläuterungen'   15,    12—88   (früher   schon    in    den   , Studien' 
S.  1-12). 


Roman  in  mehreren  Sprachen. 


1809. 

][Nacli  October  10,   ?]  ^36 

[Zu    IT 60.    —    Im    ältesten    biographischen  Schema 
(s.  29,  7 — 9)  heisst  es  unter], 

1T60^:     Eoman  in  mehreren   Sprachen.     Einleitung, 
Englisch,  Judendeutsch". 
W.  26,  349, 17—19. 


1811. 

10  ]  [Erste  Hälfte  des  Jahres.]  537 

[Zu  1760.]     In  Gefolg  von  diesem^'  hegte  mein  Yater 

eine  neue  Sorsrfalt.  dass  auch  das  Englische  hübsch  in 


15 


20 


25 


^  Statt  der  im  Original  stehenden,  offenbar  unrichtigen  Jahres- 
zahl 1750  wird  von  den  Goetheforschern  übereinstimmend 
1760  als  das  höchst  wahrscheinlich  von  Goethe  gemeinte  .Jahr 
angenommen. 

=  Vgl.  283,  5—10. 

ä  Nicht  lange  vorher  war  ein  englischer  Sprachmeister  in 
Frankfurt  erschienen,  „welcher  sich  anheischig  machte, 
innerhalb  vier  AVocheu,  einen  jeden,  der  nicht  ganz  roh  in 
Sprachen  sei,  die  englische  zu  leliren  und  ihn  so  weit  zu 
bringen,  dass  er  sich  mit  einigem  Fleiss  weiter  helfen  könne. 
,  .  .  Mein  Vater  entschloss  sich  auf  der  Stelle  den  Versuch 
zu  machen,  und  nahm  mit  mir  und  meiner  Schwester  bei  dem 
expediten  Meister  Lection"  (Dichtung  und  Wahrheit  Theil  1. 
Buch  4,  W.  26.  194,  20—  195,  1). 


2S2  ROMAN    IX    MEHREREN    SPRACHEN.  1811 

] [Erste  Hälfte  des  Jahres].  [537] 

der  Eeihe  der  übrigen  Spraclibeschäftigungen  bliebe. 
Xun  bekenne  ich,  dass  es  mir  immer  lästiger  wurde, 
bald  an?  dieser,  bald  aus  jener  Grammatik  oder  Bei- 
spielsammlung, bald  aus  diesem  oder  jenem  Autor  den  5 
Anlass  zu  meinen  Arbeiten  zu  nehmen,  und  so  meinen 
Antheil  an  den  Gegenständen  zugleich  mit  den  Stunden 
zu  verzetteln.  Ich  kam  daher  auf  den  Gedanken,  alles 
mit  einmal  abzuthun,  und  erfand  einen  Roman  von 
sechs  bis  sieben  Geschwistern,  die,  von  einander  ent-  lo 
fernt  und  in  der  Welt  zerstreut,  sich  wechselseitig  Xach- 
richt  von  ihren  Zuständen  und  Empfindungen  mit- 
theilen.  Der  älteste  Bruder  gibt  in  gutem  Deutsch  Be- 
richt von  allerlei  Gegenständen  und  Ereignissen  seiner 
Eeise.  Die  Schwester,  in  einem  frauenzimmerlichen  i5 
Stil,  mit  lauter  Puncten  und  in  kurzen  Sätzen,  unge- 
fähr wie  nachher  ,SiegAvart"  geschrieben  wurde%  er- 
widert bald  ihm,  bald  den  andern  Geschwistern,  was 
sie  theils  von  häuslichen  Verhältnissen,  theils  von 
Herzensangelegenheiten  zu  erzählen  hat.  Ein  Bruder  20 
studirt  Theologie  und  schreibt  ein  sehr  förmliches  La- 
tein, dem  er  manchmal  ein  griechisches  Postscript  hin- 
zufügt. Einem  folgenden,  in  Hamburg  als  Handlungs- 
diener angestellt,    ward  natürlich  die  englische  Corre- 

^  Millers  Roman  .Siegwart.   Eine  Klostergeschichte'  erschieu.  25 
anonym,  zuerst  1776    in  zwei,  dann  1777    vermehrt    in    drei 
Theilen  zu  Leipzig  in  der  Wevgandschen  Buchhandlung.  G. 
V.  Loeper  sagt  bei  obiger  Stelle  in  seinen  Anmerkungen  zu 
.Dichtung    und  Wahrheit':   .Siegwart'    ..liebt  allerdings    die 
kurzen  Sätze,  um  naive  Menschen  sicti  aussprechen  zu  30 
lassen,  z.  B.  Franz  (I.  69)  und  den  Junker  Veit  (I.  222).  Vor- 
züglich aber    hatte  Goethe    wohl    die  Briefe  Theresens    an 
ihren  Bruder  Siegwart    im    Auge"    (WH.  20,  323    zu    S.  115 
unten).      Aehnlich   äiis^ert    sich   Düntzer   (Erläuterungen  36. 
34:  WD.  17.  1.54  zu  Z.  30).  Der  Ausdruck  ..mit  lauter  Puncten"  35 
(er  kann.  Aveil  .,  11  n  d  in  kurzen  Sätzen"  folgt,  nicht  auf  die 
Satzlänge  bezogen  werden)  hat  mit , Siegwart' nichts  zu  thun. 


1811  ROMAN    IN    MEHREREN    SPRACHEN.  283 

][Erste  Hälfte  des  Jahres.]  [537] 

spondenz  zu  Theil,  so  wie  einem  Jüngern,  der  sich  in 
Marseille  aufhielt,  die  französische.  Zum  Italienischen 
fand  sich  ein  Musicus  auf  seinem  ersten  Ausflug  in  die 
5  "Welt,  und  der  jüngste,  eine  Art  von  naseweisem  Xest- 
quackelchen^  hatte,  da  ihm  die  übrigen  Sprachen  abge- 
schnitten Avaren,  sich  auf's  Judendeutsch  gelegt,  und 
brachte  durch  seine  schrecklichen  Chiffern  die  übrigen 
in  Yerzweillung  und  die  Eltern  über  den  guten  Einfall 

10       zum  Lachen^. 

Für  diese  wunderliche  Form  suchte  ich  mir  einigen 
Gehalt,  indem  ich  die  Geographie  der  Gegenden,  wo 
meine  Geschöpfe  sich  aufhielten,  studirte,  und  zu  jenen 
trockenen  Localitäten    allerlei  Menschlichkeiten  hinzu 

15  erfand,  die  mit  dem  Charakter  der  Personen  und  ihrer 
Beschäftigung  einige  Verwandtschaft  hatten.  Auf  diese 
Weise  wurden  meine  Exercitienbücher  viel  voluminöser; 
der  A'ater  war  zufriedener,  und  ich  ward  eher  gewahr, 
was  mir  an  eigenem  Yorrath  und  an  Fertigkeiten  ab- 

20       ging. 

Dichtung  und  Wahrheit  Theil  1.  Buch  4.  —  W.  26,  195, 
11—  196.  25. 


^  Im   .Werther'    (Buch    1.    Brief    vom    1.   Julius)    heisst    es: 
.,  .  .   [Lotte]   herzte  seinen  garstigen,  schmutzigen,  jüngsten 

25  Buben,  das  Quakelchen  seines  Alters'-  ( W.  19.  42.  19—21).  Des 
Raben  Sohn  im  .Reineke  Fuchs'  wird  „Quackeier"  genannt 
rOesang  9.  V.  247  f..  W.  .öO,  127). 

Ein   Quack  oder  Quak   ist  ..einer,   der   .quack'  oder  einen 
ähnlichen  Ton  hören  lässt"  (Grimms  Deutsches  Wörterbuch 

30  Band  7  Spalte  2289  f.),  also  zum  Beispiel  der  Frosch,  die 
Ente,  der  Rabe;  Quackel  (mittellateinisch  quaquila)  die  Wach- 
tel. Davon  abgeleitet  ist  die  Koseform  Quackelchen  oder 
Quakelchen,  und  Nestquack.  Nestquackelchen,  das  heisst: 
das  Jüngste  im  Neste  Hn  Thüringen  ., Nesthäkchen"). 

35  *  Dass  Goethe  in  jungen  Jahren  auch  sonst  das  Judendeutsch 
scherzweis  verwenden  mochte,  beweist  das  erhaltene  Bruch- 
stück einer  ,Judenpredigt'  ( W.  37,  59  f.,  dazu  W.  38.  221  f.) 


284 


ROMAN    IN    MEHREREN    SPRACHEN. 


1819 


1819. 

]  [Februar  14,  Weimar.]  538 

[Zu  1760.]   Yielschreiberei    in    mehreren    Sprachen, 
durch  frühzeitiges  Dictiren  begünstigt^. 

Tag-    und    Jahres-Hefte,  ^'ou  1749  bis  1764.  —  W.  3ö.    5 
3, 13  f. 


*  s.  Nr.  537.     Ueber  das  ,. frühzeitige  Dictiren"  vgl.  203,  19 — 
204,  17. 


Roman  über  das  Weltall. 


Unter  der,  eiuem  Briefe  Goethes  an  Charlotte  von  Stein  ent- 
lehnten, Bezeichnung  , Roman  über  das  "Weltall'  (s.  Xr.  542) 
sind  hier  eine  Reihe  von  Aeusseiiingen  zusammengeordnet, 
5  deren  Deutung  unsicher  ist,  die  sich  aber  alle  ohne  Zwang  auf 
jene  grossartige  Dichtung  von  der  ,Weltschöpfuug"  oder  ,Welt- 
ersehaffung'  beziehen  lassen,  die  Goethe  zwar  nicht  vollendet 
hat,  von  der  uns  aber  das  Bruchstück  ,Die  Natur",  die  .Ab- 
handlung über  den  Granit'  und  der  Plan  einer  , Allgemeinen 

10  Geschichte  der  Natur'  eine  Ahnung  geben  können.  Auch  dürfen 
wir  annehmen,  dass  spätere  Gedichte,  wie  manche  der  in  der 
Gruppe  „Gott  und  "Welt"  vereinigten,  besonders  ,Die  Metamor- 
phose der  Pflanzen'  und  .Metamorphose  der  Thiere',  sich  nach 
und  nach  aus  Keimen  entfaltet  haben,  die  schon  der  Plan  jenes 

15  unausgeführten,  allumfassenden  Naturepos  enthielt. 

Das  antike  Yersmass  der  eben  genannten  Gedichte  deutet 
schon  an,  dass  Goethe  in  späterer  Zeit  statt  der  romanartigen 
Prosa-Behandlung  eine  rhythmische  plante.  Sonach  würde  hier 
der  umgekehrte  Vorgang  sich  vollzogen  haben,  wie  bei  dem. 

20  ursprünglich  als  Epos  (in  Hexametern?)  geplanten,  Stoffe  der 
„Jagd",  der  später  in  imgebundener  Rede  (als  die  , Novelle') 
Gestalt  gewann. 

Der  zu  Anfang  des  Jahres  178.3  im  ..Journal  oder  Tagebuch 
von  Tieffurth'  unter  dem  Titel  , Fragment'  erschienene  Aufsatz 

25  oder  Hymnus  über  die  Natur  (SdGG.  7,  258—261)  kann,  ganz 
abgesehen  hier  von  dem  Zweifel,  ob  und  wie  weit  Goethe  der 
Verfasser  desselben  ist.  trotz  seines  wahrhaft  dichterischen 
Charakters,  nicht  wohl  als  ein  dem  .Roman  über  das  "Weltall' 
angehöriges  Bruchstück  betrachtet  werden.  Goethe  bezeichnet 

30  das  Schriftstück  sowohl  1783,  in  seinem  Briefe  an  Knebel  vom 
3.  März  (Br.  6,  134,  3),  als  auch  1828  in  seinem  erläuternden 
Schreiben  darüber  an  den  Kanzler  von   Müller  (Nat.   "Vi'.   11, 


286  ROMAN    UEBER    DAS    WELTALL.  1780 

10—13)  als  „Aufsatz",  an  letzterer  Stelle  auch  als  „Betrach- 
tungen'", und  es  ist  von  den  Herausgebern  der  Werke  in  die 
Abtheilung  der  naturwissenschaftlichen  Schriften  aufgenom- 
men worden  (Mat.  W.  11,  5—9). 

Das  Gedicht  , Metamorphose  der  Thiere'  dagegen   wird  von    5 
manchen  für  einen  Theil  des  grossen  Naturgedichts  gehalten, 
so  zum  Beispiel  von  Victor  Helm  (vgl.  GJ.  G,  228  f.».    Den  An- 
fang (V.  1): 

„Wagt  ihr,  also  bereitet,  die  letzte  Stufe  zu  steigen" 
nennt  Gustav  von  Loeper  „wie  aus  der  Mitte  eines  umfassen-  lo 
deren  Gedichts  sich  zu  einer  Einzeldarstellung  wendend.  Jetzt 
kann  er  als  Anschluss  an  das  vorangegangne  Gedicht  von  der 
Pflauzenmetamorphose  genommen  werden"  (WH.,  zweite  Aus- 
gabe, 2,  530). 

Goethe  hat   später  die   .Metamori^hose  der  Thiere".   mit  an-  15 
deren  naturwissenschaftliclieu  Gedichten,  in  die  grosse  Samm- 
lung seiner  lyrischen  Dichtungen  eingereiht;  dem  entsprechend 
wird  das  Gedicht  erst  im  dritten  Theile    dieses  Werkes    be- 
handelt. 

1 7SO.  20 

April  3,  Weimar.  539 

Von  Dramas  und  Eomanen  ist  auch  Verschiedenes  in 
Bewegung^. 

An  Merck.  —  Br.  4.  202.  14  f. 

?  April,  zwischen  4  und  15.  Weimar.  540  25 

.  .  tändle  an  einem  Dranr  oder  Roman-. 
Tgb.  1,  116,  7. 


^  Bei  den  ,, Dramas"  ist  vor  allem  an  .Egmont'  und  .Tasso'  zu 
denken,  die  „Romane"  sind  .Wilhelm  Meister"  und  der  .Ro- 
man über  das  Weltall".  —  Vgl.  auch  die  Aeusserungen  über  30 
BufCons  , Epochen  der  Natur"  im  gleichen  Briefe  an  Merck 
und  in  dem  vom  11.  October  1780  (Br.  4,  202.  19—25.  311, 
19-22). 

*  Der  Ausdruck  „tändle"  passt  im  Grunde  weder  auf  .Tasso', 
noch  auf  ,Wilhelm  Meister'  oder  den  .Roman  über  das  Welt-  35 
all';  mit  den  zu  letzterem  nöthigen  Studien  war  es  Goethe 
^, Ernst",  er  hatte  sich  ihnen  „mit  einer  völligen  Leidenschaft 
-ergeben"  (Br.  4,  809,  28.  312.  2). 
Ist  es  erlaubt,  obige  Bemerkung  auf  die  im  Tagebuch  theils 


1781  ROMAN    UEBER    DAS   WELTALL.  287 


10 


?]   September  9.   [Ilmeuau.]   und  lu.  .^tützerbach.  541 

9.  [Xachts.].  .  .  .  hab'  immer  schreiben  wollen,  bald 
an  Sie,  bald  an  meinem  Eoman  nnd  bin  immer  nicht 
dazu  gekomm.en. 

10.  Abends Früh  hab'  ich  einige  Briefe  des 

grossen  Romans  geschrieben.  Es  wäre  doch  gar  hübsch, 
wenn  ich  nur  vier  "Wochen  Ruh  hätte,  um  wenigstens 
Einen  Theil  zur  Probe  zu  liefernd 

An  Ch.  T.  Stein.  —  Br.  4.  2S7.  1  f.  15^22. 

1781. 

December  7,  Erfurt.  542 

Meinen  neuen-  Roman    über    das  "Weltall    hab"    ich 


unmittelbar,  theils  kurz  vorhergehenden  Worte  zu  beziehen 
(Tgb.  1,  115,  25  f.  116,  6k  ..Las  zur  Geschichte  Herzog  Bern- 

15  hards.  .  .  .  indess  erhol'  ich  mich  in  der  Geschichte"?  Dachte 
Goethe  gelegentlich  auch  an  eine  dichterische  Behandlung 
dieses  Gegenstandes  und  ..tändelte"  an  einem  Entwurf  des- 
selben als  ..Dram"  oder  Roman"?  Der  Ausdruck  ..oder'* 
würde  dann  an  Verständlichkeit  gewinnen. 

■20  ^  Auch  bei  diesen  beiden  Stellen  ist  die  Beziehung,  wie  bei 
der  vorigen,  unsicher;  die  Deutung  auf  , Wilhelm  Meister' 
erscheint  durchaus  erlaubt.  Doch  nahmen  allerdings  Beo- 
bachtungen über  die  Bildung  und  Umbildung  des  Erd- 
körpers auf  dieser   Geschäftsreise   in   das   Thüringer   Wald- 

25  gebirge  Goethe  ganz  besonders  in  Anspruch.  Einen  Tag  vor 
dem  obigen  Briefe,  am  8.  September,  theilt  er  derselben 
Freundin  mit:  „Jetzt  leb'  ich  mit  Leib  und  Seel"  in  Stein 
und  Bergen,  und  bin  sehr  vergnügt  über  die  weiten  Aus- 
sichten,  die  sich  mir  aufthun,  .  .  Die  Welt  kriegt  mir  nun 

30      ein  neu  ungeheuer  Ansehn"  (Br.  4.  285.  8 — 13). 

Das  Wort  „Briefe"  in  folgender  Stelle  aus  Knebels  Tage- 
buch vom  3.  October  ITSO:  ..Goethe  las  mir  von  seinen  Sachen 
vor.  Ode  an  die  Phantasie.  Briefe  etc.'"  wird  von  Düntzer 
(Goethe    und  Karl  August  S.  129i  auf  den  .Roman  über  das 

35      Weltair   und   damit  auf  Z.   5  f.   der  obigen   Aeusserung   be- 
zogen. 
'  Im  Gegensatz  etwa  zu  .Wilhelm   Meister*,  dem  schon   1777 
begonnenen  ..alten"  Romane? 


2S8  KOMAX    UEBER    DAS   WELTALL.  17S4 


[December  7,  Eit'urt.]  [542] 

unterwegs^  noch  diirchgedacht  und  gewünscht,  das^ 
ich  Dir  ihn  dictiren  könnte,  es  gäbe  eine  Unterhaltung 
und  das  Werk  käme  zu  Papier-. 

An  Cb.  V.  Stein.  —  Br.  .5,  232,8—11. 

178^. 

Juni  7,  Eisenach.  543 

Die    Berge    und  Klüfte  versprechen  mir  viel  Unter- 
haltung,   sie    sehen    mir  zwar  nicht  mehr  so  malerisch 


^  Zwischen   Weimar   und   Erfurt.     Am  Abend   des  G.    Decem-  lO 
bei's  Avar  Goethe  von  Weimar  aufgebrochen,  um  dem  Herzog 
Karl  August  zur  Jagd  nach  Eiseuach  zu  folgen. 

^  Wenn  es  für  die  folgenden  zwei  .Jahre  an  Zeugnissen  fehlt, 
die  Goethes  Beschäftigung  mit  dem  Romau  beweisen,  so 
gingen  doch  die  ihm  gewidmeten  Vorstudien  ununterbrochen  15 
fort.  Bedeutende  Aeusserungen  über  die  Fortschritte  von 
Goethes  geologischen  Kenntnissen  enthalten  unter  Anderem 
die  Briefe  an  Merck  (1782  October  27),  an  Knebel  (1782  No- 
vember 21),  an  Charlotte  von  Stein  (1783  September  20,  Br.  6, 
76,11—77,5.   98,5—9.   199,19—22).  20 

Am  18.  Januar  1784  meldet  Goethe  au  Frau  von  Stein: 
,,  Ich  habe  heut  früh  an  meiner  Abhandlung 
über  den  Granit  dictirt,  .  ."  (Br.  6,  236,  13  f.).  lu 
dieser  heisst  es,  mit  verhüllter  Hindeutung  auf  ,Werther'  und 
mauclie  andre  ,, Schilderung  des  menschlichen  Herzens":  25 
,,Ich  fürchte  den  Vorwurf  nicht,  dass  es  ein  Geist  des  Wider- 
spruches sein  müsse,  der  mich  von  Betrachtung  und  Schilde- 
rung des  menschlichen  Herzens,  des  jüngsten,  manuichfal- 
tigsten,  beweglichsten,  veränderlichsten,  erschütterlichsten 
Theiles  der  Schöpfung  zu  der  Beobachtung  des  ältesten,  feste-  so 
sten,  tiefsten,  unerschütterlichsten  Sohues  der  Xatur  geführt 
hat.  Denn  man  wird  mir  gerne  zugeben,  dass  alle  natürlichen 
Diuge  in  einem  genauen  Zusammenhange  stehen,  dass  der 
forschende  Geist  sich  nicht  gerne  von  etwas  Erreichbarem 
ausschliessen  lässt.  Ja  man  gönne  mir,  der  ich  durch  die  Ab-  35 
Wechselungen  der  menschlichen  Gesinnungen,  durch  die 
schnellen  Bewegungen  derselben  in  mir  selbst  und  in  andern 
manches  gelitten  habe  und  leide,  die  erhabene  Ruhe,  die 
jene  einsame  stumme  Nähe  der  grossen,   leise   sprechenden 


1784  ROMAN   UEBER  DAS   WELTALL.  289 


[Juni  7,  Eisenach.]  [543] 

und  poetisch  aus,  doch    ist's    eine    andre  Art  Malerei 
und  Poesie,  womit  ich  sie  jetzt  besteiget 
An  Ch.  V.  Stein.  —  Er.  6,  288,  13—16. 


5      Xatur  gewährt,  und  wer  davon  eine  Abudimg  hat,  folge  mir" 
(,Ueber  den  Grauif,  Xat.  W.  9,  173,  5—21). 
*  Das  heisst:  mit  der  Einbildungskraft    des    genialen  Natur- 
forschers, welche,  der  dichterischen  nah  verwandt,  die  ver- 
wirrende Masse  der  Eiuzelerfahrungeu  ordnet  und  die  in  ihr 

10      gesetzmässig  waltende  Harmonie  aufdeckt. 

Fernere  Zeugnisse  für  Goethes  geologische  P^orschuugen, 
die  man  als  Vorarbeiten  zu  dem  geplanten  , Roman  über  das 
Weltall'  allenfalls  betrachten  kann,  finden  sich  besonders 
in  den  Briefen  an  Charlotte  von  Stein  vom  12.  und  17.  Juni, 

15  27.  August  und  .5.  October  1784  (Br.  C,  297,27—298,2.  302. 
27—303,4.  346,4—14.  366,16—21).  Am  7.  Juni  1785  meldet 
er  der  gleichen  Freundin  von  Ilmenau  aus:  „Ich  habe  .  . 
etwas  au  meiner  Gebirgs-Lehre  geschrieben".  Dieser  Aus- 
druck ,, Lehre"  schon  zeigt,  dass  das,  was  an  dem  Plane  rein 

20  poetisch  sein  mochte,  immer  mehr  gegen  das  Wissenschaft- 
liche zurücktrat. 

An  einem  Modell  wollte  «^oethe  seine  Ideen  über  die  Ent- 
wickelung  der  Erde  anschaulich  machen.  Von  ihm  habe  er 
viel    geträumt,    schreibt    er  am  8.  September  1786,  auf  der 

25      Höhe  des  Brennerpasses,  in  sein  Tagebuch,  und:  „Zu  meiner 

Weltsch«'3pfung  hab'  ich  manches  erobert"  fTgb.   1,  160, 25). 

—  Reich  an  dichterischen,  wie  an  naturwissenschaftlichen 

Früchten     war     der    Zeitraum    von    vierzehn    Jahren,    der 

zwischen  der  obigen  und  der  zunächst  folgenden  Aeusserung 

30  liegt.  Goethe  erzählt  in  seiner  Erläuterung  zu  dem  aphoristi- 
schen Aufsatz  ,Die  Natur':  „In  jenen  Jahren,  wohin  ge- 
dachter Aufsatz  fallen  möchte,  war  ich  hauptsächlich  mit 
vergleichender  Anatomie  beschäftigt  und  gab  mir  1786  [1784] 
unsägliche  Mühe,  bei  anderen  an  meiner  Ueberzeugung:  dem 

35      Menschen  dürfe  der  Zwischenknochen  nicht 

abgesprochen  werden,  Theilnahme  zu  erregen.  .  .  . 

Die  Yersatilität  der  Natur  im  Pflanzenreiche  verfolgte  ich 

unablässig,  und  es  glückte  mir  Anno  1788  [1787]  in  Sicilien, 

die  Metamorphose  der  Pflanzen,  so  im  Ansehauen  wie  im  Be- 

*o      griff,  zu  gewinnen   [1790  veröffentlichte  Goethe  seinen  ,Ver- 
Gräf,  G  oethe  über  s.  Dichtungen  T.  I.  19 


290  ROMAN   UEBER   DAS   WELTALL.  1798 


1798. 

Juni  18,  Jena.  543a 

Abends  zu  Schiller,  über  die  Möglichkeit  einer  Dar- 
stellung der  Naturlehre  durch  einen  Poeten^ 

Tgb.  2,  212,  22—24.  5 

Juli  16,  Weimar.  543b 

Ich  lege  Dir  das  vergessne  Blatt  [das  Gedicht  ,Die 
Metamorphose  der  Pflanzen'],  bei  und  kann  mir  eine 
gute  Aufnahme  versprechen. 

Ich    denke    vielleicht    ehestens  ein  Gedicht  über  die  i» 
magnetischen  Kräfte,  auf  eben  die  Weise,  aufzustellen. 
Man  muss  einzeln  versuchen,  was  im  Ganzen  unmöglich 
werden  möchte-. 

An  Knebel.  —  Br.   13.  213,  6-11. 


such  die  Metamorphose  der  Pflanzen  zu  erklären'].  Die  15 
Metamorphose  des  Thierreichs  lag  nahe  dran,  und  im  Jahre 
1790  offenbarte  sich  mir  in  Venedig  der  Ursprung  des 
Schädels  aus  Wirbelknochen;  ich  verfolgte  nun  eifriger  die 
Construction  des  Typus,  dietirte  das  Schema  im  Jahre 
1795  .  ."  (Nat.  W.  11,  11,  17—22.  27—  12,  7).  20 

Durch  das  Studium  des  Hexameters  im  Gefolg  der  eigenen 
grossen  und  kleinen  Dichtungen  in  diesem  Versmasse,  durch 
den  Ideenaustausch  mit  Schiller  und  Schelliug,  durch  die 
theilnahmvoll  begleitete  Arbeit  Knebels  an  der  Verdeut- 
schung des  Lehrgedichts  ,De  rerum  natura'  von  dem  Römer  25 
Lucretius,  im  Gefolg  endlich  des  Wandels  und  Wachsthums 
der  eignen  Naturanschauuug  gewann  auch,  wie  es  scheint, 
der  Plan  jener  grossen,  das  Naturgauze  umfassenden,  Dich- 
tung andere  Gestalt.  Doch  lässt  sich  diese  aus  den  wenigen 
und  dürftigen  Aeusserungen,  die  uns  erhalten  sind,  nicht  30 
ahnen,  geschweige  denn  klar  erkennen. 

^  An    diesem  und  dem  vorhergehenden  Tage  ist  das  Gedicht 
,Die   Metamorphose  der  Pflanzen'  entstanden. 

'  In  Knebels  Antwort  vom  18.  Juli  heisst  es:  „So  führst  Du 
also  die  Poesie  auf  die  simplen  belehrenden  Formen  wieder  35 
zurück,  die  sie  zum  Theil  bei  den  Griechen  und  Römern 
hatte.  So  haben  Empedokles,  Lucrez,  Virgil 
und  so  viele  Andere,  die  Naturkenntnisse,  die  sie  hatten,  in 
Verse   gebracht.     Es  ist  wahrer  Sinn  der  Sache  und  erhebt 


1799  ROMAN    UEBER    DAS    WELTALL.  291 


1799. 

Januar  18,  Weimar.  543c 

Knebels     Lucrez     erstes    Buch^.  .  .  .     Abends     mit 
Schiller.     Ideen  zu  einem  Natur-Gedichte. 
Tgb.  2,  230,  14  f. 

Januar  22,  Weimar.  o43d 

Das  erste  Buch  Deines  Lucrez  habe  ich  erhalten^  und 

will  es  im  Februar  mit  nach  Jena  nehmen.     Indem  ich 

es  durchlas,  hat  sich  manches  bei  mir  geregt,  denn  seit 

dem  vorigen  Sommer  habe  ich  oft  iiber  die  Möglichkeit 


die  Poesie  von  einer  gefälligen  Freundin  zur  Lehrerin.  Ich 
freue  mich  herzlich  darüber,  auch  dass  Du  den  eiteln  poe- 
tischen Schmuck  verworfen  hast.  Die  Sache  und  ihr  reiner 
Vortrag    muss    sich    selbst    hier    durch     höhere    Schönheit 

15      schmücken.  .  .  .'■  (G.-Knebel   1,    182.) 

'■  Tags  vorher  hatte  Knebel,  von  Ilmenau  aus,  das  Manu- 
script  an  Goethe  geschickt  (vgl.  G.-Knebel  1,  200).  Das  Werk 
erschien  erst  zweiundzwanzig  Jahre  später,  unter  dem  Titel: 
,T.   Lucretius   Carus   von   der   Natur   der   Dinge.    .  .  Leipzig 

.20      bei  Georg  Joachim  Göschen  1821'  4". 

An  Matthisson  hatte  Knebel  am  1.5.  Januar  1799  geschrie- 
ben: ,,Das  Wichtigste,  was  ich  Ihnen  zu  sagen  vergessen 
habe,  ist.  dass  Goethe  im  Ernste  daran  zu  denken  scheint, 
ein  Gedieht  in  der  Art  des  Lucrez  zu  verfertigen.     Es  war 

-.25  diess  längst  mein  geheimer  Wunsch,  da  ich  mich  selbst  von 
dieser  Bahn,  die  eine  Hoffnung  meiner  Jugend  war,  durch 
Alter  und  Umstände  verscheucht  sehe.  Er  kann  es  mit 
höherm  Sinn  und  grössern  Kräften,  und  es  dürfte  vielleicht 
der  dauerndste    Lorbeer    in    seinem    Kranze    werden.      Er 

.30  rechnet  auf  meine  Uebersetzung  als  Basis  zu  seiner  Arbeit" 
(Friedrich  v.  Matthisson's  Literarischer  Nachloss  nebst 
einer  Auswahl  von  Briefen  seiner  Freunde.  Berlin,  bei 
August  Mylius.  1832'  3,  8.  —  Vergleicht  man  die  letzten 
Worte,  Z.  30,  mit  dem,  was  Goethe  am  22.  Januar  an 
35  Knebel  schreibt  (292,  7),  so  möchte  man  anuehmen,  dass 
Knebels  Brief  an  Matthisson  erst  nach  Empfang  von 
Goethes  Schreiben  abgefasst  wäre). 
-  Vgl.    die   vorhergehende    Erläuterung. 


292  ROMAN   UEBER   DAS   WELTALL.  1799 

[Januar  22,  Weimar.]  [543d] 

eines  Xaturgediehtes  iu  iinsern  Tagen  gedacht,  und  seit 
der  kleinen  Probe  über  die  Metamorphose  der  Pflanzen 
bin  ich  verschiedentlich  aufgemuntert  worden^  Um  so 
interessanter  wäre  es  auch  für  mich,  wenn  Dein  Lucrez  5 
recht  vollendet  in  unserer  Sprache  hervorgehen  könnte, 
damit  das  Alte  als  die  Base  des  Xeuen  dastünde-. 
An  Knebel.  —  Br.  14,  9,  19—10,  5. 

März  22,  Jena.  543e 

■'^Jenes  grosse  Xaturwerk  habe  ich  auch  noch  nicht  1* 


*  Das  Gedicht  ,Die  Metamorphose  der  Ptlanzon'  war  Ende 
179vS  in  Schillers  ,Musen-Almanach  für  das  Jahr  1799'  er- 
schienen. 

^  Knebel  erwiderte  am  16.  Februar:  „Die  Möglichkeit  eines 
Naturgedichts  von  Deiner  Arbeit,  die  Du  mich  ahnen  lassest,  15 
hat  mich  mit  innigster  Freude  erfüllt.  Schon  lange  war  es 
mein  geheimer  Wunsch,  und  er  ist  auch  mir  bei  Deinem  Ge- 
dichte über  die  Metamoi-phose  der  Pflanzen  gewachsen.  Es 
ist  allerdings  ein  ungeheures  Uuieruehmeu,  das  aber  Deine 
Schultern  allein  zu  tragen  vei'iuügeu.  Selbst  in  Rücksicht  20 
des  Gemüthes  würde  es  ein  Wagestück  sein,  da  Du  Dich 
von  der  Wahrheit  des  Lucrezischen  Geistes  nicht  würdest 
entfernen  wollen.  Zu  einer  Zeit  aber,  wo  man,  aus  Mangel 
gesunderer  Grundsätze,  offenbar  ein  Verfinsterungssj'stera 
einzuführen  sucht,  würde  man  bei  Aufdeckung  solcher  Wahr-  2s 
heiten,  um  deren  willen  es  fast  allein  der  Mühe  werth  wäre, 
eine  solche  Arbeit  zu  unternehmen  —  Gefahr  laufen.  Der 
Himmel  segne  Dich,  und  setze  Deinen  vielen  Bemühungen 
den  schönsten  Kranz  dadurch  auf!"    (G. -Knebel  1,  202  f.) 

'  Am  15.  März  hatte  Goethe  Knebeln  brieflich  mitgetheilt,  so 
dass  er  eine  epische  Dichtung  über  den  Tod  des  Achilleus 
plane  (s.  Nr.  48);  da  er  des  Naturgedichtes  bei  dieser  Gele- 
genheit keinerlei  Erwähnung  gethan  hatte,  schrieb  Knebel 
in  seiner  Antwort  vom  19.  März:  „Dass  Du,  wie  es  scheint, 
von  der  Idee  eines  Lucrezischen  Gedichts  abgekommen  bist.  35 
nimmt  mich  eigentlich  nicht  AVunder.  Der  Stoff  gehört  zu 
den  widerstrebenden  und  vei'einigt  sich  nicht  eigentlich  mit 
dem  wahren  Sinne  der  Dichtung"  (G.-Knebel  1,  206).  Hierauf 
erwidert  Goethe,  wie  folet. 


1799  ROMAN    UEBER    DAS    WELTALL.  293 


[März  22,  Jena.]  t'^^®] 

aufgegeben.  ^Mir  deucht,  icli  könnte  den  Aufwand  von 
Zeit  und  Kräften,  die  ich  an  jene  Studien  gewendet, 
nicht  besser  nutzen,    als  wenn  ich  meinen  Yorrath  zu 

5  einem  Gedicht  verarbeite.  Du  hast  den  kleinen  Ver- 
such über  die  Metamorphose  der  Pflanzen  gut  aufge- 
nommen^ und  Herder  hat  mir  auch  etwas  besonders 
Freundliches  darüber  gesagt,  welches  mich  sehr  er- 
muntert, an  das  grössere  Werk  zu  denken.    Freilich  ist 

10       es    im  Ganzen  ein  fürchterlicher  Anblick,    doch  muss 
man  denken,  dass  man  nach  und  nach  durch  anhalten- 
den Fleiss  vieles  zu  Stande  bringt-. 
An  Knebel.  —  Br.  14.  52,  2.3-53,  9. 

Mai  S,  Jena.  ^^^ 

15  Abends  mit  Hofrath  Schiller  gegen  Lobeda  spazieren 

gefahren.     Die  Idee    von  dem  Xaturgedichte  durchge- 
sprochen^. 

Tgb.  2.  216,  25—27. 

October  4,  Jena.  »43g 

20  Abends  zu  Schiller,  über  Naturphilosophie.   [Ueber] 

Poetischen  Vortrag  derselben. 
Tgb.  2.  263, 16—18. 


1  Vgl.  290,  34—291,  15. 

-  Knebels  Antwort  s.  21.  3?.— 30.  Im  unmittelbaren  Anscbluss 

25  an  das  dort  Angeführte  schreibt  Knebel:  „Zuweilen  denk' 
ich.  wie  solclies  werden  kann'.  Der  Lucrezische  Weg  kann 
Dein  Weg  nicht  sein.  Dieser  fasste  alles  zusammen,  wie  in 
einem  orbls  pictus,  weil  die  Wissenschaft  noch  enge  war,  und 
die  philosophische  Welt  noch  etwas  unmündig.     Dass  dieses 

30  anders  geworden  sei.  ist  klar.  Indessen  hat  doch  diese  Un- 
mündigkeit und  Enge  dem  Werk,  als  Gedicht,  aufgeholfen, 
da  es  mehr  für  die  Sinne  zu  sprechen  fand,  wo  wir  jetzt, 
in  allgemeinerer  Ausiclit.  nur  dem  Verstände  reden"  (G.- 
Knebel 1.  208). 

35  »  Sachlich  gehört  hierlier  und  in  den  Sommer  dieses  Jahres 
Nr.  543i. 


294  ROMAN   UEBER   DAS   WELTALL.  1S19 

1819. 

Juli  18,  Jena.  543h 

[Nachmittags]     Naturgedicht.      Daher     und     dahin 
Fliessendes^ 

Tgb.  7,  71,  21  f.  6 

1833. 

][Juni  30  oder  Juli  1,  Eger.]  543i 

[Zu  1799.].  .  .  so  war  auch  Schiller  aufgeregt,  unab- 
lässig die  Betrachtung  über  Xatur,  Kunst  und  Sitten 
gemeinschaftlich  anzustellen.  Hier  fühlten  wir  immer  lo 
mehr  die  Xothwendigkeit  von  tabellarischer  und.  sym- 
bolischer Behandlung.  ...  so  ist  denn  auch  das 
Schema  der  Farbenlehre  öfters  bearbeitet  worden. 

.  ,  .  Schelling  theilte  die  Einleitung  zu  seinem  Ent- 
wurf der  Naturphilosophie-  freundlich  mit;  er  besprach  15. 
gern  manclierlei  Physikalisches,  ich  verfasste  einen  all- 
gemeinen Schematismus  über  Xatur  und  Kunst^. 

Im  August  und  September  bezog  ich  meinen  Garten 
am  Stern,    um  einen  ganzen  Mondswechsel   durch  (?in 

*  Es  ist  zweifelhaft,  ob  dieser  Vermerk  sich  auf  das  Ganze  der  20 
geplanten  Dichtung  bezieht,  oder  nur  auf  das  1806  entstan- 
dene Gedicht  »Metamorphose  der  Thiere',  dessen  Goethes 
Tagebuch  (7,  82,  5  f.)  auch  am  14.  August  1819  gedenkt,  und 
das  bald  darauf,  1820,  im  zweiten  Hefte  des  ersten  Bandes 
,Zur  Moiphologie'  erschien.  2& 

Die  gleichzeitige  Beschäftigung  aber  mit  Knebels  Lucrez- 
übertragung  (am  Abend  des  12.  und  17.  Juli,  Tgb.  7,  69,  17  f. 
71,  16  f.)  macht  es  doch  wahrscheinlich,  dass  hier  das  ,.Xatur- 
gedicht"  als  Ganzes  gemeint  sei.  dass  also  Goetheu  auch  jetzt 
noch  der  alte,  seit  mehr  als  dreissig  Jahren  gehegte,  Plan  30. 
„vor  der  Seele  schw^ebte"  (vgl.  295,  5  f.). 

*  , Einleitung  zu  seinem  Entwurf  eines  Systems  der  Natur- 
philosophie. Oder:  Lieber  den  Begriff  der  speculativen  Phy- 
sik .  .  Ton  F.  W,  J.  Schelling.  Jena  und  Leipzig,  bei 
Christian  Ernst  Gabler.  1799'.  3S 

*  Goethes  Tagebuch  (2,  267,  15  f.)  vermerkt  unter  dem  29.  Oc- 
tober  1799:  ..Ueberlegung  eines  allgemeinen  Schematis  über 
Natur  und  Kunst  zu  etwanigen  Vorlesungen"'. 


3823  ROMAN   UEBER    DAS   WELTALL.  295 

][Juni  30  oder  Juli  ],  Eger.]  [543i] 

gutes  Spiegel-Teleskop  zu  beobachten,  und  so  ward  ich 
denn  mit  diesem,  so  lange  geliebten  und  bewunderten 
Nachbar  endlich  näher  bekannt.  Bei  allem  diesem  lag 
ein  grosses  Xaturgedicht,  das  mir  vor  der  Seele 
schwebte,  durchaus  im  Hintergrund^. 

Tag-  und  Jahres-Hefte,  1799.  —  W.  35,  83,  17—22.  S4,  3  f. 
7—19. 


^  Dauernd  hinderte  der  ungeheure  Umfang  des  Stoffs  die  Aus- 

10  führung  dieses  „Xaturgedichts".  Bis  in  sein  hohes  Alter  aber 
fuhr  Goethe  fort,  gelegentlich  in  kleineren  Gedichten  die  eine 
und  andere  seiner  naturwissenschaftlichen  Ideen  zu  gestalten, 
denn,  wie  er  1798  an  Knebel  geschrieben  hatte:  .,Man  muss 
einzeln  versuchen,  was  im  Ganzen  unmöglich  werden  möchte" 

15  (290,  12  f.).  Und  auch  diese  Thätiglieit  betrieb  Goethe  „läss- 
lich",  denn  (so  schreibt  er  im  Jahre  1821  an  Riemer):  ,, Leider 
ist  bei  solchen  Dingen  das  "Sn  ollen  dem  Vollbringen  nicht  sehr 
förderlich;  es  sind  Gaben  und  Gunsten  des  Augenblicks,  die 
zuletzt,  nach   langer  Vorbereitung,   zufällig,   ungefordert  er- 

20      scheinen"  (Briefe  von  und  an  Goethe  S.  220). 

Auf  Riemers  Anregung  suchte  Goethe  1821  seine  „in  Druck 
und  Manuscript  zerstreuten  naturwissenschaftlichen  Gedichte 
zusammen,  und  ordnete  sie  nach  Bezug  und  Folge"  (Tag-  und 
Jahres-Hefte.  1S21.  W.  36,  187.  17—20».  So  entstand  die  Ge- 

25  dichtgruppe  ,Gott  und  Welt',  die  dann  1827  im  dritten  Bande 
der  , Ausgabe  letzter  Hand'  zum  erstenmal  an  die  Oeffent- 
lichkeit  trat. 


^^^'^'"^•^^■■^^ 


Sultan  wider  Willen. 


1808. 

November  6,  Weimar.  543k 

[Früh]    ,Wahlver\vandtschaften'    und    andre  Eomau- 
gegenstände.    , Sultan  wider  "Willen'^. 
Tgb.  3,  397,  3  f. 


^  Ueber  den  Plan  macht  Riemer  fol.ijeude  Mittlieilung:  „Goelhe 
hat  sich  immer  und  zumeist  im  Jahr  1806  mit  dieser  Ge- 
schichte getragen,  für  die  er  eine  besondere  Liebe  zu  haben 
schien.  Vier  Damen  von  ganz  verschiedenen  Cliaraliteren 
iuteressiren  sich  alle  für  einen  Manu.  Jede  ist  auf  eine 
eigene  Art  liebenswürdig;  jede  trifft  er.  wenn  er  sich  ihr 
nähert,  seinem  Znstande  angemessen,  allein  liebenswürdig, 
und  unbegreiflich,  wie  er  eine  andere  lieben  kann.  u.  s.  w." 
(Riemer  2,  638). 


10 


15 


Teil. 


1797. 

September  30  bis  October  7'.  544 

30.  September  1797.  , .  Sehwyz  .  .  .  Betrachtung  über 
die  Lage  des  ganzen  Cantons,  bezüglich  auf  politische 
Verhältnisse. 

Ein  viertel  auf  Xeun  gingen  wir  bei  heiterm  Sonnen- 
schein von  Sehwj'z  ab  und  genossen  eines  herrlichen 
Eückblicks  auf  die  ernsten  Mvthen  .... 


;io  ^  Die  Angabe  des  Orts  ist  hier  ausnahmsweise  weggelassen. 
Da  Goetlies  Reisebescliieibung.  saclilich  genau  mit  dem  Tage- 
buch übereinstimmend,  auf  Notizen  beruht,  die,  wo  nicht  an 
Ort  und  Stelle,  so  doch  wohl  am  Abend  jedes  Tages  oder 
wann   gerade   eine   Rast   Gelegenheit   bot.   niedergeschrieben 

15  sind,  so  geben  die  oben  im  Text  angeführten  Ortschaften  den 
nüthigen  Anhalt. 

Goethe  war  mit  Meyer  am  20.  September  in  Zürich  zusam- 
mengetroffen und  Tags  darauf  nach  Stiifa  gefahren,  wo  der 
Freund  wohnte.     A'on  hier  aus  unternahmen  beide  eine  ge- 

20  meinsame  Reise  nach  dem  Vierwaldstiitter  See  und  dem  St. 
Gotthardt.  Sie  waren  vom  28.  September  bis  8.  October  unter- 
wegs. Die  auf  die  Geschichte  Teils  und  der  vier  Waldstätte 
bezüglichen  Stellen  in  Goethes  .Reise  in  die  Schweiz  1797' 
sind  im  Folgenden  kurz  zusammengestellt. 

25  Sachlich  gehen  der  obigen  Nr.  .544  die  .Goethes  erste 
Schweizerreise  (177.">i  betreffenden.  Aeusserungen  Nr.  .559a. 
559b  voraus. 


298  TELL.  1797 

[September  30  bis  October  7.J  [544] 

Wir  kamen  nach  Brunnen  und  .  .  schifften  uns  ein. 
.  .  .  Freiheits-Grütli^.  .  .  .  Gegen  die  Teilenplatte  ist 
eine  schöne  Stelle,  .  .  .  wir  landeten  und  traten  in 
Teils  Capelle.  ...  » 

G.  October  1797.  .  .  gingen  wir  von  Altorf  zeitig  ab 
und  kamen  nach  Flüelen  zum  Vierwaldstätter  See,  um 
hinab  nach  Beckenried  zu  fahren.  .  .  .  Wir  kamen  dem 
Axenberg  näher;  .  .  man  kommt  an  eine  Halbbucht, 
dann  folgt  eine  zweite,  etwas  tiefere,  dann  die  Teilen-  lo 
platte.  Die  Beleuchtung  war  sehr  schön,  die  Capelle  lag 
im  Schatten;  .  .  . 

.  .  .  Wir  kamen  am  Grütli  vorbei,  .  .  . 

.  .  Stanz  .  .  Wir  traten  im  Gasthofe  „Zur  Krone" 
ein,  wo  man  der  Kirche  gegenüber  auf  einen  hübschen  15 
Platz  sieht.  In  der  ISIitte  steht  ein  Brunnen,  auf  den  der 
alte  AYinkelried  gestellt  ist,  mit  den.  Speeren  im  Arm. 
Nikolaus  von  der  Flüe  hing  in  der  Stube.  Auf  gemalten 
Fensterscheiben  waren  über  verschiedenen  Wappen  die 
Hauptmomente  der  Schweizerchronik  aufgezeichnet.  20 
Wir  lasen  in  einem  Buche:  „Kleiner  Versuch  einer  be- 
so-ndern  Geschichte  des  Freistaates  Unterwaiden.  Lu- 
zern  1789.-^2_  ^  _  _ 

Heilige,  Helden,  Staatsleute  und  Frauen  aus  der  Ge- 
schichte des  Landes.  25 

7.  October  1797.  ...  Bei  etwas  Xebel  fuhren  wir 
ab  [über  den  See].  .  .  . 


*  „ Links    am  See,    wenn    mau 

'Such  Brunnen  fährt,  dem  Mythenslein  grad'   über. 

Liegt  eine  Matte  heimlich  im  Gehölz,  30 

Das  Rütli  heisst  sie  bei  dem  Volk  der  Hirten, 
Weil  dort  die  Waldung  ausgereutet  ward*' 
(Schillers  .Wilhelm  Teil',    Aufzug    1    Scene    4,  V.  725—729). 

*  Die  Verfasser  dieses  Werkes,  dessen  zweiter  Theil  1791  er- 
schien, sind  Franz  Nikolaus  Zeiger  und  Joseph  Busingor.        35 


1797  TELL.  299 

[September  30  bis  October  7]  [544] 

Wir  sahen  uns  überall  nach  dem  Eaynalschen  Monu- 
ment um,  aber  vergebens;  man  wies  uns  den  Felsen,  wo 
es  gestanden  hatte^.  .  .  . 
5  .  .  Küssnaclit  .  .  .    Wir    erreichten    die    Höhe     der 

kleinen  Erdzunge,  welche  den  Yierwaldstätter  und  den 
Zuger  See  trennt,  und  wo  eine  Capelle  zum  Andenken 
von  Gesslers  Tode  steht. 

Reise  in  die  Schweiz  1797.  —  WH.  26,  127—120.  135.  137 
10      -139^ 

October  9,  Stäfa^  54.5 

.  .  die  Schweizerchronik    wegen    der  Geschichte    des 
Teil  gelesen  und  mit  Meyer  über  die  Behandlung  der- 
selben .  .  gesprochen*. 
15  Reise  in  die  Schweiz  1797.  —  WH.  26,  140. 

October  10.   Stäfa.  546 

.  .  in  Tschudis  Chronik    weiter    gelesen.    Zeichnung 
Teils  mit  dem  Knaben"^. 

Reise  in  die  Schweiz  1797.  —  WH.  26,  141. 


20  ^  Raynal  hatte  17S3,  auf  einer  lileiuen  Insel  im  Yiei-wald- 
stätter  See,  den  drei  Schweizern  Walther  Fürst,  Werner 
Stauffacher  und  Arnold  von  Melchthal  ein  Denkmal  er- 
richten lasspu.  Es  war  durch  einen  Blitz  beschädigt  und  in 
der  Folge  abgetragen   worden   (vgl.   WH.   26.   201   unier  Nr. 

25      188,  WD.  23,  148  zu  Z.  13). 

*  Die  entsprechenden  Stellen  in  Goetlies  Tagebuch  finden  sich 
Tgb.  2,  166,  6  f.  22  f.  26—167,  1.  18  f.  26.  168.  11.  16.  178,  10. 
12  f.  22—24.  26  f.  179,  8  f.  181.  2.5-182.  11.  25  f.  183,  16—18. 
184,  1.  8—10. 

30         Sachlich  gehört  hierher:    Nr.  .555.  550.   559. 

'  Am  Abend  vorher  waren  Goethe  und  Meyer  von  ihrer 
Reise  durch  die  Frcantone  zurückgekehrt. 

*  Fast  wörtlich  übereinstimmend  mit  der  entsprechenden 
Stelle  in  Goethes  Reisetagebueh  (Tgb.  2.  186.  24—26). 

35  "  Von  Meyer?  (Vermuthung  Düntzers  WD.  23,  161  zu  Z.  9.) 
,Aegidy  Tscbudii  Chronicum  Helveticum.  .  .  zum  ersten- 
mal aus  dem  Originali  herausgegeben.  .  ,  von  Johann  Ru- 
dolf  Iselin,  .  .    Eri^ter  Tbeil   vom   Jahre   M   bis   MCCCCXV. 


300  ^J'ELL.  1797 

?  October  13.  Stäfa.  547 

[Nach],  Zürich  [Brief  an]  Madarne  Schulthess.  lieber 
epische  Dichtung,  .  .^ 
Briefverzeicliniss  1797.  —  Br.   12,  470. 

October  14,  Stäfa.  548    5  ] 

Wenn  ich  Ihnen  nun  von  meinem  Zustande  sprechen 
soll,  so  kann  ich  sagen,  dass  ich  bisher  mit  meiner  Reise 
alle  Ursache  habe  zufrieden  zu  sein.  Bei  der  Leichtig- 
keit, die  Gegenstände  aufzunehmen,  bin  ich  reich  ge- 
worden, ohne  beladen  zu  sein,  der  StofE  incommodirt  lo 
mich  nicht,  weil  ich  ihn  gleich  zu  ordnen  oder  zu  ver- 
arbeiten weiss,  und  ich  fühle  mehr  Freiheit  als  Jemals, 
mannichfaltige  Formen  zu  wählen,  um  das  Verarbeitete 
für  mich  oder  andere  darzustellen.  Von  den  unfrucht- 
baren Gipfeln  des  Gotthardts  bis  zu  den  herrlichen  is 
Kunstwerken,  welche  Meyer  mitgebracht  hat-,  führt  uns 
ein  labyrinthischer  Spazierweg  durch  eine  verwickelte 
Eeihe  von  interessanten  Gegenständen,  welche  dieses 
sonderbare  Land  enthält.  Sich  durch's  unmittelbare 
Ansehauen  die  naturhistorischen,  geographischen,  öko-  20 
nomischen  und  politischen  Verhältnisse  zu  vergegen- 
Avärtigen,  und  sich  dann  durch  eine  alte  Chronik  die 
vergangnen  Zeiten  näher  zu  bringen,  auch  sonst 
manchen  Aufsatz  der  arbeitsamen  Schweizer  zu  nutzen, 


Basel  MDCCXXXIV  2'  (An-abe  des  Titels  nach  Ildephons  25 
Fuchs:  Egidius  Tsehudi's  von  Glarus  Leben  und  Schriften.  . 
St.  Gallen,  bei  Huber  &  Cie.  1805  2.  119»:  das  dem  Titel 
gegenüberstehende  Kupfer  zeigt  im  Hintergrnnde  rechts 
Teil  vor  Gessler,  links  seitwärts  den  Knaben  mit  dem  Apfel 
auf  dem  Kopfe.  Vielleicht  wurde  Goethe  durch  diese  D.ar-  30 
Stellung  angeregt,  im  Augenblick  selbst  eine  Zeichnung  zu 
entwerfen. 

^  „Den  Hauptinhalt    [dieses  Briefes]    also  bildete  wohl  eine 
Mittheilung  über  das  epische  Gedicht  ,Tell'.  das  sich  damals 
in  ihm  gestalten  wollte,  .   ."  (B.  Suphan:    Goethe  und  Bar-  35 
bara  Schulthess.  GJ.  IH,  159). 

-  Aus  Italien. 


1797  TELL.  301 

[October  14,  Stäfa.]  [548] 

gibt,  besonders  bei  der  Umschriebenlieit  der  helvetischen 
Existenz,  eine  sehr  angenehme  Unterhaltung,  und  die 
Uebersieht  sowohl  des  Ganzen  als  die  Einsicht  in's  Ein- 

5  zelne  wird  besonders  dadurch  sehr  beschleunigt,  dass 
Me3'er  hier  zu  Hause  ist,  mit  seinem  richtigen  und 
scharfen  Blick  schon  so  lange  die  Verhältnisse  kennt 
und  sie  in  einem  treuen  Gedächtnisse  bewahrt.  So 
haben   wir  in  kurzer  Zeit  mehr  zusammengebracht,  als 

10  ich  mir  vorstellen  konnte,  und  es  ist  nur  Schade,  dass 
wir  um  einen  Monat  dem  AYinter  zu  nahe  sind;  noch  eine 
Tour  von  vier  "Wochen  müsste  uns  mit  diesem  sonder- 
baren Lande  sehr  weit  bekannt  machen. 

"Was    werden    Sie    nun    aber  sagen,  wenn  ich  Ihnen 

15  vertraue,  dass,  zwischen  allen  diesen  prosaischen  Stoffen, 
sich  auch  ein  poetischer  hervorgethan  hat,  der  mir  viel 
Zutrauen  einflösst.  Ich  bin  fast  überzeugt,  dass  die 
Fabel  vom  Teil  sich  werde  episch  behandeln  lassen, 
und  es  würde  dabei,  Avenn  es  mir,  wie  ich  vorhabe,  ge- 

20  lingt,  der  sonderbare  Fall  eintreten,  dass  das  Mährchen 
durch  die  Poesie  erst  zu  seiner  vollkommenen  "Wahr- 
heit gelangte,  anstatt  dass  man  sonst  um  etwas  zu 
leisten  die  Geschichte  zur  Fabel  machen  muss.  Doch 
darüber    künftig    mehr.     Das  beschränkte,  höchst  be- 

25  deutende  Local,  worauf  die  Begebenheit  spielt,  habe 
ich  mir  wieder  recht  genau  vergegenwärtigt,  so  wie  ich 
die  Charaktere,  Sitten  und  Gebräuche  der  Menschen  in 
diesen  Gegenden,  so  gut  als  in  der  kurzen  Zeit  möglich, 
beobachtet  habe,  und  es  kommt  nun  auf  gut  Glück  an, 

30       ob  aus  diesem  Unternehmen  etwas  werden  kann^. 
An  Schiller.  —  Br.  12,  327,  3— 328,  24. 


*  Die  ganze  Stelle  findet  sich,  mit  unwesentlichen  stilistischen 

Aenderungen,    in    der  ,Reise  in  die  Schweiz  1797*,  WH,  26, 

142  f. 

35         Schiller    erwiderte    am    30.  October:     „Die  Idee  von  dem 

, Wilhelm     Teil'    ist    sehr    glfioklich,     und     genau     überlegt 


302  TBLL.  1797 

October  18,   Stäfa.  549 

Abends  den  Anfang  von  Tschudis  Chronik  gelesen^. 
Tgb.  2,  188,  7  f. 

Decenaber  6,   Weimar.  550 

.  .  ich  werde  wohl  zunächst  an  meinen  .Faust'  gehen,    5 
theils  um  diesen  Tragelaphen-  los  zu  werden,  theils  um 

köuuten  Sie.   nach  dem  .Meister"  und   uach  dem   .Hermann' 
nur  einen   solchen,   völlig  local-charakttristischeu   Stoff,   mit 
der  gehörigen  Originalität  Ihres  Geistes  und  der  Frischheit 
der  Stimmung  behandeln.     Das  Interesse,  welches  aus  einer  lo 
streng     umschriebenen,     charakteristischen     Localität     und 
einer    gewissen     historischen    Gebundenheit    entspringt,     ist 
vielleicht  das  Einzige,  was  Sie  sich  durch  jene  beiden  vor- 
hergegangenen   Werke    nicht   weggenommen   haben.     Diese 
zwei  Werke  sind  auch  dem  Stoff  nach  ästhetisch  frei,   und  15 
so  gebunden  auch  in  beiden    das  Local  aussieht  und  ist,  so 
ist  es  doch  ein  rein  poetischer  Boden  und  repräsentirt  eine 
ganze  Welt.    Bei  dem  .Teil"  wird  ein  ganz  andrer  Fall  sein, 
aus    der    bedeutenden  Enge  des  gegebenen  Stoffes  wird  da 
alles  geistreiche  Leben  hervorgehen.     Es  wird  darin  liegen.  20 
dass  man  durch  die  Macht  des  Poeten  recht  sehr  beschränkt 
und  in  dieser  Beschränkung  innig  und  intensiv  gerührt  und 
beschäftigt  wird.     Zugleich  öffnet  sich  aus  diestem  schönen 
Stoffe  wieder  ein  Blick  in  eine  gewisse  Weite  des  Menschen- 
geschlechts,   wie    zwischen    hohen   Bergen   eine   Durchsieht  25 
in  freie  Fernen  sich  aufthut. 

Wie  sehr  wünschte  ich,  auch  dieses  Gedichtes  wegen,  bald 
Wieder  mit  Ihnen  vereinigt  zu  sein.  Sie  würden  sich  viel- 
leicht jetzt  eher  gewöhnen,  mit  mir  darüber  zu  sprechen,  da 
die  Einheit  und  Reinheit  Ihres  .Hermanns'  durch  Ihre  Mit-  30 
theilungen  an  mich,  während  der  Arbeit,  so  gar  nicht  ge- 
stört worden  ist"  (Schillers  Br.  5,  282). 

*  Die    ,Reise    in    die    Schweiz    1797'    hat  an  dieser  Stelle  ab- 
weichend:    ,, Abends    in    Tschudis    Chronik   weiter   gelesen" 
(WH.  26,  151),  was  nach  Düntzers  Bemerkung  iWD.  23.  167  35 
zu    Z.    10  f.)   eine  willkürliche  Aenderung  Eckermanns  sein 
soll. 

'  „Tragelaph"  (gr.  trag-§laphos  =  Bockhirsch,  ein  fabelhaftes 
Thier    des   Orients)    ist  ein   von   Goethe   öfters   gebrauchter 
Ausdruck  zur  Bezeichnung  eines   wunderlichen   Gebildes,  in  40 
welchem  einander  Widersprechendes  zu  Einem  verschmolzen 
erscheint. 


1798  TELL.  303 

[December  6,  Weimar.]  [550] 

mich  zu  einer  höhern  und  reinern  Stimmung,  vielleiclit 
zum  ,Tell',  vorzubereiten^. 

An  Schiller.  —  Br.  12.  372,  5—9. 

5  1798. 

März  22,  Jena.  —  s.  Nr.  7.  550a 

März  23,  Jena    —  s.  Nr.  8.  0.  550b 

März  28.  Jena.  —  s.  Nr.   11.  550c 

Mai  23.  Jena.  —  s.  Nr.  36.  550d 

10  Mai  2C.  Jena.  —  s.  Nr.  37.  550e 

Juni  30,   Weimar.  551 

Das  Beste,  was  mir  indessen-  zu  Theil  geworden  ist. 
möchte  wohl  die  nähere  Motivirung  der  ersten  Gesänge 
des  , Teils'  sein,  so  wie  die  klarere  Idee,  wie  ich  dieses 
15  Gedicht  in  Absicht  auf  Behandlung  und  Ton  ganz  von 
dem  ersten  [,Hermann  und  Dorothea']  trennen  kann, 
wobei  unser  Freund  [Wilhelm  von]  Humboldt  gelobt 
werden  soll,  dass  er  mir  durch  die  ausführliche  Dar- 
legung der  Eigenschaften  des  ersten^  das  weite  Feld 
20  deutlich  gezeigt  hat,  in  welches  hinein  ich  das  zweite 
spielen  kann.  Ich  hoffe,  dass  Sie  meine  Vorsätze  billigen 
werden. 

An  Schiller.  —  Br.  13.  199.  7—16. 


^  Am  8.  December  antwortete  Schiller:     ,,Es  ist  wohl   nicht 
25      übel,  dass  Sie  zwischen  Ihr  erstes  und  zweites  Epos   [, Her- 
mann   und    Dorothea'   und   ,Tell']    den   .Faust'   einschieben. 
Sie    schwellen    dadurch  den  poetischen  Strom,   und  erregen 
sich  ein  ungeduldiges  Verlangen  nach  der  neuen  reinen  l'ro- 
duction.  welches  schon  die  halbe  Stimmung  ist.    Der  .Faust', 
30      wenn  Sie  Ihn  nun  durchgearbeitet,  lässt  Sie  auch  sicherlich 
nicht  so,  wie  Sie  zu  ihm  kommen;  er  übt  und  schärft  irgend 
eine    neue  Kraft    in  Ihnen  und  so  kommen  Sie  reicher  und 
feuriger  zu  Ihrem  neuen  Werke"  (Schillers  Br.  5.  295). 
*  Goethe  hatte  zuletzt   am  28.  Juni   an  Schiller  geschrieben;    die 
35      letzte  Unterhaltung  hatte  am  20.  Juni  in  Jena  stattgefunden. 
'  s.   161,   30—32. 


304  ^rBLL.  1798 

Juli  21,  Weimar.  552 

Eigentlich  sollte  man  mit  uns  Poeten  verfahren  wie 
die  Herzoire  von  Sachsen  mit  Luthern,  nns  auf  der 
Strasse  wegnehmen  nnd  auf  ein  Bergschloss  sperren^. 
Ich  wünschte,  man  machte  diese  Operation  gleich  mit 
mir,  und  bis  Michael  sollte  mein  ,Tell'  fertig  sein-. 
An  Schiller.  —  Br.  13,  222,  12—17. 


^  Das  heisst:  sie  in  eine  Lage  versetzen,  wo  sie,  ohne  alle 
Ablenkung  und  Störung  von  aussen,  ganz  ihren  Dichtungen 
leben  könnten.  Unmittelbar  veranlasst  wurde  diese  Aeusser-  lo 
ung  durch  Schillers  Klage  über  die  Langsamkeit,  mit  der 
der  Bau  seines  Gartenhauses  tortschritt.  „Heute  habe  ich 
endlich  den  Trost,  das  Häuschen  unter  Dach  bringen  zu 
sehen.  Diese  Arbeiten  ziehen  mich  öfters,  als  nöthig  ist, 
vom   Geschäft  ab"  (Schillers  Br.  ö,  407).  i& 

*  Die  nächste  Aeusserung  Goethes  über  den  Gegenstand  findet 
sich  (abgesehen  von  Nr.  o52a)  erst  fünf  Jahre  später,  und 
zwar  fast  auf  den  Tag  genau,  in  seinem  Tagebuch,  wo  er 
unter  dem  22.  Juli  1803  vermerkt: 

„  [Mit]      H  o  f  r  a  t  h     von     Schiller     s  p  a  z  i  e  r  e  n.  2a 
Anlagevon,Tell'"; 
und  zwei  Tage  weiter,  am  24.  Juli: 

„Schiller     C  o  u  s  t  r.     [Construction?]    vou    ,  T  e  11 '." 
(Tgb.  3,  74,  21  f.  75,  2.) 

Hier  aber  handelt  es  sich  bereits  um  Schillers  drama-  25 
tische  Bearbeitung  des  Stoffes. 

Schiller  hatte,  wie  wir  gesehen  haben,  die  briefliche  Mit- 
theilung von  Goethes  neuem  epischen  Plane  mit  Freuden 
begrüsst  (s.  301,  35—302,  32)  und  später  auch  mündlich  dem 
Freunde  seinen  grossen  Beifall  für  den  Gegenstand  ausge-  30 
sprochen  (s.  4,  18  f.).  Er  selbst,  überreich  an  dramatischen 
Plänen  und  vollauf  in  Anspruch  genommen  durch  die  Arbeit 
am  ,Wallenstein',  an  ,Maria  Stuart'  und  der  ,Jungfrau  von 
Orleans',  hatte  bis  dahin  nie  an  eine  Bearbeitung  der  Tell- 
sage  gedacht.  Nun  aber,  im  Laufe  des  Jahres  1801,  wurde  er  35 
wiederholt  an  sie  erinnert  durch  Anfragen,  die  von  auswärts 
zu  ihm  gelangten.  „Ich  habe",  schreibt  Schiller  an  Cotta,  am 
16.  März  1802,  „so  oft  das  falsche  Gerücht  hören  müssen, 
als  ob  ich  einen  ,Wilhelm  Teil'  bearbeitete,  dass  ich  endlich 
auf    diesen  Gegenstand    aufmerksam   worden  bin,  und  das  40 


1799  TELL.  305 

1799. 

?  Juli  11.  Weimar.  552a 


Den  Tschudi^  gelesen. 
Tgb.  2,  255,  24. 


5  1806. 

Jan  Uli  r  16,  "Weimar.  553 

"Wie  Goethe  mir    [Eiemer]    mündlich  schon  den  16. 

Januar  1806  sagte,  so  sollte  sowohl  Teil  als  der  Laiid- 

vogt    in    einem    heitern   Charakter   erscheinen;    jener 

10       mehr  der  gute,  aber  unbesonnene  Teil,  und  der 


Cbronicon  Helveticum  vou  Tschudi  studirte.  Diess  hat 
iiiicli  so  sehr  angezogen,  dass  ich  nun  in  allem  Ernst  einen 
.\\'ilhelm  Teir  zu  bearbeiten  gedenke,  und  das  soll  ein  Schau- 
spiel werden,  womit  wir  Ehre  einlegen  wollen";   schon  am 

15  10.  März  1802  hatte  Schiller,  ohne  den  Gegenstand  zu  nennen, 
Goethe  brieflich  mitgetheilt:  seit  sechs  Wochen  ziehe  ihn 
ein  neuer  dramatischer  Stoff  an,  und  zwar  ,,mit  einer  Kraft 
und  Innigkeit,  wie  es  ihm  lange  nicht  begegnet  sei"  (.Schillers 
Br.  6,  363.  365),    Aehnlich  wie  1802  an  Cotta  schrieb  Schiller 

20  im  folgenden  Jahre  über  ,Teir  an  Iffiand  (1803  April  22); 
und  unter  dem  25.  August  1803,  also  etwa  vier  Wochen  nach 
den  (304,  20 — 23  angeführten)  Unterredungen  mit  Goethe, 
heisst  es  in  Schillers  Calender:  ,, Diesen  Abend  an  den  ,Tell' 
gegangen".     Nur  einmal  noch,  am  31.  October  1803,  finden 

25  wir  in  Goethes  Tagebuch  eine  hierhergehörende  Bemerkung: 
„Abends  bei  Schiller.  ,  T  e  1  T.  ,.F  a  u  s  t '.  P  h  i  - 
losophlca"  (Tgb.  3,  85,  13  f.). 

Schneller  als  Schiller  gedacht  hatte,  wurde  die  Dichtung  vol- 
lendet. Bereits  um  die  Mitte  des  Januars  1804  konnte  er  den 

30  ersten  und  zAveiten  Aufzug  an  Goethe  schicken,  am  18.  Feb- 
niar  das  Ganze. 

In  der  ersten  Hälfte  des  März  fanden  die  Proben  statt. 
„Den  17.  März  war  die  Aufführung  und  durch  diese  erste  wie 
durch  die  folgenden  Vorstellungen,  nicht  weniger  durch  das 

35      Glück,   welches   dieses   Werk   durchaus   machte,   die   darauf 
gewendete    Sorgfalt   und   ^Nlühe    vollkommen    gerechtfertigt 
und  belohnt"  (Tag-  und  .Jahres-Hefte,  1804,  W.  35,  186,  12—17). 
Sachlich  gehört  hierher:  309,  11—29.  310,  4—18.  314,  2—8. 
'  s.  299,  36. 

Graf,  Goethe  über  s.  Dichtungen  T.  I.  20 


306  TELL.  1816 

[Januar  16,  Weimar.]  [553] 

Landvogt  wenigstens  gegen  die  "Weiber  freundlich  und 
zuthulich  sein;  kurz  alles  lässlieher  gehalten,  und, 
soviel  ich  mich  erinnere,  auch  der  Apfelschuss  nicht  so 
barsch  präcipitirt.  6 

Mit  Riemer.  —  Riemer  2,  639. 

Januar  16,  Weimar.  554 

IS^ach  Tische  mit  Riemer  manches,  besonders  über  den 
epischen  ,Tell'  [vgl.  Nr.  553]^. 

Tgb.  3,  115,  4  f.  10 

1816. 

?  August  24,  Tenustädt.  —  s.  Xr.  432.  554a 

1833  oder  182^. 
][?  ?  ?]  555 

[Zu  1T97.]  Zum  drittenmale  besucht*  ich  die  kleinen  is 
Cantone-,  und  weil  die  epische  Form  bei  mir  gerade  das 
UebergeAvicht  hatte,  ersann  ich  einen  ,  T  e  11 '  unmittel- 
bar in  der  Gegenwart  der  classischen  Oertlichkeit.  Eine 
solche  Ableitung  und  Zerstreuung  war  nöthig,  da  mich 
die  traurigste  Nachricht  mitten  in  den  Gebirgen  er-  20 
reichte.  Christiane  Neumann,  verehlichte  Becker,  war 
von  uns  geschieden;  .  .^ 

Tag-  und  Jalares-Hefte,  1797.  —  W.  35,  74,  24—  75,  4. 


^  Sachlich  gehört  hierher  und    in  die  folgenden  Monate    des 
Jahres:  Nr.  .557.  25 

*  Der  erste  Besuch  hatte  im  Sommer  1775,  der  zweite  zu  Ende 
des  Jahres  1779  stattgefunden. 

*  Die  höchstbegabte  Schauspielerin  Christiane  Becker  war,  im 
Alter  von  neunzehn  Jahren,  am  22.  September  1797  gestorben. 
Dieses  Datum  macht  es  allerdings  wahrscheinlich,  dass  die  30 
Trauernachricht  Goethe  nicht  schon  während  der  Reise  (vgl. 
Nr.  544)  „mitten  in  den  Gebirgen",  sondern  erst  nach  der 
Rückkehr,  in  Stäfa,  getroffen,  und  demzufolge  die  oben  an- 
gegebene Beziehung  zur  Arbeit  am  ,Tell"  in  Wirklichkeit  nicht 
gewaltet  haben  könne.  35 

Als  wirklich  aber  kann  gerade    dieser    Zusammenhang 


1823  TELL.  307 

1823  oder  1835. 

][?  ?  ?]  556 

[Zu  1T9T— 1804.].    Im  Jahre  1:97  hatte  ich,  mit  dem 
aus     Italien    zurückkehrendeu    Freunde    Meyer,     eine 

5  "Wanderung  nach  den  kleinen  Cantonen,  wohin  mich 
nun  schon  zum  drittenmale^  eine  unglaubliche  Sehn- 
sucht anregte,  heiter  vollbracht.  Der  Yierwaldstätter 
See,  die  Schwyzer  Hocken,  Flüelen  und  Altorf,  auf 
dem  Hin-  und  Herwege  nur  wieder  mit  freiem  offenem 

10  Auge  beschaut-,  nöthigten  meine  Einbildungskraft, 
diese  Localitäten  als  eine  ungeheure  Landschaft  mit 
Personen  zu  bevölkern,  und  welche  stellten  sich  schneller 
dar  als  Teil  und  seine  wackern  Zeitgenossen?  Ich  er- 
sann hier  an  Ort  und  Stelle  ein  episches  Gedicht,    dem 

15  ich  um  so  lieber  nachhing,  als  ich  wünschte,  wieder^ 
eine  grössere  Arbeit  in  Hexametern  zu  unternehmen,  in 
dieser  schönen  Dichtart,  in  die  sich  nach  und  nach 
unsre  Sprache  zu  finden  wusste,  wobei  die  Absicht  war, 
mich  immer  mehr  durch  Uebung  und  Beachttmg  mit 

20       Freunden  darin  zu  vervollkommnen. 

Von    meinen    Absichten    melde    nur    mit  v>-enigem, 
dass  ich  in  dem  Teil  eine  Art  von  Demos  darzustellen 


30 


Goethen,  beinahe  ein  Menschenalter  später,  desshalb  sehr 
Avobl  erschienen  sein,  weil  er  in  seiner,  das  Andenken  von 
Christiane  Becker  feiernden.  Elegie  ,Euphrosvne'  ..mitten  in 
den  Gebirgen"  den  Schauplatz  sein  lässt,  wo  der  Geist  der 
Heimgegangenen  ihm  ihr  Abscheiden  selbst  verkündet.  Und 
dieses  innerliche  Erlebniss  haftete  tiefer  in  des  Dich- 
ters Gedächtniss,  als  die  Erinnerung  an  Ort  und  Zeit,  wo  er 
in  Wirklichkeit  zuerst  die  Botschaft  empfangen  hatte. 

Uebrigens  ist  es  erlaubt,  das  Fehlen  jeglicher  Notiz  über 
das  Eintreffen  der  Nachricht  im  Reisetagebuch  auch  allenfalls 
gegen  die  Richtigkeit  des  Zusammenhangs,  wie  Goethe  ihn 
oben  darstellt,  geltend  zu  machen  (vgl.  Düntzers  Erläute- 
rungen 24.  177  f.). 

^  Tgl.  306,  26  f. 

-  Vgl.  Nr.  544. 

'  Nach  .Reineke  Fuchs'  und  .Hermann  und  Dorothea'. 


308  TELL.  1823 

][???]  [556] 

vorhatte  und  ihn  clesshalb  als  einen  kolossal  kräftigen 
Lastträger  bildete^  die  rohen  Thierfelle  und  sonstige 
"Waaren  dureh's  Gebirg  herüber  und  hinüber  zu  tragen 
sein  .Lebenlang  beschäftigt,  und,  ohne  sich  weiter  um  & 
Herrschaft  noch  Knechtschaft  zu  bekümmern,  sein 
Gewerbe  treibend  und  die  unmittelbarsten  persön- 
licher. L'ebel  abzuwehren  fähig  und  entschlossen.  In 
diesem  Sinne  war  er  den  reichern  und  höhern  Land- 
leuten bekannt,  und  harmlos  übrigens  auch  unter  den  lo 
fremden  Bedrängern.  Diese  seine  Stellung  erleichterte 
mir  eine  allgemeine  in  Handlung  gesetzte  Exposition, 
wodurch  der  eigentliche  Zustand  des  Augenblicks  an- 
schaulich ward. 

!Mein  Landvoigt    war  einer  von  den  behaglichen  Ty-  is 
rannen,  welche  herz-  und  rücksichtlos  auf  ihre  Zwecke 
hin  dringen,  übrigens  aber  sich  gern  bequem  fmden,  dess- 
halb  auch  leben  und  leben  lassen,  dabei  auch  humori- 
stisch gelegentlich  diess  oder  jenes  verüben,  was  ent- 
Aveder  gleichgültig  wirken  oder  auch  wohl  Nutzen  und  20 
Schaden  zur  Folge  haben  kann.     Man  sieht  aus  beiden 
Schilderungen,    dass    die  Anlage  meines  Gedichtes  von 
beiden  Seiten  etwas  Lässliches  hatte  und  einen  gemesse- 
nen Gang  erlaubte,  welcher  dem  epischen  Gedichte  so 
wohl    ansteht.     Die  älteren  Schweizer  und  deren  treue  25^ 
Eepräsentanten,  an  Besitzung,  Ehre,  Leib  und  Ansehn 
verletzt,  sollten  das  sittlich  Leidenschaftliche  zur  inne- 
ren    Gährung,     Bewegung     und     endlichem   Ausbruch 
treiben,    indess    jene  beiden  Figuren  persönlich  gegen 
einander    zu    stehen  und  unmittelbar  auf  einander  zu  30 
wirken  hatten. 

