Skip to main content

Full text of "Theodor Herzls tagebücher, 1895-1904"

See other formats


Google 


This  is  a  digital  copy  of  a  book  that  was  prcscrvod  for  gcncrations  on  library  shclvcs  bcforc  it  was  carcfully  scannod  by  Google  as  pari  of  a  projcct 

to  make  the  world's  books  discoverablc  online. 

It  has  survived  long  enough  for  the  Copyright  to  expire  and  the  book  to  enter  the  public  domain.  A  public  domain  book  is  one  that  was  never  subject 

to  Copyright  or  whose  legal  Copyright  term  has  expired.  Whether  a  book  is  in  the  public  domain  may  vary  country  to  country.  Public  domain  books 

are  our  gateways  to  the  past,  representing  a  wealth  of  history,  cultuie  and  knowledge  that's  often  difficult  to  discover. 

Marks,  notations  and  other  maiginalia  present  in  the  original  volume  will  appear  in  this  flle  -  a  reminder  of  this  book's  long  journcy  from  the 

publisher  to  a  library  and  finally  to  you. 

Usage  guidelines 

Google  is  proud  to  partner  with  libraries  to  digitize  public  domain  materials  and  make  them  widely  accessible.  Public  domain  books  belong  to  the 
public  and  we  are  merely  their  custodians.  Nevertheless,  this  work  is  expensive,  so  in  order  to  keep  providing  this  resource,  we  have  taken  Steps  to 
prcvcnt  abuse  by  commercial  parties,  including  placing  lechnical  restrictions  on  automated  querying. 
We  also  ask  that  you: 

+  Make  non-commercial  use  ofthefiles  We  designed  Google  Book  Search  for  use  by  individuals,  and  we  request  that  you  use  these  files  for 
personal,  non-commercial  purposes. 

+  Refrain  fivm  automated  querying  Do  not  send  automated  queries  of  any  sort  to  Google's  System:  If  you  are  conducting  research  on  machinc 
translation,  optical  character  recognition  or  other  areas  where  access  to  a  laige  amount  of  text  is  helpful,  please  contact  us.  We  encouragc  the 
use  of  public  domain  materials  for  these  purposes  and  may  be  able  to  help. 

+  Maintain  attributionTht  GoogXt  "watermark"  you  see  on  each  flle  is essential  for  informingpcoplcabout  this  projcct  and  hclping  them  lind 
additional  materials  through  Google  Book  Search.  Please  do  not  remove  it. 

+  Keep  it  legal  Whatever  your  use,  remember  that  you  are  lesponsible  for  ensuring  that  what  you  are  doing  is  legal.  Do  not  assume  that  just 
because  we  believe  a  book  is  in  the  public  domain  for  users  in  the  United  States,  that  the  work  is  also  in  the  public  domain  for  users  in  other 
countries.  Whether  a  book  is  still  in  Copyright  varies  from  country  to  country,  and  we  can'l  offer  guidance  on  whether  any  speciflc  use  of 
any  speciflc  book  is  allowed.  Please  do  not  assume  that  a  book's  appearance  in  Google  Book  Search  mcans  it  can  bc  used  in  any  manner 
anywhere  in  the  world.  Copyright  infringement  liabili^  can  be  quite  severe. 

Äbout  Google  Book  Search 

Google's  mission  is  to  organizc  the  world's  Information  and  to  make  it  univcrsally  accessible  and  uscful.   Google  Book  Search  hclps  rcadcrs 
discover  the  world's  books  while  hclping  authors  and  publishers  rcach  ncw  audicnccs.  You  can  search  through  the  füll  icxi  of  ihis  book  on  the  web 

at|http: //books.  google  .com/l 


dbyGoogle 


I 


2i^55qi         "^  •     "^7 


1. 


dbyGoOglc 


dbyGoogle 


db,Google 


DIESE  AUSGABE  WURDE  IN  150  NUMERIERTEN 
EXEMPLAREN  HERGESTELLT 


dbyGoogle 


THEODOR  HERZLS  TAGEBÜCHER 


D,3,l,zedb,G00gle 


THEODOR  HERZLS 

TAGEBÜCHER 

1895—1904 

DREI  BÄNDE 


JÜDISCHER  VERLAG  /  BERLIN 


D,3,l,zedb,G00gle 


THEODOR  HERZLS 
TAGEBÜCHER 


ERSTER  BAND 


j  9»  a 


JÜDISCHER   VERLAG    /    BERLIN 


D,3,l,zedb,G00gle 


Druck  von  G.  Kxe^ing  in  Leiptig. 
Copjri^  igia  b;  Jüditdier  Verlag,  G.  m.  b.  H.,  Berlin. 
Alls  Rechte,  inibetondere  d>i  der  Oberaetiung,  vorbehalten. 


Dm  die«etn  Band  beigegebene  Poitrit  Theodor  Henli  itt 
nach  einer  Aufiiahnv  reprodiuieit,  die  ungefiihr  aui  der 
2Mt  det  Beginn*  der  TagebUcher-Niedervcbiift  (tunint. 


dbyGoogle 


D,3,l,zedb,G00gle 


D,3,l,zedb,G00gle 


Vorwort 

Theodor  Heril  war  der  Begröoder  der  neuen  politisch- 
zionistischen  Bewegung.  Sein  Tagebuch,  das  hiermit  der 
Of  fentlichJieit  unterbreitet  wird,  st^l  zum  vollkommeneren 
Verständnis  seines  Lebenswerkes  und  seiner  Persönlich- 
keit beitragen. 

Die  achtzehn  „BOcher"  des  Originalmanuskriptes  sind 
hier  in  drei  Bänden  gesammelt.  Der  Text  ist  wortgetreu 
wiedergegeben,  mit  Ausnahme  von  wenigen  und  kursen 
Stellen  (stets  klar  durch  Punktreihen  kenntlich  gemacht), 
die  die  Herausgeber  zu  entfernen  sich  bewogen  fühlten. 
2wei  Rücksichten  kamen  hierbei  in  Betracht.  Einiges 
schien  ihnen  als  zu  intimer  Natur,  gleich  als  ob  der  Ver- 
fasser sich  der  endlichen  Publizierung  nicht  bewußt  ge- 
wesen wäre;  anderes,  als  geeignet,  noch  lebende  Personen 
zu  verletzen. 

Daß  aber  dieses  spätere  Schicksal  seiner  Aufzeich- 
nungen den  Absichten  Theodor  Herzls  sonst  nicht  fremd 
war,  dafür  zeugt  manche  Stelle  dieser  Tagebücher. 


dbyGooglc 


dbyGoogle 


Erstes  Buch 


D,3,l,zedb,G00gle 


dbyGoOglc 


Der  Judensache  erstes  Buch 
-    Begonnen  in  Paris  um  Pfingsten  1896 

Ich  arbeite  seit  einiger  Zeit  an  einem  Werk,  das  von 
unendlicher  Größe  ist.  Ich  weiß  beute  nicht,  ob  ich  es 
ausführen  werde.  Es  siebt  aus  wie  ein  mächtiger  Traum. 
Aber  seit  Tagen  und  Wochen  füllt  es  mich  aus  bis  in  die 
Bewußtlosigkeit  hinein,  begleitet  mich  überall  hin, 
schwebt  über  meinen  gewöhnlichen  Gesprächen,  blickt 
mir  über  die  Schulter  in  die  komisch  kleine  Journalisten- 
arbeit,  stört  mich  und  berauscht  mich. 

Was  daraus  wird,  ist  jetzt  noch  nicht  tu  ahnen.  Nur 
sagt  mir  meine  Erfahrung,  daß  es  merkwürdig  ist,  schon 
als  Traum,  und  daß  ich  es  aufschreiben  soll  —  wenn 
nicht  als  ein  Denkmal  für  die  Menschen,  so  doch  für  mein 
eigenes  späteres  Ergötzen  oder  Sinnen.  Und  vielleicht 
zwischen  diesen  beiden  Möglichkeiten:  für  die  Literatur. 
Wird  aus  dem  Roman  keine  Tat,  so  kann  doch  aus  der 
Tat  ein  Roman  werden. 

Titel:  Das  Gelobte  Landl 

Ich  weiß  wahrhaftig  heute  nicht  mehr,  ob  nicht  über- 
haupt der  Roman  das  erste  war,  woran  ich  dachte.  Aller- 
dings nicht  etwas  „Belletristisches"  als  Selbstzweck,  son- 
dern nur  als  ein  Dienendes. 

Und  daß  ich  es  heute  nach  so  kurzer  Zeit  nicht  mehr 
deutlich  weiß,  beweist  am  besten,  wie  notwendig  diese 
Aufscbreibung  ist.  Wie  sehr  habe  ich  es  bedauert,  daß 
ich  nicht  am  Tage  meiner  Ankunft  in  Paris  ein  Tagebuch 
begann  für  die  Erlebnisse,  Wahrnehmungen  und  Ge- 
sichte,  die  nicht  in  die  Zeitung  kommen  können,  zu 
schnell  und  eigentümlich  vorübergehen.  So  ist  mir  viel 
entschwunden. 


dbyGoogle 


Aber  was  sind  die  Erlebnisse  eines  Reporters  gegen 
das,  woran  ich  jetzt  wirke.  Welche  Träume,  Gedanken, 
Briefe,  Begegnungen,  Taten  —  Enttäuschungen,  wenn 
es  zu  nichts  kommt,  und  furchtbare  Kämpfe,  wenn  ea 
dazu  kommt,  werde  ich  zu  besteben  haben.  Das  muß  fest- 
gehalten werden. 

Stanley  interessierte  die  Welt  mit  der  kleinen  Beise- 
bescbreibung :  „How  I  found  Livingstone".  Und  als  er  gar 
quer  durch  den  dunklen  Weltteil  zog,  da  war  die  Welt 
sehr  ergriffen,  die  ganze  Kulturwelt.  Und  wie  gering 
sind  diese  Unternehmungen  gegen  meine.  Heute  muß  ich 
noch  sagen:  gegen  meinen  Traum. 

Wann  ich  eigentlich  anfing,  mich  mit  der  Judenfrage 
zu  beschäftigen?  Wahrscheinlich,  seit  sie  aufkam.  Si- 
cher, seit  ich  Dübrings  Buch  gelesen.  In  einem  meiner 
alten  Notizbücher,  das  jetzt  in  Wien  irgendwo  eingepackt 
steckt,  finden  sich  die  ersten  Bemerkungen  über  Dübrings 
Buch  und  die  Frage.  Ich  hatte  damals  noch  kein  Blatt 
für  meine  Literatur  —  das  war,  glaube  ich,  1881  oder 
1883;  aber  ich  weiß,  daß  ich  beute  noch  öfters  einiges 
von  dem  sage,  was  ich  dort  aufschrieb.  Im  weiteren  Ver- 
lauf der  Jahre  hat  die  Frage  an  mir  gebohrt  und  genagt, 
mich  gequält  und  sehr  unglücklieb  gemacht.  Tatsächlich 
bin  ich  immer  wieder  zu  ihr  zurückgekehrt,  wenn  mich 
die  Erlebnisse,  Leiden  und  Freuden  meiner  eigenen  Per- 
son ins  allgemeine  aufsteigen  ließen. 

Natürlich  ist  mit  jedem  wandelnden  Jahre  eine  Ände- 
rung in  meine  Gedanken  gekommen,  hei  aller  Einsicht 
des  Bewußtseins.  So  siebt  mir  ja  jetzt  auch  aus  dem 
Spiegel  ein  anderer  Mann  entgegen,  als  früher.  Aber  die 
Person  ist  auch  mit  den  verschiedenen  Zügen  dieselbe. 
Ich  erkenne  an  den  Alterszeichen  meine  Reife. 

Zuerst  hat  mich  die  Judenfrage  bitterlich  gekränkt. 


dbyGooglc 


Es  gab  vielleicht  eine  Zeit,  wo  ich  ihr  gern  entwischt 
.  wäre,  hinüber  ins  Christentum,  irgendwohin.  Jedenfalls 
waren  das  nur  unbestimmte  Wünsche  einer  jugendlichen 
Schwäche.  Denn  ich  sage  mir  in  der  Ehrlichkeit  dieser 
Aufschreibung  —  die  völlig  wertlos  wäre,  wenn  ich  mir 
etwas  vorheuchelte  —  ich  sage  mir,  daß  ich  nie  ernstlich 
daran  dachte,  mich  zu  taufen,  oder  meinen  Namen  zu 
ändern.  Letzteres  ist  sogar  durch  eine  Anekdote  beglau- 
bigt. Ab  ich  in  meinen  blutigen  Anfängen  mit  einem 
Manuskript  zur  Wiener  „Deutschen  Wochenschrift" 
ging,  riet  mir  Dr.  Friedjung,  einen  weniger  jOdischeu 
Namen  als  Federnamen  zu  wählen.  Ich  lehnte  das  rund- 
weg ab  und  sagte,  daß  ich  den  Namen  meines  Vaters 
weiter  tragen  wolle,  und  daß  ich  bereit  sei,  das  Manu- 
«kript  zurückzuziehen.  Friedjung  nahm  es  dann  doch. 
Ich  war  dann  schlecht  und  recht  ein  Literat  mit  klei- 
nem Ehrgeiz  und  geringen  Eitelkeiten. 

Die  Judenfrage  lauerte  mir  natürlich  an  allen  Ecken 
und  Enden  auf.  Ich  seufzte  und  spöttelte  darüber,  fühlte 
mich  unglücklich,  war  aber  doch  nicht  recht  davon  er- 
griffen, obwohl  ich  schon,  bevor  ich  hierher  kam,  einen 
Judenroman  schreiben  wollte.  Ich  wollte  ihn  auf  meiner 
spanischen  Reise  verfassen,  die  ich  im  Sommer  1891  an- 
trat. Es  war  mein  damals  nächster  literarischer  Plan. 
Die  Hauptfigur  sollte  mein  teurer  Freund  Heinrich  Kana 
werden,  der  sich  im  Februar  1891  in  Berlin  erschossen 
hatte.  Ich  glaube,  ich  wollte  mir  in  dem  Roman  sein 
Gespenst  losschreiben.  Der  Roman  hieß  in  meinem  Ent- 
wurf , .Samuel  Kohn"  und  unter  meinen  losen  Notizen 
müssen  sich  viele  finden,  die  darauf  Bezug  haben.  Na- 
mentlich wollte  ich  die  leidende,  verachtete  und  brave 
Gruppe  der  armen  Juden  in  Gegensatz  zu  den  reichen 
Juden  bringen.  Diese  spüren  nichts  vom  Antisemitismus, 


dbyGoogle 


den  sie  doch  eigentlich  und  hauptsfichlicb  verschulden. 
Das  Milieu  Kanas  sollte  dem  Milieu  seiner  reichen  Ver- 
wandten gegenübergestellt  werden. 

Die  Neue  Freie  Presse  rief  mich  als  Korrespondenten 
nach  Paris.  Ich  nahm  an.  weil  ich  gleich  ahnte,  wie  viel 
ich  in  dieser  Stellung  von  der  Welt  sehen  und  lernen 
würde;  hatte  aber  doch  in  mir  ein  Bedauern  über  den 
verlassenen  Plan  des  Romans. 

In  Paris  geriet  ich  —  wenigstens  als  Beobachter  —  in 
die  Politik.  Ich  sab,  womit  die  Welt  regiert  wird.  Ich 
starrte  auch  das  Phänomen  der  Menge  an;  lange  Zeit, 
ohne  es  zu  begreifen.  Ich  kam  auch  hier  in  ein  freieres 
und  höheres  Verhältnis  zum  Antisemitismus,  von  dem 
ich  wenigstens  nicht  unmittelbar  zu  leiden  hatte.  In 
Österreich  oder  Deutschland  muß  ich  immer  befürchten, 
daß  mir  hepp-hepp  nachgerufen  wird.  Hier  gebe  ich 
doch  „unerkannt"  durch  die  Menge. 

In  diesem  Unerkannt  I  liegt  ein  furchtbarer  Vorwurf 
gegen  die  Antisemiten. 

Das  Hepp-bepp  hörte  ich  mit  meinen  Ohren  bisher  nur 
zweimal.  Das  erstemal  in  Mainz  auf  der  Durchreise  1888. 
Ich  kam  am  Abend  in  ein  billiges  Konzertlokal,  trank  dort 
mein  Bier,  und  als  ich  aufstand  imd  durch  den  Lärm 
und  Qualm  zur  Türe  ging,  rief  mir  ein  Bursche  „Hepp- 
hepp"  nach.  Um  ihn  herum  entstand  ein  rohes  Gewieher. 

Das  zweitemal  wurde  mir  in  Baden  bei  Wien  ,,Saujud'* 
nachgerufen,  als  ich  im  Wagen  aus  der  Hinterbrühl  von 
Speidel  kam.  Dieser  Ruf  traf  mich  stärker,  weil  er  das 
merkwürdige  Nachwort  zu  dem  Gespräche  war,  das  ich 
in  der  Hinterbrüh]  geführt  hatte,  und  weil  er  auf  „hei- 
mischem" Boden  ertönte. 

In  Paris  also  gewann  ich  ein  freieres  Verhältnis  zum 


dbyGoOglc 


Antisemitismus,  den  ich  historisch  lu  verstehen  und  xu 
entschuldigea  anfing. 

Vor  allem  erkannte  ich  die  Leere  und  Nutzlosigkeit 
der  Bestrebungen  „zur  Abwehr  des  Antisemitismus".  Mit 
Deklamationen  auf  dem  Papier  oder  in  geschlossenen 
Zirkeln  ist  da  nicht  das  mindeste  getan.  Es  wirkt  sogar 
komisch.  Immerhin  mögen  —  neben  Strebern  und  Ein- 
fSltigen  —  auch  sehr  wackere  Leute  in  solchen  „Hilfs- 
komitees" sitzen.  Sie  gleichen  den  ,JIilfskomitees"  nach 
—  und  VCH"!  —  Oberschwemmungen  und  richten  auch  un- 
geffihr  so  viel  aus.  Die  edle  Bertha  von  Suttner  ist  im 
Irrtum  —  freilich  in  einem  Irrtum,  der  sie  hoch  ehrt  — , 
wenn  sie  glaubt,  daß  ein  solches  Komitee  helfen  kann. 
Ganz  der  Fall  der  Friedensvereioe.  Ein  Mann,  der  ein 
furchtbares  Sprengmittel  erfindet,  tut  mehr  für  den  Frie- 
den ab  tausend  milde  Apostel. 

Dies  antwmiete  ich  auch  beiläufig  dem  Baron  Leiten- 
berger,  als  er  mich  vor  drei  Jahren  fragte,  was  ich  von 
dem  „Freien  Blatt"  zur  Abwehr  usw.  hielte.  Nichts  hielt 
ich  davon.  Allerdings  ließe  sich  journalistisch  wirken, 
meinte  ich,  und  entwickelte  ihm  den  Plan  des  von  einem 
unverfälschten  Christen  zu  leitenden  Volksblattes  zur  Be- 
kämpfung des  Judenhasses.  Dies  schien  dem  Baron  L. 
jedoch  tu  umständlich,  oder  zu  kostspielig.  Er  wollte 
nur  im  kleinen  kämpfen.  Gegen  den  Antisemitismus! 

Heute  bin  ich  freilich  der  Ansicht,  daß  es  ein  macht- 
loser, törichter  Versuch  wäre,  was  mir  damals  ausrei- 
chend vorkam. 

Der  Antisemitismus  ist  gewachsen,  wächst  weiter  — 
und  ich  auch. 

Ich  erinnere  mich  jetzt  noch  an  zwei  verschiedene  Auf- 
fassungen der  Frage  und  ihrer  Lösung,  die  ich  im  Ver- 
lauf dieser  Jahre  hatte.  Vor  ungefähr  zwei  Jahren  wollte 


dbyGoogle 


ich  die  Judenfrage  mit  Hilfe  der  katholischen  Kirche  we- 
nigstens in  Osterreich  lösen.  Ich  wollte  mir  Zutritt  zum . 
Papst  verschaffen,  nicht  ohne  mich  vorher  des  Beistandes 
österreichischer  Kirchenfürsten  versichert  su  haben,  und 
ihm  sagen:  Helfen  Sie  uns  gegen  die  Antisemiten,  und 
ich  leite  eine  große  Bewegung  des  freien  und  anstfindigen 
Übertritts  der  Juden  zum  Christentum  ein. 

Frei  und  anständig  dadurch,  daß  die  Führer  dieser  Be- 
wegung —  ich  vor  allen  —  Juden  bleiben  und  als  Juden 
den  Obertritt  zur  Mehrheitsreligion  propagieren.  Am 
hellichten  Tage,  an  Sonntagen  irni  zwölf  Uhr,  sollte  in 
feierlichen  Aufzügen  unter  Glockengeläute  der  Übertritt 
stattfinden  in  der  Stefanskirche.  Nicht  verschämt,  wie 
es  Einzelne  bisher  getan,  sondwn  mit  stolzen  Gebärden. 
Und  dadurch,  daß  die  Führer  Juden  blieben,  das  Volk 
nur  bis  zur  Kirchenschwelle  geleiteten  und  selbst  draußen 
blieben,  sollte  ein  Zug  großer  Aufrichtigkeit  das  Ganze 


Wir  Standhaften  hfitten  die  Grenzgeneration  gebildet. 
Wir  blieben  noch  beim  Glauben  unserer  Väter.  Aber  un- 
sere jungen  Söhne  sollten  wir  zu  Christen  machen,  bevor 
sie  ins  Alter  der  eigenen  Entschließui^  kämen,  wo  der 
Übertritt  wie  Feig^it  oder  Streberei  aussieht.  Ich  hatte 
mir  das  alles  wie  gewöhnlich  bis  ins  GeSstel  der  Einzel- 
heiten ausgedacht,  sah  mich  auch  schon  im  Verkehr  mit 
dem  Erzbischof  von  Wien,  stand  in  Gedanken  vor  dem 
Papst  —  die  sehr  bedauerten,  daß  ich  nur  zur  Grenzgeae- 
ration  gehören  wollte  —  und  ließ  dieses  Schlagwort  der 
Rasaenvermischung  durch  die  Welt  fliegen. 

Bei  der  ersten  Gelegenheit  des  mündlichen  Verkehrs 
wollte  ich  die  Herausgeber  der  Neuen  Freien  Presse  für 
den  Plan  gewinnen.  Früher  schon  hatte  ich  ihnen  von  hier 
aus  einen  Rat  gegeben,  den  sie  zum  Schaden  der  liberalen 


dbyGooglc 


Partei  in  Osteireich  nicht  befolgten.  Nämlich,  ungefähr 
ein  Jahr  bevor  die  Wahlreformbewegung  der  Soziali- 
sten akut  wurde,  empfahl  ich,  sie  sollten  im  Weihnacbts- 
artikel  plötzlich  das  allgemeine  Wahlrecht  fordern.  Da- 
durch könnten  die  Liberalen  den  verlorenen  festen  Boden 
im  Volk,  in  der  intelligenten  Arbeiterschaft  wiedergewin- 
nen. —  Die  Wahlreformbewegung  kam  dann  von  außen 
an  sie  heran,  und  sie  nahmen  dazu  keine  glückliche 
Stellung. 

IcJi  hatte  allerdings  bei  den  Leitartiklern  keine  rechte 
Autorität;  sie  hielten  mich  nur  für  einen  Plauderer  und 
Feuilletonisten. 

So  lehnte  auch  Benedikt,  als  ich  hier  mit  ihm  darüber 
sprach,  meine  Papstidee  ab,  wie  früher  Bacher  die  all- 
gemeine Wahlrechtsidee  zurückgewiesen  hatte. 

Aber  etwas  in  Benedikts  Antwort  traf  mi<^  als  richtig. 
Er  sagte:  Hundert  Generationen  hindurch  hat  Ihr  Ge- 
schlecht sich  im  Judentum  erhalten.  Sie  wollen  jetzt  sich 
selbst  als  die  Grenze  dieser  Entwicklung  setzen.  Das 
können  und  dürfen  Sie  nicht.  Übrigens  wird  Sie  der 
Papst  gar  nicht  empfangen. 

Das  hinderte  freilich  die  Neue  Freie  Presse  und  die 
österreichischen  Liberalen  nicht,  dann  doch  zum  Papst 
um  Intervention  gegen  die  Antisemiten  zu  gehen.  Das 
geschah  im  heurigen  Winter,  anderthalb  Jahre  nach  mei- 
nem Gespräch  mit  Benedikt :  freilich  unter  ungünstigen, 
ja  prinzipienwidrigen  Umständen;  und  zwar  als  Kardinal 
Scbönborn  nach  Rom  fuhr,  um  den  Papst  für  ein  Auf- 
treten gegen  jenen  Teil  der  Antisemiten  zu  bitten,  der  dem 
Klerus  und  der  Regierung  anfing  unangenehm  zu  wer- 
den. Die  Liberalen  erkannten  da  durch  konkludente 
Handlungen  an,  was  sie  früher  immer  geleugnet  hatten : 
das  Recht  des  Papstes,  sich  in  die  inneren  Angelegen- 


dbyGooglc 


heiteo  Österreichs  einzumischen.  Das  Ergebnis  dieser 
Seibstaufgabe  war  gleich  Null. 

Ich  hatte  etwas  ganz  anderes  gemeint:  einen  diploma- 
tischen Friedensschluß  bei  verschlossenen  Türen. 

Ohne  meine  Zeitung  konnte  ich  natürU<^  nichts  ma- 
chen. Wo  hätte  ich  die  Autorität  hergenommen?  Wel- 
chen Gegenwert  hätte  ich  versprechen  können?  Die 
Dienste  des  führenden  liberalen  Blattes  hätten  den  klugen 
Papst  vielleicht  bewogen,  etwas  zu  tun,  eine  Erklärung 
abzugeben,  oder  Winke  zu  machen.  Ich  hörte  übrigens 
später  einmal  eine  Äußerung  LeosXIII.  über  die  Zeitung: 
Schade,  daß  die  Neue  Freie  Presse  so  gut  gemacht  ist. 

Nach  dieser  verlassenen  Auffassung  reifte  in  mir  auf 
jene  dunkle  Weise  im  Unbewußten  eine  weitere,  nicht 
so  politische,  aber  mehr  betrachtende.  Diese  führte  ich 
zum  erstenmal  deutlich  im  Gespräch  mit  Speidel  aus, 
ala  ich  ihn  im  vergangenen  Sommer  von  Baden  aus  in 
der  Hinterbrühl  besuchte.  Wir  gingen  über  grüne  Wie- 
sen, philosophierend,  und  kamen  auf  die  Judenfrage. 

Ich  sagte:  „Ich  begreife  den  Antisemitismus.  Wir 
Juden  haben  uns,  wenn  auch  nicht  durch  unsere  Schuld, 
als  Fremdkörper  inmitten  verschiedener  Nationen  erhal- 
ten. Wir  haben  im  Ghetto  eine  Anzahl  gesellschaftswid- 
riger Eigenschaften  angenommen.  Unser  Charakter  ist 
durch  den  Druck  verdorben,  und  das  muß  durch  einen 
anderen  Druck  wieder  hergestellt  werden.  Tatsächlich 
ist  der  Antisemitismus  die  Folge  der  Judenemansipation. 
Bevölkerungen,  denen  das  historische  Verständnis  man- 
gelt —  also  alle  — ,  sehen  uns  aber  nicht  als  geschicht- 
liches Produkt  an,  nicht  als  die  Opfer  früherer,  grausa- 
mer und  noch  beschränkterer  Zeiten.  .Die  wissen  nicht, 
daß  wir  so  sind,  weil  inan  uns  unter  Qualen  so  gemacht 
bat,  weil  die  Kirche  das  Wuchergewerhe  für  Christen 


dbyGooglc 


unehrlich  machte  und  wir  durch  die  Herrscher  in  Geld- 
geschfitte  gedrängt  wurden.  Wir  kleben  am  Geld,  weil 
man  uns  aufs  Geld  geworfen  bat.  Zudem  mußten  wir 
immer  bereit  sein,  su  fliehen  oder  unseren  Besitz  vor 
Plünderungen  zu  verbergen.  So  ist  unser  Verhältuia  zum 
Geld  entstanden.  Auch  dienten  wir  Kammerknechte  des 
Kaisers  als  eine  Art  indirekter  Steuer.  Wir  zogen  dem 
Volke  das  Geld  ah,  das  uns  nachher  geraubt  oder  kon- 
fisziert wurde.  In  all  den  Leiden  wurden  wir  häßlich, 
verwandelte  sich  unser  Charakter,  der  in  Vorzeiten  stolz 
und  großartig  gewesen  war.  Wir  waren  ja  Männer,  die 
den  Staat  auf  der  Kriegsseite  zu  verteidigen  wußten,  und 
müssen  ein  hochbegabtes  Volk  gewesen  sein,  wenn  wir 
zweitausend  Jahre  hindurch  erschlagen  wurden  und 
nicht  umgebracht  werden  konnten. 

Nun  war  es  ein  Irrtiun  der  doktrinär  Freisinnigen,  zu 
glauben,  daß  man  die  Menschen  durch  eine  Verfügung 
im  Reichsgesetzblatt  gleich  macht.  Ab  wir  aus  dem 
Ghetto  herauskamen,  waren  und  blieben  wir  zunächst 
noch  die  Ghettojuden.  Man  mußte  uns  Zeit  lassen,  uns 
an  die  Freiheit  zu  gewöhnen.  Diese  Großmut  oder  Ge- 
duld hat  aber  die  uns  umgebende  Bevölkerung  nicht.  Sie 
sieht  nur  die  üblen  und  auffälligen  Eigenschaften  der 
Freigelassenen  und  ahnt  nicht,  daß  diese  Befreiten  un- 
schuldig Bestrafte  waren.  Hinzu  kommen  die  sozialisti- 
schen Zeitideen  gegen  das  bewegliche  Kapital,  dem  sich 
die  Juden  seit  Jahrhunderten  ausschließlich  zuzuwenden 
gezwungen  waren. 

Wenden  sich  die  Juden  aber  vom  Gelde  weg  zu  Be- 
rufen, die  ihnen  früher  vorenthalten  waren,  so  bringen 
sie  einen  fürchterlichen  Druck  in  die  Erwerbsverhält- 
nisse der  Mittelstände;  einen  Druck,  unter  dem  freilich 
sie  seihst  vor  allen  leiden. 


dbyGoogle 


Der  Antisemitismus,  der  ia  der  großen  Menge  etwas 
Starkes  und  Unbewußtes  ist,  wird  id>er  den  Juden  nicht 
schaden.  Ich  halte  ihn  für  eine  dem  Judencharakter  nütz- 
liche Bewegung.  Er  ist  die  Erziehung  einer  Gruppe 
durch  die  Massen  und  wird  vielleicht  zu  ihrer  Aufsaugung 
führen.  Erzogen  wird  man  nur  durch  Härten.  Es  wird 
die  Darwinsche  Mimikry  eintreten.  Die  Juden  werden 
sich  anpassen.  Sie  sind  wie  Seehunde,  die  der  Weltzufall 
ins  Wasser  warf.  Sie  nehmen  Gestalt  und  Eigenschaften 
von  Fischen  an,  was  sie  doch  nicht  sind.  Kommen  sie 
nun  vrieder  auf  festes  Land  und  dürfen  da  ein  paar  Ge- 
nerationen bleiben,  so  werden  sie  wieder  aus  ihren  Flos- 
sen Füße  machen. 

Die  Spuren  des  einen  Druckes  können  nur  durch  den 
anderen  Druck  vertilgt  werden." 

Speidel  sagte :  „Dasist  eine  welthistorische  Auf  fassung." 

Ich  fuhr  dann  in  die  wachsende  Nacht  hinaus,  hinüber 
nach  Baden.  Als  mein  Fiaker  durch  den  Tunnel  hinter 
der  Gholerakapelle  raste,  kamen  eben  zwei  junge  Leute, 
einer  in  Kadettenuniform  des  Wegs.  Ich  glaube,  ich  saß 
zusammengesunken  und  in  Gedanken.  De  hörte  ich  deut- 
lich hinter  dem  Wagen  herrufen :  „Saujud  I" 

Es  riß  mich  in  einen  Zorn  auf.  Ich  drehte  mich  er- 
bittert gegen  die  Burschen  um,  die  aber  schon  weit  zurück 
waren.  Gleich  darauf  war  auch  die  kurze  Lust  vergangen, 
mich  mit  Gassenjungen  herumzubalgen.  Es  war  auch 
nicht  beleidigend  für  meine  ihnen  unbekannte  Person, 
sondern  nur  für  meine  Judennase  und  m«nen  Judenbart, 
die  sie  in  der  halben  Dunkelheit  hinter  den  Wagenlater- 
nen  gesehen  hatten. 

Und  welch  ein  wunderlicher  Nachhall  zu  meiner  „welt- 
historischen" Auffassung.  Das  Welthistorische  nützt  da 
nichts. 


dbyGoogle 


Eiaige  Monate  später  saß  ich  dem  Bildhauer  Beer  zu 
meiner  Büste.  Und  wie  es  das  Gespräch  ergab,  kamen  wir 
darauf,  daß  es  den  Juden  nichts  nütze,  Künstler  und 
geldrein  zu  werden.  Der  Fluch  haftet.  Wir  kommeD 
nicht  aus  dem  Ghetto  heraus.  Da  erhitzte  ich  mich  sehr 
im  Reden,  und  beim  Weggehen  glühte  es  in  mir  nach. 
Mit  der  Raschheit  jenes  Traumes  im  Wasserschaff  des 
arabischen  Märchens  entstand  in  mir  der  Plan  zu  diesem 
Stück.  Ich  glaube,  ich  war  von  der  rue  Descombes  noch 
nicht  bis  zur  place  P^eire  gekommen,  da  war  in  mir 
schon  alles  fertig. 

Am  anderen  Tage  setzte  ich  mich  hin.  Drei  selige 
Wochen  der  Glut  und  Arbeit. 

Ich  hatte  geglaubt,  durch  diese  dramatische  Eruption 
die  Sache  losgeschrieben  zu  haben.  Im  Gegenteil,  ich 
kam  immer  tiefer  hinein.  Es  verstärkte  sich  in  mir  der 
Gedanke,  daß  ich  etwas  für  die  Juden  tun  müsse. 

Ich  ging  zum  erstenmal  in  den  Tempel  der  rue  de  la 
Victoire,  fand  den  Gottesdienst  wieder  feierlich  und  rüh- 
rend. Vieles  erinnerte  mich  an  meine  Jugend,  den  Tempel 
in  der  Tabakgasse  in  Pest.  Ich  sah  mir  die  hiesigen  Juden 
an  und  fand  die  Familienähnlichkeit  ihrer  Gesichter. 
Kühne,  verdrückte  Nasen,  scheue  und  listige  Augen. 

Faßte  ich  ihn  damals,  oder  hatte  ich  ihn  schon  früher, 
den  Plan,  „Zustände  der  Juden"  zu  schreiben? 

Jetzt  erinnere  ich  mich,  daß  es  schon  früher  war.  Ich 
sprach  schon  im  Herbst  davon  in  Wien.  Ich  wollte  die 
Orte  aufsuchen,  wohin  der  Weltzuf  all  die  Juden  in  Grup- 
pen verstreut  hat,  namentlich  Rußland,  Galizien,  Ungarn, 
Böhmen,  später  den  Orient,  die  neuen  Zionskolonien, 
endlich  wieder  Westeuropa.  Aus  all  den  wahrheitsge- 
treuen Schilderungen  sollte  das  unverschuldete  Unglück 
der  Juden  hervorkommen.  Zeigen,  daß  es  Menschen  sind, 

i3 


dbyGoogle 


die  man  beschimpft,  ohne  sie  zu  kennen.  Hier  habe  ich 
ja  Reporteraugen  bekommen,  die  für  solche  Aufnahmen 
nötig  sind. 

Ich  geriet  vor  Ostern  mit  Daudet  in  Verkehr.  Einmal 
kamen  wir  auch  auf  die  Juden.  Er  gestand,  daß  er  Anti- 
semit sei.  Ich  erklärte  ihm  meinen  Standpunkt  und  wurde 
wieder  einmal  warm.  (Woraus  hervorginge,  daß  ich 
eigentlich  ein  Sprechdenker  bin.)  Als  ich  ihm  sagte, 
daß  ich  fOr  und  Ober  die  Juden  ein  Buch  schreiben  wolle, 
fragte  er:  Einen  Roman?  —  Nein,  meinte  ich:  Lieber 
ein  Buch  für  Männer !  —  Er  aber  sagte :  Der  Roman  trägt 
weiter.  Sehen  Sie,  Onkel  Toms  Hülle. 

Ich  rednerte  dann  noch  weiter,  ergriff  auch  ihn  so, 
daß  er  endlich  sagte:  „Comme  c'est  beau,  comme  c'est 
beaul" 

Das  hat  mich  dann  wieder  an  den  „Zuständen  der  Ju- 
den" wankend  gemacht,  und  ich  dachte  wieder  an  den 
Roman.  Nur  war  Samuel  Kohn  —  Heinrich  Kana  nicht 
mehr  die  Hauptfigur.  Im  ersten  Plan  handelte  das 
Scblußkapitel  von  den  Stimmungen,  die  Samuels  Selbst- 
mord vorhergingen.  Er  spazierte  am  Abend  Unter  den 
Linden,  fühlte  sich  durch  seinen  nahen  Tod  allen  über- 
legen. Er  betrachtete  spöttisch  die  Gardeoffiziere,  von 
denen  er  sich  pflücken  konnte,  welchen  er  wollte.  In 
dem  Augenblick,  wo  er  seinen  Selbstmord  verwerten 
wollte,  war  er  ein  Gebieter.  Er  ging  auch  so  stolz  und 
herrisch  daher,  daß  ihm  alle  unwillkürlich  auswichen. 
Das  stimmte  ihn  wieder  versöhnlich,  und  er  ging  still 
nach  Hause  und  erschoß  sich. 

In  der  jetzigen  Form  war  Samuel  noch  der  schwä- 
chere, si>er  sehr  geliebte  Freund  des  Helden,  der  durch 
Zufälle  seines  Lebens  dahin  kommt  —  das  Gelobte  Land 
zu  entdecken,  richtiger  zu  gründen. 


dbyGooglc 


Auf  dem  Schiff,  das  ihn  nach  den  neuen  Gestaden 
führen  soll,  nüt  dem  Stab  seiner  Landsuchungsoffiziere, 
erhSit  er  Samueb  Abschiedsbrief,  knapp  vor  der  Abfahrt. 
Samuel  schreibt:  ,JVIein  lieber,  guter  Junge,  wenn  du 
diesen  Brief  liest,  bin  ich  tot." 

Da  f  fthrt  sieb  der  Held  mit  der  Faust,  in  der  das  Papier 
knittert,  ans  Herz.  Aber  im  oSchsten  Augenblick  ist  nur 
Zorn  in  ihm. 

Er  gibt  Befehl  zur  Abfahrt.  Dann  steht  er  am  Schif fs- 
bug,  schaut  steif  hinaus  ins  Weite,  wo  das  Gelobte  Land 
liegt. 

Und  er  nimmt  den  Brief,  in  dem  doch  so  viel  rührende 
Liebe  und  Treue  ist,  und  ruft  in  den  Wind :  „Dummkopf, 
Lump,  Elender  I  Ein  verlorenes  Leben,  das  uns  gehörte!" 


Wie  ich  von  den  Romanideen  zu  den  praktischen  kam, 
ist  mir  jetzt  schon  ein  Rätsel,  obwohl  das  in  den  letzten 
Wochen  liegt.  Das  spielt  im  Unbewußten. 

Vielleicht  sind  es  übrigens  gar  keine  praktischen  Ideen, 
und  ich  mache  mich  zum  Gespött  der  Leute,  mit  denen 
ich  ernst  rede.   Und  ich  wandle  nur  im  Roman? 

Aber  auch  dann  ist  des  Auf  Schreibens  wert,  was  ich  in 
dieser  Zeit  gesonnen  habe  und  weiter  sinne. 

Ich  schrieb  plötzlich,  eines  Tages,  einen  Brief  an  den 
Baron  Hirsch,  der  sich  um  die  Juden  so  auffallend  und 
millionärisch  bekümmert  hat.  Nachdem  dieser  Brief 
fertig  war,  ließ  ich  ihn  liegen  und  überschlief  ihn  vier- 
tehn  Tage  und  Nächte  lang. 

Als  mir  der  Brief  auch  nach  dieser  Zeit  nicht  sinnlos 
erschien,  schickte  ich  ihn  ab.  Dieser  Brief  lautete: 

tS 


dbyGoogle 


Sehr  geehrter  Herrl 

Wann  kann  ich  die  Ehre  haben,  Sie  zu  besuchen?  Ich 
möchte  mich  mit  Ihnen  fiher  die  Judenfrage  unterhalten. 
Es  handelt  sich  um  kein  Interview  und  ebensowenig  um 
eine  verkappte  oder  unverhüllte  Geldsache.  Es  scheint, 
Sie  werden  so  viel  in  Anspruch  genommen,  daß  man  sich 
nicht  früh  genug  gegen  unsaubere  Vermutungen  ver- 
wahren kann.  Ich  wünsche  nur  mit  Ihnen  ein  Juden- 
politisches  GesprSch  zu  fähren,  das  vielleicht  in  eine  Zeit 
hinauswirken  wird,  wo  weder  Sie  noch  ich  da  sein 
werden. 

Darum  möchte  ich  auch,  daß  Sie  mir  einen  Tag  für 
unsere  Zusjimmenkunft  bestimmen,  wo  Sie  ein-xwei 
Stunden  ungestört  der  Sache  widmen  können.  Wegen 
meiner  gewöhnlichen  Beschäftigung  wSre  mir  ein  Sonn- 
tag der  liebste  Tag.  Es  muß  nicht  der  nScbste  Sonntag 
sein.  Wann  Sie  wollen. 

Was  ich  vorhabe,  wird  Sie  interessieren.  So  wenig  ich 
Ihnen  aber  auch  damit  andeute,  wünsche  ich  doch  nicht, 
daß  Sie  diesen  Brief  Ihrer  Umgebung  —  SekretSren  u.  a. 
—  zeigen.  Behandeln  Sie  ihn  gefälligst  vertraulich. 

Vielleicht  ist  Ihnen  mein  Name  schon  bekannt.  Jeden- 
falls kennen  Sie  die  Zeitung,  die  ich  hier  vertrete. 
Hochachtungsvoll  ergeben 
Dr.  Herzl 
Korrespondent  der  Neuen  Freien  Presse 
*     *    * 

So  lautet  der  Brief  im  Brouillon,  das  ich  noch  habe. 
Vielleicht  änderte  ich  einzelnes  in  der  Reinschrift,  weil 
ich  noch  nicht  daran  dachte,  mir  das  alles  zur  Erinnerung 
aufxubewahren. 

Meine  Hauptangst  war,  daß  dieser  Brief  als  die  Ein- 

i6 


dbyGooglc 


leitung  eines  jouraalistischeD  GeldherauslockuDgs-Kunst- 
Btückes  angesehen  werden  könne.  Ich  wollte  doch  mit 
dem  Manne  nicht  wegen  seines  Geldes  tusanmienkom- 
mea,  nur  weil  er  eine  für  den  Zweck  sefar  verweqdbare 
Kraft  ist. 

Mehrere  Tage  vergingen.  Dann  erhielt  ich  die  Antwort 
aus  London:  8a  Piccadilly,  W. 

Londres,  le  30  mai  iSgS. 
Monsieur  le  Dr.  Theodore  Henl, 

Paris. 

Je  viens  de  recevoir  votre  lettre  ici  oii  je  vais  passer 
deux  mois.  Je  regrette  donc,  avec  la  meilleure  volonte  du 
monde,  de  oe  pouvoir  vous  fixer  le  rendez-vous  que  vous 
me  demandez.  Peut-itre  pourriez  vous  me  dire  par  lettre 
ce  que  vous  vouliez  m'expliquer  de  vive  voix,  en  mettant 
„Personnel"  sur  l'eoveloppe  que  vous  m'adresserez. 

Je  vous  demande  pardon  de  vous  r£pondre  par  la  main 
de  mon  Secr^taire,  et  en  francais,  mais  les  suites  d'une 
ancieuDe  blessure  de  chasse  k  la  main  droite  ne  me  per- 
mettent  plus  de  tenir  la  plume  longtemps. 

Hecevez,  Monsieur,  l'expression  de  mes  sentiments 
dbtinguis. 

M.  de  Hirsch, 


Auf  diesen  Brief  antwortete  ich: 

37  rue  Cambon,  3^.  V.  iSgS. 
Hochgeehrter  Herrl 
Ich  bedauere  sehr  lebhaft,  daß  wir  nicht  hier  zu- 
sammenkommen konnten. 

Zu  schreiben,  waa  ich  Ihnen  sagen  wollte,  ist  nicht 
leicht.    Ich  will  von  den  Süßeren  Schicksalen,  die  ein 


Herxli  TagebOcher  I. 


■7 


dbyGoogle 


foief  haben  kann,  absehen.  Meine  Absichten,  die  einem 
bedeutenden  Zweck  dienen,  könnten  durch  mäUge  Neu- 
gier defloriert  oder  durch  den  Unverstand  suf Uliger  Mit- 
wisser verdorben  werden.  Ferner  kann  mein  Brief  in 
einem  Augenblick  in  Ihre  H&nde  kommen,  wo  Sie,  durch 
anderes  zerstreut,  ihn  nicht  mit  der  ganzen  konzentrierten 
Aufmerksamkeit  lesen  würden.  Wenn  Sie  mir  aber  durch 
Ihren  Sekretär  irgendeine  höfliche  Formel  der  prise  en 
considiration  antworten  liefieo,  wSren  Sie  für  mich 
dauernd  erledigt.  Und  das  wSre  vielleicht  im  allgemeinen 
Interesse  zu  bedauern. 

Dennoch  werde  ich  Ihnen  schreibeD.  Nur  bin  ich  im 
Augenblick  zu  beschäftigt  —  wie  der  alte  Witz  sagt  — , 
um  mich  kurz  zu  fassen.  Tatsächlich  möchte  ich  Sie  nicht 
mit  groflmächtigen  Auseinandersetzungen  langweilen.  Ich 
werde  Ihnen,  sobald  ich  Zeit  finde,  den  Plan  einer  neuen 
Judenpolitik  vorlegen. 

Was  Sie  bisher  unternommen  haben,  war  ebenso  groß- 
mütig ab  verfehlt,  ebenso  kostspielig  wie  zwecklos.  Sie 
waren  bisher  nur  ein  Philanthrop,  ein  Peabody.  Ich  vnll 
Ihnen  den  Weg  zeigen,  wie  Sie  mehr  werden  können. 

Glauben  Sie  aber  nicht,  daß  ich  ein  Projektenmacher 
oder  Narr  von  einer  neuen  Spielart  bin,  wenn  auch  die 
Weise,  wie  ich  Ihnen  schreibe,  ein  bißchen  vom  Gewöhn- 
lichen abweicht.  Ich  gebe  die  Möglichkeit  von  vornherein 
lu,  daß  ich  mich  irre,  und  lasse  mir  Einwendungen  ge- 
fallen. 

Ich  erwarte  durchaus  nicht,  daß  ich  Sie  gleich  über- 
zeugen werde,  denn  Sie  müssen  eine  Anzahl  Ihrer  bis- 
herigen Gedanken  umdenken.  Ich  wünsche  nur,  obwohl 
ich  Ihnen  vermutlich  nur  ein  unbekannter  Mann  bin,  Ihre 
vollste  Aufmerksamkeit.  Im  Gespräch  hätte  ich  sie  mir 
wahrscheinlich  erzwungen,  im  brieflichen  Verkehr  ist  das 

t8 


dbyGooglc 


schwerer.  Mein  Schreiben  liegt  unter  anderen  auf  Ihrem 
Tisch,  und  ich  denke  mir,  daß  Sie  von  Bettlern,  Schma- 
rotzern, Simulanten  und  Industriellen  der  WohltStigkeit 
tiglich  genug  Briefe  bekomiBien.  Darum  wird  mein  Brief 
in  einem  zweiten  Umschlag  liegen,  der  die  Aufschrift 
hat:  Brief  des  Dr.  Herxl,  Diesen  bitte  ich  Sie  beiseite 
zu  legen  und  erst  zu  öffnen,  wenn  Sie  einen  vollkonunen 
ruhigen  und  freien  Kopf  haben.  So  wie  ich 's  für  unser 
unterbliebenes  Gespräch  gewünscht  hatte. 

Hochachtungsvoll  ergeben 
Dr.  Herzl. 


Auch  in  diesem  Fall  ist  mein  Brouillon  nicht  verl&ß- 
lich.  Mir  scheint  jetzt,  daß  ich  beim  Abschreiben  einige 
Ausdrücke  änderte.  Kurz,  das  war  der  Inhalt,  und  wieder 
hatte  ich  nur  die  Besorgnis,  daß  Hirsch  oder  ein  Dritter, 
der  ihm  über  die  Schulter  sfihe,  mich  für  einen  Geld- 
sudier  halten  könnte. 

In  den  nächsten  Tagen  bereitete  ich  mir  die  Denkschrift 
vor.  Eine  Unzahl  Zettel  bedeckten  sich  mit  Notizen.  Ich 
schrieb  im  Gehen,  in  der  Kammer,  im  Gasthaus,  im 
Theater. 

Die  Sache  bekam  unter  der  Hand  eine  Fülle  von  De- 
tails. 

Inmitten  dieser  Vorbereitungen  überraschte  mich 
Hirsch  durch  einen  zweiten  Brief : 

Londres,  36  mai. 
McHuieur  Herzl,  37  nie  Gambon 

Paris. 

J'ai  recu  votre  lettre  d'avant-hier.  Vous  pouvei,  s'il 
n'eat  fait  dijit,  vous  öpargner  un  loi^  exposS.    Je  me 


dbyGoogle 


readrai  dana  quelques  jours  ä  Paris  pour  48  heures,  et 
vous  me  trouverez  dimanche  prochain  (a  juin)  i  votre 
dispositioQ,  ä  io.3o  du  matin,  3  rue  de  l'Elys^. 

Recevez,  monsieur,  TexpressioD  de  mes  sentimeots  dt- 
8tingu6s. 

M.  de  Hirsch. 

Dieser  Brief  bereitete  mir  eioe  Genugtuung,  weil  ich 
sah,  daß  ich  den  Mann  richtig  beurteilt,  am  locus  minori* 
retütentiae  getroffeo  hatte.  Offenbar  hatte  das  Wort: 
daß  er  mehr  als  ein  Peabody  werden  könne,  auf  ihn  ge- 
wirkt. 

Jetzt  machte  ich  mir  erst  recht  Notizen,  und  sie  waren 
ein  dickes  Bündel  am  Samstag  vor  Pfingsten.  Da  ordnete 
ich  sie  nach  dem  Inhalt  in  drei  Gruppen:  Einleitung, 
Hebung  der  Judenrasse,  Auswanderung. 

Ich  schrieb  die  Notizen  geordnet  ins  Reine.  Da  waren 
es  33  eng  beschriebene  Seiten,  obwohl  ich  nur  Schlag- 
worte gebraucht  hatte:  Behelfe  für  mein  Gedichtnis 
während  der  Unterredung.  leb  mußte  und  muß  immer 
mit  meiner  anfSnglichen  Schficbternheit  rechnen. 

Hier  im  Verkehr  mit  berühmten  oder  bekannten  Leu- 
ten war  ich  oft  durch  meine  Verlegenheit  iScherlich. 
Spüller,  gewiß  kein  Kirchealicht  (obwohl  er  den  esprtf 
nouveaa  erfand)  schüchterte  mich  einmal  bis  zur  Bor- 
niertheit ein,  als  ich  ihn  während  seiner  Ministerschaft 
besuchte. 

Am  Pfingstsonntag  Morgen  kleidete  ich  mich  mit  dis- 
kreter Sorgfalt.  Ich  hatte  absichtlich  am  Tag  vorher  ein 
Paar  neue  Handschuhe  mürbe  getragen,  damit  sie  noch 
neu,  aber  nicht  mehr  lademn&ßig  frisch  aussähen.  Rei- 
chen Leuten  darf  man  nicht  zu  viel  Ehre  erweisen. 

Ich  fuhr  in  der  nie  de  l'Elysäe  vor.  Ein  Palast.  Der 


dbyGooglc 


Prunkbof,  die  edle  Nebenstiege  —  und  gar  die  Haupt- 
stiege —  impressiouierten  mich.  Der  Reichtum  wirkt  auf 
mich  nur  in  der  Form  der  Schönheit.  Und  da  war  altes 
echt  in  der  Schönheit.  Alte  Bilder,  Marmor,  ged&mpfte 
G<dl>elin8.  Donnerwetter  1  an  diese  Konsequenzen  denkt 
unsereiner  nicht,  wenn  er  vom  Reichtum  abffillig  spricht. 
Alles  hatte  wirklich  großen  Stil,  und  so  ließ  ich  mich 
ein  wenig  betiubt  von  einem  Kammerdiener  dem  anderen 
übergeben. 

Kamn  war  ich  im  Billardsaal,  trat  Hirsch  aus  seinem 
Schreibzimmer  heraus,  gab  mir  eilig  und  zerstreut  wie 
einem  Bekannten  die  Hand,  bat  mich,  ein  bißchen  zu 
warten  und  verschwand  wieder. 

Ich  setxte  mich  hin  und  betrachtete  die  holden  Tanagra- 
ftgnren  im  Glasschrank.  Der  Baron  muß  jemanden  für 
guten  Geschmack  angestellt  haben,  dachte  ich  mir. 

Nun  hörte  ich  aus  dem  Nebenzimmer  Stimmen  und  er- 
kannte die  eines  seiner  Wohltfttigkeits-Beamten,  mit  dem 
ich  einmal  in  Wien  und  zweimal  hier  fluchtig  gesprochen 
hatte. 

Es  war  mir  unangenehm,  daß  mich  der  beim  Heraus- 
kommen sehen  würde.  Vielleicht  hatte  Hirsch  das  auch 
absichtlich  so  eingerichtet.  Darüber  mußte  ich  wieder 
lächeln,  denn  in  seine  Abhängigkeit  zu  geraten,  war  ich 
nicht  gesonnen.  Entweder  ich  machte  mir  ihn  gefügig, 
oder  ieh  ging  unverrichteter  Sache  weg.  Ich  hatte  sogar 
schon  die  Antwort,  wenn  er  mir  im  Verlauf  des  Gesprächs 
anbieten  sollte,  eine  Stellung  bei  der  Jewish  Association 
anzunehmen:  „In  Ihren  Dienst?  Nein.  —  In  den  der 
Juden?  Jal" 

Jetzt  kamen  die  zwei  Beamten  heraus.  Dem  einen,  den 
ich  kannte,  gab  ich  die  Hand.  Dann  sagte  ich  dem  Baron : 
„Haben  Sie  eine  Stunde  für  mich?  Wenn  es  nicht  min- 


dbyGoogle 


detteiu  eine  Stunde  ist,  fange  ich  liebw  gar  nicht  aik. 
So  lange  braudie  ich.  um  nur  amudeutea,  wie  viel  idb 
tu  aagen  habe." 

Er  ISchelte:  „Fangen  Sie  nur  an." 

Ich  zog  meine  Notizen  herror:  „Um  die  Sache  Aber- 
sichtiicb  zu  machen,  habe  ich  mir  da  etaiget  voribereitet." 

Kaum  hatte  ich  fünf  Minuten  gesprochen,  kam  ein  Te- 
lepbonzeichen.  Ich  glaube,  ea  war  bestellt.  Ich  hatte  ihm 
sogar  vorher  sagen  wollen,  daß  er  nicht  nötig  habe,  sich 
fiktiv  abberufen  zu  lassen ;  er  solle  nur  geradheraus  aagen, 
ob  er  frei  sei.  —  Er  sprach  aber  ins  Telephon,  daß  er  fOr 
niemanden  zu  Hause  sei.  Daran  erkannte  ich,  daß  idi 
ihn  gefaßt  hatte.  Er  gab  sich  damit  eine  Blöße. 

Ich  entwickelte  also: 

„Sie  werden  in  dem,  was  ich  Ihnen  sagm  will,  einiges 
zu  einfach,  anderes  zu  phantastisch  finden.  Aber  mit 
Einfachem  und  Phantaatiscfaffln  führt  man  die  Mensdien. 
Es  ist  erstaunlich  —  und  bekannt  — ,  mit  wie  wenig  Ver- 
stand die  Welt  regiert  wird. 

Nun  war  ich  keineswegs  von  vornherein  darauf  aus, 
mich  mit  der  Judenfrage  zu  beschSftigen.  Sie  dachten 
ja  ursprünglich  auch  nicht  daran,  Patron  der  Juden  tu 
werden.  Sie  waren  ein  Bankier,  machten  große  Ge- 
schftfte;  endlich  verwenden  Sie  Ihre  Zeit  und  Ihr  Geld 
auf  die  Judensache.  —  So  war  ich  von  Haus  aus  ein 
Schriftsteller,  Journalist,  dachte  nicht  an  die  Juden.  Aber 
meine  Erfahrungen,  Beobachtungen,  der  wachsende  Dnu^ 
dea  Antisemitismus  zwangen  mich  zur  Sache. 

Gut.  Legitimiert  bin  ich  also. 

Auf  die  Geschichte  der  Juden,  mit  der  ich  anfangen 
wollte,  gehe  ich  nicht  ein.  Sie  ist  bekannt.  Nur  eins  muß 
ich  hervorheben.  Durch  unsere  zweitausendjShrige  Ver- 
streuung  sind  wir  ohne  einheitliche  Leitung  unserer  Po- 


dbyGooglc 


Utik  gewesen.  Das  aber  halte  ich  für  unser  HauptunglOdc . 
Das  hat  nns  mehr  geschadet  als  alle  Verfolgun^n.  Daran 
sind  wir  innerlich  mgronde  gegangen,  verlumpt.  Denn 
es  war  niemand  da,  der  uns  —  wäre  es  auch  nur  aus  mo- 
narchischem Eigennutx  —  zu  rechten  MSnnern  eriogen 
hStte.  Im  Gegenteil.  Zu  allen  schlechten  Gewerben  wur- 
den wir  hingedringt,  im  Ghetto  festgehalten,  wo  wir  an- 
einander verkamen;  und  als  man  uns  herausließ,  wollte 
man  plOtiUch,  daß  wir  gleich  die  Gewohnheiten  der  Frei- 
heit hätten. 

Wenn  wir  nun  eine  einheitliche  politische  Leitung  hät- 
ten, deren  Notwendigkeit  nicht  weiter  zu  beweisen  ist,  und 
die  durchaus  keinen  Geheimbund  vertreten  soll  —  wenn 
wir  diese  Leitung  hätten,  könnten  wir  an  die  Lösung  der 
Judenfrage  herangehen.  Und  zwar  von  oben  und  von 
unten  und  von  ^len  Seiten. 

Nach  dem  Zweck  aber,  den  wir  dann,  wenn  wir  ein 
Zentrum,  einen  Kopf  haben,  verfolgen  wollen,  werden 
die  Mittel  sein. 

Zwei  Zwecke  ktanen  es  sein.  Entweder  bleiben  oder 
auswandern. 

Für  beide  sind  gewisse  Maßregeln  der  Volkseriiehung 
die  gleichen.  Denn  selbst,  wenn  wir  auswandern,  dauert 
es  lange,  bis  wir  im  Geltsten  Land  ankommen.  Moses 
brauchte  vierxig  Jahre.  Wir  werden  vielleicht  zwanzig 
oder  dreißig  brauchen.  Jedenfalls  steigen  inzwischen 
.neue  Geschlechter  herauf,  die  wir  uns  erziehen  müssen. 

Für  die  Ersiehung  will  ich  nun  gleich  von  vornherein 
gans  andere  Methoden  einschlagen,  als  Sie  sie  haben. 

Zunichst  ist  da  das  Prinzip  der  Wohltätigkeit,  das 
ich  für  durchaus  falsch  halte.  Sie  züchten  Schnorrer. 
Charakteristisch  ist,  daß  bei  keinem  Volk  so  viel  Wohl- 
tätigkeit und  so  viel  Bettel  vorkommt,  wie  bei  den  Juden. 


dbyGoogle 


Es  drängt  sich  einem  auf,  daß  zwischen  beiden  Erschei- 
nungen ein  Zusammenhang  sein  müsse.    So  daß  durch 
die  Wohltätigkeit  der  Volkscharakter  verlumpt." 
'   Er  unterbrach  mich :  „Sie  haben  ganz  recht." 

Ich  fuhr  fort: 

„Vor  Jahren  hörte  ich,  daß  Ihre  Versuche  mit  den 
Juden  in  Argentinien  keine  oder  schlechte  Resultate  er- 
geben." 

„Wollen  Sie,  daß  ich  Ihnen  zwischendurch  antworte, 
wenn  ich  eine  Einwendung  habe?" 

„Nein,  mir  ist  lieber,  wenn  Sie  mich  den  ganzen  KOrper 
meiner  Auseinandersetzung  geben  lassen.  Ich  weiß,  daß 
einzelnes  den  Tatsachen  nicht  entsprechen  wird,  weil  ich 
bisher  keine  Ziffern  und  Daten  sammelte.  Lassen  Sie 
mich  nur  meine  Prinzipien  formulieren." 

Hirsch  notierte  von  da  weiter  auf  einem  Notizblock 
seine  Einwendungen. 

Ich  sagte :  „Ihre  argentinischen  Juden  führen  sieb  lie- 
derlich auf,  hat  man  mir  erzählt.  Ein  Detail  frappierte 
mich,  daß  es  ein  —  sonderbftres  Haus  war,  das  Sie  zuerst 
bauten." 

Hirsch  warf  ein:  „Nicht  richtig.  Das  war  nicht  von 
meinen  Kolonisten  gebaut  worden." 

„Auch  recht.  Aber  jedenfalls  war  die  Sache  nicht  so 
anzufangen,  wie  Sie  es  taten.  Sie  schleppen  diese  Acker- 
juden hinflber.  Die  mflssen  glauben,  daß  sie  fernerbin. 
ein  Recht  auf  Ihre  Unterstützung  haben,  und  gerade  die 
Arbeitslust  wird  dadurch  nicht  gefördert.  Was  ein  sol- 
cher Exportjude  Sie  kostet,  ist  er  nicht  wert.  Und  wie 
viel  Exemplare   können  Sie   überhaupt   hinübersetzen? 

Fünfzehn  —  zwanzigtausend  I In  einer  Gasse  der 

Leopoldstadt  wohnen  mehr.  Nein,  direkte  Mittel  sind  zur 

34 


dbyGooglc 


Bewegung  von  MeaschenmasseD  überhaupt  nicht  ver- 
wendbar. Wirken  können  Sie  nur  mit  indirekten. 

Um  die  Juden  aufs  Land  zu  ziehen,  müßten  Sie  ihnen 
ein  Märchen  der  Goldgewinnung  erzählen.  Pbantaatiach 
könnte  es  so  lauten :  Wer  ackert,  sIt  und  erntet,  findet 
in  der  Garbe  Gold.  Ist  ja  auch  beinahe  wahr.  Nur  wissen 
die  Juden,  daß  es  ein  kleines  KlQmpchen  sein  wird.  So 
konnten  Sie  ihnen  vernunf  tmSßiger  sagen :  Wer  am  besten 
wirtschaftet,  bekommt  eine  Prämie,  die  sehr  hoch  sein  kenn. 

Nur  glaube  ich  nicht,  daß  man  die  Juden  in  ihren  jetzi- 
gen Wohnorten  aufs  Land  setzen  kann.  Die  Bauern  wür- 
den sie  mit  Dreschflegeln  erschlagen.  Ein  Hauptnest  des 
deutschen  Antisemitismus  ist  Hessen,  wo  Juden  Klein- 
Ackerbau  treiben. 

Mit  zwanzigtausend  Ihrer  argentinischen  Juden  haben 
Sie  noch  nichts  bewiesen,  selbst  wenn  die  Leute  gut  tun. 
Mißlingt  es  aber,  so  liefern  Sie  einen  fiu'chtbaren  Beweis 
ge^n  die  Juden. 

Genug  der  Kritik.  Was  ist  zu  tun? 

Zum  Bleiben  wie  zum  Wandern  muß  die  Rasse  zunächst 
an  Ort  und  Stelle  verbessert  werden.  Man  muß  sie  kriegs- 
stark, arbeitsfroh  und  tugendhaft  machen.  Nachher  aus- 
wandern —  wenn  es  nötig  ist. 

Für  diese  Verbesserung  können  Sie  Ihre  Mittet  besser 
verwenden,  als  Sie  es  bisher  getan  haben. 

Statt  sich  die  Juden  einzeln  zu  kaufen,  setzen  Sie  in 
den  Hauptländern  des  Antisemitismus Riesenprämien aus: 
für  aclioru  d'iclat,  für  Handlungen  von  großer  morali- 
scher Schönheit,  für  Mut,  Selbstaufopferung,  sittliches 
Verhalten,  große  Leistungen  in  Kunst  und  Wissenschaft, 
für  den  Arzt  in  Epidemiezeiten,  den  Krieger,  den  Erfin- 
der eines  HeiUnittels,  eines  Wohlfahrtsmittels,  gleichviel 
was  —  kurz,  für  alles  Große. 

35 


dbyGoogle 


Durch  die  Prämie  wird  Doppeltes  erreicht:  erstens  die 
Verbesserung  aller,  iweitens  die  Bekanntmachung.  Weil 
nlmlich  die  Sache  ungawöhnlich  und  gtSazead  ist,  wird 
man  aUerwirts  davon  reden.  So  erfäirt  man,  daft  es 
auch,  und  wie  viele,  gute  Juden  gibt. 

Das  erste  aber  ist  wichtiger:  Die  Verbesserung.  Auf 
den  einzelnen  jährlich  Prämiierten  kommt  es  ja  gar  nicht 
an.  Mir  sind  die  anderen  wichtiger,  die  sich  alle  höher 
recken,  um  den  Preis  zu  bektHninen.  So  wird  dag  mo- 
ralische Niveau  gehoben " 

Jetzt  unterbrach  er  mich  ungeduldig : 

„Nein,  nein,  neini  Ich  will  das  Niveau  gar  nicht  heben. 
Alles  Unglück  kommt  daher,  daß  die  Juden  lu  hoch  hin- 
aus wollen.  Wir  haben  tu  viel  Intelligenzen.  Meine  Ab- 
sicht ist,  die  Juden  von  der  Streherei  abzuhalten.  Sie 
sollen  nicht  so  grofie  Fortschritte  machen.  Aller  Haß 
kommt  daher.  —  Was  nun  meine  Pläne  in  Argentinien 
betrifft,  sind  Sie  auch  schlecht  unterrichtet.  Es  ist  wahr, 
daß  ich  anfangs  liederliche  Burschen  hinäberbekam,  die 
ich  am  liebsten  ine  Wasser  geworfen  hätte.  Ab^*  jetzt 
habe  ich  schon  viele  ordentliche  Leute  drüben.  Und  meine 
Absicht  ist,  wenn  die  Kolonie  gedeiht,  ein  schönes  engli- 
sches Schiff  zu  mieten,  hundert  Zeitungskorresponden- 
ten einzuladen  —  Sie  lade  ich  schon  heute  ein  —  und 
mit  ihnen  hinüber  zu  fahren  nach  Argentinien.  Es  bfingt 
freilich  von  den  Ernten  ab.  Nach  einigen  guten  Jahren 
könnte  ich  der  Welt  zeigen,  daß  die  Juden  also  doch  zu 
Ackerbauern  taugen.  Das  wird  dann  vielleicht  zur  Fcrfge 
haben,  daß  man  sie  auch  in  Rußland  auf  den  Feldern 
arbeiten  läßt." 

Nun  sagte  ich :  ,4ch  habe  Sie  nicht  mehr  unterbrochen, 
(^wohl  ich  nicht  fertig  war.  Es  war  mir  interessant  zu 
hören,  was  Sie  eigentlich  vorhaben.   Aber  ich  sehe  ein, 

36 


dbyGooglc 


daA  M  unnütz  wire,  Ihnen  meine  weiteren  Gedanken  zu 
sagen." 

Nun  meinte  er  in  wohlwollendem  Tod,  wie  wenn  ich  ihn 
um  eine  Anstellung  in  seinem  Bankhause  gebeten  hfitte : 
„Ich  bemerke  ja,  daß  Sie  ein  intelligenter  Mensch  sind." 

Ich  lichdte  nur  in  mich  hinein.  Solche  Dinge,  wie 
m^ne  Aktion,  sind  Ober  der  Eigenliebe.  Ich  werde  noch 
verschiedenes  sehen  und  hören. 

Und  Hirsch  erginite  sein  Lob  dahin:  „Aber  Sie  haben 
so  phantastische  Einfitle." 

Da  stand  ich  auf:  „Ja,  habe  ich  Ihnen  denn  nicht  vw- 
her  gesagt,  das  Ihnen  das  zu  einfach  oder  zu  phantastisch 
vorkommen  wird?  Sie  vnssen  nicht,  was  das  Phanta- 
stische ist,  und  daß  man  nur  von  einer  Höhe  aus  die  gro- 
ßen ZOge  der  Menschen  betrachten  kann." 

Er  sagte:  „Auswandern  wSre  das  einzige.  Es  gibt  LSn- 
der  genug  zu  kaufen." 

Ich  schrie  beinahe:  „Ja,  wer  sagt  Ihnen  denn,  daß  ich 
nicht  auswandwn  will.  Da  steht  es,  in  diesen  Notizen. 
ich  werde  zum  Deutschen  Kaiser  gehen;  und  dler  wird 
mich  verstehen,  denn  er  ist  dazu  erzogen,  große  Dinge 
zu  beurteilen  . . ." 

Bei  diesen  Worten  zwinkerte  Hirsch  einmal  merklich 
mit  den  Augen.  Imponierte  ihm  meine  Grobheit,  oder 
meine  Absicht,  mit  dem  Kaiser  zu  reden?  Vielleicht  bei- 
des. —  Ich  steckte  nun  meine  Notizen  in  die  Tasche  und 
schloß: 

,4)era  Deutschen  Kaiser  werde  ich  sagen:  Lassen  Sie 
uns  liehen  1  Wir  sind  Fremde;  man  llßt  uns  nicht  im 
V(^e  aufgehen,  wir  können  es  auch  nicht.  Lassen  Sie 
uns  ziehen  I  Ich  vrili  Ihnen  die  Mittel  und  Wege  angeben, 
deren  ich  mich  f  Or  den  Auezug  bedienen  will,  damit  keine 
wirtschaftliche  Störung,  keine  Leere  hinter  uns  eintrete." 

37 


dbyGoogle 


Hirsch  sagt«:  „Woher  nehmen  Sie  das  Geld?  Roth- 
schild wird  fünfhundert  Francs  unterschreiben." 

„Das  Geld?"  sagte  ich  lachend  und  trotzig.  „Ich  werde 
eine  jfldische  Nationalanleihe  von  zehn  Millionen  Mark 
aufbringen." 

„Phantasiel"  lächelte  der  Baron.  „Die  reichen  Juden 
geben  nichts  her.  Die  Reichen  sind  schlecht,  interessieren 
sich  für  die  Leiden  der  Armen  nicht." 

„Sie  reden  wie  ein  Sozialist,  Baron  Hirschl" 

„Ich  bin  auch  einer.  Ich  bin  gleich  bereit,  alles  hersu- 
geben,  wenn  es  die  anderen  auch  tun  müssen." 

Ich  nahm  seinen  hübschen  Einfall  nicht  ernster  als  er 
gemeint  war  und  empfahl  mich.  Er  sagte  noch: 

,J)a8  war  nicht  unser  letztes  Gespräch.  Sobald  ich 
wieder  von  London  herüberkomme,  gebe  ich  Ihnen  ein 
Lebenszeichen. " 

„Wann  Sie  wollen." 

Ich  ging  wieder  über  die  schöne  Stiege,  den  edlen  Hof. 
Ich  war  nicht  enttSuscht,  sondern  angeregt.  Im  ganzen 
ein  angenehmer,  intelligenter,  natürlicher  Mensch  —  eitel, 
par  exemplel  —  aber  ich  hätte  mit  ihm  arbeiten  kOnnen. 
Er  sieht  aus,  als  wäre  er  bei  aller  Eigenwilligkeit  verläß- 
lich. 

Zu  Hause  riß  es  mich  gleich  an  den  Schreibtisch. 


Wien,  16.  Aprü  1896. 
Hier  unterbrach  ich  damals  die  zusammenhängende 
Darstellung,  denn  es  folgten  mehrere  Wochen  einer  bei- 
spiellosen Produktion,  in  denen  ich  die  Einfälle  nicht 
mehr  ruhig  ins  Reine  schreiben  konnte.  Ich  schrie  ge- 
hend, stehend,  liegend,  auf  der  Gasse,  bei  Tisch,  bei 
Nacht,  wenn  es  mich  aus  dem  Schlaf  aufjagte. 

aS 


dbyGooglc 


Die  Zettel  tragen  das  Datum.  Ich  finde  nicht  mehr 
Zeit,  sie  abzuschreiben.  Ich  fing  das  zweite  Buch  an,  um 
tiglich  das  Bemerkenswerte  einzutragen.  So  sind  die 
Zettel  liegen  geblieben.  Ich  bitte  jetzt  meinen  guten  Papa, 
sie  für  mich  in  dieses  Buch  zu  schreiben,  in  der  Reihen- 
folge, wie  sie  entstanden.  Ich  weiß  jetzt  und  wußte  auch 
wShrend  dieser  ganzen  stOrmischen  Produktionszeit,  daß 
vieles,  was  ich  aufschrieb,  kraus  und  phantastisch  war. 
Ich  übte  dber  keinerlei  Selbstkritik,  um  den  Schwung 
dieser  Einbildungen  nicht  zu  lähmen.  Für  die  reinigende 
Kritik,  dachte  ich  mir,  wird  auch  spfiter  Zeit  sein. 

In  den  Aufschreibungen  ist  der  Judeostaat  bald  als 
Wirklichkeit,  bald  als  Romanstoff  gedacht,  weil  ich  mit 
mir  damals  noch  nicht  im  reinen  war,  ob  ich  es  denn 
wagen  solle,  das  als  ernsthaften  Vorschlag  zu  publizieren. 

So  ist  die  Sprunghaftigkeit  dieser  Aufzeichnungen,  bei 
denen  mir  das  wichtigste  war,  keinen  Einfall  entschweben 
zu  lassen,  vernünftig  zu  erklSren.  Selbst  im  zweiten  Buch 
wird  ja  auf  die  Romanform  noch  einige  Male  zurückge- 
griffen. 

Für  mich  jedenfalls,  vielleicht  aber  auch  für  andere, 
wird  selbst  das  Phantastische  dieser  sprunghaften  Ein- 
fille  späterhin  Interesse  haben.  Heute  übergebe  ich  sie 
mit  solchen  —  immerhin  nötigen  —  Vernunftvorbehalten 
meinem  teuren  Papa  zur  Eintragung.  Denn  heute  hat 
der  Plan  einen  möglicherweise  geschichtlich  denkwürdi- 
gen Schritt  zur  Verwirklichung  getan.  Pfarrer  Hechler, 
der  nach  Karlsruhe  gereist  ist,  um  den  Großherzog  und 
durch  diesen  den  Kaiser  für  die  Idee  zu  gewinnen,  tele- 
graphiert, ich  möge  mich  bereit  halten,  nach  Karlsruhe 
tu  kcKnmen, 


dbyGoogle 


III.  Brief  ao  Banm  Hirsch,  Paris. 

Pfingstmontag,  3.  Juni  iSgS. 

Hochgeehrter  Herrl 

Um  dem  eiprit  de  l'escalier  vorzubeugen,  machte  ich 
mir  Notizen,  bev(w  ich  zu  Ihnen  ging. 

Heimgekehrt  sah  ich,  dafi  ich  auf  Seite  6  etehenge- 
blieben  bin,  und  ich  hatte  aa  Seiten.  Durch  Ihre  Un- 
geduld haben  Sie  nur  AnsStze  kennen  gelernt;  wo  und 
wie  die  Idee  zu  blühen  anfängt,  das  haben  Sie  nicht  mehr 
erfahren. 

Schadet  nichts.  Erstens  erwarte  ich  keine  sofortige 
Bekehrung.  Zweitens  steht  mein  Plan  durchaus  nicht  auf 
Ihren  zwei  Augen. 

Wohl  hfitte  ich  Sie  als  eine  vorhandene  und  bekannte 
Kraft  der  Kürze  w^fen  gerne  benützt.  Aber  Sie  wären 
eben  nur  die  Kraft  gewesen,  mit  der  ich  begonnen  hätte. 
Es  gibt  andere.  Es  gibt  endlich  und  vor  allem  die  Masse 
der  Juden,  zu  der  ich  den  W^  zu  finden  wissen  werde. 

Diese  Feder  ist  eine  Macht.  Sie  werden  sich  davon 
überzeugen,  wenn  ich  bei  Leben  und  Gesundheit  bleibe 
—  eine  Einschränkung,  die  Sie  ja  selbst  auch  bei  Ihrem 
Wer^  machen  müssen. 

Sie  sind  der  grofie  Geldjude,  ich  bin  der  Geistesjude. 
Daher  kommen  die  Verschiedenheiten  unserer  Mittel  und 
Wege.  Bemerken  Sie,  daß  Sie  von  meinen  Versuchen 
noch  nichts  hören  konnten,  weil  der  erste  eben  bei  Ihnen, 
an  Ihnen  stattfand.   Ich  kcHnme. 

Natürlich  sind  Sie  mir  mit  leiser  Ironie  gegenüberge- 
standen. So  habe  ich 's  erwartet.  Ich  sagte  es  Ihnen  in 
der  Einleitung.    Neue  Ideen  werden  so  aufgenommen. 

3o 


dbyGooglc 


DabM  hatten  Si«  nicht  einnul  die  Geduld,  sie  bis  tu  Ende 
■nxuhOreD.  Ich  werde  mich  dennoch  aussprechen.  Ich 
hoffe,  Sie  werden  das  herrliche  Wachstum  meiner  Ideen 
erldwn.  Sie  werden  sich  des  Pfingstsonntag-Vormittags 
erinnern,  denn  Sie  sind,  glaube  ich,  mit  aller  Ihrer  Iro- 
nie ein  unbefangener  und  großen  Entwürfen  lugSng- 
licher  Mann,  auch  versuchten  Sie  ja  viel  für  die  Juden 
zu  tun  —  in  Ihrer  Art.  Aber  werden  Sie  mich  ver- 
stehen, wenn  ich  Ihnen  sage,  daß  Ihre  Methode  durch 
den  ganzen  Entwicklungsgang  der  Menschheit  Lügen  ge- 
straft wird?  Wie,  Sie  wollen  eine  große  Gruppe  von 
Menschen  auf  einem  bestimmten  Niveau  erhalten,  ja 
sogar  herabdrücken?  Allont  donci  Wir  wissen  doch, 
welche  Phasen  unser  menschliches  Geschlecht  durchlau- 
fen hat,  von  den  UrzustSnden  herauf  bis  zur  Kultur.  Es 
geht  immer  aufwärts,  justament,  trotz  alledem  und  ewig 
immer  bdher,  immer  höher,  immer  höher  I  Es  gibt  Rück- 
schl&ge,  jawohl.  Das  Ist  keine  Phrase.  Unsere  Groß- 
vlter  w&ren  verblüfft,  wenn  sie  wieder  kSmen;  aber  wer 
wird  kflostlich  einen  Rückschlag  herbeiführen  wollen  — 
ganz  abgesehen  davon,  daß  es  nicht  geht.  Wenn  esginge, 
glauben  Sie,  daß  es  die  Monarchie,  die  Kirche  nicht 
durchführte?  Und  was  haben  diese  MSchte  für  Mittel 
über  Leib  und  Seele  der  Menschen  I  Was  sind  Ihre  Mit- 
tel dagegen?  Nein,  wenn  es  hoch  kommt,  halten  Sie  die 
Entvricklung  ein  Weilchen  auf,  und  dann  werden  Sie 
vom  großen  Sturmwind  hinweggefegt. 

Wissen  Sie,  daß  Sie  eine  furchtbar  reaktionäre  Politik 
haben  —  firger  als  die  absolutesten  Autokratien?  Zum 
Glück  reichen  Ihre  Krfifte  dazu  nicht  aus.  Sie  meinen  es 
gut,  parbtea,  je  le  »ais  bien.  Darum  möchte  ich  ja  Ihrem 
Willen  die  Richtung  geben.  Lassen  Sie  sich  dadurch  nicht 
gegen  mich  einnehmen,  daß  ich  ein  jüngerer  Mann  bin. 

3i 


dbyGoogle 


Mit  meiaeo  35  Jahren  ist  man  in  Frankreich  Minister, 
und  Napoleon  war  Kaiser. 

Sie  haben  mir  mit  Ihrem  höflichen  Hohn  das  Wort 
abgeschnitten.  Ich  bin  noch  im  Gespräche  zu  dekonzertie- 
ren.  Ich  habe  noch  nicht  den  Aplomb,  der  mir  wachsen 
wird,  weil  er  nötig  ist,  wenn  man  Widerst&nde  brechen. 
Gleichgültige  erschüttern,  Leidende  aufrichten,  ein  fei- 
ges and  verlumptes  Volk  begeistern,  und  mit  den  Herren 
der  Welt  verkehren  will. 

Ich  sprach  von  einem  Heer,  und  Sie  unterbrachen  mich 
schon,  als  ich  von  der  (moralischen)  Trainierung  zum 
Marsch  zu  reden  anfing.  Ich  ließ  mich  unterbrechen. 
Und  doch  habe  ich  auch  das  Weitere  schon  entworfen.  Den 
ganzen  Plan.  Ich  weiß,  was  alles  dazu  gehört,  Geld, 
Geld,  Geld;  Fortschaffungsmittel,  Verpflegung  großer 
Massen  (worunter  nicht  Essen  und  Trinken  wie  in  Moses' 
einfachen  Zeiten  zu  verstehen),  Erhaltung  der  Mannes- 
zucht, Organisierung  der  Abteilungen,  Eutlassungsver- 
trige  mit  Staatsbäuptern,  Durcbzugsvertrfige  mit  ande- 
ren, GarantievertrSge  mit  allen  und  Anlage  neuer,  herr- 
licher Wohnorte;  vorher  die  gewaltige  Propaganda,  die 
Popularisierung  der  Idee  durch  Zeitungen,  Bücher,  Trak- 
tatchen, WandervortrSge,  Bilder,  Lieder.  Alles  von  einem 
Zentrum  aus  zielbewußt  und  weitblickend  geleilet.  Aber 
ich  hstte  Ihnen  schließlich  sagen  müssen,  welche  Fahne 
und  wie  ich  sie  aufrollen  will.  Und  da  hätten  Sie  mich 
spöttisch  gefragt :  eine  Fahne,  was  ist  das?  Eine  Stange 
mit  einem  Fetzen  Tuch?  —  Nein,  mein  Herr,  eine  Fahne 
ist  mehr  als  das.  Mit  einer  Fahne  führt  man  die  Men- 
schen wohin  man  will,  seihst  ins  Gelobte  Land. 

Für  eine  Fahne  leben  und  sterben  sie;  es  ist  sogar  das 
Einzige,  wofür  sie  in  Massen  zu  sterben  bereit  sind,  wenn 
man  sie  dazu  erzieht. 

33 


dbyGooglc 


Glauben  Sie  mir,  die  Politik  eines  ganzen  Volkes  — 
besonders,  wenn  es  so  in  aller  Welt  zerstreut  ist  —  macht 
man  nur  mit  Imponderabilien,  die  hoch  in  der  Luft 
schweben.  Wissen  Sie,  woraus  das  Deutsche  Reich  ent- 
standen ist?  Aus  Träiunereien,  Liedern,  Phantasien  und 
schwarzrotgoldenen  Bändern  —  und  in  kurzer  Zeit.  Bis- 
marck  hat  nur  den  Baum  geschüttelt,  den  die  Phantasten 
pflanzten. 

Wie?  Sie  verstehen  das  Imponderabile  nicht?  Und 
was  ist  die  Religion?  Denken  Sie  doch,  was  die  Juden 
seit  zweitausend  Jahren  für  diese  Phantasie  ausstehen. 
Ja,  nur  das  Phantastische  ergreift  die  Menschen.  Und 
wer  damit  nichts  anzufangen  weiß,  der  mag  ein  vortreff- 
licher, braver  und  nüchterner  Mann  sein,  und  selbst  ein 
Wohltäter  in  großem  Stil :  führen  wird  er  die  Menschen 
nicht,  und  es  wird  keine  Spur  von  ihm  bleiben. 

Dennoch  müssen  die  Volksphantasien  einen  festen 
Grund  haben.  Wer  sagt  Ihnen,  daß  ich  nicht  durchaus 
praktische  Ideen  für  das  Detail  habe?  Detail,  das  frei- 
lich noch  immer  riesenhaft  ist. 

Der  Auszug  ins  Gelobte  Land  stellt  sich  praktisch  als 
eine  ungeheure,  in  der  modernen  Weit  beispiellose 
Transportunternehmung  dar.  Was,  Transport?  Ein 
Komplex  aller  menschlichen  Unternehmungen,  die  wie 
Zahnräder  ineinandergreifen  werden.  Und  bei  dieser 
Unternehmung  werden  schon  in  den  ersten  Stadien 
die  nachstrebende  Menge  unserer  jungen  Leute  Beschäf- 
tigung finden;  alle  die  Ingenieure,  Architekten,  Techno- 
logen, Chemiker,  Ärzte,  Advokaten,  die  in  den  letzten 
dreißig  Jahren  aus  dem  Ghetto  herausgekommen  sind 
und  glaubten,  daß  sie  ihr  Brot  und  ihr  bißchen  Ehre 
außerhalb  des  jüdischen  Schachers  finden  würden ;  die 
jetzt  verzweifeln  müssen  und  ein  furchtbares  Bildungs- 

3     Henli  Tisebfloh«!  L  33 


dbyGooglc 


Proletariat  zu  bilden  beginnen.  Denen  aber  meine  ganze 
Liebe  gehört,  und  die  ich  so  vermehren  will,  wie  Sie  sie 
vermindern  möchten.  In  denen  ich  die  künftige,  noch 
ruhende  Kraft  der  Juden  sehe.  Meinesgleichen,  mit  einem 
Wort. 

Und  aus  diesen  Bildungsproletariern  bilde  ich  die  Ge- 
neralstäbe und  Kader  des  Landsuchungs-,  Landfindungs- 
und Landeroberungsheeres. 

Schon  ihr  Abzug  wird  in  den  MittebtSnden  der  antise- 
mitischen Linder  ein  wenig  Luft  machen  und  den  Druck 
erleichtern. 

Sehen  Sie  nicht,  daß  ich  mit  einem  Schlag  das  Ka- 
pital und  die  Arbeit  der  Juden  für  den  Zweck  bekomme? 
Und  ihre  Begeisterung  dazu,  wenn  sie  erst  verstehen,  um 
was  es  sich  handelt. 

Das  sind  freilich  nur  große  Umrisse.  Aber  woher  wis- 
sen Sie,  daß  ich  die  Details  dafür  nicht  schon  entworfen 
habe?  Ließen  Sie  mich  ausreden? 

Allerdings,  die  Stunde  war  vorgerückt,  Sie  wurden 
vielleicht  erwartet,  hatten  zu  tun,  was  weiß  ich?  Nur  kann 
von  derartigen  ZufSllchen  die  Bewegung  einer  solchen 
Frage  nicht  abhängen.  Beruhigen  Sie  sich,  sie  hftngt 
wirklich  nicht  davon  ab. 

Sie  werden  den  Wunsch  haben,  unser  Gespräch  fortzu- 
führen, und  ich  werde  —  ohne  auf  Sie  zu  warten  — 
immer  bereit  sein,  Ihnen  die  Forlsetzung  zu  liefern. 

Arbeiten  die  Anregungen,  die  ich  Ihnen  gab,  in  Ihnen 
weiter  and  wollen  Sie  mit  mir  reden,  so  schreiben  Sie 
mir:  „venez  me  voir".  Das  genügt,  und  ich  werde  auf 
einen  Tag  nach  London  kommen.  Und  wenn  ich  Sie  an 
dem  Tag  ebensowenig  überzeuge  wie  gestern,  so  werde 
ich  ebenso  unverdrossen  und  heiter  weggehen,  wie  ich 
gestern  weggegangen  bin.  Wollen  Sie  mit  mir  eine  Wette 

34 


dbyGooglc 


eingehen?  Ich  werde  eine  Nationalanleihe  der  Juden 
schaffen.  Wollen  Sie  sich  verpflichten,  5o  Millionen 
Mark  beizutragen,  wenn  ich  die  ersten  hundert  Millionen 
aufgebracht  habe?  Dafür  mache  ich  Sie  zum  Oberhaupt. 

Was  sind  zehn  Milliarden  Mark  für  die  Juden?  Sie 
sind  doch  reicher  als  die  Franzosen  von  1871,  und  wie 
viel  Juden  waren  darunter  I  —  Übrigens  könnten  wir  zur 
Not  schon  mit  einer  Milliarde  marschieren.  Denn  das 
wird  arbeitendes  Kapital  sein,  der  Grundstock  unserer 
späteren  Bahnen,  unserer  Auswanderungsschiffe  und 
unserer  Kriegsflotte.  Damit  werden  wir  Häuser,  Paläste, 
Arbeiterwohnungen,  Schulen,  Theater,  Museen,  Regie- 
rungsgebäude, Gefängnisse,  Spitäler,  Irrenhäuser  —  kurz, 
Städte  bauen  und  das  neue  Land  so  fruchtbar  machen, 
daß  es  dadurch  das  gelobte  wird. 

Diese  Anleihe  wird  selbst  zur  Hauptform  der  VermC- 
gensauswanderung  werden.  Das  ist  der  staatsfinanzielle 
Kern  der  Sache.  Es  ist  vietteicht  nicht  überflüssig,  hier 
zu  bemerken,  daß  ich  das  alles  als  Politiker  ausführe.  Ich 
bin  kein  Geschäftsmann  und  will  nie  einer 
werden. 

Man  findet  jüdisches  Geld  in  schweren  Massen  für  eine 
chinesische  Anleihe,  für  Neger-Bahnen  in  Afrika,  für  die 
abenteuerlichsten  Unternehmungen  —  und  für  das  tiefste, 
unmittelbarste,  quälendste  Bedürfnis  der  Juden  selbst 
fände  man  keines? 

Bis  Mitte  Juli  bleibe  ich  in  Paris.  Dann  verreise  ich 
auf  längere  Zeit.  Es  gilt  der  Sache.  Ich  bitte  Sie  aber, 
über  diesen  Punkt  wie  über  alle  anderen  von  mir  berühr- 
ten volles  Stillschweigen  zu  beobachten.  Meine  Handlun- 
gen mögen  Ihnen  derzeit  noch  nicht  wichtig  vorkommen; 
eben  darum  mache  ich  Sie  darauf  aufmerksam,  daß  mir 
an  absoluter  Geheimhaltung  viel  gelegen  ist. 

3«  35 


dbyGoogle 


Im  übrigen  versichere  ich  Sie  aufrichtig,  daß  mir  un- 
sere Unterredung,  selbst  in  der  Unvollst&ndigkeit,  inter- 
essant war,  und  daß  Sie  mich  nicht  enttäuscht  haben. 
Ich  begrüße  Sie, 

hochachtungsvoll  Ihr  ergebener 
Dr.  Herzl. 


Hier  folgen  Gedankensplitter,  die  sich  sfimtlicb  auf  den 
Judenstaat  beziehen  und  die  in  meiner  Staatsschrift  „Der 
Judenstaat"  zur  Verwertung  kommen. 

5.  Juni  1895. 
Arbeitszentrate. 

Da  wird  über  Skadenzen  der  Arbeit  so  Buch  geführt, 
wie  in  Banken  über  Wechselskadenzen. 

Ein  Großackerbauer  telegraphiert :  Bitte  mM-gen  looo 
Arbeiter  (gehen  militärisch  mit  Zug  ab).  —  Ein  Schnei- 
der braucht  Gehilfen.  Ein  Schusterbub  sucht  Lehre. 
Alles,  das  Größte  wie  das  Kleinste,  ISuft  da  zusammen. 
Reservoir  der  Arbeit.  Die  Innungen,  Dienstvermittlungen 
verstaatlichen,  wie  Bahn,  Versicherung  usw.  — 

Sekretär  Goldschmidt. 

So  wieder  ein  Anregungsamt  für  Kapitalien.  Geld  wird 
dort  und  dort  gehraucht.  Dort  gibt's  keine  Zuckerfabrik. 
Dort  gibt's  Petroleum.  Und  in  diesem  Amt  laufen  die 
Anträge  der  Geldsucher  wie  der  Unternehmungslustigen 
zusammen.  Vielleicht  Form  einer  amtlichen  Publikation. 
Überall  dem  Wucher  vorbeugen. 


Prinzip:  die  erprobten  Unternehmungen,   wie   Bank, 
Bahn,  Versicherung,  Schiffahrt  usw.  nimmt  der   Staat 


dbyGooglc 


dort  in  Händen,  wo  kein  Zweifel  an  ProsperitSt.  (Dafür 
keine  Steuern  I) 

Das  Aleatorische  bleibt  dem  Privatkapital,  für  hohe 
Gewinnprimie.  Reüssierende  Unternehmungen  zahlen 
spSter  Progressivsteuer  im  geraden  Verhfiltnis  zum  wach- 
senden Ertragnis.  Die  Grenze  individualisieren,  wo  Pri- 
vatuntemehmung  nicht  getötet  wird. 


Wenn  alles  drüben  im  Gange,  beginnt  Aufgabe  des 
Gen.-Dir.  erst  recht.  Die  Auswanderung  soll  anstSndig 
sein.  Für  hinterlassene  Betrügereien  koount  Gesellschaft 
auf  und  h&lt  sich  dann  drüben  an  Betrüger  schadtos. 

So  werden  wir  schwerere  Krisen  und  Verfolgungen  in 
spSteren  Phasen  der  Auswanderung  vermeiden.  Und  es 
wird  der  Beginn  unseres  Ansehens  in  der  Welt  sein. 

Wir  werden  auch  für  Wohlwollen  den  Regierungen  da- 
durch danken,  daß  wir  uns  dort,  wo  wir  durchschlüpfen 
könnten,  (durch  auslSndische  Rechtssubjektivität  eigent- 
lich überall,)  als  GroßsteuertrSger  etablieren  und  breite 
Surface  bieten  werden. 

Was  wir  so  und  durch  Entwertung  der  übernommenen 
Immobilien  verlieren,  gevnnnen  wir  reichlich  dadurch, 
daß  wir  drüben  am  billigen  Land  durch  unsere  gelenkte 
Bewertung  enorm  verdienen. 

«    *     * 

Bauprinzip  vielleicht:  Anfangs  dekorativ,  und  leicht 
bauen  (für  lo — 20  Jahre  berechnet,  mit  Ausnahmen  der 
Monumente),  cela  attire  l'ceil,  Ausstetlungsstil.  Dadurch 
sind  spätere  Neubauten,  also  Arbeitsgelegenheit  für  immer 
gegeben.  Dann,  solid  und  elegant. 


37 


dbyGoogle 


Sociely  of  Jewa  wird  solid,  bankmäßig  gesund,  reell 
vorgehen.  Sie  ist  u.  a.  auch  ein  großer  Tarifeur  (Lein- 
kauf  nehmen)  und  wird  mit  Bahnen  Personal-  und 
Frachtrefaktien  eingehen. 

Das  wird  auch  eine  Form  der  Versöhnung  mit  unserem 
Abzug  sein.  Denn  man  wird  späterbin  bereuen,  uns  nach- 
ziehen wollen,  wie  Pharao.  Wir  werden  aber  keine 
Schmutzerei  zurücklassen.    Judenehre  beginnt. 

*  *     * 

Wehe  den  Schwindlern,  die  sich  an  der  Judensacbe  be- 
reichern wollen.  Wir  werden  für  sie  härteste  Ehreostra- 
fen  einführen.  Sie  zu  incapaces  der  Immobilienerwer- 
bung machen. 

*  *     * 

Denn  Society  darf  kein  Panama  werden. 

*  *     * 

Wir  werden  alle  Zionisten  fusionieren. 


Gesundheitsmaßregeln  vor  Abfahrt.  Hüben  noch  hei- 
len die  Ansteckenden.  Wir  werden  AbfahrtsspitSler  (Qua- 
rantänen) haben,  B&der.  Kleideranstalten  vor  Abfahrt. 

♦  ♦    ♦ 

Den  historischen  Bauer  züchten,  hieße  ein  modernes 
Heer  mit  Armbrust  oder  Pfeilbogen  bewaffnen. 

♦  *    ♦ 

So  sehr  füllt  mich  das  jetzt  aus,  daß  ich  alles  auf  die 
Sache  beziehe,  wie  ein  Liebender  auf  die  Person. 

Ich  war  heute  bei  Floquets  Sekretär,  wegen  des  Frem- 
denlegionirs  Nemec,  der  unter  falschen  Vorspiegelungen 

38 


dbyGooglc 


angewortwn  wurde.  WShread  der  SekreUr  mir  deu  amt- 
lichen Beriebt  des  Kriegsministers  vorlas  —  offenbar 
hierarchisch  ungenau  — ,  dachte  ich  immer  nur  an  un- 
sere eigene  Truppe;  wie  ich  Disziplin  herstellen  und  doch 
solche  Unmenschlichkeiten  verhindern  könnte. 

Abends  in  der  Oper  bei  Tannhiuser. 

Wir  werden  auch  so  herrliche  Zuschauerräume  haben, 
die  Herren  im  Frack,  die  Damen  möglichst  luxuriös.  Ja, 
den  Judeoluxus  will  ich  benutzen,  wie  alles. 

Dabei  wieder  ans  Phänomen  der  Menge  gedacht. 

Da  sitzen  sie  stundenlaug  dichtgedrängt,  regungslos, 
körperlich  gequält  I  und  wofür?  Für  ein  Impooderabile, 
das  Hirsch  nicht  versteht:  für  Tönel  für  Musik  und 
BUderl  — 

Ich  werde  auch  erhabene  EiuzugsmSrsche  für  große 
Feste  pflegen. 

6.  Juni  1895. 

Wir  werden  schwere  Kämpfe  zu  besteben  haben:  mit 
dem  bereuenden  Pharao,  Feinden,  und  besonders  mit  uns 
selbst.  Das  goldene  Kalbl 

*  *     * 

Aber  ernst  und  fem  hinblickend  werden  wir  es  durch- 
führen, wenn  Volk  nur  inuner  fühlt  und  weiß,  wie  hoch 
wir  es  meinen. 

♦  ♦    * 

Armee  gut  in  der  Hand  halten! 


Unif  OTmiert  alle  Beamten,  schmuck,  stramm,  aber  nicht 
lächerlich. 


dbyGoogle 


Gigantische  assistance  par  le  traoail. 

*  *    « 

Ad  Überfuhr  verdieoen  wir,  was  uns  Mittellose  kosten. 
Auch  nicht  gratis.  Sie  zahlen  drüben  in  Arbeitstagen, 
durch  die  sie  erzogen  werden. 

*  *     • 
PrSmien  aller  Art  für  Tugenden. 

«    *     * 
Tabakbau,  Seidenfabriken. 

*  «■     «■ 

Wunderrabbi  von  Sadagora  ausführen,  zu  einer  Art 
Bischof  einer  Provinz  machen.  Überhaupt  ganzen  Klerus 
gewinnen. 

Sie  müssen  das  Algebraische  in  Ziffern  umrechnen.  Es 
gibt  Leute,  die  nicht  verstehen,  daß  (a  +  b)'  =  a*  4" 
3  ab  -|-  b>  ist.  Denen  müssen  Sie  das  ausrechnen  in 
bekannte  Ziffern. 


Ich  weiß  wohl,  daß  das  Nächste  in  meiner  Aufstellung 
so  richtig  ist,  wie  das  Fernste.  Aber  gerade  im  Nächsten 
(das  jeder  sieht)  darf  kein  Fehler  sein,  sonst  bfilt  man 
das  Ganze  für  Phantasie. 


Reihenfolge : 

I.  Geldbeschaffung  (Syndikat). 

3.  Beginn  der  Publizität  (die  nichts  kostet,  denn  An- 
tisem.  wird  froh  sein,  und  liberale  Widerstände  breche 
ich  durch  Konkurrenzandrohung). 

3.  Engagement  der  Landaucher. 

4o 


dbyGoogle 


4.  Fortsetzung  der  Publizitfit  im  größten   Maßstab. 
Europa  soll  darüber  lachen,  schimpfen,  kurz  reden. 
6.  Unterhandlungen  mit  Zion. 

6.  Landerwerbungspunktationen, 

7.  Ausgabe  von  LandprioritSten  (i  Milliarde). 

8.  Kauf  und  Bau  von  Schiffen. 

g.  Fortwährend  Engagement  aller  sich  Meldenden, 
Rekrutierung,  Zuteilung,  Abrichtung. 

10.  Die  große  Subskription  zu  propagieren  beginnen. 

1 1 .  Abfahrt  des  Landnahmeschiffes  mit  Berichten  an 
die  gesamte  Presse. 

la.  Wahl  und  Fixierung  des  Landes,  der  HauptstSdte. 

i3.  Arbeiter  aus  Rußland  usw.  errichten  inzwischen 
zuerst  die  Ahfahrtsharacken  (an  italienischer  oder  hol- 
ländischer Küste,  für  sich,  dann  für  spätere  Heere). 

i4.  P^t^everträge  mit  Bahnen.  Wir  müssen  am  Trans- 
port viel  verdienen. 

i5.  Eintausch  alter  gegen  neue  Sachen  beginnt. 

16.  Die  schon  sich  drehenden  RSder  werden  natürlich 
weiter  in  Bewegung  erhalten,  hinzukommen  allmählich 
alle  übrigen  des  Programms,  bis  die  ganze  Maschine  geht  1 

17.  Zum  Deutschen  Kaiser  (ihn  um  Privilegel  bitten). 

*    *     * 
Dafür  garantieren  wir  gute  Ordnung  und  geben  aur~ 
face  (vielleicht  für  Bewilligung  der  öffentlichen  Sub- 
skription einer  Losanleihe). 

7.  Juni  1895. 
Hirsch  —  heute  vor  acht  Tagen  noch  der  Angelpunkt 
meines  Planes,  ist  heute  schon  lur  qaanlit^  absolament 
n^ligeable  herabgesunken,   gegen  die    ich  sogar  bereits 
großmütig  bin in  Gedanken. 


dbyGoogle 


Daniel  Deronda  leseo.  Teweles  spricht  davon.  Ich 
kena's  noch  nicht. 

*  *    * 

Dem  Familienrat.  —  Ich  beginne  mit  Ihnen,  weil  ich  so 
für  den  Anfang,  bis  meine  Kader  stehen,  kein  grand  fra~ 
COM  brauche,  und  auch  Gut  und  Blut  der  Masse  sicherer 
hinausführen  kann.  Während,  wenn  ich  zuerst  Massen 
aufrühre,  gefährde  ich  die  Reichen. 

*  *     ♦ 
So  kann  ich  behutsamer  vorgehen. 

*  *     * 

Ich  bin  der  Mann,  der  aus  Abfällen  Anilin  macht. 
Ich  muß  Vergleiche  verschiedener  Art  gebrauchen,  denn 
es  ist  etwas  Beispielloses. 

Ich  war  bei  Hirsch,  ich  gehe  zu  Rothschild,  wie  Moltke 
von  Dänemark  zu  Preußen. 

*  *     * 

Die  feigen,  vermischten  getauften  Juden  sollen  bleiben. 
Selbst  ihnen  werden  wir  nützen  —  sie  werden  sich  der 
Zusammengehörigkeit  mit  uns,  deren  sie  sich  schämen, 
rühmen.   Wir  treuen  Juden  aber  werden  wieder  groß. 

Dabei  will  ich  auch,  wenn  ich  R's  bekomme,  den  armen 
Baron  Hirsch  nicht  verstoßen. 

Ich  gebe  ihm  ein  VizeprSsidiiun  (in  Anerkennung  bis- 
heriger Verdienste,  und  weil  er  den  Plan  kennt). 

Übrigens  fürchte  ich  die  Divulgation  meiner  drei  Briefe 
nicht  —  nur  würde  ich  ihn  dafür  zerschmettern,  den  Fa- 
natismus auf  ihn  hetzen  und  ihn  in  einer  Schrift  demo- 
lieren (das  werde  ich  ihm  seinerzeit  ankündigen). 

Lieber  möchte  ich  aber  ihn  und  alle  großen  Juden  unter 
einen  Hut  bringen. 

4a 


dbyGoogle 


Erstens  sollVerwaltungsrat  der  Society  les  plas  „upper" 
umfassen  (wegen  Autorität) .  Dann  placiere  ich  die  Camon- 
dos  und  MendelssOhne  als  Präsides  der  Töchteranstalten. 

Ich  bringe  den  R's  und  großen  Juden  ihre  historische 
Mission. 

J'accueiUerai  toutes  Ibm  bonne*  volontis  —  wir  müs- 
sen einig  sein  —  et  icreaerai  le»  mauvaisa  (sage  ich 
drohend  dem  Familienrat). 

Brief  Teweles  (Mut  genügt  nicht).  Beer  muß  ich  schrei- 
ben, daß  ich  für  sein  Beerit  Verwendung  habe. 
•    •     • 

Meine  Obersiedlungen  von  Wien  nach  Paris,  und  zu- 
rück, waren  geschichtlich  nötig,  damit  ich  die  Auswande- 
rung erlerne. 

GüdemannI  Sie  mache  ich  zum  ersten  Bischof  der 
Hauptstadt.  Nach  Glion  habe  ich  Sie  gerufen,  um  Ihnen 
augenfällig  zu  machen,  was  wir  schon  in  der  Natur  ver- 
mögen. 

Wollen  R's  nicht,  so  bringe  ich  die  Sache  vor  Gesamt- 
heit der  Juden.  Das  hat  außer  Lange  noch  Nachteil  für 
mich,  daß  ich  meine  tiefsten  Pläne  divulgieren,  der  Dis- 
kussion (auch  der  Antisem.)  übergeben  muß. 

Für  R's  hat  es  den  Nachteil,  daß  Sache  ruchbar  wird. 
Stürme  der  Wut  hervorruft  (die  Juden  wollen  abziehen  I) 
und  vielleicht  zu  schweren  Unruhen  auf  Gassen,  und  in 
Gesetzgebungen  zu  Repressalien  führt. 

Ich  berge  oder  gefährde  ihr  Vermögen.  Und  ich 
setze  es  durch,  weil  meine  Feder  bisher  rein  ist  und  un- 
verkäuflich bleibt. 

2.  Blatt  V.  Bois. 

Ich  bringe  die  Löstmg  der  Judenfrage  durch  Bo^ng 
des  R'schen  Vermögens  —  und  umgekehrt. 

Ich  bin  aber  auf  die  R's  nicht  angewiesen  —  ich  zöge 

43 


dbyGoogle 


sie  nur  vor  als  Knoten,  weil  ich  das  ganze  Geld  in  einem 
Nachmittag  aufbringen  kann,  durch  simple  patiage 
d'icrUare. 

Sie  sollen  Albert  R  veranlassen,  Familienrat  die  Sache 
vorzulegen,  und  mich  zu  einem  Vortrag  vor  den  Familien^ 
rat  (aber  nicht  in  Paris,  weil  mich  Umgebung  impressio- 
nieren  könnte)  einzuladen. 

7.  VI.  Im  Palais  Royalgarten. 

Etwas  wie  Palais  Royal  oder  Markusplatz  bauen. 

♦  *     ♦ 

Keinen  Juden  wegschicken.  Jeden  verwenden  nach  sei- 
ner Fähigkeit  oder  Unfähigkeit,  z.  B.  Pferdezucht  lernen 
lassen. 

Einleitung  in  Glion  vor  dem  Geistlichen  und  dem  Welt- 
lichen. 

Geschichte.  Es  kann  nicht  besser,  muß  schlechter  wer- 
den —  bis  zum  Massaker. 

Regierungen  könaen's  nicht  mehr  verhindern,  selbst 
wenn  sie  wollten.  Auch  steckt  Sozialismus  dahinter. 

In  den  zwanzig  Jahren,  ,J>is  man's  merkt",  muß  ich 
mir  die  Knaben  zu  Kriegern  erziehen.  Aber  nur  Berufs- 
heer. Zahl  >/,e  der  minnlichen  Bevölkerung  —  weniger 
genügt  nicht  nach  innen. 

Übrigens  erziehe  ich  alle  zu  freien  starken  Männern, 
die  im  Notfall  als  Freiwillige  einstehen.  Erziehung  durch 
Patriotenlieder  und  Makkahäer,  Religion,  Heldenstücke 
im  Theater,  Ehre  usw. 

7.v;. 

Mosis  Auszug  verhält  sich  dazu,  wie  ein  Fastnachtssing- 
spiel von  Hans  Sachs  zu  einer  Wagnerschen  Oper. 

•  ♦    •    ■ 

Ich  bin  auf  alles  gefaßt:  das  Jammern  um  Ägyptens 


dbyGoogle 


Fleischtöpfe,  den  Tam  ums  goldene  Kalb  —  auch  auf 
den  Undank  der  am  meisten  Verpflichteten.  — 

Von  Goldmark,  Brüll  und  anderen  jüdischen  Kompo- 
nisten (auch  Mandl)  Volksbymnen  (Marseillaise  der 
Jnden)  komponieren  lassen.  Preisausschreibung  unnfitig 
und  lächerlich.   Die  beste  wird  allgemein  werden. 

Wir  werden  wahrscheinlich  die  Verfassung  Venedigs 
nachbilden  und  aus  den  schlechten  Erfahrungen  Venedigs 
vorbeugend  profitieren. 

Für  Glion.  —  Hierher  habe  ich  Sie  gebeten,  um  Ihnen 
vor  Augen  zu  halten,  wie  unabhängig  die  Menschen  schon 
von  der  Natur  sind. 

I.  Hauptpunkt;  Ich  löse  die  Frage,  indem  ich  R's  Ver- 
mögen in  Sicherheit  bringe,  oder  umgekehrt. 

II.  Hauptpunkt:  Wenn  ich's  nicht  mit  R's  machen 
kann,  mache  ich's  gegen  sie. 

Die  Jugend  (auch  die  Armen)  bekommt  englische 
Spiele:  Kricket,  Tennis  usw.,  Lyzeen  im  Gebirge. 

Die  TugendniveauhehuDg  durch  Prämien,  mache  ich 
für  uns  —  nicht  fürs  Bleiben!  (seil.  Prämien,  die  uns 
nichts  kosten  und  wertvoll  sind :  wie  Läiidereien,  Orden 
usw.) 

Grundsatz:  Jeder  meiner  früheren  Bekannten,  der 
kommt,  wird  angestellt,  nah  oder  fern. 

Ich  werde  zuerst  mit  ihnen  herzlich  reden,  sie  prüfen ; 
aber  vom  Moment  an,  wo  sie  angestellt  sind,  hört  prin- 
zipiell Gemütlichkeit  auf  —  das  sage  ich  ihnen  voraus 
aus  Disziplingrüuden. 

Nach  hundert  Jahren  sollte  man  die  allgemeine  Wehr- 
pflicht einführen;  aber  wer  weiß,  wie  weil  man  dann 
schon  in  der  Zivilisation  hält. 

h5 


dbyGooglc 


Wir  werden  uns  die  Judenjargons,  Jüdischdeutsch,  ab- 
gewChneD,  die  nur  Sinn  und  Entschuldiguag  als  veratoh- 
lene  Sprache  von  HSftlingen  hatten. 

Siebenstundentag  denke  ich  mir  vwlftufig  als  Welt- 
reklame  —  vielleicht  sogar  durchführbar  für  immer. 
Wenn  nicht,  wird  jeu  naluret  das  schon  wieder  einrichten. 

Allen,  (Aen  and  unten:  Keine  Engherzigkeiit I  in  einer 
neuen  Welt  ist  Platz  für  alle . . . 

Dreizehn  Jahre  hat's  mindestens  gebraucht,  bis  ich  die* 
sen  einfachen  Gedanken  hatte.  Jetzt  sehe  ich  erst,  wie  oft 
ich  nahe  daran  vorübergekommen  bin. 

Die  „Arbeitshilfe"  war  mir  sehr  wichtig. 


Circenses  baldigst: 

Deutsches  Theater,  internationales  Theater,  Oper,  Ope- 
rette, Zirkus,  Caf6-concert,  Cafi  Champs  Elysies. 


Zur  Ausstellung  von  1900  bereits  herrliche  Reklame- 
sachen schicken. 


Die  Hohenpriester  werden  imposanten  Ornat  haben; 
unsere  Kürassiere  gelbe  Hosen,  weißen  Waffenrock. 
Offiziere  silbernen  Küraß. 


Sobald  wir  Land  festgestellt  und  Prftliminarvertrag  mit 
jetzigem  Souverin  abgeschlossen  haben,  beginnen  diplo- 
matische Unterhandlungen  mit  allen  Mächten  für  Ga- 
rantie. 


46 


dbyGoogle 


Dann  Ausgabe  der  jüdischen  Anleihe. 

*  *     * 

Rousseau  glaubte,  daß  es  einen  contrat  loeüd  gebe. 
Das  ist  falsch.  Es  gibt  im  Staat  nur  eine  negotiorum 
gestio. 

So  führe  ich  die  Geschftf te  der  Juden,  ohne  ihren  Auf- 
trag, werde  ihnen  aber  dafür  verantwtn^Iich. 

*  «    * 

Dem  Familienrat.  Für  Sie  ist  das  un  limple  paatage 
d^ieritwe. 

Und  doch  werden  Sie  mit  dieser  Bergung  Ihres  Ver- 
mögens das  größte  Gesch&ft  machen,  das  Sie  je  gemacht 
haben. 

Darum  wünsche  ich  auch,  daß  der  großen  Masse  der 
Juden  davon  etwas  zukomme.  Sei  es  durch  zweite  Emis- 
sion, hei  welcher  nur  Unitäten  der  Subskription  berück- 
sichtigt werden  —  sei  es  durch  Aktien  für  die  ersten 
Landnehmer  (letzteres  schOner  und  sozialer).  Die  Form 
werden  wir  schon  finden. 

Das  liegt  auch  in  Ihrem  Interesse,  sonst  werden  Sie 
von  den  Juden  später  hart  angefeindet. 

8.  Juni  1895. 

Die  Zentren  ausgraben  und  biafibernehmen.  Ganze  Mi- 
lieus, in  denen  die  Juden  sich  wohl  fühlen,  verpflanzen. 

*  «     « 

Alle,  die  sich  gegen  mich  irgendwann,  irgendwas  zu- 
schulden kommen  ließen  und  sich  deshalb  nicht  an  mich 
heranwagen,  aufsuchen  und  anstellea.  Weil  ich  der  erste 
sein  muß,  der  Beispiel  einer  überlegenen  Großmut  gibt. 

Judenfrage  soll  als  großer  VersOhnungsausklang  gelOst 
werden. 


dbyGoogle 


Wir  scheiden  als  Freunde  von  unseren  Feinden  —  das 

soll  der  Beginn  der  Judenebre  sein. 

Den  Männern  in  Glion  und  spSter  dem  Familienrat: 

Bemerken  Sie,  daß  ich  nicht  phantasiere,  mit  lauter 

realen  Faktoren   —   die  Sie   selbst  prüfen  können    — 

rechne,  und  nur  in  der  Kombination  liegt  die  Phantasie. 

*  *     * 

Ich  gUube  fest,  daß  ich  die  Leute  er(^rn  werde.  Nur 
kleine  Leute  rieben  sich. 

*  *     * 

Für  hinterlassene  —  natürlicb  nur  ordentlich  nach- 
weisbare —  Schmutzereien  unserer  Auswanderer  kommt 
die  Gesellschaft  auf.  Wir  werden  es  schon  drüben  herein- 
bringen. Das  ist  die  Manneszucht. 

Dossiers  meiner  Privatkorrespondenz  führen.  Dossiers 
anlegen  für  alle  Personen,  mit  denen  ich  verkehre. 

Die  Juden  unter  einen  Hut  zu  bringen,  wird  eine  Sau- 
arbeit sein,  obwohl  oder  vielmehr  weil  sie  alle  einen 
Kopf  haben. 

Der  erste  Senator  wird  mein  Vater. 

In  den  Senat  kommen  alle  berühmten  Juden,  die  mit  ' 
uns  gehen. 

Unter  Schnitzeln  finde  ich  heute  zufällig  einen  Zettel, 
den  ich  in  San  Sebastian  am  Vorabend  meiner  Abreise 
nach  Paris  schrieb. 

Da  heißt  es:  „Ich  werde  Galloschen  haben  wie  ein  Ge- 
schäftsmann." 

Ich  sah  damals,  wie  gewöhnlich,  die  ganze  Entwicklung 
voraus  —  nur  die  Dauer  und  das  Ende  nicht. 

Heute  sage  ich:  Ich  werde  mit  den  Herren  der  Erde 
als  ihresgleichen  verkehren. 


48 


dbyGooglc 


Den  Männero  in  Glion. 

Ich  entwickle  vor  Ihnen  jetzt  nur  die  moralisch  poli- 
tische und  die  finanzielle  Seite,  d.  h.  das  Ziel,  das  ich 
ebenso  deutlich  sehe  wie  den  Ausgangspunkt. 

Die  Sache  hat  noch  viele  andere  Seiten :  technische,  mi- 
litlrische,  diplomatische,  administrative,  volkswirtschaft- 
liche, künstlerische  usw. 

Sie  müssen  mir  vorläufig  glauben,  daß  ich  dafür  ebenso 
Rat  weiß  und  meine  Plfine  aufgestellt  habe. 

Eine  Sektion  für  Erfindungen,  deren  Korrespondenten 
in  Paris,  London,  Berlin  usw.  sofort  alles  Neue  melden, 
das  dann  auf  seine  Verwendbarkeit  hin  geprüft  wird. 

Sektionschef  muß  oft  erneuert  werden,  damit  kein 
Routinebeamter  aus  ihm  werde. 


Volksfeste  von  künstlerischem  Charakter,  iparpille 
übers  ganze  Land,  und  zwar  nach  einem  Typus,  damit 
sich  Massen  nicht  immer  nach  einem  Punkt  drängen. 
Denn  so  fühlt  sich  Menge  bei  Festen  nur  unglücklich. 

Allerdings  wird  es  auch  Nationalfeste  mit  enormen  Se- 
henswürdigkeiten, farbigen  Aufzügen  usw.  geben.  — 

Dieser  Auszug  verhält  sich  zu  jenem,  wie  die  jetzige 
wissenschaftliche  Goldminenerforschung  des  Witwaters- 
rand  zur  abenteuerlichen  der  Kalifomier   Bret  Hartes. 

Mich  vor  Selbstüberschätzung,  Hochmut  und  Narre- 
teien hüten,  wenn 's  gelingt.  Wenn 's  mißlingt,  hilft  mir 
die  Literatur,  mir's  von  der  Seele  zu  schreiben. 

Es  gibt  Detaib,  die  ich  Ihnen  noch  nicht  sagen  kann, 
weil  ich  in  diesem  Augenblick  nicht  weiß,  ob  Sie  meine 

4     Henl«  Ta«ebIkober  I.  ^Q 


dbyGoogle 


Freunde  sein  werden.  Sie  können  n&mlich  nur  meine 
Freunde  oder  Feinde  sein.  Dazwischen  gibt's  jetzt  nichts 
mehr. 


I.  Station  Rothschilds 
II.       „        Zwergmillionäre 
III.       „        die  Kleinen  (d.  h.  Divulgationl) 
Dann  werden  die  3.  und  i.  bereuen. 


Alle  Bettler,  alle  Hausierer  nehme  ich  mit.  Die  zurück- 
bleiben, d.  b.  die  nicht  arbeiteo  wollen,  soll  der  Teufel 
holen. 

Wenn  ich  die  Armen  abgezogen  habe.  Es  wird  eine  Er- 
leichterung, ein  Aufatmen  eintreten. 

Auch  die  Judenpracht  wird  in  Europa  nicht  mehr  be- 
lästigen. Denn  alle  Wohlberatenen  werden  sich  drüben 
ihre  Paläste  bauen. 

Erst  später  wird  die  Erleichterung  in  ein  Gefühl  der 
Leere  ausarten  —  aber  dann  sind  wir  schon  drüben  und 
haben  unser  Heer  und  unsere  Diplomatie. 

Diplomaten  werden  am  schwersten  zu  rekrutieren  sein, 
weil  wir  in  der  Gefangenschaft  die  Haltung  verloren 
haben. 

Den  Männern  v.  Glion: 

Die  R's  ahnen  gar  nicht,  wie  gefährdet  ihr  Vermögen 
schon  ist.  Sie  leben  in  einem  fälschenden  Kreis  von  Höf- 
lingen, Dienern,  Angestellten,  Armen  und  aristokra- 
tischen Pumpbrüdem. 

Eine  Lösung  ist's,  weil  ich  alle  befriedige. 

Arme,  Reiche,  Arbeiter,  Gebildete,  Regierungen  und 
antisemitische  Völker, 


5o 


dbyGoogle 


Dem  Familienrat: 

Sie  geben  einem  Armen  Fr.  loo.  Ich  gebe  ihm  Arbeit, 
selbst  wenn  ich  keine  habe,  schlimmstens  verliere  ich 
daran  lOO  Francs.  Aber  ich  habe  eine  nützliche  Existenz 
geschaffen,  und  Sie  einen  Lumpen.  Avec  ga,  daß  ich  den 
Markt  tugleicfa  mit  der  Arbeit  schaffei 

Abo  gewinnen  muß,  was  Unternehmer  gewinnen  — ■ 
je  gagne  tout  ee  qae  je  veux. 


Ihr  Vermögen  wachsende  Kalamitfit.  Wir  werden  uns 
beim  Eintausch  alter  Immobilien  gegen  neue  betragen 
lassen,  aber  privilegierte,  gesetzliche  Hypothek  schaffen 
für  hinterlassen«  Schmutzereien. 

Tarifwesen  mit  Leinkauf  studieren.  Personen  müssen 
uns  zum  Portosatz  zu  stehen  kommen.  Wir  werden  wie 
Cook  und  Schrökl  eigene  Züge  haben.  Auch  Cooks  Sy- 
stem werde  ich  studieren,  um  seine  Benefizien  heraus- 
zurechnen. 

*    *     * 

Das  jüdische  Kapital  darf  nichts  mehr  unternehmen. 

Die  jüdische  Arbeit  darf  nicht  mehr  konkurrieren. 

Die  Gleichberechtigung  steht  noch  im  Gesetz,  ist  aber 
tatsfichlich  schon  aufgehoben. 

Wir  produzieren  zu  viel  Intelligenz  und  haben  dafür 
keinen  Absatz  mehr. 

Dem  Familienrat: 

Meine  Auffassung :  Sozialismus  ist  eine  rein  technolo- 
gische Frage.  Zerteilung  der  Naturkrfifte  durch  Elek- 
trizität wird  ihn  aufheben.  Inzwischen  ist  unser  Muster- 
reich  entstanden. 


dbyGooglc 


Stadtbau:  Erst  Kanäle,  Wasser,  Gas  usw.,  dann  darüber 
HoUstÖckel. 

8.  VI. 

Aber  nicht  nur  Paris,  Florenz  usw.  kopieren,  auch 
einen  jüdischen  Stil  suchen,  der  die  Erleichterung  und 
Freiheit  ausdrückt. 

Freie  heitere  Hallen,  sfiulengetragen. 

Luftzonen  zwischen  StSdten  machen.  Jede  Stadt  gleich- 
sam großes  Haus,  das  im  Garten  liegt. 

In  den  Luftzonen  darf  es  nur  Ackerbau,  Wald  usw. 
geben.  Dadurch  verhindere  ich  hypertrophische  Groß- 
städte, und  die  Städte  sehen  früher  bewohnt  aus. 

8.  VI. 

Abends  bei  S ...  8  diniert.  Ihre  Schwlgersleute  aus  Wien 
waren  da.  Wohlhabende,  gebildete,  gedrückte  Menschen. 
Sie  stöhnten  leise  über  den  Antisemitismus,  auf  den  ich 
fortwährend  das  Gespräch  brachte. 

Der  Mann  erwartet  eine  neue  BartholomSusnacht.  Die 
Frau  meint,  daß  es  nicht  mehr  schlechter  werden  könne. 
Sie  stritten,  ob  es  gut  oder  schlecht  sei,  daß  Luegers  Wahl 
zum  Bürgermeister  von  Wien  nicht  bestätigt  werde. 

Sie  haben  mich  mit  ihrer  Mattigkeit  ganz  verzagt  ge- 
macht. Sie  ahnen  es  nicht,  aber  sie  sind  Ghettonaturen, 
stille,  brave,  furchtsame. 

So  sind  die  meisten.  Werden  sie  den  Ruf  zur  Freiheit 
und  Menschwerdung  verstehen? 

Beim  Weggehen  war  ich  ganz  verstimmt.  Mein  Plan 
kam  mir  wieder  verrückt  vor. 

Aber  in  der  ddfaiUance  sagte  ich  mir:  Angefangen  hab' 
ich's,  jetzt  führe  ich 's  weiter. 

Hauptsache  ist,  daß  ich  in  Glion  und  später  Willen 
leige. 

53 


dbyGooglc 


So  etwas  kimn  nur  suggeriert  werden.  Wie  ich  zweifle, 
bin  ich  grotesk. 

9.  Juni  1895. 

Salo  und  Güdemann  sollen  jeder  eine  Denkschrift  mit- 
bringen. Güdemann  über  Zahl,  Verteilungzuseiner  Kennt- 
nis kommender  Verfolgungen,  Zeichen,  ob  Antisemitis- 
mos  wachse  (und  in  welchem  Verhältnis)  oder  abnehme, 
offizieller  und  offiziöser  Antisemitismus,  Antisemitismus 
in  Schule  und  Ämtern,  soweit  er 's  weiß  usw.  Kurz  alles, 
was  er  Ober  moralische  und  politische  Lage  weiß. 

Salo  über  jüdische  Erwerbsverhfiltnisse,  Zinsfuß,  Ver- 
m^ensverteilung  (Zahl  der  großen,  Schätzung  der  klei- 
nen Vermögen),  Zustand  des  jüdischen  Unternehmungs- 
geistes (ob  wächst,  und  in  welchem  Verhältnis,  oder 
schwindet),  Stimmung  in  Geschäftskreisen. 

Morgens :  Heute  bin  ich  wieder  eisenfest.  Die  Mattig- 
keit der  gestrigen  Leute  ist  ein  Grund  mehr  zur  Aktion. 
Christen  in  diesen  Verhältnissen  wären  froh  und  lebens- 
lustig. Juden  sind  tramig. 

Approvisionierung  wahrscheinlich  nicht  in  eigene  Re- 
gie nehmen. 

Um  in  England  nicht  „manager"  zu  heißen,  was  zu 
geschSftsmfinnisch  klingt,  werde  ich  vielleicht  den  Titel 
„Kanzler"  führen  oder  einen  anderen. 

Die  subalternen  Titel  blieben  vorläufig  wie  der  ge- 
wöhnlichen Aktiengesellschaften,  Die  Verwandlung  in 
staatsmftftige  wird  später  als  Belohnung  empfunden 
werden. 

Bei  Gehalten,  Prinzip:  Jedem  eine  merkliebe  Verbesse- 
rung von  ^/4  bis  Vi  seines  jetzigen  Einkommens  zu  ge- 
währen. 

Aber  Marge  halten  fürs  Avancement,  ebenso  im  Titel 
wie  im  Gebalt. 

63 


dbyGoogle 


Anfangs  wußten  die  Gründungsbeamten  die  Titel  nicht 
gebührend  zu  BchStzen  (kamen  ihnen  st^ar  lächerlich 
vor) ;  so  sollen  sie  sich  nur  für  Angestellte  einer  reichen 
Aktiengesellschaft  halten. 

Ein  Zeitungsleser  (S . . .)  soll  täglich  vigilieren  auf  neue 
Wohlfahrtseinrichtuogen,  Spitäler  usw.  und  mir  Auszüge 
vorlegen. 

Überhaupt  haben  alle  Ressortchefs  Auftrag,  alles  Wich- 
tige, was  der  Weltgeist  in  ihren  Fächern  an  Fortschritt 
schafft,  mir  zu  signalisieren,  mit  besonderem  Bericht  über 
Wichtiges. 

Ich  selbst  werde  keine  Zeitung  lesen  (nach  Freycinets 
Prinzip  —  Worte,  die  er  mir  über  Casimir  P6rier  sagte). 

Ich  habe  fortab  das  Recht  und  die  Pflicht,  mich  über 
jederlei  persönlichen  Angriff  hinwegzusetzen. 

Nur  wenn  ein  courant  d'opinion  gegen  das  Unterneh- 
men erzeugt  werden  will,  muß  es  mir  schleunig  signali- 
siert werden,  damit  ich  die  Widerstände  breche. 

Angriffe  der  Antisemiten,  solange  sie  uns  nicht  zurück- 
halten wollen  (was  auch  kommen  wird),  ignoriere  ich 
vollkommen. 

Für  meine  persSnliche  Sicherheit  wird  eine  gut  gelei- 
tete Geheimpolizei  zu  sorgen  haben. 

«    «    * 

9.  VI. 
Es  ist  ein  Feldzug.  — 

Prinzip  der  Karawane  von  Arcueil  sofort  adoptieren 
(La  XIX.  Ccoravcme  d'Arcaeil  par  LhermUe  [bei  Domini- 
kanern in  Paria,  Ecole  Lacordaire,  zu  kriegenj). 

Buch  des  Dominikanerpaters  Lhermite  soll  der  Führer 
(vielleicht  B...)  mit  Nutzen  lesen,  mir  darüber  berich- 

54 


dbyGooglc 


ten.  Wir  schicken  gleich  im  ersten  Jahr  eine  Karawane 
hinOber  (Raoul  geht  mit),  dann  in  regelmäßigen  Abstän- 
den solche  Züge. 

Für  Einrichtung  der  Börsen  werden  Maklerschaften 
anfangs  auf  ein  Jahr  versteigert. 

Aber  schon  wer  in  diesem  Jahr,  wo  er  noch  sein  eigener 
Herr  ist,  die  späterhin  zu  verpönenden  Handlungen  be- 
geht, wird  disqualifiziert  (was  ihm  im  vorhinein  anzu- 
sagen ist). 

Wer  dagegen  sich  korrekt  aufführt,  erwirbt  für  näch- 
stes Jahr  Vorzugsrecht,  ohne  zu  konkurrieren.  Er  kann 
Charge  zu  dem  höchsten  gebotenen  Preise  auf  ein  wei- 
teres Jahr  behalten.  Das  geht  so  fort  bis  zum  fünften 
oder  zehnten  Jahre  (was  wir  dann  nach  Umständen  er- 
messen werden),  wo  die  Versteigerung  aufhört  und  die 
Makler  eine  geschlossene  Korporation  werden. 

Durch  die  großartige  Einrichtung  dieses  Börsenmono- 
pols  erreiche  ich  auch,  daß  das  verblüffte  Europa  die 
Sache  nachmacht.  Dadurch  werden  die  Juden  von  euro- 
päischen Börsen  verdringt,  weil  die  bestehenden  Regie- 
rungen diese  Sinekuren  doch  nicht  den  Juden  geben 
werden.  Das  bringt  mir  neue  Auswanderer. 

Die  Aufmerksamkeit  und  Gerechtigkeit  der  reisenden 
Beschwerdekommissäre  sichere  ich  dadurch,  daß  ich  sie 
verantwortlich  mache.  Sie  selbst  unterliegen  Amtsstrafen, 
wie  Gehaltsabzüge,  Versetzimg  usw.,  wenn  sie  gerechte 
Beschwerden  vernachlässigt,  schlecht  oder  parteiisch  ent- 
schieden haben  usw. 

Es  wird  geheime  Oberinspektoren  geben,  d.  h.  Legaten, 
die  ohnebin  die  Gegenden  bereisen  und  nebenbei  ihre 
Wahrnehmungen  zu  verzeichnen  haben. 

Die  örtlichen  Selbsteinschätzungen  können  zu  Betrüge- 
reien führen.  Darum  bleiben  die  Auswanderer  solidarisch 

55 


dbyGoogle 


haftbar  bis  zur  Realisierung  des  HiDterlasseoen,  und  die 
Haftung  ruht  in  einer  privilegierten  Hypothek,  auf  ihren 
neuen  Besitzungen. 

Bdrseninonopol  des  Staates  scheint  mir  jetzt  eine  ge- 
niale Lösung  zu  sein. 

Zur  Maklerschaft  braucht  man  keine  Vorkenntnisse: 
es  ist  wukUled  Utboarl 

Die  beeideten  Makler  habe  ich  ganz  in  der  Hand,  ver- 
wende sie  für  Staalszwecke,  dirigiere  sie  nach  den  Be- 
dürfnissen meiner  Politik  und  kann  Mißbräuche  ver- 
hindern. Ich  dulde  keine  Börsencomptoirs.  Ich  will  einen 
gesunden  Geldmarkt.  Der  Makler,  der  zum  Spiel  ver- 
lockt, wird  abgesetzt.  Mit  der  Absetzung  ist  nicht  nur 
Verlust  einer  feiten  Pfründe,  sondern  auch  politischer 
Ehrverlust  auf  graduierte  Zeit  verbunden.  — 

Der  Makler  wird  zur  Vertrauensperson  wie  Notar.  Ich 
fasse  die  Makler  in  Kammern  mit  Ehren-Schiedsgericht 
zusammen. 

Kasuistik  der  Delikte  ist  zu  verfassen,  und  damit  ein 
Spezialkodex  zu  etablieren. 

Der  Makler  hat  sich  seine  Kunden  anzusehen.  Er  kann, 
was  ich  nicht  kann:  den  Spieler  vom  Anlagesucher  unter- 
scheiden. 

Makler,  die  mit  nachweisbarer  culpa  (selbst  levis)  den 
wirtschaftlichen  Ruin  jemandes  verschuldet  haben,  wer- 
den abgesetzt.  Ich  kann  aber  die  Strafen  auch  graduie- 
ren: z.  B.  zeitweilige  Suspension  (die  nicht  Verlust  der 
politischen  Rechte  nach  sich  zieht  und  abgestuft  werden 
kann,  von  acht  Tagen  bis  zu  zwei  Jahren.  Weil  ja  maiich- 
mal  die  Schuld  des  Maklers  schwer  nachweisbar.) 

Die  Entscheidung  über  Suspension  und  Absetzung 
nehme  ich  vielleicht  dem  Standeskollegium  ah  und  gebe 
sie  meiner  staatlichen  Börsenkommission. 

56 


dbyGoogle 


Vielleicht  mache  ich  diese  BöraeDkommission  nur  zur 
Appell-Iiutanz,  weil  ich  dea  Umtrieben  des  Brotneids 
YOTbeogen  will, 

9.  VI. 
Dieseltw  Einrichtung,  wie  für  die  Geldbörse,  auch  für 
Getreide-,  Vieh-,  Warenbörse,  wie  für  alles,  was  des  SpieU 
flhig  ist. 

•    *     * 

Aus  den  Einkünften  dieses  Monopols  habe  ich  großen 
Beitrag  zn  Staatsbedürfnissen. 


Maklerschaften  werden  zunächst  provisorisch  gegen  re~ 
devance  verliehen  und  allmählich  zur  Pensionierung  ver- 
dienter Beamten  verwendet.  Können  späterhin  auch  (wie 
in  Paris  die  at^ente-Chargen)  in  Viertel  und  Achtel  ge- 
teilt werden. 


Die  Maklerschaften  sind  nicht  vererblich  und  unver- 
Sußerlicfa.  — 

So  kann  ich  unbesorgt  die  Hauptstadt  zum  vornehmsten 
Platz  des  Welt-Geldmarktes  machen. 

Gewisse  Amter  (des  Heeres,  der  Diplomatie,  Justiz, 
Verwaltung  usw.)  werden  nie  mit  Maklereinkünften  be- 
lohnt, sondern  direkt  vom  Staate  aus  pensioniert.  Das 
ist  für  uns  nur  eine  Umbuchung,  trägt  aber  zur  Hebung 
und  Ehrung  dieser  Stände  bei. 

Dem  Familienrat: 

9.  VI. 

Wenn  ich 's  mit  Ihnen  machen  kann,  habe  ich  alle  Vor- 
teile des  anfänglichen  Geheimnisses. 

Sobald  erste  Kader  stehen,  Land  fixiert  ist  usw.,  kann 


57 


dbyGoogle 


ich  zu  Regierungen  gehen  und  sagen:  R's  bringen  dieses 
Opfer  (eine  Art  indirekter  Selbstbesleuerung),  Ihnen  die 
fiberzSbligen  Juden  fortzuschaffen. 

Wir  dürfen  nur  von  „überzähligen"  sprechen,  sonst 
läßt  man  uns  nicht  propagieren  und  fortziehen. 

Es  muß  anfangs  scheinen,  daß  wir  den  Regierungen 
einen  Dienst  erweisen  wollen.  Wir  opfern  für  „Lösung 
der  Judenfrage"  eine  Milliarde. 

Dafür  erhalten  wir  die  Gefälligkeiten,  die  wir  brau- 
chen: Freilassung  vom  Militär  u.  dgl. 

Vor  allem  Duldung  unserer  Propaganda  und  gelegent- 
lich (auf  unseren  Wunsch)  ein  ungnädiges  Wort,  aber 
unter  Aufrecfathaltung  der  Ordnung. 

Nach  zehn  Jahren  ist  die  Bewegung  unwiderstehlich, 
und  die  Juden  werden  uns  bei  Nacht  und  Nebel  ohne 
Schuh'  und  Strümpfe  zulaufen.  Sie  werden  durch  keine 
Gewalt  mehr  zurückzuhalten  sein,  wenigstens  nicht  in 
den  freizügigen  Ländern. 

Sollte  man  dann  versuchen,  Freizügigkeit  der  Juden 
EU  hindern,  werden  wir  öffentliche  Meinung  der  Welt 
zu  bewegen  wissen  (Liberale,  Sozialisten,  Antisemiten), 
daß  man  die  Juden  nicht  gefangen  halten  dürfe. 

Übrigens  wird  unsere  Diplomatie  arbeiten  (wir  werden 
Geldzugeatändnisse  machen  in  Form  von  Anleihen  und 
Surfacegaben). 

Sind  vor  erst  draußen,  so  vertrauen  wir  auf  unser  Heer, 
auf  unsere  erkauften  Freundschaften  und  auf  die  Zer- 
klüftung des  durch  Militarismus  und  Sozialismus  ge- 
schwächten Europas. 

Das  ist  die  Judenemanzipation. 

Dem  Familienrat: 

Sie  sind  gewohnt,  WeltgeschSfte  zu  machen.  Sie  wer- 
den mich  vielleicht  verstehen.  — 

58 


dbyGooglc 


Die  jüdische  Natioaalanleihe  lege  ich  vielleicht  schoa 
in  unserer  Haupbtadt  auf. 

Ich  verhandle  zuerst  mit  Zaren  (bei  dem  mich  unser 
Protektor,  Prinz  von  Wales,  einführt)  über  Freilassung 
der  russischen  Juden. 

Er  soll  mir  sein  Kaiserwort  geben  und  es  im  Reichsan- 
zeiger publizieren  lassea.  (Er  wird  glauben,  daß  ich  nur 
ein  paar  Hunderttausend  wegführen  kann.) 

Dann  verhandle  ich  mit  Deutschem  Kaiser.  Dann  mit 
Osterreich.  Dann  mit  Frankreich  wegen  algerischer  Ju- 
den. Dann  nach  Bedarf. 

Ich  muß,  um  gut  bei  den  Höfen  angesehen  zu  sein,  die 
höchsten  Orden  bekommen.   Zuerst  englischen. 

*    *    * 

9.  VI. 
Ich  werde  oft  unvermutete  Inspektionen  da  und  dort 
vornehmen.   (Hochwichtig,  um  gaspilla^e  und  Beamten- 
schlaf zu  verhindern.) 

Auch  eine  geheime  Amtspolizei  über  Mißbrfiuche  be- 
richten lassen. 

9.  Vi. 
An  der  Spitze  des  Judenblattes: 
Beschwerden  gegen  Mißbrauch  und  Willkür  der  Be- 
amten sind  unter  Kuvert  „Beschwerde  an  den  General- 
Direktor"  zu  richten. 


Ich  werde  reisende  Untersuchungskonunissionen  (die 
auch  unvermutet  eintreffen)  für  diese  Beschwerden  ein- 
setzen. 

Beamtenstraf e :  nur  in  schwersten  Fällen  Entlassung, 
In  leichteren  Versetzung  in  fernere  Gegenden,  mühsa- 
mere Dienste. 


69 


dbyGoogle 


Durch  andauernd  gute  Aufführung  wird  aber  solcher 
Amtsmakel  getilgt  undschadetdemAvancement  nichtmehr. 

Natürlich  hat  jeder  Beamte  seine  Konduiteliste  in  der 
Abteilung,  und  Dossier  in  der  Zentrale  London  (en  atten- 
dant  que  cela  soll  dans  nolre  capitale). 


Geschenkannahme  zieht  unter  allen  Umstinden  Ent- 
lassung nach  sich,  doch  darf  der  Entlassene  sich  im  Lande 
niederlassen  und  sich  als  Freier  fortbringen.  Auch  wird 
seine  schuldlose  Familie  vor  Entbehrungen  geschützt. 

Eine  Form  unserer  EntlassungsentschSdigung  an  die 
Staaten  ist  die  doppelte  Umschreibegebühr  der  Immobi- 
lien, die  vom  jetzigen  Besitzer  an  die  Society  und  von 
dieser  weiter  verkauft  werden. 

Wir  werden  das  freilich  nicht  von  vornherein  zugeste- 
hen, sondern  zunächst  durch  die  Society  nur  Agentur- 
geschäfte machen  lassen. 

Erst  wenn  öffentliche  Meinung  sich  über  die  Vermö- 
gensauswanderung zu  beunruhigen  anfingt,  „finden  wir 
nach  reiflichem  Nachdenken  und  um  unseren  guten 
Willen  zu  zeigen"  das  Auskunftsmittel  dieser  doppelten 
Umschreibung  —  wobei  wir  uns  verpflichten,  drüben  den 
Steuerbetrügern  gewisse  Benefizien  der  anst&ndigen  Aus- 
wanderer zu  entziehen,  z.  B.  nur  denen  die  ermäßigte 
Fahrt-  und  Transportrefaktie  zu  gewähren,  die  ein  Amts- 
zeugnis ihres  bisherigen  Wohnortes  beibringen:  ,,In  gu- 
ter Ordnung  fortgezogen". 

Wir  werden  selbstverständlich  alle  Forderungen  der 
alten  Wohnorte  klagbar  halten  (und  zwar  selbst  wenn 
wir  schon  unsere  eigenen  Gesetze  haben).  Diese  Prozesse 
möglichst  rasch,  mit  aller  denklichen  Bevorzugung  und 
nach  dem  Ursprungsortsgesetz  entscheiden. 

60 


dbyGooglc 


Dagegen  muß  man  uns  die  jüdiachen  Deserteure  lassen 
(was  ich  natürlich  ia  einer  für  uns  nicht  kränkenden 
Form  fixieren  werde) .  Denn,  da  wir  unsere  eigene  Heimat 
haben,  sind  wir  unseren  bisherigen  Wirtsvölkern  (ich  ak- 
zeptiere den  Standpunkt  der  Antisemiten)  nicht  mehr  zum 
Heeresdienst  verpflichtet. 

Den  Fübrer  der  Jünglings-Karawanen  (nach  Muster  der 
Dominikaner  von  Arcueil)  verantwortlich  machen  für 
sittliche  Zucht,  Ernst  und  Studien  der  Burschen.  Das 
sind  keine  Vergnügungsreisen,  sondern  Lern-  und  Arbeits- 
reisen, ambulante  Schule  mit  tfiglichen  Stunden  und  Vor- 
trägen, ein  Botanisieren  in  der  Welt.  Ich  werde  mir  hier- 
über jedesmal  speziell  berichtea  lassen.  Sehr  wichtig.  — 

Wenn  wir  drüben  sind,  werden  sich  die  Tänzer  ums 
goldene  Kalb  empören,  daß  ich  sie  nicht  zur  Börse  lasse. 

Ich  werde  sie  auf  der  Gasse  auseinanderjagen  lassen 
und  im  Parlamente  sagen: 

,4)as  war  gut  für  die  Gefangenschaft.  Jetzt  haben  wir 
die  Pflichten  der  Freiheit.  Wir  müssen  ein  Volk  von 
Erfindern,  Kriegern,  Künstlern,  Gelehrten,  ehrlichen 
Kaufleuten,  aufsteigenden  Arbeitern  usw.  sein." 

Früher  war  Börsenspiel  entschuldbar.  Die  Intelligen- 
zen waren  eingesperrt,  wir  mußten  uns  mit  Geld  abgeben. 
Jetzt  sind  wir  frei.  Jetzt  kann  jeder  Jude  alle  Ämter  im 
Staate,  in  unserem  Staat  erhalten.  Jeder  kann  General, 
Minister,  Gerichtspräsident,  Akademiker,  kurz  alles 
werden. 

Jetzt  wollen  nur  die  Faulenzer  die  Spielfreibeit,  und 
die  müssen  wir  überwinden,  sonst  gehen  wir  abermals 
zugrunde  und  werden  jammervoll  in  die  Welt  zerstreut. 

Fern  sei  es  von  mir,  gegen  die  alten  Börsianer  etwas 
zu  sagen.  Mein  teurer  Vater  mußte,  nachdem  er  als 
Holzhändler  zugrunde  gegangen  war,  sein  Brot  ab  Agent 


dbyGoogle 


an  der  Bdrse  verdienen,  um  nicht  zu  verhungern  und 
mich  etwas  Rechtes  lernen  zu  lassen.  Aber  das  war  die 
vergangene  Zeit.  Ein  Jude  hatte  damals  keinen  anderen 
Ausweg.  Heute  ist  das  nicht  mehr  nötig  und  wird  darum 
nicht  mehr  geduldet. 

Ich  hStte  mir  doch  bei  der  Leitung  dieses  Biesenunter- 
nehmens auch  ein  Vermögen  machen  können,  wie  ich  um 
mich  her  MüHonSre  schuf.  Ich  bestimmte  den  Platz  der 
Städte  —  was  hätte  ich  dabei  für  Bauspekulationen  ma- 
chen können. 

Neinl  Ich  habe  nur  meinen  Gehalt,  den  ich  zur  Re- 
präsentation brauche,  das  Haus,  das  ich  mir  von  meinen 
lürsparnissen  baute.  Ich  weiß,  daß  die  Nation  meine 
Nachkommen  nie  darben  lassen  wird. 

9.  VI. 

Bei  der  Publikation  des  Buches  werden  die  Regierungs- 
rezepte  weggelassen.  Das  Volk  muß  nach  Prinzipien  ziun 
Guten  gelenkt  werden,  die  es  selbst  nicht  kennt. 

Die  Regierungsmaximen  sollen  daher  von  den  Besor- 
gern der  Buchausgabe  —  wenn  ich  selbst  nicht  mehr  da 
bin  —  extrahiert  und  im  geheimen  Staatsarchiv  aufbe- 
wahrt werden. 

Nur  der  Doge  und  der  Kanzler  dürfen  sie  lesen.  Weg- 
zulassen auch  diejenigen  Bemerkungen,  welche  fremde 
Regierungen  verstimmen  könnten. 

Der  Gang  der  Verhandlungen  soll  aber  bleiben.  Damit 
unser  Volk  und  die  Welt  sehe,  wie  ich  die  Juden  heim- 
geführt habe. 

9.  VI. 
Wenn  einer  um  Anstellung  bitten  kommt: 
Oh  ich  Sie  nehme?  Ich  nehme  alle,  die  etwas  können 
und  arbeiten  wollen.  Ihren  Bruder,  Ihre  Freunde,  Ver- 


dbyGooglc 


wandten  und  Bekannten,  alle,  alle,  alle!  veralanden?  — 
und  jetzt  geben  Sie. 

9.  VI. 
Das  Entslehen  von  Berufaptolitikern  muß  auf  jede  mög- 
liche Weise  verhindert  werden. 

Diese  Frage  muß  ich  seinerzeit  mit  äußerster  Sorgfalt 
studieren. 

«    *     * 

Die  Senatoren  beziehen  jedenfalls  Gebalt,  der  gleich- 
seitig Ehrenpension  unserer  Geistesgrößen  vorstellt. 

*    *     « 

9.  VI. 
Ala  Stipendien  für  meine  tapferen  Krieger,  strebsame 
Künstler,  treuen  und  begabten  Beamten,  verwende  ich  die 
Mitgiften  reicher  Mädchen. 
Ich  muß  Heiratspolitik  treiben. 


Den  großen  Bankiers,  die  mich  anbeten  werden,  sage 
ich :  Es  wäre  mir  erwünscht,  wenn  sie  ihre  Töchter  auf- 
strebenden kräftigen  Jünglingen  geben. 

Das  brauche  ich  für  den  Staat. 

Es  ist  die  Selbstbefruchtung  der  Nation. 

9.  VI. 

Gegen  Palästina  spricht  Nähe  Rußlands  und  Europas, 
Mangel  an  Ausbreitung,  sowie  Klima,  dessen  wir  schon 
entwöhnt. 

Dafür,  die  mächtige  Legende. 

*    *     * 

Anfänglich  werden  vtir  von  Antisemiten  unterstützt 
werden  durch  recradeseence   der  Verfolgung  (denn  ich 


dbyGoogle 


bin  überzeugt,  sie  erwarten  keinen  Erfolg  und  werden 
ihre  „Eroberung"  ausnützen  wollen). 

*  «     * 

9.  VI. 

Weiteres  eventuelles  Zugeständnis  für  VermOgensaus- 
Wanderung. 

Die  betreffenden  Staaten  sollen  die  Judenimmobilien 
erwerben. 

Preis  wird  —  ohne  Rücksicht  auf  das  von  uns  Gezahlte 
—  durch  eine  Regulierungskommission  bestimmt,  die  auch 
wir  beschicken  dürfen. 

*  *     * 

9.  VI. 

Die  Sprache  wird  uns  kein  Hindernis  sein.  Auch 
Schweiz  Föderalstaat  verschieden  Nationaler. 

Wir  erkennen  uns  als  Nation  am  Glauben. 

übrigens  dürfte,  par  la  force  des  choses,  deutsche 
Sprache  —  Amtssprache  werden.  Judendeutsch  I  wie 
gelber  Fleck  für  Orden  I 

Ich  habe  auch  nichts  gegen  Französisch  oder  Englischl 
Die  jeanesse  dorie  lenke  ich  auf  englische  SportObungen, 
wodurch  ich  mir  sie  für  Armee  erziehe. 


9.  VI. 
Auf  der  Fahrt  zum  Grand  Prix  —  draußen  und  bei 
der  Rückfahrt  sind  mir  die  GrundzOge  fflr  Dogenkrö- 
nung und  Duell  eingefallen. 

Dogenkrönung : 

Den   Zag,   der   vom   Dogenpalast   ausgeht,   eröffnen 
.  . .  Kürassiere.  Folgt  Artillerie  und  Infanterie. 

64 


dbyGooglc 


Die  Beamten  aller  Ministerien,  Abordnungen  der  Städte, 
die  Geistlichkeit,  zuletit  der  Hobepriester  der  Hauptstadt. 
Die  Fabne  mit  Ehrenwache  von  GenerSlen.  Der  Dogel 
Und  hier  erreicht  der  Zug  seine  symbolische  Pracht. 

Denn  wfibrend  alle  in  goldblitzenden  Staatsgewändem, 
die  Hohen  Priester  unter  Baldachinen  gehen,  hat  der  Doge 
die  Schandtracbt  eines  mittelalterlichen  Juden,  den  spit- 
zen Judenhut  und  den  gelben  Fleck  1  (Der  Zug  geht 
vielleicht  auch  durch  die  Ghettogasse,  die  jedenfalls  zur 
Erinnerung  und  zur  Mahnung  gebaut  werden  wird.)  — 

Hinter  dem  Dogen,  der  Kanzler,  die  abgesandten  frem- 
den Fürsten,  die  Minister,  Generäle  usw.,  das  diploma- 
tische Korps  (wenn  schon  eines  da  ist),  der  Hat  der 
Alten  (Senat),  das  Parlament,  freie  Gesandtschaften  der 
Berufe,  Handelskammern,  Advokaten,  Arzte  usw.  Artil- 
lerie und  Infanterie  beschließt  den  Zug. 

9.  VI. 
Den  Selbstmord  strafe  ich :  beim  Versuch  mit  dauern- 
der Anhaltung  im  Irrenhause  —  beim  Gelingen  mit  Ver- 
weigerung des  ehrlichen  Begräbnisses. 

9.  VI. 

Ich  brauche  das  Duell,  um  ordentliche  Offiziere  zu  ha- 
ben und  den  Ton  der  guten  Gesellschaft  französisch  zu 
verfeinern. 

Das  S&belduell  ist  gestattet  und  wird  nicht  bestraft, 
wie  immer  der  Ausgang  war,  vorausgesetzt,  daß  die  Se- 
kundanten das  Ihrige  taten  zur  ehrenhaften  Beilegung. 

Jedes  Säbelduell  wird  vom  Duellgericht  erst  nachher 
untersucht. 

Den  matamore,  den  Wurzensucher,  der  sich  schwächere 
Partien  aushebt,  kann  das  Duellgericht  für  fernerbin  sa- 
tisfaktionsunfähig  erklären,  wenn  er  nachweisbar  der  Be- 

S     nerali  T««a1iaoiMr  I.  65 


dbyGoogle 


leidiger  war ;  und  wenn  er  schwere  Beschfidigung  zugefügt 
hat,  kann  er  vors  gemeine  Strafgericht  gewiesen  und  nach 
gemeinem  Strafrecht  verurteilt  werden. 
«    >t>     « 

Das  Pistolenduell  (oder  das  amerikanische,  wenn  ein 
solches  wirklich  existiert)  muß  vor  Austragung  vor  das 
Duellgericht  gebracht  werden,  und  zwar  durch  die  beider- 
seitigen Zeugen;  sonst  werden  sie  bestraft  und  verlieren 
das  Recht,  vor  dem  Duellgericht  je  wieder  su  erscheinen. 

Das  Duellgericht  entscheidet  auf  Ausfechten  mit  S&- 
bela  oder,  wenn  ein  Teil  körperlich  inferior  ist,  auf  Un- 
terlassen des  Duells,  oder  endlich  es  füllt  den  geheimen 
Spruch. 

Diesen  geheimen  Spruch  vernehmen  nur  die  beiden 
Duellanten  —  die  Sekundanten  müssen  sich  zurOcksie- 
hen.  Der  geheime  Spruch  (für  den  ich  eine  geheime 
Instruktion  verfassen  werde)  erkennt  aufs  Duell  in  einer 
nicht  minder  schweren,  aber  dem  Staate  nützlichen  Form. 
Da  nur  Ehrenmänner  im  Zweikampf  stehen  können,  wäre 
der  Geschädigte  jedenfalls  der  Staat,  der  noch  lange  jeden 
tüchtigen  Mann  brauchen  wird. 

Darum  werden  diese  Duellanten  auf  lebensgefährliche 
Missionen  ausgeschickt,  die  der  Staat  eben  braucht.  Ein- 
mal kann  es  Choleraimpfung  sein,  andermal  die  Be- 
kämpfung eines  Volksfeindes.  So  bleibt  die  Lebenswette 
des  Duells  erhalten,  und  wir  ziehen  daraus  herrlichen 
Nutzen. 

9.  VI. 

Städtebau: 

Schwierigkeit :  Marge  für  Ausbreitung  und  doch  nicht 
unbewohnt  aussehen.  Zu  lösen  vielleicht  durch  Garten- 
städte. 


66 


dbyGooglc 


In  alleo  Ortsgruppen  PIftne  und  Bilder  der  homea, 
die  wir  von  unseren  jungen  Architekten  (Preise)  entwer- 
fen ließen. 

Auswahl,  Zahlungsmodi,  Tarife. 

*  *    * 

Prämien  auf  Fruchtbarkeit  und  gute  patriarchalische 
Erziehung  der  Kinder. 

*  «    * 

VnskiUed  laboar  haben  wir  gleich  für  Hunderttau- 
sende, n&mtich:  Straßen,  Wege. 

Ein  Bois  de  Boulogne  bei  der  Hauptstadt,  resp.  umge- 
kehrt. — 

Dem  Familienrat  und  früher  schon  in  GUon:  Das 
R'sche  Vermögen.  Ich  spreche  davon.  Was  geht  das  Sie 
an?  werden  R's  einwenden.  Wir  kümmern  uns  auch 
nicht  um  das  Herzische  Vermögen. 

Gemacht  Es  geht  mich  an.  Jeder  Politiker  muß  es  in 
seinem  Wachsen  als  Öffentliche  Gefahr  ansehen. 

Ich  aber  kümmere  mich  darum,  weil  es  eine  Gefahr  für 
die  Juden  und  zwar  die  furchtbarste  ist  und  weil  ich  der 
Gestor  der  Juden  werde,  mich  aufwerfe. 

Milder  vor  Familienrat: 

Ich  werde  im  Verlaufe  der  Auseinandersetzung  von 
Ihrem  Vermögen  sprechen  müssen.  Wollen  Sie  mir  die- 
ses Recht  zugestehen  oder  soll  ich  auch  das  erst  begrün^ 
den? 

Kryptogame  Pflanze  des  Judentums,  hat  beide  Ge- 
schlechter: Kapital  und  Arbeit.  (Man  sieht  nur  das  Ka- 

pitai.) 

9.  VI. 
Da  ich  Gartenstfidte  anlegen  will,  habe  ich  ein  Di- 
a;  Entweder  die  St8dte  in  auagerodete  Wftlder  hin- 


dbyGoogle 


einbaueo  (vielleicht  kürzer,  aber  Fachleute  werden  mir 
sagen,  was  dagegen  spricht)  oder  Bfiume  zwischen  HSu- 
ser  pflanzen  —  wodurch  mir  der  Reklame^Eindruck,  das 
Zauberhafte  verloren  geht,  aber  ich  kann  die  StSdte  füh- 
ren, wie  ich  will;  freilich  sehen  sie  dann  aus,  wie  in 
die  Baumschule  geschickt. 

4>     *    >t> 
Jedenfalls  Gartenkünstler  auf  meine  Landnahme-Ex- 
pedition mitnehmen,  Gartenbaumeister. 


Zu  Schiff  und  überall  muß  gearbeitet  werden,  meine 
Herren  vom  Generalstabe. 


9.  VI. 

S...S  Schwager  sehnt  sich  schon  nach  i4Tagen  nach 
dem  Wiener  Kaffeehaus.  Folglich  werde  ich  drüben 
hin  auch  Wiener  Caf£s  treu  verpflanzen.  Mit  solchen 
kleinen  Mitteln  erreiche  ich  die  erstrebte  Illusion  der 
alten  Heimat. 

Hinhorchen  nach  solchen  kleinen  Bedürfnissen.  Sie 
sind  sehr  wichtig. 

•    ♦    * 

Dem  Familienrat: 

Zwei  Kategorien  Juden:  mit  und  ohne  Lokomotion, 

Die  ohne  Lokomotion  heb'  ich  aus  und  setze  sie  über 
—  sie  werden  es  kaum  merken.   Die  andern,  die  sich 
fortbewegen  können  —  Sie  und  ich  —  die  bleiben  be- 
weglich nach  wie  vor  und  werden  geachtet. 
«    *     * 

Unsere  Zusammengehörigkeit!  Wollen  Sie  ein  Bei- 
spiel dafür? 


dbyGooglc 


Eh  bien:  Ich  komme  beute,  ein  fremder  Mann,  sage 
Ihneo  im  Vertrauen  meine  geheimsten  Absichten. 

Es  ist  m^lich,  daß  wir  schließlich  kSmpfen  —  aber 
wie  feindliche  Brüder — .wobei  man  sieb  immerbin  ge- 
genseitig totschlagen  kann. 

9.  VI. 

Ich  spreche  von  Ihrem  Vermögen  —  nicht  weil  Ihr 
Name  Synonym  des  Geldes  geworden  —  denn  ich  habe 
dafür  keinen  Sinn,  ich  hin  kein  Geldmenscb.  's  fehlt  mir 
dasAugl 

*  *     * 

Der  Mann,  der  den  vom  Dampf  gehobenen  Deckel  eines 
Teekessels  zeigte  und  sagte:  damit  werde  ich  Menschen, 
Tiere  und  Lasten  ziehen  und  der  Welt  ein  anderes  Aus- 
seben geben  —  wurde  als  Verrückter  ausgelacht. 

Na,  ich  werde  Ihnen  nicht  nur  das  Prinzip  am  Teekessel 
leigea,  sondern  die  ganze  fertige  Lokomotive. 

*  *     * 

Meine  Vergleiche  sind  zu  blendend,  machen  Sie  stutzig. 
Jetzt  denken  Sie,  wenn  ich  Sie  blende,  von  denen  ich 

—  wenn  auch  nicht  für  mich  —  looo  Millionen  will,  wie 
'ich  die  blenden  werde,  die  ich  reich,  frei  und  glücklich 

mache. 

9.  VI. 
Für  Glion :  Die  R's  sollen  sich  sofort  entscheiden.  Ja 

—  Nein.  Ich  habe  keine  Zeit  zu  verlieren.  Ich  habe  drei- 
zehn Jahre  gebraucht. 

Familienrat:  Ich  w&ble  Aristokratie,  weil  ich  für  die 
Zukunft  elastische  Regierungsform  brauche.  Monarchie 
würde  zur  Revolution  führen. 

Für  Republik  sind  wir  nicht  tugendhaft  genug,  Montes- 
quieu. 


«9 


dbyGoogle 


Familienrat. 

Wenn  nicht  mit  Ihnen  —  gegen  Sie!  was  meine  ich 
damit?  Ich  werde  nicht  Ihr  Vermögen  als  ein  schlecht 
erworbenes  bezeichnen.  Da  müßte  ich  lOgeo. 

Ich  bin  kein  Erpresser  und  kein  Pamphletist  (sondern 
ein  Staatsmann  und  zwar  ein  jüdischer). 

Ich  werde  nur  sagen:  es  ist  zu  großl  Dadurch  volks- 
schädlich, weil  Vermögen  schneller  wächst  als  Volks- 
wohlstand. —  Von  einem  unbefangenen  Juden  wird  das 
Aufsehen  erregen, 

10.  VI. 

Dem  Deutschen  Kaiser: 

Wenn  Juden  auswandern,  muß  das  Rückgang  der  Ame- 
rikawanderer  zur  Folge  haben.  Sie  gewinnen,  resp.  er- 
halten dadurch  unverfälschte  Nationale,  beugen  einem 
Umsturz  vor,  der  vielleicht  schwer  zu  begrenzen  wäre, 
schwächen  den  Sozialismus,  dem  die  bedrängten  Juden 
zulaufen  müssen,  weil  sie  von  anderen  Parteien  versto- 
ßen sind,  und  gewinnen  Zeit  für  Lösung  der  sozialen 
Frage. 

«    *     * 

Mein  Anfangs-Sekretär  (E.  S . . .)  wird  die  naturwissen- 
schaftlichen Kundschafter  rekrutieren.  Geographen,  Geo- 
logen, Chemiker,  Techniker,  Botaniker,  Zoologen  usw. 

*    *    * 

10.  VI. 
Auf  politische  Umtriebe,  die  den  Untergang  des  Rei- 
ches herbeiführen  können,  steht  Verbannung    oder  — 
wenn  das  Individuum  in  der  Verbannung  schaden  könnte 
—  Tod. 

Aber  schon  die  Verbannung  aus  der  bezaubernden  Hei-> 
mat  wird  furchtbare  Strafe  sein. 

70 


dbyGoogle 


iO.  VI. 
Meine  stetige  Sorge  muß  sein,  daß  gesund  gewirtschaf- 
tet wird.   Keine  Versettelung,  keine  Gaspillage.   Das  ist 
keine  curie  für  Habgierige  und  Faulenzer.  Das  soll  kein 
Panama,  sondern  ein  Suez  werden. 

Amnestie  I 

Alle  in  der  Gefangenschaft  begangenen  —  auch  Eigen- 
tums-Delikte  sind  politisch  verziehen,  haben  keine  Ehren- 
folgen (natürlich  wird  der  gesunde  Sinn  der  Bevölkerung 
keine  notorischen  Gauner  zu  Ehrenfimtem  bestellen,  et 
au  hetoin  jy  veüla-ai).  Es  soll  für  Juden  ein  neues  Leben 
beginnen.  Aber  strenge  Strafen  für  neue  Delikte  drübea  I 
Abschiedsdelikte  (hinterlassene  Schmutzereien)  werde  ich 
nur  civUiter  fassen,  durch  jenes  privilegierte  Pfandrecht. 

iO.  VI. 
So  lange  als  möglich  keine  Steuern,  höchstens  indi- 
rekte, die  aber  die  Kongrua  des  kleinen  Mannes  nicht  an- 
greifen. 

*     «    * 

Auch  keine  Luxussteuern,  denn  ich  brauche  den  Luxus 
für  den  Markt. 

Gern  werde  ich  französische  Offiziere  (Juden)  neh- 
men, nur  dürfen  sie  keine  gallischen  Chauvinisten  sein. 


Aus  dem  Heer  der  anskiUed  labouren  wird  man  auf- 
steigen können  durch  Fleiß,  Intelligenz,  Tüchtigkeit,  wie 
im  Napoleonischen  Heer. 

Jeder  kann  Arbeitsmarschall  werden.  Ich  werde  es 
ihnen  euch  oft  in  popul&ren  Anreden  sagen  und  si^en 
lassen. 

71 


dbyGoogle 


Für  besondere  Leistungeo,  die  ich  sehe,  erhöhe  ich  so- 
fort deD  Arbeitsraag  und  die  Bezüge.  Dieses  dramatische 
Element  wirkt  auf  die  Massen. 

Sobald  mir  actions  d'dcba  —  auf  die  zu  vigilieren  ich 
besonders  Auftrag  gebe  —  gemeldet  werden,  belohne  ich 
sie  schleunigst. 

*  ♦    * 

Dem  Arbeitsheer  möglichst  militSrSlinliche  Organisa- 
tion geben. 

*  *    * 

Dienst  im  Arbeitsheer  führt  wie  in  der  Armee  zur  Pen- 
eionieruDg. 

*  *    ♦ 

Nur  die  Ehrenzeichen  muß  ich  für  Lebens-Einsetzung 
sparen. 

Auch  werde  ich  durch  Adelsverleihuog  große  persön- 
liche Opfer  geleistet  bekommen. 

Für  Geld  darf  bei  uns  weder  Adel  noch  Orden  zu  haben 
sein.  Ich  werde  die  bis  zur  Reichsgründung  anderwSrts 
erworbenen  ohne  Rücksicht  auf  ihre  Erlangung  nostri- 
fizieren. 

Später  nur  mehr  die  auch  anderwärts  auf  wirklich 
adelswürdige  Weise.  Ein  Jude  wird  sich  nicht  das  por- 
tugiesische Marquisat  kaufen  und  bei  uns  nostrifizieren 
können.  Aber  wenn  er  in  Portugal  für  gläniende  Taten 
(die  ja  auch  auf  uns  zurückstrahlen)  geadelt  wird,  er- 
kenne ich  ihn  daheim  an. 

Immer  wird  das  vom  Adelsamt  genau  zu  prüfen  sein, 
individualisieren. 

Dem  Familienrat: 

Ich  nehme  die  abgerissene  Tradition  unseres  Volkes 
wieder  auf.  Ich  führe  es  ins  Gelobte  Land.  Glauben  Sie 

7» 


dbyGooglc 


nicht,  daß  es  eine  Phantasie  ist.  Ich  bin  kein  Architekt 
von  Luftschlössern.  Ich  baue  aus  Bestandteilen,  die  Sie 
sehen,  greifen,  prüfen  können,  ein  wirkliches  Haus.  Hier 
ist  der  Plan. 


Bemerken  Sie,  daß  der  nSchste  europäische  Krieg  un- 
ser Unternehmen  nicht  schädigen,  sondern  nur  fördern 
kann,  weil  alle  Juden  ihr  Hab  und  Gut  drüben  in  Sicher- 
heit bringen  werden. 

Die  Feigen  werden  sich  bei  uns  ihrer  Wehrpflicht  ent- 
ziehen wollen,  wenn's  zum  Krieg  kommt.  Aber  so  wie 
ich  die  Desertion  zu  uns  herüber  im  Frieden  begünstigen 
will,  so  werde  ich  sie  im  Krieg  hindern  und  zwar  wegen 
der  Judenehre. 

Wer  so  lang  mit  der  Adhäsion  gewartet  hat,  soll  jetzt 
erst  seine  alte  Pflicht  tun,  sich  schlagen,  und  nach  dem 
Krieg  werden  wir  ihn  mit  allen  Ehren  aufnehmen,  mit 
viel  größeren  als  sein  früheres  Vaterland.  Wir  bekom- 
men ja  so  gediente  Krieger  in  unser  Heer,  die  den  Tod 
gesehen  haben  und  das  Prestige  unseres  Heeres  erhöhen. 


ObrigeoB  werden  wir  beim  Friedensschluß  schon  als 
Geldgeber  dreinreden  und  Vorteile  der  Anerkennung  auf 
diplomatischem  Weg  erzielen. 

10.  VI. 

Grenzen  der  Preßfreiheit  weise  ziehen.  Verleumder  an 
den  Pranger,  und  schwere  Geldstrafen. 


Herrenhaus  für  Adel,  aber  nicht  erblich.   Eine  Wür- 
digkeitssichtung muß  vorhergehen. 


73 


dbyGoogle 


Das  muß  ich  noch  vertiefea,  wie  ich  den  alberDea  Er- 
ben anderer  L&nder  vorbeuge. 


Herrenhaus  wird  vieDeicht  aus  drei  Gruppen  bestehen. 

Eine  vom  Adel  gewählte, 

zweite,  von  Regierung  (Dogen)  ernannte, 

dritte,  indirekt  wie  in  Frankreich  gewählt. 

Ich  habe  ein  Gefühl  wie  einst  im  evangelischen  Gym- 
nasium in  Pest  in  der  achten  Klasse:  daß  ich  bald  die 
Schule  verlassen  würde.  Es  kam  ja  dann  durch  den  Tod 
meiner  armen  Schwester  noch  früher  als  ich  gedacht  I 

So  habe  ich  jetzt  ein  Vorgefühl,  daß  ich  die  Schule 
des  Journalismus  verlassen  werde. 


Amnestie  verstehe  ich  nur  als  Ehrenamoestie  für  ver- 
büßte Verbrechen.  Flüchtige  Verbrecher  (Juden)  werden 
wir  ausliefern  gegen  Reziprozität. 


AuslieferungsvertrSge  mit  Ausnahme  der  Friedensde- 
serteure. 

*     *    * 

Literarische  Verträge!  Anfangs  werden  wir  zahlen, 
später  bekommen,  weil  wir  ein  Volk  von  Denkern  und 
Künstlern  sein  werden. 


Dem  Familienrat:  Anleihe  wird  vielleicht  gar  nicht 
öffentlich  aufgelegt  zu  werden  brauchen:  erspare  Kon- 
zessionen an  Regierungen  für  Bewilligung. 


74 


dbyGoogle 


Das  Bewegliche  wird  zu  uns  fliehen,  wenn  wir'a  nur 
im  Vertrauen  herumsagea.  Wir  werden  einfach  ein  Ren- 
teobuch  aufmachen  und  schreiben  Rente  ein,  unbegrenzt 
—  und  erwerben  dafür  Land,  machen  auswSrtige  An- 
leihen usw. 

*  *    * 

Es  ist  aufier  Transport,  Industrie  usw.  auch  Riesengeld- 
geschaft. 

Und  eigentlich  bin  ich  da/in  noch  immer  der  Drama- 
tiker. Ich  nehme  arme,  verlumpte  Leute  von  der  Strafie, 
stecke  sie  in  herrliche  GewSnder  und  lasse  sie  vor  der 
Welt  ein  wunderbares,  von  mir  ersonnenes  Schauspiel 
aufführen. 

Ich  operiere  nicht  mehr  mit  einzelnen  Personen,  son- 
dern mit  Massen:  der  Klerus,  das  Heer,  die  Verwaltung, 
die  Akademie  usw.,  für  mich  lauter  MassenunitSten. 

*  *    * 

Dem  Familienrat:  Ich  mufi  die  Sache  kurzweg  beim 
Namen  nennen.  Glauben  Sie  deshalb  nicht,  daß  ich  ein 
schroffer  Mensch  bin.  Aber  ich  weiß  vorllufig  nicht, 
ob  ich  mit  Ihnen  oder  gegen  Sie  gehen  werde.  Darum 
würden  mich  Schnörkel  der  Höflichkeit  kompromittieren 
und  meine  spätere  Aktion  wie  eine  Rache  aussehen  lassen. 

*  *     * 

1i.  Jani  1895. 
Arbeitskompagnien  werden  wie  MilitSr  unter  Klingen 
einer  Fanfare  zur  Arbeit  ausziehen  und  ebenso  heimkehren, 

*  *    •* 

Frauen-  und  Kinderarbeit  in  Fabriken  gibt's  nicht.  Wir 
brauchen  rflstige  Geschlechter.  Für  bedürftige  Frauen 
und  Kinder  sorgt  der  Staat. 

75 


dbyGoogle 


Die  , .vergessenen  Mädchen"  werden  für  Kindergärten, 
Pflege  von  Arbeiterwaisen  usw.  verwendet. 

Aus  diesen  von  Freiern  vergessenen  Mädchen  bilde  ich 
das  Korps  der  Gouvernanten  für  die  Armen.  Sie  bekom- 
men Staatswohnung,  genießen  Ehren  (gleichwie  jeder 
Gentleman  zuvorkommend  gegen  Gouvernanten  ist)  und 
werden  schließlich  pensioniert.  Aber  sie  kiSnnen  ebenso 
hierarchisch  aufsteigen,  wie  Männer. 

Sittliche  Aufführung  Bedingung.  Der  Leiter  des  Per- 
sonalamtes wird  dadurch  eine  wichtige  Person.  Ich  muß 
dafür  einen  milden,  gerechten,  weltkundigen,  älteren 
Mann  nehmen  und  ihn  beständig  überwachen,  denn  seine 
Fehler  können  viel  Schaden  stiften,  Unzufriedenheit  und 
Erbitterung  hervorrufen. 

Ich  will  aber  ein  glückliches  Volk  haben. 

Das  Schiff 

Keiner  wird  das  Gefühl  der  Loßreißung  haben,  denn 
das  ganze  Erdreich  gebt  mit. 

Eine  Truppe  von  Schauspielern,  Sängern  und  Musi- 
kanten wird  die  Überfahrt  verkürzen,  so  wie  auf  jedem 
Schiff,  wie  für  Belehrung,  auch  für  Unterhaltung  ge- 
sorgt sein  wird. 

Aber  Hazardspiele  werden  nicht  geduldet. 

Meine  Beamten  dürfen  überhaupt  nicht  spielen.  Denn 
diese  Ableitung  der  Intelligenz  ist  nicht  mehr  nötig.  Wir 
brauchen  und  verwenden  alle  Geisteskräfte.  Die  Aben- 
teuerlust, die  sich  im  Spiel  auslebt,  soll  vielmehr  den 
Boden  unserer  neuen  Erde  düngen. 

Ich  selbst  war  als  Jüngling  ein  Spieler  —  gleich  Les- 
sing und  Laube  und  vielen*  anderen,  die  später  doch  or- 
dentliche Männer  geworden  sind  —  aber  ich  war  es  nur, 
weil  mein  Tatendrang  keinen  Abfluß  hatte. 


dbyGoogle 


Dies  werde  ich  zuerst  ab  milde  Ermahnung  den  Spie- 
lern sagen.  Wer  aber  nicht  folgt,  den  verstoße  ich  aus 
meinem  Dienst. 

Spielen  dürfen  nur  Kinder  und  Alte.  Das  Spiel  der 
Kinder  muß  aber  der  körperlichen  Ausbildung  dienen) 
Lauf-  und  Ballspiele,  für  Jünglinge  Kricket,  für  MSd- 
chen  Tennis. 

Die  ruhigen  Spiele  müssen  dazu  dienen,  die  spätere  Ent- 
wicklung des  Geistes  vorzubereiten.  Zeichnen,  Malen,  Le- 
sen von  sinnvollen  Märchen,  Bauspiele  für  Hebung  der 
Kombinationslust  u.  dgl. 

Die  Alten  dürfen  Karten  spielen,  auch  nicht  Hazard, 
weil  sie  den  Zuschauern  Lust  machen  könnten,  und  weil 
sich  das  für  Patriarchen  nicht  ziemt.  Ich  will  aber  die 
Familie  patriarchalisch  haben. 

Allerdings  werde  ich  vornehme  Spielcercles  dulden, 
aber  Mitglieder  nicht  unter  vierzig  Jahren  und  hohe  Spiel- 
kartensteuer für  Staatseinkünfte. 

11.  VI. 

Die  Juden,  welche  bisher  Konsulardienst  verschiedener 
Mächte  versehen,  können  in  unseren  diplomatischen  Dienst 
übernommen  werden.  Natürlich  werden  sie  individuell 
auf  ihre  Eignung  geprüft. 

Es  kann  Tüchtige  unter  ihnen  geben,  die  sich  den  Ton 
und  die  Formen  der  Diplomatie  angeeignet  haben.  Ein 
Recht  darauf,  übernommen  zu  werden,  hat  a  priori  kei- 
ner. Die  Nützlichkeit  für  uns  entscheidet. 

Da  wir  ihnen  aber  vorläufig  keinen  Schutz  angedeihen 
lassen  können,  werden  wir  ihnen  keine  schnarrenden  Titel 
geben,  sondern  sie  Agenten  nennen,  was  sie  mit  ihren 
bisherigen  Konsulaten  verbinden  können.  So  deckt  sie 
ihr  bbheriges  Ansehen. 

Wir  dürfen  unsere  diplomatischen  Titel,  die  später  zu 

77 


dbyGooglc 


hohem  Ansehen  kommen  werden,  nicht  anf  Anglich  Ucher- 
licb  machen  lassen. 

Die  Yachtbesitxer  können  unsere  Berufsseeleute  wer- 
den und  sich  aufs  Kommando  unserer  sp&teren  Kriegs- 
flotte vorbereiten. 

Wenn  wir  nach  Sädamerika  gehen,  was  wegen  der  Ent- 
fernung vom  militarisierten  und  versumpften  Europa  viel 
für  sich  hfttte,  müssen  unsere  ersten  StaatsvertrXge  mit 
sQdamerikanischen  Republiken  sein. 

Wir  werden  ihnen  Anleihen  gew&hren  für.  territoriale 
Begünstigimgen  und  Garantien.  Eines  der  wichtigsten  Zu- 
geständnisse, das  sie  uns  machen  müssen,  ist  die  Gestal- 
tung der  Schutztruppen. 

Anfangs  brauchen  wir  ihre  Erlaubnis.  Allmihlich  wer- 
den wir  erstarken,  uns  selbst  alles  gewähren,  was  wir 
brauchen,  und  allen  Trotz  bieten  können. 

VorlSuHg  müssen  wir  vom  Auf  nahmestaat  Schutz  durch 
dessen  Truppen  erhalten.  Später  werden  wir  uns  mit  ihm 
unabhängig  verbünden. 

Wir  müssen  eine  südamerikanische  und  eine  euro- 
päische Politik  haben. 

Sind  wir  in  Südamerika,  wird  die  Bildung  unseres 
Staates  Europa  längere  Zeit  entgehen. 

In  Südamerika  können  vrir  anfänglich  nach  den  Ge- 
setzen, Auslieferungsverträgen  usw.  des  Aufnahmestaates 
leben  (Europa  gegenüber). 

Unsere  Schutztruppe  wird  immer  zehn  Perzent  der 
männlichen  Auswanderer  betragen.  — 

Die  Überfahrt  soll  nach  Ortsgruppen  und  gesellschaft- 
licher Zusammengehörigkeit  vor  sich  gehen. 

78 


dbyGoogle 


Es  wird  Schiffe  I.,  IL  und  III.  Klasse  geben.  Jedes 
mit  Belehrungen  und  Unterhaltungen  seiner  Art. 

Dadurch  wird  das  aufreizende  Beispiel  der  Standes- 
unterschiede  (durch  viele  Tage  in  nfidister  NShe  ange- 
sehen) vermieden. 

Auch  bezahlt  jeder  selbst  seine  Überfahrt.  Ich  will  den 
Luxus,  aber  nicht  den  unfruchtbaren  Neid. 
*     *    * 

Ich  will  den  Luxus  als  Förderer  der  Könste,  als  Ziel 
und  PrSmie.  Es  spornt  zu  großen  Bemühungen  an,  wenn 
man  die  Genüsse  der  Erde  sieht  und  wenn  man  weiß,  daß 
sie  durch  redliche  Arbeit  erreichbar  sind. 

Wenn  es  mir  nicht  gelingt,  die  R's,  und  auch  nicht  die 
ZwergmillionSre  zu  bekommen,  veröffentliche  ich  den 
ganzen  Plan  als  Buch. 

,J)ie  Lösung  der  Judenfrage"  hei  Duncker  und  Hum- 
blot,  denen  ich  aber  nur  die  ersten  fünf  Auflagen  zu  den 
Bedingungen  des  „Palais  Bourbon"  gebe.  Für  spätere 
haben  sie  nur  das  Vorzugsrecht. 

Im  Buch  „Die  Lösung  usw."  erzähle  ich  alle  Schritte, 
von  Hirsch  über  Rothschild  zu  den  Zwergmilllonfiren. 

Vorwort:  Man  kam  auch  mit  dem  elektrischen  Licht 
zu  Rothschild.  Er  verstand  es  nicht. 


Die  Gefahr  des  R'schen  Vermögens  wird  natürlich  nicht 
in  der  Art  der  Pamphletisten  geschildert  werden,  sondern 
mit  meinem  eigenen  beständigen  Ernst. 

Jeder  polemische  Zug  unterbleibt.  Mir  ist  es  ja  um 
die  Seche  zu  tun.  Und  es  wird  schon  für  die  Juden  von 
ungeheurer  Wohltätigkeit  sein,  daß  ein  Jude  das  sagt, 
der  doch  außer  Zweifel  ist,  der  nie  ein  Geschäft  gemacht 
hat,  am  allerwenigsten  mit  seiner  Feder. 

79 


dbyGoogle 


1i.  VI. 

S.  G's  Antwort  war  gestera  fSlHg  und  ist  heute  noch 
nicht  da.  Dadurch  werden  meine  Gedanken  auf  das  Buch 
gelenkt.  Ich  mache  mich  damit  vertraut,  daß  es  nicht 
Tat  wird. 

11.  VI. 

Im  Patais  Royal  (stehend) : 

Wir  sind  schlechte  Soldaten,  weil  wir  ehrlos  sind,  weil 
uns  nichts  hinter  den  Tod  gelegt  wird.  Und  dennoch  fehlt 
es  nicht  an  Beispielen,  daß  wir  gut  zu  sterben  verstehen 
(Rede  Naquets).  Aber  wir  können  nicht  Führer  werden, 
und  die  Staaten  haben  darin  recht;  sonst  wären  wir  inner- 
halb zweier  Generationen  überall  die  BrigadegenerSle,  be- 
sonders da  der  Krieg  eine  gelehrte  Übung  geworden  ist. 
Und  die  Völker  können  sich  doch  nicht  selbst  aufgeben, 
indem  sie  die  Angehörigen  einer  unverdauten  und  unver- 
daulichen Gruppe  zu  Führern  der  Heere  machen. 


H.  VI. 

Der  Wert  meines  Planes  liegt  offenbar  darin,  daß  ich 
nur  Vorhandenes  benütze,  unverwertete  oder  unverwert- 
bare Dinge  durch  ihre  Verbindung  fruchtbfu'  mache,  auf 
alle  Leiden  Rücksicht  nehme  (sicherlich  auch  auf  die 
Christen  durch  Juden  zugefügten  Leiden),  alle  erworbe- 
nen Rechte  schütze,  mit  allen  menschlichen  Regungen 
rechne,  Weltangebot  und  Weltnachfrage  bilanziere,  die 
Fortachritte  der  Technik  gebrauche  und  die  Traditionen 
heilig  halte. 

Vorhin  hinein  korrigieren:  Die  Bedächtigen  erkennen 
gleich  die  verläßlichen  Pflastersteine. 


dbyGoOglc 


Ja,  wir  sind  eine  Geißel  geworden  für  die  Völker,  die 
uns  einst  quälten.  Die  SOnden  ihrer  Väter  rächen  sich 
an  ihnen.  Europa  wird  jetzt  für  die  Ghetti  bestraft.  Frei- 
lich leiden  wir  unter  den  Leiden,  die  wir  verursachen. 
Es  ist  eine  Geißelung  mit  Skorpionen,  nämlich  mit  leben^ 
den  Skorpionen,  die  unschuldig  daran  sind,  daß  sie  nicht 
Löwen,  Tiger,  Schafe  wurden.  Die  Skorpionen  werden 
ja  bei  der  Geißelung  am  schwersten  gemartert. 

Ich  könnte  einen  Massenantrag  der  kleinen  Juden,  sie 
hinauszuführen,  nur  annehmen,  wenn  mich  alle  Regie- 
rungen, die  es  angeht,  darum  ersuchten,  mir  ihre  wohl- 
wollende Mitwirkung  versprächeo  und  mir  die  Garan- 
tien für  ruhige  Vollendung  des  ungeheuren  Werkes  gä- 
ben, so  wie  ich  ihnen  Bürgschaften  leisten  würde  für 
den  Abzug  ohne  wirtschaftliche  Schädigung. 

(Zu  Teweles'  Brief  nachtragen:)  Ich  muß  Daniel  De- 
ronda  lesen.  Vielleicht  stehen  den  meinigen  ähnliche  Ge- 
danken darin.  Dieselben  können  es  nicht  sein,  weil  ein 
Zusammentreffen  vieler  und  eigentümlicher  Umstände 
nötig  war,  um  meinen  Plan  hervorzurufen. 

Wenn  wir  heim  Ausbruch  des  nächsten  Krieges  noch 
nicht  ausgewandert  sind,  müssen  alle  besseren  Juden  ins 
Feld  ziehen,  ob  sie  im  stellungspflichtigea  Alter  „taug- 
lich" waren  oder  nicht;  ob  sie  noch  dienstpflichtig  sind 
oder  nicht;  ob  sie  gesund  oder  krank  sind.  Hinschleppen 
müssen  sie  sich  zur  Armee  ihrer  bisherigen  Vaterländer, 
und  wenn  sie  in  feindlichen  Lagern  stehen,  aufeinander 
schießen. 

Die  einen  mögen  das  für  Tilgung  einer  Ehrenschuld 
ansehen,  die  anderen  als  eine  Anzahlung  auf  unsere  künf- 
tige Ehre.  Tun  müssen  es  alle. 
*     *    * 

6     Hrnla  TaeebOeher  I.  8l 


dbyGoogle 


U.  VI. 

S . . .  war  heute  bei  mir.  Ich  bat  ihn,  mich  wShreDd  eini- 
ger Tage  SU  vertreten.  Ob  ich  eioe  Zeitung  mache?  fragte 
er,  als  ich  einige  vage  Andeutungen  machte. 

Eine  Zeitungl  Ilya  belle  lurette  que  je  n'y  pense  plaa. 
Wahr  ist  freilich,  daß  ich  die  praktischen  Ideen  zuerst 
für  die  Begründung  der  „Neuen  Zeitung"  suchte. 

Wie  Saul,  der  auszog! 

u.yi. 

S . . .  s  Schwager  sagte  neulich :  Auswandern,  ja,  ich 
möchte  schon.  Aber  wohin?  Schweiz?  hat  zuerst  Gesetze 
gegen  Juden  gemacht  I 

Wohin?  über  diese  Frage  habe  ich  mich  innerlich  sehr 
irefreut. 

*  *  '  "■'''• 

über    die    assUtance  par  le  travail  habe  ich  vor    zwei 

Jahren  mit  Ghlumecky  korrespondiert.    Er  verstand  sie 

nicht. 

*     *    * 

Heute  in  einer  firaaserie  beim  Ch&tetet  diniert.  Ich 
weiche  allen  Bekannten  aus.  Sie  tun  mir  weh,  ahnen 
nicht,  wo  ich  herkomme;  und  da  ist  das  tfigliche  Leben 
schrecklich  verletzend. 


Tard  au  danger,  tard  aax  honneurs. 

Wer  wfihrend  der  ersten  zwanzig  Jahre  unseres  Be- 
standes sich  uns  nicht  angeschlossen  hat  (obwohl  er  in 
dieser  Zeit  dreißig  Jahre  alt  oder  älter  geworden),  kann 
kein  Amt  bekleiden,  hat  kein  passives  Wahlrecht. 

Einbürgern  kann  er  sich. 


dbyGooglc 


Ein  technologisches  Gewerbemuseum. 


R's  verstanden  nicht  die  Jablochkowschen  Kerzen,  aber 
Guttroanns  KohlenvorschlSge.  So  werden  sie  vielleicht 
in  meiner  Idee  das  Licht  nicht  begreifen,  wohl  aber  die 
Kohlenseite  der  Sache. 

Dem  Familienrat:  Jetzt  machen  Sie  jeden  Augenblick 
Geldgefälligkeiten,  für  minime  Toleranzen  oder  gar  für 
Regierungen,  die  nichts  für  Sie  tun. 

Übernehmen  Sie  das  in  eigene  Regie  —  und  in  zwantig 
Jahren  sind  wir  von  der  ganzen  Welt  anerkannt  I 

li.  VI. 

Ungarn  werden  Husaren  Judas,  können  prächtige  Rei- 
tergenerale werden. 

*    *    « 

11.  VI. 

Jeder  Arbeiter,  der  sich  beschwert  hat,  wird  zu  einer 
anderen  Kompagnie  versetzt,  damit  Aufseher  sich  nicht 
rSchen  können.  Oder  der  Aufseher  wird  versetzt. 

li.VI. 

Daudet  fragte  mich,  ob  ich  meinen  Judenfeldzug  in 
einem  Roman  machen  wolle.  Er  erinnerte  mich  an  Onkel 
Toms  Hatte. 

Ich  sagte  ihm  gleich,  daß  ich  eine  m&nnlichere  Form 
der  Mitteilung  wünsche.  Ich  dachte  damals  noch  an  die 
Enquete  „Zustände  der  Juden". 

Heute  und  je  mehr  ich  darüber  nachdenke,  scheint  mir, 
daß  es  wirklich  unter  meiner  Würde  wäre,  meinen  Plan 
der  Menge  durch  Liebschaften  und  kleine  Scherze  mund- 
gerecht zu  machen,  wie  es  Rellamy  in  seinem  Zukunfts- 
roman tut. 


dbyGooglc 


Es  fiele  mir  ja  leicht,  da  ich  ein  gelernter  „Beltetrist" 
bin.  Dennoch  muß  ich  daran  denken,  das  Buch  nicht 
ungenießbar  werden  zu  lassen.  Es  soll  ja  weit  ins  Volk, 
in  die  Völker  dringen. 

So  möge  es  auch  einen  kleinen  literarischen  Reiz  haben. 
Der  besteht  in  der  losen  Folge  der  Einfälle,  wie  sie  wäh- 
rend dieser  sonnigen  Tage  des  Weltentraums  in  heiterer 
Fülle  mit  allen  accidenU  —  wie  die  Bildhauer  sagen  („die 
Fingerspur  im  Ton")  —  durch  meine  Seele  zogen. 

Dadurch  wird  auch  das  BläHern  nach  Kapiteln  in  die- 
sem Buch  verhindert.  Wer  es  kennen  will,  muß  es  lesen. 


Die  aasistance  par  le  travail,  die  mir  so  wichtig  war, 
schalte  ich  irgendwo  ein:  n&mlich  meinen  Artikel  in  der 
Neuen  Freien  Presse. 

Das  Buch  wird  „meinen  Eltern,  dem  Herrn  Jacob  und 
der  Frau  Jeanette  Herzl  gewidmet". 


Das  Schiff  der  Särge  1 

Wir  nehmen  auch  unsere  Toten  mit. 


Manches  in  diesen  Aufzeichnungen  wird  lächerlich, 
fibertrieben,  verrfickt  erscheinen.  Aber,  wenn  ich  wie  bei 
meinen  literarischen  Arbeiten  Selbstkritik  geübt  hätte, 
wären  die  Gedanken  verkrüppelt  worden.  Das  unge- 
heuerliche dient  aber  dem  Zweck  besser  als  das  Verküm- 
merte, weil  die  Restriktionen  jeder  leicht  machen  kann. 

Künstler  werden  es  verstehen,  warum  ich,  bei  im  übri- 
gen recht  klarer  Vernunft,  die  Übertreibungen  und  Träume 
zwischen  meinen  praktischen,  politischen  und  gesetzge- 
berischen Einfällen  wuchern  ließ  wie  grünes  Gras  zwi- 

84 


dbyGoOglc 


sehen  Pflastersteinen.  Ich  durfte  mich  nicht  aufs  Nüch- 
terne herunterschrauben.  Dieser  leichte  Rausch  war  not- 
wendig. 

Ja,  Künstler  werden  das  ganz  verstehen.  Aber  es  gibt 
so  wenig  Künstler. 

H.  VI. 

Vielleicht  mache  ich  im  Buch  typc^aphisch  den  Un- 
terschied zwischen  den  zwei  Traumwelten,  die  durch- 
einanderrauschen, bemerkbar,  indem  ich  die  Phantasien 
mit  anderer  Schrift  drucken  lasse.  So  werden  die  Lieb- 
haber gleich  sehen,  wo  und  wie  das  Gras  wichst  —  an- 
dere werden  es  hSren  —  und  die  übrigen  erkennen  die 
soliden  Pflastersteine. 


Die  parallelen  F&ltchen  der  Epidermis  eines  Künstlers 
in  der  Bronze. 


Brief  an  Güdemann  vom  ii.  VI.  iSgS. 

Hochgeehrter  Herr  Doktor  I 

Dieser  Brief  wird  Sie  in  jeder  Beziehung  überraschen ; 
durch  das,  was  er  sagt,  wie  durch  das,  was  er  verschweigt. 

Ich  habe  mich  entschlossen,  an  die  Spitze  einer  Aktion 
für  die  Juden  zu  treten  und  frage  Sie,  ob  Sie  mir  behilf- 
lich sein  wollen. 

Sie  b&tten  zunSchst  folgendes  zu  tun:  einen  genauen 
Bericht  zu  verfassen  über  alles,  was  Sie  von  der  gegeu- 
wirtigen  moralischen  und  politischen  Lage  der  Juden 
wissen,  nicht  nur  in  Wien  und  Österreich-Ungarn,  son- 
dern auch  in  Deutschland,  Rußland,  Rum&nien  usw.  Ich 
meine,  keinen  Bericht  mit  beglaubigten  Zahlen,  weil  Ihnen 
das  viel  Zeit  rauben  würde  und  der  Beriebt  in  zwei,  drei 

85 


dbyGoogle 


Tagen  fertig  sein  muß.  Die  festen  Ziffern  und  authen- 
tischen Belege  werden  wir  uns  in  einem  sp&teren  Zeit- 
punkte verschaffen.  Vorläufig  will  ich  nur  die  allgemeine 
und  treue  Darstellung  von  ihnen  bekommen.  Je  höher 
der  Standpunkt  ist,  den  Sie  wShlen,  je  weniger  Sie  in 
Einzelheiten  eingehen,  desto  erwünschter  ist  es.  Natür- 
lich werden  Sie  die  Beispiele  für  Ihre  Behauptungen  wäh- 
len, wie  es  Ihnen  beliebt.  Es  wird  also  zu  berücksichtigen 
sein :  Bewegung  der  Juden  in  den  genannten  L&ndern  (Ge- 
burten, Heiraten,  Tode  nach  Berufsarten),  wahrnehmba- 
rerer Zug  der  Ortsveränderung  (Beispiel  von  Galizien 
nach  Niederösterreich),  ob  und  wieweit  diese  Ortsver- 
Snderungen  vom  Antisemitismus  hervorgerufen  oder  ge- 
hemmt sind,  eine  charakteristische  Übersicht  der  zu  Ihrer 
Kenntnis  gekommenen  schwereren  oder  leichteren  Juden- 
verfolgungen (in  Parlamenten,  in  Presse,  in  Versamm- 
lungen, auf  der  Straße)  —  Zeichen,  ob  der  Antisemitismus 
wachse  und  in  welchem  Verhältnis  oder  abnehme  —  offi- 
zieller und  offiziöser  Antisemitismus,  Judenfeindschaft 
in  Schuten,  Amtern,  geschlossenen  und  freien  Berufs- 
arten. 

Das  sieht  aus,  als  ob  ich  eine  sehr  schwierige  Denk- 
schrift von  Ihnen  verlangte.  Nein,  nur  das,  was  Ihnen  im 
Augenblick  von  all  diesen  Dingen  bekannt  ist,  wollen  Sie 
fixieren. 

Einem  so  wort-  und  federgewandten  Manne  wie  Sie, 
der  sicher  viel  und  ernst  über  die  Sache  nachgedacht  hat, 
kann  es  nicht  schwer  falten,  das  in  einigen  Stunden  nie- 
derzuschreiben oder  zu  diktieren.  Wenn  Sie  aber  dik- 
tieren, darf  Ihr  SchreÜMr  nicht  erfahren,  für  welchen 
Zweck  es  geschieht.  — 

Ich  will  schon  an  dieser  Stelle  auf  das  dringendste  um 
völlige  Geheimhaltung  unseres  Briefwechsels,  wie  aller 


dbyGooglc 


folgenden  Schritte,  ersuchen.  Die  Sache  ist  unendlich 
ernst.  Sie  können  das  daraus  ersehen,  daß  ich  selbst  mei- 
nen Eltern  und  nSchsten  Angehörigen  kein  Wort  davon 
sage.  Ich  verlasse  mich  auf  Ihre  Verschwiegenheit. 

Den  vorhin  geschilderten  Bericht  hitte  ich  Sie,  mir  nach 
Caux,  oberhalb  vonTerritet  am  Genfer  See,  mitzubringen. 
Dort  werden  wir,  wenn  Sie  mir  Ihre  werte  Hilfe  leisten 
wollen  —  heute  in  acht  Tagen,  also  Dienstag  den  i8.  Juni, 
zusammentreffen.  Warum  dieser  Ort  gewählt  wurde, 
werden  Sie  dort  erfahreu.  Wenn  Sie  mit  dem  Berichte 
nicht  ganz  fertig  geworden  sind,  werden  Sie  mir  ihn  dort 
mündlich  ergänzen.  Sie  wollen  aber  nicht  allein  kommen, 
sondern  mit  einem  tüchtigen  und  ernsten  Mann,  der  Ihre 
Angaben  nach  anderen  Richtungen  vervollständigt.  Ich 
brauche  nämlich  in  Gauz  einen  geistlichen  und  einen 
weltlichen  Juden.  Meine  Wahl  fiel  zuerst  auf  den  Ihnen, 
glaube  ich,  wohlbekannten  Herrn  Salo  Cohn.  Ich  schrieb 
ihm  vorigen  Donnerstag,  6.  Juni.  Seine  Antwort  war 
gestern  fällig.  Sie  ist  bis  heute  nicht  da.  Ich  kann  nicht 
länger  warten. 

Ich  wollte  mich  zuerst  seiner  Mitwirkung  versichern, 
habe  ihm  jedoch  nicht  mitgeteilt,  daß  ich  nachher  auch  an 
Sie  herantreten  wolle.  Nachher,  weil  mir  Ihre  Mithilfe 
—  ich  hoffe,  es  war  kein  Irrtum  —  von  vornherein  ge- 
sichert erschien.  Sie  kennen  mich  wohl  weniger  persön- 
lich ab  aus  meinen  Zeitungsarbeiten;  und  ich  denke  mir, 
daß  Sie  mich  so  ernst  nehmen,  wie  ich  wirklich  bin. 

Und  es  ist  möglich,  daß  ich  S.  G.'s  Antwort  nach  Ab- 
gang und  vor  Eintreffen  dieses  Briefes  bekomme.  In  die- 
sem Falle  werde  ich  Sie  telegraphisch  bitten,  sich  mit 
ihm  in  Verbindung  zu  setzen. 

Sie  wieder  wollen  mir  freundlichst,  sobald  Sie  Ihren 
Entschluß  gefaßt  haben,  wenn  möglich  noch  am  Tage 

87 


dbyGoogle 


der  Ankunft  meines  Briefes,  telegraphieren :  „Einverstan- 
den" —  oder  „bedaure  unmöglich".  Fügen  Sie  auch 
Ihre  jetzige  Adresse  (wahrscheinlich  Baden?)  hinzu,  da- 
mit ich  Ihnen  telegraphieren  könne. 

Wenn  S.  G.  sich  der  ernsten  und  hohen  Aufgabe,  mit 
der  ich  ihn  ehren  wollte,  nicht  unterzieht,  müssen  wir 
einen  anderen  Mann  suchen.  Die  Wahl  überlasse  ich 
Ihnen.  Ich  will  nfimlich  keinen  meiner  Verwandten,  sonst 
h&tte  ich  vor  allem  meinen  Vater  gebeten.  Der  zweite 
Herr  soll  ein  Geschäftsmann  sein.  Auch  er  hat  einen 
Bericht  nach  Caux  mitzubringen,  und  zwar  über  folgen- 
des: ungefShre  Darstellung  der  jüdischen  Erwerbsver- 
hättnisse  in  den  erwähnten  Ländern,  Vennögensvertei- 
lung  (Schätzung  der  Anzahl  großer,  mittlerer  und  klei- 
ner Vermögen).  Ich  weiß,  daß  es  nur  eine  ganz  vage 
Schätzung  sein  kann,  aber  auch  die  genügt.  In  welchen 
Ländern  besitzen  die  Juden  viel  unbewegliches  Gut;  Zu- 
stand des  jüdischen  Unternehmungsgeistes  (ob  er  wächst 
und  in  welchem  Verhältnis  —  oder  abnimmt),  Stimmung 
in  Geschäftskreisen,  Verhältnisse  jüdischer  Kleingewerbe- 
treibender und  Fabrikanten   (Franz- Josefs-Quai  usw.). 

Auch  dieser  Bericht  soll  kein  ängstlich  ziffernmäßiger, 
sondern  möglichst  freier,  lebendiger,  ungezwungener  und 
wahrer  im  Gesprächston  sein.  Diktieren  ist  dazu  gut. 

Darnach  sehen  Sie,  was  für  einen  Mann  wir  brauchen, 
einen  ruhigen,  überlegenen,  unbefangenen  Menschen, 
nicht  zu  jung;  und  jedenfalls  muß  er  ein  geachteter  Mann 
von  sicherem  Auftreten  sein,  wegen  der  Aufgaben,  die 
später  seiner  harren.  Leider  muß  ich  hinzufügen,  daß 
ich  einen  wohlhabenden  vorziehe,  denn  unsere  besitzlosen 
Juden  sind  recht  gedrückt  und  lialtungslos.  Für  den 
Zweck,  den  Sie  in  Caux  kennenlernen  werden,  muß  aber 
auch  der  zweite  Herr  ein  würdiges,  unabhängiges  Beneh- 


dbyGoogle 


meD  haben.  Der  von  Ihnen  Gewählte  wird  mich  vermute 
lieh  dem  Namen  nach  kennen  und  vielleicht  Vertrauen 
in  mich  setzen.  Denn  ich  weiß  wohl,  daß  einiges  Ver^ 
trauen  erforderlich  ist  angesichts  der  Zumutung,  eine 
inmierhin  große  Reise  zu  machen,  deren  Zweck  einem 
nicht  deutlich  genug  gesagt  wird. 

Da  es  mir  nun  absolut  unmöglich  ist,  mich  schriftlich 
klarer  auszudrücken,  kann  ich  mich  nur  unter  eine  Mut- 
willenastrafe  setzen.  Wenn  Sie  beide,  meine  Herren,  in 
Gaux  finden  sollten,  daß  ich  Sie  unnötig  bemüht  habe, 
werde  ich  Ihnen  dort  tausend  Francs  aushändigen,  die 
Sie  freundlichst  an  Ihre  Privatarmen  verteilen  mögen. 

Und  nun,  Herr  Doktor,  bitte  ich  Sie,  zu  kommen.  £s 
handelt  sich  um  eine  ganz  große  Sache  für  unsere  armen, 
unglücklichen  Brüder.  Sie  sind  ein  Seelsorger.  In  Caux 
erwartet  Sie  eine  Pflicht.  Mehr  kann  ich  Ihnen  nicht 
sagen. 

Ich  grüße  Sie  in  herzlicher  Verehrung 

Ihr  ergehener 

Theodor  Herzl 
37,  rue  Cambon. 
«    •    « 

1i,  VI. 

Im  Brief  an  Hirsch  sage  ich :  „Mit  meinen  35  Jahren  ist 
man  in  Frankreich  Minister,  und  Napoleon  war  Kaiser." 

Ich  finde  jetzt,  daß  ich  in  der  Eile  die  Meinung  schlecht 
formuliert  habe.  So  sieht  es  größenwahnsinnig  aus.  Ich 
meinte  nur:  folglich  darf  ich  wohl  auch  über  den  Staat 
nachdenken,  und  dieses  Alter  kann  schon  die  Reife  eines 
Staatsmannes  enthalten. 

//.  VI. 

Der  Gedanke,  in  Gaux  am  Genfer  See  mit  den  zwei 
Juden  zusammenzutreffen,  ist  in  mancher  Hinsicht  schön: 

89 


dbyGoogle 


Dort  sind  sie  berausgeDOmmea  aus  ihren  gewöhnlichen 
engen,  gedrOckten  Vorslellungen. 

Sie  sehen,  wie  die  Materie  fiberwunden  wird.  Und  ich 
werde  an  Rousseau  denken,  der  einen  Gesellschaftsver- 
trag sah,  wo  ich  die  jiegotioram  gestio  entdeckte. 


H,  VI. 

Die  kleinen  Juden  werden  sich  vielleicht  zusammentun, 
in  Ortsgruppen  das  Geld  beschaffen,  das  R's  nicht  her- 
geben wollten.  Aber  werde  ich  es  nehmen  können,  nach- 
dem ich  das  ganze  Pr<^ramm  der  Welt  erzählt  habe? 

Die  großen  Juden  werden  das  Werk  durch  ihre  Wei- 
gerung vereitelt  haben,  wodurch  freilich  sie  zuerst  leiden 
dürften. 


Dennoch  wird  die  Veröffentlichung  mittelbar  den  Ju- 
den nützen.  —  Manche  meiner  Gedanken,  wie  über  Duell, 
Selbstmord,  Förderung  der  Erfinder,  Börsenmonopol, 
reisende  Beschwerdekommisaionen,  sind  für  alle  Völker 
gut.  So  wird  man  den  Juden  vielleicht  milder  begegnen, 
weil  aus  ihren  Leiden  und  ihrem  Geist  diese  Anr^^ngeo 
hervorgetriebeo  wurden. 

12.  Jani  1895. 

Ich  muß  einen  Arbeitsplan  nicht  nur  führen,  sondern 
von  ständiger  Kommission  führen  lassen. 

Die  Arbeitsplan-Kommission,  Obmann  ein  systemati- ' 
scher  Kopf. 

*     *    * 

12.  VI. 

Beschränkte  werden  sich  weigern,  wenn  ich  sie  auffor- 
dere, ihre  Pensions-Institute  usw.  hiaüberzunehmen.  Da 


dbyGoogle 


muß  das  Beispiel  siegen.  Pensionsinatitute,  die  in  Be- 
tracht kommen,  sind  dreierlei : 

I.  wo  nur  Juden  Mitglieder  (Chewras  u.  dgl.) ;  die  sind 
am  leichtesten  zu  verpflanzen,  man  grfibt  sie  mit  allen 
Wurzeln  aus. 

3.  WO  Juden  in  Mehrzahl  sind  (Beispiel:  Wiener  ,Con- 
oordia'):  da  beschließt  man  in  Generalversammlung 
Vermögensaufteilung  oder  findet  die  Minorität  bar  ab 
und  verpflanzt  das  übrige  wie  vorstehend.  Sehr  wirkungs- 
voll wfire  auch,  der  MioorttSt  die  Immobilien  zu  über- 
lassen (was  weniger  kostet  als  es  gleich  sieht,  weil  dop- 
pelte Umschreibung  erspart  wird). 

3.  wo  Juden  nur  vereinzelt  sind  (wie  Beamtenverein), 
da  muß  auf  Guthaben  entweder  verzichtet  werden  (wir 
entschidigen  ja  alle  unsere  Leute,  die  etwas  verloren  ha- 
ben —  Solidaritätsprinzip)  —  oder  wenn  es  die  Statuten 
zulassen,  wird  Pension  zediert  —  oder  die  Bezüge  nach 
dem  Ausland  erbeten. 

*  *    * 

12.  VI. 
Auf  dem  Landuahmeschiff  können  außer  dem  Gene- 
ralstab der  Gesellschaft  auch  Vertreter  der  Ortsgruppen 
mitfahren  (vielleicht  gratis),  um  drüben  Pl&tze  für  ihre 
Anlagen  zu  ergreifen.  Diese  Vertreter  müssen  Vollmacht 
haben,  die  Ortsgruppen  zu  verpflichten;  und  sie  (nicht 
die  Gesellschaft)  sind  ihren  Mandanten  verantwortlich  für 
'  Platzwahl  usw. 

*  *     * 

12.  VI. 
Es  wird  bei  Verteilung  dieser  neuen  Welt  gerecht  vor- 
gegangen! 


dbyGooglc 


Ich  werde  spXter  den  Zeitpunkt  meiner  Ortagruppea- 
Rundreise  feststellea. 

Die  Rundreise  wird  etwa  zwei  Monate,  spXtestens  einen 
Monat,  vor  Abgang  des  Landnahineschiffes  stattfinden. 

Ich  werde  freilich  nur  die  größten  St&dte  aufsuchen 
können. 

Die  Art  dieser  Zentralisierung  noch  zu  Oberlegen.  Ob 
ich  meine  Missionäre  in  Distrikte  schicke  —  dazu  würden 
sich  beide  S . . .  a  gut  eignen  —  könnten  auch  bei  Einteilung 
Europas  in  zwei  oder  vier  Distrikte  in  zwei  Monaten  fer- 
tig sein.  Oder  ob  ich  für  eine  Schar  wandernder  Scho- 
laren Vorträge  halte  und  die  Burschen  dann  hinausstreue 
über  die  Länder?  Vielleicht  ersteres  zuerst,  wo  die  Sache 
noch  mit  Vorsicht  und  Heimlichkeit  gemacht  werden  muß 
—  und  letzteres  später. 


i2.  VI. 
Die  Gefahr  der  „Geheimbündelei"  überall  behutsam 
umgeben.  Darum  muß  unsere  offizielle  Propaganda  von 
den  besonnensten  Leuten  gemacht  werden.  Decken  wer- 
den wir  uns,  indem  wir  den  Regierungen  unsere  „geheime 
Instruktion"  zur  Gutheißung  vorlegen.  Wir  wollen  ja 
im  Einvernehmen  mit  den  Regierungen  vorgehen  —  nur 
ungestört  vom  Parlaments-  und  Preßpöbel. 

*    *     * 

t2.  VI. 
Es  wird  sieb  übrigens  wie  ein  Lauffeuer  verbreiten. 


dbyGoogle 


Eine  vortreffliche  Idee  wäre  es,  anständige  und  akkre- 
ditierte Antisemiten  zu  den  Vermögeas-Liquidatoren  her- 
anzuziehen. 

Sie  wären  vor  dem  Volk  unsere  Bürgen,  daß  wir  keine 
Verarmung  der  verlassenen  Länder  herbeiführen  wollen. 

Anfänglich  dürften  sie  dafür  nicht  reichlich  bezahlt 
werden,  sonst  verderben  wir  uns  die  Instrumente,  machen 
sie  als  „Judenknechte"  verächtlich. 

Später  werden  ihre  Bezüge  wachsen,  endlich  werden 
wir  in  den  verlassenen  Ländern  nur  christliche  Beamte 
haben. 

Die  Antisemiten  werden  unsere  verläßlichsten  Freunde, 
die  antisemitiBchen  Länder  unsere  Verbündeten. 

Wir  wollen  ab  geachtete  Leute  fortziehen. 

12.  VI. 

Kein  Judenblatt  I 

Judeublfitterl  Ich  will  die  Herausgeber  der  größten  Ju- 
denblätter (Neue  Freie  Presse,  Berliner  Tageblatt,  Frank- 
furter Zeitung  usw.)  bewegen,  drüben  Ausgaben  zu  ma- 
chen, wie  New  York  Herald  in  Paris. 

Zur  Verpflanzung  der  Gewohnheiten  gehört  auch  das 
Leibblatt  zum  Frühstück. 

Die  Blätter  behalten  ihre  Leser,  genügen  einem  Bedürf- 
nis —  das  bald  enorm  sein  wird  —  der  Zurückgebliebe- 
nen, kabeln  einander  die  Nachrichten  zu.  Anfangs  wer- 
den die  Ausgaben  drüben  die  kleineren  sein.  Dann  wer- 
den die  alten  verschrumpfen  und  die  neuen  groß  werden. 

Die  christlichen  Bedakteure  bleiben  hier,  werden  sich 
befreit,  wohl  fühlen,  die  jüdischen  gehen  hinüber,  wer- 
den reich  und  angesehen,  nehmen  an  der  Politik  tätigen 
Anteil  —  tatsächlich  sind  jetzt  die  Journalisten  die  ein- 
zigen Juden,  die  etwas  von  Politik  verstehen. 

Der  beste  Beweis  bin  ich. 


dbyGoogle 


Auch  für  moralische  Prefivergehen  Amnestie.  Alle 
sollen  ein  neues  Leben  beginnen.  Aber  drüben  von  vorn- 
hereiD  anständig. sein I  Ehrengerichte  wie  die  der  Ad- 
vokaten. Der  Journalismus  soll  frei  sein,  aber  seine  mei- 
nungspriesterliche  Ehre  haben  und  wahren.  So  werden 
wir  auch  die  anständigste  Presse  der  Welt  haben. 


Das  Versicherungsamt  I 

Wird  ein  großes  Ressort  werden,  wahrscheinlich  eige- 
nes Ministerium  erfordern.  Wir  beginnen  mit  einem  Di- 
rektor der  Versicherungen. 

Das  Kapital  ist  im  Staat  (anfänglich  in  der  Society) 
graben. 

Wir  verwenden  alle  jüdischen  Versicherungs-Privat- 
beamten  (jener  verurteilte  Wiener  P . . .  bekommt  eine  gute 
Stellung),  sie  werden  natürlich  Staatsbeamte,  können  hoch 
steigen. 

Versicherung  ist  eine  erprobte,  bekannte  Unternehmung 
in  allen  Zweigen,  wie  Bank,  Bahnen,  Telephon  usw.  Das 
Privatkapital  hat  da  kein  Recht  mehr,  Vorteile  zu  ziehen, 
weil  keine  Gefahr  mehr  vorhanden. 


12.  VI. 
Maßgebend  für  Förderung  oder  Hinderung  des  Privat- 
unternehmens ist  die  Gefahr.    Wo  keine  Gefahr,  darf 
kein  Unternehmergewinn  stattfinden.   Hingegen  werden 
wir  weitherzig  jede  unbekannte  Unternehmung  dulden. 


Brüder  Hirsch  veranlassen,  drüben  einen  „Louvre"  tu 
hauen. 


94 


dbyGoogle 


12.  VI. 

Meine  russischeD  Juden,  die  das  große  Reservoir  der 
unskiUed  laboarer»  bilden,  werden  als  Arbeitsheer  orga- 
nisiert. 

Sie  sollen  Arbeitscbargen  bekommen,  wie  im  Heer, 
vielleicbt  sogar  knit  Abzeicben.  Sie  sollen  nach  der 
Tücbtigkeit  und  Anciemietftt  aufsteigen.  Jeder  hat  den 
Marschallstab  im  Tornister.  Ich  will  keine  Helotenmasse, 
die  ewig  im  Elend  bleibt.  Für  die  Arbeiterpensionierung 
verwende  ich  nach  und  nach  alle  tabaktrafikfihnlicben 
Einrichtungen,  die  eine  Graduierung  ja  zulassen,  nach 
Ortsverschiedenbeit. 

12.  VI. 

Frage,  ob  Tabakmonopol? 

Wabrscheinlicb  ja.  Eis  ist  die  ertrSglicbste  Form  der 
indirekten  Steuer,  ist  den  meisten  aus  ihren  bisherigen 
LSndem  bekannt,  zieht  die  großen  Genießer  stärker  her- 
an ab  die  kleinen,  gibt  mir  Gelegenheit,  Tabakpflanzun- 
gen anzulegen  (im  Pacbtverhlltnis,  mit  Sanktion  der  Ent- 
lassung wegen  Steuerfrevels),  Tabakfabriken  zu  bescbfif- 
ttgen  und  ich  bekomme  Trafiken  zur  Vergebung  als  Pen- 
sionen für  Arbeiter. 

12.  VI. 

Alle  großen  jüdischen  Fabriken,  Unternehmungen  usw. 
veranlassen,  drüben  Filialen  zu  errichten  (analog  den  jen- 
seitigen Ausgaben  der  BIStter).  So  können  sie  ihre  Vor- 
räte ebensowohl  wie  ihre  Geschäftserfahrungen  allmSh- 
licb  hinübersetzen. 

Das  ist  die  Verpflanzung  der  Geschäfte  I  und  gibt  gleich 
Arbeit,  Verkehr  usw.,  entspricht  Bedürfnissen  in  bishe- 
riger Weise. 

Auch  bei  der  Verpflanzung  der  Geschäfte  gebt  allmib- 

95 


dbyGoogle 


lieb  das  Verlassene  in  den  Besitz  von  Cbristen  über.  Kri- 
sen werden  verhindert. 

Eine  Menge  neuer  woblhabender  Menschen  steigt  in 
den  verlassenen  Ländern  auf. 

Man  wird  den  Juden,  deren  Geschäftsgeist  schließlich 
das  alles  so  sinnreich  eingerichtet  bat,  zum  Abschied 
dankbar  und  freundlich  die  Hand  schütteln.  Auch  da  der 
Beginn  der  Judenehre  I 

*     *    * 

Überhaupt  möchte  ich  alle  Pensionierungen,  wenn 
möglich,  in  der  Form  solcher  mühelosen  Beschäftigungen 
durchführen. 

Die  Siechenhäuser  sind  Stätten  der  Grausamkeit  gegen 
die  Seelen.  Der  alte  Mensch  wird  da  schon  vom  Leben 
abgesondert,  vor  der  Zeit  begraben.  Das  Alter  wird  ihm 
zum  Gefängnis  —  und  das  gilt  als  Lohn  für  ein  braves 
Leben.  Durch  meine  Trafik-Pensionierung  erhalte  ich 
auch  dem  alten  Menschen  die  Freiheit,  die  Teilnahme  am 
Leben,  gebe  ihm  die  tröstende  Illusion  der  Nützlichkeit, 
beschäftige  ihn  sanft,  lasse  ihn  nicht  hinbrüten ;  und  wenn 
er  sich  kleine  Genüsse  verschafft,  braucht  er  nicht  scheu 
um  sich  zu  blicken. 

Die  Tabaktrafiken  werden  zugleich  ausschließliche 
Verschleißstellen  der  Zeitungen.  Das  erhöht  die  Ein- 
nahmen der  Pensionisten.  Den  Zeitungen  ist  es'  ange- 
nehm —  und  man  kann  sie  an  diesen  Knotenpunkten 
konfiszieren,  wenn  sie  die  äußere  oder  innere  Sicherheit 
des  Staates  gefährden. 

Kein  Stempel.  Aber  Kaution  zur  Sicherung  gegen 
Mutvnlleu,  Böswilligkeit,  Gemeinheit,  Zuchtlosigkeit  und 
gewinnsüchtige  Manöver. 

Diese  Kaution  kann  von  vornherein  den  ak  sittlich  be- 


dbyGooglc 


kaiiDten  ZeitungsunterDehmern  erlassen  werdeo.  Sie  kann 
apSterbin  zurückgegeben  werden,  wenn  eine  Zeitung  sich 
als  rein  bewährt  hat.  Sie  kanu  über  die  Befreiten  wieder 
verhfingt  oder  erhöht  werden,  als  Begleitstrafe  zu  einer 
Verurteilung  wegen  Mißbraucbes  der  Preßgewalt. 

Den  Mißbrauch  der  Preßgewalt  (ein  neues  Delikt) 
möchte  ich  aber  einem  Schöffengericht  zur  Beurteilung 
vorlegen.  Nie  und  nimmer  darf  ein  Blatt  wegen  oppo- 
sitioneller Haltung  verfolgt  werden,  solange  es  sich  nicht 
verwerflicher  Mittel  bedient.  Die  Frage  ist  sehr  ernst  zu 
erw&gen,  wie  der  Presse  eine  gesunde  Freiheit  erhalten, 
und  die  Frechheit  verhindert  wird.  Vielleicht  delegierte 
Schöffengerichte? 

12X1. 

Jedenfalls  Branntweinmonopol. 

Einige  Vorteile,  &hnlich  wie  beim  Tabakmonopol,  Fa- 
brikation und  Trafiken.  Letztere  dienen  auch  zur  B&< 
kämpfung  der  Trunksucht,  wie  Maklerschaften  zur  Be- 
kämpfung der  Spielsucht.  Denn  die  Verleitung  zum 
Trinken  durch  Kreditgewährung  usw.  kann  man  unter 
graduierte  Geldstrafen,  die  bis  zur  Entziehung  des  Ver- 
schleißes gehen  können,  stellen. 

*    *     * 

12.  VI. 

Der  Übergang  von  Society  zum  Staat  ist  ein  kompli- 
ziertes Problem. 

Das  muß  man  beim  Verfassen  des  Gesellschaftsver- 
trages und  der  Statuten  bereits  in  endgültiger  Weise  fest- 
stelleu.  Denn  die  Society  wird  ungeheuren  Gewinn  ha- 
ben, von  denen  sich  der  Aktionär  nicht  gerne  trennt. 

In  dem  Augenblick,  wo  der  Staat  ins  Leben  tritt,  wird 
die  Society  verstaatlicht  —  wahrscheinlich  so,  daß  der 

7     BenU  Tasebaoher  t.  Q^ 


dbyGoogle 


Staat  zu  einem  festgesetztea  Preis«  sftmtlicbe  Aktien  er- 
wirbt, aber  die  Society  ia  ibrer  bisherigen  Recbtssubjek- 
tivitSt  beläßt,  also  als  engliscbes  Rechtssubjekt,  weil  wir 
nicht  so  bald  die  Machtmittel  haben  werden,  Ansprüche 
unserer  Staatsangehörigen  oder  des  Staates  selbst  durch- 
zusetzen. J2    yj 

Bei  der  Landnahme  bringen  wir  dem  Aafnahmestaate 
gleich  Wohlfahrt  zu.  Den  Privatbesitz  der  angewiesenen 
LSndereien  müssen  wir  sachte  expropriieren. 

Die  arme  Bevölkerung  trachten  wir  unbemerkt  über  die 
Grenze  zu  schaffen,  indem  wir  ihr  in  den  DurchzugsISn- 
dern  Arbeit  verschaffen,  aber  in  unserem  eigenen  Lande 
jederlei  Arbeit  verweigern. 

Die  besitzende  Bevölkerung  wird  zu  uns  übergehen. 
Das  Expropriationswerk  muß  ebenso  wie  die  Fortschaf- 
fung der  Armen  mit  Zartheit  und  Behutsamkeit  erfolgen. 

Die  Immobilienhesitzer  sollen  glauben,  uns  zu  prellen, 
uns  über  dem  Wert  zu  verkaufen. 

Aber  zurückverkauft  wird  ihnen  nichts. 

*  *     *  12.  VI. 
Selbstverständlich  werden  wir  Andersgläubige  achtungs- 
voll dulden,  ihr  Eigentum,  ihre  Ehre  und  Freiheit  mit  den 
härtesten  Zwangsmitteln  schützen.    Auch  darin  werden 
wir  der  ganzen  alten  Welt  ein  wunderbares  Beispiel  geben. 

Anfangs  wird  man  uns  übrigens  meiden.  Wir  stehen  in 
schlechtem  Geruch. 

Bis  der  Umschwung  in  der  Welt  zu  unsern  Gunsten  sich 
vollzogen  haben  wird,  werden  wir  schon  fest  in  unserem 
Lande  sitzen,  Zuzüge  Fremder  nicht  mehr  fürchten  und 
unsere  Gäste  mit  edlem  Wohlwollen,  mit  stolzer  Liebens- 
würdigkeit aufnehmen. 

*  *    * 

98 


dbyGoOglc 


12.  VI. 

Die  gutwillige  Expropriation  wird  durch  unsere  ge- 
beimeo  Ageuten  gemacht.  Die  Gesellschaft  würde  zu 
teuer  kaufen. 

Wir  verkaufen  dann  nur  an  Juden,  und  alle  Liegen- 
schaften bleiben  nur  im  Commercium  der  Juden.  Nur 
wird  das  freilich  nicht  in  der  Form  von  UngOltigkeits- 
erkllning  anderer  Verkäufe  geschehen  können.  Selbst 
wenn  das  nicht  gegen  das  moderne  Rechtsgefühl  der  Welt 
wSre  —  reichte  unsere  Macht  nicht  aus,  es  durchzusetzen. 

Wir  müssen  daher  jeden  unserer  Immobiiienverkäufe 
durch  ROckkaufsvorzug  der  Gesellschaft  sichern.  Und 
zwar  haben  wir,  wenn  sich  der  Eigentümer  des  Guts  ent- 
lußero  will,  das  Recht,  zu  unserem  ursprünglichen  Ver- 
kaufspreis zurückzukaufen.  Wir  fügen  jedoch  eine  ex- 
pertgericbtlich  festgestellte  Entschädigung  für  ange- 
brachte Verbesserungen  hinzu.  Der  Eigentümer  ernennt 
einen  SachverstSndigen,  wir  einen  der  unseren;  und  wenn 
sie  sich  nicht  einigen  können,  wählen  sie  zur  Entschei- 
dung einen  freien  Dritten. 

Dieses  Vorzugsrecht  des  Rückkaufes  ist  privilegiert  und 
kann  durch  keine  Hypothek  gebrochen  werden. 


Übrigens  wird  die  Society  auch  Hypothekarkredit  ge- 
währen, in  einer  Abteilung.  Das  ist  eine  Tochterbank, 
die  natürlich  wie  alle  anderen  Töchterinstitute  „drüben" 
verstaatlicht  wird. 

Die  Privat-Rankbeamten  hüben  werden  allmSblich 
Staatsbeamte  drüben,  mit  reicheren  Rezügen,  Ehren  usw. 

Für  die  gutwillige  Expropriation  muß  man  sich  ein- 
heimischer Subageoten  bedienen,  die  nicht  wissen  dürfen, 
daß  ihr  Auftraggeber  selbst  ein  geheimer  Agent  ist  und 


dbyGoogle 


den  zeatralisierfen  Weisungen  der  „Güterkauf-Kommis- 
sion"  gehorcht. 

Diese  geheime  Kaufaktion  muß  gleichieitig,  wie 
durch  den  Druck  auf  einen  elektrischen  Taster,  durch- 
geführt werden.  Unsere  geheimen  Agenten,  die  drüben 
als  Erwerber  für  eigene  Rechnung  auftreten,  erbalten  das 
Signal:  MarchezI 

In  der  nächsten  Woche  müssen  alle  Verkäufe  abge< 
schlössen  sein.  Sonst  verteuern  wir  uns  maßlos  die  Preise. 

Selbstverständlich  muß  dem  eine  Aktion  sorgfältiger 
Vorerhebungen  in  Grundbüchern  (wo  welche  existieren), 
durch  vorsichtige  Umfrage,  Erforschung  der  einielnen 
Verhältnisse  usw.  vorangehen. 

Gutsbesitier,  die  durch  ihr  Alter,  ihre  Gewohnheiten 
usw.  an  ihrer  Scholle  haften,  erbalten  den  Antrag,  daß 
man  sie  gänzlich  umpflanzen  werde  —  wohin  sie  wollen, 
gleich  unseren  eigenen  Leuten.  Dieser  Antrag  wird  erst 
gemacht,  wenn  aUe  anderen  abgelehnt  wurden. 

Wird  auch  dieser  nicht  angenommen,  schadet  es  weiter 
nichts.  Dieses  enge  Verhältnis  zur  Scholle  kommt  nur 
hei  kleinem  Besitz  vor.  Der  große  ist  für  Geld  zu  haben. 

Sollten  an  einzelnen  Punkten  viele  solcher  unbeweg- 
licher Besitzer  sein,  werden  wir  sie  einfach  lassen  und 
unseren  Verkehr  nach  anderen  Punkten  hin,  die  uns  ge- 
hören, entwickeln. 


Die  geheimen  Landkfiufer  sind  nicht  freie  Agenten, 
sondern  unsere  Beamten. 

Es  wird  ihnen  im  vorhinein  gesagt,  daß  jeder  Versuch, 
direkt  oder  indirekt  hei  diesem  Anlaß  eine  Landspeku- 
lation zu  machen,  die  sofortige  Entlassung  cum  infamia 
für  immer  nach  sich  ziehe. 


dbyGooglc 

I 


Wohl  aber  werden  sie  wie  alle  unsere  Beamten  Vor- 
zugsrechte der  Platzwahl  für  ihre  HSu&er  erhalten,  die 
wir  ihnen  billig  und  aus  Gehaltsabzügen  nach  dem  Amor- 
tisationsprinzip bauen. 

Separatnotiz : 

Muß  ich 's  als  Buch  machen,  so  wird  alles  zu  vermeiden 
sein,  was  wie  Prospekt  aussieht. 

Ich  mufi  den  kleinen  Juden  und  Regierungen  nahe- 
legen, mich  darum  zu  bitten;  aber  wenn  ich's  nicht  d'an 
air  abiolument  ditachi  mache,  so  werde  ich  Ucherlich 
und  ein  für  den  herrlichen  Zweck  untaugliches  Instru- 
ment. 

*     *    * 

S2.  VI. 

Wenn  uns  auf  dem  Landnahmeschiff  das  neue  Land 
in  Sicht  kommt,  wird  die  Fahne  der  Society  gebißt  (die 
spSter  Staatsfahne  wird). 

Alle  müssen  sich  entblößen.  Grüßen  wir  unsere  Fahne  I 

Mit  einer  schlechten  billigen  Fahne  in  der  Hand,  steigt 
der  erste  ans  Land.  Sie  wird  dann  im  Nationalmuseum 
aufbewahrt. 

i2.  VI. 

Für  die  Legende  eine  eigentümliche  Kappe  bauen  las- 
sen, wie  Stanley.  Bei  der  Landnahme  den  gelben  Fleck 
tragen,  und  alle  Landnebmer  bekommen  das  gelbe  BSnd- 
chen. 

j2  yj, 

Roman.  Held: 

Eine  seiner  Tischreden  auf  dem  Schiff  wird  das  Thema 
der  Judenehre  haben. 

Nachher  werden  die  gelben  Bändchen  an  alle  Anwesen- 
den verteilt.  Daß  es  ein  Orden  wird,  kann  er  vielleicht 
in  dem  Augenblick  noch  nicht  sagen. 


dbyGooglc 


Er  verteilt  es  nur  als  ErianerungszeicheD.  Eine  Liste 
hat  er  vorher  anfertigea  lassen.  Jeder  bestStigt  dea  Emp- 
fang des  kleioen  silbernen  Zeichens  am  gelben  Band. 

Diese  Liste  wird  aufbewahrt.  Es  sind  die  ersten  Ritter 
der  Judenehre. 


Drüben  wird  das  Zeichen  von  Anfang  an  getragen.  Er 
schreibt  es  nicht  vor  —  ,^eht  es  nur  gern".  Unbefugte 
dürfen  es  nicht  tragen. 

*    *     * 

12.  VI. 

Eine  juristische  Schwierigkeit,  wie  der  noch  nicht  vor- 
handene Staat  sich  den  Ankauf  der  Society-Aktien  sichern 
soll.  Übrigens,  Obergang  kann  vielleicht  nur  unter  mora- 
lische Garantien  gestellt  werden. 

12.  VI. 

Diese  südamerikanischen  Republiken  müssen  für  Geld 
tu  haben  sein.  Wir  kijnnen  ihnen  jährliche  Zuschüsse 
geben.  Aber  nur  für  etwa  zwanzig  Jahre,  d.  h.  bis  wir 
zum  Selbstschutz  stark  genug  sind;  sonst  wird  es  ein 
Tribut,  der  mit  unserer  künftigen  Würde  nicht  verein- 
bar wSre  und  dessen  Einstellung  zum  Kriege  führen 
könnte. 

Dauer  der  Zuschüsse  wSre  zu  bemessen  nach  der  Zeit, 
die  uns  von  unserem  Kriegs-Direktor  als  genügend  be- 
zeichnet würde,  um  allen  diesen  vereinten  Republiken  ge^ 
wachsen  zu  sein. 

Aber  man  könnte  anfangs  —  bevor  sie  noch  wissen, 
daß  wir  hinübergehen  —  große  Zugest&ndnisse  erhalten, 
für  die  bloße  Aussicht,  ihnen  etwas  Geld  um  ein  Perzent 
billiger  zu  borgen  I 


dbyGoogle 


i2.  VI. 

Über  Geldbedarf  tig'keit,  innere  Partei verbfiltnisse,  Strö- 
mungen usw.  dieser  Büdamerikaniscben  Republiken  wfiren 
frOher  diskrete,  delikate  Forschungen  anzustellen. 

Es  ist  im  großen  eine  gutwillige  LandentSußerung. 

*  *    * 

Aber  zu  diesen  Dingen  besonders  brauche  ich  die  Roth- 
schilds. 

Und  wemi  sie  nicht  wollen? 

Ja,  dann  werden  sie  es  eben  büßen. 

*  *    * 

Da  mein  Plan  jetzt  auf  den  Rothschilds  steht,  beschSf- 
tigen  sie  mich  natürlich  sehr.  Ich  kenne  nur  einige  vom 
Sehen.  Nur  von  zweien  weiß  ich  etwas.  Albert  in  Wien 
scheint  ein  fleißiger  Bankier  und  ganz  offener  Kopf  zu 
sein.  Dabei  Hofsnob.  Man  kam  zu  ihm  mit  dem  Plan 
eines  Palais  de  Glace,  wird  mir  erzählt.  Er  sagte :  „dafür 
hat  Wien  keid  Publikum",  und  begründete  es  auf  ge- 
scheite Art. 