Diese  Gedanken  und  Einbildungen,  so  sehr  sie  mich 
auch  beschäftigt  und  sich  zu  einem  reifen  Ganzen  ge- 
bildet hatten,  gefielen  mir,  ohne  dass  ich  zur  Ausfüh- 
rung mich  hätte  bewegt  gefunden.     Die  deutsche  Pro-  35 


1823  TELL.  309 

][?  ?  ?]  [556J 

sodie,  insofern  sie  die  alten  Sylbenmasse  nachbildete. 
Avard,  anstatt  sieh  zu  regeln,  immer  problematischer; 
die  anerkannten  ^Meister  solcher  Künste  und  Künstlich- 
h  keiten  lagen  bis  zur  Feindschaft  in  Widerstreit.  Hier- 
durch ward  das  Z^veifelhafte  noch  Ungewisser^;  mir 
aber,  wenn  ich  etwas  vorhatte,  war  es  unmöglich  über 
die  Mittel  erst  zu  denken,  wodurch  der  Zweck  zu  er- 
reichen   wäre;    jene    mussten  mir  schon  bei  der  Hand 

10       sein,  wenn  ich  diesen  nicht  alsobald  aufgeben  sollte. 

Ueber  dieses  innere  Bilden  und  äussere  Unterlassen 
waren  wir  in  das  neue  Jahrhundert  eingetreten.  Ich 
hatte  mit  Schiller  diese  Angelegenheit  oft  besprochen 
und  ihn  mit  meiner  lebhaften  Schilderung  jener  Fels- 

15  wände  und  gedrängten  Zustände  oft  genug  unterhalten, 
dergestalt,  dass  sich  bei  ihm  dieses  Thema  nach  seiner 
Weise  zurechtstellen  und  formen  musste^.  Auch  er 
machte  mich  mit  seinen  Ansichten  bekannt,  und  ich 
entbehrte  nichts  an  einem  Stoff,  der  bei  mir  den  Eeiz 

20  der  Xeuheit  und  des  unmittelbaren  Anschauens  ver- 
loren hatte,  und  überliess  ihm  daher  denselben  gerne 
und  förmlich,  wie  ich  schon  früher  mit  den  ,Kranichen 
des  Tbykus'  und  manchem  andern  Thema  gethsn 
hatte^;  da  sich  denn  aus  jener  obigen  Darstellung,  ver- 

25  glichen  mit  dem  Schillerischen  Drama,  deutlich  ergibt, 
dass  ihm  alles  vollkommen  angehört,  und  dass  er  mir 
nichts  als  die  Anregung  und  eine  lebendigere  Anschau- 
ung schuldig  sein  mag,  als  ihm  die  einfache  Legende 
hätte  gewähren  können*. 

3,  Tag-  und  .Jahres-Hefte,  1804.  —  \S'.  35,  182,  28—  185,  26. 


Vgl.  273,  16—274,  17.  275.  23—276.  6. 
Vgl.  Nr.  558. 

Von  den  Stoffen,  die  Schiller  zu  Balladen  benutzte,  hatte 
Goethe  ausser  den  .Kranichen  des  Ibykus'  .Hero  imd  Lean- 
der' in  seiner  Weise  behandeln  wollen  (vgl.  Br.  11.  84,  2 — 4. 
324.  12.  169.  17—19.  2.59.  5—7  und  Schillers  Br.  4.  451.  5, 
208.  232). 
Zur  richtigen  Auffassung  dieser  Stelle  vgl.  304,  27.  Danach  ist 


310  TEI.L.  1823 

][?  ?   ?]  557 

[Zu  1806,  und  1797—1804.]  So  gelangte  ich  dieses 
Jahr  bis  zum  vierten  Theil  einschliesslich^,  aber  mich 
beschäftigte  ein  wichtigeres  Werk.  Der  epische  ,Tell' 
kam  wieder  zur  Sprache^,  wie  ich  ihn  1797  in  der  5 
Schweiz  concipirt,  und  nachher  dem  dramatischen 
jTell'  Schillers  zu  Liebe  bei  Seite  gelegt.  Beide  konnten 
recht  gut  neben  einander  bestehen;  Schillern  war  mein 
Plan  gar  wohl  bekannt,  und  ich  war  zufrieden,  dass 
er  den  Hauptbegriff  eines  selbstständigen,  von  den  übri-  lo 
gen  ^''erschwornen  unabhängigen  Teil  benutzte;  in  der 
Ausführung  aber  musste  er,  der  Richtung  seines  Talents 
zufolge,  so  wie  nach  den  deutschen  Theaterbedürf- 
nissen, einen  ganz  anderen  "Weg  nehmen,  und  mir  blieb 
das  Episch-ruhig-grandiose  noch  immer  zu  Gebot,  so  is 
wie  die  sämmtlichen  Motive,  wo  sie  sich  auch  berührten, 
in  beiden  Bearbeitungen  durchaus  eine  andere  Gestalt 
nahmen. 

Ich  hatte  Lust  wieder  einmal  Hexameter  zu  schreiben, 
und  mein  gutes  Verhältniss  zu  Voss,  Vater  und  Sohn,  20 
liess    mich    hoffen    auch    in  dieser  herrlichen  Yersart 
immer    sicherer    vorzuschreiten^.     Aber  die  Tasre  und 


klar;  dass  Schiller  zu  seiner  Tell-Dicbtuug  nicht  durch 
Goethe  veranlasst  worden  ist.  Wolil  aber  gab  ihm  Goethe  die 
„Anregung",  indem  er  durch  die  Mittheilung  seines  eigenen  25 
epischen  Planes  Schillers  Aufmerksamkeit  auf  den  Gegen- 
stand und  auf  Tschudis  Chronik  lenkte,  vgl.  314,  2—8.  Weg<u 
der  „lebendigeren  Anschauung"  (309.  27  f.),  vgl.  Nr.  558. 

*  Goethe  war  damals  mit  der  Anordnung  und  Durchsicht  seiner 
Schriften  für  die  Ausgabe  der  Werke  Cotta^  beschäftigt.  Der  30 
,, vierte   Theil"   (das   heisst:   Band),   der  die   erste   Lieferung 
schloss,  ging  am  20.  August  1806  an  Cotta  ab. 

'  Vgl.  Nr.  553.  554. 

'  Der  Vater  Voss  liatte  schon  im  Sommer  1805  Jena  verlassen 
und  war  nach  Heidelberg  übergesiedelt;  der  Sohn  Heinrich.  35 
bis  dahin  in  Weimar  lebend,  folgte  iliin  im  November  1800. 
Sein   damaliges  Verhältniss  zu   beiden   erschien   Goethen  im 


1827  TELT^.  311 

J[?  ?  ?]  [557] 

Wochen  waren  so  ahnungsvoll,  die  letzten  Monate  so 
stürmisch^  nnd  so  "vrenig  Hoffnung  zu  einem  freieren 
Athemholen,  dass  ein  Plan,  auf  dem  Yierwaldstätter 
5  See  und  auf  dem  V\^ege  nach  Altorf,  in  der  freien  Xatur 
concipirt,  in  dem  beängstigten  Deutschland  nicht  wohl 
wäre  auszuführen  gewesen. 

Tag-  und  Jahres-Hefte,  180G.  —  W.  35,  247,  23—  248,  21. 

1827. 

10  Januar  18,  Abends,  Weimar.  558 

[Zu  1798—1803.]     -,,In  Schülern  lag  dieses  Xatur- 

betrachten  nicht.     Was  in  seinem  ,Tell"'  von  Schweizer 

Localität  ist,  habe  ich  ihm  alles  erzählt;  aber  er  war  ein 

so  bewundernswürdiger  Geist,  dass  er  selbst  nach  solchen 

15      Erzählungen  etwas  machen  konnte,  das  Eealität  hatte"^. 

Mit  Eckerniann.  —  Gespräclie  6,  26. 

Mai  6,  "Weimar.  559 

[Zu  1797—1804.]  .  .  Tischgesellschaft  bei  Goethe^.  .  . 

hohen  Alter  als  ein  ..gutes'";  richtiger  wohl  ist  --s  lum  einen 

20  Lieljlingsaiisdriick  Goethes  zu  brauchen)  als  ein  ..lüssliches" 
zii  bezeichnen,  wo  nicht  gar  als  ein  kühles;  und  dass  Goethe 
sich  damals  gegen  die  überstrengen  Forderungen  Vossens  ab- 
lehnend verhielt,  beweisen  gleichzeitige  Aeusserungen  zur 
Genüge,  zum  Beispiel  265,  9—23. 

25    ^  Mit  dem  14.  Oetober  1806,  dem  Tage  der  Schlacht  bei  Jena, 

war,  wie  Goethe  in  den  Tag-  und  Jahres-Heften  sagt.  ..das 

grimmigste  Unheil"  über  Stadt  und  Land  Weimar  hereinge- 

broclien  (W.  35.  259,  16  f.). 

'  s.  229,  4 — 12.  dem  die  obige  Aeusserung  sich  unmittelbar  an- 

30      schliesst. 

'  Dass  Schillers  meisterhafte  Darstellung  der  ,. Schweizer  Lo- 
calität" den  Erzählungen  Goethes  manches  verdankt,  ist 
zweifellos;  wichtiger  jedoch  als  diese  oder  zum  Wenigsten 
gleichwichtig  war  für  sie   Schillers  geniales   Studium  zahl- 

35      reicher,   die  Natur  und  das  Volk  der  Schweiz   schildernder, 
Schriften.     Die  wichtigsten  dieser  Quellenwerke  findet  man 
verzeichnet  in  Schillers  Werken  5,  513  f. 
*  Ausser  Eckermann  waren,  als  Gäste  Goethes,  Ampere  und 
Stapfer  zugegen. 


312  *  TELL.  1827 

[Mai  6,  Weimar.]  [559] 

Goethe  erzählte  ims  .  .  wie  er  im  Jahre  1797  den  Plan 
gehabt,  die  Sage  vom  Teil  als  episches  Gedicht  in  Hexa- 
metern zu  behandeln. 

„Ich  besuchte'',  sagte  er,    „im  gedachten  Jahre  noch  5 
einmal  die  kleinen  Cantone  um  den  Vierwaldstättersee, 
und    diese    reizende,    herrliche    und  grossartige  Natur 
machte    auf    mich    abermals    einen  solchen  Eindruck, 
dass    es    mich    anlockte,    die  Abwechselung  und  Fülle 
einer  so  unvergleichlichen  Landschaft  in  einem  Gedicht  10 
darzustellen.    Um  aber  in  meine  Darstellung  mehr  Eeiz, 
Interesse    und  Leben  zu  bringen,    hielt  ich  es  für  gut, 
den  höchst  bedeutenden  Grund  und  Boden  mit  ebenso 
bedeutenden  menschlichen  Figuren  zu  staffiren,  wo  denn 
die  Sage  vom  Teil  mir  als  sehr  erwünscht  zu  Statten  15 
kam^. 

„Den  Teil  dachte  ich  mir  als  einen  urkräftigen,  in 
sich  selbst  zufriedenen,  kindlich-unbewussten  Helden- 
menschen,  der  als  Lastträger  die  Cantone  durchwandert, 
überall  gekannt  und  geliebt  ist,  überall  hülfreich,  übri-  20 
gens  ruhig  sein  Gewerbe  treibend,  für  Weib  und  Kind 
sorgend,  und  sich  nicht  kümmernd  wer  Herr  oder 
Knecht  sei. 

„Den    G  e  s  s  1  e  r    dachte  ich  mir  dagegen  zwar  als 


^  Hiernach,  ebenso  nach  313,  25 — 32,  scheint  es,  als  ob,  wo  25 
nicht  ausscliliesslich,  so  doch  vor  allem  die  ,, unvergleichliche 
Landschaft"  der  Schweizer  Alpen  und  Seen  Goethes  Neigung 
zur  Dichtung  eines  Teil-Epos  geweckt  habe;  den  gleichen  Ein- 
druck empfängt  man,  wenn  mau  Goethes  Tagebuch  jener 
Reise  (oder  den,  von  diesem  wenig  verschiedenen,  Text  der  33 
,Reise  in  die  Schweiz  1797')  liest. 

Dagegen  erscheint  in  der  Darstellung  der,  Tag-  und  .lahros- 
Ilefte,  1804'  (s.  Nr.  556)  neben  dem  Interesse  an  der  Land- 
schaft als  gleich  stark  die  Theilnahme  an  den  Gestalten  der 
Teil-Sage,  wälirend  wiederum  die  letztere  in  Goethes  Brief  au  35 
Schiller  vom  14.  October  1797  (s.  Nr.  548)  als  das  Ursprüng- 
liche imd  Bewegende  erscheint. 


1827  TELL.  313 

[Mai  6,  Weimar.]  [559] 

einen  Tyrannen,  aber  als  einen  von  der  behaglichen 
Sorte,  der  gelegentlich  Gutes  thut,  wenn  es  ihm  Spass 
macht,  imd  gelegentlich  Schlechtes  thut,  wenn  es  ihm 

5  Spass  macht,  und  dem  übrigens  das  Volk  und  dessen 
Wohl  und  AVehe  so  völlig  gleichgültige  Dinge  sind,  als 
ob  sie  gar  nicht  existirten. 

„Das   Höhere  und  Bessere   der  menschlichen  Xatur 
dagegen,  die  Liebe  zum  heimathlichen  Boden,  das  Ge- 

10  fühl  der  Freiheit  und  Sicherheit  unter  dem  Schutze 
vaterländischer  Gesetze,  das  Gefühl  ferner  der  Schmach, 
sich  von  einem  fremden  "Wüstling  unterjocht  und  ge- 
legentlich misshandelt  zu  sehen,  uud  endlich  die  zum 
Entschluss  reifende  Willenskraft,  ein  so  verhasstes  Joch 

15  abzuwerfen  —  alles  dieses  Höhere  und  Gute  hatte  ich 
den  bekannten  edeln  Männern  W  a  1 1  h  e  r  Fürst, 
Stauffacher,  Winkelried^  und  andern  zuge- 
theilt,  und  dieses  waren  meine  eigentlichen  Helden, 
meine  mit  Bewusstsein  handelnden  höhern  Kräfte,  wäh- 

20  rend  der  Teil  und  Gessler  zwar  auch  gelegentlich  han- 
delnd auftraten,  aber  im  ganzen  mehr  Figuren  passiver 
Natur  waren. 

,.Yon  diesem  schönen  Gegenstande  war  ich  ganz  voll, 
und  ich  summte  dazu  schon  gelegentlich  meine  Hexa- 

25  meter.  Ich  sah  den  See  im  ruhigen  Mondschein,  er- 
leuchtete Xebel  in  den  Tiefen  der  Gebirge.  Ich  sah  ihn 
im  Glänze  der  lieblichsten  Morgensonne,  ein  Jauchzen 
und  Leben  in  Wald  und  Wiesen.  Dann  stellte  ich  einen 
Sturm  dar,    einen    Gewittersturm,    der    sich    aus    den 

30  Schluchten  auf  den  See  wirft.  Auch  fehlte  es  nicht  an 
nächtlicher  Stille  und  an  heimlichen  Zusammenkünften 
über  Brücken  und  Steffen^. 


^  Winkelried  steht  hior  walirsoheinlich  irrtliümlicb  für  Arnold 
vom  Melchthal. 
35    -  Sollte  es  nicht  heissen  müssen  „Stege"? 


314  TELL.  1830 

[Mai  6,  Weimar.]  [559] 

„Von  allem  Diesen  erzählte  ich  Schillern,  in  dessen 
Seele  sich  meine  Landschaften  und  meine  handelnden 
Figiiren  zu  einem  Drama  bildeten^.  Und  da  ich  andere 
Dinge  zu  thun  hatte  und  die  Ausführung  meines  Vor-  5 
Satzes  sich  immer  weiter  verschob,  so  trat  ich  meinen 
Gegenstand  Schillern  völlig  ab,  der  denn  darauf  sein 
bewundernswürdiges  Gedicht  schrieb." 

Wir  freuten  uns  dieser  Mittheilung,  die  allen  interes- 
sant zu  hören  war.  Ich  machte  bemerklich,  dass  es  mir  10 
vorkomme,  als  ob  die  in  Terzinen  geschriebene  prächtige 
Beschreibung  des  Sonnenaufgangs  in  der  ersten  Scene 
vom  zweiten  Theile  des  jFaust'^  aus  der  Erinnerung 
jener  Xatureindrücke  des  Vierwaldstättersees  entstan- 
den sein  möchte.  15 

..Ich  will  es  nicht  läugnen",  sagte  Goethe,  „dass  diese 
Anschauungen  dort  herrühren;  ja  ich  hätte  ohne  die 
frischen  Eindrücke  jener  wundervollen  Xatur  den  In- 
halt der  Terzinen  gar  nicht  denken  können.  Das  ist 
aber  auch  alles,  was  ich  aus  dem  Golde  meiner  Tell-Lo-  20 
calitäten  mir  gemünzt  habe.  Das  übrige  Hess  ich  Schil- 
lern, der  denn  auch  davon,  wie  wir  wissen,  den  schönsten 
Gebrauch  gemacht." 

Mit  Eckerniann.  —  Gespräche  G,  131—134. 

1830.  25 

]  [November,  zweite  Hälfte?  Weimar.]^  o59a 

[Zu  1775,  Juni.]  Am  neunzehnten  [Juni],  .  .  hinab 
an  den  Waldstätter  See,  .  .  Gegen  zwei  Uhr  dem  Grütli 
gegenüber,  wo  die  drei  Teilen  schwuren,  darauf  an  der 
Platte,  wo  der  Held  aussprang,  und  wo  ihm  zu  Ehren  die  30 
Legende  seines  Daseins  und  seiner  Thaten  durch  Malerei 
verewigt  ist.  Um  drei  Uhr  in  Flüelen,  wo  er  eingeschifft 
ward,  um  vier  L'hr  in  Altdorf,  wo  er  den  Apfel  schoss. 

'  Vgl.  dagegen  309.  38-310,  27. 

»  Fausts  Monolog  (V.  4679-4727.  W.  15  (1),  5—7):  35 

..Des  Lebens  Pulse  schlagen  frisch  lebendig." 
t  Wegen  der  Datirung  vgl.  die  erste  Erläuterung  zu  Nr.  1122. 


1830  TELL.  315 

] [November,  zweite  Hälfte?  Weimar.]  [559a] 

An  diesem  poetischen  Faden  schlingt  man  sich  billig 
durch  das  Labyrinth  dieser  Felsenwände,  die  steil  bis  in 
das  Wasser  hinabreichend  nns  nichts  zu  sagen  haben. 
5  Sie,  die  Unerschütterlichen,  stehen  so  ruhig  da,  wie  die 
Coulissen  eines  Theaters;  Glück  oder  Unglück,  Lust  oder 
Trauer  ist  bloss  den  Personen  zugedacht,  die  heute  auf 
dem  Zettel  stehen. 

Dergleichen    Betrachtungen    jedoch    waren    gänzlich 
10       ausser  dem  Gesichtskreis  jener  Jünglinge^;  .  .  . 

Dichtung  und  Wahrheit  Theil  4  Buch  18.  —  W.  29,  119, 
7-25. 

]  [November,  zweite  Hälfte?  Weimar.]^  .550b 

[Zu  1775,  Juni.].  Xicht  ohne  manche  neue  wie  erneii- 
15  erte  Empfindungen  und  Gedanken  gelangten  wir^  durch 
die  bedeutenden  Höhen  des  Yierwaldstätter  Sees  nach 
Küssnacht,  wo  wir  landend  und  unsere  Wanderung  fort- 
setzend, die  am  Wege  stehende  Tellen-Capelle*  zu  be- 
grüssen  und  jenen  der  ganzen  AYelt  als  heroisch-patrio- 
20  tisch-rühmlich  geltenden  Meuchelmord  zu  gedenken 
hatten. 

Dichtung  und  Wahrheit  Theil  4  Buch  19.  —  W.  29,  132, 
3—10. 


*  Das   heisst:   Goethes    und    des    Theologen    .Jakob     Ludwig 
25      Passavant;     dieser,     aus  Frankfurt     gebürtig,     zwei   Jahre 

jünger  als  jener,  lebte  damals  in  Zürich,  und  hatte  Goethe 
zu  einem  Besuche  der  Urcantoue  aufgefordert. 

=  s.  314,  37. 

'  Goethe  und  Passavaut  (s.  Z.  24-27).  Die  Empfindungen 
30  waren  zum  Theil  ..erneuert",  in  so  fern  die  Reisenden  we- 
nige Tage  vorher,  auf  dem  Wege  nach  dem  St.  Gotthardt, 
die  gleichen  Oertlichkeiten  beinihrt  hatten. 

*  Vgl.  299.  7  f. 


Unterhaltungen  deutscher  Ausgewanderten. 


Handschriften :  siud  nicht  bekannt. 

Erster  Druck:  1795,  in  ,Die  Hören  eine  Monatsschrift  heraus- 
gegeben von  Schiller.  Tübingen  in  der  J.  G.  Cottaischen 
Buchhandlung  1795',   und  zwar  enthält:  5 

Band  1  Stück  1  [Januar]  S.  49—78  die  Einleitung  bis  zu 
den  Worten  des  „Alten",  kurz  vor  Beginn  der  ersten  Ge- 
schichte: ,,  .  .  gespannte  Erwartung  wird  selten  befrie- 
digt" (W.  18,  95—127,  23); 

Band  1  Stück  2  [Februar]  S.  1—28  die  vier  ersten  Ge-  10 
schichten,  bis  zum  Beschluss  der  Abendunterhaltung  (W. 
18,  127,  24—158,  3); 

Band  2  Stück  4  [April]  S.  41— G7  die  Morgenunterhal- 
tung und.  als  fünfte  Geschichte,  die  Erzählung  vom  Pro- 
curator  (W.  18,  158,  4—187,  23);  15 

Band  3  Stück  7  [Juli]  S.  50—76  die  weitere  Unterhal- 
tung und.  als  sechste  Geschichte,  die  Erzählung  von  Eer- 
dinand  und  Ottilie  bis  zu  den  Worten  Luisens:  ..Diese 
Geschichte  gefällt  mir"  (W.  18,  187,  24^21(3.  2G); 

Band  3  Stück  9  [September]  S.  45—52  den  Schluss  der  20 
Geschichte  von  Ferdinand  und  Ottilie  und  den  Rest  der 
Unterhaltung,  bis  zum  .Mährchen'  (W.  18,  216.  27—222,  24); 

Band  4  Stück  10  [October]  S.  108—152  das  , Mährchen' 
(W.  18,  225—273). 

Goethes  Name  ist  nicht  genannt,  da  die  Verfasser  der  25 
Beiträge  in  den  .Hören'  nicht  namhaft  gemacht  wurden. 

Zweiter  Drucl-:  1808.  Werke  Cotta'  12.  157—342.  Voran  gehen 
.Das  Römische  Carneval',  ,Ueber  Italien.  Fragmente  eines 
Reisejoumals',  .Cagliostro',  Die  , Unterhaltungen'  schlies- 


175M  UNTERHALTUNGEN   D.  A.  317 


sen    den    Band    und  damit  zugleich  die  ganze  Ausgabe 
der  Werke  Cotta\ 

Dritter  Druck:   1S17,  Werke  Cotta=  13,  197— 3S2.     Die  Stellung 
wie  im  zweiten  Druck,  nur  dass  vor  den  ,Unterl\altungen* 
5  noch  ,Die  guten  Weiber'  eingeschoben  sind. 

Vierter  Druck:  1S2S,  Werke  Cotta'  15,  79—258.  Voran  gehen 
,Dle  Aufgeregten',  es  folgen  ,Die  guten  Weiber'  und  die 
.Novelle'. 

Im  Inlialtsverzeichniss  führt  die  Dichtung  den  Namen 
10  .Die  Ausgewanderten'. 

Weimarer  Ausgabe:  1895.  W.  18,  93—273  und  413—423.  Wegen 
der  Stellung  s.  211,  27—30. 


179^. 

October  28,  Weimar.  560 

15  ^.  .  die  Erzählung    soll    zu  Ende    des  Jaiirs    bereit 

sein  .  .- 

An  Schiller.  —  Br.  10,  205,  10  f. 


^  Am  26.  October  hatte  Goethe  Schillern  aufgefordert:  ..Schrei- 
ben Sie  mir  doch,  was  Sie  noch  etwa  zu  den  .Hören'  von  mir 

20  wünschen  und  wann  Sie  es  brauchten*'  (Br.  10,  204,  19 — 21). 
Darauf  hatte  Schiller  am  -28.  October,  dem  Tage  der  obigen 
Aeusserung.  erwidert:  ,,Da  Sie  mich  aufifordeiTi,  Ihnen  zu 
sagen,  was  ich  für  die  ersten  Stücke  [der  , Hören']  noch  von 
Ihrer  Hand  wünsche,  so  erinnere  ich  Sie  an  Ihre  Idee,  die 

25  Geschichte  des  ehrlichen  Procurators  aus  dem  Boccaz  zu  be- 
arbeiten. .  .  .  Rechne  ich  .  .,  dass  in  dem  ersten  Stück  Ihre 
Elegien  und  die  erste  Epistel,  in  dem  zweiten  die  zweite 
Epistel  und  was  Sie  etwa  diese  Woche  noch  schicken,  und  in 
dem  dritten  wieder  eine  Epistel  und  die  Geschichte  aus  dem 

so      Boccaz  von  Ihnen  erscheint,  so  ist  jedem  dieser  drei  Stücke 

sein  Werth  schon  gewiss"  (Schillers  Br.  4,  49  f.). 

'  An   Kürner    meldet  Schiller    am    7.   November    1794:     ,,Er 

[Goethe]  ist  jetzt  beschäfigt,  eine  zusammenhängende  Suite 

von  Erzählungen  im  Geschmack  des  ,Decameron'  des  Boccaz 

35  auszuarbeiten,  welche  für  die  , Hören'  bestimmt  ist"  (Schillers 
Br.  4,  54). 

Sachlich  gehört  in  diese  und  die  folgende  Zeit:  Nr.  623—626. 
628. 


318  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  1794 

November  27,  Weimar.  561 

Hier  schicke  ich  das  Manuseript^  und  wünsche,  dass 
ich  das  rechte  Mass  und  den  gehörigen  Ton  möge  ge- 
troffen haben.  Ich  erbitte  mir  es  bald  wieder  zurück, 
weil  hier  und  da  noch  einige  Pinselstriche  nöthig  sind,  5 
um  gewisse  Stellen  in  ihr  Licht  zu  setzen.  Kann  ich  die 
zweite  Epistel  und  die  erste  Erzählung-  zum  zweiten 
Stücke  stellen,  so  wollen  wir  sie  folgen  lassen  und  die 
Elegien  zum  dritten  aufheben,  wo  nicht,  so  mögen  diese 
voraus.  Zu  den  kleinen  Erzählungen  habe  ich  grosse  10 
Lust,  nach  der  Last,  die  einem  so  ein  Pseudo-Epos,  als 
der  Roman^  ist,  auflegt. 

Au  Schiller.  —  Br.  10,  207,  8—18. 


^  So  weit  es  in  Stück  1  der  ,Horeu'  zum  Abdruck  kam. 
^  Vom  „Procurator"  (vgl.  Nr.  560).  15 

^  ."S^'ilhelm  Meister'  war  gerade  im  Erscheinen  begriffen. 
Sciiillers  Antwort,  vom  29.  November,  lautet:     ,,Sie  haben 
mich  mit  der  unerwartet  schnellen  Lieferung  des  Eingangs  zu 
Ihren  Erzählungen  sehr  angenehm  überrascht,   und  ich  bin 
Ihnen  doppelt  dankbar  dafür.     Nach  meinem  L'rtheil  ist  das  £o 
Ganze  sehr  zweckmässig  eingeleitet,  und  besonders  finde  ich 
den  strittigen  Punct  [vgl.  319,  3]    sehr  glücklich    in"s  Reine 
gebracht.     Nur  ist  es  Schade,  dass  der  Leser  zu  wenig  auf 
einmal  zu  übersehen  bekommt,  und  daher  nicht  so  im  Staude 
ist,  die  nothwendigen  Beziehungen    des    Gesagten    auf    das  25 
Ganze  geliürig  zu  beurtheilen.     Es  wäre  daher  zu  wünschen 
gewesen,  dass  gleich  die  erste  Erzählung  hätte  können  mit- 
gegeben  werden.     Aber  ich   möchte   nicht   gerne   in   meinen 
Wünschen  unbescheiden  sein  und  Sie  veranlassen,  Ihre  Theil- 
nahme  an  den  Hören  als  ein  Onus  zu  betrachten.     Ich  unter-  30 
drücke  also  diesen  Wunsch  und  versichere  Ihnen  bloss,  dass, 
wenn  Sie  ihn,  ohne  sich  zu  belästigen,  realisiren  können,  Sie 
mir  ein  grosses  Geschenk  machen  würden. 

Nach  dem  Ueberschlag,  den  ich  gemacht  (und  ich  habe  ei- 
nige Blätter  durch  die  Worte  gezählt),  kann  das  Manuscript  35 
nicht  mehr  als  zwei  inid  einen  halben  Bogen  betragen,  dass 
also  noch  immer  ein  ganzer  Bogen  zu  füllen  übrig  bleibt. 
Wenn  es  auf  keine  andere  Art  zu  machen  ist.  so  will  ich  zu 
diesem  siebenten  Bogen  Rath  schaffen  und  ein  Morceau  aus 


171)4  UNTERHALT [NGEX   D.   A.  319 


December  2.  Weimar.  562 

Mir  ist  sehr  erfreulich,  dass  Sie  mit  meinem  Prologus 

im^  Ganzen  und  im  Hauptpuncte^  nicht  unzufrieden  sind; 

der   Niederländischen   Geschichte,    das    für   sich    iuteressiren 

5  kann,  die  Belagerung  von  Autweri)en  nuter  Philipp  IL,  d'u^ 
viel  Merkwürdiges  hat,  kurz  beschreiben.  Diese  Arbeit  macht 
mir  weniger  Mühe,  uud  es  würde  der  kleine  Neben-Zweck 
dabei  erreicht,  dass  schon  im  ersten  Stück  das  historische 
Feld  besetzt  Aviire.     Es  versteht  sich  aber,  dass  dieses  Expe- 

10  diens,  wenigstens  für  das  erste  Stüc-k,  uuterbleibt.  sobald 
Hoffnung  da  ist.  noch  mehr  von  Ihren  Erzählungen  zu  er- 
halten. Dass  die  Erscheinung  dieses  ersten  Stücks  nun  um 
eine  "Woche  verzögert  wird,  kann  freilich  nicht  venuieden 
werden;  indessen  ist  das  L'ebel  so  gross  nicht,  uud  vielleicht 

15  können  wir  es  dadurch  gut  macheu,  dass  das  zweite  Stück 
gleich  eine  Woche  nachher  erscheint. 

Weil  ich  mich  in  meiner  Annonce  au  das  Publicum  auf 
unsere  Keuschheit  in  politischen  Urtheilen  berufen  werde,  so 
gebe  ich  Ihnen  zu  bedenken,  ob  an  dem,  was  Sie  dem  Ge- 

20  heimenrath  in  den  Mund  legen,  eine  Partei  des  Publicums, 
und  nicht  die  am  wenigsten  zahlreiche,  nicht  vielleicht  An- 
stoss  nehmen  dürfte?  Obgleich  hier  nicht  der  Autor,  sondern 
ein  Interlocutor  spricht,  so  ist  das  Gewicht  doch  auf  seiner 
Seite,  und  wir  haben  uns  mehr  vor  dem,  was  scheint,  als 

25  was  ist,  in  Acht  zu  nehmen.  Diese  Anmerkung  kommt  von 
dem  Redacteur.  Als  blosser  Leser  würde  ich  ein  Vorwort  für 
den  Geheimenrath  einlegen,  dass  Sie  ihn  doch  durch  den 
hitzigen  Karl,  wenn  er  sein  L'nrecht  eingesehen,  möchten  zu- 
rückholen und  in  unserer  Gesellschaft  bleiben  lassen.     Auch 

30  würde  ich  mich  des  alten  Geistlichen  gegen  seine  unbarm- 
herzige Gegnerin  annehmen,  die  es  ihm  fast  zu  arg  macht. 

Ich  glaube  aus  einigen  Zügen,  besonders  aus  einer  grössern 
Umständlichkeit  der  Erzählung  am  Anfange  schliessen  zu 
können,  dass  Sie  die  Absicht  haben,  die  Vermuthung  bei  dem 

35  Leser  zu  erwecken,  dass  etwas  wirklich  Vorgefallenes  im 
Spiele  sei.  Da  Sie  im  Verlauf  der  Erzählungen  ohnehin  mit 
der  Auslegungs-Sucht  oft  Ihr  Spiel  treiben  werden,  so  wäre 
es  wenigstens  nicht  übel,  gleich  damit  anzufangen  xmd  das 
Vehikel  selbst  in  dieser  Rücksicht  problematisch  zu  machen. 

40      Sie    werden    mir    meine    eigene  Auslegungs-Sucht  zu   Gute 
halten"  (Schillers  Br.  4.  70—72). 
^  Was  unter  dem  „Hauptpuncte"  in  der  Einleitung  der  ,Un- 


320  UNTERHALTUNGEN  D.  A.  1794 

[December  2,  Weimar.]  [562] 

mehr  als  diesen  kann  ich  aber  für's  erste  Stück  nicht 
liefern.  Ich  will  ihn  noch  einmal  durchgehen,  dem  Ge- 
heimen Eath  und  Luisen  Sordinen  auflegen  und  Karlen 
vielleicht  noch  ein  Forte  geben,  so  wird's  ja  wohl  jii's  5 
Gleiche  kommen^.  .  .  .  In's  zweite  Stück  hoffe  ich  die 
Erzählung-  zu  bringen,  überhaupt  gedenke  ich  aber  wie 
die  Erzählerin  in  der  ,Tausend  und  Einen  Nacht'  zu 
verfahren^.  Ich  freue  mich  Ihre  Anmerkungen  sogleich 

terbaltungen'  zu  verstehen  sei,  ist  zweifelhaft;  jedenfalls  ist  lo 
es  dasselbe,  was  Schiller  in  seinem  Briefe  vom  29.  November 
den  „strittigen  Punet"  genannt  hatte,  der  von  Goethe  „sehr 
glücklich  in's  Reine  gebracht"  sei  (s.  318,  22  f.). 
^  Vgl.  Schillers  Bedenken  und  Rathschläge  319,  17—31, 

Unter  ,, Sordine"  (ital.  il  sordino  =  der  Dämpfer)  versteht  15 
man  eine  Vorrichtung,  um  die  Tonstärke  musikalischer  In- 
strumente zu  verringern.  Goethe,  in  dessen  Briefen  der  Ver- 
gleich  nicht   selten  begegnet,   hat,   wie  der  Ausdruck   „auf- 
legen" beweist,   den  Dämpfer  für  Violinen  vor  Augen. 

*  Vom  Procurator.  20 

*  Das  heisst:  gerade  so,  wie  es  in  den  .Unterhaltungen'  die 
Baronesse  von  C.  nicht  liebt.  Denn  dieser  legt  Goethe  fol- 
gende, an  den  Geistlichen  gerichtete,  Worte  in  den  Mund  (die 
übrigens  gewiss  des  Dichters  eigene  Ansicht  aussprechen) : 

.,  .  .  wenn  Sie  uns  eine  Geschichte  zur  Probe  geben  wollen,  25 
so  muss  ich  Ihnen  sagen,  welche  Art  ich  nicht  liebe.     Jene 
Erzählungen  machen  mir  keine   Freude,   bei   welchen,   nach 
Weise  der  ,Tausend  und  Einen  Nacht',  eine  Begebenheit  in 
die  andere  eingeschachtelt,  ein  Interesse  durch  das  andere 
verdrängt  wird;   wo   sich  der  Erzähler  genöthigt  sieht,   die  30 
Neugierde,   die   er  auf  eine   leichtsinnige   Weise  erregt   hat. 
durch  Unterbrechung    zu    reizen,    und    die  Aufmerksamkeit, 
anstatt  sie  durch  eine  vernünftige  Folge  zu  befriedigen,  nur 
durch  seltsame  und  keineswegs  lobenswürdige   Kunstgriffe, 
aufzuspannen.     Ich   tadle  das   Bestreben,   aus   Geschichten,  35 
die  sich  der  Einheit  des  Gedichts  nähern  sollen,  rhapsodische 
Räthsel  zu  machen  und  den  Geschmack  immer  tiefer  zu  ver- 
derben.   Die  Gegenstände  Ihrer  Erzählungen  gebe  ich  Ihnen 


1794  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  321 

[December  2,  Weimar.]  [562] 

ZU  nutzen  und  dadurcli  neues  Leben  in  diese  Composi- 
tion  zu  bringen^. 

An  Schiller.  —  Br.  10,  208,  13-19.     21—20!»,  2. 


30 


5  ganz  frei,  aber  lassen  Sie  uns  wenigstens  au  der  Form  sehen, 
dass  wir  in  guter  Gesellschaft  sind.  Geben  Sie  uns  zum 
Anfang  eine  Geschichte  von  wenig  Personen  und  Begeben- 
heiten, die  gut  erfunden  und  gedacht  ist,  wahr,  natürlich  und 
nicht   gemein,   so   viel   Handlung   als   unentbehrlich    und   so 

10  viel  Gesinnung  als  nüthig;  die  nicht  still  steht,  sich  nicht 
auf  Einem  Flecke  zu  langsam  bewegt,  sich  aber  auch  nicht 
übereilt;  in  der  die  Menschen  ei'scheinen.  wie  man  sie  gern 
mag,  nicht  volllvonimen.  aber  gut.  uiclir  ausserordentlich, 
aber  interessant   und     liebenswürdig.      Ilire     Geschichte    sei 

15      unterhaltend,  so  lauge  wir  sie  hören,  befriedigend,  wenn  sie 
zu   Ende  ist,    und  hinterlasse  uns  einen   stillen  Reiz  weiter 
nachzudenken"  (W.  18,  158,  19—159,  20). 
Vgl.  die  sachlich  hierher  gehörende  Aeussemng  Nr.  605. 

*  Der  Brief,  welchem  obige  Stelle  angehört,  ist,  in  etwas  an- 
20  derem  Wortlaut,  von  Goethe  eigenhändig  geschrieben,  noch 
einmal  vorhanden.  Das  Original  dieser  zweiten  Fassung 
wurde  im  Jahre  1891  in  London  versteigert,  und  kann  hier 
(wie  in  der  Weimarer  Brief -Ausgabel  nur  nach  einer  engli- 
schen Uebersetzung  angeführt  werden,  die  der  betreffende 
25      Auctionskatalog   brachte: 

„It  is  a  great  source  of  pleasure  to  me  that  you  are  not 
dissatisfied  with  mj-  Prologue  on  the  Whole  and  in  Material 
Parts.  I  cannot  however  let  you  have  more  than  this  for  the 
first  portion.  I  will  go  through  it  once  more.  I  will  streng- 
then  the  (characters  of )  the  Privy-Counsellor  and  Louise  and 
bring  out  that  of  Charles  more  prominently  and  in  this 
manner  all  will  be  well  balanced  —  this  Impromptu  working 
is  such  a  very  ticklish  affair:  Since  your  paper  will  be 
printed  first  —  I  have  probably  yet  some  time.  I  shall  take 
away  from  the  first  part  what  ought  to  be  taken  away.  In 
the  second  portion  I  hope  to  write  the  narrative.     I  am  glad 

Graf,  Goethe  über  s.  Dichtungen  T.  I.  21 


35 


322  UNTERHALTUNGEN  D.   A.  17!)4 

December  5,  Weimar.  563 

^Hierbei  das  Manuscript^,  ich  habe  daran  gethan,  was 
die  Zeit  erlaubte,  Sie  oder  Herr  von  Humboldt  sebn 
es  ja  vielleiclit  noch  einmal  durch^. 

Ich  habe  den  Schlussstrich  weggestrichen,  weil  mir  5 
eingefallen  ist,  dass  ich  wohl  noch  auf  eine  schickliche 
Weise  etwas  anhängen  könnte.  Wird  es  eher  fertig  als 
Ihre  Anzeige*,  so  könnte  es  zugleich  mit  abgehen. 
Schreiben  Sie  mir  nur  durch  den  rückkehrenden  Boten: 
ob  Ihnen  etwas  von  einer  Gespenster  massigen  lo 
Mystifications-Geschichte      bekannt      sei, 


to  be  able  at  onee  to  make  use  of  your  suggestions  and  by  so 
doing  a  introduce  a  new  life  into  this  work:  .  ."  (Br.  10,  403). 

^  Am  3.  December  hatte  Schiller  geschrieben:  „Da  ich  eben 
einen  Brief  von  Cotta  erhalte,  worin  er  wünscht  und  ver-  15 
spricht,  noch  vor  Ende  dieses  Monats  das  erste  Horenstüek 
zu  versenden,  wenn  es  nicht  an  Manuscripte  fehle,  so  bitte 
ich  Sie,  mir  die  Erzählungen  [die  Einleitung  der  .Unterhal- 
tungen', s.  316,  6—9]  womöglich  Freitags  [5.  December]  zu 
übersenden,  wo  ich  sie  abschicken  kann.    ...  20 

Da  die  Post  sogleich  abgeht,  so  habe  ich  nur  soviel  Zeit, 
um  Ihnen  für  die  Güte,  mit  der  Sie  meine  Bemerkungen  [s. 
318,  17]  aufnahmen,  .  .  zu  danken"  (Schillei-s  Br.  4.  74  f.). 

*  s.  316,  6-9. 

'  Wilhelm  von  Humboldt,  der  zur  Zeit  in  Jena  lebte.  Ob  25 
dieser  oder  Schiller  Goethes  Manuscript  durchgesehen  habe, 
ist  unbekannt.  Jedenfalls  sandte  Schiller  es  noch  am  selben 
Tage  an  Cotta  ab.  Gleichzeitig  schrieb  er  an  Körner:  ,,Von 
ihm  [Goethe]  findest  Du  in  dem  ersten  Stück  noch  [ausser 
der  , Ersten  Epistel']  den  Anfang  einer  Reihe  von  Erzäh-  30 
lungen;  aber  dieser  Anfang,  der  zur  Einleitung  dienen  soll, 
hat  meine  Erwartung  keineswegs  befriedigt.  Leider  trifft 
dieses  Unglück  schon  das  erste  Stück;  aber  e?  war  nicht 
mehr  zu  ändern",  ähnlich  am  29.  December  an  ebenden- 
selben (Schillers  Br.  4,  76.  90).  35 

*  Das  geschah  nicht.  Schillers  ,, Anzeige",  das  ist  die  öffent- 
liche Ankündigung  der  , Hören',  erschien  schon  am  10.  De- 
cember in  Nr.  140  des  Intelligenzblattes  der  .Allgemeinen 
Litteratur-Zeitung'   in   Jena. 


1794  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  323 


(December  5,  Weimar.]  [563] 

welche  vor  vielen  Jahren  Mademoiselle  C  1  a  i  r  o  n  be- 
gegnet sein  soll?  und  ob  vielleicht  in  irgend  einem  Jour- 
nal das  Mährchen  schon  gedruckt  ist?  Wäre  das  nicht. 

5  so  lieferte  ich  sie  noch,  und  wir  fingen  so  recht  vom  Un- 
glaublichen an,  welches  uns  sogleich  ein  unend- 
liches Zutrauen  erwerben  würde.  Ich  wünschte  doch, 
dass  das  erste  Stück  mit  voller  Ladung  erschiene.  Sie 
fragen  ja  wohl  bei  einigen  fleissigen  Journallesern  wegen 

10  der  Ciaironischen  Geschichte  nach,  oder  stellen  die  An- 
frage an  den  Bücherverleiher  Voigt,  der  doch  so  etwas 
wissen  sollte^. 

Au  Schiller.  —  Br.  10.  210,  11—  211,  5. 

December  G,   Weimar.  564 

15  An  den  ,Unterhaltungen'  will  ich  sachte  fort  arbeiten, 

.  .  Ich  hoffe,  es  soll  alles  gut  und  leicht  gehen,  v,>enn  wir 
nur  erst  im  Gange  sind. 


'■  Diese  Geschichte    der    französischen  Schauspielerin  Clairon 
benutzte  Goethe  dann  („travestirte"  sie,  s.  339,  17)    in    der 

20      ersten    Erzählung    seiner    »Unterhaltungen*.      Auf    welchem 
Wege  sie,  nicht  lange  vor  dieser  Zeit,  in  Goethes  Bekannten- 
kreis   und    zu  ihm  selbst  gedrungen  war,  darüber  berichtet 
eingehend  Düutzer  (.Erläuterungen'  15,  45»;  vgl.  339,  30. 
Schiller,    der    der  Meinung  war:  Goethe  wünsche  die  Ge- 

«      schichte  erst  kennen  zu  lernen,  erwiderte  am  6.  (.oder  schon 

am  5.)  December:  ,,Nach  der  Gespenstermässigen  Geschichte 

will     ich    mich   mit   dem    heutigen   Tage   sogleich    sorgfältig 

umthvm.     Ich  habe  nichts  davon  weder  gelesen  noch  gehört. 

.  .  .  [Für    die    Füllung    von    Stück  1  der  , Hören'  sei  nun 

30      gesorgt.]     Wenn  Sie  indessen,  während  dass  das  erste  Stück 

gedruckt  wird,   mit  der   Continuation   der    , Unterhaltungen' 

fertig    werden    sollten,    so    ist    der  Setzer    sogleich  für  das 

zweite  Stück  beschäftigt.  .  .  . 

Cotta    wünscht    gar   zu    sehr,    dass  zu  den  einzelnen  Auf- 

35  Sätzen  die  Namen  gedruckt  werden  möchten.  Man  könnte 
ihm,  deucht  mir,  unter  der  Restriction  willfahren,  dass 
er  bei  denjenigen  Auff^ätzen  wegbliebe,  wo  der  Verfasser 
nicht    gleich    genannt    sein    will.  .  .  .  Sollten    Sie    bei    den 


324  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  1794 

[Deceinber  6,  Weimar.]  [564] 

( *otta  mag  recht  haben,  dass  er  Namen  verhmgt^, 
er  kennt  das  Publicum,  das  mehr  auf  den  Stempel  als 
den  Gehalt  sieht^.  Ich  will  daher  den  übrigen  Mitar- 
beitern die  Entscheidung  wegen  ihrer  Beiträge  völlig  5- 
überlassen  haben;  nur  was  die  meinigen  betrifft,  muss 
ich  bitten,  dass  sie  s  ä  m  m  1 1  i  c  h  anonym  erscheinen, 
dadurch  wird  mir  ganz  allein  möglich,  mit  Freiheit  und 
Laune,  bei  meinen  übrigen  Verhältnissen,  an  Ihrem 
Journale  theilnehmen  zu  können^.  lo 

Au  Schiller.  —  Br.  10,  212,  10—22. 

December   10,    Weimar.  565 

AVegen  der  Ciaironischen  Geschichte  bin  ich  nun  be- 
ruhigt*, und  nun  bitte  ich  nichts  weiter  davon  zu  sagen. 
Bis  wir  sie  produciren.  is 

An  Schiller.  —  Br.  10,  214,  1—3. 

December  23,  Weimar.  566 

Ich    will    nun    auch    an    die    Gespenster-Geschichten 

gehen.    Vor  Ende  des  Jahrs  bring"  ich  noch  manches  bei 


.Unterhaltungen'  entweder  gar  nicht  genannt,  oder  nur  mit  2a 
einem     simpelu    G.    bezeichnet    zu    werden    wünschen,    so 
werden  Sie  die  Güte  haben,  mich  in  Ihrem  nächsten  Briefe 
davon  zu  benachrichtigen"  (Scliillers  Br.  4,  77  f.,  vgl.  wegen 
des  Datums  ebenda  4,  488  zu  S.  77  Z.  18). 

'  s.  323,  34-38.  2& 

*  „Nur  auf  den  Gehalt  und  nicht  auf  den  Stempel"  werde 
man  bei  Aufnahme  der  Beiträge  sehen,  heisst  es,  auffallend 
gleicldautend,  am  Schluss  der  öffentlichen  Anliündigung  der 
.Hören',  deren  Ausarbeitung  Schiller  am  9.  December,  also 
nach  Empfang  des  obigen  Briefes,  beendete  (Schillers  30 
Werke  13,  393,  1  f.). 

•^  Schiller  antwortete  am  9.  December:     „Auf  Ihren  und  unser 
aller  Namen  habe  ich  bei  Cotta  Arrest  gelegt,  .  .  . 

Von  der  Geschichte,  Mademoiselle  Clairon  betreffend,  habe 
ich  nichts  in  Erfahrung  bringen  können.  . .  ."  (Schillers  Br.  35 
4,  81). 

"  Vgl.  322,   10-323,  3. 


17Ü5  UNTERHALTUNGEN   D,   A.  325 


[December  23,  Weimar.]  [566] 

Seite,  um  Sie  mit  desto  freirem  Muthe  im  neuen  begrüs- 
sen  zu  könnend 

An  Schiller.  —  Br.  10,  216,  0—9. 

5  1795. 

Januar  3,  Weimar.  567 

Die  Gespenstergeschichten  denke  ich  zur  rechten  Zeit 
zu  liefern. 

An  Schiller.  —  Br.  10,  226,  16  f. 
10  Januar  7,  Weimar.  568 

Sonnabends   [10.  Januar],  erhalten  Sie  meine  Mähr- 
chen für  die  ,Horen';    ich  wünsche,    dass    ich    meines 
grossen  Vorfahren  in  Beschreibung  der  Ahndungen  und 
Visionen  nicht  ganz  unwürdig  möge  geblieben  sein-, 
15  An  Schiller.  —  Br.  10,  227,  3—6. 

Januar  10,  AVeimar.  569 

Beikommendes  Manuscript^  habe    ich    nach    der  Ab- 
schrift nicht  wieder  durchsehen  können.    Es  sollte  mir 
lieb  sein,  wenn  Ihnen  meine  Bemühung  mit  dem  grossen 
20      Hennings*  zu  wetteifern  nicht  missfiele^. 
An  Schiller.  —  Br.   10.   228,   11—14. 


'■  Gleichzeitig  schickte  Goethe  die  drei  ersten  Aushängebogen 
der  .Hören'  Stück  1  zurück,  die  Schiller  ihm  am  Tage  vor- 
her zugestellt  hatte. 

25  *  Scherzhafte  Anspielung  auf  den  Professor  der  I^ogik  und 
Äletaphysik  Hennings  in  Jena,  „der  in  den  Jahren  1777— 
1784  eine  ganze  Reilie  von  Schriften  veröffentliclit  hatte 
über  Ahnungen,  Visionen,  Geister.  Träume  und  Nachtwand- 
lerei"  (E.  v.  d.  Hellen  in  Br.  10,  407  zu  S.  227,  5);  vgl.  auch 

30      den  Schluss  von  Nr.  569. 

*  Der  für  Stück  2  der  , Hören'  bestimmte  Theil  der  ,TTnter- 
haltungen'.  s.  316,  10  f. 

*  s.  Z.  26—29. 

°  Eine    briefliche    Antwort    Schillers    erfolgte    hierauf    nicht, 
35      da    Goethe     Tags    darauf  nach  Jena   kam,   wo  er  bis  zum 
23.  Januar  blieb. 

Am  25.  Januar  sandte  Schiller  die.  Goethe  gebührenden, 
Exemplare  des  ersten  Stücks  der  , Hören',  das  einen  Tag 
nach  Goethes  Abreise  in  Jena  eingetroffen  war. 


326  UNTERHALTUNGEN  D.  A.  1795 

Februar  25,   Weimar.  570 

Da  ich  .  .  gleich  daran^  gehen  muss,  so  werden  Sie 

mich  vom  dritten  Stück  entschuldigen^;    dagegen    soll 

der  jProcurator',  in  völliger  Zierlichkeit,    zum    vierten 

aufwarten.  ^ 

An  Schiller.  —  Br.  10,  237,  7—10. 

März  11,  Weimar.  571 

Lassen  Sie  mich  indessen  sagen,  dass  ich  fleissig  war, 
.  .  und  dass  der  ,Procurator'  auch  durchgearbeitet  ist. 
Ich  wünsche,  dass  die  Art,  wie  ich  die  Geschichte  ge-  lo 
fasst  und  ausgeführt,  Ihnen  nicht  missfallen  möge. 
An  Schiller.  —  Br.  10,  241,  8.  10—12. 

März  IS,  Weimar.  572 

Der  ,Procurator"'  ist  .  .  geschrieben    und    darf    nur 
durchgesehen  werden.  Sie  können  ihn  also  zur  rechten  15. 
Zeit  haben.    .  .  . 

.  .  .  Der  ,Procurator'  ist  vor  der  Thüre. 
An  Schiller.  —  Br.  10,  245,  3—5.  21  f. 

März   19,   Weimar.  573 

Dem  ,Procurator',  der    hier  erscheint,    wünsche    ich  20 
gute  Aufnahme. 

Ilaben  Sie  die  Güte  mir  ihn  bald  zurückzuschicken, 
weil  ich  ihn  des  Stils  wegen  gerne  noch  einigemal  durch- 
gehen möchte*. 

An  Schiller.  —  Br.  10,  246,  1-5.  25 


'  Au  die  Durchsicht  des  vierten  Buchs  von  ,Wilhf>lm  Meisters 
Lehrjahren'. 

'  Am  22.  Februar  hatte  Schiller  geschrieben:  „Noch  mus« 
ich  Sie  ernstlich  bitten,  sich  unsers  dritten  Srücks  der 
.Heren'  zu  erinneni.  .  .  .  Glauben  Sie  wohl,  um  diese  Zeit  so 
[bis  zum  3.  März]  mit  dem  , Procura tor'  fertig  zu  sein? 
Meine  Mahnung  darf  Sie  aber  keineswegs  belästigen,  denn 
Sie  haben  völlig  freie  Wahl,  ihn  entweder  für  das  dritt» 
oder  vierte  Stück  zu  bestimmen,  weil  doch  eines  von  dieseii 
beiden  Stücken  von  Ihnen  übergangen  werden  soll"  (Schillers  35 
Br.  4,  133  f.). 

•  Am  selben  Tage  schrieb  Schiller:     „Sie  würden  mir  einen 


1795  UXTERHAT/rUNGEN  D.  A.  327 

März  21,  Weimar.  574 

Das  Manuseript^  schicke  ich  morgen  Abend  mit  der 
reitenden  Post  an  Sie  ab*. 

An  Schiller.  —  Br.  10,  246,  9  f. 


5  grossen  Dienst  erweisen,  wenn  Sie  mir  den  selmlieb  erwar- 
teten .Prociirator'  bis  Montag  [23.  März]  gewiss  schicken 
könnten.  Ich  würde  alsdann  nicht  genüthigt  sein,  den  An- 
fang meiner  Geschichte  [, Belagerung  von  AntwerjJen']  in 
den  Druck  zu  geben,  ehe  das  Ende  fertig  ist.     Sollten   Sie 

10  aber  verhindert  sein,  so  bitte  ich  mir  es  noch  Sonnabends 
zu  wissen  zu  thun.     Doch  hoffe  ich  das  Beste.  .  .  . 

20.  [März.]  Diesen  Morgen  erhalte  ich  Ihr  Paquet,  welches 
mich  in  jeder  Rücksicht  froh  überraschte.  Die  Erzählung? 
liest   sich   mit  ungemeinem   Interesse;   was   mich   besonders 

15  erfreute,  war  die  Entwicklung.  Ich  gestehe,  dass  ich  diese 
erwartete,  und  ich  hätte  mich  nicht  zufrieden  geben  können, 
wenn  Sie  hier  das  Original  nicht  verlassen  hätten.  Wenn 
ich  mich  nemlich  anders  recht  erinnere,  so  entscheidet  beim 
Boccaz    bloss    die    zeitig   erfolgte   Rückkehr  des   Alten   das 

20      Glück  der  Cur. 

Könnten  Sie  das  Manuscript  mir  Montags  [23.  März]  früh 
zurücksenden,  so  geschähe  mir  dadurch  eine  grosse  Gefällig 
keit.  Sie  werden  wenig  mehr  dabei  zu  thun  finden" 
(Schillers  Br.  4.  149  f.). 

25  Ueber  Goethes  Quelle  für  die  Erzählung  vom  Procurator, 
deren  Schluss  er  nach  seiner  Weise  veredelte,  vgl.  GJ.  4, 
438  f.  und  die  Vorreden  der  Herausgel^er  (so  WH.  16.  12-  - 
15.  WD.  14,  25  f.),  wo  auch  Schillers  leichte  Irrthümer  in 
Bezug  auf  Boccaccio  und  auf  die  Art  des  Schlusses  in  der 

30      italienischen    Fassung   der   Geschichte    genugsam    berichtigt 
sind. 
^  Die  .Unterhaltungen',  so  weit  sie  im  vierten  Stück  der  .Hören* 

zum  Abdruck  kamen,  s.  316,  13—15. 
*  Wilhelm  von  Humboldt,  dem   Schiller  das  Manuscript  mit- 

35  theilte.  bevor  es  zum  Druck  abging,  schrieb  am  23.  März 
an  Goethe:  „Den  .Procurator'  habe  ich  mit  grosser  Freude 
gelesen.  Es  ist  eine  gar  zierliche  Geschichte  und  die  Dar- 
stellung ist  Ihnen  in  hohem  Grade  gelungen.  Nebenher  habe 
ich  mich  auch  gefreut,  dass  Sie  den  Nutzen  des  Wasser- 

40      t  r  i  n  k  e  n  s    so  in's  Licht  stellen"  (G.T.  8,  64). 

Die   wenigsten   Urtheile   lauteten   so   beifällig.     Schon   am 


328  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  1795 


Mai  3,  Weimar.  575 

Erinnern  Sie  mich  manchmal  an  die  Desiderata^  da- 
mit mein  guter  AYille  zur  That  werde. 
An  Scliiller.  —  Br.  10,  254,  19  f. 


19.  Februar  liatte  Charlotte  von  Stein  über  die  im  zweiten    5 
Stücli    der    , Hören'    entlialtenen    Erzählungen    an   Schillers 
Frau   geschrieben:     ,,Dem   Goethe  scheint's  gar  nicht  mehr 
Ernst    um's    Schreiben    zu    sein,    dass  er  die  bekannte   Ge- 
schichte der  Mademoiselle  Clairou,  die  er  nach  Italien  trans- 
portirt,  die  vom  Klopfen,  welche  mir  vor  drei  Jahren  Herr  10 
von  Pannewitz  erzählte,  dass  sie  sich  in  seiner  Eltern  Haus 
zugetragen,    und    die  aus  des  Bassompierre  sehr  bekannten 
memoires,  die  er  doch  walirhaftig  uic'it  wird  für  eine  Geister- 
geschichte wollen  passiren  lassen,  indem  sie  sehr  körperlich 
war,  gut  genug  zum   Inlialt  eines  so   respectabeln  Journals  15 
wie  die  .Hören'  hält"  (Charlotte  Schiller  2,  299). 

Kürner  hatte  am  10.  Februar  über  den  ersten  Abschnitt 
an  Schiller  geschrieben:  „Die  .Unterhaltungen  deutscher 
Ausgewanderten'  erkennt  man  wohl  für  ein  Goethesches  Pro- 
duct.  und  freut  sich  über  einzelne  Stellen;  aber  den  , Meister'  20 

—  den  ich  nun  endlich  seit  ein  paar  Tagen  bekommen  habe 

—  darf  man  nicht  daneben  stellen";  am  8.  ISIai  aber  heisst 
es  in  seinem  Briefe  an  Schiller:  ,.  .  .  was  meint  denn  Goethe 
eigentlich  mit  seinen  ,Unterhaltungen'?  Das  erste  Stück  war 
mir  begreiflich,  und  ich  erkannte  ihn  in  manchen  Stellen.  25 
Auch  im  zweiten  interessirte  mich  die  Darstellung  bei  der 
ersten  Erzählung.  Aber  für  das  dritte  weiss  ich  nichts  zu 
sagen.  Und  was  soll  daraus  werden,  wenn  es  noch  immer 
decrescendo  geht?  Von  allen  Seiten  hör'  ich  Klagen  über 
diese  Aufsätze,  und  wenn  icli  mich  ihrer  annehme,  so  werde  30 
ich  der  Parteilichkeit  beschuldigt"  (Schiller-Körner  2.  142. 
154). 

Endlich  stehe  hier  noch  eine  Mittheilung  aus  Wilhelm  von 
Humboldts  Brief  an  Schiller  vom  17.  Juli:  „Ich  war  .  .  Einen 
Tag    in    Berlin    und    melde    Ihnen    doch    einige    possierliche  35 
Dinge. 

Zuerst  über  die  ,Horen'.  Nichts  als  was  wir  längst  hörten. 
Die  ,Unterhaltungen'  missfallen  durchaus  und  total,  auch 
der  .Procurator'.  .  .  ."  (Schiller-Humboldt  S.  60.  24—28).  40 

Vgl.  dagegen  Nr.  576. 
»  Zu  diesen  gehörten  auch  die  , Unterhaltungen'.     „Verlassen 


1795  UNTERHALTUNGEN  D.  A.  329 

Mai  16,  Weimar.  576 

^Zum  siebenten  Stück  [der  ,Horen'],  kann  ich  Ihnen 
nahe  an  zwei  Bogen  versprechen. 

Lassen  Sie  uns  nur  unsern  Gang  unverrückt  fort- 
5  gehen;  wir  wissen,  was  wir  geben  können  und  w  e  n 
wir  vor  uns  haben.  Ich  kenne  das  Possenspiel  des 
deutschen  Autorwesens  schon  zwanzig  Jahre  in-  und 
auswendig;  es  nauss  nur  fortgespielt  werden, 
weiter  ist  dabei  nichts  zu  sagen-. 
10  An  Schiller.  —  Br.  10,  258,  15—23. 

Juni  13,  Weimar.  577 

Vor  Ende  dieses  Monats  geh'  ich  von  hier  nicht  weg, 
und  lasse  Ihnen  noch  für  das  siebente  Stück  eine  ge- 
wöhnliche  Portion^    , Unterhaltungen"    zurück. 


15  Sie  sich  darauf",  antwortete  Schiller  am  4.  Mai,  „dass  ich 
Ihrem  Gedächtniss  zu  Hülfe  kommen  werde.  Ich  schenke 
Ihnen  kein  Versprechen.  Der  Chronologie  der  , Hören*  nach 
würden  Sie  jetzt  bald  wieder  auf  die  ,Unterhaltungen'  zu 
denken  haben"  (Schillers  Br.  4,  165). 

20  ^  Schiller  sehrieb  am  15.  Mai:  „Cotta  ist  mit  der  Messe  ziem- 
lich zufrieden.  .  .  .  Nur  bittet  er  [in  Bezug  auf  die  , Hören'] 
sehr  um  grössere  Mannichfaltigkeit  der  Aiifsätze.  Viele 
klagen  über  die  abstracten  Materien,  viele  sind  auch  an 
Ihren   .Unterhaltungen'    irre,    weil    sie,    wie    sie    sich    aus- 

25  drücken,  noch  niiht  absehen  können,  was  damit  werden  soll. 
Sie  sehen,  unsre  deutschen  Gäste  verläugneu  sich  nicht;  sie 
müssen  immer  wissen,  w  a  s  sie  essen,  wenn  es  ihnen  recht 
schmecken  soll.  Sie  müssen  Begriff  davon  haben" 
(Schillers  Br.  4,  172). 

30    '  Schiller  antwortete  am  18.  Mai:  ..Dass  Sie  für  das  siebente 

Stück  so  freundlich  sorgen,  dafür  sei  Ihnen  tausend  Dank 

gesagt"  (Schillers  Br.  4,  175). 

*  Eine  ,, gewöhnliche  Portion",  wie  aucli  Stück  7  der  .Hören' 

sie  bringen  sollte,  füllte  sechsundzwanzig  bis  dreissig  Seiten 

35  des  Horen-Formats.  Für  Stück  7  war  die  sechste  Ge- 
schichte bestimmt  (.Ferdinand  und  Ottilie'). 

Schiller  hatte  am  12.  Juni,  begierig  auf  einen,  von  Goethe 
versprochenen,  anderweitigen  Beitrag  für  die  , Hören',  ange- 


330  UNTERHALTUNGEN   D.  A.  1795 

[Juni  18,  Weimar.]  [577] 

Bis  dahin  ist  auch  die  zweite  Hälfte  des  fünften  Buchs 
[,Wilhelm  Meisters  Lehrjahre']  abgeschrieben,  und  so 
hätten  wir  uns  der  Widerwärtigkeit^  so  gut  als  möglich 
zu  unsern  Arbeiten  bedient.  5 

An  Schiller.  —  Br.  10,  267,   13—19. 

Juni  18,  Weimar.  r.78 

Ich  werde  etwa  zu  Ende  der  andern  Woche  bei  Ihnen 
sein  und  wo  möglich  die  versprochene  Erzählung^  mit- 
bringen. 10 
An  Schiller.  —  Br.  10,  268,  16-18. 

Juni  27,  Weimar,  579 

Eine  Erzählung  für  die  ,Horen'^    und    ein  Blättchen 
für  den  Abnanach  mögen  meine  Vorläufer  sein*. 

An  Schiller.  —  Br.  10,  272,  8  f.  15 

Juli  8,  Karlsbad.  580 

Indem  ich  auf  meiner  Herreise^  einige  alte  Mährchen 
durchdachte,    ist    mir    verschiedenes  über  die  Behand- 
lungsart derselben  durch  den  Kopf  gegangen.     Ich  will 
ehstens  eins  schreiben,  damit  wir  einen  Text  vor  uns  20 
haben®. 

An  Schiller.  —  Br.  10,  277,  7—11, 


fragt:  „Kann  ich  aber  auch  noch  auf  die  Fortsetzung  der 
, Unterhaltungen'  für  das  siebente  Stück  zählen?"  und  ant- 
wortete auf  Obiges    am   15.  Juni:  „  .  .  auf    die    .Unterhai-  25 
tungen',   wozu  Sie  mir  Hoffnung  gemacht  haben,   harre  ich 
mit  grossem  Verlangen"  (Br.  4,  183.  188). 
'  Körperlichen  Uebelbefindens, 

*  Die   sechste    Geschichte    der    ,Unterhaltungen'    C, Ferdinand 
und  Ottilie')  für  Stück  7  der  .Hören'.  30 

^  s.  die  vorhergehende  Erläuterung. 

*  Zwei  Tage  später,  am  29.  Juni,  traf  Goethe  in  Jena  ein  und 
reiste  am  2.  Juli  weiter,  nach  Karlsbad. 

°  Von  Jena  nach  Karlsbad,  am  2.  und  3.  Juli. 

*  Während  des  Aufenthaltes    in  Karlsbad    hat  Goethe    mög-  35  ; 
licherweise  an    dem   , Mährchen'    gearbeitet    und    vielleicht 
auch  auf  der  Rückreise  (die  ihn  am  10.  August  wieder  über 
Jena  führte)  mit  Schiller  darüber  gesprochen. 


1795  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  331 

August  17,  Weimar,                                                                        581 
Ich  sehe  voraiis,  dass  ich  Anfangs  September  nacli 
Ilmenau    muss    und    dass    ich  unter  zehn  bis  vierzehn 
Tagen  dort  nicht  loskomme;  bis  dahin  liegt  noch  vieler- 
5      lei  auf  mir  und  ich  wünschte  noch  von  Ihnen  zu  -n-issen. 
was  Sie  zu  den  , Hören"  bedürfen.     Soviel  ich  übersehe, 
könnte  ich  Folgendes  leisten: 
August.    jUnterhaltungen",    Schluss    der    letzten    Ge- 
schichte^  

30  September. 

Das    .Mährchen".      Ich    würde    die    ,  Unterhal- 
tungen" damit  schliessen,  und  es  würde  vielleicht 
nicht  übel  sein,  wenn  sie  durch  ein  Product  der 
Einbildungskraft  gleichsam  iu's  Unendliche  aus- 
35  liefen. 

Oetober.  Fortsetzung  des  ,Mährchens"'^. 

An   Schiller.  —  Br.   10,   285,   26—286,   16. 

August  18,  Weimar.  5S2 

20  Den    Beschluss    der    Geschichte  und  den  Uebergang 

zum  3Iährchen"  übersende  ich  bald  möglichst,  ich  glaube 

aber  nicht,  dass  es  einen  gedruckten  Bogen  ausfüllen 

wird^.  Zu  dem  ,Mährchen"'  selbst  habe  ich  guten  Mutli,. 

es  unterhält  mich  und  wird  also  doch  wohl  auch  einiger- 

25      massen  für  andere  unterhaltend  sein. 

An  Schiller.  —  Br.  10,  288,  22—289,  3. 

August  21,  Weimar.  583 

Mehr   ein   Uebersprung   als  ein  Uebergang  vom  bür- 


'  s.  330,  29  f. 
30  '  Schiller  erAviderte  am  selben  Tage:  ..Mit  der  Ausführuag 
dessen,  was  Sie  für  die  restirenden  Monate  in  die  .Hören' 
versprechen,  werden  Sie  mir  grosse  Freude  machen,  .  .  .  Das 
, Mährchen'  wird  mich  recht  herzlich  erfreuen  und  die  .Un- 
terhaltungen' für  dieses  Jahr  schön  schliessen"  (Schillers 
35      Br,  4,  236). 

'  Gerade  die  Hälfte,  acht  Seiten,  wurden  gefüllt,   s.  316,  20. 


332  UNTERHALTUNGEN  D.   A.  1795 

[August  21,  Weimar.]  [583] 

gerlichen  Leben  zum  ,Mährchen'  ist  mein  diessmaliger 
Beitragt  geworden.     Nehmen  Sie  damit  vorlieb. 

.  .  .  Die  erste  Portion  des  ,Mährchens'  erhalten  Sie 
vor  Ende  des  Monats-.  5 

An  Schiller.  —  Br.  10,  290,  1—3.  8  f. 

August  22,  Weimar.  584 

Es  freut  mich,  dass  meine  kleine  Gabe  zur  rechten 
Zeit  kam^.  Die  erste  Hälfte  des  ,Mährchens'  sollte 
nach  meiner  Eechnung  auch  in's  neunte  Stück  kommen;  lo 
inwiefern  es  nöthig  oder  thulich  sei,  wollen  wir  Mon- 
tags [2-1:.  August]  bereden,  da  ich  Sie  mit  Meyern  zu 
besuchen  gedenke*. 

An  Schiller.  -  Br.  10.  290,  18-291,  4. 


^  Für  Stück  9  der  .Hören',  s.  316,  20—22.  15 

^  Noch  am  Abend  desselben  Tages  antwortete  Schiller:  ,,Tch 
erinnere  mieli.  wie  ich  einmal  vor  sieben  Jahren  in  Weimar 
sass  und  mir  alles  Geld  bis  etwa  auf  zwei  Groschen  Porco 
ausgegangen  war,  olme  dass  ich  wusste,  woher  neues  zu 
bekommen.  In  dieser  Extremität  denken  Sie  Sich  meine  20 
angenehme  Bestürzung,  als  mir  eine  längst  vergessene 
Schuld  der  Litterat ur-Zeitung  an  demselben  Tage  übersendet 
wurde.  Das  war  in  der  That  Gottes  Finger,  und  das  ist 
auch  Ihre  heutige  Mission.  Ich  wusste  in  der  That  nicht, 
was  ich  Cottaen.  der  Manuscript  für  das  neunte  Stück  25 
Döthig  hat,  heute  senden  sollte,  und  Sie,  als  ein  wahrer 
Himmelsbote,  senden  mir  zwar  nur  etwa  V2  Bogen,  aber 
doch  genug,  um  mit  dem  , Apollo'  [Hymnus,  nach  dem  Grie- 
chischen, von  Goethe;  W.  4.  321—326]  einen  ganzen  auszu- 
machen. 30 

Ich  werde  kaum  Zeit  haben,  dieses  Manuscript  noch  zu 
lesen,  ob  ich  es  gleicli  in  orthographischer  Rücksicht  sorg- 
fältig durchlaufen  Avill. 

Auf  Ihr  , Mährchen'  freue  ich  micli   selir.  denn  es  scheint 
unter  sehr  guten  Auspicien   zur  Welt  zu   kommen"  (Schillers  35 
Br.  4.  243  f.). 

'  s.  Z.  15—30. 

*  Goethe    kam,    seiner    Ankündigung    entsprechend,    am    24. 
August  auf  einige  Stunden  nach  Jena,  fand  aber  den  Freund 


1795  UNTERHALTUNGEN  D.  A.  333 


August  24  Abends,  Weimar.  585 

Ich  ■wünsche  zu  vernehmen,  dass  der  gute  Effect  des 
, Mährchens'  nachgekommen  ist  und  die  Folge  den  an- 
fänglichen bösen  Eindruck  wieder  ausgelöscht  hat^. 
5  An  Schiller.  —  Br.  10,  291,  14—17. 


körperlich  leidend,  so  dass  aus  diesem  Grunde  oder  aus 
Mangel  an  Zeit  die  beabsichtigte  Besprechung  unterblieben 
zu  sein  und  Schiller  während  Goethes  Anwesenheit  nur  den 
Aufaui^   des   .Mährchens"   kennen   gelernt  zu   haben   scheint. 

10         Am  Abend  desselben  Tages,  nach  Weimar  zurückgekehrt, 

schrieb  Goethe,  wie  in  Nr.  585  zu  lesen. 

*  Vgl.  die  vorhergehende  Erläuterung.  Am  29.  August  schrieb 

Schiller:     ,,Das  .Mälirchen'   ist  bunt  und   lustig  genug,  v.nd 

ich  linde  die  Idee,  deren  Sie  einmal  erwälinten:  ,,daÄ  geg^u- 

15  seitige  Hülfleisten  der  Kräfte  und  das  Zurückweisen  auf 
einander"  recht  artig  ausgeführt.  Meiner  Frau  hat  es  viel 
"\'ergnügen  gemacht;  sie  findet  es  im  Voltairischen  Ge- 
schmack, und  ich  muss  ihr  Recht  geben.  Uebrigens  haben 
Sie   durch  diese   Beliaudlungsweise   sich   die   Verbindliclikeit 

20  aufgelegt,  dass  alles  Symbol  sei.  Man  kann  sich  nicht  ent- 
halten, in  allem  eine  Bedeutung  zu  suchen.  Die  vier  Könige 
präsentiren  sich  gar  prächtig,  und  die  Schlange  als  Brücke 
ist  eine  charmante  Figur.  Sehr  charakteristisch  ist  die 
schöne  Lilie  mit  ihrem   Mops.     Das  Ganze  zeigt  sich   über- 

25  haupt  als  die  Production  einer  sein-  fröhlichen  Stimmung. 
Doch  hätte  ich  gewünscht,  das  Ende  wäre  nicht  vom  An- 
fang getrennt,  weil  doch  beide  Hälften  einander  zu  sehr 
bedürfen,  und  der  Leser  nicht  immer  behält,  was  er  gelesen. 
Liegt  Ihnen  also  nichts  daran,  ob  es  getrennt  oder  ganz  er- 

30      scheint,  so  will  ich  das  nächste  Stück  damit  anfangen;  ich 

weiss  zum  Glück  für  das  neunte  Rath,  und  kommt  dann  das 

, Mährchen'  im  zehnten  Stück  aiif  einmal  ganz,  so  ist  es  um 

so  willkommener"  (Schillers  Br.  4,  24G). 

Da  Schiller    über    diese    Angelegenheit    baldigst    Goethes 

35  Meinung  zu  erfahren  Avünschte,  sandte  er  dem  Briefe 
(welcher,  in  einem  Packet  nach  Weimar  beigelegt,  dort  vor- 
aussichtlich liegen  blieb)  am  31.  August  einen  zweiten  nach, 
worin  er  seinen  Vorschlag  wiederholt:  das  , Mährchen' 
lieber  ,,auf  einmal"  in   Stück  10  zu  geben.   ,,Das  Publicum 

40      ist    immer    mit    dem     Abbrechen    unzufrieden,     und    jetzt 


334  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  1795 

September  3.  Ilmenau.  586 

Das  jMährcheii'  ^^iinscht'  ich  getrennt,  weil  eben  bei 

so  einer  Production  eine  Hauptabsicht  ist  die  Neugierde 

zu  erregen.     Es  wird  zwar  immer  auch  am  Eude  nocli 

Eäthsel  genug  bleibend  5 

An  Schiller.  —  Br.  10,  297,  22—298,  2. 

September  7,  Weimar.  587 

Die  gute  Aufnahme  meines  ,Mährchens'  erfreut  micii 
und  muntert  mich  auf.  Wenn  nur  Einer  von  den 
hundert  Kobolden  des  Alten  von  Ferney-  drinne  w 
spukt,  so  bin  ich  schon  zufrieden.  Wenn  es  zusammen 
ist,  wünsche  ich  über  die  Intention  und  das  Gelingen 
Ihre  Gedanken  zu  hören. 

Die    zweite  Hälfte  des  .Mährchens'  und  der  Schluss 
des    sechsten    Buches    des  Romans^    sind     nun     meine  ,5 
nächsten  Arbeiten.     Wann  müssen  Sie  das  ,Mährchen' 
haben?* 

An  Schiller.  —  Br.  10,  298,  28—  299,  8. 


müssen  wir  es  bei  guter  Laune  erhalten"  (Schillers   Br.  4, 
247).  20 

^  Diess  ist  die  Antwort  auf  Schillers  Brief  vom  31.   August 
(s.  333,  37—334,  19). 

Am  6.  September,  von  Ilmenau  heimkehrend,  fand  Goethe 
Schillers  Packet  mit  dem  Briefe  vom  29.  August  (s.  333,  12) 
und  beantwortete  diesen  Tags  darauf.  25 

-  Vgl.  333,  17  f. 

^  .Wilhelm  Meisters  Lehrjahre'. 

*  Schiller  antwortete  am  9.  September:  ,.Das  ,Mährcheu" 
kann  nun  erst  im  zehnten  Stück  der  .Hören'  erscheinen,  da 
ich  in  der  Zeit,  dass  ich  Ihre  Resolution  erwartete,  das  30 
nächste  Beste  aus  meinen  Abhandlungen  zum  neunten 
Stück  habe  absenden  müssen.  Auch  ist  es  im  zehnten  Stück 
noch  nöthiger.  Aveil  ich  zu  diesem  sonst  noch  keine  glän- 
zende Aussichten  habe.  Wollen  Sie  es  alsdann  noch  ge- 
trennt, so  kann  der  Schluss  im  eilften  Stücke  nachfolgen.  35 
Ich  bin  aber  nie  für  das  Trennen,  wo  dieses  irgend  zu  ver- 
hindern ist.  weil  man  das  Publicum  nicht  genug  dazu  an- 
halten kann,  das  Ganze  an  einer  Sache  zu  übersehen  und 
darnach  zu  urtheilen"  (Schillers  Br.  4.  2*^1 1. 


1795  UNTERHALTUNGEN  D.  A.  335 


September  16,  Weimar.  5S8 

Haben    Sie  die  Güte    mir  das  ,Mahrcben"'  zurück  zu 
schicken,  es  soll  vollendet  zurück  kehrend 
An  Schiller.  —  Br.  10,  301,  19—21. 

5    September  23,  Weimar.  5S9 

Das  jMährchen'  ist  fertig  und  wird  in  neuer  Abschrift 

Sonnabends  [26.  September],  aufwarten.     Es  war  recht 

gut,  da  SS  Sie  es  zurückhielten-,  theils  weil  noch  manches 

ZTirecht  geruckt  werden  konnte,  theils  weil  es  doch  nicht 

10      übermässig  gross  geworden  ist.     Ich  bitte  besonders  die 

liebe  Frau  es  nochmals^  von  vorne  zu  lesen. 

An  Schiller.  —  Br.  10,  302,  15—303.  3. 

September  26.  Weimar.  5;K) 

Wie  ich  in  dieser  letzten  unruhigen  Zeit  meine  Tonne 
15  gewälzt  habe,  wird  Ihnen,  werther  Mann,  aus  Beilie- 
gendem* bekannt  A^'erden.  Selig  sind  die  da  Mälirchen 
schreiben,  denn  Mährchen  sind  ä  l'ordre  du  jour.  Der 
Landgraf  von  Darmstadt  ist  mit  Zweihundert  Pferden 
in  Eisenach  angelangt,  und  die  dortigen  Emigrirteu 
20  drohen  sich  auf  uns  zu  repliiren,  der  Churfürst  von 
Aschaffenburg  wird  in  Erfurt   erwartet. 

Achl    warum  steht  der  Tempel  nicht  am  Flusse! 
Ach!  warum  ist  die  Brücke  nicht  gebaut!^ 
Ich  wünsche  indessen,  weil  wir  doch  immer  Menschen 
25       und    Autoren    bleiben,    dass   Ihnen  meine   Production 


'■  Am   18.   September    erwiderte    Schiller:     ..Nach    Verlangen 
folgt  hier  das  .Mührchen'.     Wenn  ich  es  nur  in  acht  Tagen 
zurück    erhalte,    so    kommt    es    noch    recht    zum     Druck" 
(Schillers  Br.  4,  271). 
30    =  Vgl.  334,  28—39. 

'  Vgl.  333,  16—18. 

*  Der  Handschrift  des  zu  Ende  geführten  .Mährchens'. 

°  Ueber  den  Sinn,   den  diese  beiden,    dem   .Mährchen'    ange- 
hörenden.  Verse   (W.   18.  249.  7f.i    an    dieser  Stelle    haben 
35      mögen,   sind    die  Forscher,    wie    über    die    Auslegung    der 
ganzen  Dichtung,   sehr  verschiedener   Ansicht.     Mit    ausge- 


336  UNTERHALTUNGEN   D.  A.  1795 


[September  26,  Weimar.]  [590] 

niclit  missfallen  möge;  wie  ernsthaft  jede  Kleinigkeit 
wird,    sobald  man  sie  kunstmässig  behandelt,  hab'  ich 
auch  diessmal  wieder  erfahren.     Ich  hoffe  die  achtzehn 
Figuren   dieses  Dramatis   sollen,  als  soviel  Eäthsel,  dem    5 
Eäthselliebenden  willkommen  sein^ 

An   Schiller.  —  Br.   10,  303,  12—304,  3. 

October  3,   [Weimar.]  591 

Dass  mir,  nach  Ihrem  UrtheiP,    das  ,Mährchen''    ge- 
glückt ist,  macht  mir  viel  Freude  und  ich  wünsche  über  10 
das  ganze  Genre  nunmehr  mit  Ihnen  zu  sprechen  und 
noch  einige  Versuche  zu  machen. 

An  Schiller.  —  Br.  10,  305,  19—306,  2. 


zeichneter  Grüudlichlieit,  Feiusinnigkeit  und  Liebe  hat  den 
Gegenstand  Friedrich  Meyer  von  Waldeck  behandelt  in  15 
seinem  Buche  ,Goethe's  INIärchendichtungen'  (Heidelberg. 
Carl  WinteFs  Uuiversitiitsbuchhaudlung.  1879).  Hier  findet 
mau  auch  die  mannichfachen  Deutungen,  welche  die  Per- 
sonen, Thiere  und  Gegenstände  des  , Mährchens'  seit  dessen 
Bekanntwerden  erfahren  haben,  auf  einer  Tabelle,  chrono-  20 
logisch  übersichtlich  zusammengestellt. 

Mit  den  obigen  Versen  scheint  Goethe  hier  nur  seinem 
„Unmuth  über  die  Stcirung  der  eigenen  Ruhe  und  Thätig- 
keit  Worte  gegeben"  zu  haben  (S.  196  des  eben  angeführten 
Werkes  und  WH.  16,  17).  25 

^  Schiller  antwortete  am  2.  October:  „Das  ,Mährchen'  hat 
uns  recht  unterhalten,  und  es  gefällt  gewiss  allgemein. 
Mündlich  ein  Mehreres"  (Schillers  Br.  4,  279). 

In  dem,  das  Manuscript  begleitenden,  Briefe  an  Cotta, 
vom  28.  September,  hatte  Schiller  richtig  prophezeit:  „An  30 
dem  , Mährchen'  werden  die  Ausleger  zu  käuen  haben". 
Cotta  erwidert  am  23.  October:  „Auf  die  Erklärung  von 
Goethes  , Mährchen'  wäre  ich  sehr  begierig",  und  fragt  am 
9.  November  an:  „  .  .  gibt  Goethe  nicht  den  Schlüssel  zu 
seinem  , Mährchen'?"  Darauf  Schiller  am  16.  November:  35 
„Vom  Goetheschen  .Mährchen'  wird  das  Publicum  noch 
mehr  erfahren.  Der  Schlüssel  liegt  im  ,Mährchen'  selbst" 
(Schillers  Br.  4,  277.  321  und   Schiller-Cotta   S.   125.   132). 

*  Vgl.  Z.  26  f. 


1795  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  337 

]  [November  IS  etwa,   Weimar.]  592 

Ich  verlange  zu  hören,  was  Sie  über  meine  neuesten 
Produetionen  sagen.    Besonders  freue  ich  mich  auf  Ihre 
Auslegung  des  ,Mährchens'^. 
5  Au  Charl.  v.  Kalb.  —  Br.  10,  333, 1—3. 

November  21,  Weimar.  593 

Die  Zeugnisse  für  mein  ,Mälirchen'  sind  mir  sehr  \ie\ 
werth^,  und  ich  werde  künftig  auch  in  dieser  Gattung 
mit  mehr  Zuversicht  zu  Werke  gehen. 


10  1  lu  einem  undatirten,  etwa  am  20.  November  geschriebenen, 
Briefeben  erwiderte  Charlotte  von  Kalb:  „Den  dritten 
Band  von  , Wilhelm  Meister'  hab'  ich  noch  nicht  gelesen  - 
er  ist  noch  bei'm  Buchbinder.  Aber  das  ,MJihrchen'.  Ich  will 
es  wiederlesen,  und  dann  will  ich  Ihnen  meinen  Wahn  und 

15  Traum  von  diesem  Mährchen  sagen.  —  Es  haben  schon  viele 
über  meine  Deutung  gelächelt,  und  andere  gestutzt  —  für 
mich  ist  viel  AYahrheit  und  Sinn  darin,  und  das  Licht, 
welches  mir  das  Ganze  beleuchtet,  wird,  hoffe  ich,  noch 
kommen;   einiges   dünkt   mir   bekannt,    vieles     ist    mir    ver- 

20      ständlich:  — "  fGJ.  13,  53  f.),  vgl.  Nr.  597. 

-  Zu  den  , .Zeugnissen"  Schillers  und  der  Frau  von  Kalb 
(s.  Z.  10  und  336,  26)  kommt  zunächst  Körners  Urtheil,  in 
dessen  Brief  an  Schiller  vom  6.  November:  ,, Goethes  , Mähr- 
chen' gehört,  deucht  mir,  zu  den  vorzüglichsten  Producten  von 

25  dieser  Gattung.  Mit  aller  Leichtigkeit  der  Erzählung  und  dem 
Reichthum  der  Phantasie,  wodurch  sich  die  Hamilton- 
schen  Mährchen  auszeichnen,  verbindet  es  einen  Sinn,  der 
auch  den  Geist  nicht  unbefriedigt  lässt"  (Schiller-Körner 
2,  17S;  vgl.  auch  Schillers  Br.  4,  322  Z.  5). 

30  Von  zwei  weiteren  Beifallsäusserungen  meldet  Schiller 
am  20.  November:  „Schlegel  .  .  i.st  sehr  entzückt  über  das 
, Mährchen';  auch  Humboldts  haben  grosse  Freude  daran. 
Werden  Sie  vielleicht  Müsse  finden  das  neue  [vgl.  336,  12] 
noch  für  den  Januar  fertig  zu  bringen?  Wenn  ich  es  in  den 

35  ersten  Tagen  des  Januars  spätestens  hätte,  so  könnte 
es  noch  in  das  erste  Stück  [der  , Hören'  1796]  kommen. 
Mir  wäre  diess  ungemein  lieb,  da  wir  doch  gut  anfangen 
müssen,  und  ich  noch  nichts  im  Fach  der  Darstellung  habe" 
(Schillers  Br.  4,  323). 

40         August    Wilhelm    Schlegel    hatte,    am    9.    November,    an 
Graf,  Goethe  über  seine  Dichtungen  T.  I.  22 


338  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  1795 

[November  21,  Weimar].  [593] 

.  .  .  Das  neue  Mährchen  kann  wohl  schwerlich  im 
December  fertig  werden,  selbst  darf  ich  nicht  wohl,  ohne 
etwas  auf  eine  oder  andere  Weise  über  die  Auslegung 
des  ersten  gesagt  zu  haben,  zu  Jenem  übergehen.  Kanu  5 
ich.  etwas  Zierliches  dieser  Art  noch  im  December  leisten, 
so  soll  es  mir  lieb  sein  auch  auf  diese  Weise  an  dem 
ersten  Eintritt  in's  Jahr  Theil  zu  nehmen. 
An  Schiller.  —  Br.   10,  336,  15—17.  22-28. 

]  [December  3,  Weimar.]  594  lO 

Schiller  sagt  mir,  dass  Ihnen  mein.  ,Mährchen'  nicht 
missfallen  hat\  worüber  ich  mich  sehr  freue,  denn,  wie 


Schiller  geschrieben:   „Goethe  scheint    in    diesem    artigsten 
aller  Mährchen  die  Reichthümer  der  lieblichsten  und  muth- 
willigsten    Phantasie    erschöpft  zu   haben,   und   doch   ist   es  15 
auch  wieder,  als  ob  ihm  dieser  ganze  Aufwand   nichts  ge- 
kostet hätte"  (Preussische  Jahrbücher  9,  203). 

Von  Wilhelm  von  Humboldt  dagegen  scheint  ein  brieflich 
gegen     Schiller    ausgesprochenes     Urtheil   über   das    , Mähr- 
chen',    von     dem     dieser  am  20.  November  Goethen     hätte  20 
berichten    können,    nicht    vorzuliegen.     Wohl    aber   schrieb 
Humboldt    unter    eben    diesem    20.   November  an   Schiller: 
„Das     zehnte    Horenstück  .  .  hat   mich    sehr   ergötzt.      Ihre 
, Elegie'    [,Der    Spaziergang']    abgerechnet,    mit   der   freilich 
nichts     streiten    darf,    ist   das    , Mährchen',    meinem    Urtheil  25 
nach,   das   ^'orzüglichste.      Es   strahlt   ordentlich   unter   den 
Untex-haltungen  hervor,  .  .    Das   , Mährchen'  hat  alle  Eigen- 
schaften,   die    ich  von  dieser  Gattung  erwartete,   es  deutet 
auf    einen    gedankenvollen  Inhalt  hin,  ist  behend  und  artig 
gewandt,  und  versetzt  die  Phantasie  in  eine  so  bewegliche,  30 
oft    wechselnde    Scene,    in  einen   so  bunten,   schimmernden 
und  magischen  Kreis,  dass  ich  mich  nicht  erinnere,  in  einem 
deutschen   Schriftsteller  sonst  etwas  gelesen  zu  haben,   das 
dem  gleich  käme"  (Schiller-Humboldt  206,  12—15). 
^  Vgl.  337,  30—32.  —  In    einem    Briefe    W.  v.  Humboldts    an  35 
Schiller,  vom  4.  December,  heisst  es:  er  habe  ,,das  , Mährchen' 
schon  mehrmals  tadeln  hören.     Die  Leute  klagen,    dass    es 
nichts    sage,    keine    Bedeutung    habe     [vgl.   350,   5  f.   15  f.], 
nicht    witzig    sei  u.  s.  w.,    kurz,    es    ist  nicht  piquant.  und 


3795  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  339 

][December  3,  Weimar.]  [594] 

Sie  wissen,  weit  darf  man  nicht  in's  deutsche  Publicum 
hineinhorchen,   wenn  man  ^luth  zu  arbeiten  behalten 

will. 
5  An  W.  T.  Humboldt.  —  Br.  10,  343,  5—9. 

Decernber  15,   Weimar.  595 

Vielleicht  kann  ich  zum  ]\Iärz  Jenes  zweite  Mälirchen, 
von  dem  ich  eine  Skizze  vorgetragen,  fertig  schreiben 
und  dabei  mit  einem  kleinen  Eingang  über  die  Aus- 
10  legung  des  ersten  wegschlüpfen.  Dass  dieses  seine 
"Wirkung  nicht  verfehlt,  sehen  Sie  aus  beiliegendem 
Briefe  des  Prinzen^ 

Es  wäre  sehr  gut,  wenn  man  von  der  ,Religieuse'  für 
die  jHoren"  Gebrauch  machen  könnte*.  Sie  könnten 
15  dazu  die  Erlaubniss  durch  llerdern  am  besten  erhalten: 
ich  mag  nicht  gerne  darüber  anfragen,  weil  mir  bei 
dieser  Gelegenheit  die  Travestirung  der  Ciaironischen 
Geschichte  könnte  zu  Gemüthe  geführt  werden". 
An  Schiller.  —  Br.  10,  348.  22—349.  5. 


20      für    ein    leichtes,    schönes   Spiel    der  Phantasie    haben    die 
Menschen  keinen   Sinn''   (Schiller-Humboldt   232,   4—7). 
^  Prinz  August  von  Gotha. 

-  Schiller    hatte    am    29.  November,    bei  Rücksendung  eines, 
Ihm  von  Goethe  mitgetheilten,   Briefes  des  Prinzen  August 

25  von  Gotha,  gefragt:  „Könnten  wir  nicht  durch  diesen 
Prinzen  Yergüustigung  erhalten,  die  Diderotische  Erzäh- 
lung .La  Religieuse',  die  sich  in  dem  geschriebenen  Journale 
befindet  .  .  .  für  die  .Hören'  zu  übersetzen?"  (Schillers 
Br.  4,  331.) 

30  '  Wegen  der  „Ciaironischen  Geschichte",  die  Goethe  mög- 
licher Weise  unmittelbar  durch  den  Prinzen  August  von 
Gotha  erfahren  hatte,  vgl.  323,  18. 

Schiller  antwortete  am   17.   December:     „Es   ist  prächtig, 
dass  der   scharfsinnige   Prinz   sich  in   den   mystischen   Sinn 

35  des  .Mährchens'  so  recht  verbissen  hat.  Hoffentlich  lassen 
Sie  ihn  eine  Weile  zappeln:  ja  wenn  Sie  es  auch  nicht 
thäten,  er  glaubte  Ihnen  auf  Ihr  eigenes  Wort  nicht,  dass 
er  keine  gute  Nase  gehabt  habe"  (Schillers  Br.  4.  353»;  vgl. 
Nr.    596. 


340  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  1795 

][December  21,  Weimar.]  59G 

'Ueber  die  Entdeckung,  welche  Iliro  Durchlaucht 
gemacht  haben,  dass  der  Jünger  Quaestionis  noch  leben 
müsse,  bin  ich  freilich  um  so  mehr  erstaunt,  als  mich  die 
nähere  Bekanntschaft  mit  dem  Werke  selbst  völlig  von  5 
Ihrer,  anfangs  allzu  verwegen  scheinenden  Hypothese 
überzeugt  hat.  Ich  finde  in  der  belobten  Schrift,  welche 
nur  ein  so  frevelhaftes  Zeitalter  als  das  unsrige  für  ein 
Mährchen  ausgeben  kann,  alle  Kennzeichen  einer  Weis- 
sagung und  das  vorzüglichste  Kennzeichen  im  höchsten  10 
Grad.  Denn  man  sieht  offenbar,  dass  sie  sich  auf  das 
Vergangene  wie  auf  das  Gegenwärtige  und  Zukünftige 
bezieht. 

Ich  müsste  mich  sehr  irren,  wenn  ich  nicht  unter 
den  Riesen  und  Kohlhäuptein  Bekannte  angetroffen  15 
hätte,  und  ich  getraute  mir  theils  auf  das  Vergangene 
mit  dem  Finger  zu  deuten,  theils  das  Zukünftige,  was 
uns  zur  Hoffnung  und  Warnung  aufgezeichnet  ist,  ab- 
zusondern, wie  Ihro  Durchlaucht  aus  meiner  Auslegung 
sehen  werden,  die  ich  aber  nicht  eher  heraus  zu  geben  20 
gedenke,  als  bis  ich  99  Vorgänger  vor  mir  sehen  werde. 
Denn  Sie  wissen  wohl,  dass  von  den  Auslegern  solcher 
Schriften  immer  nur  der  letzte  die  Aufmerksamkeit 
auf  sich  zieht. 

An  Prinz  August  v.  Gotha.  —  Br,  10,  351.  22—352,  21.      25 

December  23,   [Weimar.]  597 

Hier  liegt  .  .  eine  Erklärung  der  dramatischen  Per- 
sonen des  ,Mährchens'    bei,    von  Freundin  Charlotte^. 


'  Nacli  Br.  10.  427  (zu  Nr.  3244)  ist  das  Folgende  die  „Ant- 
wort auf  einen  Brief  des  Prinzen  August  vom  13.  December,  30 
in  welchem  witzig  ausgeführt  wird,  der  ungenannte  Ver- 
fasser des  , Mährchens'  könne  kein  andrer  sein  als  der,  so- 
mit noch  lebende.  Jünger  und  Evangelist  Johannes",  vgl.  339, 
12.  34.  354,  10—15.  29—34. 

==  Vgl.  337,  4.  14.  356,  2-4.  2.5—27.  35 


1795  UNTERHALTUNGEN  D.  A.  341 

[December  23,  [NVeimar]  ]  [597] 

Schicken  Sie  mir  doch  geschwijid  eine  andere  Erklärung 
dagegen,  die  ich  ihr  mittheilen  könnte. 

.  .  .  Ich  habe  noch   geschwind   einige  Varianten   zur 
5      Erklärung  gesetzt;  wenn  Sie  auch  noch  die  Summe  ver- 
mehren, so  wird  eine  Verwirrung  ohne  Ende  aus  diesen 
Aufklärungen  zu  hoffen  sein. 

.  .  .  XB.     Die  roth  unterstrichnen  sind  meine  Vari- 
anten^. 
10  An  Schiller.  —  Br.  10,  353,  9—12.  354,  5—8. 11. 

December  26,    Weimar.  598 

Es  ist  recht  gut,  dass  die  Eecension  des  poetischen 
Theils  der  ,Horen'  in  die  Hände  eines  Mannes  aus  der 
neuen  Generation  gefallen  ist-,  mit  der  alten  werden 
15  "«'ir  wohl  niemals  einig  werden.  Vielleicht  lese  ich  sie 
bei  Ihnen,  denn,  wenn  es  mir  möglich  ist,  geh'  ich  den 
dritten  Januar  von  hier  ab^. 


^  Am  25.   December  erwiderte  Schiller:     „Hier  einen  kleinen 
Beitrag  zu  der  Interpretation  des  , Mährchens'.  Er  ist  mager 

20  genug,  da  Sie  mir  mit  dem  Besten  schon  zuvorgekommen 
sind.  In  dergleichen  Dingen  erfindet  die  Phantasie  selbst 
nicht  soviel,  als  die  Tollheit  der  Menschen  wirklich  aus- 
heckt, und  ich  bin  übei'zeugt:  die  schon  vorhandenen  Ausle- 
gimgen  werden  alles  Denken  übersteigen"   (Schillers  Br.   4, 

25      364). 

In  Schillers  Brief  an  Goethe  vom  23.  December  heisst  es: 
„Von  der  zu  erwartenden  Recension  der  ,Horen'  durch 
Schütz  hörte  ich  gestern,  dass  es  Ernst  damit  sei,  und  dass 
wir  sie  in  wenigen  Wochen  zu  Gesicht  bekommen  werden. 

30  ...  Er  [Schütz]  hat  .  .  dem  jungen  Schlegel  den  poe- 
tischen Tlieil  derselben  zu  recensiren  aufgetragen,  sowie 
auch  die  ,Unterhaltungen'  u.  s.  w.,  [Schiller  selbst  hatte 
August  Wilhelm  Schlegel  diesen  Vorschlag  brieflich  schon 
am  29.  October  gethan]   und  dieser  hat  die  Recension.  wie 

35      er  mir  heute  schrieb,  schon  an   Schütz  gesendet.     Wenn  er 
nicjits    in   diese    Arbeit   hineingepfuscht,    so   erwarte    ich    et- 
was Gutes  davon'"  (Schillers  Br.  4,  361). 
■  Vgl.  Z.  30. 
^  Diess  geschah.     Goethe  war  vom  3.  bis  17.  Januar  179G  in 


342  UNTERHALTUNGEN  D.   A.  1795 


[December  26,  Weimar.]  [698] 


Jena,   und   man  dai'f  annehmen,    dass  er  hier  die  ausführ- 
liche,   während    der    ersten  Januar-Woche  erschienene,   Be- 
sprechung des  ersten  Jahrgangs  der  , Hören'  in  der  , Allge- 
meinen Literatur-Zeitung'  gelesen  habe.  Der  auf  die  .Unter-    » 
haltungen'  bezügliche  Theil  steht  in  Nr.  6,  vom  6.  Januar, 
Spalte    44  f.     Wilhelm     Schlegel     sagt    hier:      „Die   ,Unter- 
haltimgen  deutscher  Ausgewanderten'   sind   das,   wofür  der 
Verfasser  sie  gibt,  eine  leichte,  angenehme  Erholung,  welche 
nicht  sowohl  den  ermüdeten  Geist  von  sich   selbst  ablenkt  lo 
und     zerstreut,     als    durch    den    ruhigen    Ton,     der  darin 
herrscht,     zur    Sammlung     einladet,     womit    ihm     oft    der 
grössere  Dienst  geschieht.     Der  Eingang  erinnert  an  einen 
ähnlichen,    zu  einer  sonst  noch  genug  von  dieser  verschie- 
denen Reihe  von  Erzählungen,  dem  ,Decameron'  des  Boccaz.  is- 
Dort    flüchtete   man   sich   von   dem    Schauplatze   physischer 
Zerrüttung,   wie  hier  von   dem   Schauplatze  der  politischen. 
Nur  konnten  die  anmuthigsten  Erzählungen  eine  Pest  nicht 
beschwören,    da    sie  hingegen  Hader  und  Zwietracht  wohl 
in    den    Schlaf    zu    wiegen    vermögen.     Die   Einleitung    zu  20 
diesem  LTnternehmen  hat  freilich  das  Ansehen  eines  Wider- 
spruchs; denn  es  bringt  dem  Gedächtnisse  die  Gegenstände 
sehr  nahe,  welche  man  sich  zu  entfernen  vorsetzte,  doch  ist 
er   nicht   unauflösbar.      Das   Uebel   musste    noch   einmal    so 
lebendig  geschildert  werden,  dass  es  jedem,  welcher  je  Par-  25 
tei  genommen  hatte,  leicht  wird,  sich  von  dem  Dasein  des- 
selben   durch    eine    aufwallende   Theilnehmung    an   diesem 
Gespräch  zu  überzeugen.  Die  Erwähnung  des   Galgens  und 
der  Guillotine    berührt    eben    den    Gipfel    beider    entgegen- 
gesetzten Denkarten,  und  man  ist  nicht  betrübt,  den  braven  30 
Mann  abreisen  zu  sehn,  der  sie  herbeiführte   [vgl.  dagegen 
Schillers     entgegengesetzte    Meinung  319,  20—29].     Nun     ge- 
winnt   man    Raum,    sich    an    den    folgenden  Gesprächen    zu 
erfreuen,     worin    Vernunft   und   Witz,    allgemeine   und   be- 
sondre Wahrheiten  auf's  glücklichste  gemischt  sind,   wo  es  35 
der  Namen  nicht  bedarf,  um  die  Sprechenden  von  einander 
abzusondern,  und  ein  jeder  seinen  Charakter  behauptet.  Ja, 
bis  in  die  kleinste  der  kleinen  Geschichten,    welche  vorge- 
tragen   werden,    lässt  sich  jene  feine  und  lebhafte  drama- 
tische Wendung  nicht  verkennen.     Auch  die  Spuren  dessen,  40 
was  man  Manier  nennen  möchte,  gefallen  noch  daran:  wa- 


1795  UNTERHALTUNGEN   D.   Ä.  343 


[December  2ö,  Weimar.]  [598] 


rum  sollte  man  eine  zierliche  Manier  nicht  lieben?  Diese 
hier  ist  nicht  karg  mit  Worten  und  Aufzählung  kleiner 
Umstände,    aber    sie    haben    alle   Leben    und   Grazie,    und 

5  werden  durch  einen  einfachen  Gang  zusammengehalten. 
Ohne  Prunk  und  geflissentlich  erregte  Spannung  erreicht 
die  erste  dieser  Erzählungen  ihre  Absicht,  unsre  Aufmerk- 
samkeit zu  fesseln  und  die  Phantasie  anzuregen,  wobei  es 
nicht    ohne    Schauder    abgeht.     Anordnung   und   Ausdruck 

10  sind  so  kunstlos  und  darstellend,  dass  man  gern  zu  ihnen 
zurückkehrt,  und  es  sich  schon  gefallen  lässt.  das  Wort 
dieses  Räthsels.  so  wie  der  andern  nachher  aufgegebnen, 
nicht  gefunden  zu  haben.  Besonders  ist  alles,  was  darin 
zur    Bezeichnung    der    Charaktere    dient,    vortrefflich.      Alle 

15  Zaubereien  des  Verfassers  reichen  dagegen  nicht  hin.  den 
harten  Contrast  in  dem  Abenteuer  des  Marschalls  de 
BassompieiTe  ohne  Widerwillen  verschmerzen  zu  lassen. 
Dass  die  Begebenheit  der  schönen  Strohwlttwe  mit  einem 
Procurator  zu  Genua    nicht    unbekannt    ist,    schadet    aller- 

20  dings  dem  Vergnügen  nicht,  womit  wir  sie  hier  wieder 
lesen;  doch  schadet  es  ihrer  Moralität,  dass  alles  Verdienst 
auf  die  Kälte  und  Geistesgegenwart  des  jungen  Weisen 
kommt,  und  die  Entsagung  der  artigen  Frau  nach  aufgehob- 
nem  Fasten   vielleicht   nicht   Stand   halten   möchte.      [Hier- 

25  nach  hat  Schlegel,  seltsamer  Weise,  die  von  Goethe  mit  dem 
Schluss  der  Geschichte  vorgenommene  Aenderung  gar  nicht 
bemerkt,  obwohl  gerade  diese  erst  die  ..Moralität"  der  Er- 
zählung vollendet,  ja  recht  eigentlich  herstellt:  vgl.  Schil- 
lers Aeusserung  327,  14 — 20.  vor  allem  aber  folgende  Stelle  der 

30      .Unterhaltungen'   selbst  (W.   18.   187,   24—188.   24): 

,,Man  muss  Ihren  Procurator  loben,  sagte  die  Baronesse, 
er  ist  zierlich,  vernünftig,  unterhaltend  und  unterrichtend; 
so  sollten  alle  diejenigen  sein,  die  uns  von  einer  Verirrung 
abhalten  oder  davon  zurück  bringen  wollen.     Wirklich  ver- 

35      dient  die  Erzählung  vor  vielen  andern  den  Ehrentitel  einer 

moralischen  Erzählung.     Geben  Sie  uns  mehrere  von  dieser 

Art  und  unsre  Gesellschaft  wird  sich  deren  gewiss  erfreuen. 

Der  Alte.    Wenn  diese  Geschichte  Ihren  Beifall  hat.  so 

ist  es  mir  zwar  sehr  angenehm,  doch  thut  mir's  leid,  wenn 

40  Sie  noch  mehr  moralische  Erzählungen  wünschen,  denn  es 
ist  die  erste  und  letzte. 


344  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  1795 


[December  26,  Weimar.]  [598] 


Luise.  Es  bringt  Ibnen  uicht  viel  Ehre,  dass  Sie  in  Ihrer 
Sammlung  gerade  von  der  besten  Art  nur  eine  einzige  haben. 

Der  Alt  e.  Sie  verstehn  mich  unrecht.     Es  ist  nicht  die 
einzige   moralische   Geschichte,   die  ich   erzählen   kann,   son-    5 
dern  alle  gleichen  sich  dergestalt,  dass  man  immer  nur  die- 
selbe zu  erzählen  scheint. 

Luise.  Sie  sollten  sich  doch  endlich  diese  Paradoxen  ab- 
gewüimen,  die  das  Gespräch  nur  verwirren;  erklären  Sie  sich 
deutlicher.  lo 

Der  Alte.  Recht  gern.  Nur  diejenige  Erzählung  ver- 
dient moralisch  genannt  zu  werden,  die  uns  zeigt,  dass  der 
Mensch  in  sich  eine  Kraft  habe,  aus  Ueberzeugung  eines 
Bessei'n,  selbst  gegen  seine  Neigung  zu  handeln.  Dieses 
lehrt  uns  diese  Geschichte,  und  keine  moralische  Geschichte  15 
kann  etwas  Anderes  lehren.'"]  Uns  dünkt  daher  die  Ge- 
schichte des  verirrten  Jünglings  moralisclier.  Eine  über- 
zeugende "^'ahrheit  der  Darstellung  und  der  Bemerkungen, 
die  dem  Verfasser  in  der  That  so  natürlich  wie  das  Athmen 
zu  sein  scheint,  spricht  uns  darin  an.  Gegen  das  Ende  20 
entsteht  indessen  die  Frage,  ob  eine  solche  Erfahrung,  wie 
die,  welche  Ferdinands  Rettung  begleitet,  nicht  zu  denen 
gehört,  an  die,  bei  Gelegenheit  des  Sprungs  zweier  ver- 
brüderten Schreibtische  die  Forderung  gemacht  wird,  dass 
sie  wahr  sein  müssen,  und  die  man  also  nur  gern  in  .Hein-  25 
rieh   Siillings   Leben'   liest. 

"Was  aber  alles  Belehrende  und  Erg(3tzeude  in  den  vorigen 
Unterhaltungen  dahinten  lässt,  was  ein  sanftes  Wohlge- 
fallen in  das  lebhafteste  Vergnügen  verwandelt,  ist  das 
, Mährchen',  zu  dem  wir  durch  treffende  Winke  über  das  30 
Wesen  der  Phantasie  vorbereitet  werden.  Sie  gaukelt  uns 
alsdann  das  lieblichste  Mährchen  vor,  das  je  von  ihrem 
Himmel  auf  die  düx're  Erde  herabgefallen  ist.  Alle  ihre 
Jugend  und  Fröhlichkeit  scheint  wach  geworden  zu  sein. 
So  bunt  sie  aber  ihr  Gemälde  mischt,  so  gemildert  ist  es  35 
dennoch  in  seiner  Haltung.  Eine  Reihe  der  lieblichsten 
Bilder  zieht  uns  fort;  sie  gehen  zuweilen  in  eine  lächelnde 
Charakteristik,  und  dann  wieder  in's  Rührende  über:  doch 
liegt  das  Rührende  mehr  in  der  holden  Zartheit  der  Schil- 
derung, als  im  Mitleiden,  das  der  Gegenstand  enveckt.    Nie  40 


1795  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  345 

[December  26,  Weimar.]  [593] 

.  .  .  Ich  danke  für  den  Beitrag  zur  Auslegung  des 
jMährchens'^,  wir  würden  freilich  noch  ein  Bisschen 
zusehen.     Ich  hoffe  aber  doch  noch  auf  eine  srünstisre 


5  gab  es  einen  liebenswürdigeren  Schmerz  als  den  der  süssen 
Lilie;  überhaupt  en-egt  sie  ein  Gefühl,  als  wenn  man  den 
Duft  der  Blume,  deren  Namen  sie  führt,  in  freier  Luft  ein- 
athmete.  Dazwischen  bringt  irgend  ein  komischer  Zug,  wie 
die    Verlegenheit    der    guten    Alten    um    ihre    Hand,     zum 

10  Lächeln,  oder  man  erheitert  sich  bei  den  Irrlichtern,  einem 
Völkchen,  das  hier  in  seiner  ganzen  Beweglichkeit  ergriffen 
und  wie  fest  gezaubert  ist,  ohne  still  zu  stehn.  Es  ist  eine 
Zeichnung,  bei  der  man  nicht  ohne  Ergötzen  vei"weilen 
kann;    sie    erschöpfet,    Avas   sie   darstellen   soll,   und   gleitet 

15  doch  leicht  darüber  hinweg,  wie  die  Nymphe  über  die 
Spitzen  des  Grases.  So  schwebt  das  ganze  Mährchen  hin, 
und  wer  sich  nicht  an  ihm  erfreuen  wollte,  müsste  wenig- 
stens nicht  mit  unbefangnem  Geist  sich  belustigen  können, 
oder  alle   Werke,    woran   die   Einbildungskraft   allein   Theil 

20  hat,  lästig  finden.  Alsdann  könnte  es  ihn  vielleicht  noch 
unterhalten,  nach  einem  haltbaren  Faden  der  Deutung  zu 
suchen,  welches  wir  noch  nicht  unternommen  haben.  Im 
Einzelnen  ist  Sinn  und  Bedeutung  nicht  schwer  zu  er- 
kennen.    Bei   der   Flüchtigkeit,   die   man   sonst   den   Lands- 

25  leuten  der  In-liciiter  zutrauen  sollte,  schimmert  ein  gewisser 
Ernst  durch,  der  ,, nicht  schwer  wird  über  allem",  wie  die 
Laudsleute  des  Verfassers,  sondern  eben  hinreicht,  eine 
desto  angenehmere  Erinnerung  der  empfundnen  Lust  zu- 
rückzulassen.    Es  ist  kaum  nöthig,  zu  bemerken,  dass  nlr- 

30  gends  Ueberladung,  weder  in  der  Sprache,  noch  in  den  Be- 
schreibungeu  stattfindet.  "Wollte  die  Kritik  auch  dieses 
schöne  Wolkenbild  nicht  ohne  Tadel  vorbeischlüpfen  lassen, 
so  könnte  man  sagen,  dass  die  Katastrophe,  wobei  die 
Theilnahme  an  den  Lieblingen  still  steht,  nicht  nahe  genug 

35  an's  Ende  gerückt  ist.  Allein  diess  stört  den  Genuss  nicht; 
und  wenn  wir  geendigt  haben,  so  sehen  wir  im  Geist  den 
Erzähler,  der  bisher  unter  der  Gestalt  eines  alten  Geist- 
lichen aufgetreten  ist,  die  Maske  abwerfen  imd  mit  einem 
Flügelpaar  dastehn". 

40   '  \gl.  341,  18. 


346  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  1795 

[Decemter  26,  Weimar.]  [598] 

Wendung  in  den  ^Unterhaltungen',    meinen  beliebigen 
Spass  darüber  machen  zu  können. 
An  Schiller.  —  Br.  10,  355,  8—12. 

Nach  1795.  5 

][?  ?  ?]  598a 

Goethe  im  ,Paradies',  einem  Spaziergang  längs    des 
Saalufers  bei  Jena,  auf  und  nieder  wandelnd,  sah  jen- 
seits   des    Flusses    auf    bunter,    mit  Bäumen  besetzter, 
Wiese    eine  schöne  Frau,  der  die  Natur  eine  herrliche  lo 
Stimme  geschenkt  hatte,  in  weissem  Kleide  und  buntem 
Turban    mit  andern  Frauen  umherstreifen,  und  hörte 
ihren  Gesang  über  das  Wasser  herüber.     In  der  Nähe 
des    ,Paradieses'    wohnte    ein  alter  Mann,    der  um  ge- 
ringen Lohn  Jeden,  welcher  da  wollte,  in  einem  schmalen  is 
Kahn  nach  dem  jenseitigen  Ufer  brachte.    Als  es  schon 
dämmerte,  kamen  ein  paar  Studenten  und  schifften  mit 
Hülfe  des  alten  Fischers  lachend  und  den  Kahn  schau- 
kelnd   über    den    Fluss.     Jener    Abend    erweckte,    wie 
Goethe    einmal    erzählte,  in  ihm  den  Gedanken  an  das  20 
Mährchen  mit  der  grünen  Schlange^. 

Mit?    —   Karl    Schönborn:    Zur    Verständigung    über 

Goethes   Faust    (Breslau,    bei    Georg    Philipp    Aderholz. 

1838)  S.  15  f. 

1795  oder  1796.  25 

]  [Zwischen  December  1795  und  Sommer  1796.]  599 

Mehr    als    zwanzig  Personen    sind  in  dem  Mährchen 

geschäftig. 
„Nun,  und  was  machen  sie  denn  alle?''  Das  Mähr- 

cheu,  mein  Freund.  30 

Xenlen  V.  273  f.  —  W.  5  (1),  224,  Nr.  137. 


^  Schönborn  sagt  nicht,  von  wem  er  diese  Erzählung  habe, 
bemerkt  jedoch  ausdrücklieh:  er  verdanke  sie  „einer  sehr 
zuverlässigen  Hand".  Auch  über  die  Zeit,  wann  Goethe 
dieses   Erlebniss    gehabt    haben  soll,   fehlen  alle  Angaben;  35 


1796  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  347 

]  [Zwischen  December  1795  und  Sommer  1796.]  600 

Was  mit  glühendem  Ernst  die  liebende  Seele  gebildet, 

Eeizte  dich  nicht,  dich  reizt,  Leser,  mein  Kobold 

allein^ 
5  Xenien  (Aus  dem  Naclilass)  V.  183  f.  —  W.  5  (1),  282, 

Nr.  92. 

1796. 

Januar  30,  Weimar^.  601 

Eine    andere    Gesellschaft    hatte  einen  Zug  von  ge- 
10      mischten  Masken    aufgeführt,    unter  welchen  sich  ein 

vgl.   Düntzers  Erläuterungen  1.5,  49  f.  und  Meyer  von  '^'al- 
deck  S.  158  f.  des  unter  336,  15  f.  angeführten  Werkes. 
'  Der    ., Kobold"    macht    die    Beziehung    auf  das   .Mährcheu' 
zweifellos,  vgl.  auch  334,  10.     Bei'm  ersten  Verse  mag  mau 

15  zunächst  an  die,  im  sechsten  Horenstück  erschienenen, 
römischen  , Elegien'  denken. 

Das  Distichon  scheint  gegen  eine  ganz  bestimmte  Aeusse- 
rung  eines  Kritikers  gerichtet  zu  sein. 
*  Zwei   Wochen   hatte   Goethe   sich   während   des   Januars   in 

20  Jena  aufgehalten.  Dass  er  in  dieser  Zeit  mit  Schiller  viel 
über  die  , Hören"  und  deren  Fortsetzung  gesprochen  habe, 
ist  kaum  zu  bezweifeln.  In  Gefolg  dessen  wird  auch  die 
Fortführung  der  .Unterlialtungen*  zur  Sprache  gekommen 
sein.     Und  Goethe  mag  dem  Freunde  neue   Stoffe  genannt 

25      haben,  die  er  für  diesen  Zweck  zu  bearbeiten  dachte. 

So  konnte  Schiller,  in  Erwiderung  des  Goethesclicn 
Briefes  vom  23.  Januar  (in  dem  zahlreiche  zunächst  bevor- 
stehende Hoffestlichkeiten  genannt,  von  den  eigenen  Ar- 
beiten aber  nur  .Wilhelm   Meister'  angeführt  wird)   am  24. 

30  Januar  schreiben:  „Für  einen  Scliriftsteller,  der  mit  der 
Katastrophe  eines  Romans  [, Wilhelm  Meisters  Lehrjahre'], 
mit  tausend  Epigrammen  [, Xenien']  und  zwei  weitläufti- 
gen  Erzählungen  aus  Italien  imd  China  beschäftigt  ist, 
haben    Sie    diese    nächsten    zehn    Tage  ganz  leidliche  Zer- 

35      Streuungen"  (Schillers  Br.  4,  397). 

Gerade  dass  Schiller  dieser  Erzählungen  hier  gedenkt, 
stimmt  gut  zu  der  lebhaft  dringenden  Art  des  eifrigen 
Horen-Herausgebers,  und  macht  es  wahrscheinlich,  dass 
diese  beiden   Erzählungen,   deren  indess   später   nicht  mehr 

40  Erwähnung  geschieht,  für  die  .Unterhaltungen'  geplant  waren 
(vgl.  Düntzers  Erläuterungen  15,  62). 


348  UNTERHALTUNGEN  D.   A.  1796 

[Januar  30,  Weimar.]  [601] 

paar  Irrlichter  sehr  zu  ihrem  Tortheil  ausnahmen;  sie 
waren  'sehr  artig  gemacht  und  streuten,  indem  sie  sich 
drehten  und  schüttelten,  Goldblättchen  und  Gedichte 
aus^  5 

.  .  .  Hat  er  [Eeichardt-]  sich  emancipiret,  so  soll  er 

'  Der  :Maskenzug  war  auf  der,  am  29.  Januar,  zur  Vorfeier 
von  der  Herzogin  Luise  Geburtstag  abgehaltenen  Redoute 
veranstaltet  worden. 

L'eber  die  Ersclieinung  der  ..Irrlichter"  wurde  im  ,Jour-  lo 
nal  des  Luxus  und  der  Moden.  Herausgegeben  von  F.  J.  Ber- 
tucli  und  G.  M.  Kraus',  im  Miirzheft  179G  (11,  143  f.)  be- 
richtet und  bemerlvt:  ,,Die  erste  Idee  dazu  war  ohne  Zwei- 
fel aus  dem  witzigen  und  zur  Verzweiflung  aller  Deutler 
und  Exegeten  noch  immer  nicht  befriedigend  ausgelegten  15 
, Mährchen"  im  zehnten  Stücke  der  , Hören'  1795  genommen"; 
auch  ist  hier  eines  der  Gedichte  mitgetheilt. 

Schiller  schrieb  am  31.  Januar:  ,.Ich  wünsche  Glück 
zu  dem  erwünschten  Ausgang  der  Festivität,  .  .  Die  Irr- 
lichter haben  mich  besonders  gefreut"  (Schillers  Br.  4,  4(Uj.  20 
-  Schiller  hatte  am  27.  Januar  berichtet,  Reichardt  habe  sich 
in  seinem  Journal  , Deutschland'  über  die  »Unterhaltungen' 
bei  Gelegenheit  einer  Horen-Recension  „schrecklich  eman- 
cipirt"    (Schillers  Br.  4,  400). 

In  dieser  Recension  werden  die  einleitenden  Gespräche  25 
der  ,L'nterhaltungen'  und  der  in  ihnen  geführte  heftige 
Streit  über  politische  Tagesfragen  und  Gesinnungen  kurz 
geschildert,  sodann  aber  gefragt:  ,,  .  .  heisst  das  strenges 
Stillschweigen  über  das  Lieblingsthema 
des  Tages,  über  Krieg,  politische  Meiaiin-3C 
gen  und  Staatskritik  strenges  Stillschwei- 
gen beobachten?  Alle  Beziehungen  auf  den 
jetzigen  W  e  1 1 1  a  u  f  ,  auf  die  nächsten  Erwar- 
tungen der  Menschheit  vermeiden?  [ Die  ge- 
sperrt gedruckten  AVorte  sind  Schillers  ,OefEeutlicher  An-  35 
kündigung  der  Hören"  entnommen,  die  dem  ersten  Stück  der 
Zeitschrift  vorgedruckt  war.]  Heisst  das  nicht  vielmehr,  die 
wichtigen  Gegenstände  mit  dictatorischem  Uebermutbe  ab- 
urtheilen.  uud  das  einseitige  L'rtheil  mit  hämischer  Kunst 
dem   Schwachen  und   Kurzsichtigen  annehmlicli,   durch    im-  40 


1796  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  349 


[Januar  30,  Weimar.]  [601] 

dagegen  mit  Carnevals-Gips-Drageen^  auf  seinen  Büti'el- 

rock  begrüsst  -werden,  dass  man  ihn  für  einen  Perüeken- 

niacher  halten  soll. 

Au  Schiller.  —  Br.  11.  !<*..  7—12.  17.  21—24. 


ponirende  Namen  ehrwürdig  maclieu  wollen V  So  uuschuldig 
der  achtungswerthe  Herausgeber  auch  immer  au  dem  In- 
halte dieses  Aufsatzes  sein  mag,  so  uuverzeihlieli  bleibt  es 
doch,   so  etwas  ganz  dem    angekündigten    Plan    Eutgegen- 

10      laufendes   von   irgend  einem    Mitarbeiter  aufzunehmen. 

Um  uns  bei  diesen  ,Unterlialtungen",  die  einen  grossen 
Theil  der  , Hören'  einnehmen,  künftig  nicht  weiter  aufzu- 
halten, wollen  wir  nur  noch  mit  Einem  Worte  bemei'keu, 
dass  es  bei'm  Autor  derselben  eine  sehr  geringe  Meinung  von 

15  der  deutscheu  LescAvelt  voraussetzt,  wenn  er  weiterhin 
glaubt,  sie  durch  leere  Gespeustergeschichtchen  von  dem 
zwar  nicht  reinen,  aber  wahren  grossen  Interesse  der 
Menschheit  abziehen  zu  können,  durch  plumpe  italienische 
Keuchheitsmethodeu.   die  durch      das      beschränkte 

CO  Interesse  der  Gegenwart  in  Spannung  ge- 
setzten deutschen  Gemüt  her  zur  Ruhe  zu 
bringen  [vgl.  348,  3"»]  .  .'";  au  anderer  Stelle  heisst  es 
in  der  gleichen  Besprechung:  „In  dem  .Mälirchen'  staunen 
wir  mit  allen  uns  bekannten  Lesern  der  .Hören'   die   uner- 

25  schfjpfliche  Pliantasie,  den  reichen  Witz  des  Dichters  an, 
vergeblich  auf  Deutung  des  Ganzen  sinnend,  so  unverkenn- 
bar auch  einzelne  Züge  auf  die  innere  und  äussere  Natur- 
geschichte des  Menschen  deuten.  Vielleicht  will  der  Erfinder 
von  seinen  Lesern,  mit  denen  er  so  gern  allerlei  Muthwillen 

30  treibt,  auch  nur  kindlich  angestaunt  Averdeu.  —  Die  Sprache, 
die  in  den  verschiedenen  Abtheilungen  der  .Unterhaltungen' 
einen  absichtlich  vorgezeichneten  Kreis  zu  durchlaufen 
scheint,  und  im  erzälüenden  Vortrage  Muster  verschiedener 
Art  aufstellt,  sclieint  in  diesem  Aufsatze  die  höchste  Höhe 

35      des  edeleinfachen  prosaischen  Ausdrucks  erreicht  zu  haben" 

(,Deutschland.    Berlin   1796.    bei    .Johann    Friedlich    Unger', 

1,  62  f.  377). 

'  Schei*zhafte  Bezeichnung  für  die.Xenien',  von  denen  gerade 

damals  viele  entstanden.     Die  ..Drageen",  vom  italienischen 

40      traggea  (griecli.  trägema  =  Knupperwerk.  Naschwerk»,  sind 


350  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  1790 

][Mai  27,  Jena.]  002 

Ich  danke  Ihnen  für  den  Antheil,  den  Sie  fortgesetzt 
an  meinen  Arbeiten  nehmen.  Was  Sie  über  das  ,Mälir- 
chen'  sagen,  hat  mich  unendlich  gefreut^.  Es  war  frei- 
lich eine  schwere  Aufgabe,  zugleich  bedeutend  und 
deutungslos  zu  sein-.  Ich  habe  noch  ein  anderes  im  Sinne, 


eine  Art  Schrotkörner  von  Zucker.  Den  tibermiithigen,  ja 
wilden  Gebrauch,  welchen  die  Italiener  gelegentlich  von  den, 
diese  Drageen  nachahmenden.  ,, Gipszeltlein"  machen,  schil- 
dert Goethe  höchst  lebendig  in  dem  .Confetti'  überschrie-  lo 
benen  Abschnitte  seines  .Römischen  Carnevals"  (WH.  16. 
314—316). 

^  ^'gl.  338,  22—34. 

'„Diesen    Abend     verspreche     ich     Ihnen     ein 
ai  ährchen,    durch    das    Sie    au    nichts    und    an  15 
alles    erinnert    werden    sollen",     sagt    der    alte 
Geistliche,  der  Erzähler  des  .Mährchens',  kurz  bevor  dieses 
anhebt  (W.  18,  224.  19—21). 

Auch  finde  hier  das,    den    eben    angeführten  Worten    des 
,. Alten"   unmittelbar   voranfgehende   Gespräch    Platz,    da   es  20 
dazu  dienen  kann,   Goethes  eigene  Ansicht  über  Mährchen- 
dichtung kennen  zu  lernen: 

..Wissen  Sie  nicht,  sagte  Karl  zum  Alten,  uns  irgend  ein 
Mährchen  zu  erzählen?  Die  Einbildungskraft  ist  ein  schönes 
Vermögen,  nur  mag  ich  nicht  gern,  wenn  sie  das.  was  wirk-  25 
lieh  geschehen  ist.   verarbeiten  will;  die  luftigen   Gestalten, 
die  sie  erschafft,  sind  ims  als  Wesen  einer  eigenen  Gattung 
sehr   willkommen;   verbunden   mit  der   Wahrheit   bringt   sie 
meist  nur  Ungeheuer  hervor  und  scheint    mir    alsdann    ge- 
wöhnlich mit  dem  Verstand  und    der  Vernunft    im    Wider-  30 
Spruche  zu  stellen.    Sie  muss  sich,   deucht  mich,  an  keinen 
Gegenstand  hängen,   sie  muss  luis  keinen  Gegenstand    auf- 
dringen wollen;  sie  soll,  wenn  sie  Kunstwerke  hervorbringt, 
nur  wie  eine  Musik  auf  uns  selbst  spielen,  uns  in  uns  selbst 
bewegen  und  zwar  so,  dass  Avir  vergessen,  dass  etwas  ausser  35 
uns  sei,  das  diese  Bewegung  hervorbringt. 
Fahren  Sie  nicht  fort,  sagte  der  Alte,  Ihre  Anforderungen 


1797  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  351 

[Mai  27,  Jena].  [602] 

das  aber,  gerade  umgekehrt,  ganz  allegorisch  werden  soll, 
"lind  das  also  ein  sehr  subordinirtes  Kunstwerk  geben 
müsste,  wenn  ich  nicht  hoffte,  durch  eine  sehr  lebhafte 
Darstellung-  die  Erinnerung  an  die  Allegorie  in  jedem 
Augenblick  zu  tilgen^. 

An  W.  V.  Humboldt.  —  Br.  11,  77,  10—19. 

1797. 

?Februar  4,  "Weimar.  603 

Vielleicht  bildet  sich  die  Idee  zu  einem  Mährchen,  die 
mir  gekommen  ist,  weiter  aus.  Es  ist  nur  gar  zu  yer- 
ständig  und  verständlich,  drum  will  mir's  nicht  recht 
behagen;  kann  ich  aber  das  Schiffchen  auf  dem  Ocean 
der  Imagination  recht  herumjagen,  so  gibt  es  doch  viel- 
leicht eine  leidliche  Composition,  die  den  Leuten  besser 
gefällt,  als  wenn  sie  besser  wäre-. 

An  Schiller.  —  Br.  12,  31,  20—27. 


an  ein  Product  der  EinbildungskrafL    umständlicher    auszu- 
führen!  Auch  das  gehört  zum   Genuss  an  solchen  Werken, 

20  dass  wir  ohne  Forderungen  geniessen;  denn  sie  selbst  kann 
nicht  fordern,  sie  muss  erwarten,  was  ihr  geschenkt  wird.  Sie 
macht  keine  Plane,  nimmt  sich  keinen  Weg  vor.  sondern  sie 
wird  von  ihren  eigenen  Flügeln  getragen  und  gefühlt,  und 
indem  sie  sich  hin    und    her  schwingt,    bezeichnet    sie    die 

25      wunderlichsten  Bahnen,  die  sich  in  ihrer  Richtung  stets  ver- 
ändern und  wenden"  (W.  18,  223,  IS— 224.  10). 
'  Vgl.  Nr.  603,  nebst  der  zugehörigen  Erläuterung. 
-  Schüler    erwideite    am     7.    Februar:      ,,Zu     dem    Mährchen 
wünsche  ich  bald  eine  recht  günstige  Stimmung"  (Schillers 

30      Br.  5,  157). 

Es  ist  gar  nicht  sicher,  ob  Goethe  dieses  Mährehen  für  die 
(Unterhaltungen'  plante.  Nur  mit  Rücksicht  auf  Nr.  604  ist 
obige  Aeussenmg  hier,  als  an  der  passendsten  Stelle,  ein- 
gerückt worden. 

35  Weder  dieses  Mäljrchen  noch  das  in  Nr.  602  genannte  ist 
ausgeführt  worden.  In  dem  336,  15—17  namhaft  gemachten 


352  UNTERHALTUNGEN   D.  A.  1798 


1798. 

Februar  3,  Weimar.  604 

Uebrigens  habe  ich  etwa  ein  halb  Dutzend  Mährclien 
und  Geschichten  im  Sinne,  die  ich,  als  den  zweiten  Theil 
der  , Unterhaltungen'  meiner  Ausgewanderten,  bear-  s 
beiten,  dem  Ganzen  noch  auf  ein  gewisses  Fleck  helfen 
und  es  alsdann  in  der  Folge  meiner  Schriften  heraus- 
geben werde^. 

An  Schiller.  —  Br.  13,  52,  19-24. 

Nach   I8O32.  10 

][?  ?  ?]  605 

Goethe  wollte  darin   [in  den  ,Unterhaltungen'],  wie 
er  mir  sagte,  eine  Art  von  , Tausend  und  einer 
Nacht'  liefern,  so  nemlich,  dass  eine  Erzählung  durch 
die  andere  hervorgerufen  wtTrde^;  dankte  aber  zuletzt  i5 
Gott,  dass  er  bis  an  das  ,  M  ä  h  r  c  h  e  n  '  kam. 
Mit  Riemer.  —  Riemer  2,  601. 

1806. 

Februar  24,  Weimar.  —  s.  Nr.  79.  605a 

1807.  20 

April  20,  Weimar.  606 

Die  .Erzählungen    deutscher    Ausgewanderten"'    ange- 
fangen durchzugehn*. 
Tgb.  3,  205,  26  f. 


Wei'ke  (S.  15  f.)  werden  beide  Aeusserungen  (Nr.  602  und  603)  25 
auf  ein  und  dasselbe  Mährclien  bezogen,  und  dieses  in  den 
Bruchstücken  der  ,Reise  der  Söhne  Megaprazons'  erkannt. 

'  Zu  einem  „zweiten  Theil"  der  .Unterhaltungen'  ist  es  nicht 
gekommen.  Auch  wurde  die  Dichtung,  so  weit  sie  in  den 
,Horen'  erschienen  M^ar,  nicht  schon  in  die  „Folge  der  30 
Schriften"  aufgenommen;  diese,  unter  dem  Titel  ,Neue 
Schriften'  erschienene.  Sammlung  fand  vielmehr  im  .Jahre 
1800  ihren  Abschluss  mit  einem  Bande  (dem  siebenten),  der 
fast  nur  Lyrik  und  gar  keine  Prosadichtung  enthielt. 

^  Vgl.  263.  22  f.  35 

'  Vgl.  320.  7—9. 

*  Für    den    zweiten    Druck     in    Band    12    der   Werke    Cotta'. 


1809  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  353 

April  21,  Weimar.  607 

Die  ^Erzählungen  deutscher  Ausgewanderten'    durch- 
gegangen bis  zu  Ende. 
Tgb.  3,  205,  28—  206,  1. 

5  Mai  7,  Weimar.  608 

Alles  eingepackt  zum  zwölften  Bande^. 
Tgb.  3,  208,  7  f. 

1809. 

][???]  609 

10  [Zu  1T95.  —  Im  ältesten  biographischen  Schema  (s. 

29,  7 — 9)  heisst  es  unter:] 
1795:  Die  ,Horen'  .  . 
1796:  .  .  ,Emigrirte'  .  .- 
W.  26,  360,  4.  8. 

15  März  9,  Weimar.  610 

Abends  bei  Madame  Schopenhauer.  Xach  Tische  das 
,Mährchen*'. 

Tgb.  4,  15,  15  f. 

März  10,  Weimar.  611 

20  Abends  .  .  Xach  Tische  Schluss  des  ,Mährchens''. 

Tgb.  4,  15,  20—22. 


Riemers  Tagebuch  hat  zwei  Vermerke  über  die  seinerseits 
vollzogene  Durchsicht  der  Dichtung,  am  19.  Mäi"z  1807:  ,.  .Er- 
zählung deutscher  Ausgewanderten'  durchgesehen",  und  am 
25  8.  April:  „  ,Die  deutschen  Ausgewanderten'  beendigt'' 
(Deutsche  Revue  11  (1),  62). 
*  Der  Inhalt  von  Band  12  ist  316,  27—  317,  1  angegeben. 

Tags  darauf,  am  8.  Mai,    kam    Cotta    nach    Weimar,    und 

Goethe  übergab  ihm  bei  dieser  Gelegenheit  die  Druckvorlage 

30      für  die  Bände  9.  11.  12,  mit  Ausnahme  des  , Werthers'  und 

zweier  Dramen  (vgl.  W.  18,  415). 

'  Hier  sind  die  , Unterhaltungen'  irrthümlich  ein  Jahr  später 

angesetzt,  als  sie  in  Wirklichkeit  in  den  .Hören'  erschienen. 

Die  Arbeit  an  der  Dichtung  begann  sogar  schon,  wie  Nr.  560 

35      zeigt,  im  letzten  Viertel  des  Jahres  1794. 

'  Beziehen  die  Nr.  610 — 613  sich  auf  Vorlesungen  Goethes  bei 
Johanna  Schopenhauer? 
Graf,  Goethe  über  s.  Dichtungen  T.  I.  23 


354  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  1810 

?März  11,  Weimar.  612 

Abends  .  .  Nach  Tische:  das  Mährchen  vom  klingen- 
den Gespenst^ 

Tgb.  4,  15,  27  f. 

März  17,  Weimar.  613    5 

Abends  die  Geschichte  des  weisen  Procurators  aus  den 
^Erzählungen  deutscher  Ausgewanderten'. 
Tgb.  4,  17,  4—6. 

März  21,  Weimar.  614 

Jenes  erste  ,Mährchen'  wurde  auch  damals  von  diesem  lo 
so,  von  jenem  anders  gedeutet,  und  Goethe  sagte  zu  mir: 
,,es  komme  ihm  gerade  so  vor  wie  die  Offenbarung  St. 
Johannis,  die  man  noch  heut  zu  Tage  auf  Napoleon 
deute.  Es  fühle  ein  jeder,  dass  noch  etwas  drin  stecke, 
und  wisse  nur  nicht  was"^.  i5 

Mit  Riemer.  —  Riemer  2,  604. 

1810. 

Juli  19,  Karlsbad.  615 

[Abends]  Bei  Frau  von  Eybenberg.     Das  ,Mährchen' 
und  in  wiefern  es  eine  Deutung  habe.  20 

Tgb.  4,  141,  8  f. 


^  Die  in  Nr.  610.  611.  613  verzeichnete  Leetüre  der  , Unterhal- 
tungen' legt  die  Vermuthung  nahe,  dass  unter  dem  „Mähr- 
chen vom  klingenden  Gespenst"  die  erste    oder    zweite  Ge- 
schichte der  .Unterhaltungen'  zu  verstehen  sei.  25 
^  Wegen  der  „Offenbarung  St.  Johannis"  vgl.  Nr.  596. 

Obige  Stelle  beruht  auf  folgender,  nur  wenig  abweichender 
Eintragung  Riemers  in  dessen  Tagebuch: 

„Bei  Gelegenheit  der  De|/tung,  die  man  von  der  Apolia- 
lypse  noch  heutzutage  auf  Napoleon  mache,  äusserte  Goethe:  30 
Sein  ,Mährchen'  komme  ihm  gerade  so  vor  wie  die  Offen- 
barung Johannis.  Schubert  hatte  es  gedeutet,  andere  anders: 
,Es  fühlt  ein  jeder,  dass  noch  etwas  drin  steckt,  er  weiss  nur 
nicht  was'  "  (Deutsche  Revue  12  (1),  16;  hiernach  Gespräche 
2,  251).  35 

Nähere  Angaben  über    den    hier    genannten    Deutungsver- 


1811  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  355 

?August  30,  Teplitz.  G16 

[Abends]  Frau  von  Grotthus,  Erzählungen^. 
Tgl).  4,  150,  22. 

-liigiist  31,  Teplitz.  617 

5  [Früh]   , Unterhaltungen  der  Ausgewanderten'^. 

Tgb.  4,  150,  23. 

November  20,  Weimar.  618 

.  .  zum  Thee  hei  Frau  von  Schardt.  Das  jMährchen' 
vorgelesen. 
10  Tgb.  4,  168,  2  f. 

1811. 

September  19,  AVeimar.  619 

[Abends]    Das  ,Mährchen' .  den  Frauenzimmern    vor- 
gelesen^. 
15  Tgb.  4,  234,  21  f. 

1816. 

Juni  24,  Weimar.  620 

Das  ,Mährchen',    welches    die    ^Unterhaltungen    der 

Ausgewanderten'  schloss,  ladet  zu  Deutungen  ein,  indem 

20       es  Bilder,  Ideen  und  Begriffe  durch  einander  schlingt. 

Zur  Zeit  seiner  Erscheinunsr    versuchten    sich    mehrere 


sucli  Schuberts  vemiag  icli  niclit  zu  machen,  finde  auch  in 
den,  in  Frage  kommenden,  Werken  der  Goethe  -  Litteratur 
nichts  darüber.  —  Unter  dem  13.  Mai  1809  vermerkt  Riemers 

25  Tagebuch:  ,, Dünkelhafte  .Natur,  die  dynamisch  wirkt  und 
atomistisch  ergreift. 

So  bemerkt  Goethe  in  seinem  Tagebuche  von  1809  [s.  Nr. 
1961].  den  13.  Mai.  Geht  es  auf  Oken?  oder  ist  es  auf  das 
.Mährchen'  bezüglich?"  (Deutsche  Revue  12  (1),  18). 

30  ^  Da  Goethe  wiederholt  die  , Unterhaltungen'  auch  als  ,Er- 
zälilungen  deutscher  Ausgewanderten'  bezeichnet  (s.  Nr. 
606.  607.  613),  so  ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  diese  hier  ge- 
meint sind,  und  dass  sich  Nr.  617  auf  eine  am  andern  Morgen 
fortgesetzte  Vorlesung  bezieht. 

35   -  Vgl.  die  vorhergehende  Erläuterung. 
'  Christiane  und?  wie  Nr.  374. 


356 


UNTERHALTUNGEN  D.   A. 


181T 


[Juni  24,  Weimar.]  [620] 

Freunde  daran.  Drei  solcher  Auslegungen,  wovon  die 
letzte  einem  Frauenzimmer  gehört,  habe  ich  in  nach- 
stehender Tabelle  zu  erhalten  gesucht^ 

Aufschrift  eines  die  Tabelle  enthaltenden  Foliobogens.    5. 
-  Tgb.  5,  391  f.  zu  S.  245,  18. 

Juni  24,  Weimar.  621 

Auslegungen  des  ,Mährchens''  [s.  Nr.  620].. 
Tgb.  5.  245,  18  f. 

December  18,  Weimar.  —  s.  Nr.  884.  621a  lo 


1817. 

Juni  25,  Jena.  622 

.  .  gegen  ein  Uhr  bei  den  Prinzessinen-.  Der  Sehluss 
des  jMährehens^  Um  drei  Uhr  zurück. 

Tgb.  6,  67,  25  f.  is 


^  Es  ist  zu  bedauern,  dass  diese,  im  Goethe-  und  Schiller- 
Archiv  befindliche  „Tabelle"  nicht  in  der  Weimarer  Ausgabe, 
als  Anhang  im  kritischen  Apparat  zum  , Mährchen',  veröffent- 
licht worden  ist.  Die  obige  Aeusserung  zeigt  genugsam,  dass 
diese  Auslegungen  dem  Dichter  werthvoll  waren;  im  höchsten  20 
Alter  noch  erinnert  er  sich  ihrer,  denn  man  darf  wohl  an- 
nehmen, dass  die  beiden  Deutungen  des  , Mährchens',  dio 
Goethe  1830  an  Carlyle  schicken  wollte  (s.  Nr.  630),  zu  den 
hier  in  Rede  stehenden  Auslegungen  gehören. 

Will  man  über  die  drei  Verfasser    eine  Vermuthung    aus-  25 
sprechen,    so    ist    das    Nächstliegende    bei    dem     „Frauen- 
zimmer" an  Charlotte    von  Kalb    zu    denken    (vgl.  Nr.  597). 
die    beiden    andern    dürften  Prinz  August    von  Gotha    und 
Schiller  sein  (vgl.  341,  18  f.  und  Nr.  596). 
*  Maria  und  Augusta,  die  Enkeliimen  des  Grossherzogs  Karl  30 
August,  die  eine  neun,  die  andere  sechs  Jahre  alt. 

In  Goethes  Tagebuch  steht  übrigens  nicht  „bei  den", 
sondern  „bei  die".  Die  Herausgeber  ändern  ,,die"  als 
thüringisch  in  „den".  Sollte  nicht,  wenn  man  einmal  das 
Mundartliche  wegschaffen  will,  auch  das  ,,bei"  geändert  35. 
und  gelesen  werden  müssen  „zu  den"?  In  diesem  Sinne 
ist  ,,bei"  mit  dem  Accusativ  in  Thüringen  ganz  gebräuchlich. 


1819  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  357 


1819. 

März  [Anfang],  Weimar.  623 

[Zu  1794.  1795.  —  In  dem  chronologischen  Yerzeich- 
niss  von  Goethes  Werken  aus  dem  Jahre  1819  (s.  Xr.  90) 
5      heisst  es  unter  dem  Jahre], 

1793:  .  .  die  ^Unterhaltung    der    Ausgewanderten' 

mit  dem  angefügten  ,Mährchen'^. 
1794:  Vorbereitung  zu  den  ,Horen^ 
1795:  Abdruck  derselben  und  Theilnahme  daran; . . 
10  Summarische     Jal^resfolge     Gootliesclier     Sctiriften.     — 

WH.  29,  324. 

1820. 

October  26,  Jena.  —  s.  Nr.  423.  623a 

1S22. 

15  ][März,  zwisclieu  11  und  IG.  Weimar.]   —  s.  Nr.  3.S9.  623b 

1823. 

]  [Januar,  zwischen  10  und  19,  Weimar.]   —  s.   Nr.  92.      623c 

][Juli  1?  Eger?]  624 

[Zu  1794.  1795.]  Einem  thätigen  productiven  Geiste, 

20      einem  wahrhaft  vaterländisch  gesinnten,  und  einlieimi- 


Ueberdiess    entsprechen    sich    dann    die    beiden   Zeitangaben 
genauer:  Goethe  ging    gegen    ein  Uhr    hin,    um    drei  Uhr 
zurück. 
'  Wie  in  Nr.  009  um  ein  Jahr  zu  spät,  ist  hier  die  Entstehung 

25  der  .Unterhaltungen'  irrthümlich  um  ein  Jahr  zu  früh  ange- 
setzt, ebenso  in  Nr.  625. 

Der  Irrthum  lag  nahe,  da  für  den  rüclischauenden  Dichter, 
in  späten  Jahren,  die  durch  die  französische  Revolution 
veranlassten    Dichtungen    sich    in    das    Jahr    1793    zusam- 

30  mendrängten  (21.  Januar  Hinrichtung  Ludwigs  XVI.), 
und  weil  er  gewohnt  war,  die  ,L'nterhaltungen'  mit  .Reineke 
Fuchs'  und  den  Dramen  .Der  Bürgergeneral'  und  .Die  Auf- 
geregten' zusammen  zu  denken,  die  sämmtlich,  theils  ihrem 
Entstehen,  theils  ihrem  Erscheinen  nach,  dem  Jahre  1793  an- 

35      gehören  (vgl.  358.  9—15.  359.  2—7). 


358  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  1S24 

][Juli  1?  Eger?]  [624] 

sehe  Litteratur  befördernden  Manne  wird  man  es  zu 
Gute  halten,  wenn  ihn  der  Umsturz  alles  Vorhandenen 
schreckt,  ohne  dass  die  mindeste  Ahnung  zu  ihm 
spräche,  was  denn  Besseres,  Ja  nur  anderes  daraus  er-  & 
folgen  solle.  Man  wird  ihm  beistimmen,  wenn  es  ihn 
verdriesst,  dass  dergleichen  Influenzen  sich  nach 
Deutschland  erstrecken,  und  verrückte,  ja  unwürdige 
Personen  das  Heft  ergreifen.  In  diesem  Sinne  war  ,  d  e  r 
Bürgergeneral'  geschrieben,  ingleichen  ,  d  1  e  lo 
Aufgeregten'  entworfen,  sodann  die  ,  U  n  t  e  r  - 
haltungen  der  Ausgewanderten'.  Alles 
Productionen,  die  dem  ersten  Ursprung,  ja  sogar  der 
Ausfülirung  nach,  meist  in  dieses  und  das  folgende  Jahr 
gehören^.  i& 

Tag-  und  Jahres-Hefte,  1793.  —  W.  35,  24,  4—18. 

August,  zwischen  11  und  21,   Marienbad.  625 

[Zu     1794.     1795.]   ...  de     1790     ä     1793-:  .  .  Les 
,entretiens  des  Emigres'.  Eeceuil  de  Contes. 

Tabellarische    Uebersicht   der   ,Ouvrages    po§tiques    de  20 
Goethe'.  —  GJ.  15,  18. 

][October?  Weimar?]  626 

[Zu  1795.]  Die  ,Horen'    wurden    ausgegeben,    Epi- 
steln,    Elegien,     , Unterhaltungen     der  25 
Ausgewanderten'  von  meiner  Seite  beigetragen. 
Tag-  und  Jahres-Hefte,  1795.  —  W.  35,  42,  6—8. 

1826. 

Februar  1.  Weimar'.  627 

Band  11:   Symbolisch-satirische  Theaterstücke:   .Tri-  30 
umph  der    Empfindsamkeit';    ,Die  Vögel';    ,Der    Gross- 


^  Vgl.  Nr.  389  und  die  Uebersicht  der  durch  die  französische 

Revolution  veranlassten  Dichtungen  187,  2G— 32. 
^  Wegen  der  irrigen  Zeitangabe  vgl.  357,  24—26. 
'  Vgl.  32,  28—30.  35 


1829  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  359 

[Februar  1,  Weimar.]  [627] 

kophta';  ,Der  BürgergeneraF;  ,Die  Aufgeregten';  ,Unter- 
haltung  der  Ausgewanderten'.  (Letzteres,  obgleich  nicht 
eigentlich  dramatisch,  hat  man  hier  angefügt,  weil  es 
5  im  Sinne  der  drei  vorhergehenden  geschrieben  ist  und 
das  grosse  Unheil  unwürdiger  Staatsumwälzung  in  leb- 
haftem Dialog  Tor  die  Seele  bringt.)'- 

Anzeige  von  Goethes  sämmtlicben  Werken,  Vollständige 
Ausgabe  letzter  Hand.  —  WH.  29,  351. 

10  1829. 

Januar  10,  Weimar.  628 

[Zu  1794.  1795.].  Hätt'  es  ihm  [Schiller]  nicht  an 
Manuscript  zu  den  ,Horen'  .  .  gefehlt,  ich  hätte  die 
^Unterhaltungen    der    Ausgewanderten'    nicht   geschrie- 

15      bea,  .  .2 

An  Schultz.  —  G.-Schultz  S.  362. 

1830. 

April  19,  Weimar.  629 

Einige  Auskunft  über  die  Räthsel,  welche  in  meinen 

20      kleinen    Gedichten    und    den    grossem    Werken^    vor- 


^  Für  die   ,Unterlialtungen"   wui'de   diese   Auordnimg    abgeän- 
dert, wie  317,  6 — 8  zeigt. 

Als  Knebel  im  Jalire  1828  die  , Unterhaltungen'  neuerdings 
gelesen  hatte,  wie  sie  im  Band  15  der  .Ausgabe  letzter  Hand', 
25  vereinigt  mit  den  , Guten  Weibern'  und  der  , Novelle'  erschie- 
nen waren,  schrieb  er  am  11.  Juni  an  Goethe:  ..Gewiss,  Deine 
Erzählungen  liönnen  für  eine  Ivleine  Lebensphilosophie  gelten, 
reich  an  Fülle  und  Anmuth"  (G.-Knebel  2,  383). 

*  Wie    so    manches  Andere,    dessen  Zustandekommen    Goethe 
30      dem  ,, neuen  Frühling"  verdankte,  der    ihm    durch    das  Zu- 
sammenleben mit  Schiller  aufgegangen  war. 

Die  Stelle,  der    obige    Worte    entnommen    sind,    kann    in 
ganzer  Ausdehnung  erst    im    dritten  Theile    dieses    Werkes 
ihren  Platz  finden  imter    den    Aeusserungen    Goethes    über 
35      Schillers  Einwirken  auf  seine  dichterische  Thätigkeit. 

*  Unter  diesen  kommt  hier  in  erster  Linie  das  .Mährcheu'  in 


360  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  1830 

[April  19,  Weimar.]  [629] 

kommen,  Hesse  sich  anmuthig  von  Mund  zu  Mund,  aber 
nicht  wohl  schriftlich  mittheilen.  Soviel  jedoch  würde 
sich  durchaus  ergeben,  dass  irgendwo    ein    Vorzüg- 
lichstes, sowohl  der  Innigkeit  als  der  Dauer  nach.    5 
auffallend  entgegen  träte. 

An  Marianne  Willemer.  —  G.-Willemer  S.  270  f. 

Juni  6,  Weimar.  630 

^Ihrer  lieben  Gattin  das  Allerfreundlichste!  ...    Es 
freut  mich,  dass  jenes  famose  ,Mährchen'  auch  dort  seine  lo 


Frage,  wie  folgende  Stelle  in  Marianne  Willemers  Brief  aus 
dem  Januar  1830  zeigt,  auf  die  Obiges  die  Antwort  ist: 

„Wenn  mir  bei  dem  wiederholten  Lesen  der  neuen  Ausgabe 
[der  Werke    Cotta^]     gar    viele    Lichter    aufgehen,    und    in 
Schillers  Briefen  manches  Räthsel  gelöst  wird,  so  bleibt  doch  15 
zu  vielem  das  goldne  Schlüsseleheu  nothwendig,  was  freilich 
Sie  allein  zu  gewähren  wissen;  das  ,Mährclieu''  bleibt  mir  zum 
Theil  verschlossen,  aucli  was  in  den  Briefen  davon  gesagt 
wird,  macht  mich  noch  neugieriger   [vgl.  333,  13—25].     Die 
»Weissagungen   [des  Bakis]',  wer    die    zu    lösen    vermöchte,  20 
ach,  und  vollends  die  Personenräthsel,  die  muss    man   schon 
verschleiert  lassen;  ich  freue  und  tröste  mich  an  dem,  was 
mir  klar  und  andern  ein  Räthsel  ist.  Jedoch  will  ich  nicht 
in  Abrede  stellen,  dass  ein  kleiner  Fingerzeig  über  obige  un- 
verfängliche    Gegenstände     höchst     Avünschenswerth     sein  25 
dürfte"  (G.-Willemer  S.  268  f.). 
^  Am  23.   Mai   hatte   Carlyle  aus   seinem   weltabgeschiedenen 
Craigenputtock  geschrieben: 

,,nier  in  unsrer  Bergeseinsamkeit  weilen  Sie  oft  als  unser 
Hausgenosse  unter  uns  und  können  weise  Lehren  und  anmu-  30 
thige  Erzählungen  in  das  Ohr  der  Hausfrau  selbst  flüstern. 
Sie  bringt  manchen  Abend  mit  Ihnen  zu  .  .  Eine  ihrer  letzten 
Leistungen  war,  die  , Deutschen  Ausgewanderten'  und  jenes 
herrliche  ,Mälirchen'  zu  lesen,  ein  wahres  Universum  der 
Phantasie,  für  dessen  mannichfaltige,  unerschöpfliche  Bedeu-  35 
tung  (denn  das  weibliche  Auge  vermuthete  Bedeutung  darin) 
ich  häufiger  um  Erklärung  angegangen  wurde,  als  ich  sie 
geben  konnte,  und  schliesslicli,  das  Dringen  zu  beschwichti- 
gen, versprechen  musste.  später  einen  Commentar  darüber  zu 


1830  UNTERHALTUNGEN   D.   A.  301 

[Juni  6,  Weimar.]  [630| 

Wirkung  nicht  verfehlt.  Es  ist  ein  Kunststück,  das 
zum  zweiteumale  schwerlieh  gelingen  würde.  Eine  gere- 
gelte Einbildungskraft  fordert  unwiderstehlich  den  Ver- 
stand auf,  ihr  etwas  Gesetzliches  und  Folgerechtes  abzu- 
gewinnen, womit  er  nie  zu  Stande  kommt.  Indessen  habe 
ich  doch  zwei  Auslegungen,  die  ich  aufsuchen  und,  wo 
möglich,  dem  Kästchen  beilegen  wilP. 
An  Carlylo.  —  G.-Carlyle  S.  104. 