Alphonse,  den  Pariser,  sehe  ich  öfter  auf  der  Gasse, 
sah  ihn  vor  Gericht  im  Prozeß  Burdeau-Drumont,  wo 
er  ein  bescheidenes,  zitterndes  Aussehen  hatte.  Er  duckt 
sich  auf  feine  Manier.  Ich  sah  ihn  zuletzt  beim  Grand- 
Prix  und  hatte  dabei  ein  eigentümliches  Gefühl.  Denn 
dieser  dürftige,  schlotterige  Mann  besitzt  die  Mittel,  einen 
ungeheuren  Strom  von  Glück  über  die  Menschen  zu 
bringen,  wenn  er  meinem  Plane  folgt.  Ich  ging  einige 
Zeit  durch  das  Gedrfinge  hinter  ihm  her  und  sah  ihn  an 
mit  meinen  Gedanken. 

i2.  VI. 

Bacher  werde  ich  einen  recht  herzlichen  Abschiedsbrief 
schreiben.   Er  war  mein  Freund,  das  habe  ich  gefühlt. 

*  *    * 

jo3 


dbyGoogle 


Julius  Bauer,  der  Direktor  des  Natioaal-Theaters,  f&hrt 
auf  dem  Schiff  meiner  Familie  mit  hioOber,  um  meine 
Eltern  unterwegs  zu  amüsieren  . . .  (Ach  Gott,  für  den 
Roman  ist  das  ein  hübsches  Kapitel  —  aber  wenn  es 
Wirklichkeit  wird,  was  lebt  dann  noch  von  den  Passa- 
gieren, die  ich  mir  jetzt  ertrSume?) 

*    *    •  i2.  VI. 

Diese  Aufschreibungen  sind  mir  keine  Arbeit,  sondern 
nur  Erleichterung.  Ich  schreibe  mir  die  Gedanken  los, 
die  heraufsteigen  wie  Lnftblasen  in  einer  Retorte  und 
schließlich  das  Geffiß  sprengen  würden,  wenn  sie  keinen 
Abzug  finden. 


12.  VI. 
Diese  Aufschreibungen  verhindern  mich,  das  Frühere 
in  mein  Ruch  zu  bringen. 

Mit  der  Reinschrift  halte  ich  noch  beim  Gesprfich  mit 
Hirsch. 

Aber  das  Wachstum  der  neuen  Einfftlle  ist  wichtiger. 
Wer  weiß,  wie  bald  es  aufhört? 

Dabei  habe  ich  die  Angst,  die  Heyse  in  jenem  herrlichen 
kleinen  Gedicht  vom  Künstler  schildert. 
„Ich  bebe: 
Daß  ich  hinfahren  könnte  über  Nacht, 
Hinfahren,  ehe  ich  dies  Werk  vollbracht." 
Ah,  habe  ich  es  erst  im  reinen  und  meine  Zettel  bei  der 
hiesigen  Akademie  verschlossen  niedergelegt,  indem  ich 
das  Ruch  abschreiben  lasse,  dann  ist  das  Gut  in  Sicherheit 
gebracht  und  ist  ein  unverlierbarer  Schatz  der  Menschen. 
Aller,  nicht  nur  der  Juden. 

*     *    • 

io4 


dbyGoogle 


Nach  diesen  aufrichtigen  Aufieichnungea  werden  mich 
manche  für  grö&enwahnsinnig  halten.  Andere  werden 
sagen  oder  glauben,  daß  ich  für  mich  ein  Geschäft  oder 
Reklame  machen  wolle. 

Aber  meine  Pairs,  die  Künstler  und  Philosophen,  wer- 
den verstehen,  wie  echt  das  alles  ist,  and  sie  werden  mich 
schützen. 

*    *    * 

t%  VI. 

Den  Architekten : 

Typische  Pline  für  Schuster-,  Schneider-,  Tischler- 
usw.  Werkstfitten,  die  in  Massen  gedruckt  und  überall 
verteilt  werden. 

Das  ist  eine  Auswanderreklame ! 

Eis  wird  eine  Lust  sein,  zu  arbeiten.  Überall,  wenn  mög- 
lich, das  eigene  HSuschen  erreichen. 


Eine  Architekten-Konferenz  für  Arbeiter-Wohnungen 

Andere  Massenpiftne  für  das  „eigene  Haus"  des  Mittel- 
standes, Cottage-System.  Auch  als  Reklame  verteilen. 


Tarife  und  Amortisationen  für  diese  HSuser.  Beim 
Bauen  (von  HSusem,  wie  von  Bahnen,  Straßen  usw.) 
wollen  vrir  Privatunternehmer  sehr  begünstigen  durch 
gesunde  Baukredite  (was  noch  gut  zu  studieren  ist). 

Die  Society  wird  nur  am  Bodenwert  gewinnen.  Der 
Bau  soll  billig  sein,  weil  ja  durch  Bauten  der  allgemeine 
Bodenwert  steigt. 

*     *    * 

io5 


dbyGoogle 


i2.  VI. 

Versatzamt : 

Beim  Versdtzen  muß  Name  und  Wohnort  anf^egeben 
werden.  Warum,  wird  den  Versetzern  nicht  heluumt.  Die 
Namen  derjenigen,  welche  Betten,  Arbeitsmittel,  G^en- 
gtSnde  des  Sußersten  Notbedarfes  versetzt  haben,  werden 
der  Wohltfitigkeils-Zentrale  direkt  bekannt  gegeben. 

Diese  untersucht  ebenso  diskret,  und  tut  was  sie  will. 

Durch  Führung  alphabetischer  Listen  wird  sie  die  Ge> 
wohnheitsversetzer  und  Betrüger  bald  erkennen. 

*  •     •  12.  VI. 
Wir  sind  derzeit  überall  Landesstiefkinder.    Ich  bin 

heute  schon  unerschütterlich  davon  durchdrungen,  daß 
es  mir  gelingen  wird. 

Wäre  es  in  meinen  Gedanken,  daran  etwas  lu  gewin- 
nen, so  würde  ich  mir  heute  mit  Beruhigung  Geld  aus- 
borgen. 

*  *    *       £f^^^^ 
-»—«./^     i2.VI. 

Ich  arbeite  es  aus? 

Neinl  ea  arbeitet  mich. 

Es  wfire  eine  Zwangsvorstellung,  wenn  es  nicht  von 
Anfang  bis  zu  Ende  so  vernünftig  wäre. 

Soldie  Zustände  nannte  man  in  einer  früheren  Aus- 
drucksweise: Inspiration. 

12.  VI. 

Heute  steigt  mir  der  Gedanke  auf,  ob  ich  nicht  viel 
mehr  als  die  Judenfrage  löse. 

NSmlich  tout  bonnement  die  soziale  Frage  1  Ich  weiß 
es  nicht,  glaube  es  kaum,  weil  ich  ja  in  allem  an  die 
Schaffung  neuer  Verhältnisse  denke ;  und  die  Schwierig- 
keit der  sozialen  Frage  ist  ja  aber,  daß  man  überall  in 

io6 


dbyGoogle 


alten  MißstSnden,  langen  Versumpfungen,  ererbtem  und 
erworbenem  Unrecht  steckt.  Indes  ich  jungfräulichen 
Boden  voraussetze.  Aber  wenn  es  w5re,  welches  Geschenk 
Gottes  an  die  Juden  I 


Wenn  ich  Gott  sage,  will  ich  die  Freidenker  nicht  ver- 
letzen. Sie  mögen  meinetwegen  den  Weltgeist  oder  ir- 
gendein anderes  Wort  an  die  Stelle  dieser  lieben,  alten, 
wundervollen  Abbreviatur  setzen,  durch  die  ich  mich  mit 
den  Einfältigen  verständige.  Wir  meinen  ja  im  Seminar- 
Btreit  um  Worte  doch  alle  ein  und  dasselbe.  Ja,  wir  mei- 
nen im  Glauben  wie  im  Zweifel  alle  ein  und  dasselbe: 
daß  es  unerklärlich  ist! 

f2.  VI. 

Einen  umsichtigen  Mann  als  Quartiermeister  hinüber- 
schicken. Noch  bevor  das  Landnahmeschiff  kommt.  Die 
Landnehmer,  besonders  die  Vertreter  der  Ortsgruppen 
müssen  bereits  Komfort  finden. 

Der  QuartiermeistJer  wird  später  immer  größere  Auf- 
gaben haben,  an'  der  Spitze  eines  Ressorts  stehen,  bis  Ar- 
beiter kommen. 

12.  VI. 

Proetitution: 

Direkte  Lösungen  gibt  es  wohl  schwerlich.  (Jeden- 
falls wird  darüber  eine  Beratung  von  Politikern  einzu- 
berufen sein.  Dichter  werden  zugezogen,  weil  sie  sich 
ja  mit  der  Liebe  anhaltend  beschäftigen.)  Indirekte  Lö- 
sungen sind: 

Patriarchalische  Familie,  Beförderung  junger  Ehen, 
die  übrigens  par  la  force  des  ckoses  eintritt,  weil  wir 
Massen  junger  Menschen  beschäftigen,  sie  gut  bezahlen, 
Urnen  somit  früh  Gelegenheit  geben,  den  eigenen  Haus- 

107 


dbyGoogle 


stand  zu  gründen.  Auch  werden  sie  in  den  Anfängen 
unserer  Kultur  ein  Haus  haben  wollen,  weil  es  noch  keine 
großstädtischen  Unterhaltungen,  keine  leichten  Reizun- 
gen und  keinen  Weibermarkt  gibt. 


Auch  werden  wir  Ehemfinoern  Gehaltszulagen  gehen. 
Heiratsausstattungen  in  Massen,  also  billig  herstellen  und 
zwar  für  verschiedene  Klassen  „als  Prämien  für  Fleiß, 
Tüchtigkeit  usw."   Wir  verfolgen  dabei  den  Ehezweck. 


Kinder-Gehaltszulagen. 

*    *     *  i2.  VI. 

Wir  Juden  sind  ein  eitles  Volk.  Wir  stellen  das  größte 
Kontingent  zu  den  Snobs  der  „guten"  Gesellschaft.  Ein 
adeliger  Schmarotzer  kann  von  den  Bankiers  haben,  was 
er  will,  wenn  er  vor  Leuten  bei  ihnen  speist. 

Aber  ich  glaube,  wir  sind  nur  eitel,  weil  uns  die  Ehre 
nicht  zugänglich  ist.  Haben  wir  erst  wieder  unsere  Ehre, 
so  werden  wir  nicht  eitel,  sondern  ehrgeizig  sein.  Der 
gute,  gescheite  Montesquieu  mit  seinen  Ressorts. 


Ich  verfeinde  mich  wahrscheinlich  mit  den  großen  Ju- 
den. Na,  es  wird  sich  ja  in  den  Angriffen  oder  im 
Schweigen  des  untertänigen  Teils  der  Presse  zeigen. 

*    *    *  12.  VI. 

Ziehen  wir  in  eine  Gegend,  wo  es  für  die  Juden  unge- 
wöhnliche wilde  Tiere  gibt  —  große  Schlangen  usw.  — 
so  benütze  ich  die  Eingeborenen,  bevor  ich  sie  in  den 

Jo8 


dbyGoogle 


DurchzugsIfinderD  bescbiftige,  dazu,  diese  Tiere  auszu- 
rotten. Hohe  PrSmien  für  Schlangenhiute  usw.  und  für 
die  Brut. 

i2.  VI. 

Meineb  Unskilleds  aus  Rußland  wird  mitgeteilt,  daft 
sie  avancieren  kennen  und  später  (wenn  sie  nicht  zu  Ar- 
beitsoffizieren taugen)  doch  wenigstens  Trafiken  und 
dergleichen  bekommen. 

Sie  werden  und  sollen  daher  den  Rest  des  Siebenstun- 
dentags für  Fortbildung  in  Arbeiter-  und  Handwerker- 
schulen benützen. 

Da  brauche  ich  wieder  ein  neues  Bildungskorps.  Die 
Handwerker-Lehrer.  Es  kann  auch  ein  Arbeiter  sol- 
cher Lehrer  werden. 

*     *    * 

Der  Siebenstundentag! 

Natürlich  wird  nicht  nur  sieben  Stunden  im  Tag  ge- 
arbeitet, sondern  vierzehn. 

Zwei  Ablösungen,  oder  vier?  Das  wird  von  der  Nihe 
der  Wohnorte  und  Schulen  abhängen.  Denn  wenn  ich 
die  Arbeiter  weite  Wege  doppelt  machen  lasse,  tue  ich 
ihnen  sehr  weh. 

*    *    *  12.  VI. 

Im  Palais  Royal,  bei  Militirmusik : 

Meinen  Untergebenen,  die  mir  schmeicheln  wollen: 

Mich  darf  man  nicht  loben,  weil  man  mich  auch  nicht 
tadeln  darf.  Denn  ich  bin  der  Führer.  Ich  sage  es  aber 
nicht  nur  wegen  der  Disziplin.  Sondern  auch,  weil  mein 
Geist  gesund  und  einfach  bleiben  muß,  wenn  ich  es  durch- 
führen soll.  —  Ich  werde  schon  an  der  Art  Ihres  Gehor- 
sams, an  der  Wärme  Ihrer  Begeisterung  erkennen,  in- 
wieweit ich  auf  Sie  rechnen  kann. 


dbyGoogle 


Welches  Beispiel  bin  ich  für  die  armen,  strebsamen 
Juden,  wie  ich  einer  war. 

Wäre  icb  auf  Geld  aus  gewesen,  hätte  ich  mich  nie  so 
vor  die  größte  Geldmacht  der  Erde,  die  Rothschilds,  hin- 
stellen kdnnen,  wie  ich  es  tun  werde. 


Wenn  auch  GOdemann  versagt,  schicke  ich  den  Baron 
Jacobs  zum  Palistina-Rothschild  —  ich  glaube  Edmond 
—  und  lasse  mir  eine  Unterredung  verschaffen. 

«    *    * 

Man  wird  mir  vorwerfen,  da&  ich  Staatssozialismus 
treibe,  kein  Vorwurf,  wenn  es  wSre  —  vorausgesetzt,  daß 
der  Staat  das  Rechte  will,  NSmIich  nicht  den  Vorteil 
einer  Gruppe  oder  Kaste,  sondern  das  mähliche  Aufstei- 
gen aller  zu  den  fernen  hohen  Zielen  der  Menschheit. 

Aber  nur  Beschränkte  oder  Böswillige  können  über- 
sehen, daß  ich  ,das  Individuum  frei,  groß,  reich  und 
glücklich  machen  will. 

*     *    * 

Ich  streiche  nur  den  Unternehmergewinn  gefahrloser 
Unternehmungen. 

Drumont  verdanke  ich  viel  von  der  jetzigen  Freiheit 
meiner  Auffassung,  weil  er  ein  Künstler  ist. 


Ich  wollte  nicht  noch  eine  Utopie  schreiben.  Das  alles 
ist  wahr,  vernünftig,  möglich. 
Warum  sollte  ich  es  nicht  einfach  sagen? 


dbyGooglc 


13.  Juni  1895. 

Ob  die  Mitgift  reicher  MSdchen  nicht  zu  besteuern 
w»re? 

Man  könnte  den  Ertrag  zur  Versorgung  „vergessener" 
armer  MSdchen  heranziehen,  wie  ja  inuner  eine  sittliche 
Korrelation  zwischen  der  Freude  der  einen  und  dem 
Kummer  der  anderen  durch  Abgaben  hergestellt  werden 
muß.  (Gut  ist  in  Frankreich  die  Tbeaterbilletsteuer,  die 
der  axaiitance  pablique  zufließt.  Das  werden  wir  auch 
haben.) 

Die  Juden  befolgen  dieses  Prinzip  eigentlich  schon  im 
kleinen  und  in  der  planlosen  törichten  Weise  aller  bis- 
herigen „Wohltitigkeit".  Bei  großen  Hochzeiten  wird 
viel  für  die  Armen  gespendet. 

Ich  aber  will  das  nicht  nur  in  feste,  gesunde  Regeln 
bringen,  sondern  auch  die  Harten,  die  nicht  der  Armen 
gedenken,  heranziehen.  —  Die  MitgiftjSger  brauche  ich 
wahrhaftig  nicht  zu  schonen.  (Dabei  ist  ein  schnurriger 
Gedanke,  daß  auch  die  Steuer  auf  den  Schwiegervater 
QbergewSlzt  werden  kann.) 

Den  Steuerbetrug  vereitle  oder  bestrafe  ich  durch  Un- 
gültigkeit von  ScheinvertrSgen,  durch  hohe  Prämien  für 
den  Anzeiger,  schwere  Geldstrafen  und  dauernde  Ent- 
ziehung des  passiven  Wahlrechts,  der  Ordens-  und  Adels- 
fShigkeit. 

*  *     *  1i.  Jani  1895. 
Heute  sehr  starker  Kopfschmerz.  —  Um  mir  das  Blut 

vom  Kopf  abzulenken,  will  ich  heute  anfangen,  bicyklen 
zu  lernen.  Sonst  führe  ich  die  Arbeit  nicht  aus. 

•  •   ♦  M.  y/. 

Die  sittliche  Beselifping  und  das  körperliche  Glück  der 
Arbeit. 


dbyGoogle 


Gestern  dinierte  ich  mit  einem  reichen  Wiener  Jung- 
gesellen, der  ein  nutzloser  Lebemann  ist.  Er  stöhnte  über 
die  Antisemiten,  über  das  Blutmarchen.  Ich  brachte  ihn 
zum  Reden.  Ich  bestätigte  mich  so  in  der  Meinung,  die 
ich  von  der  Stimmung  der  reichen  Leute  habe.  Einen 
Augenblick  nahm  ich  diesen  Menschen  sogar  ernst.  Ich 
fragte  ihn,  ob  er  wohl  bereit  wäre,  für  die  Judensache 
etwas  zu  tun.  Er  schien  ein  Geldopfer  zu  vermuten  und 
sagte  gedehnt:  Neinl  —  Ich  berichtigte  diesen  Irrtum 
rasch  und  sagte:  Beispielsweise  eine  Reise  nach  Konstan- 
tinopel? —  „Nein,"  sagte  er,  „ich  bin  zu  solchen  Sachen 
nicht  brauchbar.  Ich  bin  zu  bequem I"  Jawohl!  es  wird 
lange  dauern,  bis  ich  die  Juden  aus  der  Bequemlichkeit 
der  Gefangenschaft  aufwecke,  aufrüttle. 

iu.  VI. 

Das  Gelobte  Land,  wo  wir  krumme  Nasen,  schwarze 
oder  rote  Birte  und  gebogene  Beine  haben  dürfen,  ohne 
darum  schon  verächtlich  zu  sein.  Wo  wir  endlich  als 
freie  MSnner  auf  unserer  eigenen  Scholle  leben  und  in 
unserer  eigenen  Heimat  ruhig  sterben  können.  Wo  auch 
wir  zur  Belohnung  großer  Taten  die  Ehre  bekommen.  Wo 
wir  im  Frieden  mit  aller  Welt  leben,  die  wir  durch  unsere 
Freiheit  befreit,  durch  unseren  Reichtum  bereichert  und 
durch  unsere  Größe  vergrößert  haben. 

So,  daß  der  Spottruf  „Judel"  zu  einem  Ehrenworte 
wird,  wie  Deutscher,  Engländer,  Franzose,  kurz  wie  die 
Massen  aller  Kulturvölker.  So,  daß  vnr  durch  unseren 
Staat  unser  Volk  erziehen  können  für  Aufgaben,  die  jetst 
noch  hinter  unserem  Gesichtskreise  liegen.  Denn  Gott 
hätte  unser  Volk  nicht  so  lange  erhalten,  wenn  wir  nicht 
noch  eine  Bestimmung  in  der  Geschichte  der  Menschheit 
hätten. 


dbyGooglc 


Die  Fahne  f&llt  mir  ein.  Vielleicht  eine  weiße  Fahne 
mit  Bieben  goldenen  Sternen.  Und  das  weiße  Feld  be- 
deutet unser  neues,  reines  Leben.  Wie  Sterne  sind  die 
Stunden  der  Arbeit.    Im  Zeichen  der  Arbeit  ziehen  wir 

ins  Gelobte  Land. 

*     *    * 

H.  VI. 

Gfidemann  telegraphiert  mir  heute : 

,3eise  mir  unmöglich.  Salo  am  Nordkap.  Brief  folgt. 
Fahre  Sonntag  nachmittag  Baden.   Güdemann." 

Ach  ja,  es  wird  schwer  sein,  die  Juden  dazu  zu  bekom- 
men. Aber  ich  werde  sie  kriegen.  Ich  fühle  eine  wach- 
sende Riesenkraft  in  mir  für  die  herrliche  Aufgabe.  Es 
wSchst  der  Mensch  mit  seinen  höheren  Zwecken! 


la.  VI. 

Dem  Familienrat: 

Für  mich  wSre  der  Ruhm  größer,  wenn  ich  nur  mit 
den  Armen  und  Elenden  ins  Gelobte  Land  hinüberzöge 
und  aus  ihnen  ein  stolzes  und  geehrtes  Volk  machte. 
Aber  ich  will  auf  diesen  Ruhm  verzichten,  wie  ich  ja 
auch  bereit  wfire,  ganz  in  den  Hintergrund  zu  treten.  Nur 
muß  der  Baumeister,  solange  er  lebt,  den  Bau  seihst 
leiten,  wie  groß  auch  Sorge,  Mühe  und  Verantwortung 
seien.  «    *    « 

Unsere  ganze  Jugend,  alle,  die  jetzt  zwischen  zwanzig 
und  dreißig  Jahre  alt  sind,  werden  von  unklaren  soziali- 
stischen Richtungen  ah-  und  mir  zufallen.  Sie  werden 
als  Wanderprediger  in  ihre  Familien  und  ins  Land  hin- 
ausgehen, —  ohne  daß  ich  sie  erst  noch  aufzufordern 
brauche. 

Für  sie  ist  ja  das  Landl 

8     Henk  TacBbOolier  I.  |l3 


dbyGoogle 


15.  Juni  1895. 

Die  nichtjüdiscben  Exprc^riiertea  drüben  erhalten 
Dach  Vollzug  des  Kaufs  die  Option :  Betrag  in  Geld  oder 
in  Aktien  (nach  Nominalwert).  Keine  Uberlistung,  nur 
Selbstschutz. 

Die  Welt  soll  ja  durch  uns  etwas  kennenlernen,  was 
man  seit  aooo  Jahren  nicht  für  möglich  hielt:  die  Juden- 
ehre. 

*     «    * 

Dem  Familienrat; 

Ihre  Siteren  Herren  werden  uns  mit  ihrem  Finanz-, 
Bank-,  Bahn-  und  politischen  Bat  bebtehen,  diploma- 
tische Dienste  leisten  usw. 

Ihre  Sehne,  und  ich  möchte,  daß  Sie  möglichst  viele 
h&tten,  werden  im  Heer,  in  Diplomatie  usw.  nach  ihren 
FShigkeiten  —  aller<lings  auch  nur  nach  ihren  Fihig- 
keiten  —  führende  Rollen  spielen,  Provinzen  verwalten 
usw.  1 

Mit  Ihren  Töchtern  werden  Sie  unsere  besten  Offiziere, 
feinsten  Künstler,  genialsten  Beamten  belohnen.  Oder 
auch  weiter  nach  Europa  verheiraten,  wie  die  Amerika- 
ner, was  ich  für  ganz  nützlich  halte.  Es  soll  nur  Ihr 
Geld  recht  weit  zerstreut  werden. 

15.  VI. 

Heute  ein  einzelner  und  einsamer  Mann.  Morgen  viel- 
leicht der  geistige  Führer  von  Hunderttausenden.  Jeden- 
falls der  Finder  und  Verkünder  einer  mSchtigen  Idee. 


Zu  den  ZwergmillionSren  schicke  ich  meine  Vertreter . . . 

Lasse  die  MillionSre,  die  noch  Judentum  in  sich  haben, 
beim  Rabbiner  zusammenkoomien,  ihnen  die  Rede  vom 
Rabbiner  vorlesen. 

ii4 


dbyGoogle 


Die  Rabbiner,  die  nicht  mitwollen,  werden  beiseite  ge- 
schoben.  Der  Zug  ist  unauffaeltsain. 


Aber  die  Rabbiner  werden  Stützen  meiner  Organisation 
sein,  und  ich  werde  sie  dafür  ehren.  Sie  werden  die  Leute 
aneifern,  auf  den  Schiffen  belehren,  sie  drüben  aufklä- 
ren. Zum  LfOhn  werden  sie  in  eine  schöne,  stolze  Hierar- 
chie gegliedert,  die  freilich  immer  dem  Staat  unterworfen 
bleibt. 

15.  VI. 

Im  Schreiben,  und  besonders  wenn  mir  die  ernste  fest- 
liche Stimmung  auf  den  Schiffen  und  drüben  die  An- 
kunft, der  feierliche  Empfang  einfiel,  habe  ich  oft  ge- 
weint über  dos  Unglück  meines  Volkes. 

Aber  wenn  ich  das  Volk  führen  werde,  darf  ich  keine 
TrSnen  zeigen.  Der  Führer  muß  einen  harten  Blick 
haben. 

*  *     « 

15.  VI. 

Ich  glaube  nicht  an  die  Börsenlust  unserer  Leute.  Un- 
sere Leute  sind  gute  Familienväter.  Und  der  besorgte 
Familienvater  geht  mit  Bangen  an  die  Börse. 

Aber  wohin  soll  er  im  bisherigen  Leben  sonst  gehen? 

*  *     * 

16.  Juni  1895. 

Ich  habe  in  diesen  Tagen  öfters  befürchtet,  irrsinnig 
ni  werden.  So  jagten  die  Gedankenzüge  erschütternd 
durch  meine  Seele. 

Ein  ganzes  Leben  wird  nicht  ausreichen,  alles  auszu- 
führen. 

Aber  ich  hinterlasse  ein  geistiges  Vermichtnis.  Wem? 
Allen  Menschen. 


dbyGoogle 


leb  glaube,  icb  werde  unter  den  grdßl«n  Wobltitem 
der  Menscbbeit  genannt  werden. 
Oder  üt  diese  Meinung  scbon  der  Größenwahn? 

*    *    * 

i6.  VI. 

Ich  muß  vor  allem  mich  selbst  beherrschen. 

Wie  Kant  sich  aufschrieb :  An  Johann  darf  nicht  mehr 
gedacht  werden. 

Mein  Johann  ist  die  Judenfrage.  Ich  muß  sie  rufen  und 
wegQcbicken  können. 

16.  VI. 

Niemand  dachte  daran,  das  Gelobte  Land  dort  lu  su- 
chen, wo  es  ist  —  und  doch  liegt  es  so  nahe. 

Da  ist  es:  in  uns  selbsti 

Ich  Iflge  niemandem  etwas  vor.  Jeder  kann  sich  über- 
zeugen, daß  ich  die  Wahrheit  rede.  Denn  jeder  nimmt 
ein  Stück  vom  Gelobten  Lande  in  sich  und  mit  sich  hin- 
über. Der  in  seinem  Kopf,  der  in  seinen  Händen  und  der 
dritte  in  seinen  Ersparnissen.  Das  Gelobte  Land  ist  dort, 
wohin  wir  ea  tragen  1 


Ich  glaube,  für  mich  hat  das  Leben  aufgehört  und  die 
Weltgeschichte  begonnen. 

*     *    * 

16.  VI. 
Anfangs  werden  wir  nur  in  aller  Stille  an  uns  und  für 
uns  arbeiten. 

Aber  der  Judenstaat  wird  merkwürdig  werden.  Das 
Siebenstundenland  ist  nicht  nur  das  Musterland  für  so- 
ziale Versuche,  nicht  nur  die  Schatzkammer  der  Kunst- 
werke —  auch  in  aller  Kultur  ein  Wunderland.  Es  wird 

ii6 


dbyGooglc 


ein  Ziel  för  die  Kulturwelt,  die  uns  besuchen  kcnnmen 
wird,  so  wie  man  nach  Lourdes,  Mekka,  Sadagwa  geht. 
Verstehen  Sie  mich  endlich?  Aber  am  stärksten  bin  ich 
auf  der  dritten  Stufe.  Da  habe  ich  die  ganxe  Welt  für 
mich,  Juden,  Christen,  Volk,  Bürgerliche,  Adelige,  Kle- 
rus aller  Konf  essiooea,  KCnige  und  Kaiser  I 

*     «    * 
Sadagora. 

Auf  niemanden  wird  ein  Gewissenszwang  ausgeübt,  auf 
alle  wirken  die  leisen  Verführungen  der  Kultur. 


Die  pied»  croUi»  vor  der  Börse,  alle  verlorenen  und 
gescheiterten  Existenzen  nehme  ich  auf,  gebe  ihnen  ein 
neues  Leben!     Sie  werden    unsere   besten   Mitarbeiter 


16.  VI. 

Ich  bin  drei  Stunden  im  Bois  herumgegangen,  um  mir 
die  Qual  neuer  GedankenzOge  loszugehen.  Es  wurde  im- 
mer ärger.  Jetzt  sitze  ich  bei  Pousset,  schreibe  sie  auf 
—  und  mir  ist  leichter.  Ich  trinke  freilich  auch  Bier. 

Der  Judenstaat  ist  ein  Weltbedürfnis. 


Wenn  Sie  mich  in  einen  Gegensatz  zu  Ihnen  zwingen, 
werde  ich  auf  der  sweiten  Stufe,  an  die  ich  nicht  recht 
glaube  —  mfiglioh  ist's  ja  immerhin  —  alle  mittleren 
und  kleineren  Millionäre  um  mich  versammeln.  Eine 
tweite  formidable  jüdische  Geldmacht  marschiert  auf. 

117 


dbyGoogle 


Denn  ich  werde  in  der  ersten  Zeit,  wo  ich  für  die  voll 
eingezahlte  Milliarde  noch  keine  Verwendung  habe,  Bank- 
geschäfte machen  müssen. 

Ich  habe  auch  gegen  das  Bankgeschäft  keinen  Wider- 
willen, wenn  es  der  Zweck  erfcurdert,  so  wenig  wie  gegen 
Spedition,  Bau  usw. 

Aber  wird  Europa  Sie  und  uns  vertragen? 

Da  zittert  schon  die  Erde. 

16.  VI. 

Eine  der  Hauptschlachten  werde  ich  dem  Judenspott 
liefern  müssen. 

Dieser  Judenspott  stellt  im  Grunde  den  kraftlosen  Ver- 
such von  Gefangenen  dar,  frei  auszusehen.  Darum  rührt 
mich  dieser  Spott  eigentlich. 


i6.  VI. 

Sobald  wir  konstituiert  sind,  alle  diplomatischen  und 
Landkäufe  beendet  sind,  gebe  ich  die  Bede  (mit  R's  Ab- 
Snderungswünschen)  der  Neuen  Freien  Presse,  weil  ich 
als  ihr  Korrespondent  es  fand.  Nun  wünsche  ich,  daß  die 
Neue  Freie  Presse  den  anderen  Blättern,  auch  den  Anti- 
semiten, Auszüge  zur  Verfügung  stelle.  Berliner  Tage- 
blatt auch. 

*     *    * 

16.  VI. 

Ein  schöneres  Sadagoral 

Wir  werden  von  den  Kulturvölkern  auch  und  besonders 
die  Toleranz  gelernt  haben. 

Sie  hatten  ja  den  guten  Willen,  uns  zu  emanzipieren. 
Es  ging  nicht  mehr,  an  den  alten  Wohnorten. 


dbyGooglc 


Das  Börseomonopol  wird  wahrscheinlich  die  erste  Sache 
sein,  die  uns  Europa  nachmacht.  Und  das  drfiogt  mir  die 
xt^rnden,  die  feigen  Juden  zu.  Sie  werden  ein  bißchen 
sp&t  nachkommen. 

Auch  da  geht  der  Zug  hinweg  über  die  Widerwilligen. 

15.  VI. 

Familienrat. 

Sie  sehen,  wir  überlisten  niemanden.  Wir  tun  auch 
niemandem  Gewalt  an  —  außer  uns  selbst,  unseren  Ge- 
wohnheiten, bösen  Neigungen  und  Fehlern.  Aber  wer 
etwas  Großes  tun  will,  muß  zuerst  sich  selbst  überwinden. 


15.  VI. 
Wem  es  beliebt,  den  Kaftan  zu  tragen,  der  soll  es  ruhig 

und  ungeschoren  weiter  tun. 

Wir  werden  nur  den  Grundsatz  der  modernen  Hygiene 
durchführen,  zum  Wohle  aller. 

Einschalten:  Familienrat: 

Staat  kann  durch  gütliche  Expropriation  Fabriken  usw. 
erwerben,  an  welche  die  Finanzminister  nie  zu  denken 
wagten. 

*  *    * 
Einschalten: 

Aktien  für  Expropriierte.  Rückkaufsrecht  der  Society. 

*  *    * 

16.  VI. 
S. . .  war  heute  bei  mir  und  gpOttelte:  ich  sShe  aus,  als 

ob  ich  den  lenkbaren  LufÜiallon  erfunden  bitte. 
—  Hm,  vielleicht!  dachte  ich  mir   und  schwieg. 

"9 


dbyGooglc 


Zweiter  Brief  an  GüdemaaD. 

i6.  VI.  1895. 
Hochgeehrter  Herr  Doktor  I 

Ihr  Brief  macht  den  EiDdruck  wieder  gut,  den  ich  von 
Ihrer  Depesche  hatte.  Ich  dachte  mir  ein  bißchen  zornig: 
Da  soll  einer  den  Juden  helfen  wollen  1  Was  mich  freilich 
nicht  abhielt,  in  der  Sache  selbst  rüstig  weiter  zu  gehen, 
so  wie  ich,  um  alles  unbekümmert,  weiter  gehen  werde 
bis  ans  Zielt  Wer  mir  helfen  will,  ist  hochwillkommen; 
er  tpt  nichts  für  mich,  alles  für  sich  selbst.  Wer  atörrig 
oder  gleichgültig  ist,  über  den  gehe  ich  hinweg. 

So  hat  mich  Ihre  Depesche  selbst  im  ersten  Augenblick 
nicht  matt  gemacht  und  nur  geärgert.  Gleich  nachher 
sagte  ich  mir:  ich  muß  ihm  nicht  deutlich  genug  zu  ver- 
stehen gegeben  haben,  wie  verzweifelt  ernst  es  ist.  Tat- 
sächlich ist  mein  Vorhaben  so  ernst  wie  die  Lage  der 
Juden,  von  der  sich  die  Juden,  glaube  ich,  in  ihrer  dump- 
fen Ermattung  gar  nicht  klar  genug  Rechenschaft  geben. 

Ferner  sagte  ich  mir :  der  Mann  kennt  mich  nicht,  das 
heißt  nur  ganz  flüchtig;  wir  haben  ein  paar  gleichgültige 
oder  scherzende  Worte  ausgetauscht,  und  in  der  Zeitung 
liest  er  von  mir  Aufsitze  der  leichtesten  Form.  Aber  Ihr 
Brief  hat  mich  versöhnt.  Es  ist  darin  der  Ton,  der  mir 
zusagt,  den  ich  für  meinen  Zweck  brauche.  Ich  errate, 
Sie  werden  mir  der  richtige  Helfer  sein,  einer  der  Helfer; 
denn  ich  werde  viele  Helfer  brauchen. 

Sie  sind  erstaunt,  daß  ich  ein  so  warmes  Interesse  für 
„unsere  Sache"  habe.  Sie  ahnen  jetzt  noch  gar  nicht, 
welchen  Hitzegrad  dieses  Interesse  erreicht  hat.  Ich  hatte 
es  allerdings  früher  nicht.  Mein  Judentum  war  mir 
gleichgültig;  sagen  wir:  es  lag  unter  der  Schwelle  meines 
Bewußtseins.  Aber  wie  der  Antisemitismus  die  flauen. 


dbyGoogle 


feigen  und  streberiscben  Juden  zum  Christentum  hio- 
übwdrQckt,  so  hat  er  aus  mir  mein  Judentum  gewaltig 
faervorgepreßt.  Das  hat  mit  Frömmelei  nichts  zu  tun. 
Ich  bin  bei  aller  PietSt  für  den  Glauben  unserer  Väter 
kein  Frömmler  und  werde  es  nie  sein. 

Daß  ich  nichts  Religionswidriges  vorhabe  — im  Gegen- 
teil— ,  geht  daraus  hervor,  daß  ich  mit  den  Rabbinern,  mit 
allen  Rabbinern  gehen  will. 

Nach  Caux  habe  ich  Sie  und  den  Geschäftsmann  aus 
iwei  Gründen  gerufen.  Erstens  weil  ich  Sie  beide  aus 
Ihrer  gewohnten  Umgebung  herausnehmen  und  in  die 
hohe  Bergfreiheit  versetzen  wollte,  wo  das  alltägliche  Le- 
ben versinkt;  wo  Sie  in  einer  Gletscherbahn  vor  Augen 
haben,  wie  sehr  der  menschliche  Erfindungsgeist  schon 
die  Natur  überwunden  hat,  und  Sie  so  für  meine  unge- 
wöhnliche Mitteilung  in  eine  genügend  ernste  und  doch 
freie  Stimmung  geraten  wären. 

Der  zweite  Grund  war,  daß  ich  mich  durch  Wochen 
mit  Schreiben  schwer  angestrengt  habe,  noch  weiter  an- 
strengen muß  in  unabsehbarer  Zeit,  und  mich  zwei,  drei 
Tage  erholen  wollte  von  der  ungeheuren  Arbeit,  die  ich 
dabei  doch  nicht  verlassen  hfttte,  weil  ich  sie  nicht  mehr 
verlassen  darf. 

Ich  hätte  Ihnen  mündlich  alles  auseinandergesetzt  und 
dabei  den  Eindruck  beobachtet;  die  Zweifel  widerlegt 
und  dabei  immer  von  einem  an  den  anderen  appelliert. 
Denn  in  den  Punkten,  wo  der  eine  mich  nicht  verstanden 
hätte,  im  Geistlichen  oder  im  Weltlichen,  hätte  der  andere 
unbefangene  Mann  bestätigt,  daß  ich  mich  fortwährend 
auf  dem  Boden  fester  Tatsachen  bewege. 

Ein  reicher  oder  wohltätiger  Mensch  brauchte  Ihr  Be- 
gleiter nicht  zu  sein;  denn  ich  bin  mit  meiner  Sache  we- 
der auf  die  Reichen  noch  auf  die  Wohltätigen  angewie- 


dbyGoogle 


Ben.  Es  wSre  auch  BcfaUmiii,  wenn  es  so  wäre.  Nur  ein 
unabhängiger  Jude  sollte  es  sein. 

Sie  beide  aber  waren  dazu  bestimmt,  meine  ersten  Ge- 
hilfen zu  sein.  Da  ich  Sie  nicht  gleich  haben  kann,  brauche 
ich  auch  den  anderen  nicht. 

Nun  wäre  ich  sofort  an  andere  MSnner  herangetreten, 
wenn  ich,  wie  gesagt,  aus  dem  Inneren  Ihres  Briefes  nicht 
erkannt  hStte,  daß  Sie  dennoch  der  richtige  Helfer  siod. 
Ich  hätte  andere  gefunden ;  und  wenn  nicht,  wäre  ich  eben 
allein  gegangen.  Denn  ich  habe  die  Lösung  der  Juden- 
frage. Ich  weiß,  es  klingt  verrückt;  man  wird  mich  in  der 
ersten  Zeit  noch  oft  für  verrückt  halten,  bis  man  die 
Wahrheit  alles  dessen,  was  ich  sage,  erschüttert  einsieht. 
Ich  habe  die  LOsung  gefunden,  und  sie  gehört  nicht  mehr 
mir.  Sie  gehört  der  Welt. 

Sie  beide,  sage  ich,  wären  meine  ersten  Gehilfen  ge- 
wesen. Richtiger:  zunächst  meine  Boten.  Und  zwar  wäre 
Ihr  erster  gemeinschaftlicher  Gang  zu  Albert  Rothschild 
gewesen,  dem  Sie  meine  Worte  überbracht  hätten,  wobei 
wieder  der  Geistliche  vom  Weltlichen  in  der  Klarl^iing 
der  Dinge  unterstützt  worden  wäre.  Albert  Rothschild 
würde  die  Sache  vor  den  Rat  seiner  Familie  gebracht  ha- 
ben, vor  dem  zu  erscheinen  und  einen  Vortrag  über  die 
Sache  zu  halten  man  mich  gebeten  hätte. 

Sofort  will  ich  einen  bei  Ihnen  aufsteigenden  Irrtum 
hinwegräumen.  Ich  bin  auf  die  Mithilfe  der  Rothschilds 
ebensowenig  angewiesen,wie  auf  die  anderer  reicher  Juden. 
Aber  die  eigentümliche  Anlage  meines  Planes  bringt  es 
mit  sich,  daß  die  Rothschilds  verständigt  werden  müssen. 

Sie  werden,  wenn  Sie  den  Plan  kennen,  einsehen,  warum. 

Ich  kann  Ihnen  heute  nicht  sagen,  worin  er  besteht. 
—  Ich  würde  meinen  Gedanken  verstümmeln,  wenn  ich 
ihn  in  einen  Brief  zwängen  wollte. 


dbyGoogle 


Seit  Wochen  schreibe  ich  vom  frühen  Morgen  hb  in  die 
spSte  Nacht,  um  nur  die  Uauptzüge  festzuhalten.  Es  wäre 
eine  Qual,  wenn  es  nicht  eine  solche  Seligkeit  w3re.  Ich 
bin  der  erste,  den  die  Lösung  beglückt.  Das  ist  mein 
Lohn,  und  soll  mein  ganzer  Lohn  bleiben. 

Wie  habe  ich  das  gefunden?  Ich  weiß  es  nicht.  Wahr- 
scbeinlicb,  weil  ich  immer  darüber  nachgegrübelt  und 
mich  über  den  Antisemitismus  so  unglücklich  gefühlt 
habe.  Auf  dreizehn  Jahre  schätze  ich  die  Zeit,  in  der 
dieser  Gedanke  sich  in  mir  durcharbeitete.  Denn  aus  dem 
Jahre  iSSa,  wo  ich  Dübrings  Buch  las,  stammen  meine 
ersten  Aufzeichnungen.  Jetzt,  wo  alles  in  mir  so  klar 
daliegt,  staune  ich,  wie  nahe  ich  oft  daran  war,  und  wie  ' 
oft  ich  am  Lösenden  vorübergegangen  bin.  Daß  ich  es 
gefunden  habe,  empfinde  ich  als  ein  großes  Glück.  Es 
wird  den  Lebensabend  meiner  Eltern  vergolden  und  die 
dauernde  Ehre  meiner  Nachkommen  sein. 

Ich  will  Ihnen  gestehen,  daß  ich  TrSnen  im  Auge  habe, 
indem  ich  dieses  schreibe;  aber  ich  werde  es  mit  aller 
Hirte  durchführen. 

Noch  glauben  Sie  vielleicht,  daß  ich  schw&rme.  Sie 
werden  anders  denken,  wenn  Sie  alles  kennen.  Denn 
meine  Lösung  ist  eine  streng  wissenschaftliche,  worunter 
Sie  keinen  Kathedersozialismus  und  kein  KongreßgewSsch 
verstehen  sollen. 

Grenug  jetzt  I  Ich  schreibe  die  Rede,  die  ich  hier  vor 
dem  Rothschildschen  Familienrate  halten  wollte,  auf.  Es 
ist  ein  sehr  langer  und  doch  nur  die  Hauptzüge  enthal- 
tender Vortrag. 

In  der  Form  und  mit  der  engen  Schrift  dieses  Blattes 
hat  er  bisher  68  Seiten,  und  ich  bin  noch  lange  nicht 
fertig.  Sie  werden  zum  Verlesen  einige  Stunden  brau- 
chen. Denn  Ihre  erste  Sendung,  lieber  Herr  Doktw,  ist, 


dbyGooglc 


dieso  Rede  Albert  Rothschild  vorzulesen.  Sie  geben  sie 
ihm  nicht  zu  lesen,  Sie  selbst  lesen  sie  ihm  vor. 

Ich  denke,  er  wird  von  vornherein  Achtung  und  Ver- 
trauen genug  zu  Ihnen  haben,  um  Sie  so  lange  anzuhören, 
als  Sie  es  für  nötig  halten.  Sie  werden  ja  übrigens  den 
Vortrag  früher  gelesen  haben  und  ihm  im  voraus  sagen 
können,  vor  welche  Entscheidung  seine  Ftunilie  da  gestellt 
wird. 

Albert  Rothschild  ist,  wie  ich  in  der  Zeitung  lese,  auf 
seinem  Landgut  Gaming-Waidbofen.  Telegraphieren  Sie 
mir,  ob  Sie  bereit  sind,  hinzufahren. 

Da  Sie  nach  Caux  kommen  wollten,  wenn  ich  Ihnen 
angedeutet  hfitte,  um  was  es  sich  bandelt,  werden  Sie  doch 
die  kleine  Reise  nach  Gaming  machen.  Dann  bitte  ich 
Sie,  Albert  Rothschild  zu  schreiben,  wann  er  Sie  ungestört 
empfangen  kann.  Er  muß  sich  einen  ganzen  Tag  voll- 
kommen freihalten.  Er  wird  ebenso  erschättert,  ebenso 
glücklich  sein,  wie  Sie  selbst.  Denn  es  wird  mir  von  ihm 
erzählt,  daß  er  ein  ernster,  guter  Jude  ist.  Er  wird  so- 
fwt  nach  Paris  zu  mir  kommen.  Ich  muß  n&mlich  vor- 
läufig hier  bleiben,  wegen  der  Beratung  mit  allen  Roth- 
schilds. 

Sie  haben  meinen  Brief,  telegraphieren  mir  und  schrei- 
ben ihm  sofort.  Ich  hoffe,  übermorgen  meinen  Vortrag 
beendet  zu  haben.  Dann  brauche  ich  mindestens  drei 
Tage  zur  Reinschrift. 

Der  Vortrag  wird  also  Samstag  von  hier  abgehen  und 
Montag  in  Ihrem  Besitze  sein.  Sie  können  Dienstag  den 
a5.,  oder  Mittwoch  den  a6.  ds.  mit  Rothschild  in  Gaming 
zusammentreffen. 

Alles  andere  enthält  der  Vortrag.  Aber  scbcm  jetzt 
können  Sie  Albert  Rothschild  in  dem  ernsten  Ton,  den 
Sie  gewiß  als  Schriftkundiger  aus  meinem  Brief  heraus- 

134 


dbyGooglc 


fflhleD,  anseigea,  daß  es  sich  um  eine  hochwichtige  Sache 
der  Judenwelt  handelt.  Ich  mache  die  SußersteD  An- 
strengungen, um  rasch  fertig  zu  werden.  Auf  eine  vck'- 
nehm  dilatorische  Behandlung  der  Sache  lasse  ich  mich 
nicht  ein.  Die  Juden  warten. 

Alles  muß  sofort  geschehen  I  Das  ist  mit  ein  Punkt 
meines  Programms. 

Nun  hStte  ich  wohl  den  Zeitverlust  dieses  Briefwechsels 
usw.  ersparen  können,  wenn  ich  mich  hier,  was  mir  ja 
leicht  gewesen  wSre,  hei  einem  oder  dem  anderen  Roth- 
schild einführen  ließ.  Aber  ich  hahe  meine  triftigen 
Gründe,  die  Sie  kennenlernen  werden,  mit  den  Roth- 
schilds in  keine  persönliche  Berührung  lu  kommen,  bevor 
sie  im  Prinzip  zugestimmt  haben.  Und  zwar  werden  sie 
nicht  viel  Zeit  zur  Überlegung  haben. 

Jetzt  grüße  ich  meinen  ersten  Mithelfer  in  vertrauens- 
voller Verehrung. 

Ihr 

Tb.  Herzl. 

Dritter  Brief  an  Güdemann. 

i7.  \l.  1895. 
Hochgeehrter  Herr  Doktor  I 

Heute  schrieb  ich  Ihnen  einen  rekommandierten  Brief. 
Der  konnte  in  Baden  zu  einer  Stunde  ausgetragen  wer- 
den, wo  Sie  aus  sind,  auf  den  Feldern  nach  Soos  zu,  wo 
ich  in  meiner  Jugend  auch  allein  philosophieren  ging, 
oder  über  die  Hauswiese  nach  der  Kramerhütte  hin,  wo 
jetzt  ein  so  lieblicher  FrOhsommer  sein  muß.  Heimkeh- 
rend erfahren  Sie,  daß  ein  „Rekommandierter"  da  war. 


dbyGooglc 


Sie  erwarten  meioen  telegraphisch  angezeigten  Brief  und 
sind  ein  bißchen  ungedatdig;  Doch  nicht  sehr,  Sie  wissen 
ja  noch  nicht.  Sie  gehen  vielleicht  aufs  Postamt  von  Wei- 
kersdorf  oder  gar  nach  Baden.  Ich  weiß  weder,  oh  ich 
Sie  schon  interessiert  habe,  noch  wo  die  rekommandierten 
Briefe  dort  zentralisiert  sind.  Vielleicht  erwarten  Sie 
auch  mit  Ruhe  die  Wiederkehr  des  Postboten.  Oder  Sie 
waren  nicht  fort,  bekamen  auch  den  ersten  Brief  gleich; 
und  nun  kommt  Ihnen  dieser  ilberflüssig,  komisch,  ge- 
schwätzig vor.  — 

Ja,  warum  ich  Ihnen  deswegen  einen  eigenen  Brief 
schreibe? 

Weil  im  Hauptbriefe  —  vorläufig  noch  ohne  nähere 
Angaben  —  der  Satz  steht : 

„Ich  habe  die  Lösung  der  Judenfrage."  Und  ich  sehe 
Ihre  bekümmerte  Miene,  mit  der  Sie  in  Ihren  schönen 
Patriarchenbart  murmeln:  „Komplett  übergeschnappt I 
die  arme  Familie  I" 

Nein,  ich  bin  weder  komplett  noch  teilweise,  ich  hin 
überhaupt  gar  nicht  übergeschnappt. 

Und  darum  schicke  ich  Ihnen  diese  Zeilen  hinterdrein, 
sie  sollen  Ihnen  ein  Zeichen  sein,  daß  ich  immer  die 
wirklichen  Verhältnisse  vor  mir  sehe  und  mit  allem  Klein- 
sten so  genau    wie  mit  allem  Größten  rechne. 

Ach,  ich  werde  ja  auch  in  meinen  höchsten  Ausführun- 
gen hie  und  da  wie  zufällig  einflechten  müssen,  daß  zwei- 
mal zwei  vier,  zweimal  drei  sechs  ist  und  17  X  7  =  1 19- 
Und  daß  ich  ganz  deutlich  weiß,  was  Sie  oder  ein  anderer 
bei  früheren  Zufällen  meines  Lebens  mir  gesagt,  ja  was 
er  sich  über  mich  gedacht  haben  muß.  Damit  man 
siebt,  daß  ich  meinen  Verstand  noch  hübsch  beisammen 
habe. 

Behaglich  ist  die  Aufgabe  nicht,  bei  der  man  ähnliches 

laG 


dbyGooglc 


zu  überwinden  hat  —  aber  mit  Behagen  macht  man  nichts 
Großes. 
Nochmals  die  herzlichsten  Grüße  Ihres  ergebenen 
Th.  Herzl 
37  Rue  Cambon. 
*     *    * 

il.  Juni  1895. 
S . . .  sagt :  das  hat  im  vorigen  Jahrhundert  einer  zu 
machen  versucht.   Sabbathai! 

Ja,  im  vorigen  Jalirhundert  war  es  nicht  möglich.  Jetzt 
ist  es  möglich  —  weil  wir  Maschinen  haben. 


Depesche  an  Doktor  Güdemann,  Baden  bei  Wien. 

,^uß  Sie  bitten,  meinen  gestern  abgegangenen  nicht 
rekommandierten  Brief  uneröffnet  zurückzuschicken. 
Einer  der  beteiligten  Freunde,  dessen  Zustimmung  eben- 
falls vorausgesetzt  worden  war,  erhebt  absoluten  Wider- 
spruch. Müssea  uns  fügen." 

18.  Jani  1895. 

Tuileriengarten : 

Ich  war  vom  Nachdenken  überreizt.  Dikbin  ich  hierher 
gekomcmen,  habe  mich  an  den  Statuen  wieder  gesund  ge- 
sehen. 

Es  steckt  viel  Glück  in  der  Kunst  im  Freien.  Das  grüne 
Rasenbecken,  wo  die  reizenden  LSuf  er  von  Coustou  (1713) 
stehen,  soll  gleich  nachgebildet  werden. 


18.  VI. 
Ebenda  wieder  mit  S...  gewesen.  Erbat  mich  „geheilt". 
—  Ich  akzeptiere  nSmlich  den  negativen  Teil  seiner  Bc- 

137 


dbyGooglc 


merkungen,  „daß  ich  mich  durch  diese  Sache  Ucherlich 
oder  tragisch  mache".  Das  ist  nKmlich  der  Judeospott. 
Den  negativen  Teil  akieptiere  ich  —  dadurch  unter- 
scheide ich  mich  von  Don  Quixote.  Den  positiven  Teil 
(Gerede  von  Sozialismus,  Ohrfeigen  usw.)  lehne  ich  ab  — 
dadurch  unterscheide  ich  mich  von  Sancho  Pansa. 


Vierter  Brief  an  Baron  Hirsch. 

i8.  VI. 
Hochgeehrter  HerrI 

Mein  letzter  Brief  erfordert  einen  Abschluß.  Da  haben 
Sie  ihn:  Ich  hebe  die  Sache  aufgegeben.  Warum?  Mein 
Plan  würde  mehr  an  den  armen  als  an  den  reichen  Juden 
scheitern. 

Sie  haben  mir  das  am  Pfingstsoantag  allerdings  ge- 
sagt. Ich  konnte  Ihnen  aber  nicht  glauben,  denn  Sie  hat- 
ten mich  nicht  ausreden  lassen. 

Aber  neuerlich  habe  ich  meinen  ganzen  Plan  einem 
vernünftigen  Freund  (der  kein  Geldmann  ist)  auseinan- 
dergesetzt. Ich  habe  ihn  windelweich  gemacht,  ihn  in 
TrXnen  gebadet,  seinen  Verstand  überzeugt  und  sein  Herz 
erschüttert. 

Dann  erholte  er  sich  langsam  und  sagte  mir:  „Durch 
diese  Sache  machen  Sie  sich  entweder  lächerlich  oder 
tragisch".  Das  Tragische  würde  mich  nicht  erschrecken. 
Aber  am  L&cherlichen  ginge  nicht  ich,  sondern  die  Sache 
zugrunde.  Mir  würde  man  höchstens  nachsagen,  daß  ich 
ein  Dichter  hin.  Und  darum  gebe  ich  sie  auf. 

Den  Juden  ist  vorlSufig  noch  nicht  zu  helfen.  Wenn 
einer  ihnen  das  Gelobte  Land  zeigte,  würden  sie  ihn  ver- 
höhnen. Denn  sie  sind  verkommen. 

Dennoch  weiß  ich,  wo  es  liegt:  in  unsl   In  unserem 

138 


dbyGooglc 


Kapital,  in  unserer  Arbeit  und  in  der  eigentümlichen  Ver- 
bindung beider,  die  ich  ersonnen  habe.  Aber  wir  müssen 
noch  tiefer  herunterkommen,  noch  mehr  beschimpft,  an- 
gespuckt, verhöhnt,  geprügelt,  geplündert  und  erschla- 
gen werden,  bis  wir  für  diese  Idee  reif  sind. 

Vorläufig  werden  wir  noch  oben  die  affronts  in  der 
Gesellschaft,  in  die  wir  uns  drängen,  in  den  Mittelständen 
den  Druck  in  den  Broterwerben,  und  in  der  unteren 
Schicht  das  furchtbarste  Elend  ertragen  müssen. 

Wir  sind  noch  nicht  verzweifelt  genug.  Darum  würde 
man  den  Retter  auslachen.  Was,  lachen?  nein,  nur  lä- 
cheln :  zum  Lachen  hat  man  nicht  mehr  die  Kraft. 

Da  ist  eine  Wand,  und  das  ist  die  Verkommenheit  der 
Juden.  Jenseits  weiß  ich  die  Freiheit  und  die  Größe. 

leb  kann  aber  die  Mauer  nicht  durchbrechen,  mit  mei- 
nem Kopf  allein  nicht.    Also  geb'  ich 's  auf. 

leb  sage  nur  noch  einmal:  das  einzige  Mittel  ist,. die 
ganze  jüdische  Mittelbank  zu  einer  zweiten  formidablen 
Geldmacht  zusammenraffen,  die  Rothschilds  bekämpfen, 
mitreil^n  oder  niederreißen  —  und  dann  hinüber. 

Wenn  wir  nächstens  oder  fernstens  einmal  zusammen- 
treffen und  Sie  mich  fragen,  wie  das  möglich  ist,  ohne 
Europa  in  die  schauerlichsten  Rörsenkrisen  zu  stürzen, 
ja,  wie  man  gerade  dadurch  den  Antisemitismus  überall 
sofort  zum  Stillstand  bringen  kann  —  werde  ich's  Ihnen 
erklären. 

Die  Sache  ist  für  mich  als  praktische  erledigt.  Theore- 
tisch halte  ich  sie  hoch  und  fest.  Vielleicht  zeige  ich 
damit  auch,  daß  ich  nur  ein  Verkommener  bin.  Ein 
Christ  ginge  für  eine  Idee  von  solcher  Kraft  durch  dick 
und  dünn. 

Was  wollen  Sie?  Ich  möchte  nicht  wie  Don  Quixote 
aussehen. 

139 


dbyGoogle 


Aber  die  kleinea  Lösuitgen:  Ihre  30000  Argentinier 
oder  den  Übertritt  der  Juden  zum  Sozialismus  akzeptiere 
ich  nicht.  Denn  ich  bin  auch  kein  Sancbo  Pansa. 
Sondern  Ihr  hochachtungsvoll  ergebener 

Dr.  Tb.  Herzl. 
«    *     * 

19.  Juni  1895. 
S..  .war  heute  da,  brachte  mirdiere^iu,  dann  rechneten 
wir. 

Es  war  mir  ein  großer  Troat,  daß  ich  schneller  und 
richtig  addierte,  wShrend  er  lange  brauchte  und  immer 
zu  anderen  Fehlern  kam.  So  erschüttert  hat  er  mich 
gestern  1 

*  *    ♦ 

i9.  Vt. 

Aus  der  Seelenqual,  in  die  mich  S . . .  s  verzweifelter 
Widerspruch  versetzt  hat,  fand  ich  einen  Aasweg. 

Ich  wende  mich  an  Bismarck.  Der  ist  groß  genug, 
mich  zu  verstehen  oder  zu  heilen. 

*  *    * 
Brief  an  Bismarck. 

19.  VI.  1895. 
Ew.  Durchlaucht!  (Überall  Durchlaucht  I) 

Vielleicht  hatten  einzelne  meiner  literarischen  Arbeiten 
das  Glück,  von  Ew.  Durchlaucht  bemerkt  zu  werden.  Ich 
denke :  vielleicht  meine  Aufsätze  über  den  franz^^siachen 
Parlamentarismus,  die  im  Feuilleton  der  Neuen  Freien 
Presse  unter  den  Titeln  ,, Wahlbilder  aus  Frankreich" 
und  „Das  Palais  Bourbon"  erschienen  sind. 

Gestützt  auf  diese  fragwürdige  und  geringe  AutoritSt, 
bitte  ich  Ew.  Durchlaucht,  mich  zu  einem  politischen 
Vortrage  zu  empfangen. 

i3o 


dbyGoOglc 


Ich  will  mir  nicht  etwa  auf  diese  Weise  ein  Interview 
erlisten.  Durchlaucht  gewShrten  übrigens  zuweilen  einem 
Journalisten  diese  Gunst,  und  unter  anderen  erfuhr  ja 
auch  ein  Herausgeber  meiner  Zeitung  in  Wien  die  Aus- 
zeichnung, vorgelassen  zu  werden.  Aber  ich  denke  an 
nichts  dergleichen.  Ich  gebe,  wenn  es  gewünscht  wird, 
mein  Ehrenwort,  daß  ich  nichts  von  dieser  Unterredung 
in  Zeitungen  veröffentlichen  werde,  wie  kostbar  sie  auch 
für  meine  Erinnerung  werden  möge. 

Und  worüber  will  ich  den  politischen  Vortrag  halten? 
Über  die  Judenfrage.  Ich  bin  ein  Jude  und  als  solcher  ad 
causam  legitimiert. 

Euer  Durchlaucht  haben  übrigens  schon  einmal  mit 
einem  ebenfalls  mandatlosen  Juden,  der  Lassalle  hiefi, 
über  nicht  reinjüdische  Angelegenheiten  gesprochen. 

Und  was  habe  ich  zur  Judensache  vorzubringen?  Es  ist 
eigentlich  recht  schwer,  das  Wort  auszusprechen.  Denn 
wenn  ich  es  heraussage,  muß  die  erste  Regung  jedes  ver- 
nünftigen Menschen  sein,  mich  aufs  Beobachtungszimmer 
zu  schicken  —  Abteilung  der  Erfinder  von  lenkbaren 
Luftballons. 

Also,  wie  leite  ich  es  ein?  Vielleicht  so:  zweimal  zwei 
ist  vier,  zweimal  drei  ist  sechs,  17  X  7  =  "9,  wenn  ich 
nicht  irre.  An  jeder  Hand  habe  ich  fünf  Finger.  Ich 
schreibe  mit  violetter  Tinte.  Und  jetzt  wage  ich  es  end- 
lich: 

Ich  glaube,  die  Lösung  der  Judenfrage  gefunden  zu 
haben.  Nicht  „eine  Lösung",  sondern  „die"  Lösung,  die 
einzige. 

Das  ist  ein  sehr  umfangreicher,  komplizierter  Plan.  Ich 
habe  ihn,  nachdem  er  fertig  geworden,  hier  zwei  Juden 
mitgeteilt,  einem  sehr  reichen  und  einem  armen;  letzterer 
ist  ein  gebildeter  Mann. 


dbyGoogle 


Ich  will  wahrheitsgemäß  sagen,  daß  der  Reiche  mich 
nicht  für  verrückt  hielt.  Oder  tat  er  nur  aus  Delikatesse, 
als  ob  ich  ihm  noch  gesund  vorkäme?  Genug,  er  ging 
auf  die  theoretische  Möglichkeit  ein  und  meinte  nur 
schließlich:  „Dazu  kriegen  Sie  die  reichen  Juden  nicht, 
die  sind  nichts  wert."  (Ich  flehe  Ew.  Durchlaucht  an, 
dieses  Familiengeheimnis  nicht  zu  verraten.) 

Beim  armen  Juden  aber  war  die  Wirkung  anders.  Er 
schluchzte  bitterlich.  Anfangs  meinte  ich  —  ohne  dar- 
über erstaunt  zu  sein  —  daß  ich  seinen  Verstand  über- 
wfiltigt  und  sein  Herz  erschüttert  habe.  Nein  I  Er  hatte 
nicht  als  Jude  geschluchzt,  sondern  als  Freund.  Er  war  um 
mich  besorgt.  Ich  mußte  ihn  aufrichten,  ihm  schwdren, 
daß  nach  meiner  festen  Überzeugung  zweimal  zwei  noch 
immer  vier  sei,  und  daß  ich  den  Tag  nicht  kommen  sehe, 
an  dem  zwei  parallele  Linien  zusammentreffen  könnten. 

Er  sagte :  ,  j>urch  diese  Sache  machen  Sie  sich  iScher- 
lich  oder  tragisch  I" 

Ich  versprach  ihm  endlich  alles,  was  er  wollte:  daß 
ich  den  Plan  nur  zu  einem  Roman  verwenden  würde,  wo 
der  tragische  oder  komische  Held  nur  auf  dem  Papier 
steht.  Es  gelang  mir  so,  den  gebrochenen  Freund  wieder 
in  die  Höbe  zu  bringen. 

Nun  würde  mich  das  Tragische  wohl  nicht  erschrecken 
und  seihst  die  furchtbare  Lächerlichkeit  nicht.  Aber  wenn 
ich  auch  das  Recht  habe,  für  meine  Idee  —  <^  sie  toll 
oder  gesund  sei  —  meine  Person  einzusetzen,  so  muß  ich 
doch  das  Opfer  auf  meine  Person  begrenzen;  und  wenn 
ich  in  den  Geruch  des  Irrsinns  käme,  wäre  das  nicht 
mehr  der  Fall.  Ich  habe  Eltern  und  eine  Frau,  die  sich 
tief  kränken  würden,  und  Kinder,  denen  es  ihre  ganze 
Zukunft  verderben  könnte,  wenn  man  mich  für  einen 
verrückten  Weltverbesserer  hielte. 

i3a 


dbyGooglc 


In  diesem  Koaflikte  —  dessen  Sittlichkeit,  glaube  ich, 
klar  ist  —  wende  ich  mich  an  Ew.  Dmxhiaucbt.  Lassen 
Sie  sich  meinen  Plan  vortragen!  Im  scblimmsten  Falle 
ist  er  eine  Utopie,  wie  man  von  Thomas  Morus  bis  Bel- 
lamy  deren  genug  geschrieben  bat.  Eine  Utopie  ist  umso 
lustiger,  je  weiter  sie  sich  von  der  vernünftigen  Welt 
entfernt. 

Daß  ich  aber  jedenfalls  eine  neue,  also  unterhaltende 
Utopie  mitbringe,  wage  ich  zu  versprechen.  Diesem  Briefe 
lege  ich  einen  von  mir  in  der  Neuen  Freien  Presse  vor 
swei  Jahren  publizierten  Leitartikel  ütier  die  , .Arbeits- 
hilfe" bei.  Nicht  als  merkwürdige  schriftstellerische  Lei- 
stung schicke  ich  ihn,  sondern  weil  das  Prinzip  der  Ar- 
beitshilfe einer  der  vielen  Pfeiler  ist,  auf  denen  mein 
Gebäude  ruht. 

Ich  wußte,  als  ich  hier  vor  zwei  Jahren  alle  diese  An- 
stalten studierte  und  darüber  schrieb,  nicht,  daß  mir  das 
später  für  die  Lösung  der  Judenfrage  dienen  würde.  Den- 
noch müßte  ich  diesen  Aufsatz  meinem  Vortrage  voraus- 
schicken. Ich  bitte  also,  ihn  vorläufig  zur  Kenntnis  zu 
nehmen.  Es  wird  ja  daraus .  hervorgehen,  daß  ich  kein 
Sozialdemokrat  bin. 

Es  wird  Ew.  Durchlaucht  ein  Leichtes  sein,  in  Ham- 
burg, Berlin  oder  Wien  Erkundigungen  einzuholen,  ob 
ich  bisher  als  vernünftiger  Mensch  galt,  und  ob  man  mich 
könne  ins  Zimmer  kommen  lassen  —  bien  que  fa  n'en~ 
gagerait  paa  l'aoentr.  Aber  wie  ich  mir  den  Fürsten  Bis- 
marck  vorstelle,  brauchen  Sie  gar  keine  Erkundigungen 
mehr,  nachdem  Sie  diesen  Brief  zu  Ende  gelesen  haben. 
Wer  so  in  den  Gesichtern,  in  den  Eingeweiden  der  Men- 
schen liest,  der  versteht  auch  das  Innere  einer  Schrift. 

Ich  kann  mich  wirklich  an  keinen  Geringeren  wenden. 
Soll  ich  zu  einem  Irrenarzt  mit  der  Frage  gehen:  „Sie, 

i33 


dbyGoogle 


offen,  ist  das  noch  das  Raisonnement  eines  zurechnungs- 
fähigen Menschen?"  Um  es  zu  beurteilen,  müßte  er  so- 
ziologische, juristische  und  geschäftliche  Kenntnisse  aller 
Art  haben,  die  ein  Mediziner  selbst  im  Lande  der  sous- 
v4terinaires  nicht  hat. 

Soll  ich  einzelne  Menschen,  Christen  oder  Juden,  fra- 
gen? Bei  der  Umfrage  träte  ja  altmählich  gerade  das 
ein,  was  ich  vermeiden  will. 

Nein,  es  muß  gleich  die  letzte  Instanz  sein.  Nur  der 
Mann,  der  mit  seiner  eisernen  Nadel  das  zerrissene 
Deutschland  so  wunderbar  zusammengenäht  hat,  daß  es 
gar  nicht  mehr  aussieht  wie  geflickt  —  nur  der  ist  groß 
genug,  mir  endgültig  zu  sagen,  ob  mein  Plan  ein  wirklich 
erlösender  Gedanke  ist,  oder  eine  scharfsinnige  Phan- 
tasie. 

Ist  es  ein  Roman,  so  genoß  ich  die  Gunst,  Ew.  Durch- 
laucht  ein  wenig  zerstreuen  zu  dürfen,  und  stillte  dabei 
meine  alte  Sehnsucht,  mit  Ihnen  einen  Augenblick  lang 
zu  verkehren  —  eine  Sehnsucht,  die  ich  ohne  eine  so 
bedeutende  Veranlassung  nie  zu  äußern  gewagt  hätte. 

Ist  es  aber  wahr,  habe  ich  aber  recht,  so  gehört  der 
Tag,  an  dem  ich  nach  Friedrichsruh  komme,  in  die  Ge- 
schichte. Wer  will  es  noch  wagen,  meinen  Plan  einen 
hübschen  Traum  zu  nennen,  nachdem  der  größte  lebende 
Staatskünstler  seinen  Stempel  darauf  gedrückt  hat?  Und 
für  Sie,  Durchlaucht,  ist  es  die  mit  allen  stolzen  Werken 
Ihres  ruhmvollen  Lebens  in  sittlichem,  nationalem  und 
politischem  Einklang  stehende  Beteiligung  an  der  Lösung 
einer  Frage,  die  über  die  Juden  weit  hinaus  Europa  quält. 

Die  Judenfrage  ist  ein  verschlepptes  Stück  Mitlelalter, 
mit  dem  die  Kulturvölker  auf  andere  als  die  von  mir 
geplante  Weise  auch  beim  besten  Willen  nicht  fertig 
werden  können.  Man  hat  es  mit  der  Emanzipation  ver- 

i34 


dbyGooglc 


sucht,  sie  kam  zu  spät.  Es  nützt  nichts,  plötzlich  im 
Reichsgesetzblatt  zu  erklirea:  „Von  morgen  ab  sind  alle 
Menschen  gleich." 

Dergleichen  glauben  nur  die  Politiker  auf  der  Bier- 
bank, und  ihre  höheren  Kollegen,  dieKathederschwttzer, 
die  Klubfaselh&nse.  Und  es  fehlt  den  letzteren  sogar  das 
Beste  jener  minder  gelehrten  Obungen,  n&mlich  das  Bier  I 

HStte  man  die  Juden  nicht  lieber  allmKhlich  zur  Eman- 
zipation aufsteigen  lassen  und  bei  diesem  Aufstieg  sanft 
oder  energisch,  je  nachdem,  assimilieren  sollen?  Viel- 
leicht! Wie?  Man  hätte  sie  durch  die  Mischehe  hindurch- 
sieben können  und  für  einen  christlichen  Nachwuchs  sor- 
gen. Aber  man  mußte  die  Emanzipation  hinter  die  Assi- 
milierung  setzen,  nicht  davor.  Das  war  falsch  gedacht. 
Jedenfalü  ist  es  auch  dafür  zu  sp&t. 

Man  soll  doch  versuchen,  die  gesetzliche  Gleichberech- 
tigung der  Juden  aufzuheben.  (Eine  andere  als  die  ge- 
setzliche existiert  ja  nicht !  Welche  unverstandene  Lehre 
für  die  MSnner  von  der  Bierhank  1)  Was  wSre  die  Folge? 
Sofort  würden  alle  Juden,  nicht  nur  die  Armen  wie  bis- 
her, sondern  auch  die  Beichen  mit  ihren  Mitteln  zum 
Sozialismus  übergehen.  Sie  würden  sich,  wie  ein  Römer 
in  sein  Schwert,  in  ihren  Geldsack  stürzen. 

DrSngen  Sie  die  Juden  gewaltsam  zum  Lande  hinaus, 
und  Sie  haben  die  schwersten  wirtschaftlichen  Erschüt- 
terungen. Ja,  selbst  eine  Bevolution,  ausschließlich  gegen 
die  Juden  gerichtet  —  wenn  so  etwas  denkbar  wäre  — ■ 
brächte  den  unteren  Schichten  auch  beim  Gelingen  keine 
Erleichterung.  Das  bewegliche  Kapital  ist  unfaßbarer  als 
je  geworden.  Es  versinkt  augenblicklich  spurlos  im  Bo- 
den, und  zwar  in  der  Erde  fremder  Länder. 

Ich  will  aber  nicht  von  Dingen  reden,  die  unmöglich, 
zu  spät,  sondern  die  an  der  Zeit  sind.   Höchstens  ist  es 

i35 


dbyGoogle 


noch  2u  früh  —  denn  an  das  Romanhafte  meiner  Ideen 
glaube  ich  nicht,  bevor  ich  es  aus  Ihrem  Munde  höre. 

Ist  mein  Plan  nur  verfrüht,  so  stelle  ich  ihn  der  deut- 
schen Regierung  zur  Verfügung.  Man  wird  ihn  benützen, 
wann  man  es  für  gut  findet. 

Nun  muß  ich,  als  ein  Planmacher,  mit  allen  Eventuali- 
täten rechnen.  Auch  auf  die,  daß  Ew.  Durchlaucht  mir 
gar  nicht  antworten  oder  meinen  Besuch  ablehnen. 

Dann  ist  mein  Plan  ein  Roman.  Denn  klarer,  als  ich 
in  diesem  Briefe  die  Berechtigung  des  Wunsches,  Ew. 
Durchlaucht  meine  Lösung  vorzutragen,  nachgewiesen 
habe  —  klarer  kann  ich  auch  die  Möglichkeit  der  Lösung 
selbst  nicht  nachweisen. 

Dann  bin  ich  auch  beruhigt.  Dann  habe  ich  einfach 
geträumt,  wie  die  Utopisten  vom  Kanzler  Thomas  Morus 
angefangen  bis  Bellamy.  — 

Ich  bitte  Ew.  Durchlaucht,  die  Versicherung  meiner 
tiefen  Ehrfurcht  und  Bewunderung  entgegenzunehmen. 
Dr.  Theodor  HerzI 
Pariser  Korrespondent  der  Neuen  Freien  Presse. 
*     *    * 

20.  Jani  1895. 

Des  Gleichnis  vom  Hut  (eine  Art  „Erzählung  von  den 
drei  Ringen")  oder  Glaube,  Zweifel,  Philosophie,  aufge- 
löst in  dem,  „was  unerklärlich  ist". 

Ich  nehme  meine  Bedeckung  vom  Kopf  und  zeige  sie 
den  Leuten.  Was  ist  das? 

„Ein  chapeaa",  sagt  einer. 

„Nein,  ein  hat",  schreit  der  zweite. 

„Lügel  es  ist  ein  capello",  der  dritte. 

„Dummköpfe,  ein  sombrerot"  der  vierte. 

„Ein  kaUtp",  der  fünfte. 

i36 


dbyGooglc 


„Scbuftel  es  ist  ein  Hut!" 
und  so  bringt  jeder  ein  anderes  Wort  —  es  gibt  unz&h- 
lige;  und  es  sind  erst  nur  die  Generalnamen,  unter  denen 
es  wieder  Gattungen  gibt:  Mütse,  Helm,  Haube  mw. 

Und  die  Leute  sind  gegeneinander  aufgebracht,  weil 
sie  verschiedene  Worte  für  dieselbe  Sache  gebrauchen. 

Ich  gebe  jedem  recht,  und  jeder  hat  recht.  Es  ist  ein 
Hut,  ein  chapeau,  ein  capello.   Ich  sage  es  jedem   in 
seiner  Sprache,  sonst  würde  er  mich  nicht  verstehen. 
Und  ich  will  verstanden  sein  und  werden  —  in  den  Aus- 
drücken mache  ich  die  größten  Konzessionen. 

Ober  Worte  streite  ich  nicht.  Dazu  habe  ich  keine  Zeit. 

Was  wollen  Sie  mit  Ihrem  Glauben  sagen?  Und  Sie 
mit  Ihrem  Zweifel?  Doch  nur,  daß  es  mit  der  Vernunft 
nicht  erkllrbar  ist  I 

Nous  aommes  d'aceord.  Untereinander  könnt  ihr  ha- 
dern —  mit  mir  nicht. 

Ich  sage  ja:  es  ist  auf  dem  Wege  der  Vernunft  uner~ 
klärlicb  I 

Davon  nimmt  jeder,  was  er  will.  Sieht  es  aus,  als  oh 
ich  auswiche?  Gar  nicht. 

Denn  nachdem  ich  mit  jedem  in  seiner  Sprache  ge- 
redet habe,  ergreife  ich  zu  einer  allgemeinen  deutlichen 
Erklärung  das  Wort  und  sage ; 

Ist  dies  ein  Gegenstand,  der  mir  dazu  dient,  meinen 
Kopf  gegen  Luftzüge,  Regen  und  Sonnenschein  zu 
schützen? 

—  Alle  schreien :  ja  1 

Dient  er  mir  dazu,  meine  Freunde  zu  grüßen  und 
nehme  ich  ihn  auch  ab  vor  einer  Fahne? 

—  Ja,  ja! 

Und  ich  kann  scherzend  schließen :  nehme  ich  ihn  auch 
ab,  wenn  ich  in  eine  Gesellschaft  komme?  Aus  Höflich- 

,37 


dbyGoogle 


keit.  Das  heißt,  weil  wir  übereingekommeD  siod,  es  für 
höflich  zu  halten.  Denn  jeder  hat  seinen  Hut  für  sich  und 
soll  die  anderen  nicht  durch  die  verschiedene  Form  Sr- 
gem. 

So  kann  ich  die  Menschen  versöhnen,  indem  ich  ihnen 
den  Sinn  und  Zweck  einer  Sache  erklSre. 

20.  VI. 

Wenn  Bismarck,  gezwungen,  in  seiner  Frankfurter  Zeit 
h&tle  sagen  müssen : 

Ich  will  diese  zu  kleinen  Opfern  unfähigen  LSnder  da- 
durch einigen,  daß  ich  sie  zu  großen  Opfern  zwinge.  Ich 
will  sie  durch  die  blutigsten  Raufereien  untereinander  zu 
Brüdern  machen.  Und  da  ich  sie  im  Lande  nicht  dahin 
bringen  kann,  sich  auf  einen  Kaiser  zu  einigen,  führe  ich 
sie  zum  Lande  hinaus. 

Und  weil  ich  keine  deutsche  Stadt  finden  kann,  in  der 
alle  widerspruchslos  zusammenkamen,  führe  ich  sie  in 
eine  kleine  französische  ProvinzstadI,  wo  früher  einmal 
die  verschollenen  französischen  Könige  ein  Schloß  er- 
richtet  haben. 

Was  hätte  man  dazu  gesagt?  In  den  sechziger,  sieb- 
ziger, achtziger  und  neunziger  Jahren!  Wenn  er  es  näm- 
lich nicht  ausgeführt  hätte  I 

20.  VI. 

Taverne  Royale  beim  Cassoulet. 

Ich  glaube,  wenn  einer  meiner  Bekannten  das  lenkbare 
Luftschiff  erfände,  ich  würde  ihn  ohrfeigen.  Es  wäre 
auch  eine  furchtbare  Beleidigung  für  mich.  Warum  er? 
Warum  nicht  ich?  Ein  Fremder,  ja. 

Bei  Dingen,  die  über  dem  Persönlichen  schweben,  ver- 
letzt ihre  Zugehörigkeit  zu  einer  Person. 


dbyGoogle 


20.  VI. 

Fehler  der  Demokratie: 

Man  hat  nur  die  Nachteile  der  prinzipiellen  Offeatlich- 
keit.  Denn  durch  diese  Öffentlichkeit  geht  der  zum  Re- 
geren nötige  Respekt  verloren.  Alle  Welt  erfährt,  daß 
die  Regierenden  auch  nur  Menschen  sind  —  und  wie  oft 
sind  es  lächerliche,  beschränkte  Menschen.  So  habe  ich 
in  Paris  den  „Respekt"  verloren.  Andererseits  dürfen 
auch  nur  normale  Menschen  regieren.  Die  Monstra,  die 
Ungeheuer  sind  notwendig  fürs  Erschaffen,  aber  schäd- 
lich für  das  Bestehende  —  ob  sie  es  nun  durch  Größeres 
ersetzen  oder  in  den  Wahnsinn  hinausbauen.  So  lassen 
iiönnen  sie  die  Welt  nicht,  wie  sie  sie  vorfanden;  sie 
gingen  selbst  an  sich  zugrunde,  wenn  sie  nicht  etwas  — 
Schlechtes  oder  Gutes,  gleichviel!  —  zerstören  könnten. 

Das  Bestehende,  zu  Erbaltende,  darf  nur  von  mittel- 
mäßigen Menschen  regiert  werden.  Die  Monstra  ver- 
stehen die  Vergangenheit,  erraten  die  Zukunft  —  aber 
die  Gegenwart,  die  den  gesunden  Ungeheuern  auch  voll- 
kommen verständlich  ist,  wollen  sie  eilig  wegräumen. 

Es  drängt  sie  ja,  ihre  Spur  zu  hinterlassen.  Sie  haben 
Angst,  sie  könnten  vorübergehen,  ohne  daß  man  merkt, 
sie  seien  dagewesen. 

Zur  Regierung  aber  braucht  man  mittlere  Menschen, 
weil  die  alle  kleinen  Bedürfnisse  der  Menschen:  Essen, 
Trinken  Schlafen  usw.  verstehen. 

Das  Monstrum  geht  Ober  diese  Bedürfnisse  hinweg  — 
hei  sich  wie  bei  anderen.  Und  hier  finde  ich  das  Unter- 
scheidungszeichen des  gesunden  vom  kranken  Monstrum. 

Das  kranke  Monstrum  geht  über  die  kleinen  Bedürf- 
nisse hinweg,  weil  es  sie  nicht  versteht. 

Das  gesunde  gebt  darüber  hinweg,  obwohl  e»  sie  ver- 
steht! 

*    *    * 


dbyGooglc 


Zudem  ist  die  von  der  Demokratie  gebotene  Offeotlich- 
keit  Dur  eine  falsche,  fiktive.  Hinter  der  Öffentlichkeit 
gehen  doch  Dinge  vor,  die  dann  in  Skandalen  heraus- 
kommen, wie  Panama  und  dergleichen. 

20.  VI. 

Taverne  Royale. 

Nach  meinem  Dejeuner  kamen  die  beiden  Marmoreks 
an  meinen  Tisch  heran.  Ich  brachte  sie  zum  Reden.  Sie 
bestätigten  ahnungslos,  was  ich  wollte.  Der  Architekt 
schilderte  deu  bösen  Zustand  des  Antisemitismus  in  Wien. 
Es  wird  immer  ärger.  Er  meint,  es  sei  eine  Erleichterung, 
daß  jetzt  der  Gemeinderat  suspendiert  ist.  Ich  klärte  ihn 
auf,  was  das  Wesen  einer  solchen  Suspension  sei.  Sie  ist 
die  Unterbrechung  der  Verfassung.  Was  soll  dann  kom- 
men?  Entweder  man  läßt  die  Verfassung  wieder  normal 
laufen  —  dann  kommen  die  volkslümlichea  Antisemiten 
lärmend  wieder.   Und  verstärkt! 

Oder  man  hebt  die  Verfassung  „ganz"  auf.  Das  ge- 
schieht dann  mit  einem  heimlichen  Liebesblick  an  die 
Antisemiten,  und  die  werden  ihn  verstehen  —  im  Not- 
fall wird  man  ihnen  ihn  erklären.  Man  hebt  die  Verfas- 
sung auf,  schmeißt  den  Juden  aus  der  Gleichberechti- 
gung hinaus  —  und  bewilligt  nachher  großmütig  Po- 
stulat-Landlage. 

*     «    « 

Der  Mediziner  Marmorek  sagte :  Es  wird  nichts  übrig- 
bleiben, als  daß  wir  einen  eigenen  Staat  angewiesen  be- 
kommen I  (Das  ist  der  gescheite  Bursche,  der  das  Serum 
sucht  und  den  Streptococcus  tötet.) 

Ich  war  innerlich  erfreut. 

Solche  Stützen  brauche  ich  jetzt.  So  hat  S . . .  mich  mit 
seiner  Aufregung,  seinen  Tränen  demoralisiert. 

i4o 


dbyGooglc 


Jetzt  sehe  ich:  er  ist  unverstfindig,  bei  aller  seioer 
Bravheit  und  Treue.  Aber  ich  bin  S . . .  doch  zu  großem 
Dank  verpflichtet.  Erstens  £fir  seine  unverkennbar  große 
Freundschaft.  Zweitens,  weil  er  mich  vom  ungenügenden 
Güdemann  abgebracht  hat  und  mich  so  zur  Bismarck^ 
Idee  stieß  —  ohne  sein  Vorwissen. 

Bismarck  ist  jetzt  der  Prüf-  und  Eckstein  der  Sache. 

*    *    •  21.  Juni  1895. 

Die  Demokratie  ist  ein  politischer  Unsinn,  der  auch  nur 
von  einer  Menge  in  der  Aufregung  einer  Revolution  be- 
scblossen  werden  kann. 

*  «    « 

22.  Juni  1895. 
Ich  muß  den  Zensus  in  die  Bildung  verlegen.  Aktiv- 
Wahlrecht  kann  so  gestuft  werden:  Lesen  und  Schreiben 
für  Postulat-Abgeordnetenwahl,  höhere  Studien  für  Wahl 
höherer  Abgeordneter  usw.  So  kann  ich  aus  Bildungs- 
graden Vertretungsgrade  machen.  Das  passive  Wahlrecht 
ist  für  die  unlere  immer  nur  auf  der  nächsthöheren  Stufe 
des  aktiven  Wahlrechts. 

*  *    « 

Gemeinde  bestreitet  Ausgaben  aus  direkten  Umlagen 
(Autonomie).  Beschwerdengericht  zum  Schutz  Einzelner 
gegen  Gemeinde. 

Für  die  bei  Landversteigerung  eing^angenen  Ver- 
pflichtungen haftet  Gemeinde  mit  Umlagen. 

*  «    « 

Die  Lehranstalten  wwden  in  die  Provinzst&dte  gelegt  — 

wie  deutsche  Universitäten.  Länger  als  ein  Jahr  darf  man 

bei  einer  Couleur  nicht  aktiv  sein.  Studenten  haben  in 

der  Hauptstadt  nichts  zu  suchen. 

«     *    « 

i4i 


dbyGoogle 


22.  VI, 

Schlafen  disqualifiziert  den  Richter. 

Gewohnheitsmäßige  Grobheit  den  Beamten.  {Acds  de 
mauvaüe  humeur  müssen  wir  bei  Menschen  mit  Nach- 
sicht ansehen.) 

22.  VI. 

Wie  mache  ich  den  Selbstmord  unehrlich?  Leicht  im 
Leben,  beim  Versuch  (Irrenhaus,  somit  Verlust  aller  po- 
litischen und  Privatrechte).  Schwerer  im  Tod.  Das  Be- 
graben auf  abgesondertem  Plati,  nach  erfolgter  Benüt- 
zung des  Kadavers  für  Wissenschaft  —  genügt  nicht.  Es 
muß  auch  Rechtswirkungen  haben.  Die  letztwilligen  Ver- 
fügungen des  Selbstmörders  (soweit  konstatiert  werden 
kann,  daß  er  sie  bereits  im  Hinblick  auf  den  Selbstmord 
getroffen  bat)  werden  als  die  eines  Irrsinnigen  ungültig. 
Seine  Briefe  und  binterlassenen  Schriften  dürfen  nicht 
publiziert  werden. 

Sein  Leichenbegängnis  muß  bei  Nacht  erfolgen. 


22.  VI. 

Man  hört:  Der  ist  über  die  Judenfrage,  jener  durch 
die  jüdische  Ausnutzung,  der  dritte  durch  den  Sozialis- 
mus, der  vierte  durch  Religion,  der  fünfte  durch  Zwei~ 
fei  usw.  verrückt  geworden. 

Nein,  die  waren  schon  verrückt.  Es  hat  sieb  nur  ihr 
unsichtbarer  oder  farblos  wallender  Irrsinn  durch  Mode- 
Strömungen  gefärbt,  wie  man  im  Theater  Dämpfe  rot, 
gelb,  blau  usw.  macht. 

So  eine  coaleur  ä  la  mode  ist  Anarchismus  für  den 
Selbstmord. 

Die  Anarchistenidee  kann  ich  nicht  mehr  einfangen. 
Darum  muß  ich  den  Selbstmord  an  der  Gurgel  packen. 


i4a 


dbyGoogle 


Wer  größer  war:  Napoleon  oder  Bismarck?  Napoleon. 
Aber  seine  Größe  war  unharmonisch.    Napoleon  war 
der  kranke  Übermensch,  Bismarck  ist  der  gesunde. 

*  *    *  22.  VI. 
Nach  Schluß  des  Bismarckbriefes  fällt  mir  ein  Scherz 

ein,  für  die  Interview-PrSzedentien,  den  ich  hätte  machen 
können : 

„Ich  bat  eines  Tages  einen  österreichischen  Diploma- 
ten, mir  ein  Interview  mit  Casimir  Perier  —  en  ce» 
temp$  iloignis  prisideni  de  la  Bipublique  —  zu  ver~ 
schaffen. 

Der  Diplomat  stöhnte :  Es  wird  nicht  möglich  sein.  Es 
gibt  kein  Prfizedens  I 

Dieser  Mann  wäre  in  der  größten  Verlegenheit  gewesen, 
wenn  man  ihn  ersucht  hätte,  das  Schießpulver  zu  erfin- 
den. Es  gab  kein  Präzedens. 

Aber  ich  bitte,  Durchlaucht,  das  nie  einem  österrei- 
chischen Diplomaten  zu  erzählen.  Welchem  immer  Sie 
es  sagen,  haben  Sie  Chance,  daß  er  sich  getroffen  fühlt." 

*  *     *  22.  VI. 
Aber  vnrd  Bismarck  mich  verstehen?    Napoleon  hat 

das  Dampfschiff  nicht  verstanden  und  war  jünger,  also 
Neuem  zugänglicher. 

*  *    « 

22.  VI. 

Ich  habe  übrigens  heute  das  glückliche  Gleichgewicht 
meiner  Seele  wiedererlangt,  das  ich  nach  dem  Schiffsstoß 
verloren  hatte.  — 

Eigentlich  bin  ich  darin,  wie  der  Galopin,  der  den 
Haupttreffer  gemacht  bat,  eine  Stunde  darauf  gleich- 
mütig sagt:  „Tusch!   Was  sind  looooo  Gulden." 


dbyGooglc 


Ein  Erfinder  muß  nicht  notwendig  verrückt  werden. 
Man  wird  es  nur  beim  Suchen  oder  in  der  gewaltig  er- 
schOtternden  OtwrraschuDg,  wenn  man 's  gefunden  bat: 
wenn  das  Alchimistengold  zum  erstenmal  aufblitzt,  die 
Dampfmaschine  eu  gehen  anfängt,  das  Luftschiff  sieb 
plötzlich  lenkbar  zeigt. 

T'rouvaiUe-Erfindungen,  weil  sie  so  sprunghaft  sind  — 
besonders  der  eine  letzte,  entscheidende  Sprung  —  dis- 
ponieren mehr  zum  Verrücktwerden,  ab  systematische. 
Paeteur  wird  nicht  verrückt.  Und  seine  Nachfolger,  die 
ganz  Selbstfittdiges  erfinden,  können  geradezu  Esel  sein. 

Jetzt  glaube  ich  sogar,  daß  mich  die  Ausführung  ruhig 
finden  wird.  Ich  hatte  früher  Angst  davor. 

Nimlich:  wenn  ich  Bismarck  überzeuge.  Überzeuge  ich 
ihn  nicht,  oder  läßt  er  mich  gar  nicht  vor  —  so  war's 
eben  ein  Roman.  Oh,  ein  unsterblicher ! 

Auch  etwas. 

«    ♦     ♦ 

13.  VI. 

Dem  Familienrat:*) 

Ich  möchte  Sie  vor  allem  über  den  eigentümlichen  Cha- 
rakter unseres  Gespräches  aufklären.  Es  schafft  zwischen 
Ihnen  und  mir  einen  dauernden  Zustand.  Ich  muß  nach- 
her für  immer  Ihr  Freund  oder  für  immer  Ihr  Feind 
sein.  Die  Macht  einer  Idee  besteht  darin,  daß  es  vor  ihr 
kein  Entkommen  gibt. 

Sie  werden  sich  denken ;  da  haben  wir  uns  einen  bösen 
Gast  eingeladen. 

Aber  es  hätte  nichts  an  der  Sache  geändert,  wenn  Sie 
mich  nicht  hätten  rufen  lassen.  Ich  hätte  in  diesem  Falle 

•)  Die  hier  folgenden  Notisen,  bis  lum  Schluß  de«  1.  Buches, 
tragen  in  der  von  Herzls  Vater  angefertigten  Alwchrift  den  Titel: 
Rede  an  <Ue  Rothschilds. 

i44 


dbyGoogle 


nur  die  persönlichen  igards  nicht  gehabt,  zu  denen  ich 
mich  jeUt  verpflichtet  fühle. 

Ich  glaubte  nur  allerdings  eu  Anfang,  daß  ich  die  Sache 
nur  gegen  Sie  machen  könne.  Darum  ging  ich  zuerst 
zu  Baron  Hirsch.  Oh!  ich  habe  ihm  nicht  gesagt,  ich 
sei  ein  Gegner  Rothschilds.  Es  ist  nicht  uoraöglich,  daß 
ihn  das  st&rker  verführt  hätte  als  alles  andere.  Aber 
ich  führe  die  Sache  unpersönlich.  Ich  habe  ihm  nur  ge- 
sagt: tout  les  juifs  ont  plus.  Denn  ich  wollte  (folgt  Er- 
zählung). Hirsch  hat  mich  nicht  zu  Ende  kommen  lassen. 

Er  kennt  eigentlich  meinen  Plan  nicht.  Er  sagte  nur 
schließlich:  wir  werden  weitergprechen.  Ich  bin  bereit, 
antwortete  ich  —  aber  warten  werde  ich  auf  Sie  nicht. 
Er  wird  vielleicht  noch  kommen,  wie  viele  andere,  wenn 
mein  Plan  schon  leben  wird.  Denn  man  hat  viele  Freunde, 
wenn  man  sie  nicht  braucht. 

Ich  gehe  also  weiter.  Es  ist  mir  eingefallen:  Haiti  wo- 
her weiß  ich  denn,  daß  ich 's  nicht  mit  den  Rothschilds 
machen  kann?  und  darum  bin  ich  hier.  Es  ist  vorläufig 
de  bonne  politique  und  wird  vielleicht  de  bonne  guerre  sein. 

Jetzt  muß  ich  um  die  Erlaubnis  bitten,  von  Ihrem  Ver- 
mögen zu  sprechen.  Wenn  es  klein  wäre,  wie  meines, 
hätte  ich  kein  Recht  dazu.  Aber  es  ist  durch  seine  Größe 
öffentlich  geworden. 

Ich  weiß  nicht,  ob  es  unterschätzt  oder  überschätzt 
wird.  Bei  diesem  Umfang  eines  Vermögens  kommt  es 
überhaupt  nicht  mehr  auf  das  an,  was  tatsächlich  in  Gold, 
Silber,  Wertpapieren,  Häusern,  Gütern,  Fabriken,  Unier- 
nehmungen  aller  Art  sichtbar  und  greifbar  ist.  Auf  die 
materielle  Fundierung  kommt  es  nicht  mehr  an,  bei  Ihnen 
noch  viel  weniger  als  bei  einer  Staatsbank.  Denn  wenn 
die  Bank  mit  zwei  Dritteilen,  der  Hälfte,  ja  mit  einem 
Drittel  decken  kann,  so  genügt  bei  Ihnen  vielleicht  ein 

■o     Herais  Tacebikiber  I.  I&S 


dbyGoOglc 


Zehntel  oder  aoch  weniger.  Ihr  Kredit  ist  enorm,  mon- 
strös. Ihr  Kredit  betrfigt  viele  Milliarden.  Ich  sage  nicht 
xebn,  Ewanzig  oder  fünfzig  Milliarden.  Eis  handelt  sich 
da  schon  um  Unübersehbares,  was  man  in  Ziffern  nicht 
ausdrückt. 

Und  darin  ist  die  Gefahrl 

Gefahr  für  Sie,  wie  für  die  LSnder,  in  denen  Sie  etab- 
liert sind,  ja  für  die  ganze  Welt. 

Ihr  Vermögen  —  und  ich  begreife  darunter  Fundie- 
rung  mit  Kredit  zusammen  —  gleicht  einem  Turm.  Die- 
ser Turm  wächst  weiter;  Sie  bauen  weiter,  Sie  müssen 
weiter  bauen  —  und  das  ist  das  Unheimliche  daran;  und 
weil  Sie  die  Naturgesetze  nicht  indem  können,  weil 
Sie  den  Naturgesetzen  unterworfen  bleiben,  muß  der 
Turm  eines  Tages  zusammenbrechen,  entweder  in  sich 
selbst,  wobei  alles  Umgebende  zerstört  wird,  oder  er  wird 
gewaltsam  demoliert.  Jedenfalls  eine  ungeheure  Er- 
schütterung, eine  Weltkrise. 

Ich  bringe  Ihnen  die  Rettung.  Nicht  etwa,  indem  ich 
den  Turm  abtrage,  sondern  indem  ich  ihm  breitere,  für 
die  Dauer  berechnete  Grundlagen  gebe,  und  indem  ich 
ihn  harmonisch  abschließe.  Denn  ein  Turm  muß  ein 
Ende  haben.  Ich  will  aber  auf  die  Spitze  ein  Licht  setzen, 
das  weithin  gISnzt.  Ich  mache  daraus  den  höchsten  und 
sichersten  Turm,  einen  Eiffelturm  mit  einer  herrlichen 
elektrischen  Laterne. 

Selbstverständlich  war  ich  nicht  darauf  aus,  mich  um 
Ihre  Interessen  zu  kümmern.  Ihre  Privatsachen  gehen 
mich  nichts  an.  Ich  will  mit  Ihnen  kein  Geschäft  machen, 
ich  stehe  nicht  in  Ihrem  Dienst  und  werde  nie  in  Ihrem 
Dienste  stehen. 

Aber  ich  will  mich  in  den  Dienst  aller  Juden  stellen. 

Jedermann,  besonders  jeder  Jude,  ist  ja  berechtigt,  sich 

i46 


dbyGooglc 


der  bedrohteD  Sache  der  Judeo  antunehmeD;  vorausge- 
setzt, daß  er  es  ab  redlicher  Mann  nach  bestem  Willen  und 
Gewissen  tut.  Die  Zukunft  wird  ihm  dann  entweder  die 
Gutheißung  seiner  Handlungen,  oder  die  Verurteilung 
wegen  angerichteten  Schadens  bringen. 

Eine  Besserung  ist  aus  den  angegebenen  zwingenden 
Gründen  ausgeschlossen.  Wenn  mich  jemand  fragt,  wo- 
her ich  das  weiß,  so  werde  ich  ihm  sagen,  daß  ich  auch 
weiß,  wo  ein  Stein  endlich  ankommt,  der  ober  eine  schiefe 
E^ne  rollt;  nämlich  ganz  unten.  Nur  Unwissende  oder 
Irrsinnige  rechnen  nicht  mit  den  Naturgesetzen. 

Wir  müssen  also  schließlich  unten  ankommen,  ganz 
unten.  Wie  das  aussehen  wird,  welche  Formen  man  ihm 
geben  wird,  das  kann  ich  nicht  ahnen.  Wird  es  eine  re- 
volutionSre  Expropriation  von  unten,  wird  es  eine  reak- 
tionäre Konfiskation  von  oben  sein?  Wird  man  uns  ver~ 
jagen?  Wird  man  uns  erschlagen? 

Ich  vermute  ungefähr,  daß  es  alle  diese  und  noch  an- 
dere Formen  haben  wird.  In  dem  einen  Land,  wahr- 
scheinlich in  Frankreich,  wird  die  soziale  Revolution 
konuien,  deren  erste  Opfer  die  Hochbank  und  die  Juden 
sein  müssen. 

Wer  als  unbefangener  und  einsamer  Beobachter,  wie 
ich,  ein  paar  Jahre  in  diesem  Lande  gelebt  hat,  für  den 
ist  kein  Zweifel  mehr  möglich. 

In  Rußland  wird  man  einfach  von  oben  herab  konfis- 
zieren. In  Deutschland  wird  man  Ausnahmegesetze  ma- 
chen, sobald  der  Kaiser  mit  dem  Reichstag  nicht  mehr 
wirtschaften  kann.  In  Osterreich  wird  man  sich  vom 
Wiener  Pöbel  einschüchtern  lassen  und  die  Juden  aus- 
liefern. In  Osterreich  kann  nämlich  die  Gasse  alles  durch- 
setzen, wenn  sie  aufbegehrt.  Nur  weiß  es  die  Gasse  noch 
nicht.  Die  Führer  werden  es  ihr  schon  beibringen. 


dbyGooglc 


So  wird  man  uns  aus  diesen  L&adern  verjagen  und  in 
deu  anderen,  in  die  wir  uns  flOchten,  ersdilagen. 

Gibt  es  denn  keine  Rettung? 

Doch,  meine  Herren,  es  gibt  eiue,  die  schon  einmal  da 
war.  Es  gilt,  eine  sehr  alte,  sehr  berühmte,  sehr  bewShrte 
Sache  zu  wiederholen.  Aber  in  anderen,  modernen,  fei- 
neren Formen.  Alle  Mittel  der  Gegenwart  sind  für  diesen 
einfachen,  leicht  verstSndlichea  Zweck  zu  verwenden. 

Diese  einfache  alte  Sache  ist  der  Auszug  aus  Mizraim. 

Ich  habe  absichtlich  den  kurzen  kritischen  Teil  voraus- 
geschickt, obwohl  Ihnen  alles  davon  bekannt  war,  und 
auf  die  Gefahr,  Sie  tu  ermüden.  Ich  wollte  Ihnen  näm- 
lich vor  allem  die  Meinung  beibringen,  daß  ich  nach  den- 
selben Regeln  der  Vernunft  raisonniere,  nach  denen  auch 
Sie  raisonnieren.  Daß  ich  die  Dinge  mit  ebenso  ruhigem 
Auge  ansehe,  wie  Sie  selbst.  Ich  habe  vielleicht  einige 
Gefahren  und  Verwicklungen  sehr  scharf  angedeutet,  mit 
denen  Sie  sich  nicht  oft  oder  aicht  gern  beschäftigen. 
Aber  jedenfalls  war  alles  wahr,  einfach  und  vernünftig. 

Halten  Sie  mich  also  für  keinen  Phantasten.  Ich  werde 
übrigens  zunächst  das  Geschäftliche  entwickeln,  wobei 
Sie  ja  genau  beobachten  können,  ob  ich  irre  rede  oder 
nicht. 

Für  die  einzig  mögliche  endgültig  und  glückliche  Lö- 
sung der  Judenfrage  ist  eine  Milliarde  Francs  erforder- 
lich. Diese  Milliarde  wird  in  zwanzig  Jahren  drei  Mil- 
liarden wert  sein;  ganz  genau  drei  Milliarden,  wie  Sie 
später  sehen  werden. 

Aber  bevcv  ich  Ihnen  den  Plan  auseinandersetze,  will 
ich  Ihnen  in  zwei  Sätzen  das  Grundprinzip  sagen,  auf  dem 
er  steht.  So  werden  Sie  alles  leichter  hegreifen.  — 

I .  Wir  lösen  die  Judenfrage,  indem  wir  das  Vermögen 
der  reichen  Juden  bergen,  reap.  liquidieren. 

i48 


dbyGooglc 


3.  Wenn  wir  das  nicht  mit  den  reichen  Judea  machen 
können,  so  machen  wir  es  gegen  sie. 

Das  ist  keine  Drohung.  Wir  bitten  ebensowenig,  «rie  wir 
drohen.  Sie  werden  das  im  weiteren  Verlauf  verstehen. 

Folgendes  ist  der  Plan: 

Sobald  die  Society  of  Jews  konstituiert  ist,  berufen 
wir  eine  Anzahl  jüdischer  Geographen  zur  Konferenz 
ein  und  stellen  mit  Hilfe  dieser  Gelehrten,  die  uns  als 
Juden  treu  ergeben  sind,  fest,  wohin  wir  auswandern. 
Denn  ich  will  Ihnen  jetzt  vom  „Gelobten  Lande"  alles 
sagen;  nur  nicht,  wo  es  liegt.  Das  bt  eine  rein  wissen- 
schaftliche Frage.  Es  muß  auf  geologische,  klimatische, 
kurz  auf  natürliche  Verhältnisse  aller  Art  mit  voller  Um- 
sicht, unter  Berücksichtigung  der  neuesten  Forschungen, 
geachtet  werden. 

Sind  wir  darüber  einig,  welcher  Weltteil  und  welches 
Land  in  Betracht  kommt,  so  beginnen  mit  Sußerster  Be- 
hutsamkeit die  diplomatischen  Schritte.  Um  nicht  mit 
ganz  unbestimmten  Begriffen  zu  operieren,  nehme  ich 
Argentinien  als  Beispiel.  Ich  dachte  eine  Zeitlang  an  Pa- 
lästina. Dieses  würde  sich  empfehlen,  weil  es  der  unver- 
gessene Stammsitz  unseres  Volkes  war,  weil  der  Name 
allein  schon  ein  Programm  wäre  und  weil  es  die  unteren 
Massen  stark  anziehen  könnte.  Aber  die  meisten  Juden 
sind  keine  Orientalen  mehr,  haben  sich  an  ganz  andere 
Himmelsstriche  gewöhnt,  und  mein  späterhin  folgendes 
System  der  Verpflanzung  wäre  dort  schwer  durchzufüh- 
ren. Auch  ist  Europa  noch  zu  nahe,  und  im  ersten  Vier- 
teljahrhundert unseres  Bestandes  müssen  wir  für  unser 
Gedeihen  von  Europa  und  von  dessen  Kriegs-  und  so- 
zialen Verwicklungen  Ruhe  haben. 

Ich  bin  aber  im  Prinzipe  weder  gegen  Palästina,  noch 
für  Argentinien.    Wir    müssen    nur    ein    echeloniertes 

i49 


dbyGooglc 


Klima  für  die  an  kfiltere  oder  wfirmere  Striche  gewöhnten 
Juden  haben.  Wir  müssen  wegen  unseres  künftigen 
Welthandels  am  Meere  liegen,  und  müssen  für  unsere  ma- 
schinenmäßige Landwirtschaft  im  großen  weite  Flächen 
zur  Verfügung  haben.  Die  Gelehrten  haben  das  Wort 
zu  unserer  Beratung.  Den  Beschluß  wird  der  Verwal- 
tungsrat fassen. 

Schon  hier  kann  gesagt  werden,  daß  wir  vermöge  der 
technischen  Fortschritte  viel  glQckUcher  ein  Land  neh- 
men, Städte  anlegen  und  Kulturen  stiften  können,  als 
dies  im  Altertum,  ja  noch  vor  hundert  Jahren  möglich 
war.  Durch  die  Bahnen  sind  wir  vom  Lauf  der  Ströme 
unabhängig,  dank  der  Elektrizität  können  wir  uns  im 
Gebirge  festsetzen.  Die  Fabriksorte  werden  wir  von  vorn- 
herein ins  Gebirge  legen,  wo  billige  Wasserkraft  vorhan- 
den ist,  die  Ansammlung  von  Arbeitermassen  unmöglich 
wird,  und  die  arbeitende  Bevölkerung  in  besserer  Luft 
glücklicher  leben  und  gedeihen  kann.  Auch  bereiten  wir 
uns  so  auf  die  offenbar  kommende  Entwicklung  vor, 
welche  die  Naturkräfte  für  das  Kleingewerbe  zerteilen 
und  dem  Einzelnen  zuleiten  wird. 

Sobald  das  zu  nehmende  Land  bestimmt  ist,  schicken 
wir  vertraute  und  geschickte  Unterhändler  aus,  um  mit 
der  jetzigen  Landeshoheit  und  den  Nachbarstaaten  über 
Aufnahme,  Durchzug,  Garantien  für  innere  und  äußere 
Ruhe,  Verträge  abzuschließen. 

Ich  nehme  an,  daß  wir  nach  Argentinien  gehen.  So 
werden  wir  mit  den  südamerikanischen  Republiken  ver- 
handeln. 

Ich  will  Ihnen  nun  die  Grundzüge  unserer  Politik  sa- 
gen. Es  muß  das  Ziel  sein,  daß  wir  das  besetzte  Land 
sofort  nach  unserer  Staatserklirung  als  ein  unabhängiges 
erwerben.  Darum  werden  wir  wohl  dem  Aufnahmestaat 

i5o 


dbvGooglc 


Geldvorteile  gewähreo,  die  jedoch  nicht  die  Form  eines 
Tributs  haben  dürfen.  Der  Tribut  w&re  mit  unserer  spä- 
teren Würde  unvereinbar.  Die  nachherige  Einstellung 
kdnnte  uns  in  einen  unnötigen  Krieg  verwickeln.  Jeden- 
falls würde  es  unserem  guten  Ruf  in  der  Welt  schaden. 
Wir  wollen  aber  rechtlich  vorgehen  und  mit  allen  gute 
Nachbarschaft  halten,  wenn  man  uns  in  Ruhe  läßt. 

Die  Geldvorteile,  die  wir  den  Südamerikanern  zuwen- 
den, brauchen  selbstverstfindlich  nicht  in  barer  Zahlung 
zu  besteben.  Schon  für  die  Vermittlung  von  Anleihen 
XU  günstigen  Bedingungen  wären  sie  dankbar  und  zu  gro- 
ßen Zugeständnissen  geneigt.  Auch  wäre  die  Anlage  eben 
dadurch  eine  gute,  weil  wir  Ströme  von  Reichtum  nach 
Südamerika  fainüberleiten.  Denn  die  Nachbarstaaten  wer- 
den, von  den  unmittelbaren  Vorteilen  abgesehen,  auch 
ungeheure  indirekte  haben.  Eine  beispiellose  Verkehrs- 
Fruchtbarkeit  kommt  durch  uns  und  mit  uns  nach  Süd- 
amerika. Die  Länder,  die  um  das  unserige  herumliegen, 
müssen  notwendig  reich  werden.  Selbstverständlich  wird 
ihnen  das  bei  den  Unterhandlungen  gehörig  erklärt. 

Während  wir  nun  drüben  diese  diplomatischen  Bezie* 
hungen  anspinnen,  haben  wir  in  Europa  andere  Aufgaben. 
Vieles,  was  ich  hier  nacheinander  anführe,  wird  ja  gleich- 
zeitig geschehen. 

Die  Society  of  Jews  beginnt  damit,  daß  sie  mit  den 
Regierungen  Entlassungsverträge  schließt.  Ausdrückli- 
cher Entlassungsvertrag  wird  es  ja  nur  mit  Rußland  sein. 
In  den  anderen  Ländern,  die  in  Betracht  kommen,  besteht 
gesetzlich  die  Freizügigkeit.  Aber  wir  wollen  überall 
Hand  in  Hand  mit  den  Regierungen  gehen.  Wir  wollen 
und  werden  ab  gute  Freunde  scheiden.  Große  Dinge 
macht  man  nicht  mit  Haß  und  Rachsucht,  sondern  nur 
mit  überlegener  Freundlichkeit. 

i5i 


dbyGoogle 


Rußland  wird  unsere  Leute  zweifeltos  fortziehen  lassen. 
Man  gestattet  dem  Baron  Hirsch,  selbst  MilitSrpfUchtige 
anzuwerben;  allerdings  werden  sie,  wenn  sie  zurückkom- 
men, als  Deserteure  behandelt.  Das  kann  uns  nur  recht 
sein.  Man  wird  uns  doch  mindestens  dieselben  Zugeständ- 
nisse machen.  Wir  nehmen  ja  nicht  nur  junge,  kräftige 
Leute,  sondern  auch  alte.  Kranke,  Frauen  und  Kinder 
(was  ich  mit  diesen  Kategorien  anfange,  folgt  später). 

Nun  kann  und  wird  auch  vielleicht  der  Augenblick 
kommen,  wo  die  russische  Regierung  den  Abfluß  so  vieler 
Menschen  mit  Unbehagen  anzusehen  beginnt.  Da  wird 
wieder  Ihre  Kreditpolitik  helfen  müssen.  Wie  oft  in  der 
letzten  Zeit  haben  Sie  Rußland  Ihre  Geidkraft  zur  Ver- 
fügung gestellt I  Und  ich  bitte  Sie:  wofür?  Bedenken 
Sie  doch,  welche  ungenützte  politische  Kräfte  in  Ihrer 
Kreditgewährung  schlummern.  Kurz,  bei  zielbewußtem 
Vorgehen  wird  es  ein  leichtes  sein,  die  russische  Regie- 
rung bei  guter  Laune  zu  erhalten,  bis  unser  letzter  Mann 
draußen  ist. 

Die  EntlassungsvertrSge  nehmen  in  anderen  Ländern 
eine  andere  Gestalt  an.  Mit  der  Freizügigkeit  der  Per- 
sonen allein  ist  ja  nicht  gedient.  Wir  werden  freilich 
auch  hier  bemüht  sein  müssen,  uns  den  Abzug  der  mili- 
tärpflichtigen Männer  gewähren  zu  lassen  und  zwar 
unter  denselben  harten  Bedingungen  wie  in  Rußland.  In 
Deutschland  hat  man  die  Juden  ohnehin  nicht  gern  im 
Heer;  und  die  Leute,  welche  die  Juden  aus  der  Armee 
entfernen  wollen,  haben  von  ihrem  Standpunkt  aus  si- 
cherlich recht. 

Wie  steht  es  nun  aber  mit  der  Freizügigkeit  der  Sa- 
chen? Das  bewegliche  Vermögen  ist  in  seinen  heutigen 
Formen  leichter  als  je  wegzuschaffen.  Aber  das  unbe- 
wegliche? 

l53 


dbyGooglc 


Anfangs,  bevor  unsere  Bewegung  allgemein  wird,  ha- 
l>en  es  ja  die  ersten  Juden,  die  mit  uns  gehen,  leicht, 
ihre  InmiobilieQ  zu  verSußern.  Nur  werden  allmählich 
verschiedene  Unzukömmlichkeiten  eintreten.  ZunSchst 
werden  diese  Abzügler  einander  die  Preise  drücken.  Ohne 
unsere  Hilfe  würden  in  den  vom  Abzug  der  Juden  be- 
troffenen Lindern  allerlei  Geschfiftskrisen  eintreten,  de- 
ren Form  und  Umfang  sich  gar  nicht  berechnen  ließe. 
Endlich  würde  die  Bevölkerung  stutzig  und  erbost  wer- 
den, die  noch  übriggebliebenen  Juden  verantwortlich  ma- 
chen. Man  würde  vielleicht  zu  gesetzlichen,  jedenfalls  zu 
administrativen  Schikanen  greifen. 

Es  kann  den  Juden,  die  nicht  mit  uns  gehen,  übel  be- 
kommen. Wir  könnten  sie  ja  ihrem  Schicksal  überlassen, 
da  sie  zu  feig  oder  zu  schlecht  waren,  sich  uns  anzuschlie- 
ßen. 

Aber  was  wir  vorhaben,  ist  ein  Werk  der  Gerechtigkeit 
und  Nächstenliebe.  Wir  wollen  Erbarmen  haben  selbst 
mit  den  Erbärmlichen.  Wir  bringen  ja  die  Lösung!  Und 
eine  Lösung  ist  nur,  was  alle  befriedigt. 

Jetzt,  meine  Herren,  kommen  wir  zu  einun  geschäft- 
lichen Knotenpunkte  des  Planes. 

Daß  die  Society  uns  zu  unserem  Staate  hinfiberleiten 
wird,  ahnen  Sie  bereits.  Aber  davon  sind  wir  noch  weit 
entfernt. 

(Das  ist  der  Platz,  eine  Einschaltung  zu  machen;  denn 
wie  gesagt,  viele  Tätigkeiten,  die  ich  da  hintereinander 
schildere,  werden  in  Wirklichkeit  gleichzeitig  vorgenom- 
men werden.) 

Wir  ließen  unsere  diplomatischen  Unterhändler  in 
Südamerika,  wo  sie  mit  den  Staaten  Landnahme- Verträge 
schlössen.  Die  Verträge  sind  nun  fertig.  Das  zu  neh- 
mende Land  ist  uns  gesichert. 

i53 


dbyGoogle 


Daß  diese  Operation  rechtlich  ist,  kann  nicht  bezwei- 
felt werden.  Aber  sie  ist  nicht  delikat.  Wir  wissen  von 
der  Wertsteigerung,  die  der  Verkäufer  nicht  ahnt.  Darum 
werden  wir  ihm  nach  perfektem  Kauf  die  Option  geben, 
zwischen  Barzahlung  und  Entschfidigung  in  Aktien  zum 
Nominalwert.  Hält  er  das  Ganze  für  eine  Schwindelei  — 
tont  pü  pour  lui.  Jedenfalls  haben  wir  uns  nichts  mehr 
vorzuwerfen. 

Für  Baumaterial  haben  unsere  Geologen  gesorgt,  als 
sie  uns  die  Plätze  für  unsere  Städte  suchten. 