10      schreiben  als  über  eines  der  tiefsten,  poetiscListeu  Dinge,  die 

selbst  Goethe  je  geschrieben  hat"  (G.-Carlyle  S.  95). 

^  Wegen  der  ,, Auslegungen'"  vgl.  Nr.  620.  Carlyle  erwiderte  am 

31.  August:  ,,  .  .  hier  wird  mir  aufgetragen,  Sie,    wenn    es 

sein  darf,   ohne  Zudringlichkeit  an  jene   versprochene   Deu- 

15     tung  des  , Mährchens'  zu  erinnern,  nach  welcher  der  weibliche 

Verstand  noch  immer  ernstlich  begehrt'"  (G.-Carlyle  S.  113). 

Wenn  Goethe  sodann  am  5.  October  -von  jenem  Kästchen 

schreibt:  ,,  .  .  es  wird  die    letzte  Lieferung    meiner    Werke 

enthalten,    der    ich    noch    einiges  Interessante    hinzuzufügen 

20  hoffe"",  so  mag  er  bei  dem  Letzteren  auch  an  die,  in  Aussicht 
gestellten,  zwei  Deutungen  des  , Mährchens'  gedacht  haben. 
Da  diese  aber  weder  in  Goethes  Brief  erwähnt  werden,  der 
die  (erst  am  15.  Juni  1831  abgefertigte)  Sendung  begleitete 
und  ein  Yerzeichuiss  von  deren  Inhalt  enthält,  noch  auch  :n 

25  Carlyles  Antwort  vom  13.  August,  so  bleibt  zweifelhaft,  ob 
sie  überhaupt  mitgeschickt  worden  sind. 

Auch  in  der  Einleitung  zu  seiner  Uebertragung  des  .Mähr- 
chens' in's  Englisclie  gedenkt  Carlyle  der  hier  in  Frage  ste- 
henden Auslegungen  nicht  (,Critical  and  miscellaneous  essays: 

30      third  edition.  London:  Chapman  and  Hall,  1847"  4,  431^39). 


Die  Wahlverwandtschaften. 

Handschriften:  sind  nicht  bekannt. 

Erster  Druck:    1S09,  unter  dem  Titel  ,Die  Walilverwandtschaf- 
ten.  Ein  Roman  von  Goetlie.  Erster  (Zweiter)  Tlieil.  Tü- 
bingen, in  der  J.  G.  Cottaischen  Buchhandlung.  1809',  zwei    5 
Bände. 

Zweiter  Bruch:  1810,  Werke  Cotta^  Band  13,    als  Ergänzungs- 
band der  zwölfbändigen  Ausgabe  angefügt. 

Dieser    Druck    wurde    auch    als    selbstständiges    Buch 
xerkauft  mit  der  Bezeichnung  „Zweite  Auflage"  auf  dem  lo 
Titel. 

Dritter  Druck:  1817,  Werke  Cotta=  Band  14. 

Vierter  Druck:  182S,  ^^'erke  Cotta^  Band  17. 

Weimarer  Ausgäbe:  1S92,  W.  Band  20. 


1807. 

?Mai  26,  zwischen  Schleiz  und  Hof\  631 

[Früh]  Um  fünf  Uhr  von  Schleiz  abgefahren.     Un- 
terweges Motive  zu  den  ,WanderJahren'-. 
Tgb.  3,  214,  11  f. 


15 


^  Goethe  befand  sich,   in  Begleitung  Riemers,   auf  der  Reise  20 
nach   Karlsbad,   die  er  Tags  zuvor,   am   25.   Mai,   von  Jena 
aus  angetreten  hatte. 

'  Von  diesem  wie  auch  von  den  nächstfolgenden  neun  Tage- 
buclivermerken  (Nr.  632— G39a)  wissen  wir  nicht  mit  Sicher- 
heit, ob  sie  sich  unter  anderem  auch    auf    die  Anfänge    der  25 
»Wahlverwandtschaften'     beziehen.      Doch     ist     diess     sehr 


1807  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  3G3 

?Mai  27.  Franz. >nsbad.  632 

Xach  Tische  Motive  aiifgeschrieben. 
Tgb.  3,  215,  9  f. 

?Juli  2,  Karlsbad.  633 

5  Abends  zu  Hause.  Mit  verschiedenen  Entvrürfen  be- 

schäftigt. 

Tgb.  3,  234.  8  f. 

?August  6,  Karlsliad.  634 

[Früh]   Die  ronianenhaften  Motive    zu  den  ,"\Vander- 
10      Jahren*^  überdacht. 
Tgb.  3,  253,  24  f. 

?August  7,  Karlsbad.  635 

[Früh]    .  .  abermals   die  verschiedenen   Eomanenmo- 
tive  durchgedacht. 
15  Tgb.  3,  254,  12  f. 

?August  10.  Karlsbad.  —  s.  Nr.  81.  635a 

?Xovember  14,  Jena.  636 

[Früh]  Yerscliiedenes  imaginirt  und  vorbereitet^. 
Tgb.  3,  295,  13. 

20  ?  December  9,  Jena.  637 

[Früh],  Novellen  zu  ^Wilhelm  Meisters  "Wanderjahren'. 
Lange  im  Bette. 

Tgb.  3,  305,  16  f. 

?December  11,  Jena.  638 

25  [Früh],    A'erschiedenes    durchgedacht.  .  .  .  Xovellen 

und  Romane. 

Tgb.  3,  306,  11—13. 


"wahrscheinlleJi,  denn  urspiünglich  sollte  die,  nachmals  zum 

Roman  erweiterte,  Erzählung  unter  den  kleinen  für  .Wilhelm 

30      ileisters  Wanderjahre'  bestimmten  Geschichten  ihren  Platz 

finden,   vgl.   Nr.   640    (hier,    am   11.    April    1808,    wird    zum 

erstenmal   der  Name   .Wahlverwandtschaften*   genannt)    und 

die  sachlich  hierher  gehörige  Nr.  890. 

*  Am  11.  November  war  Goethe  in  Jena  eingetroffen  imd  blieb 

35      hier  bis  zum  18.  December. 

Die  obige  Aeusserung  bezieht  sich  wahrscheinlich  nicht  mit 


364  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1808 

?December  13,  Jena.  '  639 

[Früh]  Mit  kleinen  poetischen  Dingen  und  sonstigen 
Betrachtungen  beschäftigt^. 
Tgb.  3,  307,  3  f. 

?Dec8uiber  17,  Jena.  —  s.  Nr.  86.  639a    5 

1808. 

April  11,  Weimar.  640 

[Früh]   An    den    kleinen    Erzälilungen    Schema tisirt. 
besonders  den  ^Wahlverwandtschaften'  und    dem  ,Mann 
von  fünfzig  Jahren^  .  .  .  Abends  Hofrath  Meyer.  .St.  lo 
Joseph  der  Zweite'  vorgelesen.  Ueber  die  kleinen  Erzäh- 
lungen überhaupt  gesprochen. 
Tgb.  3,  327,  26—328,  3. 

AprU  12,  Weimar.  641 

[Früh]  Wie  gestern  [s.  Nr.  640].  is 

Tgb.  3,  328,  4. 

?April  24,  Jena.  641a 

[Kaehmittags]  In's  Paradies  mit  Meyer.  Pandorisches 
und  andres^. 

Tgb.  3,  330,  9  f.  20 

?April  27,  Jena.  642 

[Nachmittags]    Ausbildung,   Gewahrwerden  verschie- 
dener ]\Iotive  und  ihrer  Behandlung. 
Tgb.  3,  330,  25-27. 


auf  die  ,WablA'erwandtschaften',   sondern  auf  die   Vorberei-  25 
tung  zur  Arbeit  an  dem  Festspiel  ,Paudora',  dem  diese  fünf 
Wochen  bauptsäcblieb  gewidmet  wurden. 

^  Unter  den  ,. kleinen  poetischen  Dingen"    sind    wohl  Sonette 
zu  verstehen. 

^  Vom  23.  April  bis  zum  1.  Mai  befand  Goethe  sieh  in  Jena,  30 
hauptsächlich  an  ,Pandora'  arbeitend,  auf  die  auch  das  Obige 
wahrscheinlich  Bezug  hat.     Doch    ist   die    Möglichkeit   einer 
Beziehung  auf  die  ,W^ahlverwandtscbaften'  keineswegs  aus- 
geschlossen, vgl.  464,  25—27. 


1808  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  365 

?April  28,  Jeua.  643 

[Früh]   Pandora.  Andre  Schemata. 
Tgb.  3,  331,  1. 

Mai  1,  zwischen  Jena  und  Weimar.  644 

5  Gegen  Acht  von  Jena  weggefahren.      Schöne  Witte- 

rung. Hofrath  Meyern  die  erste  Hälfte  der  ,Wahlver- 
wandtschaften'  erzählt^. 
Tgb.  3,  331,  17—19. 

Mai  4,  Weimar.  64.> 

10  [Kach  Mittag]  Mit  Hofrath  Meyer  besonders  über  die 

^Wahlverwandtschaften'. 
Tgb.  3,  332,  23  f. 

?Mai  13,  zwischen  Pössneck  und  Hof^  646 

ünterweges  .  .  De  rebus  aestheticis  et  poeticis. 
15  Tgb.  3,  335,  6—8. 

Mai  29,  Karlsbad.  647 

[Vormittags]    Angefangen    an    den    ,Wahlverwandt- 
schaften'    zu    schematisiren.  .  .  .    Nach    Tische    Fort- 
setzung des  Schemas  von  heute  früh. 
20  Tgb.  3,  340,  15  f.  19  f. 


^  Dieser  Fahrt  gedachte  Scliucliardt  bei  Gelegenheit  eines  Ge- 
sprächs mit  Robert  Springer  über  Goethes  Gewohnheit,  seine 
Werke  zu  dictiren  und  sie,  längere  Zeit  vor  der  Niederschrift, 
schon  im  Geiste  völlig  auszuarbeiten.  Schuchardt  berichtet: 

25  „Meyer,  gegen  den  ich  mich  verwundert  daniber  aussprach, 
erzählte  mir  sogai*,  Goethe  habe  ihm  auf  einer  Fahrt  von 
Jena  nach  Weimar  im  Wagen  ganze  Abschnitte  aus  den 
.Wahlverwandtschaften',  von  denen  damals  noch  nichts 
niedergeschrieben  gewesen,  so  geläufig  vorgetragen,  als  ob  er 

30      von  einem  Buche  abgelesen  habe"  (,Die  klassischen  Stätten 

von  Jena    und  Ilmenau.     Ein  Beitrag   zur    Goethe-Literatur. 

von   Robert   Springer.    .  .  .  Berlin   1869.    Verlag    von   .Julius 

Springer'  S.  68). 

^  Auf  der  Falirt  nach   Karlsbad,   wo   Goethe  am   Abend   des 

35  15.  Mais  eintraf.  Riemer  war,  wie  im  Jahre  vorher,  sein  Be- 
gleiter. 


566  DIE  AVAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1808 

Mai  30,  Karlsbad.  648 

[Früh]   Das  Schema  zu  den  ,AVahlver\vaiidtschaften' 

fortgesetzt    und    umgeschrieben.  .  .  .     [Nach     Mittag] 

über  den  Xeu-,  Theresien-  und  Schlossbrunn    auf    den 

Chotekschen  Weg,  den  ^Wahlverwandtschaften'  nachge-    5 

dacht. 

Tgb.  3,  341,  1  f.  S— 10. 

Mai  31,  Karlsbad.  649 

Früh  .  .  besonders    an    den    ,Wa]ilver\vandtschaften' 

schematisirt.  lo 

Tgb.  3,  341,  12  f. 

Jur.i  1.  Karlsbad.  650 

[Früh]  Die  zwei  ersten  Capitel  der  , Wahlverwandt- 
schaften' dictirt.  .  .  .  Abends  zu  Hause  und  an  den 
jWahlverwandtschaften'   schematisirt^.  i5 

Tgb.  3,  341.  22—26. 


^  Rieuier  vermerkt  gleichzeitig  in   seinem   Tagebuche:   „Fi-iih 
um  sieben  Uhr  bei  Goethe,  der  au  den  zwei  ersten  Capiteln 
der  ,'\Vahlyerwandtschafteu'  dictirte  bis  halb  zwölf  Uhr.  .  .  . 
Abends     mit     Goethe     über     die     , Wahlverwandtschaften' "  20 
(Deatsche  Revue  11,  4,  27). 

Auch  sei  hier  eingeschaltet,  was  Riemer  in  dem  von  Goethes 
„Reisen"  handelnden  Abschnitte  seiner  .Mittheilungen'  Hier- 
hergehöriges,  Insbesondere  auf  die  ,Wahlverwandtschaften' 
Bezügliches  berichtet:  25 

,,.Tena  imd  Karlsbad  wai*en  für  seine  poetischen  Prodnc- 
tionen  sehr  günstige  und  förderliche  Orte.  Nicht  nur  die  So- 
nette, die  ,Wahlverwandtschaften'.  .Pandora',  sondern  auch 
die  kleinen  Gemälde,  .St.Joseph'.  die  ,Xeue  Melusine"  und 
andere  mehr  wurden  dort,  wenn  nicht  alle  concipirt,  doch  30 
grüsstentheils  ausgebildet  und  zur  ersten  Erscheinung  ge- 
bracht. 

.  .  .  ich  (war)  hier  nicht  nur  Augenzeuge,  sondern  auch  Ge- 
hülfe bei  Entstehung  und  Bildung  der  lieblichsten  Novellen, 
Mährchen  und  Allegorien,  indem  ich  mit  rascher  Feder  die  35 
Dictate  des  Dichters  auffasste  und  sie  zur  ätissern  Erschei- 
nung, zur  nähern  Uebersicht,    zur    ferneren  Ueberarbeitung 


ISOS  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  367 

Juni  2.  Karlsbad.  651 

[Früh]  Das  dritte  und  vierte  Capitel    der    j'Walilver- 

"wandtscliaften'  dictirt.  Vor  und  nach  Tische  das  Schema 

Ton  den  folgenden    Capiteln    durchgedacht    und    mnge- 

5      schrieben^. 

Tgb.  3.  342,  1— t. 

Juni  3,   Karlsbad.  652 

[Vormittags]   Einiges  am  Schema  zu  den  ,Wahlver- 
■wandtschaften^ 
10  Tgb.  3.  312.  Sf. 

Juni  4.  Karlsbad.  653 

[Vormittags]   An  den  ^Wahlverwandtschaften'  sche- 
matisirt.  Xach  Tische  fortgefahren. 
Tgb.  3.  342.  24  f. 

15  Juni  ö.  Karlsbad.  C."4 

[Xachmittags]   Einiges  schematisirt    an    den    ,Walil- 
verAvandtschaften^ 
Tgb.  3,  343.  7  f. 


und  Ausbildung  in  Wort  und  Stil,  in  reinlicher  Hinsclirift  vor 

20      Augen  legen  konnte. 

Das  Besprechen  des  Plans,  die  Prüfung  und  Anwendimg 
der  einzelnen  Motive,  füllte  die  Mussestunden  der  Spazier- 
gänge, der  Tischzeit:  wozu  sich  Bemerliungen  und  Reflexi- 
onen aus  dem  Leben  überhaupt  gesellten. 

25         Man  lebte  und  verkehrte  selbst  unter  diesen  eingebildeten 

Personen  der  Phantasie,  als  wären  es  wirkliche:  wie  sie  denn 

auch  zu  Vergleichungen  mit  wirklichem  Anlass  und  Parallele 

boten. 

Für   Charlottens    Persönlichkeit   fand   ich   bald   unter 

30  den  Badegästiunen  eine  Goethen  nicht  unwillkommene  Re- 
präsentantin. So  fehlte  es  auch  nicht  an  einem  Haupt- 
mann, nicht  an  einem  leibhaften  Lord:  und  für  Mitt- 
lern wie  für  den  Architect  liess  sich  sogar  eine  por- 
traitähnliche    Verwandtschaft     nachweisen"    (Mittheilungen 

35      1,  390  f.1. 

'  Riemers  Tagebuch  vom  gleichen  Tage:  ..Goethe  dictirle  das 
dritte  und  vierte  Capitel  der  .Walilverwandtschaften'.  L'eber 


368  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEX.  1808 

Juni  C,  Karlsbad.  655 

[Früh]     Die    ^Wahlverwandtschaften'    fünftes    und 

sechstes  Capitel  und  Anfang  des  siebenten  dictirt.  .  .  . 

meist  mit  Scheniatisirung    der  ^Wahlverwandtschaften' 

begriffen.  ^ 

Tgb.  3,  343,  9—12. 

Juni  7,  Karlsbad.  656 

[Früh]  Das  siebente  Capitel  der  ,WahIverwandt- 
schaften',  sodann  noch  das  achte.  .  .  .  jSTach  Tische  am 
Schema  der  ^Wahlverwandtschaften'.  ^° 

Tgb.  3,  343,  18  f.  21  f. 

Juni  11,  Karlsbad.  657 

[Vormittags]  .  .  Schema  von  den  ,Wahlverwandt- 
schaften'  fortgesetzt. 

Tgb.  3,  345,  2  f.  15 

Juni  14,  Karlsbad.  658 

[Früh]  An  den   ^Wahlverwandtschaften'    das    neunte 

und  zehnte  Capitel. 
Tgb.  3,  346,  17  f. 

Juni  16,  Karlsbad.  659  20 

Xach  Tische  Schema  von  den  ^Wahlverwandtschaften'. 
Tgb.  3,  348,  10  f. 

Juni  24,  Karlsbad.  660 

Früh  .  .  am  ferneren  Schema  der  ^Wahlverwandt- 
schaften'.  25 

Tgb.  3,  351,  23  f. 

Juni  25,  Karlsbad.  661 

[Früh]  Schema  der  ,AYahlverwandtschaften'. 
Tgb.  3,  352,  5. 

Juli  2,  Karlsbad.  662  30 

Soweit  für  diessmal.  Doch  will  ich  nicht  vergessen 
noch  hinzuzufügen,  dass  ich  abermals  kleinere  und  grös- 

Tische  darüber  gesprochen.  Artigkeit  dieses  empirischen  Aus- 
druckes" (Deutsche  Revue  11,  4,  27). 


1808  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  369 


[Juli  2,  Karlsbad.]  [662] 

sere    Geschichten    bearbeite,    "um    mit    meinen    Yorle- 
sungen  fortfahren   zn   können,   "^enn   wir   uns   wieder- 
sehen^. 
5  An  Knebol.  —  Br.  20,  107,  1.5—19. 

Juli  2.  Karlsbad.  n62a 

An  kleinen  Erzählungen  war  ich  bisher  lieissig. 
An  Cb.  V.  Stein.  —  Br.  20,  109,  18  f. 

Juli  4.  Karlsbad.  GG3 

10  [Früh]    An    den    ,"\Valilverwandtschaften*    das    elfte 

Capitel.  .  .  .  Xach  Tische    am    Schema    der    ,TVahlver- 

wandtschaften'  weiter  gedacht  tmd  dieses  Abends  auf 

der  Promenade  fortgesetzt. 

Tgb.  3.  3.57,  6—9. 

15  Juli  5.  Karlsbad.  664 

[Fxüli]  Die  ,TVahlverwandtschaften*,  zwölftes  Capitel. 
Tgb.  3,  357,  17. 

Juli  6,  Karlsbad.  665 

[Früh]   Schema    der    ,"WahlYerwandtschaften'    umge- 
20      schrieben  bis  zu  Ende.  Allein  spazieren  nach  der  Karls- 
brücke und  über  diese  Dinge  gedacht. 
Tgb.  3,  357,  28— .3.58.  2. 

Juli  7.  Karlsbad.  666 

[Früli]    An  den  ,Wahlverwandtschaften"'   dictirt   das 
25      dreizehnte  Capitel. 
Tgb.  3,  3.5S,  1-t  f. 

Juli  8.  Karlsbad.  667 

[Fruit]   Am  Schema  der  ^Wahlverwandtschaften'. 
Tgb.  8,  358,  22. 

30  Juli  10.  Franzeusbad-.  668 

[Vormittags]   Schema  der  ,Wahlverwandtschaften'. 
Tgb.  8,  359,  13  f. 


'  Goethe  dachte  hierbei  an  Vorlesungen  wie  die  vom  28.  April 
1808  Abends,  vgl.  Nr.  1465. 
35    ^  Vom  9.— 21.  .Juli  hielt  Goethe  sich  in  Frauzensbad  auf  und 
traf  in  der  Frühe  des  22.  Juli  wieder  in  Karlsbad  ein. 
Graf,  Goethe  über  seine  Dichtungen  T.  I.  24 


370  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1808 

Juli  19,  Franzensbad.  66& 

.  .  ich  hoffe  nach  meiner  Rückkehr  von  den  ^Wahl- 
verwandten'  stark  angezogen  zu  werden. 
An  Riemer.  —  Br.  20,  117,  10—12. 

Juli  23,  Karlsbad.  670    5 

[PYüh]  ,Wahlverwandtschaften'\ 
Tgb.  3,  3«j3,  17. 

Juli  24,  Karlsbad.  671 

[Früh]  ,Wahlverwandtschaften'.  .  .  .   [Nachmittags] 
Mit  Frau  von  Eybenberg  ausgefahren.  Vorgelesen.  ,"\Yahl-  lo 
Verwandtschaften'. 

Tgb.  3.  363,  20.  22  f. 

Juli  25,  Karlsbad.  672 

[Früh]  Die  ^Wahlverwandtschaften'.    Capitel    17.    18. 
.  .  .   [Nachmittags]  Mit  Frau  von  Eybenberg  spazieren  i5 
.  .  [Abends?]  derselben  die  ,Wahlverwandtschaften'  bis 
zu  Ottiliens  Brief  an  die  Freunde-   [vorgelesen]. 
Tgb.  3,  363.  27.  364,  3.  5  f. 

?Juli  26,  Karlsbad.  673 

[Nachmittags]  Mit  Frau  von  Eybenberg  spazieren  .     20 
Abends  gelesen, 
igb.  3.  364.  10 f. 

Juli  28.  Karlsbad.  674 

[Früh]  Die  ,AYahlverwandtschaften'  bis  zu  Ende  sche- 
matisirt.  Vorarbeiten  zu  völliger  Durcharbeit.  25 

Tgb.  3,  364,  23  f. 

Juli  29,  Karlsbad.  675 

[Früh]    Schema    des    Schlusses    der    ,"\Yahlverwandt- 
schaften'. 

Tgb.  3.  365,  4.  30 

^  Riemers  Tagebuch  vom  gleichen  Tage:  „Früh  um  sechs  Uhr 

zu  Goethe,  an  den  .Wahlverwandtschaften'  dictirt  bi«  um  elf 

Uhr"  (Deutsche  Revue  11,  4,  29). 
=  Dieser  Brief  findet  sich  in  Theil  2  Capitel  17  (W.  20.  304  f.). 

nahe  dem  Schluss  der  Dichtung,  den  Goethe  am  28.  29.  und  35 

30.  .Tuli  schrieb. 


1808  DIE  WAHLVERWANDTSCHArTEX.  371 

Juli  30.  Karlsbad.  676 

Früh  Schluss  der  ,\yahlverwandtschaften'\ 
Tgh.  3.  365,  23. 

J[Juli  31.  Karlsbad.]  677 

5  Fleissig  war    ich  aucli    auf    mancherlei  Weise,    theils 

fortsetzend,  theils  beginnend-. 

An  den  Herzog  Karl  August.  —  Br.  20.  122.  18  f. 

August  1.  Karlsbad.  67S 

Mit  meinem  hiesigen  Aufenthalte  bin  ich    noch    sehr 
10      zufrieden,  ich  habe  mich  viel  besser  befunden  und  mehr 
gethan  als  vor  einem  Jahre. 

An  Christiane.  —  Br.  20.  124.  12—14. 

August  3.  Karlsbad.  H7'J 

.  .  ich  wendete    meine  Bemühen    besonders  ^Morgens 

15      an    Gegenstände,    die    Ihnen,    hoffe    ich,    auch    Freude 

machen    sollen.  .  .  .  noch     vierzehn     Tage     muss     ich 

tüchtig  fleissig  sein,  sonst  wird  mir's  für  Herbst  und 

Winter  bange:  im  Juni  und  Juli  habe  ich  mir  allzuwohl 

sein  lassen". 

20  An  Silvie  v.  Ziegesar.  —  Br.  20.  127.  7—9.  24—27. 

August  7.  Karlsbad.  680 

Was  mich  betrifft,  so  mag  ich  noch  von  hier  nicht  fort; 
ich  komme  so  bald  nicht  wieder  in  die  Arbeit,  wie  ich 
jetzt  im  Zug  bin,  .  . 
25  An  Christiane.  —  Br.  20.  133.  11—13. 


'  Riemers  Tagebuch  gleichzeitig:  ..Früli  den  Schluss  der  .Wald- 
verwandtschaften' "  (Deutsche  Revue  11,  4.  29t. 
-  Unter  dem   ..Fortgesetzten"  halien  wir    in  erster  Linie    das 
Festspiel   .Pandora"  zu   verstehen,   unter  dem    ..Begonnenen" 
30      die  .Wahlverwandtschaften'. 

^  Dichterische  Arbeiten,  au  die  mau  zunächst  deulieu  möchte, 
scheinen  hier  docli  nicht  gemeint  zu  sein.  Denn  diese  gerade 
waren  im  .Juni  und  .Juli  gefördert  worden,  während  das  Tage- 
buch der  nächstfolgenden  Wochen  kaum  etwas  von  der- 
35  gleichen  meldet.  Erst  Ende  des  Monats  tritt  die  Arbeit  an 
den  , Wahlverwandtschaften'  wieder,  für  uns  sichtl:)ar.  hervor. 
Inzwischen  aber  widmete  Goethe  sich  besonders  der  Ge- 
schichte der  .Farbenlehre'. 


DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1808 


August  14,  Karlsbad.  681 

Mit  einiger  gewonnenen  Ausbeute  hoffen  wir  den 
Freunden  an  der  Saale  zu  dienen  und  wünschen  dagegen 
freundlichen  Empfang. 

An  Johanna  Frommann.  —  Br.  20,  139,  20—23.  5 

August  16,  Karlsbad.  C82 

Alle  meine  wissenschaftlichen,  litterarischen  und  poe- 
tischen Unternehmungen  sind  um  etwas  zugerückt. 
An  Cb.  V.  Stein.  —  Br.  20,  141,  9  f. 

]  [August  16,  Karlsbad.]  683  lo 

Ich  hin  nun  in  der  vierzehnten  Woche  hier.  Ich 
wollte,  der  Sommer  ging'  von  neuem  an  und  ich  wollte 
immer  so  fort  mein  Leben  und  "Wesen  hinführen.  Das 
klingt  nicht  sehr  höflich  für  die  abwesenden  Freunde! 
und  doch  habe  ich  vielleicht  in  diesen  Wochen  auch  für  1» 
Sie  mehr  gethan  als  sonst  in  Jahren.  .  .  .  Ich  habe  mich 
sehr  wohl  befunden  und  bringe  davon  einige  Zeugnisse 
mit. 

An  Cb.  V.  Schiller.  —  Br.  20.  143,  1—7.  10  f. 

August  17,  Karlsbad.  684  20 

So  habe  ich  auch  meine  Gedanken  auf  kleine  Romane 
und  Erzählungen  gewendet,  einiges  dieser  Art  angelegt, 
anderes  ausgeführt. 

An  seinen  Sohn.  —  Br.  20,  146,  15—17. 

August  22.  Karlsbad.  685  25. 

Ton  mir  kann  ich  so  viel  sagen,  dass  ich  meine  Tage 
gerade  so  zubringe,  als  wenn  ich  erst  mein  Fortkommen 
in  der  Welt  suchen  wollte.  Ich  bin  unausgesetzt  auf 
allerlei  Weise  fleissig.  Möge  dadurch  Ihnen  auch  einmal 
eine  frohe  Stunde  werden^.  30 

An  Marianne  v.  Eybenberg.  —  Br.  20,  160,  12-16. 

August  28,  Karlsbad.  686 

[Früh]    Die    ,Wahlverwandtschaften'    wieder    vorge- 


^  Frau  von  Eybenberg  war  am  31.  Juli  nach  Teplitz  abgereist. 


180S  DIE   WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  373 

{August  28,  Karlsbad.]  [Ü86] 

nommen  und  sie   in  verschiedenen  Beziehungen    durch- 
gedacht. 

Tgb.  3,  377,  28—  378,  2. 

5  August  28,  Karlsbad.  687 

Goethes  Geburtstag.  Mit  ihm  über  den  neueren  Ro- 
man, besonders  den  seinigen. 

Er  äusserte,  seine  Idee    bei    dem  neuen  Eoman  ,üie 
Wahlverwandtschaften'  sei:  sociale  Verhältnisse  und  die 
10      Conflicte  derselben  s}Tnbolisch  gefasst  darzustellen. 
Mit  Riemer.  —  Gespräclie  2.  216\ 

August  29,  Karlsbad.  688 

[Früh]  Die  ,Wahlverwandtschaften'  studirt. 
^  Tgb.  3,  378,  15. 

15  August  30.  zwischen  Karlsbad  und  Maria-Kulm-.  689 

Früh  um  sechs  Uhr  von  Karlsbad  weggefahren.  Un- 
terwegs über  die  jAVahlverwandtschaften*  gesprochen 
und  gedacht^. 

Tgb.  3,  378.  20—28. 

20  September  11.  Frauzeusbad.  090 

[Früh]  Die  , Wahlverwandtschaften'  überlegt. 
Tgb.  3,  384,  20. 

September  19,  Weimar.  691 

Ich  bin  glücklieh  von  Karlsbad  zurück  und  habe  dort 
25      manches  gearbeitet,  das  ich  Ihnen  früher  oder  später 
an's  Herz  zu  legen  denke. 

An  Zelter.  —  Br.  20.  lOÖ.  5—7. 


^  Aus  Riemers  Tagebuch  (Deutsche  Revue  11,  4,  33). 

-  An  diesem  Tage  trat  Goethe,  in  Gesellschaft  Riemers,  die 
Rückreise  von  Karlsbad  an,  blieb  zunächst  in  Franzensbad 
bis  zum  12.  September  und  traf  am  14.  in  Jena,  am  17.  in 
Weimar  ein. 

'  In  Riemers  Tagebuch  heisst  es  unter  dem  30.  August:  ..Um 
sechs  L'hr  von  Karlsbad  weggefahren.  Ueber  die  ,Wahlver- 
wandtschaften*  und  was  noch  zu  thun  sein  möchte";  am 
31.  August:  ..Die  ."\\'alilverwandtschaften'  gelesen";  am  2.  Sep- 
tember: „Den  Park  aus  den  .Wahlverwandtschaften'  ent- 
worfen" (Deutsche  Revue  11,  4,  33). 


374  DIE  WAHLVERWANDTSCHAI^TEN.  1808 

November  (3,  Weimar.  —  s.  Xr.  548a.  691a 

][December  2,  Weimar.]  692 

Dass  alle  litterarischen  Arbeiten  zugleich  mit  allen 
andern  Geschäften  durch  diese  Begebenheiten^  unter- 
brochen worden,  ist  leider  zu  vermuthen.  Ich  versuche  & 
dieses  und  Jenes  wieder  anzuknüpfen;  noch  aber  will  es 
nicht  liiessen.  So  ist  indess  von  der  .Farbenlehre'  leider 
nur  ein  Bogen  zu  Stande  gekommen. 

An  Ausarbeitung  anderer  in  Karlsbad  vorbereiteter, 
für's  Publicum  vielleicht    mehr    erfreulicher,    Arbeiten  lo 
liess  sich  bis  jetzt  gar  nicht  denken^.  Indessen  wird  eins 
nach  dem  andern,  wenigstens  im  Geiste,  vorgeschoben. 
An  Cotta.  —  Br.  20,  22«i,  12—23. 

1809. 

Januar  1<3,  Weimar.  693  15 

.  .  glauben  Sie,  wenn  ich  mich  wieder  nach  Karlsbad 
sehne,  so  ist  es  nicht  zum  kleinsten  Theil,  weil  ich  hoffen 
kann,  Ihnen  wieder  näher  zu  kommen. 

Hoffentlich  wird  Ihre  Gegenwart  mich  wieder  zu 
manchem  Guten  befeuern:  denn  leider  hab'  ich  seit  20 
meinem  Hiersein  doch  auch  gar  nichts  hervorgebracht^. 
Ja  ich  kann  fast  sagen,  seit  den  letzten  Capiteln  jenes 
Eomans,  die  ich  so  geschwind  zusammenschrieb,  um 
Ihnen  keinen  fragmentarischen  Eindruck  zu  hinter- 
lassen*,   ist    mir    fast    gar    nichts  gelungen,   was  denn  25 


*  Durch  die  Zusammenliunft  Napoleons  mit  dem  Kaiser  Ale- 
xander von  Russland,  Goethes  Unterredung  mit  Napoleon, 
dessen  Aufenthalt  in  Weimar  und  mancherlei  durch  diese  Er- 
eignisse vei-anlasste  Unruhen. 

'  Bei   diesen   ..Arbeiten"    ist.   wie   bei   allen    ähnliehen,    allge-  30 
meinen  Aeusserungen  aus  dieser  Zeit  sowohl  an  die  .Wahl- 
verwandtschaften' als  an  die  kleinen  Erzählungen  in  .Wilhelm 
Meisters  Wanderjahren'  zu  denken. 

'  ^  gl.  Nr.  692. 

*  \s\.  Nr.  67r..  67(;  vom  20.  und  30.  ,Tuli  1808;  am  31.  .Tuli  hatte  3.^ 
Frau  von  Eybenberg  Karlsbad  verlassen. 


1809  DIE   WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  375 


[Januar  16,  Weimar.]  [693] 

auch  wohl  sehr  natürlich  ist,  weil  ich  fast  gar  nichts 
unternommen  habe.- 

An  Marianne  v.  Eybenberg.  —  Br.  20,  280,  22—281,  9. 

5    Februar  10,  "\\'einiar.  694 

Ich  arbeite  an  gar  manchem,  das  anch  Ihnen  dereinst 
Freude  machen  wird.  Desshalb  verzeihen  Sie  mir  mein 
Schweigen  ,  . 

An  Zelter.  —  Br.  20,  29V,  0—8. 

10  April  1.5,  Weimar.  695 

[Früh]  .Wahlverwandtschaften'.  Spazieren  in  Ueber- 
legung  des  Schemas  zur  Ausfüllung  und  Ausführung. 
Tgb.  4,  22.  15  f. 

April  1(>,  Weimar.  690 

15  [Früh]  Die  ,Wahlverwandtschaften^ 

Tgb.  4,  22,  19. 

April  18,  Weimar.  697 

[Gegen  Abend]   .  .  bei    Durchlaucht    der    Herzogin: 
die  jWahlverwandtschaften'  [vorgelesen]  ^ 
20  Tgb.  4,  23,  2  f. 

April  20,  Weimar.  698 

[Vormittags]  Die  ,Wahlverwandtschaften^ 
Tgb.  4,  23.  9. 

April  21,  Weimar.  699 

25  [Früh]   Die  ,Wahlverwandtschaften'.  Doctor  Cotta^. 

Tgb.  4,  23,  13. 


*  Knebels  Schwester  Henriette  war  bei  dieser  Voi'lesung  zu- 
gegen  und   schrieb  am   folgenden   Tage  ihrem    Bruder:   ,,Es 
war  ewig  schade,  dass  Du  nicht  die  Erzählung  von  Goethe 
30      mit  angehört  hast.  Sie  ist  voll  Geist  und  Leben  und  versetzt 
in  die  mildeste  Gemüthsstimmung*'  (Knebel-Henriette  S.  363). 
Goethe  las  an  diesem  ersten  Abend  vermuthlich  die  ersten 
acht  oder  neun  Capitel  vor,  vgl.  376.  23—26.  381.  3—7. 
^  Riemers  Tagebuch  vermerkt  gleiclizeitig:  „Früh  bei  Goethe. 
35      Einiges  zu  seinem  Roman"  (Deutsche  Revue  12,  1,  17). 


370  DIE  WAHLVER^^'A^•DTSCHAFTEN.  1809 


April  22,  Weimar.  700 

[Früh]  Die  ,Wahlvenvancltschaften^ 
Tgb.  4,  23,  16. 
April  26,  Weimar.  701 

[Vormittags]   Schema  der  , Wahlverwandtschaften'. 
Tgb.  4,  24,  4  f. 

April  28,  Weimar.  T02 

Heut   Abend   führ'   ich   noch   zu   guter  Letzt   meine 

Geister  wieder  vor^. 

An  Ch.  V.  Stein.  —  Br.  20,  318,  22  f.  10 


Cotta,  Goethes  Verleger,  hatte  am  2.  März  1809  an  Charlotte 
Schiller  geschrieben:  „Wenn  doch  Goethe  mit  seinem  Roman 
herausrückte;  anfangs  sagte  er's  mir  zu,  nun  ist  er  aber 
wieder  abgeneigt,  ihn  sogleich  zu  publiciren"  (Schiller-Cotta 
S.  562).  Die  hier  ei'\\'ähnte  Zusage  mag  in  einem  der  nicht 
bekannten  Briefe  Goethes  an  Cotta  stehen,  die  in  der  Tabelle  15 
der  „Postsendungen"  1808  September  22.  23,  November  4, 
1809  Januar  24  verzeichnet  sind  (Br.  20,  395  f.).  Jetzt  wird 
mündlich  die  Angelegenheit  verhandelt  und  die  Veröffent- 
lichung der  ,Wahlvei-wandtschaften'  zur  Michaelismesse  des 
laufenden  Jahres  beschlossen  worden  sein.  20 

^  „Zu  guter  Letzt",  da  Goethe  am  andern  Morgen  (29.  April) 
für  längere  Zeit  nach  Jena  übersiedelte,  und  „wieder",  mit 
Beziehung  auf  die  erste  Vorlesung  am  18.  April  (s.  Nr.  697), 
las  Goethe  an  diesem  Abend  die  zweite  Hälfte  des  ersten 
Theils  der  .Wahlverwandtschaften'  bei  der  Herzogin  Luise  25 
vor,  vgl.  381,  3—7. 

Charlotte  von  Stein  schrieb  Tags  darauf,  am  29.  April,  ihrem 
Sohne  Fritz:  „Es  that  einem  wohl,  auf  einige  Stunden  in 
eine  idealische  Welt  zu  kommen.  Wie  viel  Keuntniss  des 
menschlichen  Herzens,  was  für  feine  Gefühle,  Avie  viel  Sitt-  30 
lichkeit.  Verstand  und  Anstand  darin  vorgetragen  ist,  kann 
ich  Dir  nicht  genug  sagen.  Der  Himmel  gebe,  <lass  e/  ihn 
vollenden  kann.  Er  hatte  ihn  voriges  Jahr  in  Karlsbad  ange- 
fangen, und  nun  will  er  ihn  auch  dort  vollenden,  und  die 
Kriogsunruhen  [der  Krieg  Napoleons  gegen  Oeslerreich]  ver-  35 
hindern  die  Reise"  (G.-Stein,  zweite  Auflage,  2,  668  zu  S.  436). 

Henriette  Knebel,  die  gleichfalls  bei  der  Vorlesung  anwe- 
send war.  schrieb  am  29.  April  an  Knebel:  ,, Heute  wird 
Goethe  auf  einige  Tage  nach  Jena  kommen.  Er  hat  uns  gestern 


180'j  DIE  WAHLVEFvWAXDTSCHAFTEN.  377 


April  2S,   Weimar.  703 

Abends  Vorlesung  bei  der  Herzogin  von  den  ,Wahl- 
verwandtschaften'^ 
Tgb.  4,  24,  17  f. 

5  Mai  9,  Jena.  704 

Indessen  man  in  "Weimar  meiner  so  gnädig  und 
freundlich,  gedachte  und  von  meinen  romantischen  ^lit- 
theilungen  einen  guten  Xachklang  empfand-,  ist  es  mir 
zum  Eintritt  hier  gleich  sehr  übel  gegangen,  indem  ich 
10  einen  Anfall  erleiden  musste,  von  dem  ich  nun  drei 
Jahre  befreit  geblieben,  nnd  der  mir  nun  imi  so  :nehr 
Apprehension  gibt,  als  es  doch  immer  unwahrscheinlich 
bleibt,  dass  ich  nach  Karlsbad  gelangen  kann^.  .  .  .  Dass 

durch  die  Fortsetzung  seines  Romans  einen  der  seltnen  und 

15  auserlesenen  Abende  verschafft  und  hat  uns  ganz  in  seinen 
Zauberlireis  hineingezogen.  Seine  Gemälde  siud  nicht  allein 
volUvommen  richtig  gezeichnet,  sondern  jedes  Detail  ist  zu- 
gleich mit  so  lebhaften  Farben  und  so  äusserst  delicat  ausge- 
malt, dass  man  dieses  neue  Product  als  ein  Meisterwerk  nicht 

20  genug  bewundern  und  sich  darüber  erfreuen  liauu.  Ich  gäbe 
was  drum,  wenn  er  Dir's  vorläse.  Es  hat  uns  sehr  glücklich 
gemacht,"  und  am  3.  Mai,  ebenfalls  an  Knebel:  „Goethe  hat 
sich  grosses  Verdienst  um  uns  erworben,  da  er  uns  mit  sanfter 
und  sichrer  Hand  aus  dem  bösen  Weltgetümmel  gezogen  und 

25  uns  Geist  und  Sinne  auf  das  lieblichste  gefesselt  hat.  Wir 
hoffen  dafüi-,  dass  er  den  süssesten  Lohn  auch  an  seiner 
Gesundheit  empfinden  wird.  Uebrigeus  genügt  ihm  schon 
unsre  herzliche  Dankbarkeit  und  Freundschaft"  (Km-bel- 
Henriette  S.  366  f.). 

30   1  Vgl.  die  vorhergehende  Erläuterung.  • 

'  Das  heisst:  von  der  A'orlesung  der  .Wahlverwandtschaften* 
(vgl.  Nr.  702.  703),  über  die  Charlotte  von  Stein  Goetheu  ähn- 
liehe Beifallsäusserungen  der  Herzogin  Luise  und  der  Prin- 
zessin Caroline  mochte  mitgetheilt  haben,  wie  deren  die  Briefe 

35      von  Knebels  Schwester  enthielten  (vgl.  376.  37).  Die  letzteren 

hatte  Knebel  gewiss  dem  Freunde  schon  vorgelesen,  als  dieser 

das  Obige  schrieb,  denn  im  gleichen  Briefe  heisst  es:  ..Knebel 

besucht  mich  treulich  Morgens  und  Abends"  (Br.  20,  330.  10). 

'  Vgl.  376.  33-36. 


378  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1809 

[Mai  9,  Jena.]  [704] 

unter  solchen  Adspecten  nicht  viel  geleistet  wird,  können 
Sie  wohl  denken.  Ich  habe  schon  einigemal  mein  Gebet 
an  die  heilige  Ottilie^  gewendet;  allein  ich  habe  noch 
keine  Gegenwirkung  empfunden.  Es  jammert  mich  nur,  5 
dass  die  schöne  Zeit  so  ganz  ungenützt  vorbeistreichen 
soll.  Vielleicht,  wenn  ich  noch  eine  Zeitlang  hier  bleibe, 
geniesse  ich  besserer  Einflüsse. 

An  Ch.  V.  Stein.  —  Br.  20,  329,  9—17.  21—  330,  4. 

Mai  11,  .Jena.  705  10 

[Früh]  jWahlverwandtschaften'  Schema. 
Tgb.  4,  28,  10. 

Mai  12,  Jena.  706 

Indessen  geht  mir,  was  ich  arbeite,  gut  von  Statten  und 
m.ehr  bedarf  ich  nicht.  Wenn  ich  noch  einige  Zeit  hier  15 
bin,  soll  der  Roman,  hoffe  ich,  zum  Druck  befördert  sein. 
Denn  ich  lasse  ihn  hier  drucken,  und  es  soll  damit,  wie 
mit  einigen  andern  Dingen,  rasch  gehen.  Worüber  Du 
Dich  erfreuen  wirst. 

An  Christiane.  —  Br.  20,  332,  21-333,  3.  20 

Mai  j3,  .Tena.  707 

[Früh]  ,Wahlverwandtschaften'. 
Tgb.  4,  28,  21. 

Mai  14,  .Jena.  708 

[Früh]  ,Wahlverwandtschaften'-.  25 

Tgb.  4,  28,  28. 


^  Vgl.  Nr.  SSO. 

"  Die  der  Zeit  uach  näeliste  Aeusserung  ist  vom  19.  Mai.  Zum 
17.  Mai  sei  Folgendes  hier  eingeschaltet. 

Bettina  lässt  in   ihrem,   der  Wirklichkeit  entrückten,    aus  30 
Dichtling     und     Wahrheit     wundersam     gebildeten     Werke 
, Goethes    Briefwechsel    mit   einem    Kinde'    den    Dichter    am 
17.  Mai  1809  an  sie  schreiben: 

„Ich    habe    mich    nun    hier    in    Jena    in    einen 
Roman  eingesponnen,  um  weniger  von  allem  35 


ISO«)  DIE  WAHI, VERWANDTSCHAFTEN.  3T«J 


Mai  19,  Jeua.  705) 

Vom  Besondern  erwähne  ich  nichts,  als  dass  ich  Ihnen 
eine  sorgfältige  Prüfung  der  Manuscripte^  empfehle,  eli' 
sie  dem  Druck  übergeben  werden. 
5  An  Riemer.  —  Br.  20,  333,  2G—  334,  2. 


üebel  der  Zeit  ergriffen  zu  werden;  ich 
hoffe,  der  Schmetterling,  der  da  heraus- 
fliegt, wird  Dich  noch  als  Bewohner  dieses 
Erdenrunds    begrüssen     und    Dir      beweisen, 

10  wie  die  Psychen  auch  auf  scheinbar  vcr- 
schiednen   Bahnen   einander  begegnen". 

Mit  diesen  Worten  lässt  Bettina  (ioethen  auf  folgende  Stelle 
ihres  Briefes  vom  10.|20.  April  eingehen:  ,,0,  Goethe,  wenn 
ich  sollte  in's  Tyrol  wandern,  imd  zu  rechter  Zeit  kommen. 

15  dass  ich  den  Heldentod  sterbe!  .  .  .  Wenn  ich  sterbe,  ich  freue 
mich  schon  drauf,  so  gaukle  ich  als  Schmetterling  aus  dem 
Sarg  meines  Leibes  hervor,  und  dann  treffe  ich  Dich  in  "liesei 
herrlichen  Sommerzeit  unter  Blumen,  .  .  dann  glaube  sicher, 
es  ist  mein  Geist,  der  auf  dem  Tyrolerschlachtfeld  frei  ge- 

20  maclit  ist  von  irdischen  Banden,  dass  er  hin  kann,  w^o  die 
Liebe  ihn  ruft"  (G. -Bettina  2,  .50  f.).  —  Und  auf  Goethes  Brief 
voui  17.  Mai  antwortet  Bettina  am  22.:  „O,  lieber  Freund, 
während  Du  Dich  abwendest  vor  dem  Unheil  trüber  Zeil,  in 
einsamer  Hfilie  Geschicke  bildest    und    mit    scharfen  Sinnen 

25  sie  lenkest,  dass  sie  ihrem  Glück  nicht  entgehen,  denn  sicher 
ist  diess  schöne  Buch,  welches  Du  Dir  zum  Trost  über  alles 
Traurige  erfindest,  ein  Schatz  köstlicher  Genüsse,  wo  Du  in 
feinen  Organisationen  und  grossen  Anlagen  der  Charaktere 
Stimmungen   einleitest   und   Gefülile.    die   beseligen;    wo    Du 

30  mit  freundlichem  Hauch  die  Blume  des  (ilücks  ei"Aveckest  und 
in  geheimuissvoll  glühenden  Farben  erblühen  machst,  was 
unser  Geist  entbehrt.  —  Ja,  Goethe,  während  diesem  hat  es 

sich  ganz  anders  in  mir  gestaltet düstere  Hallen,  die 

prophetische  Monumente    gewaltiger  Todeshelden    umschlies- 

35      sen,   sind  der   Mittelpunct  meiner  schweren   Ahnungen;  .  .  . 
Ach  vereine  Dich  doch  mit  mir,  ihrer  [der  Tyroler]   zu  ge- 
denken, .  .  es  ist  des  Dichters  Ruhm,  dass  er  den  Helden  die 
Unsterblichkeit  sichere"  (G.-Bettina  2,  68  f.  71). 
*  Nach  GJ.  1,  243  waren  diess  die  .Wahlverwandtschaften'  und 

40      der  Anfang  von  .Wilhelm  Meisters  Wanderjahren'. 


380  I»IE   WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1809 

Mai  24.  Jena.  710 

[A'ormittag-s]  Den  Eoman  durchgedacht. 
Tgb.  4,  31,  8. 

Mai  25.  Jena.  711 

[Vormittags]  Betrachtungen  über  den  Roman^.  5 

Tsfb.   4,   31,   17. 

Mai  2G,  Jena.  712 

[Früh]    Der    .Wahlverwandtschaften'     drittes    Buch 
augefangen-. 

Tgb.  4,  31,  22  f.  10 

Mai  28,  Jena.  715 

[Früh]   An  den  .AVahlverwandtschaften''^. 
Tgb.  4,  32,  10. 

Mai  29,  Jena.  714 

[Früh]     An    den  ,"\Vahl Verwandtschaften'.    .  ,  .  Das  is 
erste  Buch  der  ,Wahlverwandtschaften'  besonders  durch- 
gegangen*. 

Tgb.  4,  32,  16—19. 

Mai  30,  Jena.  715 

Wende  alles,  was  Du  kannst,  die  nächsten  acht  Tage  20 
von  mir  ab:  denn  ich  bin  gerade  jetzt  in  der  Arbeit  so 
begriffen,  -wie  ich  sie  seit  einem  Jahre  nicht  habe  an- 
fassen können.  Würde  ich  Jetzo  gestört,  so  wäre  alles 
für  mich  verloren,  was  ich  ganz  nahe  vor  mir  sehe  und 
was  in  kurzer  Zeit  zu  erreichen  ist.  Wie  gesagt,  mein  25 
Kind,  lass  nur  die  nächsten  acht  Tage  nichts  an  mich 
heran,  was  abzuhalten  ist. 

An  Christiane.  —  Br.  20.  339,  7—14. 


^  Riemers  gleichzeitiges  Tagebuch  enthält  die  nemlicheu  Worte 
(Deutsche  Revue  12.  1,  18).  30 

-  s.  die  vorliei'gehende  Erläuterung. 

'  Riemers  Tagebuch  gleichzeitig:  „Früh  zu  Goethe,  an  den 
,Wahlyei-Avandtschaften'  "  (Deutsche  Revue  12.  1.  18>. 

*  Riemers  Tagebuch.  Mai  29:  ..Bei  Goethe  Wahlverwandt- 
schaften' "  (Deutsche  Revue  12.  1,  19).  35 


1809  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEX.  381 

Mai  30,  Jena.  710 

.  .  es  ist  mir  in  diesen  Tagen  gelungen,  an  dem  Roman 
fortzuarbeiten,  der  mir  durch  die  gute  Aufnahme  s'j'iner 
ersten  Hälfte^  erst  wieder  werth  geworden.  Mögen  Sic 
5      unsrer  verehrten  Fürstin  sagen,  dass  ich,  indem  ich  mir 
jene  Wirkungen  zurückrief,  die  dasjenige  hervorgebracht 
hatten,  was  schon  auf  dem  Papier  fixirt  war,  mir  den 
Muth  und  die  Freude  geben  konnte,  das  Uebrige,  was 
noch  zwischen  Sein  und  Nichtsein  schwebte,  hervorzu- 
10      rufen  und  festzuhalten.     So  viel  habe  ich  mir  fest  vor- 
gesetzt: ich  will  alles  abweisen  und  vermeiden,  was  mich 
hindern  könnte  das  Angefangene  zu  Stand  zu  bringen. 
Verzeihen  Sie,  wenn    ich  Sie    von    dem  ausschliesslich 
unterhalte,  was  mich  jetzt  interessirt.     Ein   künftiges 
15       Interesse  hängt  vom  gegenwärtigen  ab. 

An  Ch.  v.  Stein.  —  Br.  20,  340,  13—  341,  1. 

Mai  30,  Jena.  717 

Sie  werden,  .  .  ihm-  .  .  gewiss  alles  Freundliche  er- 
zeigen, dass  ich  hier  ruhig  bleiben  kann,  woran  mir  so- 

20  viel  gelegen  ist:  denn  würde  ich  jetzt  in  meiner  Arbeit 
unterbrochen,  so  verlöre  ich  ein  ganzes  Jahr.  Ich  ver- 
lange zwar  nicht,  dass  mir  das  jemand  glauben  soll:  weil 
es  aber  am  Ende  immer  nur  heisst:  Arzt  hilf  dir  selber! 
so  bleibt  mir  nichts  übrig,  als  meine  eignen  Zustände 

25      nach  meiner  Art  zu  beurtheilen.  .  .  . 

.  .  .  Ich  befinde  mich  n^'cht  mehr  ganz  übel,  weil  ich 
wieder  etwas  thun  kann^.  Wenn  ein  Arzt  auf  seinem 
Todbette  noch  einen  andern  für  ein  langes  Leben  retten 
kann,  so  sehe  ich  nicht  ein,  warum  wir  andern  nicht 


30    '  Vgl.  Nr.  697.  702—704. 

^  Dem  Maler  Kaaz.  der  inzwischen  uacli  Weimar  gekommen 
war,  um  dort  eine  Ausstellung  eigener  Gemälde  zu  veran- 
stalten und  die  Prinzessin  Caroline  zu  unten-icbten. 

»A'gl.  377,  9—11. 


382  DIE   WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1809 


[Mai  30,  Jena.]  [717] 

noch,  indem  wir  uns  übel  befinden,  etwas  thun  sollten, 
was  die  Menschen  erfreut. 

An  H.  Meyer.  —  Br.  20,  341.  24—  342,  1.  3—10.  343,  20—2'». 

Mai  30,  Jena.  TIS    5 

[Früh]  An  den  ,AVahl Verwandtschaften^,  theils  neu  ge- 
schrieben, theils  corrigirt\ 
Tgb.  4,  32,  27  f. 

Mai  31,  Jena.  719 

Früh  an  den  .Wahlverwandtschaften'^.  lo 

Tgb.  4,  33,  6. 

Juni  1,  Jena.  7*^0 

Da  es  noch  nicht  räthlich  war  nach  Karlsbad  zu  gehen, 
so  befind'"  ich  mich  in  Jena,  wo  ich  einen  Eoman  fertig 
zu  schreiben  suche,  den  ich  vor'm  Jahre  in  den  böhnii-  i5 
sehen  Gebirgen  concipirt  und  angefangen  hatte^.  Wahr- 
scheinlich kann  ich  ihn  noch  in  diesem  Jahj-e  heraus- 
geben und  ich  eile  um  so  mehr  damit,  weil  es  ein  Mittel 
ist,  mich  mit  meinen  auswärtigen  Freunden  wieder  ein- 
mal vollständig  zu  unterhalten.  Ich  hoffe,  Sie  sollen  20 
meine  alte  Art  und  Weise  darin  finden.  Ich  habe  viel 
hineingelegt,  manches  hinein  versteckt.  Möge  auch 
Ihnen  diess  ofl'enbare  Gcheimniss  zur  Freude  gereichen*. 
An  Zelter.  —  Br.  20,  34Ö,  21—  346,  3. 

Juni  1,  Jena.  721  25 

[Früh]   Die  jAVahlverwandtschaften'^. 
Tgb.  4,  33.  12. 


^  Rieiners  Tagebuch,  Mai  30:  ,,Früli  zu  Goethe;  ,Wahlvei-- 
wauiltscliaften".  U  e  b  e  r  T  i  s  c-  li  von  dem  Roman,  über 
die  Weiber  und  sonstiges'"  (Deutsche  Revue  12.  1,  19).  30 

'  Riemers  gleichzeitiger  Tagebuchvermerk  lautet  ebenso,  nur 
das  Wort  „Früh"  fehlt  (Deutsehe  Revue  12,  1,  173). 

^  Vgl.  370,  33  f. 

*  Zelter  erwiderte  am  12.  Juni:  ..Ueber  Ihre  Thätigkeit  bin  ich 
sehr  erfreut.     Das  soll  einmal  wieder  ein  Schmausen  geben,  35 
das  uns  die  Götter  beneiden  sollen"  (G. -Zelter  1,  3(>4). 

*  Riemers  Tagebuch.  Juni  1:  ..Die  .Wahlverwandtschaften'" 
(Deutsche  Revue  12,  1,  173). 


1809  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  383 

Juni  2.  Jena.  722 

[Früh]  Die  ."Wahlverwandtschaften'. 
Tgb.  4.  33.  17. 

Juni  5,  Jena.  723 

5  [Früh]  Die  ,"\Vahl Verwandtschaften'. 

Tgb.  4,  34.  12. 

Juni  tj,  Jena.  724 

Mit  meinen  Arbeiten  geht  es  gut,  und  wenn  nichts 
weiter  dazwischen  kommt,  gedenke  ich  zu  Johannis^  Dich 
10      hier  zu  erwarten,  und  mich  einzurichten,  dass  wir  als- 
dann zusammen  wieder  zurückkönnen:   denn  bis  dahin 
lässt  sich  noch  vieles  thun. 

An  Christiane.  —  Br.  20.  352.  8—12. 

Juni  0,  Jena.  725 

15  .  .  ungeachtet  des  schönen  Wetters  und  der  grünen- 

den Flächen  und  Hügel,  der  blühenden  Gärten  und 
mancher  andern  guten  Ingredienzen  des  Lebens,  ist  doch 
alles,  was  mich  in  Jena  umgibt,  so  trümmerhaft  gegen 
vorige  Zeiten,  und  ehe  man  sicli's  versieht,  stolpert  man 

20  einmal  wieder  über  einen  P^rdhöcker,  wo,  Ane  man  zu 
sagen  pflegt,  der  Spielmann  oder  der  Hund  begraben 
liegt. 

A'ielleicht  aber  sind  diese  Umstände  gerade  daran 
schuld,  dass  ich  mehr    in    mich    selbst  zurückge^viesen 

25  werde  und  meine  Arbeit  mir  ganz  gut  von  Statten  geht. 
Ueber  die  Hauptschwierigkeiten  bin  ich  hinaus,  und 
wenn  ich  noch  vierzehn  Tage  weder  rechts  noch  links 
hinsehe,  so  ist  dieses  wunderliche  Unternehmen  geborgen. 
Freilich  gehört  zum  letzten  Zusammenarbeiten,  ich  will 

30  es  nicht  Ausarbeiten  nennen,  noch  die  grösste  innere 
Harmonie,  damit  auch  das  Werk  harmonisch  würde. 

Empfehlen  Sie  mich  Durchlaucht  der  Herzogin  zu 
gnädigem  Andenken.  Ich  wünsche  nur  fertig  zu  werden, 
um  wieder  zum  Vorlesen-  zu  gelangen. 

35  An  Ch.  V.  Stein.  —  Br.  20.  353.  ie>—  354.  11. 


*  Sonnabend  den  24.  Juni. 
^  Vgl.  Nr.  697.  703. 


384  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1809 

Juni  6,  Jena.  726 

[Früh]      Die     ^Wahlverwandtschaften'.     .  .  .      [Vor 
Tische]  Den  Eoman  durchgegangen. 
Tgb.  4,  34,  24.  27. 

Juni  7,  Jena.  727    5 

[Früh]  ^Wahlverwandtschaften',  am  ersten  Theil  revi- 
dirt. 

Tgb.  4,  35,  3. 

Juni  8.  Jena.  728 

[Früh]   , Wahlverwandtschaften',  am  ersten  Theil  zn  lo 
revidiren  fortgefahren. 
Tgb.  4,  35,  ]0f. 

Juni  9,  Jena.  72i:i 

Da  ich  nicht  allein  gegen  Sie,  sondern  gegen  mehrere 
Frennde  seit  geraumer  Zeit  ein  briefliches  Stillschweigen  15 
beobachte,  das  ich    mir  *selbst    nicht  verzeihen    würde, 
wenn  man  Jetzt  nicht  oft  abgehalten  wäre  sich  münd- 
lich zu  äussern,  und  man  schriftlich  gar  nicht  weiss,  was 
man  von  einem  Posttag  zum  andern  sagen  soll,  so  habe 
ich  mir  ein  andres  Organ  in  die  Ferne  ausgedacht,  nem-  20 
lieh  einen  Eoman  zu  schreiben,  der  sich  zwar  nur  um 
einen  besonderu  Gegenstand  herumdreht,  doch  aber  auf 
manches  allgemeine  menschliche  Interesse  hinzielt.  Ich 
hoffe  ihn  noch  dieses  Jahr  in  Ihren  Händen  zu  sehen 
und  mich  wenigstens  auf  diese  Weise  an  Ihre  Seite  zu  25 
setzen,  an  Ihren  Familienkreis  anzuschliessen^. 
An  K.  F.  V.  Reinliard.  —  Br.  20,  358,  20—  359,  5. 

Juni  9,  Jena.  730 

[Früh]  , Wahlverwandtschaften'  ersten  Theil  zu  revi- 
diren fortgefahren,  30 
Tgb.  4,  35,  15  f. 


^  Reinhard  antwortete  am  18.  Juni:  „Ihren  Roman  erwarten 
wir,  wie  Ausgehungerte  die  treffliche  Mahlzeit"  (G.-Relnhard 
S.  58  f.). 


1809  DIE   W.AHLYERWAXDTSCHAFTEX.  385 

?Juni  10,  Jena.  731 

[Früh]  Verschiedenes  üherlegt  und  schematisirt^. 
Tgb.  4,  35,  24. 

Juni  11,  Jena.  732 

5  [Vormittags]  Einiges  zum  Eoman  Gehörige  durchge- 

dacht. 

Tgb.  4,  36,  4. 

Juni  1.6,  Weimar^.  733 

Von  mir  kann  ich  wenig  melden,  denn  ich  habe  dieses 
10  Jahr  viel  Zeit  verloren.  Xur  seit  vier  bis  sechs  Wochen 
konnte  ich  in  Jena  zu  einiger  Thätigkeit  kommen.  Der 
zweite  Theil  des  Romans  hat  in  dieser  Zeit  einigen  Be- 
stand gewonnen,  und  ich  kann  noch  hoffen,  dass  er  vor 
Michaelis  Ihnen  irgend  wo  begegnen  wird.  Man  findet 
15  sich  schon  glücklich  genug,  wenn  man  sich  in  dieser  be- 
wegten Zeit  in  die  Tiefe  der  stillen  Leidenschaften 
flüchten  kann^. 

An  Marianne  v.  Eybenberg.  —  Br.  20,  366,  9—17. 

Juni  27,  Weimar.  734 

20  Von  mir  wüsste  ich  nichts  zu  sagen,  als  dass  ich  die 

Euhe,  die  uns  gegönnt  ist,  zu  meinen  stillen  Zwecken 
möglichst  anzuwenden  suche*. 

An  K.  F.  V.  Reinhard.  —  Br.  20,  369,  4—6. 


'  Es  ist  möglich,  dass  diese  Bemerkung  sich  auf  die  Geschichte 
25     der  Farbenlehre  bezieht,  an  der  Goethe  gleichzeitig  arbeitete. 
^  Drei  Tage  vor  dem  Datum  dieses  Briefes,  am  13.  Juni,  war 
Goethe  von  Jena  zurückgekehrt,  über  die  Gründe  dieser  frühen 
Heimkehr  vgl.  465.  25—466,  4. 
'  Vgl.  Nr.  891. 
30   *  Folgende  Stelle  aus  Reinhards  Antwort  vom  28.  Juni  dürfte 
sich  auf  die  obigen  Worte  beziehen:  ,.S  i  e  benutzen  die  Zeit. 
die  ich  hier  verschwende   [in  Sachsen,  wohin  Reinhard,  von 
Cassel  aus,   dem   Könige  von  Westphalen  gefolgt  war,   vgl. 
466,  2  f.] ;  sie  wird  wieder  mein  werden,  wenn  ich  mir  zueignen 
35      darf,  was  Sie  aus  ihr  gemacht  haben"  (G.-Reinhard  S.  61). 
Graf,  Goethe  über  s.  Dichningen  T.  I.  25 


386  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1809 

Juli  24,  Jena^  735 

„Die  sittlichen  Symbole  in  den  Naturwissenschaften 
(zum  Beispiel  das  der  „Wahlverwandtschaft",  vom 
grossen  Bergman-  erfunden  und  gebraucht)  sind  geist- 
reicher und  lassen  sich  eher  mit  Poesie,  ja  mit  Societät 
verbinden,  als  alle  übrigen,  die  ja  auch,  selbst  die  mathe- 
matischen, nur  anthropomorphisch  sind,  nur  dass  jene 
dem  Gemüth,  diese  dem  Verstände  angehören"^. 
Mit  Riemer.  —  Gespräche  2,  270  f.* 


^  Tags  vorlier,  am  23.  Juli,  war  Goethe,  von  Riemer  begleitet,  lo 
in  Jena  angekommen,  wo  er  nun  blieb,  bis  der  Druck  der 
»Wahlverwandtschaften'   beendet  war.   Erst  am   7.   Octobcr 
kehrte  er  nach  Weimar  zurück. 

Riemer  vermerkt  in  seinem  Tagebuch  am   23.  Juli:   „Von 
Weimar  weggefahren.  Unterwegs  über  den  Titel  des  RomanK"*  15 
(Deutsche  Revue  12,  1,  177). 

^  Nach  der  Lehre  von  den  chemischen  Wahlverwandtschaften, 
wie  sie  durch  den  schwedischen  Naturforscher  Bergman, 
etwa  seit  1775,  aufgestellt  worden  war,  findet  bei  dem  Auf- 
einanderwirken  zweier  Verbindungen  a  b  und  c  d  entweder  20 
keinerlei  Veränderung  statt  oder  aber  eine  völlige  Trenmmg 
und  Neu  Verbindung  in  die  Gruppen  a  c  und  b  d;  ganz  ähn- 
lich lässt  Goethe  in  seinem  Roman  den  Hauptmann  die  Sache 
vorti-agen  (Theil  1  Capitel  4  gegen  Ende,  W.  20,  56,  7—15). 

^  Vgl.  hierzu  das  von  Goethe  in  der  Voranzeige  des  Romans  25 
Gesagte   (Nr.   747),   und   folgende   Stelle,   die   sich   findet   im 
dritten  Abschnitt  der  .Vorträge  über  die  drei  ersten  Capitel 
des  Entwurfs  einer  allgemeinen  Einleitung    in    die  verglei- 
chende Anatomie,  ausgehend  von  der  Osteologie': 

„Sie  [die  Mineralkörper]  haben  nach  ihrer  Grundbestim-  30 
mung  gewisse  stärkere  oder  schwächere  Verhältnisse,  die, 
wenn  sie  sich  zeigen,  wie  eine  Art  von  Neigung  aussehen, 
desswegen  die  Chemiker  auch  ihnen  die  Ehre  einer  Wahl  bei 
solchen  Verwandtschaften  zuschreiben,  und  doch  sind  es  oft 
nur  äussere  Determinationen,  die  sie  da  -  oder  dorthin  35 
stossen  oder  reissen,  wodurch  die  Mineralkörper  hervorge- 
bracht werden,  ob  wir  ihnen  gleich  den  zarten  Antheil.  der 
ihnen  an  dem  allgemeinen  Lebenshauche  der  Natur  gebührt, 
keineswegs  absprechen  wollen"  (Nat.  W.  8,  79,  20—80.  2). 

*  Aus  Riemers  , Mittheilungen'  2,  710.  40 


1809  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  387 

Juli  24,  Jena.  736 

[Vor  Tische]   Corrigirt  an  den  ^Wahlverwandtscliaf- 
ten'^ 

Tgb.  4,  46,  2. 

5  Juli  25,  Jena.  737 

Wir  sind  fleissig,    und    wenn    wir    so  fortfahren,    so 
werden  wir  mit  Zufriedenheit   zurückkehren.    Künftige 
Woche  wird  angefangen  am  Eoman  zu  drucken^. 
An  Christiane.  —  Br.  21,  11,  17—20. 

10  Juli  25,   [Jena.]  738 

Sobald  ich  in  meinen  Arbeiten  Licht  sehe,  bin  ich  bei 
Ihnen  .  . 

An  Silvie  von  Ziegesar.  —  Br.  21,  12,  9  f. 

Juli  25,  Jena.  739 

15  [Früh]  An  dem  Eoman  revidirt    und    einige  Haupt- 

stellen durchgedacht^. 
Tgb.  4,  46,  9  f. 

Juli  26,  Jena.  740 

[Früh]  An  dem  Eoman  revidirt. 
20  Tgb.  4,  46,  16. 

Juli  27,  Jena.  741 

[Früh]  An  dem  Eoman  revidirt  und  verbessert. 
Tgb.  4,  46,  22. 

Juli  28,  Jena.  742 

25  Die  ersten  Bogen  des  Eomans  sind  in  die  Druckerei. 

und  es  braucht  nur  sechs  bis  acht  Wochen  Euhe  und 

Sammlunff,  so  ist  die  Sache  absrethan  und  ich  kann  an 


^  Riemers  Tagebuch,  Juli  24:  ..Früh  Goethe.  Roman.  Corrigirt 
daran.    Kam   Frommann  und  besprach   Drucli   und   Stärke" 
30      (Deutsche  Revue  12,  1,  177). 

*  Goethe  schrieb  diess  an  einem  Dienstag,  schon  am  folgen- 
den  Sonntag   (30.)    erhielt    er    den    ersten  Druckbogen    zur 
Correctur  (s.  Nr.  745). 
'  Riemers  Tagebuch,  Juli  25:     „Früh  am  Roman"  (Deutsclie 
35      Revue  12,  1,  178). 


388  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1809 

[Juli  28,  Jena.]  [742] 

etwas  Andres  gehen.  Eiemer  ist  mir  anf  die  beste  Weise 
behülflich. 

.  .  ,  Für  mich  wünsche  ich  weiter  nichts  als  ein  leid- 
liches Befinden,  dass  ich    in  diesen  paar  Monaten    mit  s 
meiner  vorgesetzten  Arbeit  fertig  werde,  .  . 

An  Christiane.  —  Br.  21,   12,  20—13,  3.   10—12. 

Juli  28,  Jena.  743 

[Früh]  An  dem  Koman  revidirt  und  den  Anfang  in 
die  Druckerei  geschickt^.  lo 

Tgb.  4,  47,  1  f. 

Juli  29,  Jena.  744 

[Früh]  Am  Eoman  fortgefahren. 
Tgb.  4,  47,  11. 

Juli  30,  Jena.  74.5  15 

[Früh]    Am   Eoman.    Erster  Druckbogen   desselben. 
Xach  Tische  .  .  Herr  Frommann.  Berathschlagung  über 
den  ersten  Bogen^. 
Tgb.  4,  47,  18—20. 

Juli  31,  Jena.  740  20 

Früh  am  Eoman. 
Tgb.  4,  47,  26. 

]  [August,  zwischen  1  und  21,  Jena.]^  747 

Notiz. 
Wir  geben  hiermit  vorläufige  I^achricht    von    einem  25 
Werke,  das   zur  Michaelismesse  im  Cottaschen   Verlage 
herauskommen  wird: 


^  Riemers     Tagebuch     lautet    ebenso,     nur    fehlt    das    Wort 
„revidirt"  (Deutsche  Revue  12,  1,  178). 

*  Riemers  Tagebuch,  Juli  30:  „Frommann  brachte  den  ersten  30 
Druckbogen    vom    Roman.      Darüber    gesprochen    und    ge- 
scherzt, dass  es  nur  ein  Abklatsch  wäre"  (Deutsche  Revue 
12,  1,  178). 

'  Wann  die  Anzeige  des  Romans  niedergeschrieben  ist,  lässt 
sich  auf  den  Tag  nicht  feststellen;    Goethes  Tagebuch  ge-  3S 


1809  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  389 

[[August,  zwischen  1  und  21,  Jena.]  [747] 

Die  Wahlverwandtschaften,  ein  Eoman 
vonGoethe. 

In  zwei  Theilen. 

5  Es    scheint,    dass    den   Verfasser    seine   fortgesetzten 

physikalischen  Arbeiten  zu  diesem  seltsamen  Titel  ver- 
anlassten. Er  mochte  bemerkt  haben,  dass  man  in  der 
Naturlehre  sich  sehr  oft  ethischer  Gleichnisse  bedient, 
um  etwas  von  dem  Kreise  menschlichen  Wissens  weit 

10  Entferntes  näher  heranzubringen,  und  so  hat  er  auch 
wohl  in  einem  sittlichen  Falle  eine  chemische  Gleichniss- 
rede zu  ihrem  geistigen  Ursprünge  zurückführen 
mögen^,  um  so  mehr,  als  doch  überall  nur  eine  Xatur 
ist  und  auch  durch  das  Eeich  der  heitern  Yernunftfrei- 

15  heit  die  Spuren  trüber,  leidenschaftlicher  Xothwendigkeit 
sich  unaufhaltsam  hindurchziehen,  die  nur  durch  eine 
höhere  Hand  und  vielleicht  auch  nicht  in  diesem  Leben 

völlig  auszulöschen  sind. 

:Mor.genblatt  für  gebildete  Stände  3,  844  (Nr.  211,  vom 
20  4.   September  1809).  —  WH.  29,  289  f. 

August  1,  Jena.  748 

Wir  haben  den  Druck  des  Eomans  angefangen,  ohne 
zu  wissen,  wie  wir  damit  zu  Ende  kommen  wollen.     In- 
dessen, wenn  wir   den  August   und  September  gut   an- 
25       wenden,  so  ist  Hoffnung,  dass  wir  fertig  werden. 
An  Christiane.  —  Br.  21,  17.  22—18,  1. 

August  1,  Jena.  749 

Wir  sind  fleissig  und  hoffen  vor  Winters  noch  etwas 
an  den  Tag  zu  fördern. 
30  An   H.    Meyer.   —  Br.   21,   18.   21  f. 


denkt  ihrer  Entstehung  nicht,  nur  ihrer  Absendung  an  den 
Verleger  am  22.  August  (s.  Nr.  773).  Vielleicht  verfasste 
Goethe  sie  schon  in  den  letzten  Julitagen,  schwerlich  aber 
vor  der  ersten  Besprechung  mit  Frommann  über  den  Druck 
35      am  24.  Juli  (s.  387,  29). 

^  Vgl.  Nr.  735.  nebst  den  zugehörigen  Erläuterungen. 


390  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1809 

August  1,  Jena.  750 

Aus  beiliegendem  Blättchen^  sehen  Sie,  dass  der 
Eoman  anfängt  gedruckt  zu  werden.  Lassen  Sie  Ihre 
guten  Wünsche  bei  uns  sein,  damit  wir  ihn  bald  nach 
Michael  gebunden  sehen.  Es  ist  eine  grosse  Reise,  die  5 
mir  bevorsteht  und  die  sich  leider  nicht  mit  Extrapost 
machen  lässt^. 

An  Ch.  V.  Schiller.  —  Br.  21,  20,  13-18. 

August  1,  Jena.  '     751 

[Früh]  Erster  Bogen  des  Eomans  zur  Revision.  .  .  .  lo 
[Nachmittags  Brief]  An  Frau  Hofrath  Schiller  mit  dem 
ersten  Bogen  des  Romans  [s.  Nr.  750]. 
.    Tgb.  4,  48,  4.  10  f. 

August  3,  Jena.  752 

[Früh]    Correctur  des  zweiten  Bogens  vom  Roman,  15 
des  vierten  Capitels  im  Manuscript, 
Tgb.  4,  49,  8  f. 

August  4,  Jena.  753 

Weiter  weiss  ich  nichts  zu  sagen,  als  dass  es  uns  ganz 
wohl  geht,  weil  unsre  Geschäfte  im  Gange  sind.  20 

An    Christiane.   —  Br.   21,   23,   24  f. 

August  4,  Jona.  754 

[Früh]  Correctur   des   dritten   Bogens   vom   Roman. 
Einige  Capitel  desselben  im  Manuscript  durchgegangen. 
Tgb.  4,  49,  13  f.  25 

August  5,  Jena.  755 

[Früh]  Am  Roman  fortgefahren. 
Tgb.  4,  49,  28. 


*  s.  Z.  11  f. 

^  In  ihrer  Antwort  vom  27.  August  berührt  Charlotte  Schiller  30 
das  Obige  mit  den  Worten:    „Ich  möchte  wohl  wissen,  wie 
Sie  leben,  und  wie  sich  unsre  neuen  Freunde  befinden,  Char- 
lotte und  Ottilie  und  so  weiter.     Wenn  Sie  nur  recht  unge- 
stört arbeiten  können"  (GJ.  4,  260). 


1809  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  391 

August  G,  Jena.  756 

[Früh]  Vierter  Bogen  des  Romans  zur  Correctur.  Die 
nächsten  Capitel  nochmals  durchgedacht. 
Tgb.  4,  50,  9  f. 

5  August  7,  Jena.  757 

[Vormittags]   Siebentes    und    achtes    Capitel    "umge- 
schrieben. 

Tgb.  4,  50,  18  f. 

August  8,  Jena.  758 

10  [Vormittags]   Das  sechste  Capitel  durchgesehen  zum 

Druck.  .  .  .  Abends  allein.  Fünfter  Bogen  des  Romans. 
Tgb.  4,  50,  22  f.  26  f. 

August  9,  Jena.  759 

[Vormittags]  Das  neunte  Capitel  umgeschrieben. 
15  Tgb.  4,  51,  If. 

August  10,  Jena.  760 

[Vormittags]    Revision    des    sechsten    Bogens.     Das 
neunte  Capitel  im  ]Manuscript  durchgesehen. 
Tgb.  4,  51,  8  f. 

20  August  11,  Jena.  761 

Der  neue  Roman  ist  bis  zum  siebenten  Bogen  gedruckt 

in  unsern  Händen.     Es  wird  sorgfältig  daran  redigirt, 

corrigirt  und  revidirt  und  ist  kaum  abzusehen,  wie  bis 

^lichael  das  Ganze  fertig  sein  soll.  Indessen  ohne  eine 

25      solche  Xöthigung  käme  man  gar  nicht  zu  Stande. 

An  PI.   Meyer.  —  Br.  21,  30,  23—28. 

August  11,  Jena.  762 

[Früh]  Correctur  des  siebenten  Bogens  vom  Roman. 
Das  zehnte  Capitel  im  Manuscript  durchgegangen. 
30  Tgb.  4,   51,  24  f. 

August  12.  Jena.  763 

[Früh]  Correctur  des  achten  Bogens.  Das  elfte  Capitel 
im  Manuscript  durchgesehen. 
Tgb.  4,  52,  6  f. 


392  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1809 

August  13,  Jena.  764 

[Früh]  Xochmalige  Durchsicht  des  achten  Correctur- 
bogens.  Das  zwölfte  Capitel  im  Manuscript  durchge- 
gangen. 

Tgb.  4,  52,  13  f.  6 

August  14.  Jena.  765 

[Früh]   Correctur  des  neunten  Bogens.  Schema  vom 
dreizehnten  Capitel  dictirt^. 
Tgb.  4,  52,  22  f. 

August  15,  Jena.  766  lo 

[Früh]   Correctur  des  zehnten  Bogens.     Dreizehntes 
Capitel  umdictirt, 
Tgb.  4,  53,  5. 

August  16,  Jena.  767 

[Früh]  Vom  fünfzehnten  Capitel  an  das  Manuscript  15 
revidirt.  Kach  Tische  das  dreizehnte  durchgegangen.  .  .  . 
Abends  .  .  .  Der  elfte  Bogen  zur  Revision.    Der  sechste 
Aushängebogen  war  angekommen. 
Tgb.  4,  53,  10  f.  13—15. 

August  17,  Jena.  768  20 

[Früh]    Siebzehntes  Capitel  umgeschrieben.  Revision 
des  elften  Bogens^. 
Tgb.  4,  53,  16  f. 

August  18,  Jena.  769 

[Früh]  Fünfzehntes  Capitel  umdictirt.    ...[Abends?]  25 
Zwölfter  Correcturbogen. 
Tgb.  4,  53,  21.  54,  4. 

August  19.  Jena.  770 

[Früh]    Correctur  des  zwölften  Bogens.     Das  fünf- 
zehnte bis  siebzehnte  Capitel  im  Manuscript  durchge-  30 
gangen. 

Tgb.  4,  54,  5  f. 


^  Riemers  Tagebuch,  August  14:   ..Bei   Goethe.     Schema   vom 
dreizehnten  Capitel"  (Deutsche  Revue  12,  1,  181>. 

'  Riemers  Tagebuch,  August  17:    „Bei  Goethe.    Umdictirt  das  35 
siebzehnte  Capitel"  (Deutsche  Revue  12,  1,  181). 


1809  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  393 

August  20,  Jena.  771 

[Vormittags]  Die  Capitel  15.  16.  17  durchgegangen. 
Tgb.  4,  51,  13. 

August  21,  Jena.  772 

5  Früh  .  .  Das  achtzehnte  Capitel  nmdictirt^. 

Tgb.  4.   54,   18  f. 

August  22.  Jena.  773 

[Früh]   Das  achtzehnte  Capitel  durchgegangen.  .  .  . 
[Brief]  An  Herrn  Doetor  Cotta  nach  Tübingen  mit  der 
10      Anzeige  des  Eomans^. 

Tgb.  4,  54.  28—55,  4  f. 

August  23.  Jena.  774 

[Früh]  Den  vierzehnten  Bogen  corrigirt. 
Tgb.  4,   55,   10. 

15  August  24,  Jena.  775 

Ich  lebe  seit  sechs  "Wochen  in  Jena,  ruhig  und  fleissig. 
und  denke  vor  Michael  noch  manches  zu  arbeiten. 
An  seinen  Sohn.  —  Br.  21,  39,  20—40.  1. 

August  25,  Jena.  776 

20  [Früh]  Ausführliches  Schema  zum  zweiten  Theile. 

Tgb.  4,  56,  3. 

August  26,  Jena.  777 

"Wo  Ihnen  auch  mein  neuer  Eoman  begegnet,  nehmen 
Sie  ihn  freundlich  auf.  Ich  bin  überzeugt,  dass  Sie  der 
25       durchsichtige  und  undurchsichtige   Schleier  nicht  rer- 
hindem  wird,   bis   auf   die   eigentlich  intentionirte  Ge- 
stalt hineinzusehen'. 

An  Zelter.  —  Br.  21.  46.  12—16. 


^  Riemers  Tagebuch.  August  21:    ..Früh  bei  Goethe,   der  das 
30      achtzehnte   Capitel   dictirte"   (Deutsche  Revue   12.   1,   279). 
■  s.  Nr.  747. 

'  Am  11.  October  erst  erwiderte  Zelter:     „Von  Ihrem  neuen 

Roman  ist  mir  noch   nichts   begegnet.     Was   ich   im   Cotta- 

schen  Taschenbucho  finde,  ist  eine  Fortsetzung  des  ,Wilhelm 

35      Meister'    [,Sanct  Josepli   der   Zweite'];   wie   aber   ist  es   mit 

jenem  Roman?  der  mir  überall  willkommen  sein  wird.   So- 


394  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1S09 


August  26,  Jena.  "'8 

[Früh]  Correctur  des  sechzehnten  Bogens.     Den  An- 
fang des  zweiten  Theils  durchgegangen^. 
Tgb.  4,  .56,  10  f. 

August  27,  Jena.  "79    5 

[Früh]  Das  dritte  Capitel    im    zweiten  Theil    nmge- 
geschrieben  und  einige  andre  revidirt. 
Tgb.  4,  56,  22  f. 

August  28,   [Jena.]  780 

.  .  helfen  Sie  einem  treuen  Freunde  mit  guten    und  lo 
frommen  Wünschen  nach,  der  jetzt  sich  in  einer  Art 
Klemme  befindet;    sonst  war'  er  früher  und  öfter    bei 
Ihnen  gewesen. 

An  Silvie  v.  Ziegesar.  —  Br.  21,  47,  3—6. 

August  29,  Jena.  781  15 

Ich  bin  heute  wieder  in  meinen  Fleiss  zurückgekehrt- 
und  hoffe,  es  soll  alles  ganz  gut  werden. 
Au  Christiane.  —  Br.   21,  47,   10—12. 

August  29,  Jena.  782 

Ich  bin  fleissig,  so  gut  es  gehen  will,  und  nehme  mich  20 
nach  einigen  Störungen^  wieder  zusammen. 
An   H.   Meyer.  —  Br.  21,  48,   15  f. 

August  29,  Jena.  783 

[Früh]     Der  siebzehnte    Bogen    zur  Eevision.     Das 
ZM-ölfte  Capitel    umdictirt.  .  .  .  Abends    den    Plan    des  25 
zweiten  Theils  durchgegangen. 
Tgb.   4,   57,   4  f.   9  f. 


bald  Sie  ein  Exemplar  haben,    bitte    ich    mir    ja    eins    zu 
senden,     denn     unsere     Buchhändler     sind     die     säumigsten 
Menschen  von  der  Welt;  ich  habe  überall  nachgefragt  und  30 
noch  nichts  erhalten  können  als  das  Cottasche  Taschenbuch" 
(G.-Zelter  1,  370). 

^  Riemers    Tagebuch     vermerkt    gleichzeitig:       „Am    Roman 
zweiter  Theil"  (Deutsche  Revue  12,  1,  279). 

^  Den  28.  August,  seinen  Geburtstag,  hatte  Goethe  in  Gesell-  35 
Schaft  Christianens  und  mehrerer  Freunde  verlebt. 

•  Vgl.  die  vorhergehende  Erläuterung. 


1809  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  395 

August  30,  Jena.  784 

[Früh]  Am  achtzehnten  Capitel  und  einigen  andern 
umdictirt. 

Tgb.  4,  57,  11. 

5  August  31,  Jena.  785 

[Früh]  Den  achtzehnten  und  neunzehnten  Bogen  zur 

Eevision.  Letztes  Capitel  vom  zweiten  Theil  umdictirt. 

Einzelnes    in    verschiedenen    anderen.    .  .  .  Abends  .  . 

Einiges  am  Eoman  schematisirt  und  durchgedacht^ 

10  Tgb.  4,  57,  20—22.  27  f. 

September  2,  Jena.  786 

Indem  Sie   mich,    theure  Freundin,    von   dem   lieben 

Kreise  weit  entfernt  glauben,  so  bin  ich  ihm  nicht  leicht 

näher  gewesen.     Meine  einzige  Beschäftigung  ist,    das- 

15      jenige  zu   endigen,    dessen  Anfang  Freude    zu   machen 

schien.     Die  gestrige  Anwesenlieit    unsrer    gnädigsten 

Herrschaften^    erleichterte    mir    die    Gewährung     des 

Wunsches  noch  eine  Zeitlang  hierbleiben  zu  können,  ja 

nicht    eher    wegzugehen    als    nach    völlig    vollbrachter 

20      Arbeit. 

An  Ch.  V.   Stein.  —  Br.  21,  50,  1—9. 

September  2,  Jena.  787 

[Früh]  Anfang  des  zweiten  Theils. 
Tgb.  4,  58,  10. 

25  September  3,  Jena.  788 

[Früh]  Die    drei    ersten  Capitel    des    zweiten  Theils 
durdigegangen  und  zum  Druck  befördert. 
Tgb.  4,  58,  17  f. 


^  Riemers  Tagebuch,  August  31:    ,,Früli  zu  Goethe.     Correc- 
30      tur.     An  mehreren  Capiteln  des  zweiten  Theils  umgeschrie- 
ben. .  .  . 

Ueber    den    Roman    und    einige    neue  Motive"    «Deutsche 
Revue  12,   1,  280). 
*  Tags  zuvor,  am  1.  September,  hatte  die  Herzogin  Luise  mit 
35      ihren  Kindern  Jena  besucht. 


396  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1809 


September  4,  Jena.  T89 

[Vormittags]    Das    vierte    und    fünfte  Capitel.  .  .  . 
Verschiedenes  zum  Tagebuehe\ 
Tgb.  4,  58,  23  f. 

September  5.  Jena.  790  5 

Es  soll  mir  recht  angenehm  sein,  Dich  diese  Woche 
hier  zu  sehen,  besonders  wenn  ich's  ]\Iittags  vorausweiss. 
und  dass  Du  nicht  zu  früh  kommst:  denn  die  Morgen 
müssen  jetzt  sehr  ernstlich  angewendet  werden,  wenn 
wir    mit    unserer  Arbeit    diesen  Monat    fertig    werden  lo 

wollen. 

An  Christiane.  —  Br.  21,  51,  1-6. 

September  5,  Jena.  791 

Unsre  Arbeit  hier  geht  auch  ganz  gut  von  Statten. 
Ich  hoffe  die  nächsten  vier  Wochen  sollen  den  vier  vor-  is 
hergehenden  gleichen,  und  so  wollen  \yii  mit  ein  paar 
Bändchen  nach  "Weimar  zurückkehren,  .  . 
An  H.  Meyer.  —  Br.  21,  52,  7—11. 

September  5,  Jena.  792 

[Früh]  Viertes  und  fünftes  Capitel,  so  wie  das  Tage-  20 
buch  zu  den  beiden. 
Tgb.  4,  59,  If. 

September  6,   Jena.  793 

[Früh]  Viertes  und  fünftes  Capitel  nebst  dem  dazu- 
gehörigen Tagebuch-.  25 
Tgb.  4.  59.  14  f. 

September  7,  Jena.  794 

[Früh]    Sechstes  Capitel  erste  Hälfte^    .  .  .   [Nach- 
mittags]  .  .  erster  Bogen  des  zweiten  Theils. 

Tgb.  4.  59,  22—24.  30 


^  Mittheilungen  aus  Ottiliens  Tagebuch  finden  sich  im  zweiten 
Theil  des  Romans  am   Schluss  der  Capitel  2.  3.  4.   5.   7.  9. 

*  Riemers  Tagebuch,  September  6:  „Am  vierten  und  fünften 
Capitel  noch  einiges  nachgebessert"  (Deutsche  Revue  12, 
1,  2S1).  35 

«  Capitel  6    des  zweiten  Theils  beschäftigte  Goethe,    verhält- 


1809  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEX.  397 


September  8,  Jena.  795 

.  .  ob  ich  Dich  gleich  ganz  gerne  wieder  sähe  und 
spräche,  so  sind  "\nr  doch  mit  iinsern  Arbeiten  in  einer  so 
gedrängten  Lage,  dass  es  mir  lieber  ist,  Du  kommst  jetzt 
5  nicht  herüber:  denn  wir  müssen  jede  Stunde  zusammen- 
nehmen, und  ich  sehe  noch  kaum,  wie  wir  fertig  werden 
wollen. 

An  Christiane.  —  Br.  21,  56,  3—9. 

September  8,  Jena.  796 

10  [Früh]    Sechstes    Capitel    und    einiges    Andre.  .  .  . 

[Xachmittags]   Zweiter  Bogen  und  dessen  besseres  Ar- 
rangement. 

Tgb.  4,  60,  1.  5  f. 

September  9,  Jena.  797 

15  [Früh]  Den  zweiten  Bogen  ajustirt.  Das  sechste  Ca- 

pitel behandelt. 
Tgb.  4,  60,  8  f. 

September  10,  Jena.  798 

Früh  lang  im  Bette  geblieben.     Das  sechste  Capitel 
20      durchgegangen.    .  .  .   [Nachmittags]  Am    sechsten   Ca- 
pitel. 

Tgb.  4,  60,  19  f.  26, 

September  11,  Jena.  799 

Gegenwärtig  nur  soviel  von  mir,  dass  ich  mich  in  Jena 
25      befinde  und   vor   lauter  Verwandtschaften   nicht   recht 
weiss,  welche  ich  wählen  soll. 

Wenn  das  Büchlein,  das  man  Ihnen  angekündigt  hat, 
zu  Ihnen  kommt,  so  nehmen  Sie  es  freundlich  auf.    Ich 
kann  selbst  nicht  dafür  stehen,  was  es  geworden  ist^. 
30  An  Bettina  Brentano.  —  Br.  21,  61,  20—26. 


nissmässig  zu  den  andern  Abschnitten,  ganz  besonders 
lange,  und  zwar  von  sechs  Tagen  vier  (7.  9.  10.  11.  September) 
ausschliesslich.  Den  wesentlichen  Inhalt  des  Capitels  bildet 
die  Erzählung  der,  vom  Architekten  veranstalteten,  Darstel- 
35  lung  der  Weihnachtsgruppe,  mit  Ottilien  als  Jungfrau  Maria. 
*  Bettina  hat  in  , Goethes  Briefwechsel  mit  einem  Kinde'  obige 


398  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1809 

September  11,  Jena.  800 

[Früh]  Das  sechste  Capitel.     Correctur    des    zweiten 

Bogens.  .  .  .  Nach  Tische    noch    einige  Beschäftigung 

mit  der  Correctur.  Abends  .  .  .  kam  der  dritte  Bogen 

an. 

Tgb.  4,  60,  28—01,  1.  3  f.  6. 


Aeupserung  wortgetreu  und  an  der  ihr  gebührenden  Stelle 
wiedergegeben,  lässt  aber  Goethen,  am  Schluss  des  Briefes, 
noch  sehreiben: 

,.W  as    Du    zum    voraus     über    die    ,Wahlver-io 
wandtschaften'    sagst,      ist      prophetischer 
Blick,     denn      leider    geht   die    Sonne    düster 
genug  dort  unter"    (G.-Bettina  2,   110). 

Dass  diese  Worte  von  Bettina  erdichtet  seien,  wird  schon 
durch  die  Briefdaten  wahrscheinlich,  da  Goethe  am  11.  Sep-  15 
tember    schwerlich    schon    (., jedenfalls  .  .  noch    nicht"    sagt 
G.  V.  Loeper,  G.-La-Roche  S.  179j    auf    Bettinas    Brief    vom 
9.  September  antworten  konnte. 

Bettina  aber  hatte  geschrieben: 

,,Es  geht  hier  eine  Sage  unter  dem   Volk,   es  werde   bald  20 
eine     Erscheinung     sein,     die     soll     , Wahlverwandtschaften' 
Geissen  und  von  Dir  in  Gestalt  eines  Romans  ausgehen.  Ich 
habe  einmal  einen  fünf  Stunden  langen,  saueren  Weg  nach 
einem    Sauerbrunnen   gemacht,    er   lag    so   einsam    zwischen 
Felsen,   der  Mittag  konnte   nicht  zu   ihm   niedersteigen,   die  25 
Sonne  zerbrach  tausendfach  ihre  Strahlenkrone  an  dem  Ge- 
stein, alte  dürre  Eichen  und  Ulmen  standen  wie  die  Todes- 
helden  dnuii    her,    und   Abgründe,   die   man   da    sah,   waren 
keine   Abgründe    der  Weisheit,    sondern    dunkle.    schAvarae 
Nacht,  mir  wollt's  nicht  behagen,  dass  die  himmlische  Natur  30 
solche  Launen  habe,  der  Athem  wurde  mir  schwer  und  ich 
hatte  das  Gesicht  in's  Gras  gewühlt.    Wenn  ich  aber  diese 
(Wahlverwandtschaften'  dort  an  der  Quelle  wüsste,  gern  wollt' 
ich  den  schauerlichen,  unheimlichen  Weg  noch  einmal  machen, 
und    zwar    mit    leichtem  Schritt    und    leichtem    Sinn,    denn  35 
erstens  dem  Geliebten  entgegengehen,    beflügelt    den  Schritt, 
und  zweitens  mit  dem  Geliebten  heimgehen  ist  der  Inbegriff 
aller  Seligkeit"  (G.-Bettina  2.  106  f.). 

In    ihrem    Briefe    sodann    vom    26.    September    beschwert 
Bettina  sich,    dass  Goethe    das    obige    Schreiben    (.vom   11.  40 


1809  DIE  >YAHLVERWAXDTSCHAFTEX.  399 

September  12,  Jena.  801 

Mein  Geschäft  hier  geht  ganz    gut    und    wird    auch 
hoffentlich  so  zu  Ende  gelangen,  .  . 
An  Christiane.  —  Br.  21,  62,  16  f. 

5  September  12,  Jena.  802 

TTnsre  hiesigen  Geschäfte  gehen  ihren  Gang,     ^^'enn 

ich  Ihnen  sage,  dass  wir  heute  den  dritten  Bogen  des 

zweiten  Theils  revidiren,  und  dieser,  wie  der  erste,  etwa 

zwanzig  Bogen  haben   -wird,    so  sehen  Sie,    was   gethan 

10      worden  und  was  noch   zu  thun  ist.    Ich   wünsche,    dass 

alles  vor  Ende  Septembers  geleistet  sei. 

An  H.  Meyer.  —  Br.  21,  64.  4—9. 

September  12,  Jena.  803 

[Früh]   Das  siebente  Capitel.    Correctur    des  dritten 
15      Bogens.  .  .  .  Abends  das  sechste  Capitel  im  Manuscript 
durchgegangen  und  den  yierten  Bogen  revidirt. 
Tgb.  4,  61,  7  f.  10  f. 

[September  13M   Jena.  804 

-Ich  befinde  mich  seit  länger  als  sieben  Wochen  hier 

20      und  komme  mir  vor    wie    jene  Schwangere,    die  weiter 


September)  von  seinem  ,,Secretair"  habe  „abschnurren 
lassen",  und  fährt  fort:  ..Verliebt  bist  Du  und  zwar  in  die 
Heldin  Deines  neuen  Romans  und  das  macht  Dich  so  einge- 
zogen und  so  kalt  gegen  mich;  Gott  weiss,  welches  Muster 

25      Dir  hier  zum  Ideal  diente;  .  ."  (G.-Bettina  2.  112i. 

'  Der  Brief,  dessen  erster  Hälfte  die  nachfolgende  Aeusse- 
rung  entnommen  ist,  wurde  von  Goethe  in  zwei  Abschnitten 
dictirt,  und  trägt  in  Folge  dessen  am  Schluss  das  Datum: 
1.  October  (vgl.  Nr.  836). 

30         Die      Datirung      des  ersten      Abschnitts      geschah      nach 
Tgb.  4,  61,  16  f. 
-  Reinhard  hatte  in  seinem  Briefe  vom  18.  August  lakonisch 
gefragt:     ,.Wann    der    Roman?"    und    am    23.    August    ge- 
schrieben: ,,Dass  Sie  in  Jena  sind,  deutet  auf  Förderung  der 

35  Geschenke,  die  Sie  uns  für  die  künftige  Messe  bereiten,  und 
auch  darum  begleit'  ich  Sie  mit  meinen  Wünschen  in  diese 
friedliche  Abgeschiedenheit"  (G.-Reinhard  S.  63). 


400  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1809 


[September  13,  Jena.]  [80*] 

nichts  wünscht,  als  dass  das  Kind  zur  Welt  komme,  es 
sei  übrigens  und  entstehe  was  will.  Diese  Geburt  wird 
sich  etwa  in  der  Hälfte  Octobers  bei  Ihnen  präsentiren. 
Ich  bitte  um  gute  Aufnahme.  ^ 

An  K.  F.  V.  Reinhard.  —  Br.  21,  102.  14—19. 

September  13,  Jena.  805 

[Früli]  Das  siebente  Capitel,  umdictirt.  Eevision  des 
vierten  Bogens.  .  .  .  [Xachmittags]  Eevision  des 
fünften  Bogens.  lo 

Tgb.  4,  61,  12  f.  20. 

September  14,  Jena.  806 

[Früh]  Das  zehnte  und  elfte  Capitel  umdictirt.  Ee- 
Ansion  des  fünften  Bogens.  .  .  .  Abends  .  .  den  sechsten 
Bogen  revidirt.  i^ 

Tgb.  4,  61,  23  f.  28—62,  2. 

September  1.5,  Jena.  807 

.  .  sodann  schicke  ich  ein  Bündchen^,  aber  nur  unter 
folgenden  Bedingungen: 

1.  Dass  Ihr  es  bei  verschlossenen  Thüren  leset.  20 

2.  Dass  es  niemand  erfährt,  dass  Ihr's  gelesen  habt. 

3.  Dass  ich  es  künftigen  Mittwoch-  wieder  erhalte. 

4.  Dass  mir  alsdann  zugleich  etwas  geschrieben  werde 
von  dem,  was  unter  Euch  bei'm  Lesen  vorgegangen. 

An  Christiane.  —  Br.  21,  64,  16—24.  25 

September  1.5,  Jena.  808 

Abends  bei  Frommanns.  Vorher  Eevision  des  siebenten 

Bogens  .  . 

Tgb.  4,  62,  7  f. 

September  16,  Jena.  809  30 

[Früh]  Das  neunte,  zehnte,  elfte  Capitel   im  Manu- 
script  durchgegangen  und  zum  Druck  befördert. 
Tgb.  4,  62,  10  f. 


Den   ersten   Theil   der   ,Wahlverwandtschaften'. 

Arn  20.  September.  85 


1809  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  401 

Septejuber  17,  Jena.  810 

[Früh]  Das  zwölfte  Capitel  durchgegangen.  Kevision 
des  achten  Bogens.  .  .  .   [Abends]  Den  Schluss  des  Eo- 
mans  durchgesehen  und  durchgedacht. 
5  Tgb.  4,  62,  16  f.  20  f. 

September  18,  Jena.  811 

[Früh]  Das  dreizehnte  bis  fünfzehnte  Capitel  im  Ma- 
nuscript  durchgegangen.  Den  achten  Bogen  revidirt, 
Tgb.  4,  62,  22  f. 

10  September  19,  Jena.  812 

[Früh]  Die  letzten  drei  Capitel  durchgegangen.  Den 
neunten  Bogen  zur  Eevision.  .  .  ,  Abends  .  .  Kam  der 
zehnte  Bogen  zur  Eevision. 
•  Tgb.  4,  63,  1  f.  6—8. 

13  September  20,   Jena.  813 

Ich  brauche  wenigstens  noch  acht  Tage,  um  mit  dem- 
jenigen in  Ordnung  zu  kommen,    was    ich   mir    vorge- 
nommen habe;  nicht  allein  mit  dem  Druck  des  Eomans 
muss  ich  im  Eeinen  sein,  .  .  .  Ich  bitte  Dich  inständig. 
20      mir  alle  Besuche  abzuhalten;  .  . 

An  Christiane.  —  Br.  21,  74,  18—21.  75,  1  f . 

September  20,  Jena.  814 

[Früh]    Das  zwölfte  Capitel  zum  Drucke  befördert. 

Das  dreizehnte   bis   zur  Hälfte.     Eevision    des    zehnten 

25      Bogens. 

Tgb.  4,  63,  9  f. 

September  21,  Jena.  815 

[Früh]  Das  dreizehnte  und  vierzehnte  Capitel.    Eevi- 
sion des  elften  Bogens. 
30  Tgb.  4,  63,  19  f. 

September  22.  Jena.  816 

Heute  bin  ich   im  Bett  geblieben;    wir  können    aber 
tmsere  Arbeiten  demungeachtet  fortsetzen^. 

'  Zur  Erläuterung  dient  Goethes  Tagebuch  vom  21.   Septem- 
35      ber:     ..Dr.  Meyer  und  Lortzing  von  Weimar.     Dieselben  zu 
Graf,  Goethe  über  s.  Dichtungen  T.  I.  26 


402  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN,  1809 


{September  22,  Jena.]  [816] 

Weil  Ihr  Euch  üher  den  ersten  Theil  des  Eomans 

so  freundlich  geäussert    habt,    so    soll    die  Hälfte    des 

zweiten  bis  an  einen  Abschnitt  die  nächste  Woche  unter 

eben  den  Bedingungen  zu  Euch  gelangen\  Du  schickst    5 

mir  den  Band  wieder,  den  Du  in  Händen  hast-,  und  ^vi^ 

hoffen  nun  das  Ende  bald  zu  erreichen.    Doch  brauchen 

wir,  wenn    kein  Hinderniss  daz\rischenkomint,    immer 

noch  zehn  Tage.     Wenn  Du  etwa  hören  solltest,  dass 

jemand  zu  mir  herüberkommen  will,,  so  lehne  es  Ja  ab:  lo 

denn  es  kommt  doch,    wie    ich  auch  diessmaP  gesehen 

habe,  für  die  Besuchenden  auch    nicht    das  Geringste 

heraus. 

An  Christiane.  —  Br.  21,  75,  23—76,   12. 

September  22,  Jena.  817  i5 

[Früh]  Das  fünfzehnte  Capitel  durchgegangen.     Ee- 
vision  des  zwölften  Bogens*. 
Tgb.  4,  63,  28—64,  1. 

September  23,  Jena.  818 

[Früh]   Das  seclwehnte  und  siebzehnte  Capitel  zum  20 
Druck  befördert. 
Tgb.  4,  64,  12. 

September  24,  Jena.  819 

Meine  Frau  grüsst  zum  schönsten,  .  .  Zugleich    soll 
ich  .  .  Dir  einige  Feigen  übersenden,  damit  Du  Dir  von  25 
ihrer  Obstcultur  einen  guten  Begriff  machst. 


Tische.  .  .  .    Befand   mich  nicht  ganz   wohl,   doch   ging  der 

Anfall   bald  vorbei"   (Tgb.  4,   63,   20-23). 
^  Vgl.  Nr.  807. 
'  Hiernach  scheint  Christiane  die  dritte  der  von  Goethe  ge-  30 

stellten  Bedingungen  (s.  400,  22)  nicht  erfüllt  zu  haben. 
»  Vgl.  401,  35. 
*  Riemers   Tagebuch   vom   gleichen   Tage:     ,,Bei   Goethe,   der 

noch   im   Bett  blieb.     An   den   letzten   Capiteln"    (Deutsche 

Revue  12,  1,  281).  35 


1809  DIE   WAHLVERWANDTSCHAFTEX.  403 

[September  24,  Jena.]  [819] 

Und  da  ich  nun  einmal  Dich    mit  Süssigkeiten    be- 
steche, so  will  ich  bei  dieser  Gelegenlieit  auch  den  ersten 
Theil    meines    Eomans    unterschieben,    mit    Bitte    ihn 
5      freundlich  aufzunehmen,  jedoch  ja  nicht  aus  Händen  zu 
geben^. 

An  Knebel.  —  Br.  21,  77,  11.    14—22. 

September  24,  Jena.  S20 

[Früh]  Anfang  des  achtzehnten  Capitels.     Der  drei- 
10      zehnte  Bogen  zur  Eerision.     An  Major  von  Knebel  den 
ersten  Theil  des  Eomans  geschickt  [s.  Xr.  819]. 
Tgb.  4,  64,  23—25. 

September  25,  Jena.  821 

[Früh]  Am  achtzehnten  CapiteP. 
15  Tgb.  4,  65,  3. 

September  26,  Jena.  822 

Das  unternommene  Geschäft  ist  indessen  zu  Stande 
gekommen,  und  es  ^vird  sich  Ihnen  ein  wunderliches  Ge- 
bilde in  vierzehn  Tagen    bis    drei  Wochen  präsentiren. 

20  dem  ich  eine  freundliche  Aufnahme  wünsche.  Selten 
wird  in  der  Welt  etwas  genommen,  vde  es  gegeben  wird: 
es  müsste  denn  das  tägliche  Brod  vom  Bäckerladen  sein. 
Bei  dieser  meiner  neuen  Arbeit  wünschte  ich,  dass  Sie 
sich  mancher  schöner  Momente  unseres  für  mich  einzig 

25      frohen  Zusammenwirkens  erinnerten. 

An  C.  G.  Voigt.  —  Br.  21,  83,  20—84,  3. 

September  26,  Jena.  823 

[Früh]  Das  achtzehnte  Capitel.  .  .  .  [Abends?]    Den 
vierzehnten  Bogen  revidirt. 
30  Tgb.  4,  65.  9.  15  f. 


^  Ueber  das  Urtheil  Knebels,  das  dieser  dem  Freunde  münd- 
lich, vermuthlich  schon  am  27.  September,  aussprach  (vgl.  Xr. 
824).  erfahren  wir  nur  mittelbar  etwas  aus  414.  24.  432,  10—14. 

-  Riemers  Tagebuch.  September  25:  ..Bei  Goethe,  das  acht- 
35      zehnte  Capitel"  (Deutsche  Revue  12,  1,  282). 


404  DIB   WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1809 

September  27,  Jena.  824 

[Vormittags]   .  .  Herrn  von  Knebel  besucht,  bei  ihm 
geblieben:  über  den  Eoman^,  Leben  und  dergleichen. 
Tgb.  4,  65,  18  f. 

September  28,  Jena.  825    5 

Der  Druck  des  Eomans  neigt  sich  zum  Ende  und  doch 
werden  immer  noch  acht  Tage  hingehen. 
An  H.  Meyer.  —  Br.  21,  90,  4  f. 

September  28,  Jena.  826 

Ich  habe  hier  einige  Monate  auf  die  Bearbeitung  und  lo 
auf  den  Druck  eines  Eomans  verwendet,  der  in  wenig 
Tagen  die  Presse  verlassen  wird.  Da  Sie  sich  in  diesem 
Fache  selbst  so  löblich  hervorgethan-,  so  wünschte  ich 
wohl  Ihre  Meinung  über  meine  Arbeit  zu  hören,  und 
w^enn  es  Ihnen  gelegen  wäre,  öffentlich.  Es  gibt,  wie  Sie  is 
selbst  wissen,  mehr  als  eine  Art  dergleichen  Productio- 
nen  zu  beurtheilen:  eine  gedrängte,  welche  die  Haupt- 
momente hervorhebt,  würde  mir  sehr  ^-illkommen  sein^. 
An  Rochlitz.  —  Br.  21,  92,  3—13. 


20 


^  Vgl.  414,  24—29  und  432,  10—14. 

*  Goethes  Interesse  galt  übrigens  mehr  den  dramatischen 
Dichtungen  Rochlitzens,  als  dessen  Romanen  und  Erzäh- 
lungen. Von  diesen  waren  seit  Anfang  des  Jahrhunderts 
eine  ganze  Reihe  erschienen. 

'  Rochlitz  erwiderte  zunächst  am  4.   October:    „Den   Roman,  25 
womit  Sie  uns  alle  so  sehr  überraschen,  werde  ich  mir,  so- 
bald er  auf  der  Messe  erscheint,  verschaffen;  werde  ihn  in 
ruhigen  Stunden  erst  in  einem   Strich  durchlesen,    um    das 
Ganze  möglichst  rein  zu  fassen  und  die  frische  Blüthe  des 
Genusses  mir  vollgültig  zu  verschaffen,  und  dann,  nach  eini-  30 
ger  Zwischenzeit,  alles  langsam  wiederholen,   um  nun  auch 
das  Einzelne  in  dem  Ganzen  erkennen,  schätzen  und  geniessen 
zu  lernen.     Was  mir  nun  hierbei  von  selbst  Bedürfniss  wird 
aufzuschreiben,  das  schreibe  ich  auf  und  sende  es  Ihnen  zu. 
Sie  werden  dann  entscheiden,  ob  es  bei  Seite  gelegt,  oder  für  35 
das  Publicum  benutzt  werden,  und,  wenn  Sie  diess  erwähle- 
ten,  wo  es  geschehen  soll.     Eine  eigentliche  Recension  wird 


1809  DIE   WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  405 

September  28,  Jena.  827 

[Vormittags]   Den  fünfzehnten  ßevisionsbogen\ 
Tgb.  4,  66,  1  f. 

September  29,  Jena.  828 

5  Durch  den  Abgang  des  Boten  überrascht,  sende  ich 

heute  nur  mit  wenigen  Worten  .  .  den  ersten  Theil  des 
Eomans.  Ich  wünsclio,  dass  dieser  Ihnen  und  den  Ihrigen 
eine  angenehme  Unterhaltung  geben  möge;  nur  bitte  ich 
ihn  nicht  aus  Händen  zu  geben. 
10  An  C.  G.  Voigt.  —  Br.  21,  94,  8—14. 

September  29,  Jena.  829 

[Vormittags]     Der   sechzehnte    Eevisionsbogen.    .  .  . 
Abends    Oberstlieutenant    von   Hendrich.     Ueber    Auf- 
nahme neuer  "Werke,  besonders  von  Freunden  und  Stadt- 
15      genossen. 

Tgb.  4,  66,  9.  12—14. 

]  [September  30,  Jena.]  830 

Soeben  verlässt  ein  Eoman  von  mir  die  Presse.     Ich 

■will  suchen  durch  Herrn  Dufour  Ihnen  ein  Exemplar 


25 


20  es  aber  ganz  gewiss  nicht;  denn  wenn  ich  mir  diese  von  einem 
Werke  solclier  Art  schon  nicht  einmal  denken  kann,  so  kann 
ich  sie  noch  weit  weniger  verfassen"  (G.-Rochlitz  S.   102  f.). 

Drei  Woclien  später,  am  25.  Oetober,  wurde  Rochlitz  durch 
Eichstädt,  den  Leiter  der  Jenaischen  Allgemeinen  Litteratur- 
Zeitung.  brieflich  an  Goethes  Wunsch  erinnert,  mit  den 
Worten:  ,,Ich  darf  hoffen,  verehrtester  Freund,  dass  die  \eT- 
anlassung  zu  diesem  Briefe  Ihnen  nicht  ganz  unwillkommen 
sein  wird.  Goethe  wünscht  seinen  neuen  Roman  .Die  Wahl- 
verwandtschaften' in  unsrer  Allgemeinen  Litteratur-Zeitung 
von  Ihnen  recensirt  zu  sehen"  (GJ.  20.  273  f.). 

Rochlitz  aber  lehnte  eine  öffentliche  Besprechung  ab.  so- 
v\'ohl  Goethe  gegenüber,  am  Schluss  seines  ausführlichen 
Briefes  über  die  Dichtung,  vom  5.  November  (s.  421,  18),  als 
auch  gegeu  Eichstädt.  Denn  auf  eine  derartige  Mittheil nng 
Eichstädts  an  Goethe  nimmt  dieser  am  2.5.  November  Bezug 
(s.  426,  2). 
^  Riemers  Tagebuch,  September  28:  „Früh  bei  Goethe:  den 
fünfzehnten  Revisionsbogen"  (Deutsche  Revue  12,  1,  282). 


406  DIE   WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  ISO» 

][September  30,  Jena.]  [830] 

ZU  überschieken.  So  ein  nordisches  Product  muss  unter 
römischer    Umgebung^    einen    ganz    eignen    Eindruck 
machen,  und  ich  habe  es  daher  doppelt  Ihrer  Nachsicht 
zu  empfehlen.  Sie  wissen  ja  schon,  dass  jeder  ültramon-    5 
tane^  eine  eigne  Tournüre  mitbringt. 

An  Caroline  v.  Humboldt.  —  Br.  21,  97,  1—7. 

September  30,  Jena.  831 

Es  liegt  ein  Brief  an  Frau  von  Humboldt  bei^,  .  .  und 
ich  wünschte,  dass  Sie  ihr  zugleich  ein  Exemplar  meines  10 
Eomans,  der  eben  die  Presse  verlässt,  überbrächten:  viel- 
leicht gibt  er  Ihnen  auch  unterwegs  einige  Unterhal- 
tung. Ich  lasse  daher  in  Leipzig  ein  solches  Exemplar 
mit  dem  gegenwärtigen  Brief  an  Ihr  Handelshaus  über- 
geben, um  es  Ihnen,  wenn  Sie  noch  nicht  gar  zu  entfernt  1» 
sein  sollten,  nachzuschicken*. 

An  Dufour-Feronce.  —  Br.  21,  97,  23—98,  6. 

September  30,  Jena.  832 

[Vormittags]     Der    siebzehnte    Eevisionsbogen.  .  .  . 
Nach  Tische  der  achzehnte  Eevisionsbogen.  20 

Tgb.  4,  66,  15.  18  f. 

][October  1,  Jena».]  833 

Die  Aushäne-eboo-en  des  Eomans  werden  nun  bald  in 


^  Caroline  von  Humboldt  wohnte  noch  in  Rom,  wo  die  Familie 
seit  Ende  des  Jahres  1802  ihren  Aufenthalt  genommen  hatte;  25 
ihr  Gatte,  Wilhelm  von  Humboldt,  befand  sich  zur  Zeit  des 
obigen  Briefes  in  Königsberg.  Vgl.  Nr.  866. 

^  „Der  Ausdruck  „Ultramontan"  ist  natürlich  im  umgekehrten 
Sinne  als  dem  uns  geläufigen  gebraucht,  wie  auch  der  Römer 
den  von  Norden  über  die  Alpen  kommenden  Wind  die  Tra-  30 
montana  nennt"  (Otto  Harnack,  der  Herausgeber  des  Briefes, 
im  GJ.  16,  47). 

»  s.  Nr.  830. 

*  Da   Dufours   Reise   nach   Rom   nicht  zur  Ausführung   kam, 
„wurde  Goethes  Brief    mit    dem  Geschenke    der  Adressatin  35 
von  Leipzig  aus  übersandt"  (O.  Hamack,  GJ.  16,  47). 

"  Dieses  Datum  tragen  zwei  verschiedene  Concepte  von  Briefen 


1809  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  407 

][October  l,  Jena.]  [833] 

Ihren  Händen  sein;  und  ich  wünsche,  dass  diese  beiden 
Bändchen  zuerst  Ihnen  und  dann  dem  Publicum  Ver- 
gnügen machen.  Es  ist  so  manches  hineingelegt,  das. 
wie  ich  hoffe,  den  Leser  zu  wiederholter  Betrachtung  auf- 
fordern ^\'ird^. 

An  Cotta.  —  Br.  21,  99,  8—13, 

][October  1,  JenaM  834 

Dass  der  Roman  als  Fortsetzung  meiner  Werke^  ab- 
gedruckt werde,  bin  ich  wohl  zufrieden  und  so,  dass  es 
damit  wie  mit  dem  Uebrigen  nach  unsrer  Verabredung 
gehalten  werde. 

Einen  Preis  für  diese  Arbeit*  wüsste  ich  nicht  auszu- 
sprechen. Ich  habe  daran,  was  ich  vermochte,  gewendet 
und  ich  bin  von  Ihnen  überzeugt,  dass  Sie  mich  und  die 
^reinigen  dagegen  das  Billige  und  Rechte  werden  ge- 
niessen  lassen^. 

An  Cotta.  —  Br.  21,  462  f. 


an  Cotta:   das   eine   (Nr.   833)   befindet  sich   in   der  grossen 
20      Sammlung  der  Briefconcepte,    das  andere  (Nr.  834)    in    der 
Sanmilung  der  „Acta  die  Ausgabe  meiner  Werke  bei  Cotta 
betr.  1805—1814"  (vgl.  Br.  21,  462  zu  S.  99,  15). 

*  Noch  am  20.  October  waren  nicht  alle  Aushängebogen  des 
Romans  in  Cottas  Händen,   wie  folgende  Stelle  aus   Cottas 

25      Brief  an  Charlotte  Schiller  von  diesem  Tage  zeigt:  „Goethes 
,Wahherwandtschaften',  die  ich  leider  noch  nicht  ganz  be- 
sitze, sind  mir  ein  Schatz  von  Weisheit,  ein  wahres  Lebens- 
buch, wie  alles  von  Goethe"  (Schiller-Cotta  S.  563). 
^  Vgl.  406,  37—  407,  22. 

30    '  Vgl.  362,  7  f. 

*  „dieses  Werkchen"  hatte  Goethe  zuerst  dictirt 

^  Goethes   Honorar-Conto  in  J.   F.   Cottas   Rechnungsbüchern 
(Schiller-Cotta  S.  691)  verzeichnet  unter  1809: 
„October  19  .Wahlverwandtschaften'  incl.  des  Ab- 

35  drucks   in  den   Werken Rth.  2000.— 

November  26  "SA'eiter    für  .Wahlverwandtschaf- 
ten', da  Nachdruck   [unleserlich] „       500.—" 


408  DIE   WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1809 

October  1,  Jena.  835 

Der  Eoman,  den  Sie  durch  Ihre  Theilnahme  so  sehr 
gefördert  haben^,  ist  nun  bald  völlig  abgedruckt  und 
wird  seinen  Weg  auf  die  Leipziger  Messe  nehmen.  Ich 
schicke  Ihnen  kein  Exemplar,  weil  Sie  es,  bei  dem  jetzi-  5 
gen  theuern  Porto,  bequemer  durch  den  Buchhandel  er- 
halten^. 

G-edenken  Sie  mein  unter  dem  Lesen,  gedenken  Sie  der 
guten  Tage,  in  welchen  dieses  Werkchen  grösstentheils 
in  Ihrer  Nähe  entstand.  10 

An  Marianne  v.  Eybenberg.  —  Br.  21,  101,  22—  102,  5. 

October  1,  Jena.  836 

Noch  bin  ich  in  Jena  und  hoffe,  die  letzten  Bogen 
meines  Eomans  noch  vor  Ablauf  des  Stillstandes,  oder 
vor  Unterzeichnung  des  Friedens,  gedruckt  zu  sehen^.  i5 
Es  ist  auf  dieses  kleine  Werk  so  viel  verwendet  worden. 
dass  ich  hoffen  kann,  man  wird  es  mit  Antheil  auf- 
nehmen. 

Das  erste,  vollständige,  geheftete  Exemplar  gebe  ich 
für  Sie  auf  die  fahrende  Post.     Indessen  können  noch  20 
immer  vierzehn  Tage  hingehen,  bis    es    in  Ihre  Hände 
kommt. 

An  K.  F.  V.  Reinhard.  —  Br.  21,  104,  7—14. 

]  [October  1,  Jena.]  837 

Ich  befinde  mich  noch  in  Jena  auf  dem  Platze,  wo  25 
Sie  mich  verlassen*.  Der  Roman  ist  indessen  gedruckt 


^  Vgl.  374,  22—25,  nebst  der  zugehörigen  Erläuterung. 

"  Nach  einem,  an  andrer  Stelle  mitzutheilenden  Briefe  der 
Frau  von  Eybenberg.  scheint  Goethe  der  Freundin  später  doch 
noch  ein  Exemplar  der  Dichtung  geschickt  zu  haben,  s.  428, 13.  30 

*  Diese  Hoffnung  erfüllte  sich,  da  die  Friedensverhandlungen 
zwischen  Frankreich  und  Oesterreich  (deren  Reinhard  in 
seinem  letzten  Briefe  an  Goethe,  vom  23.  August,  gedacht 
hatte)  erst  am  14.  October  im  Al>schluss  des  Wiener  Friedens 
ihr  Ende  fanden.  35 

*  Zum   letztenmale   war   Goethe  am   4.   Juni   mit   Werner  zu- 


1809  DIE   WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  409 

][October  l.  Jena.]  [837] 

worden,  den  ich  Ihnen  hiermit  zur  freundlichen  Auf- 
nahme empfehlen  wilP. 

An  Zach.  Wemer.  —  Br.  21.  105,  3—6. 


.  5  sammen  gewesen,  uud  zwar  in  grösserer  Gesellschaft  bei 
Frommanns. 

Indem  Goethe  sagt,  er  befinde  sich  ..noch"  in  Jena,  bleibt 
als  gleichgültig  ausser  Acht,  dass  er  inzwischen  vom  14.  Juni 
bis  22.  Juli  sich  in  Weimar  aufgehalten  hatte. 

10  ^  In  Rom,  am  31.  Januar  1810,  bei  Caroline  von  Humboldt 
sah  AVerner  die  .Wahlverwandtschaften"  uud  las  die  Dichtung 
bald  darauf.  Die  Wirkung  dieser  Leetüre  hat  er  später  in 
folgenden  Versen  seines  Gedichts  .Abschied  von  Rom*  ge- 
schildert (hier  nach  Düntzers  Buch  .Zwei  Bekehrte.  Zacharias 

15  AA'erner  und  Sophie  von  Schardf  Leipzig.  Hahn'sche  Verlags- 
buchhandlung. 1873  S.  188  f.»: 

„Vergebens  I    den   die    Schuld    verstockt. 
Der  wird  zum  Abgrund  hingelockt 
Selbst  durch  der  Schönheit  Strahlen: 
20  Kunst,  Andacht  reizten  mein  Gelüst. 

Durch  Romas  Tempel  rannt'  ich  wüst 
Genüssen  nach  und  Qualen. 

Da  Hess  der  Herr  den  Blitz  erglühn: 
..Nur   der   Entsagung   wird   verziehnl" 
25  Sprach  Gott  in  Blitzesflimmer. 

Ottiliens  erstarrter  Schmerz 
Schoss  wie  der  Blitz  iu's  wunde  Herz, 
Und  ich  entsagt'  für  immer." 

Am  19.  April  1811  sodann  trat  Werner  zum  Katholieismus 
30  über,  und  schrieb  vier  Tage  später,  am  23.  April  1811.  an 
Goethe  einen  umfangreichen  Brief,  in  dem  es  unter  Anderem 
heisst:  „Sie  werden  von  mir  gar  uichts  mehr  hören  noch 
wissen  wollen  I  Warum,  das  wissen  Sie  schon  jetzt,  indem 
ich  diess  schreibe: 


35 


Keimt  ein  Glaube  neu. 

Wird  oft  Lieb'  und  Treu' 

Wie   ein   altes    L'nkraut    ausgerauft! 


410  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1809 

October  1,  Jena.  838 

[Vormittags]  Den  achtzehnten  Eevisionsbogen. 
Tgb.  4,  67,  3. 

October  2,  Jena.  839 

Mit  unserm  Geschäft  wird's  nicht  lange  mehr  dauern, 
nur  noch  zwei  Capitel  sind  zu  druckend 
An  Christiane.  —  Br.  21,  107,  3—5. 


so  beisst  es  in  dem  Gedicht  [.Die  Braut  von  Korinth'  V.  12 — 
14],  welches,  näclist  Gott  und  Ew.  Excelleuz,  niemand  so  gut 
versteht  als  ich!     Nicht  in  mir  wird  Lieb'  und  Treue  gegen  lo 
Sie  ausgerauft  werden,   kein   Glaube  kann  imd  wird   meine 
Liebe,  meine  Treue,  meine  Dankbarkeit  gegen  Sie  ausraufen, 
am   wenigsten   der  christliche,   den    ich,   nachdem    icli    ihm 
lauge  heimlich  auf  den  schändlichsten  Irrwegen  nachgerannt 
bin,  endlich  gefunden  und  öffentlich  bekannt  habe.     Beides  15 
verdanke   ich  —  o    zürnen    Sie    nicht.    Huldvollster'.  —  Ihren 
.Wahlverwandtschaften'.     ,„Nur  unter  der  Bedingung  einer 
völligen  Entsagung'",  heisst  es  darin  [Theil  2  Capitel  15,  W. 
20,  374,  1 — 4],  , „hatte  Ottilie  sich  verziehen,  nur  diese  Beding- 
ung   war   für   ihre   ganze    Lebenszeit   unerlässlich'".      Diese  20 
von  Gottes  Geist  Ihnen  in  die  Feder  dictirten,  und  als  ich  sie 
zuerst,  vor  Ihrer  Herrlichkeit  erstarrend  las,  von  Gottes  Blitz 
[vgl.    409,    23—29]      auf     der     nemlichen    Stelle,     an     der 
ich  jetzt  dieses  schreibe,  illuminirten  ewigen  Worte,  sie  sind 
es  und  —  was  auch  der   deutsche   Pöbel   über  mich   lügen  25 
mag  —  sie,    diese   Worte,    (und    nicht    der   Sinnentand,    die 
Phantasterei,    die    Gaukelei,    womit   man    alles    Heilige    und 
auch  die  Kirche,  die  ewig  heilige  überkleistert  liat)  sind  es, 
die  mich   katholisch  gemacht  haben  und  mich  zwingen,   es, 
mag  auch  über  mich  ergehen,  mag  auch  dabei  von  mir  zu  30 
Grunde  gehen,  was  da  wolle,  es  lebenslang  und  ewiglich  zu 
bleiben!  .  ,  ."  In    einer  Fussnote    zu    dem  Worte  .Wahlver- 
wandtschaften' (Z.  17)  sagt  Werner:     „Ich  habe  ein  Sonett 
über    diess    mir    ewig    merkwürdige  Buch,    sowie    ein    paar 
andre    beizufügen    gewagt.     Haben    Ew.    Exccllenz    damit  35 
gütige  Nachsicht"  (SdGG.  14,  61  f.). 
^  Bogen  19.  den  Goethe  am  Morgen  dieses  2.  Octobers  durch- 
sah (s.  Nr.  840),  enthielt  auch  schon  das  vorletzte,  siebzehnte, 
Capitel,  mit  Ausschluss  von  Ottiliens  Brief  an  die  Freunde. 


1809  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  411 

October  2,  Jena.  840 

[Früh]  Den  neunzehnten  Eevisionsbogen. 
Tgb.  4,  67,  12. 

October  3,  Jena.  841 

5  Der  Eonian  kommt  in  diesen  Tagen  zu  Stande,  ob  ich 

gleich    kaum    werde    ein    vollständiges    Exemplar    mit- 
bringen können. 

An  Christiane.  —  Br.  21,  109,  13—15. 

October  3,  Jena.  ,  842 

10  [Früh]  Den  zwan;:igsten  Eevisionsbogen^     - 

Tgb.  4,  67,  17. 

October  4,  Jena.  843 

[Xachmittags]  Eevision  des  letzten  Bogen  s  vom  Eo- 
man-. 
15  Tgb.  4,  68,  7  f. 

October  ^,  Jena.  84f 

Die  Briefe    des  Professor  Yoigt^,    worin    er  .  .  das 

Glück,  sich    unter    den  Pariser  Schätzen    zu    befinden, 

meldet,  erregt  meine  Wünsche  auf's  neue,  auch  daran 

20      Theil  zu  nehmen.     Da    sie  Jedoch  nicht    in  Erfüllung 

gehen  können,    so  will    ich  wenigstens  etwas  von    inir 

hinüberschicken,  und    zwar    einen  kleinen  Eoman,    der 

soeben  fertig  geworden.     Sie  werden  gewiss  freundlich 

aufnehmen,  dass  darin  Ihr  !N^ame  von  schönen  Lippen 

25      ausgesprochen  wird.     Das,  was  Sie  uns  geleistet  haben, 

geht  soweit  über  die  Prosa  hinaus,  dass  die  Poesie  sich 

wohl  anmassen    darf,    Sie    bei  Leibesleben    unter    ihre 

Heroen  aufzunehmen'*'. 

An  A.  V.  Humboldt.  —  Br.  21,  110.  23—111.  9. 


30    '  Sachlich  gehört  hierher:     466,  19—21. 

'  Riemers  Tagebuch,  October  4:  „Letzter  Correcturbogen  des 
Romans.  Nach  Tische  ihn  durchgesehen  allein  und  dann  mit 
Goethe"  (Deutsche  Revue  12,  1,  282). 

*  Der  Naturforscher  Voigt,  Director  des  botanischen  Gartens 
35     in  Jena,  war  im  Sommer  1809,  ausgestattet  mit  einer  warmen 

Empfehlung    Goethes    an    Alexander    von    Humboldt,    nach 
Paris  gereist  (vgl.  Br.  21,  15,  5—11.  21—25). 

*  Fnter    den   Stellen    aus  Ottiliens  Tagebuche,    die    wir    am 


412 


DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 


1S09 


October  G,  Weimar. 

Es  wird  nun  Zeit,  dass ' 
ich  auch  etwas  von  mir 
hören  lasse,  und  zwar 
thue  ich  es,  indem  ich 
Ilinen  einen  Eoman  von 
mir  übersende,  der  soeben 
die  Presse  verlässt. 

Ich  kann  weder  verlan- 
gen noch  erwarten,  dass 
dieses  kleine  Werk  einem 
Franzosen,  als  solchem,  ge- 
fallen solle;  da  Sie  sich 
aber  um  uns  Deutsche,  un- 
sere Art  zu  sein  und  zu 
denken,    näher    umgethan. 


845 

.  .  aussi  est-il  grand 
temps,  de  mon  cote,  que  je 
Yous  temoigne  ma  recon- 
naissance,  et  c'est  dans  ce  6 
but  que  je  Vous  envoie  un 
roman  de  moi  qui  vient  de 
paraitre. 

Je  ne  puis  esperer  ni 
meme  desirer  que  ce  petit  lo 
ouvrage  plaise  ä  un  Fran- 
cais, en  tant  que  Frangais; 
mais  Yous  connaissez  assez 
notre  maniere  de  penser 
et  de  nous  exprimer,  ä  nous  i5 
autres  Allemands,  et  Yous 


Schluss  des   siebenten   Capitels    von  Theil  2  lesen,   befindet 
sicli  folgende,  auf  die  Goethe  hier  deutet: 

,,Xur  der  Naturforscher  ist  verehiningswerth,  der  uns  das 
Fremdeste,  Seltsamste,  ndt  seiner  Localität,  mit  aller  Nach-  20 
barschaft,  jedesmal  in  dem  eigensten  Elemente  zu  schildern 
und   darzustellen   weiss.     Wie  gern   möchte   ich   nur  einmal 
Humboldten  erzählen  hören"  (W.  20,  292,  18—23). 

Wilhelm  von  Humboldt  schreibt,  in  seinem  am  10.  Februar 
1810  an  Goethe  gerichteten  Briefe,  über  seinen  Bruder  unter  25 
Anderem:  „Von  Alexander  habe  ich  einen  sehr  frischen 
Brief.  ...  Er  spriclit  mir  viel  von  den  .Wahlverwandtschaf- 
ten', die  Sie  ihm  geschickt  haben.  Es  hat  ihn  unendlich 
gefreut.  Auch  mit  Achim  Arnim  lässt  sich  darüber  besser  wie 
mit  andern  reden"  (G. -Humboldt  S.  236).  Dieser  Brief  Ale-  30 
xander  von  Himiboldts  scheint  sich  leider  nicht  erhalten  zu 
haben. 

Ein  Wort  des  von  Humboldt  genannten  Arnim  über  die 
Dichtung  findet  sich  in  seinem  Briefe  an  Goethe  vom  19. 
November  1809:  „Für  die  ,Wahlverwandtschaften'  sage  ich  35 
im  Namen  vieler  Freunde  und  Bekannten  einen  schmerzlichen 
Dank,  sie  machen  manche  Veränderung  glücklicher  Ver- 
hältnisse klar,  die  so  mancher  empfunden"  (SdGG.  14,  144  f.). 


1809  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  413 


[October  6,  Weimar.]  [845] 


etes  assez  initie  ä  notre 
caraetere  pour  trouver 
peut-etre  quelque  plaisir  ä 
la  lecture  de  ce  livre,  qui 
Yous  rappellera  le  temps 
qiie  A^ous  avez  passe  parmi 
nous^. 


und  einigen  Antheil  an 
unsern  Eigenheiten  ge- 
nommen :      so     darf     ich 

5  Ihnen  dieses  Buch  ja  wohl 
übersenden  mit  der  Hoff- 
nung, dass  Sie  sich  dabei 
gern  der  Zeiten  erinnern 
werden,  die  Sie  unter  uns 

10      zugebracht. 

All  L.  cridevüle.  —  Br.  21,  4(J4  f.  112,  3—13. 

]  [Nach  October  10,  ?]=  846 

[Zu  1808.  1809.  —  Im  cältesten  biographischen  Schema 
(s.  29,  T— 9)  heisst  es  unter] 
15  1808:  .  .  .  ,'\Vahlverwandtschaften'. 

Karlsbad,     ,Pandora'^,     ,Wahlverwandtschaf- 
ten',  .  .  . 
1809:  ...  Die  ,Wahlverwandtschaften^  .  . 
W.  26,  363,  35.    364,  1.    10. 


20  ^  Am  Schluss  der  Skizze,  die  Goethe  uns  von  seiner  ,,Unter- 
redinig  mit  Napoleon  1808"  gegeben  hat,  heisst  es  für  den 
14.0ctober:  Ich  erhalte  den  Orden  der  Ehren-Legion.  Talma 
und  Frau  und  Minister  Marets  Secretär  Le  Lorgne  d'Ide- 
ville  finden  sich  bei  mir  zusammen".  (W.  36,  276,  2 — 4). 

25  Bei  Gelegenheit  der  Veröffentlichung  des  obigen  Briefes 
sagt  der  Sohn  des  Adressaten:  „Mon  pere,  .  .  logeait  chez 
Goethe  avec  le  duc  de  Bassano.  .  .  sa  eonnaissance  appro- 
fondie  de  l'allemand  et  son  goüt  pour  la  litterature  l'avaient 
fait  remarquer  de  Goethe"    (Henry    d'Ideville:    Journal  d'un 

30      diplomate  en  Alleuiagne  et  en  Grece  Notes  intimes  pouvant 
servir  ä  l'histoire  du  second  empire  .  .  Paris  librairie  Hachette 
et  Cie  1875  S.  109). 
^  Am  7.  October  kehrte  Goethe,  nach  einem  elfwöchigen  Auf- 
enthalt in  Jena,   nach  Weimar  zurück.     Sein   Tagebuch  er- 

35  wähnt  den  Roman  in  dieser  Zeit  nicht,  dasjenige  Riemers 
aber  vermerkt  unter  October  6:  ..Kamen  die  letzten  Aus- 
hängebogen", und  October  9:  „Kam  der  Roman  an"  (Deut- 
sche Revue  12,  1,  283). 


41-i  DIE   WAHLVERWANDTSCHAFTEX.  1S09 

October  16,  Weimar.  847 

Diesen  Morgen,  ist  der  Eoman  abgegangen.  Gute  Auf- 
nahme! und  freundliche  Erinnerung. 
An  Fr.  v.  Müller.  —  Br.  21,  115,  6  f. 

October  16,  Weimar.  848    5 

Den  Eoman  an  Herrn  von  Eeinhard,  an  Herrn  Hof- 
rath  Sartorius. 

Tgb.  4,  71,  3  f. 

October  21,  Weimar.  849 

Den  zweiten  Theil  meines  Eomans   schicke  ich  Dir  lo 
nicht;  Du  möchtest  mich  darüber  noch  mehr  als  über 
den  ersten    ausschelten.     Kommt    er  Dir    von    andern 
Seiten  her  in  die  Hände,  so  bin  ich  alsdann  unschuldig 
daran.     Die  armen  Autoren  müssen  viel  leiden,  und  es 
ist  hergebracht,  dass  gerade  die  Exemplare,  die  sie  selbst  15 
ausgeben,  ihnen  die  grösste  Xoth  machen^. 
An  Knebel.  —  Br.  21,  120,  27—  121,  5. 


^  Ueber  Knebels   Beurtheilung   des   ersten  Theils   der   »Wahl- 
verwandtschaften' vgl.  Z.  24—29  und  432,  10—14. 

Am  13.  October  hatte  Knebel  geschrieben:  „Den  zweiten  20 
Theil  der  .Wahlverwandtschaften'  erwarte  ich  mit  Schmer- 
zen"; auf  das  Obige  sodann  antwortete  er  am  23.  October: 
„Es  ist  wohl  etwas  unfreundlich  von  Dir,  dass  Du  mir  Dein 
neues  Werlv  nicht  schiclien  willst.  Ich  weiss  nicht,  worüber 
ich  gescholten  hätte,  und  ist  diess  die  Art  nicht,  wie  ich  25 
Deinen  Schriften  begegne.  Wenn  ich  vielleicht  einige  Sätze 
noch  zweifelhaft  fand,  so  zeigt  das  mehr  von  der  Art,  wie 
ich  micli  damit  beschäftige  und  kommt  nicht  so  sehr  auf 
Rechnung  des  Werks,  als  der  Personen,  die  darin  agiren. 
Ich  erwarte  den  Aufschluss  von  dem  zweiten  Bande  viel-  30 
leicht;  und  Du  solltest  schon  mehr  auch  für  meine  Repu- 
tation besorgt  sein,  da  jetzt,  wo  alles  Dein  Werk  hier  [in 
Jena]  liest  und  lobet,  es  mir  zum  wahren  Vorwurfe  gereicht, 
wenn  ich  der  Einzige  bin.  der  es  nicht  gelesen  hat"  (G.- 
Knebel 1,  351.    354).  35 

Darauf  liess  Goethe  durch  seinen  Sohn,  der  am  27.  October 
zur  Fortsetzung  seiner  juristischen  Studien  nach  Jena  über- 
siedelte, dem  Freunde  ein  Exemplar  des  Romans  zustellen. 


1809  -  DIE   WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  415 


October  30,  Weimar.'  S50 

Mit  diesen  w-enigen  TTorten  erhalten  Sie  meinen  Eo- 
man-.  Tliun  Sie,  als  wenn  der  grösste  Tlieil  Ihnen  zu- 
geschrieben wäre^  und  verzeihen  mir  mein  übriges 
Schweigen  und  Stocken.  Es  wird  beinahe  jetzt  unmög- 
lich mit  dem  Einzelnen  von  einzelnen  Dingen  zu 
sprechen;  fasst  man  aber  breitere  Verhältnisse  ins  Auge, 
so  mag  man  wohl  noch  manches  darstellend  aussprechen. 
An  Zelter.  —  Br.  21,  123,  24—124,  3. 


10  Knebel  aber  schrieb  am  31.  October:  „Dein  August  hat 
mir  die  beiden  Bände  der  .Wahlverwandtschaften'  richtig 
überschickt,  und  ich  danke  einstweilen  dafür.  Wenn  ich  sie 
werde  gelesen  haben,  werde  ich  schon  mehr  danken";  ferner 
am  5.  November:    ,,Aber  was  soll  ich  sagen  zu  Deinem  zwei- 

15  ten  Theil  der  .Wahlverwandtschaften',  den  ich  nun  gelesen! 
Ich  wäre  wohl  gestraft  gewesen,  wenn  Du  mir  ihn  nicht 
geschickt  hättest.  Jedes  Capitel  ist  in  seinem  Inhalte  tief, 
vortrefflich  und  schön  —  meisterhaft  geschrieben.  Ich  habe 
mich   sehr   ergötzt  an   dem   tief   Erkannten,    und   gleichsam 

20  ganz  auf  eine  neue  Art  an's  Licht  Geförderten.  Was  soll 
ich  zu  der  schönen  Novelle  [,Die  wunderlichen  Nachbars- 
kinder' in  Theil  2  Capitel  10]  sagen?  und  dann  zu  der 
schaurigen  Ruhe,  zu  der  die  Geschichte  gegen  das  Ende 
steigt?    Es   ist   neu   und   doch   wahr   und   vortrefflich.     Mit 

25      M'elchem   Auge  hast   Du   die  Menschen   und   ihre  Dinge  ge- 
sehen?" (G.-Knebel  1,  358.) 
'  Ob  die  Bemerkung  in  Riemers  Tagebuch  vom  28.  October: 
„Lange   bei   Tisch.      Ueber   Roman- Verhältnisse,  . .  "    (Deut- 
sche Revue  12,  1.  284)  sich  auf  die  .Wahlverwandtschaften* 

30     oder  etwa  auf  .Wilhelm  Meisters  Wanderjahre'  bezieht,  muss 

dahingestellt  bleiben. 

'  Zelter   hatte    die    .Wahlverwandtschaften'     bereits     gelesen, 

und  zwar  am  27.  October.  drei  Tage  bevor  Goethe  das  für 

den    Freund    bestimmte    Exemplar    abschickte.     In    Zelters 

•35  Brief  von  eben  dem  27.  October  heisst  es:  „Es  gibt  gewisse 
Symphonien  von  Haydn,  die  durch  ihren  losen  liberalen 
Gang  mein  Blut  in  behagliche  Bewegung  bringen  und  den 
freien  Theilen  meines  Körpers  die  Neigung  und  Richtung 
geben  wohlthätig  nach    aussen    zu    wirken.     Meine   Finger 

■40      werden    dann    weicher    und    länger,    meine  Augen    möchten 


il6  DIE   WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1809 

October  30,  Weimar.  851 

[Brief]  An  Herrn  Professor  Zelter  (mit  einem  Exem- 
plar des  Romans)^  durch  Lortzing.  [Brief]  An  Herrn 
Stadtgerielitsratli  Dr.  Schlosser  (mit  einem  Exemplar  des 
Romans)  durch  Stromeyer.  5 

Tgb.  4,  74,  6—10. 

November  8,  Weimar.  S52 

[Nachmittags]  Brief  von  Zelter  über  die  , Wahlver- 
wandtschaften'-. 

Tgb.  4,  76,  28—  77,  1.  10 


etwas  ersehen,  das  nocli  kein  Blick  berührt  hat,  die  Lippen 
öffnen  sich,  mein  Inneres  will  hinaus  in's  Freie. 

So  geht  mir's,  wenn  ich  Ihre  Romane  lese  und  so  ist  mir's 
geworden,  wie  ich  heute  Ihre  ,Wahlverwandtschaften'  las. 
Das  muth-svillige  geheimuissvolle  Spiel  mit  den  Dingen  dei  15 
Welt  und  den  Figuren,  die  darinne  angestellt  und  geleitet 
werden,  kann  Ihnen  niemals  missliugen,  mag  auch  zwischen 
durchlaufen,  was  Platz  hat,  oder  sich  Platz  macht. 

Dazu  eignet  sich  endlich  noch  eine  Schreibart,  welche  wie 
das  klare  Element  beschaffen    ist,    dessen  flinke  Bewohner  20 
durcheinander  schwimmen,  blinkelnd  oder  dunkelnd  auf  und 
abfahren,  ohne  sich  zu  verirren  oder  zu  verlieren. 

Mau  könnte  zum  Poeten  werden  über  eine  solche  Prosa, 
und  ich  möchte  des  Teufels  werden,  dass  ich  keine  solche 
Zeile  schreiben  kann.  25 

Der  Titel  Ihres  Romans  macht  eine  ganz  besondere  Sensa- 
tion auch  unter  Ihren  Freunden.  Manche  können  gar  nicht 
darüber  Avegkommen.  dass  ihnen  alles  Urtheil  wie  abge- 
schnitten ist;  sie  möchten  doch  gern  ihre  Meinung  sagen  und 
können  eigentlich  zu  keiner  gelangen.  Einigen  hab'  ich  so-  30 
gar  darüber  Rede  stehen  sollen;  besonders  soll  der  Titel  er- 
klärt werden:  wie.  warum,  woher,  wohin? 

Da  steh'  ich  dann  wie  ein  armer  Sünder,  indem  man  mir 
die  Ehre  anthut  mich  für  einen  zu  halten,  der  um  Ihre  Ge- 
heimnisse weiss.  35 

Sie  aber  wissen  und  Gott  weiss    es  auch,  dass    ich  nichts 
weiss  und,  so  wahr  als  ich  Sie  beide  liebe,  nichts  verrathen 
werde"  (G.-Zelter  1,  373  f.). 
s.  Nr.  850. 
s.  415,  34  f.  40 


1809  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEX.  417 

Xorember  14,  AVeimar.  853 

.  .   [vor  Tische]   spazieren  bei  schönem  Wetter.  .  .  . 
Frau  Griesbach  [begegnet],  die  von  Wielands  Antheil  an 
den  ^Wahlverwandtschaften'  erzählte^. 
Tgb.  4,  78,  9—12. 

November  15,  Weimar.  854 

-  Das  A'ertrauen,  womit  ich  mir  ein  Urtheil  über  mein 

Xeuestes  von  Ihnen  erbat,  ist  durch  Ihren  liebenswür- 


^  Vgl.  Nr.  855a,  nebst  der  zugehörigen  Erläuterung. 

10  "  Auf  Goethes  briefliche  Aufforderaug  vom  28.  September  (s. 
Nr.  826)  antwortete  Rochlitz  am  5.  November:  ,,Ew.  Excel- 
lenz  neues  Werk,  die  ,'^'ahlverwandtschaften',  habe  ich  in 
den  letzten  Tagen  erst  lesen  können  und  in  dieser  Stunde 
habe  ich  es  beendigt.     Von  Ihrer  Aufforderung    ermuthiget, 

15      kann  ich  es  nicht  lassen.  Ihnen  sogleich  einiges  darüber  zu 
schi'eiben,  ohngeachtet  ich  nicht  weiss,  ob  ich  eben  jetzt  nur 
einen  Theil  dessen,  was  ich  wohl  sagen  möchte,  gehörig  aus- 
zusprechen im  Stande  sein  werde. 
Ich  bemühe  mich  um  keine  Einkleidung,   auch   um   keine 

20  Ordnung,  sondern  gebe,  was  und  wie  sich's  mir  von  selbst 
eben  darstellt. 

Ich  bin  auf's  innigste  durchdningen,  ich  bin  erschüttert  bis 
zum  Sclimerz:  und  gleichwohl  ist  mein  ganzes  Wesen  Leben, 
Freude  und  schöner  Genuss:  ja  selbst  jener  Schmerz  ist  ein 

25  nothwendiger  Theil  meines  Glücks.  Ich  kenne  Werke  dieser 
Gattung,  welche  Höheres  und  Grösseres  wollen:  aber  durch- 
aus keins,  das,  was  es  will,  so  vollkommen  leistet.  Ich  be- 
wundere den  so  leise,  aber  so  bestimmt  in  allen  seinen  Linien 
angelegten  Plan:  ich  bewundere  jedoch  noch  mehr  die  Um- 
so Sicht,  die  Klarheit  und  die  Ausdauer  in  der  Ausführung  dieses 
Plans  bis  in's  Kleinste.  Die  Begebenheiten,  die  Charaktere, 
die  Situationen,  selbst  die  Scene,  worauf  sich  jedes  zeigt  — 
alles  ist  In  reiner  Harmonie  und  wirkt  mithin  vollkommen 
eins  und  dasselbe.  So  sehr  die  Ausbeugungen,  betrachtet  man 

35  sie  einzeln  für  sich,  diesem  zu  widersprechen  scheinen,  so 
sehr  bestätigen  sie  es,  siehet  man  sie  im  Ganzen  und  aus  dem 
Ganzen  an.  Dieser  innere  Zusammenhang  macht  es.  dass 
man  lesend  sich  nicht  zu  lesen  scheint,  sondern  zu  leben, 
nicht  zu  denken,  sondern  zu  handeln,  mit  einzugreifen,  mit 

40      zu  l^.lühen  und  mit  zu  vergehen. 

Graf.  Goethe  über  seine  Dichtungen  T.  I.  27 


418  DIE  Va^AHLYERWAXDTSCHAFTEN.  1809 

[November  15,  Weimar].  [854] 

digen  Brief  gar  schön  belohnt  worden;  ich  danke  Ihnen 
dafür  auf  das  herzlichste.     Billig  ist  es  wohl,  dass  die 

Im  Einzelneu,  die  Charaktere  —  sie  sind  keine  wesenlosen 
Ideen,   sondern  wahre  Personen,  ohne  jedoch  an  Hinz  oder    5 
Kunz   zu   erinnern;   sind   wahre   Individuen,   ohne   dass   viel 
auf  das  gezählt  wäre,  was  man  im  gemeinen  Loben  Eigen- 
heiten nennt.     Diese  scheinen  vielmehr,    wie    kleine    späte 
Drucker  auf  das  Gemälde,  nur  aufgetragen,  den  Schein  der 
Wirklichkeit  täuschender  —  so  täuschend  zu  machen,  als  die  lo 
würdige  Kunst  täuschen  mag.     Bewundernswerth  und  äus- 
serst kunstreich  finde  ich  dabei,  dass  die  Personen  nur  in 
Gruppen  einander  entgegengestellt  sind;  dass  mm  die  Theile 
jeder   Gnippe,    wie   billig,    einander   nicht   wenig    verwandt, 
und  doch  so  weit,  so  sicher,  so  consequent  geschieden  sind.  15 
ja  auch  in  dieser  Verschiedenheit  wieder  so  geistreich  ante  r 
sich  gruppirt  erscheinen. 

Im  Einzelnen,  die  Situationen  —  sie  sind  so  natürlich  nicht 
nur  gewählt,  sondern  auch  herbeigeführt  und  hingestellt,  dass 
man  sie  täglich  selbst  zu  erwarten  sich  bei'echtigt  glaubt,  20 
und  eben  dadurch  noch  mehr,  eben  dadurch  wahrhaftig  un- 
widerstehlich in  sie  hineingezogen  wird.  Selbst  das  Schwie- 
rigste und  Häkolicliste  in  der  Behandlung  ist  da  mit  einer 
Vollständigkeit,  Fülle  und  Gegenwart,  und  doch  zugleich  mit 
einer  Delicatesse  gegeben,  welche  vereint  noch  kein  Roman-  25 
dichter,  ausser  Ihnen,  erreicht  hat. 

Nur  um  verständlich  zu  sprechen  führe  ich  hier  die  Scenen 
in  Anwesenheit  des  Grafen  und  der  Baronesse  um  die  Mitte 
des  ersten  Theils  au.  —  Kaum   einigemal   scheinen  mir  die 
Personen   etwas  mehr  um   des  Dichters  und   besonders  um  so 
der  herbeizuführenden  Situation  Willen,  als  aus  sich  selbst 
und  ihrem  inuern  Wesen  zu  thun:  zum  Beispiel  Theil  1  Seite 
212  [im  zwölften  Capitel.  W.  20.  13.5,  6—9:  Eduard  steigt  in 
den  Kahn,   wo   der   Hauptmann   und   Charlotte   schon   I'latz 
genomiuen  haben.  „  .  .  aber  als  er    eben    im  Abstossen    be-  35 
griffen    war.    gedachte    er  Ottiliens,  .  .  sprang    wieder    an's 
Land.  .  .  und     eilte,     sich     flüchtig     entschuldigend,     nach 
Hause"],  was,  wie  mich  dünkt,  solch  ein  Mann  jetzt  wohl 
möchte,  aber  nicht  thäte.     (Vielleicht  wären  auch  dort  die 
Empfindimgen  Eduards  bei  der  Rückkehr  Charlottens  besser  40 
aus  seinem  Benehmen  zu  errathen  segeben,  als  so  unverholen 


1800  DIE  WAHLA'ERWANDTSCHAFTEX.  419 

[November  15,  Weimar.]  [854] 

Freunde  des  Schönen  und  Guten  mir  ein  tröstliches  AVort 
über  diese  Production  sao:en,  die  wenigstens  ein  forto'e- 


ausLie.si)roehen  worden.     Ein  Gleiches  scheint  mir  bei  einigen 
5      ähnlichen   Stellen    weiter  hin   zu   wünschen.     Doch   kann   es 
sein,  dass  mich  eben  bei  solclien  Anlässen  meine  Individuali- 
tät in's  Superfeine  irre  führt).  — 

In  den  letzten  tragischen  Situationen  ist  etwas  so  Unge- 
heures,  und  doch    so  Nahes,   dass    es    einen  hinreisst,    wie 

10  Lears  Geschick.  AVird  jedoch  nicht  die  für  viele  gewiss  wirk- 
samste dieser  Scenen,  der  Tod  des  Kindes,  zu  schnell  a  on 
den  Personen  und  fast  auch  vom  Dichter  vergessen?  —  i.st 
es  befriedigend,  dass  Charlotte  und  der  Major  am  Ende 
stillschweigend  aufgegeben  werden? 