Das  Bauprinzip  wird  nun  sein,  daß  wir  die  Arbeiter- 
wohnungen (und  ich  begreife  darunter  die  Wohnungen 
aller  Handarbeiter)  in  eigener  Regie  herstellen.  Ich  denke 
keineswegs  an  die  traurigen  Arbeiterkasernen  der  euro- 
päischen Städte  und  auch  nicht  an  die  kümmerlichen 
Hütten,  die  um  Fabriken  herum  in  Reih  und  Glied  stehen. 
Unsere  Arbeiterhäuser  müssen  zwar  auch  einförmig  aus- 
sehen —  weil  wir  nur  billig  bauen  können,  wenn  wir  die 
Bauhestandteile  in  großen  Massen  gleichmäßig  herstel- 
len —  aber  diese  einzelnen  Häuser  mit  ihren  Gärtchen 
sollen  an  jedem  Ort  zu  schönen  Gesamtkörpern  vereinigt 
werden. 

Der  Normal-Arbeitstag  ist  der  Siebenstundentag;  das 
heißt  nicht,  daß  täglich  nur  sieben  Stunden  lang  Bäume 
gefällt,  Erde  gegraben,  Steine  geführt,  kurz  die  hundert 
Arbeiten  getan  werden  sollen.  Nein,  man  wird  vierzehn 
Stunden  arbeiten.  Aber  die  Arbeitergruppen  werden 
einander  nach  je  dreieinhalb  Stunden  ablösen.  Die  Or- 
ganisation wird  ganz  militärisch  sein,  mit  Chargen,  Avan- 
cement und  Pensionierung.  Wo  ich  die  Pensionen  her- 
nehme, werden  Sie  später  hören. 

Dreieinhalb  Stunden  hindurch  kann  ein  gesunder  Mann 
sehr  viel  konzentrierte  Arbeit  beigeben.  Nach  dreieinhalb 

i5& 


dbyGooglc 


Stunden  Pause  —  die  er  seiner  Rübe,  seiner  Familie,  sei- 
ner geleiteten  Fortbildung  widmet  —  ist  er  wieder  ganz 
frisch.    Solche  Arbeitskräfte   können  Wunder   wirken. 

Den  Siebenstundentag!  Ich  wfihle  die  Siebenzahl,  weil 
sie  mit  alten  Vorstellungen  des  Judenvolkes  zusammen- 
hingt und  weil  sie  vierzehn  allgemeine  Arbeitsstunden  — 
mehr  geht  in  den  Tag  nicht  hinein  —  ermöglicht.  Ich 
habe  zudem  die  Oberzeugung,  daß  der  Siebenstundentag 
vollkommen  durchführbar  ist  (Jules  Guesde  spricht  von 
fünf  Stunden).  Die  Society  wird  Ja  darin  reiche  neue 
Erfahrungen  sammeln  —  die  den  übrigen  Völkern  der 
Erde  auch  zugute  kommen  werden. 

(Auch  für  Witwen  ist  durch  mein  etwas  kompliziertes 
Wohltfitigkeitssystem  gesorgt.) 

Die  Kinder  erziehen  wir  gleich  von  Anfang  an,  wie  wir 
sie  brauchen.  Darauf  gehe  ich  jetzt  nicht  ein. 

Die  Assislance  par  le  Waoail: 

Diese  Assistance  besteht  darin,  daß  man  jedem  Be- 
dürftigen unskiUed  labour  gibt,  eine  leichte  ungelernte 
Arbeit,  wie  z.  B.  Holzverkleinern,  die  Erzeugung  der 
„margotins",  mit  denen  in  Pariser  Haushaltungen  das 
Herdfeuer  angemacht  wird.  Es  ist  eine  Art  Gefangen- 
bausarbeit vor  dem  Verbrechen,  d.  h.  ohne  Ehrlosigkeit. 

Niemand  braucht  mehr  aus  Not  zum  Verbrechen  zu 
schreiten,  wenn  er  arbeiten  will.  Aus  Hunger  dürfen 
keine  Selbstmorde  mehr  begangen  werden.  Diese  sind 
ja  ohnehin  eine  der  ärgsten  Schandmale  einer  Kultur, 
wo  vom  Tisch  der  Reichen  Leckerbissen  den  Hunden  hin- 
geworfen werden. 

Die  Arbeitshilfe  gibt  also  jedem  Arbeit.  Hat  sie  denn 
für  die  Produkte  Absatz?  Nein,  wenigstens  nicht  ge- . 
nügenden.  Hier  ist  der  Mangel  der  bestehenden  Kon- 
struktion. 

i55 


dbyGoogle 


Diese  Assistance  arbeitet  immer  mit  Verlust.  Allerdings 
ist  sie  auf  den  Verlust  gefaßt.  Es  ist  ja  eine  WohlUtig- 
Iceitsanstalt.  Die  Spende  stellt  sich  hier  dar  als  die  Dif- 
ferenz zwischen  Gestehungskosten  und  erlöstem  Preis. 
Statt  dem  Bettler  zwei  Sous  zu  geben,  gibt  sie  ihm  eine 
Arbeit,  an  der  sie  zwei  Sous  verliert. 

Der  Bettler  aber,  der  zum  edlen  Arbeiter  geworden  ist, 
verdient  i  Franc  9o  Centimes.  Für  lo  Centimes  i5oI 
Verstehen  Sie,  was  das  beißt?  Das  beißt,  aus  einer  Mil- 
liarde fünfzehn  Milliarden  machen  1  Die  Assistance  ver- 
liert freilich  die  zehn  Centimes.  Sie  werden  die  Milliarde 
nicht  verlieren,  sondern  verdreifachen. 

Das  wird  alles  nach  einem  großen,  von  Anfang  an  fest- 
stehenden Plane  geschehen. 

Ich  habe  die  Hauptkette  dieser  Auseinandersetzung 
beim  Bau  in  eigener  Regie  der  Arbeiterwohnungen  ver- 
lassen. 

Nun  kehre  ich  zurück  zu  anderen  Kategorien  von  Heim- 
stätten. Wir  werden  auch  den  Kleinbürgern  Hfiuser  durch 
die  Architekten  der  Society  bauen  lassen,  entweder  als 
Tauschobjekte  oder  für  Geld.  Wir  werden  etwa  hundert 
Häusertypen  von  unseren  Architekten  anfertigen  lassen 
und  vervielfältigen.  Diese  hübschen  Muster  werden  zu- 
gleich einen  Teil  unserer  Propaganda  bilden.  Jedes  Haus 
hat  seinen  festen  Preis;  die  Güte  der  Ausführung  ist  von 
der  Society  garantiert,  die  am  Häuserbau  nichts  verdie- 
nen will.  Ja,  wo  werden  die  Häuser  stehen?  Das  werde 
ich  hei  den  Ortsgruppen  und  beim  Landnahmeschiff  zei- 
gen. 

Da  wir  nun  an  den  Bauarbeiten  nichts  verdienen  wol- 
len und  nur  am  Grund  und  Boden,  so  wird  es  uns  nur 
erwünscht  sein,  wenn  recht  viele  freie  Architekten  im 
Privatauftrag  hauen.  Dadurch  wird  unser  übriger  Land- 

i56 


dbyGooglc 


besitz  mehr  wert,  dadurch  kommt  Luxus  ins  Land,  und 
den  Luxus  brauchen  wir  für  verschiedene  Zwecke,  na- 
mentlich für  die  Kunst,  für  Industrien,  und  endlich  für 
den  Verfall  der  großen  Vermögen. 

Ja,  die  reichen  Juden,  die  jetzt  ihre  Schätze  ängstlich 
verbergen  müssen  und  bei  herabgetassenea  Vorhängen 
ihre  unbehaglichen  Feste  geben,  werden  drüben  frei  ge- 
nießen dürfen. 

Wenn  unsere  Auswanderung  mit  Ihrer  Mitwirkung 
lustande  kommt,  wird  das  Kapital  bei  uns  drüben  reha- 
bilitiert sein,  es  wird  in  einem  beispiellosen  Werke  seine 
Nützlichkeit  gezeigt  haben. 

Auch  in  dieser  Gegend  meines  Planes  könnten  Sie  uns 
mit  Ihrem  ICredit  große  Dienste  leisten.  Hier  ist  es  der 
Salonkredit.  Wenn  Sie  anfangen,  Ihre  Schlösser,  die  man 
in  Europa  schon  mit  scheelen  Augen  ansieht,  drüben  zu 
bauen,  und  wenn  Sie  die  Syndikatsmitglieder  anregen,  das 
gleiche  zu  tun,  so  wird  es  bald  Mode  der  reichen  Juden 
werden,  sich  drübea  in  prächtigen  Häusern  anzusiedein. 
II  y  a  lä  un  mouvement  d  crier.  Und  das  ist  so  leicht. 
Man  sagt  guten  Freunden,  die  es  weitergeben :  „Wollen 
Sie  einen  guten  Rat?  Bauen  Sie  drüben."  Der  Rat  ist 
nämlich  in  Wahrheit  gut. 

So  wandern  dann  allmählich  die  Kunstschätze  der  Ju- 
den hinüber.  Sie  wissen  am  besten,  wie  groß  diese  Kunst- 
schätze  schon  sind.  Vielleicht  wird  das  der  Punkt  sein,  wo 
die  Regierungen  zuerst  eingreifen,  wenn  wir  die  Sache 
nicht  mit  Ihnen,  das  heißt  in  der  diplomatischen  Form 
machen  können  und  durch  öffentliche  Propaganda  mit 
dem  Judenvolk  uns  in  Verbindung  setzen  müssen.  Die 
Art,  wie  die  Regierungen  vorgehen  müßten,  ist  schon  in 
Italien  gefunden.  Sie  kennen  ja  das  Ausfuhrverbot  der 
Kunstwerke. 

■57 


db,Google 


Es  wSre  aber  der  Bewegung  sehr  schftdtich,  wenn  die 
Regierungen  dann  auf  den  Gedanken  kfimen,  dieses  sinn- 
reiche Verbot  auch  auf  andere  Gegeostfinde  des  greif- 
baren Vermögens  auszudehnen.  Die  kleinen  Juden  wür- 
den davon  —  et  pour  cause  —  am  wenigsten  betroffen. 
Immer  schwerer  clie  größeren;  und  Sie  endlich,  meine 
Herren,  würde  es  am  spStesten  und  am  schwersten  tref- 
fen. Übersehen  Sie  nicht,  was  das  juristische  Wesen  des 
Ausfuhrverbots  ist.  Es  ist  die  teilweise  Entziehung  der 
Verfügung  über  eine  Sache,  es  wird  eine  Eigenschaft  der 
Sache  —  ihre  ExportfShigkeit  —  konfisziert. 

Nun  scheint  mir  aber  auch  das  schon  von  Übel.  Und 
wenn  man  zu  konfiszieren  anfängt,  wo  hört  man  auf? 

Wir  wollen  das  nicht  provozieren:  aber  können  wir 's 
hindern,  wenn  es  im  Verlauf  unserer  Bewegung  eintritt? 
Daß  wir  darauf  nicht  aus  sind,  Sie  zu  schädigen  —  im 
Gegenteil!  —  das  sehen  Sie  schon  aus  unserem  ganzen 
Antrag. 

Wir  zeigen  Ihnen  ja  den  W^,  wir  machen  Ihnen  ja 
die  Vorschläge,  wie  man  diese  riesige  Bewegung  sachte, 
ohne  Erschütterung,  leiten  kann.  Entstehen  wird  sie  — 
das  ahnen  Sie  wohl  schon,  meine  Herren;  und  es  wird 
für  Sie  gut  sein,  mit  uns  zu  gehen.  Wäre  dies  nicht  der 
Fall,  so  könnten  wir  uns  um  die  Liquidierung  Ihres  euro- 
päischen Geschäftes  nicht  kümmern.  Wir  liquidieren  nur 
die  Immobilien  und  Geschäfte  der  Leute,  die  bis  zu  einer 
gewissen  Zeit  mit  uns  gegangen  sind  —  nehmen  wir  an, 
im  ersten  Jahrzehnt.  Denn  wir  müssen  uns  ja  aus  Europa 
zurückziehen.  Hier  ist  nicht  unseres  Bleibens.  Und  man 
wird  uns  nur  dann  ohne  Behelligung  abziehen  lassen, 
wenn  wir  nicht  lange  herumfackeln. 

Wir  können  und  werden  alle,  die  es  wünschen,  so  rasch 
als  möglich  liquidieren.  Nur  Sie  nicht,  weil  es  vollkom- 

i58 


dbyGooglc 


men  unmOgUch  ist.  Denn  nach  der  Auswanderung  der 
Juden  vertrüge  Europa  nicht  mehr  die  Erschütterung 
durch  Ihre  Liquidation, 

Familienrede:  i^-  VI. 

Die  Bewegung  ist  in  dem  Augenblick  geboren,  wo  ich 
der  Welt  meinen  Gedanken  mitteile.  Sie  sind  reich  ge- 
nug, meine  Herren,  diesen  Plan  zu  fördern;  Sie  sind  nicht 
reich  genug,  ihn  zu  verhindern.  Aus  einem  merkwürdig 
einfachen  Grunde:  ich  bin  nicht  kfiuflich. 

Ja,  ich  würde  es  ehrlich  bedauern,  wenn  Sie  nicht  mit 
mir  gingen  und  dadurch  Schaden  litten.  Denn  Sie  wür- 
den sich  nicht  aus  Schlechtigkeit  oder  Engherzigkeit  wei- 
gern —  es  ist  bekannt,  daß  Sie  treu  am  verachteten  Ju- 
dentum hSngen  — ;  Sie  würden  sich  weigern,  weil  Sie  die 
Richtigkeit  meiner  Behauptungen  nicht  einsehen,  oder 
weil  ich  den  Plan  schlecht  erkläre.  Dann  werde  ich  mit 
der  Werbung  in  die  Tiefe  gehen.  Wenn  die  Society  of 
Jews  nicht  durch  Geldaristokraten  gebildet  wird,  so  wird 
sie  durch  Gelddemokraten  gebildet.  Bei  diesen  —  er- 
zShIte  ich  Ihnen  in  der  Einleitung  —  ist  die  Beklommen- 
heit schwerer,  folglich  wird  die  Sehnsucht  aufzuatmen 
größer  sein.  Gehen  dann  bei  der  Bewegung  einige  Juden 
und  ihre  Habseligkeiten  zugrunde,  so  trifft  mich  weiter 
keine  Verantwortung.  Ich  habe  deutlich  genug  gewarnt; 
Der  Zug  kommt  I 

Steht  das  aber  nicht  im  Widerspruch  mit  meiner  frü- 
heren Angabe,  daß  der  ruhige  Abzug  aller  Juden  gesichert 
werden  solle?  Nein,  denn  wir  können  nur  diejenigen 
Juden  schützen,  die  mit  uns  gehen,  die  sich  uns  anver- 
trauen. Die  im  Zug  sind,  werden  nicht  getreten.  Bei 
denen  können  wir  die  Garantie  gegenüber  den  Regierun- 
gen und  Völkern  übernehmen  und  erhalten  dafür  ihre 
Beschützung  durch  Staat  und  öffentliche  Meinung. 


dbyGoogle 


Sie,  meine  Herren,  sind  lu  groß,  als  daS  wir  Sie  spSter 
in  unsere  Obhut  nehmen  könnten.  Nicht  aus  raneune, 
nicht  weil  wir  inzwischen  in  einen  schweren,  auf  vielen 
Punkten  auszufechtenden  Gegensatz  geraten  sein  werden; 
im  Gegenteil,  wir  werden  Sie  drüben  brüderlich  aufneh* 
men,  wenn  Sie  eines  Tages  Schutz  und  Frieden  suchen 
kommen.  —  Allerdings  werden  wir  einige  Sicherfaeits- 
Vorkebrui^en  gegen  Ihr  gefSbrliches  Vermögen  treffen 


Wenn  Sie  mich  nicht  unterstützen,  fügen  Sie  meinem 
Plan  großen  Schaden  zu.  Denn  das  Feinste,  Geheimste 
und  Diplomatische  wird  unmöglich,  wenn  icb  es  Öffent- 
lich führe. 

Icb  kann  dann  die  südamerikanischen  Republiken  nicht 
so  behandeln,  kann  nicht  so  billig  expropriieren,  habe 
die  tausend  Schwierigkeiten  der  Publizit&t. 

Mit  Ihnen  ein  glänzendes  Geschäft  (oh,  nicht  für  mich) . 
Mit  den  ZwergmillionSren  ein  zweifelhaftes.  Mit  den 
kleinen  Juden  ein  schlechtes,  vielleicht  nicht  zu  Ende 
führbares,  in  einem  Krach  (wie  Panama)  endigendes. 

„Ich  mache  Sie  dafür  verantwortlich",  wäre  eine  Re- 
densart, über  die  Sie  lächeln  würden. 

Nein,  ich  sage:  Sie  werden  es  büßen,  wenn  die  Sache 
als  populäre  mißlingt.  Und  wenn  sie  gelingt,  werden  wir 
alle  Juden  aufnehmen,  nur  die  R's  nicht. 

Und  das  ist  für  Sie  nicht  so  gleichgültig,  wie  es  heute 
ausseben  mag.  Denn  Ihr  Vermögen  wird  auch  nach  un- 
serem Abgang  beängstigend  weiterwachsen,  und  aller  Haß, 
der  sich  bisher  auf  so  unzählige  Judenköpfe  zerstreute, 
wird  sich  auf  einigen  wenigen  —  den  Ihrigen  —  sam- 
meln. 

Diese  paar  Köpfe  werden,  besonders  in  Frankrach, 
nicht  fest  sitzen. 

i6o 


dbyGoogle 


Ja,  in  welcher  Form  wird  aber  die  Society  of  Jews  (ob 
sie  aristokratisch  oder  demokratisch  zustande  komme)  die 
Garantien  leisten,  daß  in  den  verlassenen  Ländern  keine 
Verarmung  und  keine  wirtschaftlichen  Krisen  eintreten? 

Ich  sagte  Ihnen  schon,  daß  wir  anständige  Antisemiten, 
unter  Achtung  ihrer  uns  wertvollen  Unabhingigkeit, 
gleichsam  als  volkstümliche  Kontrollhehörden  an  unser 
Werk  heranziehen  wollen.  Aber  auch  der  Staat  hat  fi^a- 
lische  Interessen,  die  geschädigt  werden  können.  Er  ver- 
liert eine,  zwar  bürgerlich  gering,  aber  finanziell  hochge- 
schätzte Klasse  von  Steuerträgern.  Wir  müssen  ihm  da- 
für eine  Entschädigung  bieten.  Wir  bieten  sie  ihm  ja 
indirekt,  indem  wir  die  mit  unserem  jüdischen  Scharf- 
sinn, unserem  jüdischen  Fleiß  eingerichteten  Geschäfte 
im  Lande  lassen.  Indem  wir  in  unsere  aufgegebenen  Po- 
sitionen die  christlichen  Mitbürger  einrücken  lassen  und 
so  ein  in  diesem  Umfang,  in  dieser  Friedlichkeit  bei- 
spielloses Aufsteigen  von  Massen  zum  Wohbtand  ermög- 
lichen. Die  Französische  Revolution  zeigte  in  kleinerem 
Maßstab  etwas  Ahnliches,  aber  dazu  mußte  das  Blut  unter 
der  Guillotine,  in  allen  Provinzen  des  Landes  und  auf 
den  Schlachtfeldern  Europas  in  Strömen  fließen  und 
dazu  ererbte  und  erworbene  Rechte  zerbrochen  werden. 
Und  dabei  bereicherten  sich  nur  die  listigen  Käufer  der 
Nationalgüter. 

Die  Staaten  haben  ferner  den  indirekten  Vorteil,  daß 
ihr  Exporthandel  gewaltig  wächst.  Denn  da  wir  drüben 
noch  lange  auf  die  europäischen  Erzeugnisse  angewiesen 
sein  werden,  müssen  wir  sie  notwendig  bezieben.  Und 
auch  hierin  wird  mein  Ortsgnippensystem  —  wozu  wir 
bald  kommen  —  einen  gerechten  Ausgleich  schaffen. 
Die  gewohnten  Bedürfnisse  werden  sich  noch  lange  an 
den  gewohnten  Orten  decken.  Der  größte  indirekte  Vor- 

ti     Herils Tacebltolier  I.  l6l 


dbyGoogle 


teil  endlich,  den  man  vielleicht  nicht  gleich  in  seinem 
ganzen  Umfange  schfitzen  wird,  ist  die  soziale  Erleichte^ 
rung.  Die  soziale  Unzufriedenheit  wird  auf  eine  Zeit 
hinaus  beschwichtigt,  die  vielleicht  zwanzig  Jahre,  viel- 
leicht länger  dauern  wird.  Die  soziale  Frage  aber,  meine 
Herren,  halte  ich  für  eine  b)oß  technologische  Frage.  Der 
Dampf  hat  die  Menschen  um  die  Maschine  herum  in  den 
Fabriken  versammelt,  wo  sie  aneinander  gedrückt  sind 
und  durch  einander  unglücklich  werden.  Die  Produktion 
ist  eine  ungeheure,  wahllose,  planlose,  führt  jeden  Augen- 
blick zu  schweren  Krisen,  durch  die  mit  den  Unterneh- 
mern auch  die  Arbeiter  zugrunde  gehen.  Der  Dampf  hat 
also  die  Menschen  aneinander  gepreßt;  ich  glaube,  die 
Anwendung  der  Elektrizität  wird  sie  wieder  in  glückli- 
chere Arbeitsorte  auseinanderstreuen.  Das  kann  ich  nicht 
vorhersagen.  Jedenfalls  werden  die  technischen  Erfinder, 
die  wahren  Wohltäter  der  Menschheit,  in  diesen  zwanzig 
Jahren  weiter  arbeiten  und  hoffentlich  so  wunderbare 
Dinge  finden  wie  bisher,  nein,  immer  wunderbarere. 

Wir  selbst  werden  drüben  alle  neuen  Versuche  be- 
nützen, fortbilden;  und  wie  wir  im  Siebenstundentag  ein 
Experiment  zum  Wohle  der  ganzen  Menschheit  machen, 
80  werden  wir  in  allem  Menschenfreundlichen  vorangeben 
und  als  neues  Land  ein  Versuchsland,  ein  Musterland  vor- 
stellen. 

Aber  mit  den  indirekten  Vorteilen  werden  sich  die  Staa- 
ten schwerlich  begnügen.  Sie  werden  direkte  Abgaben 
wünschen.  Nun  müssen  wir  den  Regierungen  und  Par- 
lamenten dabei  an  die  Hand  gehen.  Es  ist  vielleicht  einer 
der  großmütigsten  Ziele  dieses  Planes,  daß  den  moder- 
nen Kulturvölkern  die  Beschämung  von  Ausnahmege- 
setzen gegen  ein  ohnehin  unglückliches  Volk  erspart  wer- 
den soll.  Um  den  Regierungen  eine  Abzugsbesteuerung 


dbyGoOglc 


d«r  Juden  lu  ersparen,  wird  die  Society  einstehen.  Un- 
sere Zentrale  hat  ihren  Sitz  in  London,  weil  wir  im  Pri- 
vatrechtlichen unter  dem  Schutt  eioer  großen,  derzeit  nicht 
antisemitischen  Nation  stehen  müssen.  Aber  wir  werden, 
wenn  man  uns  offiziell  und  offiziös  unterstützt.  Überall 
eine  breite  Steuerflfiche  —  twface  sagt  man  in  Frank- 
reich —  liefern.  Wir  werden  überall  besteuerbare  Toch- 
ter- und  Zweiganstalten  gründen.  Wir  werden  femer  den 
Vorteil  doppelter  Immobilien-Umschreibung,  also  dop- 
pelter Gebühren  liefern.  Die  Society  wird  selbst  dort, 
wo  sie  nur  als  Immobilienagentur  auftritt,  sich  den  vor- 
übergehenden Anschein  des  Kfiufers  gehen.  Wir  werden 
also,  auch  wenn  wir  nicht  besitzen  wollen,  im  Grundbuch 
einen  Augenblick  als  Kftufer  stehen. 

Das  ist  nun  freilich  eine  rein  rechnungsm&ßige  Sache. 
Es  wird  von  Ort  zu  Ort  erhoben  und  entschieden  wer- 
den müssen,  wie  weit  wir  darin  gehen  können,  ohne  die 
Existenz  unseres  Unternehmens  zu  gefShrden.  Wir  wer- 
den darüber  freimütig  mit  den  Finanzministern  verhan- 
deln. Sie  werden  unseren  guten  Willen  deutlich  sehen. 
Sie  werden  uns  überall  die  Erleichterungen  gew&hren,  die 
wir  zur  erfolgreichen  Durchführung  des  historischen  Un- 
ternehmens nachweisbar  brauchen. 

Eine  weitere  direkte  Zuwendung,  die  wir  machen,  ist 
die  im  Güter-  und  Personentransport.  Wo  die  Bahnen 
staatlich  sind,  ist  das  sofort  klar.  Bei  den  Privafbahnen 
erhalten  wir  —  wie  jeder  große  Spediteur  —  Begünsti- 
gungen. Wir  müssen  natürlich  unsere  Leute  so  billig  als 
möglich  reisen  lassen  und  verfrachten,  da  jeder  auf 
eigene  Kosten  hinübergeht.  Wir  werden  also  für  den 
Mittelstand  das  System  Cook  und  für  die  armen  Klassen 
das  Personenporto  haben.  Für  die  Frachten  haben  wir 
unsere  geübten  Tarifeure.    Wir  könnten  an  Personen- 

n'  i63 


dbyGooglc 


und  Frachtrefaktien  viel  verdienen.  Aber  unser  Grund- 
satz muß  auch  in  diesem  Zweige  sein,  nur  die  Selbsterhal- 
tungskosten hereinzubringen.  In  Europa  dürfen  wir  nichts 
mehr  verdienen.  Wir  werden  daher  die  Refaktie  zwischen 
unseren  Auswanderern  (Fahrpreisermäßigung)  und  dem 
Staat  teilen  (Surfacegabe  durch  Etablierung  von  Spedi- 
tionsgeschäften und  Frachtversicherungsanstalten). 

Es  wird  nicht  notwendig  sein,  überall  neue  Speditions- 
geschäfte zu  etablieren.  Die  Spedition  ist  an  vielen  Orten 
in  den  Händen  der  Juden.  Die  Speditionsgeschäfte  wer- 
den die  ersten  sein,  die  wir  brauchen,  und  die  ersten,  die 
wir  liquidieren.  Die  bisherigen  Inhaber  dieser  Geschäfte 
treten  entweder  in  unseren  Dienst  oder  sie  etablieren  sich 
frei  drüben.  Die  Ankunftstelle  braucht  ja  empfangende 
Spediteure;  und  da  dies  ein  glänzendes  Geschäft  ist,  da 
man  drüben  sofort  verdienen  darf  und  soll,  wird  es  daf  jlr 
nicht  an  Uoternebmungslustigea  fehlen.  Das  leuchtet  ein. 

Die  Schiffe  aber  werden  wir  in  eigene  Regie  nehmen 
und  zugleich  jüdische  Reeder  encouragieren.  Die  Schiffe 
werden  wir  zuerst  kaufen  —  wobei  wir  durch  heimliches 
und  gleichzeitiges  Einkaufen,  ähnlich  dem  früher  ent- 
wickelten Zentralsystem  des  Landkaufes,  Preissteigerun- 
gen vorbeugen  —  und  später,  ja  möglichst  bald,  selbst 
drüben  bauen.  Wir  werden  den  Schiffsbau  freier  Unter- 
nehmer- durch  verschiedene  Vorteile  (billiges  Material 
aus  unseren  Wäldern  und  Hochöfen)  begünstigen.  Die 
Zuleitung  von  Arbeitskräften  wird  durch  unsere  Dienst- 
vermittlungs-Zentrale  besorgt. 

Anfangs  werden  wir  keine  oder  wenig  lohnende  Rück- 
fracht für  unsere  Schiffe  haben  (höchstens  von  Chile, 
Argentinien  und  Brasilien).  Unsere  wissenschaftlichen 
Gehilfen,  die  auf  dem  Landnahmeschiff  zuerst  hinüber- 
gehen, werden  auch  diesem  Punkt  sofort  ihre  Aufmerk- 

i64 


dbyGooglc 


samkeit  xuweadea  müssen.  Wir  werden  Rohprodukte  su- 
chen und  nach  Europa  bringen,  es  wird  der  Anfang  un- 
seres Außenhandels  sein.  AlhnShlich  werden  wir  Indu- 
striesachen erseugen,  zunSchst  für  unsere  eigenen  armen 
Auswanderer.  Kleider,  Wische,  Schuhe  usw.  fabriks- 
mäßig.  Denn  in  unseren  europäischen  Abfahrtshäfen 
werden  unsere  armen  Leute  neu  gekleidet.  E^  wird  ihnen 
damit  kein  Geschenk  gemacht,  weil  wir  nicht  gedenken, 
sie  SU  demütigen.  Es  werden  ihnen  nur  ihre  alten  Sachen 
gegen  neue  eingetauscht.  Es  liegt  uns  nichts  daran,  wenn 
wir  dabei  etwas  verlieren;  wir  buchen  es  als  Geschäfts- 
verlust. Die  völlig  Besitzlosen  werden  für  die  Bekleidung 
unsere  Schuldner  und  zahlen  drüben  in  Arbeits-Über- 
stunden,  die  wir  ihnen  für  gute  Aufführung  erlassen 
werden. 

Eis  soll  schon  in  diesen  Kleidern  etwas  Symbolisches 
enthalten  sein :  Ihr  beginnt  jetzt  ein  neues  Leben  I  Und 
wir  werden  dafür  sorgen,  daß  schon  auf  den  Schiffen 
durch  Gebete,  populäre  Vorträge,  Belehrungen  über  den 
Zweck  des  Unternehmens,  hygienische  Vorschriften  für 
die  neuen  Wohnorte,  Anleitungen  zur  künftigen  Arbeit, 
eine  ernste  und  festliche  Stimmung  erhatten  werde.  Denn 
das  Gelobte  Land  ist  das  Land  der  Arbeit.  Drüben  aber 
wird  jedes  Schiff  von  den  Spitzen  unserer  Behörden 
feierlich  empfangen  werden.  Ohne  törichten  Jubel,  denn 
das  Gelobte  Land  muß  erst  noch  erobert  werden.  Aber 
schon  sollen  diese  armen  Menschen  sehen,  daß  sie  hier 
zu  Hause  sind. 

Unsere  Bekleidungsindustrie  für  Auswanderer  wird, 
wie  Sie  sich  denken  können,  nicht  planlos  produzieren. 
Wir  werden  durch  das  zentralisierte  Netz  unserer  Agen- 
turen —  die  unsere  politische  Administration  vorstellen, 
gegenüber  den  autonomen  Ortsgruppen  —  immer  recht- 

i65 


dbyGooglc 


zeitig  die  Zahl,  den  AakuofUtag  und  die  Bedürfnisse  der 
Auswanderer  kennen  und  für  sie  Vorsorgen.  In  dieser 
planvollen  Leitung  einer  Industrie  ist  der  schwache  An- 
fang des  Versuches  enthalten,  die  Produktionskrisen  zu 
vermeiden.  Wir  werden  auf  allen  Gebieten,  wo  die  So- 
ciety als  Industrieller  auftritt,  so  vorgehen.  Keineswegs 
wollen  wir  aber  die  freien  Unternehmungen  mit  unserer 
Übermacht  erdrücken.  Wir  sind  nur  dort  Kollektivisten, 
wo  es  die  ungeheuren  Schwierigkeiten  der  Aufgabe  er- 
fordern. Im  übrigen  tvollen  wir  das  Individuum  mit  sei- 
nen Rechten  hegen  und  pflegen.  Das  Privateigentum  als 
die  wirtschaftliche  Grundlage  der  Unabhängigkeit  soll 
sich  bei  uns  frei  und  geachtet  entwickeln.  Wir  lassen  ja 
gleich  unsere  ersten  Unskilleds  ins  Privateigentum  auf- 
steigen. Sie  haben  ferner  schon  an  einigen  Punkten  ge- 
sehen, beim  freien  Bauunternehmer,  beim  freien  Reeder, 
beim  freien  Spediteur,  wie  wir  den  Unternehmungsgeist 
fördern  wollen.  In  der  Industrie  wollen  wir  den  Unter- 
nehmer auf  verschiedene  Art  begünstigen.  Schutzzoll 
oder  Freihandel  sind  keine  Prinzipien,  sondern  Nützlich- 
keitsfragen. Anfangs  werden  wir  jedenfalls  Freihändler 
sein.  Späterhin  werden  die  Bedürfnisse  unserer  Politik 
darüber  entscheiden. 

Aber  wir  können  der  Industrie  auch  auf  andere  Weise 
helfen,  und  wir  werden  es.  Wir  haben  die  Zuwendung 
billigen  Rohmaterials  in  der  Hand  und  können  den  Zu- 
fluß wie  den  von  Wasser  durch  Schleusen  regeln.  Das 
wird  später  zur  Vermeidung  von  Krisen  wichtig  werden. 
Dann  aber  gründen  wir  eine  Einrichtung  von  dauerndem 
und  wachsendem  Wert :  nämlich  ein  Amt  für  Industrie- 
statistik, mit  öffentlichen  Verlautbarungen. 

So  wird  der  Unternehmungsgeist  auf  gesunde  Weise 
angeregt.  Die  spekulative  Planlosigkeit  wird  vermieden. 

i66 


dbyGooglc 


Die  Etabliemng  neuer  Indostrieo  wird  rechtzeitig  be- 
kaDQl  gemacht,  so  dafi  die  Unternehmer,  die  ein  halbes 
Jahr  sp&ter  auf  den  Einfall  kämen,  sich  einer  Industrie 
luzuweaden,  nicht  in  die  Krise,  ins  Elend  hineinbauen. 
Da  der  Zweck  einer  neuen  Anlage  unserer  Industrie-Poli- 
lei  angemeldet  werden  muß,  werden  die  Uaternehmungs- 
verbftltnisse  jederzeit  jedermann  bekannt  sein  können, 
wie  die  Eigentamsverhiltnisse  durch  die  Grundbücher. 

Endlich  gewähren  wir  den  Unternehmern  die  zentra- 
lisierte Arbeitskraft.  Der  Unternehmer  wendet  sieb  an  die 
Dienstvermittlungs-Zentrate,  die  dafür  nur  von  ihm  eine 
zur  Selbsterhaltung  (Kosten  der  Amtslokale,  Beamten- 
besoldung, Brief-  und  Telegrammspesen)  erforderliche 
Gebühr  einhebt.  Der  Unternehmer  telegraphiert:  ich 
brauche  morgen  für  drei  Tage,  drei  Wochen  oder  drei 
Monate  fünfhundert  Uiiskilleds.  Morgen  treffen  bei  sei* 
ner  landwirtschaftlichen  oder  industriellen  Unternehmung 
die  gewünschten  Fünfhundert  ein,  die  unsere  Arbeits- 
zentrale von  da  und  dort,  wo  sie  eben  verfügbar  werden, 
zusammenzieht.  Die  SachsengSngerei  wird  da  aus  dem 
Plumpen  in  eine  sinnvolle  Instutition  heeresmftßig  ver- 
feinert. Selbstverständlich  liefern  wir  keine  Arbeitsskla- 
ven, sondern  nur  Siebenstundentägler,  die  ihre,  d.  h.  un- 
sere, Organisation  behalten,  denen  auch  beim  Ortswechsel 
die  Dienstzeit  mit  Chargen,  Avancieren  und  Pensionie- 
rung  fortläuft.  Der  freie  Unternehmer  kann  sich  auch 
anderswo  seine  Arbeitskräfte  verschaffen,  wenn  er  will; 
aber  ich  glaube  nicht,  daß  er  es  kann. 

Die  Heranziehung  nicht  jüdischer  Arbeitssklaven  ins 
Land  werden  wir  zu  vereiteln  wissen  durch  eine  gewisse 
Boykottienmg  vriderspenstiger  Industrieller,  durch  Ver- 
kehrserschwerungen, Entziehung  des  Hohmaterials  und 
dgl.  Mau  wird  also  unsere  Siebenstundentägler  nehmen 

167 


dbyGoogle 


müssea.  Sie  sehen,  meine  Herren,  wie  wir  uns  beinahe 
zwanglos  dem  Normaltag  von  sieben  Stunden  nähern. 

Es  ist  IlIbt,  daß,  was  f  dr  die  Unskilleds  gilt,  bei  den  hö- 
heren Facharbeiten  noch  leichter  ist.  Die  Teilarbeiter  der 
Fabriken  können  unter  dieselben  Regeln  gebracht  werden. 
Es  ist  nicht  nötig,  das  weitlSufig  auseinanderzusetzen. 

Was  nun  die  eelbstSndigen  Handwerker,  die  kleinen 
Meister,  betrifft,  die  wir  im  Hinblick  auf  die  künftigen 
Fortschritte  der  Technik  sehr  pflegen  wollen,  denen  wir 
technologische  Kenntnisse  luführen  wollen,  selbst  wenn 
sie  keine  jungen  Leute  mehr  sind,  und  denen  wir  die 
Pferdekrfifte  der  Biche  sowie  das  Licht  in  elektrischen 
Drähten  zuleiten  wollen  —  diese  selbständigen  Arbeiter 
sollen  auch  durch  unsere  Zentrale  gesucht  und  gefunden 
werden.  Hier  wendet  sich  die  Ortsgruppe  aa  die  Zentrale : 
wir  brauchen  so  und  so  viele  Tischler,  Schlosser,  Glaser 
usw.  Die  Zentrale  verlautbart  es.  Die  Leute  melden  sich. 
Sie  ziehen  mit  ihrer  Familie  nach  dem  Orte,  wo  man  aie 
braucht,  und  bleiben  da  wohnen,  nicht  erdrückt  von  einer 
verw<vrenen  Konkurrenz ;  die  dauernde,  die  gute  Heimat 
ist  für  sie  entstanden. 

Jetzt  bin  ich  bei  den  Ortsgruppen.  Bisher  habe  ich  nur 
gezeigt,  wie  die  Auswanderung  ohne  wirtschaftliche  Er- 
schütterung durchzuführen  ist.  Aber  bei  einer  solchen 
Volkswanderung  gibt  es  auch  viele  starke  Gemütsbewe- 
gungen. Es  gibt  alte  Gewohnheiten,  Erinnerungen,  mit 
denen  wir  Menschen  an  den  Orten  haften.  Wir  haben 
Wiegen,  wir  haben  Gräber;  und  Sie  wissen,  was  den  jü- 
dischen Herzen  die  Gräber  sind.  Die  Wiegen  nehmen  wir 
mit  —  in  ihnen  schlummert  rosig  und  lächelnd  unsere 
Zukunft.  Unsere  teuren  Gräber  müssen  wir  zuröcklsssen 
—  ich  glaube,  von  denen  werden  wir  habsüchtiges  Volk 
uns  am  schwersten  trennen.  Aber  es  muß  sein. 


dbyGoogle 


Schon  entferot  uns  die  wirtschaftliche  Not,  der  poli- 
tische Druck,  der  ffesellschaftliche  HaS  so  hSufig  aus 
unseren  Wohnorten  und  von  unseren  Grftbern.  Die  Juden 
ziehen  schon  jetzt  jeden  Augenblick  aus  einem  Land  ins 
andere.  Eine  starke  Bewegung  geht  sogar  übers  Meer, 
nach  den  Vereinigten  Staaten  —  wo  man  uns  auch  nicht 
mag.  Wo  wird  man  uns  denn  mögen,  solange  wir  keine 
eigene  Heimat  haben?  Wir  wollen  aber  den  Juden  eine 
Heimat  geben.  Nicht,  indem  wir  sie  gewaltsam  aus  ihrem 
Erdreich  herausreißen.  Nein,  indem  wir  sie  mit  ihrem 
ganten  Wurzelwerk  vorsichtig  ausgraben  and  in  einen 
besseren  Boden  übersetien.  So  wie  wir  im  Wirtschaft- 
lichen und  Politischen  neue  Verhältnisse  schaffen  wol- 
len, so  gedenken  wir  im  Gemütlichen  alles  Alte  heilig  zu 
halten. 

Darüber  nur  wenig  Andeutungen.  Hier  ist  die  Gefahr 
am  größten,  daß  Sie  den  Plan  für  eine  SchwSrmerei  hal- 
ten. Und  doch  ist  mir  auch  das  so  klar  in  der  Vernunft 
'  wie  alles  andere. 

Unsere  Leute  sollen  in  Gruppen  miteinander  auswan- 
dern. In  Gruppen  von  Familien  und  Freunden.  Niemand 
wird  gezwungen,  sich  den  Gruppen  seines  bisherigen 
Wohnortes  anzuschließen.  Jeder  kann  fahren,  wie  er 
will.  Jeder  tut  es  ja  auf  eigene  Kosten,  in  der  Bahn-  und 
Schiffsklasse,  die  ihm  zusagt.  Nur  möchte  ich  immer 
Bahnzüge  und  Schiffe,  die  nur  eine  Klasse  haben,  führen. 
Der  Unterschied  des  Besitzes  belästigt  auf  so  langen  Rei- 
sen die  Ärmeren.  Und  wenn  wir  auch  unsere  Leute  nicht 
XU  einer  Unterhaltung  hinüberführen,  wollen  wir  ihnen 
doch  nicht  unterwegs  die  Laune  verderben.  Im  Elend 
wird  keiner  reisen.  Dem  eleganten  Behagen  hingegen  soll 
alles  möglich  sein.  Man  wird  sich  schon  lange  vorher 
verabreden  —  es  wird  ja  noch  Jahre  dauern,  bis  die  Be- 

169 


dbyGoogle 


w«gung  in  einzelnen  Besitzklassen  in  Fluß  kommt;  die 
Wohlhabenden  werden  zu  Reisegesellschaften  zusammen- 
treten. Man  nimmt  die  persönlichen  Beziehungen  sämt- 
lich mit.  Sie  wissen  ja,  daß,  von  den  Reichsten  abgesehen, 
die  Juden  fast  gar  keinen  Gesellschaftsverkehr  mit  Chri- 
sten haben.  Wer  sich  nicht  ein  paar  Tafelschmarotzer, 
BorgbrQder  und  „Judenknechte"  ausbfilt,  der  kennt  über- 
haupt keinen  Christen. 

Man  wird  sich  also  in  den  Mittelstfinden  lange  und 
sorgffiltig  zur  Abreise  vorbereiten.  Jeder  Ort  bildet  eine 
Gruppe.  In  den  größeren  Städten  bilden  sich  nach  Be- 
zirken mehrere,  die  miteinander  durch  gewShlte  Vertreter 
verkehren.  Diese  Bezirkseinteilung  hat  nichts  Obligato- 
risches; sie  ist  eigentlich  nur  als  Erleichterung  für  die 
Minderbemittelten  gedacht,  und  um  wfihrend  der  Fahrt 
kein  Unbehagen,  kein  Heimweh  aufkommen  zu  lassen. 
Jeder  ist  frei,  allein  zu  fahren  oder  sich  welcher  Orts- 
gruppe immer  anzuschließen.  Die  Bedingungen  —  nach 
Klassen  eingeteilt  —  sind  für  alle  gleich.  Wenn  eine 
Reisegesellschaft  sich  zahlreich  genug  organisiert,  be- 
kommt sie  von  der  Society  einen  ganzen  Bahnzug,  dann 
ein  ganzes  Schiff.  Unterwegs  und  drüben  wird  das  eben- 
falls zentralisierte  Quartieramt,  an  dessen  Spitze  der  Ober- 
Quartiermeister  steht,  für  passende  Unterkunft  gesorgt 
haben  (System  Cook).  Auf  den  Schiffen  wird  —  dies- 
mal nicht  nach  Besitz-,  sondern  nach  Bildungsklassen 
' —  für  Unterhaltung  und  Belehrung  gesorgt.  Die  jüdi- 
schen Schauspieler,  Singer,  Musiker  gehen  ja  auch  mit, 
ebenso  wie  die  jüdischen  Professoren  und  Lehrer.  Allen 
wird  ihre  Aufgabe  zugewiesen,  die  sie  ja  ohnehin  schnell 
erraten  haben  werden.  Wir  werden  vornehmlich  an  die 
Mitwirkung  unserer  Seelsorger  appellieren.  Jede  Gruppe 
hat  ihren  Rabbiner,  der  mit  seiner  Gemeinde  geht;  Sie 

170 


dbyGooglc 


sehen,  wie  swanglos  sich  das  alles  gruppiert.  Die  Orts- 
gruppe bildet  sich  um  den  Rabbiner  herum.  So  viele 
Rabbiner,  so  viele  Ortsgruppen.  Die  Rabbiner  werden 
uns  auch  zuerst  verstehen,  sich  zuerst  für  die  Sache  be- 
geistern und  von  der  Kanzel  herab  die  anderen  begeistern. 
Denken  Sie  sich,  mit  welcher  Inbrunst  unser  altes  Wort : 
„Obers  Jahr  im  Gelobten  Landet"  fürderbin  gesagt  wer- 
den wird.  Es  brauchen  keine  besonderen  Versammlungen 
mit  Geschwätz  einberufen  zu  werden.  Im  Gottesdienst 
wird  das  eingeschaltet.  Und  so  soll  es  sein.  Wir  erkennen 
unsere  historische  Zusammengehörigkeit  nur  am  Glau- 
ben unserer  Väter,  weil  wir  ja  längst  die  Sprache  ver- 
schiedener Nationalitaten  uaverlöschbar  in  uns  aufge- 
nommen haben.  Ich  komme  darauf  später  noch  bei  der 
Staatsverfassung  zurück. 

Die  Rabbiner  werden  nun  regelmäßig  die  Mitteilungen 
der  Society  erhalten  und  sie  ihrer  Gemeinde  verkünden 
und  erklären.  Israel  wird  für  uns,  für  sich  beten. 

Die  Ortsgruppen  werden  kleine  Vertrauensmänner- 
Kommissionen  unter  dem  Vorsitz  des  Rabbiners  einsetzen. 
Hier  wird  alles  Praktische  nach  den  Ortsbedürfnissen  be- 
raten und  festgesetzt  werden.  Was  mit  den  Wohltätig- 
keits-Anstalten  zu  geschehen  hat,  folgt  später. 

Die  Ortsgruppen  werden  auch  die  Delegierten  wählen, 
die  mit  dem  Landnahmeschiff  zur  Ortswahl  hinüberfah- 
ren sollen.  In  allem  ist  die  schonende  Verpflanzung,  die 
Erhaltung  alles  Rerechtigten,  beabsichtigt. 

In  den  Ortsgruppen  werden  nachher  die  Stadtpläne 
aufliegen.  Unsere  Leute  werden  im  vorhinein  wissen,  wo- 
hin sie  gehen,  in  welchen  Städten,  in  welchen  Häusern  sie 
wohnen  werden.  Ich  sprach  schon  von  den  Bauplänen 
und  verstindlichen  Abbildungen,  die  wir  an  die  Orts- 
gruppen verteilen  wollen. 

171 


dbyGoogle 


Wie  in  der  Verwaltung  eine  straffe  Zentralisierung, 
ist  in  den  Ortsgruppen  die  vollste  Autonomie  das  Prinzip. 
Nur  so  kann  die  Verpflanzung  schmerzlos  vor  sich  gehen. 

Ich  stelle  mir  das  nicht  leichter  vor,  als  es  ist;  Sie 
dürfen  es  sich  auch  nicht  schwerer  vorstellen. 

Der  Mittektand  wird  unwillkürlich  von  der  Bewegung 
mit  hinübergezogen.  Die  einen  haben  ihre  Söhne  als 
Beiunte  der  Society,  als  Hichter,  Anwälte,  Arzte,  Archi- 
tekten, Bahn-  und  Brückeningenieure  usw.  drüben.  Die 
anderen  haben  ihre  Töchter  an  unsere  Angestellten  ver- 
heiratet. Das  sind  lauter  gute  Partien;  denn  die  mit  uns 
gehen,  werden  alle  hoch  steigen,  besonders  die  ersten  zum 
Lohn  für  ihre  Hingebung;  und  weil  es  in  den  Ämtern,  die 
keine  actions  d'iclat  ermöglichen,  strenge  nach  der  An- 
ciennit&t  zugehen  wird,  und  nicht  nach  Protektion. 

Dann  Ifißt  sich  von  unseren  ledigen  Leuten  der  eine 
seine  Braut,  der  andere  seine  Eltern  und  Geschwister 
nachkommen.  In  neuen  Kulturen  heiratet  man  früh. 
Das  kann  der  allgemeinen  Sittlichkeit  nur  zustatten  kom- 
men. Und  wir  bekommen  kräftigen  Nachwuchs,  nicht 
diese  schwachen  Kinder  spSt  verheirateter  Väter,  die  zu- 
erst ihre  Energie  im  Lebenskampf  abgenützt  haben.  Es 
ist  klar,  daß  vor  allem  die  Ärmsten  mit  uns  gehen  wer- 
den. Die  schon  bestehenden  Auswanderer-Komitees  in 
verschiedenen  Städten  werden  sich  uns  unterordnen.  Da 
sie  von  wohlmeinenden  Männern  gebildet  wurden,  die 
Herz  für  ihre  annen  Brüder  haben,  so  ist  kein  Zweifel, 
daß  sie  sich  unserem  höheren  Zweck,  unseren  größeren 
Einrichtungen  willig  fügen  werden.  Wollen  sie  nicht, 
lassen  wir  die  Eifersüchtigen  beiseite.  Aber  ich  glaube 
nicht,  daß  es  solche  geben  wird.  Es  wäre  kläglich;  und 
die  Schande  fiele  auf  sie,  so  wie  wir  sie  gerne  ehren 
wollen,  wenn  sie  sich  anschließen. 

J7a 


dbyGoogle 


15.  VI. 

Familienrede. 

Jedem  EinsicbtigeD  muß  die  Entwicklung  schon  jetzt 
klar  sein.  Nun  wird  aber  gar  kein  mühsames  Anfachen 
der  Bewegung  nötig  sein.  Die  Antisemiten  besorgen  das 
schon  für  uns.  Sobald  unsere  Einrichtung  bekannt  wird, 
werden  die  Antisemiten  in  Regierung,  Parlament,  Ver- 
sammlungen und  Presse  für  die  Society  agitieren.  Wohl 
den  Juden,  die  mit  uns  gehen  I  Wehe  denen,  die  sich 
erst  durch  brutale  Argumente  werden  hinausdrfingen 
lassen. 

Unser  Auszug  soll  und  wird  jedoch  ein  freiwilliger  sein. 
Wer  das  Phfinomen  des  Erwerbes  und  das  der  Unterhal- 
tung —  panem  et  circenses  —  versteht,  der  muß  auch 
einsehen,  wie  recht  ich  habe. 

Lassen  Sie  mich  Ihnen  diese  Erscheinungen,  die  ich 
auch  erst  in  Paris  begriff,  erklären. 

Wie  kann  ich  eine  Menge  ohne  Befehl  nach  einem 
Punkte  hin  dirigieren?  Baron  Hirsch,  ein  um  das  Juden- 
tum bekümmerter  Mann,  dessen  Versuche  ich  als  ver- 
fehlt erachte,  sagt:  „Ich  lahle  den  Leuten,  daß  sie  hin- 
gehen."  Das  ist  grundfalsch  und  mit  allem  Gelde  der 
Erde  nicht  zu  erschwingen. 

Ich  sage  im  Gegenteil :  Ich  zahle  ihnen  nicht,  ich  lasse 
sie  zahlen.  Nur  setze  ich  ihnen  etwas  vor. 

Nehmen  wir  an,  Hirsch  und  ich  wollen  eine  Menschen- 
menge an  einem  heißen  Sonntagnachmittag  auf  der  Ebene 
von  Longchamp  haben.  Hirsch  wird,  wenn  er  jedem  Ein- 
zelnen zehn  Francs  verspricht,  für  zweihunderttausend 
Francs  zwanzigtausend  schwitzende  unglückliche  Leute 
hinausbringen,  die  ihm  fluchen  werden,  weil  er  ihnen 
diese  Plage  auferlegte. 

Ich  hing^en  werde  die  zweibunderttausend  Francs  als 

1,3 


dbyGoogle 


Reanpreise  aussetzen  für  das  schnellste  Pferd;  und  dann 
lasse  ich  die  Leute  durch  Schranken  von  der  Longchamp- 
Ebene  abhalten.  Wer  hinein  will,  muß  zahlen.  Einen 
Franc,  fänf  Francs,  zwanzig  Francs. 

Die  Folge  ist,  daß  ich  eine  halbe  Million  Menschen  hin- 
ausbekomme, der  Präsident  der  Republik  fährt  li  la  Dau- 
mont  vor,  die  Menge  erfreut  und  belustigt  sich  an  sich 
selbst.  Es  ist  trotz  Sonnenbrand  und  Staub  für  die  mei- 
sten eine  glückliche  Bewegung  im  Freien.  Und  ich  habe 
für  die  zweihunderttausend  Francs  eine  Million  an  Ein- 
trittsgeldern und  Spielsteuer  eingenommen. 

Ich  werde  dieselben  Leute,  wann  ich  will,  wieder  dcnl 
haben.  Hirsch  nicht,  Hirsch  um  keinen  Preis. 

Ich  will  dasselbe  Phänomen  übrigens  gleich  beim  Brot- 
erwerb zeigen.  Versuchen  Sie  es  einmal,  in  den  Straßen 
einer  Stadt  ausrufen  zu  lassen:  Wer  in  einer  von  allen 
Seiten  freistehenden  eisernen  Halle,  im  Winter  bei 
schrecklicher  Kälte,  im  Sommer  hei  quälender  Hitze  den 
ganzen  Tag  auf  seinen  Beinen  stehen,  jeden  Vorüberge- 
henden anreden  und  den  Trödelkram  oder  Fische  oder 
Obst  anbieten  wird,  bekommt  zwei  Gulden  oder  vier 
Francs  —  oder  was  Sie  wollen. 

Wie  viele  Leute  kriegen  Sie  wohl  da  hin?  Wenn  sie 
der  Hunger  hintreibt,  wie  viele  Tage  halten  sie  aus? 
Wenn  sie  aushalten,  mit  welchem  Eifer  werden  sie  wohl 
die  Vorübergehenden  zum  Kauf  von  Obst,  Fischen  oder 
Trödelkram  zu  bestimmen  versuchen? 

Ich  mache  es  anders.  An  den  Punkten,  wo  ein  großer 
Verkehr  besteht  —  und  diese  Punkte  kann  ich  umso 
leichter  finden,  als  ich  ja  selbst  den  Verkehr  leite,  wohin 
ich  will  —  an  diesen  Punkten  errichte  ich  große  Hallen 
und  nenne  sie  Märkte.  Ich  könnte  die  Hallen  schlechter, 
gesundheitswidriger  hauen  als  jene,  und  doch   würden 

.74 


dbyGoogle 


mir  die  Leute  hiastrdmen.  Aber  ich  werde  sie  schöner 
und  besser,  mit  meinem  ganzen  Wohlwollen  bauen.  Und 
diese  Leute,  denen  ich  nichts  versprochen  habe,  weil  ich 
ihnen,  ohne  ein  Beträger  su  sein,  nichts  versprechen  kann; 
diese  braven,  geschäf  tslustigen  Leute  werden  unter  Scher- 
sen  einen  lebhaften  Marktverkehr  hervorbringen.  Sie 
werden  unermüdlich  die  KSufer  baranguieren.  Sie  wer- 
den auf  ihren  Beinen  stehen  und  die  Müdigkeit  kaum 
merken.  Sie  werden  nicht  nur  Tag  um  Tag  herbeieilen, 
um  die  ersten  zu  sein,  sie  werden  sogar  Verbände,  Kar- 
telle, alles  mögliche  schließen,  um  nur  dieses  Erwerbs- 
leben ungestört  führen  zu  können.  Und  wenn  sich  auch 
am  Feierabend  herausstellt,  daß  sie  mit  all  der  braven 
Arbeit  nur  i  .5o  Gulden  oder  3  Francs  oder  was  Sie  wollen 
verdient  haben,  werden  sie  doch  mit  Hoffnung  in  den 
nSchsten  Tag  blicken,  der  vielleicht  besser  sein  wird.  Ich 
habe  ihnen  die  Hoffnung  geschenkt. 

Sie  wollen  wissen,  wo  ich  die  Bedürfnisse  hernehme, 
die  ich  für  die  Märkte  brauche?  Muß  ich  das  wirklich 
noch  sagen?  Ich  wies  doch  nach,  daß  durch  die  assiatance 
par  le  irauail  der  fünfzehnfache  Verdienst  erzeugt  wird. 
Für  eine  Million  fünfzehn  Millionen,  für  eine  Milliarde 
fünfzehn  Milliarden. 

Ja,  ob  das  im  Großen  auch  ebenso  richtig  ist  wie  im 
Kleinen?  Der  Ertrag  des  Kapitals  hat  doch  in  der  Höhe 
eine  abnehmende  Progression.  Ja,  des  schlafenden,  feige 
verkrochenen  Kapitals;  nicht  der  des  arbeitenden.  Das 
arbeitende  Kapital  hat  sogar  in  der  Höhe  eine  furchtbar 
zunehmende  Ertragskraft.  Da  steckt  ja  die  soziale  Frage. 
Ob  es  richtig  ist,  was  ich  sage?  Ich  rufe  Sie  selbst  als 
Zeugen  auf,  meine  Herren.  Warum  betreiben  Sie  so 
viele  verschiedene  Industrien?  Warum  schicken  Sie  Leute 
unter  die  Erde,  um  für  magere  Löhne  unter  entsetzlichen 

1,5 


dbyGoogle 


Gefahren  Kohle  heraufiuschaffen?  Ich  denke  mir  das 
nicht  angenehm,  auch  nicht  für  die  Grubenbesitzer.  Ich 
glaube  ja  nicht  an  die  Herzlosigkeit  der  Kapitalisten  und 
stelle  mich  nicht,  als  ob  ich  es  glaubte.  Ich  bin  kein 
Hetzer,  sondern  ein  Versöhner. 

Brauche  ich  das  PhSnomen  der  Menge,  und  wie  man 
sie  nach  beliebigen  Punkten  zieht,  auch  noch  an  den 
frommen  Wanderungen  zu  erklären? 

Diese  Rede  wird  vielleicht  veröffentlicht  werden  mQssen, 
und  ich  möchte  niemands  heilige  Empfindungen  durch 
Worte  verletzen,  die  falsch  ausgelegt  werden  könnten. 

Nur  kurz  deute  ich  an,  was  in  der  mohammedanischen 
Welt  der  Zug  der  Pilger  nach  Mekka  ist,  in  der  katho* 
tischen  Welt  Lourdes  und  der  heilige  Rock  zu  Trier,  und 
so  zahllose  andere  Punkte,  von  wo  Menschen  durch  ihren 
Glauben  getröstet  heimkehren. 

So  werden  auch  wir  dem  Wunderrabbi  drüben  ein 
schöneres  Sadagora  aufbauen.  Unsere  Geistlichen  werden 
uns  ja  zuerst  verstehen  und  mit  uns  gehen. 

Wir  wollen  ja  drüben  jeden  nach  seiner  Fagon  selig 
werden  lassen.  Auch,  und  vor  allem,  unsere  teuren  Frei- 
denker, unser  unsterbliches  Heer,  das  für  die  Menschheit 
inmier  neue  Gebiete  erobert. 

Auf  niemanden  soll  ein  anderer  Zwang  ausgeübt  wer- 
den, als  der  zur  Erhaltung  des  Staates  und  der  Ordnung 
nötige.  Und  dieses  Nötige  wird  nicht  von  der  Willkür 
einer  oder  mehrerer  Personen  wechselnd  bestimmt  wer- 
den, sondern  in  ehernen  Gesetzen  ruhen. 

Ich  sprach  vom  Verkehr  und  von  den  MSrkten.  Wer- 
den wir  nicht  zu  viel  Handeltreibende  haben?  Nein.  Der- 
zeit fließen  wohl  dem  großen  und  kleinen  Handel  die 
meisten  unserer  erwerbslustigen  Leute  zu.  Aber  glauben 
Sie,  daß  ein  Hausierer,  der  mit  dem  schweren  Pack  auf 

176 


dbyGooglc 


dem  Rücken  über  Land  geht,  gläcklich  ist?  Ich  glaube, 
daß  wir  alle  diese  Leute  zu  Arbeitera  machen  können 
mit  dem  Siebenstundentag;  es  sind  so  brave,  verkannte, 
unglückliche  Leute  und  leiden  jetzt  vielleicht  am  schwer- 
sten. Übrigens  werden  wir  von  Anfang  an  uns  mit  ihrer 
Erziehung  zu  Arbeitern  besch&ftigen.  Dabei  wird  uns  das 
Avancement  der  Unskilleds  und  ihre  endliche  Pensionie- 
rung zu  Hilfe  kommen.  Denn  die  Pension  wird  in  etwas 
bestehen,  was  den  jetzigen  Hausierern  bei  ihren  gedrück- 
ten Wanderungen  durch  die  Dörfer  als  Paradies  vorkom- 
men mag:  eine  Tabaktrafik,  ein  Branntwein- Verschleiß. 
Ich  komme  gleich  darauf  iivück. 

Der  kleine  Handel  wird,  denke  ich,  nur  von  den  Frauen 
betrieben  werden.  Sie  sehen,  wie  wir  da  Luft  bekommen 
für  die  Frauenfrage.  Die  Frauen  können  diese  GeschSfte 
leicht  neben  ihren  Haushaltungen  versehen,  können  dabei 
schwanger  sein,  ihre  Midchen  und  die  kleinen  Buben  be- 
aufsichtigen. Die  größeren  nehmen  wir.  Wir  brauchen 
alle  Buben. 

Wie  steht  es  aber  mit  dem  Geldhandel?  Das  scheint  ja 
eine  der  Hauptfragen  zu  sein.  Wir  sind  jetzt  leider  ein 
Volk  von  Börsianern.  Unsere  Leute  werden  wohl  alle  zur 
Börse  hinstürzen?  Ah,  oder  werden  wir  am  Ende  die 
nützliche,  die  unentbehrliche  Einrichtung  der  Börsen  gar 
nicht  haben?  Und  Sie  fangen  an,  mich  auszulachen. 
Geduld,  meine  Herren  I 

Zunächst  glaube  ich  nicht  an  die  Börsenlust  unserer 
Leute.  Ich  habe  oft  und  tief  und  mitleidig  in  die  Ver- 
hSltnisse  der  kleinen  Börsianer  hineingeblickt.  Ich  meine, 
sie  tSten  altes  lieber,  als  daß  sie  an  die  Börse  gingen. 
Der  Jude,  besonders  der  ärmere,  ist  ein  ausgezeichneter 
Familienvater,  und  er  geht  mit  Bangen  jeden  Tag  hinaus, 
„Achtel  schnappen",  weil  er  geschäftlich  entehrt,  d.  h. 

I>     Henls  Ttsebaober  I.  jnn 


dbyGoogle 


erwerbsunfShig  sein  kann  im  Handumdrehen,  durch  ir- 
gendein Manöver  der  Großen  oder  eine  brüsk  hereinplat- 
sende  politische  Nachricht.  Dann  verbringt  er  Jahre  oder 
gar  den  Rest  seines  Lebens  vor  der  Börse,  was  eher  trau- 
rig als  komisch  ist.  Und  doch  gibt  es  für  ihn  keinen  an- 
deren Weg,  keinen  anderen  Erwerb.  Man  läßt  selbst  un- 
sere Gebildeten  nirgends  hinein;  vrie  könnten  diese  Armen 
verwendet  werden?  Wir  aber  werden  sie  nach  ihrer  Tüch- 
tigkeit beschSftigen,  ohne  Vorurteil  —  sind  ja  unsere 
Leute  — ,  wir  werden  aus  ihnen  neue  Menschen  machen. 
Ja,  für  alle  beginnt  ein  neues  Leben,  mit  den  Erfahrungen 
des  alten,  ohne  Anrechnung  der  alten  Sünden.  Aus  den 
jetzigen  Abfällen  der  menschlichen  Gesellschaft  werden 
wir  rechtschaffene  glückliche  Männer  machen,  so  wie 
man  aus  einst  ungenützten  Abfällen  der  Fabriken  jetzt 
schöne  Anilinfarben  macht. 

Glauben  Sie  mir,  diese  kleinen  Börsianer  werden  uns 
dankbar  und  treu  dienen,  wohin  wir  sie  stellen;  wenn  sie 
es  nicht  vorziehen,  freie  Unternehmer  von  Arbeiten  und 
Geschäften  aller  Art  zu  werden.  Wollen  sie  Kleinindu- 
strielle der  Landwirtschaft  werden,  so  haben  sie  Kredit 
in  Form  von  Maschinen,  können  als  Pächter  unser  Land 
urbar  machen. 

Größer  wiederholt  sich  dasselbe  bei  den  mittleren  Bör- 
sianern. Diese  werden  Fabrikanten,  Bauunternehmer 
usw.,  weil  sie  Kapital  oder  Kredit  haben.  Wir  Vorurteils- 
losen wissen  ja,  daß  eine  wirkliche  Börsenoperation  kein 
Spiel  ist :  daß  dazu  die  Berechnung  vieler  Umstände,  Be- 
trachtung, schlagfertiges  Urteil,  kurz,  vieles  gehört,  was 
viel  nützlicher  verwendet  werden  kann  und  soll.  Nur 
kann  der  Jude  nicht  aus  der  Börse  hinaus.  Im  G^enteil, 
die  jetzigen  öffentlichen  Zustände  drängen  immer  mehr 
Juden  zur  Börse :  alle  unsere  beschäftigungslose  mittlere 

178 


dbyGooglc 


Intelligenz  maß  hungern  oder  zur  Börse  gehen.  Anderer- 
seits werden  Juden,  die  Geld  haben,  durch  die  sosiali- 
stiscbe  Kapitalsverfolgung  in  die  reine  Geldspekulation 
geworfen.  Sie  verwalten  ihr  Vermögen  an  der  Börse. 
Und  dasselbe  sind  die  Großen  —  und  Sie,  die  Größten, 
auch  —  zu  tun  gezwungen.  Dabei  wachsen  diese  großen 
Vermin  unheimlich.  Man  glaubt  es  wenigstens  allge- 
mein. Es  wird  wohl  so  sein. 

Nun,  alle  diese  Kräfte  werden  durch  uns  frei.  Wir 
leiten  sie  zu  uns  hinOber.  Wir  werden  Goldminen  im 
Lande  haben.  Ich  spreche  nicht  von  denen,  die  man  drü- 
ben in  der  neuen  Erde  finden  könnte;  das  wäre  eine  tö- 
richte Vorspiegelung.  Ich  spreche  von  densicheren.ihrem 
ganzen  Umfange  nach  bekannten  Goldminen,  die  wir 
selbst  hinOberbringen  in  der  Arbeit,  im  Kapital,  in  der 
glücklichen  Verbindung  beider. 

Sie  sehen  jetzt  schon,  was  ich  meine :  das  Gelobte  Land 
ist  in  unsl  Man  hat  es  da  nie  gesucht. 

Meine  Herren  1  Ich  gebe  mir  ja  gewiß  alle  Mühe,  die 
Sache  nicht  zu  verführerisch  darzustellen.  Wenn  die 
Worte  schön  klingen,  ist  nur  die  Sache  daran  schuld. 
tJbrigens  sind  Sie  ja  keine  Bauern  und  werden  darin  noch 
keinen  Grund  zum  Mißtrauen  sehen. 

Aber  die  psychologischen  Erklärungen  und  Prophezei- 
ungen, daß  unsere  Leute  drüben  keine  Börsianer  sein 
werden,  mögen  Ihnen  oder  meinen  späteren  Hörern  in 
der  Welt  nicht  genügen. 

Ich  habe  auch  nur  das  Schöne,  Freie  zuerst  zeigen  wol- 
len. Das  sind  die  Mauern  dor  Fassade.  Aber  das  Gebäude 
hat  innen  eisierne  Träger,  seien  Sie  ganz  ruhig. 

Wir  sperren  nämlich  die  Börsen,  gleich  nachdem  sie 
fertig  geworden  sindl  Mit  anderen  Worten,  wir  führen 
das  Börsenmonopol  ein.  Ja,  der  ganze  Geldhandel  wird 

"'  «79 


dbyGoogle 


verstaatlicht.  Ich  dachte  zuerst  daran  nur  wegen  der 
neuen  Ertiehung  unseres  Vollces.  Aber  je  mehr  dieser 
Plan  in  mir  wuchs  und  reifte,  von  umso  mehr  Seiten 
fand  ich  das  Börsenmonopol  richtig.  Wir  bekommen  da- 
durch auch  die  SpielsucM  in  unsere  Gewalt,  ohne  die 
gesunde  Spekulation  auszurotten.  Wir  dirigieren  vor 
allem  unseren  Staatskredit  uaabhängig  von  Privaten.  Wir 
bekommen  ferner  eine  Ressource  für  die  Pensionierung 
unserer  höheren  Beamten,  Versorgung  ihrer  Witwen  und 
Waisen.  Wie  sich  diese  Pensionsseite  darstellt?  Sehr  ein- 
fach. Es  sind  große,  teilbare  Tabaktrafiken  („un  <]aart 
d'agent  de  change").  Diese  Maklerschaften  werden  von 
eingeschworenen,  in  einem  Disziplinarverbande  stehenden 
Pächtern  unvererblich  geführt.  Diese  Agenturspichter 
stehen  uns  dafür  ein,  daß  ihre  Klienten  keine  Berufs- 
spieler sind.  Das  wird  schwer  zu  ftxieren  sein;  es  handelt 
sich  auch  mehr  um  ein  Moralisches,  und  wir  müssen  mit 
unbestimmten  MaSstiben  manipulieren,  wie  im  6ster- 
reichischea  Wuchergesetz  der  „wirtschaftliche  Ruin" 
einer  ist. 

Wir  hatten  so  bei  den  Unskilledg  die  Trunksucht  durch 
das  Trucksystem  in  unserer  Gewalt.  Hier  will  ich  gleich 
erwähnen,  daß  wir  auch  das  Branntweinmonopol  ein* 
führen.  Dieses  gibt  uns  außer  den  Fabrikalionsgewinnen 
auch  eine  Menge  kleiner  Verschleißstellen  für  Pensionie- 
rung und  Witwen.  Klein,  sage  ich,  denn  unsere  Leute 
sind  in  der  R^el  keine  Trinker.  Jetzt  noch  nicht,  aber 
durch  die  körperliche  Arbeit  könnten  sie  es  werden:  ein 
Staat  muß  vorbeugen.  Und  dies  ist  der  Platz,  auch  von 
der  vorläufig  letzten  indirekten  Besteuerung,  dem  Tabak- 
monopol, zu  sprechen.  Werden  wir  später  mehr  und  grö- 
ßere Einnahmsquellen  brauchen,  so  werden  sie  durch  un- 
sere Bedürfnisse,  d.  h.  durch  unsere  Existenz,  hervorge- 

i8o 


:yG00^lc 


rufen  sein.  In  der  Existenz  aber  flndet  man  alle  nötigen 
KrSfte. 

Das  Tabakmonopol  empfiehlt  sich,  weil  es  den  meisten 
Juden  aus  ihren  bisherigen  Wohnorten  bekannt  ist ;  weil 
es  ermöglicht,  den  höheren  Genuß  zu  st&rkerem  Betrag 
heranzuziehen,  und  weil  es  uns  eine  Unzahl  kleiner  Pen- 
sionen, die  Trafiken,  liefert.  Letztere  sind  zugleich  aus- 
schließliche Verschleißstellen  der  Zeitungen,  welche  dort 
vom  Publikum  gefunden  werden  —  und  im  Notfall  auch 
von  der  Hegieniag. 

Ich  schließe  jetzt  die  Betrachtungen  über  das  Börsen- 
monopol. Von  allen  schönen  Einrichtungen,  die  wir  drü- 
ben schaffen  werden,  dürfte  uns  diese  zuerst  von  Europa 
nachgeahmt  werden. 

Jetzt  wäre  es  freilich  noch  eine  unerhörte  Hirte,  wenn 
man  uns  die  Börsen  sperren  wollte.  Wohin  sollten  sich 
die  unglücklichen  Börsenjuden  jetzt  wenden?  Aber  wenn 
wir  anfangen  zu  wandern,  wird  es  plötzlich  eine  unge- 
heure Wohltat  für  die  Juden,  wobei  sich  die  Staaten  zu- 
gleich große  Ressourcen  schaffen  und  —  wie  wir  drü- 
ben 1  —  das  Spiel  mit  dem  Staatskredit  in  ihre  Gewalt 
bek<«nmen.  Wir  drüben  bieten  ja  den  arbeitslustigen 
Börsianern  und  den  unternehmungslustigen  Kapitalisten 
reiche  Felder.  Die  Spieler,  die  liederlichen  Burschen 
sollen  in  Monte  Carlo  bleiben.  Kommen  Sie  uns  un- 
willig nach,  so  werden  wir  sie  bSndigen,  wie  wir  die  Meu- 
terer bei  den  Unskilleds  mit  unserer  Schutztruppe  bän- 
digten. 

Man  wird  sagen,  daß  wir  die  Leute  durch  unser  Vor- 
gehen unglücklich  machen.  Das  bestreite  ich  auf  des 
entschiedenste.  Eine  so  alte  Wunde  heilt  man  nicht  mit 
Wehleidigkeit.  Man  muß  sie  brennen.  Und  wer  wird  es 
wagen,  die  sittliche  Kraft  der  Arbeit  zu  leugnen?  Wor- 

i8i 


dbyGoogle 


uater  ich  gewiß  nicht  allein  die  Handarbeit  verstehe,  son- 
dern auch  die  Kopfarbeit.  Dazu  gehGrt  zweifellos  die 
Spekulation,  wenn  die  kein  Spiel  ist. 

Das  sittliche  Moment  der  Arbeit  ist  iSngat  in  den  Slraf- 
gesetzgebungen  anerkannt.  Wir  haben  es  in  einer  un- 
gleich edleren  Weise,  vor  dem  Verbrechen,  in  der  assi- 
atance  par  le  travail  wirken  gesehen. 

Lassen  Sie  mich  Ihnen  da  kurz  die  rührende  Geschichte 
erzählen,  die  ich  in  einem  Bericht  über  die  Goldminen 
von  Witwatersrand  gefunden  habe.  Ein  Mann  kam  eines 
Tages  nach  dem  Rand,  ließ  sich  nieder,  versuchte  einiges, 
nur  nicht  das  Goldgraben,  gründete  endlich  eine  Eis- 
fabrik, die  prosperierte,  und  erwarb  sich  bald  durch  seine 
Anständigkeit  die  allgemeine  Achtung.  Da  wurde  er  nach 
Jahren  plötzlich  verhaftet.  Er  hatte  in  Frankfurt  ab  Ban- 
kier Betrügereien  verübt,  war  entflohen  und  hatte  hier 
unter  falschem  Namen  ein  neues  Leben  begonnen.  Als 
man  ihn  aber  gefangen  fortführte,  da  erschienen  die  an- 
gesehensten Leute  von  Johannesburg  auf  dem  Bahnhof, 
sagten  ihm  herzlich  Lebewohl  und  —  auf  Wiedersehen  1 
Denn  er  wird  wiederkommen. 

Was  sagt  diese  Geschichte  alles  I  Zunächst,  daß  ich 
recht  habe.  Und  unsere  unglücklichen  Börsianer  sind 
doch  keine  Verbrecher  I  Es  sind  besorgte,  kämpfende,  an- 
ständige Familienväter.  Es  gibt  Lumpenkerle  unter  ihnen. 
Wo  nicht?  In  welchem  vornehmen  Amt  oder  Beruf  nicht? 
Wie  viele  Spieler  sitzen  in  den  Klubs  I 

Aber  wenn  sie  die  Verbrecher  wären,  die  sie  nicht  sind, 
würden  wir  sie  auch  mitnehmen.  Wir  nehmen  auch  die 
wirklichen  Verbrecher  mit  —  versteht  sich:  nach  abge- 
büßter Strafe.  Denn  in  Europa  muß  alles  ehrlich  liqui- 
diert werden.  Dann,  ein  neues  Leben  I 

Wir  nehmen  —  braucht  das  gesagt  zu  werden?    — 

183 


dbyGooglc 


auch  unsere  Kranken  und  Alten  mit.  Die  wohltfttigen 
Anstalten  der  Juden  werden  durch  die  Ortsgruppen  frei 
verpflanzt.  Die  Stiftungen  werden  auch  drüben  in  der 
ehemaligen  Ortsgruppe  verbleiben.  Die  Gebäude  sollten 
nach  meiner  Ansicht  nicht  verkauft,  sondern  den  christ- 
lichen Hilfsbedürftigen  der  verlassenen  StSdte  gewidmet 
werden.  Drüben  werden  wir  das  den  Ortsgruppen  an- 
rechnen, indem  wir  ihnen  bei  der  Landesverteilung  Bau- 
plitzc  schenken  und  jede  Bauerleichterung  gewähren, 
auch  soll  es  bei  der  Gemeindeversteigerung  gelten. 

Landesverteiluug,  Versteigerung  kommt  bald.  Ich  will 
alles  abkürzen,  soweit  es  möglich. 

Drüben  werden  wir  von  vornherein  die  Wohlt&tigkeits- 
anstalten  in  ein  zentralisiertes  System  bringen,  das  ich 
auch  zu  Ende  gedacht  habe.  Wenn  Sie  mir  aufs  Wort 
glauben,  schenke  ich  Ihnen  diese  ErklSrung  jetzt. 

Die  Privatwohltfttigkeit  muQ  als  planlose  aufhören.  — 
Die  ArbeitsunfShigen  werden  sämtlich  durch  Staat  und 
freie  Wohltätigkeits-Zentrale  versorgt.  Bettler  werden 
nicht  geduldet.  Wer  als  Freier  nichts  tun  will,  kommt 
ins  Arbeitshaus. 

Sie  sehen,  wie  wir  die  einen  nachziehen,  die  anderen 
uns  nachfließen  lassen,  wie  die  dritten  mitgerissen  und 
die  vierten  uns  nachgedrängt  werden. 

Das  Börsenmonopol,  wenn  es  hinter  uns  eingeführt 
wird,  jagt  uns  alle  Zögernden  nach,  hinüber,  wo  sie  viel- 
leicht nicht  mehr  die  besten  Plätze  finden  werden. 

Sie  sehen,  meine  Herren,  wie  da  Zahn  in  Zahn  greift; 
wie  ich  aus  lauter  bekannten  Bestandteilen,  die  Sie  mit 
Händen  greifen  können,  langsam  eine  große  eiserne  Ma- 
schine aufbaue.  Ich  werde  Ihnen  noch  die  Kohle  zeigen, 
mit  der  ich  Feuer,  und  das  Wasser,  aus  dem  ich  Dampf 
mache. 

t83 


dbyGoogle 


Dann  kommt  ein  Signalpfiff,  der  wird  bedeuten :  Ein- 
ateigenl  oder  aus  dem  Wegl 

Ich  sprach  von  einigen  Einkünften  des  Judenstaates. 
Er  hat  noch  andere.  Alles  Unternehmen,  das  vollkommen 
erforscht  daliegt,  wie  Bahnen  und  Versicherung  jeder  bis- 
her bekannten  Art,  wird  staatlich.  Alle  Juden,  die  bisher 
in  Europa  als  Beamte  solcher  Anstalten  dienten,  treten 
zwanglos  in  unseren  Staatsdienst  aber,  bekommen  min- 
destens so  gute  Stellungen  und  zudem  Aussichten  auf 
Avancement  usw.,  die  ein  Jude  jetzt  doch  nicht  einmal 
bei  einem  Privatinstitut  mehr  hat.  Gewisse  Industrien 
betreiben  wir  selbst,  auch  auf  die  Gefahr,  teurer  zu  wirt- 
schaften als  der  Private.  Das  Bergwerk  namentlich  wird 
nur  vom  Staate  betrieben,  weil  selbst  am  Siebenstunden- 
tag solche  Arbeiter  nicht  dem  Sparsinn  des  Unternehmers 
ausgeliefert  sein  sollen.  Der  Staat  wird  mit  Sicherheitsr 
Vorkehrungen  nicht  sparen.  Ihm  gegenüber  gibt  es  aber 
auch  keinen  Streik.  Er  vertritt  kein  Privatinteresse.  Wohl 
aber  wird  durch  eine  Stufenleiter  der  Pensionierung  die 
verschiedene  Schwere  einzelner  Arbeiten  ausgeglichen. 
Wer  schwerer  gearbeitet  hat,  bekommt  früher  seine 
Trafik. 

Einzelne  Steuern  wird  der  Staat  nicht  für  sich  einheben^ 
sondern  zur  zwanglosen  Ausgleichung  von  Armut  und 
Reichtimi.  Wir  kennen  die  wirtschaftlichen  Unterschiede 
nicht  aufheben.  WSren  wir  die  Schwfirmer,  es  zu  wollen: 
sie  würden  morgen  neu  entstehen.  Aber  einen  sittlichen 
Zusammenbang  können  wir  zwischen  den  Freuden  der 
einen  und  den  Leiden  der  anderen  herstellen.  Die  Ver- 
gnügungssteuer (besteht  so  in  Frankreich)  wird  den  Spi- 
tälern zugeführt.  Die  Mitgiftsteuer  dient  zur  Versorgung 
armer.  Mfidchen,  die  man  vergessen  hat  zu  heiraten,  weil 
sie  kein  Geld  haben.    Schon  tun  ja  viele  reiche  Juden 

i84 


dbyGooglc 


dei^leichen,  aber  planlos  wie  alles.  Auch  soll  das  nicht 
lufftUigem  Bettel  ausgeliefert  sein.  Wir  haben  keine 
Bettler.  Wie  ich  den  Steuerbetrug  bei  der  Mitgift  ver- 
eitle, weiß  ich  auch  ganz  genau. 

Schon  ist  gesagt  worden,  daß  wir  das  ganze  Geldge- 
BchSft  verstaatlichen,  oüt  Ausnahme  der  Notoabadk.  Ich 
glaube,  die  Bank  von  Frankreicli  ist  ein  gutes  Muster. 
Die  SoliditSt  des  Umlaufsmittels  wird  von  der  Privat- 
notenbaok  besser  garantiert.  Aber  ihre  Beamten  gleichen 
ja  den  Staatsbeamten. 

Wie  nun  die  Privatnotenbank  mit  der  Staatebank  in 
Harmonie  cu  bringen  ist,  alle  Vorsichten  nnd  alle  Politik, 
das  werden  unsere  FinauEgenies  —  an  denen  es  nicht 
fehlt  —  besser  verstehen,  als  ich. 

Ich  kümmere  mich  nur  um  das  Prinzipielle.  Die  Ver- 
staatlichung des  Geldgesch&ftes  hat  bei  uns  einen  in  der 
ersten  Zeit  nötigen  Zweck  der  Volkserziehung.  Es  gibt 
weder  kleine  noch  große  Bankiers  mehr.  Die  Kapital 
haben,  sollen  und  werden  es  scharfsinnig  in  andere  Un- 
ternehmungen stecken.  Die  Kleinen,  die  verkappten  Wu- 
cherer und  Spielvermittler,  sollen  in  den  Staatsdienst  tre- 
ten. Da  haben  sie  eine  gesunde  Disziplinarordnung  und 
sitzen  nicht  gerade  in  einem  Ministerium,  sondern  auch 
in  den  Exposituren,  wie  Postsparkassenleiter  usw. 

Daß  die  staatliche  Zentralisierung  des  GeldgeschSfts 
kein  Unsinn  ist,  wissen  Sie,  meine  Herren.  Wo  und  wie 
die  Staaten  schon  jetzt  offene  Geldgeschäfte  mit  sich 
selbst  machen  (Sparkassen)  oder  verkappte,  indem  sie 
als  stille  Gesellschafter  bei  der  Notenbank  eintreten,  das 
ist  doch  auch  bekannt. 

Aber  wenn  das  nicht  wSre,  was  ist  denn  Ihr  Welthaus? 
Ich  glaube  nicht,  daß  unser  Staat  oder  irgendein  ande- 
rer jemals  ein  größeres  Geldgesch&ft  haben  wird.    Sie 

i85 


dbyGoogle 


wisseu  also,  daß  der  große  Geldverkehr  die  Zentralisie- 
rung nicht  nur  vertrSgt,  sondern  geradezu  fördert.  In- 
dem ich  von  einem  Ihrer  Schalter  zum  anderen  gehe, 
kassiere  ich  in  London  eine  Forderung  ein,  und  zahle 
in  Neapel  eine  Schuld.  Ich  kann  sogar  diesen  kleinen 
Gang  ersparen,  Sie  besorgen  ihn  für  mich.  —  Und  wo 
die  Zentralisierung  nicht  von  vornherein  besteht,  wird 
sie  frei  gesucht.  Die  Banken  stehen  für  größere  Ge- 
schäfte in  Gruppen  zusammen,  zu  diesen  bösen  Geld- 
kartellen, die  man  in  ihrer  ganzen  Schfidlichkeit  noch 
gar  nicht  erkannt  hat.  Und  Sie  sind  überall  mitten  drin. 
On  votu  voit  trop,  meisieursl  Ich  weiß  wohl,  daß  Sie 
nicht  ungerufen  kommen,  daß  man  Sie  sucht,  daß  Sie 
sich  bitten  lassen. 

Und  das  ist  Ihr  Fluch!  Man  kann  Sie  nicht  mehr  ent- 
behren! Man  zwingt  Sie,  immer  reicher  zu  werden,  ob 
Sie  es  wollen  oder  nicht.  Sie  haben  die  Herrschaft  über 
Ihr  Vermögen  verloren,  Sie  treiben  auf  diesem  Goldstrom 
und  wissen  nicht  mehr,  wohin! 

Ich  weiß  nicht,  ob  sich  alle  Regierungen  schon  darüber 
klar  sind,  was  Ihr  Wettbaus  für  eine  Weltgefahr  ist.  Man 
kann  ohne  Sie  keine  Kriege  führen,  und  wenn  man  Frie- 
den schließen  will,  ist  man  erst  recht  auf  Sie  angewiesen. 
Für  das  Jahr  1895  sind  die  Heeresausgaben  der  fünf 
GroßmScbte  mit  vier  Milliarden  Francs  und  der  Friedens- 
Effektivstand  mit  zwei  Millionen  800000  Mann  berech- 
net worden.  Und  diesen  in  der  Geschichte  beispiellosen 
Armeestand  k<Hnmandieren  Sie  finanziell,  über  die  einan- 
der widersprechenden  Wünsche  der  Nationen  hinweg  1 
Mit  welchem  Recht?  Im  Dienste  welcher  allgemeinen 
menschlichen  Idee?  Und  wer  sind  Sie?  Ein  kleines  HSuf- 
lein  Bankiers,  Schutzjuden  mehr  als  je,  die  man  wohl 
gelegentlich  mit  zu  Hofe  kommen  läßt;  Sie  können  sich 


dbyGooglc 


denkeo,  wenn  man  es  Ihnen  nicht  zeigt  —  mit  welchem 
Widerwillen.  Denn  Sie  werden  nirgends  als  voll,  ja  nicht 
einmal  als  Staatsangehörige  angesehen.  Und  Sie,  die  bei- 
nahe drei  Millionen  Soldaten  den  Riemen  enger  schnü- 
ren können,  Sie  und  Ihre  Kassen  muß  man  überall  mit 
Angst  vor  dem  Volke  bewachen,  das  freilich  noch  nicht 
alles  weiß. 

Und  Ihr  unglückseliges  Vermögen  wfichst,  es  wachst 
noch.  Es  vermehrt  sich  überall  rascher  als  der  Volks- 
wohlstand der  LSnder,  in  denen  Sie  wohnen.  Die  Ver- 
mehrung geschieht  daher  nur  auf  Kosten  des  Volkswohl- 
standes, wenn  Sie  alle  auch  persönlich  die  anstSndigsten 
Leute  sind. 

So  werden  wir  auch  im  Judenstaat  Ihr  beängstigendes 
Vermögen,  das  unsere  wirtschaftliche  und  politische  Frei- 
heit ersticken  würde,  von  vornherein  nicht  dulden.  Auch 
wenn  Sie  mit  uns  gehen,  nicht  I  Verstehen  Sie,  meine  Her- 
ren? Und  wie  wir  verhindern  wollen,  daß  Sie  drüben  rei- 
cher werden,  da  wir  doch  alle  reicher  machen  möchten? 
Denken  wir  am  Ende  gar  an  ein  Ausnahmegesetz  gegen 
Sie?  Welche  Undankbarkeit,  wenn  Sie  uns  helfen,  oder 
welcher  Unsinn  I  Meine  Herren,  wenn  Sie  nicht  mit  uns 
gehen,  werden  wir  Sie  wahrscheinlich  proskribieren  müs« 
sen.  Wir  werden  Sie  nicht  in  unser  Land  lassen,  so  wie 
man  in  Frankreich  die  Prätendenten,  die  doch  sämtlich 
aus  berühmten  französischen  Familien  stammen,  aus- 
schließt. 

Wenn  Sie  aber  mit  uns  gehen,  werden  wir  Sie  noch 
einmal,  ein  letztes  Mal  bereichern.  Und  wir  machen  Sie 
so  groß,  wie  es  der  bescheidene  Gründer  Ihres  Hauses,  ja 
nicht  einmal  seine  stolzesten  Enkel  sich  trSumen  ließen. 

Wir  machen  Sie  reicher,  indem  wir  Ihren  Hilfsbeitrag, 
die  Milliarde,  von  der  wir  ausgingen  —  verdreifachen. 

.87 


dbyGoogle 


Der  Judenstaat  bekommt  das  Recht,  die  Aktien  der  So- 
ciety innerhalb  zwanzig  Jahren  zum  dreifachen  Nominal- 
wert einzulösen.  Das  sind  die  drei  Milliarden  genau,  von 
denen  ich  früher  sprach. 

Wir  machen  Sie  groß,  denn  wir  nehmen  unseren  ersten 
Wahlfürsten  aus  Ihrem  Hause.  Das  ist  die  glänzende  La- 
terne, die  wir  auf  den  beendigten  Eiffelturm  Ihres  Ver- 
mögens setzen.  Der  ganze  Turm  wird  in  der  Geschichte 
aussehen,  als  wäre  er  darauf  angelegt  gewesen. 

Nur  wenige  Worte  über  die  Verfassung.  Ein  Wahl- 
fürstentum. Wir  werden  einen  ruhigen,  bescheidenen, 
vernünftigen  Mann  wählen,  der  nicht  glauben  wird,  daß 
er  nnser  Herr  ist.  Wir  werden  ihn  Übrigens  in  der  Ver- 
fassung genügend  binden.  Denn  wir  werden  freie  Män- 
ner sein  und  niemanden  über  uns  haben,  als  den  allmäch- 
tigen Gott. 

Ach,  viele  unserer  Brüder  können  sich  gar  nicht  einmal 
im  Traum  vorstellen,  was  das  heißt :  ein  freier  Mann  zu 
seini 

Ein  erbliches  Fürstentum  wird  nicht  gegründet.  Wir 
können  uns  vor  der  Welt  nicht  lächerlich  machen.  Es 
sähe  aus,  als  wäre  es  gekauft,  wie  irgendein  verdäch- 
tiges Marquisat.  Um  den  leisen  Druck  der  Machtbesitzer 
für  immerwährende  Zeiten  auszuschließen,  wird  der 
zweite  Fürst  kein  Rothschild  sein,  und  nie  der  Sohn  auf 
den  Vater  folgen  dürfen.  Jeder  Jude  kann  unser  Fürst 
werden;  nur  der  nicht,  der  diesen  Plan  gefunden  hat. 
Die  Juden  würden  sonst  sagen,  er  habe  alles  für  sich  ge- 
macht. Und  wenn  man  es  recht  betrachtet,  wird  auch 
der  erste  Fürst  Rothschild  nicht  für  sein  Geld  so  hoch 
gehoben  worden  sein. 

Wie  Sie  bald  sehen  werden,  sind  wir  auf  ihr  Geld  nicht 
angewiesen.  Aber  mit  der  Leistung  Ihres  Beitrages  voll- 


dbyGooglc 


liehen  Sie  eine  sittliche  Tat.  Sie  unterwerfen  sich  der 
Volksidee,  Sie  helfen  uns,  das  ungeheure  Werk  kampf- 
los zu  vollziehen,  Sie  ersparen  der  ganzen  Kulturwelt  die 
schwersten  Erschütterungen.  Dafür  sollen  Sie  belohnt 
werden,  und  die  Welt  wird  darüber  nicht  lachen. 

Für  das  Verständnis  des  Volkes  müssen  solche  Ideen 
in  der  einfachen  und  ergreifenden  Fonn  von  Symbolen 
dargestellt  werden.  Und  darum  werden  wir,  wenn  wir 
nach  dem  Tempel  ziehen,  um  den  Fürsten  zu  krönen,  alle 
in  glänzenden  und  festlichen  Kleidern  stecken.  Nur  wird 
in  unserer  Mitte  ein  Mann  in  der  dürftigen  und  schänd- 
lichen Tracht  eines  mittelalterlichen  Juden  gehen:  mit 
dem  spitzen  Judenhut  und  dem  gelben  Fleck.  Und  ge- 
rade der  wird  unser  Fürst  sein.  Erst  im  Tempel  legen 
wir  ihm  einen  Fürstenmanlel  um  die  Schultern  und  setzen 
ihm  eine  Krone  auf  den  Kopf. 

Das  wird  bedeuten:  Für  uns  bist  du  nur  ein  armer 
Jude,  sollst  nie  vergessen,  was  wir  ausgestanden  haben, 
und  sollst  dich  hüten,  uns  in  neue  Gefahren  zu  bringen. 
Aber  vor  der  Welt  bist  du  unser  Fürst,  du  sollst  glänzen 
und  repräsentieren. 

Ah,  jetzt  glauben  Sie  schon  wieder,  daß  ich  einen  Ro- 
man erzähle  I  Sie  sind  gerührt  und  erschüttert  und  möch- 
ten doch  spotten.  Wo  sage  ich  denn  etwas  Unmögliches? 
Was  ist  daran  unwirklich?  Der  Tempel?  Den  baue  ich, 
wohin  ich  will.  Unsere  Festkleider?  Wir  werden  reich 
nnd  frfei  genug  sein,  sie  zu  tragen.  Die  Menge?  Die  ziehe 
ich,  wohin  ich  will.  Die  wunderbare  Tracht  des  Fürsten? 
Sie  waren  bewegt,  als  ich  sie  schilderte,  und  waren  Sie 
es  nicht  —  tont  pis  poar  vousl  Andere  Völker  sehen  bei 
solchen  Festaufzügen  auch  alte  Kostüme,  halten  sie  aber 
nicht  für  Maskeraden,  sondern  für  tiefsinnige  Erinne- 
rungen an  die  Vergangenheit. 

■«9 


dbyGoogle 


Und  warum  halte  ich  mich,  da  ich  mit  Geschäftsleuten 
rede  und  mit  ihnen  rechne,  so  lange  bei  dieser  Schilde- 
rung auf? 

Weil  dieses  ungreifbare  Element  der  Volksbegeiste- 
rung, wallend  wie  aus  erhitztem  Wasser  entstandener 
Dampf,  die  Kraft  ist,,  mit  der  ich  die  große  Maschine 
treibe  I 

Ja,  nun  bleibt  noch  die  ungelöste  Frage,  was  mit  Ihrem 
Vermögen  geschehen  soll,  wenn  Sie  mit  uns  gehen? 

Das  ist  äußerst  einfach.  Ihr  Vermögen  besteht  aus 
zwei  Teilen :  aus  tatsächlicher  Fundierung,  die  wir  noch 
um  zwei  Milliarden  vermehren. 

Die  Fundierung  behalten  Sie.  Dieses  Vermögen,  so 
groß  es  ist,  fürchten  wir  dann  nicht  mehr.  Es  wird  zum 
großen  Teil  in  Europa  bleiben,  aber  nicht  mehr  erwerben. 
Ihre  Schlösser,  Paläste,  alle  Luxusanlagen  mögen  bleiben ; 
sie  werden  Ihnen  für  künftige  Besuche  in  Europa  dienen, 
wenn  Mitglieder  Ihrer  Familie  zum  Vergnügen  zurück- 
kehren oder  uns  als  Diplomaten  vertreten.  Es  wird  der 
natürliche  Zerfall  großer  Vermögen  eintreten:  durch 
Heiraten,  Verzweigung  der  Linien  und  Verschwender. 
Auch  werden  Sie  drüben  mit  gutem  Beispiel  den  Reichen 
vorangehen  im  Anlegen  schöner  Kunstsammlungen,  Bau- 
ten, prachtvoller  Gärten.  Wir  wollen  die  geistig  Zurück- 
gebliebenen unmerklich  zur  Kultur  verführen.  Den  Haupt- 
teil Ihres  Vermögens  aber,  die  gefährliche  Weltmacht 
Ihres  Kredits,  übernehmen  wir  für  unsere  Society  ofJews. 

Wir  liquidieren  die  Rothschilds,  wie  wir  den  kleinsten 
Spediteur  oder  Krämer  liquidieren.  Das  heißt:  die  So- 
ciety verschlingt  das  Haus  Rothschild. 

Auch  das  wird  in  der  natürlichsten  Weise  von  der 
Welt  geschehen.  Alle  Ihre  Beamten  bleiben  vorläufig,  wo 
sie  sind ;  und  Sie  selbst  bleiben  überall  an  der  Spitze.  Bis 

190 


dbyGooglc 


zu  dem  Tage,  wo  Sie,  die  jetzt  lebenden  Rothschilds,  in 
unserem  Staate  verwendet  werden,  als  Leiter  unseres  Fi- 
nanzwesens und  andere  Mitglieder  der  Regierung,  als 
Gouverneure  der  Provinzen  und  unsere  Vertreter  bei 
fremden  Mächten.  Durch  Ihre  Verbindungen  mit  dem 
europfiischen  Hochadel  werden  Sie  sich  gut  für  diploma- 
tische Dienste  eignen.  Auch  Sie  werden  sich  von  Ihren 
gewohnten  Umgebungen  nicht  loszureißen  brauchen. 

Wir  werden  Ihnen  keine  Titel  geben,  die  anfangs 
Ucherlich  klingen.  Sie  sind  einfach  Vertreter  der  Juden, 
da  und  dort.  Sie  geben  sich  ja  schon  jetzt  gelegentlich 
als  Vertreter  der  Juden  zu  erkennen,  wenn  Sie  beim  Ab- 
schluß einer  Anleihe  um  ein  bißchen  Schutz  für  die  dor- 
tigen Juden  flehen. 

Kommt  die  Zeil,  wo  die  anderen  Völker  es  für  nützlich 
und  uns  für  wert  genug  halten,  uns  Gesandte  zu  schicken, 
so  werden  wir  diese  Höflichkeit  erfreut  erwidern. 

Die  anderen,  mittebreichen  Juden,  die  jetzt  Generalkon' 
suln  und  dergleichen  sind,  werden  wir,  wenn  sie  sich  uns 
anschließen,  in  ihren  jetzigen  Wohnorten  ähnlich  zu 
unseren  Vertretern  machen,  bis  wir  sie  nachziehen. 

Wir  werden  den  jetzigen  Adel  der  Juden  nostrifizieren, 
wenn  er  bis  zu  einer  gewissen  Zeit  auf  unserem  freien 
Adelsamt  nachgewiesen  wird.  Dieses  Amt  wird  dafür  sor- 
gen, daß  kein  allzu  grotesker  Adel  eingeschmuggelt  wird. 
Denn  wir  brauchen  für  gewisse  hohe  Zwecke  unserer 
Politik  einen  staatlichen  Adel,  wie  wir  auch  einen  ein- 
zigen Orden  (nach  Art  der  l^ion  d'honneur)  haben  wer- 
den. Dieser  Orden  heißt  die  „Judenehre"  t  Er  bat  ein 
gelbes  Band,  und  so  machen  wir  aus  unserer  alten  Schande 
unsere  neue  Ehre.  Unsere  besten  MSnner,  und  nur  unsere 
besten  MSnner,  dürfen  ihn  tragen,  so  daß  er  sich  dadurch 
in  aller  Welt  die  Achtung  erwirbt.  Für  Geld  wird  er  nicht 

'9' 


dbyGoogle 


erhältlich  sein.  Sonst  ist  das  kein  Lohn  mehr  für  unsere 
Leute,  deren  Leben  wir  manchmal  verlangen,  oder  die 
es  uns  freiwillig  anbieten  werden. 

Unsere  Söhne  I  Wie  ich  beim  Verfassen  dieses  Planes 
oft  und  zärtlich  an  mein  Bübchen  denke,  das  jetzt  erst 
vier  Jahre  alt  ist,  so  denken  auch  Sie  an  Ihre  Söhne.  Ich 
wünsche  Ihnen  viele  und  tüchtige;  wir  werden  alle  unsere 
Buben  brauchen.  Jetzt  ist  die  Zukunft  Ihrer  Söhne  eine 
Ihrer  großen  Sorgen,  gestehen  Sie  es?  Sollen  Sie  wieder 
Bankiers  aus  ihnen  machen?  oder  Nichtstuer,  einfältige 
Sportsmen?  Im  Staat  oder  im  Heer  wird  man  sie  nir- 
gends befehlen  lassen,  das  sehen  Sie  doch  eint  Zum  fi- 
nanziellen auch  noch  das  wirkliche  Kommando  wird 
Ihnen  niemand  ausliefern. 

Aber  bei  unsl  Wenn  sie  fähig  sind,  können  sie  alles 
werden,  wie  jeder  andere  Jude  auch.  Doch  nur,  wenn  sie 
fähig  sind.  Adel  und  Privateigentum  sind  bei  uns  ver- 
erblich. Die  Amter  nicht  I  Wir  gingen  sonst  zugrunde. 

Dem  soll  mit  aller  Macht  vorgebeugt  werden.  Wie  un- 
sere Verfassung  sein  wird?  Weder  eine  monarchische, 
noch  eine  demokratische.  Ich  bin  ein  großer  Freund  mo- 
narchischer Einrichtungen,  weil  sie  eine  beständige  Po- 
litik und  das  mit  der  Staatserhaltung  verknöpfte  Interesse 
einer  geschichtlich  berühmten,  zum  Herrschen  geborenen 
und  erzogenen  Familie  vorstellen.  Unsere  Geschichte  ist 
jedoch  so  lange  unterbrochen  gewesen,  daß  wir  an  die 
Einrichtung  nicht  mehr  anknüpfen  können. 

Gegen  die  Demokratien  bin  ich,  weil  sie  maßlos  in  der 
Anerkennung  und  in  der  Verurteilung  sind,  zu  Parla- 
mentsgeschwätz und  zur  häßlichen  Kategorie  der  Berufs- 
politiker führen.  Auch  sind  die  jetzigen  Völker  nicht 
geeignet  für  die  demokratische  Staatsform;  und  ich 
glaube,  sie  werden  zukünftig  immer  weniger  dazu  geeig- 

193 


dbyGooglc 


uet  sein.  Die  Demokratie  setit  nämlich  sehr  einfache  Sit- 
ten voraus,  und  unsere  Sitten  werden  mit  dem  Verkehr 
und  mit  der  Kultur  immer  komplizierter.  ,,Le  ressort 
d'une  dimocratie  est  la  vertu",  sagt  der  weise  Montes- 
quieu. Und  wo  finden  Sie  diese  Tugend,  die  politische 
meine  ich.  Ich  glaube  nicht  an  unsere  politische  Tugend, 
weil  wir  nicht  anders  sind,  als  die  anderen  modernen  Men- 
schen, und  weil  uns  in  der  Freiheit  xunXchst  der  Kamm 
schwellen  wird.  Das  Referendum  halte  ich  für  unver- 
ständig, denn  in  der  Politik  gibt  es  keine  einfachen  Fra- 
gen, die  man  bloß  mit  Ja  und  Nein  beantworten  kann. 
Auch  sind  die  Massen  noch  irger  ab  die  Parlamente  je- 
dem Irrglauben  unterworfen,  jedem  kräftigen  Schreier 
zugeneigt.  Sie  sehen,  das  durch  seine  Freiheitsliebe  be- 
rühmte und  jetzt  vom  Fremdenverkehr  lebende  Volk  der 
Schweiier  hat  die  ersten  modernen  Ausnahmegesetze  gegen 
die  Juden  gemacht.  Vor  versammeltem  Volke  kann  man 
weder  äußere  noch  innere  Politik  machen.  Ich  könnte 
dem  Volke  nicht  einmal  Schutzzoll  oder  Freihandel  er- 
klären, geschweige  eine  Währungsfrage  oder  einen  inter- 
nationalen Vertrag,  und  am  allerwenigsten  die  sinnvollen 
Maßregeln  der  Volkserziebung,  der  vor  allem  unsere  Sorge 
gewidmet  sein  muß. 

Politik  muß  von  oben  herab  gemacht  werden.  Wir 
knechten  dabei  niemanden,  denn  wir  lassen  jeden  tüch- 
tigen Juden  aufsteigen.  Jeder  wird  aufsteigen  wollen. 
Ahnen  Sie  schon,  welch  ein  gewaltiger  Zug  nach  oben 
in  unser  Volk  kommen  muß?  Wie  jeder  Einzelne  nur 
sich  zu  heben  glaubt,  und  wie  doch  die  Gesamtheit  ge- 
hoben wird.  Wir  werden  ja  das  Aufsteigen  in  sittliche, 
dem  Staate  nützliche,  der  Volksidee  dienende  Formen 
binden. 

Darum  denke  ich  an  eine  „Aristokratie",  wie  Montes- 


dbyGoogle 


quieu  sagte.  Das  entspricht  auch  dem  ehrgeizigen  Sinn 
unseres  Volkes,  der  jetzt  zu  alberner  Eitelkeit  entartet  ist. 
Manche  Einrichtung  Venedigs  schwebt  mir  vor,  aber  wir 
werden  alles  vermeiden,  woran  Venedig  zugrunde  ging. 
Wir  werden  aus  den  geschäftlichen  Fehlern  anderer  ler- 
nen, wie  aus  unseren  eigenen.  Denn  wir  sind  ein  moder- 
nes Volk,  wir  wollen  das  modernste  werden.  Unser  Volk, 
dem  wir  das  neue  Land  bringen,  wird  auch  die  Verfas- 
sung, die  wir  ihm  geben,  dankbar  annehmen.  Wo  sich 
aber  Widerstände  zeigen,  werden  wir  sie  brechen.  Wir 
versuchen  es  überall  mit  freundlicher  Gflte  und  setzen 
es  dann  im  Notfall  durch  mit  harter  Gewalt. 

Das  Detail  der  öffentlichen  Einrichtungen  führe  ich 
jetzt  nicht  aus.  Glauben  Sie  mir,  daß  ich  den  Staat  ver- 
stehe. Wir  werden  auch  unseren  großen  Rat  von  Staats- 
juristen haben.  Der  öffentlichen  Meinung  werden  wir, 
besonders  in  den  Anfängen,  weitgezogene  aber  feste  Gren- 
zen setzen.  Sie  können  sich  schon  denken,  daß  ich  als 
Journalist  um  die  Freiheit  und  Ehre  meines  Standes  be- 
sorgt bin.  Im  Werke  können  wir  uns  freilich  nicht  durch 
beschränkte  oder  böswillige  Individuen  stören  lassen. 

(Hier  will  ich  incidemment  etwas  einschalten,  das  zeigt, 
wie  leicht  wir  viele  unserer  Gewohnheiten  verpflanzen 
können.  Die  Blätter,  die  jetzt  als  Judenblätter  ausge- 
rufen sind  —  und  mir  scheint  mit  Recht  —  werden 
drüben  Ausgaben  veranstalten  wie  der  New  York  Herald 
in  Paris.  Von  hüben  und  drüben  wird  man  einander  die 
Nachrichten  zukabeln.  Wir  bleiben  ja  mit  der  alten  Hei- 
mat verbunden.  Allmählich  wächst  das  Zeitungsbedürf- 
nis, die  Kolonialausgabe  wird  größer,  es  ziehen  die  jü- 
dischen Redakteure  hinüber,  die  christlichen  bleiben  al- 
lein. Die  Judenblätter  verwandeln  sich  allmählich  und 
unmerklich  in  Christenblätter,  bis  die  Ausgabe  drüben 

194 


dbyGoogle 


ebenso  selbstSndig  ist,  wie  die  hüben.  Es  ist  im  Ernst 
dieses  Planes  ein  heiterer  Gedanke,  daß  manche  Re- 
gierung schon  um  deswillen  geneigt  sein  wird,  uns  zu 
helfen.) 

Ich  will  nur  noch  einige  Bemerkungen  über  andere 
Öffentliche  Einrichtungen  machen.  Vielleicht  denkt  je- 
mand, es  werde  eine  Schwierigkeit  sein,  daß  wir  keine 
gemeinsame  Sprache  mehr  haben.  Wir  können  doch 
nicht  hebrSisch  miteinander  reden.  Wer  von  uns  weiß 
Hebr&isch  genug,  um  in  dieser  Sprache  ein  Bahnbillet  zu 
verlangen?  Das  gibt  es  nicht.  Dje  Sache  ist  aber  sehr 
einfach.  Jeder  behält  seine  Sprache.  Ich  bin  ein  deut- 
scher Jude  aus  Ungarn,  und  kann  nichts  anderes  mehr 
sein  als  ein  Deutscher.  Jetzt  erkennt  man  mich  nicht  als 
Deutschen  an.  Das  wird  schon  kommen,  bis  wir  erst  drü- 
ben sind.  Und  so  soll  jeder  seine  erworbene  Nationalität 
behalten,  die  Sprache  reden,  welche  die  liebe  Heimat  sei- 
ner Gedanken  geworden  ist.  Wir  sehen  ja  in  der  Schweiz, 
daß  ein  Föderativstaat  verschiedener  Nationen  existie- 
ren kann. 

Übrigens  glaube  ich,  daß  die  Hauptsprache  die  deutsche 
sein  wird.  Ich  folgere  das  aus  unserem  verbreitetsten 
Jargon,  dem  „Jidendeutsch".  Nur  werden  wir  uns  auch 
diese  Ghettosprache  drüben  abgewöhnen.  Es  war  die  ver- 
stohlene Sprache  von  Gefangenen.  Unsere  Volkslehrer 
werden  darauf  achten. 

Wir  erkenaen  uns  eigentlich  nur  noch  am  väterlichen 
Glauben  als  zusammengehörig.  Werden  wir  also  am 
Ende  eine  Theokratie  haben?  Nein!  Der  Glaube  hält 
uns  zusammen  —  die  Wissenschaft  macht  uns  frei. 
Wir  werden  daher  tbeokratische  Velleitäten  unserer 
Geistlichen  gar  nicht  aufkommen  lassen.  Wir  werden 
sie  in  ihren  Tempeln  festzuhalten  wissen,  wie  wir  unser 

■3*  195 


dbyGoogle 


Berufsheer  in  den  Kasernen  festhalten  werden.  Heer 
und  Klerus  sollen  so  hoch  geehrt  werden,  wie  ea  ihre 
schönen  Funktionen  erfordern  und  verdienen.  In  den 
Staat,  der  sie  auszeichnet  und  hesoldet,  haben  sie  nichts 
dreinzureden,  denn  sie  würden  uns  Süßere  und  innere 
Schwierigkeiten  bereiten.  Jeder  ist  in  seinem  Bekennt- 
nis oder  seinem  Unglauben  so  frei  und  unbeschrfinkt 
wie  in  seiner  Nationalität.  Und  fOgt  es  sich,  daß  später 
auch  Andersgläubige,  Andersnationale  unter  uns  wohnen, 
werden  wir  ihnen  einen  ehrenvollen  Schutz  gewähren. 
Wir  haben  die  Toleranz  in  Europa  gelernt.  Ich  sage  das 
nicht  einmal  spöttisch.  Den  jetzigen  Antisemitismus  kann 
man  nur  an  vereinzelten  Orten  für  die  alte  religiöse 
Intoleranz  halten.  Zumeist  ist  er  bei  den  Kulturvölkern 
eine  Bewegung,  mit  der  sie  ein  Gespenst  ihrer  eigenen 
Vergangenheit  abwehren  möchten. 

Idi  glaube,  es  muß  jetzt  schon  von  allen  Seiten  klar 
sein :  Der  Judenstaat  ist  ein  Weltbedörf  nis  I 

Und  darum  wird  er  entstehen  —  mit  Ihnen,  meine  Her- 
ren, oder  gegen  Sie  I  Er  würde  sogar  früher  oder  später, 
par  la  force  des  cboses,  auch  ohne  diese  Anregung  ent- 
stehen. Ins  Wasser  werfen  kann  man  uns  nicht  —  wenig- 
stens nicht  alle  —  bei  lebendigem  Leib  verbrennen  auch 
nicht.  Es  gibt  überall  Tierschutzvereine.  Also  was?  Man 
müßte  ims  schließlich  ein  Stück  Land  auf  dem  Erdball 
suchen,  wenn  Sie  wollen  —  ein  Weltghetto. 

Dieser  Plan  erfindet  also  kein  Bedürfnis,  er  zeigt  es 
nur  und  zeigt  zugleich,  wie  das  ohne  Erschütterung,  ohne 
Kämpfe  und  Qualen  zu  jedermanns  Zufriedenheit  ge- 
macht werden  kann.  Darum  ist  dieser  Plan  die  Lösung. 

Wir  werden  den  neuen  Judenstaat  anständig  gründen. 
Wir  denken  ja  an  unsere  künftige  Ehre  in  der  Welt. 

Darum  müssen  alle  Verpflii^tungen  in  den  bisherigen 


dbyGooglc 


Wohnorten  rechtschaffen  erfüllt  werden.  Billige  Fahrt 
und  Refaktien  werden  wir  nur  denen  gewähren,  die  uns 
ein  Amtsseugnig  beibringen :  „In  guter  Ordnung  fortge- 
sogen". Alle  privatrechtlichen  Forderungen,  die  noch 
aus  den  verlassenen  L&ndern  stammen,  sind  bei  uns  leich- 
ter klagbar  als  irgendwo.  Wir  werden  gar  nicht  auf  Re- 
ziprozität warten.  Wir  tun  das  nur  unserer  eigenen  Ehre 
willen.  So  werden  späterbin  auch  unsere  Forderungen 
willigere  Gerichte  finden,  als  dies  jetzt  da  und  dort  der 
Fall  sein  mag. 

Von  selbst  versteht  sich  nach  allem  Bisherigen,  daß  wir 
auch  die  jüdischen  Verbrecher  leichter  ausliefern  werden 
als  jeder  andere  Staat  —  bis  zu  dem  Augenblick,  wo  wir 
die  Straf  hoheit  nach  denselben  Grundsätzen  ausüben  wer- 
den, wie  alle  übrigen  zivilisierten  Völker.  Vorläufig  neh- 
men wir  unsere  Verbrecher  erst  auf,  nachdem  sie  ihre 
Strafe  abgebüßt  haben  —  dann  aber  ohne  jede  Restrik- 
tion. Es  soll  auch  für  die  Verbrecher  unter  uns  ein  neues 
Leben  beginnen.  Nur  bei  den  Deserteuren  ist  ein  Unter- 
schied zu  machen.  Die  Kriegsdeserteure  nehmen  wirnicht 
auf.  Wenn  sie  sich  zu  uns  flüchten,  packen  wir  sie  so- 
fort und  liefern  sie  aus.  Wer  bis  zum  Kriege  in  seiner 
Heimat  blieb,  hat  dazubleiben,  bis  der  Krieg  vorüber  ist, 
und  bat  natürlich  mitzukämpfen,  wie  jeder  Mann,  der 
ein  Gewehr  tragen  kann.  Aber  nach  dem  Krieg  nehmen 
wir  sie  gern  und  mit  großen  Ehren  auf.  Sie  haben  sich 
für  die  Judenehre  geschlagen. 

Die  Friedensdeserteure  hingegen  muß  man  uns  mit- 
geben und  lassen.  Wir  können  sonst  nicht  anfangen. 

Wir  brauchen  alle  arbeitsfähigen  Arme.  Wir  müssen 
ohnehin  auf  den  Verlust  einer  halben  Generation  für  die 
körperliche  Arbeit  rechnen.  Erst  in  fünfzehn  Jahren, 
denke  ich  mir,  werden  unsere  inzwischen  herangewach- 

»97 


dbyGoogle 


geaen  Buben  für  alle  nötige  körperliche  Arbeit  genügen. 
Bis  dahin  werden  wir  viele  Produkte  importieren  müssen. 
Mit  den  atropbierten  Armen  der  jetzt  schon  hinwelkenden 
Generation  ist  oichta  mehr  zu  machen.  Wir  werden  sie 
beschäftigen,  das  ist  gewiß,  aber  mit  Arbeiten,  die  für 
sie  keine  Marter  sind.  Wir  werden  sie  su  Aufsehern,  Post- 
boten, Verschleißern  usw.  machen.  In  Siechenhäuser  wer- 
den wir  sie  nicht  stecken.  Das  Sieebenbaus  ist  eine  der 
grausamsten  Wohltaten,  die  unsere  alberne  Gutmütigkeit 
erfunden  hat.  Im  Siechenhaus  schämt  und  kränkt  sich  der 
alte  Mensch  zu  Tode.  Er  ist  eigentlich  schon  begraben. 
Wir  aber  wollen  selbst  denen,  die  auf  den  untersten  Stufen 
der  Intelligenz  stehen,  bis  ans  Ende  die  tröstende  Illusion 
ihrer  Nützlichkeit  lassen. 

So  werden  wir  für  alle  Lebensalter,  für  alle  Lebens- 
stufen das  körperliche  Glück  und  die  sittliche  Beseligung 
der  Arbeit  suchen.  So  wird  unser  Volk  seine  Tüchtigkeit 
wiederfinden  im  Siebenstundenlande. 