15  Freilich  wüsste  ich  mit  ihnen  nichts  weiter  zu  thun  — 
denn  die  Sterbenden  zu  häufen,  oder  nach  dem  Tode  jenes 
Paares  für  dieses,  wenn  auch  noch  so  leise,  heitere  Aus- 
sichten zu  eröffnen,  wäre  gleich  unstatthaft:  abeü  ich  bin 
auch  nicht  der  Dichter,  unü  der  Dichter  kann  alles. 

20  Das  Episodische  ist  wunderschön,  ist  auch  äusserst  be- 
quem herbeigeführt  und  greift  dann  trefflich  zuräck  und  hin- 
über in  die  Hauptsache.  Nur  zu  Anfang  des  zweiten  Theils 
geschieht  diess  vielleiclit  etwas  zu  spät.  Ueberhaupt  findet 
man  da  den  r  o  t  h  e  n  Faden  für  Ottilien  zwar  leicht,  für 

25      Charlotten  wohl  auch   noch:    aber   man   dürfte    wohl    auch 
einen    andern.    Avenn    gleich    weniger    hervorstechenden    für 
Eduard  und  den  Hauptmann  nicht  unbillig  herbeiwünschen. 
Wenigstens  möclite  ich  den  nichr  schelten,    der    hier    be- 
hauptete, diese  beiden  herrlichen  Männer  wären  dem  Leser 

30      zu  lange  und  zu  weit  aus  den  Augen  entrückt. 

Ich  komme  auf  die  Summe  echter  Lebensweisheit,  welche 
einem,  und  nicht  etwa  allein  aus  Ottiliens  Tagebuche,  zuge- 
spielt wii'd.  Das  muss  ein  schlechter  Leser  sein,  dem  nicht 
mehrere    ihrer  Aussprüche  lebenslang  gegenwärtig    bleiben. 

35  wie  die  Kernsprüche  der  Bibel,  die  er  in  Knabenjahren  er- 
lernet hat. 

Am  treffendsten  imd  eingreifendsten  wirken  unter  diesen 
Allssprüchen  freilich  die.  welche  gleichsam  halb  verdeckt, 
nur    aus    der  Sache  selbst  nothwendig   heiworzugehn.    und 

40  ohne  alle  Gewichtigkeit  vertraulich  hingesprochen  scheinen. 
Indem  sie  nur  für  den  Augenblick  sich  geltend  machen  wollen. 


420                  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEX.  1809 

[November  15,  Weimar.]  [854] 

setztes   redliches    Streben   andeutet   und    die  mich     in 

manchem  Sinne  theuer  zu  stehen  kommt;  ja,  wenn  ich 


gehen  sie  desto  sit-berer  und  tiefer  ein,  wie  ein  unerwartet 
freundlicher  Zuspruch,  der  uns  nicht  zum   Empfang  in  Pa-     5 
rade  findet. 

Nun  die  Haltung  des  Ganzen  in  Ton  und  Farbe;  und  diese 
Vollendung  der  Sprache,  diess  Wort  in  weitestem  Umfang 
und  aller  Fülle  genommen  I  In  diesen  Vorzügen,  und  beson- 
ders im  letzten,  halte  ich  dieses  Werk  selbst  unter  allen  den  lo 
Ihrigen,  welche  erzählen,  für  das  vollendetste;  und  wenn  in 
den  frühern  eine  gewisse  gemüthliche  Unbesorgtheit  aller- 
dings sehr  wohl  thut,  leichter  gewinnet  und  auch  mehr  Effect 
macht:  so  muss  diese  classische  Gediegenheit,  Rundimg, 
Sicherheit  und  Harmonie.  Avenigstens  auf  den  gebildeten  15 
Mann,  von  der  erA\  ünschtesten  Wirkung  sein.  Ich  getraue 
mir  auf  eben  dieses  mein  Urtheil  etwas  zu  halten,  weil  ich 
in  diesem  Stück  mich  wohl  auch  selbst  mit  Fleiss  und  Sorg- 
sauikeit  yersucht  habe.  —  Dass  Sie  in  Ihren  Gleichnissen 
einzig  sind,  muss  selbst  Ihr  Gegner  eingestehen;  und  auch  20 
in  diesem  Betracht  ist  diess  Werk  sehr  reich  und  äusserst 
anziehend. 

Aber  auch  den  Adel  der  Gesinnung,  die  Reinheit  der  ausser- 
poetischen  Absicht  neben  der  poetischen,  das  grosse,  schöne 
Herz  des  Verfassers,  das  sich  an  so  vielen  Orten  dieses  Werks  25 
so  unverkennbar  zeigt  tmd  den  Leser  auch  von  dieser  Seite 
seines  bessern  Selbst  erfasset;  so  wie  alle  die  Merkmale  eines 
reichen,  in  den  mannichfaltigsten  und  sehr  bedeutenden  Ver- 
hältnissen geführten,  nicht  kurzen  Lebens,  die  den  Leser, 
welcher  ebenfalls  mit  Besonnenheit  seine  Tage  verbringt,  so  30 
würdevoll  ansprechen  und  so  ernsthaft  beschäftigen,  ohne 
jedoch  *[im]  geringsten  sich  ihm  aufzudrängen  — :  auch  diese 
muss  ich  hoch  ,  so  übermüthig  man  auch  jetzt  von 

gewöhnlichen  Poetikern  Richtung  des  Blicks  nach 

den  Seiten  hin  angelassen  wird.  35 

Endlich  erwähne  ich  noch  das  Verhältnissmässige  in  der 
Ausführung  der  meisten  Theile  zum  Ganzen.  AA-elches  mir 
hier  weit  vollkommener  zu  sein  scheint,  als  im  .Meister'  ; 


*)  Die  hier  und   auf  der  folgerden  Seite  fehlenden  Worte  sind  durch 
Mäusefrass  zerstört  [Bemerkung  des  Herausgebers  W.  v.  Biedermann].  -40 


3809  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEX.  421 

[November  15,  Weimar.]  [854] 

die  Umstände  bedenke,  unter  denen  das  Werkchen  fertig 
geworden,  so  scheint  es  mir  ein  Wunder,  dass  es  auf 
dem  Papier  steht. 

Seitdem  es  abgedruckt  ist,  habe  ich  es  nicht  in  der 
Folge  gelesen,  eine  solche  Prüfung  pflege  ich  gewöhnlich 
zu  verspäten.  Ein  gedrucktes  Werk  gleicht  einem  auf- 
getrockneten Fresco-Gemälde,  an  dem  sich  nichts  mehr 


wodurch  denn  auch  hier  noch  sicherer,  als  dort  erreicht  wird, 

10  dass  man  immerfort,  selbst  ohne  sich  besonders  zusammen 
zu  nehmen,  das  Einzelne  im  Ganzen  und  das  Ganze  im 
Einzelnen  anschaut,  durchdringt  und  geniesset. 

Diess  alles  nun  und  noch  manches,  was  sich  nicht  so  kurz 
darlegt,    auf    das    Fundament    zuzugestehender    Grundsätze 

15  zu  stellen,  es  dem  Leser  jeder  Art  deutlich  zu  machen  und 
stückweise  iai  Werke  selbst  nachzuweisen,  würde  mir  eben 
so  viel  Freude,  als  Nutzen  gewähren;  und  wollte  man  das 
hernach  eine  Recension  nennen,  so  müsste  mir  das  auch  ganz 
recht  sein:  aber  ich  vermag  es  nicht,  vermag  es  wenigstens 

20  jetzt  und  geraume  Zeit  hin  nicht,  da  ich,  wegen  der  Verbin- 
dung, welcher  ich  entgegengehe,  und  worin  ich  ein  Glück 
finde,  dessen  ich  mich  früher  nicht  für  fähig  gehalten,  bei 
weitem  zu  viel,  innerlich  und  äusserlich,  beschäftigt,  abgezo- 
gen und  zerstreut  bin.     Ein  Werk  dieser  Gattung  will  aber 

25  früher  augezeigt  sein,  als  ich  die  dazu  mithige  Sammlung. 
Klarheit  und  Ordnung  zu  gewinnen  mit  Sicherheit  erwaiten 
kann. 

Nehmen  Ew.  Excellenz  dieses  mein  aufrichtig  Gest  in 

Bezug   auf    den   mir   früher   gegebenen,    ehrenvollen       nicht 

30      ungeneigt  auf.     Ich  würde  mich  schämen:  mehr  sagen 

will,   ich   würde   mich  an   Ihre  wenn   ich   etwas   Alltäg- 

liches und  Verworrenes  daiüber  aussagte:  das  müsste  ich 
aber  jetzt,  und  die  Besorgniss,  dass  diess  geschähe,  müsste 
jene  Mängel  nur  vermehren.  Ich  werde  es  als  ein  Geschenk 

35  Ihrer  Güte  ansehen.  Avenn  Sie  mir  zusichern,  dass  Sie  diese 
meine  Entschuldigung  ohne  Missfallen  aufgenommen  haben. 
Ich  bin  wirklich  unruhig  darüber  —  wie  ich  es  ja  über  alles 
sein  rauss.  wovon  icli  mir  auch  nur  als  möglich  denken  kann, 
es  könne  die  Geneigtheit,   womit  Sie  mich  seit  so  manchen 

40      Jahren  auszeichnen,  vermindern"  (G.-Rochlitz  S.  106— 114i. 


422  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1800 

[November  15,  Weimar.]  [854] 

thun  lässt.  Soviel  es  mir  noch  im  Sinne  schwebt  und 
wie  es  sich  mir  durch  Ihre  Bemerkungen  vergegenwärtigt, 
möchte  ich  wohl  noch  einige  Schraffuren  anbringen,  der 
A'erknü})fung  und  Plarmonie  "Willen.  Weil  aber  das  nicht  5 
angeht,  so  tröste  ich  mich  damit,  dass  der  gewöhnliche 
Leser  dergleichen  Mängel  nicht  gewahr  wird,  und  der 
Kunstgebildete,  eben  indem  er  die  Forderungen  macht, 
für  sich  selbst  das  Werk  ergänzt  und  vollendet. 

Dass  Sie  ein  solcher  Leser  und  Schauer  sind,  wussf  ;o 
ich  wohl  und  erfahre  es  auch  diessmal.  Haben  Sie 
doppelten  Dank  für  die  Theilnahme  und  für  die  Mit- 
theilung; haben  Sie  dreifachen,  dass  Sie  es  in  einer  Zeit 
thun,  in  welcher  mancher  Andre,  mit  Fug  und  Eecht. 
seinen  Freunden  schwiege  und  sich  mit  seinem  eigenen  15 
Glück  beschäftigte.  Möge  das  Gute,  das  Ihnen  bereitet 
ist,  so  klar  zu  Urnen  treten,  als  Sie  Welt  und  Kunst  er- 
blicken .  .^ 

Au  Rochlitz.  —  Br.  21,  133,  2.3—  135,  2. 

November  1.5,  Weimar.  855  20 

[Vormittags  Brief]   An  Bury  [nach]   Berlin  mit  .  . 
einem  Exemplar  der  ,Wahlverwandtschaften''. 
Tgb.  4,  78,  17  f. 

][Nov.^inber  21?  Weimar?]  855a 

Das  Buch  muss  (wie  Goethe  selbst  sagt)  dreimal  25 
gelesen  werden,  .  ? 

Mit  Wieland.  —  (bespräche  2,  291. 


^  Berührt  Goethe  hier  die  gewünschte  öffentliche  Besprechung 
und  deren  Ablehnung  mit  keiner  Silbe  weiter,  ja.  benutzt  er 
sogar,  am  Schlüsse  seines  Briefes,  den  von  Rochlitz  ange-  30 
fühlten  GiTind  der  Ablehnung  zu  einem  feinsinnigen  Lobe 
(Z.  13— Hb.  so  war  er  doch  mit  dem,  was  Rochlitz  brieflich 
vorgetragen  hatte,  derart  einverstanden,  dass  er  auf  den  Ge- 
danken kam,  eben  diesen  Brief  selbst  für  den  in  Rede  stehen- 
den Zweck  zu  verwerthen.  s.  Nr.  857.  35 

*  Diese    Stelle,    einem    Briefe    Wielands    (an    seine    Tochter 


1S09  DIE  WAHLVEinVAXDTSCHAFTEX.  423 


][November  21  ?  Weimar].  [855a] 


Cliarlotte)  vom  10.  Februar  1810  angehörend,  ist  hier  einge- 
reilit,  da  Goethe  (wie  Nr.  8ÖG  zeigt),  am  21.  November  mit 
Wiehxnd  über  die  ,Wahlverwandtschaften'  sich  unterhalten 
5  hat.  Es  ist  sehr  wohl  möglich,  dass  Wieland  Goethes 
Aeusserung  gar  nicht  von  diesem  selbst,  sondern  durch 
einen  Dritten  vernommen  hat,  und  an  irgend  einem  andera 
Tage  in  dem  Zeitraum  zwischen  dem  October  1800  und  dem 
10.  Februar  1810. 

10  In   einem   anderen   Briefe   äussert   Wieland   sich   iiloer  die 

Dichtang,  wie  folgt:  ..Mit  lebhaftem  Intex-esse  habe  ich  Ihr 
Urtheil  über  Goethes  , Wahlverwandtschaften'  gelesen  und 
wie  so  oft  den  Scharfsinn  Ihres  Verstandes  bewundert,  der 
immer  dem  Herzen  die  Wagschale  hält  und  wo  Sie  wollen  do- 

15  minirt.  Diess  scheint  mir  der  Fall  mit  Goethens  genialisch-^m 
Geistesproduct  gewesen  zu  sein.  Da  Ihnen  die  moralische 
Tendenz  so  wenig  als  mir  gefallen  konnte,  wollten  Sie  sich 
auch  durch  [..nichts"  scheint  hier  ausgefallen]  mehr  rühren 
lassen,  und  Ihr  feiner  Witz  behielt  die  Oberhand.  —  Gerne 

20  gebe  ich  Ihnen  zu.  dass  die  Stellen,  welche  Sie  vorzüglich 
choquirt  haben,  auch  mein  Gefühl  beleidigten,  allein  ich  bin 
toleranter  im  Puncte  der  Liebe,  als  meine  strenge  Freundin. 
Was  ich  nicht  selbst  erfahren,  kann  ich  mir  dennoch  als  mög- 
lich  denken  —  und   ich   finde   die   Nuancen   der   Entstehung 

25  dieser  im  Anfang  so  unschuldigen  Neigung  so  zart  und  fein, 
dass  sie.  wie  micli  dünkt,  die  zartesten  Saiten  des  mensch- 
lichen Herzens  berühren.  —  Mir  schauderte  innerlich  davor, 
dass  ein  so  reines  unschuldiges  Kind  als  diese  Ottilie  so  ver- 
strickt werden  konnte,  und    ich    finde    den  Gang  ihrer  Em- 

30  pfindung  nicht  [verschrieben  für  ..recht"?]  natürlich.  Auch 
die  Liebe,  welche  sie  dem  neuen  Ankömmling  beweist,  alles 
bürgt  für  die  Reinheit  ihrer  Gefühle  für  Eduard.  Dieser  Edu- 
ard aber  wäre  mein  Mann  auch  nicht,  er  zeigt  am  unrechten 
Ort  Kraft  und  Festiirkeit.  doch  scheint  es  mir.  Goethe  wollte 

35  auch  keinen  Helden  aus  ihm  machen.  Er  schildert  ihn  wie 
alle  übrigen  Personen  mit  allen  ihren  Mängeln  und  Gebrechen 
und  liebenswürdigen  Eigenschaften.  Das  Leben  und  Weben 
dieser  Person  [..Personen"?]  geht  so  natürlich  an  uns  vor- 
über. Wir  glauben  sie  spielend  auftreten  zu  sehen,  und  ich  ge- 

40  stehe  Ilmen.  meine  Freimdin.  dass  ich  dieses  wirklich  schauer- 
liche Werk   nicht  ohne  warmen   Antheil  zu  nehmen   gelesen 


424  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1S09 

November  21,  Weimar.  856 

[Vor  Tische]  Bei  Hofrath  "Wieland,  der  sehr  freund- 
lich über  die  ,AValil Verwandtschaften'  sprach^. 
Tgb.  4,  80,  6—8. 

November  22,  Weimar.  857    5 

^Ich   sende   den  an  mich  gerichteten  Eochlitzischen 
Briefe,  worin  seine  Aeusserungen  über  meinen  Eoman 

habe"  (,Heinricli  v.  Kleist  in  der  Schweiz  Von  Theophil 
Zolling  Stuttgart  Verlag  von  W,  Spemann  1882'  S.  98); 
Zolling  gibt  an,  die  Adressatin  des  Briefes  (der  nur  in  Ab-  lo 
Schrift,  uicht  im  Original  vorlag)  sei  Herders  Witwe. 
Caroline  Herder  war  jedoch  schon  am  15.  September  1809 
gestorben,  also  noch  ehe  Goethe  den  Roman  vollendet  hatte. 
An  K.  A.  Böttiger  schrieb  Wieland  am  13.  Januar  1812: 
„Sagen  Sie  mir  doch  sub  rosa,  was  für  eine  Wirkung  haben  15 
.  .  Goethes  .Wahlverwandtschaften'  in  Dresden,  Wien, 
Leipzig  und  überhaupt  im  Publicum  gemacht,  und  Avas  ur- 
theilen  die  sani  von  ,Aus  meinem  Leben  Wahrheit  und  Dich- 
tung'? Das  erstemal  verkümmerte  mir  alles,  was  mir  miss- 
fiel, den  Geuuss  dessen,  was  mir  gefiel;  doch  hielt  das  Eine  20 
dem  Andern  ziemlich  das  Gleichgewicht;  das  zweitemal  gab 
ich  mir  alle  Mühe,  mich  selbst  zu  täuschen  und  mir  alles 
gefallen  zu  lassen.  Das  drittemal  legte  ich  die  »Wahl- 
verwandtschaften' in  die  eine  Wagschale  und  mein  Ideal 
eines  guten  Romans  in  die  andere,  und  siehe  da,  von  dem  25 
ersten  Augenblicke  an,  da  die  junge  Heldin  des  Stücks  er- 
scheint, fing  die  Schale  des  Goethischen  Romans  an  zu 
steigen,  und  stieg,  mit  wenigen  Abwechselungen,  immer  höher, 
bis  sie  endlich  an  den  Wagebalken  anstiess  und  dort  wie 
an  einem  künstlichen  Magnet  hängen  blieb.  —  Dafür  habe  30 
ich  hingegen  den  ersten  Theil  seiner  sogenannten  Bio- 
graphie mit  grossem  Vergnügen  gelesen,  .  ."  (,Historisches 
Taschenbuch.  .  .  herausgegeben  von  Friedrieh  von  Raumer. 
Zehnter  Jahrgang.  Leipzig:  F.  A.  Brockhaus.  1839'  S.  460  f.). 

*  Vgl.    Nr.    855a.  —  Riemers    Tagebuch    vom    21.    November:  35 
..Bei    Goethe.     Lieber    die    AVii'kungen    des    neuen    Romans" 
(Deutsche  Revue  12,  1,  285). 

■  Das   Folgende   ist  nur   der   Entwurf   eines   Briefes,     dessen 
wesentlich  veränderte  Gestalt  in  Nr.  860  erscheint. 

'  s.  417.  11—421.  40.  40 


1809  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  425 

[November  22,  Weimar.]  [857] 

enthalten  sind.  Könnten  Sie  nicht  daraus  eine  kurze 
Anzeige  dieses  Werkchens  redigiren?  Denn  wozu  bedarf 
es  denn  ausführlicher,  motivirter  und  theoretischer  Re- 
5  censionen  über  ein  Büchelchen,  das  in  jedermanns  Hände 
kommt  und  das  gewöhnlich  theilweise  getadelt  und  theil- 
weise  gelobt  wird.  Der  Einsichtigere  mag  im  Ganzen 
darüber  denken  und  sagen,  was  er  will. 
Einen  solchen,  dergestalt  redigirten  Aufsatz  schickten 

10  Sie,  meo  voto,  Herrn  Hofrath  Eochlitz  mit  der  freund- 
lichen Anfrage,  ob  er  den  Druck  desselben  erlauben  wolle. 
Vielleicht  findet  er  sich  bewogen,  ein  wenig  hinein  zu 
arbeiten,  und  wir  kommen  auf  eine  lässliche  Weise  zu 
unserm  Zweck. 

15  An  Eichstädt.  —  Br.  21,  467,  15—27. 

November  22.  Weimar.  858 

Mittags  Falk,  der  über  .  .  die  , Wahlverwandtschaften* 
weitläuftig  sprach. 

Tgb.  4,  80.  15.  17  f. 

20  November  24.  [Weimar.]  S59 

Tausend  Dank  für  die  guten  Worte  von  Sich  und  der 

lieben  Schwester,    sie   waren    mir    sehr    erquicklich    zu 

einer  Zeit,  wo  doch  manches  Alberne^  über  meine  Arbeit 

zu  mir  in  die  Clause  dringt. 

25  Möge  die  theure  Entfernte-  doch  ja  den  guten  Tor- 

satz ausführen  mir  zu  schreiben,  damit  auch  durch  Sie' 
mein  Muth  belebt  werde,  zu  Ostern  den  ersten  Theil  der 
jAVanderjahre'  herauszugeben. 

An  Ch.  V.  Schiller.  —  Br.  21,  140,  5—12. 


30    '  Vgl.  427,  2—5. 

-  Caroline    von  Wolzogen,    die    sich    zur  Pflege    ihres    schwer 

kranken  Gatten  in  Wiesbaden  befand. 
'  Man  erwartet  „sie"  statt  „Sie".  Denn  Charlotte  Schiller  hatte 
gerade    durch    ihre    „guten  Worte"  (Z.  21)    über   die    .Wahl- 
35      Verwandtschaften'  Goethes  Muth  „belebt";  es  ist  daher  wohl 
zu  ergänzen:     ,.Sie  Beide". 


42(J  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  ISUO 

November  2ö,  Weimar.  860 

Dass  Herr  Hofrath  Eochlitz  die  Eecension  abgelehnt^ 
thut  mir  umsomehr  leid,  als  er  in  einem  Briefe  an  micli- 
über  das  in  Frage  stehende  Werk  sich  sehr  einsichtig 
und  zart  geäussert  hat.     Unter  diesen  Umständen  ge-    5 
stehe  ich  meinen  aufrichtigen  Wunsch,  dass  eine  Eecen- 
sion vorerst  unterbleiben  möge.     Ein  Buch,  das  in  aller 
gebildeten    Menschen    Hände    kommt    und    von   jedem 
nach   seiner  Weise  beurtheilt  wird,   bringt  ein  iittera- 
risches  Institut  vielleicht  am  besten  später  zur  Sprache,  lo 
und  recapitulirt  und  rectificirt  mit  Ernst  und  Einsicht, 
die  bisherigen  schwankenden  Urtheile^. 
An  Eichstäclt.  —  Br.  21,  142,  1—11. 


'  Vgl.  40.5,  23-35. 

■'  s.  417,  11—121,  40.  15 

^  Dessen  ungeachtet  bracüte  die  .Temiisehe  Allgemeine  Littera- 
tur-Zeitung  bald  darauf  eine  ausführliclie  Besprechung.  Sie 
erschien  am  18.  und  19.  .Januar  1810.  in  Nr.  16  und  IT  (Jahr- 
gang 7  Spalte  121-131),  und  hatre  Delbrück  zum  Verfasser: 
man  findet  sie  jetzt  bei  Braun  3,  236—246.  Eine  Aeusseruug  20 
Goethes  über  diese  Eecension  ist,  so  viel  ich  sehen  kann, 
nicht  überliefert.  Doch  ist  gar  nicht  zu  bezweifeln,  dass  er 
sie  gelesen  habe. 

In    Brauns    Sammlung    findet     man    unter    anderen    Be- 
sprechungen auch    diejenige,    welche    die  , Zeitung    für    di(    ^5 
elegante  V\'elt*  am  2.  .Tanuar  1810  brachte.     Dieser  —  um  das 
hier,    als    am  geeignetsten  Orte,    gleich    vorauszunehmen  — 
gedenkt  C.   G.   von  Voigt  in  einem   Briefe  an   Biittiger  vom 
8.  Februar  1810:     „Herr  Geheimer  Kath  von  Goethe  liest  die 
elegante  Zeitung,  auch  weiss  ich,  dass  dort  von  der  Ansicht  30 
der  .Wahlverwandtschaften'  mit  Beifall  gesproclien  worden. 
Selbst  aber  habe  ich  noch  nichts  vernommen,  und  die  „Ele- 
gante" noch  nicht  gelesen,  .  .  .  Bei  den  zuchtreichen  Damen 
siegt  (und   das  ist   immer   glücklich   genug)    das   moralische 
Gefühl;  als  Kunstwerk,  als   wahrer  Menschenherzenverrath  35 
oder  Ausspreclumg  wird  es  nicht  betrachtet,  ob  man   wohl 
immer  leicht  in   den  eignen   Busen  greifen  möchte"  (G.T.   1, 
334  f.). 


1809  1>IE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  4:27 

]  [December,  Weimar.]  SGI 

Unter  andern  Philister-Kritiken  über  die  ,Wahlver- 
wandtschaften",    gleich    nach    ihrer    Erscheinung,    war 
auch  die:  dass  mau  keinen  Kampf  des  Sittlichen  mit  der 
5      Xeigung  sehe.  —  Goethe   bemerkte   dabei   gegen   mich 
[Eiemer] :  „Dieser  Kampf  ist  aber  hinter  die  Scene  ver- 
legt, und  man  sieht,  dass  er  vorgegangen  sein  müsse.  Die 
Menschen  betragen   sich  wie   vornehme  Leute,   die  bei 
allem  Innern  Zwiespalt  doch  das  äussere  Decorum  be- 
10      haupten.     Der   Kampf   des   Sittlichen   eignet   sich   nie- 
mals zu  einer  ästhetischen  Darstellung:  denn  entweder 
siegt  das  Sittliche  oder  es  Avird  übervnmden.     Im  ersten 
Falle  weiss    man    nicht,    was  und    w  a  r  u  m    es  darge- 
stellt worden;  im  andern  ist  es  schmählich,  das  mitanzu- 
15      sehen.    Denn  am  Ende  muss  doch  irgend  ein  Moment 
dem    Sinnlichen    das    Uebergewicht    geben,    und    dieses 
Moment  gibt  der  Zuschauer  gerade  nicht  zu,  sondern 
verlaugt  ein  noch  schlagenderes,  das  der  Dritte  immer 
wieder  eludirt.  Je  sittlicher  er  selbst  ist.  In  solchen  Dar- 
io     Stellungen  muss  stets  das  Sinnliche  Herr  werden,  aber 
bestraft  durch  das  Schicksal,  das  heisst:  durch  die 
sittliche  Xatur,   die   sich   durch   den  Tod  ihre  Freiheit 
salvirt.    So  muss  der  W  e  r  t  h  e  r  sich  erschiessen,  nach- 
dem er  die  Sinnlichkeit  Herr   über   sich   werden   lassen; 
25      so  muss  Ottilie  karteriren^  und  Eduard  dess- 
gleichen,  nachdem  sie  ihrer  Xeigung  freien  Lauf  ge- 
lassen. Xun  feiert  erst  das  Sittliche  seinen  Triumph". 
Mit  Riemer.  —  Riemer  2.  607.  • 


'  Zu  diesem  Fremdworte  macht  Riemer  die  Anmerkung: 
33  ..Nach  dem  gx-ieohischen  karterein,  sich  enthalten  (der 
Speise,  des  SchhTfs  xi.  s.  w.).  von  Goethe  der  Kürze  wegen 
gebi*axicht,  wie  öfter  solche  fremdsprachige  Worte  in  dem 
Cotterie-Jargon,  den  wir  unter  xms  führten"  (Mittheihmgen 
2.  G07>. 
35  ^  Mit  kleinen  Abweichungen  findet  sich  die  ganze  Stelle  sclion 
in  Riemers  Tagebuch  (Deutsche  Revue  12,  1,  280'».  nach  dem 


428  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1809 

December  21,  Weimar.  862 

Jetzt  bin  ich  fleissig\,  .  .  indessen  meine  lieben  Lands- 
leute mit  den  ,AYahlverwandtschaften'  verwandt  zu 
werden  trachten,  und  doch  mitunter  nicht  recht  wissen, 
wie  sie  es  anfangen  sollen-. 

An  Marianne  v.  Eybenberg.  —  Br.  21,  149,  7  f.  10—12. 


W.  V.   Biedermann    sie'   in    die    ,Gespräclie'  2,   285  f.   aufge- 
nommen hat.     Die  „Mittheilungen"  schienen  hier  den  Voi'zug 
zu  verdienen,  da  sie  die,  im  Tagebuch  fehlenden,  nicht  un- 
wichtigen  Worte   bringen:     ,, Goethe    bemerkte   dabei   gegen  10 
mich"  (427,  5). 

An  der  Geschichte  der  Farbenlehre. 

Marianne  von   Eybenberg  schrieb  am   24.   Februar  1810,   in 
Ervi^iderung   eines    späteren,    nicht   des    obigen,    Briefes    von 
Goethe   an   diesen:      ,,[ Wilhelm    von]    Humboldt    hat   seiner  15 
Mephistopheles-Natur    zufolge    mir   Ihren   Brief    wenigstens 
zehn  Tage    vorenthalten,  .  .  nach    vielem    Schicken    erhielt 
ich  endlich  das  Paquet  und  mit  welchem  Genuss  las  ich  zum 
drittenmal  dieses  interessante  Product  wieder!     Der  Gegen- 
stand bleibt  der  nemliclie,  allein  auf  so  liübschem  geglätteten  20 
Papier   ist   es   doch   etAvas   Anderes,    es    ist,    als    sähe    man 
einen    theuren    Freund    in    einer    schönen,    hell    erleuchteten 
Wohnung;    auf  dem   Fliesspapier  ist's  mir,  als  sei  er  nicht 
einlogirt,  als  es  für  ihn  passe  und  zieme,  als  habe  er  nicht, 
was  ihm    gebühre   —   schelten   Sie   mich   thöricht,    kindisch,  25 
so   ist's   und  nicht  anders!     Nie   habe   so   enthusiastisch,   so 
gescheut    und    so   dumm    und   absurd    über   etwas    sprechen 
hören,  als  über  diesen  Roman,  und  nie  sind  die  Buchhändler 
so  bestürmt  worden,  —  es  war  wie  vor  einem  Bäckerhause, 
in  einer  Hungersnoth  —  die   ersten   vier   Sendungen   waren  30 
so  vergriffen,   dass   sie   nicht  einmal  Zeit  hatten,   es   in   den 
Zeitungen  setzen  zu  lassen.     Was  ich  von  feinen  gebildeten  _ 
Menschen    kenne,    urtheilen    und  beherzigen  es  meist,    eine 
Classe,   die  eine  gewisse  französische   Bildung  haben,   rado- 
tirt  stark  darüber"  (GJ,  14,  44),  35 

Hiernach  scheint  Frau  von  Eybenberg  sich,  zunächst  nach 
dem  Erscheinen  des  Romans,  ein  Exemplar  (auf  ,, Fliesspa- 
pier") „durch  den  Buchhandel",  wie  Goethe  ihr  gerathen  (s, 
408,  5  f.),  besorgt  zu  haben.  Sodann  scheint  es  nach  Z,  17  f ,, 


ISO!)  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  429 

Deceruber  31,  Weimar.  863 

Die  ,"\Valilverwandtschaften'  schickte  ich  eigentlich 
als  ein  Circiüar  an  meine  Freunde,  damit  sie  meiner 
wieder  einmal  an  manchen  Orten  und  Enden  gedächten. 
5  "Wenn  die  Menge  dieses  Werkchen  nebenher  auch  liest, 
so  kann  es  mir  ganz  recht  sein.  Ich  weiss,  zu  wem  ich 
eigentlich  gesprochen  habe,  und  wo  ich  nicht  missver- 
standen werde.  Mit  dieser  I'eberzeugung  war  auch 
Ihnen  das  Büchlein  adressirt,  und  Sie  sind  sehr  liebens- 

10  würdig,  mich  ausdrücklich  zu  versichern,  dass  ich  mich 
nicht  geirrt  habe^. 

Das  Publicum,  besonders  das  deutsche,  ist  eine  när- 
rische Caricatur  des  demos'-;  es  bildet  sich  wirklich  ein, 
eine  Art  von  Instanz,    von    Senat    auszumachen,    und 

15  im  Leben  und  Lesen  dieses  oder  jenes  wegvotiren  zu 
können,  was  ihm  nicht  gefällt.  Dagegen  ist  kein  Mittel 
als  ein  stilles  Ausharren.  Wie  ich  mich  denn  auf  die 
Wirkung  freue,  welche  dieser  Eoman  in  ein  paar  Jahren 
auf  manchen  bei'm  Wiederlesen  machen  -^nrd.     Wenn 

;o  ungeachtet  alles  Tadeins  und  Geschreis  das,  Avas  das 
Büchlein  enthält,  als  ein  unveränderliches  Factui:ti  vor 
der  Einbildungskraft  steht,  wenn  man  sieht,  dass  man 
mit  allem  Willen  und  Widerwillen  daran  doch  nichts 
ändert,  so  lässt  man  sich  in  der  Fabel  zuletzt  auch  so  ein 

25      apprehensives  Wunderkind  gefallen,  wie  man  sich  in  der 


als  habe  Goethe  der  Freundin  ein  feines  Geschenk-Exemplar, 
durch   Humboldts    Vermittelung,   überschickt. 

Im  Hinblick  auf  428,  18  f.  und  auf  422,  25  f.  möchte  man  an- 
nehmen:    dass  Goethe  in  seinem  Briefe  an  Frau  von  Eyben- 
30      berg  etwas  von  der  Notliwendigkeit  dreimaligen  Lesens  ge- 
schrieben hatte. 
*  Reinhards    Antwort   auf   die   Zusendung   des   Romans    (vgl. 

Nr.  84S)  ist  nicht  bekannt  gewor<len. 
-  Das  griechische  Wort  ..demos"  bezeichnet,  in  der  Bedeutung, 
35      die  Goethe  hier  im  Sinne  hat.  das  ..Yolk"  in  seiner  Beziehung 
auf  den  Staat,  die  Gesammtheit  der  freien  Bürger. 


430  DIE  WAHLVER\YANL)TSCHAFTEX.  1809 

[December  31,  Weimar.]  [3(53] 

Geschichte  nach  einigen  Jahren  die  Hinrichtung  eines 
alten  Königs  und  die  Krönung  eines  neuen  Kaisers  ge- 
fallen lässt.     Das  Gedichtete  behauptet  sein  Eecht,  wie 

das  Geschehene^. 

All  K.  F.  V.  Reiuliai-d.  —  Br.  21.  152,  IS— 153,  21. 


'  Reiubard  erwiderte  am  16.  Februar  1810:  „Was  Sie  vom 
AA'iederlesen  der  .WablverAvandtscbafteu'  voraussagen,  ist 
bei  mir  bereits  eingetroffen.  leb  babe  sie  wiedergelesen  und 
icb  bin  leiebt  dabin  gelangt,  mir  von  Ottiliens  Eigentbüm-  lo 
liebkeit  (denn  um  diese  Hauptfigur  scbeinen  mir  alle  andern 
sieb  zu  gruppiren)  eine  deutlicbe  Recbenscbaft  abzulegen. 
Dieses  lieblicbe  Wesen  stebt  unter  einer  Art  von  Naturuotb- 
Aveudigkeit,  die  von  ibr  auf  alle  ibre  Umgebungen  ausgebt, 
durc-b  Anzieben  und  Zurückstossen.  Sie  existirt  so  zu  sagen  15 
in  einem  beständigen  Zustand  der  Magnetisation.  Weder  in 
ibreni  Wirken  nocb  in  ibreni  Leiden  ist  volles,  belies  Be- 
wusstsein;  sie  bandelt  und  empfindet,  sie  lebt  und  stirbt  so 
und  nicbt  anders,  weil  sie  nicbt  anders  kann.  Dieser  Roman 
bat  jnir  mancbe  Ibrer  Aeusserungen  in  Karlsbad  wieder  in's  20 
Angedenken  gebraebt,  und  icb  glaubte  darin  die  Befugniss 
zu  linden,  sie  besser  zu  verstellen  als  mancber  Andere.  Was 
Eduard  betrifft,  so  versiebt  er  sieb  freilieb  darin,  dass  er  sich 
etwas  nacbsiebt.  aber  wer  siebt  sieb  nicbt  etwas  nacb.  und 
wer  bätte  darum  das  Recbt.  ibn  einen  ärmlicben  Cbarakter  25 
zu  scbelten?  Aber  unser  verfeinertes  Lesepublicum  bat  sieb, 
wie  das  französiscbe  für's  Tbeater,  für  Moralität  und  Drang 
gewisse  conventionelle  Regeln  gescbaffen,  nacb  denen  die 
Cbaraktere  Avie  Puppen  am  Drabte  sieb  bewegen  sollen,  und 
in  diesem  Sinne  haben  Sie  vollkommen  recht,  dass  das  Ge-  30 
dichtete  sein  Recbt  behaupte  wie  das  Geschehene,  um  so 
mehr.  Avenn  das  Gedichtete  so  tief  aus  der  Natur  gegriffen 
ist,  dass  es  sogleich  lebendig  in  die  Reihe  des  Geschehenen 
eintritt.  Spiritualistiscb  freilich  sind  Ihre  Charaktere  und 
Ereignisse  nielit.  und  für  .Taeobi  AA-erden  sie  ein  Aergemiss  35 
sein,  sowie  für  Schelling  eine  himmlische  Erscheinung.  In- 
dessen, wenn  Avir  jemals  zu  einer  tieferen  Kenntniss  der 
Geheimnisse  unserer  Natur  gelangen,  so  dass  wir  im  Stande 
sind,  uns  davon  Rechenschaft  abzulegen,  so  ist  es  möglich, 
dass  Ihr  Buch  alsdann  als  eine  wunderbare  Anticipation  von  40 


1809  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEX.  431 

]l?  ?  ?]'  864 

General  von  Eühle  erzählte  mir  [Varnhagen  von 
Ense],  Goethe  selbst  habe  ihm  einmal  gesagt,  er  habe  die 
erste  Anregung  zu  den  ,AYahlverwandtsehaften'  durch 
Schelliug  erhalten,  wie  Kapp  in  seinem  Buche  richtig 
bemerkt".     In  der  Charlotte  wollte  man  die  Herzosrin 


Wahrheiten  dastehe,  von  denen  wir  jetzt  nur  eine  dunkle 
Ahnung  haben"  (,G. -Reinhard  S.  OS  f.).  —  Goethes  Antwort 
hierauf  bringt  Nr.  870. 

10  Der  Schluss  von  Nr.  863  (429,  21  f.)  findet  sich,  mit  geringen 
Abweichungen,  unter  den  von  Riemer  mitgetheilten  Aus- 
sprüchen Goetlies  (, Briefe  von  und  an  Goethe'  S.  344),  imd 
zwar,  ohne  Datum,  unter  dem  Jahre  1811  eingeordnet 
zwischen  August  6  und  December  11,  mit  der  Bemerkung: 

15  ,,Bei  Gelegenheit  der  .Wahlverwandtschaften'.'"  —  429.  21—25 
lauten  hier: 

,,W  ie  etwas  als  ein  unveränderliches  Fac- 
tum vor  der  Einbildungskraft  steht,  so  dass 
man  mit  allem  Willen  und  ^^'  i  d  e  r  w  i  1 1  e  u  doch 

20  nichts  daran  ändert:  so  lässt  man  sich  auch 
in  einer  Dichterfabel  das  Apprehensive  ge- 
fallen, .  .  .  " 

Das  darauf  Folgende  stimmt  wörtlich  mit  dem  Briefe  an 
Reinhard  überein. 

.25  '■  Jahr,  Tag  imd  Ort  sind  unbestimmt.  Die  Aeusserung  gegen 
Rühle  von  Lilienstern  wird  vielleicht  erst  im  Sommer  ISIO 
stattgefunden  haben,  wo  Goethe  sowohl  in  Karlsbad  und 
Teplitz,  als  auch  in  Dresden  wiederholt  mit  Rühle  zusammen 
war  (vgl.  Tgb.  4.  131,  15.  20.  149.  1.  10.  155.  2.  23  und  öfters). 

.30         Bei   dem   Gespräcli   mit   Knebel   liegt  es   nahe,   an   den  27. 

September  1809  zu  denken  (s.  Nr.  824 j. 

-  Kapp  sagt  in  seiner  anonym  erschienenen  Schrift  , Friedrich 

Wilhelm  Joseph  von  Schelling.     Ein  Beitrag  zur  Geschichte 

des    Tages    von    einem    Aieljährigen    Beobachter'    (Leipzig. 

35  Verlag  von  Orto  Wigand.  1843)  S.  193:  „Dass  Goethe  schon 
1803  den  Frofessor  Schelling  ohne  Weiteres  nach  Würzburg 
abziehen  Hess,  hat  seine  guten  Gründe.  Auch  Hegeln  achtete 
er  früher  wegen  seiner  (Gediegenheit  und  Gründlichkeit 
weit  höher,  als  den  vorlauten  Schelling.  obgleich  .ifner  durch 

40      seine  Planeten-Schrift  arg  angestossen  hatte,  und   Schelling 


432  DIE  AYAHLVERWAXDTSCHAFTEX.  1S09 

][???]  [864] 

Luise  erkennen,  in  dem  Hauptmann  den  Freiherrn  von 
Müffling,  jetzigen^  Gouverneur  von  Berlin,  in  Luciane 
einige  Züge  des  Fräulein  von  Eeitzenstein,  und  so  noch 
andre,  —  in  dem  Maler^  einen  jungen  Künstler  aus  5 
Cassel,  —  Goethe  sagte  einmal  zu  Eühle:  „Ich  heid- 
nisch? Xun,  ich  habe  doch  Gretchen  hinrichten  und 
Ottilien  verhungern  lassen,  ist  denn  das  den  Leuten 
nicht  christlich  genug?  "Was  vollen  sie  noch  Christ- 
licheres?"' —  Das  erinnert  an  die  empörte  Antwort,  die  lo 
er  Knebeln  wegen  der  sittlichen  Bedenken  desselben 
gegen  die  ,Wahlverwandtschaften"  gab:  „Ich  hab's 
auch  nicht  für  Euch,  ich  hab's  für  die  jungen  Mädchen 
geschrieben!" 

Mit  Rühle  v.   Lilieustern;    mit  Knebel.  —  Gespräche  9  15 
(1),  112^ 


schon  in  Jena  nach  einer  anderen  Richtung  hin,  doch  ohne 
Absicht,     dem    Dichter    äusserliche    und    theilweise   Veran- 
lassung  zu   einem    späteren   Unternehmen   gab,    nemlich   zu 
seinem    ausgezeichnetsten,    daher  am  meisten  verschrieenen  20 
Romane". 

Dass  Schelling  auch  später,  nachdem  er  Jena  verlassen 
hatte,  durch  seine  Aufsätze  Goethen  für  Einzelnheiten  seines 
Romans  Anregung  bot,  ist  verschiedentlich  hervorgehoben 
worden  (vgl.  auch  GJ.  4,  43S;i.  Besonders  liommen  für  Theil  25 
2  Capitel  11  (W.  20,  33S— 340)  in  Betracht  Schellings  Auf- 
sätze im  .Morgenblatt'  1807  (Nr.  26)  und  im  Intelligenzblatt 
der  .Jenaischen  Allgeiueinen  Literatur-Zeitung'  1807  (Nr.  36), 
die  anknüpfen  au  Ritters  Versuche  mit  dem  siderischen  Pen- 
del und  der  Wünschelruthe,  welche  dieser  Gelehrte  an  sich  30 
selbst,  besonders  aber  an  dem  jungen  Italiener  Campetti  an- 
stellte (Schellings  .sämmtlicheWerlce.  Erste  Abtheilung'  7.  487 
— 197,  Stuttgaii;  und  Augsburg  J.  G.  Cotta'scherVerlag.  1860). 

^  Vamhagen  "\on  Ense.  dessen  Tagebüchern  2,  194  die  ganze 
Stelle  entnommen  ist.  schrieb  diess  am  28.  Juni  1843.  35- 

^  Ueber  den  Architekten,  der  hier  wegen  der  von  ihm  voll- 
brachten Ausmalung  der  Capelle  als  „Maler"'  bezeichnet 
wird.  vgl.  Nr.  896. 

'  s.  Z.  34  f. 


1809  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  433 

][?  ?  ?]'  865 

Ich  [?]  kann  dieses  Buch  durchaus  nicht  billigen, 
Herr  Ton  Goethe;  es  ist  wirklich  unmoralisch,  und  ich 
empfehle  es  keinem  Frauenzimmer. 

Darauf  hat  Goethe  eine  Weile  ganz  ernsthaft  ge- 
schwiegen, und  endlich  mit  vieler  Innigkeit  gesagt: 
„Das  thut  mir  leid,  es  ist  doch  mein  bestes  Buch. 
Glauben  Sie  nicht,  dass  es  die  Grille  eines  alten  Mannes 
ist,  ja,  man  liebt  das  Kind  am  meisten,  welehes  aus 
der  letzten  Ehe,  aus  der  spätesten  Zeit  unserer  Zeugungs- 
kraft stammt.  Aber  Sie  thun  mir  und  dem  Buche  Un- 
recht; das  Gesetz  in  dem  Buche  ist  wahr,  das  Buch  ist 
nicht  unmoralisch,  Sie  müssen  es  nur  vom  grösseren  Ge- 
sichtspuncte  betrachten,  der  gewöhnliche  moralische 
Massstab  kann  bei  solchem  Verhältnisse  sehr  unmora- 
lisch auftreten. 

Mit  einer  Unbekannten.  —  Gespräche  2,  292. 


^  Die  Aeusserungen  Nr.  865  und  865a  finden  sich  in  dem  zwei- 
ten  (,, Briefe  und  Gespräche   Goethes"  überschriebenen)   Ab- 

20  schnitte  der  ,ReisenoveIlen  von  Heinrich  Laube.  .  .  Zweite 
Auflage.  Neunter  Theil.  Mannheim.  Verlag  von  Heinrich 
Hoff.  1847'  (aucli  unter  dem  Titel  , Heinrich  Laube's  Novel- 
len. Zweite  Auflage.  Neunter  Theil.  ...  0  S.  35  und  36. 
Laube  sagt  hier,  nachdem  er  Auszüge  aus  Briefen  Goethes 

25  an  Friedrich  August  Wolf  mitgetheilt  hat:  ,.Ich  gehe  nun 
zu  einigen  Unterredungen  mit  Goethe  über.  Sie  stammen 
aus  verschiedener  Quelle,  am  wenigsten  aber  daher,  woraus 
im  Vorhergehenden  die  mündliche  Mittheilung  über  Gall 
geflossen  ist.  .  .  ."  (von  dieser,  abgedruckt  als  Nr.  237  der 

30  , Gespräche'  2,  17  f.,  gibt  Laube  auch  die  Quelle  nicht  an, 
vielleicht  ist  es  eine  Aufzeichnung  Friedrich  August  Wolfs.) 
Grösstentheils  verschweigen  wolle  er  ,,die  Mittheilungen 
einer  lebhaften  Dame,  welche  reich  an  schlagendem  Aus- 
drucke sind,  ich  fürchte,  die  Dame  interessirt  .sich  dabei  viel 

35      weniger  für  Goethe,  als  für  die  Erzählung  von  ihm".     Von 

dieser  Unbekannten    (sie    sei  Goethen    ,, einmal    in  Dresden 

wieder  begegnet",    Goethe    redet    sie  bei  dieser  Gelegenheit 

„gnädiges  Fräulein"  an)  ist  das  Gespräch  Nr.  865  überliefert. 

Graf,  Goethe  über  seine  Dichtungen  T.  I.  28 


434  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  IbOy 

][?  ?  ?]'  86öa 

„Ob  die  ^Wahlverwandtschaften*  wahr  sind,  ob  sie  auf 
Thatsächliehem  beruhen?  Jede  Dichtung,  die  nicht 
übertreibt,  ist  wahr,  und  alles,  was  einen  dauernden 
tiefen  Eindruck  macht,  ist  nicht  übertrieben,  üebri-  5 
gens  soll  es  den  Menschen  gleichgültig  sein;  der  blossen 
Keugierde  muss  man  nicht  Eede  stehen.  Das  Benutzen 
der  Erlebnisse  ist  mir  immer  alles  gewesen;  das  Erfin- 
den aus  der  Luft  war  nie  meine  Sache,  ich  habe  die  Welt 
stets  für  genialer  gehalten,  als  mein  Genie."  10 

Mit  einem  Unbek:annten.  —  Gespräche  2,  292.  (Vgl.  433, 
18.) 

1810. 
Januar,  zwisclien  2  und  20,  Weimar^.  866 

Goethe  grüsst  Dich   [Caroline  von  Humboldt]   herz-  15 
lieh,  er  hat  Dir  seinen  neuesten  Eoman  ,Die  Wahlver- 

Es  mag,  wie  Nr.  864  und  865a,  bald  nach  dem  Erscheinen 
der  , Wahlverwandtschaften',  vielleicht  auch  erst  im  Sommer 
1810  stattgefunden  haben. 

*  Vgl.  die  vorhergehende  Erläuterung.     Heinrich  Laube  fährt  20 
a.   a.   O.,    unmittelbar    nach    der   Mittheilung    von    unserer 
Nr.   865,   fort:   „Verlassen   wir  nun  aber  die   Dame,   welche 
drastisch  mittheilt,  und  halten  wir  uns  an  einen  Mann,  der 
mein*  denn  einmal  in  ausfüln-lichen  und  intimen  Gesprächen 
mit  Goethe  verkehrt  hatte.     Einige   Stücke  vom   Tagebuche  25 
desselben  liegen  zur  Mittheilung    vor,    ich    gebe    sie  wört- 
lich   und    ohne    Zusatz.      Die    Gespräche    sind    nicht   immer 
ausgeführt,  oft  sind  nur  die  Themata  mit  einzelnen  Worten 
angedeutet".     Hierauf  folgen  Nr.   1531  a — c  der  , Gespräche' 
8.  852  f.,  dann   unsre  Nr.  865a,    sodann  Nr.  1531d— h   der  ,Ge-  30 
spräche'  8,  353—358  (s.  unten  Nr.  1603). 

W.  V.  Biedermann  datirt  die  obige  Nr.  865a:  „1809  (?)",  die 
Nr.  1531a— h  der  , Gespräche':  „Um  1819  (?)",  und  hält  für 
möglich,  dass  Friedricli  August  Wolf  der  Ungenannte  sei. 

^  Nach  dem  Tagebuch  hatte  Goethe  am  2.  3.  4.  5.  6.  18.  19.  20.  35 
Januar  Gespräche  mit  Wilhelm  von  Humboldt.  Am  26.  De- 
cember  1809  hatte  dieser  seinen  Besuch  angemeldet  und  ge- 
schrieben: ..Wir  haben  ja  so  mancherlei  zu  besprochen,  auch 
die  .Wahlverwandtschaften',  die  mir  einige  sehr  glückliche 
Tage  in  Königsberg  gemacht  haben"  (GJ.  8,  77).  40 


1810  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  43" 


[Januar,  zwiselien  2  und  20,  Weimar.]  [S66] 

Avandtscliaften'  durch  einen  Eeisenden  geschickt^  und 
man  sah  ihm  an,  dass  ihm  daran  gelegen  hat,  den  Eoman 
von  Dir  gelesen  zu  wissen. 
5  Mit  W.  V.  Humboldt.  —  Gespräcbe  10.  G3'. 

?Jaiiuar  18.  Weimar.  S(Xn 

Abends  Herr  [Wilhelm]  von  Humboldt.  .  .  .  Ueber  .  . 
Eomane  und  dergleichen. 
Tgb.  4.  91.  9—11. 

10   ]  [Januar  24?'  Weimar.]  867 

Zugleich  soll  ich   [Eiemer]   ansagen,    dass  Herr    a  on 

Humboldt  in  Paris  noch  am  3.  Januar  nicht  die  ,Wahl- 

verwandtschaften'  erhalten  hatte;  und  ob  man  vielleicht 

dahinter  kommen  könnte,  wie  und  woher  das  Hinderniss 

15       entstanden*. 

lüit  Riemer.  —  Riemer-Frommann  S.  153. 

]  [uacb  Januar  24°,  Weimar?]  8(J8 

Das  Buch  machte  bei  seinem  Erseheinen  ausserordent- 
liches Aufsehen    und  erfuhr    die  verschiedensten  Beur- 
20      theilungen.  Goethe  selbst,  der  im  Allgemeinen  ungern 
über  seine  Dichtimgen  sprach,  war  mit  Eudolf  Abekens 
Eecension  in  der  Litteratur-Zeitung",  welche   die    silt- 

'  Vgl.  Nr.  830.  831. 

-  Aus  .Gabriele  von  Biilow  Tocbter  Wilbelm  von  Humboldts. 
•25  Ein  Lebensbild.  .  .  Viei'te  Auflage.  .  .  Berlin  1894.  Ernst 
Siegfried  Mittler  und  Sohn'  S.  62  f. 

'  Riemers  Brief  an  Frommann  ist  vom  24.  Januar  datirt. 

*  Hiernach  hatte  Goethe  das  für  Alexander  von  Humboldt  be- 
stimmte Exemplar  des  Romans  (vgl.  411.  21  f.)  durch  From- 
30  mann  expediren  lassen.  Bald  nach  dem  3.  .Januar  muss  die 
Sendung  aber  eingetroffen  sein,  vgl.  412,  24—28. 

^  Diese  Datirung  ist  angesetzt  mit  Rücksicht  auf  den  letzten 

Abschnitt  von  Abekens  Besprechung,  der  am  24.  Januar  im 

3Iorgenblatt  erschien.     That  Goethe  die  Aeusserung  in  Jena, 

35      so  wäre  diese  Nummer  „nach  März  11"  zu  datiren,  da  Goethe 

1810  erst  am  12.  März  zum  erstenmale  nach  .Jena  kam. 

°  Hier  liegt  ein  Ii'rthum  vor,  denn  Abekens  Besprechung  er- 
schien im  .Morgenblatt'  und  der  Recensent  in  der  .Jeuaisehen 
Allgemeinen  Literatiu'-Zeitung'  war  Delbrück   (vül.   426.   16). 


436  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEX.  1810 

][nach  Januar  24,  Weimar?]  [868] 

liehe  Tendenz  des  Eomans  ausführlich  darlegte,  ganz 
einverstanden,  äusserte  auch  gegen  meine  Mutter:  ,,dass 
es  zu  bösen  Häusern  hinausgehn  muss,  sieht  man  ja 
gleich  im  Anfang"^,  5 

Mit    F.  J.    und    Johanna    Frommann.  —  G. -Frommann 
S.  111. 

] [Zwischen  Januar  24  und  März  23-,  Weimar  und  Jena.]  809 
Ihr  Brief,  lieber  Abeken,  hat  mir  [Gries]  eine  sehr 
angenehme  Ueberraschung  gemacht.  Ich  kann  Ihnen  le 
nicht  sagen,  wie  sehr  es  mich  freut,  Sie  als  den  Ver- 
fasser eines  Aufsatzes  kennen  zu  lernen,  der  unstreitig 
unter  allem,  was  über  die  ,Wahlverwandtschaften'  ge- 
schrieben worden  ist,  bei  weitem  den  ersten  Platz  ein- 


^  Ein  Urtheil  Johanna  Frommanns  über  die  , Wahlverwandt-  i» 
Schäften'  finden  wir  in  ihrem  Briefe  vom  18.  October  1809, 
wo  sie  ilirem  Gatten  schreibt:   ,,Es  ist  mir  eigentlich  recht 
schwer  geworden,  ohne  Dich  auszulesen.  .  .  .  Wie  hat  mich 
die  Stelle  ergriffen,  wo  das  Kind  in's  Wasser  fällt  und  der 
Ruf  des  Schicksals,  den  man  lange  vernommen,  immer  deut-  20 
lieber  wirdi     Und  doch  muss  ich  glauben,  wir  ahnden    nur 
erst,  was  der  Dichter  meint  und  bezweckt.     Mir  war  es  oft, 
als  stiegen  alte  Griechen  und  Juden  aus  ihren  Gräbern  und 
freuten  sich  des  neuen  Werks  und  sagten:  Für  euch  ist  es  zu- 
A'iel.     Ach  schon  die  Ahnung  ist  uns  soviel  1  —  Ich  fühle  eine  25 
sonderbar  contrastirende  Empfindung  in  mir:   indem  immer 
gesagt  wird  von  Eduard,  er  m  u  s  s  t  e  ,  fühl'  ich  meine  Kraft 
sich  stählen,  nicht  zu  müssen.     Ich  rufe  mir  immer  zu: 
sei  nicht  vermessen,  und  mir  ist,  als  müsst'   ich  knien  vor 
dem  Bilde  der  Liebe,  weil    nur    die    wahre    Liebe    in    allen  so 
Nöthen  hilft"  (G.-Frommann  S.  111). 

*  Die  im  Folgenden  erwähnten  Aeusserungen  Goethes  fallen 
in  die  Zeit  nach  dem  Erscheinen  von  Abekens  Besprechung 
im  , Morgenblatt'  (vgl.  447,  26)  und  vor  Abfassung  des.  vom 
23.  :März  1810  datirten,  Briefes  von  Gries,  dem  dia  Stelle  35. 
entnommen  ist.  Abeken,  zu  dieser  Zeit  als  Hauslehrer  von 
Schillers  Kindern  in  Weimar  lebend,  hatte  sich  brieflich  am 
IS.  März  gegen  Gries  als  den  Verfasser  der  Beurtheilung  im 
, Morgenblatt'  bekannt. 


1810  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  437 

][Zwlschen  Januar  2i  und  März  23,  AVeimar  und  Jena.]  [869] 

nimmt.  Das  will  nicht  viel  sagen,  meinen  Sie  vielleicht, 
denn  das  l'ebrige  ist  freilich  nicht  weit  her.  So  lassen 
Sie  sich  denn  an  der  Tersicherting  des  grossen  Meisters 

5      genügen,  der  Ihnen    das  Zeugniss    gibt,    dass  Sie    den 
rechten  Fleck  getroffen  haben. 

Goethe  hatte  Ihren  Aufsatz  schon  im  ,!Morgenblatt' 
gelesen  und  gleich  damals  seine  grosse  Zufriedenheit 
darüber  geäussert.  Diess  brachte  Eiemern  auf  den  Ge- 

10  danken,  ihn  hier  von  Frommann  nachdrucken  zu  lassen, 
um,  wie  er  sagte,  Goethen  eine  angenehme  Ueber- 
raschung  zu  machen.  Es  gehe  fast  kein  Tag  hin,  wo 
Goethen  oder  ihm  nicht  etwas  über  die  ,"Wahlverwandt- 
schaften'  gesagt  oder  geschrieben  werde,  und  meistens 

15  sehr  abgeschmacktes  Zeug.  Um  nun  nicht  immer  das- 
selbe -«äederholen  zu  müssen,  habe  er  diesen  Xachdruck 
veranstaltet.  So  geht  nun  Ihr  Aufsatz,  der  durch  des 
Meisters  Siegel  und  Unterschrift  gleichsam  Gesetzes- 
kraft erhalten  hat  und  völlig  wie  eine  interpretatio  au- 

20  thentica  anzusehen  ist,  in  alle  Welt,  um  die  Heiden  zu 
bekehren,  wozu  der  Himmel  sein  Gedeihen  gebe.  Goethe 
und  Riemer  verschicken  und  vertheilen  ihn  an  alle 
Freunde  und  Bekannte.  .  .  ^ 

Was  nun  den  Verfasser  anbetrifft,  so  "war  Riemer  auf 

25  den  Gedanken  gekommen,  es  sei  kein  andrer  als  Schel- 
ling.  Er  hatte  diess  auch  Goethen  und  andern  ziemlich 
plausibel  zu  machen  ge-oiisst;  .  .  . 


*  Abeken,  der  in  seinen  .Erinnerungen'  (S.  57)  den  Verlauf 
dieser  Angelegenheit  ähnlich,  nur  kürzer,  erzählt,  berichtet 
noch:  ,,Wie  war  mir  zu  Muthe.  als  Frau  von  Schiller  mir, 
dem  nichts  Ahnenden,  eins  der  ihr  von  Riemer  zugeschickten 
Exemplare  überreichte  (17.  März  1810).  Sie  wusste  den  Ver- 
fasser nicht:  ich  hatte  mich  als  diesen  niemandem  genannt. 
.  .  .  Ich  erinnere  mich,  dass  in  diesen  Tagen  Goethes  Gattin, 
da  sie  mich  im  Park  sah.  auf  mich  zukam  und  in  ihrer 
Lebhaftigkeit  mir  xurief,  wie  ..der  Geheimrath'"  sich  gefreut 
und  das  Blatt  seinen  Freunden  zusende." 


438  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  ISlO 

] [Zwischen  Jauuar  24  und  Mäi'z  23,  Weimar  und  Jena.]  [S69] 

Da  ich  mich  hauptsächlich  mit  Frommann  über  diesen 
Pimct  oft  sehr  lebhaft  gestritten  hatte,  so  konnte  ich 
mir  den  Triumph  nicht  versagen,  ihm  Ihren  Brief  noch 
ganz  brühwarm  zu  überschicken.  Dadurch  haben  denn  5 
auch  die  andern  das  Geheimniss  erfahren,  und  Goethe 
besonders  hat  mehrmals  seine  Freude  darüber  bezeigt. 
Mit  Riemer  und  Anderen^  —  Gespräche  2,  303  f.  (Vgl. 

436,  35.) 


^  Unter  diesen  Anderen    ist    besonders    au   Fioninianu    und  lo 
dessen   Angehörige  zu  denken,   wohl  auch   an   Grios   selbst. 

Abekens   Besprechung   kann   nicht   eigentlich   ein    Aufsatz 
genannt  werden,  wie  Gries  es  hier  thut.  Richtiger  bezeichnet 
der  Vei'fasser  selbst  sie  im  ,Morgeublatf  und  in  seinen  , Er- 
innerungen'  (S.   56)  als  „Fragmente".     Bruchstücke   sind  es  15 
von   Betrachtungen,   die   Abeken   sich   als   vertraulich   brief- 
liche Mittheilungen  an  einen  seiner  Freunde  gerichtet  dachte, 
etAva   an   Heinrich   Voss   in   Heidelberg,   durch   dessen   Ver- 
mittelung   die   Blätter  auch  im   , Morgenblatt'  zum   Abdruck 
kamen.     Für  sich  selbst  hatte  Heinrich  Voss  abgelehnt,  wie  20 
er  unter  dem  26.  December  1809  an  Goethe  schreibt:    „Cotta 
wollte,    ich   sollte   sie     [die    .Wahlverwandtschaften']     für's 
, Morgenblatt'  recensiren.     Mir  war,  als  sollte  ich  die  Welt 
recensiren;    und  ich  bin  noch  zufrieden,   dass  ich  es  abge- 
schlagen liabe.  •  Entweder  meisterhaft  oder  gar  nicht"  (GJ.  25 
5,  77). 

Eine  Wiedergabe  der,  von  Goethe  besonders  geschätzten, 
Abekenschen  Beurtheilung  darf  hier  um  so  mehr  erwartet 
werden,  als  dieselbe  in  Brauns  Sammelwerk  nicht  aufgenom- 
men ist.  30 

,,  IT  e  b  e  r   Goethes  Wahlverwandtschaften. 
(Fragmente  aus  einem  Briefe). 
1. 
—  Dass  die  .Wahlverwandtschaften'  viele  Menschen  nicht 
ansprechen,    dass    so    sonderbare   Urtheile  über  sie   gefällt   35 
werden,  befremdet  mich  nicht.     In  der  That,  man  sieht  es 
oft   genug,    wie    Gegenstände,    welche    dem    Menschen    nahe 
liegen  und  ein  fast  allgemeines  Interesse  haben,  leicht  und 
oberflächlich  dargestellt,  ihre  Wirkung  nicht  verfehlen;  wie 


1810  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  430 


][Zwischeii  Januar  24  und  Miiiz  i'3,  Weimar  und  Jena.]  [869J 


sie  aber  die  Menge  und  die  für  die  Welt  Gebildeten  kalt 
lassen,  -wie  sie  oft  gar  nicht  begriffen  werden,  wenn  ein 
grosser  Geist  sie  lil-ir  in  ihrem  tiefsten  Grunde  und  in  ihrer 
5  höchsten  Bedeutung  ausspricht.  —  Ist  es  nicht  so  mit  dem 
Gegenstande,  mit  dem  jener  herx'liche  Roman  sich  beschäf- 
tigt? —  Dass  es  Menschen  gibt,  die  ihrer  Xatur  nach  ver- 
wandt sind,  dass  diese  Verwandtschaft  Liebe  erzeugt, 
welchen   Kampf,    welches   Unglück   diese    veranlasst,    wenn 

10  menschlicher  Irrthum  und  irdische  Verhältnisse  ihren  Weg 
durchkreuzen,  das  ist  das  Thema  fast  aller  Romane.  Wenig- 
stens liegt  der  Gedanke  einer  natürlichen  Verwandtschaft, 
wenn  auch  dunkel,  dem  zum  Grunde,  was  von  Sj-mpathie 
geredet    wird.     Solche   Bücher    werden    immer  geschrieben 

15      und   immer    gelesen    werden;    jeder   Leser   hat   dergleichen 

gesehen  und  erlebt;    er  wird  bewegt,  und  fühlt,  dass  auch 

er  dem  Loose  unterworfen  ist.   welches  die  Liebe  trifft.  — 

Dasselbe    Thema   finden  wir  in  den    ,Wahlverwandtschaf- 

teu';  aber  wie  anders  behandelt!  wie  klar  bis  in  die  tiefsten 

20  Geheimnisse,  wie  selbstständig  und  voll  innern  heiligen 
Lebens  liegt  es  vor  uns  da!  —  Hier  sehen  wir,  v\-ie  dieselben 
ewigen  Gesetze,  die  in  dem  walten,  was  v\ir  Xatur  nennen, 
auch  über  den  Menschen  ihre  Herrschaft  üben  und  ihm  oft 
mit  unAA'iderstehliclier  Strenge  gebieten;    wie  es  eine,  nur 

25  gesteigerte,  Kraft  ist,  die  leblose  Stoffe  zu  einander  zwingt 
und  diesen  Menschen  zu  einem  andern  zieht.  Schilt  mich 
nicht  um  dieser  Aeusserung  Willen.  Ruht  doch  auch  die 
Liebe  der  Eltern  zu  dem  Kinde  auf  der  Xatur  und  ent- 
springt aus  ihr;    und  doch  wird  dieser  Trieb  durch  Freiheit 

30  zu  einem  schönen  sittlichen  Verhältnisse.  —  Die  neuere 
Xaturlehre  wird  nocii  manches  Geheirauiss  in  Bezug  auf 
den  Menschen  enthüllen,  vor  dessen  Offenbarung  dem  grauen 
möchte,  welcher  die  Kräfte  der  Xatur  nicht  als  lebendige 
und  ewige  erkennt,  und  welchen  die  Beobachtung  der  Men- 

35  sehen  und  ihrer  Schicksale  nicht  gelehrt  hat,  dass  etwas  in 
ihrem  tiefsten  Innern  liegt,  was  über  jenen  Kräften  ist.  was 
vielleicht  einer  höhern  Welt  angehört.  —  Das  sind  die  heili- 
gen hohen  Gedanken,  die  im  tiefsten  Grunde  der  Seele  ent- 
springen, welche  der  ^lensch  mit  freier  Gewalt  festhält,  die 

40  ihm  eAvig  vorschweben  als  höchste  Muster,  als  Sitte,  als 
unveränderliches    Gebot.      Wo    wir    solche    Gedanken    wahr- 


440  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEX.  ISIO 


]  [Zwischen  Januar  2'1  und  März  2a,  Weimar  und  Jena.]  [869] 


nehmen,  da  ist  unser  Interesse  für  den  Menschen  entschieden; 
und  wenn  der  Gang  der  Dinge  auf  Erden  und  irdische  Ver- 
hältnisse mit  ihnen  jene  Gesetze  der  Natur  in  Streit  bringen, 
der  nicht  rein  zu  schlichten  ist,  da  werden  wir  zur  liöchsten  5 
Theilnalime  bewegt.  Das  Mäclitigste  führt  ihn,  und  das 
Liebste,  dem  wir  die  längste  Dauer  unter  uns  wünschten, 
soll  ihm  zum  Opfer  fallen.  Es  ergreift  uns  ein  Gefühl,  nicht 
unähnlich  dem,  was  jene  köstlichen  Worte  in  der  ,  E  u  p  h  r  o  - 
s  y  n  e  '  in  uns  erwecken  [V.  69  f.  77  f.,  W.  1,  283  f.] :  10 

Ach,    Natur,   wie  gross   und   sicher  in   allem   erscheinst   du! 

Himmel  und  Erde  befolgt  ewiges  festes  Gesetz. 
Alles  entsteht  und  lebt  ihm  gemäss;  —  nur  über  den  Menschen 

herrschet   ein   schwankendes   Loos. 

Wo  in  den  übrigen  Wiesen  die  Natur  ihre  Kräfte  walten  15 
lässt,  da  entsteht  Leben,  da  ist  Dauer;  und  den  Menschen 
vernichtet  sie  oft  durch  eben  diese  Kräfte.  —  Das  ist  das 
tragisclie  Princip,  das  in  den  , Wahlverwandtschaften' 
herrscht,  und  das  unwiderstelalich  uns  ergreift  und  die 
Menschheit  in  uns  erschüttert.  20 

2. 

Hier  sehen  wir  zwei  Naturen  vor  uns,  durch  das  Geschick 
getrennt,    durch   Verwandtschaft    gewaltsam    zu    einander 
gezogen,  durch  natürliche  Verwandtschaft.     Das  wun- 
derbare Kopfweh  der  beiden  Liebenden  ist  von  grossem  Ge-  25 
Wichte.     Eduard   fühlt   alsbald,   wie   nahe   er  Ottilien  ange- 
hört;  er  gibt  sich  dem  Zuge  hin,  ohne  Widerstand  zu  leisten, 
und    seine    Leidenschaft   ist   mit   Bewusstsein    vermählt.    — 
Anders  Ottilie.     Nicht  von  bewusster  Leidenschaft,  sie  wird 
vom    Schicksal    hingerissen,     und    findet    sich    von    seinem  30 
Strome  gefasst,   ehe  sie  weiss,   dass   sie  hineingerathen  ist. 
Es  m  u  s  s  t  e  also  sein.  —  Da  beginnt  das  Tragische  der  Ge- 
schichte, und  schon  im  Anfange  des  Buches,  wir  wissen  nicht 
wie,   ergreift  uns  der  Schmerz  und  die   bange  Ahnung  — 
welche  ihre  höchste  Höhe  erreicht  an  Ottiliens  Geburtstage,  35 
da  Eduard  das  Feuerwerk  in  die  Lüfte  rauschen  lässt. 

Hier  ist  das  erhabene  Gedicht  in  seiner  Begeisterung,  in 
einem  heiligen  Wahnsinne,  einer  Gährung,  von  welcher  aus 
sich  das  glühendste  Leben  in  alle  Enden  verbreitet.     Es  er- 


1810  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEX.  441 


][Zwischen  Janunr  2i  uud  März  23,  'Weimar  und  Jena.]  [Sß9] 


greift  uns  eiu  Schwiudel,  und  doch  erkennen  wir  die  rulaige 
Weisheit,  die  nüchterne  Mässigung,  die  alles  lenkt  und  alles 
ordnet,  wodurch  das  AVerk  ein  vollendetes,  selbstständiges 
5  Ganzes  wii'd,  das  sich  selbst  trägt  und  erhält.  So  thut  sich 
der  Schöpfer  in  seinen  Werken  kund. 

Und  jener  Wahnsinn  ist  zugleich  ein  Symbol  für  das  Ge- 
schick der  Liebenden.  Eduards  Leidenschaft  hat  zu 
Ottiliens  Fest  das  Feuerwerk  bereitet;  nichts  auf  der  Welt 

10  vermag  ihn  von  der  Ausführung  zurückzuhalten.  Und  wie 
die  Feuerkugel,  mit  brennbarem  Stoffe  gefüllt,  wenn  sie  ein- 
mal in  Brand  geratlaon  ist,  sausend  durch  die  Luft  fährt, 
und  ihre  Bahn  durchstürmt  und  keinen  Halt  kennt  —  bis 
sie  zerstiebt  uud  sich  vernichtet,  —  so  fähit  das  Geschick  mit 

15  den  Liebenden  dahin,  da  es  sie  ergriffen  und  dem  Untergange 
geweiht  hat. 

Was  vermögen  hier  menschliche  Klugheit  uud  Verstand? 
Der  Mittler  spricht  wohlmeinend  und  ver.stäudig;  aber 
wo  nach  menschlichem  Ansehn  noch  zu  rathen  ist,  da  ent- 

20  fernt  er  sich,  aus  Prineip,  wie  er's  nennt,  und  er  selbst  wird 
am  Ende  ein  Diener  des  Geschicks; 

Denn  wer  sich  vermisst,  es  klüglich  zu  wenden. 
Der  muss  es  selber  erbau'n  und  vollenden. 

[Schillers  , Braut  von  Messina'  V.  2490  f.] 

25  3. 

Einen  schönen  Gegensatz  gegen  Eduards  und  Ottiliens 
leidenschaftliche  Liebe  macht  Charlottens  Neigung  zu  dem 
Hauptmann.  Auch  sie  werden  von  einander  angezogen;  aber 
des  Hauptmanns  fester  Sinn  und  Verstand  und  Charlottens 

30  Mässigung  und  Vernunft  sind  von  der  Art,  dass  ein  nicht  zu 
schlichtender  Kampf  zwischen  diesen  und  der  Leidenschaft 
nicht  entstehen  konnte.  In  des  edeln  Weibes  Seele  wohnt  das 
Recht  und  das  Mass;  das  schöne  Gleichgewicht  in  ihr.  wie 
zart   es    gebildet    sein   mag.    widersteht    dem    andrängenden 

35  L'ngestüm  andrer  Gewalten.  Daher  kommt  die  himmlische 
Milde,  die  Klarheit  der  Vernunft,  mit  welcher  Charlotte 
durch  die  ganze  Geschichte  waltet.  ^-  Wodurch  sie  sich  von 
Ottilien  unterscheidet,  das  hat  der  Dichter  am  deutlichsten 
durch  den  Pendul  aussedrückt.  der  in  ihrer  Hand  ruhig,  un- 


442  DIE  WAHT.VERWAXDTSCHAFTEX.  1810 


][Z\vischeu  Jumiar  24  und  März  2J,  Weimar  uiul  Jena.]  [869] 


beweglich  schwebt,  da  er  hingegeu,  vou  (Jttilieu  berührt,  in 
die  lieftigsteu  Schwingungen  gerüth. 

4. 

Halte  ja  manche  Nebenpersonen,  vor  allem  die,  welche  5 
gegen  eine  der  Hauptpersonen  eine  Anziehungskraft  bewei- 
sen, nicht  für  unbedeutend.  So  ziehen  sich,  wenn  wir  Stoffe 
von  geringerer  oder  grösserer  Verwandtschaft  in  die  Lage 
bringen,  dass  sie  ihre  Kräfte  gegen  einander  äussern  können, 
auch  die  weniger  verwandten  an,  aber  nur  ein  wenig,  und  sie  lo 
kommen  zu  keinem  vereinten  Leben.  Lass  die  inniger  ver- 
wandten Raum  gewinnen,  sie  vermählen  sich  und  vor  ihnen 
verschwinden  die  Kräfte  der  übrigen. 

5. 

Einen  herrlichen  Gegensatz  gegen  Charlottens  Gesinnung  15 
machen  die  Weltgebildeten,  der  Graf  und  die  Baronesse  mit 
ihrem  Raisonnement;  und  das  tolle  Ti-eiben  Lucianens,  ihr 
weltliches  Rasen,  hebt  die  himmlische  Ruhe  Ottiliens,  in 
welcher  sie,  wie  auch  ihr  Geschick  raset,  beharret  und 
zunimmt.  20 

Es  ist  nicht  ohne  Bedeutung,  dass  Luciaue  die  Affen  so  liebt, 
und  dieser  Zug  macht  uns  auf  eine  neue  Verwandtschaft 
aufmerksam,  die  in  dem  reichen  Buche  uns  dargelegt  wird. 
Denn  wie  dieses  mit  eigner  Lust  und  schöner  Begeisterung 
die  fernsten  Grenzen  berührt  und  vor  die  Seele  bringt,  welche  25 
der  Mensch  erreichen  kann,  so  zeigt  es  auch  im  Contraste, 
welche  niedrige  Neigungen  und  Aehulichkeiten  selbst  den 
gebildeten  Menschen  unter  seine  Sphäi'e  liinaljziehen  können. 
Luciane  ergötzt  sich  an  Affen  und  vergleicht  sie  mit 
Menschen,  während  Ottilie  Engel  malt  und  selbst  ein  Engel  30 
wird  in  dieser  Umgebung. 

6. 

Welch  ein  herrliches,  reiches  Bild  hat  uns  der  Dichter  vor 
die  Augen  gebracht  in  der  Scene,  da  Ottilie  die  Mutter 
Gottes  vorstellt!  —  Ich  möchte  diese,  in  Rücksicht  auf  die  35 
Wirkung,  die  sie  in  dem  Gedichte  hervorbringt,  das  Gegen- 
stück zu  jener  Naeht-Scene  nennen,  da  Ottiliens  Geburtstag 
mit  dem  Feuerwerke  gefeiert  wird.  —  Charlotte  sitzt  vor  dem 


1810  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  443 


][Zwische!i  Januar  j:  und  März  23,  Weimar  und  Jena.]  [869] 


Heiligen-Bilde  und  betrachtet  das  schlafende  heilige  Kind; 
und  sie  gedenkt  >lessen,  das  sie  unter  dem  Herzen  teigt, 
denkt,  was  es  ihrem  Hause  werden  soll  in  der  Zeit  der  Xoth, 
5  und  Thränen  treten  in  ihre  Augen.  —  Ach,  es  soll  kein  Ver- 
söhner für  sie  sein;  es  v.'ird  geboren,  und  seinem  Gesichte 
ist  das  aufgeprägt,  was  den  nicht  zu  lösenden  Streit  erzeugt 
und  erhält.  Es  kommt  in  die  Welt,  aber  nicht  als  Bote  des 
Lebens,   sondern  des  Todes;  und  der  Greis,  der  es  in  seine 

10  Arme  nimmt,  fährt  hin,  aber  ach!  niclit  in  F  r  i  e  d  e  n  — 
Als  eine  wahre  Versöhneriu  dagegen  steht  Ottilie  da  in  dem 
herrlichen  Bilde;  sie  ist  die  Schmerzenreiche,  die  Betrübte, 
der  das  Schwert  durch  die  Seele  dringt;  aber  wir  ahnen  in 
ihr  auch  die  Heilige.  Die  Xaeht  verschwindet,  und  das  hei- 

15      lige  Licht  bricht  herein. 

7. 
Man  hat  es  befremdend  gefunden,  dass  in  Ottiliens  Tage- 
buche keine  Retlexionen    über    ihre  Liebe    zu  Eduard    vor- 
kommen.    Aber  ist  Ottilie  in  einem  Zustande,  dass  sie  Be- 

-0  tracJitungen  über  ihre  Liebe  anstellen  kann?  —  Sie  wird  fort- 
gerissen von  ihrem  Geschicke  und  ist,  ohne  Schuld,  einer 
fremden  Macht  anheimgefallen.  —  Und  konnte  die  hohe, 
seltne  Bildung  ihres  Geistes,  konnte  die  himmlische  Ruhe,  in 
der  ihre  Seele  bei  allen  Stürmen  beharrt,  besser  dargestellt 

25  werden,  als  durch  dieses  Tagebuch?  —  L'nd  ihre  Blätter 
offenbaren,  was  in  ihrer  Seele  vorgeht,  v."as  ihr  selbst  nicht 
beu'usst  ist;  und  wunderbar  ergreift  es  uns,  wenn  wir  sehen, 
in  welcher  nalien  Verbindung  der  menschliche  Geist,  der  nur 
auf  die  Gegenwart,  und  höchstens  auf  die  Vergangenheit  an- 

30  gewiesen  scheint,  mit  der  Zukunft  steht.  —  Hier  sitzt  Ottilie 
im  alten  Kirchenstuhle  in  der  heiligen  Capelle,  wie  im 
Todtenreiche,  und  erwartet  die  Geliebten,  die  das  heilige 
ernste  Leben  mit  ihr  beginnen  sollen.  Sie  ist  dem  Tode  ge- 
weiht,  und   auch   ihr  Jahr   ist   fast   abgeklungen. 

35  ,„Wir  blicken  so  gern  in  die  Zukunft,  weil  wir  das  Unge- 
fähre, das  sich  in  ihr  hin-  und  herbewegt,  durch  stille 
Wünsche  so  gern  zu  unsem  Gunsten  heranleiten  möchten'" 
[Theil  2  Capitel  4,  W.  20,  239,  3— 6].  Blickst  du  auch  in  die 
ZiTkunft,  herrliche  Ottilie I  und  weisst  du,  was  du  wünschest, 

40      und   weisst  du.   was  es   ist.   das  dich   heranbewegt?  —  Der 


444  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1810 


][Zwischen  Januar  2i  und  März  2J,  Weimar  und  Jena.]  [869] 


unerbittliche  Tod  liat  seine  Sichel  schon  gescharrt;  der  Halm 
muss  fallen. 

„,Doch  in  der  abgesichelten  Aehre    liegt    überschwänglich 
viel  Nährendes  und  Lebendiges'"  [Theil  2  Capitel  3,  W.  20,    5 
225,  6  f.]. 

So  beginnt  das  herrliche  Tagebuch.  Es  nimmt  fast  einen 
umgekehrten  Gang  mit  Ottiliens  Tagen.  Es  Avird  heitrer, 
macht  tiefe  zarte  Bemerkungen  über  das  Leben,  und  in  den 
Ansichten  vom  Werthe  des  Menschen  und  von  seiner  Erzie-  10 
hung  offenbart  sich  eine  schöne  Geistesverwandtschaft  jeuer 
edeln  Natalie.  —  Warum  konnte  der  beiden  Geschick  nicht 
vervrandt  sein?  —  Zarte,  innige  Beziehungen  sind  überall  in 
den  Blättern  zerstreut;  wer  vermöchte  sie  alle  zu  enthüllen? 
und  wer  wollte  sie  erläutern?  —  Das  hiesse  von  der  schwel-  15 
lenden  Traube  den  zarten  Duft  abwischen,  mit  dem  der 
frische  Morgen  sie  angehaucht,  oder  den  Staub  vom  Schmet- 
terlingsflügel streifen,  um  ihn  unter  dem  Mikroskope  zu  be- 
trachten. 

Gegen  das  Ende  wird  die  Stimmung  wieder  ernster.  Zwar  20 
ist  der  Frühling  gekommen;  ,,.das  Jahresmährchen  ist  an 
seinem  artigsten  Capitel,  dessen  Vignetten  Veilchen  und 
Maiblumen  sind'"  [Theil  2  Capitel  9,  W.  20,  309,  15—19].  Aber 
wir  ahnen  die  Astern  als  Schlussvignette  des  letzten,  ernsten 
Capitels.  25 

Das  Tagebuch  ist  an  seinem  Ziele;  es  schliesst  mit  dem 
schönen  Gedanken:  „,dass  ein  Leben  ohne  Liebe  ein  schlechtes 
Schubladenstück  ist,  wo  man  überall  von  vorn  anfangen 
muss  und  überall  enden  möchte"'  [Theü  2  Capitel  9,  W.  20. 
311,  3—9].  —  Ist  es  Ottilie,  die  diese  Bemerkung  macht?  —  30 
Ist  es  das  Buch  selbst,  das  hier  in  seine  Tiefen  blickt  und 
die  Gottheit  erkennt,  die  in  ihm  waltet?  —  wie  eine  alte 
Sage  spricht,  dass  Menschen  kurz  vor  ihrer  Vollendung  ihr 
eignes  Selbst  erblicken.  —  Ich  weiss  es  nicht.  Aber  dem 
Ende  nahet  sich  das  Buch,  der  Vollendung;  und  eine  schmerz-  35 
liehe  Ungeduld  ergreift  uns.  Denn  ,„wenn  Knospen  und 
Blüthen  kommen,  dann  wird  man  ungeduldig,  bis  das  volle 
La\ib  hervortritt,  und  der  Baum  sich  als  eine  Gestalt  uns 
entgegendrängt'".  ,„Und  alles  Vollkommene  in  seiner  Art 
muss  über  seine  Art  hinausgehen,  dass  es  etwas  Andres,  40 
etwas  Unvergleichbares  werde'"  [Theil  2  Capitel  9.  W.  20, 
310,  20—27]. 


1810  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  445 


][Zwischeu  Januar  24  und  März  23,  Weimar  und  Jena  ]  [s69] 


8. 
Denn  was  ist  es,  das  bei  der  tiefen  Trauer,  die  uns  erfüllt, 
bei  dem  herzzerreissendeu  Schmerze  uns  beruhigt  und  eine 
5  Ahnung  des  Himmels  gibt?  —  Das  ist  es,  was  jeglicher 
wahren  Tragödie  die  Kraft  verleiht,  uns  zu  erheitern  und  in 
die  seligen  Regionen  zu  erheben,  was  bei  den  Ungeheuern 
Schicksalen  der  wirklichen  Welt  den  edeln  Menschen  auf- 
recht erhält  und  mit  dem  Leben  versöhnt.  —  Die  Würde  der 

10  menschlichen  Natur,  die  in  dem  furchtbaren  Drange  der  Noth 
und  des  Leids  erst  recht  hervortritt,  siegreich,  anbetungs- 
würdig. —  Siehe  Ottilien  an.  Sie  ist  der  Naturnothwendigkeit 
unterworfen;  ihr  Geschick  i-eisst  sie  blind  dahin;  da  sie  von 
Eduard  schon  entfernt  ist.  wird  sie  unwillkürlich  wieder  in 

15  seine  Nähe  gezogen;  und  da  sie  schon  wie  ein  abgeschiedner 
Geist  in  den  Gemächern  des  einst  so  freudenreichen  Hauses 
wandelt,  bewegt  sich  jene  Kraft  noch  sichtbar  in  ihrem 
Innern;  es  ist,  als  ob  dieses  durchsichtig  vor  unsern  Augen 
läge. 

20  Aber  wie  gross  und  frei  erhebt  sie  sich  über  diese  Noth- 
wendigkeit  in  ihrem  festen  Anhalten  an  die  heiligen  Ge- 
danken, die  ihr  selbstgeschafCenes  Gesetz  und  ihr  höheres 
Leben  sind.  Ergriffen  konnte  sie  werden  von  jener  Noth- 
wendigkeit,  beherrscht  konnte  sie  werden  von  ihr,  sie,  die 

23  sogar  das  dringendste,  furchtbarste  Bedürfniss  der  Speise 
sich  ven\'ehren  kann;  vernichtet  werden  konnte  sie, 
aber  nicht  überwunden.  —  Man  liest  in  den  Leben  der 
Heiligen,  dass  sie  zu  ihrer  Heiligkeit  durch  Busse  gelangten; 
hier  hast  Du  eine  solche  Busse  und  eine  Heilige,   die  sich 

30      kühn  unter  die  Herrlichsten  stellen  kann. 

Dieser  Triumph  des  Menschen  musste,  sollte  anders  das 
Gedicht  zu  unsrer  völligen,  seligen  Befriedigung  sich 
schliessen,  klar  vor  unsre  Seele  gebracht  werden;  das  war 
die  letzte  Aufgabe  des  Meisters,  und  er  hat  sie  herrlich  ge- 

35  löst.  Wir  nennen  diejenigen  Heilige,  die  durch  ihre  Tugend 
die  niedere  Welt  übei*winden,  und  als  Heilige  thut  sich  Ottilie 
uns  kund  in  ihrem  Scheiden,  und  der  Himmel  selbst  verklärt 
sie,  und  umgibt  sie  mit  dem  heiligen  Scheine,  da  sie  wunder- 
thätig  wirkt,  und    den  Sterbliehen  Trost    und  Genesung    in 

40  ihrer  Nähe  zu  Theil  wird.  —  Engel  umgeben  sie.  wie  sie  in 
ihrem   Sarge,  mit  Blumen  geschmückt,  daliegt,  imd  lächeln 


446  DIB  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1810 


][Zwisclien  Januar  24  und  Miirz  23,  Weimar  und  Jena.]  [8G9J 


ihr  freundlich  zu;  das  wunderbar    genesene  Kind    kniet    zu 
ihren  Füssen;  und  zur  Seite  der  VerJvlärteu,  in  der  heiligen 
Capelle,  steht  der  liebenswürdige  Freund  und  weint  über  ihr, 
und  mit  ihm  weinen  die  Edeln  der  ganzen  Erde,   trauernd    5 
über  das  verlorene  Kleinod. 

9. 

Wirf  nun  noch  einen  Blick  auf  den  .W  e  r  t  h  e  r',  der  mit 
dem  vor  uns  liegenden  Gedichte  in  mehr  als  einer  Hinsicht 
verwandt  ist,  des  Meisters  frühestes  Werk,  das  ihn  schon  lo 
ankündigt  in  seiner  Kraft;  und  erfreue  Dich  mit  mir  an  der 
Betrachtung,  zu  welcher  Höhe  die  Kunst  steigen  kann,  wenn 
der  Künstler  sich,  seiner  Kraft  vertrauend,  muthig  ein  fernes 
Ziel  steckt,  nach  dem  er  unablässig  wandelt,  und  wenn  ihm 
die  belebende  Wärn:ie  der  Seele  zu  Theil  geworden  ist,  die  i5 
auch  auf  dem  weitesten  Wege  nicht  erkaltet. 

Und  lass  mich  noch  Eines  hinzusetzen,  um  desswillen  mir 
eben  in  dieser  Zeit  dieses  Buch  eine  herrliche  Erscheinung 
ist.  Vielleicht  spricht  ein  individuelles  Gefühl  aus  mir.  Viel- 
leicht dass  mehrere  hierüber  gleiche  Gedanken  und  Empfin-  20 
düngen  mit  mir  hegen.  —  Die  grossen  politischen  Begeben- 
heiten des  Tages  ziehen  alle  unsre  Aufmerksamkeit  auf  sich, 
und  wir  vergessen  daräber.  dass  wir  noch  in  einer  andern 
Hinsicht  in  einer  bedenklichen  Zelt  leben.  —  V\^as  hat  die 
neuere  Naturlehre,  obgleich  sie  erst  ihre  grossen  Ent-  25 
Deckungen  verbreitet,  nicht  für  Wunder  an's  Licht  gebracht? 
und  wen  hat  wohl  nicht,  vorübergehend  oder  dauernder,  ein 
Schauer  erfasst,  wenn  er  von  den  Organen  des  Gehirns,  von 
den  magnetischen  Curen,  von  der  Gewalt,  die  ein  mensch- 
licher Körper  gegen  den  andern  übt,  gehört  hat?  —  Ist  nicht  30 
wohl  manchem  das  alte  Gespenst  des  Materialismus  wieder 
erschienen?  —  Da  ist  es  gut,  wenn  der  Mensch  überzeugend 
auf  eine  Kraft  in  seinem  Innern  aufmei'ksam  gemacht  wird, 
die  über  die  Natur  erhaben  ist,  die  ihn  zum  Herrn  der  Welt 
macht.  Der  Philosoph  wirkt  mit  seiner  Wissenschaft  nur  35 
auf  einen  engen  Kreis;  aber  des  Dichters  Wort  verbreitet 
sich  weit  und  dringt  gewaltig  in  die  Seele  jedes  Menschen, 
dem  Sinn  und  Gefühl  verliehen  sind.  —  Und  siehe,  hier  zeigt 
uns  der  Dichter  in  Charlotten,  wie  Mass  und  ruhige  Ver- 
nunft eine  Stimmung  der  Seele  erzeugen,  an  der  die  Gewalt  40 


1810  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  447 

] [Zwischen  Januar  21  und  März  23,  Weimar  und  Jena.]  [869] 

der  Natur  sich  bricht;  und  ist  diese  heftiger  und  lebendiger 
im  Menschen  —  wirf  einen  Bliclc  auf  Ottilien.  Es  gibt  eine 
Kraft  in  der  menschlichen  Seele,  die  nicht  zu  berechnen  ist, 
5  die  auch  das  Ungeheuerste  überwindet.  Ottilie  erfreuet  uns 
und  trJistet  uns,  wenn  wir  uns  vei'suclit  fühlen,  auf  Eduard 
zu  zürnen,  der,  besonders  in  den  letzten  Scenen,  in  der  That 
nur  ihre  Folie  ist  und  nur  durch  einzelne  liebenswürdige 
Eigenschaften  und  durch  den  Muth,   mit  dem  er  Gefahren 

10  entgegengeht,  unser  Interesse  gewinnt.  Wir  freuen  uns,  dass 
er  im  Tode  in  der  Nähe  der  Geliebten  ruht;  die  heilige  Ottilie 
wird  alsbald  für  ihn  bitten  können  am  Throne  des  Richters. 
—  um  so  natürlicher  liommt  mir  dieser  Gedanke,  da  in  dem 
Buche  so  viele  Winke  vorkommen,    die    auf    ein  künftiges 

15  Leben  deuten.  Wird  dort  das  Heilige,  das  Ottilie  mit  hinüber 
nimmt.  Gesetz  und  Element  sein?  —  Doch  sei  dem,  wie  ilim 
wolle;  die  höchste  der  Aufgaben  ist  mir  in  dem  Buche  auch 
für  diese  Welt  befriedigend  gelöst.  —  Und  Ottilie  selbst 
weiset  mit  itiren  letzten  Worten  in  das  Leben  zurück;  und  da 

20  AA'ir  ihre  Hülle  in  der  heiligen  Capelle  liegen  sehen,  und  uns 
verlangt,  dem  verklärten  Geiste  in  jene  Regionen  zu  folgen, 
da  erinneii;  uns  der  liebenswürdige  Künstler,  der  an  ihrem 
Sarge  steht,  wie  viel  Edles  und  Schönes  auf  Erden  wohnt, 
und  dass  in  des  Menschen  Seele  eine  Kraft  lebt,  die  einen 

25  Himmel  auf  der  Erde  zu  schaffen  vermag"  (Morgenblatt  4, 
73  f.  78.  83  f.,  1810  Januar  22.  23.  24). 

Die  in  den  , Fragmenten'  angeführten  Stellen  (Abeken  citirt 
offenbar  aus  dem  Gedächtniss)  sind  in  ihrer  Ungenauigkeit 
belassen  worden,   um   so  mehr,  als  diess  auch  in   dem   von 

30  Riemer  für  Goethe  besorgten  Sonderabdruck  gescliehen  ist. 
Dieser  Abdruck  (vier  Seiten  im  Quartformat  des  , Morgen- 
blattes') stimmt  genau  mit  seiner  Vorlage  überein,  doch  ist 
die  Bezeichnung  „Fragmente  aus  einem  Briefe"  weggelassen; 
auch  fehlt  .jede  Angabe  über  Ort  und  Zeit  des  Erscheinens. 

35  Am  28.  Janiiar  1810  vermerkt  Riemer  in  seinem  Tagebuche: 
,, Mittags  Frommann  zu  Tisch,  der  allerlei  Deraisonnements 
von  Philistern  über  die  , Wahlverwandtschaften'  erzählte: 
Unter  anderen  hat  sich  auch  ein  Philister  über  die  ,Wahlver- 
wandtschaften'    gewundert;    er   Ivönne   nicht   begreifen,    wie 

40  Goethe  zwei  Bände  über  diese  chemische  Sache  schreiben 
möge,  da  er  ja  nichts,  als  das  Bekannte,  was  in  einem  Capitel 
der  Chemie  vorkäme,  abhandle"  (Deutsche  Revue  12  (3).  57). 


448  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1810 

Februar  5,  Weimar.  869a 

[^lieber   die  ,  Wahlverwandt  Schäften'  nur   diess:    der 
Dichter  war  bei  der  Entwickeluno;  dieser  herben  Ge- 


^  Die  nachfolgende  Aeusserung  ist  in  Goethes  Brief  an  Bet- 
tina vom  5.  Februar  1810  nicht  enthalten  und  müsste  dem-    5 
nach  als  freie  Erdichtung  Bettinas  betrachtet  werden.  Wenn 
sie  trotzdem  hier  im  Text  aufgenommen  wui'de,  so  geschah 
es,  weil  man  für  möglich,  ja,  bei  eindringender  Betrachtung, 
für  wahrscheinlich  halten  muss,  dass  Bettina  in  diesem  Falle 
ihr  gegenüber  gethane,  gesprächsweise  Aeusserungen  Goethes  lo 
benutzt  und,  wenn  schon  nach  ihrer  Art  geschmückt,  über- 
liefert habe.     Während  des  Badeaufenthaltes  in  Teplitz  1810 
sah  Goethe  Bettinen,  die,  mit  ihren  Freunden  Savignj-s,  am 
9.,  10.,  11.  August  in  Teplitz  verweilte  und  am  Morgen  des  12. 
weiterreiste.    Goethes  Tagebuch  4,  146,  18.  27    vormerkt    am  15 
11.   August:   „[Früh]    Mit  Bettinen   im   Park   spazieren.  .  .  . 
[Abends]   Savignys.  Bettine.  Zelter.  .  .  ."  Es  wäre  unnatür- 
lich anzunehmen,  dass  bei  dieser  Gelegenheit  nicht  von  den 
, Wahlverwandtschaften'  gesprochen  worden  wäre,  die  gerade 
damals  alle  Gemüther  beschäftigten.  Ueberdiess  wird  es  uns  20 
aber    bezeugt    durch    Riemers    Tagebuch    vom    11.    August: 
„Abends  bei  Goethe  mit  Zelter,  war  Bettine  auch  da  .  .  . 

Tieck    habe    die    »Wahlverwandtschaften'    „Qualverwandt- 
schaften" genannt"  (Deutsche  Revue  12  (4),  41). 

Bettina  hatte  sich  in  den  letzten  Monaten  des  Jahres  1800  25 
wiederholt  gegen  Goethe  in  Briefen  über  die  ,Wahlvel'^vandt- 
schaften'  ausgesprochen;  so  zunächst  am  9.   November,  un-  - 
mittelbar  nach  dem  ersten  Lesen: 

„Wenn  Dein  Genius  eine  Sturmwolke  an  dem  hohen  blauen 
Himmel  hinträgt  und  sie  endlich  von  den  breiten,  mächtigen  30 
Schwingen  niederschmettern  lässt  in  die  volle  Blüthe  der 
Rosenzeit,  das  erregt  nicht  allgemeines  Mitleid;  mancher 
geniesst  den  Zauber  der  Verwirrung,  mancher  löst  sein 
eignes  Begehren  drinn  auf;  ein  dritter  (mit  diesem  ich)  senkt 
sich  neben  die  Rose  hin,  so  wie  sie  vom  Sturm  gebrochen  35 
ist,  und  erblasst  mit  ihr  und  stirbt  mit  ihr,  und  wenn  er 
dann  wieder  auflebt,  so  ist  er  neu  geboren  in  schönerer  Ju- 
gend. —  Durch  Deinen  Genius,  Goethe.  Diess  sag'  ich  Dir 
von  dem  Eindruck  jenes  Buchs:  ,die  Wahlverwandtschaften'. 

Eine  helle  Mondnacht  hab'  ich  durchwacht,  um  Dein  Buch  40 
zu  lesen,  das  mir  erst  vor  wenig  Tagen  in  die  Hände  kam. 


1810  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  449 

[Februar  5,  Weimar.]  [86  9a] 

schicke  tief  bewegt,  er  hat  sein  Theil  Schmerzen  ge- 
tragen, schmäle  daher  nicht  mit  ihm,  dass  er  auch  die 
Freunde  zur  Theilnahme  auffordert.  Da  nun  so  manches 


5  Du  kannst  Dir  denken,  dass  in  dieser  Nacht  eine  ganze  Welt 
sich  durch  meine  Seele  drängte.  Ich  fühle,  dass  man  nur 
bei  Dir  Balsam  für  die  Wunde  holen  kann,  die  Du  schlägst; 
denn  als  am  andern  Morgen  Dein  Brief  kam  mit  allen  Zeichen 
Deiner  Güte,  da  wusste  ich  ja,  dass  Du  lebst,  und  auch  für 

10  mich;  ich  fühlte,  dass  mir  der  Sinn  mehr  geläutert  war, 
mich  Deiner  Liebe  zu  würdigen.  Diess  Buch  ist  ein  sturm- 
erregtes Meer,  da  die  Wellen  drohend  an  mein  Herz  schlagen, 
mich  zu  zermalmen.  Dein  Brief  ist  das  liebliche  Ufer,  wo  ich 
lande,  und  alle  Gefahr  mit  Ruhe,  ja  sogar  mit  Wohlbehagen 

15      übersehe. 

Du  bist  in  sie  verliebt,  Goethe,  es  hat  mir  schon  lange 
geahnt,  jene  Venus  ist  dem  brausenden  Meer  Deiner  Leiden- 
schaft entstiegen,  und  nachdem  sie  eine  Saat  von  Thränen- 
perlen   ausgesäet,    da   verschwindet   sie    wieder   in   überirdi- 

20  schem  Glanz.  Du  bist  gewaltig,  Du  willst,  die  ganze  Welt 
soll  mit  Dir  trauern,  und  sie  gehorcht  weinend  Deinem  Wink. 
Aber  ich,  Goethe,  hab'  auch  ein  Gelübde  gethan;  Du  scheinst 
mich  frei  zu  geben  in  Deinem  Verdruss,  ,,Lauf  hin",  sagst 
Du  zu  mir,  „und  such  Dir  Blumen",  und  dann  verschliesst 

25  Du  Dich  in  die  innerste  Wehmuth  Deiner  Empfindung;  ja, 
das  will  ich,  Goethe!  —  Das  ist  mein  Gelübde,  ich  will 
Blumen  suchen,  heitere  Gewinde  sollen  Deine  Pforte 
schmücken,  und  wenn  Dein  Fuss  strauchelt,  so  sind  es 
Kränze,  die  ich  Dir  auf  die  Schwelle  gelegt,  und  wenn  Du 

30  träumst,  so  ist  es  der  Balsam  magischer  Blüthen,  der  Dich 
betäubt;  Blumen  einer  fernen  fremden  Welt,  wo  ich  nicht 
fremd  bin  wie  hier,  in  dem  Buch,  wo  ein  gieriger  Tiger  das 
feine  Gebild  geistiger  Liebe  verschlingt;  ich  verstehe  es  nicht, 
dieses  grausame  Räthsel,  ich  begreife  nicht,  warum  sie  alle 

35  sich  unglücklich  machen,  warum  sie  alle  einem  tückischen 
Dämon  mit  stachelichem  Scepter  dienen;  und  Charlotte,  die 
ihm  täglich,  ja  stündlich  Weihrauch  streut,  die  mit  mathe- 
matischer Consequenz  das  Unglück  für  alle  vorbereitet.  Ist 
die  Liebe  nicht  frei?  —  sind  jene  beiden  nicht  verwandt?  — 

40      warum   will   sie  es  ihnen  wehren,   diess   unschuldige  Leben 
Graf,  Goethe  über  seine  Dichtungen  T.  I.  29 


450  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1810 

[Februar  5,  Weimar.]  [869a] 

Traurige  unbeklagt  den  Tod  der  Vergangenheit  stirbt, 
so  hat  sich  der  Dichter  hier  die  Aufgabe  gemacht,  in 


mit-  und  neben  einander?  Zwillinge    sind    sie;    in  einander 
verscliränkt  reifen   sie   der  Geburt   in's  Licht   entgegen,    und    5 
sie  "Will  diese  Keime  trennen,  weil  sie  nicht  glauben  kann  an 
eine  Unschuld;   das  ungeheure   Vorurtheil   der   Sünde   impft 
sie  der  Unschuld  ein,  o,  welche  unselige  Vorsicht'. 

Weisst  Du  was?  keiner    ist  vertraut    mit    der  idealischen 
Liebe,  jeder  glaubt  an  die  gemeine,  und  so  pflegt,    so  gönnt  lo 
man  kein  Glück,  das  aus  jener  höheren  entspringt,  oder  durch 
sie  zum  Ziel  geführt  könnte  werden.  .  .  . 

.  .  .  einen  Architekten  lernte  ich  früher  schon  kennen,  der 
in  Deinen  , Wahlverwandtschaften'  unverkennbar  erscheint; 
er  verdient  es  durch  frühere  enthusiastische  Liebe  zu  Dir".  15 

Sodann  heisst  es  in  einem  Briefe  vom  28. — 30.  November: 
„Ach,  wie  konnte  doch  Ottilie  frülier  sterben  wollen?  —  O  ich 
frage  Dichf  ist  es  nicht  auch  Busse.  Glück  zu  tragen,  Glück 
zu  geniessen?  —  O  Goethe,  konntest  Du  keinen  erschaffen, 
der  sie  gerettet  hätte?  —  Du  bist  herrlich,  aber  grausam,  dass  20 
Du  diess  Leben  sich  selbst  vernichten  lässt;  nachdem  nun 
einmal  das  Unglück  herein  gebrochen  war.  da  musstest  Du 
decken,  wie  die  Erde  deckt,  und  wie  sie  neu  über  den  Grä- 
bern erblüht,  so  mussten  höhere  Gefühle  und  Gesinnungen 
aus  dem  Erlebten  erblühen,  und  nicht  durfte  der  imreife  25 
jünglinghafte  Mann  so  entwurzelt  weggeschleudert  werden; 
und  was  hilft  mich  aller  Geist  und  alles  Gefühl  in  Ottiliens 
Tagebuch?  nicht  kindlich  ist's,  dass  sie  den  Geliebten  ver- 
lässt  und  nicht  von  Ihm  die  Entfaltung  ihres  Geschicks  er- 
wartet; nicht  weiblich  ist's,  dass  sie  nicht  bloss  sein  Ge-  so 
schick  berathet,  und  nicht  mütterlich,  da  sie  ahnen  muss  die 
jungen  Keime  alle,  deren  Wurzeln  mit  den  ihrigen  verwebt 
sind,  dass  sie  ihrer  nicht  achtet  und  alles  mit  sich  zu  Grunde 
richtet. 

Es  gibt  eine  Grenze  zwischen  einem  Reich,  was  aus  der  3.1 
Noth wendigkeit  entsteht,  und  jenem  höhereu.  was  der  freie 
Geist  anbaut;  in  die  Nothwendigkeit  sind  wir  geboren,  wir 
finden  uns  zuerst  in  ihr,  aber  zu  jenem  freien  werden  wir 
erhoben.  W^ie  die  Flügel  den  Vogel  in  die  Lüfte  tragen,  der 
unbefiodert  vorher  in's  Nest  gebannt  war,  so  trägt  jener  Geist  40 


1810  DIE   WAHLVERWANDTSCHAFTEX.  451 

[Februar  5,  Weimar.]  [86  9a] 

diesem  einen  erfundnen  Geschick,  wie  in  einer  Grabes- 
urne, die  Tliränen  für  manclies  Versäumte  zu  sammeln. 


unser  Glück  stolz  und  unabhängig  in  die  Freiheit;  hart  an 
diese  Grenze  führst  Du  Deine  Lieben,  liein  Wunder!  wir  alle, 
die  Avir  denken  und  lieben,  harren  an  dieser  Grenze  unserer 
Erlösung;  ja  die  ganze  Welt  kommt  mir  vor  wie  am  Strand 
versammelt  und  einer  Ueberfahrt  haiTend.  durch  alle  Yor- 
urtheile,  böse  Begierden  und  Laster  hindurch  zum  Land,  da 
einer  himmlischen  Freiheit  gepflegt  werde.  Wir  thun  un- 
recht, zu  glauben,  dazu  müsse  der  Leib  abgelegt  werden,  um 
in  den  Himmel  zu  kommen.  Wahrhaftig!  wie  die  ganze  Natur 
von  Ewigkeit  zu  Ewigkeit  sich  vorbereitet,  ebenso  bereitet 
sich  der  Himmel  vor,  in  sich  selbsten,  in  der  Erkenntniss 
eines  keimenden  geistigen  Lebens,  dem  man  alle  seine  Kräfte 
widmet,  bis  es  sich  von  selbst  in  die  Freiheit  gebäre;  diess 
ist  unsre  Aufgabe,  unsre  geistige  Organisation,  es  kommt 
drauf  an.  dass  sie  sich  belebe,  dass  der  Geist  Natur  werde, 
damit  dann  wieder  ein  Geist,  ein  weissagender,  sich  aus 
dieser  entfalte.  Der  Dichter  (Du  Goethe)  muss  zuerst  diess 
neue  Leben  entfalten,  er  hebt  die  Schwingen  und  schwebt 
über  den  Sehnenden  und  lockt  sie  und  zeigt  ihnen,  wie  man 
über  dem  Boden  der  Yorurtheile  sich  erhalten  könne;  aber 
ach!  Deine  Muse  ist  eine  Sappho;  statt  dem  Genius  zu  folgen, 
hat  sie  sich  hinabgestürzt. 

Ach  schreibe  mir  bald,  ich  bin  unruhig  über  alles,  was  ich 
gewagt  habe  in  diesem  Brief.  .  .  ich  könnte  zwar  zurück- 
halten, was  ich  Dir  über  die  .Wahlverwandtschaften'  .sagte, 
aber  war*  es  recht,  dem  Freund  zu  verschweigen,  w  a  s  i  m 
Labyrinth  der  Brust  wandelt  in  der  Nacht?" 

L'nd  endlich  am  13.  December  1809  hatte  Bettina  ge- 
schrieben: ,, Beiliegende  Zeichnung  ist  das  Portrait  von 
Tiedemann.  eines  hiesigen  Professors  der  Medicin.  er  inte- 
ressirt  sich  so  sehr  für  die  Fische,  dass  er  ein  schönes  Werk 
über  die  Fischherzen  schrieb.  .  .  da  Du  nun  in  Deinen 
,"^'ahlverwandtschaften'  gezeigt,  dass  Du  Herz  und  Nieren 
genau  prüfst,  so  werden  Dir  Fischherzen  auch  interessant 
sein,  und  vielleicht  entdeckst  Du.  dass  Deine  Charlotte  das 
Herz  eines  Weissfisches  hat;  .  .  . 


452  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1810 

[Februar  5,  Weimar.]  [869a] 

Deine  tiefen,  aus  dem  Geist  und  der  Wahrheit  entsprin- 
genden Ansichten  gehören  jedoch  zu  den  schönsten 
Opfern,  die  mich  erfreuen,  aber  niemals  stören  können; 
ich  bitte  daher  recht  sehr,  mit  gewissenhafter  Treue  5 
dergleichen  dem  Papier  zu  vertrauen,  und  nicht  allen- 
falls in  Wind  zu  schlagen,  wie  bei  Deinem  geistigen 
Conuners  und  Ueberfluss  an  Gedanken  leichtlich  zu  be- 
fahen  ist.] 

An  Bettina  Brentano.  —  G. -Bettina  2,  155  f.  lo 

Februar  21,  Weimar.  870 

Da  Sie  mir  meine  liebe  Ottilie  so  echt,  gut  und  freund- 
lich nehmen  und  auch  dem  Eduard  Gerechtigkeit  wider- 
fahren lassen,  der  mir  wenigstens  ganz  unschätzbar 
scheint,  weil  er  unbedingt  liebt^,  so  gewinnen  Sie  gewiss  15 
diesem  zweiten  Theile  des  Farbenwesens  so  viel  ab,  dass 
er  dem  ersten,  der  Ihre  Gunst  erwerben  konnte,  die 
Wage  hält^. 

An  K.  F.  V.  Reinhard.  —  Br.  21,  196,  2—8. 

März  27,  Jena.  871  20 

Am  27.  März  bei  Goethe,  ...  Er  dankte  mir  [Abe- 
ken]    für    meine  Theilnahme    an    den  ,Wahlverwandt- 


.  .  .  O  wie  ist  das  traurig,  Sklave  der  Vortrefflichkeit  zu 
sein:  da  bringt  man  es  nicht  weiter,  wie  Charlotte  es  ge- 
bracht hat,  man  ketzert  sich  und  andre  mit  der  Tugend  ab.  25 
Verzeih  nur,  dass  ich  immer  wieder  von  Deinem  Buch  an- 
fange; ich  sollte  lieber  schweigen,  da  ich  nicht  Geist  genug 
habe  es  ganz  zu  fassen"  (G.-Bettina  2,  134—137.  141.  143— 
145.  147.  150  f.). 

Diese  Worte  sind  veranlasst  durch  die,  in  Reinhards  Urtheil  30 
über  den  Roman  enthaltene,  Bemerkung:  man  habe  kaum 
das  Recht,  Eduard  einen  .Ȋrmlichen"  Charakter  zu  nennen 
(s.  430,  25  f.),  und  stehen  keineswegs  in  Widerspruch  zu  der 
missfälligen  Aeusserung,  die  Goethe  über  Eduard  später 
gegen  Eckermann  gethan  hat  (s.  480,  4);  vgl.  Düntzers  Er-  35 
läuterungen  5,  70. 

Goethe     übersandte     dreissig     Aushängebogen     seiner     , Ge- 
schichte der  Farbenlehre'. 


1810  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEX.  453 


[März  27,  Jena.]  [871] 

Schäften-,  und  sprach  über  das  Buch.  Hätte  ich  nur 
alles  behalten!  Doch  schien  er  sich,  in  Hinsicht  auf  meine 
jFragmente"  besonders  darüber  zu  freuen,  dass  ich  das 
Buch  als  ein  für  sich  bestehendes,  mit  eigenem  Leben 
begabtes  Ganzes  angesehen.  „Ein  solches  Werk'"',  sagte 
er  ungefähr,  „wächst  einem  unter  den  Händen  und  legt 
einem  die  Xothwendigkeit  auf,  alle  Kraft  aufzubieten, 
um  seiner  ]\Ieister  zu  bleiben  und  es  zu  vollenden;  wo 
denn  die  Scheere  nicht  gespart,  werden  darf.'"'  —  Die 
Leser  seien  ihm  die  liebsten,  die  sich  ganz  und  gar  in 
einem  Buche  verlieren  könnten.  Sonst  sprach  er  von 
dem  Werke  mit  einer  Bescheidenheit,  die  mir  wunderbar 
schien;  als  wenn  es  nur  für  seine  Zeit  etwas  sein  sollte. - 
Mit  Abeken.  —  Abeken  S.  57  f. 


^  s.  43S,  31—447,  25. 

-  AVas  Abeken  über  Wielaud  berichtet,  verdient  um  so  mehr 
hier  eingeschaltet  zu  werden,  als  es  Schlüsse  erlaubt  auf 
den  Inhalt  jenes  Gesprächs,  das  Goethe  am   21.   November 

20      1809  mit  Wieland  hatte  (vgl.  Nr.  856).  Abeken  erzifhlt: 

„Von  Wieland,  dem  das  Buch  ziemlich  exceutrisch  und 
von  dem  Mass,  das  er  sich  gebildet  und  angeeignet,  abwei- 
chend erscheinen  mochte,  wurden  meine  .Fragmente'  nicht 
so  gut  aufgenommen.   Ich  musste  einen  schalkhaften  Tadel 

25  von  ihm  hinnehmen,  als  ich  (am  10.  April  [1810])  mit  Gries- 
bachs.  .  .  Mittags  bei  ihm  speisete.  Uebrigens  war  er  nicht 
so  ungerecht,  dass  er  das  Kind  mit  dem  Bade  liätte  ver- 
schütten sollen.  Einzelnes  entzückte  ihn.  so  das  von  Eduard 
über  Ottilie  am  ersten  Morgen  nach  ihrer  Ankunft  auf  seinem 

30  Schlosse  ausgesprochene  Wort:  ,.,Sie  ist  ein  angenehmes 
unterhaltendes  Mädchen,'"  worauf  Charlotte  antwortet: 
„.Unterhaltend?  sie  hat  ja  noch  nicht  den  Mund  aufgetlian'" 
[Theil  1  Capitel  G,  zu  Anfang.  W.  20,  65.  19—22].  ...Für 
dieses  eine  Wort,   sagte  Wieland,   würde  ich.   wenn   ich   der 

35  Herzog  wäre.  Goethen  ein  Rittergut  schenken.'"  Sollte  wohl 
Wieland  in  seiner  Bewunderung  das  volle  Gewicht,  das 
Goethe  in  diese  Worte  gelegt,  erkannt  haben?  Wie  sehr 
Wieland  auch  das  Mass  ehrte  und  beachtete  —  wo  er  auf 


454  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEX.  1810 

April  27,  Jena.  872 

Die  beiden  Contradrucke  folgen  auch.  Das  gute 
Kind^  kann  wohl  was  und  könnte  noch  mehr  lernen, 
aber  das  schlimmste  ist,  sie  denkt  falsch  wie  die  sämmt- 
liche  Theecompanie  ihrer  Zeitgenossinnen:  denn  in  5 
unsrer  Sprache  zu  reden,  so  hole  der  Teufel  das  junge 
künstlerische  Mädchen,  das  mir  die  heilige  Ottilie 
schwanger  auf's  Paradebett  legt.  Sie  wissen  besser 
als  ich,  was  ich  sage.  Jene  können  nicht  vom  Ge- 
meinen und  Xiederträchtigen,  von  der  Amme,  von  der  lo 
Madonna  loskommen  und  dahin  zerren  sie  alles,  wenn 
man  sie  auch  gelinde  davon  zu  entfernen  wünscht.  Das 
todte,  wirklich  todte  Kind  gen  Himmel  zu  heben,  das 
war  der  Augenblick,  der  gefasst  werden  musste,  wenn 
man  überhaupt  solches  Zeug  zeichnen  will.  So  wie  15 
im  andern  Falle  in  der  Capelle  für  malerische  Dar- 
stellung nichts  gelten  kann,  als  das  Herantreten  des 
Architekten.  Aber  wo  sollte  das  Yölklein,  bei  allem 
freundlichen  Antheil,  hernehmen,  worauf  es  ankommt. 
An   H.   Meyer.  —  Br.   21,   249,   24—250,   16.  20 

April  27,  Jena.  873 

Nach  Tische  .  .  [Brief]  An  Hofrath  Meyer,  die 
Zeichnungen  der  Demoiselle  Eeinhard  zurückgeschickt 
[s.  Xr.  872]. 

Tgb.  4,  113,  7—9.  25 

Mai  15.  Jena.  874 

-Ich  hoffe,  dass  Sie  die  Gegenwart  des  sorgfältigen 

Architekten  beim  Einpacken  Ihrer  unschätzbaren  Zeich- 

elwas  iluii  besonders  Zusagendes  und  Schönes  sliess,  konnte 
er  im  Lob  übersehwänglicli  sein"  (Abeken  S.  .58).  30 

^  s.  Z.  23. 

^  Boisserge    hatte    am    8.    Mai    „sechs    Zeichnungen    von    der 
Domkirche  zu  Köln"  an  Goethe  geschickt  und  diese  Sendung 
mit    einem    längeren    Schreiben    begleitet,    in    dessen    Nach- 
schrift   es,    mit   Bezug    auf   die   Rücksendung   der   Blätter,  35 
heisst:     ,,  .  .   wenn    ich    mich    an    den  Architekten   in   den 


10 


1810  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  455 

[Mai  15,  Jena.]  [874] 

nungen  niclit  vermissen  werden.  Das  Zutrauen,  uns 
so  köstliche  und  mehrjährige  Arbeiten  zu  überscliieken, 
liat  bei'm  Vorzeigen  sowohl,  als  sonst,  unsere  gewöhn- 
liche Sorgfalt  noch  erhöht.^ 

An  v«!ulpiz  Boisseree.  —  Br.  21.  301.  lö— 18. 

November  18,  Weimar.  875 

Habe  ich  Ihnen  nicht  zwei  Exemplare  meiner  Werke 

zugeschickt,    eins    auf  Yelin,    das    andre    auf    ordinär 

Papier?  .  .  .     Schreiben  Sie  mir,    so    scliicke  ich  den 

dreizehnten  Theil,  welcher  die  ,Wahlverwandtschaft€n' 

enthält^. 

An  Zelter.  —  Br.  21.  419,   1—3.   5  f. 


.Wahlverwandtschaften'  erinnere,   werden  Sie  es  nicht  übel 

15      nehmen,   wenn  ich   Sie   um   besondern   Auftrag  für   sorgfäl- 
tiges Einpacken  bitte:  .  ."  (Boisseree  2,  1.  6.) 
^  Goethe,   dem   gegenüber  Boisseröes   Bitte   kaum   nöthig   ge- 
wesen wäre,  der  sie  aber  voll  zu  würdigen  wusste,  lässt  den 
Architekten     sagen     (und     wir     hören     dabei     des     Dichters 

20  eigenste  Meinung  i:  ..Wenn  Sie  wüssten,  .  .  wie  roh  selbst 
gebildete  Menschen  sich  gegen  die  schätzbarsten  Kunstwerke 
verhalten.  Sie  würden  mir  verzeihen,  wenn  ich  die  meinigen 
nicht  unter  die  Menge  bringen  mag.  .  .  .  Ohne  daran  zu 
denken,   dass   man   ein  grosses   Blatt  mit  zwei   Händen  an- 

25  fassen  müsse,  greifen  sie  mit  Einer  Hand  nach  einem  un- 
schätzbaren Kupferstich,  einer  unersetzlichen  Zeichnung, 
wie  ein  anraasslicher  Politiker  eine  Zeitung  fasst  und  durch 
das  Zerknittern  des  Papiers  schon  im  voraus  sein  Urtheil 
über    die  Weltbegebenheiten    zu    erkennen   gibt.     Niemand 

30      denkt  daran,  dass  wenn  nur  zwanzig  Menschen  mit  einem 
Kunstwerke  hinter  einander  eben  so  verführen,  der  einund- 
zwanzigste nicht  mehr  viel  daran  zu  sehen  hätte"   (Theil  2 
Capitel  fi.  W.  20.  268.  7—10.  15—251. 
'  Vgl.  362,  7  f.  Zelter  erzählt  mit  Humor,  in  seiner  Antwort 

35  vom  16.  Febi-uar  1811.  auf  welche  Weise  ihm  beide  Exem- 
plare der  Werke  Cotta^  abhanden  gekommen  seien  (G.- 
Zelter 1,  425  f.). 


456  DIE    WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1810 

November  25,  Jena\  875a 

Quant  ä  l'objet  qui  me  procure  Fhonneur  de  Vous 
ecrire-,  j'ai  celui  de  Vous  marquer  que  Monsieur  Cotta 
libraire  ä  Stuttgart  et  ä  Tubingue,  Eoyaume  de  ^Vurtem- 
berg,  et  de  Societe  pour  plusieurs  ouvrages  importants,  5 
avec  les  libraires  de  Paris  et  de  Strasbourg,  est  celui 
qui  pour  le  moment  s'est  charge  de  l'impression  et  de 
la  vente  de  mes  oeuvres  poetiques,  litteraires,  ou  qui 
ont  les  Sciences  et  les  Arts  pour  objet. 

C'est  en  son  nom  et  au  mien  que  j'invoque  avec  recon-  10 
naissance  l'effet  de  la  faveur  accordee  aux  auteurs  par 
le  quarantieme  Articie  du  Decret  concernant  les  libraires 
et  les  ecrivains  etrangers,  et  je  supplie  Yotre  Escellence 
de  vouloir  bien  user  de  l'autorite  de  sa  Place  pour  faire 
surveüler  nos  interets  avec  la  meme  bonte  qui  l'a  15 
engagee  ä  nous  y  rendre  attentifs. 

Si  jamais  Je  contracte  quelque  engagement  dans 
l'etendue  de  l'enipire  Franeois,  soit  avec  Monsieur 
Fabricius  de  Cologne  avec  lequel  je  nai  eu  jusqu'  ä 
present  aucune  relation,  soit  avec  quelque  autre  libraire,  20 
j'aurai  soin  de  munir  mes  arrangemens  de  clauses  pro- 
pres ä  les  faire  legitimer  sous  Yotre  supreme  Direction, 
et  j'ose  esperer  que  Yous  voudrez  bien  nie  permettre  d'en 
faire  ä  Yotre  Excellence  un  hommage  que  la  crainte 
d'importuner  m'a  interdit  jusqu'  ä  present.  25 

An  J.  M.  von  Portalis.  —  Br.  21,  424,  20—425,  20. 

December  7,  Weimar.  87G 

Nächstens    erhalten    Sie    eine    Abschrift    eines    sehr 
artigen    Elogiums,    das    der    Prince    de    Ligne    meinen 

^  Das  Concept  ist  (wie  jedenfalls  aucli  der  Brief  selbst)  von  30 
Weimar  datiit.  aber  in  Jena  geschrieben. 

'  Der  Anlass  zu  diesem  Sehreiben  an  den  Director  der  kaiser- 
lich  französischen   Druckerei   war  ein,    in   Köln   am   Rhein, 
von  dem  Verleger  Fabricius  (s.  Z.   19»  veranstalteter  Nach- 
druck der  .Wahlverwandtschaften':  vgl.  Nr.  895.  die  sachlich  35 
hierher  gehört. 


1810 


DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  457 


[December  7,  ^^  eimar.] 

^Wahlverwandtschaften'  gegönnt   hat,    von  welchen  die 
französische  Uebersetzung  zu  ihm  gelangt  ist^ 
An  Sara  v.  Grotthus.  -  Br.  21,  436.  14-lS. 

][Dect'iuuer  t.   ueimar.J 

Der  Prinz  de  Ligne  hat  an  den  Herzog  einen  äusserst 
lustigen  Brief  geschrieben.  Ich  lasse  hiebei  die  Stelle 
copiren.  welche  meine  ,Wahlverwandt Schäften'  betrifit. 
Sie  rechnen  mir  diese  kleine  Eitelkeit  nicht  hoch  an: 
,  da  sich  so  viele  Gegner  alle  Mühe  geben,  diess  Werklein 
zu  disereditiren,  so  mag  es  wohl  auch  erlaubt  sein,  unter 
Freunden,  was  Freunde  denken,  mitzutheüen. 

.,Aide  dune  bonne  traduction^,  j'ai  In  avec  admiration 

les',affiiütes  electives':  et  je  plains  les  hommes  begueules, 

5       et  les  femmes  qui  souvent  le  sont  moins,  de  uavoir  pas 

trouve,  au  lieu  d-immoralites  qui  n'existent  pas,  tous  les 

secrets  du  coeur    humain,    le  developpement    de    miUe 

choses  qu'on  n'a  pas  senties,  parcequon  ne  reflechit  pas, 

des  tableaux  du  monde,  de  la  nature.  et  deux  portraits 

,0      piquants  et  neufs,  Lucienne  dans  un  genre  et  Eitler 

dans  un  autre.  Quel  chef  d'oeuvre,  meme  en  francais 

que  les   tablettes   d-Ottilie!    et   que    de   profondeur,    et 

d-attachant,  et  d'imprevu  dans  cet  ouvrage,  ou  ü  y  a  la 

,5    ^^  z'wei'iranlisiche  Uebersetzungen  erschienen  noch  im  Jahre 

1810.  die  eine  (und  diese  scheint,  nach  Z.  14.  der  Pr.nz  gelesen 

u  haben)  unter  dem  Titel:  .Les  afünit.s  elect.ves    vornan  de 

Goethe,    traduit    de    l'allemand     tP^^ /^-^-;-^;  ^'^ 

God:ulh.  Manget  et  Depping].  Paris,  S.  E.  LhmlUer,  1810,  m 

30      drei  Bänden;  zu  Ihr  macht  J.  M.  Qu.rard  (nach  «dessen  .La 

"      Ft^nce  litt.raire'  Paris  1829.  3.  394  der  Titel  h.er  angefuhr 
.vird.    die    Bemerkung:     „Imite    de    l'allemand    pU^ot    que 
rlduit".     Die  andre  Tehersetzung  nennt  sich:  ,Ottüxe    ou  le 
P^voir  de  la  Sympathie.  t..duit  de  rallemand  de   Goe  h  • 

3-,      auteur    de  Wenher.  par  M.  Breton.     Paris,   ^  ettve  Lepet.t, 


1810 .  zwei  Barde. 


458  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEX.  1811 

][Deceinber  7,  Weimar.]  [877] 

plus  grantle  superiorite  sur  ceux  des  autres  nationsl  — 
J'espere  et  Vous  aussi  surement,  Monseigneur,  que  le 
Major  et  Charlotte  se  consolent  un  peu  a  present,  et  que 
s'ils  ont  des  petites  fantaisies  de  part  et  d'autre,  ils  se  5 
les  confient:  ear  e'est  lä  la  seule  maniere  d'etre  heureux 
en  mariage.  ete/*' 

Hierauf  folgen  einige  Honnetetäten  für  des  Autors 
Persönlichkeit,  wie  es  einem  so  gewandten  Welt-  und 
Hofmanne  geziemt.     Treffen  Sie  den  Prinzen  irgendwo.  10 
so  sagen  Sie  ihm  etwas  Freundliches  und  Verbindliches 
in  meinem   Xamen. 

An  Marianne  v.  Ej'benbei-g.  —  Br.  21,  438,  17—  439,  19. 

1811. 

Februar  28,  Weimar.  878 

Was  meine  Werke  betrifft,  sollen  Sie  vor  allen  Dingen  15 
den  dreizehnten  Band  erhalten,  Velin  und  ordinair^. 
An  Zelter.  —  G.-Zelter  1,  429. 

März  29,  Weimar.  879 

Hiebei  folgt,  lieber  Freund,  nach  Ihrem  Verlangen. 
der  dreizehnte  Band  auf  milchweissem  A^elinpapier  und  20 
also  wirklich  möglichst  präsentabeP. 
^    An  Zelter.  —  G.-Zelter  1,  447. 


^  Schon  im  November  des  vorhergehenden  Jahres  Latte  Goethe 
die  neue  Ausgabe  des  Romans  dem  Freunde  versprochen 
(vgl.  Nr.  875).  25 

Zelter  erwiderte  jetzt  zunächst  (in  einem  uudatirten  Briefe): 
..Dass  Sie  mir  Undankbaren  [vgl.  455,  34]  den  dreizehnten 
Band  Ihrer  Werke  senden  wollen,  ist  eine  schöne  Sache; 
denn  er  wandert,  sobald  ich  ihn  habe,  sogleich  dahin,  wo 
die  andern  zwölfe  sind";  ferner  am  21.  Mäi-z:  ..Haben  Sie  30 
denn  noch  den  dreizehnten  Theil  Ihrer  Schriften  auf  Velin- 
papier bei  der  Hand,  so  erfreuen  Sie  mich,  wenn  Sie  ihn 
gleich  einpacken  und  gerade  mit  der  Post  senden.  Schon  liabo 
ich  Meldung  davon  gethan,  man  muss  Eisen  schmieden, 
weil's  warm  ist,  tmd  meine  Sachen  fangen  an  in  Gang  zu  35 
kommen"  (G.-Zelter  1,  487.  446;». 

*  Wegen  Zelters  „Verlangen"  vgl,  Z.  30—33. 

Am  8,  April  schreibt  Zelter:  ,, Tausend  Dank  für  die  herr- 


10 


1812  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEX.  459 

März  30,  Weimar.  S79a 

[Brief]  An  Herrn  Professor  Zelter  nach  Berlin  mit 
dem  dreizehnten  Band  meiner  Werke   [s.  Xr.  879]. 
Tgb.  4,  194,  24  f. 

1812. 

][Mai.  Karlsbad,  oder  November,  Jena?]^  SSO 

Einer  mit  hundert,  ja  tausend  Gläubigen  auf  den  Ot- 
tilienberg  begangenen  Wallfahrt  denk'  ich  noch  immer 
gern.  Hier,  wo  das  Grundgemäuer  eines  römischen 
Castells  noch  übrig,  sollte  sich  in  Euinen  und  Stein- 
ritzen eine  schöne  Grafentochter,  aus  frommer  Xeigung, 
aufgehalten  haben.  Unfern  der  Capelle,  wo  sich  die 
Wanderer  erbauen,  zeigt  man  ihren  Brunnen  und  er- 
zählt gar  manches  Anmuthige-.     Das  Bild,  das  ich  mir 


15  liehe  Sendung.  Der  dreizehnte  Band  Iln-er  Schriften  ist  vor- 
gestern eingegangen  und  sofoit  übergeben.  Er  bat  Gelegen- 
heit gegeben,  dass  ich  den  Roman  wieder  lese  und  mich 
auf's  neue  daran  belehre  und  erbaue*'  (G.-Zelter  1,  447».  — 
Später  in  einem  der.  für  Goethe  bestimmten,  ausführlichen 

20  Reiseberichte  schildert  Zelter  in  seiner  ergötzlichen  Weise, 
wie  er  bei  Gelegenheit  die  ,Wahlverwandtschaften'  gegen 
eine  Gesellschaft  moralisirender  Damen  venheidigt  habe 
(G.-Zelter  3,  44 — 46i.  Da  Goethe  dieser  Schilderung  in  seiner 
Antwort  nicht  gedenkt,   mag  hier  der  Hinweis  genügen. 

25         Ueber  eine  von  Riemer  in  die  zweite  Hälfte  des  Jahres  ISll 

verlegte  Aeusserung  Goethes  s.  431.  10—22. 

'  Wie  Monat.  Tag  und  Ort.  so  ist  auch  das  .Jahr  zweifelhaft. 

*  Diese    „Wallfahrt"    that    Goethe,    einundzwanzigjährig,    als 

Student  von  Strassburg  aus,  wahrscheinlich  im  Juli  1770.  zum 

30  Fest  der  Erhebung  der  Gebeine  der  heiligen  Odilie.  Der 
Odilienberg.  zu  den  nördlichen  Theilen  des  Wasgaugebirgs 
gehörig,  liegt  im  Nieder-Elsass.  etwa  fünf  Stunden  in  süd- 
westlicher Richtung  von  Strassburg.  Eine  Abbildung  des 
Klosters  mit  der  Odilien-Capelle  gibt  Düntzer  in  seiner  Aus- 

35      gäbe  von  .Dichtung  und  Wahrheit'  (WD.  19.  67). 

Nach  der  Sage  gründete  Odilie.  „die  Tochter  des  Herzogs 
Eticho  und  der  Bereswinde.  im  siebenten  oder  achten  .Jahr- 


460  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1812 

][Mai,  Karlsbad,  oder  November,  Jena?]  [880] 

von  ihr  machte,  und  ihr  Name,  prägte  sich  tief  bei  mir 
ein.     Beide  trug  ich  lange  mit  mir  herum,  bis  ich  end- 
lich eine  meiner  zwar  spätem,  aber  darum  nicht  minder 
geliebten  Töchter  damit  ausstattete,  die  von  frommen    6 
und  reinen  Herzen  so  günstig  aufgenommen  wurde. 

Dichtung  und   Wahrheit  Theil   3,   Buch   11.   —  W.   28, 
79,  12-25. 

Juni  8,  Karlsbad.  880a 

[Gegen  Abend]   ,AYahlverwandtschaften'^  lo 

Tgb.  4,  293,  2. 

Juni  10,  Karlsbad.  881 

Vor  E.   Hochw.   möchte  ich  nicht  immer  mit  ganz 
leeren  Händen  erscheinen,  desswegen  wünsche  ich,  dass 
dieselben  die  beikommenden  Hefte  freundlich  aufnehmen  15 
und  zu  meinem  Andenken  verwahren  möchten.^ 
An  Leopold  v.  Lämel.  —  GJ.  11,  90. 

]  [Juni  10?  Karlsbad.]  881a 

Herren  Leopold  Edler  von  Lämel  zu  geneigtem  An- 
denken für  besondere  Gefälligkeiten  dankbar,  der  Ver-  20 

fasser^. 

Widmung  in  ein  Geschenl^exemplar.  —  GJ.  11,  92. 


hundert  das  Kloster  Hohenburg  mit  Kirchen,  Capellen, 
Brunnen,  Kreuzgängen  und  hängenden  Gärten.  In  Stein- 
ritzen [459,  10  f.]  hat  sie  sich  aufgelialten,  da  ihr  Vater,  der  25 
auf  die  Geburt  eines  Sohnes  gezählt,  sie  verfolgte  und  ver- 
jagte, aber  ein  Fels,  auf  dem  sie  betete,  sich  öffnete  und  sie 
aufnahm.  Eine  Viertelstunde  entfernt,  am  Wege  nach 
Niedermünster,  befindet  sich  ihr  Brunnen  [4.59.  12  f.]  die 
Odilien-Quelle,  überdacht  und  mit  Ruhebänken  an  den  3C 
Seiten"  (G.  v.  Loeper,  WH.  22,  279).  Die  wunderthätigen 
Gebeine  der  Heiligen  ruhen,  in  einem  steinernen  Sarge,  in  der 
Odilien-Ca  pelle. 

Dieser  Vermerk  steht  wohl  in  Zusammenhang  mit  Nr.  881. 
'  Vgl.  Nr.  881a,  nebst  der  zugehörigen  Erläuterung.  35 

'  Diese  eigenhändig  geschriebene  Widmung  Goethes  findet  sich 
nach  G.T.   11.  92    in  einem  brochirten  Exemplar    des  ersten 


1813  DIE  WAHLVERAVANDTSCHAFTEX.  4G1 

Juni  IS,  Karlsbad.  881b 

[Abends]   Das  Packet  mit  den  ^Wahlverwandtschaf- 
ten'  an  Lämel  [s.  Xr.  881.  881a]. 
Tgb.  4,  295,  26  f. 

1813. 

] [Februar?  Weimar.]^  882 

Ein  Gespräch  über  Fouques  Werke,  wo  er  einmal 
recht  aus  sich  heraus  ging  .  .  .  dass  er  ihn  eben  nicht 
liebt  und  achtet^  und  dass  er  sich  besonders  „über  die 
vielen  zerknickten,  verbogenen  und  verzogenen  ,Wahl- 
verwandtschaften",  die  immer  als  neue  Ragouts  von  der 
Grundlage  der  seinigen  von  diesen  neueren  Schrift- 
stellern uns  aufgetischt  würden",  ereiferte,  lass  Dir 
[Pauline  Schelling]  nur  ganz  kurz  gesagt  sein  und  entre 
nous,  so  wie  diess  ganze  herrliche  Gespräch  ein  freund- 
liches ,Entre  nous'  war,  das  er  hundertmal  abbrach 
und  doch  immer  wieder  anfing  mit  tausend:  „Sei  still!" 
—  „'s  ist  gut!"  —  „Lass  mir  diess  Fieber,  diese  Eötheln 
der  Zeit  ruhen;  ich  werde  sie  auch  noch  überleben"' 
wieder  unterbrach  —  und  dabei  so  liebenswürdig  war, 
dass  ich  dem  Himmel  für  diese  Stunden  ewig  dankbar 
sein  werde. 

Mit  Luise  Seidler.  —  Gespräche  3,  75^ 


Druckes  der  ,WahlYerwandtscliaften'  (auf  der  Innenseite  des 
25      vorderen  Umschlags);  vgl.  Nr.  881. 

*  Luise  Seidlers  Brief,  dem  das  Folgende  entnommen  ist,  trägt 
das  Datum  4.  März  1813. 

'  Diese  Behauptung  wird,  wo  nicht  völlig  widerlegt,  so  doch 
eingeschränkt   durch   manche   Aeusserungen   Goethes   gegen 
30      Fouque  selbst  und  gegen  Andere,  so  gegen  Eckermann  (1828 
October  3)  über  die  schon  1811  erschienene  ,Undine'  (vgl.  Ge- 
spräche 6,  3.30  f..  auch  ebenda  3,  93  und  öfters). 

*  Aus  , Erinnerungen  und  Leben  der  Malerin  Louise  Seidler' 
von  Hermann  L^hde  (zweite  umgearbeitete   Auflage,   Berlin, 

35      Verlag  von  Wilhelm  Hertz.  1875  S.  87  f.). 

—  Als  zu  den  Jahren  1813  und  1814  gehörig  sei  hier  eines 
Ereignisses  gedacht,  das  Riemer  in  seinen  , Mittheilungen' 
(2,  608)   erzählt:    „Der    rothe  Faden,   der  nun  aus  den 


462  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  181.' 

1815. 

October  5,  zwischen  Karlsruhe  und  Heidelberg.  883 

unterwegs  kamen  Avir  dann  auf  die  ,Wahlverwandt- 
schaften'  zu  sjDrechen.  Er  legte  Gewicht  darauf,  wie 
rasch  und  unaufhaltsam  er  die  Katastrophe  herbeige-  6 
führt.  Die  Sterne  waren  aufgegangen:  er  sprach  von 
seinem  Yerhältniss  zur  Ottüie,  wie  er  sie  lieb  gehabt, 
und  wie  sie  ihn  unglücklich  gemacht.  Er  wurde  zuletzt 
fast  räthselhaft  ahndungsvoll  in  seinen  Eeden. 

Mit  Sulpiz  Boisserße.  —  Gespräche  3,  254.  lo 

November  27,  Weimar.  883a 

*  Koetlie    ,Wahlverwandtschaften^^ 
Agenda  1815.  —  Tgb.  5,  306,  14. 

1816. 

December  18,  Weimar.  884  15 

Paquet  an  Cotta  mit  dem  dreizehnten  und  vierzehnten 
Band  meiner  Werke  (fahrende  Post)-. 
Tgb.  5,  295,  19  f. 


»Wahlverwandtschaften'    [Theil   2   Capitel  2.   4,   W.   20,   212. 
14—20.  238,  6]  für  alle  Welt  zur  Phrase  geworden,  hatte  für  2o 
Goethe  den  realen  und  reellen  Erfolg,  dass  im  Jahr  1813,  als 
die  englische  Flotte  vor  der  Elbe  lag.  ein  Oberwundarzt  der- 
selben, HeiT  .lohn  Forbes.  nachdem  er  in  Hamburg  von  einer 
Freundin   Goethes  erfahren,   dass  dieser    in    den   ,Wahlver- 
wandtschaften'  von  dem  rothen  Faden  der  englischen  Schiffs-  25 
taue  spreche,  in  der  Freude  darüber  sich  augenblicklich  er- 
bot, ein  Stücli  eines  solches  Taues  an  den  Dichter  zu  senden, 
mit   der  Bitte,   er  möge   es  als   einen   Beweis   seiner   hohen 
Achtung  annehmen.     Es  geschah  durch  eben  jene  Freundin, 
und  Goethe  zeigte  es  uns  am  9.  .Januar  1814  mit  billigem  Be-  so 
hagen  vor". 

^  Es  handelt  sich  hier  vielleicht  um  ein  Geschenkt^xemplar  des 
Romans  für  den  Professor  der  Theologie  und  Archidiakonus 
Koethe  in  Jena,  den  Gatten  von  Goethes  Freundin  Silvie  von 
Ziesesar.  Goethe  hatte  ihn  bei  seinem  letzten  Aufenthalt  in  85 
Jena  (vom  19.  bis  24.  November)  besucht,  das  Tagebuch  ver- 
merkt unter  dem  20.  November:  ..Bei  Koethe";  da  ist  viel- 
leicht von  den  .Wahlverwandtschaften'  gesprochen  worden. 

*  Band  14  die  ,Wahverwandtschaften'.  Feber  den  Inhalt  von 
Band  13  s.  317.  3—5.  *o 


1817  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  4(13 

1817. 

Februar  8,  Weimar.  885 

*  Vierzehnter  Band^  Cotta. 
Agendabogen  1817.  —  Tgb.  6,  281,  22. 
5  Februar  11,  Weimar.  886 

[Früh]    Briefe:     An  Cotta    wegen    des    vierzehnten 
Bandes.  .  .  .  - 
Tgb.  6,  12,  4. 

April  18,  Jena.  887 

10  [Vormittags    Brief]    An   Doctor    Cotta    nach    Stutt- 

gart. .  .  wegen  des  vierzehenden  Bandes". 
Tgb.  6,  38,  22—24. 

1819. 

März  [Anfang].  Weimar.  888 

15  [Zu   1S09.  —  In  dem  chronologischen  Verzeicliniss 

von  Goethes  Scliriften  aus  dem  Jahre  1819  (s.  Nr.  90) 
heisst  es  -unter] 

]809:    Die  ,"\VahlTerwandtschaften^ 
Summarische  Jahresfolge  Goethescher  Schriften.  —  WH. 
20  29,  325. 

1830. 

Januar  6,  Weimar.  8S8a 

[Xaclimittags]   Die  ^Wahlverwandtschaften'  zu  lesen 
angefangen. 
25  Tgb.  7,  126,  5  f. 


^  Den  vierzehnten  Band  der  Werke  Cotta-  bilden  die  .Wahl- 
verwandtschaften'. Das  hier  auf  einem  einzelnen  Foliobogen, 
mit  vielem  Anderen,  zur  Erledigung  Vorgemerkte,  später  als 
erledigt  Gestrichene  bezieht  sich  auf  den  in  Nr.  886  genannten 

30      Brief  an  Cotta. 

Wenn  auf  der  zweiten  Seite  des  eben  genannten  Agenda- 
foliobogens  nochmals  zu  lesen  ist: 
„♦Cotta  vierzehnter  Band  deralten  Ausgabe" 
so  bezieht  sich  das  wohl  auf  die  gleiche  Angelegenheit,  denn 

35  die  „alte  Ausgabe"  (Werke  Cotta-  in  zwölf  Bänden)  erhielt 
erst  im  Lauf  des  Jahres  1817  einen  vierzehnten  Band,  und 
zwar  dadurch,  dass  für  die  Besitzer  der  Werke  Cotta^  acht 
Bände  (Band  13—20)  der  neuen  Ausgabe  (Werke  Cotta-j  als 
Supplemente  der  alten  ausgegeben  wurden. 

40    =  Vgl.  die  vorhergehende  Erläuterung. 


464  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  182:^ 

1821. 

September  7,  Eger.  889 

Der  sehr  einfache  Text  dieses  weitläufigen  Büchleins 
sind  die  Worte  Christi:  Wer  ein  Weib  ansieht. 
ihr  zu  hegehren  etc.  Ich  weiss  nicht,  ob  irgend  5 
jemand  sie  in  dieser  Paraphrase  wieder  erkannt  hat. 
Dem  eigentlichen  Sinne  des  Dichters  gemäss  war  folgen- 
de Erfahrung.  Eine  sehr  schöne,  liebenswürdige.  Junge 
Frau  gestand  ihm:  sie  habe  die  ,Wahlverwandtschaf- 
ten'  gelesen  und  nicht  verstanden;  sie  habe  sie  nicht  lo 
wieder  gelesen,  und  verstehe  sie  jetzt.  Mehr  sagte  sie 
nicht;  aber  wahrscheinlich  hatte  sie  der  innere  Beicht- 
vater, bei  ähnlichen  überraschenden  Eegungen,  auf  jene 
Erfahrungen  und  Folgen  hingewiesen  und  heilsame 
Warnungen  angedeutet.  i5 

An  Zauper.  —  Zauper  2,  219  f. 

1822  oder  1823. 

][Deeember  1822  oder  Januar  182.3,  Weimar.]  890 

[Zu  1807  und  1808.]  Die  .  .  kleinen  Erzählungen- 
beschäftigten mich  in  heitern  Stunden,  und  auch  die  20 
,Wahlverwandtschaften'  sollten  in  der  Art  kurz  behan- 
delt werden.  Allein  sie  dehnten  sich  bald  aus;  der  Stoff 
war  allzubedeutend,  und  zu  tief  in  mir  gewurzelt,  als  dass 
ich  ihn  auf  eine  so  leichte  Weise  hätte  beseitigen  können. 

.Pandora'  sowohl  als  die  ,Wahlverwandtschaften'  25 
drücken  das  schmerzliche  Gefühl  der  Entbehrung  aus, 
und  konnten  also  nebeneinander  gar  wohl  gedeihen.  .  . 
das  Schema  der  ,Wahlvenvandtschaften'  war  weit  ge- 
diehen, und  manche  Vorarbeiten  theilweise  vollbracht^. 
Tag-  und  Jahres-Hefte  1807.  —  W.  36,  28,  3—12.  14—16.  30 


*  Die  ,Neue  Melusine',   der  ,Mann  von  fünfzig  Jahren',    die 

.Pilgernde  Thörin',  vgl.  Nr.  1807. 
^  Goethe  fasst  hier  die  Arbeit  der  Jahre  1807  und  1808  in  Eins 

zusammen,   ebenso  wie  in  Bezug  auf  ,Pandora*,  und  nennt 

beide  Dichtungen  in  den  Tag-  und  Jahres-Heften  von  1808  35 

überhaupt  nicht. 


1822  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  465 

][December  1822  oder  Januar  1823,  Weimar.]  89] 

[Zu  1809.]  Dieses  Jahr  muss  mir  in  der  Erinnening, 
schöner  Resultate  wegen,  immer  lieb  und  theuer 
bleiben^;  .  . 

5  Was  ich  mir  .  .  in  Jena  zu  leisten  vorgenommen-, 

sollte  eigentlich  durch  einen  ganz  ununterbrochenen 
Aufenthalt  begünstigt  sein;  dieser  war  mir  Jedoch  nicht 
gegönnt;  unerwartete  Kriegsläufte  drangen  zu  und 
nöthigten  zu  einem  mehrmaligen  Ortswechsel. 

10  ...  Um  von  poetischen  Arbeiten  nunmehr  zu  sprechen» 

so  hatte  ich  von  Ende  Mai's  an^  die  ^Wahlverwandt- 
schaften',  deren  erste  Conception  mich  schon  längst  be- 
schäftigte, nicht  wieder  aus  dem  Sinne  gelassen.  Nie- 
mand verkennt  an  diesem  Eoman  eine  tief  leidenschaft- 

15  liehe  Wunde,  die  im  Heilen  sich  zu  schliessen  scheut. 
ein  Herz,  das  zu  genesen  fürchtet.  Schon  vor  einigen 
Jahren  war  der  Hauptgedanke  gefasst,  nur  die  Aus- 
führung erweiterte,  vermannichfaltigte  sich  immerfort 
und  drohte  die  Kunstgränze  zu  überschreiten.  Endlich 

20  nach  so  vielen  Vorarbeiten  bestätigte  sich  der  Ent- 
schluss,  man  wolle  den  Druck  beginnen,  über  manchen 
Zweifel  hinausgehen,  das  eine  festhalten,  das  andere 
endlich  bestimmen*. 

In  diesem  raschen  Vorschritt  ward  ich  jedoch  auf  ein- 

25  mal  gestört;  denn  indem  man  die  Nachrichten  des  ge- 
waltsamen Vordringens    der  Franzosen    in  Oesterreich 


'  Zu  diesen  „Resultaten"  gehört  auf  dem  Gebiete  der  Dich- 
tung die  Vollendung  und  das  Erscheinen  der  ,Wahlverwandt- 
schaften'. 
30    *  Die  Vollendung  und  Drucklegung  der  .Wahlverwandtschaf- 
ten', und  die  Fortführung  der  .Geschichte  der  Farbenlehre'. 

•  Schon  am  15.  April  begann  die  regelmässige  Arbeit  an  der 
Dichtung  (vgl.  Nr.  695). 

*  ..Das  eine"  die  Drucklegung,   ,,das  andere"  die  Zweifel  er- 
35      regenden  Stellen  des  Romans. 

Graf,  Goethe  iiljer  seine  Dichtungen  T.  I.  30 


466  DIE  WAHLYERWANDTSCHAFTEX.  1823 

][December  1822  oder  Januar  1823,  Weimar.]  [891] 

mit  Bangigkeit  vernommeii  hatte,  begann  der  König 
von  Westfalen  einen  Zug  gegen  Böhmen,  wesshalb  ich 
den  13.  Juni  nach  Weimar  zurückgingt  Die  Xach- 
richten  von  dieser  sonderbaren  Expedition  waren  sehr  5 
ungewiss,  als  zwei,  dem  Hauptquartier  folgende,  diplo- 
matische Freunde,  von  Eeinhard  und  Wangenheim, 
mich  unerwartet  besuchten,  einen  unerklärlichen  Rück- 
zug rcäthselhaft  ankündigend.  Schon  am  15.  Juli  kommt 
der  König  nach  Weimar,  der  Eückzug  scheint  in.  Flucht  10 
auszuarten  und  gleich  am  zwanzigsten  ängstigt  das 
umherstreifende  Oelsische  Corps  uns  und  die  Nachbar- 
schaft. Aber  auch  dieses  Grewitter  zieht  schnell  in  nord- 
westlicher Eichtung  vorüber,  und  ich  säume  nicht  am 
dreiundzwanzigsten  Juli  wieder    nach  Jena    zu  gehen-.  15 

Unmittelbar  darauf  werden  die  ,Wahlverwandt- 
schaften'  in  die  Druckerei  gegeben,  und  indem  diese 
fleissig  fördert,  so  reinigt  und  rundet  sich  auch  nach 
und  nach  die  Handschrift,  und  der  3.  October  befreit 
mich  von  dem  Werke^,  ohne  dass  die  Empfindung  des  20 
Inlialts  sich  ganz  hätte  verlieren  können. 

Tag-  und  Jahres-Hefte  1809.  —  W.  36,  42,  7  f.  14—18.  43, 

21^5,  2. 

1833> 

August,  zwischen  11  und  21,  Marienbad.  892  25 

[Zu  1809.]  .  .  .  1809:  Les  ,affinites  electives,  Eoman. 
Tabellarische   Uebersicht    der  ,Ouvrages   poetiques    de 
Goethe'.  —  GJ.  15,  18. 


^  Goethes  Tagebuch  (4,  36,  14  f.)  vom  13.  Juni:  ..Nach  Tische 
abgefahren.  Nachrichten  von  Bewegungen  der  Oestreicher".  30 

*  Für  diese  Zeit  vgl.  Goethes  Tagebuch  vom  14.  bis  20.  Juli; 
nach  diesem  wird  es  oben  (Z.  7)  wahrscheinlich  ..Gem- 
mingen" statt  ., Wangenheim"  heissen  müssen,  wie  Düntzer 
(WD.  25,  5  Erl.  zu  Z.  11)  als  gewiss  bezeichnet. 