Meine  Herren  I  Ich  kann  diesen  Plan  nicht  mit  kon- 
zentrischen Kreisen  und  geraden  Linien  zeichnen.  Ich 
muß  ihn  zeichnen  wie  eine  Landkarte,  im  Zickzack  von 
Bergen  und  Gewässern.  So  komme  ich  erst  jetzt  zu  einer 
der  zeitlich  frühesten  Veranstaltungen:  zur  eigentlichen 
Landnahme. 

Als  die  Völker  in  den  bistoriscben  Zeiten  wanderten, 
ließen  sie  sieb  vom  Weltzufall  tragen,  ziehen,  schleudern. 
Wie  HeuscbreckenscbwSrme  gingen  sie  in  ihrem  bewußt- 
losen Zuge  irgendwo  nieder.  In  den  geschichtlichen  Zei- 
ten kannte  man  ja  die  Erde  nicht. 

Die  neue  Judenwanderung  muß  nach  wissenacbaftUchen 
Grundzügen  erfolgen. 

Noch  vor  einigen  vierzig  Jahren  wurde  die  GoIdgrSberei 
auf  eine  wunderlich  naive  Weise  betrieben.   Wie  aben- 

198 


dbyGooglc 


teuerlich  ist  es  in  Kalifornien  zugegangen.  Da  liefen  auf 
ein  Gerücht  bin  die  Desporados  aus  alter  Welt  zusammen, 
stahlen  der  Erde,  raubten  einander  das  Gold  ab  —  und 
verspielten  es  dann  ebenso  räubermfißig.  Heute!  Sehen 
Sie  sich  heute  die  Goldgrfiberei  in  Transvaal  an.  Keine 
romantischen  Strolche  mehr,  sondern  nüchterne  Geolo- 
gen und  Ingenieure  leiten  die  Goldindustrie.  Sinnreiche 
Maschinen  lösen  das  Gold  aus  dem  erkannten  Gestein. 
Dem  Zufall  ist  wenig  überlassen. 

So  muß  das  neue  Judenland  mit  allen  modernen  Hilfs- 
mitteln erforscht  und  in  Besitz  genommen  werden. 

Sobald  unsere  Geographen  das  Land  gefunden  haben, 
sobald  die  yölkerrechtlichen  und  privaten  KaufvertrSge 
abgeschlossen  sind,  fährt  das  Landnahmeachiff  hinüber. 

Auf  dem  Schiffe  befinden  sich  die  Verwaltungsbeam- 
l«n,  die  Techniker  aller  Art  und  die  Delegierten  der  Orts- 
gruppen. 

Diese  Landnehmer  haben  drei  Aufgaben.  Erstens  die 
genaue  wissenschaftliche  Erforschung  aller  natürlichen 
Eigenschaften  des  Landes.  Zweitens  die  Einrichtung  einer 
straff  zentralisierten  Verwaltung.  Drittens  die  Land- 
verteilung. Diese  drei  Aufgaben  greifen  ineinander  und 
sind  aus  dem  schon  genügend  bekannten  Zweck  heraus 
vernünftig  zu  entwickeln. 

Nur  eins  üt  noch  nicht  klar  gemacht:  nfimlich  wie  die 
Landergreifung  nach  Ortsgruppen  vor  sich  gehen  soll. 

Wir  setzen  als  unerlSßlich  ein  echeloniertes  Klima  vor- 
aus. Wir  müssen  unseren  Leuten  ungefähr  dasselbe  Klima 
wiedergeben,  an  das  sie  in  ihren  bisherigen  WohnCMlen 
gewöhnt  sind.  Nach  dieser  allgemeinen  Einteilung  folgt 
die  spezielle. 

In  Amerika  okkupiert  man  bei  Erschließung  eines 
neuen  Territoriums  auch  noch  auf  eine  recht  naive  Art. 


dbyGoOglc 


Die  LaDdDehmer  verBammeln  sich  an  der  Grenze  und 
stürzea  zur  bestimmtea  Stunde  gleichzeitig  und  gewalt- 
sam darauf  los. 

So  werden  wir  es  nicht  machen.  Die  PlStze  unserer 
Provinzen  werden  versteigert.  Nicht  etwa  für  Geld,  son- 
dern für  Leistungen.  Es  ist  nach  dem  allgemeinen  Land- 
plan festgestellt  worden,  welche  Straßen,  Wasserregulie- 
rungen, Brücken  usw.  nötig  sind  für  den  Verkehr.  Das 
wird  nach  Provinzen  zusammengelegt.  Innerhalb  der  Pro- 
vinzen werden  in  ähnlicher  Weise  die  StadtplStze  verstei- 
gert. Die  Ortsgruppen  ühernehmen  die  Verpflichtung, 
das  ordentlich  auszufahren,  bestreiten  die  Kosten  aus 
■utontMoen  Umlagen.  Wir  werden  ja  in  der  Lage  sein,  im 
voraus  zu  wissen,  ob  sie  sich  keiner  zu  großen  Opfer  ver- 
messen. Die  größeren  Gemeinden  erhalten  größere  Schau- 
plStze  für  ihre  Tätigkeit.  Größere  Opfer  belohnen  wir 
durch  gewisse  Zuwendungen;  Universitäten,  verschiedene 
technologische  Versuchsanstalten  und  jene  Institute,  die 
nicht  in  der  Hauptstadt  sein  müssen,  werden  planvoll  über 
das  Land  zerstreut.  Wir  wollen  keine  hypertrophische 
Hauptstadt  haben. 

Für  die  richtige  Ausführung  des  Übernommenen  haftet 
uns  das  eigene  Interesse  der  Ersteher,  und  im  Notfalle  die 
Ortsumlage,  die  wir  dann  vielleicht  als  Oktroi  einhehen. 
Denn  so  wie  wir  den  Unterschied  einzelner  Individuen 
nicht  aufheben  können  und  wollen,  so  bleiben  auch  die 
Unterschiede  swischen  den  Ortsgruppen  bestehen.  Alles 
gliedert  sich  auf  natürliche  Weise,  alle  erworbenen  Rechte 
werden  geschützt,  alle  neue  Entwicklung  erhält  genügen- 
den Spielraum. 

Diese  Dinge  werden  sämtlich  unseren  Leuten  deutlich 
bekannt  sein.  So  wie  wir  die  anderen  nicht  überrumpeln 
oder  betrügen,  so  täuschen  wir  uns  auch  selbst  nicht. 


dbyGooglc 


Von  vornhereia  wird  alles  auf  eiae  planvolle  Art  fest- 
gestellt sein.  Schon  auf  dem  Laodnahmeschiff  wird  sich 
jeder  über  seine  Aufgaben  vollkommen  klar  sein:  die 
Gelehrten,  die  Techniker,  die  Offiziere  und  Beamten, 
endlich  und  hauptsfichlich  die  bevollmichtiglen  Vertreter 
der  Ortsgruppen. 

Wenn  aber  das  neue  Land  zum  ersten  Male  in  Sicht 
kommt,  steigt  am  Mast  unsere  neue  Fahne  auf.  Wir 
haben  jetzt  keine.  Ich  denke  mir  eine  weiße  Fahne  mit 
sieben  goldenen  Sternen.  Das  weiße  Feld  bedeutet  unser 
neues  reines  Leben  und  die  sieben  Sterne:  daß  wir  im 
Zeichen  der  Arbeit  unsere  Existenz  begründen  wollen. 

So  kann,  so  wird  es  sein,  wenn  Sie  mit  uns  gehen,  meine 
Herren. 

Und  wenn  Sie  nun  keine  Lust  haben,  wenn  Sie  sich  wohl 
genug  fühlen  in  ihren  jetzigen  Zuständen  —  ist  damit 
die  ganze  Sache  durch  Ihr  ablehnendes  Lächeln  erledigt? 
Neiol 

Wir  wären  wirklich  arme  Leute,  wenn  wir  zu  Ihnen 
um  eine  Milliarde  betteln  kämen. 

Wenn  Sie  nicht  wollen,  geht  die  Sache  auf  die  zweite 
Stufe,  an  die  mittelreichen  Juden.  Wir  werden  den  Plan 
in  einigen  Exemplaren  an  die  Hauptorte  des  jüdischen 
Reichtums  schicken  und  den  mittleren  Millionären  zur 
Kenntnis  bringen  lassen.  Die  Geldbeschaffung  nimmt 
dann  eine  andere  Form  an.  Die  ganze  jüdische  Mittelbank 
muß  im  Namen  der  Volksidee  gegen  die  Uochbank  zu- 
sammengerafft werden  zu  einer  zweiten  f  ormidablen  Geld- 
macht. Die  Aufgabe  ist,  Sie  mitzureißen  oder  niederzu- 
reißen —  und  dann  hinüber  I 

In  diesem  Falle  will  ich  allerdings  mit  der  Ausführung 
nichts  weiter  zu  schaffen  haben.  An  GeldgeschSften  be- 
teilige ich  mich  nicht. 


dbyGoogle 


Und  zunächst  wird  doch  nur  ein  Geldgeschäft  daraus 
werden.  Denn  die  Milliarde  müßte  voll  eingezahlt  werden 
—  sonst  darf  man  nicht  anfangen  —  und  da  dies  Geld 
erst  langsam  in  Verwendung  träte,  so  wärde  man  in  den 
ersten  Jahren  allerlei  Bank-  und  Anleihegeschäfte  ma- 
chen. Es  ist  auch  nicht  ausgeschlossen,  daß  so  allmäh- 
lich der  ursprüngliche  Zweck  in  Vergessenheit  geriete. 
Die  mittelreichen  Juden  hätten  ein  neues  großes  Geschäft 
gefunden,  und  die  Judenwaaderung  würde  versumpfen. 

Phantastisch  ist  die  Idee  dieser  Geldbeschaffung  durch- 
aus nicht,  das  wissen  Sie.  Verschiedene  Male  hat  man 
versucht,  das  katholische  Geld  gegen  Sie  zusammenzu- 
raffen. Daß  man  Sie  auch  mit  jüdischem  bekämpfen 
könne,  hat  man  bisher  nicht  bedacht.  Und  da  würden  Sie 
vielleicht  unterliegen. 

Aber  welche  Verkehrskrisen  hätte  dies  alles  zur  Folge, 
wie  würden  die  Länder,  wo  diese  Geldkämpfe  spielen, 
geschädigt  werden;  wie  müßte  der  Antisemitismus  dabei 
überhandnehmen . 

Mir  ist  das  also  nicht  sympathisch :  ich  erwähne  es  nur, 
weil  es  in  der  logischen  Entwicklung  meines  Gedankens 
ist;  weil  diese  Gefahr  Sie  vielleicht  bewegen  wird  mitzu- 
gehen, und  weil  schließlich  auch  die  mittelreichen  Juden 
Anspruch  darauf  haben,  daß  man  sie  rechtzeitig  verstän- 
dige. 

Ob  die  Mittelbankiers  die  Sache  aufgreifen  werden, 
weiß  ich  nicht.  Vielleicht  I 

Jedenfalls  ist  die  Sache  auch  mit  der  Ablehnung  der 
Mittelreichen  nicht  erledigt.  NeinI  Dann  beginnt  sie  erst 
recht.  Denn  ich  bringe  sie  dann  vor  das  jüdische  Volk 
und  vor  die  ganze  Welt.  Ich  veröffentliche  diese  Rede 
mit  allen  Schritten,  die  ich  in  der  Sache  getan,  und  mit 
allen  Antworten,  die  ich  bekommen  habe.  Ich  weiß  ganz 


dbyGoogle 


gut,  welchen  Dingen  ich  mich  dabei  aussetze.  Man  wird 
mich  Iftchertich  machen  und  sagen,  daß  ich  König  der 
Juden  werden  wolle.  Man  wird  mich  verächtlich  zu  ma- 
chen suchen  und  sagen,  daß  es  mir  nur  um  ein  Geschäft 
XU  tun  sei.  Nun  habe  ich  zwar  nie  ein  Geschäft  gemacht, 
am  allerwenigsten  mit  meiner  Feder  —  aber  das  beweist 
doch  nichts  für  die  Zukunft. 

Da  werden  meine  Pairs,  die  Philosophen  und  Künstler 
mich  in  ihren  Schutz  nehmen,  in  aller  Welt.  Denn  sie 
wissen,  daß  manche  Worte  nur  der  findet,  der  sie  ehrlich 
meint. 

Und  das  Volk  wird  mir  glauben.  Nicht  nur  unter  den 
armen  Juden,  unter  allen  Völkern  wird  eine  Bewegung 
der  Wut  gegen  Sie  entstehen,  die  Sie  der  Welt  diese  Er- 
leichterung bringen  können  und  sich  weigern,  es  zu  tun. 

Ich  glaube,  mein  Buch  wird  Leser  finden.  Das  Volk 
wird  meinen  Worten  glauben  —  und  die  Regierungen 
nicht  minder.  In  den  Tempeln  wird  man  für  das  Gelingen 
dieses  Planes  beten  —  aber  in  den  Kirchen  auchl  Volk 
und  Bürger  und  Adel  und  Klerus  und  Könige  und  Kaiser 
werden  sich  für  die  Sache  erwärmen.  Es  ist  die  Lösung 
eines  alten  Drucks,  unter  dem  alle  litten. 

Nein,  meine  Herren  von  Rothschilds,  man  braucht  Sie 
dazu  nicht  I  Wissen  Sie,  wer  das  Aktienkapital  der  So- 
ciety of  Jews  aufbringen  wird?  Die  Christen  I 

Vielleicht  auch  schon  die  armen  ganz  kleinen  Juden. 
Man  wird  für  sie  die  Milliarde  in  ganz  kleine  Teile  zer- 
legen. Nur  könnte  ich  mich  freilich  auch  in  diesem 
Falle  nicht  an  der  Ausführung  beteiligen.  Nicht  nur, 
weil  es  wieder  das  Geldgeschäft  wäre  —  sondern,  und 
hauptsächlich,  weil  dieses  Geld  ja  doch  nicht  genügen 
würde  für  die  vielen  Zwecke,  zu  denen  wir  Ihren  Welt- 
kredit hätten  benützen  können. 

ao3 


dbyGoogle 


Ich  will  die  armen  Leute  nicbt  ins  Elend  hinausführen. 
Die  Judenwanderung  könnte  in  diesem  Falle  nur  mit  aus- 
drücklicher entschiedener  Hilfe  der  beteiligten  Regierun- 
gen gemacht  werden. 

Man  müßte  uns  in  allem  an  die  Hand  gehen,  uns  das 
erforderliche  und  genügende  Land  verschaffen,  uns  alle 
Transporterleichterungen  gewähren,  kurz,  alles  was  zur 
gesunden  Durchführung  unentbehrlich  ist. 

Die  Regierungen  —  schon  spreche  ich  nicht  mehr  zu 
Ihnen,  meine  Herren,  sondern  zum  Fenster  hinaus  —  die 
Regierungen  werden  bald  im  vollen  Umfange  erkennen, 
was  ihnen  die  Lösung  der  Judenfrage  alles  bringt. 

Ich  sprach  früher  von  direkten  und  indirekten  Vor- 
teilen unseres  Auszuges.  Es  waren  noch  die  mindesten. 
Ja,  wir  führen  bedeutende  fiskalische  Einkünfte  herbei, 
indem  wir  abziehen.  Ja,  wir  geben  den  Bahnen  zu  tun, 
den  KSrrnern  zu  schaffen,  zahlen  doppelte  Gebühren,  til- 
gen alle  unsere  Schulden,  lassen  in  unsere  aufgegebenen 
einträglichen  Positionen  die  entsprechenden  Massen  von 
Menschen  einrücken,  und  wo  der  Staat  unsere  Industrien 
und  Anstalten  übernehmen  will,  geben  wir  ihm  das  Vor- 
kaufsrecht. 

Diese  einzelnen  gütlichen  Expropriationen  und  Ver- 
staatlichungen können  und  müssen  ja  recht  bedeutend 
werden.  Sie  sind  nicht  der  wichtigste  Vorteil,  den  die  Staa- 
ten und  ihre  Angehörigen  von  der  Judenwanderung  haben 
werden.  Der  wichtigste  Vorteil  ist  ein  anderer.  Welcher? 

Dachten  Sie  nicht  schon  die  ganze  Zeit:  man  kann  uns 
doch  nicht  mit  unserem  ganzen  Gelde  abziehen  lassen. 
Jetit  bat  man  uns  doch  noch  ein  bißchen  in  der  Gewalt 
und  kann  uns  die  Halsbinde  zuweilen  enger  schnüren. 
Da  wäre  also  der  wunde  Punkt  meines  Systems? 

Ich  glaube  gerade:  da  ist  der  stärkste. 


dbyGooglc 


Erstens  kann  bewegliches  Gut  in  seiner  heute  wichtig- 
sten Form  von  Inhaberpapieren  nie  als  im  Lande  befind- 
lich angesehen  werden.  Dem  Inhaberpapier  ist  nicht 
mehr  beizukommen.  Die  Pariser  Kommune  hat  es  von 
unten  herauf  versucht  —  wir  wissen  mit  welchem  Er- 
folg. Von  oben  herab  denkt  ja  niemand  daran.  Zweitens, 
und  das  ist  die  ungeheure  Hauptsache,  die  jeder  sehen 
muß,  erlösen  wir  das  Weltkreditwesen  von  uns.  Denn 
im  Augenblick  unseres  Abzuges  nationalisieren  die  Staa- 
ten ihren  Kredit.  Durch  das  Böfsenmonopol,  das  sie  sich 
beeilen  werden,  uns  nachzumachen,  bekommen  sie  das 
bösartige  Spiel  mit  dem  Staatskredit  in  die  Hand.  Viel- 
leicht werden  sie  das  Geldgeschäft  auch  ganz  verstaat- 
lichen —  man  müßte  ja  sonst  befürchten,  daß  die  Kul- 
turvölker sich  gerade  in  unserer  Abwesenheit  verjuden. 

Wie  diese  Verstaatlichung  durchzuführen  ist,  werden 
wir  ja  zeigen  können.  Übergangsformen  sind  leicht  zu 
finden.  Die  Staaten  können  Bankorganisationen  grün- 
den, welche  von  der  Society  of  Jews  die  bei  dieser  ver- 
sammelten einzelnen  verlassenen  Bankgeschäfte  überneh- 
men. Die  Society  selbst  kann  fliese  Organisation  für  die 
Staaten  besorgen  und  das  Fertige  abliefern.  Ja,  es  kann 
schließlich  die  ganse  Society  in  zwei  Teile  gespalten  wer- 
den, in  den  neujüdischen,  der  unserem  Staate  anheim- 
fSllt,  imd  in  den  altjüdischen,  das  beißt europfiiscben,  wel- 
cher den  Staaten  zukommt.  Form  und  Umfang  der  Ab- 
findung wfire  Gegenstand  von  Verhandlungen  mit  den 
einzelnen  Regierungen. 

Wir  ziehen  also  den  Weltkreditmarkt  durchaus  nicht 
mit  uns  —  ach,  wie  froh  und  stark  wird  unser  Volksgeist 
werden,  wenn  wir  das  erst  los  sind  I  —  wir  organisieren 
vielmehr  bei  unserem  Abschied  den  nationalen  Kredit  der 
Staaten.   Das  ist  unser  höchstes  Geschenk  —  als   eine 

aoS 


dbyGooglc 


Abzug&steuer  kann  ea  nicht  angesehen  werden,  weil  wir  es 
freiwillig  tun.  Alles  tun  wir  ja  in  diesem  Plane  freiwillig 
und  somit  zu  unserer  Ehre ! 

Ja,  was  wird  mit  den  weniger  sparkrSftigen  Nationen 
geschehen?  Die  wenigstens  werden  doch  der  fernen  jü- 
dischen Geldmacht  ausgeliefert  sein? 

Die  so  wenig  wie  die  anderen.  Unser  Kredit  wird  ihnen 
auch  weiter  wie  bisher  zur  Verfügung  stehen,  wenn  sie 
ihn  suchen  —  aber  sie  werden  auf  uns  nicht  mehr  aus- 
schließlich angewiesen  sein.  Die  Regierungen  werden  ihre 
auswärtige  Finanzpolitik  selbst  machen.  Sie  werden  sich 
zu  Bündnissen  zusammenfinden.  Es  wird  eine  Konkor- 
danz aller  politischen  Hilfsmitlel  vorhanden  sein. 

Der  Staat  erhält  nach  innen  und  nach  außen  die  eigene 
Verfügung  über  seine  Finanzen  und  ist  nicht  mehr  auf 
internationale  Gruppen  und  Börsenkartelle  angewiesen. 
Ich  sehe  alles  vom  Staate  aus  an,  für  uns  wie  für  die  an- 
deren I 

Der  Staat  muß  sein  I 

Wird  es  Juden  geben,  die  mich  für  einen  Verräter  an 
der  Judensache  halten,  weil  ich  das  alles  sage? 

Ich  will  sie  gleich  aufklären  und  beruhigen.  Die 
schlechte  Judensache  vertrete  und  verteidige  ich  nicht, 
der  guten  Judensache  glaube  ich  mit  der  Veröffentlichung 
dieser  Gedanken  einen  Dienst  zu  leisten. 

Aber  nicht  einmal  den  eigensüchtigen  und  beutegieri- 
gen Schwindlern  unter  den  Juden  schadet  die  Veröffent- 
lichung. 

Denn  das  alles  kann  nur  ausgeführt  werden  mit  freier 
Zustimmung  der  Judenmehrheil.  Es  kann  gegen  Einzelne, 
selbst  gegen  die  Gruppen  der  jetzt  Mächtigsten,  gemacht 
werden  —  aber  keineswegs  vom  Staat  aus  gegen  alle 
Juden. 

3o6 


dbyGooglc 


Die  Emanzipation,  die  ich  aus  politischen  Gründen  für 
ebenso  verfehlt  erachte,  wie  ich  ihr  aus  menschlichen  be- 
geistert und  dankbar  zustimme  —  die  Emanzipation  kam 
zu  spSt.  Wir  waren  gesetzlich  und  in  unseren  bisherigen 
Wohnorten  nicht  mehr  emanzipierbar. 

Dennoch  kann  man  die  gesetzliche  Gleichberechtigung 
der  Juden,  wo  sie  besteht,  nicht  mehr  aufheben.  Nicht 
nur,  weil  es  gegen  das  moderne  Bewußtsein  w5re  —  mein 
Gott,  Not  bricht  Eisen  —  sondern  auch,  weil  das  sofort 
alle  Juden,  arm  und  reich,  den  Umsturzparteien  zujagen 
würde. 

Man  kann  also  eigentlich  nichts  Wirksames  gegen  uns 
tun.  Und  doch  wSchst  der  Antisemitismus  in  den  Bevöl- 
kerungen täglich,  stündlich  und  muß  weiterwachsen,  weil 
die  Ursachen  nicht  behoben,  nicht  zu  beheben  sind. 

Die  causa  remota  ist  der  im  Mittelalter  eingetretene 
Verlust  unserer  Assimilierbarkeit. 

Die  caata  proxima  ist  unsere  Überproduktion  von  mitt- 
leren Intelligenzen,  die  keinen  Abfluß  nach  unten  haben 
und  keinen  Aufstieg  nach  oben  —  nfimlich  keinen  ge- 
sunden Abfluß  und  keinen  gesunden  Aufstieg.  Wir  wer- 
den nach  unten  hin  zu  Umstürzlern  prolelarisiert,  bilden 
die  Unteroffiziere  aller  Revolutionsparteien.  Und  gleich- 
zeitig wächst  nach  oben  unsere  furchtbare  Geldmacht. 

So  ist  es.  So  ist  es  wirklich  1  Ich  übertreibe  nicht  und 
leugne  nicht.  Was  ich  sage,  ist  einfach  und  wahr. 

Und  darum  enthalt  mein  Entwurf  die  Lösungl  Wird 
jemand  sagen:  Ja,  wenn  so  etwas  möglich  wäre,  hätte 
man  es  schon  früher  gemacht? 

Früher  war  es  nicht  möglich.  Jetzt  ist  es  möglich.  Noch 
vor  hundert,  vor  fünfzig  Jahren  wäre  es  eine  Schwärme- 
rei gewesen.    Heute  ist  das  alles  wirklich. 

Sie,  meine  Herren,  wissen  am  besten,  was  mit  Geld 

907 


dbyGoogle 


alles  gemacht  werden  kann.  Wie  sctmell  und  gefahrlos 
wir  jetzt  in  riesigen  Dampfern  Ober  die  früher  unbekann- 
ten Meere  jagen.  Sichere  Eisenbahnen  führen  wir  hinauf 
in  eine  Bergwelt,  die  man  ehemals  mit  Angst  zu  Fuß  be- 
stieg. Hunderttausend  Köpfe  denken  fortwährend  nach, 
wie  man  der  Natur  alle  ihre  Geheimnisse  abnehmen 
kannte.  Und  was  einer  findet,  gehört  in  der  nächsten 
Stunde  der  ganzen  Welt.  Es  ist  möglich  I 

Und  es  wird  wunderbar  zugehen :  gerade  die  Einfachen, 
die  all  diese  Wahrheiten  nicht  so  wissen  wie  Sie,  meine 
Herren,  gerade  die  Einfältigen  werden  mir  am  stärksten 
glauben.  Sie  haben  die  alte  Hoffnung  aufs  Gelohte  Land 
in  sichl 

Und  da  ist  es  wirklich :  kein  Märchen,  kein  Betrug  I  Jeder 
kann  sich  davon  überzeugen,  denn  jeder  trägt  ein  Stück 
vom  Gelobten  Land  hinüber:  der  in  seinem  Kopf  und 
der  in  seinen  Armen  und  jener  in  seinem  erworbenen  Gut. 

KeinZweifel:  es  ist  dasGelobteLand  —  wowir krumme 
Nasen,  rote  oder  schwarze  BSrte  und  gebogene  Beine 
haben  dürfen,  ohne  darum  schon  verächtlich  lu  sein. 

Wo  wir.  endlich  als  freie  Männer  auf  unserer  eigenen 
Scholle  leben  und  in  unserer  eigenen  Heimat  ruhig  ster- 
ben können.  Wo  auch  wir  zur  Belohnung  großer  Taten 
die  Ehre  bekommen.  Wo  wir  in  Frieden  mit  aller  Welt 
leben,  die  wir  durch  unsere  Freiheit  befreit,  durch  un- 
seren Reichtum  bereichert  und  durch  unsere  Größe  ver- 
größert haben. 

So  daß  der  Spottruf  „Jude"  zu  einem  Ehrenwort  wird, 
wie  Deutscher,  Engländer,  Franzose,  kurz,  wie  die  Namen 
aller  Kulturvölker. 

So  daß  wir  durch  unseren  Staat  unser  Volk  erziehen 
können  für  Aufgaben,  die  jetzt  noch  hinter  unserem  Ge- 
sichtskreise li^n. 


dbyGooglc 


17.  VI. 

Nun  kennte  es  scheinen,  als  wäre  das  eine  langwierige 
Sache.  Ich  spreche  da  immer  von  Monaten,  Jahren,  Jahr- 
zehnten. Inzwischen  werden  die  Juden  auf  tausend  Punk- 
ten gefaSnselt,  gekränkt,  gescholten,  geprügelt,  geplündert 
und  erschlagen. 

Nein,  meine  Herren,  es  ist  die  sofortige  Lösung.  Ich 
bringe  den  Antisemitismus  augenblicklich  in  der  ganzen 
Welt  zum  Stillstand.  Es  ist  der  Friedensschluß. 

Denn  nachdem  wir  alle  einleitenden  Schritte  mit  größ- 
ter Raschheit  und  Heimlichkeit  betrieben  haben ;  nachdem 
wir  durch  öffentlich-rechtliche  Verträge  uns  die  staat- 
liche Unabhängigkeit,  durch  privatrechtliche  Käufe  das 
Land  gesichert  haben;  nachdem  wir  Kabel,  Schiffe  er- 
worben, mit  Bahnen  P£age<  und  RefaktienvertrSge  ge- 
schlossen, kurz,  alles  getan  haben,  was  zur  billigen  Durch- 
führung nötig  ist:  publizieren  wir  unser  ganzes  Pro- 
gramm. 

Es  wird  in  der  Neuen  Freien  Presse  geschehen.  Denn 
gegen  diese  Zeitung  habe  ich  eine  Pflicht  der  Dankbarkeit 
zu  erfüllen.  Diese  Zeitung  hat  mich  nach  Paris  geschickt, 
hat  mir  die  Mittel  und  die  Gelegenheit  geboten,  so  manche 
Kenntnisse  zu  erwerben,  die  jetzt  der  Sache  dienen.  Die- 
ser Zeitung  soll  also  das  gehören,  was  literarisch  an  mei- 
ner Mitteilung  ist. 

Am  nächsten  Morgen  fliegt  die  Botschaft  in  die  ganze 
Welt  hinaus:  Frieden  1 

Frieden  den  Juden,  Sieg  den  Christen. 

Wir  müssen  den  Frieden  schließen,  weil  wir  nicht  län- 
ger kämpfen  können,  weil  wir  uns  später  unter  ungün- 
stigeren Bedingungen  ergeben  müßten. 

Die  Antisemiten  haben  recht  behalten.  Gönnen  wir  es 
ihnen,  denn  auch  wir  werden  glücklich. 

aog 


dbyGoogle 


Sie  habea  recht  behalten,  weil  sie  recht  haben.  Sie 
konnten  sich  von  uns  nicht  im  Heer,  in  der  Verwaltung, 
in  allem  Verkehr  unterjochen  lassen,  zum  Dank  dafür, 
daß  man  uns  aus  dem  Ghetto  großmütig  herausgelassen 
hat.  Vergessen  wir  nie  diese  großmütige  Tat  der  Kultur- 
völker I 

Indem  wir  sie  von  uns  befreien,  lösen  wir  sie  auch  vom 
unheimlichen  Druck  des  Mittelalters,  der  unerkannt  in 
der  Judenfrage  noch  auf  ihnen  lastete.  Sie  sind  unschul- 
dig an  den  Sünden  ihrer  V&ter. 

Verseihung,  Frieden,  Versöhnung  der  ganzen  Welt. 
Und  sofort  beginnt  die  Erleichterung.  Aus  den  Mittel- 
ständen fließen  augenblicklich  unsere  überproduzierten 
mittleren  Intelligenzen,  fließen  ab  in  unsere  ersten  Or- 
ganisationen, bilden  unsere  ersten  Offiziere,  Beamten, 
Juristen,  Ärzte,  Techniker  aller  Art. 

Und  so  geht  die  Sache  dann  weiter,  eilig  und  doch  ohne 
Erschütterung.  Man  wird  in  den  Tempeln  beten  für  das 
Gelingen  unseres  herrlichen  Werkes.  Aber  in  den  Kii^ 
eben  aucfal 

Die  Regierungen  werden  uns  freundschaftlich  unter- 
stützen, weil  wir  ihnen  die  Gefahr  einer  Revolution  ab- 
nehmen, die  bei  den  Juden  begönne  —  und  aufhören 
würde,  man  weiß  nicht  wol 

Die  Völker  werden  froh  aufatmen.  Aber  wir  auch,  wir 
besonders  l  Wir  scheiden  ab  geachtete  Freunde. 

Und  so  ziehen  wir  hinaus  ins  Gelobte  Land,  ins  Land 
der  sieben  Stunden,  das  uns  Gott  in  seiner  unerforsch- 
lichen  Güte  verheißen  hat,  unter  der  lichten  Fahne,  die 
wir  uns  selber  geben. 


dbyGooglc 


Zweites  Buch 


dbyGoogle 


D,3,l,zedb,G00gle 


S3.  Juni 
Mit  dem  Briefe  an  Bismarck  ist  diese  in  mir  fortschrei- 
teode  Entwicklung  des  Gedankens  logisch  in  ein  neues 
Stadium  getreten.  Ich  beginne  ein  neues  Buch.  Ich  weiß 
auch  nicht,  wieviel  Platz  die  bisherigen  Notixen  einneh- 
men werden,  zu  deren  Reinschrift  ich  jetit  nicht  aufgelegt 
bin. 

34.  Juni 
Heute  hat  Bismarck  meinen  Brief.    Ob  er  mich  fOr 

einen  leichten  oder  schweren  Narren  halten  wird?  Ob 
er  antwortet? 

35.  Juni. 
Mit  Fürth  diniert.  Ich  habe  ihm  erzählt,  daß  ich  mit 

Hirsch  zusammenkam.  Ich  dachte  mir,  er  würde  es  ohne- 
hin erfahren;  so  wollte  ich  zu  meinen  Briefen  einen 
authentischen  Kommentar  zur  Weiterverbreitung  liefern. 
Besonders  der  dritte  Brief  an  Hirsch  reut  mich.  Wann 
werde  ich  mir  das  unvorsichtige  Briefschreiben  abge- 
wöhnen? 

übrigens  sagte  mir  Fürth,  daß  ich  Hirsch  richtig  be- 
urteilt und  behandelt  habe. 

Er  bestätigte  auch  meine  Vermutung,  daß  Hirsch  die 
beiden  Sekretäre  bestellt  habe,  um  Zeugen  für  die  Tat- 
sache meines  Besuches  zu  haben. 

Wir  gingen  dann  in  den  Zirkus. 

Ich  sagte:  ein  Mann  würde  meinen  Plan  (den  ich  Fürth 
nicht  mitteilte,  den  er  aber  beiläufig  zu  erraten  schien) 
verstehen.  Das  ist  der  deutsche  Kaiser. 

Fürth :  Verfassen  Sie  eine  Denkschrift  für  ihn.  Suchen 
Sie  dann  einen  sicheren  Mann,  der  sie  fibergibt.  Vielleicht 
mein  Vetter,  der  Direktor  des  Kolonialamts,  v.  K . . . 

Ich:  Der  ist  Ihr  Vetter?  Getauft? 

3l3 


dbyGooglc 


Fürth:  Ja.  Er  hat  Herbert  Bismarck  zum  Assessor- 
Examen  eingepaukt,  wurde  so  mit  dem  Alten  bekannt, 
der  ihn  verwenden  wollte,  wenn  er  sich  taufen  liel^.  K . . . 
tat  es,  vielleicht  auch  weil  er  eine  Katholikin,  seine  jet- 
zige Frau,  heiraten  wollte.  Er  wurde  zuerst  Staatsanwalt 
in  Straßburg,  avancierte  dann,  wurde  schließlich  Direk- 
tor des  Kolonialamts.  Ab  Bismarck  sich  mit  dem  Kaiser 
überwarf,  ging  v,  K . . .  zum  Kaiser  über.  Er  hat  inuner 
Zutritt. 

Ich :  Das  wire  also  wohl  der  richtige  Mann.  Aber  wird 
er  Lust  haben,  als  Konvertit  sich  mit  der  Judensache  ab- 
zugeben? 

Fürth  zuckt  die  Achseln:  Vielleicht.  (F.  ist  ja  auch 
getauft.) 

26.  Juni. 
Heute  ist  Bismarcks  Antwort  fSlIig.   Sie  kommt  nicht. 
Ob  er  den  Brief  überhaupt  bekommen  hat?  Wenn  hü- 
ben oder  drüben  schwarze  Kabinette  existieren,  ist  der 

-  Brief  jedenfalls  einmal  —  vielleicht  zweimal  —  geöffnet 
worden.  Die  Geheimpost  hatte  eigentlich  eine  Freiprämie 
in  meiner  Eventualbemerkuog,  daß  ich  darauf  gefaßt  bin, 
überhaupt  keine  Antwort  zu  bekommen.  Man  konnte 
meinen  Brief  einfach  wegwerfen. 

Ein  schnurriger  Gedanke  ist :  daß  man,  wenn  man  eine 
Mitteilung  sicher  an  die  Regierung  befördern  will,  sie 
nur  in  einen  solchen  Brief  mit  auffallender  Adresse  zu 
stecken  braucht. 

27.  Juni. 
Keine  Antwort  von  Bismarck.    Ich  bin   schon   über- 
zeugt, daß  ich  keine  bekommen  werde.  Ich  dachte  daran, 
durch  F . . .  bei  den  Hamburger  Nachrichten  anfragen  zu 
lassen,  ob  B.  meinen  Brief  bekommen  habe. 

Aber  F . . .  würde  das  spiter  einmal  als  Anekdote  von 

si4 


dbyGooglc 


mir  erzählen.  Liegt  mir  auch  nichts  mehr  daran,  ob  Bis- 
marck  den  Brief  beknnmen  hat  oder  nicht.  Hat  er  ihn 
—  tont  pis. 

Ich  denke  jetzt  an  Schoen.  Der  könnte  meine  Denk- 
schrift dem  Kaiser  zustellen.  Aber  wie  ist  mir:  ist  Schoen 
nicht  auf  Urlaub? 

27.  Juni. 

In  der  Kammer,  wie  zuf&llig,  Wolff  gefragt,  ob  Schoen 
hier  ist.    Nein.   In  Bayern,  auf  Urlaub  bis  i5.  August. 

Ich  dachte  daran,  durch  Wolff  anfragen  zu  lassen,  ob 
Schoen  meinen  Besuch  zwischen  zwei  Eilzügen  annehmen 
wolle. 

Mich  dann  entschlossen,  Schoen  direkt  zu  schreiben.  Je 
weniger  davon  wissen,  desto  besser. 

Schoen  wird  mich  übrigens  kennen  und  geneigt  sein. 

Eventuell  einen  anderen  deutschen  Diplomaten  dazu 
suchen.  Wird  nicht  schwer  sein. 

27.  Juni. 
Zum  Plan. 

Unterwegs  werden  Gestorbene  nicht  ins  Wasser  ge- 
worfen. Das  würde  die  Auswanderer  abschrecken,  wäre 
dem  Volk  eine  unheimliche  Vorstellung.  Leichen  werden 
in  sicherer  Weise  desinfiziert  und  drüben  beerdigt. 

28.  Juni. 
Bevor  ich  an  Schoen  herangehe,  wird  es  doch  nützlich 

sein.  Albert  Rothschild  zu  verständigen.  Ich  glaube,  so 
komme  ich  in  besserer  Form  auf  den  ursprünglichen  Ge- 
danken zurück.  Und  ich  bin  gegen  den  Vorwurf  gedeckt, 
ohne,  d.  h.  gegen,  die  Juden  gehandelt  zu  haben. 


dbyGoogle 


Brief  an  Albert  Rothschild. 

Hochgeehrter  Herr! 

Ohne  Einleitung  zur  Sache. 

Ich  habe  eine  Denkschrift  über  die  Judeofrage  für  den 
Deutschen  Kaiser  verfaßt.  Ein  sicherer  Mann  (Diplomat) 
wird  die  Schrift  dem  Kaiser  zustellen.  Es  ist  keine  tö- 
richte und  wehleidige  Beschwerde.  Der  Kaiser  könnte, 
seihst  wenn  er  wollte,  nichts  gegen  den  Antisemitismus  — 
wie  ich  diese  Bewegung  verstehe  —  tun.  Meine  Denk- 
schrift enthält  vielmehr  den  umfassenden  Plan  zu  einer 
von  den  Jpden  aller  Länder  ausgehenden  Selbsthilfe.  Mit 
dem  Deutschen  Kaiser  kann  ich  in  der  Sache,  wenn  er 
jnich  nach  dem  Lesen  meiner  Denkschrift  rufen  läßt, 
als  unabhängiger  Mann  verkehren,  weil  ich  seinen  Staa- 
ten nicht  angehöre.  Es  ist  ja  von  vornherein  kein  Zwei- 
fel darüber  möglich,  daß  ich  weder  von  ihm  noch  von 
irgend  einem  anderen  eine  Gunst  oder  einen  Vorteil  haben 
will.  Und  so  hoffe  ich,  daß  dieser  frische  und  tatkräf- 
tige Fürst  mich  verstehen  wird.  Meine  Denkschrift  unter- 
fertige ich  allein,  und  ich  habe  die  ausschließliche  Ver- 
antwortung dafür.  Aber  da  ich  mich  der  Judeasache  an- 
oebme,  bin  ich  den  Juden  den  Nachweis  meiner  guten 
Absicht  schuldig  und  zu  diesem  Zweck  brauche  ich  einige 
achtbare  und  unabhängige  Zeugen.  Woblgemerkt:  Zeu- 
gen und  nicht  Bürgen  oder  Auftraggeber.  Tatsächlich 
wären  ja  einzelne  Personen  gar  nicht  berufen,  mir  einen 
Auftrag  zu  geben,  den  ich  übrigens  nicht  brauche. 

Wollen  Sie  einer  der  Zeugen  sein?  Ich  habe  einige 
Mühe,  brauchbare  Männer  zu  finden.'  Seit  ich  mich  um 
die  Sache  bekümmere,  hübe  ich  schon  recht  üble  Erfah- 
rungen gemacht.  Manchmal  ist  mir  der  Ekel  bis  dahin- 
aufgestiegen. Wir  haben  so  verkrümmte,  zerdrückte  und 

3lG 


dbyGooglc 


geldesfürchtige  Leute,  die  darum  noch  mehr  Fußtritte 
bekommen,  als  sie  obnehin  schon  verdienen.  Aber  auch 
diese  Jammereigeoscbaften  flößen  mir  schließlich  Mitleid 
ein;  sie  sind  durch  den  langen  Druck  entstanden. 

Ich  will  auch  sofort  ein  Bedenken  beseitigen,  das  Ihnen 
aufsteigen  könnte.  Meine  Denkschrift  enthält  auch  nicht 
die  leiseste  Spur  einer  Pflicht-  oder  Ehrfurchtsverletzung 
gegen  unseren  Landesherrn.  Ich  versuche  nur,  dem  An- 
tisemitismus dort  beizukommen,  wo  er  entstanden  ist  und 
wo  er  noch  seinen  Hauptsitz  hat:  in  Deutschland.  Ich 
halte  die  Judenfrage  für  äußerst  ernst.  Wer  da  glaubt, 
daß  die  Judenhetze  eine  vorübergehende  Mode  sei,  irrt 
schwer.  Es  muß  aus  tiefen  Gründen  immer  ärger  wer- 
den, bis  zur  unvermeidlichen  Revolution. 

Manche  Juden  glauben  freilich,  daß  die  Gefahr  nicht 
mehr  da  ist,  wenn  sie  die  Augen  zudrücken. 

Ich  resümiere.  Meine  Denkschrift  wird  dem  Kaiser 
Ende  Juli  oder  Anfang  August  zugestellt.  Ich  komme 
in  der  zweiten  Hälfte  Juli  nach  Osterreich.  Wenn  Sie  die 
Schrift  kennenlernen  wollen,  werde  ich  Sie  Ihnen  vor- 
lesen. Wir  werden  zu  diesem  Zweck  eine  Zusammenkunft 
verabreden.  Ich  bin  bereit,  auf  einen  halben  Tag  zu  Ihnen 
zu  kommen.  Sie  werden  schon  für  Ungestörlhcit  Vor- 
sorgen. Sollten  Sie  um  diese  Zeit  aber  reisen,  so  wäre  es 
mir  noch  lieher,  mit  Ihnen  irgendwo  unterwegs  zusam^ 
menzntreffen.  Mir  ganz  egal  wo. 

Empfinden  Sie  nun  kein  Bedürfnis,  meine  Denkschrift 
kennenzulernen,  so  genügt  es  vollkommen,  daß  Sie  mir 
diesen  Brief  zurückschicken.  Ich  werde  es  nicht  als  Ver- 
letzung ansehen,  da  ich  ausdrücklich  darum  bitte. 

In  jedem  Falle  weiß  ich,  daß  ich  es  mit  einem  Gent- 
leman zu  tun  habe.  Und  wenn  ich  Sie  jetzt  ersuche,  mei- 
nen Brief  als  vollkommen  vertraulich  zu  behandeln  und 

»17 


dbyGoogle 


die  Sache  keiner  Seele  mitzuteitea,  so  ist  es,  als  ob  ich 
Ihnen  bei  mündlicher  Mitteilung  zuvörderst  das  Still- 
schweigen ehrenwörtlicb  abgenommen  hätte. 

Es  ist  vielleicht  nicht  Oberflüssig  zu  bemerken,  daß 
kein  Mitglied  meiner  Zeitung  von  der  Sache  Kenntnis  bat. 
Ich  mache  das  allein  und  selbständig. 

Hochachtungsvoll  Ihr  ergebener 

Dr.  Theodor  Herzl, 
36  rue  Cambon. 
*    ♦    * 

28.  Juni. 

In  der  Kammer  mit  dem  Communard  Leo  Franckel  ge- 
sprochen. Feines  Gesicht,  mittelmäßiger  Geist,  Sektierer- 
stolz. Er  rühmte  sich  der  Gefängnisse,  in  denen  er  „ge- 
schmachtet" bat. 

Ich  erklärte  ihm,  warum  ich  gegen  die  Demokratien 
bin. 

„Sie  sind  also  ein  Nietzsche-Anbänger?"  sagte  er. 

Ich :  „Gar  nicht.  Nietzsche  ist  ein  Irrsinniger.  Aber  re- 
giert kann  nur  aristokratisch  werden.  In  der  Gemeinde 
bin  ich  für  weiteste  Autonomie.  Die  Kirchturmsinter- 
essen versteht  man  um  den  Kirchturm  herum  genügend, 
ja  sogar  am  besten.  Den  Staat  und  seine  Bedürfnisse 
hingegen  kann  das  Volk  nicht  begreifen." 

Franckel:  „Wie  wollen  Sie  die  Aristokratie  etablie- 
ren?" 

Ich :  „Eis  gibt  die  verschiedensten  Arten.  Nur  ein  Bei- 
spiel, das  Sie  nicht  zu  verallgemeinern  braueben.  Die 
französische  Akademie  bildet  eine  Wahlaristokratie." 

Wir  sprachen  dann  von  sozialen  Theorien.  Ich  sagte, 
daß  ich  für  Verstaatlichung  von  Bank,  Versicherung,  Bah- 
nen und  allem  bin,  was  schon  erforscht  ist,  wo  keine  Ge- 
fahr mehr  den  Unternehmergewinn  rechtfertigt. 

3t8 


dbyGooglc 


Franckel:  „So  kann  alles  kollektivistisch  eingerichtet 
werden." 

Ich:  „Absolut  nicht.  Das  Individuum  darf  nicht  um- 
gebracht werden." 

Hier  ist  offenbar  der  Denkfehler  der  Sozialisten:  sie 
sagen  „alles". 

Ich  sage;  das  hinlSnglich  Entwickelte! 

In  den  Champg  Elys^es. 

Moriz  Wahrmanns  Sobu  fuhr  vorüber.  Sieht  energisch 

und  gelangweilt  aus.   Solche  Burschen  mit  ihrer  unver- 

wendetea  Lebenskraft  wären  für  uns  prachtvolles  Ma- 

terifd.   Wären  leicht  für  die  Sache  zu  begeistern.   Und 

wie  schön  ist  mein  Plan,  in  dem  solche  Leo  Franckels 

und  solche  junge  Wahrmanns  Platz  für  ihre  Entwicklung 

fänden [ 

_.  _.,     ,  28.  Juni. 

Champs  Elysees. 

Armut:  wenn  man  immer  den  Rock  einer  anderen  Jah- 
reszeit trägt. 

i.JaU. 

Albert  R's  heute  fällige  Antwort  ist  nicht  da.  Zum 
Glück  habe  ich  mir  im  Briefe  nichts  durch  zu  große 
Höflichkeit  vergeben. 

Die  Denkschrift  an  den  Kaiser  wird  in  die  letzte  Form 
gebracht.  Auch  da  werde  ich  mich  hüten,  meiner  Würde 
etwas  zu  vergeben. 

4.  Juli. 

Nun  denke  ich  wieder  stark  an  den  Romau,  weil  ja 
wahrscheinlich  allen  mein  Plan  als  Phantasie  vorkommen 
wird. 

Ich  werde  von  Aussee  aus  um  zwei  Monate  Urlaub  mit 
Karenz  der  Gebühren  bitten  und  den  Roman  dort  im 
September  und  Oktober  schreiben. 

319 


dbyGoogle 


lt.  Juli. 

Im  Roman  werde  ich  alles  bringen,  was  ich  bereue 
Hirsch  geschrieben  lu  haben  und  was  er  vielleicht  lachend 
heruingeieigt  hat.  Meine  Revanche  wird  großmütig  sein : 
ich  mache  aus  ihm  eine  sympathische  Figur.  (Mir  ist  er 
ja  wirklich  sympathisch.)  Ich  adle  seine  Börsencoups. 
Er  hat  sie  ahnungslos  gemacht  für  den  ihm  noch  unbe- 
kannten Zweck.  So  kommt  eine  vage  Größe  in  seine  Ge- 
stalt. Dann  gibt  es  eine  gute  Peripetie.  Der  Baron  hat 
das  „Oberhaupt"  mißverstanden.  Er  glaubte,  daß  er  nicht 
nur  Präsident  der  Gesellschaft,  sondern  auch  Chef  des 
Staates  werden  solle.  Das  geht  nun  nicht.  Er  kann,  wie 
hoch  auch  seine  Verdienste  um  die  Sache  seien,  nicht 
Staatschef  werden.  Da  gerät  der  Held  auf  einen  sinn- 
reichen Ausweg.  Ej-  sagt  dem  Baron,  als  sie  vor  der 
völkerrechtlichen  Anerkennung  stehen :  „So,  jetzt  ziehen 
wir  uns  beide  zurück.  Wenn  wir  in  die  Geschichte  kom- 
men wollen,  müssen  wir  das  alles  selbstlos  getan  haben. 
Fortab  schauen  wir  nur  zu.  Ich  werde  es  so  einrichten, 
daß  man  Ihnen  das  Fürstentum  anbietet  —  aber  Sie  ha- 
ben es  sofort  auszuschlagen."  Der  Baron  sieht  die  Not- 
wendigkeit nicht  ein  —  da  gibt  ihm  der  Held  hart  und 
deutlich  zu  verstehen,  daß  es  so  sein  müsse.  Und  wenn 
er  nicht  im  vorhinein  schriftlich  gelobe,  abzulehnen, 
werde  ihm  die  Würde  gar  nicht  angeboten  werden;  ja, 
der  Held  will  ihn  vollkommen  demolieren,  wenn  er  sich 
nicht  fügt. 

Erst  braust  der  Baron  wild  auf  —  dann  sieht  er  ein,  daß 
der  recht  hat,  fällt  ihm  um  den  Hals  und  küßt  ihn  weinend. 
.  Dann  geben  sie  beide  bei  der  Krönung  das  symbolische 
Schauspiel  der  Selbstlosigkeit  —  und  der  eine,  der  nicht 
wirklich  selbstlos  war,  fibertrumpft  noch  den  anderen  in 
Bescheidenheit. 


dbyGoogle 


5.  Juli 
Merkwürdig:  Wihrend  ich  das  Vorige  schrieb,  reiste 
Hirschs  Brief,  den  ich  nicht  mehr  erwartete.  Der  Brief 
traf  gestern  abend  ein : 

8a  Piccadilly  W. 
3  juiltet  1895. 
Monsieur  le  Dr.  Herzl,  Paris. 
J'ai  re^  votre  lettre,  i  laquelle  j'ai  un  peu  tardi  k  re- 
poodre;  cette   r^ponse   n'avait  du  reste  rien   d'urgent. 
Quand  je  serai  de  retour  k  Paris  —  ce  qui,  entre  paren- 
thises,  ne  sera  pas  le  cas  avant  plusieurs  mois  —  je  serai 
enchant6  de  vous  voir,  sans  pour  ceia  rieo  changer  aux 
id^  que  j'ai  exprim^. 

Recevez,  Monsieur,  l'expreaaioa  de  mes  sentiments  di- 
stingu^.  ~ 

""  ^      M.  de  Hirsch. 

5.  Juli. 
Meine  Antwort  an  Hirsch. 

Paris,  5.  Juli  95. 
Hochgeehrter  Herrl 
Es  hat  mich  schwer  gefirgert,  daß  Sie  den  Brief  nicht 
gleich  beantw(H^eten,  den  ich  Ihnen  nach  unserer  Unter- 
redung schrieb.  Darum  teilte  ich  Ihnen  vierzehn  Tage 
später  mit,  daß  ich  die  Sache  aufgegeben  habe.  Nach 
Ihrem  gestern  eingetroffenen  Briefe  will  ich  Ihnen  aber 
sagen,  wie  das  zu  verstehen  ist.  Für  die  Juden  will  ich 
noch  etwas  zu  tun  versuchen  —  mit  den  Juden  nicht. 
Wenn  ich  glauben  durfte,  daß  einer  meinen  entschlosse- 
nen Gedanken  verstehen  würde,  waren  Sie  es.  Von  den 
anderen  Juden  kann  ich  noch  weniger  erwarten.  In  der 
politischen  Energielosigkeit  zeigt  sich  der  Verfall  unserer 
ehemals  starken  Rasse  am  deutlichsten.  Man  würde  über 


dbyGoogle 


mich  spötteln  oder  mich  verdächtigen,  daß  ich  mit  der 
Sache  ich  weiß  nicht  welches  Geschäft  machen  wolle. 
Ich  müßte  durch  einen  Sumpf  von  Ekel  hindurchgehen 
—  und  dieses  Opfer  den  Juden  zu  hringen,  bin  ich  nicht 
bereit.  Juden  sind  nicht  fähig,  zu  verstehen,  daß  einer 
etwas  nicht  für  Geld  tut  und  auch  dem  Gelde  nicht  unter- 
tänig ist,  ohne  ein  Revolutionär  zu  sein. 

Folglich  ist  das  letzte,  allerdings  vielleicht  auch  das 
wirksamste,  was  ich  vornehme :  daß  ich  die  Sache  vor  den 
hohen  Herrn  bringe,  von  dem  ich  Ihnen  sprach.  Er  gilt 
für  einen  Antisemiten,  das  geniert  mich  nicht.  Ich  habe 
einen  Weg  zu  ihm  gefunden.  Jemand  wird  ihm  meine 
Denkschrift  überreichen.  Läßt  er  mich  daraufhin  rufen, 
so  kann  die  Unterredung  interessant  werden.  Wenn  er 
nicht  ausdrücklich  die  Geheimhaltung  fordert,  und  wenn 
überhaupt  etwas  von  dieser  Unterredung  weitergesagt  wer- 
den kann,  werde  ich  es  Ihnen  erzählen,  sobald  uns  der  Zu- 
fall wieder  einmal  zusammenführt.  In  Paris  wird  das 
kaum  sein,  denn  ich  habe  Paris  satt  und  habe  es  bei  meiner 
Redaktion  durchgesetzt,  daß  man  mich  nach  Wien  zieht. 
Außer  dem  Vergnügen  des  Gedankenaustausches  hätte  ja 
unsere  Konversation  ohnehin  keinen  Wert.  Sie  bleiben 
bei  Ihrer  Ansicht,  und  ich  ebenso  hartnäckig  bei  der  mei- 
nigen. Sie  glauben,  daß  Sie  arme  Juden,  so  wie  Sie  es 
tun,  exportieren  können.  Ich  sage,  daß  Sie  nur  dem  An- 
tisemitismus neue  Absatzgebiete  schaffen.  Nous  ne  nout 
comprendrons  jamais.  Im  übrigen  bereue  ich  nicht,  mit 
Ihnen  in  Verkehr  getreten  zu  sein.  Es  war  mir  sehr  in- 
teressant, Sie  kennengelernt  zu  haben. 

Nur  eins  —  und  da  will  ich  etwas  erklären,  was  Ihnen 
vielleicht  aufgefallen  ist.  Ich  betonte  in  jedem  Briefe, 
daß  diese  Sache  für  mich  kein  Geschäft  ist.  C'est  qu'U 
est  horriblement  compromettant  d'icrire  aax  geni  richea. 


dbyGoOglc 


Ich  weiß  wohl,  daß  ein  Gentleman  die  Briefe,  die  man 
ihm  im  Vertrauen  schreibt,  sorgfältig  behütet  oder  ver- 
nichtet. Aber  der  böse  Zufall  kann  es  fügen,  daß  so  ein 
Stück  Papier  in  andere  Hände  gerät ;  und  wenn  mich  etwas 
ängstigt,  so  ist  es  der  Gedanke,  daß  ich  bei  meiner  Be- 
mühung einen  Fetzen  von  meiner  Reputierlichkeit  lassen 
kömite. 
Behalten  Sie  mich  also  in  reinlichem  Andenken. 
Hochachtungsvoll  Ihr  ergebener 

Dr.  Herzl. 

5.  Juli. 
Gestern  mit  dem  kleinen  Wolff .  diniert.    Er  ist  zur 

Waffenfibung  einberufen.  Ich  ließ  mir  wieder  einmal  von 
Gardedragonern  erzählen.  Er  findet  den  Antisemitismus 
nicht  so  arg.  Der  vornehme  Preuße  sei  überhaupt  kein 
Antisemit,  der  fühle  sieb  bürgerlichen  Christen  wie  Ju- 
den gleich  überlegen.  Wolff  merkt  also  nicht,  daß  die 
Vornehmen,  die  er  bewundert,  nur  die  eine  Verachtung 
durch  die  andere  ersetzen.  Ihm  ist  es  schon  genug,  mit 
bürgerlichen  Christen  in  einen  Sack  geworfen,  verachtet 
zu  werden.  Er  findet  es  selbstverständlich,  daß  er  nicht 
Offizier  wird,  obwohl  er  das  beste  Offiziersexamen 
machte. 

Übrigens,  wenn  ich  etwas  sein  möchte,  war 's  ein  preu- 
ßischer Altadeliger. 

6.  JuU. 
Gestern  mit  Nordau  beim  Bier.   Natürlich  auch  über 

Judenfrage  gesprochen.  Nie  habe  ich  mit  Nordau  so  har- 
moniert wie  da.  Wir  sprachen  uns  einer  dem  anderen  das 
Wort  aus  dem  Mund.  Nie  merkte  ich  so  stark,  daß  wir 
zusammengehören.  Mit  dem  Glauben  hat  das  nichts  zu 
tun.  Er  sagt  s<^ar:  es  gibt  gar  kein  jüdisches  Dogma. 

aa3 


dby  Google 


Aber  wir  «od  von  einer  Rasse.  F . . .  war  auch  dabei,  und 
ich  bemerkte  eine  gine  an  ihm.  Ich  glaube,  er  schämte 
sich,  daß  er  sich  habe  taufen  lassen,  als  er  sah  und  hörte, 
wie  stark  wir  uns  zum  Judentum  bekannten.  Auch  darin 
waren  Nordau  und  ich  einig,  daß  uns  nur  der  Antisemitis- 
mus zu  Juden  gemacht  habe. 

Nordau  sagte:  „Was  ist  die  Tragik  des  Judentums? 
Daß  dieses  konservativste  Volk,  das  an  einer  Scholle 
kleben  möchte,  seit  zweitausend  Jahren  keine  Heimat 
hat." 

In  allem  stimmten  wir  übereia,  so  daß  ich  schon 
glaubte,  er  habe  mit  denselben  Gedanken  auch  denselben 
Plan.  Aber  er  konkludiert  anders:  „Die  Juden  werden 
durch  den  Antisemitismus  gezwungen  sein,  überall  die 
Vaterlandsidee  zu  zerstören",  meint  er,  oder  sich  selbst 
ein  Vaterland  zu  machen,  dachte  ich  mir  im  stillen. 

F...  sagte:  „Es  ist  nicht  gut,  daß  die  Juden  diesesstarke 
NationalgefOhl  in  sich  entwickeln.  Das  wird  die  Ver- 
folgungen nur  verstärken." 

7.  Jali. 

Warum  hat  Hirsch  mir  plötzlich  wieder  geschrieben? 
Ich  habe  dafür  zwei  Erklärungen. 

Entweder  hat  ihm  Fürth  in  einem  Briefe  beiläufig  er- 
«r&hnt,  daß  ich  eine  Denkschrift  für  den  Kaiser  verfasse. 

Oder  —  und  das  ist  mir  wahrscheinlicher  —  mein 
letzter  Brief,  worin  ich  schrieb:  „Rothschild  mitreißen 
oder  niederreißen  —  und  dann  hinüberl"  hat  ihn  stark 
frappiert. 

Er  gab  seinem  Sekretär  Auftrag,  mir  genau  nach  vier- 
lehn  Tagen  zu  schreiben  —  damit  die  Sache  nicht  pres- 
sant aussehe.  Tatsächlich  beschäftige  ich  Um  sehr. 

Und  wenn  er  ein  bißchen  Witterung  hat,  muß  er  ja  er- 
raten, was  ich  ihm  bringe. 

334 


dbyGoogle 


Wir  zwei  sind  ja  Naturen,  die  am  Beginn  neuer  Zeiten 
auftauchen  —  er  der  Geldkondottiere,  ich  der  Gteistes- 
kondottiere. 

Wenn  der  Mann  mit  mir  geht,  können  wir  wirklich 
einen  Umschwung  der  Zeiten  herbeiführen. 

8.  Juli. 

Gestern  mit  S . . .  in  Vitle  d'Avray  d^jeuniert.  Wir  waren 
in  Gambettas  Haus.  Am  merkwürdigsten  die  Totenmaske. 
Ich  mag  Gambetta  eigentlich  nicht,  und  er  kommt  mir 
wie  ein  Verwandter  vor. 

Wir  gingen  dann  nach  dem  Weiher,  „Au  bord  de 
l'Etang".  Neun  Tische  waren  besetzt,  an  dreien  erkannte 
ich  Wiener  Juden.  Das  beweist. 

S . . .  erzählte,  sein  Schwager  sei  beim  Verlassen  der  Bahn 
in  Kitzbühel  von  einem  Antisemiten  beschimpft  worden, 
und  seine  Schwiegermutter  schrieb,  er  sei  dadurch  ver- 
stimmt und  gekränkt. 

Und  das  wiederholt  sich  auf  tausend  Punkten  jeden 
Tag  —  und  man  zieht  daraus  keinen  Schluß. 

Ich  wollte  mich  mit  S . . .  auf  die  Sache  nicht  mehr  ein- 
lassen, da  er  mich  ja  nicht  versteht. 

8.  Jali. 
Weder  von    Hirsch    noch   von    Rothschild   Antwort. 

Hirsch  temporisiert  vielleicht  wieder.  Aber  von  dem  an- 
deren ist's  trockene,  schnöde  Arroganz.  Muß  in  gleicher 
Weise  bei  der  ersten  Gelegenheit  heimgezahlt  werden. 

9.  Juli. 
„Si  j  '6tois  prince  ou  l^slateur,  je  ne  perdrois  pas  mon 

temps  k  dire  oe  qu'il  faut  faire;  je  le  ferois,  ou  je  me 
tairois." 

Rousseau,  Contrat  social,  livre  I. 

15     HorilB  TBCSbOoher  I.  33$ 


dbyGoogle 


9.  Juli. 

Von  Ludwig  Storch  gibt  es  eiaeo  Roman  „Der  Jakobs- 
storo",  der  Sabbatai  Z'wi  behandelt. 

iO.  Juli. 

Für  die  Führung  politischer  GeschSfte  eignen  sich 
Kaufleute  am  besten.  Aber  selten  wird  einer  reich  — 
und  Reichtum  ist  die  Freiheit  der  Kauf  leute  —  ohne  sich 
beschmutzt  zu  haben. 

Um  sie  dennoch  zur  Politik  heranziehen  zu  können, 
wSre  irgendwie  eine  freiwillig  verlangte  Untersuchung 
ihres  Vermögenserwerbs  einzurichten.  Nicht  vor  eifer- 
süchtigen Pairs,  sondern  vor  einem  politischen  Ehren- 
gericht, dem  unabhängige  MSnner  aller  bürgerlichen  Ka- 
tegorien angehören.  Oft  tritt  für  einen  Öffentlichen  Mann 
die  Notwendigkeit  ein,  hinterher  sozusagen  Einsiebt  in 
seine  Bücher  zu  gewähren. 

Wenn  er  dies  vor  Beginn  seines  politischen  Wirkens 
tut,  so  haben  wir  zu  seiner  gescbfiftiichen  Klugheit  auch 
noch  die  Sicherheit  oder  Wahrscheinlichkeit  seines  an- 
ständigen Charakters.  Zugleich  ist  festgestellt,  was  er  vor 
der  öffentlichen  Wirksamkeit  im  Vermögen  hatte.  Wird 
er  nachher  von  Demagogen  oder  Intriganten  verdächtigt, 
so  kann  er  stolz  seinen  Vermögensstand  aufweisen. 

Ich  denke  mir  das  freilich  nicht  von  vornherein  als 
Gesetz,  sondern  als  allmähliche  Sitteneinrichtung.  Der 
Gedanke  wird  zunächst  von  einigen  achtbaren  Kaufleuten 
ausgeführt,  erstarkt  nach  und  nach  zum  Gebrauch  und 
wird  schließlich  in  ein  Gesetz  gelegt,  wenn  Zeit  genug 
verstrichen,  daß  sich  die  jungen  Kaufleute  das  als  Ziel 
setzen  konnten. 

Nach  etwa  zwanzig  Jahren  kann  das  Gesetz  werden. 
10.  Juli. 

leb  halte  das  Geld  für  ein  ausgezeichnetes  politisches 

936 


dbyGoogle 


Zensusmittel,  wenn  die  Moralität  des  Erwerbes  festgestellt 
werden  kann.  Allerdings  auch  nur  dann.  Denn  sonst  ist 
der  Geldzensus  etwas  Widersinniges  und  Widerwärtiges. 

Wer  anständig  viel  Geld  erworben  hat,  muß  ein  sehr 
tüchtiger  Mann  sein,  ein  sinnreicher  Spekulant,  prakti- 
scher Erfinder,  fleißiger  sparsamer  Mensch  —  lauter 
Eigenschaften,  die  zur  Staatsleitung  vorzüglich  dienen. 

Gewohnheitsmäßiges  Börsenspiel  wäre  ein  Unwürdig- 
keitsgrund.  Dagegen  sind  vereinzelte  Börsengeschäfte 
nicht  entehrend.  Die  Grenze  freilich  schwer  zu  ziehen  — 
darum  individualisierendes  Ehrengericht.  Der  Unter- 
suchte muß  jedenfalls  einen  Manifestatiooseid  (mit  Mein- 
eidsfolgen) schwören.  Es  wird  ja  niemand  gezwungen, 
ein  Politiker  zu  werden.  So  halten  wir  uns  die  unsauberen 
poliücians  vom  Halse,  und  die  Politik  wird  das  Ziel  der 
reinsten  und  tüchtigsten  Männer. 

10.  Juli. 

Typen  für  meinen  Roman,  der  ja  wirkliche  Menschen 
enthalten  soll: 

Der  Neidhammel  (klesmerisch,  Kunstheuchler). 

Der  Gamel  Moische  (tief  sympathisch). 

Das  vergessene  Mädchen.  (Nur  eine  bringen,  aber  von 
dieser  aus  alle  verstehen  lehren,  und  Mitgiftsteuer  viel- 
leicht bei  der  Heimkehr  von  ihrem  Leichenbegängnis  er- 
sinnen lassen.  Denn  die  Feine  hat  ihren  „natürlichen  Be- 
ruf" verfehlt  und  ist  daran  gestorben.  Aber  was  wäre  sie 
für  eine  edle  Mutter  geworden.  Ich  nenne  sie  Pauline  I) 

Und  ihrem  Andenken  wird  der  Roman  gewidmet. 
i2.  Juli. 

Heinrichs  junger  schwärmerischer  Bruder,  der  Musi- 
ker, wird  im  Roman  zum  Fürsten  „erzenen".  Held  nimmt 
sich 's  von  langer  Hand  vor,  Heinrichs  Eltern  dadurch  zu 
entschädigen.    Er  schmunzelt  in  sich  hinein,  indem  er 

•5*  227 


dbyGooglc 


diese  schöae  nutzlose  Pflanze,  den  Schwärmer  und  erd- 
entrückten Sinnierer,  pflegt. 

i2.  Jali. 

Gestalt  für  den  Roman. 

Ein  sinnreicher  Betrüger  .  .  .,  der  zum  redlichen  Pfad- 
finder wird,  nachdem  er  aus  europäischem  Gefängnis 
zurückkehrt. 

Er  war  nach  dem  Sieben  Stunden-Land  geflohen,  man 
verlangte  seine  Auslieferung.  Er  wurde  ausgeliefert.  Vor 
seiner  Abreise  per  Schub  besucht  ihn  Held  im  Hafea- 
gefängnis,  klärt  ihn  auf.  „Sie  müssen  Ihre  Strafe  un- 
seretwegen  absitzen.  Aber  denken  Sie  im  Kerker  darüber 
nach,  wie  Sie  hier  später  redlich  erfinden." 

Und  der  harte  Betrüger  wird  erschüttert.  Vor  der  Ab- 
fahrt kommt  Held  an  den  in  Handfesseln  steckenden 
Mann  heran,  gibt  ihm  vor  allen  die  Hand.  Bewegung. 
Und  der  Betrüger  bückt  sich  schnell  und  küßt  ihm  die 
Band. 

Im  Kerker  drüben  führt  er  sich  vorzüglich  auf,  so  daß 
er  einen  Teil  nachgesehen  erhält.  Dann  kommt  er  wieder 
und  wird  ein  tüchtiger,  ehrlicher,  sinnreicher  Kaufmann. 

_,     ,       „  12.  Juli. 

Für  den  Roman. 

Beschäftigung  am  Feierabend  der  Arbeiter.  Sie  üben 
Musik  (Arbeiterkapellea). 

Hauptsache  aber:  jüd^he  National-Passionaspiele  aus 
Altertum  (Makkabäer)  und  Mittelalter.  —  Furcht,  Mit- 
leid, Stolz  und  Volkserziehung  in  Form  einer  Zerstreu- 
ung. 

Die  Popularisierung  des  Liebhabertheaters  der  Vor- 
nehmen. 

Gibt  hübsche  Romankapitel,  burleske  Szenen  der  un- 
schuldigen kleinen  cabotinage  in  jedem  Ort. 

aaS 


dbyGoOglc 


Circejises  für  sich  selbst. 

Lehrer-Regisseure  sahen  Muster  in  der  Hauptstadt. 

13.  Juli. 
Formen  der  Konsequenz : 
(Beim  Stelldichein) 

—  Ich  habe  meinen  Entschluß  geändert  und  bin  da. 

—  Aber  Sie  wollten  ja  kommen. 

—  Ja,  das  hatte  ich  mir  zuerst  überlegt. 

*     *    * 

Brief  an  Güdemann :  '  c    i  >' 

i5.  Juli. 

Hochgeehrter  Herr  Doktor  I 

Mein  letzter  Brief  scheint  Sie  gegen  mich  ein  wenig  ver- 
stimmt zu  haben,  da  Sie  ihn  nicht  beantworteten. 

Aber  wir  werden  ja  hoffentlich  Gelegenheit  haben,  un- 
sere Gedanken  über  die  uns  so  nahe  gehende  Sache  münd- 
lich auszutauschen;  und  da  werde  ich  Ihnen  schon  alles 
zureichend  erklären. 

Heute  schreibe  ich  Ihnen  nur  aus  Anlaß  der  letzten 
judenfeindlichen  Exzesse  in  Wien.  Ich  verfolge  die  Be- 
wegung in  Osterreich  wie  anderwärts  mit  gro&er  Auf- 
merksamkeit. Das  sind  erst  Kleinigkeiten.  Es  wird  ärger 
und  wilder  kommen. 

Leider  kann  im  Augenblick  nichts  Entscheidendes  ge- 
tan werden,  obwohl  der  sorgfältig  kombinierte,  milde 
und  kluge,  nichts  weniger  als  gewaltsame  Plan  schon  aus- 
gearbeitet vorliegt.  Ihn  jetzt  ausführen  wollen,  mit  den 
Juden  nSmlich,  hieße  den  Plan  gefährden.  Dieser  Plan 
aber  ist  eine  Reserve  für  bösere  Tage  —  glauben  Sie  mir 
das,  wenn  ich  mich  auch  so  unbestimmt  ausdrücke.  Sie 
werden  schon  sehen  und  hören,  wenn  wir  am  Ende  des 
Sommers  in  Wien  zusammenkommen. 

339 


dbyGooglc 


Vorläufig  möchte  ich  nur  nicht  die  Verstimmung  bei 
einem  mir  werten  Mann  sich  festsetzen  lassen,  uod  Ihnen 
inmitten  der  österreichischen  Judentrübsal  die  Hoffnung 
auf  eine  Erleichterung  geben,  die  wir  jüngeren  und  ent- 
schlossenen Minner  unseren  unglücklichen  Brüdern  vor- 
bereiten. Die  schlechten,  feigen  oder  im  Reichtum  dün- 
kelhaft gewordenen  Kerle  wären  zwar  geeignet,  einem  das 
schöne  Werk  zu  verekeln;  wir  müssen  jedoch  an  die  ar> 
roen  und  guten  Juden  denken.  Die  sind  die  Mehrzahl. 
Wir  sind  kein  auserwählles,  aber  auch  kein  oiedertrSch- 
tiges  Volk.  Darum  halte  ich  fest. 

Ihr  aufrichtig  ergebener 

HerxI. 

15.  Juli. 

S. . .  war  da.  Ich  habe  ihn  gefragt,  was  er  lu  den  Juden- 
exzessen vor  dem  Lannersaal  in  Wien  sagt. 

„Die  Juden  müssen  Sozialisten  werden  I"  meint  er  hals- 
starrig. 

Vergeblich  erkläre  ich  ihm,  daß  das  in  Osterreich  noch 
weniger  nützt  als  in  Deutschland.  Er  glaubt,  das  juden- 
liberale Ungarn  werde  die  Judenreaktion  in  Osterreich 
verhindern.  Wie  falsch  das  ist!  In  Ungarn  begehen  die 
Juden  den  größten  Fehler,  den  Grundbesitz  zu  akkapa- 
rieren.  Die  von  der  Scholle  gedrängte  Gentry  wird  sich 
über  Nacht  zu  Führern  des  Volkes  machen  und  über  die 
Juden  herfallen.  Die  liberale  Regierung  ist  rein  künstlich 
mit  Judenwahlgeld  erhalten.  Die  konservative  National- 
partei, mit  Wien  und  der  Armee  im  Rücken  gedeckt,  kann 
von  einem  Tag  auf  den  anderen  altes  umstülpen. 

i6.  Jali. 

Gestern  mit  der  Nordau-Gesellschaft  diniert. 

Für  mich  ist's  ein  Glück,  daß  ich  hier  keinen  Verkehr 

aSo 


dbyGoogle 


hatte.   Ich  hätte  mich  im  Geistsprüben  bei  Diners  aus- 
gegeben. 

Einen  Augenblick  kam  das  GesprSch  auf  Baron  Hirsch. 
Nordau  sagte:  „Mit  seinem  Geld  würde  ich  mich  suro 
Kaiser  von  Südamerika  machen." 

Wie  merkwürdig I  Und  S...  sagte  damals,  ich  solle 
Nordau  meinen  „verrückten"  Plan  vorlegen. 

i6.  Jali. 

Roman. 

Held  hat  den  blonden  Typus,  blaue  Augen,  harten  Blick. 

Seine  Liebe  ist  eine  spanische  Jüdin,  schlank,  schwarz- 
haarig, feine  Rasse.  Sie  sieht  ihn  zum  erstenmal  als  den 
Befehlshaber  des  Landnahmeschiffes.  Er  trfiumt  von  ihr 
unter  seinem  Zelt. 

21.  Juli. 

Heute  von  Güdemann  einen  guten  Brief  bekommen. 
Ich  schreibe  ihm  sofort  folgendes : 

Hochverehrter  Freund  1 

Erlauben  Sie  mir,  Sie  nach  Ihrem  Briefe  so  zu  nennen. 
Ihr  Brief  ist  mir  eine  Freude  I 

Ich  sehe  jetzt,  daß  mich  mein  Auge  nicht  täuschte,  als 
ich  in  Ihnen  einen  der  richtigen  Männer  sah,  die  ich 
brauche.  Jetzt  will  ich  Ihnen  auch  eine  nähere  Andeu- 
ttmg  machen  über  die  Rückberufung  meines  Briefes.  Das 
geschah  in  einem  furchtbaren  Anfall  von  Demoralisie- 
rung, hervorgerufen  durch  einen  hiesigen  Freund,  den 
ersten  und  einzigen,  dem  ich  bisher  meinen  Plan  mitge- 
teilt habe.  Als  ich  ihm  den  Brief  zeigte,  den  ich  Ihnen 
am  Tage  vorher  geschickt  hatte,  sagte  er  mir:  „Güdemann 
wird  Sie  für  verrückt  halten,  wird  sofort  Ihren  Vater  auf- 
suchen, und  Ihre  Eltern  werden  unglücklich  sein.  Sie 
machen  sich  durch  die  Sache  lächerlich  oder  tragisch..." 

a3i 


dbyGoogle 


Erst,  wenn  Sie  alles,  was  ich  vorhabe,  wissen  werden  — 
und  Sie  werden  es  erfahren,  denn  ich  fahle  jetzt  Ihr  jü- 
disches und  mSimliches  Herz  neben  dem  meinigen  schla- 
gen —  werden  Sie  begreifen,  welche  harte  Krise  ich  nach 
den  gewaltigen  Zuckungen,  in  denen  dieser  Plan  geboren 
wurde,  durchmachte,  als  mein  treuer  und  ergebener 
Freund  mir  das  sagte.  Ich  bin  fähig  und  bereit,  mein 
Leben  an  die  Judensache  zu  setzen,  aber  ich  muß  das 
Opfer  auf  meine  Person  beschränken.  Das  wäre  nicht 
der  Fall,  wenn  man  mich  für  „meschugge"  hielte.  Es 
würde  meinen  guten  Eltern  den  Lebensabend  zerstören 
und  die  Zukunft  meiner  Kinder  verderben. 

Natürlich  hielt  ich  mich  nicht  für  verrückt,  weil  mein 
braver,  aber  in  engen  Verhältnissen  lebender  und  geistig 
nicht  hervorragender  Freund  mich  nicht  verstand.  Ich 
mußte  mir  aber  sagen:  Der  vertritt  den  Durchschnitt  der 
gebildeten  Juden.  Er  kennt  mich,  hat  Vertrauen  zu  mir, 
achtet  und  lieht  mich  —  wenn  der  so  denkt,  was  müssen 
die  anderen  sagen  I  Er  zeigt  mir,  wie  dick  die  Mauer  ist, 
gegen  die  ich  mit  meinem  Kopf  rennen  will ...  So  wie 
ich  wollte,  geht  es  also  nicht.  Und  da  rief  ich  den  Brief 
zurück. 

Aber  die  Sache  gab  ich  nicht  auf.  Ich  sann  auf  andere 
Formen  der  Ausführung. 

Es  sind  zwei.  Die  erste  ist  eine  Denkschrift  an  den 
Deutschen  Kaiser.  Ich  habe  durch  einen  Bekannten  die 
Möglichkeit,  ihm  die  Denkschrift  zustellen  zu  lassen. 

Aber  dieser  Bekannte  würde  das  erst  gegen  Mitte  August 
können.  Ende  dieses  Monats  reise  ich  nach  Aussee,  wo 
ich  meinen  Urlaub  verbringe.  Dort  wird  sich  mir  viel- 
leicht ein  besserer  Weg  zum  Deutschen  Kaiser  eröffnen. 
Ich  bin  mit  dem  Präsidenten  des  österreichischen  Abge< 
ordnetenhauses,  Baron  Chlumecky,  früher  in  Briefwech- 

33a 


dbyGooglc 


sei  gestanden,  über  eine  sozialpolitische  Frage.  Chlu- 
mecky  ist  in  Aussee.  Wenn  ich  ihm  meinen  Plan  erkU- 
ren  kann,  stellt  er  mich  vielleicht  dem  Reichskanzler  Ho- 
henlohe  vor,  der  mich  daon  zum  Kaiser  bringen  kann. 

Gelange  ich  nicht  zum  Kaiser,  so  bleibt  mir  die  letzte 
Form  der  AuBführung:  die  phantastische. 

Ich  erzähle  den  Juden  Märchen  mit  Lehren,  die  sie 
allmählich,  in  fünf,  zehn  oder  zwanzig  Jahren,  verstehen 
werden.  Ich  senke  die  Samenkörner  in  die  Erde.  Das  ist 
wunderschön,  sinnig  und  eines  Dichters  würdig.  Nur 
fürchte  ich,  bis  die  Kömer  aufgehen,  sind  alle  verhun- 
gert. 

Jawohl,  ich  täte  es  mit  Schmerz,  denn  mein  Plan  ist 
keine  Phantasie. 

Jetzt  bekomme  ich  Ihren  Brief.  Wenn  Sie  alles  wissen 
werden,  erst  dann  werden  Sie  sehen,  wie  Sie  mir  und  wie 
ich  Ihnen  aus  der  Seele  geschrieben  habe.  Und  nein!  Wir 
sind  keine  Vereinzelten.  Alle  Juden  denken  wie  wir  I  Icli 
glaube  an  die  Juden,  ich  der  früher  Laue,  auch  jetzt  nicht 
Fromme  1  Les  coups  que  noas  recevons  nous  fönt  ane 
eoRviction. 

Genug  gesprochen.  Wenn  Sie  mir  schon  früher  so  ge- 
schrieben hätten,  hielten  wir  um  einen  Monat  weiter. 

Was  Sie  mir  von  Dr.  Heinrich  Meyer-Cohn  schreiben, 
flößt  mir  den  dringendsten  Wunsch  ein,  diesen  Mann 
sofort  kennenzulernen.  Sofort  I  Es  ist  vielleicht  im  höch- 
sten Interesse  unserer  Sache,  daß  ich  mit  Ihnen  und 
Meyer-Cohn  zusammentreffe,  bevor  ich  zu  den  reschoim 
gehe.  Könnten  Sie  seinen  jetzigen  Aufenthaltsort  tele- 
graphisch erfragen,  und  könnten  wir  drei  Ende  dieser 
Woche  irgendwo  zusammenkommen?  Nach  Ihrem  Brief 
und  nach  der  Schilderung,  die  Sie  von  M.-C.  entwerfen, 
wünsche  ich  auf  das  dringendste,  mit  Ihnen  beiden  zu 


dbyGoogle 


sprecbea.  Ich  schlage  irgendeiaen  Ort  in  der  Schweiz 
vor,  etwa  Zürich.  In  Osterreich  sind  Sie  und  ich  zu  be- 
kannt. Wir  würden  überall  Bekannte  treffen.  Im  Augen> 
blick  wünsche  ich  das  nicht. 

Zürich  ist  ein  gut  gelegener  Mittelpunkt.  Nach  Ihrem 
Brief  zweifle  ich  nicht  mehr,  daß  Sie  das  kleine  Geld- 
und  Zeitopfer  dieser  Reise  bringen  werden.  Dem  Vor- 
stand der  Gemeinde  können  Sie  sagen,  wenn  Sie  über- 
haupt Gründe  für  die  kurze  Absentierung  anführen  müs- 
sen, daß  Sie  mit  Meyer-Cohn  in  Zürich  zum  Zweck  einer 
wichtigen  Eröffnung  zusammentreffen  müssen. 

Es  hat  mich  schon  einmal  an  Ihnen  erschüttert,  daß  Sie 
nicht  gleich  nach  Caux  kommen  wollten,  als  ich  Sie  in 
der  Judensache  ( 1)  rief.  Sie  mußten  allerdings  im  ersten 
Augenblick  überrascht  sein,  als  der  Lustspielmacher,  der 
Feuiiletonist,  von  ernsten  Sachen  reden  wollte.  Glauben 
Sie  jetzt  schon?  Fühlen  Sie  jetzt  schon  aus  jedem  meiner 
Worte,  daß  ich  Wichtiges,  Entscheidendes  zu  sagen  habe? 

Ich  brauche  die  reichen  Juden  nicht  —  aber  MSnner 
brauche  ich!  Donnerwetter,  die  sind  schwer  zu  finden I 
Und  das  war  meine  Krise,  in  die  mich  mein  braver  Freund 
versetzt  hatte.  Ich  verzweifelte  einen  Augenblick  an  der 
Möglichkeit,  Männer  unter  den  Juden  zu  finden.  Die 
Krise  ist  verwunden,  war  schon  vor  Ihrem  Brief  in  mir 
verwunden,  denn  ich  beobachte  die  Leiden  unserer  Brü- 
derin allen  Ländern  aufmerksam  und  täglich.  Ich  glaube, 
daß  solcher  Druck  auch  aus  den  entartetsten  Lumpen- 
kerlen Männer  machen  muß.  Es  fehlte  bisher  der  Plan. 
Der  Plan  ist  gefunden! 

Ich  sage  es  in  aller  Demut,  glauben  Sie  mir.  Wer  in 
einer  solchen  Sache  an  sich  denkt,  ist  nicht  wert,  sich  mit 
ihr  zu  beschäftigen. 

Schaffen  Sie  Meyer-Cohn  nach  Zürich,  und  kommen 

334 


dbyGooglc 


Sie  hini  Ich  reise  Donnerstag  oder  Samstag  abend  von 
hier  ab,  bin  am  nächsten  Morgen  dort.  Ich  ermächtige 
Sie,  diesen  Brief  Meyer-Gohn  zu  schicken,  wenn  er  zö- 
gert. Aber  wenn  er  zögert,  ist  er  ja  nicht  der,  als  den  Sie 
ihn  schildern. 

DieSacbeB...s  übernehme  ich,  und  Sie  können  es  ihm 
sagen.  Diesen  Brief  soll  freilich  außer  Ihnen  und  Meyer- 
Cohn  niemand  kennenlernen. 

Das  Geld  fürB...  zu  beschaffen,  wird  ein  leichtes  sein. 
Ich  bin  mit  Hirsch  bekannt,  und  wenn  ich  ihm  ein  Wort 
schreibe,  bin  ich  überzeugt,  daß  er  das  Nötige  sofort  her- 
gibt. Im  Augenblick  bin  ich  mit  Hirsch  zwar  ein  bißchen 
gespannt,  weil  ich  ihm  zuletzt  in  einem  Brief  einige  kate- 
gorischere Worte  gesagt  habe,  als  dieser  an  Bettler, 
Schmarotzer  und  hochadelige  Pumpbrüder  gewöhnte 
Mann  verträgt.  Dennoch  ist  kein  Zweifel  daran,  daß  er 
das  erforderliche  Geld  ohne  Besinnen  geben  wird,  wenn 
ich  es  für  B . . .  verlange,  weil  er  schon  heraus  hat,  daß  ich 
nicht  fShig  wfire,  für  mich  etwas  zu  verlangen.  Aber 
selbst  ohne  Hirsch  wird  für  B . . .  gesorgt  werden,  verlassen 
Sie  sich  darauf.  Ich  kenne  zwar  B . . .  nur  von  der  unan> 
goaehmen  Seite  seiner  Geschmacklosigkeiten,  aber  daß 
Sie  ihn  für  nötig  halten,  genügt  mir. 

Ich  grüße  Sie  herzlich,  erwarte  Ihre  telegraphische  Zu- 
sage und  bleibe 

Ihr  aufrichtig  ergebener 

Th.  Herzl. 

Zi.  Jali. 

Telegramm  an  Güdemana: 

Danke  für  guten  Brief.  Erfragen  Sie  sofort  Meyer- 
Cohns  jetzigen  Aufenthalt  telegrapbisch.  Wir  drei  müs- 
sen unbedingt  Ende  dieser  Woche  zusammentreffen,  viel- 

335 


dbyGoogle 


leicht  in  Zürich.    Bitte  sich  auf  Abreise  vorzubereiten. 
Näheres  brieflich.    Gruß 

Theodor. 

22.  Juli. 

Im  österreichischeo  Bierhaus  kam  Herrschkowits  (Her- 
covici)  an  meinen  Tisch  heran. 

Ich  ließ  mir  von  ihm  die  Zustände  rumänischer  Juden 
schildern.  Schauerlich.  Aooooo  leben  im  Lande,  die  mei- 
sten Familien  seil  Jahrhunderten,  und  haben  noch  kein 
Bürgerrecht.  Jeder  muß  erst  bei  der  Kammer  um  das 
BOrgerrecht  ansuchen,  nachdem  er  den  Militärdienst  ge- 
leistet hat,  und  man  kann  es  in  geheimer  Abstimmung 
verweigern. 

Seit  1867  sind  nur  noch  zwei  große  Judenhetzen  vor- 
gekommen. Die  in  Galatz  hat  H.  gesehen.  Da  wurden 
Hunderte  Juden  von  den  Soldaten  in  die  Donau  getrie- 
ben, unter  dem  Vorwand:  sie  sollten  auf  die  östereichi- 
schen  Schiffe.  Auf  den  Schiffen  nahm  man  sie  nicht  auf, 
und  so  ertranken  sie.  Die  genaue  Zahl  weiß  man  nicht 
einmal. 

Von  Zeit  zu  Zeit  plündern  die  Bauern. 

Dabei  geht  es  den  Juden  auch  im  Erwerb  schlecht. 
Drei  Perzent  sind  Handwerker,  die  anderen  alle  Händler, 
und  die  Gebildeten  fast  durchgehends  Arzte. 

Die  Kaufleute  leiden  unter  schlechten  Geschäften.  Alte 
Häuser  fallen  um.  Konkurslisten  von  ihnen  voll.  Dazu 
kommt,  daß  man  ihre  Konkurse  für  betrügerische  hält  — 
in  allen  Fällen  1  —  und  die  Ruinierten  einsperrt.  Wenn 
sie  herauskommen,  sind  die  Gebrochenen  Etettler. 

Es  wandern  auch  viele  aus,  nach  Argentinien  usw.I 
Sie  kcnnmen  aber  oft  wieder  zurück. 

{Parbleul  Sie  haben  dort  noch  nicht  meine  Heimat.) 

336 


dbyGooglc 


Der  Menschenschlag  der  Juden  in  RumSnien  ist  ein 
kräftiger,  sagt  H.   Gut,  gut. 

22.  Juli. 
Pangloss:  ,,le  meilleur  des  moades  possihlesi" 
„Travaillons  sans  raisonner,  dit  Martin,  c'est  le  seul 
moyen  de  rendre  la  vie  supportable". 

(Chapitre  XXX,  Conclusion.) 
„Fort  hien,  dit  Candide,  mais  surtout  cultivons  notre 
jardin". 

(Ibidem,  Voltaire  Candide.) 

22.  Juli. 
Zur  Volkspsychologie. 

In  der  Taverne  Royale  sind  eine  Anzahl  Geschäfts- 
führer, die  eigentlich  Überkellner  sind.  Sinnvolle  Ein- 
richtung! Wenn  so  ein  Überkellner,  der  keine  Kellner- 
jacke trägt,  dem  Gast  einen  Teller  reicht,  fühlt  sich  der 
Gast  geschmeichelt,  ausgezeichnet.  Ich  habe  es  an  mir 
bemerkt.  So  sollen  auch  die  Auswanderer  „aufmerksam 
bedient"  werden.  Juden  sind  kowedhungrig  —  als  Ver- 
achtete! —  daran  sind  sie  zu  leiten. 

23.  Juli. 
Prophylaktisches  Chinin! 

Amtliche  Verteilung  und  Einnahme  in  der  Queue.  Vor 
den  Gesundheitsinspektoren  muß  das  Chinin  täglich  ge- 
nommen werden. 

Äußerste  Sorgfalt  für  Gesundheit  unterwegs  und  drü- 
ben. 

Durch  Fiebergegenden  eiligst  ziehen.  Dort  nötige 
Bahn-,  Weg~  und  spätere  Ausdörrungsarbeiten  (Marem- 
men)  durch  ans  Klima  gewöhnte  Einheimische  machen 
lassen.  Sonst  werden  Tote  aufgebauscht  und  demorali- 
sieren die  Leute,  die  sich  ohnehin  schon  vor  dem  halken- 

287 


dbyGooglc 


loseD  Wasser  und  dem  Unbekannten  fürchten.  Alte  Ge- 
fangene gehen  nicht  gern  aus  dem  Gefängnis.  Man  muß 
sie  locken  und  stoßen  und  jeden  Widerstand  vor  ihnen 
wie  in  ihnen  hinwegräumen. 

25.  JulL 
Dummköpfen  darf  man  nichts  erklären  1 
Mein  Großvater  Haschel  Diamant  war  ein  weiser  Mann. 
Er  sagte:  Einer  mießen  Maad  soll  man  keinen  Kusch 
gehen! 

Die  Warnung  scheint  überflüssig,  denn  das  verspricht 
ja  kein  Vergnügen.  Aber  der  Sinn  ist:  nicht  aus  Mitleid, 
oder  weil  man  auf  Treue  hofft,  eine  Häßliche  küssen  — 
denn  sie  überhebt  sich,  und  man  wird  sie  nicht  mehr  los. 

23.  Juli. 

Ich  dachte  daran,  den  Hausierhandel  durch  gesetiliche 
Beschrfinkungen  und  polizeiliche  Schikanen  zu  verhin- 
dern (aktive  Wahlrechtslosigkeit  usw.).  Was  ja  nur  in 
den  europäischen  Staaten  eine  Grausamkeit,  ein  Ins- 
wasserdrängen  gleich  Galatzer  Exzeß  ist.  Wir  aber 
drängen  die  Hausierer  damit  nicht  ins  Wasser,  sondern 
aufs  feste  Land  1 

Wie  ist  das  zu  erreichen?  Durch  Begünstigung  der 
großen  Kaufhäuser  (ä  la  Louvre,  Bon-March£). 

Prinsip;  Schädliches  immer  durch  Begünstigung  der 
Konkurrenz  vernichten! 

Die  Begünstigung  der  Louvres  wird  natürlich  keine  be- 
dingungslose sein.  Der  Unternehmer  muß  von  vornherein 
die  Gewinnbeteiligung  und  Altersversorgung,  gleichwie 
die  Erziehung  der  Kinder  seiner  Angestellten  (soweit  wir 
hiefür  nicht  staatliche  Vorkehrungen  haben)  garantieren. 

Massenindustrie  wie  Massenhandel  mtiß  patriarchalisch 
sein. 

a38 


dbyGoogle 


Der  Unteraebmer  ist  der  Patriarch. 

Zu  erwägen,  ob  solche  Bestimmung  als  direkte  gesetz- 
lich zu  machen. 

Oder  ob  auch  darin  eine  indirekte  Politik  zu  verfolgen, 
durch  Ehrung  des  Patriarcheu  in  verschiedenen  Formen. 

Gesetze  sind  leichter  zu  umgehen  als  Gebräuche. 

Vielleicht  eine  Verbindung  beider :  eine  gesetzliche  Mi- 
nimalgrenze der  Fürsorge  (wegen  der  Wucherer  und  Ehr- 
sinnlosen) und  eine  indirekte  Politik,  paar  eneowager  lea 
efforls. 

23.  Jali. 

Den  Streitsüchtigen,  Hassern  und  Nörglern: 

Wir  haben  in  den  nächsten  zwanzig  Jahren  keine  Zeit, 
uns  untereinander  herumzuschlagen.  Das  wird  später 
kommen.  Vorläufig  soll,  wer  streiten  will  und  Mut  bat, 
sich  gegen  unsere  Feinde  schlagen. 

Die  Haderer  sind  als  Reichsfeinde  zu  erklären.  Wir 
liefern  sie  dem  Haß  unseres  Volkes  aus. 

25.  Juli. 

Die  Hauptstadt,  unser  Schatzkästlein,  wird  liegen  in 
berggeschülzter  Lage  (Festungen  auf  den  Gipfeln),  an 
einem  schönen  Fluß,  nächst  Wäldern. 

Darauf  zu  achten,  daß  der  Ort  windgeschützt,  aber  kein 
Sonnenbecken  ist,  von  Bergen  bewacht,  aber  nicht  zu  klein. 

Die  hypertrophische  Entwicklung  der  Stadt  durch 
Waldkranz  zu  verhindern,  der  nicht  abgeforstet  werden 
darf.  Zudem  Dezentralisierung  von  Lehranstalten  usw. 

23.  Juli. 

Bei  Verpflanzung  alle  Ortsgewohnheiten  liebevoll  be- 
rücksichtigen. 

Salzatangel,  Kaffee,  Bier,  gewohntes  Fleisch  usw.  sind 
nicht  gleichgültig. 

»39 


dbyGoogle 


Moses  vergaß  die  Fleischtdpfe  Ägyptens  mitzunehmen. 
Wir  werden  daran  denken. 

25.  Juli. 
Die  Verpflanzung  der  großen  Kaufhäuser  liefert  so- 
fort alle  nötigen   und  unnötigen  Waren,  wodurch  die 
Städte  in  kürzester  Zeit  bewohnbar  werden. 


25.  Juli. 

Volle  Autonomie  der  Gemeinden  in  allen  Kirchturms- 
sachen.  Da  sollen  die  Schwitzer  Parlament  spielen,  soviel 
sie  wollen. 

Aber  nur  eine  einzige  Kammer,  welche  die  Regierung 
auch  nicht  stürzen,  ihr  bloß  die  einzelnen  Mittel  verwei- 
gern kann.  Das  genügt  für  öffentliche  Kontrolle. 

Diese  Kammer  wird  zu  einem  Drittel  vom  Fürsten  aui 
Vorschlag  der  Regierung  ernannt  (auf  Lebenszeit,  denn 
erblich  ist  nur  Adel  und  Eigentum). 

Ein  Drittel  wird  von  den  gelehrten  Akademien,  den 
Universitäten,  Kunst-  und  technischen  Hochschuten,  Han- 
dels- und  Gewerbekammern  gewählt. 

Ein  Drittel  wählen  die  Gemeinderäte  (Mandatsprüfung 
durch  Wahlgerichtshof),  oder  vielleicht  die  Provinzen 
nach  Listenskrutinium. 

Der  Fürst  ernennt  die  Regierung.  Zu  erwägen  aber, 
wie  der  Willkür  des  Fürsten  Schranken  gesetzt  werden 
können.  Denn  da  Kanuner  die  Regierung  nicht  stürzen 
soll,  könnte  sich  ein  Fürst  mit  Strohmännern  umgeben. 
Vielleicht  genügt  diese  Drittelung  der  Kammer,  um  die 
Mißbräuche  des  Palais  Rourbon  tuntanzuhalten,  und  man 
könnte  der  Kammer  das  Sturzrecht  geben. 

Gründlich  zu  erwägen  und  mit  Staatsjuristen  zu  be- 
raten. 


dbyGooglc 


23.  Juli. 
Ob  sich  die  Judeo  der  vorbestimmten  Verfassung  un- 
terwerfen werden? 

Garn  einfach :  wer  eingebürgert  werden  will,  muß  diese 
Verfassung  beschwören  und  sich  den  Gesetzen  unterwer- 
fen. Genötigt  zum  EinbOrgem  wird  nicht. 

24.  Juli 
Von   Güdemann   ein  komischer  Brief  gekommen:  er 

könne  nicht  reisen,  wegen  einer  „Magenverstimmung". 

Sollte  ich  seinen  guten  Brief  wieder  falsch  verstanden 
haben?  Seine  Verstimmung,  die  mich  befriedigte,  kam. 
von  einer  zu  schweren  Pfefferkugel? 

Cbrigeas  ist  für  morgen  ein  Brief  von  ihm  telegra- 
phisch angesagt.   Den  will  ich  abwarten. 

24.  Juli. 

Beer  war  da. 

Mit  ihm  lange  über  ,,Beerit"  gesprochen.  Es  ermög- 
licht schnelle  Bauten,  ersetzt  den  Mörtel  zwischen  Zie- 
geln, kann  selbst  zur  Verbindung  von  Glasziegeln,  wie 
man  sie  jetzt  in  Amerika  gebraucht,  verwendet  werden. 
Solche  Hiuser  —  Eisenkonstruktion,  Glasziegel  —  müß- 
ten in  zwei  Monaten  fertig  und  bewohnbar  sein.  Das 
Beerit  trocknet  in  zwei  Tagen.  Dabei  sehen  die  Häuser 
stattlich  aus  mit  den  Beeritplatlen  der  Fassade.  Aus  Beerit 
sollen  auch  die  Statuen  der  öffentlichen  GSrten  gemacht 
werden,  und  zwar  bald. 

Das  Echte,  Monumentale  kommt  spSter. 

Beer  hat  auch  Ideen  für  StraBenpflastening. 

24.  Juli. 
Ich  möchte  in  den  StSdten  Holzstöckelpflaster.    Die 
Straßen  werden  wir  ja  anders  anlegen,  als  die  alten  Städte 
tun.   Wir  bauen  sie  von  vornherein  hohl,  legen  in  die 

i6    Benl«  TagebtMm  I.  3^% 


dbyGoogle 


Höhlung  die  nötigen  Röhren,  Drihte  usw.   So  ersparen 
wir  sie  nachher  aufzureißen. 

2^.  Juli. 

Beer  geht  mit  auf  dem  Landnahmeschiff. 

Auf  dem  Schiff  sum  Diner  Smoking,  wie  drüben  mög- 
lichst bald  Elegani. 

Sinn  davon :  die  Juden  sollen  nicht  den  Eindruck  haben, 
daß  sie  in  die  WOste  ziehen. 

Nein,  diese  Wanderung  vollzieht  sich  mitten  in  der 
Kultur.  Wir  bleiben  in  der  Kultur,  indem  wir  wandern. 

Wir  wollen  ja  keinen  Buren-Staat,  sondern  ein  Ve- 
nedig. 

24.  Juli. 

Bei  der  Verfassung,  die  nur  die  geringe  Elastizitit  eines 
armdicken  Gummistranges  haben  soll,  muß  darauf  ge- 
achtet werden,  daß  die  Aristokratie  nicht  in  Tyrannei  und 
Übermut  ausarten  könne.  Der  erbliehe  Adel  ist  nicht 
unsere  Aristokratie.  Bei  uns  kann  jeder  große  Mensch 
Aristokrat  werden.  (Geld  guter  2^nsus,  wenn  ehrliche 
Erwerbung  feststeht.) 

Zu  verhindern  auch  spfitere  Eroberungspolitik.  Neu- 
Judia  soll  nur  durch  den  Geist  herrschen. 

25.  Juli  abends. 
Von  Güdemann  wieder  einen  flauen  Brief  erhalten.  Ich 
antworte  ihm: 

Hochverehrter  Freund  1 

Bei  dieser  Anrede  bleiben  wir,  mit  Verlaub.  Außer 
dem  Vergnügen  und  der  Ehre  gewährt  sie  den  Vorteil, 
daß  ich  Ihnen  in  aller  Ehrfurcht  deutlicher  meine  Mei- 
nung sagen  kann.  Ich  will  mich  bei  den  Widersprüchen 
«wischen  Ihrem  Brief  vom  17.  und  vom  aS.  d.  M.  nicht 

343 


dbyGoogle 


aufhalten.  Einmal  „unbesonnen  wie  der  Teil",  das  an- 
dere Mal  von  übertriebener  Ängstlichkeit.  Das  geht 
nicht. 

Sie  wollen  doch  nicht  mit  mir  „flirten",  wie  eine  Frau, 
die  reizt  und  sich  dann  zurückzieht. 

Ich  verstehe  in  der  Judensache  keinen  Spaß. 

Sie  können  freilich  nicht  wissen,  was  ich  will. 

Ja,  warum  sage  ich  es  Ihnen  nicht?  Wenn  mein  Ge- 
danke vernünftig,  das  heißt  einfach  und  faßbar  ist,  so 
muß  ich  ihn  doch  in  ein  paar  Sätzen  sagen  können.  Das 
kann  ich  auch,  lieber  Herr  Doktor;  ich  will  nur  nicht. 
Denn  nicht  nur  auf  den  Gedanken  allein,  das  heißt  auf 
das  letzte  logische  Resultat  kommt  es  an,  das  ein  Aller- 
weltsgedanke  ist  und  sein  mu&,  wenn  es  nicht  der  iso* 
lierte  Gedanke  eines  Irrsinnigen  oder  der  um  Jahrhun- 
derte verfrühte  eines  Genies  sein  soll.  Ich  bin  wahr- 
scheinlich kein  Irrsinniger  und  leider  sicher  kein  Genie. 
Ich  bin  ein  ruhig  und  fest  mitten  im  Leben  stehender 
Mensch  meiner  Zeit;  darum  habe  ich  Sie  —  wenn  Sie 
sich  noch  erinnern  —  gebeten,  mir  nach  Gaux  einen  Ge- 
schiftsmann  mitzubringen.  Auf  den  Endgedanken  allein 
k(Mnmt  es  also  nicht  an,  sondern  auf  die  ganze  lange 
Kette  der  Begründung.  Nun  habe  ich  aber  zum  Nieder- 
schreiben dieser  vdlkerpsychologischen,  nationalökono- 
mischen, juristischen  und  historischen  Begründung  viele 
Wochen  schwerster  Arbeit  gebraucht.  Das  kann  ich,  ohne 
es  zu  verstümmeln,  nicht  in  einen  Brief  zwängen.  Ich 
will  mich  ja  verständlich  und  nicht  unverständlich  machen. 

Mein  hiesiger  Freund  hat  mich  nicht  verstanden.  Lag 
es  an  mir?  Wer  weiß?  Als  ich  ihn  nach  seiner  Kritik 
fragte :  „Wie  stellen  also  Sie  sich  die  Abhilfe  vor?"  —  sagte 
er : ,  J)ie  Juden  müssen  zum  Sozialismus  übergehen  I"  Das 
wäre  nach  meiner  Ansicht  ein  ebensolcher  Unsinn  wie  der 

»*•  343 


dbyGoogle 


Sozialismus  seibat.  Er  meinte  auch,  man  müßte  die  An- 
tisemiten totschlagen,  was  ich  ebenso  ungerecht  wie  un- 
durchführbar fände. 

Glauben  Sie  noch  immer  blindlings,  daß  mein  Freund 
mir  gegenüber  recht  habe? 

Mein  Freund  bleibt  er  doch,  wie  auch  Sie  hoffentlich 
mein  Freund  bleiben  werden,  selbst  wenn  Sie  mich  nicht 
verstehen ;  wie  alle  guten  Juden  meine  Freunde  sind. 

Nur  von  den  Waschlappen,  Scheiß-  und  Lumpenkerlen 
mit  oder  ohne  Geld  will  ich  nichts  wissen. 

Seien  Sie  versichert,  daß  ich  Ihre  wahrhaft  freund- 
schaftliche Sorge  um  die  Frage  meiner  Existenz  dankbar 
schätze.  Ich  kann  Sie  beruhigen.  Meine  Existenz  und 
die  Ernährung  meiner  Familie  läuft  keine  Gefahr.  Ich 
glaube,  Sie  beurteilen  mein  Verhältnis  zur  N.  Fr.  Pr.  nicht 
richtig.  Wann  ich  will,  kann  ich  weggehen,  ohne  mir 
zu  schaden.  Ja,  wenn  ich  dann  eine  annähernd  so  gute 
Stellung  bei  einem  anderen  Blatte  suchte,  wäre  ich  übel 
dran.  Aber  wenn  ich  wegginge,  würde  ich  Chef  eines 
Blattes,  nämlich  meines  eigenen  werden.  So  liegt  die 
Sache. 

Übrigens  denke  ich  jetzt  nicht  daran.  Ich  bin  den  Her- 
ausgebern in  ebensolcher  Freundschaft  zugetan  wie  üe 
—  glaidw  ich  —  mir.  Speziell  für  Bacher  empfinde  idi 
eine  tiefe  Zuneigung,  obwohl  ich  mit  ihm  wenig  ver- 
kehrte. Er  ist  ein  Mannt 

Durch  meinen  Plan  setze  ich  mich  so  wenig  in  einen 
Gegensatz  zur  N.  Fr.Pr.,  daß  die  Mfirchenform,  von  der 
ich  Ihnen  im  letzten  Brief  sprach,  in  der  N.  Fr.  Pr.  er- 
scheinen soll,  wenn  die  Sache  nicht  praktisch  wird. 

Sind  Sie  beruhigt? 

Aber  noch  ist  es  kein  Märchen,  und  Sie  so  wenig  wie 
M.-C  können  es  dazu  machen.  Wohl  aber  will  ich  mich 

344 


dbyGoOglc 


gern  mit  Ihnen  beraten,  Ihre  Einwendungen  hören  und 
danach  sehen,  was  ich  zu  tun  habe. 

Sie  werden  meine  Gedanken  beurteilen  und  ich  die 
Ihrigen  —  das  ist  der  Sinn  unserer  Zusammenkunft.  Die 
kann  stattfinden,  wo  Sie  wollen,  nur  nicht  in  Wien  oder 
Umgehung.  Das  wünsche  ich  ausdrücklich  nicht. 

Meinetwegen  in  Linz.  Aber  dort  sind  noch  nie  drei 
Fremde  zugleich  eingetroffen.  Wir  würden  in  diesem 
Antisemitenhauptort  zu  viel  Aufmerksamkeit  erregen. 
Wollen  Sie  nicht  lieher  in  der  Fremdenstadt  Salzburg  das  - 
Rendezvous  bestimmen?  Der  Unterschied  an  Zeit  und 
Geld  ist  doch  wahrhaftig  eine  Bagatelle.  Auch  kommen 
wir  Me^er-Cohn  damit  ein  bißchen  entgegen. 

Darum  dachte  ich  auch  zuerst  an  Zürich. 

Freilich  hatte  ich  auch  noch  einen  anderen  Grund, 
schon  übermorgen  mit  Ihnen  beiden  zusammenkommen 
gu  wollen.  In  Berlin  machen  die  Juden  nSmIich  jetzt 
etwas,  das  mir  nicht  recht  ist.  Ich  hoffte,  wenn  ich  Sie 
überzeugt  hStte,  durch  Meyer-Cohn  sofort  etwas  veran- 
lassen zu  können.  Es  ist  ja  quälend,  nichts  gegen  einen 
Fehler  machen  zu  können,  den  man  als  solchen  erkennt. 
Aber  auf  einen  Fehler,  eine  Dummheit,  eine  Versäumnis 
mehr  kommt  es  in  der  Leidensgeschichte  unseres  Volkes 
nicht  an. 

Ad  Meyer-Cohn  müssen  Sie  die  Einladung  nach  (Linz 
oder)  Salzburg  ergehen  lassen.  Ich  kann  es  nicht.  Ich 
kenne  ihn  nicht,  und  er  hat  meinen  Namen  vielleicht  nie 
gehört.  Sie  sind  durchaus  qualifiziert,  es  zu  tun,  und 
ich  rechne  darauf,  daß  Sie  es  ehestens  tun  werden.  Lassen 
Sie  sich  von  Bloch  die  Adresse  geben,  unter  welchem  Vor- 
wand immer,  Bloch  darf  ebensowenig  von  unserer  Zu- 
sammenkunft wissen  wie  irgendein  anderer.  Um  diese 
Beratung  herum  soll  Ruhe  sein. 

ft45 


dbyGoogle 


Ich  reise  SamsUg  abead  von  hier  ab,  bin  Montag  in 
Aussee  (Steiermark),  Villa  Fuchs. 

Zögern  Sie  nicht,  lieber  Herr  Doktor  1  Sie  müssen  doch 
mindestens  schon  neugierig  sein,  was  ich  wohl  zu  sagen 
habe. 

Schreiben  Sie  Meyer-Cohn  gleich.  Wenn  ich  sage,  daß 
ich  ihn  nicht  kenne,  ist  das  so  zu  verstehen:  ich  weiß 
nichts  von  ihm,  weiß  nicht,  wie  er  aussieht  usw.  Finden 
Sie  daa  nur  nicht  komisch,  es  enthält  die  Anleitung  zum 
richtigen  Briefstil.  Ein  Brief  ist  die  Aufrufung  eines 
Willens;  und  dazu  muß  ich  vchu  Träger  dieses  Willens 
eine  ungefähre  Vorstellung  haben,  sonst  tappe  ich  herum 
und  sclu^ibe  einen  konfusen,  d.  h.  seinen  Willen  aufsu- 
rufen  nicht  geeigneten  Brief. 

Als  ich  mir  die  Denkschrift  an  den  Deutschen  Kaiser 
zurechtlegte,  betrachtete  ich  mit  größter  Aufmerksamkeit 
verschiedene  Photographien  von  ihm,  las  kritisch  seine 
Reden,  durchforschte  seine  Handlungen.  Seien  Sie  ganz 
ruhig:  wenn  ich  an  ihn  die  Denkschrift  richte,  werde 
ich  ihn  vom  ersten  Augenblick  an  so  packen,  daß  er  sie 
nicht  in  den  Papierkorb  wirft. 

Denn  ich  bin  kein  Schwätzer  und  verachte  die  Fasel- 
hänse.  Die  Dichtung  ist  für  mich  nur  eine  Form,  eine 
Bilderschrift  mit  großen  Zügen,  dienend  wie  diese  ge- 
ringe und  gewöhnliche  der  Zeichen  da  unter  meiner 
Feder,  dienend  zum  Ausdruck  meiner  Gedanken..  Als  ich 
die  Große  Schrift  erlernte,  wußte  ich  ebensowenig  wie 
in  meiner  Kinderzeit  beim  Erlernen  der  kleinen  Schrift, 
wozu  mir  das  dienen  ^ürde.  Jetzt  weiß  ich  es. 

Überlassen  Sie  es  also  den  Unwissenden  und  Dumm- 
köpfen, Mißtrauen  gegen  einen  Dichter  zu  haben.  Im 
Dichten  liegt  noch  keine  Verrücktheit,  auf  den  Gedanken 
kommt  es  an,  den  die  Große  Schrift  hinmalt;  wenn  der 

%^6 


dbyGooglc 


gesund  und  klar  ist,  dann  macht  sich  nur  der  Zweifel 
IScherlich.  Und  st^ar  tragisch  kann  er  sich  durch  seinen 
Zweifel  machen,  weil  er  mit  der  Erleichterung  seiner  Brü- 
der auch  seine  eigene  hinausschiebt  oder  vereitelt. 

Nichts  tun,  zuschauen,  wenn  das  Haus  brennt,  ist  doch 
wahnsinniger,  als  mit  einer  modernen  Dampfspritze  her- 
beieilen. Und  das  will  ich. 

Schreiben  Sie  also  sofort  an  Meyer-Cohn  einen  schönen 
Brief,  wie  der  vom  17.,  nicht  der  vom  33.,  war.  Ich 
hoffe,  daß  Ihr  Unwohlsein  schon  glücklich  behoben  ist. 
Macht  es  Ihnen  im  Augenblick  Schwierigkeiten,  M.-C. 
den  Brief  zu  schreiben,  der  die  Notwendigkeit  der  Reise 
nach  SaUburg  (lieber  als  Linz,  wie  gesagt)  dartut,  so 
schicken  Sie  ihm  meine  Briefe.  Außer  Meyer-Cohn  darf . 
nach  wie  vor  niemand  die  Briefe  lesen,  und  er  nur,  weil 
ich  ihm  ja  alles  wie  Ihnen  selbst  mitteilen  vrill. 

Ob  ich  wieder  Kindbettfieber  habe?  fragen  Sie.  Wie 
unirztlicb  gesprochen.  Das  hat  man  nur  einmal,  und 
zwar  gleich  nach  dem  Gebären.  Ich  hatte  es,  weil  ich  so 
schwer  überarbeitet  war,  Wochen  hindurch  neben  meiner 
Tagesarbeit  vom  frühen  Morgen  bis  in  die  späte  Nacht 
die  Details  aufgeschrieben  und  dann  schon  in  der  Er- 
schöpfung alle  Details  in  einen  geordneten  Gedankengang 
Dut  eisernen  logischen  Schlüssen  gebracht  hatte. 

Da  kam  der  Freund,  der  mich  absolut  nicht  verstand. 

Jetzt  ist  das  alles  fertig,  die  Blutung  ist  gestillt,  die 
Gebärmutter  hat  wieder  ihren  normalen  Platz  und  ge- 
wöhnlichen Umfang.  Also  keine  Gefahr. 

Und  wissen  Sie,  wie  ich  den  Zweifelanfall  überstand? 
Wieder  mit  Arbeit;  den  ganzen  Tag  habe  ich  wieder  scharf 
gearbeitet,  für  die  Zeitung  und  anderes  für  mich. 

Leben  Sie  wohll  Ich  erwarte  in  Aussee  die  baldige  Ein- 
ladung nach  Salzburg  (schlimmstenfalls  Linz)  für  den 

347 


dbyGoogle 


5.,  6.  oder  7.  August.   Fabiua  Beerte  gegen  die  Feinde, 
gegen  Freunde  macht  man  nicht  den  Kunktator. 
Ich  grüße  Sie  herzlich  und  ergeben 

Ihr    Th.  Herd. 

26.  Juli  nachmittags. 

Soeben  auf  der  Gasse  an  Hirsch  vorübergefahren.  Ich 
schreibe  ihm,  wenn  auch  mit  Widerwillen.  Es  kann  aber 
nützlich  sein. 

Hochgeehrter  HerrI 

Soeben  sind  wir  aneinander  vorübergefahren.  Ich 
schließe  daraus  scharfsinnig,  daß  Sie  hier  sind.  Ich  selbst 
fahre  morgen  abend  nach  Osterreich.  Wir  werden  viel- 
leicht nicht  sobald  wieder  an  einem  Ort  sein.  Wollen  Sie 
meinen  ausgearbeiteten  Plan  keanenlerneo?  Versteht 
sich :  ohne  mich  wieder  zu  unterbrechen. 

Am  6.  August  habe  ich  mit  zwei  wackeren  Juden,  einem 
Wiener  und  einem  Berliner,  Rendezvous  in  Salzburg. 
Ich  will  ihnen  meine  Denkschrift  an  den  rösche  vor- 
legen, bevor  sie  abgeht.  Mir  von  diesen  älteren  Leuten 
raten  lassen,  ob  nicht  einzelnes  auszumerzen,  was  den 
Juden  schaden  könnte. 

Wenn  Sie  mitwissen  wollen,  schreiben  Sie  mir  ein 
Wort,  so  komme  ich  vor  meiner  Abfahrt  auf  ein  Stünd- 
chen zu  Ihnen. 

Wenn  nicht,  nicht. 

Hochachtungsvoll  Ihr  ergebener 

Herzl. 

27.  Juli. 
Hirsch  hat  nicht  geantwortet. 

Ich  schreibe  ihm  folgenden  Abschiedsbrief,  den  ich 
vielleicht  morgen  in  Basel  aufgeben  werde: 

3^8 


dbyGoogle 


Hochgeehrter  HerrI 

Es  gehört  zum  Pech  der  Juden,  daß  Sie  sich  nicht  auf- 
klXren  lassen  wollten. 

Ich  sah  in  Ihnen  ein  taugliches  Werkzeug  fflr  den  be- 
deutenden Zweck,  voilä  pourquoi  j'ai  insisU  outre  me» 
babitudea. 

Die  über  Sie  verbreitete  Legende  ist  offenbar  falsch. 
Sie  betreihen  die  Judensache  als  Sport.  So  wie  Sie  Pferde 
rennen  lassen,  so  lassen  Sie  Juden  wandern.  Und  da- 
gegen protestiere  ich  auf  das  entschiedenste.  Der  Jude 
ist  kein  Spielzeug. 

Nein,  nein,  es  ist  Ihnen  nicht  um  die  Sache  lu  tun. 
Elie  est  bien  bonne,  et  j'y  ai  cru  an  instant. 

Darum  war  es  ganz  vorzüglich,  daß  ich  Ihnen  in  Paris 
noch  einmal  schrieb,  und  daß  Sie  mich  mit  keiner  Ant- 
wort beehrten.  Jetzt  ist  jeder  Irrtum  ausgeschlossen.  Es 
muß  Ihnen  ii^ndein  Esel  gesagt  haben,  daß  ich  nur  ein 
angenehmer  Phantast  sei,  und  Sie  haben 's  geglaubt. 

Wenn  Männer  über  eine  ernste  Sache  reden,  gebrau- 
chen sie  keine  höflichen  Floskeln.  Dies  diene  zur  Er- 
klSrung,  wenn  ich  Sie  durch  die  Heftigkeit  meiner  Aus- 
drucksweise chokiert  habe. 

Und  so  empfehle  ich  mich  Ihnen 

hochachtungsvollst  und  ganz  ergebenst 

Dr.  Herzl. 

27.  JaU. 
Und  heute  verlasse  ich  Paris  I 
Es  endigt  ein  Buch  meines  Lebens. 
Eg  beginnt  ein  neues. 
Welches? 

39.  JuU. 
Unterwegs  habe  ich  mir 's  überlegt  und  den  Brief  an 

a49 


dbyGoogle 


Hirsch  nicht  abgesendet.  Vielleicht  wird  der  Mann  noch 
gpSter  einmal  in  die  Kombination  einsubeiiehen  sein.  Ich 
muß  meinen  Unwillen  und  meine  Eigenliebe  dem  Zweck 
unterordnen,  übrigens  erhielt  ich  einen  Brief  von  ihm 
nachgeschickt,  worin  er  sich  wegen  seiner  eigenen  AIk 
reise  entschuldigt.  Er  wolle  im  Spätherbst  darfiber  wei- 
terreden.  Im  Spätherbst!  Erledigt I 

29.  JaU. 

Zell  am  See. 

Das  Geld  muß  entsündigt  werden. 

29.  Juli. 

Bodenbebauung  erreichen  durch  Halbpacht  mit  Ma- 
schineokredit;  nach  kurzer  (etwa  dreij&hrQ^)  Frist  geht 
Halbpacht  in  Eigentum  Ober.  Die  Maschinen  werden 
amortisiert.  Später  haben  wir  Grundsteuer.  Fürstenwabl 
(auf  Lebenszeit). 

Sofort  nach  Tod  des  Fürsten  (oder  eingetretener  Be- 
hinderung durch  Wahnsinn,  Unwürdigkeit) ,  innerhalb  34 
Stunden,  wählt  jede  Gemeinde  einen  Wahlmann.  Diese 
Wahlmänner  haben  in  der  Zeit,  die  genügt,  um  vom  ent- 
ferntesten Punkt  des  Landes  nach  der  Hauptstadt  zukom- 
men, im  Wahlort  zusammenzutreffen.  Der  Wahlort  ein 
Versailles,  um  die  Wahl  von  der  Straße  unabhängig  zu 
halten. 

Der  Kongreß  tagt  unterm  Vorsitz  des  Kanunerpräsi- 
denten, der  alle  militärischen  usw.  Vorbereitungen  leitet. 

Die  Wahlmänner  sind  nicht  Deputierte,  aber  ihre  Stim- 
men zur  Fürstenwahl  gleichwertig.  Wahlgänge  mit  enge- 
rer Wahl  ununterbrochen  so  lange  fortzusetzen,  bis  einer 
Zweidrittelmajorität  hat. 

Während  des  Interregnums  kontrolliert  Kammerprä- 
sident den  Ministerpräsidenten. 

a5o 


dbyGoogle 


Soldaten  haben  das  passive  Wahlrecht  nur  nach  min- 
destens einjähriger  Inaktivitfil. 

29.  Juli. 

Zell  am  See:  Eine  Badekabine.  Die  Winde  voll  Anti- 
semitischer Inschriften.  Viele  von  verstörten  Juden- 
knaben beantwortet  oder  ausgestrichen. 

Eine  lautet: 

„0  Gott,  schick  doch  den  Moses  wieder. 
Auf  daß  er  seine  Stammesbrüder 
Wegführe  ins  gelobte  Land. 
Ist  dann  die  ganze  Judensippe 
Erst  drinnen  in  des  Meeres  Mitte, 
Dann,  Herr,  o  mach  die  Klappe  lu. 
Und  alle  Christen  haben  Ruh. 

2.  August. 

Aussee. 

In  den  letzten  Tagen  häufiger  Depeschenwechsel  mit 
Güdemann. 

Meyer-Cohn  war  in  Wien.  Das  Rendezvous  sollte  in 
Salzburg  nächster  Tage  sein.  Güdemann  zeigt  guten  Eifer 
und  Bereitwilligkeit.  Ich  glaube  an  ihm  den  richtigen 
Helfer  zu  haben. 

Leider  konnte  er  Meyer-Cohn  zum  Rendezvous  nicht 
haben,  weit  der  nach  Posen  muß  „wegen  einer  Emission". 

Wenn  das  nur  nicht  die  argentinische  ist  I 

Ich  antworte  Güdemann  folgendes : 

Hochverehrter  Freund  I 
Ich  müßte  mir  von  den  Reibungswidersländen  des  wirk- 
lichen Lebens  keine  gesunde  Vorstellung  machen,  wenn 
ich  erwartete,  daß  alles  gleich  nach  Wunsch  gehen  werde 
und  könne. 

35l 


dbyGoogle 


Eatmutigen  kanD  mich  nur  Dummheit,  Feigheit  und 
Schlechtigkeit  meiner  Stammesbrüder.  Helfen  will  ich 
fibrigens  auch  den  geistig  und  moralisch  Schadhaften. 

Nun  finde  ich  aber,  wenn  mich  meine  Augen  nicht 
täuschen,  in  Ihnen  schon  einen  wackeren  Helfer,  obwohl 
Sie  noch  gar  nicht  wissen,  was  ich  will.  Haben  Sie  nur 
Vertrauen  zu  mir,  mein  lieber  und  verehrter  Freund!  Sie 
werden  schon  sehen,  lu  welcher  edlen  und  hohen  Sache 
ich  Sie  aufrufe. 

Als  ich  gestern  Ihre  Depesche  erhielt,  daß  Meyer-Cohn 
nicht  kommt  und  Sie  deshalb  auch  nicht  kommen  wollen, 
war  ich  allerdings  ein  bißchen,  nicht  übermäßig,  ver- 
drießlich. Der  Verdruß  galt  der  bedauerlichen  Tatsache, 
daß  ein  Helfer,  auf  den  ich  schon  gerechnet  hatte,  weg- 
fäUt. 

Ich  ging  dann  aus.  Unterwegs  hfirte  ich  Leute  im  Vor- 
übergehen von  einem  kleinen  alltfigtichen  Zwischenfall 
reden:  soeben  hatte  es  auf  der  Promenade  einen  Auftritt 
gegeben,  wobei  „Saujud"  gerufen  worden  war. 

Dieser  Auftritt  wiederholt  sich  offenbar  täglich  auf 
tausend  Punkten  der  Welt.  Sie  wissen  das  so  gut  wie 
ich. 

Und  Sie  können  sich  denken,  mit  welcher  höhnischen 
Bitterkeil  ich  solches  zur  Kenntnis  nehme,  da  doch  mein 
fest  verschlossener  Gedanke  die  Abhilfe  enthält.  Aus 
mir  heraus  wird  dieser  Gedanke  dennoch  nicht  früher 
kommen,  als  bis  der  richtige  Augenblick  da  ist,  den  ich 
mit  aller  nötigen  Kälte  und  Härte  erwarte. 

Ihr  heute  eingetroffener  Brief  eröffnet  mir  aber  wieder 
die  Aussicht,  daß  wir  auf  M.-C.  nicht  zu  verzichten  brau- 
chen. Ich  mache  Ihnen  nun  einen  neuen  Vorschlag,  den 
ich  Sie  an  M.-G.  weiterzugeben  bitte.  Ich  bin  es  meiner 
Selbstachtung  schuldig,  ihm  nicht  früher  zu  schreiben,  als 

95a 


dbyGoogle 


er  mir  geschrieben  hat.  Deon  meine  letzten  Briefe  an  Sie 
waren  ja  auch  indirekt  an  ihn  gerichtet. 

Sie  sowohl  wie  M.-C.  vermuten  auf  ganz  falscher 
FShrte,  wenn  Sie  glauben,  daß  ich  an  den  Deutschen  Kaiser 
ein  Schutzgesuefa  richten  wolle.  Alle  dergleichen  Irrtü- 
mer folgen  daraus,  daß  Sie  erraten  möchten,  was  ich  nur 
mündlich  und  mit  umfassender  Begründung  mitzuteilen 
gesonnen  bin. 

Geduld  I  Gedulden,  aber  nicht  sSumen,  verehrter  Freund  I 

Da  M.-C.  bereit  ist,  mitzuberaten,  aber  bei  ihm  Ver- 
hinderungen vorliegen,  müssen  wir  ihm  entgegenkom- 
men. Mein  Vorschlag  ist  nun,  daß  wir  mit  ihm  ein  neues 
Rendezvous  verabreden.  Es  kann,  muß  aber  nicht,  in 
Zürich  sein.  Meinetwegen  in  München,  Frankfurt,  wo 
immer  und  wann  immer  —  aber  unbedingt  in  den  nfich- 
sten  vierzehn  Tagen.  Sie  wissen  schon,  was  ich  hier  in 
Aussee  einleiten  will,  wenn  ich  keine  jüdischen  Helfer  be- 
kommen kann.  Es  wird  nicht  meine  Schuld  sein,  wenn 
man  mich  allein  gehen  und  einzelne  Fehler  machen  iSßt, 
denen  durch  Beratung  vielleicht  vorzubeugen  gewesen 
wlre.  Das  Ganze  meines  Planes  ist  richtig,  davon  bin  ich 
im  tiefsten  überzeugt. 

An  Salo  denke  ich  längst  nicht  mehr. 

Schicken  Sie  mir,  bitte,  den  Artikel  M.-C.'s  in  der  Wo- 
chenschrift. Es  ist  nützlich,  daß  ich  die  Struktur  seines 
Geistes  daraus  zu  erkennen  versuche. 

Ich  erwarte  bald  Nachricht  und  grüße  Sie  in  herzlicher 
Vanhnmg.  Ihr  Th.  H. 

ü.  August. 
Mit  einem  Wiener  Advokaten  gesprochen. 
Der  sagte:  Wenn  man  nicht  in  die  Wählerversamm- 
lungen geht,  spürt  man  nichts. 

353 


dbyGoogle 


Die  Bevölkerung  sei  hauptsächlich  gegen  die  Liberalen 
aufgehracht.  Man  ruft  Hoch  Lueger  und  Hoch  Friebeis 
(das  ist  der  Statthaltereirat,  der  jetzt  den  suspendierten 
Gemeinderat  vertritt). 

Ich  erklärte  dem  Advokaten,  daß  diese  zeitweilige  Ver- 
fassungs-Suspension, wenn  sie  noch  ein-,  zweimal  kampf- 
los wiederholt  werden  kann,  zur  gänzlichen  Sistierung  der 
Verfassung  führen  wird,  mit  nachfolgender  Änderung 
resp.  Neubildung  einer  Verfassung,  aus  der  man  die  Ju- 
den auslassen  wird. 

Dann  mit  zwei  Pester  Doktoren  gesprochen,  die  es 
wunderbar  fanden,  wie  Ungarn  die  Juden  halte. 

Ich  erklärte  ihnen  den  ungeheuren  Fehler,  den  die  Ju- 
den in  Ungarn  durch  Erwerbung  des  Grundes  und  Bodens 
begehen.  Schon  haben  sie  mehr  als  die  Hälfte  des  unbe- 
weglichen Eigentums.  Eine  solche  Eroberung  durch  den 
makk-hetes  zsidö  kann  sich  das  Volk  unmöglich  auf  die 
Dauer  bieten  lassen.  Nur  mit  terrorisierender  Waffen- 
gewalt kann  eine  unterscheidbare  Minorität,  die  dem 
Volk  fremd  ist  und  nicht  wie  die  alte  Aristokratie  ge- 
schichtlich berühmt  ist,  sich  in  solchem  Besitz  aller  Vor~ 
teile  erhalten. 

Nun  sind  die  Juden  bekanntlich  das  Gegenteil  einer 
geehrten  Aristokratie  gewesen,  noch  vor  kurzem. 

Die  liberale  Regierung,  die  offenbar  auf  Wahlfiktionen 
und  Kombinationen  beruht,  kann  durch  einen  Handstreich 
hinweggeräumt  werden,  und  dann  bat  Ungarn  von  einem 
Tag  auf  den  anderen  die  schärfsten  Formen  des  Anti- 
semitismus. 

U.  August. 
Der  Drechsler  K ...  in  Aussee  I 
Im  vorigen  Jahre  freute  ich  mich,  als  ich  im  Haus 

964 


dbyGooglc 


gegeDüber  den  jüdischen  Holzschnitzer  sah.  Ich  hielt  das 
fär  die  „Lösung". 

Heuer  komme  ich  wieder.  K . . .  hat  sein  Haus  ver- 
größert, eine  Holzveranda  vorgebaut,  hat  Sommerpar- 
teien, arbeitet  nicht  mehr  selbst.  In  fünf  Jahren  wird  er 
der  reichste  Mann  im  Ort  sein,  und  man  wird  ihn  wegen 
seines  Reichtums  hassen. 

So  entsteht  der  Haß  durch  unsere  Intelligenz. 

5.  August. 

Von  Güdemann  einen  leicht  ironisch  angehauchten 
Brief  erhalten.  Ich  antworte: 

Hochverehrter  Freund  1 

Es  steht  Ihnen  natürlich  frei,  mich  für  einen  Operetten- 
gcneral  zu  halten.  Mir  beweist  diese  Bemerkung  nur,  daß 
ich  von  vornherein  recht  hatte,  das  schriftliche  Verfah- 
ren ab  ein  zweckwidriges  anzusehen.  Ihrem  Rate  folge 
ich  übrigens  heute  und  schreibe  M.-G.  direkt,  frage  ihn, 
ob  er  mit  mir  in  München  oder  sonstwo  zusammenkom- 
men will.  Haben  wir  beide  das  Rendezvous  festgestellt, 
werde  ich  Sie  telegraphisch  fragen,  ob  Sie  daran  teilneh- 
meu  wollen.  Schließen  Sie  sich  dann  aus,  so  werde  ich 
es  bedauern,  und  Sie  vielleicht  späterhin  auch. 

M.-C.'s  Artikel  ist  gut.  Aber  was  soll  die  Philosophie- 
rerei? In  dieser  Frage  heißt  es  —  primam  viverel  deinde, 
meinetwegen,  wenn's  durchaus  sein  muß,  auch  philoso- 
pkari. 

Mit  den  besten  Grüßen  Ihr  aufrichtig  ergebener 

Tb.  H. 

Brief  an  Dr.  Heinrich  Meyer-Cohn  vom  5.  August: 
Hochgeehrter  Herrl 

Dr.  Güdemann  hat  mir  von  Ihnen  geschrieben  und 
Ihnen  von  mir  erzählt.  Ich  glaube,  Sie  kennen  auch  die 

355 


dbyGooglc 


Briefe,  die  ich  ihm  geschrieben  habe.  So  kann  ich  mich 
kurz  fassen.  Wollen  Sie  mit  mir  in  den  nSchsten  vierzehn 
Tagen  irgendwo  zusammenkommen?  Die  Bestimmung 
des  Ortes  Oberlasse  ich  Ibnea.  Es  lige  mir  viel  daran, 
daß  Dr.  Güdemann  an  unserer  Unterredung  teilnähme. 
Er  ist  nun,  wie  ich  aus  seinen  Briefen  herausfühle,  schwer 
zu  einer  größeren  Reise  zu  haben.  Nach  München  könnte 
man  ihn  vielleicht  bekommen.  Ich  muß  Sie  vorläufig 
um  das  Vertrauen  bitten,  daß  ich  wirklich  Ernstes  zu 
sagen  habe.  So  werde  ich  auch  aus  Ihrer  Bereitwilligkeit, 
der  Judensache  das  Opfer  einer  kleinen  Reise  zu  bringen, 
erkennen,  daß  Sie  der  rechte  Mann  sind,  dem  ich  meine 
Gedanken  und  Pläne  avant  la  lettre  mitteilen  darf. 

Was  ich  will,  werde  ich  Ihnen  nur  mündlich  oder  gar 
nicht  sagen.  Briefgeschwätz  ist  ebensowenig  meine  Sache 
wie  gesprochenes.  Es  wäre  unnütz,  mich  aufzufordern, 
daß  ich  Ihnen  vorher  eine  Andeutung  machen  solle.  Nur 
Ihren  Irrtum,  den  mir  Güdemann  anzeigte,  will  ich 
gleich  hinwegräumen:  ich  denke  an  kein  Schutzgesuch. 
In  uns  selbst  suche  und  finde  ich  die  Lösung.  Ich  brauche 
dazu  taugliche  Juden.  Sind  Sie  einer,  guti  Nicht  — 
nicht  I 

Ihren  Aufsatz  in  der  Wochenschrift  habe  ich  mir  schik- 
ken  lassen.  Darf  ich  mir  in  der  direkten  Anrede  ein  Ur- 
teil erlauben?  Der  Artikel  ist  ganz  vorzüglich  und  ver- 
nünftig —  aber  mit  Philosophieren  werden  Sie  keinen 
Hund  hinterm  Ofen  hervorlocken. 

Bestimmen  Sie  also  Zeit  und  Ort;  nehmen  Sie  Rück- 
sicht darauf,  daß  Güdemann  nötig  ist.  Sobald  ich  Ihre 
Nachriebt  habe,  verständige  ich  mich  telegraphisch  mit 
Güdemann  und  bemühe  mich,  ihn  hinzukriegen. 

Mit  hochacbtungsvoUem  Gruß  Ihr  ergebener 

Dr.Tb.H. 

s56 


dbyGooglc 


6.  August. 

Blochs  Wochenschrift  lese  ich  jetzt.  Er  beißt  sich  mit 
de»  Antisemiten  mittelalterlich  theologiach  herum,  wie 
der  Rabbiner  mit  dem  Kapuziner. 

„Daß  sie  alle  beide  stinken!" 

Es  wSre  ja  ein  ausgesprochenes  Judenblatt  nötig,  aber 
modern  müßte  es  Bein. 

Bloch  wfire  immerhin  für  Galizien  zu  verwenden.  Den 
Ton  dort  kennt  er  und  wüßte  zu  den  Leuten  zu  sprechen. 

Die  Miszellaneen,  die  er  bringt,  sind  schauerlich :  solche 
Verfolgungen  gibt  es  jede  Woche,  jeden  Tagl 

6.  August. 
Mit  dem  alten  Simon,  Präsidenten  der  Wiener  Juden- 
gemeinde gesprochen.  Meine  Worte  haben  ihn  sichtlich 
begeistert.  Ich  sagte  ihm  natürlich  nur  das  Negative,  und 
daß  die  reichen  Juden  demoliert  werden  müssen,  wenn 
sie  nur  ihrer  Habgier,  Genußsucht  und  Eitelkeit  leben, 
indeß  die  Armen  verfolgt  werden. 

7.  Augiut, 
Von  Meyer-Cohn  Brief  erhalten.    Der  Brief  ist  gut. 

Ich  telegraphiere  ihm: 

Dank  für  Brief.  Ich  schrieb  Ihnen  vorgestern.  Bitte 
möglichstes  für  baldige  Zusammenkunft,  wo  immer,  zu 
tun. 

Verständigen  wir  uns  darüber  telegraphisch.  Gruß 

Herzl. 
10.  August. 

Von  Güdemann  gestern  Brief  erbalten,  worin  er  den 
ironischen  Ton  seines  vorletzten  Briefes  entschuldigt. 

Von  Meyer-Cohn  keine  Nachricht. 

Ich  schreibe  ihm: 

17     Harals  TB«ebltoher  L  sS? 


dbyGoogle 


Hochgeehrter  Herrl  Über  Ihren  Brief,  der  am  7.  d.M. 
eintraf,  freute  ich  mich  sehr.  Leider  erhielt  ich  aber  die 
telegrapbisch  erbetene  VerstSndigung  nicht.  Gestatten  Sie 
also,  daß  ich  noch  ein  letztes  Mal  sage,  um  was  es  sich 
bandelt. 

Insoweit  ich  schriftliche  Mitteilungen  machen  kann, 
habe  ich  sie  Ihnen  schon  direkt  und  indirekt  durch  Dr.  Gü- 
demann  gemacht.  Ich  möchte  gern  meinen  Plan  zwei 
rechtsch^fenen  Juden  vorlegen;  und  das  heißt,  daß  ich 
bereit  bin,  einen  vernünftigen  Rat  zur  Ausgestaltung  oder 
Restringierung  meiner  Absichten  anzuhören.  Zwei  Män- 
ner wie  Sie  und  Güdemann  finde  ich  wohl  nicht  so  leicht. 
Ich  kann  auch  nicht  lange  herumsuchen.  Es  müssen  ge- 
wisse Charakter-  und  Geisteseigenschaften  da  sein,  die 
ich  bei  Ihnen  beiden  voraussetzen  darf.  Nun  genügt  es 
aber  nicht,  daß  Sie  mit  mir  zusammenkommen  wollen; 
es  muß  auch  bald  sein.  Nichts  in  der  seit  so  vielen  Jahr- 
hunderten verschleppten  Judensache  schiene  ja  meine 
Eile  zu  rechtfertigen,  und  das  macht  Sie  am  Ende  gar 
stutzig.  Aber  ich  habe  praktische  Gründe  zum  Drängen. 
Hat  Ihnen  Dr.  Güdemann  nicht  gesagt,  daß  ich  hier  in 
Aussee  versuchen  will,  durch  den  östereichischen  Abge- 
ordnetenhaus-Präsidenten Chlumecky  mit  dem  Reichs- 
kanzler Hohenlohe  bekannt  zu  werden  und  so  zum  Kaiser 
zu  gelangen?  Und  wenn  mir  letzteres  unmöglich  wird, 
will  ich  sofort  an  die  literarische  Ausarbeitung  meines 
Planes  gehen. 

Auf  Güdemanns  vorläufigen  Rat  wollte  und  will  ich 
mich  noch  Ihnen  beiden  in  aller  Bescheidenheit  vorher 
mitteilen.  Sie  sind  doch  an  der  Sache  so  beteiligt  wie  ich 
selbst ;  sind  meine  natürlichen  Freunde  und  Ratgeber.  Sie 
müssen  sich  doch  auch  denken,  daß  ich  es  nicht  wagen 
würde,  Sie  mutwillig  auf  eine  Reise  zu  bemühen.    Ich 

358 


dbyGooglc 


habe  also  Ernstes  und  Wichtiges  zu  sagen.  Lassea  Sie 
mich  nicht  allein  gehen.  Ich  tSte  es  ungern,  aber  ich  täte 
es  endlich.  Bedenken  Sie,  daß  ich  einige  Zeit  brauche, 
um  die  Sache  mit  und  durch  Chlumecky  in  Gang  zu 
bringen,  und  daß  ich  die  noch  übrigen  zwanzig  Tage  mei- 
nes AuBSeer  Aufenthaltes  zu  Rate  halten  muß. 

Erfreuen  Sie  mich  bald  durch  eine  telegrapbische  Ant- 
wort. Bestimmen  Sie  Zeit  und  Ort  der  Zusammenkunft, 
unter  Rücksichtnahme  auf  den  schwerer  beweglichen  Dr. 
Güdemann.  Es  wäre  mir  geradezu  schmerzlich,  wenn  ich 
in  der  Erwartung,  mit  Ihnen  beiden  Hand  in  Hand  gehen 
zu  können,  enttSuscht  würde. 

Mit  hochachtungavollem  Gruß  Ihr  ganz  ergebener 
Dr.  Th.  H. 
iO.  Aaguxt. 

Mit  Dr.  F.  aus  Berlin  gesprochen.  Der  ist  fürs  Taufen.  . 
Er  „will  seinem  Sohn  das  Opfer  bringen".  Na,  na.  Ich 
habe  ihm  erklSrt,  daß  man  noch  durch  andere  Bassessen 
sein  Vorwärtskommen  erleichtern  kann. 

Er  wird  sich  offenbar  taufen,  sobald  sein  reicher 
Schwiegervater  tot  ist.  Vergißt  nur,  daß,  wenn  5ooo 
solche  wie  er  sich  taufen,  das  Schlagwort  einfach  geän- 
dert wird:  Saugetaufte I 

i3.  August. 

Im  Kurpark  wieder  mit  dem  alten  Simon  und  noch 
zwei  anderen  alten  Juden  gesprochen.  Habe  ihnen  alle 
Prämissen  scheinbar  absichtslos  voi^führt,  meine  Kon- 
klusion natürlich  nicht.  Wieder  konnte  ich  bemerken, 
daß  ich  imstande  bin,  Leute  zu  begeistern.  Das  sind  nur 
Alte,  Träge,  durch  ihre  Wohlhabenheit  Indifferente.  Und 
doch  spüre  ich,  daß  ihre  Seele  Funken  gibt,  wenn  ich 
darauf  schlage. 

17*  35g 


dbyGooglc 


Die  Jungen,  denen  ich  eine  ganze  Zukunft  schenken 
will,  werde  ich  natürlich  im  Sturm  mit  mir  reißen. 

Nachmittags  kommt  der  Brief  von  Meyer-Cohn. 

Er  will  am  17.  d.M.  in  München  sein.  Ich  telegra- 
phiere an  Güdemann.  Die  Schwierigkeit:  der  17.  ist  ein 
Samstag.  Der  Rabbiner  wird  nicht  können  oder  seine 
Amtsgeschäfte  vorschützen,  wenn  er  nicht  Lust  hat.  Ich 
werde  ihn  aber,  wenn  er  nein  sagt,  mit  härtester  Energie 
aufrufen  —  oder  definitiv  über  ihn  hinw^gehen. 

iü.  Aaguat. 

Meine  gute  Mama  erzählt,  wie  Albert  Spitzer  starb. 
Seine  Wirtschafterin  fragte  ihn  nach  Tisch :  „Was  kochen 
wir  morgen?" 

Er  antwortete  kräftig;  „Rumpsteak"! 

Das  war  sein  letztes  Wort.  Er  sank  um  und  war  tot. 

Meine  Mama  zieht  auch  daraus  in  ihrer  überlegenen 
Weise  den  Sinn  dieses  Lebens,  das  mit  dem  Rufe  „Rump- 
steak!" endet. 

Ich  werde  diese  Anekdote  in  München  verwenden. 

iU.  August. 

Ich  sehe  im  ganzen  nur  eine  Schwierigkeit:  die  Land- 
ratten aufs  Meer  zu  bringen. 

ii.  August. 

Programm  für  München.  Erst  werde  ich  ihnen  die 
Geschichte  des  Gedankens  erzählen,  dann  sie  aufrufen, 
das  ihnen  an  der  umständlichen  Form  nicht  Zusagende 
wohl  vom  Gedanken  selbst  zu  unterscheiden.  Ich  werde 
sie  im  Vorhinein  vor  meiner  Konklusion  warnen,  ihnen 
den  Fehler,  den  ich  bei  Hirsch  beging,  erklären.  Ihm 
trug  ich  die  Sache  vom  Staat  aus  vor,  d.  -fa.  ich  begann 
nur  und  gab  es  rechtzeitig  auf,  weil  ich  bemerkte,  daß 

360 


dbyGooglc 


er  mich  nicht  verstand.  Ihnen  erkläre  ich  es  jetzt  als 
Geschäft  —  sie  sollen  mich  nicht  auch  mißverstehen,  im 
Umgekehrten,  und  mich  nicht  für  einen  „Unternehmer" 
halten. 

Ihnen  auch  sagen,  wie  ich  den  immer  gleichen  Plan 
von  einer  anderen  Seite  für  den  Deutschen  Kaiser  dar- 
stellen will,  mit  der  „Beritte  nmachung  der  Selbst[  wehr?]". 

i^.  Augast. 

Gädemann  hat  telegraphisch  angenommen.  Er  reist 
Freitag  früh  nach  München.  Er  möchte,  daß  ich  gleich- 
zeitig, d.  h.  Freitag  abend,  dort  eintreffe.  Das  will  ich 
aber  nicht.  Meyer-Cohn  kommt  erst  Samstag,  wird  erst 
Samstag  nachmittag  zur  Unterredung  zu  haben  sein.  Ich 
will  es  vermeiden,  vorher  mit  Güdemann  zu  reden,  und 
werde  erst  Samstag  vormittag  in  München  eintreffen.  Sie 
sollen  vorerst  miteinander  sein,  mich  erwarten;  und  na- 
mentlich Güdemann  soll  nicht  mehr  von  der  Reise  müde 
sein,  sondern  erfrischt  und  munter. 

Die  Schwierigkeit  meines  Vortrags  wird  sein,  sie  aus 
ihren  gewöhnlichen  Vorstellungen  allmShlich  hinüberzu- 
f Uhren  in  die  meinigen,  ohne  daß  sie  das  Gefühl  erhalten, 
die  Realität  zu  verlieren. 

18.  Augatt,  München. 

Eigentlich  könnte  ich  dieses  Aktionstagebuch  schon 
aufgehen,  denn  es  kommt  zu  keiner  Aktion. 

Ich  kam  gestern  morgen  hier  an.  Im  Vestibül  des 
Hotels  traf  ich  schon  Güdemann,  der  frisch  und  freund- 
lich mit  seinem  grauen  Bart  und  roten  BSckchen  aussah. 

Wir  gingen  zu  Meyer- Cohn,  der  sich  eben  wusch. 
Gleich  im  ersten  Augeid>lick  wußte  ich,  daß  das  nicht  der 
richtige  Mann.  ist.  Ein  kleiner  Berliner  Jude  dem  Äuße- 
ren nach;  und  im  Inneren  ebenfalls  klein.  Breit  erzählte 

a6i 


dbyGoogle 


er  uns,  während  er  seine  Toilette  beendete,  über  „parla- 
mentarische" Vorgänge  in  der  Berliner  Judengemeinde. 
Nichtigkeiten;  womit  man  übrigens  versöhnt  wird  durch 
die  anspruchslose  Art  des  Vortrags. 

Und  so  wie  ich  ihn  in  dieser  ersten  Viertebtunde  er- 
kannte, und  wie  ich  es  gleich  beim  Hinausgehen  aus  dem 
Zimmer  zu  Güdemann  sagte,  so  hat  M.-C.  eich  den  gan- 
zen Tag  über  bewährt.  Er  hat  geringe  Ansichten,  an  denen 
er  zäh  hängt,  die  er  aber  mit  versöhnender  Bescheiden- 
heit gibt.  Er  ist  ein  Mediokrat,  glaubt  nicht,  daß  jemand 
etwas  besser  verstehen  könne  als  er  selbst,  aber  er  traut 
auch  jedem,  also  auch  mir,  ebensoviel  zu  wie  sich  selbst. 

Ich  ging  dann  zum  Tempel,  wo  ich  mit  Güdemann 
Rendezvous  hatte.  Der  Gottesdienst  war  vorüber,  als  ich 
hinkam.  Güdemann  zeigte  mir  das  Innere  des  schönen 
Tempels.  Der  Schames  oder  Schabbesgoi,  ein  alter 
Mensch  im  blauen  Uniformrock,  groß  und  von  schwin- 
dender Korpulenz,  sah  Bismarck  sehr  ähnlich.  Es  war 
eine  kuriose  Stimmung  darin,  daß  eine  Bismarckftgur 
mit  den  Schlüsseln  hinter  uns  herging,  während  mir  der 
Rabbiner  den  Tempel  zeigte.  Der  Goi  wußte  nicht,  daß 
er  Bismarck  ähnlich  sieht;  der  Rabbiner  wußte  nicht. 
daß  er  etwas  Symbolisches  tat,  als  er  mir  die  Schönheit 
eines  Tempels  wies.  Nur  ich  wußte  dies  und  anderes. 

Von  der  Sache  selbst  sprach  ich  am  Vormittag  noch 
nichts.  Ich  ließ  zumeist  Güdemann  reden,  der  noch  nicht 
ahnte,  daß  er  mich  im  weiteren  Verlauf  des  Tages  Moses 
nennen  würde, 

Wir  kamen  zu  Tisch  im  jüdischen  Gasthaus  Jochsber- 
ger  zusammen,  das  mich  sehr  anheimelte.  Der  Wirt 
kannte  Güdemann  und  brachte  uns  in  einem  abgeson- 
derten Zimmer  unter.  Später  fand  er  mit  Judenscharf- 
sinn  heraus,  daß  wir  über  die  Judensache  berieten,  und 

a6a 


dbyGooglc 


sorgte  dafür,  daß  wir  ungestört  blieben.  Solches  Material 
haben  wir  in  unseren  Leuten  I  Sie  erraten,  was  man  an- 
deren einblSuen  müßte.  Sie  führen  es  mit  Intelligenz 
und  Hingebung  aus. 

Bei  Tisch  begann  zwanglos  die  Einleitung.  Güdemann 
war  mir  schon  vormittags  nahe  ans  Herz  gekommen. 
Mehr  und  mehr  entdeckte  ich  in  ihm  einen  schönen,  freien 
Prachtmenschen.  Das  Gesprfich  war  natürlich  theolo- 
gisch und  philosophisch  gefSrbt.  Ich  sagte  ineidemment 
meine  Gottesanschauung.  Ich  will  meine  Kinder  mit  dem 
sozusagen  historischen  Gott  erziehen.  Gott  ist  mir  ein 
schönes,  liebes  altes  Wort,  das  ich  behalten  will.  Es  ist 
eine  wunderbare  Abbreviatur  für  Vorstellungen.dieeinem 
kindlichen  oder  beschränkten  Gehirn  unfaßbar  wären. 
Ich  verstehe  unter  Gott:  den  Willen  zimi  Guten I  Den 
allgegenwärtigen,  unendlichen,  allmächtigen,  ewigen  Wil- 
len zum  Guten,  der  nicht  überall  gleich  siegt,  aber  end- 
lich immer  siegt.  Für  den  das  Schlechte  auch  nur  ein 
Mittel  ist.  Wie  und  warum  läßt  der  Wille  zum  Guten 
z.  B.  Epidemien  zu?  Weil  durch  Epidemien  die  dumpfen 
alten  Städte  niedergerissen  werden,  und  neue,  helle  ge* 
sunde  Städte  mit  freier  atmenden  Menschen  entstehen. 

So  enthält  wohl  auch  der  Antisemitismus  den  göttlichen 
Willen  zum  Guten,  weil  er  uns  zusammendrängt,  im 
Druck  einig,  und  durch  die  Einigkeit  frei  machen  wird. 

Meine  Gottesvorstellung  ist  ja  spinozistisch  und  äbnelt 
auch  der  monistischen  Naturphilosophie.  Aber  Spinozas 
Substanz  ist  mir  etwas  gleichsam  Träges,  und  der  unbe- 
greifliche Weltäther  der  Monisten  etwas  zu  Wallendes, 
Flimmerndes.  Aber  einen  allgegenwärtigen  Willen  kann 
ich  mir  denken,  denn  ich  sehe  ihn  wirken  in  Erscheinun- 
gen. Ich  sehe  ihn,  wie  ich  die  Funktion  eines  Muskels 
sehe.  Die  Welt  ist  der  Körper,  und  Gott  ist  die  Funktion. 

363 


dbyGooglc 


Den  Endzweck  keone  ich  nicht  und  brauche  Um  nicht 
zu  kennen ;  mir  genügt,  daß  er  etwas  Höheres  ist  als  unser 
jetziger  Zustand.  Ich  kann  das  wieder  mit  alten  Worten 
ausdrücken,  und  ich  tue  es  gern.  Eritü  iicat  dei,  acientet 
bonum  et  malum. 

Im  Verlauf  des  Tischgesprächs  ergab  sich  aber  das  Un- 
erwartete, daß  Meyer-Cohn  sich  als  einen  Anhänger  der 
Zionsidee  bekannte.  Das  war  mir  sehr  erwünscht. 

Nach  Tisch  holte  ich  das  Manuskript  meiner  Rede  an 
die  Rothschilds  aus  dem  Hotel  und  las  es  in  dem  leeren 
Saal  hei  Jochsberger  vor.  Leider  hatte  Meyer-Cohn  sich 
mit  einem  Geschäftsfreunde  für  vier  Uhr  verabredet,  so 
daß  ich  gleich  wußte,  ich  würde  nicht  zu  Ende  kommen. 
Es  sollte  erst  am  Abend  wieder  fortgesetzt  werden.  Auch 
sonst  las  ich  unter  ungünstigen  Umständen. 

Meyer-Cohn  nörgelte  „parlamentarisch"  an  jedem  klei- 
nen Detail,  das  ihm  unangenehm  aufstieß.  Ich  wurde  des- 
halb einen  Augenblick  hei  der  Abweisung  dieser  „Zwi- 
schenrufe" heftig. 

Dennoch  war  die  Wirkung  groß.  Ich  sah  es  an  GOde- 
manns  glänzenden  Augen. 

Auf  Seite  i3  mußte  ich  wegen  der  Stunde  M.-C.'s  auf- 
hören. Aber  Güdemann,  der  „Anti-Zionist",  war  schon 
gewonnen. 

Er  sagte :  „Wenn  Sie  recht  haben,  bricht  meine  ganze 
bisherige  Anschauung  zusammen. 

Aber  dennoch  wünschte  ich,  daß  Sie  recht  hätten.  Ich 
glaubte  bisher,  vnr  seien  kein  Volk,  das  heißt :  mehr  als 
ein  Volk.  Ich  glaubte,  vrii  hätten  die  historische  Sendung, 
Träger  des  Menschheitsgedankens  unter  den  Völkern  zu 
sein,  und  daß  wir  darum  mehr  als  ein  territoriales  Volk 
seien." 

Ich  antwortete:  „Nichts  hindert  uns,  die  Träger  des 

a64 


dbyGoogle 


Menschheitsgedankens  auch  auf  unserem  eigenen  Grund 
und  Boden  zu  sein  und  zu  bleiben.  Wir  müssen  zu  die- 
sem Zweck  nicht  tatsächlich  unter  den  Völkern,  die  uns 
hassen  und  verachten,  wohnen  bleiben.  Wollten  wir  io 
unseren  jetzigen  Zuständen  den  Universalgedanken  der 
grenzenlosen  Menschheit  verwirklichen,  so  müßten  wir 
mit  der  Vaterlandsidee  kämpfen.  Die  ist  aber  ^och  für 
unabsehbare  Zeiten  stärker  als  wir." 

Um  sechs  Uhr  kamen  wir  wiederum  zusammen,  im 
Hotel,  auf  meinem  kleinen  Zimmer.  Da  es  nur  zwei 
Stflhle  gab,  saß  ich  auf  dem  Bett  und  las  weiter  vor. 
M.-C.  nörgelte  wieder  an  den  utopistischen  Details.  Güde- 
mann  war  wieder  hingerissen.  Ich  kam  noch  nicht  zu 
Ende.  Aber  der  Kern  des  Gedankens  war  imi  halb  neun 
entwickelt.  Wir  wollten  zum  Nachtmahl  gehen.  Güde- 
mann  sagte:  „Sie  kommen  mir  vor  wie  Moses." 

Ich  lehnte  das  lachend  ab,  und  so  kam  es  mir  aufrichtig 
vom  Herzen.  Ich  halte  das  nach  wie  vor  für  einen  ein- 
fachen Gedanken,  für  eine  geschickte  und  vernünftige 
Kombination,  die  allerdings  mit  großen  Massen  operiert. 
Im  reinen  Denken  ist  der  Plan  nichts  Großes.  „Zweimal 
zwei  ist  vier"  ist  im  reinen  Denken  ebenso  groß  wie 
„zweimal  zwei  Trillionen  ist  vier  Trillionen". 

Güdemann  sagte  noch:  „Ich  bin  ganz  betäubt.  Ich 
komme  mir  vor  wie  jemand,  den  man  bestellt  hat,  um 
ilim  etwas  zu  sagen,  und  wie  er  da  ist,  führt  man  ihm 
statt  der  Mitteilung  zwei  schöne  große  Pferde  vor." 

Dieser  Vergleich  freute  mich  sehr,  denn  ich  erkannte 
das  Plastische  meiner  Idee. 

Bei  Jochsberger  wieder  las  ich  den  Schluß.  Die  Ver- 
pflanzung des  Adeb  mißfiel  beiden.  Dagegen  fanden  sie 
das  gelbe  Band  der  Judenehre  poetisch  schön.  Ich  werde 
also  den  Adel  fallen  lassen. 

365 


dbyGoogle 


Auch  gegen  die  Scblußapostrophe  wandte  sich  Gfide- 
mann,  wie  Meyer-CohD*  natürlich  auch. 

Wir  kamen  zu  dem  Resultat,  daß  die  Rede  nicht  an  die 
Rothschilds  kommen  dürfe,  die  niedere,  schnöde,  eigen- 
süchtige Menschen  seien.  Es  müsse  die  Bewegung  gleich 
ins  Volk  hinausgetragen  werden,  und  zwar  in  Form  eines 
Romans. 

Vielleicht  werde  die  Anregung  verstanden  werden  und 
eine  große  Bewegung  hervorrufen. 

Ich  bin  zwar  der  Ansicht,  daß  ich  den  Plan  verderbe, 
indem  ich  ihn  veröffentliche.  Aber  ich  muß  mich  fügen. 
Allein  kann  ich  den  Plan  nicht  ausführen.  Ich  muß  Güde- 
mann  und  M.-Cohn  glauben,  wenn  sie  mir  sagen,  daß  die 
„Großen"  nicht  dafür  zu  haben  sind. 

Ich  begleitete  Güdemann  auf  die  Bahn.  Beim  Abschied 
sagte  er  mir  in  ernster  Begeisterung:  „Bleiben  Sie,  wie 
Sie  sindl   Vielleicht  sind  Sie  der  von  Gott  Berufene." 

Wir  küßten  uns  zum  Abschied.  Er  hatte  in  seinen 
schönen  Augen  einen  merkwürdigen  Glanz,  als  er  mir 
noch  einmal  zum  Coupifenster  hinaus  die  Haod  gab  und 
fest  drückte. 

i  9.  August,  München. 

Roman,  I.  Kapitel. 

Moritz  Frühlingsfeld,  der  Held,  erhSlt  am  zweiten 
Weihnachtst^  des  Jahres  189g  einen  Brief  von  Heinrich 
aus  Berlin. 

Behaglich  setzt  er  sich  hin  um  zu  lesen. 

Es  ist  der  Selbstmordbrief. 

Erschütterung  im  tiefsten. 

II.  Kapitel.  Das  vergessene  Mädchen.  Die  ruinierte 
Börsianerfamilie  mit  dem  Vater,  der  nicht  „gesorgt"  hat 
und  sich  durch  tausend  Zfirtlichkeiten  dafür  bei  der 
Tochter  entschuldigt. 

a66 


dbyGooglc 


Dorthiu  geht  Moritz,  um  den  ersten  Schock  zu  Oberwin- 
deu.  Da  errät  er,  daß  das  vergessene  Mädchen  Heinrieb 
geliebt  bat.  Sie  wird  spSter  wohlerzogen  und  stumm 
sterben. 

III.  Kapitel. 

Aufbruch  zur  Vergessensreise,  Moritz  muß  auf  Rat 
seiner  Freunde  (oder  Eltern)  reisen,  um  den  Toten  „los- 
zuwerden". 

Er  hatte  schon  früher  Reisen  gemacht.  Nie  eine  solche. 
Früher  hatte  er  Augen  für  schOne  Weiber,  Abenteuer  und 
Landschaften.  Jetzt  sieht  er  alles  neu,  gleichsam  divch 
das  Gespenst  Heinrichs  hindurch. 

Zum  Sterben  haben  wir  noch  ZeitI 

So  entsteht  der  Gedankel 

2i.  August. 

Brief  an  Meyer-Cohn. 

Hochgeehrter  Herr! 

Sehr  bedauerte  ich,  Sie  vor  Ihrer  Abreise  nicht  mehr 
gesehen  zu  haben.  So  ziehe  ich  brieflich  die  Konklusion 
aus  luserer  vielleicht  nicht  überflüssigen  Zusammen- 
kunft. Wir  sind  offenbar  Gegensätze.  Aber  ich  glaube, 
wir  können  einander  nicht  höher  ehren,  als  indem  wir 
uns  das  freimütig  eingestehen  und  dennoch  Freunde  wer- 
den. Mein  Gedanke  war  auch  der  Ihrige.  Ich  hoffe,  daß 
Sie  ihn  nicht  aufgeben,  weil  ich  meinen  Weg  zu  seiner 
Verwirklichung  gezeigt  habe.  Das  wäre  ein  wunderliches 
Ergebnis. 

Ich  glaube,  wir  müssen  vor  allem  Juden  sein,  erst  spä- 
ter, erst  „drüben"  dürfen  wir  uns  in  Aristokraten  und 
Demokraten  spalten.  In  den  ersten  zwanzig  Jahren  nach 
Beginn  der  Bewegung  müssen  solche  Gegensätze  schwei- 
gen. Später  dürften  sie  nützlich  sein  und  das  freie  Spiel 

367 


dbyGoogle 


der  Kräfte  voratelleo.  Es  wird  darin  auch  der  Wille  zum 
Guten  erscheinea,  worunter  ich,  wie  Sie  wissen,  „Gott" 
verstehe.  Der  Übermut  der  Aristokraten  und  die  Mut- 
losigkeit der  Demokraten  können  sich  ge^nseitig,  wenn 
auch  unter  Kämpfen,  aufheben.  Aber  vor  allem  müssen 
wir  zusammenhahen. 

Ich  gebe  gleich  das  gute  Beispiel,  indem  ich  meinen 
Gedanken  bescheiden  Ihrem  Rat  und  dem  unseres  hoch- 
verehrten Freundes  Güdemann  unterordne. 

Wenn  Sie  das  Bedürfnis  empfinden,  diese  vielleicht 
auch  „utopistischen"  Zeilen  zu  beantworten,  so  bitte  ich, 
es  nicht  vor  dem  33.  ds.  Mts.  zu  tun.  Am  as.  bin  ich 
wieder  in  Aussee,  Villa  Fuchs. 

Ich  grüße  Sie  in  Freundschaft 

Ihr  sehr  ergebener 

Dr.  Herzl. 

22.  Augast. 
Brief  an  Güdemann. 

Hochverehrter  Freuod  I 

Unsere  große  Sache,  die  wir  in  München  besprachen, 
arbeitet  natürlich  in  mir  fort,  wie  wahrscheinlich  auch 
in  Ihnen  und  vielleicht  selbst  in  unserem  Dritten  M.-C. 
Auf  manche  Einwendung  habe  ich  jetzt  die  nicht  gleich 
gefundene  Antwort, 

Vor  allem:  warum  es  keine  Utopie  ist! 

M.-C.  hat  die  Utopie  ganz  unrichtig  definiert.  Nicht 
das  als  wirklich  dargestellte  zukünftige  Detail  ist  das 
Merkmal  der  Utopie.  Jeder  Finanzminister  rechnet  in 
seinem  Staatsvoranschlage  mit  zukünftigen  Ziffern,  und 
nicht  nur  mit  solchen,  die  er  aus  dem  Durchschnitt  frü- 
herer Jahre  oder  aus  anderen  vergangenen  und  in  ande- 

368 


dbyGooglc 


ren  Staaten  vorkommenden  Erträgen  konstruiert,  sondern 
auch  mit  prSzedeozlosen  Ziffern,  beispielsweise  bei  Ein- 
fflbrung  einer  neuen  Steuer.  Man  muß  nie  ein  Budget  an- 
gesehen haben,  um  das  nitJbt  zu  wissen.  Wird  man  darum 
einen  Finanzgesetzentwurf  für  eine  Utopie  erklären, 
selbst  wenn  man  weiß,  daß  der  Voranschlag  nie  ganz 
genau  eingehalten  werden  kann? 

Richtig  wäre  also  an  M.-C.'s  Einwendung  höchstens, 
daß  ich  zu  viel  malerisches  Detail  gab.  Und  doch 
hatte  ich  unzählige  Züge,  die  in  meinen  Entwürfen  zu  der 
Ihnen  vorgelesenen  Rede  enthalten  sind,  aus  dieser  Re- 
daktion weggelassen.  leb  erkläre  dies  in  der  Rede  selbst 
wiederholt  mit  den  Worten :  „Sie  würden  den  Plan  sonst 
für  eine  Utopie  halten". 

Wodurch  unterscheidet  sich  nun  ein  Plan  von  einer 
Utopie?  Ich  will  es  Ihnen  jetzt  mit  definitiven  Worten 
sagen:  durch  die  Lebenskraft,  die  dem  Plan  und  nicht 
der  Utopie  innewohnt;  durch  die  Lebenskraft,  die  nicht 
von  allen  erkannt  zu  werden  braucht,  und  dennoch  vor- 
handen sein  kann. 

Utopien  hat  es  vor  und  nach  Thomas  Morus  genug  ge- 
geben. Nie  hat  ein  vernünftiger  Mensch  daran  gedacht, 
sie  zu  verwirklichen.  Sie  amüsieren,  aber  sie  ergreifen 
nicht. 

Sehen  Sie  sich  dagegen  den  Plan  an,  der  die  „Einigung 
Deutschlands"  heißt.  Der  schien  noch  in  der  Paulskircbe 
ein  Traimi.  Und  doch  antwortete  diesem  Gedanken  aus 
den  rätselvollen  Tiefen  der  Volksseele  heraus  eine  Re- 
g^'^i  geheimnisvoll  und  unleugbar  wie  das  Leben 
selbst. 

Und  woraus  wurde  die  Einheit  gemacht?  Aus  Bin- 
dern, Fahnen,  Liedern,  Reden  und  schließlich  aus  son- 
derbaren Kämpfen.  Unterschätzen  Sie  mir  den  Bismarck 


dbyGoogle 


nicht!  Er  sah,  daß  Volk  und  Fürsten  nicht  einmal  zu 
kleinen  Opfern  für  den  Gegenstand  all  der  Lieder  und 
Reden  zu  haben  seien.  Da  mutete  er  ihnen  große  Opfer 
zu,  zwang  sie  zu  Kriegen.  Und  diese  Fürsten,  die  es  un- 
möglich gewesen  wfire,  in  welcher  deutschen  Stadt  immer 
zur  Kaiserwahl  zu  versammeln,  die  führte  er  nach  einer 
kleinen  französischen  Provinzstadt,  wo  ein  halbverges- 
senea  Königsschloß  stand.  Und  dort  waren  sie  ihm  zu 
Willen.  Das  im  Frieden  verschlafene  Volk  jauchzte  im 
Kriege  der  Einigung  zu. 

Es  ist  nicht  nötig,  das  vernünftig  erklären  zu  wollen. 
Es  istl  So  kann  ich  auch  das  Leben  und  seine  Kraft  nicht 
erklfiren,  nur  feststellen. 

Sie  denken,  wie  ich  in  München  bemerkte,  in  Bildern. 
Das  bringt  Sie,  wie  noch  anderes,  meinem  Herzen  nur 
oSher.  Sie  gebrauchten  ein  Wort,  das  mich  dort  rührte 
und  erfreute.  Sie  sagten:  „Mir  ist  wie  jemandem,  den 
man  gerufen  hat,  um  ihm  etwas  zu  sagen;  und  wie  er 
kommt,  führt  man  ihm  eia  Paar  schöne  Pferde  vor." 

Warum  sagten  Sie  nicht:  „Zeigt  man  ihm  eine  Ma- 
schinerie"? 

Weil  Sie  den  Eindruck  des  Lebendigen  hatten  I 

Und  so  ist  es.  In  meinem  Plan  ist  Leben.  Ich  will  es 
Ihnen  an  Hertzkas  „Freiland"  beweisen.  Ich  kannte  die- 
ses Buch  nur  vom  Hörensagen  als  eine  Utopie.  Nach 
Ihrer  Abreise  suchte  ich  es  sofort  in  einer  Buchhandlung. 
Ich  hatte  vergessen,  Sie  zu  fragen,  ob  es  denn  auch  von 
Juden  handle.  Und  ich  war  darum  ängstlich.  Nicht  mei- 
netwegen, nicht  als  Literat,  der  fürchtet,  zu  spät  gekom- 
men zu  sein.  (Peream  egot)  Nein,  sondern  weil  ich  dann 
besorgen  müßte,  auch  nichts  ausrichten  zu  können,  wenn 
der  Plan  schon  erfolglos  durch  die  Welt  lief.  Das  Buch 
„Freiland"  war  in  München  nicht  zu  bekommen,  dafür 

370 


dbyGooglc 


aber  eiae  neuere  PublikatioD  Hertzkas  „Eine  Reise  nach 
Freiland"  (Reclam  Univ.-Bibl,). 

Ich  wurde  dadurch  auch  schon  genügend  aufgeklSrt. 
Es  ist  eine  recht  sinnreiche  Phantasie,  so  lebensfern  wie 
der  Aquatorberg,  auf  dem  „Freiland"  liegt. 

Sie  werden  folgenden  Vergleich  verstehen: 

„Freiland"  ist  eine  komplizierte  Maschinerie  mit  vielen 
Zfihneo  und  Rädern;  aber  nichts  beweist  mir,  daß  sie  in 
Betrieb  gesetzt  werden  könne. 

Hingegen  ist  mein  Plan  die  Verwendung  einer  ia  der 
Natur  vorkommenden  Treibkraft. 

Was  ist  diese  Kraft?  Die  Judennot  I 

Wer  wagt  zu  leugnen,  daß  diese  Kraft  vorhanden  sei? 

Man  kannte  auch  die  Dampfkraft,  die  im  Teekessel 
durch  Erhitzung  entstand  und  den  Deckel  hob.  Diese 
Teekesselerscheinung  sind  die  Zionsversuche  und  hundert 
andere  Formen  der  Vereinigung  „zur  Abwehr  des  Anti- 
semitismus". 

Nun  sage  ich,  daß  diese  Kraft  groß  genug  ist,  eine 
große  Maschine  zu  treiben  und  Menschen  zu  befördern. 
Die  Maschine  mag  ausseben,  wie  man  will. 

Ich  habe  recht  —  vielleicht  werde  ich  es  nicht  be- 
halten. 

Aber  unsere  Kraft  wächst  mit  dem  Druck,  der  auf  uns 
ausgeübt  vtird.  Ich  glaube,  es  gibt  schon  vernünftige 
Menschen  genug,  meine  einfache  Wahrheit  zu  verstehen. 

In  München  verbrachte  ich  den  Tag  nach  Ihrer  Ab- 
reise mit  dem  Prokuristen  Spitzer  des  Pariser  Rothschilds. 
Seit  Jahren  frage  ich  ihn:  „Wann  werden  die  Rothschilds 
liquidieren?" 

Er  hatte  dazu  früher  immer  gelacht.  Diesmal  fragte 
er  mich :  „Woher  wissen  Sie,  daß  diese  Absicht  bestehe? 
Denn  sie  besteht  I  Nur  der  Zeitpunkt  ist  noch  ungewiß." 

271 


dbyGooglc 


(Sie  werden  schon  unseretwe^a  keinen  Ton  von  dieser 
Mitteilung  verraten.) 

leb  antwortete  Spitier:  „Ich  weiß  alles,  was  eine  lo- 
gische Schlußfolgerung  aus  bekannten  Prämissen  ist." 
Mehr  sagte  ich  ihm  natürlich  nicht. 

NuD  erkenneo  Sie  wohl,  was  damit  für  meinen  Plan 
gegeben  isti 

Die  blc^  Liquidation  wSre  ein  blödsinniger  Selbst- 
mord. Ich  will  die  Selbstvernichtung  dieser  ungeheuren 
Kreditperson  für  unseren  historischen  Zweck  verwenden. 
Ich  will  ihr  in  den  Arm  fallen:  „Haiti  Verwenden  Sie 
Ihren  Selbstmord  für  eine  welthistorische  Aufgabel  Und 
bereichern  Sie  sich  dabei  noch  einmal,  wie  nie  vorher  1" 

Das  ist  in  der  Ausführung  umfangreich,  aber  im  Ge- 
danken ganz  einfach. 

Sie  sagten :  „EU  war  eine  Narreschkat,  an  Albert  Roth- 
schild diesen  unbestimmten  Brief  zu  richten." 

Ja,  daß  der  ein  solcher  Parach  ist,  konnte  ich  nicht 
wissen. 

Größere  Herren  als  dieser  Protz  haben  sich  in  Paris 
mit  mir  eingelassen.  Wenn  ich  den  MinisterprSsidenten 
oder  Minister  des  Auswärtigen  besuchte,  gab  er  dann  seine 
Karte  bei  mir  ab,  u.  dgl.  m.  Als  ich  dem  Expräsi- 
denten  der  Republik,  Casimir  Parier,  schrieb,  antwortete 
er  mir  sofort  und  verbindUch. 

Daß  also  dieser  Judenjunge  von  schnOder  Arroganz  ist, 
beweist  meine  Narretei  nicht. 

Bei  unserer  Verabredung  bleibt  es  übrigens.  Ich  werde 
nichts  mehr  tun,  ohne  mich  vorher  mit  Ihnen  beraten 
zu  haben.  Zunächst  werde  ich  mit  Ihnen  die  Art  und 
Weise  besprechen,  wie  ich  Bacher  die  Sache  vorlegen  soll. 

Nach  reiflichem  Nachdenken  finde  ich,  daß  Bacher 
jetzt  der  nötige  Mann  ist. 

273        ^ 


dbyGoogle 


Ich  werde  iho  bitten,  mir  einen  ganzen  Sonntag  für 
eine  hochwichtige  Sache  zu  widmen,  ihm  alles  erklären; 
und  er  soll  entscheiden,  ob  er  das  für  Tat  oder  Schrift 

halt. 

Gewinne  ich  ihn  für  die  Tat,  so  stellt  er  uns  eine  Schar 
Männer  zusammen  (er  ja  auch  dabei),  die  AuloritSt  und 
Macht  genug  zur  Verwirklichung  haben. 

Hält  er 's  für  einen  Roman,  so  wird  es  ein  Roman. 

Freilich  für  ihn,  wie  für  jeden,  an  den  ich  die  Frage 
stelle,  eine  recht  ungemütlich  große  Verantwortung. 

Aber  an  dieser  historischen  Sache  mitzuwirken,  w&re 
ja  für  jeden  eine  gewaltige  Ehre.  Und  ohne  Gefahr  gibt 
es  keine  Ehre. 

Die  Macht  meiner  Idee  sehen  Sie  schon  daran,  daß  man 
sich  ihr  nicht  entziehen  kann,  wenn  ich  sie  ausspreche. 
Durch  Ja  wie  durch  Nein  engagiert  man  sich  aufs 
schwerste. 

Brauche  ich  Ihnen  zu  sagen,  wie  wert  Sie  mir  in  Mün- 
chen geworden  sind? 

Sie  haben  es  bemerkt,  gefühlt. 

Ich  grüße  Sie  in  herzlicher  Verehrung 
Ihr  aufrichtig  ergebener 

Herzl. 


20.  September,  Wien. 
Es  ist  seit  der  letzten  Eintragung  eine  große  Anzahl 
kleiner  Dinge  dagewesen,  die  ich  in  einer  eigentümlichen 
Schreibtorpeur  vorübergehen  ließ,  ohne  sie  zu  verzeich- 
nen. Ich  will  das  jetzt  pragmatisch  nachtragen,  freilich 
ohne  die  Frische  des  Augenblicks,  die  ich  mir  ja  für  eine 
spätere  Erinnerung  beim  Eröffnen  dieses  Buches  kon- 
servieren wollte. 

>8     Henli  TksebOchar  I.  3^3 


dbyGoogle 


VoD  Aussee  ging  ich  anfangs  September  nach  Wien. 
Gleich  im  Verlauf  meiner  ersten  Unterredung  mit  Bacher, 
die  ich  am  ersten  Tag  hatte,  erkanote  ich,  daß  er  für 
meine  Ideen  absolut  unempfänglich  sein  werde,  ja  sie 
vielleicht  aufs  entschiedenste  bekimpfen  würde.  Darauf- 
hin gab  ich  sofort  dem  GesprSch  eine  Wendung  und 
führte  es  theoretisch. 

Bacher  hält  die  antisemitische  Bewegung  für  eine  vor- 
übergehende, allerdings  „unangenehme". 

Als  ich  ihn  auf  die  Proletarisierung  unseres  ganzen  ge- 
bildeten Nachwuchses  aufmerksam  machte,  gab  er  zu, 
daß  es  eine  „Kalamität"  sei  —  aber  dieses  Proletariat 
werde  sich  durchringen  oder  untergehen,  wie  andere  Pro- 
letariate. 

Ich  ging  dann  einigermaßen  verstimmt  mit  den  zwei 
Kollegen  Oppenheim  und  Dr.  Ehrlich  zu  Tisch.  Natürlich 
war  wieder  die  Judenfrage  unser  Gegenstand.  Sie  be- 
griffen meine  allgemeine  Auffassung  besser  als  Bacher, 
der,  wie  sie  sagten,  zumeist  christlichen  Umgang  habe, 
durch  Frau  und  Verwandtschaft.  Sie  teilten  auch  meine 
Besorgnisse  für  die  oäcbste  Zeit. 

Ich  fuhr  dann  nach  Baden,  wo  ich  Öfters  mit  Güde- 
mann  zusammenkam. 

Er  war  seit  München  ein  bißchen  lau  geworden, 
aber  ich  brachte  seinen  Enthusiasmus  wieder  auf  die 
Beine. 

Bei  Güdemann  disputierte  ich  einmal  einen  alten  Rab- 
biner, namens  Fleißig,  an  die  Wand.  Dieser  alte  Herr 
trägt  Stiefelhosen  und  langen  Leibrock,  der  ein  verschäm- 
ter Kaftan  ist;  und  so  antiquiert  ist  auch  sein  scharf- 
sinnig beschränktes  Denken.  Diese  Art  Juden  vollbringt 
im  Käfig  ihrer  Weltauffassung  die  Tausendmeilen- Wan- 
derungen von  Eichhörnchen  auf  der  Spule. 

374 


dbyGoogle 


Seine  SOhne  sind  bekannte  Schachspieler.  Und  so  ha- 
hen  wir  uniShlige  Köpfe  voll  von  borniertem  und  nutzlos 
verfließendem  Scharfsinn. 

Mit  Gfidemann  kam  ich  überein,  die  Sache  Dr.  Ehrlich 
als  einem  Finanzfachjournalisten  vorzulegen. 

Ich  fuhr  einen  Sonntag  zu  Ehrlich  hinüber  nach  Vöslau, 
und  nachdem  ich  ihm  auf  sein  Stillschweigen  das  Ehren- 
wort abgenommen  hatte,  nahm  ich  ihn  her. 

Zwei  Stunden  vor  und  zwei  Stunden  nach  dem  Essen 
saßen  wir  io  einem  Gartenhfiuschen,  auf  das  die  Soone 
heiß  brannte;  und  ich  las  ihm  die  „Rede  an  den  Fami- 
lienrat" vor. 

Resultat:  er  war  ergriffen,  erschüttert,  hielt  mich 
durchaus  nicht  für  verrückt,  und  hatte  eigentlich  keine 
finanztechnische  oder  nationalökonomische  Einwendung. 
Was  er  doch  einwarf,  zeigt  mir  nur,  daß  er  meinen  Ent- 
wurf vollkommen  ernst  nahm;  Beispiel:  er  sei  Gegner 
des  Börsenmonopota. 

Er  gab  mir  endlich  die  positive  Antwort,  die  ich  ge- 
wünscht und  auch  so,  wie  sie  kam,  kommen  gesehen  hatte. 

Ob  Bacher  und  Benedikt  oder  einer  von  beiden  wohl 
für  die  Sache  zu  gewinnen  wSren?  Ja  oder  Nein. 

Ehrlich  meinte:  Nein. 

Wer  in  Wien  wohl  sonst  dafür  zu  haben  wfire?  Ehrlich 
weiß  keinen  hervorragenden  und  bekannten  Juden  dafür. 

Er  glaubt,  daß  die  Sache  große  Gefahren  für  die  Juden 
heraufbeschwören  könnte:  nämlich  bei  der  Auswande- 
rung könnte  es  zu  Verfolgungen  kommen. 

Nun  zeigt  mir  gerade  diese  Besorgnis  Ehrlicha,  wie 
recht  ich  auf  den  wichtigsten  Punkten  habe.  Denn  wenn 
es  mir  gelingen  kann,  die  Frage  akut  zu  machen,  so  ist 
dies  das  einzige  wirksame  Machtmittel,  und  zwar  ein 
fürchterliches,  über  das  ich  verfüge.  Darum  darf  ich  es 

>8»  375 


dbyGoogle 


auch  vorläufig  uicht  als  Schrift,  sondern  muß  es  als 
Aktion  machen. 

Schließlich  bat  mich  Ehrlich,  aufzuhören,  denn  die 
Auseinandersetzung  habe  ihn  zu  schwer  angestrengt. 

Er  selbst  sei  mir  gewonnen.  Er  ginge  gleich  mit  Kind 
und  Kegel  mit. 


Das  erzfihlte  ich  so  anderen  Tages  GOdemann.  Mir  war 
Ehrlichs  Gutachten  erfreulich  und  wichtig,  wenn  er  mir . 
auch  die  unmittelbare  Verwirklichung  durch  Bacher  und 
Benedikt  als  ganz  unwahrscheinlich  erklSrt  hatte. 

Inzwischen  hatte  Güdemann  den  Besuch  eines  Pariser 
Mitgliedes  der  Alliance  Isra^lite  erhalten.  Von  diesem 
Herrn  Leven  erzählte  Güdemann  Wunder,  was  er  für  ein 
bekümmerter  und  dabei  begeisterter  Jude  sei.  Das  wäre 
so  der  Mann,  dem  man  die  Sache  vortragen  müßte;  der 
kjlnnte  dann  in  Paris  dafür  wirken. 

Leider  war  Leven,  nachdem  er  an  einer  Sitzung  der 
Wiener  Alliance  Isra^lite  (die  mit  der  Pariser  nichts  zu 
tun  hat)  teilgenommen,  abgereist. 

Ich  telegraphierte  ihm  in  Güdemanns  Namen  nach: 
„Einer  meiner  Freunde  wünscht  Sie  in  dringender  Sache 
zu  sprechen  und  ist  bereit,  Ihnen  nach  Salzburg  nachzu- 
reisen." 

Am  anderen  Tag  kam  die  Amtsdepesche,  Adressat  sei 
unfindbar  in  Salzburg, 

Wir  hatten  den  Zwischenfall  Leven  schon  wieder  ver- 
gessen, da  bekam  Güdemann  heute  vor  acht  Tagen  Le- 
vens  Antwort;  er  erwarte  den  Freund  Güdemanns  in 
Salzburg  oder  München. 

Güdemann  kam  zu  mir  in  den  Herzogshof,  war  ganz  auf- 
geregt, und  seine  Frau,  die  von  der  Sache  wisse  und  be- 


376 


dbyGoogle 


geistert  sei,  wfire  auch  ganz  aufgeregt.  Sie  sehe  eine 
günstige  Vorbedeutung  darin,  daß  gerade  heute,  vier 
Wochen  nach  Güdemanns  Abreise,  ich  wieder  nach  Hün- 
chen fahre  und  zwar  wieder  nach  den  „Vier  Jahreszeiten". 

Nun  fuhr  ich  freilich  nur  nach  Salzburg. 

Gleich  sah  ich  Levens  richtigen  Typus:  eine  schwer 
bewegbare  aber  wohlwollende  Natur,  misoneistisch  und 
des  Umdenkens  und  Umlernens  schwerlich  fähig.  Hier 
wiederholt  sich  die  Erfahrung  mit  Hirsch.  Die  schon 
Versuche  mit  den  Juden,  Zion  u.  dgl.  gemacht  haben, 
sind  schwer  herumzudrehen. 

Das  NationalOkonomische  darin  versteht  Leven  über- 
haupt nicht.  Er  hat  noch  ganz  kümmerliche  volkswirt- 
schaftliche Vorstellungen. 

Er  weiß  nicht,  wovon  die  ausgewanderten  Juden  leben 
werden.  Er  meint,  daß  sie  jetzt  auf  Kosten  der  „Wirts- 
völker" leben,  was  eine  bedeutende  Elselei  ist.  Leicht  od 
abturdam  zu  führen.  Im  Güterlebea  gibt's  ja  nicht  immer 
dieselben  Sachen,  die  rundlaufen ;  sondern  es  werden  neue 
Güter  erzeugt.  Ich  behaupte,  daß  wir  mehr  erzeugen  als 
die  „Wirte"  und  unendlich  viel  mehr  erzeugen  würden, 
wenn  es  uns  gestattet  wSre,  reich  zu  werden. 

Dennoch  war  auch  die  Unterredung  mit  Leven  nicht 
nutzlos.  Er  gab  mir  den  Großrabbiner  Zadok  Kahn  in 
Paris  als  den  nächsten  Mann  an,  an  den  ich  mich  wenden 
müsse. 

Zadok  sei  begeisterter  Zionist,  teile  manche  meiner 
Ideen,  die  durchaus  keine  isolierten  seien. 

Das  war  mir  das  Liebste  an  Levens  Worten,  und  ich  sagte : 

„Ich  will  ja  gar  kein  Erfinder  sein.  Je  mehr  Leute  mei- 
nen Allerweltsgedanken  haben,  desto  lieber  ist  es  mir." 

Leven  meinte,  daß  ich  besonders  in  Rußland  viele  An- 
hSnger  finden  würde.    Dort  habe  auch  in  Odessa   ein 

377 


dbyGoogle 


Mann  namens  Pinsker  gelebt  und  für  dieselbe  Sache, 
nSmlich  die  Wiedererlangung  einer  eigenen  Judenheimat, 
gestritten.  Pinsker  ist  leider  schon  tot.  Seine  Schriften 
sollen  merkwürdig  sein.  Werde  sie  lesen,  sowie  ich  Zeit 
hahe. 

Ein  anderer  Jude  in  England,  der  Oberst  Goldsmid, 
sei  auch  ein  begeisterter  Zionist,  habe  Schiffe  chartern 
wollen,  um  Palästina  wieder  zu  erobern. 

Den  Oberst  will  ich  mir  merken.  D^  sind  alles  Be- 
stfitigungen  für  mich.  Wir  haben  das  wunderbarste  Men- 
schenmaterial, das  sich  nur  denken  läßt. 

Leven  hatte  sich  die  „Rede  an  den  Familienrat"  nicht 
bis  EU  Ende  vorlesen  lassen.  Als  er  Zeichen  der  Ungeduld 
gab,  hörte  ich  auf  zu  lesen  und  trug  ihm  die  Sache  kon- 
tradiktorisch mit  seinen  Einwendungen  vor. 

So  ging  wohl  manches  Detail  verloren;  aber  ich  glaube 
ihn  doch  mit  den  Hauptzügen  vertraut  gemacht  zu  haben. 
Das  Ökonomische  versteht  er  freilich  absolut  nicht,  und 
da  ist  der  Leuchtkern  des  Ganzen. 

Dennoch  glaube  ich  auch  Leven  gewonnen  zu  haben, 
soweit  eine  solche  schwerflüssige  Natur  für  eine  Sache 
der  Begeisterung  gewonnen  werden  kann. 

Ich  reiste  dann  zurück. 


In  Wien  waren  am  Tag  vor  Erew  Rausch  haschonob  die 
Gemeinderatswahlen.  Alle  Mandate  fielen  den  Antise- 
miten zu.  Die  Stimmung  ist  eine  verzweifelte  unter  den 
Juden.  Die  Christen  sind  schwer  verhetzt. 

Laut  ist  die  Bewegung  eigentlich  nicht.  Für  mich  an 
den  Llrm  von  Pariser  Bewegungen  Gewöhnten  ist  sie 
sogar  viel  zu  still.  Ich  finde  diese  Ruhe  unheimlicher. 
Dabei  sieht  man  überall  Blicke  des  Hasses,  auch  wenn 


278 


dbyGooglc 


man  sie  nicht  mit  der  lauernden  Angst  eines  Verfolgungs- 
wahnsinnigen  in  den  Augen  der  Leute  sucht. 

Ich  war  am  Wahltag  in  der  Leopoldstadt  vor  dem  Wahl- 
lokal, sah  mir  ein  bißchen  den  Haß  und  Zorn  in  der 
Nähe  an. 

Gegen  Abend  ging  ich  auf  die  Landstraße.  Vor  dem 
Wahlbaus  eine  stumme,  aufgeregte  Menge.  Plötzlich 
kam  Dr.  Lueger  heraus  auf  den  Platz.  Begeisterte  Hoch- 
rufe; aus  den  Fenstern  schwenkten  Frauen  weiße  Tücher. 
Die  Polizei  hielt  die  Leute  zurück.  Neben  mir  sagte  einer 
mit  zSrtlicher  W&rme,  aber  in  stillem  Ton:  „Das  ist  unser 
Führer  I" 

Mehr  eigentlich  als  alle  Deklamationen  und  Schimpfe- 
reien hat  mir  dieses  Wort  gezeigt,  wie  tief  der  Antisemi- 
tismus in  den  Herzen  dieser  Bevölkerung  wurzelt. 

W.  September,  Wien. 
Soeben  war  der  Cbefadministrator  der  Presse.Dr.Glogau, 
bei  mir  und  trug  mirdieChefredaktion  eines  neuenBlattesan. 
„Ich  bin  unter  Umständen  dafür  zu  haben",  sagte  ich. 

15.  Okiober,  Wien. 

Verschiedene  Schritte  und  Rückschritte. 

Mit  Güdemann  ein  paarmal  gesprochen.  Ich  finde  ihn 
inuner  wieder  erlaut  und  heize  ihm  jedesmal  ein.  Zu 
irgendeiner  Bemühung  ist  er  nicht  zu  haben.  Er  ist  einer 
der  vielen,  die  mitgehen  werden,  wenn  alle  gehen.  Zum 
Vorau^iehen  kein  Mut. 

Die  Verhandlungen  wegen  der  Zeitung  dauern.  Ich 
kann  die  Chefredaktion  nur  annehmen,  wenn  meine  Un- 
abhängigkeit gesichert  ist. 

Mit  Professor  Singer  gesprochen,  der  auf  mich  schon 
bei  seinem  ersten  Besuch  in  Baden  den  Eindruck  gemacht 
hatte,  daß  er  ein  Tageshiatt  machen  will. 


dbyGoogle 


Ein  Blatt  brauche  ich  unbedingt  für  die  Sache. 

Singer  ist  im  Prinzip  bereit,  mit  mir  ein  Blatt  zu  ma- 
chen. Ich  setzte  ihm  die  Fuodierung  durch  Inserate  — 
gleichsam  den  Keller  —  und  die  Judenidee  —  den  Turm 
—  auseinander. 

In  der  Judensacbe  geht  er  bis  zu  einer  gewissen  Grenze 
mit.  Die  völlige  Evakuierung  der  jetzigen  Wohnorte  hfilt 
er  nicht  für  wünschenswert,  noch  für  möglich. 

Das  wSre  kein  Hindernis  unserer  Verständigung. 

Aber  er  will  ein  scharf  oppositionelles  Blatt.  Das  wSre 
gegen  meinen  Zweck.  Ich  will  unabhängig,  aber  gemä- 
ßigt sein,  sonst  macht  mir  die  Regierung  Schwierigkeiten, 
welche  die  ganze  Judensacbe  gefährden. 

Ich  werde  also  auch  mit  Singer  nichts  machen  dürfen. 
Ihm  ist  es  übrigens,  wenn  ich  ihn  recht  verstehe,  nur  um 
ein  niederösterreichisches  Abgeordnetenmandat  zu  tun. 


18.  Oktober. 

Gestern  abend  mit  dem  Bankdireklor  Dessauer  drei 
Stunden  gesprochen  —  und  habe  ihn  gewonnen. 

Er  hSlt  die  Finanzierung  der  Judenwanderung  durch 
die  Mittelbank  für  möglich.  Auf  die  Rothschilds  sei 
nicht  zu  rechnen. 

Er  möchte  die  Society  mit  nur  vier  MUIioDen  Pfund  an- 
fangen und  spätere  Emissionen  vorbehalten.  Auch  solle 
nicht  das  ganze  Terrain  gleich  erworben  werden.  Er 
möchte  klein  anfangen. 

Ich  sagte  ihm:  Dann  lieber  gar  nicht.  Eine  allmäh- 
liche Infiltration  von  Juden  —  wo  immer  —  ruft  bald 
den  Antisemitismus  hervor.  Es  muß  dann  der  Augenblick 
kommen,  wo  man  weitere  Zuzüge  verhindert  und  damit 
unser  ganzes  Werk  zerstört. 

3äO 


dbyGoogle 


Anders  ist  es,  wenn  wir  von  vorDherein  unsere  Selb- 
stSadigkeit  erklären.  Dann  wird  das  Nachströmea  von 
Juden  den  Nachbarstaaten,  deren  Verkehr  wir  bereichem, 
im  höchsten  Grade  erwünscht. 

Dessauer  findet,  daß  es  „eine  schöne  Sache"  und  ein 
„gutes  Geschäft"  wäre.  Ich  glaube,  das  werden  alle  Ju- 
den rasch  erkennen  —  und  damit  ist  der  Staat  gegründet. 
D.  meint  auch,  man  müsse  es  den  Rothschilds  nur  als 
Geschäft,  nicht  als  nationale  Idee  beibringea. 

Bemerkenswert:  wie  jeder  bisher,  sagte  auch  Dessauer: 
„Mich  können  Sie  dazu  haben,  aber  ich  zweifle,  daß  Sie 
noch  andere  in  Wien  finden."  Und  doch  leuchtet's 
jedem  ein,  wenn  ich's  sage. 

Auch  das  Aufglänzen  der  Augen  bei  Dessauer  gesehen. 
Ich  begeistere  jeden,  mit  dem  ich  über  die  Judensache 
spreche  I 

19.  Oktober. 
Noch  einmal  mit  Dessauer  gesprochen.    Er  war   in- 
zwischen „flau"  geworden. 

Erledigt. 

20.  Oktober. 
Heute  war  Benedikts   „Börsenwoche"   ausgezeichnet, 

gegen  die  großen  Juden,  die  unternehmungsfaul  und  eng- 
herzig sind.  Ganz  in  meinem  Sinn. 

Da  war  plötzlich  mein  Entschluß  fertig :  Benedikt  für 
die  Sache  zu  gewinnen  I 

Sofort  fuhr  ich  zu  ihm,  warf  mich  sofort  medias  in  res. 

Er  verstand  mich  gleich  so  gut,  daß  er  ein  unbehag- 
liches Gesicht  machte. 

Wir  gingen  sprechend  bis  nach  Mauer  —  dreistündiger 
Fußmarsch  Ober  herbstliche  Felder. 

Ich  sagte,  daß  ich  es  am  liebsten  in  und  mit  der  Neuen 
Freien  Presse  machen  möchte. 


dbyGoogle 


Er:  „Sie  stellen  uns  vor  eine  ungeheuer  große  Frage. 
Das  ganze  Blatt  bekäme  ein  anderes  Ausseben.  Wir  gal- 
ten bisber  als  Judenblatt,  haben  das  aber  nie  zugestanden. 
Jetzt  sollen  wir  plötzlich  alle  Deckungen,  hinter  denen 
wir  standen,  aufgeben." 

Ich :  „Sie  brauchen  keine  Deckung  mehr.  In  dem  Augen- 
blick, wo  meine  Idee  publiziert  wird,  ist  die  ganze  Juden- 
frage ehrlich  gelöst.  Wo  man  sich  unsere  gute  Staats- 
bürgerschaft und  Anh&ngUchkeit  an  das  Vaterland  ge- 
fallen lassen  will,  können  wir  ja  bleiben.  Wo  man  uns 
nicht  mag,  ziehen  wir  ab.  Wir  sagen  ja,  daß  wir  Oster- 
reicher  sein  wollen.  Die  Mehrheit,  nein,  alle  Staatsbürger, 
die  nicht  Juden  sind,  erklären  bei  der  Wahl,  daß  sie  uns 
nicht  als  Deutsch-Österreicher  (Russen,  Preußen,  Fran- 
zosen, Rumänen  usw.)  anerkennen.  Gut,  wir  ziehen  ab; 
wir  werden  aber  drüben  auch  nur  Österreicher  (Russen 
usw.)  sein.  Wir  geben  unsere  erworbenen  Nationalitäten 
so  wenig  auf,  wie  unser  erworbenes  Vermögen." 

Er  machte  verschiedene  mir  schon  bekannte  Einwen- 
dungen, freilich  in  einer  höheren  Form  als  die  Juden, 
mit  denen  ich  bisher  gesprochen.  Ich  hatte  auf  alles  eine 
Antwort. 

Er  behandelte  die  Sache  durchaus  als  eine  ernste,  hielt 
mich  gar  nicht  für  verrückt,  wie  mein  erster  Zuhörer, 
mein  armer  S . . .,  in  Paris.  Er  anerkannte,  was  in  meiner 
Idee  alt,  d.  h.  Allerweltsgedanke,  und  neu,  d.  h.  sieg- 
verheißend ist.  Er  meint  nur,  die  Regierungen  würden 
sofort  mit  einem  Ausfuhrverbot  und  Auswanderungs-Er- 
schwerungen antworten.  Darum  gründe  ich  ja  eben  die 
Society,  die  in  der  Lage  sein  wird,  mit  den  Regierungen 
zu  verhandeln,  Entschädigungen  zu  bieten  usw. 

Ich  solle  den  Herausgebern  einen  Vorschlag  machen, 
wie  ich  mir  die  Ausfüharung  denke,  sagte  er. 

382 


dbyGoogle 


Ich :  „Es  gibt  zwei  Formen.  Entweder  Sie  gründen  mir 
neben  der  Neuen  Freien  Presse  ein  kleineres  Blatt,  wo 
ich  den  Gedanken  ausffibre.  Oder  Sie  geben  mir  eine 
Sonntagsnummer,  wo  auf  der  ersten  Seite  ,Die  Lösung 
der  Judenfrage,  voa  Dr.  Theodor  Herzl'  erscheint.  Ich 
mache  aus  dem  Entwurf  einen  Extrakt,  der  sechs  oder 
neun  SpalteD  füllt.  Dann  erscheinen  die  Details,  Fragen 
und  Antworten  —  denn  das  ganze  Judentum  fordere  ich 
zur  Mitarbeit  auf,  und  es  wird  mitarbeiten  —  in  einer 
neuen  Rubrik  ,Die  Judenfrage',  die  ich  redigiere. 

Nie  hat  eine  Zeitung  etwas  Interessanteres  enthalten. 
Ich  allein  trage  die  Verantwortuüg.  Sie  können  vor  mei- 
nen Entwurf  eine  Reservation  der  Zeitung  hinstellen." 

Er:  „Nein,  das  wftre  eine  Feigheit.  Wenn  wir  es  brin- 
gen, sind  wir  mit  Ihnen  solidarisch.  Ihr  Gedanke  ist 
eine  fürchterliche  Mitrailleuse,  die  aber  auch  nach  hin- 
ten losgehen  kann." 

Ich:  „Furchtsam  darf  man  nicht  sein.  Jeder  wird  sich 
übrigens  seinen  Platz  wShlea  können:  ob  vor  oder  hinter 
der  Mitrailleuse."  — 

Wir  redeten  und  gingen  uns  müde.  Benedikt  wird  Ba- 
cher in  die  Sache  einweihen.  Dann  werde  ich  beiden  in 
der  nScbsten  Woche  meine  Rede  an  die  Rothschilds  vor- 
lesen. 

Benedikt  möchte,  daß  die  Sache  irgendwie  von  außen 
in  die  Neue  Freie  Presse  gebracht  werde  —  etwa  durch 
fiktive  Gründung  eines  Vereins,  in  dem  ich  diese  Rede 
halten  könne.  Ich  bin  dagegen.  Ich  brauche  dazu  von 
vornherein  eine  Zeitung  —  nimlich,  wenn  ich  die  Sache 
nicht  durch  ein  Rothscbildsches  Syndikat  „aristokratisch" 
machen  kann. 

In  Vereins-Salbadcreien  lasse  ich  mich  nicht  ein. 


dbyGoogle 


Dieser  Spaziergang  nach  Mauer  —  ich  sagte  es  Bene- 
dikt, als  wir  zurückfuhren  —  war  ein  historischer. 

Ich  kann  mir  nicht  verhehlen,  daß  auch  für  mich 
selbst  eine  entscheidende  Wendung  damit  eingetreten  ist. 
Ich  habe  mich  selbst  in  Bewegung  gesetzt.  Alles  Bisherige 
war  Träiunerei  und  Gerede.  Die  Tat  hat  begonnen,  weil 
tob  entweder  die  Neue  Freie  Presse  mit  mir  oder  gegen 
mich  habe. 


Ich  werde  der  Parnell  der  Juden  sein. 

27.  Oktober. 

Heute  war  Dr.  Glogau  hei  mir  und  brachte  eine  Stunde 
spftter  Herrn  v.  Kozmian,  den  Vertrauensmann  des  Gra- 
fen Badeni  zu  mir.  Sie  machten  mir  den  formellen  An- 
trag, die  Chefredaktion  des  neuen  großen  Regierungs- 
blattes zu  übernebmen. 

Im  Hinblick  auf  meine  Judensache  kann  ich  nicht,  wie 
ich  es  froher  —  vor  der  Idee  I  —  sicher  getan  hätte,  diesen 
Antrag  einfach  zurückweisen.  Eine  unerhofft,  unerhört 
günstige  Chance  für  die  Ausführung  meiner  Idee  eröff- 
net sich.  Einmal  in  der  Nähe  des  Grafen  Badeni,  kann 
ich  ihm  meine  Idee  vertraulich  entwickeln.  Sie  ist  ja 
ebenso  Christen-  als  judenfreundlicb,  für  den  konservier- 
ten und  konservativen  Staat  ebenso  fruchtbringend  wie 
für  den  neuzugründeoden.  Ich  kann  dem  Grafen  Badeni 
die  „idM  mattrease"  seiner  Regierungszeit  bringenl 

Schon  scheint  Badeni  eine  gute  Meinung  von  mir  zu 
haben,  wie  ich  aus  den  Andeutungen  Kozmians,  der  ein 
feiner  alter  Mann  ist,  herausfühle. 

Badeni,  sagt  mir  Kozmian,  will  durchaus  nicht  gegen 
die  Liberalen  regieren,  wenn  er  nicht  gezwungen  ist,  (ich 

384 


dbyGoogle 


verstehe:  wenn  sie  sich  ihm  fügen),  aber  man  kann  nicht 
wissen.  „II  ne  s'en  ira  pasi"  sagte  Kozmian  schließlich. 

Ich  antwortete :  „Ich  könnte  ja  mit  dem  Grafen  gehen, 
solange  es  mit  meinen  Überzeugungen  verträglich  ist  — 
et  paia  je  m'en  irais." 

Wir  kamen  üherein,  daß  ich  den  Antrag  den  Heraus- 
gebern Bacher  und  Benedikt  noch  heute  —  tecto  et  ficto 
nomine  —  bekanntgebe.  Denn  ich  will  schicklicherweise 
nicht  mit  dem  fait  accompli  vor  sie  hintreten.  Doch  er- 
klärte ich  meinen  beiden  Antragstellern,  daß  ich  diese 
Verständigung  nicht  vornehme,  um  für  mich  kompen- 
satorische Geldvorteile  herauszuschlagen. 

Glogau  verstand  nicht  recht,  was  ich  ihnen  dann 
eigentlich  daran  mitteile.  Meine  Anzeige  habe  doch  nur 
einen  Sinn,  wenn  ich  Abstandsvorteile  erzielen  wolle. 
Kozmian  aber  begriff  oder  sagte,  er  begreife :  daß  ich  mo> 
raliscbe  Rücksichten  nehme. 

Tatsächlich  ist  dies  ja  mein  einer  Grund,  hinter  dem 
freilich  noch  eine  grOßere  moralische  Rücksicht :  die  auf 
meine  Idee  verborgen  ist. 

Und  so  liegt  diese  delikate  Gewissensfrage  für  mich: 

Ich  beweise  den  Herausgebern  der  Neuen  Freien  Presse 
meine  Dankbarkeit  dadurch,  daß  ich  nicht  ohne  weiteres 
mit  dem  (mir  äußerst  sympathischen)  Grafen  Badeni 
gehe,  um  mit  seiner  Hilfe  die  Judenidee  zu  verwirklichen. 
Ich  biete  sie  zuerst  ihnen  an,  wodurch  ich  ihnen  Ruhm 
und  Reichtum  bringe  —  nach  meiner  Ansicht  —  und 
selbst  auf  die  große  Gefahr  hin,  daß  ich  meine  Idee  lang- 
samer oder  gar  nicht  realisiere.  Verstehen  sie  mich  nicht, 
dann  bin  ich  frei,  ja  verpflichtet,  mich  von  ihnen  zu 
befreien. 

Ich  kam  mit  Kozmian  und  Glogau  überein,  daß  ich 
innerhalb  3&  Stunden  meine  Entscheidung  bekanntgebe. 

385 


dbyGoogle 


Sofort  fuhr  ich  zu  Beoedikt,  der  nicht  lu  Hause  war, 
und  erbat  mir  von  Bacher  brieflich  eine  Unterredung  für 
den  Abend. 

Nachmittags  ging  ich  zu  Benedikt  und  setzte  ihm  die 
Sache,  deren  Vorbedingung  —  die  Judensacbe  —  er  ja 
schon  kennt,  auseinander. 

Er  fand  die  Situation  schwer,  kompliziert,  die  Ent- 
scheidung auch  für  die  Neue  Freie  Presse  ungeheuer 
ernst. 

Ich  hatte  vorausgeschickt  und  betonte  wiederholt  auf 
das  nachdrücklichste,  dafi  ich  für  mich  keinerlei  persön- 
lichen Vorteile  wolle;  daß  ich,  selbst  wenn  man  sie  mir 
jetzt  anböte,  eine  Geldkompensation  —  Gehaltsaufbesse- 
rung  oder  dgl.  —  entschieden  ablehnte. 

Ich  führe  die  Judensache  vollkommen  unpersönlich. 
Die  Neue  Freie  Presse  hat  sich  zu  entscheiden,  ob  sie  mir 
zur  Realisierung  helfen  wolle  oder  nicht.  Ich  brauche 
eine  Autorität  gegenüber  der  Welt,  die  ich  mit  meiner 
Idee  hinreißen  will.  Ich  würde  aus  Dankbarkeit  für  die 
Neue  Freie  Presse,  die  meine  Karriere  wenn  schon  nicht 
machte,  so  doch  ermöglichte,  am  liebsten  mit  meinen  jet- 
zigen Freunden  gehen.  Aber  ich  mache  die  Politik  der 
Juden  und  kann  mich  von  persönlichen  Rücksichten  nicht 
zum  Aufgeben  meiner  Idee  bestimmen  lassen. 

Benedikts  Verstand  leuchtete  wieder.  Er  besprach  — 
„laut  denkend",  und  ohne  daß  ich  ihm  antworten  solle 
—  die  Blattform,  um  die  es  sich  handeln  könne.  Sofort 
erwähnte  er  die  alte  „Presse",  die,  wie  er  gehört  habe,  um- 
gestaltet werden  solle.  Dann  die  Eventualität  eines  „Ju- 
denblattes",  dann  eines  Konkurrenzblattes  für  die  Neue 
Freie  Presse  mit  großem  Gründungskapital.  So  beriet 
er  mich,  ohne  mich  zu  fragen. 

Schließlich,  meinte  er,  sei  es  eine  persönliche  Frage. 

386 


dbyGoogle 


Ob  ich  meinen  geebneten  Weg  als  angesehener  Schrift- 
stellw  in  der  Neuen  Freien  Presse  weitergeben  wolle, 
bequem,  behaglich,  um  sieben  Uhr  aus  dem  Bureau  und 
weiter  keine  Sorgen.  Oder  ob  ich  mir  mein  Leben  so  zer- 
stören wolle,  wie  er  und  Bacher  es  getan  —  keinen  Tag, 
keine  Nacht  mehr  haben? 

Ich  sagte:  „Ich  bin  kein  bequemer  Mensch.  Jetzt  kann 
ich  noch  zwanzig  Jahre  die  Welt  zusammenreißen.  Um 
Geld  zu  gewinnen,  tfite  ich  es  nicht.  Aber  ich  habe  meine 
Ideel" 

Benedikt  sagte  endlich:  „Ich  persönlich  bin  mit  Ihrer 
Idee  im  großen  und  ganzen  einverstanden.  Ob  es  das 
Blatt  sein  darf,  kann  ich  nicht  entscheiden.  Ich  wage 
es  nicht.  Ihre  Idee  ist  für  uns  eine  Bombenidee.  Ich 
meine,  Sie  sollten  es  zuerst  mit  der  Gründung  einer  lo- 
ciiU  d'itude»  in  Paris  oder  London  versuchen.  Wir  wer- 
den Ihnen  dazu  einen  Urlaub  geben  und  Sie  persönlich 
mit  unserem  Einfluß  unterstützen.  Ob  wir  in  absehbarer 
Zeit  oder  überhaupt  jemals  die  publizistische  Vertretung 
übernehmen,  weiß  ich  nicht,  und  ich  glaube,  wir  können 
es  Ihnen  nicht  versprechen.  Es  wird  vielleicht  einmal  zu 
schweren  antisemitischen  Ausschreitungen  kommeo.Mord, 
Todschlag,  Plünderung  —  dann  werden  wir  vielleicht 
ohnehin  gezwungen  sein,  Ihre  Idee  zu  benützen.  £^  ist 
damit  immerbin  der  Punkt  gegeben,  hinter  den  wir  sprin- 
gen und  uns  retten  können.  Aber  sollen  wir  Ihnen  sagen, 
wir  werden  es  tun,  und  Sie  damit  vielleicht  in  eine  TSu- 
schung  führen,  die  Sie  uns  später  vorwerfen  würden?" 

Ich  ging  dann  zu  Bacher,  der  aber  zur  Parteikonferenz 
der  Vereinigten- Linken  mußte.  Ich  konnte  ihm  in  der 
Eile  nur  sagen,  daß  ich  einen  Antrag  habe.  Alles  nfihere 
wisse  Benedikt  schon.  Er  war  oder  zeigte  sich  betroffe- 
ner als  Benedikt.  Wir  nahmen  für  morgen  Rendezvous. 


dbyGoogle 


Dann  schrieb  ich  Glogau  einige  Worte  und  bat  um 
34  Stunden  Aufschuh.  Sie  werden  vermuten,  daß  ich 
doch  kompensattnische  Verhandlungen  führe.  So  pein- 
lich mir  dieser  Geldverdacht  ist,  kann  ich  mir  doch  nicht 
helfen. 

28.  Qfttofrcr. 

Gut  ausgeschlafen,  gut  überschlafen. 

Heute  ist  ein  noch  größerer  Tag  als  gestern.  Ich  stehe 
vor  einer  ungeheuren  Entscheidung  —  und  mit  mir  die 
Judensache.   Und  die  Neue  Freie  Presse  auch. 

Sie  werden  mich  verstehen.  Sapero»  movebol 

Tatsächlich  hat  die  Judenschlacht  zwischen  mir  und 
den  mSchtigen  Juden  schon  begonnen. 

Ich  dachte  mir  zuerst,  daß  ich  die  Rothschilds  vor  das 
Dilemma  stellen  müsse.  Aber  die  erste  Schlacht  muß  ich 
der  Neuen  Freien  Presse  liefern. 

Abends. 

Die  Schlacht  ist  geliefert  und  verloren  —  für  wen? 

Von  5 — 8  Uhr  abends  las  ich  Bacher  in  seiner  Woh- 
nung die  Rede  an  die  Rothschilds  vor. 

Wenigstens  das  war  erreicht,  daß  er,  der  mich  vor 
einigen  Wochen  a  limine  abgewiesen,  mich  jetzt  anhörte 
—  und  wiel 

Er,  der  Ablehner,  war  auch  ganz  anders  geworden.  Er 
fand  die  Idee  groß  und  erschütternd.  Aber  er  könne  sich 
doch  nicht  von  einem  Augenblick  auf  den  anderen  über 
eine  so  ungeheure  Lebensfrage  des  Blattes  entscheiden. 

Er  stellte  mir  vor,  was  ich  verliere,  wenn  ich  von  der 
Neuen  Freien  Presse  weggehe. 

Sie  brauchen  mich  eigentlich  nicht,  haben  aber  doch 
den  Posten  des  Feuilletonredakteurs  geschaffen,  als  ich 
nicht  in  Paris  bleiben  wollte. 


dbyGooglc 


Meine  Judenidee  fand  er  generös  —  aber  schwerlich 
ausführbar.  Die  Neue  Freie  Presse  riskiere  zu  viel.  Die 
Juden  werden  vielleicht  darauf  nicht  eingehen  —  und 
was  dann? 

Ich  stellte  ihm  vor,  daß  die  Neue  Freie  Presse  dieser 
Frage  nicht  werde  ausweichen  können.  Sie  werden  früher 
oder  spSter  Farbe  bekennen  müssen. 

„Ja",  meinte  er,  ,,vnr  haben  auch  zwanzig  Jahre  lang 
nichts  von  der  Sozialdemokratie  gesprochen." 

Das  war  eigentlich  »ein  merkwürdigstes  Wort. 

Von  da  ab  war  es  und  ist  es  klar,  daß  ich  für  die  Sache 
nichts  von  der  Neuen  Freien  Presse  tu  erwarten  habe. 

Was  man  der  Neuen  Freien  Presse  als  Kurzsichtigkeit 
zum  Vorwurf  gemacht  hatte:  daß  siedenAntisemitismus*) 
so  lange  totschwieg  —  war  ihre  Politik  I  Ich  sagte :  „Diese 
Sache  werden  Sie  schließlich  ebensowenig  verschweigen 
können,  wie  den  Antisemitismus*)." 

Wir  waren  schon  auf  der  Gasse  und  gingen  der  Re- 
daktion zu,  als  ich  das  sagte.  Er  murmelte  wie  im 
Selbatgesprfich  vor  sich  hin :  „Es  ist  eine  verfluchte  Ge- 
schichte 1" 

Ich  antwortete:  „Ja,  es  ist  eine  verfluchte  Ideel  Man 
kann  ihr  heute  nicht  entrinnen.  Mit  Ja  wie  mit  Nein  en- 
gagiert man  sich  furchtbar." 

Er  darauf:  „Es  ist  etwas  Großes,  und  ich  begreife,  daß 
ein  anstSndiger  Mensch  sein  Leben  daran  setzen  vnll.  Ob 
Sie  noch  viele  solche  Herzls  finden  werden,  möchte  ich 
bezweifeln." 

Resultat:  sie  können  sich  nicht  zu  dem  herzhaften 
Schritt  entschließen.  Ich  wieder  kann  mich  und  meine 
Idee  im  Vormarsch  nicht  aufhalten  lassen.  Eis  wird  also 
nichts  übrigbleiben,  als  zu  scheiden.  — 

•)  Wohl  für  „Soiialümus"  verschrieben. 
19    Hsnli  TMWbflobei  I.  aSo 


dbyGoogle 


Bacher  hatte  gefunden,  die  Rede  an  die  R's  sei  inter- 
essant, nicht  gründlich.  Ea  sei  eine  Lassallesche  Agitation. 
Er  wisse  wohl,  daß  die  Sache  etwas  Ungeheures  sei.  Er 
schlage  vielleicht  einen  großen  Erfolg  und  den  Ruhm 
aus. 

*  *    * 

S9.  OkU^>er. 

Kozmian  und  Gh^au  erschienen  gleich  in  der  Frühe 
bei  mir.  Sie  gratulierten  mir  zu  meinem  —  bevorstehen- 
den —  Entschluß. 

Ich  sagte,  daß  ich  zuerst  noch  mit  dem  Grafen  Baden! 
sprechen  müsse,  bevor  ich  mich  entschließe,  ob  ich  die 
Chefredaktion  annehme. 

*  «    * 
Abends. 

Wieder  alles  in  Frage.  Ich  hatte  die  Bedingung  gestellt, 
daß  mir  das  Blatt  nach  Jahresfrist  übei^eben  werden 
müsse,  wenn  es  die  Zeitimgsgesellschaft  nicht  weiter  füh- 
ren wolle. 

Mein  Gedanke  dabei :  daß  ich  das  Blatt  dann  für  meine 
Judensache  habe,  wenn  ich  nicht  vorher  schon  den  Gra- 
fen Badeni  für  meine  Idee  gewinnen  konnte  —  oder  bei 
den  großen  Juden  die  nötige  Autorität  erlangt  hätte. 

Aber  darauf  will  der  Preßleiter  Hofrat  Freiberg  nicht 
eingehen.  Er  reklamiert  das  Blatt,  wenn 's  schlecht  geht, 
für  die  Regierung. 

Das  hätte  auch  den  Übelstand,  daß  ich  vom  Preßbureau 
abhängig  werde.  Ich  will  aber  nur  einsig  und  allein  mit 
Badeni,  nicht  mit  seinen  Hofräten,  gehen.  Die  persönliche 
Beziehung  zu  Badeni  —  d.  h.  ihr  Wert  für  die  Juden- 
sache —  ist's  ja,  warum  ich  überhaupt  das  Regierungs^ 
blatt  führen  will. 

»90 


dbyGoogle 


Das  habe  ich  auch  Kornuan  geantwortet.  Wenn  ich 
nicht  im  Fall  des  Gelingens  immer  direkt  mit  Badeni 
verkehren  —  und  im  Fall  des  Mifilingens  das  Blatt  für 
mich  bebalten  kann,  so  tue  ich  gar  nicht  mit. 

30.  Oktober. 

Morgens  kam  Koimian,  um  mich  zur  Audienx  bei  Ba- 
deni abzuholen. 

Er  fragte:  „Gehen  wir  lu  Badeni?" 

Ich  sagte:  „Nein  —  wenn  meine  Bedingung  nicht  er- 
fölll  wird." 

Da  lenkte  er  ein:  „Kommen  Sie  dennoch  mit,  ich  werde 
Sie  dem  Ministerprftsidenten  nicht  als  Chefredakteur  vor- 
stellen, nur  als  den  früheren  Pariser  Korrespondenten 
der  Neuen  Freien  Presse." 

Wir  fuhren  also  ins  Ministerium.  Ich  war  zum  ersten- 
mal in  einem  österreichischen  Ministerpalast.  RSume  von 
großem  Stil,  aber  kahl  und  kühl.  Auf  der  Treppe  ver- 
glichen wir  das  mit  den  französischen  Regierungspalfisten. 
^a  manque  de  tapis",  sagte  ich  zu  Kozmian ;  ich  suchte 
Oberhaupt  durch  Scherze  meine  Contenance  zu  erhalten 
für  die  entscheidend  wichtige  erste  Begegnung  mit  dem 
Mann,  durch  den  ich  den  Juden  helfen  will. 

Gleich  nach  den  Exiellenzen  kamen  wir  vor.  Die  übri- 
gen Wartenden  im  Vorzimmer  schauten  auf,  als  sie  un- 
seren Vorrang  bemerkten. 

Hofluft  I 

Badeni  eilte  uns  entgegen,  begrüßte  mich  sehr  frisch 
nnd  munter.  Offenbar  ein  gescheiter,  energischer  Mensch. 

Er  machte  mir  viele  Komplimente.  Von  der  aufge- 
tauchten Schwierigkeit  hatte  er  schon  gehört;  und  da  er 
Tcnn  neuen  Blatte  sprach,  tat  ich  es  auch. 

Ich  sagte:  „Ce  ne  sont  pas  des  considirations  p£cu- 

•9*  391 


dbyGoogle 


niaires  qiii  peuvent  me  d^ider  ä  accepter  la  directioa  du 
Journal." 

Wir  sprachen  nur  Französisch. 

Badeni  fand  es  begreiflich,  daß  ich  nicht  von  den  Hof- 
rSten  abhängen  wolle.  Er  bat  mich,  Freiberg  nicht  zu 
mißtrauen,  mich  gegen  ihn  nicht  verhetzen  zu  lassen.  Ich 
würde  selbstverständlich  nicht  ins  Preßbureau  gehen  müs- 
sen, sondern  meine  Leute  aax  informationt  schicken. 
Wenn  er  (Badeni)  aber  Freiberg  oder  Schill  zu  mir 
schicke,  möge  ich  sie  nicht  kühl  empfangen. 

Das  sagte  ich  zu.  Ich  wünschte  aber  nur  den  direkten 
Verkehr  mit  ihm. 

„Ihre  jetzige  Politik,  Exzellenz,  glaube  ich  vertreten 
zu  können,  und  wenn  ich  mit  Ihnen  gehe,  je  vous  serai 
im  partisan  risolu  et  sincire.  Es  ist  möglich,  daß  ich 
an  einem  gewissen  Punkt  nicht  weiter  mit  kann  —  so 
werde  ich  es  Ihnen  freimütig  sagen  und  meiner  Wege 
gehen.  Wenn  ich  aber  bis  zum  Ende  Ihrer  Regierungsieit 
—  des  hoffentlich  recht  ferne  ist  —  mit  Ihnen  bin,  nach- 
her werde  ich  Sie  nicht  verlassen." 

Ich  sprach  überhaupt  einigemal  vom  Ende  seiner  Re- 
gierung, was  ihn  sichtlich  betroffen  machte,  aber,  da  er 
wohl  solche  Worte  noch  von  keinem  Journalisten,  ja 
vielleicht  von  niemandem  gehört  hatte,  vor  mir  doch 
einigen  Respekt  einflößen  mußte. 

Von  vornherein  wollte  ich  ihm  die  richtige  Meinung 
von  mir  beibringen :  daß  ich,  wie  ich  es  schon  Bourgoing 
bei  der  ersten  Unterredung  gesagt  hatte,  partisan  und 
nicht  laquai  seil 

Ich  mache  —  heute  noch  unerkannt  —  die  Politik  der 
Juden.  Was  ich  beute  abschließe,  ist  kein  offiziöser  Miet- 
vertrag, für  den  es  leider  viele  halten  werden,  sondern 
eine  Allianz. 


dbyGoogle 


Badeni  sagte,  er  denke  sich  unser  Verhältnis  als  ein 
dauerndes;  er  nehme  es  auf  sich,  daß  die  Zeitungsgesell- 
schaft mir  eine  gesicherte  Situation  biete. 

Auf  meinen  Wunsch,  daß  ich  jederzeit  bei  ihm  vor- 
sprechen dürfe,  comme  un  ambassadeur,  sagte  er:  „Non 
seulement  je  le  permetg,  mais  j'y  liens". 

Wir  sprachen  auch  von  meinem  Abschiedsverh&ltnis 
zur  Neuen  Freien  Presse.  Ich  erkifirte  im  vorhinein,  daß 
ich  immer  meiner  alten  Freunde  eingedenk  bleiben  wolle 
und  keine  verletzende  Polemik  gegen  sie  führen  werde  — 
es  wSre  denn,  daß  man  mich  angriffe. 

Badeni  sagte :  er  hoffe  selbst,  daß  wir  in  keinen  Gegen- 
satz zur  Neuen  Freien  Presse  konmien  würden. 

Eigentlich  war  das  eine  hochwichtige  Mitteilung.  Da? 
heißt:  daß  er  mit  den  Deutschliberalea  regieren  will. 

Freilich  sagte  er  auch  ein  paarmal :  „Je  ne  ficfaerai  pas 
le  camp". 

So  trug  das  ganze  Gespräch  einen  vertraulichen  Cha- 
rakter. Während  des  Redens  ging  meine  Zigarre  ein 
paarmal  aus.  Badeni  zündete  mir  immer  ein  neues  Zünd- 
hölzchen an.  Detail,  bei  dem  ich  mir  innerlich  lächelnd 
denken  mußte:  was  wohl  die  kleinen  und  selbst  die  größ- 
ten Juden  meiner  Bekanntschaft  dazu  sagen  würden. 

Badeni  betrachtet  die  Sache  als  abgeschlossen. 


Eine  Stunde  später  war  ich  in  der  Redaktion. 

Bacher  ließ  mich  rufen :  „Nun,  wie  steht  Ihre  Sache?" 

„Ich  könnte  noch  absagen",  antwortete  ich.  Aber  er 
sagte  weiter  nichts. 

Und  noch  jetzt  wäre  es  mir  lieher,  wenn  die  Neue  Freie 
Presse  meine  Judenidee  annähme,  ja  jetzt  erst  recht.  Ich 
habe  nun  die  Beziehung  zu  Badeni,  an  den  Süßeren  Vor- 


393 


dbyGoogle 


teilen  liegt  mir  ja  nichts,  und  wenn  ich  nun  die  Autoritfit 
der  Neuen  Freien  Presse  für  meine  Sache  bekSme,  wSre 
sie  wohl  gewonnen  I 

Ich  werde  abends  noch  einmal  mit  Bacher  reden,  das 
Dilemma  mit  Sch&rfe  stellen :  Ich  bin  bereit,  auf  alle  ge- 
botenen Vorteile  su  verzichten,  wenn  Sie  mir  versprechen, 
innerhalb  sechs  Monaten  meine  Lösung  der  Judenfrage 
zu  publizieren.  Ich  verlange  nichts,  keine  Entschädigung, 
keinen  persönlichen  Vorteil  von  Ihnen  t 

(Wobei  zu  bemerken,  daß  sie  mir  bei  meiner  Ober- 
siedlung nach  Wien  mein  Gehalt  reduzierten  und  auch 
den  erwarteten  Übersiedlungsbeilrag  verweigerten.) 

Benedikt  scheint  mir  zu  zürnen,  wie  ich  im  Vorüber- 
geben bemerkte.  Der  versteht  die  Sache  ganzl  Von  Koz- 
mian  hörte  ich  übrigens  auch,  dafi  Benedikt  wütend  sei. 
Kozmian  hat  es  von  einem  Dritten. 


Nachmittags,  als  ich  in  der  Redaktion  war,  hatte  Bene- 
dikt wieder  eine  Unterredung  mit  diesem  Dritten.  Ich 
hörte  dann  abends  von  Kozmian,  als  wir  bei  Baron  Bour- 
going  zusammenkamen,  daß  die  Herausgeber  jetzt  Angst 
vor  meiner  Konkurrenz  haben.  Sie  ahnen  offenbar,  daß 
ich  mich  in  der  inneren  österreichischen  Politik  nicht  zu 
weit  von  ihrem  Standpunkt  entfernen  werde. 

Ich  stellte  in  der  Konferenz  bei  Bourgoing  den  ganzen 
Plan  des  Blattes  fest.  Alle  alten  Mitarbeiter  der  Presse 
behielt  ich.  Zwei  sind  darunter,  die  mich  in  früherer  Zeit 
niedrig  angegriffen  hatten.  Ich  sagte:  ,,Je  ne  peux  pas 
les  renvoyer  —  ce  sont  mes  ennemis  personnels".  Man 
lachte. 

Im  Grunde  hatte  ich  aber  doch  den  ganzen  Abend  über 
Sehnsucht,  bei  der  Neuen  Freien  Presse  zu  bleiben.   Es 


»94 


dbyGoogle 


mischt  sich  darein  offenbar  meine  Feigheit  vor  dem  qu'en 
dirort-on,  vor  dem  Nasenrümpfen  solcher,  die  wahr- 
■chnolich  gern  mit  mir  tauschen  würden  und  ihrem  Neid 
die  Form  der  GeriogschStzung  geben  werden. 

Dennoch  gab  ich  in  der  Konferenz  die  besten  Ratschläge 
für  die  Herstellung  eines  frischen  guten  Blattes.  Sollte 
wider  Erwarten  doch  noch  meine  Rückkehr  lur  Neuen 
Freien  Presse  erfolgen,  so  habe  ich  mit  diesen  Ratschli- 
gen die  Chance  bezahlt,  die  dieser  Antrag  war. 

3i.  Oktober. 

Kozmian  sollte  mir  heute  ein  Wort  schicken,  was  Bene- 
dikt gestern  dem  ZwischentrSger  über  mich  gesagt  habe. 

Bis  elf  Uhr  habe  ich  noch  nichts  erhalten.  Es  ist  mög- 
lich, daß  dieses  Ausbleiben  der  Nachricht  auf  eine  In- 
trige turückzuführen  ist.  Ich  werde  dahinter  kommen. 
Sollte  man  in  der  Neuen  Freien  Presse  etwas  anzetteln, 
mein  Engagement  zu  verhindern,  so  wird  das  für  mich 
der  casus  belli  sein. 

Ich  schreibe  jetzt  an  Dr.  Bacher : 

Hochverehrter  Herr  Doktor  I 

Mit  Ihrer  Erlaubnis  will  ich  heute,  und  solange  die 
Entscheidung  noch  schwebt,  nicht  in  die  Redaktion  kom- 
men. Es  ist  für  mich  eine  zu  peinliche  Situation.  Für 
morgen  haben  Sie  ohnehin  —  wenn  heute  nichts  Aktuel- 
leres eingetroffen  ist  —  das  Heine-Feuilleton.  Samstag 
erscheint  kein  Feuilleton,  und  für  Sonntag  ist  wohl  ein 
Wittmann  da.  Der  bisherige  Einlauf  ist  in  Ordnung. 

Wenn  Sie  aber  mit  mir  reden  wollen,  stehe  ich  heute 
nachmittags  gern  zu  Ihrer  Verfügung,  und  zwar  von  drei 
bis  fünf  oder  von  sechs  bis  zehn  am  Abend.  Noch  einmal 
wiederhole  ich  Ihnen,  daß  ich  bei  Ihnen  bleibe,  wenn  Sie 

395 


dbyGoogle 


es  wollen,  und  zwar  mit  meinem  jetzigen  Gehalt,  in  mei- 
ner jetzigen  Stellung.  Alle  mir  angebotenen  äußeren  Vor- 
teile bin  ich  noch  immer  bereit,  zurücksuweisen,  aus  der 
moralischen  Rücksicht,  die  Sie  kennen. 
Heute  kann  ich  noch  absagen. 
Mit  den  herzlichsten  Grüßen 

Ihr  aufrichtig  ergebener 

Herzl. 

1.  November. 

Bis  zum  Abend  kam  gestern  keine  Antwort  von  Bacher. 
Der  Gedanke,  mich  mit  diesem  Mann,  den  ich  trotz  seiner 
Starrköpfigkeit  verehre,  zu  verfeinden,  war  mir  sehr  un- 
behaglich und  wurde  mir  von  Stunde  zu  Stunde  uner- 
träglicher. Dazu  die  Möglichkeit,  daß  ich  mit  meiner 
OffiziositSt  der  Judensache  vielleicht  nicht  einmal  nützen 
würde. 

Verstimmt  wohnte  ich  einer  Konferenz  bei  Baron  Bour- 
going  hei,  wo  Schrift-,  Titel-  und  Papierfragen  des  neuen 
Blattes  mit  dem  Druekereidirektor  beraten  wurden.  Ich 
gab.  die  besten  Ratschläge,  aber  es  wurde  mir  immer 
klarer  im  Gefühle,  daß  das  nicht  meine  Leute  seien,  und 
daß  ich  nicht  mit  ihnen  gehen  könne. 

Als  ich  von  der  Konferenz  wegging,  war  ich  in  meinem 
Inneren  ganz  beunruhigt.  Es  fiel  mir  ein,  mich  mit  Güde- 
mann  zu  beraten,  obwohl  ich  über  ihn  seit  einigen  Tagen 
erzürnt  war.  Er  hatte  nSmIich  dem  Grafen  Badeni  seine 
„Aufwartung"  gemacht,  wie  ich  zuf&llig  erfuhr.  Er  war 
zu  Badeni  gegangen,  ohne  mich  zu  verständigen,  womit 
er  eigentlich  zeigte,  daß  er  mich  und  meine  Führung 
nicht  ernst  nehme.  Bei  Badeni  hatte  er  um  Schulz  ge- 
fleht, geweint;  und  schließlich  war  er  so  von  Rührung 
übermannt,  daß  er  den  Grafen  bat,  ihn  segnen  zu  dürfen. 

396 


dbyGodgle 


Dennoch  wollte  ich  seine  Ansicht  hören.  Ich  fand  Gü- 
demann  nicht  zu  Hause.  Da  fuhr  ich  schnurstracks  zu 
Bacher,  der  auch  ausgegangen  war.  Aber  eine  halbe 
Stunde  darauf  traf  ich  ihn  zufällig  in  der  Leopoldstadt 
auf  der  Gasse.  Wir  gingen  nun  zusammen  und  sprachen 
uns  aus. 