"  Die  Durchsicht    des    letzten  Revisionsbogens    fiel    auf    den  35 
4.  October  (s.  Nr.  843). 


1823  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  467 

October  21,  Weimar.  892a 

Ich  [Eckermann]  war  diesen  Abend  bei  Goethe.  "Wir 
sprachen  über  die  ,Pandora'.  .  .  . 

.  .  .  Ich  sagte  ihm,  dass  ich  wegen  dieses  Gediclits 
nicht  ganz  mit  Schu])artli  zufrieden,  der  darin  alles  das 
vereinigt  finden  wolle,  was  im  ,Werther',  ,\Vilhelm 
Meister',  ,Fanst'  und  ,Wahlverwandtschaften'  einzeln 
ausgesprochen  sei,  wodurch  doch  die  Sache  sehr  un- 
fasslich  und  schwer  werde. 

„Schubarth",  sagte  Goethe,  „geht  oft  ein  wenig  tief; 
doch  ist  er  sehr  tüchtig,  es  ist  bei  ihm  alles  prägnant".^ 
Mit  Eckermann.  —  Gespräche  4,  295  f. 


'■  Die  Aeusserung,  welche  Ecliermann  im  Sinne  hat,  findet 
sich  in  Schubarths  Werli  ,Zur  Beurtheilung  Goethes'  1,  32  f.: 

15  „I'nd  so  ist  das  Verhältniss  der  ,Walilverwandtschafteu'  das 
nemliche  zum  , Faust',  wie  der  , Lehrjahre  Wilhelm  Meisters' 
zu  ,Werthers  Leiden'.  Sie  lösen  auf  dieselbe  Weise  den- 
selben, noch  einmal  anders  geknüpften  Knoten.  Bildung 
stellt    das  Gleichgewicht    und    ein    ebenes  Verhältniss    des 

20  Menschen  zur  Natur  her,  wie  Uebung  der  Tugend  und 
höchsten  Pflicht  es  allein  abwendet,  dass  das  Gefühl  und 
Bewusstsein  von  der  Gottheit  und  dem  Göttlichen  für  den 
Menschen  nicht  verderblich  werde,  ihn  verwüste  und  zer- 
störe. 

25  Diese  vier  Richtungen,  in  einem  gewissen  Ebenmasse,  nicht 
in  so  gewaltigen  Gegensätzen,  nur  sehr  gelinde,  gegen  einan- 
der sich  bewegend,  die  im  , Werther'  und  , Meister',  im  , Faust' 
und  in  den  ,Wahlverwandtschaften'  einzeln  veranschaulicht 
sind,   zu  einer  Gesammtanschauung   wiederholt,   in  die  An- 

30  schauung  des,  bei  allen  seinen  verschiedenen,  bald  unzuläng- 
lich, bald  widersprechend  erscheinenden  Kräften  dennoch  sich 
harmonisch  hervorthuenden,  auf  diesen  Widerstreit  gegrün- 
deten und  hierdurch  allbegabteu  und  allbegabeuüen  Welt- 
ganzen aufgelöst,  erzeugten  jene  eigenthümliche,    von    allen 

35  vorigen  späteste  Production  der  ,  P  a  n  d  o  r  a  ',  die  auch 
noch  in  einem  anderen,  zweiten  Sinne  A  1 1  g  a  b  e  des  Goethe- 
schen  Vermögens  genannt  werden  kann,  wie  jene  frühern 
vorgehenden  Leistungen  einzelne  Gaben  des  Goetheschen 
Talents  sind". 


468  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1824 

MHrz  30,  Weimar.  893 

Abends  bei  Goethe.  Ich  [Eckermaim]  war  allein  mit 
ihm.  .  .  .  Wir  kamen  .  .  auf  die  ^Wahlverwandtschaf- 
ten'  zu  reden,  und  Goethe  erzählte  mir  von  einem  durch-  s 
reisenden  Engländer,  der  sich  scheiden  lassen  wolle, 
wenn  er  nach  England  zurückkäme.  Er  lachte  über 
solche  Thorheit  und  erwähnte  mehrere  Beispiele  von 
Geschiedenen,  die  nachher  doch  nicht  hätten  voneinan- 
der lassen  können.  lo 

„Der  selige  Eeinhard  in  Dresden",  sagte  er,  „wunderte 
sich  oft  über  mich,  dass  ich  in  Bezug  auf  die  Ehe  so 
strenge  Grundsätze  habe,  während  ich  doch  in  allen 
übrigen  Dingen  so  lässlich  denke. "^ 

Diese  Aeusserung  Goethes  war  mir  aus  dem  Grunde  i5 
merkwürdig,  weil  sie  ganz  entschieden  an  den  Tag  legt, 
wie  er  es  mit  jenem  so  oft  gemissdeuteten  Eomane  ei- 
gentlich gemeint  hat. 

Mit  Eclvemiann.  —  Gespräche  5,  60. 

December  3,  Weimar.  894  20 

^Die  Wirkung  der  ,Mitschuldigen'  ist  ganz  die  rechte 
Ein  sogenanntes  gebildetes  Publicum  will  sich  selbst  auf 

^  Den  Oberliofpredigor  Reinhard  aus  Dresden  hatte  Goethe 
1807  in  Karlsbad  kennen  gelernt.  Goethe  spricht,  in  den  Tag- 
und  Jahi'es-Heften  über  diesen  Badeaufenthalt,  mit  hoher  25 
A'^erehrung  von  Reinhards  „fein  ausgebildetem  Geiste"  und 
gedenkt  auch  der  mit  ihm  geführten  ,, sittlichen,  das  Unver- 
gängliche berührenden  Gespräche"  (W.  36.  15,  25—16,  21). 

Ob  eine  der  obigen  Aeusserungen  Reinhards  im  Anschluss 
an  eine  Unterhaltung  über  die  .Wahlverwandtschaften'  ge-  so 
schah,  ist  zweifelhaft,  doch  sehr  wohl  möglich,  so  zum  Bei- 
spiel bei  Gelegenheit  von  Goethes  Aufenthalt  in  Dresden 
und  Besuch  bei  Reinhard  am  23.  September  1810  (Tgb.  4, 
155,  17  f.). 

'  Nur  mittelbar  hat  die  nachfolgende  Aeusserung  Bezug  auf  35 
die  .Wahlverwandtschaften',  indem  sie  die  Antwort  ist  auf 
folgende  Mittheilung  Zelters  aus  Berlin,  vom  27.  November: 


1S24  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEX.  4G9 

[Deceinber  3,  Weimar.]  [894j 

dem  Theater  sehen  und  fordert  ungefähr  eben  soviel 
vom  Drama  als  von  der  Societät;  es  entstehen  Conve- 
nancen  zwischen  Acteur  und  Zuschauer;  das  Volk  aber 
ist  zufrieden,  dass  die  Hanswurste  da  droben  ihm 
Spässe  vormachen,  an  denen  es  keinen  Theil  verlangt. 
Uebrigens,  könntest  Du  lesen,  was  ich  über  das  Stück, 
ich  weiss  nicht  wo,  gesagt  habe,  so  würdest  Du  es  mit 
den  Gefühlen  des  ersten  Eanges  ganz  gleich  gestimmt 
finden^. 

An  Zelter.  —  G.-Zelter  3,  467  f. 


„So  habe  ich  die  .Mitschuldigeu"  gestern  zum  erstenmale  in 
meinem  Leben  und  zwar  recht  gut  gesehn".  Er  habe  „die 
Herzhaftigkeit  der  Direction    wie    ihre   Kenntuiss    des  vor- 

15      städtischen    Publicums   bewimdert,    das,    jedes    gute   Schau- 
spiel gern  sehend,  in  Dreistigkeit  seines  Beifalls  sich  hervor- 
zuilmn  wusste  gegen  den  ersten  Rang,  wo  ich  heut  meinen 
Platz  hatte. 
Die  Wirkung    des  Stücks    auf    uns    als    den    ersten  Rang 

20      möchte    ich    mit    der  Wirkung  der  .Wahlverwandtschaften' 

vergleichen,  indem  sie  geistig  ist  ohne  wohlthuend  zu  sein" 

(G.-Zelter  3,   462  f.). 

'  Die   Goethe   vorschwebende   Stelle   findet    sich    in   .Dichtung 

und  Wahrheit'  Theil  2  Buch  7  und  lautet:     ..Die  .Mitschul- 

23  digen'  sind  das  einzige  fertig  gewordene  (Stück),  dessen  heite- 
res und  burleskes  Wesen  auf  dem  düsteren  Familiengrundo 
als  von  etwas  Bänglichem  begleitet  erscheint,  so  dass  es  bei 
der  Vorstellung  im  Ganzen  ängstiget,  wenn  es  im 
Einzelnen  ergötzt.     Die  hart  ausgesproche- 

30      nen      widergesetzlichen      Handlungen      ver- 
letzen  das    ästhetische   und   moralische    Ge- 
fühl, und  dess wegen  konnte  das  Stück  auf  dem  deutschen 
Theater  keinen  Eingang  gewinnen.  .  ."  (AV.  27,  114.  8 — 16). 
Die  in  Frage  kommenden  Worte  dieser  Stelle  (sie  sind  hier 

35  durch  Sperrdruck  hervorgehoben)  dürfen  jedocli  keineswegs 
als  ein  L'rtheil  angesehen  werden,  das  Goethe  über  die 
, Wahlverwandtschaften'  hätte  fällen  wollen.  Fm  so  mehr 
möchten  sie  der  Empfindung  entsprechen,  die  manche  Zeit- 
genossen   Goethes    dem    Roman    gegenüber    gehabt    haben. 


470  DIE  AVAHLVEKWANDTSCHAFTEN.  1825 

1825. 

]  [Mai  3?  Weimar.]^  895 

[Zu  1810.]    Bezüglich    auf    die  Eeclite    des    Autors 
musste  man  merkwürdig  finden,  dass  Minister  Porta- 
lis  bei  mir  anfragte:  ob  es  mit  meiner  Bewilligung  gc-    5 
schehen  könne,    dass    ein  Kölnischer  Buchhändler    die 
^Wahlverwandtschaften'  abdrucke?  Ich  antwortete  dank- 
bar in  Betreff  meiner,  verwies  aber  die  Angelegenheit 
an  den  rechtmässigen  Verleger^.  So  viel  höher  standen 
schon  die  Franzosen  im  Begriff  von  geistigem  Besitz  und  lo 
gleichem  Eecht  des  Höhern  und  Xiedern,  wozu  sich  die 
guten  Deutschen  wohl  sobald  nicht  erheben  werden. 
Tag-  und  Jahres-Hefte,  1810.  —  W.  36,  Gl,  3-12. 

][Mai  4,  Weimar.]  896 

[Zu  1811.]  Von  Personen,  die  dieses  Jahr  in  Weimar  is 
eingesprochen,  find'  ich  folgende  bemerkt:  Engel- 
hard t ,  Architekt  von  Cassel,  auf  seiner  Durchreise 
nach  Italien.  Man  wollte  behaupten,  ich  habe  ihn  in 
früherer  Zeit  als  Musterbild  seines  Kunstgenossen  in 
den  ,Wahlverwandtschaften'  im  i^uge  gehabt^.  ...  20 
Tag-  und  Jahres-Hefte,  1811.  —  W.  36,  70,  18—23. 


Zelter  antwortet  am  10.  December,  indem  er  zugleich  ab- 
schriftlich seinen  Brief  an  einen  Dritten  mittheilt,  worin  er 
über  das  Stücli^,  die  .Mitschuldigen',  sagt:  „  .  .  doch  ist  es 
eben  darum  von  keiner  angenehmen  Wirkung,  weil  es  25 
vor  jede  Thür  tritt,  weil  es  die  Guten  mittrifft,  und  so  habe 
ich  es  mit  den  , Wahlverwandtschaften'  verglichen,  wo  auch 
die  Besten  was  zu  verheimlichen  haben  und  sich  selber  an- 
klagen müssen  nicht  auf  dem  rechten  Weg  zu  sein. 

...  In  Summa:   halten   wir   uns   so  schön   als   wir  mögen;  30 
gerecht  ist  keiner  und  der  Psalmist  hat  uns  längst  vorgebetet: 
Herr,  gehe  nicht  in's  Gericht  mit  Deinem  Knecht,  denn  vor 
Dir  ist  kein  Lebendiger  gerecht"  (G.-Zelter  3,  474). 
^  Vielleicht  schon  in  früherer  Zeit  geschrieben. 
'  Vgl.  Goethes  Brief  an  Portalis,  Nr.  875a.  35 

*  Nach  Goethes  Tagebuch  von  1811  (4,  176,  15—17.  177,  2)  be- 
suchte Engelhardt  den  Dichter  am  3.  Januar  Vormittags  und 


1S25  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  471 

Juli  23,  Weimar.  897 

Ew.  Wohlgeboren  erhalten  hiebe!  die  ,"Wahl Verwandt- 
schaften' und  jWanderjahre'  nach  Gelegenheit  gefälligst 
durchzugehen  .  .^ 

An  Göttling.  —  G.-Gottling  S.  9. 


speiste  am  4.  Januar  zu  Mittag  bei  ihm.  Im  Jahre  1809  ver- 
merkt Goethe  Engelhardts  Besuch  am  26.  Januar  (Tgb.  4.  7, 
11—13)  und  schreibt  am  22.  Februar,  mit  Bezug  darauf,  an 
Bettina  Brentano:  „Neulich  war  ein  s  c  h  1  a  n  li  e  r 
10  Architekt  von  Cassel  hier,  auf  den  Du  auch 
magst  Eindruck  gemacht  haben"  (Br.  20,  299, 
3—5;  vgl.  Bettinas  Brief  vom  9.  November  1809,  G.-Bettina 
2,  141  f.). 

Hier    erinnert    uns     dieses    .  eine,     bezeiclmende     Beiwort 

15  „schlank"  sogleich  an  den  Architekten  der  ,Wahlvei-wandt- 
schaften',  von  dem  es  im  ersten  Capitel  des  zweiten  Theils 
heisst,  er  sei  „ein  Jüngling  im  vollen  Sinne  des  AVorts"  ge- 
wesen. ,, wohlgebaut,  schlank,  eher  ein  wenig  zu  gross"  (W. 
20,  199,  19  f.). 

20  In  Riemers  Tagebuch  lesen  wir  schon  unter  dem  24.  No- 
vember 1808:  „Architekt  Engelhardt  Avar  1808  im  Spätherbst 
nach  Weimar  gekommen.  Goethe  hat  ihn  in  seinen  ,Wa]il- 
verwandtschaften'  so  zu  sagen  porträtirt;  wenigstens  glaubte 
alle  Welt  ihn  in  dem  jungen  dort  geschilderten   Manne  zu 

25  erkennen"  (Deutsche  Revue  11  (4),  35).  Vgl.  auch  432,  5,  und 
Bertuchs  briefliche  Aeusserung  gegen  Böttiger  vom  12.  Ja- 
nuar 1811:  ,.Herr  Engelhardt  war  v©r  zwei  Jahren  hier,  wo 
er  im  Schopenhauerschen  Kreise  Goethe  gefiel,  der  ihn  als 
Architekt   in    den    , Wahlverwandtschaften'    aufgeführt    hat" 

30      (GJ.  10,  155). 

'  In  Bezug  auf  Sprachrichtigkeit  und  Interpunction,  für  den 
bevorstehenden  Druck  in  der  , Ausgabe  letzter  Hand'.  Die 
.Wahlverwandtschaften'  sandte  Goethe  in  einem  Exemplar 
von   Band   14   der  Werke   Cotta-,    gleichzeitig   von   derselben 

35  Ausgabe  Band  3  und  4,  die  , Lehrjahre'  enthaltend,  denn 
so,  nicht  , Wanderjahre'  muss  es  oben  Z.  3  heissen,  wie  aus 
Goethes  Tagebuch  vom  23.  Juli  1825  (Nr.  898),  noch  deutlicher 
aus  Götclings  Brief  an  Goethe  vom  27.  September  1825  hervor- 
geht, vgl.  W.  22,  361. 


472  DIE  WAHLVEinVANDTSCHAFTEX.  182G 

Juli  23,  T\'eimar.  898 

[An]    Herrn  Professor  Göttling    die  ,Wahlverwan(lt- 
schaften'  und  , "Wilhelm  Meister',  nach  Jena  [s.  Xr.  897]. 
Tgb.  10,  82,  11—13. 

October  8,   Weimar.  899    5 

E.  W.  verfehle  nicht  anzuzeigen:  dass  die  sämmtlichen 
beigeschriebenen  Correcturen  der  Bände  14.  15.  16 
dankbar  gebilligt,  auch  anderes  bemerkt  und  nachge- 
tragen habe^.    .  .  . 

Uebrigens  billige  gern  wegen    mehre    und    g  y  p  -  lo 
s  e  n  e-  die  vorgeschlagene  Form  und  bitte  fernerhin  um 
geneigten  Antheil. 

An  Göttling.  —  G.-Göttling  S.  10. 

1836. 

Februar  1,  Weimai-".  900  15 

Band  1-1:    ,Die  Wahlverwandtschaften'*. 

Anzeige    von   Goetlies    sämmtlichen  Werken,   Vollstän- 
dige Ausgabe  letzter  Hand.  —  WH.  29,  351. 

September  19,   Weimar.  901 

Jahrzehnte  haben  wir  uns  mit  Berthollet  in  den  Wahl-  20 
Verwandtschaften  abgemüdet,  die  man  jetzt  so  wenig  als 
meinen  Eoman  will  gelten  lassen^. 

An  K.  V.  Stemberg.  —  G.-Stemberg  S.   165. 


^  Band  14  enthielt  die  , Wahlverwandtschaften'  (vgl.  Nr.  897), 
Band  15.  16  .Benvenuto  Cellini',  2 

^  In  Theil  2  Capitel  5  (W.  20,  248,  7)  stand  bis  dahin  „ein 
gypsernes  oder  ein  lebendes  Haupt".  Göttling  schlug  statt 
dessen  die  Form  „gypsenes"  vor.  die  dann,  wie  die  obigen 
Worte  zeigen,  mit  Goethes  Zustimmung,  in  die  Ausgabe 
letzter  Hand  übergegangen  ist.  (Auffallender  Weise  schreibt  jq 
dagegen  die  Weimarer  Ausgabe,  mit  zwiefacher  Aenderuug, 
,, gipsernes",  und  gibt  in  den  Lesarten  für  den  dritten  Druck 
(1817)  irrig  die  Form  ,, gypsenes"  an). 

«  Tgl.  32.  31—33. 

*  Durch  die,  während  des  Druckes  herbeigeführte,  Aenderung  35 
der  geplanten  Reihenfolge  rückte  der  Roman  vor  in  Band  17, 
während  in  Band  14  dramatische  Dichtungen  Platz  fanden. 

"  Die    oben    (386,    17)    erwähnte    Lehre    Bergmans    von    den 


1827  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  473 

1827. 

Januar  21  Abends,  Weimar.  ^02 

Ich  [Eckermann]  ging  diesen  Abend  halb  Acht  zu 
Goethe  und  blieb  ein  Stündchen  bei  ihm.  .  .  . 

5  ...  „Da  will    ich  Ihnen  doch  etwas  zeigen",    sagte 

Goethe,  „das  für  Sie  Interesse  haben  wird.  Reichen  Sie 
mir  doch  einen  der  Bände,  die  vor  Ihnen  liegen.  Solger 
ist  Ihnen  bekannt?"  —  Allerdings,  sagte  ich,  ich  habe 
ihn  sogar    lieb.  .  .  .  „Sie  wissen,    er    ist    vor  mehrern 

10  Jahren  gestorben",  sagte  Goethe,  „und  man  hat  jetzt 
eine  Sammlung  seiner  nachgelassenen  Schriften  und 
Briefe  herausgegeben^  .  .  seine  Briefe  sind  vortrefflich. 
In  einem  derselben  schreibt  er  an  Tieck-  über  die  ,Wahl- 

chemisclien    Wahlverwandtschaften    war    durch    BerthoUet 

15      theils    weiter    ausgeführt,    theils    bekämpft    worden,    gegen 
dessen  Ansichten   nunmehr  Berzelius   xmd   andere   Forscher 
auftraten. 
^  Solger  war  schon  1819  gestorben.     Aus  seiner  Hinterlassen- 
schaft  erschienen    in    zwei    Bänden    .Solger's    nachgelassene 

20      Schriften    und    BriefAvechsel.      Herausgegeben    von   Ludwig 

Tieck    und    Friedrich    von    Raumer.      Band   1.    2.      Leipzig: 

F.  A.  Brockhaus.     1826.' 

^  Dieser  Brief  findet  sich  in  Solgers  nachgelassenen  Schriften 

1.     175—18.5.    mit    der    Ueberschrift     ,,Uel)er    die    Wahlver- 

25  wandtschaften",  ohne  Angabe  eines  Adi'essaten  und  ohne 
Datirung.  Nach  den  Daten  des  unmittelbar  vorhergehenden 
und  des  nachfolgenden  Briefes  zu  schliessen,  ist  er  nicht  vor 
dem  19.  November  1809  geschrieben,  gehcirt  aber  noch  diesem 
Jahre  an. 

30  An   Tieck,    wie    Goethe    sagt,    kann    der    Brief   nicht    wohl 

gerichtet  sein,  da  Solgers  Bekanntschaft  mit  Tieck  erst  im 
Jahre  1810  begann  (der  erste  an  Tieck  gerichtete  Brief  ist 
vom  7.  Juni  1811,  Solgers  nachgelassene  Schriften  1,  214  f.). 
Auch  bev.eisen  schon  die  Worte  „Ihr  werdet  Euch  das  Wahre 

35  herausfühlen"  (s.  unten  476,  14  f.)  gegen  Tieck  als  Adressaten. 
Am  ehesten  möchte  man,  gerade  aus  den  eben  angeführten 
Worten,  schliessen,  dass  der  Brief  an  ein  Mitglied  des  so- 
genannten ,, Freitags"  gerichtet  sei.  eines,  von  der  Universi- 
tätszeit   her   bestehenden,    Vereins    von    Studiengenossen,    zu 


474  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1827 

[Januar  21  Abends,  Weimar.]  [902] 

Verwandtschaften',  und  diesen  muss  ich  Ihnen  vorlesen, 
denn  es  ist  nicht  leicht  etwas  Besseres  über  Jenen  Eoman 
gesagt  worden." 

Goethe  las  mir  die  treffliche  Abhandlung  vor^,  und  wir 


dem  Solger,  Krause,  Heinrich  Voss,  Rudolf  Abeken  und 
andere  gehörten,  deren  Briefe  unter  den  Mitgliedern  die 
Runde  zu  machen  pflegten  (vgl.  Vossbriefe  S.  137  oben). 

Abeken  ist  als  Adressat  nicht  anzunehmen,  da  Solger  an 
diesen  am  28.  October  1810  sehreibt:     „Wie  gern  setzte  ich  lo 
Dir  meine  Gedanken  über  die  ,Wahlverwandtschaften'  aus- 
einander, deren  sich  mir  eine  ganze  Kette  au  dieses  Werk 
gefügt  hat.  .  .  .  Was  Du    darüber    gesagt   [s.   438,   31],    ist 
sehr  schön;   ich  habe  wieder  manche  andei-e  Seite  aufgefasst, 
besonders    au    der    Natiu-ansicht    darin"     (Solgers    nachge-  15 
lassene  Schriften  1,  203  f.). 
^  Solger  schreibt:     .,Wenn  ich  meine  vorläufige  Meinung  über 
die   .Wahlverwandtschaften*   sagen   soll,   so   muss  ich   schon 
diessmal  nach  Art  der  Recensenten,  die  freilich  nicht  meine 
Lieblingsart   ist,    mit   etwas   allgemeiner   Theorie   anfangen.  20 
Doch  bitte  ich  recht  sehr,  diess  nur  als  ein  vorläufiges  Wort 
anzusehen.     Es  ist  hier  wieder  ein  unerschöpfliches  Kunst- 
werk, ein     immcnsum   infinitumque,    und  ich  kann  noch  bloss 
vom  ersten  Eindruck  sprechen. 

.  .  .  Ich  möchte  die  Hoffnimg  fassen,  dass  aus  diesem  25 
Werke,  dergleichen  ich  lange  eins  gcM'ünscht  habe,  den 
Menschen  einmal  ein  Licht  aufgehen  werde  über  das  Schick- 
sal überhaupt,  und  besonders  in  der  antiken  Kunst,  worüber 
alle  neueren  Kunstrichter  unaufhörlich  sprechen,  und  das 
keiner  so  verstanden  hat,  w^ie  ich.  Was  icli  aber  darüber  30 
denke,  ziehe  ich  nicht  bloss  aus  der  Gestalt  der  Kunstwerke 
ab,  sondern  ich  sehe  es  in  seinen  innersten  Gründen  ein. 
Avelche  ich  hier  nicht  entwickeln  kann. 

Die  ganze  alte  Welt  ist  die  Welt  der  Gattung  als  eins 
und  aus  Einem  Stücke.  Das  Ebenbild  Gottes  in  ihr  ist  als  35 
die  Idee  der  gesammten  Menschheit  erschienen,  und  es  gab 
nur  Menschen  innei'halb  der  Nationen.  Es  gab  also  auch 
nur  ein  Geschick  der  Menschheit:  denn  diese  war  die  erste 
Erzeugimg  Gottes,  die  zweite  erst  setzte  einzelne  Menschen 
ab.     Diese  Einzelnen  konnten  daher  nur  bestehen,  so  lange  40 


1827  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  475 

[Januar  2i  Abends,  Weimar.]  [902] 

besprachen   sie  punctweise,   indem  wir   die   von   einem 


sie  (las  Geschick  der  Menscliheit  au  dem  ihrigen  machten: 
wollten  sie  ihr  eigenes  für  sich  haben,  so  wurden  sie  von 
5  jenem  allgemeinen  ergriffen  und  zertrümmert.  Diess  be- 
weist nicht  allein  die  Kunst,  welche  es  in  seineu  tiefsten 
Keimen  darstellt,  sondern  auch  die  Geschichte  in  den 
höchsten  Resultaten  mit  ihren  Verbannungen,  Ostracismen 
u.   s.   w.     Kein  grosser   Mann   Griechenlands,   der  es   durch 

10      seine  Individualität  war,  ist  anders  als  im  Elende  gestorben. 
AVas  ist  nun  aber  jenes  allgemeine  Geschicli  der  Mensch- 
heit?    Aeusserlich,  was  das  Geschlecht  begräuzt,  die  ph\si- 
sehen  Gebrechen,  denen  jeder  unterworfen  ist;  innerlich  die 
nothwendige  Art  zu  denken,  die  unwillkürliche  Verknüpfung 

15  der  Gedanken,  die  in  dem  Grossen  und  Kleineu,  dem  Edlon 
und  Schlechten  dieselbe  ist.  Und  dass  er  diesen  allgemeinen 
Gesetzen  nicht  entweichen  kann,  das  stürzt  eben  den  Ein- 
zelnen. Das  Drama  ist  die  wahrste  Darstellung  der  Gattung 
als  des  Erstgebornen  und  des  Individuums  als  des  Zweiten. 

20  Die  alte  Kunst  ist  also  in  ihren  innersten  Gründen  drama- 
tisch;   selbst  in  der  Erzählung,  wie  bekannt,  im  Homer. 

Ich  übergehe  die  sogenannte  romantische  AVeit,  welches 
mich  zu  weit  führen  würde,  und  komme  auf  die  moderne. 
Hier    ist    das    Erstgeborne    das    Individuum,    welches    das 

25  Ebenbild  Gottes  in  sich  trägt.  Und  zwar  trägt  es  dasselbe 
in  sich  nicht  als  das  Allgemeine  oder  als  den  absoluten 
Gott,  sondern  als  das,  welches  gerade  diesen  bestimmten 
Punct  endlicher  Erscheinung  (welchen  wir  eben  Individuum 
nennen)    mit   seinem    eigenen,    durchaus    nur    ihm    gehörigen 

30  Wesen  beseelt.  Es  kann  also  heut  zu  Tage  jeder  seinen  Gott 
nur  in  sich  selbst  finden  und  auch  seine  Philosophie  und 
seine  Kunst,  oder  wie  Ihr  es  nennen  wollt.  Das  Zweite  ist 
die  Gattung,  und  um  kurz  zu  sein,  sage  ich  nur,  der  Mensch 
lebt  in  der  Gattung   durch   Anschauung  aller  übrigen  Indi- 

35  vidualitäten,  welches  das  System  der  Ehre  und  der  zweck- 
mässigen Staatseinrichtungen  bildet.  Sein  Geschick  aber 
ist  seine  Individualität,  oder  (recht  verstanden)  sein  Charak- 
ter, und  der  Ausdruck  dieses  Geschicks  die  Liebe  und 
Freundschaft.     Nur  dadurch  kann  ihm  das  Ebenbild  Gottes 

40  in  ihm  zugleicli  wirklich  werden.  Der  Mensch  hat  jetzt 
kein   anderes   Geschick   als   die   Liebe.     Wer   seiner   Indivi- 


476  DIE   WAHLVERWANDTSCHAFTEX.  1827 

[Januar  21  Abends,  Weimar,]  [902] 

grossen  Charakter  zeugenden  Ansichten  und  die  Conse- 


dualitüt  sein  Yei'hältuiss  zu  der  Gattung  unterwii-ft,  oder 
diess  mit  ihr  vereinigt,  der  kommt  durcli.  Und  das  stellt  die 
Kunst  im  Roman  dar.  Alle  heutige  Kunst  beruht  auf  dem  5 
Roman,  selbst  das  Drama  (.Iphigenia',  ,Tasso').  Wer  seine 
Individualität  falsch  versteht  und  meistert,  oder  (wie  Krause 
so  wahr  sagt)  die  Stimme  des  Gewissens  überhört  und  dem 
klügelnden  Verstände  folgt,  der  geht  unter.  Und  das  ist 
der  Gipfel  der  heutigen  Kunst,  der  tragische  Roman.  Bei  10 
den  Alten  gibt  es  dagegen  eine  (so  zu  sagen)  i'omantische 
Tragödie,  wo  der  Charakter  gerechtfertigt  und  im  Sturze 
selbst  verklärt  wird  (,Oedipus  in  Kolonos'). 

Alles  diess  ist  von  mir  sehr  roh  hinge.stellt.     Ihr  werdet 
Euch    das  Wahre    herausfühlen.     Die    protarelios    äte     [das  15 
heisst:  der  erste,  alles  folgende  Unheil  veranlassende.  Frevel, 
nach  dem  .Agamemnon"  des  Aeschylos  V.  1151]     liegt    hier 
nicht  bloss  in  dem  Entschlüsse,  den  Hauptmann  und  Ottilien 
kommen  zu  lassen,  sondern  schon  in  dem  schwankenden  Zu- 
stande, in  dem  die  weislich  von  Gott  getrennte  Verbindung  20 
Eduards    und    seiner    ehemaligen    Geliebten,    die    ihm    noch 
dazu  selbst  Ottilien  bestimmte,  doch  geschlossen  wird.  Aber 
hier  sind  eben  die  Motive  gerade  in  einander  gewirrt,  wie 
es  sein  muss,  wo  Unheil  entstehen  soll.     Ich  denke,  niemand 
wird  hier  verkennen,  wie  im  Verlaufe  der  Handhmg  selbst  25 
alles  von  den  Individualitäten  ausgeht,  und  diese  immer  ein- 
seitiger werden  (besonders  Eduard),  je  mehr  sie  gegen  die 
Umgebungen  zu  kämpfen  haben.  Diese  Betrachtung,  dass  sio 
dadurch    einseitiger    werden,     rechtfertigt    mir    auch     den 
Eduard,   der  mir  sonst  zu   wenig  seiner  selbst  mächtig   ist.  30 
Und  doch  bin  ich  niclit  ganz  mit  ihm  zufrieden.  Ich  glaube, 
alles    würde    gewonnen    haben,    wenn    er    innerlich    grösser 
wäre,  und  doch  fallen  müsste.  Aber  das  Grösste  und  Heilig- 
ste darin  ist  wahrlicli  die  so  tief  innerliclie  Ottilie,  die  ihr 
keusches  Inneres  herausgeben  muss  an  den  Tag  des  Schick-  35 
sals,    der    dieser    Sturm    ihre    Knospe    aufweht    und    ihren 
heiligen  Blüthenstaub  verstreut.     Und  göttlich   ist  es,   dass 
auch   ihr  erhabener  Vorsatz   und   ihr  Gelübde   nichts   mehr 
hilft.     Sie  kann  ihre  eigene  innere  Macht  nur  noch  dazu  an- 
wenden,   sich    durch    sich    selbst   zu    vernichten.     So    ist   es  40 
gründlich  durchgeführt. 


1827  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  477 


[Januar  21  Abends,  Weimar.]  [902  J 

qneiiz  seiner  Ableitungen    und  Folgerungen  bewunder- 

Die  vielen  Reflexionen  und  Beobaclitungen  sind  recht 
charakteristisch.  Sie  gehen  immer  auf  Beobachtung  und 
5  Untersuchung  menschlicher  Individualität,  selbst  wenn  sie 
von  der  Natur  ausgehen.  Seht,  wohin  seihst  das  Studium 
der  Natiu'  diesen  wahrhaften  Dicliter  des  Zeitalters  gefülirt 
hat!  In  der  Natur  selbst  erkennt  er  die  Liebe,  das  sind  die 
Wahlverwandtschaften. 

10  Eben   dazu   gehören   die   Details   der   Umgebungen,    wovon 

ich  mir  auch  nicht  ein  Jota  rauben  lasse.  Gerade  diese  sind 
das  sichtbare  Kleid  der  Persönlichkeiten.  L'nd  sie  haben 
noch  eine  andere  iiohe  Bedeutung.  Sie  sind  das  tägliche 
Leben,   worin   sicli   die   Persönlichkeit   ausdrückt,   sofern   sie 

15  mit  andern  in  äussere  BerüliiTing  kommt  und  sich  von  ihnen 
unterscheidet.  Diese  bleiben  immer  der  eigenthümliche 
gleichartige  Ausdruck  desselben,  während  das  Innere  sich 
gewaltsam  umkehrt.  Diese  Umkehrung  ist  eben  schrecklich 
einleuchtend,  wenn  einmal  der  Blick  zugleich  auf  die  eigen- 

20  thümlichen  L'mgebungen  fällt,  die  immer  dieselben  blieben 
oder  gleichartig  fortschritten. 

Es  könnte  vielleicht  scheinen,  als  wenn  manches  von  dem, 
was  ich  zuerst  gesagt  habe,  einen  Widerspruch  erlitte  durch 
die  Art,  wie  hier  die  Natur  behandelt  ist,  ja  wie  sich  dieses 

25  ganze  Buch  auf  die  Natur  gründet.  Der  geheime  innere  Zu- 
sammenhang zwischen  Eduard  und  Ottilien,  ,,die  sich  sogar 
in  den  Kopfschmerz  getheilt  haben",  der  zuletzt,  wo  sie  so 
still  neben  einander  zu  sitzen  pflegen,  zur  wahren  Anzieh- 
ungskraft   wird,    Ottiliens    Auffinden    des    Steinkohlenlagers 

30  durch  blosse  hohe  Sensibilität,  die  Thätigkeit  des  Pendels 
in  ihrer  Hand,  endlich  überhaupt  die  Wahlverwandtschaften 
selbst  zeigen  deutlich,  dass  hier  die  allgemeine  Verwandt- 
schaft der  Natur  mit  sich  selbst  das  Schicksal  ist,  welches 
alles  hervorbringt.  Nun  könnte  man  sagen:  also  geht  es  nicht 

35  von  den  Individuen  aus,  sondern  von  jener  allgemeinen 
Macht. 

Aber  bei  tieferer  Ansicht  wird  jeder  entdecken,  dass  dieser 
Macht  in  der  Hervorbringung  der  einzelnen  Begebenheiten, 
Handlungen.  Verhältnisse  auch  nicht  der  geringste  Spielraum 

40  verstattet  ist,  sondern  sie  nur  im  Hintergrunde  liegt,  nicht 
als  wirkliche  Erscheinung  hervortritt,  sondern  als  das  Wesen, 


478  DIE  AVAHLVERWAXDTSCHAFTEX.  1827 


[Januar  21  Abends,  AVeimar.j 


[902] 


ten.     Obgleich  Solger  zugestand,   dass   das  Factum  in 


welches  iuuerbalb  der  Erscheinung  ist.  Und  wie  das  durch- 
geführt ist,  das  ist  wieder  eine  der  allerausserordentlichsten 
Vollendungen  der  Kunst,  der  fast  nichts  aus  irgend  einer  5 
Zeit  vorgezogen  werden  darf.  Jede  einzelne  Regung  oder  Be- 
wegung in  dem  ganzen  Verlaufe  ist  unmittelbar  in  dem  Cha- 
rakter der  Personen  gegründet,  und  wo  jenes  Naturverhält- 
niss  ausdrücklich  erwähnt  wird,  erscheint  es  entweder  als 
zufällig  bemerkt,  oder  gar  als  Folge  der  persönlichen  Ver-  lo 
hältnisse,  wie  eben  jene  gegenseitige  Anzieliung  der  beiden 
Liebenden.  Ich  muss  noch  einmal  zurückgelm  auf  die  Ver- 
gleichimg  mit  den  Alten.  Bei  ihnen  beruht  das  Geschick  nicht 
auf  Gesetzen  der  sogenannten  physischen  Natur,  sondern  der 
sittlichen,  und  diese  sondert  sich  auch  schon  ganz  als  Prin-  15 
cip  des  Schiclvsals  von  jener  ab.  Bei  ihnen  werden  auch  die 
Handlungen  der  einzelnen  Personen  gänzlich  vom  Geschick 
selbst  hervorgebracht,  und  der  Charakter  der  Menschen  sup- 
plirt  jenes  erst;  hier  ist  es  gerade  umgekehrt. 

Die  Grösse  des  Gegenstandes  und  die  erhabene  und  reine  20 
Ansicht  desselben  hat  eine  solche  Einfachheit  der  äusseren 
Hülfsmittel  der  Darstellung  hervorgebracht,  dass  sich  auch 
hierin  das  Werk  der  alten  Tragödie  sehr  nähert,  und  dass 
man  nach  gemeiner  Ansicht  die  Geschichte  selbst  fast  nur 
das  Gerippe  eines  Romans  nennen  könnte.  Daher  rührt  auch  25 
die  grosse  Kürze  der  Erzählung  gegen  die  langen  und  häu- 
figen Reflexionen,  und  auch  dieses,  dass  die  Ei-zählung  oft 
in  das  Präsens  übergeht  und  mit  kurzen,  auf  den  ersten  An- 
blick haii:  scheinenden  Zügen  Zustände  der  Pei"sonen  uni- 
reisst.  30 

TJeber  die  Details  der  Umgebungen  habe  ich  mich  schon 
geäussert.  So  wie  diese  das  ganz  tägliche  wirkliche  Leben 
der  Personen  immer  in  gleicher  Schwebung  erhalten  und 
gleichsam  als  Folie  dienen,  so  verhält  sich  die  Einflechtiing 
von  allem,  was  jetzt  Mode  ist.  als  Gartenkunst.  Liebhaberei  35 
an  der  Kunst  des  Mittelalters.  Darstellung  von  Gemälden 
durch  lebende  Personen  und  was  sonst  dahin  gehört,  zu  dem 
Leben  der  Leser  und  des  gesammten  Zeitalters.  In  der  Be- 
handlung dieser  Dinge  liegt  ebenfalls  eine  Kunst,  die  ich 
nicht  genug  bewundem  kann.  Sie  sind  als  vollkommen  40 
gültig,   wahr  und   in  der  Zeit  lebendig  aufgefasst  und   von 


1827  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEX.  4TJ) 

[Januar  21  Abemis,  Weimar.]  [902] 

den  jWalilverwandtschaften'  aus  der  Xatur  aller  Cha- 

dem  liüchsten  und  reinsten  Standpunct  aus  dargestellt.  Sie 
sind  sogar  in  die  Handlung  selbst  als  bedeutend  vei-flocliteu: 
5  Avenn  zum  Beispiel  der  Architekt  am  Ende  beim  Sarge  Ot- 
tiliens  dieselbe  Stellung  annimmt,  die  er  einst  als  Hiite  in 
dem  Gemälde  halten  musste.  So  sind  wir  ganz  auf  einhei- 
mischem und  frischem  Boden  der  Zeit.  In  diesem  Roman 
ist,  wie  im  alten  Epos,  alles  was  die  Zeit  Bedeutendes  und 
10  Besonderes  hat.  enthalten,  und  nach  einigen  Jahrhunderten 
würde  man  sich  hieraus  ein  vollkommenes  Bild  von  unserm 
jetzigen  täglichen  Leben  entwerfen  können. 

Eben  dazu  gehören  die  überall  ausgestreuten  Reflexionen. 
Es  ist  heut  zu  Tage  fast  kein  anderes  Mittel  da,  auf  Menschen 
15      zu  wirken  und  in  höherem   Sinne  in  der  menschlichen  <Je- 
sellschaft  gesellig  zu  leben,  als  eben  das  Privatgespräch  und 
die   Reflexionen   daiün.     Wir  müssen  jetzt  wahrlich   unsere 
ganze  Welt  und  unsere  ganze  Lebensthätigkeit  hauptsächlich 
darin  suchen.     Diese  aber  sind  auch  hier  wieder  recht,  was 
20      sie  im  gemeinen  Leben  sein  sollen,  Betrachtungen  über  das 
Nächste,  das  was  in  den  täglichen  Sitten  liegt,  Betrachtun- 
gen aber,  welche  nie  in  Philosophie  übergehen,  und  doch  im 
wirklichen  Leben  selbst  allemal  tief  in  das  Wesentliche  und 
wahrhaft  Bedeutende  eingreifen.     Ja  diese  Reflexionen  sind 
25      eigentlich   das   wahre  Leben,   das  wir  führen,   insofern  wir 
uns  über  das  ganz  Gemeine  und  Sinnliche  erheben.  Es  trägt 
also   in  ihrer  Darstellung    recht    die  höchste   Aufgabe    der 
Kunst,  nemlich  das  Tiefe  und  Innere  in  den   Gestaltungen 
der  reinen   Wirklichkeit  selbst  zum   Sein  zu  bringen.     Und 
30      wie  vollkommen  ist  sie  hier  gelöstl  Diese  Reflexionen  sind 
das  Element,  worin  das  Einzelne  athmet,  sie  sind  das  Accom- 
pagnement  zu  den  Arien  der  Begebenheiten  und  Handlungen. 
Wer  aber  nicht  einen   Sinn    hat,   gebildet  für  Goethe    und 
durch  ihn.  der  wird  sie  ohne  Zweifel  sehr  langweilig  finden. 
35         Was  [Friedrich  Heinrich  von  der]  Hagen  über  Ottilie  sagt, 
finde  ich  vortrefflich.     An  Zurechnung  ihres  Vergehens  kann 
niemand   denken,   der   diese  reine   verschlossene   Knospe   zu 
verstehen  fähig  ist.    Sie  weiss  es  ja  in  der  That  nicht,  wie  es 
mit  ihr  und  Eduard  steht,  sondern  es  i  s  t  so.  ja  sie  selbst 
40      ist  das    ganze  Verhältnis?.   Dass    dieses  hervorspringt    und 
wirklich  von  dem  verstehenden  Leser  gefasst  werden  kann. 


480  DIE  WAHI.VERWANDTSCHAFTEN.  1827 

[Januar  21  Abends,  Weimar.]  [902] 

raktere  hervorgehe,  so  tadelte  er  doch  den  Charakter  des 
Eduard^ 

„Ich  kann  ihm  nicht  verdenken",  sagte  Goethe,  „dass 
er  den  Eduard  nicht  leiden  mag,  ich  mag  ihn  selber  niciit 


ist  allein  eine  Glorie  um  Goethes  Haupt.  Eduard  bleibt  mir 
immer  noch  ein  wenig  zu  weichlich.  Was  mir  dieses  allein 
rechtfertigt,  ist,  dass  Ottilie  rein  die  Hauptperson  ist  und 
sein  muss.  Sie  ist  ja  das  Avahre  Kind  der  Natur  und  ihi' 
Opfer  zugleich.  Mit  diesen  zwei  Worten  ist  alles  Schöne  und  lo 
Grosse  ausgesprochen,  was  von  Frauen  zu  sagen  ist.  Und 
wie  unendlich  und  unerschöpflich  ist  diess!  Es  musste  noth- 
wendig  hier  eine  Frau  die  Hauptperson  sein. 

Ich  eile  nur  noch  einige  Bemerkungen  über  die  Nebenper- 
sonen  beizufügen.   Vor  allen   liebe    ich    nur    den  Architekt.  15 
Dieses    ist    eine    grossartige    Figur,    eine    der    höchsten    viel- 
leicht im  ganzen  Werke,  wie  voll  Grazie  und  Grösse.  Weise 
ist  er  nur  unter  die  Nebenfiguren  gestellt;  ich  möchte  sagen, 
er  war  zu  trefflich  zum   Haupthelden  der  Tragödie.   Wohl- 
verstanden, diese  Trefflichkeit  liegt  zugleich  mit  in  dem  zu-  20 
fällig  erscheinenden  Umstand,  dass  ihn  keine  überwiegende 
Gewalt  an  den  Tag  des  Schicksals  reisst.  Aber  solche  Um- 
stände liegen  mit  in  der  Person.  Ich  muss  innerlich  lachen, 
wenn  es  heisst:  ,,Ja  wie  würde  sich  der  nun  zeigen,  wenn  er 
in  diese  oder  jene  Lage  käme?"  Er  kommt  aber  nicht  darein,  25 
und  das  gehört  schon  mit  zu  ihm.  Also  ist  diese  stille  innei*- 
liche   Grösse   eines   jugendlichen   Heros   etwas   sehr   Hohes, 
selbst   mit  dadurch,   dass   sie   an   Umständen   nicht   geprüft 
wird.     Denn    bei'm  Prüfen  freilich    wird    immer   etwas    von 
einer  solchen  Ganzheit  abgerieben.  Nur  entzieht  er  sieh  der  30 
Prüfung  freilich  nicht  durch  absichtliche  Beschränkung,  son- 
dern  durch   seine  Natur.     Er  gehört  zu   dem,   was  bei  den 
Alten  der  Chor  war. 

Der  Gehülfe  der  Pensionsanstalt  hat  einen  Anstrich  von 
Pedanterei.  Sein  Verhältniss  zu  Ottilien  ist  aus  unserm  heu-  35 
tigen  eigensten  Leben  herausgegriffen.  Er  gehört  zu  den  ein- 
sichtsvollen, verständigen  Personen,  die  Goethe  so  sehr  liebt, 
und  streift  an  das  Erhabene  einer  solchen  Art  von  Bildung, 
wie  es  im  , Wilhelm  Meister'  einigemal  hervortritt." 
^  Vgl.  476,  30—33,  und  oben.Z.  6 f.  40 


1827  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  481 


[Januar  21  Abends,  Weimar.]  [902] 

leiden,  aber  ich  miisste  ihn  so  machen,  um  das  Factum 
hervorzubringen.  Er  hat  übrigens  viele  Wahrheit,  denn 
man  findet  in  den  höhern  Ständen  Leute  genug,  bei 
5  denen  ganz  wie  bei  ihm  der  Eigensinn  an  die  Stelle  des 
Charakters  tritt." 

Hoch  vor  allen  stellte  Solger  den  Architekten,  denn 
wenn  alle  übrigen  Personen  des  Romans  sich  liebend  und 
schwach  zeigten,  so  sei  er  der  einzige,  der  sich  stark  und 

10  frei  erhalte.  Und  eben  das  Schöne  an  seiner  Natur  sei 
nicht  sowohl  dieses,  dass  er  in  die  Verirrungen  der  üb- 
rigen Charaktere  nicht  hineingerathe,  sondern  dass  der 
Dichter  ihn  so  gross  gemacht,  dass  er  nicht  hineinge- 
rathen  k  ö  nn  e  ^. 

15  Wir  freuten  uns  über  dieses  Wort.  „Das  ist  freilich 

sehr  schön",  sagte  Goethe.  —  Ich  habe,  sagte  ich,  den 
Charakter  des  Architekten  auch  immer  sehr  bedeutend 
und  liebenswürdig  gefunden,  allein  dass  er  eben  dess- 
wegen  so  vortrefflich  sei,  dass  er  vermöge  seiner  Natur 

20  in  jene  Verwickelungen  der  Liebe  nicht  hineingeratheu 
könne,  daran  habe  ich  freilich  nicht  gedacht^.  — 
„Wundern  Sie  sich  darüber  nicht",  sagte  Goethe,  „denn 
ich  habe  selber  nicht  daran  gedacht,  als  ich  ihn  machte. 
Aber  Solger  hat  recht,  es  liegt  allerdings  in  ihm." 

25  „Dieser  Aufsatz",  fuhr   Goethe  fort,  „ist  schon  im 

Jahre  1809  geschrieben,  und  es  hätte  mich  damals 
freuen  können,  ein  so  gutes  Wort  über  die  ,Wahlver- 
w'andtschaften*^  zu  hören,  während  man  in  jener  Zeit  und 


*  Vgl.  480,  15-33. 

*  Diess  beweisen  auch  Eckermanns  Bemerkungen  über  die 
»Wahlverwandtschaften'  .in  seinen  (1828  veröffentlichten) 
(Beiträgen  zur  Poesie  mit  besonderer  Hinweisung  auf  Goethe'. 
Uebrigens  spricht  er  sich  hier  (S.  174),  wenn  auch  nur  kurz, 
doch  mit  ausserordentlich  feinem  Verständniss  über  die  Ge- 
stalt des  Architekten  aus. 

Graf,  Goethe  über  seine  Diclituugen  T.  I.  31 


482  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1827 


[Januar  21  Abends,  Weimar.]  [902] 

später    mir    eben    nicht    viel  Angenehmes    über    jenen 

IJonian  erzeigte"^. 

Mit  Eekermanu.   —  Gespräche  0.   30—33. 

Januar  29,  Weimar.  —  s.  232.  12—14.  902a    5 

Mai  6,  Weimar.  903 

„Es  war  im  ganzen",  fuhr  Goethe  fort,  „nicht  meine 
Art,  als  Poet  nach  Verkörperung  von  etwas  A  b  s  t  r  a  c  - 
t  e  m  zu  streben.  .  .  . 

Wollte  ich  jedoch  einmal  als  Poet  irgendeine  Idee  lo 
darstellen,  so  that  ich  es  in  kleinen  Gedichten,  wo 
eine  entschiedene  Einheit  herrschen  konnte  und  welches 
zu  übersehen  war,  wie  zum  Beispiel  die  ,Metamorphose 
der  Thiere',  die  ,der  Pflanzen',  das  Gedicht  ,Yermächt- 
niss',  und  viele  andere.  15 

Das  einzige  Product  von  g  r  ö  s  s  e  r  m  Umfang,  wo 
ich  mir  bewusst  bin  nach  Darstellung  einer  durchgrei- 
fenden Idee  gearbeitet  zu  haben,  wären  etwa  meine 
,Wahlverwandtschaften'.  Der  Eoman  ist  dadurch  für  den 
Verstand  fasslich  geworden;  aber  ich  will  nicht  sagen,  20 
dass  er  dadurch  besser  geworden  wäre!  Vielmehr  bin  ich 
der  Meinung:  je  inconi  mensurabler  und  für 
den  Verstand  unfasslicher  eine  poeti- 
sche Production,  desto  besse  r." 

.    Mit  Eckermann\  —  Gespräche  6,  135  f.  25 


'  Zu  dem  „Angenehmen"  gehörte  vor  allem  Abekens  Beur- 
theilung  im  .Morgenblatt'  (s.  438,  31),  an  die  Goethe  bei  der 
Leetüre  von  Solgers  Briefwechsel  durch  die  oben  474,  13. 
angeführte  Stelle  erinnert  werden  konnte. 

Es   ist  beachtenswerth,   dass  von   den   Besprechungen   der  30 
.Wahlverwandtschaften'    diejenigen    beiden,    welche  Goethe 
am  meisten  schätzte,  zwei  eng  befreundete  junge  Männer  zu 
Verfassern  hatten,  beide  1780  geboren,  also  bei'm  Erscheinen 
des  Romans  neunundzwanzig  Jahre  alt. 

-  Goethe  tliat  die  Aeusserung  während  eines  Tischgespräches,  ?,:> 
bei  dem,  ausser  Eckermann.  Ampere  und  Stapfer  als  Gäste 
Goethes  zugegen  waren. 


1827  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  483 

Juli  21  Abends,  Weimar.  904 

„Sie  wissen,  Aristoteles  sagt  vom  Trauerspiele,  es 
müsse  Furcht  erregen,  wenn  es  gut  sein  solle^.  Es 
gilt  dieses  jedoch  nicht  bloss  von  der  Tragödie,  sondern 
auch  von  mancher  andern  Dichtung.  Sie  finden  es  in 
meinem  ,Gott  und  die  Bajadere',  Sie  finden  es  in  jedem 
guten  Lustspiele  und  zwar  bei  der  Verwickelung,  ja  Sie 
finden  es  sogar  in  den  , Sieben  Mädchen  in  Uniform'-, 
indem  wir  doch  immer  nicht  wissen  können,  ^ne  der 
Spass  für  die  guten  Dinger  abläuft.  Diese  Furcht  nun 
kann  doppelter  Art  sein:  sie  kann  bestehen  in  Angst, 
oder  sie  kann  auch  bestehen  in  Bangigkeit.  Diese  letztere 
Empfindung  wird  in  uns  rege,  wenn  wir  ein  moralisches 
Uebel  auf  die  handelnden  Personen  heranrücken  und 
sich  über  sie  verbreiten  sehen,  wie  zum  Beispiel  in  den 
,Wahlven\^andtschaften'.  Die  Angst  aber  entsteht  im 
Leser  oder  Zuschauer,  wenn  die  handelnden  Personen 
von  einer  physischen  Gefahr  bedroht  werden,  zum  Bei- 
spiel in  den  , Galeerensklaven'  und  im  ,Freischütz'^;  .  ." 
Mit  Eckermann,  —  Gespräche  6,  166  f. 

November  21,  Weimar.  905 

Die  Kunden*  erlauben  wohl  dem  Schneider,  hier  oder 


'  Vgl.  485,  33. 

*  Dieses  Liederspiel  von  Louis  Angely  war  zuerst  1825  im 
April  am  Königstädter  Theater  in  Berlin,  dann  im  Laufe  des 
Jahres  auch  noch  in  Weimar  aufgeführt  worden  (vgl.  G.- 
Zelter 4,  121);  gedruckt  erschien  es  in  Band  2  von  Angelys 
Sammlung  ,Vaudevilles  und  Lustspiele'  (Berlin,  1830). 

'  ,Die  beiden  Galeerensklaven  oder  die  Mühle  von  St.  Alderon. 
Schauspiel  in  drei  Acten'  von  Winkler  hatte  im  September 
1823,  ,Der  Freischütz.  Romantische  Oper  in  drei  Acten'  von 
Friedrich  Kind,  Musik  von  Karl  Maria  von  Weber,  am  IS. 
Juni  1821  in  Berlin  die  erste  Aufführung  erlebt. 

*  Unter  ihnen  ist  hier  das  Lesepublicura  zu  verstehen;  Goethes 
Aeusserung  betrifft  insbesondere  die  Aufnahme  von  Walter 
Scotts  Wei'ke    ,The    life    of  Napoleon  Buonaparte,    emperor 


484  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1829 

[November  21,  Weimar.]  [905] 

dort  ein  gewisses  Tuch  auszunehmen,  den  Rock  aber 
wollen  sie  auf  den  Leib  gepasst  haben,  und  sie  beschwe- 
ren sich  höchlich,  wenn  er  ihnen  zu  eng  oder  zu  weit 
ist;  am  besten  befinden  sie  sich  in  den  polnischen  Schlaf-  5 
rocken  des  Tags  und  der  Stunden,  worin  sie  ihrer  voll- 
kommensten Bequemlichkeit  pflegen  können,  da  sie,  wie 
Du  Dich  wohl  erinnern  wirst,  sich  gegen  meine  ,Wahl- 
verwandtschaften'  wie  gegen  das  Kleid  des  Nessus  ge- 
berdet haben^.  10 
An  Zelter.  —  G.-Zelter  4,  442. 

18:39. 

Januar  17,  Weimar.  905a 

E.  W.  erhalten  hiebei  die  vierte  Lieferung"  der  kleinen 
Ausgabe  und  die  erste  der  in  Octav.  Wenn  ich  mit  diesen  15 
Sendungen  fortfahre,  so  erlauben  Sie  zugleich  den  fort- 
gesetzten Wunsch  auszusprechen:   Sie  mögen  den  An- 


of    the    French.     By  the  autlior  of  „Waverley"  &c'.     (Edin- 
burgh, 1827,  neun  Bände). 

Das  heisst  eigentlich:  rasend,  wild  schreiend  vor  Schmerz,  20 
mit  dem  ungestümen  Bestreben,  sich  davon  zu  befreien;  wie 
Herakles  that,  als  das  Gewand,  welches  Dei'aneira,  seine 
Gattin,  mit  dem  vergifteten  Blute  des  Kentauren  Nessos 
bestrichen  hatte,  seine  unaufhaltsam  zerstörende  Wirkung 
ausübte.  25 

Der  hier  von  Goethe  gewählte  Vergleich   fällt  auf  durch 
seine  ausserordentliche  Stärke. 

—  Die  ganze  Stelle  findet  sich  fast  wörtlich  wiederholt  in 
Goethes  Brief  an  Kaspar  von  Sternberg  vom  27.  November 
desselben  Jahres  (G.-Stemberg  S.  184;  hier  heisst  es  statt  30 
„auszunehmen",  s.  oben  Z.  2,  „mitzunehmen"). 
Lieferung  4,  die  Göttling  zur  Durchsicht  für  die  sogenannte 
„Octavausgabe"  empfing,  umfasste  Band  16  (, Werther',  .Briefe 
aus  der  Schweiz'),  17  (, Wahlverwandtschaften'),  18—20 
(.Wilhelm  Meisters  Lehrjahre').  35 


1830  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  485 


[Januar  17,  Weimar.]  [905a] 

theil  an  meinen  Arbeiten  auch  fernerhin  erhalten  und, 
wie  bis  jetzt,  gefällig  bethätigen.  .  .  . 
An  Göttling.  —  G.-Göttling  S.  70. 

Februar  9.  AVeimar.  906 

Goethe  sprach  viel  über  die  ,Walilverwandtschaften', 
besonders  dass  jemand  sich  in  der  Person  des  Mittler 
getroffen  gefunden,  den  er  früher  im  Leben  nie  gekannt 
und  gesehen.  „Der  Charakter",  sagte  er,  „muss  also 
wohl  einige  Wahrheit  haben  und  in  der  Welt  mehr  als 
einmal  existiren.  Es  ist  in  den  ,Wahlverwandtschaften' 
überall  keine  Zeile,  die  ich  nicht  selber  erlebt  hätte,  und 
es  steckt  darin  mehr,  als  irgend  jemand  bei  einmaligem 
Lesen  aufzunehmen  im  Stande  wäre." 
Mit  Eckermann.  —  Gespräche  7,  8  f. 

1830. 

Januar,  zwischen  13  und  25,  Weimar.*  907 

Zum  Scherz  und  l^eberfiuss  lass  mich  in  G-efolg  des 
Vorigen  erwähnen:  dass  ich  in  meinen  ,  W  a  h  1  v  e  r  - 
wand  tschaften'  die  innige,  wahre  Katharsis  so 
rein  und  vollkommen  als  möglich  abzuschliessen  bemüht 
war^;  desshalb  bild'  ich  mir  aber  nicht  ein,  irgend  ein 


*  Diese  Datining  ergibt  sieh  aus  dem  Text  des,  in  zwei  Ab- 
sätzen   dictirten,    Briefes,    dessen    Schluss    das   Datum    ,,29. 
25      Januar"  trägt. 

-  Diese  Bemerkung  gehört  zu  dem  Meinungsaustausch  der 
beiden  Freunde  über  Goethes  Aufsatz  ,Nac]ilese  zu  Aristo- 
teles' Poetik'  im  sechsten  Bande  von  ,  Kunst  und  Alterthuui' 
(1827,  S.  84—91),  worin  Goethe  die  Aristotelische  BegrifEs- 
30  bestimraung  der  Tragödie,  nacli  seiner  Weise,  übersetzt  und 
erläutert.  Zum  Yerständniss  des  Obigen  dient  folgende 
Stelle  des  angeführten  Aufsatzes: 

„Er  [Aristoteles]  spricht  ganz  klar  und  richtig  aus:    wenn 

sie    [die    Tragödie]    durch    einen    Verlauf    von    Mitleid    und 

35      Furcht  erregenden  Mitteln  durchgegangen,  so  müsse  sie  mit 


486  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN.  1830 

[Januar,  zwischen  13  und  25,  'Weimar.]  [907] 

hübscher  Mann  könne  dadurch  von  dem  Gelüst,  nach 
eines  Andern  Weih  zu  blicken,  gereinigt  werden^.  Das 
sechste  Gebot,  welches  schon  in  der  Wüste  dem  Elohim- 
Jehova  so  nöthig  schien,  dass  er  es,  mit  eigenen  Fingern, 


Ausgleichung,    mit  Versöhnung    solcher  Leidenschaften    zu- 
letzt auf  dem  Theater  ihre  Arbeit  abschliessen. 

Er  versteht  imter  K  a  t  h  a  r  s  i  s  diese  aussöhnende  Ab- 
rundung,  welche  eigentlich  von  allem  Drama,  ja  sogar  von 
allen    poetischen   Werken    gefordert   wird"    (WH.   29,   491).  lo 

lieber  die   Stellung   Goethes  zu   der  aristotelischen   Lehre 
vom  Wesen  der  Tragiklie  vgl.  Hermann  Baumgarts  Schrift 
, Aristoteles,   Lessing  und   Goethe.     Ueber  das  ethische  und 
das  aesthetische  Princip  der  Tragödie'  (Leipzig,  Druck  und 
Verlag  von  B.  G.  Teubner.     1877),  besonders  S.  76—8.3;    auch  15 
Düntzers  Abhandlung  .Goethes  Ansicht  über  das  Wesen  der 
Tragödie'  GJ.  3,  132—158. 
^  In  Goethes  Aufsatz  , Nachlese  zu  Aristoteles'  Poetik'  heisst 
es  am  Schluss:     ,,Hat  nun  der  Dichter  an  seiner  Stelle  seine 
Pflicht  erfüllt,  einen  Knoten  bedeutend  geknüpft  und  würdig  20 
gelöst,  so  wird  dann  dasselbe  in  dem  Geiste  des  Zuschauers 
vorgehen:     die   Verwicklung   wird   ihn   verwirren,   die   Auf- 
lösung aufklären,  er  aber  um  nichts  gebessert  nach  Hause 
gehen;    er  würde  vielmehr,   wenn  er  asketisch  aufmerksam 
genug  wäre,  sich  über  sich  selbst  verwundern,  dass  er  ebenso  25 
leichtsinnig  als  hartnäckig,  ebenso  heftig  als  schwach,  ebenso 
liebevoll  als  lieblos  sich   wieder  in  seiner  Wohnung  findet. 
Avie  er  hinausgegangen".     Dass  aber  Goethe  hier  keineswegs 
bloss  die  dramatische  Dichtung,  sondern  ebenso  die  epische 
im   Sinne   hat,    und   seine   Worte   demzufolge   auch   auf   die  30 
.Wahlverwandtschaften'  Bezug  haben,  ist  aus  den  folgenden, 
kurz  vorhergehenden  Worten  ersichtlich:  „Wer  nun  auf  dorn 
Wege    einer  wahrhaft    sittlichen    inneren   Ausbildung   fort- 
schreitet, wird  empfinden  und  gestehen,  dass  Tragödien  und 
tragische    Romane    den    Geist    keineswegs    beschwichtigen.  35 
sondern   das  Gemüth   und   das,   was   wir  das   Herz   nennen, 
in   Unruhe   versetzen   und   einem   vagen,   imbestimmten   Zu- 
stande entgegenführen;    diesen  liebt  die  Jugend  und  ist  da- 
her für  solche  Productionen  leidensch.iftlich   eingenommen" 
(WH.  29,  493).  40 


1831  DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEX.  487 

[Januar,  zwischen  13  und  25,  Weimar.]  [907] 

in  Granittafeln  einschnitt,  wird  in  nnsern  löschpapier- 
nen  Katechismen  immerfort  aufrecht  zu  halten  nöthig 
sein. 

5  Verzeihung  dieses!  denn  die  Sache  ist  von  so  grosser 

Bedeutung,  dass  Freunde  sich  immer  darüber  berathen 
sollten;  ja  ich  füge  Folgendes  hinzu:  es  ist  ein  gränzen- 
loses  Verdienst  unsres  alten  Kant  um  die  Welt,  und 
ich  darf  auch  sagen,  um  mich,  dass  er,  in  seiner  , Kritik 

10  der  ürtheilskraft',  Kunst  und  X  a  t  u  r  neben  einan- 
der stellt  und  beiden  das  Eecht  zugesteht:  aus  grossen 
Principien  zwecklos  zu  handeln\  So  hatte  mich  Spi- 
noza früher  schon  in  dem  Hass  gegen  die  absurden 
Endursachen  geglaubiget.    Xatur  und  Kunst    sind    zu 

15  gross,  um  auf  Zwecke  auszugehen  und  haben's  auch  nicht 
nöthig,  denn  Bezüge  gibt's  überall  und  Bezüge  sind  das 
Leben. 

An  Zelter.  —  G.-Zelter  5,  381. 

Februar  17,  Weimar.  908 

20  ^'on  seinen  , Wahlverwandtschaften'  sagt  er,  dass  darin 

kein  Strich  enthalten,  der  nicht  erlebt,  aber  kein  Strich 
so,  Av  i  e  er  erlebt  worden-. 

Mit  Eckermann.  —  Gespräche  7,  218. 

1831. 

25  October  31,  Weimar.  J)09 

^Die  Frömmler  habe  ich  von  jeher  verwünscht,    die 


'  In   gleichem   Sinn    äussert   Goethe    sich    hierüber   ausführ- 
licher in  dem  Aufsatz  .Einwirliung  der  neuern  Philosophie' 
(Nat.  W.  11,  50—52,  besonders  51,  5  f.:     „Meine  Abneigung 
30      gegen    die   Endursachen    ward    nun    geregelt   und   gerecht- 
fertigt"). 
*  Vgl.  485,  11  f. 

'  Zelter  hatte  am  27.  October  gemeldet:  „Unser  theologischer 

Eiferer    Hengstenberg    soll    eine    bleischwere    Kritik 

35      über  die  .Wahlverwandtschaften'  entlassen  haben.  Ich  kenn' 


488 


DIE  WAHLVERWANDTSCHAFTEN. 


1831 


[October  31,  Weimar.]  [909] 

Berliner,  so  wie  ich.  sie  kenne,  durchaus  verflucht,  und 
daher  ist  es  hillig,  dass  sie  mich  in  ihrem  Sprengel  in 
den  Bann  thun^. 

An  Zelter.  —  G.-Zelter  6,  327.  5 


ihn  nicht,  und  wenn  er  Dich  nicht  versteht,  wirst  Du  ihn 
auch  nicht  liennen"  (G.-Zelter  6,  321). 

Die  von  dem  streng  ortliodoxen  Theologen  Hengstenberg 
in  Berlin  herausgegebene  .Allgemeine  evangelisch-lutherische 
Kirchen-Zeitung'  hatte  1831  in  den  Nummern  57—61,  vom  lo 
IG.,  20.,  23.,  27.  und  30.  Juli  (Spalte  449—488)  einen  anonymen 
Aufsatz  über  Goethes  Roman  gebracht.  In  dem  Exemplar 
der  Königlichen  Bibliothek  zu  Berlin  ist  (nach  freundlicher 
Mittheilung  Ludwig  Geigers)  der  Name  Göschel  mit  Bleistift 
beigeschrieben.  15 

^  So  hätten  auch  hier  jene  Spottverse  gepasst,  die  Goethe, 
mehr  als  ein  halbes  Jahrhundert  früher,  auf  Nicolais  An- 
griffe gegen  , Werther'  dichtete  (vgl.  Nr.  1029): 

,,Was  schiert  mich  der  Berliner  Bann, 
Geschmäcklerpfaffenwesenl  20 

Und  wer  mich  nicht  verstehen  kann, 
Der  lerne  besser  lesen". 


Berichtigungen  und  Nachträge. 

1,  20  nach  322  ist  einzuschalten:  mit  der  Bezeichnung  .Erster 
Gesang'  (ebenso  in  allen  folgenden  Drucken). 

G,  38:  5, 
5    6,  23  f.  lies:  Merck  [statt  „Goethe"]  .  .  gelehrten  Anzeigen'  .  . 
Goethe  gedenkt  [statt  „und  gedachte"] 

7.  32:  chorizein 

13,  23:  hierauf  ist  einzuschalten: 

Mai  16,  Weimar.  31a 

10  [Vormittags]  Ilias  fortgesetzt. 

Tgb.  2,  207,  21. 

14,  25:  Abhandlung, 

17,  34:   Montag    [18.   März] 
26,  9:  hierauf  ist  einzuschalten: 

15  1805. 

Mai  1,  Weimar.  —  s.  Nr.  37üa.  78a 

26,  23 — 25  Pniower  weist  (bei  Besprechung  von  Goethes  Brief 

an  Schiller  vom  12.  September  1800,  Br.  15,  102,  14r-  103,  2) 

die  Beziehung  obiger  Stelle  auf  .Helena'  als  unrichtig  ab; 
20         es  sei  bei  dem  Werk,  das  Goethe  angefangen  habe,  ,,doch 

wohl  an  die  ,AcMlleis'  zu  denken'"  (Pniower  S.  74  Nr.  173). 
28,  34:  die  Epen. 
30,  20:  sind  (vgl.  aber  Nr.  432), 
32,  11:  hierauf  ist  einzuschalten: 

25  1825. 

Juni  18,  Weimar.  —  s.  Nr.  40'ja.  4091).  '      ^^-  ^■ 

34,  18:  50) 

38,  13  ist  nach  dem  Citat  beizufügen:  (Jakob  Minor  in  W.  38, 
451) 
30  41,  25:  Galvanismus 

45,  11:  hierauf  ist  einzuschalten: 

März  26,  Weimar.  108a 

[Früh]  Biographika,  der  ,ewige  Jude'  .  .   [s.  Xr.  108.] 
Tgb.  5,  27,  4. 
35  46,  18  ist  das  Komma  zu  streichen. 


490  BERICHTIGUNGEN   UND   NACHTRAGE. 

46,  30  ist  die  Zeilenzahl  zu  verbessern  (ebenso  179,  20.  25.  30.  35. 
231,  10.  15.  20.  25.  30.  35). 

47,  28—31:  vgl.  dazu  den  Schluss  des  kleinen  Aufsatzes  ,Parali- 
pomena'  WH.  29.  348. 

48,  30  ist  nach  dem  Citat  beizufügen:  (W.  36,  188,  13—15)  5 
55,  1:  hierauf  ist  einzuschalten: 

?][März  7,  Jena.]  —  s.  ,Wilhelm  Meister'  u.  g.  D.         119a 

69,  32:  Vgl.  32,  31—33. 

71,  13:  1800 

75,  2  f.  als  Erl.:  Cottas  Honorar-Conto  für  Goethe  verzeichnet  lo 
unter  dem  3.  September  1800  (Schiller-Cotta  S.  691): 
„26  Seiten  im  Damen-Calender  für  ISOl fl.  132.—". 

77,  0:  hierauf  ist  einzuschalten: 

1816. 

üeeember  18,  Weimar.  —  s.  Nr.  884.  I.j8b  15 

81,  12:  Herrmann 

82,  6:  hierauf  ist  einzuschalten: 

Juli  26,  Weimar.  —  s.  den  Schluss  von  Nr.  1384.  163a 

82,  10:  hierauf  ist  einzuschalten: 

August  17,  Weimar.  —  s.  Nr.  1391.  164a  20 

87,  18.  37:  denn  noch 

100,  19:  1897  Verlag  von  Velhagen  &  Klasing  in  Bielefeld  und 
Leipzig. 

107,  6:  Gesang   [5.  6] 

107,  33  ist  anzufügen:    (vgl.  106,  12).  25 

109,  38:  26  [statt  „25"] 

117,  31  f. :  Unterscliiede 

125,  34:  Darnstädt 

139,  25  ist  die  Erläuterungszahl  ^  zu  ergänzen. 

143,  8  ist  zu  streichen  und  zu  lesen:  von  .Hermann  und  Doro-  30 
thea'  [s.  Nr.  317]. 

148,  38:  266 

153,  36:  liegt, 

161,  38:  fürchte, 

171,  33  ist  zu  streichen  und  zu  lesen:  tion  and  Notes  By  Water-  35 
man  T.  Hewett,  .  .  Boston,  Heath 

173,  32:  vom 

191,  33:  ihn,  am  selben  Tage, 

199,  5  ist  nach    der  Klammer  einzufügen:  August  1874.    Ge- 
druckt bei  Breitkopf  und  Härtel  in  Leipzig.  O.  J.   [1874.]  40 

202,  36:  Mayn, 


BERICHTIGUNGEN   UND   NACHTRÄGE.  491 


206,  2:   [Juni  G  oder  7.  Jena.] 

H.  Düutzer  macht  es,  mit  sehr  einleuchtenden  Gründen, 
wahi-scheinlich,  dass  Goethes  Brief  (die  Antwort  auf  Fried- 
rich Schlegels  Schreiben  vom  3.  Juni  1798)  schon  am  0. 
5  oder  7.  Juni  geschrieben  sei,  und  bezieht  folgende  drei 
Tagebuchvermerke,  die  wir  hier  nachbringen,  auf  das 
Margites-Epos: 

1798. 

Juni  5,  Jena.  -ilSa 

10  [Früh]  .Monsieur  Niccola'. 

Tgb.  2,  210,  18. 
Juni  6.  Jena.  418b 

[Früh]  ,Monsieur  Xiceola^ 
Tgb.  2,  210,  21. 

15         Juni  7,  Jena.  418c 

Früh  ,Monsieur  Xiccola'. 

Tgb.   2,   210,   24. 
Düntzer  sagt:  „Die  im  Jahre  1798  erschienene  Abhandlung 
Falbes  ,De  Margite  Homerico',  .  .  kannte  Goethe  offenbar 

20  nicht,  sonst  würde  er  Schlegel  nicht  mit  der  Zusammen- 
stellung aller  Nachrichten  über  dieses  Homerische  Gedicht 
bemüht  haben.  Er  hatte  das  Gedicht  schon  begonnen, 
zur  Förderung  desselben  wünschte  er  alles  zu  erfahren, 
was  A^om  Homerischen  Gedichte  bekannt  sei,  und  zwar  so 

25  rasch  wie  möglich.  .  .  das  Gedicht  war  der  'Monsieur 
Niecola',  mit  welchem  Namen,  der  kaum  auf  eine  wirk- 
liche Person  geht,  Goethes  Tagebuch  am  Morgen  des  5., 
6.  und  7.  [Juni]  beginnt.  Dieser  Monsieur  Niecola  muss 
ein    eulenspiegelerischer  Bedienter  sein.     Niecola    ist    ein 

30  bekannter  Dienername,  woraus  sich  denn  ergibt,  dass 
Goethe  den  Helden  des  ,Margites',  von  dem  es  heisst,  er 
habe  vieles,  aber  nichts  recht  verstanden,  als  einen  Sklaven 
sich  dachte,  worin  er  auch  recht  gehabt  haben  wird"  (Zeit- 
schrift für  deutsche  Philologie  1899  31,  5.52  f.). 

35  Zu    beachten    ist    auch    folgende    Notiz,    die    Goethe    sich 

nebst  mehreren  anderen  zu  Büschings  , Volkssagen,  Mähr- 
chen und  Legenden'  (er  erhielt  das  Werk  im  Sommer  1812) 
macht:  „Büsching  aufmerksam  zu  machen  auf  1)  .  .  2) 
der  .  .  den  seine  Mutter  ausschickt  nach  Butter,  und  der 

40  unterwegs  die  Ritzen  der  aufgeborstenen  Erde  damit  zu- 
streicht. —  Art  Margites"  (SdGG.  14,  362). 


492  BERICHTIGUNGEN   UND   NACHTRÄGE. 


207,  1:  hierauf  ist  einzuschalten: 

Handschriften:  sind  nicht  bekannt. 

Erster  Druck:  1811,  in  ,Aus  meinem  Leben  Dichtung  und 
Wahrheit.     Von  Goethe.     Erster  Theil.    .  .  .  Tübingen, 
in  der  J.  G.  Cottaischen  Buchhandlung.     1811'  S.  105—    5 
138;   in  Buch  2. 
Zweiler  Druck:  1818,  Werlie  Cotta^  17,  78—99.     An  gleicher 

Stelle. 
Dritter  Druck:    1829,  Werke  Cotta'  24,  78—99.  An  gleicher 

Stelle.  jjj 

M'ei7narer  Ausgabe:   1889,  W.  26,  78 — 99.  An  gleicher  Stelle. 
217,  23:  gereimter  Strophen 
234,  33:  Vgl.  Nr.  1825. 

261,  42:  man  wolle  beachten,  dass  die  Erläuterimg  noch  auf  die 
folgende  Seite  übergreift  (ebenso  375,  35.  433,  38.  451,  40.  15 
469,  39). 
304,  23:  Schiller.       • 

310,  28:  das  Komma  nach  der  Klammer  ist  zu  streichen. 
315,  17:  unsre 

328,  31:  142.  20 

349,  36:  das  Komma  ist  zu  streichen. 

421,  29.  31:  die  Lücken  sind  grösser,  als  hier  angedeutet  ist. 
437,  21:  Gespräche  2,  304  steht  irrig  „belehren". 


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