Ich  sagte  ihm,  daß  es  mir  unerträglich  wäre,  mich  von 
seiner  Freundschaft  zu  trennen. 

Er  war  erfreut,  riet  mir  freundschaftlich  von  dem  Zei- 
tuDgsexperiment  ab.  Bei  der  Neuen  Freien  Presse  stehe 
mir  eine  große  Zukunft  bevor.  Vor  allem  aber  hätte  ich 
bei  ihnen  viel  mehr  Aussicht,  meine  Idee  zu  verwirk- 
lichen, als  durch  Badeni. 

Wir  einigten  uns  schließlich  darauf,  daß  ich,  wenn  die 
Bildung  der  Society  unmöglich  würde,  eine  Broschüre 
veröffentlichen  solle,  welche  in  der  Neuen  Freien  Presse 
besprochen  werden  wird. 

Außerdem  will  er  mir  die  Genugtuung  geben,  mir  einen 
Brief  zu  schreiben,  den  ich  Badeni  zeigen  könne,  und 
worin  er  unter  seinem  Ehrenwort  erklärt,  daß  ich  für 
mein  Verbleiben  in  der  Redaktion  keine  wie  immer  ge- 
artete materielle  Kompensation  verlangt  oder  erhalten 
habe. 

Zum  Abschied  sagte  er  mir:  „Es  hätte  mich  tief  ge- 
kränkt, wenn  Sie  uns  verlassen  hätten." 

3.  November. 
Mittags  bei  Badeni  gewesen.  Diesmal  mußte  ich  etwas 
länger  im  Vorsaal  warten.  Goldbetreßte  Herren,  ängst- 
liche scfawarzbefrackte  Deputationen,  ein  alter  Oberst  mit 
einer  Bittschrift.  Alles  räuspert  sich  leise,  holt  tief  Atem, 
um  klar  bei  Stimme  zu  sein,  wenn  es  zum  Gewaltigen 
geht. 

»97 


dbyGoogle 


Ich  hatte  dabei  deutlich  das  GefOhl,  daß  ich  nicht  für 
die  Antikamera  uod  für  keinen  goldenen  Hofratskragen 
tauge. 

Ich  war  der  einiige  wartende  Zivilist  ohne  Frack.  Alle 
sahen  dann  erstaunt  auf,  als  ich  doch  vor  dem  Oberst  und 
den  Hofräten,  die  schon  vor  mir  dagewesen,  1 


Der  Graf  kam  mir  wieder  sehr  liebenswürdig  entgegen: 
„Noh,  Herr  Doktor,  was  bringen  Sie?" 

Ich  sprach  ein  paar  Worte  des  Bedauerns  (eigentlich 
dankte  ich  nicht  verbindlich  genug  für  die  mir  sugedacht 
gewesene  Ehre,  fillt  mir  jetst  ein)  und  gab  ihm  Bachers 
Brief. 

Dann  sprachen  wir  über  Politik :  die  Tagesfrage,  Lue- 
gers  Bestitigung. 

Badeni  war  durch  meine  Absage  fein,  kaum  merklich 
verstimmt  und  behandelte  mich  sofort  vorsichtig  als  Geg- 
ner. Er  persönlich,  sagte  er,  wire  geneigt,  Lueger  nicht 
XU  bestStigen.  „Ich  mag  ihn  nicht,  vor  allem,  weil  er  ein 
Deroagc^  ist.  Leider  bt  die  Luegerf rage  xu  einer  Schwie- 
rigkeit für  mich  aufgebauscht  worden.  Ich  hStte  sie  gern 
sdion  gelöst  vorgefunden.  Es  wSre  nütslich,  wenn  mein 
Nimbus  von  Autorität,  der  mir  vOTangebt,  nicht  durcb 
solche  Dinge  geschwächt  würde.  Es  sind  in  der  Sache 
von  allen  Seiten  schon  solche  Taktlosigkeiten  begangen 
worden,  daß  ich  in  jedem  Fall  aussehen  werde,  ab  ob 
ich  einer  Pression  nachgebe.  Das  ist  meinem  Nimbus 
abtriglich.  Die  Entscheidung  in  der  Sache  kann  ich 
übrigens  nicht  allein  treffen.  Ich  mufi  mit  meinen  Kot- 
igen beraten,  es  sind  vielerlei  Rücksichten  zu  beobach- 
ten, vor  allem  das  Staatsinteresse  und  der  Wille  des  Mon- 
archen." 

Ich  antwortete  keck :  „Ich  glaube,  Lueger  muß  als  Bür- 


dbyGoogle 


germeisfer  bestätigt  werden.  Weui  Sie  ihn  das  erstemal 
nicht  bestätigen,  dürfen  Sie  ihn  nie  m^ir  bestätigen,  und 
wenn  Sie  ihn  das  drittemal  nicht  bestätigen,  werdan  die 
Dragoner  reiten." 

Der  Graf  lächelte :  „Noh  I"  mit  einem  goguenardea  Aus- 
druck. 

Ich  begründete  meine  Ansicht  noch  und  empfahl  mich. 
Er  sagte:  „Wenn  Sie  mich  besuchen  wollen,  werde  ich 
immer  sehr  dankbar  sein." 

Ich  glaube  aber,  wenn  ich  das  nichstemal  vorspreche, 
wird  er  nicht  Zeit  für  mich  haben. 


Abends  erzählte  ich  alles  Güdemann,  der  lebhaft  be- 
dauerte, daß  ich  den  Antrag  ausgeschlagen  habe.  Er 
meint,  es  wäre  gut  gewesen,  wenn  ich  ,,da8  Ohr  des  Mi- 
nisterpräsidenten" gehabt  hätte. 

Ich  wurde  ärgerlich  über  den  Angstmeier  und  sagte 
ihm:  „Sie  sind  ein  Schutzjude  —  ich  bin  ein  schützender 
Jude.  Sie  können  mich  offenbar  nicht  verstehen." 

Ich  erklärte  ihm,  was  damit  erreicht  sei,  daß  die  Neue 
Freie  Presse  sich  der  Sache  in  wenn  auch  vorsichtiger 
Form  annehme,  und  daß  mir  das  wichtig  genug  war,  um 
meinen  eigenen  persönlichen  Vorteil,  der  bei  Badeni  ge- 
wesen wäre,  hintanzusetzen. 

Es  schien  ihm  doch  wieder  ein  bißchen  einzuleuchten  — 
für  wie  lange,  weiß  ich  nicht.  Ich  habe  bisher  zu  viel  Zeit 
an  ihn  vergeudet.  Das  war  auch  meine  letzte  längere 
Unterredung  mit  ihm.  Er  hat  vom  Mann  nur  den  Bart 
und  die  Stimme.  Immer  wieder  fleht  er  mich  an,  ich  solle 
von  den  Rabbinern  ganz  absehen,  sie  hätten  kein  An- 
sehen. 

Was  mich  aber  am  schwersten  gegen  ihn  aufbrachte. 


dbyGoogle 


war,  daß  er  sich  auf an^  weigerte,  mir  ein  Empfehlungs- 
schreiben  an  Zadok  Kahn  mitzugeben,  wenn  ich  n&chste 
Woche  nach  Paris  fahren  sollte. 

Erst  als  ich  ihm  sagte,  daß  ich  die  Einführung  nicht 
brauche  und  mir  auch  so  zu  helfen  wissen  werde,  sagte 
er  SU. 

Diese  Unterredung  hat  mich  sehr  deprimiert. 

Zum  Schluß  sagte  ich  ihm:  „Es  ist  trostlos:  Sie,  mit 
dem  ich  am  iXngsten  und  häufigsten  ron  der  Sache  ge- 
sprochen, Sie  fallen  immer  wieder  von  mir  ab.  Sie  ver- 
stehen lüder  die  Sache  noch  immer  nicht.  Wir  stehen 
jetzt  in  Donaueschingen  am  dünnen  Anfang  des  Flusses. 
Aber  ich  sage  Ihnen,  es  wird  die  Donau  werdenl" 

5.  November. 

Gestern  abends  schwere  Difaillancen.  Ich  kam  wieder 
in  die  Redaktion.  Niemand  sab  darin  —  also  in  meinem 
Verzicht  —  etwas  Merkwürdiges.  Ich  hatte  eher  das  Ge- 
fühl, als  wäre  ich  mißliebig  geworden  bei  den  Kollegen. 

Nun  habe  ich  ja  den  Regierungsantrag  allerdings  we- 
gen der  Judensache  abgelehnt,  wie  ich  ihn  ihretwegen  an- 
genommen hStte. 

Aber  wie  steht's  mit  der  Aussicht,  daß  mir  die  Neue 
Freie  Presse  bei  der  Verwirklichung  behilflich  sein  wird? 
Es  wäre  furchtbar,  wenn  ich  mich  da  getauscht  bitte  und 
gerade  bei  Badeni  eher  die  Autorität  gegenüber  den  Juden 
bitte  erlangen  können. 

Bacher  und  Benedikt  empfingen  mich  mit  demonstra- 
tiver Liebenswürdigkeit,  ab  ich  im  Bureau  erschien;  aber 
Benedikt  entschuldigte  sich  gleich,  daß  er  nicht  Zeit  habe, 
mit  mir  die  $ocUU  d'iiade»  zu  besprechen,  und  Bacher 
fragte  nur,  wann  ich  wieder  ein  Feuilleton  bringen  würde. 

Güdemann  hat  mir  einen  Floh  ins  Ohr  gesetzt:  „die 

3oo 


dbyGoogle 


Sache  desinit  in  pucem".  Wenn  die  Neue  Freie  Presse 
meine  Broschüre  mit  einer  Notiz  im  „Inland"  abfertigt, 
bin  ich  schwer  geschädigt.  Ich  hoffe,  sie  werden  ehrlich 
und  voll  halten,  was  sie  mir  versprochen  haben.  Ich 
müßte  es  sonst  als  casus  belli  auffassen. 


Mit  Arthur  Schnitzler  gesprochen,  ihm  die  Sache  kuri 
erldärt. 

Als  ich  sagte:  es  ist  die  Renaissance  als  Schlußpunkt 
dieses  klassischen  Jahrhunderts  der  Erfindungen  im 
Verkehrswesen  —  da  war  er  begeistert.  Ich  versprach 
ihm,  er  werde  Intendant  des  Theaters  werden. 


Zum  Nachtmahl  wieder  in  der  Judengesellschaft  bei 
Tonello. 

Wieder  dieselben  Reden  wie  vor  acht  Tagen.  Der 
Theaterboykott  als  erlösendes  Mittel  gepriesen.  Diese 
kleinliche  Agitation  artet  in  vereinsmeierische  Wichtig- 
tuerei aus.  Mir  ist  sie  als  Symptom  dennoch  wichtig. 
Ich  lerne  einige  verwendbare  Agitatoren  kennen:  Ru- 
zicka,  Hutmacher  Billitzer  (derbe  Volksberedsamkeit), 
Kopstein,  Weinhändler  Pollak,  Advokat  Neumann, 
Dr.  K&hxt&a  usw. 

Komisch,  daß  sie  alle  einen  Beschwerdegang  zum  Mi- 
nister als  schärfere  Tonart  bezeichnen. 

Es  sprach  auch  als  „gefeierter  Redner"  der  Advokat 
Ellbogen.  Der  ist  für  Gründung  einer  „freisinnigen 
Volkspartei",  die  ihn  wohl  ins  Abgeordnetenhaus  entsen- 
den soll.  Er  hält  die  Judenlage  für  ernst,  aber  nicht 
hoffnungslos  —  „sonst  bliebe  uns  ja  nichts  anderes  übrig, 
als  das  Nationaljudentum  zu  proklamieren  und  nach  einer 

3oi 


dbyGoogle 


territorialen  Grundlage  zu  suchen".  ElUx^en  wird  auch 
für  die  Agitation  su  verwenden  sein. 

Ihm  antwortete  gescheit  Dr.  Bloch.  Die  „Freiainnigea" 
Ellbogens  seien  doch  nur  wieder  die  Juden.  Mit  dem 
Sozialismus  zu  gehen,  helfe  nichts  gegen  den  Antisemi- 
tismus. Beweis  Deutschland,  wo  trotz  Marx,  Lassalle  und 
jetzt  Singer  der  Antisemitismus  entstanden  und  erstarkt 
sei. 

Ich  stellte  mich  ihm  nachher  vor.  Er  war  sehr  ange- 
nehm überrascht,  mich  an  diesem  Ort  zu  finden. 

5.  November. 

Dr.  Ehrlich  kam  in  der  Redaktion  heute  in  mein  Zim- 
mer, sagte :  „Ich  habe  gehört,  daß  wir  Sie  wiedergewon- 
nen haben." 

Ich  erz&hlte  ihm  den  Hergang.  Er  machte  ein  bedenk- 
liches Gesicht.  Er  meint,  die  Herausgeber  werden  ihr 
Versprechen  nicht  erfüllen. 

In  mir  kochte  es  auf,  und  ich  sagte:  „Wenn  sie  mir  ihr 
Wort  brechen,  werden  die  Pfeiler  dieses  Hauses  bersten." 

Sofort  ging  ich  zu  Benedikt.  Später  kam  Bacher  hinzu. 
Ich  forderte  die  zugesagte  „persönliche  Unterstützung", 
die  darin  zu  bestehen  habe,  daß  am  nfichsten  Sonntag 
bei  Bacher  oder  bei  mir  eine  Versammlung  namhafter  Ju- 
den stattfinde.  Ich  würde  einen  Vortrag  halten  (meine 
Rede  an  die  Rothschilds  unter  Ausmerzung  der  Roth- 
schilds aus  dem  Text),  darauf  hätten  die  Versammelten 
mir  ihre  Konnexionen  in  Paris,  London,  Berlin  zur  Ver- 
fügung zu  stellen.  Dort  werde  ich  dann  die  „sociitä  d'itu- 
des",  die  nicht  einen  Centime  Kapital  braucht,  gründen, 
resp.  mir  die  Gründung  zusichern  lassen,  welche  der  Pu- 
blikation meiner  Broschüre  sofort  zu  folgen  hat. 

Benedikt  sagte  flau,  er  wisse  hier  keine  geeigneten  Per- 

3oa 


dbyGoogle 


sAolichkeiten  in  der  kaute  batique.  Er  wolle  mich  aber 
nach  Berlin  an  den  (pathetisch)  „Geheimen  Kommerzien- 
rat  Goldbergerl"  empfehlen. 

Ich  antwortete :  „Diesen  Goldberger  kenne  ich  seit  acht 
Jahren.  Dazu  brauche  ich  Ihre  Empfehlung  nicht." 

Er  empfahl  mir  weiter  Moritz  Leinkauf. 

Ich  sagte :  „Der  ist  der  Mann  meiner  Kusine  I" 

Kurz,  er  machte  völlig  wertlose  oder  überflüssige  Vor- 
schlSge.  Noch  will  ich  nicht  glauben,  daß  es  aus  Perfidie 
geschieht.  Es  wäre  ungeheuerlich. 

Bacher  schwieg. 

Ich  sagte  ihnen :  „Ich  brauche  jetzt  noch  keine  Agitato- 
ren. Das  wird  spiter  kommen.  Vorläufig  brauche  ich  nur 
das  Interesse  der  Finanzkreise.  Eigentlich  bin  ich  aber 
auf  niemanden  angewiesen.  Ich  verständige  nur  die  Leute, 
bevor  ich  den  Damm  einreiße!" 

Ich  glaube,  sie  haben  beide  die  Drohung  herausgefühlt. 

Dennoch  akzeptierte  ich  Benedikts  Rat  und  fuhr  sofort 
zu  Leinkauf,  mit  dem  ich  nachmittags  eine  Unterredung 
haben  werde. 


Nachmittags  mit  Leinkauf  gesprochen.  Wir 
Beratungssaale  der  monumentalen  FruchtbQrse. 

Leinkauf  bedauerte,  daß  ich  ihn  nicht  um  Rat  gefragt 
habe,  bevor  ich  den  Badenischen  Antrag  ablehnte.  Er 
hätte  mir  entschieden  zur  Annahme  geraten. 

Übrigens  sei  Badeni  mit  Vorsiebt  zu  behandeln.  Lein- 
kauf  erzählte  mir  folgende  Geschichte.  Als  Badeni  noch 
Statthalter  von  Galizien  war,  brach  in  diesem  Lande  eine 
Not  der  Landwirte  aus.  Durch  Mißernte  waren  die  Land- 
wirte in  die  Unmöglichkeit  versetzt,  ihr  Vieh  zu  ernähren. 
Eine  Landeshilfsaktion  wurde  eingeleitet.  Es  sollten  Fut- 

3o3 


dbyGoogle 


tervorrSte  gekauft  und  an  die  Notleidenden  vwteilt  wer- 
den. Badeni  kam  nach  Wien,  ließ  den  Getreidebändler 
Wetzler  (Firma  Wetzler  &  Abeles)  rufen  und  forderte 
ihn  auf,  eine  Offerte  einzureichen.  Wetzler  tat  dies.  Ba- 
deni ließ  ihn  dann  nochmals  rufen  und  sagte:  „Ich  glaube 
nicht,  daß  Sie  diese  Lieferung  machen  können.  Nach 
meiner  Berechnung  müßten  Sie  ungefähr  um  dreißig 
Perzent  mehr  verlangen,  um  bestehen  zu  können." 

Wetzler  ließ  es  sich  gesagt  sein,  nahm  die  erste  Offerte 
aus  der  Hand  des  Grafen  zurück  und  reichte  eine  zweite, 
um  so  viel  höhere,  ein. 

Mit  dieser  reiste  der  Graf  nach  Lemberg  zurück,  und 
dort  wurde  die  Lieferung  an  ein  Konsortium  vergeben  — 
dem  B.  selbst  angehört  haben  soll  —  zu  einem  Preise, 
der  viel  höher  als  Wetzlers  erste  und  etwas  niederer  als 
seine  zweite  Offerte  war.  — 

Dann  erzählte  ich  Leinkauf  zwei  Stunden  lang  meinen 
Juden-Entwurf. 

Leinkauf  war  entschieden  dagegen.  Er  hält  die  Sache 
für  undurchführbar  —  und  zugleich  für  sehr  gefährlich. 
Alle  schwachmatischen  Argumente.  Ich  erklärte  ihm: 
entweder  meine  Broschüre  findet  keinen  Widerhall,  dann 
gibt  es  keine  Gefahr.  Oder  sie  findet  den  Widerhall,  den 
ich  erwarte,  dann  ist  die  Sache  nicht  undurchführbar. 


Abends  berichtete  ich  Bacher  über  diese  Unterredung. 
Ich  sagte :  „Leinkauf  kann  die  Sache  nicht  verstehen,  er 
ist  ein  binnenländischer  Geist;  man  muß  aber  am  Meere 
wohnen,  imi  den  Plan  zu  begreifen.  Ich  habe  Leinkauf 
seine  eigene  Fruchtbörse  gezeigt  und  erläutert:  der  Ge- 
treidehandel hatte  seinen  rudimentären  Sammelpunkt  in 
Wien  im  Caf6  Stierböck.   Sie  haben  dem  Bedürfnis  ein 


3o4 


dbyGooglc 


Organ  gesckaffea,  die  FrucktbOrse  am  Schotteoring,  und 
dann  hat  das  Organ  den  Verkehr  organisiert  und  so  mftch- 
tig  erweitert,  daß  sie  jetzt  den  Palast  in  der  Taborstraße 
haben.  Denn  so  geht  es  im  wirtschaftlichen  Leben  zu: 
zuerst  ist  das  Bedürfnis,  dann  das  Organ,  dann  der  Ver- 
kehr. Das  Bedürfnis  will  verstanden,  das  Organ  will  ge- 
schaffen werden  —  der  Verkehr  macht  sich  dann  von 
selbst,  wenn  das  Bedürfnis  ein  wirkliches  war.  Daß  in 
der  Judensache  ein  Bedürfnis  —  zur  Not  gesteigert  — 
vorliegt,  wird  doch  niemand  leugnen.  Das  Organ  wird  die 
Society  sein.  Ernt  die  kleine  Studien-Society  —  dann, 
wenn  diese  sich  überzeugt,  daß  die  Stinunuog  vorhanden 
ist,  die  große." 

Bacher  schien  das  einzuleuchten.  Er  versprach  mir, 
heute  mit  David  Gutmann  zu  sprechen  und  ihm  meinen 
Besuch  anzukündigen.  Gutmann  sei  ein  fanatischer  Jude 
—  freilich,  am  Meere  wohne  auch  er  nicht. 


Bacher  scherzte :  „Die  Juden  werden  Ihnen  mißmutiger 
zuhören,  als  die  Christen.  Sie  werden  der  Ehrenantisemit 
werden  1" 

6.  November. 
Ein  Tag  schwerer  D^faillance.  In  die  Redaktion  kamen 
Gemeinderat  Stern  und  andere.  Lauter  Leute,  die  alles 
Heil  von  der  Regierung  erwarten,  zu  den  Ministern  bitt- 
Btellern  gehen.  Also  hfitten  sie  an  mich  g^laubt,  wenn 
ich  Badeais  journalistischer  Vertrauensmann  geworden 
wSre.  Und  so  habe  ich  jetzt  keine  Autorität  bei  ihnen. 

*     ♦    ♦ 
Abends  bei  Professor  Singer  gewesen,  ihm  alles  erzShlt. 

'O    Henli  TKobaobu  I,  3o5 


dbyGoogle 


Er  hat  mich  wieder  aufgerichtet:  ick  hStte  richtig  ge- 
handelt I 

Als  Offiziöser  hStte  ich  mich  und  die  Sache  uiunJ%lich 
gemacht. 

7.  November, 

Dr.  Schwitzer  auf  der  Gasse  getroffen,  ihn  einge- 
weiht. 

Er  ist  aus  den  höchsten  Gründen  gegen  meinen  Plan. 
Er  will  keine  Nationen,  aondem  Menschen. 

Ich  sagte  ihm:  ,J*rimum  vivere,  deinde  philosopharil 
Ich  werde  Ihnen  drüben  eine  edle  Studierstube  bauen, 
wo  Sie  in  Ruhe  vor  den  Barbaren  den  höchsten  Gedanken 
nachhängen  können." 

Er  meinte,  es  gSbe  noch  viele  andere  Not  außer  der  der 
Juden. 

Ich  sagte:  „Ich  kann  mich  vorifiufig  nur  um  meine 
Leute  kümmern.  Übrigens  geben  wir  mit  dem  Sieben- 
stundent^  und  anderen  sozialen  Erleichterungen  und 
Neuerungen  der  Welt  ein  großes  Beispiel. 

Eis  handelt  sich  darum,  den  Schluß  aus  den  wunder- 
baren technischen  Errungenschaften  dieses  Jahrhunderts 
zu  ziehen.  Das  elektrische  Licht  wurde  nicht  erfunden, 
um  die  Salons  einiger  Geldprotzen  zu  erleuchten.  Es 
wurde  erfunden,  damit  wir  bei  seinem  Scheine  die  Juden- 
frage lösen." 


Bacher  sagte  mir,  er  habe  mit  David  Gutmann  gespro- 
chen und  ihn  auf  meinen  Besuch  vorbereitet.  Sofort 
schrieb  ich  Gutmann  und  bat  ihn  um  Bestimmung  einer 
Stunde. 

Gutmanns  Antwort  hatte  einen  komischen  Zug.  Er  gab 
mir  für  Sonntag  Rendezvous  und  unterschrieb  „mit  aller 


3o6 


dbyGoogle 


Achtung",  was  ein  bißchen  gnädig  klingt.  Wenn  diese 
Fertigung  nicht  kaufmfianiache  Unbildung  vontellt,  ver- 
rfit  sie,  daß  der  Mann  mich  nicht  verstehen  wird.  Den- 
noch will  ich  nicht  zu  faul  sein.  Vielleicht  wird  er  er- 
schrecken. Begeistern  werde  ich  den  guten  Mann  „mit 
aller  Achtung"  schwerlich. 

9.  November. 

Gestern  mit  David  Gutmann  „und  Sohn"  gesprochen. 
Der  Alte  war  anfangs  ein  bißchen  gnSdig,  was  ich  ihm 
durch  Cberschlagen  meiner  Beine  und  sehr  nachlässiges 
Zurücklehnen  in  meinen  Fauteuil  austrieb.  Er  hörte  mir 
immer  ernster  zu. 

Der  Junge  wollte  Witze  machen  Ober  den  „jüdischen 
Staat  und  die  jüdischen  Balmachomea" .  Ich  fuhr  ihn 
heftig  an:  „Machen  Sie  keine  dununen  Witze I  Solche 
SpSße  werden  jedem,  der  sie  macht,  übel  bekommen. 
Die  Witzlinge  werden  von  dieser  Bewegung  zertreten  und 
zerstampft  werden." 

Erschrocken  hörte  er  auf  zu  witzeln.  Der  Alte  er- 
klärte schließlich,  er  müsse  sich  eine  so  große  Sache  noch 
wohl  überlegen.  Er  meinte  auch,  ich  solle  mit  den  Roth- 
schilds sprechen. 

Erreicht  ist  jedenfalls  so  viel,  daß  die  Großjuden  ver- 
ständigt sind.  Denn  offenbar  wird  David  Gutmann  mit 
Albert  Rothschild  und  Hirsch  davon  sprechen. 

Ich  vergaß  leider  zu  sagen,  wie  ich  das  Gutmannsche 
Kohlengeschäft  liquidieren  möchte. 

Die  Bergwerke  können  entweder  vom  österreichischen 
Staat  abgelöst  oder  von  der  Society  erworben  werden.  In 
diesem  Falle  könnte  der  Kaufpreis  teils  in  Ländereien 
drüben,  teils  in  Society-Aktien  und  Bargeld  bestehen. 
Eine  dritte  Möglichkeit  wäre:  Gründung  einer  Aktien- 

'o*  3o7 


dbyGoogle 


gesellschaft  „Gutmann",  deren  Aktien  auch  bei  uns  drü- 
ben kotiert  würden.  Vierte  Möglichkeit:  Weiterbetrieb 
in  der  bisherigen  Weise,  nur  wiren  die  Eigentümer  fortab 
Auslinder. 

10.  November. 
Gestern  mit  Gfldemann  gesprochen.  Er  bat  mir  den 
Einführungsbrief  für  Zadok  Kahn  gegeben.  Den  Brief 
Bchicke  ich  an  S . . .,  dem  ich  die  großen  Ereignisse  der 
letzten  Monate  erz&hle.  S . . .  soll  den  Brief  Zadok  über- 
geben. 


Bacher  stimmt  mich  durch  seine  Einwendungen  wieder 
herab.  Um  alledem  tu  entgehen,  will  ich  Mittwoch  nach 
Paris  fahren. 


Viele  Juden  jubeln  töricht  über  die  Nichtbestitigung 
Luegers  als  Bürgermeister.  Als  ob  der  Antisemitismus 
mit  Lueger  gleichbedeutend  wäre.  Ich  glaube  vielmehr, 
daß  die  Bewegung  gegen  die  Juden  jetzt  eil^  zunehmen 
wird. 

Was  ich  durch  meine  konstruktive  Idee  erreichen 
wollte,  dazu  werden  gewaltsame  Elreignisse  drfingen. 

Statt  Luegers  wird  schließlich  ein  anderer  Antisemit 
Bürgermeister  von  Wien  werden.  Lueger  aber  wird  mit 
verstSrkter  Macht  aufreizen.  Schon  ballen  sich  alle  Anti- 
semiten zu  einem  Heer  gegen  Badeni  zusammen.  Der 
nicht  judenfeindliche  Statthalter  von  Nieder-Osterreich, 
Graf  Kielmannsegg,  dürfte  in  den  nächsten  Tagen  fallen. 

Gestern  war  sogar  dos  antisemitische  Gerücht  verbrei- 
tet, Graf  Badeni  habe  demissioniert.  Wenn  er  bleibt, 
werden  die  Dragoner  reiten,  wie  ich  es  ihm  sagte. 

3o8 


dbyGooglc 


Schon  ruft  man  in  den  Straßen:  „Nieder  mit  Badenil" 

Ich  glaube,    Luegers  Nichtbestätigung   war   ein   ver- 

hingnisvoller  Fehler,  der  schwere  Krisen  zur  Folge  haben 

wird.  Badeni  hat  die  Macht  der  antisemitischen  Strömung 

untersch&tzt. 

Prin2  Lichtenstein  hat  dem  Ministerpräsidenten  im  of- 
fenen Parlament  das  Wort  „Lüge"  zugerufen.  Die  Anti- 
semitenblätter schlagen  einen  in  Osterreich  unerhörten 
Ton  der  Dreistigkeit  gegen  Badeni  an. 


An  den  Baurat  Stiassny  geschrieben.  Ich  werde  ihm 
morgen  meine  Kede  an  die  Juden  vorlesen.  Er  hat  überall 
Verbindungen  mit  eifrigen  jOdiscben  Agitatoren. 


In  der  Türkei  Gärungen.  Sollte  die  orientalische  Frage 
aufgerollt  und  durch  Teilung  der  Türkei  gelöst  werden, 
so  könnten  wir  auf  dem  europäischen  Kongreß  vielleicht 
ein  Stück  neutrales  Land  (wie  Belgien,  Schweii)  für  uns 
bekommen. 

*    *    * 

Wir  hatten  gestern  im  Feuilleton  einige  hinterlassene 
Briefe  Lassalles. 

Ich  sprach  mit  Bacher  darüber,  nachdem  er  versucht 
hatte,  mich  herabzustimmen. 

„Was,  meinen  Sie,  wäre  Lassalle  heute,  wenn  er  lebte?" 
fragte  ich. 

Bacher  schmunzelte:  „Wahrscheinlidi  preußischer G«- 
heimrat." 

Ich  aber  sagte:  „Er  wäre  Führer  der  Juden;  ich  meine 
natürlich  nicht  den  Lassalle  im  Alter,  das  er  heute  hätte, 
sondern  den  in  seiner  damaligen  Kraft." 

3o9 


dbyGoogle 


1i.  Ntmember. 

Bei  Güdemann  gewesen.  Er  bat  mich,  zu  einer  Wahl- 
besprechung 2U  kommen,  in  der  für  Blochs  Kandidatur 
in  Kolomea  Agitationsgeld  aufgebracht  werden  soll.  Ich 
sagte,  daß  ich  mich  nicht  öffentlich  zeigen  wolle,  bevor 
ich  meine  Sache  entwickelt  habe.  Sprechen  mag  ich  nicht, 
wenn  ich  die  Konklusion  nicht  geben  kann.  Aber  ich 
werde  einen  Brief  an  Güdemann  richten,  den  er  in  der 
Versammlung  vorlesen  soll.  Ich  werde  schreiben,  daß 
ich  5o  Fl.  hergebe,  obwohl  ich  Blochs  Auftreten  in  man- 
chem Punkt  nicht  billige.  Es  gibt  —  sehr  gering  gerech' 
net  —  300  Juden  in  Wien,  die  den  gleichen  Betri^  viel 
leichter  widmen  kßnnen.  Damit  wäre  der  Wahlfond  auf- 
gebracht. 

Rabbiner  Fleißig  war  bei  Güdemann.  Dieser  legte  die 
Hand  auf  meine  Schulter  und  sagte  bewundernd:  „Das 
ist  ein  Prachtkerl!" 

Güdemann  erzählte  mir,  daß  David  Gutmann  meinen 
Plan  schon  ausgeplaudert  habe.  Ich  war  wütend  und 
schrieb  sofort  au  Ludwig  Gutmann : 

Lieber  Doktor  1 

Da  ich  seit  unserer  Freitags-Unterredung  kein  Lebens- 
zeichen erhielt,  vermute  ich,  daß  Ihnen  beiden  die  Sache 
nicht  einleuchtet. 

Ich  muß  nur  vorsichtsweise  die  Erinnerung  wieder- 
holen, auf  die  ich  vielleicht  nicht  genügenden  Nachdruck 
gelegt  hatte:  daß  meine  Mitteilung  streng  vertraulicher 
Natur  war.  Ich  kann  Sie  nicht  ermächtigen,  mit  irgend 
jemandem  davon  zu  sprechen,  wenn  Sie  nicht  in  jedem 
einzelnen  Fall  vorher  meine  Zustimmung  einholen.  Eine 
unvorsichtige  Behandlung  der  Sache  könnte  für  die  Juden 

3io 


dbyGoogle 


Gefabren  heraufbeschwören,  von  denen  Sie  selbst  auf  das 
schwerste  mitbetroffen  werden  müßten. 

Ich  vertraue  also  vollkommen  auf  die  Diskretion  zweier 
EbrenmSnner,  die  meine  Anhebten  nicht  teilen,  aber  ge- 
nau wissen,  daß  sie  mir  absolutes  Stillschweigen  schul- 
den. 
Mit  den  schönsten  Grüßen 

Ihr  ganz  ergebener 

Dr.  Th.  Heril. 


Für  nachmittag  hatte  ich  Bloch  zu  Stiassny  bestellt. 

Bloch  hatte  gehofft,  daß  ich  wegen  seiner  Wahlge- 
scbichte  kirne.  leb  bemerkte  seine  Enttäuschung,  als  ich 
nur  —  exctuez  da  peul  —  die  Lösung  der  Judenfrage 
vorlas. 

Stiassny  war  begeistert. 

Bloch  ging  vor  dem  Ende  meiner  Vorlesung  weg.  Er 
müsse  nach  Hause,  weil  er  morgen  nach  Kolomea  reise. 
Er  habe  auch  viele  Einwendungen  gegen  meinen  Plan. 

Beim  Abschied  bat  er  mich  nur  mit  David  Gutmann 
zu  sprechen  —  nfimlich  wegen  Geldes! 

Dennoch  schreibe  ich  für  Blochs  Wahl  folgenden  zur 
Verlesung  in  der  Versammlung  bestimmten  Brief  an  Gü- 
demann: 

Hochverehrter  Herr  Doktor  1 

Da  ich  abreisen  muß,  kann  ich  nicht  an  der  Bespre- 
chimg  teilnehmen.  Dr.  Blochs  Wahl  scheint  mir  not- 
wendig zu  sein.  Ich  mache  ausdrücklich  den  Vorbe- 
halt meiner  politischen  Meinungsverschiedenheit;  aber 
Dr.  Bloch  hat  im  Parlament  inuner  wacker  die  Juden- 
sache  vertreten.  Wir  sind  ihm  dafür  Datdt  schuldig,  selbst 
wenn  wir  in  manchem,  in  vielem  nicht  mit  ihm  einver- 

3ii 


dbyGoogle 


standen  sind.   Einsein  kann  maa  uns  ^schlagen.    Wodd 
wir  zusammenhalten  —  niel 

Ich  stelle  für  den  Wahlfonds  f Onf tig  Gulden  zur  Ver- 
fügung. Wenn  in  Wien  zweihundert  Juden  ebensoviel 
hergeben,  ist  das  Nötige  gesichert.  Ich  unterschStze  die 
Geldkraft  der  Wiener  Juden  und  Obersch&tze  meine 
eigene,  wenn  ich  nur  von  zweihundert  Bessersituierten 
spreche.  Auf  die  ganz  großen  Herrschaften,  denen  die 
Judennot  offenbar  noch  nicht  nahe  genug  geht,  mOchte 
ich  am  liebsten  verzichten. 

Mit  bochachtungsvollem  Grufi 

Ihr  aufrichtig  ergebener 

Dr.  Th.  H. 

Paria,  16.  November. 

Unterredung  mit  dem  Großrabbiner  Zadok  Kahn.  Ich 
las  ihm  die  Rede  vor.  Im  Coupö  auf  der  Fahrt  nach 
Paris  hatte  ich  die  Rothschilds  schon  ganz  aus  der  Rede 
fortgestrichen. 

Zadok  Kahn  schien  der  zweistündigen  Vorlesung  mit 
Interesse  zu  lauschen. 

Er  gab  sich  dann  auch  als  Zionist  zu  erkennen.  Aber 
der  „Patriotismus"  des  Franzosen  wolle  auch  sein  Recht. 

Ja,  man  muß  wfihlen  zwischen  Zion  und  Frankreich. 

Zadok  Kahn  ist  von  der  kleinen  Rasse  der  Juden.  Ea 
soll  mich  wundern,  wenn  ich  von  ihm  eine  ernstliche 
Hilfe  habe.  Übrigens  sprachen  wir  nach  meiner  Vor- 
lesung nur  wenige  Worte,  da  er  in  den  Tempel  fortmußte. 
Wir  haben  für  morgen  wieder  Rendezvous  genommen, 
mein  Salzburger  Bekannter  Leven  soll  auch  dazu  kom- 
men. Ich  erwarte  nicht  viel  von  der  Zusammenkunft. 

3is 


dbyGoogle 


Paris,  17.  November. 

Mit  Nordau  gesprochen. 

Nordau  ist  der  zweite  Fall  des  blitzartigen  Verstftnd' 
nisses.  Der  erste  war  Benedikt.  Aber  Nordau  begriff 
als  Anhftnger,  wie  Benedikt  zunicbst  als  Gegner. 

Nordau  geht,  glaube  ich,  mit  durch  dick  und  dünn. 
Er  war  am  leichtesten  zu  erobern  und  ist  vielleicht  die 
bisher  wertvollste  Eroberung.  Er  wSre  ein  guter  PrSsi- 
deot  für  unsere  Akademie  oder  Unterrichtsminister. 

Er  empfiehlt  mich  nach  London  an  den  Maccabean 
Club,  von  dem  ich  durch  ihn  zum  erstemnal  hörte.  Dieser 
Klub  ist  aber  ganz  einfach  das  ideale  Organ,  das  ich 
brauche:  KfinsÜer,  Schriftsteller,  Geistes  Juden  aller  Art 
bilden  ihn.  Der  Klubname  sagt  eigentlich  schon  genug. 
Oberst  Goldsmid  soll  Mitglied  sein,  auch  Mocatta,  von 
dem  ich  auch  einigemal  reden  hörte. 

Nordau  führt  mich  beim  MakkabSer  Israel  ZangwtU, 
der  Schriftsteller  ist,  ein. 

Ich  bat  Nordau,  mit  mir  nach  London  zu  kommen. 
Er  versprach  mir,  nachzukommen,  wenn  ich  ihn  brauche. 


Nachmittags  bei  Zadok  Kahn. 

Mein  Salzburger  Leven  war  dort,  matt,  flau,  schwer- 
flüssig wie  in  Salzburg.  Aus  seinen  Einwendungen  er- 
kannte ich,  daß  er  meinen  Plan  damals,  aber  auch  gestern 
nicht  verstanden  hatte. 

SpSter  kamen  noch  einige  Juden ;  mir  scheint,  sie  waren 
von  Zadok  bestellt:  Derenbourg,  Feinbei^,  und  ein  junger 
Rabbiner,  der  Zadoks  Schwiegersohn  ist. 

Nach  und  nach  mußte  ich  vneder  mit  allen  meinen 
Beweisgründen  herausrücken.  Kein  neues  Moment  in  der 
Diskussion. 

3i3 


dbyGoogle 


Dio  franiösischen  Juden  sind  offenbar  vorl&ufig  nicht 
Für  die  Sache  xu  haben.   Es  geht  ihnen  noch  eu  gut. 

Gegen  Levön  kehrte  ich  mich  kategorisch : 

„Ich  muß  mich  sehr  unglücklich  ausdrücken.  Denn 
Dinge,  die  ich  Ihnen  lum  zweitenmal  erkl&re,  sind  noch 
unverstfindlich." 

Als  er  seine  frantösische  Nationalitit  betonte,  sagte 
ich :  „Wie?  Gehören  Sie  und  ich  nicht  xur  selben  Nation? 
Warum  luckten  Sie  bei  Luegers  Wahl  zusammen?  War- 
um litt  ich,  als  Kapitin  Dreyfus  des  Landesverrats  an- 
geklagt war?" 

Zum  Abschied  sagte  ich  ihm :  „Sie  und  Ihresgleichen 
werden  nie  mit  mir  gehen  1" 

Der  junge  Rabbiner  sagte:  „Ich  gehe  mit  Ihnenl" 

Derenbourg  schwieg  bestürzt.  Als  deutscher  Jude 
(Dernburg)  hält  er  offenbar  viel  auf  sein  Framosentum. 
Ich  erklärte  ihnen,  daß  ich  durch  die  Gründung  des  Ju- 
denstaats ihnen  erst  recht  die  Möglichkeit  gebe,  sich  in 
Frankreich  zu  naturalisieren. 

Dem  Feinberg,  der  in  Hirschs  Diensten  zu  stehen 
scheint,  sagte  ich,  daß  die  bisherigen  Kolonisationsge- 
sellscbaften  sich  uns  werden  unterordnen  müssen. 

„Wo  wir  Widerstände  finden,  werden  wir  sie  brechen!" 
sagte  ich. 

Zadok  begütigte:  „Noch  leistet  man  Ihnen  ja  keinen 
Widerstand." 

Zadoks  Benehmen  befriedigte  mich  diesmal  vollkom- 
men. Er  scheint  sogar  meinem  Plan  geneigt  zu  sein. 

Am  besten  erkannte  ich  aber  die  Wirkung,  die  ich  auf 
Zadok  gemacht,  als  sich  die  Tür  für  eine  Sekunde  öffnete 
und  eine  filtere  Dame  —  wahrscheinlich  Zadoks  Frau 
—  neugierig  zum  Spalt  hereinschaute.  Dieser  Augen- 
blick erklärte  mir,  was  er  von  mir  erz&hlt  haben  mußte. 

3i4 


dbyGoogle 


18.  November. 

Nachmittags  wieder  bei  Zadok  Kahn.  Er  war  umge- 
stimmt. Aus  seinen  Bemerkungen  hörte  ich  heraus,  daß 
er  meine  Idee  mehreren  vorgetragen  habe  und  überall 
auf  Widerspruch  gestoßen  sei. 

Die  französischen  Juden  stehen  der  Sache  feindselig 
gegenOber.  Ich  hab's  nicht  anders  erwarlet.  Es  geht  ihnen 
hier  su  gut,  als  daß  sie  an  eine  Veränderung  dächten. 

,J)as  alles",  sagte  ich  Zadok,  „steht  in  meinem  Plan. 
Die  Ersten  werden  die  Letzten  sein,  die  mitgehen.  Sie 
sollen  sich  nur  vor  drei  Dingen  hüten :  Erstens  davor,  daß 
die  übrigen  Juden  in  der  Welt  es  erfahren,  wie  beneidens- 
wert die  Lage  der  Juden  in  Frankreich  sei;  denn  es  würde 
eine  böse  Masseneinwanderung  von  Israeliten  in  Frank- 
reich stattfinden.  Zweitens  davor,  daß  sie  zu  glSnzende 
Franzosen  werden,  zu  rasch  in  den  Klassen  aufsteigen,  zu 
viel  sichtbare  Macht  in  Form  von  Reichtum  oder  angese- 
henen Stellungen  erwerben.  Sie  sollen  sich  mit  einem 
Wort  hüten,  aufzusteigen.  Drittens  aber  sollen  sie  es  voll- 
kommen aufgeben,  sich  um  die  Juden  anderer  Länder  zu 
kümmern.  Sie  würden  vor  den  Christen  ihre  Solidarität 
verraten,  von  den  Juden  aber  zurückgestoßen  werden.  Denn 
diese  freundlichen  Kolonisierungsversuche  haben  etwas 
Leutseliges  und  zugleich  Feindseliges :  die  Einwanderung 
von  Juden  in  Frankreich  soll  dadurch  verhindert,  abgelenkt 
werden.  Wer  aber  sich  nicht  bereit  erklärt,  mit  den  wan- 
dernden Juden  zu  gehen,  der  hat  auch  kein  Recht,  ihnen 
Plätze  da  und  dort  in  der  Welt  anzuweisen.  Die  israeli- 
tischen Franzosen'  —  wenn  es  das  gibt  —  sind  für  uns 
demnach  keine  Juden,  und  unsere  Sache  geht  sie  nichts 
an." 

SpStw  kam  ein  Universitätsprofessor  namens  Becker, 
ein  großer  Chauvinist. 


dbyGoogle 


„II  a'est  questioD  que  d'un  graad  projet",  wgte  er 
gleich  beim  Eintreten.  Es  scheint,  daß  sich  die  Pariser 
Judeuschaft  aufs  eifrigste  mit  der  Sache  beschäftigt,  seit 
ich  hier  bin. 

Dieser  Becker  ist  die  richtige  Judengestalt  aus  dem 
Lateinischen  Viertel.  Eine  Art  Bruaeti6re  ins  Hebräische 
übersetzt.  Er  hat  den  Geruch  von  Büchern  und  üblichem 
Patriotismus.  Mit  großer  Zungenfertigkeit  begann  er 
mich  zu  „widerlegen".  Er  brachte  auch  die  satirische 
Anekdote  vor,  wie  es  im  Judenstaat  aussehen  würde.  Zwei 
Juden  treffen  sich:  „Qu'est-ce  que  tu  fais  ici?"  —  „Je 
vends  des  lorgnettes.  Et  toi?"  —  „Je  vends  aussi  des 
lorgnettes." 

Auf  dieses  meisterhafte  Argument  antwortete  ich  ganz 
ruhig:  „Monsieur,  ni  vous,  ni  moi  nous  ne  vendons  des 
lorgnettes." 

Er  entschuldigte  sich  dann  wegen  dieses  Scherses  und 
erkannte  im  weiteren  Verlauf  an,  daß  der  Judenstaat  eine 
grol^  Akademie  sein  werde. 

Kontradiktorisch  lernte  er  den  Plan  kennen,  und  ich 
drückte  ihn  langsam  —  nur  mit  den  Beweisgründen  mei- 
ner „Rede  an  die  Juden"  —  an  die  Wand. 

Er  machte  hinter  seiner  Brille  immer  größere  Augen 
und  schwieg  endlich  ganz. 

19.  November. 

Nordau  ist  ganz  für  die  Sache  gewonnen,  wie  es  scheint. 

Die  Diskussion  mit  ihm  bewegt  sich  in  den  höchsten 
Einwürfen.  „Ob  die  Juden  sich  noch  anthropologisch 
zur  Bildung  eines  Volkes  eignen?"  u.  dgl. 

Das  werden  wir  ja  sehen. 

Nordau  glaubt,  daß  der  Plan  zur  Realisierung  drei- 
hundert Jahre  braucht. 

3i6 


dbyGoogle 


Ich  glaube :  dreißig  —  wenn  die  Idee  dnrchschlfigt. 

Nordau  empfiehlt  mir,  mich  in  Loadon  an  den  „Ha- 
magid"  und  „Jewish  Chrouicle"  zu  wenden.  Ich  soll  meine 
Broschüre  ins  Jfidischdeutsche  übersetzen  lassen,  auch 
ins  Hebrfiiscbe  für  die  Russen. 

Der  Schwerpunkt  der  Aktion  ist  nach  London  verlegt. 

London,  21.  November. 

Besuch  bei  Israel  Zangwill,  dem  Schriftsteller.  .  Er 
wohnt  in  Kilburn,  NW.  Fahrt  im  Nebel  durch  endtose 
Straßen.  Leicht  verstimmt  angekommen.  Das  Haus  ist 
ein  etwas  dürftiges  Heim.  In  der  mit  Büchern  tapezier- 
ten Studierstube  sitzt  Zangwitl  vor  einem  enormen  Ar- 
beitstisch, mit  dem  Bücken  gegen  den  Kamin.  Auch  dicht 
heim  Feuer  sein  Bruder,  lesend.  Machen  beide  den  Ein- 
druck fröstelnder  Südländer,  die  nach  der  ultima  Thale 
verschlagen  sind.  Israel  Zangwill  hat  einen  langnasigen 
Negertypus,  sehr  wollige,  tiefscbwarze,  in  der  Mitte  ge- 
echeitelte  Haare,  und  im  glattrasierten  Gesicht  den  Aus- 
druck von  hartem  Hochmut  eines  nach  schweren  Kämp- 
fen durchgedrungenen  ehrlichen  Strebers.  Die  Unord- 
nung in  seinem  Zimmer,  am  Arbeitstisch,  läßt  mich  er- 
raten, daß  er  ein  verinnerlichter  Mensch  ist.  Ich  habe 
nichts  von  ihm  gelesen,  glaube  aber,  ihn  zu  kennen.  Er 
muß  alle  Soi^alt,  die  sein  Äußeres  vermissen  läßt,  auf 
seinen  Stil  verwenden. 

Unsere  Unterredung  ist  mühsam.  Wir  sprechen  Fran- 
zösisch, das  er  nicht  genügend  beherrscht.  Ich  weiß  gar 
nicht,  ob  er  mich  versteht.  Dennoch  einigen  wir  uns  über 
Hauptpunkte.  Er  ist  auch  für  unsere  terntoriale  Selb- 
ständigkeit. 

Er  steht  aber  auf  dem  Rassenstandpunkt,  den  ich  schon 
nicht  akzeptieren  kann,  wenn  ich  ihn  und  mich  ansehe. 

3,7 


dbyGoogle 


Ich  meine  nur:  wir  siad  eine  historische  Einheit,  eine 
Nation  mit  anthropoIogischeD  VerschiedeoheiteD.  Das 
genügt  auch  für  den  Judeostaat.  Keine  Nation  hat  die 
Einheit  der  Rasse. 

Bald  kommen  wir  auf  das  Praktische.  Er  nennt  mir  die 
Namen  einiger  tauglicher  Männer: 

Colonel  Goldsmid,  Maler  Solomon,  Rabbiner  Singer, 
Mocatta,  Abrahams,  Montefiore,  Lucien  Wolf,  Joseph 
Jacobs,  N.  S.  Joseph,  natürlich  auch  der  Chief  Rabbi 
Adler. 

Mit  diesen  werde  ich  nSchsten  Sonntag  auf  dem  Ban- 
kett der  Makkabäer  eusammentreffen  und  für  Montag 
eine  Zusammenkunft  verabreden,  wo  ich  dann  meinen 
Plan  vortrage. 

Oberst  Goldsmid  —  mir  der  Wichtigste  —  liegt  mit 
seinem  Regiment  in  Cardiff. 

Zangwill  bittet  ihn  telegraphisch,  hierherzukommen. 
Ich  müßte  sonst  zu  ihm  nach  Cardiff. 

London,  22.  November; 

Herumgefahren  den  ganzen  Tag. 

Beim  Chief-Rabbi  Adler  gewesen.  Er  empfing  mich 
wie  einen  alten  Bekannten.  Er  hatte  Eile.  Ich  solle  mor- 
gen dinieren  kommen  in  sein  anderes  Haus  in  der  City. 
In  der  Eile  riet  er  .mir  von  den  Makkahäern  ab  —  sie 
seien  junge  einflußlose  Leute.  Ich  solle  lieber  mit  Lord 
Rothschild  und  anderen  sprechen.  Er  gab  mir  eine  Ein- 
führung an  Sir  Samuel  Montagu,  M.  P. 

Ich  fuhr  zu  Montagu  in  die  City.  Großer  Gesch&ftstag. 
Montagu  empfing  mich  zwischen  zwei  Maklern.  Ich  solle 
Sonntag  zu  ihm  lunchen  kommen.  Da  würden  wir  reden. 
Aber  er  mache  mich  gleich  auf  sein  Alter  aufmerksam. 
Er  tauge  zu  keiner  Aktion  mehr. 

3i8 


dbyGooglc 


Dann  zum  Rabbi  Singer.  Er  hatte  auch  Eile,  ich  ging 
mit  ihm  bis  tum  echönen  Tempel  in  Bayswater.  Ein  paar 
Worte  über  meinen  Zweck :  ich  wolle  die  Weltdiskusaion 
der  Judenfrage  anregen. 

Er  liebelte:  „You  are  amhitiousi" 

Ich  sagte :  „Das  ist  noch  das  wenigst  Phantastische  an 
meinem  Plan." 

Er  gab  mir  Rendezvous  für  Sonntag  ,,zum  Tee". 

Mein  Lieblingsgedanke  der  Transformation :  bin  ich 
nicht  wie  ein  hochentwickelter  jüdischer  ,, Gelehrter", 
der  herumfährt  und  von  Rabbinern  und  reichen  Leuten 
lum  Freitisch  gebeten  wird? 

Auf  Singers  Rat  an  Claude  Montefiore  nach  Brighton 
geschrieben,  er  möge  Sonntag  hierherkommen. 

Goldsmid  telegraphiert  an  ZangwUl,  daß  er  nicht  kom- 
men könne. 

23.  November. 

Abends  heim  Chief  Rabbi,  im  anderen  Haus  in  der 
City.  Er  hat  zwei  Häuser.  Das  in  der  City  bewohnt  er 
immer  von  Freitag  bis  Sonntag. 

Ich  fuhr  also  Finsbury-Square  vor.  Lange  klopfte  ich 
an  die  Tür.  Ich  hörte  nur  dahinter  leise  wispern.  End- 
lich ging  die  Tür  im  halbdunklen  Flur  auf,  und  ich  sah 
ein  überraschendes  Bild.  Ein  Schwärm  junger  Mädchen, 
die  lautlos,  wie  erschrocken,  geharrt  hatten  und  sich  jetzt 
im  Halbdunkel  verzogen. 

Ich  meinte,  es  wäre  eine  Samstagsschule  des  Rabbi.  Er 
sagte  mir  dann,  daß  eine  Dilettantenvorstellung  —  Kon- 
zert, Deklamation,  „Mädchenjauae"  —  bei  seiner  Toch- 
ter war. 

Es  kam  später  meinetwegen  Mr.  Joseph,  der  Schwager 
Adlers,  zum  Diner. 

Alles  englisch,  mit  durchschlagenden  altjfidischen  Zü- 

3i9 


dbyGoOglc 


geu.  Hier  empfand  ich  stark,  daß  das  Jüdische  nicht 
lächerlich  zu  sein  hraucht,  wie  bei  uns,  wo  wir  in  unseren 
Gebräuchen  mutlos  geworden  sind. 

Und  so  setrte  ich  nach  Tisch  meinen  Claquehut  auf, 
wie  die  anderen,  und  'hörte  dem  Nachtischgebet  des 
Rabbi  zu. 

Natärlich  hatte  ich  auch  dem  Chief-Rabbi,  wie  Zadok 
Kahn,  wie  Gödemann  gesagt,  daß  ich  keinem  religiösen 
Antrieb  in  der  Sache  gehorche.  Aber  ich  werde  doch  den 
Glauben  meiner  Väter  mindestens  so  ehren  wie  den  an- 
derer. 

Nach  Tisch  blieben  wir  Männer  allein,  es  kam  später 
noch  Elkan  Adler,  Advokat,  der  Bruder  des  Chief-Rabbi. 

Ich  erklärte  die  Sache. 

Der  Chief-Rabbi  meinte:  das  ist  die  Idee  von  Daniel 
Deronda. 

Ich  sagte :  „Ich  will  gar  nicht,  daß  die  Idee  neu  sei.  Sie 
ist  aooo  Jahre  alt.  Neu  ist  nur  das  Verfahren,  wie  ich 
die  Idee  lanciere  und  später  die  Society,  endlich  den 
Staat,  organisiere.  D.  h.  nicht  ,Ich',  denn  ich  ziehe  mich 
von  der  Ausführung  zurück,  die  unpersönlich  sein  muß. 
Ich  schaffe  nur  das  Organ,  welches  die  Sache  tu  führen 
hat." 

Mr.  Joseph,  ein  sympathischer,  ganz  anglisierter,  lang- 
sam denkender  und  umständlich  sprecheoder,  alter  Mann, 
seines  Zeichens  Architekt,  führt  die  bekannten  Einwen- 
dungen aus:  die  Juden  seien  kein  geeignetes  Menschen- 
material; die  Erfahrungen  des  englisch-russischen  Aus- 
wanderungskomitees waren  betrübend,  die  Leute  wollen 
nicht  arbeiten  usw. 

Ich  erklärte  ihm  dies  mit  der  Verfehltheit  der  bishe- 
rigen Versuche.  Die  Versuche  waren  schlecht,  das  Ma- 
terial ist  gut. 

3ao 


dbyGooglc 


Alles  wurde  durch  die  dumme  Wohltätigkeit  verschul- 
det. Die  Wohltätigkeit  muß  aufhören,  dann  werden  dio 
Schnorrer  verschwinden.  Die  bestehenden  jüdischen  Hilfs- 
komitees hahen  sich  uns  unterzuordnen  —  oder  sie  wer- 
den sich  auflösen. 

Der  Chief-Rahbi  sagte:  „Wir  werden  Ihren  Plan  dem 
anglonissischen  Komitee  vorlegen,  und  das  wird  ent- 
scheiden, ob  es  sich  an  Ihrer  Sache  beteiligt." 

Ich  erwiderte: ,, Selbstverständlich  wird  sich  dieses  Ko- 
mitee mit  der  Sache  beschäftigen,  aber  ich  lege  sie  ihm 
nicht  vor.  Ich  bin  nicht  majorisierbar.  Wer  mitgeht, 
ist  eingeladen.  Ich  wende  mich  zuerst  an  die  namhaften 
Juden,  die  sich  durch  ihre  bisherigen  Versuche  signali- 
siert haben,  aber  ich  brauche  sie  nicht.  Es  kann  mir  nur 
erwünscht  sein,  wenn  angesehene  Leute  mitgeben.  An- 
gewiesen bin  ich  auf  sie  nicht." 

Elkan  Adler  war  in  Palästina,  und  er  möchte,  daß  wir 
nach  Palästina  gingen.  Wir  hätten  dort  ein  enormes  Hin- 
terland. 

Zu  all  diesen  Gesprächen  tranken  wir  einen  leichten 
Rotwein  aus  einer  Zionskolonie. 

2ii.  November. 

Mittags  bei  Sir  Samuel  Montagu.  M.P.  —  Haus  von  eng- 
lischer Eleganz  im  großen  Stil.  Sir  Samuel  ein  präch- 
tiger alter  Bursche,  der  beste  Jude,  den  ich  bisher  ge- 
sehen. Präsidiert  bei  Tisch  seiner  übrigens  unliebens- 
würdigen —  oder  nur  wohlerzogenen  —  Familie  als  ein 
gutmütiger  Patriarch. 

Koschere  Köche  von  drei  livrierten  Dienern  serviert. 

Nach  Tisch  im  Rauchzimmer  meine  Sache  entwickelt. . 
Ich  habe  ihn  allmählich  begeistert.  Er  gestand  mir  —  im 
Vertrauen  —  er  füble  sich  mehr  als  Israelit  denn  als 

*I     Benla  TasebdoheT  I.  3a  I 


dbyGoogle 


Engländer.  Er  würde  sich  mit  seiner  ganzen  Familie  in 
PalSstina  niederlassen.  Er  denkt  sich  ein  großes,  nicht 
das  alte  Palästina. 

Von  Argentinien  will  er  nichts  wissen. 

Er  ist  bereit,  ins  Komitee  einzutreten,  wenn  eineGroß- 
macht  die  Sache  ernst  nimmt. 

Ich  soll  ihm  vor  der  definitiven  Publikation  die  Bro- 
schüre schicken. 

*  *     * 
Abends  bei  den  „MakkabSern". 
Mageres  Diner,  aber  guter  Empfang. 
Alle  bewillkommnen  mich  herzlich. 

Unter  den  Klubmitgliedern  zumeist  gebildete  Juden. 
Ein  strammer  Offizier,  Captain  Nathan,  der  einmal  als 
MilitSrattachi  nach  Wien  gehen  sollte,  aber  wegen  seines 
Judentums  abgelehnt  wurde. 

Nach  Tisch  gibt  mir  Zangwill  mit  einer  leicht  satiri- 
schen Einführung  das  Wort. 

Ich  spreche  frei,  in  drei  Abteilungen.  Die  ersten  zwei 
deutsch.  Reverend  Singer  macht  sich  dabei  Notizen  und 
resümiert  nach  jeder  Abteilung  englisch,  was  ich  gesagt 
habe. 

Die  dritte  Abteilung  spreche  ich  französisch. 

Meine  Rede  hat  Beifall.  Sie  beraten  leise  unter  sich 
und  ernennen  mich  einhellig  zum  Ehrenmitglied. 

Folgen  die  Einwendungen,  die  ich  widerlege. 

Die  wichtigste :  der  englische  Patriotismus. 

*  *    * 

25.  /Vowemier,  in  Cardiff. 
Beim  Oberst  Goldsmid. 

Als  ich  ankam,  erwartete  mich  auf  dem  Bahnhof  der 
Oberst    in    Uniform.     Mittelgroß,    kleiner    schwarzer 

3a2 


dbyGoogle 


Schourrbart,  anglisiertes  Judengesicht  mit  guten  klugen 
dunklen  Augen. 

Vor  dem  Bahnhof  wartete  ein  kleiner  Jagdwagen. 
Der  Oberst  hatte  sein  Pferd,  auf  dem  er  vor  und  hinter 
dem  Wagen  ritt.  Wir  sprachen  ein  paar  Worte,  wäh- 
rend wir  durch  Cardiff  nach  seinem  Haus  „The  Ehns" 
fuhren. 

Er  sagte  mit  vergnügtem  Gesichtsausdruck :  „Wir  wer- 
den arbeiten  für  die  Befreiung  von  Israel." 

Dann  erzählte  er  mir,  er  sei  Kommandierender  in  Car- 
diff und  Umgebung,  zeigte,  erklärte  mir  die  Stadt. 

In  The  Elms  wartete  Mrs.  Goldsmid,  eine  feine  hagere 
Engländerin,  und  ihre  beiden  jungen  Töchter  Rahel  und 
Carmel.  Englisches  Willkommenheißen,  wobei  man  sich 
gleich  wie  ein  alter  Bekannter  fühlt. 

Nachmittags  las  ich  dem  Colonel  den  Plan  vor.  Er 
versteht  nicht  gut  Deutsch,  die  Erklärung  schleppte  ein 
wenig. 

Aber  er  sagte :  „That  b  the  idea  of  my  life." 

Die  Leitung  der  Sache  kann  er  nicht  übernehmen,  weil 
sie  eine  politische  ist,  und  er  darf  als  Offizier  keine  ak- 
tive Politik  machen. 

Käme  aber  die  Bewegui^  zustande,  würde  er  die  eng- 
lischen Dienste  verlassen  und  in  jüdische  treten.  Nur 
möchte  er  statt  Juden  Israeliten  sagen,  weil  Israel  alle 
Stämme  umfaßt. 

Er  zeigte  mir  die  Fahne  von  Chovevei  Zion :  Zeichen  der 
zwölf  Stämme.  Dagegen  rollte  ich  meine  weiße  Fahne 
mit  den  sieben  Sternen  auf. 

Dennoch  verstanden,  verstehen  wir  uns.  Er  ist  ein  wun- 
derbarer Mensch. 

Nach  dem  Diner,  als  die  Damen  und  der  andere  ein- 
geladene englische  Oberst  im  Salon  waren,  ging  ich  mit 

3a3 


dbyGoogle 


Goldsmid  ins  Rauchzimmer.  Und  da  kam  die  merkwür- 
dige ErzihluDg. 

„Ich  bin  Daniel  Deronda",  sagte  er.  „Ich  bin  als  Christ 
geboren.  Vater  und  Mutter  waren  getaufte  Juden.  Ab 
ich  das  als  junger  Mensch  in  Indien  erfuhr,  beschloß  ich, 
xum  Stamm  der  Väter  zurückzukehren.  Als  Lieutnant 
trat  ich  zum  Judentum  über.  Meine  Familie  war  darüber 
empört.  Meine  Frau  war  auch  Christin  von  jüdischer  Ab- 
kunft. Ich  entführte  sie,  ließ  mich  zuerst  in  Schottland 
frei  trauen;  dann  mußte  sie  zum  Judentum  übertreten, 
und  wir  vermählten  uns  in  der  Synagoge.  Ich  bin  ein 
<^thodoxer  Jude.  Es  hat  mir  in  England  nicht  geschadet. 
Meine  Kinder  Rahel  und  Carmel  sind  streng  religiös  er- 
zogen, lernten  früh  Hebräisch." 

Das  und  die  Erzählungen  von  Südamerika  klangen  wie 
ein  Roman.  Weil  er  für  Hirsch  in  Argentinien  war  und 
die  Verhältnisse  kennt,  ist  sein  Rat  zu  hören:  daß  nur 
Palistina  in  Retracht  kommen  könne. 

Die  frommen  Christen  Englands  würden  uns  helfen, 
wenn  wir  nach  Palästina  gingen.  Denn  sie  erwarten  nach 
der  Heimkehr  der  Juden  das  Erscheinen  des  Messias. 

Ich  stehe  plötzlich  in  einer  anderen  Welt  mit  Gold- 
smid. 

Er  will  das  heiUge  Grab  Stein  für  Stein  den  Christen 
zustellen.  Ein  Teil  nach  Moskau,  ein  anderer  nach  RomI 

Er  denkt  auch  wie  Montagu  an  ein  größeres  Palästina. 

Gut  ist  seine  Idee,  den  Großgrundbesitz  durch  eine  pro< 
gressive  Grundsteuer  zu  treffen.    Henry  George  1 


Der  Wiener  Klavierspieler  Rosenthal  war  in  Cardiff. 
Ich  schrieb  ihm,  er  solle  nach  den  ,EIms'  kommen.  Er  kam 
nach  dem  Konzert. 


324 


dbyGoogle 


Rahel  und  Carmel  lauachten  in  anmutigen  Haltungen. 
Wirklich  eine  andere  Welt.  Schon  hatte  ich  die  jüdischen 
Aristokratinnen  der  kommenden  Zeit  vor  mir.  Feine 
Wesen,  mil  einem  orientalischen  Zug,  sanft  und  träume- 
risch. Und  als  Nippessache  lag  auf  dem  Salontisch  eine 
ThoraroIIc  in  silberner  Hülle. 

26.  November,  Cardiff. 
Abschied  von  Oberst  Goldsmid.  Er  ist  mir  schon  ans 
Herz  gewachsen,  wie  ein  Bruder. 

26.  November,  London. 

Abends  bei  Rev.  Singer. 

Ich  hatte  Asher  Myers  vom  Jewisb  Chronicle,  Dr.  Hirsch, 
den  Sekretär  von  Chovevei  Zion,  und  den  Maler  Solomon 
hinbestellt. 

Die  Herren  warteten  schon,  als  ich  kam. 

Die  Besprechung  artete  in  tbeologisierende  Diskussion 
aus. 

Asher  Myers  fragte:  „What  is  your  relation  to  the 
Bible?" 

Ich  sagte:  ,,Ich  bin  Freidenker,  und  unser  Prinzip  wird 
sein,  daß  jeder  nach  seiner  Fagon  selig  wird." 

Hirsch  fragte,  ob  ich  die  Fahne  von  Chovevei  Zion 
aimehme. 

Ich  antwortete  mit  meiner  national-sozialen  Fahne: 
weißes  Feld,  sieben  Sterne.  Die  Zionsfahne  kann  denen, 
die  es  wollen,  als  Tempelfahne  dienen. 

Schließlich  gelang  mir 's  nicht,  die  geplante  Zentral- 
stelle zu  schaffen.  Singer  möchte  wohl  mittun,  aber  der 
unduldsame  Asher  Myers  sagte :  „Sie  dürfen  nicht". 

Singer  meinte,  man  müsse  die  Sache  zuerst  den  nam- 
haften Juden :  Lord  Rothschild,  Mocatta,  Montefiore  usw. 
onterbreiten. 

335 


dbyGoogle 


Ich  antwortete :  „Ich  bin  nicht  majorisierbar.  Es  ist  die 
Sache  der  armen  Juden,  nicht  der  reichen.  Der  Protest 
der  letzteren  iat  null,  nichtig  und  wertlos.  Ich  möchte 
dennoch  die  Sache  durch  ein  Komitee  machen  lassen, 
weil  sie  unpersönlich  geführt  werden  muß." 

Aaher  Myers  sagte:  „Nein,  Sie  sind  der  Mann,  sie  su 
führen.  Sie  müssen  der  Mfirtyrer  dieser  Idee  sein.  Die 
orthodoxen  Juden  werden  mitgehen,  aber  Sie  für  einen 
schlechten  Juden  halten.  Und  Kwar  werden  die  Juden 
nicht  nach  Argentinien,  sondern  nach  PalSstina  wollen." 

Er  verlangte  ein  Resumd  meiner  Broschüre  für  den 
Jewish  Chronicle,  was  ich  ihm  auch  versprach. 

Beim  Weggehen  tröstete  mich  Solomon.  Er  glaube,  die 
von  mir  gewünschte  Studiengesellschaft  werde  sich  im 
Schoß  des  Maccabaean  Club  bilden.  Sein  Schwager  Bent- 
wich  sei  begeistert.  Der  Klub  werde  einige  Sonntage  hio- 
tereiuander  über  mein  „Pamphlet"  beraten. 

Auch  recht. 

Parts,  28.  November. 

Rev.  Singer  begleitete  mich  auf  den  Bahnhof  von  Cba- 
ring  Gross.  Ich  fuhr,  um  mit  ihm  noch  länger  sprechen 
2u  können,  erst  um  elf  Uhr  weg  statt  um  zehn. 

An  ihn  werde  ich  Broschüre  und  Briefe  schicken.  Vor- 
läufig ist  er  mein  Hauptvertreter  in  London.  Er  scheint 
auch  der  Sache  sehr  ergeben. 

Er  war  von  merkwürdiger  Aufmerksamkeit  in  den 
letzten  Viertelstunden. 

Dann  gute  Überfahrt ;  aber  in  Paris  kam  ich  krank  an. 
Nordau  konstatiert  Bronchialkatarrh.  Ich  muß  schauen, 
daß  ich  nach  Hause  komme  und  die  Broschüre  fertig 
mache. 

„Ein  Prophet  muß  eine  gute  Lunge  haben",  sagt  Nor- 
dau. 

3a6 


dbyGoOglc 


,^it  so  einem  Winterrock  ist  man  kein  Prophet",  ant- 
worte ich  ergOtzt. 

Nordau  ist  jetzt  zuräckhaltender,  als  vor  der  Abreise 
nach  London. 

Er  wird  sich  an  der  Sache  beteiligen  „innerhalb  der 
Grenze  des  Möglichen". 

*  *     * 

Dagegen  war  Bildhauer  Beer  gleich  Feuer  und  Flamme 
für  die  Idee  bei  der  ersten  Andeutung.  Kam  auch  am 
Abend,  als  ich  mich  mit  meinem  Katarrh  niederlegte,  und 
entwarf  Pläne:  die  Wüste  urbar  machen,  Humus  von 
Afrika  nach  Palistina  importieren,  Wälder  anlegen  usw. 

Beer  wird  eine  ausgezeichnete  Hilfskraft  sein,  ich  wu&te 
es  immer. 

Abschiedsvisite  bei  Zadok  Kahn. 

29.  November. 

Er  war  wieder  sehr  liebenswürdig.  Er  halte  meine  Lö- 
sung für  die  einzige.  Ich  solle  Salomon  Reinach  spre- 
chen. Ich  sagte,  ich  bin  jetzt  zu  möd.  Von  den  franz<>- 
siscfaen  Juden  erwarte  ich  tatsSchlich  gar  nichts. 

Zadok  meinte  noch,  ich  möge  Edmund  Rothschild  die 
Broschüre  schicken. 

Ich :  „Fällt  mir  nicht  ein." 

*  «     * 

Wien,  15.  Dezember. 
Im  internationalen  Verkehr  gibt  es  weder  Recht  noch 
Menschlichkeit.  Die  Abwesenheit  dieser  beiden  —  könnte 
man  scherzen  —  macht  die  Judenfrage  zu  einer  inter- 
nationalen. 

15.  Dezember. 
Mimikry  der  Juden. 
Wir  gewöhnten  uns  dabei  hauptsSchlich  unsere  guten 

3j7 


dbyGoogle 


Eigenschaften  ab,  weil  solctie  Nationalminuker  zumeist 
nur  schlechte  haben. 

24'.  De^mber. 
Eben  zündete  ich  meinen  Kindern  den  Weihnachts- 
baum an,  als  GQdemann  kam.  Er  schien  durch  den 
„christlichen"  Brauch  verstimmt.  Na,  drücken  lasse  ich 
mich  nicht!  Aber  meinetwegen  soll's  der  Ghanukahaum 
heißen  • —  oder  die  Sonnenwende  des  Winters? 


Der  jüdische  Verleger  Cronbach  in  Berlin  will  von 
meinem  Broschüre-Antrag  nichts  wissen.  Es  sei  gegen 
seine  Ansichten.  Ich  tröstete  mich,  als  ich  auf  dem  Brief- 
kuvert sah,  daß  er  eine  Friseurzeitung  u.  dgl.  verlegt. 

Dann  an  Duncker  &  Humblot  geschrieben,  die  auch 
nichts  davon  wissen  wollen. 

Selbstverlag  also?  Wenn  die  Broschüre  „geht",  würde 
ich  wie  ein  GeschSftsmann  ausseben  I 


18.  Jänrur  1896. 

Schidrowitz  telegraphiert  heute  aus  London,  daß  mein  . 
Vorartikel  „Die  Lösung  der  Judenfrage"  im  Jewish  Chro- 
nicle  erscbienen  ist.  Der  erste  Schritt  in  die  Öffentlich- 
keit. 

19.  Jänner. 

Mit  dem  Verleger  Breitenstein  abgeschlossen. 

Er  war  begeistert,  als  ich  ihm  einige  Stellen  aus  der 
nach  langer  Mühe  endlich  fertigen  Schrift  vorlas. 

Den  Titel  habe  Ich  geändert.  „Der  Judenstaat". 

Jetzt  fühle  ich  die  Erleichterung  nach  getaner  Arbeit. 

Einen  Erfolg  erwarte  ich  nicht. 

3a8 


dbyGoogle 


Ich  kehre  gelassen  zu  meinen  literarischen  Arbeiten 
lorück.  ZunSchst  arbeite  ich  das  „Ghetto"  um. 

22.  Jänner. 
Die  erste  Zustimmungskundgebung   von  einem  Lon- 
doner Buchhändler  P.  Michaelis,  der  mir  „seine  Zunei- 
gung und  Kraft"  zur  Verfügung  stellt. 

23.  Jänner. 
Die  zweite  vom  Rabbiner  A.  K  .  .  .  in  Prag,  der  mich 

zur  Bildung  einer  jüdischen  Nationalpartei  in  Osterreich 
auffordert. 

Ich  antworte  ihm,  daß  ich  glaube,  mich  vorläufig  von 
jeder  persönlichen  Agitation  zurückhalten  zu  sollen. 

25.  Jänner. 

Dr.  Lieben,  Sekretär  der  hiesigen  Judengemeinde,  war 
auf  der  Bedaktion.  Ich  sprach  ihn  in  Bachers  Zimmer. 
An  Lieben  ist  aus  London  die  Anfrage  gekommen,  ob  ich 
der  Verfasser  der  Utopie  im  Jewish  Chronicle  sei.  Er 
hat  geantwortet,  er  glaube  nicht,  „denn  er  kenne  mich  als 
vernünftigen  Menschen". 

Im  Gespräch  brachte  er  nacheinander  die  bekannten 
ersten  Einwände  vor. 

Als  ich  sagte,  ich  sei  ein  nationaler  Jude,  sagte  er: 
„Das  reden  Sie  sich  ein." 

Ich  gab  mir  weiter  keine  Mühe  mit  ihm. 

27.  Jänner. 
Güdemann  hat  die  ersten  Druckbogen  gelesen,  schreibt 
mir  begeistert.  Er  glaubt,  die  Schrift  werde  wie  eine 
Bombe  einschlagen,  werde  Wunder  vnrken.  Der  Chief- 
Rabbi  Adler  habe  ihm  geschrieben,  er  halte  die  Sache  für 
undurchführbar  und  zugleich  für  gefährlich.  Der  Chief- 

3a9 


dbyGoogle 


Rabbi  hat  eine  zu  gute  Position,  um  Gefallen  an  meiner 
Sache  finden  zu  können.  Das  alles  irritiert  mich  nicht. 

1.  Febriuu-. 

Die  Broschüre  ist  in  den  Abzügen  fertig. 

In  der  Redalttion  bat  man  schon  Wind  davon. 

Oppenheim  hat  den  Jewish  Chronicle  gelesen  und  spöt- 
telt: „der  jüdische  Jules  Verne".  Er  sieht  darin  „Stoff" 
für  ein  humoristisches  Wochen-Entrefilet. 

Mit  meinem  Grundgedanken  von  der  Transformation 
erkenne  ich  darin  den  Spötter  auf  der  Gasse,  der  den 
Propheten  oder  Volksredner  auslacht. 

Ich  sagte  ihm,  in  verbindlichem  Ton  natürlich:  „Wer 
darüber  Witze  machen  wird,  über  den  werde  auch  ich 
Witze  machen.  Ich  kann  böse  Witze  machen." 

Er  erwiderte :  „Der  böseste  Witz  ist  die  Publikation  der 
Sache.  Wenn  der  Chronicte-Artikel  deutsch  erscheint, 
gibt  es  ein  Hailob  der  Antisemiten.  Ja,  das  wäre  ihnen 
gerade  recht." 

Ein  anderer  Mitarbeiter  (vom  .Economisten')  meint, 
er  und  seine  Braut  hätten  den  Chronicle  gelesen  und  be- 
schlossen, nicht  mitzugeben.  Ich  habe  ihn  mit  einem  Lä- 
cheln abgewiesen. 

Es  ist  mir  übrigens  schon  klar,  welche  Widerstände  und 
von  welcher  Seite  ich  sie  haben  werde.  Der  Journalistea- 
spaß  ist  jetzt  die  nächste  Gefahr.  II  faudra  leur  montrer, 
que  j'ai  Vipaule  terrible. 

Den  Verlauf  denke  ich  mir  übrigens  so :  wird  die  Sache 
einschlagen,  so  werden  sie  sich  mit  dumpfem  Neid  be- 
gnügen. 

Wird  die  Explosion  nur  une  explosion  de  rire  sein, 
so  bin  ich  ins  Närrische  deklariert.  Das  ist  das  Opfer  — 
von  den  vorläufig  nur  geahnten,  wohl  noch  viel  schw^ 

33o 


dbyGoogle 


reren  abgesehen  —  das  ich  jetit  im  vollen  Bewußtsein  der 
Judensache  bringe.  Ich  werde  ,, ernst  genommen",  eine 
Chefredaktion  ist  mir  schon  angeboten  worden;  andere 
solche  Antrfige  würden  noch  kommen,  noch  viel  bessere. 
Schon  meine  Stellung  ist  gut  genug  und  würde  sich  täg- 
lich bessern.  Ich  glaube,  daß  ich  selbst  meine  Stellung 
gefährde  —  denn  ich  werde,  ungeachtet  jener  damaligen 
Zusage  Bachers,  vermutlich  in  einen  Konflikt  mit  den 
Herausgebern  kommen.  Es  wird  viel  diplomatische  Ge- 
schicklichkeit von  meiner  Seite  erfordern,  um  diesen  Kon- 
flikt möglichst  weit  hinauszuschieben.  Ich  fühle  schon 
jetzt,  daß  ich  ihnen  ungeachtet  meiner  Leistungen  unbe- 
haglich bin.  Vielleicht  wird  sich  das  nach  einem  guten 
Erfolg  der  Broschüre  —  der  Oppenheims  „Hailoh"  nicht 
zur  Folge  hat  —  ändern.  Wenn  es  mir  aber  schlecht 
geht,  glaube  ich,  werden  sie  mich  im  Stich  lassen  und 
mich  vielleicht  durch  die  Form  der  Polemik  gegen  meine 
Broschüre  zwingen,  die  Redaktion  aus  Selbstachtung  zu 
verlassen. 

2.  Februar. 

Der  Ex-Ahgeordnete  Bloch  ist  mit  einem  Brief  Güde- 
manns  gekommen  und  bittet  mich  um  einige  Kapitöl  der 
Broschüre  für  seine  Österreichische  Wochenschrift.  Gü- 
demann  iat  begeistert  und  schreibt :  „meine  Kollegen  soll- 
ten mir  Kränze  winden". 

Bloch  scheint  Vertrauea  zur  Sache  zu  haben.  Ich 
brauche  solche  Berufspolitiker  wie  Bloch.  Er  glaubt  nur, 
daß  die  Sache  von  der  Mitwirkung  der  Rothschilds  ab- 
hänge. Das  glaubte  ich  anfangs  auch.  Ich  glaube  es  nicht 
mehr.  Bloch  meint,  es  sei  ausgeschlossen,  daß  man  das 
Ganze  für  einen  Scherz  halten  werde.  Ich  sei  hierin  zu 
ängstlich.  Na,  ich  meine,  daß  vom  ersten  Eindruck  we- 
nigstens die  Geschwindigkeit  der  Entwicklung  abhänge. 

33 1 


dbyGoogle 


2.  Februar. 
Nachmittags  im  Prater  Güdemaon  getroffen.  Er  sagte: 

„Eben  habe  ich  an  Sie  gedacht.  Sie  wissen  gar  nicht, 
welch  ein  großes  Werk  Sie  gemacht  haben." 

Er  war  ganz  begeistert,  verspricht  sich  enorme  Wir- 
kung. 

3.  Februar. 
Dumpfe  Stimmung  in  der  Redaktion.  Habe  mit  Bacher 

gesprochen.  Er  hat  viele  schwere  große  Bedenken.  Haupt- 
gofahr,  daß  ich  sage :  wir  können  uns  nicht  assimilieren. 
Das  werden  die  Antisemiten  aufgreifen,  wie  sie  überhaupt 
die  für  sie  brauchbaren  ,,WeinberIn"  aus  meinem  Text 
herauslösen  und  dauernd  zitieren  werden.  Ähnlich  heißt's 
im  heute  eingetroffenen  Brief  Levysohns,  der  mir  an- 
zeigt, daß  er  mich  scharf  bekämpfen  werde:  ich  hfitte 
wohl  recht,  daß  ich  der  Diskussion  ein  anderes  Terrain 
gebe;  aber  die  Verschiebung  findet  zu  unseren  Ungunsten 
statt. 

Während  ich  mit  Bacher  sprach,  kam  GoMbaum  her- 
ein. Der  gab  mir  sonderbarer ich  erkannte  gleich: 

tückischerweise  eine  Reklamation  eines  Feuilleton- 
cinsenders,  der  sich  über  das  Liegenbleiben  eines  Manu- 
skriptes beschwerte.  Es  war  genau  so,  wie  wenn  er  meine 
von  ihm  für  erschüttert  gehaltene  Position  im  Blatte  noch 
weiter  erschüttern  wollte. 

Auch  das  Gespräch,  das  er  führte,  war  voll  von  An- 
züglichkeiten. Er  sprach  vom  Bulgarenfürsten  Ferdinand 
und  vom  Grafen  Gotuchowski,  den  man  fallen  lassen 
wolle,  weil  er  durch  seine  Neuerungen  Verlegenheiten 
bereite,  weil  er  eine  Gefahr  sei. 

Als  wir  dann  hinausgingen,  gab  er  mir  die  ihm  ge- 
liehenen Bürstenabzüge  meiner  Schrift  und  sagte:  „Sie 
haben  mich  ergriffen,  aber  nicht  überzeugt". 

333 


dbyGoogle 


Nach  diesen  herzlich  kliogenden  Worten  glaubte  ich 
schon,  sein  Benehmen  in  Bachers  Zimmer  in  meiner 
Nervosität  falsch  verstanden  zu  hahen. 

Aher  als  ich  nach  Hause  kam,  sah  ich,  daß  er  an  swei 
Stellen  die  Broschüre  gar  nicht  aufgeschnitten  hatte. 

Noch  einmal  war  ich  vor  dem  Weggehen  in  Bachers 
Zimmer.  Benedikt  kam  herein,  wollte  beinahe  zurück, 
als  er  mich  sah.  Ich  fragte  ihn,  ob  er  meine  Schrift  ge- 
lesen habe.  Er  antwortete:  „Ich  kann  mich  mit  kleinen 
BemSngelungen  dieser  oder  jener  Stelle  nicht  aufhalten. 
Man  muß  das  Ganze  nehmen  —  oder  nicht  nehmen." 

Das  „Nicht  nehmen"  in  heruntergehendem  Ton  gespro- 
chen. Das  war  alles.  Und  doch  eine  geradezu  dramatische 
Wendung.  Wolken  hingen  über  diesem  kurzen  Gespräch. 
Wir  hatten  einander  verstanden  —  und  gingen,  als  ob 
nichts  Ernstes,  Großes  vorläge,  zu  gleichgültigen  Dingen 
über,  sprachen  von  der  Osternummer,  für  die  ein  Beitrag 
Lomaltres  zu  verlangen  sei  u.  dgl. 

3.  Februar. 

Abends. 

Ich  habe  Benedikt  richtig  beurteilt.  Er  kam  abends  in 
mein  Zimmer  und  bat  mich  —  er  michl  —  um  eine  Un- 
terredtmg.  Er  wolle  „nicht  als  Neue  Freie  Presse,  son- 
dern als  Person"  mit  mir  Ober  die  Sache  sprechen.  Ich 
solle  nichts  Entscheidendes  tun  vor  dieser  Rücksprache; 
nichts,  was  nicht  mehr  ungeschehen  gemacht  werden 
kOnne. 

Ich  sagte:  „Ich  werde  die  Broschüre  nicht  früher  er- 
scheinen lassen,  aber  aufhalten  kann  ich  den  Druck  nicht. 
Spätere  Änderungen  würden  Kosten  verursachen." 

Er  antwortete:   „Das  ist  ja  mit  Geld  auszugleichen." 

Ich  weiß  nicht,  ob  ich  das  recht  verstanden  habe.  Will 

333 


dbyGoogle 


er  mir  Geld  dafür  anbieten,  daß  ich  die  Publikation  un- 
terlasse? 

Jedenfalls  ist  meine  Antwort  morgen  oder  übermorgen 
—  wann  dieses  schwere  Treffen  stattfinden  wird  —  vor- 
gezeichnet. Ich  werde,  ich  muß  ihm  sagen :  Meine  Ehre 
ist  engagiert.  Selbst  wenn  ich  wollte,  könnte  ich  die 
Sache  nicht  mehr  rückgängig  machen.  Der  Gedanke  ist 
im  Chronicle-Artikel  ausgesprochen.  Er  gehört  nicht 
mehr  mir.  Schwiege  ich,  gäbe  ich  die  öffentlich  verspro- 
chene Schrift  nicht,  so  sähe  ich  aus,  wie  wenn  ich  mich 
den  reichen  Juden,  die  dagegen  sind,  verkauft  hätte.  — 
Auf  kleine  Änderungen,  die  er  wünscht,  werde  ich  mich 
einlassen,  ihn  aber  die  Druokkosten  für  die  verlangten 
Änderungen  bezahlen  lassen.  Diese  Zahlung  hat  nSmIich 
in  eventum  einen  Beweis  herzustellen,  den  ich  vielleicht 
einmal  brauchen  werde. 

Wie  recht  hatte  ich  aber,  als  ich  heute  nachmittags 
meinen  Eltern  sagte,  daß  ich  schon  mitten  im  Konflikt 
stehe. 

Ja,  ich  glaube,  daß  jetzt  der  schwerste  Kampf  spielt. 
Es  ist  darin  eine  beinahe  pantomimische  Lautlosigkeit, 
ein  dramatischer  Höhepunkt  mit  wenig  Worten,  aber 
jedes  Wort  ist  tragische  Aktion. 

Die  Neue  Freie  Presse  ringt  mit  mir,  der  Chef  mit  dem 
Angestellten.  Er  hat  alle  Kraft  einer  überlegenen  Posi- 
tion; ich  habe  das  gute  Recht  für  mich. 

Ein  äußerstes  Zugeständnis  kann  ich,  wenn  er  mich  in 
die  Enge  treibt,  machen :  daß  ich  auf  den  versprochenen 
Artikel,  der  meine  ganze  Entschädigung  für  die  ausge- 
schlagene Chefredaktion  war,  verzichte. 

3.  Februar. 

In  der  Buchdruckerei  gewesen,  mit  den  Leitern,  Brüder 
HoUinek,  gesprochen.    Sind  beide  vermutlich   Antise* 


dbyGoogk 


miteo.  Sic  begrüßten  mich  ernst  und  herzlich.  Die  Bro- 
BchQre  hat  ihnen  gut  gefallen.  Der  eine  sagt :  Es  war  not- 
wendig, daß  ein  Mann  aufgestanden  ist,  der  die  Vermitt- 
lung flberDimmt. 

'  U.  Februar. 

Nachts  stundenlang  aufgelegen,  die  Situation  in  der 
Neuen  Freien  Presse  überdacht.  Es  bt  kein  Zweifel,  daß 
ich  mitten  im  Kampf  bin.  Bacher  sagte  gestern:  „Sie 
verbrennen  die  Schiffe  hinter  sichl" 

Ich  muß,  wenn  ich  mit  Benedikt  rede,  ihm  zu  verstehen 
geben,  was  ihnen  bevorsteht,  wenn  sie  mir  ihr  Wort  nicht 
halten. 

Sollte  er  mich  aus  der  Redaktion  hinausdrfiogen,  so 
muß  ich  sofort  ein  anderes  Blatt  zur  Verfügung  haben. 
Im  NotfaU  mache  ich  noch  eine  Broschüre,  worin  alle 
Vorgänge  in  kühlem  Ton  erzählt  werden. 

In  diesem  Feldzug  war  ich  lange  auf  die  erste  Schlacht 
vorbereitet.  Ich  bin  nur  geradeaus  marschiert.  Plötzlich 
ein  kleines  Treffen,  das  nach  gar  nichts  aussieht.  Wenige 
Schüsse  herüber,  hinüber. 

Und  doch  weiß  ich  schon,  daß  die  große  Schlacht, 
vielleicht  die  Entscheidungsschlacht,  begonnen  hat. 

Ich  muß  hart  und  fest  bleiben,  auf  keine  Verschleppung 
eingehen,  kein  Versprechen  mehr  annehmen.  Ehrlichs 
Worte  sind  mir  im  Gedächtnis:  ,,sie  werden  Ihnen  das 
Versprechen  nicht  halten!" 

Ich  setze  viel  ein,  meine  ganze  Position  —  aber  die 
Neue  Freie  Presse  auch  1 

4.  Februar. 

Mein  Verleger  Breitenstein  will  vorerst  nur  3ooo  Exem- 
plare drucken  lassen.  Er  hat  noch  kein  Vertrauen  in  den 
buchhändlerischen  Erfolg  I 

335 


dbyGoogle 


U.  Februar, 

Kampfuaterredung  mit  Benedikt. 

Er  sagte :  i .  dürfe  kein  einzelner  die  ungeheure  mora- 
lische Verantwortung  auf  sich  nehmen,  diese  Lawine  ins 
Rollen  zubringen,  so  viele  Interessen  zu  gefährden.  2.  Wir 
werden  das  jetzige  Vaterland  nicht  mehr  und  den  Ju- 
denstaat noch  nicht  haben.  3.  Die  Broschüre  ist  unreif 
für  die  Veröffentlichung. 

Es  sei  eine  persönliche  Gefahr  für  mich,  indem  ich 
meinen  erworbenen  Nimbus  aufs  Spiel  setze.  Damit  schä- 
dige ich  zugleich  die  Zeitung,  zu  deren  Besitzstand  mein 
literarisches  Henommee  gehört.  Ich  befinde  mich  zudem 
io  direktem  Gegensätze  zu  mehreren  Prinzipien  derNeuen 
Freien  Presse.  Er  wünscht,  daß  ich  die  Publikation  unter- 
lasse. , 

Ich  antwortete:  „Meine  Ehre  ist  engagiert.  Ich  habe 
den  Gedanken  schon  im  Jewish  Chronicle  publiziert.  Er 
gehört  nicht  mehr  mir,  sondern  den  Juden.  Wenn  ich 
jetzt  schwiege,  würde  ich  meine  Reputation  erst  recht 
gefährden." 

Er  bat  mich,  noch  zu  überlegen.  Ich  solle  die  Publi- 
kation mindestens  um  einige  Monate  verschieben.  Er 
selbst  wolle  mir  bei  der  nötigen  Umarbeitung  helfen. 

Ich  frage:  „Wann?" 

Er  antwortet:  „Im  Sommer  —  wenn  ich  auf  Ferien 
gehe." 

Ich  lachte  nur  in  mich  hinein. 

Er  bedrohte  mich  in  verständlicher  Weise,  wenn  er 
auch  mein  Recht,  die  Broschüre  zu  publizieren,  aus- 
drücklich anerkannte.  Er  warnte  mich  „als  Freund",  „als 
erfahrener  Journalist"  eindringlich.  Er  „riet  mir  drin- 
gend", er  „wünschte  dringend".  Er  sagte:  „Sie  sind  ja 
gar  kein  Österreicher,  sondern  ein  Ungar." 

336 


dbyGooglc 


Ich  erwiderte:  „Ich  bin  österreichischer  Staatsbürger". 

Er  erzShIte  mir  eine  bei  den  Haaren  herbeigezogene 
Geschichte  mit  der  Poiate :  es  sei  seine  Gewohnheit,  „mit 
der  Faust  dreinzuschlagen,  wenn  ihm  etwas  zu  dumm 
wird". 

Er  ließ  einfließen,  daß  er  mit  der  jungen  Schriftsteller- 
weit  gut  befreundet  sei.  (Was  die  Drohung  enthält,  daß 
ich  im  Feuilleton  leicht  zu  ersetzen  wSre.) 

Er  kitxelte  meine  Eitelkeit:  „Eis  ist  nicht  gleichgültig, 
wenn  der  Dr.  Theodor  Herz]  eine  solche  Schrift  publi- 
ziert. Sie  sind  einer  unserer  hervorragendsten  Mitarbei- 
ter, ein  Stück  Neue  Freie  Presse.  Mindestens  sollten  Sie, 
wenn  Sie  schon  die  Schrift  publizieren,  Ihren  Namen 
nicht  darauf  setzen." 

Ich  sagte:  ,J)as  wSre  eine  Feigheit,  und  zwar  eine  un- 
nütze Feigheit." 

Er  verlangte  schließlich,  daß  ich  mir  es  noch  a4  Stun- 
den überlegen  solle.  Ich  soll  wahrscheinlich  durch  innere 
Gemütskämpfe  erschüttert  werden. 


Abends  ging  ich  zu  Bloch  imd  mit  ihm  zu  Güdemann. 
Ich  erzählte  ihnen  alles. 

Güdemann  glaubte  anfangs,  ich  wünsche  seine  Zustim- 
mung zum  Zurückweichen,  und  riet  mir  folglich,  ich  möge 
tun,  was  mir  zwei  so  hervorragende  Männer  wie  Bacher 
und  Benedikt  raten. 

Ich  placierte  aber  meine  Frage  auf  das  richtige  Ter- 
rain. Vom  Unterlassen  der  Publikation  könne  keine  Rede 
sein.  Ich  bin  kein  kleiner  Jimge,  der  im  letzten  Augen- 
blick zurückweicht.  Ich  gehe  bis  ans  Ende.  Es  handle  sich 
nur  um  folgendes.  Bloch  will  in  seiner  Wochenschrift  die 
Obersetzung  meines  Chronicle- Artikels  bringen.  Ich  habe 

"    Henli  Tacebfiohu  L  337 


dbyGoogle 


ihm  das  Original  gegebeo,  er  hat  es  setzea  lassen.  Nun 
kann  ich  Benedikt  nicht  vor  den  Kopf  stoßen,  darf  ihm 
keinen  ihm  erwünschten  casus  belli  liefern.  Ich  will  also 
kein  fait  aceompli  in  Wien  schaffen,  bevor  mir  alle  seine 
Bedenken  bekannt  sind. 

Damm  ziehe  ich  mein  Manuskript  von  Bloch  zurück 
—  freilich  kann  ich  es  nicht  hindern,  wenn  er  die  von 
Professor  Kaufmann  eingeschickte  Übersetzung  meines 
Artikels  bringt. 

Dabei  blieb  es  dann  schliefilich.  Bloch  gibt  mir  mein 
Manuskript,  veröffentlicht  aber  auf  eigene  Faust  Kauf- 
manns Übersetzung. 

Nun  gab  mir  Güdemann  wieder  recht,  daß  ich  nicht 
zurückweiche.  Er  meinte  sc^ar  schließlich,  Benedikt  be- 
nehme sich  wie  ein  recht  kleiner  GeschSftsmann.  Als 
sie  ein  durch  mich  zu  gründendes  Konkurrenzblatt  furch' 
teleo,  versprachen  sie  mir  die  Unterstützung  der  Bro- 
schüre —  jetzt  wollen  sie  mich  von  Publikation  geradezu 
abhalten. 

5.  Februar. 
Benedikt  gesehen,  aber  nicht  gesprochen  —  d.  h.  wir 

redeten  nur  über  gleichgültige  Tagespolitik. 

Bacher  kam  abends  in  mein  Zimmer,  war  sehr  Hebens^ 
würdig,  sprach  aber  von  allen  anderen  Dingen. 

Er  wartete,  daß  ich  zu  reden  anfange  über  die  Bro- 
schüre. Ich  sprach  aber  nur  über  neue  französische  Li> 
teratur. 

6.  Februar. 
Alexander  Scharf  war  bei  mir.  Er  hat  von  Bloch  ge- 
hört, daß  ich  eine  großartige  Broschüre  geschrieben  habe. 
Er  möchte  sie  früher  haben  als  die  TagesbUtter,  weil 
seine   Montagszeitung    langsam    hergestellt   wird.     Ich 

338 


dbyGoogle 


konnte  ihm  die  Bewilligung  zum  Abdruck  nicht  geben, 
im  Hinblick  auf  die  Vorgänge  in  der  Redaktion. 

Aber  wir  kamen  in  Reden,  und  auf  seine  Einwürfe 
antwortete  ich  ihm  mit  den  Gründen  der  Broschüre.  Denn 
er  machte  niu-  die  vorgesehenen  Einwendungen. 

Nach  der  ersten  halben  Stunde  verglich  er  mich  mit 
dem  Freitand-Hertzka  und  erinnerte  mich  an  die  Anek- 
dote vom  Verrückten  im  Irrenhaus,  der  sagt:  „Seht  jenen 
armen  Narren;  er  glaubt  der  Kaiser  von  Rußland  zu  sein, 
indessen  bin  ich  es." 

Nach  der  zweiten  halben  Stunde  verglich  er  mich  mit 
Christus. 

Ich  sei  der  zweite  Christus,  der  den  Juden  furchtbar 
weh  tun  werde. 

Ich  lehnte  belustigt  beide  Vergleiche  ab  und  sagte:  „Ich 
bin  ganz  einfach  ein  moderner  und  dabei  natürlicher,  un- 
befangener Mensch.  Ich  mache  die  ganze  Sache  ohne 
Narreteien,  ohne  alle  schw&rmerischen  GebSrden.  Ich 
sehe  sogar  den  Fall  ganz  ruhig  voraus,  daß  meine  An- 
regung ins  Leere  fSllt." 

Er:  „Das  zeigt  mir  nur,  daß  Sie  ein  Chochem  sind. 
ZunSchst  wird  man  Sie  freilich  lächerlich  machen.  In 
den  Judenbllttern  wird  man  Sie  den  Mahdi  aus  der  Pe- 
likangasse nennen." 

Ich  lachte:  „Sie  sollen 's  nur  tun." 

Er  sagte  endlich:  „Wenn  ich  nicht  wüßte,  daß  Sie 
nicht  kSufliph  sind,  und  wenn  ich  Rothschild  wSre,  würde 
ich  Ihnen  fünf  Millionen  dafür  anbieten,  daß  Sie  die 
Broschüre  unterdrücken.  Oder  ich  würde  Sie  ermorden. 
Denn  Sie  werden  den  Juden  schrecklich  schaden. 

Obrigens  werde  ich  Ihre  Broschüre  aufmerksam  lesen; 
und  wenn  Sie  mich  überzeugen,  werde  ich  mich  ehrlich 
Bu  Ihnen  bekennen.'" 


dbyGoogle 


Ich  lieh  ihm  die  Broschüre  auf  sein  Ehrenwort,  daß 
er  ohne  meine  Ermächtigung  nichts  daraus  publizieren 
werde. 

Dann  versuchte  ich  ihn  aufzuklären,  daß  meine  Schrift 
keine  Gefahr,  sondern  eine  Wohltat  für  die  Juden  sei. 
Ich  gehrauchte  das  Beispiel  der  kommunizierenden  Röh- 
ren. Die  Erleichterung  für  alle  Juden  beginnt  durch  den 
unteren  Abfluß.  In  der  Röhre  Judenstaat  steigt  allmäh- 
lich das  Niveau,  und  es  senkt  sich  in  der  Röhre  der  jet- 
zigen Wohnorte.  Es  wird  niemand  ruiniert,  sondern  neuer 
Wohlstand  begründet.  Und  durch  die  aufsteigende  Klas- 
senbewegung der  auswandernden  Juden  bessert  sich  die 
Lage  der  dagebliebenen. 


Abends  traf  ich  den  Bankdirektor  Dessauer  und  ging 
mit  ihm  im  winterlich  verschneiten  Stadtpark  spazieren. 

Dessauer  sieht  keine  Gefahr,  nur  Vorteile  in  meiner 
Publikation.  Es  komme  ein  neuer  besserer  Ton  in  die 
Judenfrage.  Er  sieht  auch  keine  Gefahr  für  die  Neue 
Freie  Presse  in  meiner  Schrift.  Es  sei  komisch,  daß  die 
Neue  Freie  Presse  glaube,  sie  werde  nicht  für  ein  Juden- 
blatt gehalten.  Übrigens  solle  die  Redaktion  als  solche 
gar  keine  Stellung  nehmen,  sondern  meine  Schrift  ein- 
fach durch  irgendeinen  Heidelberger  Professor  bespre- 
chen lassen. 

Dann  sprachen  wir  von  der  kommenden  Entwicklung. 
Dessauer  hatte  einen  schönen  Gedanken.  Er  meinte,  es 
wäre  interessant,  in  hundert  oder  zweihundert  Jahren  den 
Judenstaat  zu  sehen.  Was  dann  aus  meiner  Idee  gewor- 
den wäre.  Er  hält  es  für  ebenso  möglich,  daß  wir  noch 
das  Entstehen  des  Judenstaates  erleben,  wie  daß  es  erst 
Jahrzehnte  nach  unserem  Tod  eintreten  werde.  In  fünf- 


34o 


dbyGoogle 


rig  Jahren,  meint  er,  werde  der  Judenstaat  schon  exi- 
stieren. Er  glaubt,  es  werde  ein  großer  Staat  sein,  denn 
wie  Englands  Beispiel  beweist,  komme  es  für  die  Macht 
nicht  auf  die  Zahl  der  Staatsangehörigen,  sondern  auf 
deren  Intelligenz  an. 

Wir  triumten  ein  bißchen  von  den  künftigen  Leistun- 
gen des  Judentums  für  die  Wohlfahrt  der  Menschen. 

7.  Febriutt-, 
Blochs  Wochenschrift  ist  erschienen,  und  die  Nummer 

enthSlt  die  Kaufmannsche  Übersetzung  nicht.  Gleich- 
zeitig trifft  ein  Brief  Blochs  ein,  worin  er  die  unterblie- 
bene PublikatioD  damit  entschuldigt,  daß  ihm  die  Über- 
setzung zu  schlecht  war ;  er  warte  lieber  noch  acht  Tage, 
um  mein  Original  bringen  zu  können. 

Tatsächlich  hat  er  mich  im  Stiche  gelassen.  Er  fürchtet 
sich  offenbar  vor  der  Neuen  Freien  Presse. 

Mir  ist  auch  das  recht.  Es  geht  daraus  nur  wieder,  wie 
bisher  immer,  hervor,  daß  ich  gar  keine  Unterstützung 
habe,  daß  ich  alles  allein  machen  muß. 

Und  Scharf  hat  mir  gestern  erzfihlt,  Bloch  rühme  sich, 
mir  beim  Abfassen  der  Broschüre  geholfen  zu  haben. 

Wo  doch  jede  Zeile,  jedes  Wort  von  mir  allein  her- 
rührt. 

8.  Februar. 
Im  niederösterreichischen  Landtag  forderte  Abgeord- 
neter V.  Fächer  gestern,  daß  jedem,  der  nachweisbar  von 
jüdischen  Vorfahren    abstammt,   das   Bürgerrecht   ent- 
zogen werden  könne. 


Mein  guter  Freund,  Rev.  Singer,  schreibt  mir  aus  Lon- 
don, mein  Plan  sei  in  der  Öffentlichkeit  fast  gar  nicht, 

34 1 


dbyGoogle 


umso  lebhafter  aber  privatim  erörtert  worden.  Er  selbst 
habe  von  der  Kanzel  davon  gesprochen.  Im  ganzen  gehe 
es  aber  den  engUschea  Juden  noch  nicht  nahe,  weil  der 
Antisemitismus  keine  Kalamität  sei. 


In  der  Berliner  Monatsschrift  „Zion"  eine  freundliche 
Besprechung  meines  Chronicle-Artikels  von  Dr.  J.  Holz- 
mann. Dieser  ist  aber  gegen  den  Sprachen-Föderalismus. 

Ich  schreibe  ihm,  wir  sollen  jetzt  unter  uns  keine  Strei- 
tigkeiten heraufbeschwören,  und  uns  den  Hader  für  spä- 
ter aufheben. 

9.  Februar. 

Bloch  getroffen,  der  mir  sagte,  die  Studenten  httten 
auf  meinen  von  ,,Zion"  reproduzierten  Artikel  hin  eine 
Deputation  zu  mir  geschickt,  wShrend  ich  aus  war.  Sie 
wollten  mich  auch  zu  Güdemanns  Vortrag  in  der  Lese- 
halle einladen.  Ich  ging  mit  Bloch  hin.  Unterwegs  er- 
zählte er  mir,  Scharf  sei  bei  Güdemann  gewesen  mit  der 
Bitte,  G.  möge  auf  mich  einwirken  und  auch  auf  meinen 
Vater,  damit  ich  meine  Schrift  nicht  publiziere.  Scharf 
meinte  auch,  die  Gemeinde  würde  es  Güdemann  sehr  ver- 
übeln, daß  er  mich  davon  nicht  abgebracht  habe. 

Ich  sagte:  „Ich  werde  Güdemann  einen  Brief  geben, 
daß  er  alles  aufgeboten  habe,  um  mich  von  meinem  Vor- 
satz abzubringen." 

Es  geht  nur  wieder  daraus  hervor,  daß  mir  niemand 
hilft,  ja  alle  mich  zu  hemmen  versuchen  —  die  wahr- 
scheinlich späterhin,  wenn  der  Erfolg  kommen  sollte,  sich 
als  meine  Mitarbeiter  ausgeben  werden. 

Übrigens  werde  ich  den  Zitterem  um  ihren  Besitz  — 
Scharf  bat  mehrere  Häuser  in  Wien  —  einfach  folgendes 

343 


dbyGoogle 


sagen :  „Wenn  ihr  euch  gegen  mögliche  Verluste  decken 
wollt  —  so  subskribieret  einfach  die  Aktion  der  Jewish 
Company,  Was  ihr  hier  durch  den  Abzug  der  Juden, 
eurer  Mietparleien,  verliert,  das  gewinnt  ihr  drüben  durch 
den  Einmg  eben  derselben.  Die  kommunizierendeo  Röh- 
ren I  Um  wieviel  ihr  hier  sinkt,  steigt  ihr  drüben.  Auch 
könnt  ihr  ja  drüben  dieselben  HSuser  wieder  haben.  Die 
Company  wird  sie  euch  bauen." 


In  der  Jüdischen  akademischen  Lesehalle  wurde  ich 
enthusiastisch  begrüßt.  Als  der  Vorsitzende  die  GSste 
willkommen  hieß,  erhielt  mein  Name  den  längsten,  stür- 
mischsten Beifall,  was  vielleicht  einen  oder  den  anderen 
der  Ehrengäste  verstimmte,  wenn  ich  richtig  sah. 

Nach  Güdemanns  Vortrag  kamen  einige  der  jungen 
Leute  an  mich  heran,  und  ich  sprach  eine  Stunde  aus  dem 
Stegreif.  Es  waren  etwa  hundert  junge  Leute  —  viele 
stramme  Gestalten,  lauter  verständig  blitzende  Augen. 
Sie  standen  dichtgedrängt,  hörten  mit  wachsender  Begei- 
sterung zu.  Großer  Erfo^  —  wie  ich  es  erwartet  hatte. 
Die  ganze  Szene  hatte  ich  längst  genau  so  vorhergesehen. 
Als  ich  wegfuhr,  standen  sie  auf  der  Gasse  und  riefen 
mir  noch  durch  die  Nacht  taut,  vielstimmig  Prosit  1  nach. 

9.  Februar. 

Einer  der  Studenten,  die  mir  gestern  zugehört,  Carl 
Pollak,  kam  zu  mir,  „weil  er  seiner  Begeisterung  Luft 
machen  müsse". 

Es  hätten  gleich  gestern  nach  meiner  Rede  einige  bisher 
Laue  erklärt,  daß  sie  sich  dem  Nationalgedanken  an- 
schlössen. 

343 


dbyGoogle 


10.  Februar, 

Heute  die  Broschüre  „Autoemanzipatioa"  gelesen,  die 
Bloch  mir  gegeben  hat. 

Verblüffeade  Übereinstimmung  im  kritischen,  große 
Ähnlichkeit  im  konstruktiven  Teil. 

Schade,  daß  ich  die  Schrift  nicht  vor  dem  Imprimatur 
der  meinigen  gelesen  habe.  Und  doch  wieder  gut,  daß  ich 
sie  nicht  kannte  —  ich  hätte  mein  Werk  vielleicht  unter- 
lassen. 

Ich  werde  bei  der  nSchsten  Gelegenheit  Mfeutlich  dar- 
über reden  und  vielleicht  in  „Zion"  einen  Artikel  darüber 
schreiben. 

1U.  Fehraar, 

Aufgeregte  Tage  voll  von  Hersklopfen  und  Atemnot. 

Heute  mit  Ludassy  gesprochen.  Die  Wiener  Allgemeine 
Zeitung  soll  zuerst  losgehen.  Nach  einer  Viertelstunde 
hatte  er  mich  begriffen.  Er  fragte :  „Soll  ich  es  als  Freund 
oder  kritisch  besprechen?  Im  letzteren  Fall  werde  ich 
dir  vielleicht  die  Haut  rltsen." 

Ich  darauf:  „Hone  ventom  damaa  petimuaque  vicissim. 
Wer  mich  haut,  den  haue  ich.  Je  ne  me  lai»serai  pas 
faire.  Ich  werde  hart  kfimpfen.  Die  aber  mit  mir  gehen, 
werden  lauter  historisch  berühmte  Persönlichkeiten  wer- 
den." 

Er  sagte:  „Ich  gehe  mit  dir." 


Abends  kamen  meine  5oo  Exemplare.  Als  ich  den 
Ballen  in  mein  Zimmer  schleppen  ließ,  hatte  ich  eine 
heftige  Erschütterung.  Dieser  Ballen  Broschüren  stellt 
sinnfällig  die  Entscheidung  dar.  Mein  Leben  nimmt  jetzt 
vielleicht  eine  Wendung. 

344 


dbyGoogle 


Dann  in  die  Redaktion  gegangen.  Der  Fischer  auf  der 
.Seewiesen'  am  Altausseer  See  fiel  mir  ein,  der  sagte :  „Das 
ist  das  Merkwürdigste,  wenn  einer  nie  verzagt." 

i5.  Februar. 
Mein  guter  Papa  kommt  und  erzfihlt,   daß  die  Bro- 
schüre schon  in  Breitensteins  Schaufenster  ist. 
Wird  es  heute  in  der  Redaktion  einen  Kampf  geben? 


Mit  Ludaasy  wieder  gesprochen.  Er  schwenkt  schon 
ab.  Er  hat  sich 's  überlegt.  Er  „muß  schreiben,  wie  es 
seine  Leser  wünschen".  Es  „sei  etwas  anderes,  was  ein 
Feuilletonist  sagt,  und  was  ein  Leitartikler  sagt". 

Ab  ich  erwiderte,  ich  glaube,  die  Menge  werde  meiner 
Ansicht  sein,  meinte  er :  „Einschwenken  werde  ich  immer 
können." 

Auch  recht. 

Dann  bei  Szeps  gewesen.  Der  schien  die  Sache  su  ver- 
stehen, bat  aber  auch  nur  Bedenken.  „Die  Zeitung  dürfe 
nicht  originell  sein",  sagte  er.  „Die  Zeitungen  können 
keine  neuen  Gedanken  propagieren." 

Er  will  es  sich  überlegen. 

Indessen  ist  die  Broschüre  im  Buchhandel  erschienen. 
Für  mich  sind  die  Würfel  gefallen. 

i5.  Februar. 

Jetzt  ist  mein  guter  Vater  meine  einzige  Stütze.  Alle, 
mit  denen  ich  bisher  die  Sache  beraten  habe,  halten  sich 
vorsichtig  zurück,  lauern,  warten  ab.  Neben  mir  fühle  ich 
nor  meinen  teuren  Alten.  Der  steht  wie  ein  Baum. 

Oppenheim  machte  gestern  abends  SpSße  in  der  Re- 
daktion.  Er  will  meine  Broschüre  binden  lassen.  „Bist 

3A5 


dbyGoogle 


du  metchugge,  laß  dich  bindeo",  sagte  er,  nachdem  ich 
sie  ihm  auf  seine  Bitte  gegeben. 

Auf  das  alles  muß  ich  gefaßt  sein.  Die  höbereDSchu- 
sterhuben  werden  mir  nachlaufen.  Aber  wer  in  dreißig 
Jahren  recht  haben  soll,  der  muß  in  den  ersten  vierzehn 
Tagen  für  verrückt  gebalten  werden. 

Auch  an  der  Börse  soll  schon  gestern  viel  von  der  Bro- 
schüre  gesprochen  worden  sein.  Die  Stimmung  scheint 
eher  feindselig  g^en  mich  zu  sein. 

16.  Februar. 

Dr.  S.  R.  Landau  war  bei  mir.  Ich  glaube  an  ihm 
einen  ergebenen  und  tüchtigen  Anhänger  zu  haben. 

Er  scheint  ein  begeisterter  Schwärmer  mit  dem  Haupt- 
fehler solcher  Leute:  dem  unduldsamen  Eifer,  zu  sein. 

Aber  ein  braver  starker  Mensch.  Gezügelt  können 
solche  Kräfte  Wunder  wirken. 

(7.  Februar. 

Noch  kein  hiesiges  Blatt  hat  gesprochen.  Dennoch  be- 
ginnt die  Broschüre,  Gegenstand  zu  werden.  Bekannte 
fragen  mich:  „Ist  die  Broschüre,  von  der  man  spricht, 
von  Ihnen?   Ist  das  Humor  oder  Ernst?" 

Ich  antworte:  „Blutigor  Ernst I  Natürlich  muß,  wer 
so  etwas  unternimmt,  darauf  gefaßt  sein,  daß  ihm  zu- 
nächst die  Scbuslerbuben  nachlaufen.  Eis  gibt  auch  hö- 
here Schusterbuben." 

18.  Februar. 

Wenn  heute  in  der  Redaktion  nichts  vorkommt, 
schreibe  ich  folgendes  an  Badeni : 

Ew.  Exzellenz  I 
Als  ich  zum  letztenmal  die  Ehre  halte,  von  Ihnen  emp- 
fangen zu  werden,  nahm  ich  mir  die  auffallende  Freiheit, 
das  Gespräch  auf  die  schwebende  Tagesfrage  zu  bringen. 


dbyGoogle 


Es  war  das  —  Ende  Oktober  —  die  Luegerfrage.  Ich 
bemerkte  Ihr  Befremden,  Exzellenz,  als  ich  sagte :  Wenn 
Sie  ihn  nicht  bestStigen,  endossieren  Sie  den  ganzen  Ju- 
denhaß. 

DerGrund,  warum  ich  das  sagte,  war  die  Broschüre,  die 
ich  mich  hiermit  beehre,  Ew.  Exzellenz  zu  übergeben,  und 
die  damals  schon  fertig  war.  Ich  wollte  mich  Ihrem  Ge- 
dächtnis durch  eine  kleine  Prophezeiung  mit  kurzer  Ver- 
fallszeit einpr&gen,  damit  Sie  am  kommenden  Tage  meine 
Staatsschrift  mit  Aufmerksamkeit  lesen. 

Diese  Schrift  wird  vermutlich  eine  gewisse  Bewegung 
hervorrufen :  Gelächter,  Geschrei,  Wehklagen,  Beschimp- 
fungen, MißverstSndnisse,  Dummheiten,  Schlechtigkeiten. 

Ich  blicke  alledem  höchst  gelassen  entgegen.  Les  chiens 
aboient  —  la  carauane  passe. 

Aber  ich  möchte,  Exzellenz,  daß  Sie  meine  Staats- 
schrift, die  für  Sie  großes  praktisches  Interesse  hat,  lesen, 
bevor  sie  durch  eine  wüste  Diskussion  entstellt  wird.  Daß 
Sie  sie  lesen  mit  Ihren  eigenen  unbefangenen  Augen.  Sie 
werden  dann  bemerken,  daß  ich  vieles  nur  flüchtig  an- 
deutete, was  von  der  höchsten  Wichtigkeit  ist  —  (unter- 
brochen). 

18.  Febraar,  abends. 

Mittags  kam  der  UniversitStsdozent  Feilbogen  zu  mir 
in  die  Redaktion,  sagte,  er  müsse  mit  mir  über  die  Bro- 
schüre sprechen  —  „sie  sei  das  Bedeutendste,  was  die 
zionistische  Literatur  bisher  hervorgebracht  habe",  usw. 
—  große  Elogen. 

Nachmittags  kam  er  in  meiue  Wohnung  und  eröffnete 
das  Gespräch  mit  der  Frage,  ob  ich  die  Broschüre  ernst 
gemeint  habe,  ob  es  nicht  eine  ironische  Darstellung  des 
Zionisnuis  sei. 

347 


dbyGoogle 


Ich  war  ganz  betroffen  und  antwortete:  „Für  solche 
alkibiadische  Scherze  bin  ich  zu  att." 

Dann  tüftelte  er  stundenlang  hemm,  mfikelte  da,  hä- 
kelte dort. 

Ich  war  von  alledem  so  äcoeuriert,  daß  ich  den  Brief 
an  Badeni  nicht  weiterschreiben  konnte  und  überhaupt 
nichts  mehr  tun  wollte. 

Abends  hörte  ich  aber  in  der  Redaktion,  daß  die  Deut- 
sehe  Zeitung  (antisemitisch)  morgen  einen  Leitartikel 
darüber  bringt.  Vermutlich  Schm&hungen.  Jedenfalls 
wichtig  wegen  der  Antwortstelluog,  welche  die  übrigen 
BlStter  dazu  einnehmen  werden. 

Nun  habe  ich  wieder  Lust,  an  Badeni  zu  schreiben. 


(Badenibrieffortsetzung.) 

Jeder  Staat  bat  Rechte  auf  seine  Juden  —  was  soll  da- 
mit geschehen?  Es  ist  einer  der  vielen  politisch  delikaten 
Punkte,  die  ich  in  meiner  Schrift  kaum  berührte.  Eurer 
Exzellenz  bin  ich  bereit,  hierüber  wie  über  alles  andere 
sehr  eingehende  und  vielleicht  befriedigende  Aufklfirun- 
gen  zu  geben. 

Ich  glaube,  der  Judenstaat  ist  ein  Weltbedürfnis,  und 
darum  wird  er  entstehen. 

Wer  einen  solchen  Ruf  ausstößt,  dem  laufen  vor  allem 
die  Schusterbuben  belustigt  nach  —  es  gibt  auch  höhere 
Schusterbubea.  Die  Menge  aber  schaut  auf,  lacht  viel- 
leicht auch,  jedenfalls  versteht  sie  nicht  gleich.  Und  zur 
Menge  gehört  auch  eine  gewisse  Presse,  hüben  wie  drü- 
ben, die  nach  don  verworrenen  Stimmen  des  Publikums 
hinaushorcht,  und  sich  von  Krethi  und  Plethi  führen  lißt, 
statt  zu  führen. 

Dieses  Ihr  Wort,  Exzellenz,  veranlaßte  mich  damals, 

348 


dbyGoogle 


auf  jenen  Antrag  einzugehen,  den  ich  dana  mit  solchem 
Bedauern  zurücklegen  mußte,  als  der  Appell  an  meine 
Dankbarkeit  erging.  Ich  hStte  gewünscht,  daß  Sie  mich 
im  näheren  Umgang  zuerst  als  verläßlichen  Menschen 
kemieolernen,  und  daß  ich  eines  Tages  auf  diesen  Aus- 
weg aus  der  Judenkalamitit  hinweisen  könne.  Der  heu- 
tige Leitartikel  der  Deutschen  Zeitung  ist  recht  naiv  und 
widerspruchsvoll ;  der  Schreiber  hat  meine  Broschüre  ein- 
fach nicht  verstanden,  weil  er  die  Bedingungen  des  mo- 
dernen Lebens  nicht  versteht.  Was  ich  vorschlage,  ist 
tatsichlich  nur  die  Regulierung  der  Judenfrage,  kei- 
neswegs die  Auswanderung  aller  Juden.  Am  alterwenig- 
sten kann  und  wird  daraus  die  wirtschaftliche  Schwfi- 
cbung  der  jetzt  antisemitischen  Länder  sich  ergeben. 

Durch  die  Türe  aber,  die  ich  für  die  armen  Juden  auf- 
zustoßen versuche,  wird  ein  den  Gedanken  recht  erfas- 
sender christlicher  Staatsmann  in  die  Weltgeschichte  ein- 
treten. Daß  damit  auch  augenblickliche,  unmittelbare  po- 
litische Vorteile  verbunden  sind,  will  ich  gar  nicht  be- 
tonen. 

Wünscht  Ew.  Exzellenz  alle  diese  in  meiner  Schrift  ver- 
schwiegenen Gedankengänge  kennen  zu  lernen,  so  bitte 
ich,  mich  zu  einer  geheimen  Audienz  zu  befehlen  — 
vielleicht  irgend  einmal  in  den  Abendstunden. 

Durch  mich  würde  niemand  etwas  von  der  Unterre- 
dung erfahren. 

Mit  ausgezeichneter  Hochachtung 

Ew.  Exzellenz  ganz  ergebener 

Dr.  Th.  Herzl. 

(Am  19.  Februar  abends  abgeschickt.) 


349 


dbyGoogle 


19.  Februar. 
Der  alte  Heit,  ein  Wirkwarenhäudler  und  Hausbesitzer 

vom  Franz-Josefstjuai,  war  da,  lud  mich  zu  einem  Vor- 
trag in  der  bisher  antizionistischen  „Union"  ein. 

Er  selbst  faStte  es  eine  halbe  Stunde,  bevor  er  meine 
Broschüre  gelesen,  fflr  ganz  unmöglich  gehalten,  daß  er 
jemals  auf  etwas  Derartiges  eingehen  könne.  Er  sei  aber 
durch  mich  vollstfindig  bekehrt  und  wäre  bereit,  seine 
Liegenschaften  selbst  mit  Verlust  zu  verkaufen  und  hin- 
überzugehen. 

20.  Februar. 
Wilhelm  vom  Fremdenblatt  teilt  mir  in  einem  „lau- 
nigen" Brief  mit,  es  gehe  die  Kunde,  ich  sei  „meschugge" 
geworden.  Ob  es  wahr  sei? 

21.  Februar. 
Gestern  Kommers  der  Kadimah.  Die  Studenten  berei- 
teten mir  große  Ovationen.  Ich  mußte  sprechen,  sprach 
aber  mit  Mäßigung  —  und  mittelmäßig.  Ich  wollte  keine 
Bierbegeisterung  erregen,  mahnte  zum  Studium,  warnte 
vor  ungesunder  Schwärmerei.  Wir  würden  nach  Zion 
vielleicht  nie  kommen,  so  müssen  wir  ein  inneres  Zion 
erstreben. 

Der  Advokat  Ellbogen  kam  aus  einer  anderen  Ver- 
sammlung, erzählte,  daß  Dr.  Feilbogen  dort  eine  glän- 
zende Rede  für  meine  Idee  gehalten  habe. 

Dr.  Landau  schlug  mir  vor,  eine  Wochenschrift  für  die 
Bewegung  zu  gründen.  Das  paßt  mir,  ich  werde  darauf 
eingehen.  Diese  Wochenachrift  wird  mein  Orgaü  wer- 
den. Landau  hatte  noch  eine  andere  gute  Idee.  Newlins- 
ky,  der  Herausgeber  der  ,,Gorrespondance  de  TEst",  ist 
mit  dem  Sultan  befreundet.  Er  könnte  uns  vielleicht  — 
für  Bakschlsch  —  die  Souveränität  verschaffen. 

35o 


dbyGoogle 


Ich  denke  auch  an  Kozmian.  Ich  werde  Landau  zu 
Kozmian  schicken  und  ihn  für  die  Sache  zu  interessieren 
versuchen. 

23.  Februar. 

Im  Concordia-KIub  versuchte  gestern  Uegierungsrat 
Hahn  vom  Korrespondenz-Bureau  mich  zu  verspotten: 
„Was  wollen  Sie  in  Ihrem  Judenstaat  werden?  Minister- 
präsident oder  Kammerpräsident?" 

Ich  antwortete:  „Wer  so  etwas  unternimmt,  wie  ich, 
der  muß  sich  natürlich  darauf  gefaßt  macheu,  daß  ihm 
zuerst  die  Schusterbuben  nachlaufen." 

Worauf  er  betrübt  wegschlich. 


Im  Volkstheater  viele  Journalisten  gesprochen.  Meine 
Broschüre  ist  Stadtgespräch.  Einige  lächeln  oder  lachen 
über  mich,  aber  im  allgemeinen  scheint  die  ernste  Cber- 
zeugung  meiner  Schrift  Eindruck  gemacht  zu  haben. 

Hermann  Bahr  sagte  mir,  er  wolle  gegen  mich  schrei- 
ben, weil  man  die  Juden  nicht  entbehren  könne.  Pas  malt 

23.  Februar. 

Dr.  Landau  weu-  da.  Habe  ihn  gebeten,  mit  Kozmian 
zu  reden,  damit  ich  diesem  die  Sache  persönlich  aus- 
einandersetze. 

Landau  meint,  ich  hätte  den  Ackerbau  im  Judenstaat 
vernachlässigt.  Antwort  einfach:  wir  werden  landwirt- 
schaftliche Produktiv-Genossenschaften  und  Kleinindu- 
strielle  des  Ackerbaues,  beide  mit  Maschinenkredit  der 
Jewish  Company,  haben. 

Wir  kamen  dann  auf  die  Sprache.  Landau  ist,  wie 
viele  Zionisten,  für  das  Hebräische.  Ich  meine,  dieHaupt- 
sprache  müsse  sich  zwanglos  durchsetzen.   Machen  wir 

35 1 


dbyGoogle 


einen  neuhebrfiischen  Staat,  so  wird  es  nur  ein  Neugrie- 
chenlaod.  Schließen  wir  uns  aber  in  kein  Spracbghetto 
ab,  so  gebort  uns  die  ganze  Welt. 

In  Wien  macht  man  über  mich  Witze. 

Julius  Bauer  sagt :  „Ich  bin  einverstanden,  daß  wir  nach 
Palistina  gehen.  Aber  ich  will  die  Republik  mit  dem 
GroßherzI  an  der  Spitze." 

2fi.  Februar. 

Im  Westuogarischen  Grenzboten  bebandelt  ein  Leit- 
artikel des  antisemitischen  Abgeordneten  Simonyi  mein 
Buch.  Er  spricht  in  ritterlichem  Ton  von  mir. 

27.  Februar. 

,J)aily  Cbronicle"  veröffentlicht  Interviews  mit  dem 
Maler  Holman  Hunt  und  Sir  Samuel  Montagu  über  den 
„Judenstaat". 

Holman  Hunt  nimmt  die  Priorit&t  des  Gedankens  für 
sieb  in  Anspruch,  weil  er  einen  Brief  an  einen  englischen 
Juden  schrieb,  bevor  mein  Artikel  im  Jewish  Cbronicle 
erschien. 

Montagu  meint,  man  könne  dem  Sultan  zwei  Millionen 
Pfund  für  PalSstina  bieten. 


Neumann  vom  Fremdenblatt  schreibt  mir,  iu  Wiener 
Finanzkreisen  äußere  man  Lob  und  Tadel  über  mein 
Buch  in  überschwenglichster  Weise.  Ich  wußte,  daß  ea 
niemanden  gleichgültig  lassen  werde. 

*    *     * 

Kozmian  kam  in  die  Redaktion  zu  Bacher.  Ich  traf 
ihn  im  Vorzimmer.  Landau  war  bei  ihm.  Aber  schon 
vorher  hatte  er  von  meiner  Schrift  gehört  —  vielleicht 

353  - 


dbyGoogle 


durch  Badeni.  —  Kozmian  sagte:  „II  paratt  que   c'est 
tr^  excentrique."   Ich  antwortete:  „C'est  ua  d^rivatif." 

28.  Februar. 

Die  gestrigea  Wiener  Gemeinderatswahlen  geben  mir 
wieder  recht.  Seit  September  sind  die  Stimmen  der. An- 
tisemiten wieder  enorm  gewachsen.  Überall  große  Majo 
ritaten,  auch  in  den  „Hochburgen"  der  Liberalen:  in  der 
Inneren  Stadt  und  Leopoldstadt. 

Unser  heutiger  Leitartikel  ist  ganz  resigniert. 


Von  Nordau  einen  begeisterten  Brief  erhalten,  der  mich 
ganz  stolz  macht.  Er  findet,  daß  mein  „Judenstaat"  eine 
„Großtat",  eine  „Offenbarung"  ist. 

1.  MSrz. 

Ludassy  greift  mich  in  der  Wiener  Allgemeinen  Zei- 
tung an.  „Der  Zionismus  ist  ein  verzweiflungsvoller 
Wahnsinn.   Hinweg  mit  solchen  SchimSrenl" 

Einer  seiner  angestellten  Humoristen  verhöhnt  in 
einem  kleinen  Scherz  die  „MakkabSer  der  Flucht". 


In  der  Zeit  bekämpft  Professor  Gomperz  den  Zionis- 
mus, von  meinem  Buch  „ausgehend"  —  das  er  erklftrt, 
nicht  gelesen  zu  haben. 

Die  Zionisten  Birnbaum,  Jacob  Kohn  und  Landau  be- 
suchten mich  gleichzeitig  und  haderten  miteinander. 

Kohn  ist  gegen  Landau,  Kadimah  gegen  Gamalah. 

Birnhaima  will  nur  die  Agitation  in  wissenschaftlichen 
Wochenschriften,  Landau  will  äberall  agitieren,  Kohn 
nur  in  Wien. 

353 


dbyGoogle 


Es  ist  geradezu  entmutigencl,  wie  spinnefeind  sie  unter- 
einander. 


2.  März. 
Hermann  Bahr  war  bei  mir.   Die  Juden  der  höheren 

Bildungskreise,   die  im  filteren  Wien   den  literarischen 
Salon,   das    Baaernfeld-Nest,    die   Grillparzer- Kapelle 
formten,  sind  über  mich  entsetzt,  wie  Bahr  erzfihlt. 
Das  war  zu  erwarten. 

*     *     * 

Ein  Professor  Schneidewin  in  Hameln  schreibt  mir, 
mein  „Judenstaat"  habe  ihn  von  der  Unrichtigkeit  seiner 
in  einer  Broschüre  dai^stellten  Lösung  fiberzeugt.  Er 
schickt  mir  zugleich  diese  163  S.  starke  Schrift,  die  den 
Standpunkt  der  „besseren"  Antisemiten  hat. 

3.  März. 
Ein  HodewarenhSndler    in  Semlin,    S.   Waizenkom, 

schreibt  mir,  alle  Semliner  Juden  seien  bereit,  mit  Kind 
und  Kegel  auszuwandern,  sobald  die  Jewish  Company 
gegründet  ist. 

4.  März. 
Mein  wSrmster  Anhänger  ist  bisher  —  der  Preßburger 

Antisemit  Ivan  v.  Simonyi,  der  mich  mit  schmeichelhaf- 
ten Leitartikeln  bombardiert  und  mir  jeden  Aufsatz  in 
zwei  Exemplaren  zuschickt. 


6.  März. 
In  der  Münchner  Allgemeinen  Zeitung  ist  der  bisher 
niederste  Angriff  von  A.  Bettelheim  erschienen.   Meine 
Schrift    wird    als    „Gründerprospekt    einer    jüdischen 

354 


dbyGoogle 


Schweiz"  bezeichnet.  Der  Inhalt  wird  unter  Verkoppe- 
lung  heterogener  Zitate  wiedergegeben. 

7.  März. 
Bacher  ist  jetzt  gegen  mich  charmant.  Ea  fällt  in  der 
Redaktion  auf,  und  macht  offenbar  gute  Stimmung  für 
mich. 

*     *     * 

In  der  Berliner  ,^llgemeinen  Israelitischen  Wochen- 
schrift" fällt  Klausner  vom  Börsen-Courier  über  mich  her 
und  „verreißt"  mein  Buch  ungefähr  im  Radauton  der 
Berliner  Theaterhyinen,  die  eine  Premiere  herunterma- 
chen. 

Der  Herausgeher  dieser  Wochenschrift  lädt  mich  ein, 
darauf  so  scharf  es  mir  belieht  zu  antworten.  Ich  gebe 
gar  keine  Antwort. 

7.  März. 

Die  Zionisten  hier  wollen  Kundgebungen  für  meine 
Schrift  veranstalten. 

9.  März. 

Der  Berliner  Verein  ,,Jung-Israel"  fordert  mich  zu  einem 
öffentlichen  Vortrag  vor  großem  Publikum  auf.  —  Ab- 
gelehnt, wie  andere  ähnliche  Einladungen. 

iO.  März. 

Die  Zeitung  „Haam"  in  Kolomea  stellt  sich  mir  zur 
Verfügung. 

Begeisterter  Brief  von  Dr.  Bierer  aus  Sofia.  Der  dor- 
tige Großrabbiner  hält  mich  für  den  Messias.  Am  Pas- 
sahfeste wird  vor  einer  großen  Versammlung  ein  Vor- 
trag in  bulgarischer  und  spanischer  Sprache  über  meine 
Schrift  gebalten  w«-deo. 


dbyGoogle 


Rev.  William  H.  Hechler,  Kaplan  der  hiesigen  eng- 
lischen Botschaft,  war  bei  mir. 

Sympathischer,  zarter  Mensch  mit  langem,  grauem  Pro- 
phetenbart.  Er  enthusiasmiert  sich  für  meine  LSsung. 
Auch  er  hSit  meine  Bewegung  für  eine  „prophetische 
Krise"  —  die  er  schon  vor  zwei  Jahren  angekündigt  hat. 
Er  hat  nimlich  nach  einer  Prophezeiung  aus  Omars  Zeit 
(637/8)  ausgerechnet,  daß  nach  ^a  prophetischen  Mon- 
den, also  1360  Jahren,  Palistina  den  Juden  zurückgO' 
geben  werden  würde.   Das  ergSbe  1897/98. 

Als  er  mein  Buch  gelesen  hatte,  eilte  er  sofort  zum 
Botschafter  Monson  und  sagte  ihm :  die  angekündigte  Be- 
wegung ist  dal 

Hechler  erklftrt  meine  Bewegung  für  eine  „biblische", 
obwohl  ich  in  allem  rationell  vorgehe. 

Er  will  meine  Schrift  einigen  deutschen  Fürsten  zu- 
kommen lassen.  Er  war  Erzieher  im  Hause  des  Groß- 
herzogs von  Baden,  kennt  den  Deutschen  Kaiser,  imd 
glaubt,  mir  eine  Audienz  verschaffen  zu  können. 

1U.  März. 

Große  Aufregung  an  der  Wiener  Universität. 

Die  „wehrhaften"  „arischen"  Verbindungen  habenden 
Beschluß  gefaßt,  Juden  auf  keine  Waffe  mehr  Satis- 
faktion zu  geben,  weil  jeder  Jude  ehrlos  und  feig  sei. 

Hein  junger  Freund  PoUak  und  noch  ein  anderer  Jude 
haben  zwei  Antisemiten,  die  Reserve-Offiziere  sind,  ge- 
fwdert;  und  als  diese  sich  zu  schlagen  ablehnten,  haben 
die  beiden  Juden  die  Anzeige  beim  General-Kommando 
erstattet.  Dieses  hat  sie  an  das  Bezirkskommando  ge- 
wiesen. 

An  der  Entscheidung  hingt  viel  —  nSmlich  die  künf- 
tige Stellung  der  Juden  in  der  {österreichischen  Armee. 

356 


dbyGooglc 


Ich  machte  Benedikt,  dessen  Sohn  jetzt  an  der  Uni- 
versität ist,  und  Bacher  den  Kopf  gehörig  warm  mit  dieser 
Sache. 

15.  März. 
Benedikt  veröffentlicht  im  ,Economist'  einen  kategori- 
schen Aufruf  an  die  Reichen,  die  Judenschlacht  nicht 
allein  durch  die  Armen  und  die  Jugend  schlagen  zulassen. 

Mit  Ausnahme  meiner  Konklusion  steht  Benedikt  in 
diesem  Artikel  schon  völlig  auf  dem  Boden  meiner  Staats- 
schrift. 

16.  März. 
Gestern  Sonntag  nachmittag  war  ich  beim  Rev.  Hech- 

1er.  Das  ist  nach  Oberst  Goldsmid  der  eigentümlichste 
Mensch,  den  ich  bisher  in  dieser  Bewegung  kennengelernt 
habe.  Er  wohnt  im  vierten  Stock,  seine  Fenster  gehen  auf 
den  Schillerplatz  hinaus.  Schon  auf  der  Treppe  hörte  ich 
Orgelspiel.  Das  Zimmer,  in  das  ich  trat,  ist  mit  Büchern 
ringsum  bis  an  die  Decke  bestellt. 

Es  sind  lauter  Bibeln. 

Ein  Fenster  des  ganz  lichten  Zimmers  war  offen,  kühle 
Frühlingsluft  kam  herein,  und  Mr.  Hechler  zeigte  mir 
seine  biblischen  Schätze.  Dann  breitete  er  seine  verglei- 
chende Geschichtstabelle  vor  mir  aus,  und  endlich  die 
Landkarte  von  Palästina.  Es  ist  eine  große  Generalstabs- 
karte in  vier  Blättern,  die  auf  den  Boden  gelegt  wurde 
und  so  das  ganze  Zimmer  ausf  fiUt. 

„Wir  haben  Ihnen  vorgearbeitet!"  sagte  Hechler  tri- 
umphierend. 

Er  zeigte  mir,  wo  nach  seiner  Berechnung  unser  neuer 
Tempel  stehen  müsse:  in  Bethell  Weil  das  der  Mittel- 
punkt des  Landes  sei.  Er  zeigte  mir  auch  Modelle  des 
alten  Tempels:  „wir  haben  Ihnen  vorgearbeitet". 

Wir  wiuxlen  dann  durch  den  Besuch  zweier  englischer 

357 


dbyGoogle 


Damen  unterbrochen,  denen  er  auch  seine  Bibeln,  Erin- 
nerungen, Karten  usw.  zeigte. 

Nach  der  langweiligen  Unterbrechung  spielte  und  sai^ 
er  mir  auf  der  Orgel  ein  von  ihm  verfaßtes  zionistisches 
Lied  vor.  Von  meiner  englischen  Lehrerin  hörte  ich,  daß 
Hechler  ein  Heuchler  sei.  Ich  halte  ihn  vielmehr  für  einen 
naiven  Schwärmer,  der  Sammlerticks  hat.  Es  bt  aber  in 
seiner  naiven  Begeisterung  etwas  Hinreißendes,  das  ich 
besonders  empfand,  als  er  mir  das  Lied  vorsang. 

Nachher  kamen  wir  auf  den  Kern  der  Sache.  Ich  sagte 
ihm :  ich  muß  mich  mit  einem  verantwortlichen  oder  un- 
verantwortlichen Regierungsmenschen  —  also  einem  Mi- 
nister oder  Fürsten  —  in  direkte  und  nach  außen  hin  er- 
kennbare Verbindung  setzen.  Dann  werden  die  Jaden  an 
mich  glauben,  dann  werden  sie  mir  folgen.  Am  geeignet- 
sten wäre  der  Deutsche  Kaiser.  Man  muß  mir  helfen, 
wenn  ich  das  Werk  ausführen  soll.  Bisher  hatte  ich  nur 
mit  Hindernissen  zu  kämpfen,  die  meine  Kraft  aufreiben. 

Hechler  erklärte  sich  sofort  bereit,  nach  Berlin  zu  fah- 
ren, um  mit  dem  Hofprediger,  ferner  mit  den  Prinzen 
Günther  und  Heinrich  zu  sprechen. 

Er  hält  unseren  Aufbruch  nach  Jerusalem  für  ganz 
nahe,  und  zeigt  mir  schon  die  Rocktasche,  in  der  er  seine 
große  Palästinakarte  mitnehmen  wird,  wenn  wir  zusam- 
men im  heiligen  Lande  umherreiten  werden.  Das  war 
gestern  sein  naivster  und  überzeugendster  Zug. 
*    *     ♦ 

Abends  hOrte  ich  [von]  .  .  .  alles  niedrige  Geschwätz  von 
Juden  seines  Kreises,  die  nicht  begreifen,  „wozu  ich  das 
unternommen  habe  in  meiner  Stellung,  und  wo  ich  ea 
doch  nicht  n6tig  habe". 

358 


dbyGoogle 


Ich  antwortete  ihm  mit  einem  Wort,  das  Professor 
Leon  Kellner  mir  neulich  sagte:  „Es  gibt  Juden,  die  vom 
Judentum,  und  solche,  die  fürs  Judentum  leben." 

Was  nicht  bindert,  daß  dieselben  Juden,  die  sich  jetzt 
über  meine  Donquichoterie  lustig  machen,  mich  späterhin 
neidisch  einen  raffinierten  Spekulanten  nennen  werden, 
wenn  der  Erfolg  eintrifft. 

Dieses  Volk  muß  erzogen  werden,  und  zwar  durch 
unser  Beispiel. 


In  Wien  sagt  man,  daß  der  Satisfaktionskonflikt  der 
Studenten  auf  meine  Broschfire  zurückzufOhren  sei. 


Der  Leitartikel  der  Norddeutschen  Allgemeinen  Zeitung 
(vom  vorigen  Donnerstag)  über  meine  Schrift  hat  hier 
Aufsehen  gemacht;  in  Berlin  natürlich  nocb  viel  mehr, 
denke  ich  mir. 

i7.  März. 

Gestern  war  Heinrich  Steiner,  Direktor  der  „Wiener 
Mode",  bei  mir.  Er  macht  den  Eindruck  eines  braven, 
tüchtigen,  überzeugten,  entschlossenen  Mannes.  Er  bot 
mir  seine  Kraft  an.  Ich  setzte  ihm  den  Beginn  der  nOtigen 
publizistischen  Organisation  auseinander.  Er  solle  die 
Wiener  Allgemeine  Zeitung  oder  Szeps'  Tageblatt  kaufen 
und  zionistisch  machen.  Ich  würde  unsichtbar  mithelfen. 
So  könnte  ich  unseren  ersten  Mitarbeitern  in  Wien :  Lan- 
dau, Birnbaum,  J.  Kobn  usw.  gleich  erste  Belobnungen 
geben,  indem  ich  ihnen  auskömmliche  Stellungen  ver- 
schaffe. 

Ich  sprach  a^/i  Stunden  mit  Steiner,  und  als  ich  ihm 
auf  der  Gasse  noch  einige  kräftige  Schlußworte  sagte. 


359 


dbyGoogle 


antwortete  er  mit  erschütterter  Stimme :  „Es  ist  viel  für 
mich,  was  ich  jetzt  empfinde." 

17.  März. 

Brief  an  Martin  Fürth,  Sekretär  des  Fürsten  in  Sofia. 
Lieber  Freund  I 

Noch  itevor  ich  Ihre  Antwort  auf  meinen  Brief  habe, 
muß  ich  Ihnen  wieder  schreiben.  Sie  haben  sich  mir 
durch  Ihre  Depesche  um  den  Kongreß-Katalog  (der  heute 
abgeht)  gerade  in  einem  Augenblick  in  Erinnerung  ge- 
bracht, wo  ich  eine  Gemeinheit  erfuhr,  hei  deren  Be- 
kämpfung Sie  mir  raten  oder  helfen  können. 

Es  ist  nicht  su  sagen,  mit  welcher  Perfidie  gewisse 
Juden  in  Wien  mich  wegen  meiner  Broschüre  anfeinden. 
Zuerst  wurde  versucht,  mich  ab  verrückt  hinzustellen. 
Nachdem  dieses  hübsche  Mittel  versagt  hatte  und  man 
durch  die  Stellungnahme  angesehener  „christlicher" 
Blätter  —  besonders  hervorzuheben  ein  Leitartikel  der 
Norddeutschen  Allgemeinen  Zeitung  —  gezwungen  wurde, 
mich  und  meinen  Plan  vollkommen  ernst  zu  nehmen, 
kommen  andere  Lumpereien.  Gestern  wurde  mir  mit- 
geteilt, daß  aus  einem  gewissen  journalistischen  Nest,  wo 
die  lumpigsten  meiner  Gegner  sitzen,  folgende  LOge  aus- 
geflogen ist :  „Ich  hätte  meine  Broschüre  nur  publiziert, 
um  mich  an  Baron  Hirsch  für  die  Ablehnung  meiner  Be- 
werbung um  den  Posten  eines  Generaldirektors  seiner 
Judenkolonisatjon  zu  rächen." 

Es  wurde  mir  gleichzeitig  erzählt,  daß  diese  Lüge  in 
das  Zeitungsnest  von  einer  der  hiesigen  Aüiance  hraäite 
nahestehenden  Person  gebracht  wurde. 

Ich  wäre  sehr  vergnügt,  wenn  jemand  es  wagte,  diese 
Verleumdung  in  einer  greifbaren  Form  zu  publizieren, 
weil  ich  dann  einige  Kerle  bei  den  Ohren  nehmen  uod  an- 

36o 


dbyGoogle 


□ageln  könnte.  Leider  werde  ich  darauf  einige  Zeit  war- 
ten müssen,  denn  in  Wien  „verschweigt"  man  mich  vor- 
läufig. Diese  Verschweigung  hat  die  Folge,  daß  in  allen 
Wiener  Schichten  und  Kreisen  anhaltend  und  erregt  von 
meiner  Sache  gesprochen  wird.  Dadurch  erhalten  auch 
die  Gemeinheiten  der  Gegner, eine  unterirdische  Publi- 
zität, und  ich  muß  an  Abhilfe  denken. 

Was  glauben  Sie?  Ist  diese  lügenhafte  Aussprechung 
vielleicht  auf  die  Umgebung  des  Baron  Hirsch  zurückzu- 
führen? Wenn  ja,  welche  Person  halten  Sie  dessen  für 
fShig?  Hirsch  selbst  halte  ich  für  einen  rücksichtslosen, 
aber  nicht  niedrig  kämpfenden  Menschen.  Könnten  Sie 
ihn  zu  einer  Erklärung  provozieren,  worin  er  den  wahren 
Sachverhalt  angibt :  daß  ich  mich  bei  ihm  um  nichts  be- 
worben habe,  sondern  ihn  lediglich  in  einer  Unterredung 
und  in  mehreren  Briefen  mit  den  auch  in  meiner  Bro- 
schüre enthaltenen  Argumenten  von  der  Verfehltheit  sei- 
ner bisherigen  Bemühungen  zu  überzeugen  versuchte. 

Diese  Erklärung  könnte  er  in  ein  paar  Zeilen  in  einem 
an  Sie  gerichteten  Brief  abgeben.  Sie  werden  selbst  wis- 
sen, in  welcher  Form  Sie  ihm  diese  Erklärung  abverlan- 
gen können.  Wenn  er  der  grandios  angelegte  Kerl  ist, 
für  den  ich  ihn  halte,  obwohl  ich  ihn  jetzt  links  liegen 
lasse,  und  obwohl  ich  vielleicht  späterhin  scharf  gegen 
ihn  marschieren  werde,  so  bestätigt  er  Ihnen  sofort  loyale 
ment  die  Wahrheit,  wenn  Sie  ihm  in  ein  paar  Zeilen 
meine  gerechte  Empörung  schreiben. 

Den  kleinen  Lumpenhunden,  die  mich  jetzt  ankläffen, 
werde  ich  mit  Fußtritten  das  Genick  brechen.  J'ai  fait 
du  ehemin,  seit  wir  um  den  Cirque  d'Et6  herum  von  der 
Judenfrage  sprachen.  Sie  werden  in  nicht  langer  Zeit 
etwas  sehr,  sehr  Überraschendes  hören.  Aber  über  eine 
bonne  surpräe  muß  man  gut  das  Maul  halten.  Das  tue  ich. 

36 1 


dbyGooglc 


Antworten  Sie  mir  rasch,  inwieweit  ich  auf  Sie  rech- 
nen kann,  denn  Sie  können  sich  denken,  daß  ich  diese 
Lumperei  nicht  werde  auf  mir  sitzen  lassen.   Geht's  so 
nicht,  wird's  anders  gehen. 
Mit  herzlichem  Gruß 

Ihr  ergebener 

Th.  Herzl. 

il.  März. 

Dr.  Beck,  der  alte  Hausarzt  meiner  Eltern,  hat  mich 
untersucht  und  ein  durch  die  Aufregungen  hervorgeru- 
fenes Herzleiden  konstatiert. 

Er  versteht  nicht,  daß  ich  mich  mit  der  Judensache  ab- 
gebe; und  von  den  Juden,  mit  denen  er  verkehrt,  versteht 
es  auch  niemand. 

26.  März. 

Der  Verleger  Breitenstein  erzählt  mir,  Güdemann  habe 
es  abgelehnt,  einen  Vortrag  über  meinen  „Judenstaat"  zu 
halten.  Mein  Standpunkt  sei  ein  staatspolitischer,  der 
seinige  ein  religiöser.  Von  diesem  aus  müsse  er  es  miß- 
billigen, daß  ich  der  Vorsehung  vorzugreifen  versuche. 

Mit  anderen  Worten ;  er  traut  sich  nicht,  er  findet  es 
nicht  mehr  opportun,  er  hat  Angst  vor  den  reichen  Juden, 
die  dagegen  sind. 

Früher  hieß  es,  er  werde  in  Blochs  Wochenschrift 
einen  Artikel  darüber  schreiben. 


Verein  „Sion"  von  Sofia  schickt  eine  begeisterte  Reso- 
lution, worin  ich  als  Führer  ausgerufen  werde. 

Bankdirektor  Dessauer  auf  der  Gasse  begegnet.  Er  ist 
bereit,  mir  die  Zeitung,  die  ich  brauche,  zu  finanzieren. 
Ich  brauche  eine  Million  Gulden  für  die  Zeitung.  Mit 

3Ga 


dbyGoogle 


der  Zeitung  bindige  ich  die  anderen  Blätter  und  die  stör- 
rigen  Finanzgroßjuden. 

Dessauer  hat  aber  Stimmungen.  In  acht  Tagen  schützt 
er  irgendeine  Müdigkeit  vor.  Jedenfalls  muß  mein  nfich- 
stes  sein,  die  publizistische  Agitation  auf  eine  ernste 
Grundlage  zu  stellen. 

29.  März. 
Sederabend  der  jüdischen  Studentenverbindung  Unitas. 

Lektor  Friedmann  erkifirte  die  Geschichte  dieses  Festes, 
das  ja  unser  schönstes  und  bedeutendstes  ist.  Ich  saß 
neben  ihm.  Er  sagte  mir  dann  vertraulich  ein  paar  Worte, 
erinnerte  mich  an  Sabbatai  Z'wi,  „der  alle  Menschen  be- 
zaubert habe",  und  schien  mir  zuzublinzeln,  ich  solle  doch 
ein  solcher  Sabbatai  werden.  Oder  meinte  er,  ich  sei 
schon  einer? 

30.  März. 
Mein  kurioser  Anhänger,    der  Preßburger  Antisemit 

Ivan  von  Simonyi,  war  bei  mir.  Ein  secbzigjähriger,  über- 
bewegUcher,  übergesprächiger  Mann  von  verblüffend  viel 
Sympathie  für  die  Juden.  Spricht  vernünftiges  und  krau- 
ses Zeug  durcheinander,  glaubt  ans  Blutmärchen,  hat  da- 
neben die  gescheitesten  modernsten  Gedanken.  Liebt 
mich! 

5.  April. 

Die  drei  Brüder  Marmorek  erklären  mit  einer  gewis- 
sen Feierlichkeit  ihren  Anschluß  an  meine  Bewegung. 
Der  Pariser  Pasteurianer  Marmorek  kam  mit  seinem 
jüngsten  Bruder,  dem  Juristen,  zu  mir  in  die  Redaktion, 
um  ,4m  eigenen  Namen  und  in  dem  ihres  Bruders  des 
Architekten"  zu  erklären,  daß  sie  mit  mir  gehen  und  be- 
geistert sind. 

5.  April. 

Dr.  Schnirer  und  Dr.  Kokescb,  vom  hiesigen  Verein 

363 


dbyGoogle 


„Zioq",  überbringen  mir  die  Resolution,  ich  möge  im 
Vertrauen  auf  die  Unterstützung  der  Zionisten  im  Werke 
fortfahren.  Schnirer  will  einen  Aufruf  an  alle  akade- 
misch gebildeten  Juden  in  der  Welt  zirkulieren  lassen. 
Hier  soll  sich  ein  Komitee  von  i5 — ao  Leuten  bilden, 
von  denen  jeder  den  Aufruf  an  drei,  vier  Freunde  in  an- 
deren Städten  schicken  soll.  So  will  man  Tausende  von 
Unterschriften  sammeln.  Das  wfire  für  mich  ein  bedeu- 
tender Rückhalt. 

7.  AprU. 

In  den  letzten  Tagen  einige  Unterredungen  mit  Steiner 
und  Dessauer  zum  Zweck  der  Finanzierung  des  nötigen 
Tagblattes.  Saure  Arbeit. 

9.  AprU. 

Dr.  Beer-Hofmann  hat  folgende  Idee  für  „erste  Ein- 
richtung":  eine  große  medizinische  Fakult&t,  zu  der  ganz 
Asien  strömen  wird,  und  wo  zugleich  die  Sanierung  des 
Orients  vorbereitet  wird.  Dann  hat  er  einen  monumen- 
talen Brunnenentwurf:  Moses,  Wasser  aus  dem  Felsen 
schlagend. 

10.  April 

Ein  „Privatgelehrter"  namens  Carl  Bleicher  kam  zu 
mir  .  Ich  hielt  ihn  anfangs  für  einen  Schnorrer,  der  auf 
Grund  eines  Buches  milde  Beiträge  haben  will.  Aber  er 
wollte  von  mir  nichts  nehmen,  stellte  sich  mir  als  Agita- 
tor zur  Verfügung.  Ich  verzeichne  das,  weil  es  ein  Zei- 
chen für  die  Ergriffenheit  der  Armen  ist.  Dieser  alte 
Mann,  der  von  geschenkten  Gulden  und  Zebnerln  l^t, 
öffnet  mir  seine  Börse,  zeigt  mir,  wieviel  er  hat,  und 
lehnt  meine  Spende  ab.  Das  ist  der  wichtigste  Unter- 
schied zwischen  meiner  Wirkung  und  der  des  Baron 
Hirsch.  Dieser  wird  angebettelt  und  nicht  geliebt.  Mich 
lieben  die  Bettler.  Darum  bin  ich  der  StSrkere. 

364 


dbyGoogle 


13.  AprU. 

Der  „liberale"  Gemeinderat  Dr.  Alfred  Stern  besuchte 
mich  heute  in  der  Redaktion,  machte  sich  uDverkennbar 
näher  an  mich  heran.  Er  finde  es  ganz  gut,  daß  jemand 
in  der  Judensache  auftrete  und  spreche  wie  ich.  Da  sagte 
ich  üuu :  „Kommen  Sie  zu  uns,  und  ich  garantiere  Ihnen 
die  Popularität.  Erklären  Sie  dffeotlich:  Ich,  Alfred 
Stern,  den  ihr  als  einen  ruhigen  Menschen  kanntet,  trete 
lum  Zionismus  uberl  —  Das  wird  eine  große  Wirkung 
machen.   Hunderte  werden  Ihnen  folgen." 

Er  antwortete:  „Das  glaube  ich  auch.  Ich  hätte  für 
meine  Person  nichts  dagegen.  Aber  ich  übernehme  eine 
Verantwortung  für  Hunderte  und  Tausende." 

Ich  zurück:  „Diese  Verantwortung  wird  unsere  Partei 
Ihnen  demnächst  abnehmen.  Wenn  Sie  wieder  einmal 
kandidieren,  werden  die  organisierten  Zionisten  in  Ihre 
Wählerversammlungen  kommen." 

Was  ihn  ein  bißchen  betroffen  machte. 

H.  Aprü. 

Der  englische  Pfarrer  Hechler  kam  nachmittags  in  gro- 
ßer Aufregung  zu  mir.  Er  war  in  der  Burg,  wo  heute  der 
Deutsche  Kaiser  eingetroffen  ist,  und  sprach  mit  dem 
Generalsuperintendenten  Dryander  und  noch  einem  Herrn 
von  des  Kaisers  Gefolge.  Er  ging  mit  ihnen  zwei  Stun- 
den in  der  Stadt  spazieren  und  teilte  ihnen  den  Inhalt 
meiner  Broschüre  mit,  der  sie  sehr  überraschte.  Er  sagte 
ihnen,  die  Zeit  sei  da:  „fo  fulfU  propheey". 

Nun  will  er,  daß  ich  mit  ihm  morgen  früh  nach  Karls- 
ruhe fahre,  zum  Großherzog,  zu  dem  der  Deutsche  Kai- 
ser morgen  abend  fährt.  Wir  würden  um  einen  halben 
Tag  früher  eintreffen.  Hechler  wollte  zuerst  zum  GroB- 

365 


dbyGoogle 


faenog  gehen,  diesem  sagen,  um  was  es  sich  handle,  und 
daß  er  mich  gegen  meinen  Willen  nach  Kartsruhe  ge- 
bracht habe,  damit  ich  den  Herren  nihere  Aufklärung 
gebe. 

Ich  lehnte  ab,  mitzufahren,  weil  das  von  mir  abenteuer- 
lich auss&he.  Wenn  dann  die  hohen  Herren  sich  nicht 
bewogen  fahlen,  mich  vorzulassen,  stünde  ich  in  unwür- 
diger Attitüde  auf  der  Gasse.  Er  solle  allein  hinfahren, 
und  wenn  man  mich  zu  sprechen  wünsche,  werde  ich  auf 
die  telegraphische  Einladung  sofort  hinkommen. 

Hechler  verlangte  meine  Photographie,  um  sie  den  Her- 
ren 2u  zeigen  —  offenbar  meint  er,  daß  sie  in  mir  einen 
„schSbigen  Juden"  vermuten  würden.  Ich  versprach,  sie 
ihm  morgen  zu  geben.  Merkwürdig,  daß  ich  gerade  für 
den  heutigen  Geburtstag  meines  Vaters  mich  hatte  pho- 
tographieren  lassen;  woran  ich  schon  seit  Jahren  nicht 
gedacht  hatte. 

Ich  war  dann  im  Operntheater,  in  einer  Loge  schrig 
gegenüber  der  Hoflt^,  und  ich  studierte  den  ganzen 
Abend  die  Bewegungen  des  Deutschen  Kaisers.  Er  saß 
steif  da,  neigte  sich  manchmal  verbindlich  zu  unserem 
Kaiser,  lachte  öfters  herzlich,  war  im  ganzen  nicht  unbe- 
kümmert um  den  Eindruck,  den  er  auf  das  Publikum  her- 
vorbrachte. Einmal  setzte  er  unserem  Kaiser  etwas  aus- 
einander und  machte  dazu  entschiedene,  starke,  kurze 
Gesten  mit  der  Rechten,  indes  seine  Linke  bestfindig  auf 
dem  Säbelkorb  ruhte. 

Um  elf  Uhr  kam  ich  nach  Hause.  Hechler  saß  schon 
seit  einer  Stunde  im  Vorzimmer,  auf  mich  wartend.  Er 
will  morgen  früh  um  sieben  Uhr  nach  Karlsruhe  fahren. 

Bis  halb  eins  saß  er  in  sanften  Gesprfichen  bei  mir. 
Sein  Refrain:  falfü  prophecyl 

Er  glaubt  fest  daran. 

366 


dbyGoogle 


15.  Aprü. 
Hechler  ist  heute  morgens  richtig  abgereist.   Ich  war 
bei  ihm  nachfragen ;  so  unwahrscheiDlich  kam  es  mir  trott 
allem  noch  vor. 

15.  ApriL 
Abends  in  der  „Wiener  Mode"  mit  Steiner  und  Gol- 

bert.  Letzterer  ist  geebnet,  die  Finaozkombination  für 
meine  Zeitung  herzustellen.  Er  entwickelt  einen  klugen 
Plan,  der  auf  Erweiterung  seines  jetzigen  Unternehmens 
durch  eine  Papierfabrik  und  Kommanditierung  der  von 
mir  zu  leitenden  Zeitung  hinausgeht. 

16.  April. 
Hechler  telegraphiert  aus  Karbruhe : 

Alles  begeistert.  Muß  über  Sonntag  bleiben.  Bitte  be- 
reit halten.   Hechler. 

17.  AprU. 
Die  Aufforderung,  nach  Karlsruhe  zu  kommen,  ist  bis- 
her nicht  da.    Ich  fange  an,  zu  glauben,  daß  Hechler 
sich  seihst  Ulusioniert. 

17.  AprU. 
Die  Strammsten  sind  bisher  die  Zionisten  von  Sofia. 

Heute  kommt  eine  Resolution,  die  im  Tempel  von  Sofia 
unter  Vorsitz  des  Großrahbiners  gefaßt  worden  ist. 
Sechshundert  Unterschriften.  Begeisterte  Worte. 

18.  Apra. 
Von  zwei  Seiten  höre  ich,  daß  der  vormalige  Sektions- 
chef im  Ministerium  des  Inneren,  Geheimrat  Baron  Erb, 
sich  für  den  „Judenstaat"  lebhaft  interessiert  und  mit  mir 
reden  möchte. 


3G7 


dbyGoogle 


Nuntius  Agliardi  hat  vor  einiger  Zeit  mit  unserem  Mit- 
arbeiter MQnz  gesprochen  und  ihm  gesagt,  daß  er  bereit 
wäre,  mich  zu  empfangen.  Leider  bin  ich  nicht  gleich 
zu  ihm  gegangen.  Jetzt  ist  er  vom  Papst  nach  Rom  be- 
rufen worden  und  soll  diesen  bei  der  Krönung  des  Zars 
vertreten.  Wenn  ich  mit  dem  Nuntius  gesprochen  und 
ihn  gewonnen  hätte,  wSre  die  Sache  sofort  vor  Papst  und 
Zar  gebracht  worden,  deren  Zustimmung  wegen  des  hei- 
ligen Grabes  erforderlich  ist. 

*    *     * 

Von  Hechler  keine  Nachricht.  Jetzt  erkläre  ich  mir  das 
so,  daß  Hechler  mich  über  die  Erfolglosigkeit  seiner  Reise 
durch  die  Depesche  beruhigen  wollte. 

18.  AprU. 

Hechler  telegraphiert  von  Karlsruhe: 

„Zweite  Unterredung  gestern  mit  S.  M.  und  S.  K.  H.  aus- 
gezeichnet. Muß  noch  warten.    Hechler." 

21.  Aprü. 

Nichts  mehr  gehört  von  Hechler.  Inzwischen  ist  der 
Kaiser  von  Karlsruhe  nach  Koburg  gereist. 

An  Nordau  geschrieben,  ihm  den  diplomatischen  Auf- 
tr^  gegeben,  bei  Hirsch  Föhler  auszustrecken.  Wenn 
Hirsch  ein  paar  Millionen  hergibt,  können  vnr  der  Sache 
eine  ungeheure  Resonanz  geben  und  einiges  für  Bak- 
schisch  in  der  Türkei  springen  lassen. 

21.  AprU,  nachmittagi. 

Den  Brief  an  Nordau  hatte  ich  gestern  begonnen  und 
heute  beendigt. 

Zwischen  gestern  und  heute  starb  Baron  Hirsch  auf 
einem  Gut  in  Ungarn. 

Ich  erfuhr  es  eine  Stunde,  nachdem  ich  den  Brief  an 

368 


dbyGooglc 


Nordau  aufgegeben  hatte.  Diesen  Brief  mußte  ich  also 
telegraphiach  zurückrufen.  Aber  welch  ein  sonderbares 
Zusammentreffen.  Seit  Monaten  ist  die  Broschüre  fer- 
tig. Ich  gab  sie  jedem,  nur  nicht  Hirsch.  Im  Augenblick, 
wo  ich  mich  dazu  entschließe,  stirbt  er.  Seine  Mitwir- 
kung bitte  unserer  Sache  ungeheuer  schnell  zum  Gelingen 
verhelfen  können. 

Jedenfalls  ist  sein  Tod  ein  Verlust  für  die  Judensache. 
Von  den  reichen  Juden  war  er  der  einzige,  der  etwas 
Großes  für  die  Armen  tun  wollte.  Vielleicht  habe  ich 
ihn  nicht  richtig  zu  behandeln  gewußt.  Vielleicht  hätte 
ich  den  Brief  an  Nordau  vor  vierzehn  Tagen  schreiben 
müssen. 

Es  kommt  mir  vor,  ab  wfire  unsere  Sache  heute  Srmer 
geworden.  Denn  immer  dachte  ich  noch  daran,  Hirsch 
für  den  Plan  tu  gewinnen. 


Hechler  telegraphiert  aus  Karlsruhe:  „Dritte  Unter- 
redung gestern.  Vierte  heute  vier  Uhr.  Harte  Arbeit,  mei- 
nen Wunsch  durchzusetzen.  Trotzdem  alles  gut.  Hechler 
Zirkel  a." 

2i.  April,  nachts. 

Morgen  früh  wollte  ich  nach  Peat  fahren.  Da  erhalte 
ich  spät  abends  Hecblers  Ruf  nach  Karlsruhe. 

Kurioser  Tag.  Hirsch  stirbt,  und  ich  trete  mit  Fürsten 
in  Verbindung. 

Es  beginnt  ein  neues  Buch  der  Judensache.  Nach  mei- 
ner Rückkehr  werde  ich  in  dieses  volle  noch  Hecblers  zwei 
letzte  Depeschen  eintragen. 


369 


dbyGoogle 


dbyGoogle 


Drittes  Buch 


dbyGoogle 


dbyGoogle 


22.  April 
Eid  sonniger  Frühlingstag.  Heute  um  sieben  Uhr  wollte 
ich  mit  dem  Schiff  nach  Pest  fahren.  Und  jetzt  sitze  ich 
im  Coup£  des  Orientexpreß  und  fahre  nach  Karlsruhe. 

Ich  schreibe  gleich  mit  Bleistift  mit  den  gerüttelten 
Zügen  des  Kmeschreibena  in  dieses  Buch,  weil  ich  wahr- 
scheinlich später  keine  Zeit  haben  werde,  das  ins  reine 
zu  schreiben.  War  ich  daran  schon  verhindert,  als  die 
Judensache  nur  begann,  wie  wird  es  erst  künftig  sein,  wo 
wir  aus  dem  Traum  hinübergehen  in  die  Wirklichkeit. 
Denn  es  ist  jetzt  zu  vermuten,  daß  es  tSglich  interessante 
Ereignisse  geben  wird,  selbst  wenn  ich  nie  zur  Staats- 
gründung kommen  sollte. 

Daß  mich  der  Gh.  kommen  iSßt,  ist  das  deutlichste 
Zeichen  dafür,  daß  er  und  demnach  auch  der  K.,  der 
vor  drei  Tagen  bei  ihm  war,  die  Sache  ernst  nimmt.  Und 
das  ist  das  Schwerste,  Unwahrscheinlichste.  Wenn  es 
wahr  ist,  wird  es  wie  ein  Donnerschlag  in  der  Welt  wir- 
ken, und  es  ist  dann  der  „Erfolg",  den  Bierer  in  Sofia 
erfleht. 


Ein  holder  Tag,  ein  lieblicher.  Ein  Anflug  von  Grün 
auf  den  reizenden  Wiesen.  Auf  einem  waldigen  Hügel 
treten  die  Bäume  auseinander,  daß  es  wie  ein  breiter 
Scheitel  aussieht.  Hindurch  siebt  man  vrieder  den  zarten 
Hintergrund  des  blassen  Frühlingshimmels  —  und  in 
diesem  Augenblick  muß  ich  an  den  toten  Baron  Hirsch 
denken. 

Der  Lebende  bat  recht.  Ich  habe  recht  —  solange  ich 
lebe. 

Die  Juden  haben  Hirsch  verloren,  aber  sie  haben  mich. 


373 


dbyGoogle 


Und  nach  mir  werden  sie  einen  anderen  haben.  Es  muß 
aufw&rts  gehen. 

Ein  Wiener  Morgenblatt  sagte  im  heutigen  Nekrolog: 
Hirsch  konnte  den  Armen  nicht  helfen,  weil  er  reich 
war.  So  ungefähr  ist  der  Gedanke  —  und  er  ist  richtig. 
Ich  fasse  dieselbe  Sache  anders  an,  und  ich  glaube,  besser, 
mächtiger,  weil  ich  sie  nicht  mit  Geld,  sondern  mit  der 
Idee  mache. 


Von  Hechler  erhielt  ich  vor  der  Abreise  noch  ein  Te- 
legramm: „Kann  unmöglich  bis  Samstag  hier  bleiben. 
Konferenz  bei  S.  K.  H.  auf  Donnerstag  für  beide  be- 
stimmt. Muß  ich  wirklich  mit  halbveriichteter  Sache  zu- 
rück? . . .  Ich  muß  morgen  zurückreisen,  wenn  Sie  nicht 
kommen  können  bis  Donnerstag  mittags.    Hechler." 

Er  hatte  nämlich  meine  gestrige  Anzeige,  daß  ich  nach 
Pest  fahre,  als  Antwort  auf  sein  zweites  gestriges  Tele- 
gramm aufgefaßt,  was  sie  nicht  war.  Es  ist  gut,  daß  tx 
nochmals  in  mich  dringen  zu  müssen  glaubte.  Nun  wird 
er  heute  freudestrahlend  dem  Gh.  melden,  daß  ich  doch 
kcmime. 


Ich  weiß  eigentlich  nicht  viel  vom  Gh. :  nur  daß  er  ein 
alter  Mann  ist  und  der  Freund  Friedrichs  war.  Jetzt 
scheint  auch  Wilhelm  auf  ihn  zu  hören.  Viel  hängt  also 
von  dieser  Unterredung  und  vom  Eindruck,  den  ich  auf 
ihn  mache,  ab. 

Dennoch  darf  ich  auf  dieser  Höhe  nicht  schwindlig 
werden.  Ich  werde  an  den  Tod  denken  und  ernst  sein. 

Ich  werde  kalt,  ruhig,  fest,  bescheiden,  aber  entschlos- 
sen sein  und  sprechen. 


374 


dbyGoOglc 


23.  April,  Karlsruhe. 

Um  elf  Uhr  nachta  traf  ich  gestern  hier  ein.  Hechler 
erwartete  mich  auf  dem  Bahnhofe,  führte  mich  ins  Hotel 
Germania,  „das  der  Großherzt^  empfohlen  hatte". 

Wir  saßen  eine  Stunde  im  Speisesaal.  Ich  trank  bay- 
risches Bier,  Hechler  Milch. 

Er  erzShlte  die  Begebenheiten.  Der  Großherzog  habe 
ihn  gleich  empfangen,  als  er  ankam,  wollte  aber  zunächst 
den  Bericht  des  Gebeimrats  über  meinen  „Judenstaat" 
abwarten. 

Hechler  zeigte  dem  Großherzog  die  „prophetischen  Ta- 
bellen", die,  wie  es  scheint,  Eindruck  machten. 

Als  der  Kaiser  ankam,  wurde  er  vom  Großherzog 
gleich  verständigt.  Hechler  wurde  zum  Empfang  ge- 
laden, und  der  Kaiser  sprach  ihn  zur  Oberraschung  der 
Hofgesellschaft  mit  den  scherzenden  Worten  an:  „Hech- 
ler, ich  höre,  Sie  wollen  Minister  des  jüdischen  Staates, 
werden." 

Hechler  antwortete  etikettewidrig  in  englischer  Sprache, 
worauf  der  Kaiser  auch  englisch  weitersprach:  „Steckt 
da  nicht  Rothschild  dahinter?" 

Hechler  verneinte  natürlich.  Und  damit  scheint  die 
„Unterredung"  ein  Ende  gehabt  zu  haben. 

Insofern  ist  es  also  ein  recht  mageres  Resultat. 

Dagegen  war  Hechler  heim  Großherzog  glücklicher.  Bei 
diesem  wurde  er  mehrmals  vorgelassen.  Der  Großherzc^ 
sprach  vom  toten  Prinzen  Ludwig,  dessen  Erzieher  Hech- 
ler gewesen,  und  weinte  sehr.  Hechler  tröstete  ihn  und 
las  ihm  einen  Psalm  vor,  in  welchem  Zion  vorkommt. 

Dann  ließ  der  Großherzog  mit  sich  weiter  reden.  Sein 
Hauptbedenken  war,  daß  es  ihm  falsch  ausgelegt  werden 
kOnne,  wenn  er  auf  meinen  Plan  eingehe.  Man  würde  an- 
nehmen, daß  er  die  Juden  aus  seinem  Lande  vertreiben 

375 


dbyGoogle 


wolle.  Auch  machte  ihn  meine  journalistische  Stellung 
stutzig.  Hechler  garantierte,  daß  nichts  in  die  Zeitungen 
kommen  werde. 

Nun  fragte  der  Großherxog,  was  er  denn  eigentlich 
für  die  Sache  tun  könne. 

Hechler  sagte :  „Königliche  Hoheit  waren  derjenige,  der 
als  erster  unter  den  deutschen  Fürsten  in  Versailles  den 
König  Wilhelm  zum  Kaiser  ausrief.  Wenn  Sie  sich  nun 
auch  an  der  zweiten  großen  Staatsgründung  dieses  Jahr- 
hunderts beteiligten!  Denn  die  Juden  werden  eine  grande 
nalion  werden." 

Das  machte  Eindruck  auf  den  Großherzig,  und  er  ge- 
stattete, daß  Hechler  mich  hierherrief,  damit  ich  ihm  die 
Sache  erkläre. 

Ich  soll  heute  nachmittags  um  vier  Uhr  zur  geheimen 
Audienz  kommen. 

Ich  begleitete  Hechler  durch  die  öden,  reinlichen  Stra- 
ßen dieser  netten  Residenz  nach  Hause.  Ab  und  zu 
Ifirmten  Nachtwandler,  von  der  Kneipe  kommend,  laut 
und  gemütlich. 

Eine  angenehme  Kleinstaaterei,  die  ich  da  in  nScht- 
Uchen  Umrissen  und  in  Hechlers  Erzählungen  vor  mir 
liegen  sah.  Der  Wachposten  vor  dem  Schloßtor  hörte 
behaglich  zu,  als  Hechler  mir  sagte,  wo  die  Gemächer 
des  Großherzogs,  der  Großherzogin  seien,  und  wo  er 
selbst  ehemals  gewohnt  habe.  Er  zeigte  wehmütig  nach 
den  eleganten  Fenstern.  Ich  begleitete  ihn  dann  bis  an 
sein  Haustor.  Er  wohnt  in  einem  der  al^elegenen  Hof- 
gebfiude. 


Meine  Aufgabe  wird  nun  heute  nachmittags  sein,  den 
Großherzog  dafür  zu  gewinnen,  daß  er  mich  dem  Kaiser 


376 


dbyGoogle 


zu  einer  Audienz  empfehle,  und  daß  er  den  Schwieger- 
vater des  Zars,  den  Großhersog  von  Hessen,  ebenfalls 
fOr  die  Sache  interessiere.  So  könnte  der  letztere,  wenn 
er  zur  ZarenkrCnung  geht,  vielleicht  in  Petersburg  von 
der  Sache  sprechen. 

*  *    * 

Mit  Hechler  spazierengegangen  und  -gefahren.  Wir 
betrachteten  das  Mausoleum  des  Prinzen  Ludwig,  das 
eben  fertig  wird.  Schön,  ernst  steht  diese  rote  Sandstein- 
kapelle im  reizenden  Jagdwald  nSchst  dem  Wolfsgraben, 
wo  der  junge  Ludwig  einst  spielte. 

Ich  ließ  mir  von  Hechler  Details  über  die  großherzog- 
liche Familie  geben,  um  zu  wissen,  mit  wem  ich  reden 
werde. 

Ich  sah  mir  auch  die  Photographien  des  Großherzogs 
in  den  Schaufenstern  lange  an.  Scheint  ein  wohlwollen- 
der mittlerer  Mensch  zu  sein. 

Hechler  erzShlte  mir  noch,  der  Großherzog  habe  sich 
besorgt  gezeigt,  daß  der  Abfluß  der  Juden  auch  einen 
enormen  Geldabfluß  bedeuten  könne. 

Darüber  werde  ich  ihn  also  beruhigen. 

*  *     * 

Hechler  erzShlte  mir,  wie  Napoleon  I.  eines  Tages 
nach  Karlsruhe  kam  und  den  Markgrafen  Karl  zwang, 
aeine  Stieftochter  augenblicklich  zu  heiraten  —  sonst  sei 
dieser  die  längste  Zeit  Herrscher  gewesen.  Der  Markgraf 
fügte  sich  und  wurde  dafür  Großherzog. 


Bezaubernd  ist  die  Stadtanlage  von  Karlsruhe.  Vom 
Schloß  strahlt  alles  aus.  Hinter  dem  Schloß  Park  und 
schöner  Wald.  Davor  die  ruhige  Stadt. 


377 


dbyGoogle 


25.  AprU. 

Mit  Hechler  zu  Mittag  gegessen.  Er  hatte  seine  Orden 
mitgebraclit  und  war  aufgeregter  als  ich.  Ich  kleidete 
mich  erst  nach  Tisch,  eine  halbe  Stunde  vor  der  Audieni, 
um.  Hechler  fragte,  oh  ich  nicht  den  Frack  aniiehen 
wolle.  Ich  verneinte,  weil  eine  zu  festliche  Kleidung  bei 
solcher  Gelegenheit  auch  taktlos  sein  kann.  Der  Groß- 
herzc^  wollte  sozusagen  inkognito  mit  mir  sprechen.  Also 
nahm  ich  meine  erprobte  Redingote.  Die  Äußerlichkeiten 
werden  immer  wichtiger,  je  höher  man  steigt.  Denn  alles 
wird  symbolisch. 

Es  war  nach  dem  regnerischen  Vormittag  ein  reizender 
Nachmittag  gekommen,  als  wir  aus  dem  Hotel  traten. 
Zwanzig  Minuten  hatten  wir  noch  auf  vier  Uhr,  konnten 
also  ein  bißchen  schlendern. 

Ich  sagte  Hechler  gutgelaunt:  „Merken  Sie  sich  diesen 
hübschen  Tag,  den  lieblichen  Frühlingshimmel  über 
Karlsruhe  I  Vielleicht  sind  wir  heute  übers  Jahr  in  Je- 
rusalem." Hechler  sagte,  er  wolle  den  Großherzog  bit- 
ten, den  Kaiser  im  nächsten  Jahre  zur  Einweihung  der 
Kirche  nach  Jerusalem  zu  begleiten.  Ich  solle  dann  auch 
dort  sein,  und  er,  Hechler,  möchte  als  wissenschaftlicher 
Begleiter  des  Großherzogs  mitgehen. 

Ich  sagte:  „Wenn  ich  nach  Jerusalem  gehe,  nehme  ich 
Sie  mit." 

Wir  nahmen  dann  eine  Droschke  und  fuhren,  obwohl 
es  nur  noch  ein  paar  Schritte  waren,  stattlich  beim  Schloß 
VW.  Wir  fuhren  die  kleine  Rampe  hinauf,  was  ich  als 
ein  besonderes  Raffinement  des  Besuchs  empfand.  Es 
war  meine  erste  Auffahrt  vor  einem  fürstlichen  Schloß. 
Ich  versuchte,  mich  von  den  wachthabenden  Soldaten 
nicht  impressionieren  zu  lassen.  Der  Türsteher  tat  mit 
Hechler  sehr  befreundet.    Wir   wurden  in   den  ersten 

378 


dbyGoogle 


Wartesalon  geführt.  Daa  ist  das  Adjutantenziramer.  Aber 
hier  ging  mir  doch  der  Atem  aus.  Demi  da  stehen  groß- 
artig in  Reih'  und  Glied  die  Regimentsfahnen.  Sie  stek- 
ken in  Lederhülsen,  ernst  und  schweigsam,  und  es  sind 
Fahnen  von  1870 — 71.  Zwischen  den  Fahnenständern 
an  der  Wand  ein  Revuebild:  der  Großherzog  führt  dem 
Kaiser  Wilhelm  I.  die  Truppen  vor.  Da  kam  es  mir  so- 
zusagen erst  zum  Bewußtsein,  wo  ich  eigentlich  war. 

Ich  suchte  mich  vom  zu  starken  Eindruck  abzulenken, 
indem  ich  wie  ein  Reporter  ein  Sacbinventar  aufnahm: 
grünsamtene  Möbel,  das  braune,  geschweifte  Holz  der 
Stuhlbeine  mit  goldenen  Leisten  versehen;  Photographien 
der  drei  deutschen  Kaiser. 

Glücklicherweise  plauderte  auch  Hechler  rastlos.  Er 
erzfihlte  mir,  wie  er  als  junger  Bursche  zum  erstenmal  in 
diesem  Saale  war,  um  für  die  Erhaltung  eines  Oberschule 
rates,  der  abgesetzt  werden  sollte,  zu  petitionieren.  Da- 
mak  trat  ein  Adjutant  auf  ihn  zu  und  sagte:  „Haben 
Sie  keine  Angst  t  Der  Großherzog  ist  auch  nur  ein  Mensch 
wie  wir." 

Ich  dachte  bei  mir,  innerlich  lächelnd:  „Das  ist  immer- 
hin gut  zu  wissen." 

Dann  kam  der  Leibkammerdiener  und  lud  uns  ein,  in 
den  nSchsten  Salon  zu  treten.  Der  Großherzog  habe  nur 
einen  kleinen  Spaziergang  in  die  Fasanerie  gemacht  und 
werde  bald  kommen. 

Der  zweite  Salon  ist  Rokoko.  Rote  Seidendamast- 
tapeten, die  Fauteuils  mit  demselben  Stoff  überzogen. 
Große  Photographien  der  deutschen  Kaiser.  An  der  Wand 
Olportrfits  eines  früheren  Großherzogs  und  seiner  Frau. 

Hechler  fuhr  fort,  mir  durch  sein  Geplauder  eine  Con- 
tenance  zu  geben.  Wenn  er  das  mit  Absicht  tat,  war  es 
sehr  fein. 


dbyGoogle 


überhaupt  hatte  er  mich  auf  eine  höchst  delikate  Weise 
vorhereitet.  Zum  Beispiel  hatte  er  schon  unterwegs  be- 
merkt, ich  müsse  die  rechte  Hand  euthlößen  für  den  Fall, 
daß  der  Großherzog  mir  die  Hand  reichen  werde. 

Nachzuholen:  beim  Mittagessen  hatte  ich  ihm  gesagt, 
daß  der  Wiener  Nuntius  Agiiardi  mir  (durch  Dr.  Münz) 
habe  mitteilen  lassen,  er  wünsche  mich  zu  sprechen.  Ich 
erzählte  ihm  das,  damit  er  den  englischen  Botschafter 
Monson  veranlasse,  mit  mir  zu  reden.  Hechler  warnte 
mich  gleich  vor  Agiiardi  und  vor  Rom.  Ich  solle  vor- 
sichtig sein.  Indessen  dachte  ich  mir  im  Stillen :  sie  sol- 
len nur  aufeinander  eifersüchtig  sein:  Englinder  und 
Russen,  Protestanten  und  Katholiken.  Sie  sollen  mich 
einander  streitig  machen  —  so  kommt  unsere  Sache  vor- 
wärts. 

Als  wir  nun  im  roten  Salon  saßen,  erzählte  mir  Hech- 
ler von  dem  verstorbenen  Großherzog,  dessen  Bild  an 
der  Wand  hängt :  der  sei  für  ein  unterschobenes  Kind  ge- 
halten worden.  Wenigstens  sei  das  von  Bayern  behaup- 
tet worden.  Bayern  wollte  das  badische  Herrscherhaus 
verdringen,  hatte  auch  mit  Osterreich  ein  geheimes  Ab- 
kommen. Osterreich  hatte  Bayern  die  Pfalz  zugesagt 
und  zahlte  insgeheim  jährlich  zwei  Millionen  an  Bayern 
bis  1866.  Um  nun  die  Ansprüche  auf  Baden  zu  begrün- 
den, wurde  in  Bayern  die  Caspar-Hauser-Geschichte 
aufgebracht.  Ich  hörte  Hechlers  Worten  zerstreut  zu. 
Ich  weiß  nicht  einmal,  ob  ich  sie  jetzt  richtig  wieder- 
gehe. 

Es  war  mir  nur  angenehm,  von  den  egoistischen  Hin- 
deln  der  Großen  zu  hören,  weil  ich  mich  dabei  in  meiner 
reinen  Bewegung  ein  bißchen  überlegen  fühlte  und  mehr 
Sicherheit  bekam. 

Plötzlich  öffnete  sich  die  Türe  des  Arbeitszimmers,  und 

38o 


dbyGoogle 


ein  alter,  kräftig,  aber  nicht  fett  aussehender  General  trat 
ein:  der  Großherzog.  Wir  sprangen  von  unseren  Fau- 
teuils  auf.  Ich  machte  zwei  Verbeugungen.  Der  Groß- 
herzog reichte  Hechler  die  Hand  —  von  meiner  schicklich 
entblößten  Rechten  machte  er  keinen  Gebrauch.  Er  lud 
uns  mit  einer  Handbewegung  ein,  ihm  zu  folgen.  Ich  trat 
als  letzter  ein,  schloß  die  Tür  hinter  mir.  Ich  weiß  gar 
nicht,  wie  es  im  Arbeitszimmer  aussieht,  denn  die  ganze 
Zeit  mußte  ich  den  Großherzog  als  Sprechender  oder  Hö- 
render ansehen.  Er  ist  siebzig  Jahre  alt,  sieht  aber  um 
sechs  bis  acht  Jahre  jünger  aus. 

Drei  Fauteuils  standen  bereit.  Der,  den  ich  bekam, 
hatte  das  volle  Licht  auszuhalten.  Die  Armlehnen  nicht 
weit  genug  auseinander,  daß  man  die  Arme  am  Leib  her- 
unter hätte  hängen  lassen  können.  Diese  Fauteuils  sind 
für  bequemes  Zurücklehnen,  wobei  die  Unterarme  auf 
den  Armlehnen  ruhen  können,  vielleicht  sehr  angenehm. 
Da  ich  mich  aber  nicht  zurücklehnen  durfte,  saß  ich  die 
zweieinhalb  Stunden  in  einer  gezwungenen  Art  da,  wor- 
unter möglicherweise  auch  mein  Vortrag  litt. 

Anfangs  sprach  ich  befangen.  Ich  glaubte,  mit  halbem 
Ton  reden  zu  müssen,  wodurch  die  gewöhnliche  Selbst- 
berauschung im  Sprechen  wegfiel.  Auf  die  ersten  freund- 
lichen Fragen  nach  meiner  Reise  und  meinem  Wohnort 
sagte  ich,  was  ich  sei,  und  sprach  auch  von  meiner  frühe* 
ren  Pariser  Stellung. 

Der  Großherzog  sagte:  „Ich  besitze  die  Neue  Freie 
Presse."  Er  erkundigte  sich  nach  Paris.  Ich  schilderte 
die  parlamentarische  Krise,  und  insbesondere  das  jetzige 
Kabinett  Bourgeois. 

Nach  ein  paar  Minuten  unterbrach  er  mich:  „Wir  woll- 
ten ja  von  anderem  reden." 

Worauf  ich  sofort  auf  die  Sache  einging  und  bat,  er 

38i 


dbyGoogle 


möge  mich  durch  Fragen  unterbrechen,  wo  meine  Aub- 
f  übruQgen  undeutlich  seien. 

Ich  rollte  also  die  ganze  Frage  auf.  Leider  mußte  ich 
mich  beim  Sprechen  derart  konzentrieren,  daß  ich  nicht 
gut  beobachten  konnte.  Hechler  sagte  spSter,  daß  die 
Unterredung  hätte  stenographiert  werden  sollen.  Er 
meinte,  ich  hätte  ganz  gut  gesprochen  und  einige  vor- 
treffliche Wendungen  gefunden. 

Ich  weiß  nur,  daß  mir  der  Großherzog  mit  seinen  schö- 
nen blauen  Augen  und  seinem  ruhigen,  guten  Gesicht  be- 
ständig in  die  Augen  schaute,  daß  er  mir  mit  großem 
Wohlwollen  zuhörte;  und  als  er  selbst  sprach,  geschah  es 
mit  einer  unsaigbaren  Bescheidenheit.  Ich  hatte  nach  der 
zweieinhalbstündigen  «Anspannung  aller  Denkkraft  eine 
solche  Erschlaffung,  daß  ich  mich  an  den  genauen  Gang 
der  Unterredung  nicht  mehr  erinnere. 

Jedenfalls  nahm  der  Großherzog  meine  Staatbildung 
von  Anfang  an  vollkommen  ernst. 

Sein  Hauptbedenken  war,  daß  man  es  ihm  als  Anti- 
semitismus auslegen  würde,  wenn  er  für  die  Sache  ein- 
träte. 

Ich  erklärte  ihm,  daß  nur  die  Juden  gehen  sollen,  die 
wollen. 

Da  sich  die  Juden  in  Baden  unter  seiner  milden  Herr- 
schaft wohl  fühlen,  werden  sie  nicht  mitgehen,  und  sie 
haben  recht.  Im  weiteren  Verlauf  kam  ich  noch  mehr- 
mals von  verschiedenen  Seiten  auf  seine  Judenfreund- 
lichkeit zurück  und  benützte  sie  verschiedenartig  als  Ar- 
gument. Wenn  er  für  die  Sache  eintrete,  werde  sie  nicht 
mehr  als  judenfeindliche  angesehen  werden  können.  Auch 
seien  ja  wir,  die  Führer  der  Juden,  dazu  da,  um  das  Volk 
aufzuklären,  daß  die  Herstellung  des  Judenstaates  eine 
Gnade  und  keine  Verfolgung  bedeute. 

383 


dbyGoogle 


Ferner  sagte  ich;  .JlCönigliche  Hoheit  würdea,  wenn 
Ihre  wohlwollende  Gesinnung  gegenüber  den  Juden  be- 
kannt würde,  einen  solchen  Zuzug  von  Juden  bekommen, 
daß  es  eine  große  Kalamität  wlre." 

Er  l&chelte. 

Fortgesetzt  im  Coapi  auf  der  Rüdtfahrt,  am  3^.  April. 

„Oberhaupt",  sagte  ich,  „gehörtes  lum  Unglück  der  Ju- 
den, daß  man  sich  mit  ihnen  gar  nicht  zu  beschfif  tigen  w^, 
wenn  man  ihnen  wohlgesinnt  ist.  Sie  sind  in  den  langen 
Martern  so  wehleidig  geworden,  daß  man  sie  gar  nicht 
berühren  kann." 

Der  Großherzog  formulierte  denselben  Gedanken  dann 
noch  einmal.  Er  befürchte,  seine  jüdischen  Untertanen  zu 
kränken,  wenn  er  öffentlich  auf  meinen  Plan  eingehe. 
Man  wisse  zwar,  wie  er  bisher  über  die  Juden  gedacht 
habe,  aber  man  würde  ihn  dann  wahrscheinlich  dennoch 
mißverstehen  und  glauben,  daß  seine  Anschauung  sich 
eben  geändert  habe.  Er  habe  über  seine  jüdischen  Bür- 
ger nie  zu  klagen  gehabt.  „Ein  Jude  war  35  Jahre  mein 
Finanzminister,"  sagte  er,  „und  er  hat  seine  Sachen  immer 
zu  meiner  Zufriedenheit  gemacht.  Er  hat  gut  regiert.  Er 
gehurt  noch  jetzt  Ihrem  Glauben  an.  Allerdinga  sind  auch 
bei  uns  in  Baden  die  Verhältnisse  nicht  mehr  wie  sie 
waren.  Ein  Jude,  namens  Bielefeld,  mit  dem  ich  eine 
literarische  Unternehmung  vorbereitete,  riet  mir  selbst, 
seinen  Namen  von  der  Publikation  wegzulassen,  weil  das 
in  heutiger  Zeit  Schwierigkeiten  bereiten  könnte.  Wir 
hatten  auch  noch  andere  Schwierigkeiten  durch  den  An- 
tisemitismus, namentlich  im  Justizdienst.  Wir  haben 
Juden  in  allen  Instanzen  der  Rechtspflege,  und  das  hat 
einzelne  Schwierigkeiten  ergeben. 

Und  doch  haben  die  Juden  viele  gute  Eigenschaften. 
Ich  soll  noch  den  ersten  betrunkenen  Juden  sehen.    Sie 

383 


dbyGoogle 


Bind  Döchtern,  sparsam,  sie  wissen  immer  noch  sich  f(»i- 
zuhelfen.  Ein  ViehhSndler,  der  den  ganzen  Tag  aus  ist, 
geht  doch  in  kein  Wirtshaus,  ja  er  i&t  nicht  eiamal  von 
fräh  bis  abends,  bis  er  nach  Hause  kommt.  Neben  der 
Genügsamkeit  auch  grofie  Intelligenz,  die  freilich  manch- 
mal bis  zum  Betrug  geht.  Aber  wenn  man  andererseits 
die  Dummheit  sieht,  die  sich  so  überlisten  ließ,  so  muß 
man  sagen,  es  geschieht  den  Dummen  recht. 

Jedenfalls  werden  Sie  für  die  StaatsgrQndung  ein  sehr 
intelligentes  Material  haben. 

Aber  wie  stellen  Sie  sich  den  praktischen  Gang  der 
Ausführung  vor?" 

Ich  entwickelte  nun  den  ganzen  Plan,  den  er  eigentlich 
noch  nicht  anders  als  durch  Hechler  kannte.  Also  von 
der  „prophetischen"  Seite,  mit  der  ja  ich  nicht  viel  zu 
schaffen  habe. 

Der  Großhertt^  meinte,  daß  sich  die  Regierungen  erst 
dann  näher  auf  die  Sache  einlassen  könnten,  wenn  ihnen 
die  Society  of  Jews  zu  Gesicht  stehe. 

Ich  befürwortete  nun  natürlich  den  umgekehrten  Weg. 
Einige  Fürsten  sollten  ihr  Wohlwollen  erkennbar  ma- 
chen ;  dadurch  würde  die  Society  of  Jews  von  vornherein 
mit  mehr  AutoritSt  auftreten.  Und  AutoritSt  sei  nötig, 
wenn  man  diesen  großen  Zug  in  Ordnung  durchführen 
wolle.  Die  Juden  müßten  ja  auch  auf  der  Wanderung 
erzogen  und  diszipliniert  werden. 

Fortgesetzt  in  Manchen,  25.  April. 

Der  Großherzog  erwShnte  die  Verwilderung,  die  nach 
Zeitungsberichten  unter  den  in  London  eingewanderten 
russischen  Juden  existiere. 

Ich  sagte:  „Um  dieser  Herr  zu  werden,  brauchen  wir 
eine  starke  AutoritSt.    Dazu  wSre  es  eben  unerlSfilich, 

384 


dbyGooglc 


daß  wir  von  den  Mächten  von  vornherein  anerkannt  wer- 
den." 

Der  GroBberzog  sa^e :  Deutschland  k.5nne  da  eigent- 
lich nicht  gut  den  Anfang  machen.  Zunächst  sei  es  an 
der  Frage  nicht  in  so  hohem  Grade  interessiert,  wie  z.  B. 
Osterreich.  Dort  sei  ja  die  Antisemiten-Schwierigkeit  mit 
Lueger  recht  groß,  Deutschland  habe  nicht  übermäßig 
viele  Juden.  Deren  Abzug  würde  sogar  von  den  National- 
Okonomen  nicht  gern  gesehen  werden. 

Ich  erklärte  nun,  wie  nur  das  trop  plein  abfließen  solle, 
wie  das  bewegliche  Vermögen  nie  als  im  Lande  befindlich 
angesehen  werden  könne,  und  wie  es  nach  dieser  Lösung 
der  Judenfrage  erst  recht  zurückkehren  müßte.  Jetzt 
bereite  es  durch  Belebung  der  Industrie  in  exotischen 
Ländern  mit  billiger  Arbeitskraft  der  einheimischen 
Schwierigkeiten.  Man  braucht  die  Chinesen  nicht  nach 
Europa  kommen  zu  lassen.  Man  baut  ihnen  draußen 
Fabriken.  So  wird,  nachdem  die  Landwirtschaft  durch 
Amerika  gefährdet  ist,  die  Industrie  durch  Ostasien  be- 
droht. 

Demgegenüber  will  meine  Bewegung  nach  zwei  Seiten 
hin  helfen:  durch  Ableitung  des  überschüssigen  jüdischen 
Proletariats,  durch  Bändigung  des  internationalen  Kapi- 
tals. 

Den  deutschen  Juden  kann  die  Bewegung  nur  er- 
wünscht sein.  Der  Judenzufluß  vom  Osten  her  wird  von 
ihnen  weggeleitet. 

Der  Großherzt^  murmelte  wiederholt  zwischen  meine 
Ausführungen  hinein:  „Ich  möchte,  daß  es  so  wäre." 

Er  wandte  sich  dann  halb  zu  Hechler : 

„Das  Zusammenwirken  Englands  mit  Deutschland  ist 
wohl  wenig  wahrscheinlich.  Die  Beziehungen  sind  jetzt 
leider  sehr  gestört.  Würde  England  mittun?" 

385 


dbyGoogle 


Ich  sagte:  „Dafür  müssen  unsere  englischen  Juden 
sorgen." 

Der  Großhertog  meinte  etwas  verstimmt:  „Wenn  die 
es  können  . . ." 

Ich  sagte :  „Wenn  bekannt  würde,  daß  der  Großheriog 
von  Baden  sich  für  die  Sache  interessiert,  würde  das 
einen  tiefen  Eindruck  machen." 

Er  rief:  ,J)as  ist  nicht  wahr.  Meine  Stellung  ist  nicht 
groß  genug.  Ja,  wenn  es  der  Deutsche  Kaiser  oder  der 
König  von  Belgien  tfite." 

Ich  blieb  dabei:  „Ja,  wenn  ein  erfahrener  Fürst,  der 
das  Deutsche  Reich  mit  machen  geholfen  hat,  bei  dem 
sich  der  Deutsche  Kaiser  Rats  erholt,  für  diese  neue  Un- 
ternehmung eintritt,  wird  das  großen  Eindruck  machen. 
Königliche  Hoheit  sind  der  Ratgeber  des  Kaisers." 

Er  lächelte:  „Ich  rate  ihm,  aber  er  tut,  was  er  will." 

Ich :  „Ich  würde  mich  bemühen,  auch  dem  Kaiser  die 
Sache  als  nützlich  zu  erklären.  Wenn  or  mich  empfan- 
gen wollte,  bliebe  das  ebenso  geheim  wie  diese  Unter- 
redung." 

Der  Großheriog:  „Ich  glaube,  Sie  müßten  zuerst  die 
Society  of  Jews  schaffen.  Dann  wird  man  sehen,  ob  man 
sich  mit  ihr  einlassen  kann." 

Ich:  „Das  sind  dann  schon  mehrere  Köpfe.  Die  ersten 
Vorbereitungen,  die  Keimbläschen,  müßten  wohl  noch  von 
mir  geschaffen  werden." 

Der  Großberzog:  , .Jedenfalls  kann  es  nur  gelingen, 
wenn  wenige  darum  wissen.  In  der  öffentlichen  Diskus- 
sion wird  alles  gleich  entstellt." 

Hechler  kam  mir  jetzt  zu  Hilfe:  „Ob  Königliche  Hoheit 
dem  Dr.  Herzl  nicht  gestatten  wolle,  einigen  Vertrauens- 
würdigen in  England  zu  sagen,  daß  der  Großberzog  von 
Baden  sich  für  die  Sache  interessiere." 

386 


;y  Google 


Das  gestand  der  Großherit^  zu,  indem  er  sich  noch- 
mals ausbedang,  daß  davon  nur  außerhalb  seines  Landes 
die  Rede  sein  dürfe.  Dann  fragte  er  mich,  ob  ich  schon 
heim  Sultan  Schritte  unternommen  habe. 

Ich  sagte,  an  Newlinsky  denkend,  daß  sich  jemand  mir 
schon  angeboten  habe,  mit  dem  Sultan  lu  reden. 

Nun  entwickelte  ich  die  Vorteile,  die  der  Plan  für  den 
Orient  hStte.  Würde  die  Türkei  in  absehbarer  Zeit  ge- 
teilt, so  k6nnte  man  in  Palästina  einen.^(  tampon  schaf- 
fen. Zur  Erhaltung  der  Türkei  könnten  wir  jedoch  viel 
beitragen.  Wir  würden  den  Staatsbaushalt  des  Sultans 
definitiv  regeln,  gegen  Überlassung  dieses  für  ihn  nicht 
sehr  wertvollen  Territoriums. 

Der  Großherzog  meinte,  ob  man  nicht  zuerst  einige 
Hunderttausend  Juden  nach  Palfistina  bringen  und  dann 
die  Frage  aufwerfen  sollte. 

Ich  sagte  in  entschiedenem  Ton:  ,J)agegen  bin  ich.  Es 
wSre  ein  Einschleichen.  Die  Juden  müßten  sich  dann 
als  Insurgenten  gegen  den  Sultan  stellen.  Und  ich 
will  alles  nur  offen  und  klar,  in  vollster  Gesetzlichkeit, 
machen." 

Er  sah  mich  zuerst  überrascht  an,  als  ich  so  energisch 
sprach;  dann  nickte  er  beiffillig. 

Ich  entwickelte  dann  die  allgemeinen  Vorteile  des  Ju- 
denstaats für  Europa.  Wir  würden  den  Krankbeitswinkel 
des  Orients  assanieren.  Wir  würden  die  Schienenwege 
nach  Asien  bauen,  die  Heerstraße  der  Kulturvölker.  Und 
diese  Heerstraße  wäre  dann  nicht  im  Besitze  einer  einzel- 
nen Großmacht. 

Der  Großherzog  sagte:  ,J>as  würde  auch  die  ägyp- 
tische Frage  lösen.  England  klammert  sich  nur  an  Ägyp- 
ten, weil  es  da  seinen  Weg  nach  Indien  sichern  muß. 
Tatsichlich  kostet  Ägypten  mehr,  ab  es  wert  ist." 

*s*  387 


dbyGoogle 


Hechler  meinte :  „Rufil^iul  ^^^  vielleicht  Absichten  auf 
PalSstina?" 

Der  Großherxog :  „Das  glaube  ich  nicht.  Rußland  hat 
in  Ostasien  für  lange  Zeit  genug  zu  tun." 

Ich  fragte:  „Halten  Königliche  Hoheit  es  für  möglich, 
daß  ich  vom  Zar  empfangen  würde?" 

Er  sagte:. „Nach  den  neuesten  Berichten  ist  der  Zar 
für  niemanden  zu  sprechen.  Er  empfingt  nur  die  Mi- 
nister, wenn  es  notwendig  ist,  sonst  niemanden.  Man 
könnte  es  übrigens  in  Hessen  versuchen,  ihm  Ihr  Buch 
zu  lesen  zu  geben.  Der  Zar  ist,  wie  ich  glaube,  den  Juden 
nicht  feindlich  gesinnt,  aber  er  muß  mit  der  Volksstim* 
mung  in  Bußland  rechnen.  Ein  Selbstherrscher  herrscht 
keineswegs  immer  seihst." 

Ich  bat  um  die  Erlaubnis,  dem  Großherzog  ab  und  zu 
schreiben  zu  dürfen,  was  er  liebenswürdig  annahm.  Ober- 
haupt eine  Bescheidenheit  und  Einfachheit  I  Ich  schSmte 
mich  innerlich,  daß  ich  ihn  ins  Gewöhnliche  hatte  redu- 
zieren wollen,  bevor  ich  mit  ihm  gesprochen.  Er  ist  von 
einer  großen  edlen  Natürlichkeit.  Ich  weiß  nicht  mehr, 
an  welchen  Stellen  der  Unterredung  er  über  Parlamen- 
tarismus, Normaltag  und  anderes  sprach. 

Er  beklagt  den  Niedergang  des  Parlamentarismus,  „er 
sei  ein  aufrichtig  konstitutioneller  Herrscher".  Die  Ge- 
setzgeberei  werde  immer  schlechter.  Man  mache  viele 
Gesetze,  die  nichts  wert  sind. 

Er  sprach  anläßlich  meines  Siebenstundentages  mit  der 
Überzeit  von  Versuchen,  die  man  in  der  Schweiz  mit  dem 
Normaltag  mache.  Die  Arbeiter  selbst  sind  damit  nicht 
zufrieden. 

Ich  erzfihlte  ihm  zur  Psychologie  des  Arbeiters  die  Ge- 
schichte Tom  Sawyers  von  Mark  Twain,  wie  Tom  zur 
Strafe  am  Sonntag  nachmittag  seines  Vaters  Zaun  an- 

388 


dbyGoogle 


streichen  muß,  und  daraus  Gewinn  zieht.  Tom  sagt  sei- 
nen Kameraden  nicht:  ich  muß,  sondern:  ich  darf  den 
Zaun  anstreichen.  Da  dringen  sich  alle  zur  Mithilfe. 

Der  Großherzog  lächelte:  „Sehr  hübsch". 

Er  erzählte  mir  dann  vom  Misoneismos  der  Leute :  wie 
man  in  Baden  eine  nfitzliche  Kreditkasse  habe  machen 
wollen,  und  es  nicht  möglich  war,  weil  beschränkte  Pri- 
vatinteressen sich  dagegen  wehrten.  Beim  Erzählen  und 
Erklären  gebrauchte  er  öfters  die  Wendung :  „Sie  werden 
mir  beistimmen"  oder  ähnliches.  Er  ist  bei  aller  Würde 
von  einer  ritterlichen  Bescheidenheit. 

Als  Hechler  dann  das  Wort  nahm  und  die  baldige  Er- 
füllung der  Prophezeiung  vortrug,  hörte  er  still  und  groß- 
artig in  seinem  Glauben  zu,  mit  einem  merkwürdig  ru- 
higen Blick  seiner  schönen  festen  Augen. 

Er  sagte  schließlich,  was  er  schon  einigemal  gesagt 
hatte:  „Ich  möchte,  daß  es  geschehe.  Ich  glaube,  es  wird 
ein  Segen  sein  für  viele  Menschen." 

Nachzuholen,  was  mir  jetzt  einfällt. 

Ich  hatte  von  den  Zuschriften  aus  Semlin  und  Groß- 
Becskerek  gesprochen,  wo  eine  Anzahl  Familien  gleich 
aufbrechen  will. 

Da  sagte  er :  ,J)a3  ist  ein  trauriges  Zeichen  für  die  Zu- 
stände." 

Ich  erzählte  ihm  auch  von  dem  Bettler,  der  von  mir 
nichts  hatte  nehmen  wollen,  und  daß  ich  daraus  folgere, 
ich  hätte  den  Weg  gerade  zum  Herzen  der  Armen  ge- 
funden. Er  nickte. 

Gegen  das  Parlamentarisieren  sagte  ich:  „Nicht  kann 
so  hoch  das  Wort  ich  schätzen.  Im  Anfang  war  die  Tat." 
Er  nickte  auch  dazu. 

Wenn  ich  mich  jetzt  besinne,  glaube  ich,  ihn  für  mich 
gewonnen  zu  haben. 

38» 


dbyGoogle 


Nach  zweieinhalb  Stunden,  die  auch  für  ihn  ermfidend 
waren,  denn  er  griff  sich  oft  an  den  Kopf,  wenn  ich 
etwas  Anstrengendes  auseinandersetzte  —  nach  sweiein- 
halb  Stunden  hob  er  die  Audienz  auf.  Jetzt  reichte  er 
mir  die  Hand  und  hielt  sie  sogar  sehr  lange.  Dazu  sprach 
er  gütige  Abschiedsworte:  er  hoffe,  daß  ich  mein  Ziel 
erreichen  werde,  usw. 

Ich  ging  dann  mit  Hechler  an  den  Lakaien  und  Wachen 
vorüber,  die  über  die  lange  Audienz  staunten. 

Ich  war  von  der  gelungenen  Unterredung  ein  bißchen 
berauscht.  Ich  konnte  nur  zu  Hechler  sagen:  „Er  ist  ein 
wunderbarer  Mensch  I" 

Und  das  ist  er. 

Dabei  notierte  ich  mir  aber  doch  für  die  Psychologie 
des  Besuchers  diesen  leichten  Audienzrausch. 

Je  natürlicher  und  einfacher  sich  der  Audienzgeber  be- 
nimmt, desto  stSrker  ist  der  Rausch  des  anfangs  Einge- 
schüchterten. 

Ich  ging  noch  in  den  Schloßpark,  indes  Hechler  seine 
Sachen  einpackte. 

Im  Park  war  eine  gar  Hebliche  Abendstimmung.  We- 
nige stille  Spaziergänger,  Knaben  am  Graben,  die  auf 
Stelzen  gingen.  Starker  Vogelgesang  in  den  verjüngten 
Baumwipfeln.  Abendklarheit,  Frieden,  wolkenlose  Früh- 
lingsstimmung. 

SpSter  begleitete  ich  Hechler,  der  nach  Basel  reiste,  zur 
Bahn.  Er  war  mit  dem  Resultat  sehr  zufrieden  und  wollte 
am  nSchsten  Tage  von  Basel  aus  an  die  „prophetische 
Versammlung"  nach  London  telegraphieren,  daß  er  mit 
zwei  Souveränen  gesprochen  habe  über  den  Judenstaat, 
dessen  Verwirklichui^  nach  seiner  Ansicht  ntdie  bevor- 
stehe. 

390 


dbyGooglc 


Ich  bat  ihn,  diese  Depesche  zu  unterlassen,  weil  der 
Großherzc^  damit  vielleicht  nicht  einverstanden  wäre. 

Jetzt  bedauere  ich,  ihn  davon  abgehalten  zu  haben.  Es 
hätte  in  England  großes  Aufsehen  gemacht,  und  der  Grofi- 
herzog  wäre  gar  nicht  genannt  worden. 

26.  AprÜ,  Wien. 

Ab  ich  gestern  mittags  in  München  den  Orientexpreß 
bestieg,  saß  Hechler  da.  Er  war  von  Basel  noch  einmal 
nach  Karlsruhe  gefahren  und  hatte  dort  den  Orientzug 
bestiegen.  „Die  Differenz  gegen  den  gewöhnlichen  Zug 
will  ich  auf  eigene  Kosten  übernehmen",  sagte  er. 

Das  lehnte  ich  natürlich  ab.  Er  soll  die  ganze  Reise 
auf  meine  Kosten  gemacht  haben.  Für  meine  heutigen 
Verhältnisse  ist  das  allerdings  ein  kleines  Opfer. 

Wir  fuhren  angenehm.  Er  faltete  im  Coup6  seine  Kar- 
ten von  Palästina  auseinander  und  belehrte  mich  stunden- 
lang. Die  Grenze  im  Norden  sollte  das  Gebirge  gegen 
Kappadozien  sein,  im  Süden  der  Suezkanal.  Als  Ruf 
auszugehen:  Palästina  wie  zu  Davids  und  Salomonis  Zeitl 

Dann  ließ  er  mich  allein,  und  ich  entwarf  den  Brief 
an  den  Großherzog.  Hecbler  bemängelte  nachher  einiges. 
Seine  Belehrungen  sind  ausgezeichnet,  obwohl  gerade  da- 
bei öfters  sein  Antisemitismus  durchschlägt.  Selbstbe- 
wußtsein des  Juden  erscheint  ihm  als  Keckheit.  Als  es 
dämmerte,  gab  er  mir  sogar  eine  ausgesprochen  antisemi- 
tische Erzählung  zum  besten.  Er  habe  einmal  einen  Juden 
bei  sich  aufgenommen  —  zum  Dank  habe  ihn  dieser  be- 
stöhlen.  Ein  Talmudbt,  dem  er  sein  Leid  klagte,  antwor- 
tete ihm  darauf  mit  einem  Vei^leich  von  Blimien  und 
Nationen.  Die  Rose  sei  die  englische,  die  Lilie  die  fran- 
zösische usw.,  die  fette  Distel  auf  dem  Misthaufen  sei 
die  jüdische. 

391 


dbyGoogle 


Ich  fertigte  Um  riemlich  trocken  ab:  „Wenn  Sie  hun- 
dert Juden  und  hundert  Christen  ins  Haus  nehmen,  wer- 
den Sie  mit  mehr  Christen  als  Juden  schlechte  Erfahrun- 
gen machen." 

Dieser  Hechler  ist  jedenfalls  ein  eigentflmlicher  und 
komplizierter  Mensch.  Er  hat  viel  Pedanterie,  übertrie- 
bene Demut,  Augenverdrehen  —  aber  er  gibt  mir  auch 
ausgeseichnete  Ratschlfige  voll  unverkennbar  echten  Wohl- 
wollens. Er  ist  gescheit  und  mystisch,  verschlagen  und 
naiv.  Hieb  unterstfitzt  er  bisher  in  einer  geradezu  wun^ 
derbaren  Weise. 

Seip  Rat  und  seine  Lehren  sind  bi^er  ausgeieicbnet 
gewesen,  und  wenn  sich  nicht  etwa  noch  spSter  irgendwie 
herausstellt,  daß  er  einen  doppelten  Boden  hat,  mOchte 
ich,  daß  ihm  die  Juden  in  großem  Maßstabe  dankbar 
wiren. 


Brief  an  den  Großherzog  von  Baden. 
Ew.  Königliche  HoheitI 

Heimgekehrt,  empfinde  ich  das  Bedürfnis,  für  den  gü~ 
tilgen  Empfang  in  Karlsruhe  meinen  ehrfurchtsvollen  Dank 
ausiusprechen. 

Der  Gedanke,  daß  ich  einem  der  Mitbegründer  des  Deut- 
sehen  Reiches,  dem  ratgebenden  Freunde  dreier  Kaiser, 
gegenübersaß,  machte  mich  befangen.  Dennoch  darf  die 
Sache  unter  der  Schwftche  ihres  Vertreters  nicht  leiden, 
und  ich  bitte  Ew.  Königliche  Hcrfieit,  es  mir  su  gestatten, 
daß  ich  einige  Punkte  noch  schSrfer  herausarbeite,  als 
dies  vielleicht  mündlich  geschehen  ist. 

Die  Judenfrage  ist  in  Deutschland  derxeit  wohl  keine 
so  brennende,  wie  sie  es  in  Osterreich,  Rußland,  Rum&- 


392 


dbyGoogle 


njen  usw.  ist.  Aber  gerade  diese  Ruhepause,  die  übrigens 
keine  Isnge  Dauer  haben  kann,  iSßt  es  möglicherweise 
als  wünschenswert  erscheinen,  an  die  Lösung  heranzu- 
geben. Vor  dem  LSrmen  unverantwortlicher  Gassenpoli- 
tiker  kann  die  staatliche  Autorit&t  nicht  zurückweichen; 
wird  sie  jedoch  nicht  gedrängt,  so  mag  sie  das  segens- 
reiche Werk  eher  unterstützen. 

Denn  wir  hoffen,  daß  ein  Strom  von  Segen  für  viele 
Menschen  von  unserer  Sache  ausgeben  werde,  und  kei- 
neswegs allein  für  die  Juden. 

Fügt  es  Gott,  daß  wir  in  unser  historisches  Vaterland  zu- 
rückkehren, so  möchten  wir  als  Kulturträger  des  Westens 
in  diesen  jetzt  verseuchten,-  verwahrlosten  Winkel  des 
Orients  Reinlichkeit,  Ordnung  und  die  geklärten  Sitten 
des  Abendlandes  bringen.  Wir  werden  das  tun  müssen, 
um  dort  existieren  zu  können,  und  dieser  Zwang  wird 
unser  Volk  erziehen,  soweit  es  dessen  bedarf. 

Die  Einzelheiten  sind  in  meiner  Schrift  „Der  Juden- 
staat" angedeutet.  Da  steht  auch,  wie  der  wirtschaft- 
lichen Schädigung  der  zu  verlassenden  Linder  vorgebel^:t 
werden  kann  und  muß  —  Seite  i6,  77,  78  fg. 

An  eine  vollständige  Evakuierung  ist  übrigens  nicht 
gedacht.  Die  resorbierten  oder  noch  resorbierbaren  Ju- 
den bleiben.  Der  Zug  ist  ein  freiwilliger  und  wird  von  den 
rechtzeitig  aufgeklärten  Juden  nicht  als  Austreibung,  son- 
dern als  Gnade  des  Fürsten  empfunden. 

Was  ich  aber  in  dieser  zur  Öffentlichen  Diskussion  ge- 
stellten Schrift  kaum  andeutete,  und  worauf  ich  die  Auf- 
merksamkeit Eurer  Königlichen  Hoheit  besonders  hinzu- 
lenken wage,  sind  zwei  Wirkungen  unserer  Bewegung. 
Wir  schwächen  die  Umsturzparteien  und  brechen  die  in- 
ternationale Finanzmacht.  Das  sind  keine  vermessenen 
Worte,  wenn  wir  Hilfe  finden. 

393 


dbyGoogle 


Falls  Königliche  Hoheit  sich  bewogen  fühlen,  meinen 
Plan  Seiner  Kaiserlichen  Majestät  vorzulegen,  möchte  ich 
ergebenst  um  die  Betonung  dieser  Momente  bitten. 

Genehmigen  Ew.  Königliche  Hoheit  die  Ausdrücke 
meiner  ehrfurchtsvollen  Ergebenheil. 

Dr.  Theodor  Herzl, 
IX.  Pelikangasse  i6. 
Wien,  a6.  April. 

Budapest,  3.  Max. 

Diouys  Roseufeld,  Herausgeher  der  „Osmanischea 
Post"  in  Konstantinopel,  hat  mich  hier  aufgesucht. 

Er  bietet  seine  Vermittlerdienste  an.  Er  behauptet,  mit 
Izzet  Bey,  dem  Günstling  des  Sultans,  gut  zu  stehen.  Ich 
sagte  ihm  mit  wenigen  Worten,  um  was  es  sich  handelt. 
Wir  werden  der  Türkei  enorme  Vorteile  zuwenden  und 
für  die  Vermittler  große  Geschenke  widmen,  wenn  wir 
Palästina  bekommen.  Zu  verstehen  ist  nur  die  Abtretung 
als  unabhängiges  Land.  Dafür  werden  wir  die  Finanzen 
der  Türkei  vollkommen  regeln. 

Die  dem  Sultan  gehörigen  LSndereien  werden  wir  pri- 
vatrechtlicfa  erwerben  —  obwohl  ja  dort  kein  so  deut- 
licher Unterschied  zwischen  Hoheit  und  Privateigentum 
bestehen  dürfte. 

Rosenfeld  sagt,  der  Moment  sei  sehr  günstig,  denn  die 
Türkei  befinde  sieb  in  argen  Geldverlegenheiten.  Nur 
glaubt  er,  dafi  die  Oberhoheit  nicht  aufgegeben  werden 
würde  —  im  günstigsten  Fall  ein  Verhältnis  wie  das  Bul- 
gariens. Das  lehne  ich  von  vornherein  ab. 

Rosenfeld  will  sich  beeilen,  nach  Hause  zu  fahren,  und 
glaubt,  mir  die  nötige  Audienz  beim  Sultan  für  Ende  Mai 
erwirken  zu  können.    Vederemo. 

Ich  erklärte,  daß  ich  jedenfalls  nur  nach  Konstant!- 

394 


dbyGoogle 


nopel  komme,  wenn    Izzet  Bey    mir  ausdrücklidi   die 
Audienz  beim  Sultan  vorher  zusichere. 

7.  Mai,  Wien. 

Kozmian  hat  im  Lemberger  Amtsblatt  Gazeta  Lwowska 
einen  sehr  schmeichelhaften  Aufsatz  über  den  „Juden- 
staat" publiziert. 

Ich  besuchte  ihn  heute,  um  ihm  zu  danken  und  den 
Faden  wieder  anzuspinnen.  Er  lag  noch  im  Bett. 

Ich  schilderte  ihm,  am  Bettrande  sitzend,  die  Situation, 
in  die  Badeni  sich  durch  das  Kapitulieren  vor  Lueger  ge- 
bracht hat.  Er  wird  entweder  weiter  mit  den  Antisemiten 
gehen  müssen  und  sich  dann  den  tückischen  Haß  der 
Juden  zuziehen.  Oder  er  wird  wieder  Fühlung  mit  den 
Juden  suchen,  und  dann  werden  ihn  die  erfolggestärkten 
Antisemiten  rasch  umwerfen. 

Auf  die  morsche  liberale  Partei  kann  er  sich  im  nSch- 
sten  Abgeordnetenhaus  nicht  mehr  stützen.  Er  wird  kon- 
servativere Helfer  suchen  und  finden.  Dann  hat  er  den 
ganzen  Haß  der  liberalen  Überreste.  Da  gibt  es  nur  den 
Ausweg,  den  Zionismus  zu  poussieren  und  dadurch  Spal- 
tung unter  die  opponierenden  Juden  zu  bringen. 

Kozmian  will  mit  Badeni  darüber  reden. 

7.  Mai,  abends. 

Newlinsky  kam  zu  mir,  nachdem  ich  ihn  telephonisch 
angerufen. 

Er  war  mit  zwei  Worten  aa  courant  gesetzt.  Er  sagte 
mir,  er  habe  meine  BroschOre  schon  vor  seiner  letzten 
Konstantinopler  Reise  gelesen  und  mit  dem  Sultan  davon 
gesprochen.  Der  Sultan  habe  erkifirt,  Jerusalem  könne 
er  nie  hergeben.  Die  Moschee  Omars  müsse  immer  im 
Besitz  des  Islam  bleiben. 

„Da  könnten  wir  ja  Rat  schaffen",  sagte  ich ;  „wir  ex- 

395 


dbyGoogle 


territorialisiereu  Jerusalem,  das  niemandem  und  allen  ge- 
hören wird,  der  beilige  Ort,  den  alle  GMubigen  dann  ge* 
meinsam  haben.  Das  große  Kondominium  der  Kultur 
und  Sittlichkeit." 

Newiinsky  meinte,  daß  der  Sultan  uns  eher  AnatoUen 
geben  würde.  Das  Geld  spiele  bei  ihm  keine  Rolle;  er 
verstehe  den  Wert  des  Geldes  gar  nicht,  was  man  oft  bei 
regierenden  Herren  bemerken  könne.  Aber  auf  andere 
Weise  könnte  man  den  Sultan  gewinnen:  wenn  man  iha 
nSmlich  in  der  armenischen  Sache  unterstützte. 

Newiinsky  hat  eben  jetzt  eine  vertrauliche  Mission  des 
Sultans  an  die  armenischen  Komitees  in  Brüssel,  Paris 
und  London.  Er  soll  sie  dazu  bewegen,  daß  sie  sich  dem 
Sultan  unterwerfen,  worauf  dieser  ihnen  „freiwillig"  die 
Reformen  gewähren  wird,  die  er  auf  den  Druck  der 
MSchte  nicht  bewilligt. 

Newiinsky  verlangte  nun  von  mir,  daß  ich  ihm  die 
Judenhilfe  in  der  armenischen  Sache  vermittle,  wofür 
er  dem  Sultan  sagen  will,  daß  die  Judenmacht  ihm  diesen 
Dienst  geleistet  habe.  DafOr  werde  der  Sultan  erkenntlich 
sein. 

Ich  fand  diese  Idee  sofort  ausgezeichnet,  sagte  aber, 
daß  wir  unsere  Hilfe  nicht  umsonst  hergeben  werden, 
d.  h.  nur  für  positive  Gegendienste  in  der  Judensache. 

Newiinsky  machte  hierauf  den  Vorschlag,  daß  nur  ein 
Waffenstillstand  von  den  Armeniern  erlangt  werden 
solle.  Die  armenischen  Komitees  bereiten  das  Losschla- 
gen für  den  Juli  vor.  Man  müßte  sie  bewegen,  einen  Mo- 
nat zu  warten.  Diese  Zeit  würden  wir  zu  Unterhand- 
lungen mit  dem  Sultan  benutzen.  Newiinsky  selbst  will, 
da  er  an  der  Judensache  interessiert  wird,  die  armenische 
Sache  nützlich  verschleppen,  damit  das  eine  das  andere 
vorwärtsbringe. 

39« 


dbyGoogle 


Ich  sagte:  ,J)ie  Judeasache  wird  Ihnen  mehr  eintragen 
als  die  armenische.  Ich  habe  zwar  mit  dem  Gelde  nichts 
zu  tun,  werde  Sie  aber  unseren  Geldleuten  empfehlen." 

NewUnsky,  der  den  Sultan  notorisch  gut  kennt,  be- 
hauptet, daß  wir  auf  diese  Weise  reüssieren  können.  Nur 
die  offizielle  Diplomatie  möge  sich  nicht  hineinmischen, 
ja  sie  möge  lieber  Schwierigkeiten  machen.  Dann  werde 
der  Sultan  aus  Trotz  tun,  was  wir  wünschen. 


Abends  ließ  ich  mir  vom  Vetter  meiner  Frau  die  Fi- 
nanzlage der  Türkei  erklären. 

Soweit  ich  bisher  sehe,  wird  der  Finanzplan  darin  be- 
stehen müssen,  die  europäische  Kontrollkommission  zu 
beseitigen,  die  Zinsenzahlung  in  unsere  jüdische  Regie 
lu  übernehmen,  damit  der  Sultan  diese  beschämende  Kon- 
trolle los  wird  und  neue  Anleihen  ad  Ubilum   machen 

könne. 

*    *     • 

Heute  auch  an  den  Bildhauer  Moise  Ezechiel  in  Rom 
geschrieben.  Der  soll  ein  Zionist  und  mit  Kardinal  Hohen- 
lohe  gut  bekannt  sein. 

8.  Mai. 

Der  Chassid  Ahron  Marcus  in  Podgorze  schreibt  mir 
wieder  einen  schönen  Brief,  worin  er  es  mir  ab  möglich 
in  Aussicht  stellt,  daß  die  drei  Millionen  Ghassidim  Po- 
lens auf  meine  Bewegung  eintreten. 

Ich  antworte  ihm,  daß  die  Mitwirkung  der  Orthodoxen 
hochwillkcMnmen  ist  —  aber  eine  Theokratie  wird  nicht 
gemacht. 

10.  Mai. 

Newiinsky  verabschiedet  sich,  um  nach  Brüssel  zu 
gehen. 


397 


dbyGoogle 


Er  will  jedeafalls  beim  Sultan  für  uns  wirken  und, 
selbst  wenn  wir  die  Ordnung  der  armenischen  Sache  nicht 
herbeiführen,  sagen,  daß  wir  ihm  geholfen  bStten. 

Er  verl&ßt  sich  auf  die  Großmut  der  Juden,  wenn  er 
für  uns  etwas  durchgesetzt  hat. 

Von  Kozmian  ersShIt  er  mir,  der  habe  von  mir  gesagt: 
ich  erinnere  ihn  an  einen  der  großen  Juden,  von  denen 
Renan  berichtet.  Aber  meine  Bemühung  sei  utopisch. 

11.  Mai. 
Nordau  schreibt,  er  habe  durch  Zadok  Kahn  mit  Ed- 
mund Rothschild  Fühlung  gesucht.   Rothschild  sei  aber 
Anhfinger  der  Infiltration. 

Ich  schreibe  Nordau  über  die  Armenier  und  verlange 
seine  Unterstützung. 

*     *     * 

Mit  Hechler  gesprochen,  ihn  gebeten,  den  Botschafter 
Monsou  zu  verständigen,  daß  ein  offiziöser  Unterhändler 
des  Suitaas  nach  Brüssel  und  London  aufgebrochen  sei, 
um  die  Armenier  zu  versöhnen.  Monson  möge  Salisbury 
benachrichtigen.  Es  sei  für  Satisbury  ein  müheloser,  gro- 
ßer diplomatischer  Erfolg. 

12.  Mai. 
Hechler  war  da.   Die  Mitteilung  war  dem  Botschafter 

Monson  sehr  erwünscht,  da  England  Frieden  in  Armenien 
wünscht.  Ich  riet,  daß  man  Salisbury  zur  Erneuerung 
seiner  versöhnlichen  Worte  anregen  solle. 

12.  Mai. 

Große  Dinge  brauchen  kein  festes  Fundament.  Einen 
Apfel  muß  man  auf  den  Tisch  legen,  damit  er  nicht  falle. 
Die  Erde  schwebt  in  der  Luft. 

So  kann  ich  den  Judenstaat  vielleicht  ohne  jeden  siche- 
ren Halt  gründen  und  befestigen. 


dbyGoogle 


Das  Geheimnis  11^  in  der  Bewegung.  (Ich  glaube,  da- 
hinaus wird  auch  irgendwo  das  lenkbare  Luftschiff  ge- 
funden werden.  Die  Schwere  überwunden  durch  die  Be- 
wegung; und  nicht  das  Schiff,  sondern  dessen  Bewegung 
ist  zu  lenken.) 

Brief  an  Newlinsky  nach  London: 

Mon  eher.  Monsieur, 

j'al  travaitlö  pour  vous,  et  j'espire  bien  que  vous  vous 
en  apercevrez.  Notamment  j'ai  fait  privenir  Lord  Salis- 
bury,  et  il  me  semble  que  de  ce  cAt^Ü  on  verra  I'arrange- 
ment  d'un  oeil  favorable.  Quant  &  mes  correligionnaires, 
je  les  ai  d&jk  fait  marcher,  tant  i  Paris  qa'k  Londres. 
Mais  parmi  mes  amis  il  y  en  a  qui  fönt  une  objection  assez 
s^rieuse.  Ils  disent  que  nous  risquoos  de  travailler  poUr 
le  roi  de  Prusse,  et  que  mime,  la  pacificatton  une  fois 
faite,  on  DOUS' oubliera  vite.  II  y  a  aussi  I'opinion  d'un  de 
nos  amis  les  plus  inftuents  qui  est  nettement  hostUe  k 
cetto  Intervention,  croyant  que  la  dissolution  de  ce  grand 
Corps  serait  plutöt  avantageuse  pour  nous. 

Moi,  comme  je  vous  Tai  dit  imm^diatement,  je  crois  au 
contraire  que  c'est  notre  intirSt  bien  compris  de  marcher 
dans  la  direction  indiqu^  par  vous.  Je  d6sire  le  maintien 
et  la  fortif  ication  du  pouvoir  actuel  qui  s'apercevra  bien 
vite  qu'il  a  äff aire  k  des  amis. 

Du  reste,  au  premier  t6moignage  de  bienveillance  ac- 
cordi  k  notre  cause,  les  contradicteurs  se  rangeront  de 
mon  cöt6. 

Ecrivez-moi,  je  vous  en  prie,  s'il  y  a  des  nouvelles  im- 

portantes.  Je  vous  souhaite  le  succ^  le  plus  complet. 

Mille  amiti^  .      ,,       , 

votre  devoue  _ 

Th.H. 


dbyGoogle 


i3.  Mai. 

Nordau  telegraphiert:  „Neiol" 

Das  heißt,  er  will  eich  um  die  armenische  Angelegen- 
heit nicht  kümmern.  Ob  er  überhaupt  schon  genug  hat, 
weiß  ich  nicht;  sehe  aber  seinem  nächsten  Brief  mit  Span- 
nung entgegen. 

i4.  Mai. 

S.  Klatschko,  der  die  russische  Obersetzung  besorgt, 
war  da. 

Als  er  mir  im  GesprSch  sagte,  daß  er  früher  Nihilist 
gewesen  sei,  fragte  ich  ihn,  ob  er  die  armenischen  Komi- 
tees kenne. 

Er  kennt  siel  Der  Führer  in  Tiflis,  Alawerdoff,  ist 
BrSutigam  einer  Dame,  die  in  Klatschkos  Hause  wohnt, 
und  zum  Londoner  Chef  Nikoladze  hat  Klatschko  Be- 
ziehungen durch  den  Russen  Zaikowski. 

Ich  bat  ihn,  an  Zaikowski  zu  schreiben,  daß  ich  er- 
fahren habe,  der  Sultan  wünsche  eine  Versöhnung,  und 
habe  zu  diesem  Zweck  einen  Unterhändler  ausgeschickt. 
Die  Armenier  mögen  sich  getrost  mit  ihm  einlassen.  Ich 
halte  den  Friedensantrag  für  echt,  könne  aber  natürlich 
für  den  Unterhändler  nicht  weiter  einstehen,  als  soweit  er 
mich  selbst  unterrichtete.  Die  Armenier  riskierten  aber 
nichts.  Wenn  auf  ihre  löbliche  Unterwerfung  hin  der 
Sultan  in  der  verabredeten  Frist  die  Reformen  dennoch 
nicht  gewähre,  können  sie  ja  öffentlich  erklären,  daß  sie 
betrogen  worden  seien,  und  alle  Verhandlungen  publi- 
zieren. 

Klatschko  versprach,  in  diesem  Sinne  sofort  nach  Lon- 
don zu  schreiben. 

1^.  Mai. 

Von  Rev.  Singer  einen  lange  erwarteten  Brief  eDdlich 
hekonmien.  Ich  glaubte  schon,  er  sei  abgefallen  wie  Gü- 

4oo 


dbyGoogle 


demann  und  andere,  die  ein^  Strecke  weit  mit  mir  ge- 
gangen. 

Er  scbreibt,  daß  Montagu  nicht  bervortreten  will,  aus 
einigen  Gründen ;  doch  habe  Montagu  ein  Exemplar  mei- 
nes Budies  Gladstone  gegeben.  Sollte  Gladstone  sich 
äußern,  so  werde  man  seinen  Worten  retentissemenl  in 
der  Presse  geben. 

Ich  antworte  Singer,  indem  ich  ihm  für  Montagu  er- 
kläre, daß  ich  keinen  „Aufruf"  (was  ein  echt  englischer 
Gedanke  wäre)  an  den  Sultan  richten,  sondern  mit  die- 
sem insgeheim  unterhandeln  und  eventuell  Montagu  nach 
Konstantinopel  rufen  will,  damit  er  mir  sekundiere. 

Ich  schrieb  auch  Goldsmid  und  Solomon,  daß  ich  im 
Juli  nach  London  kommen  will,  um  dort  (wahrscheinlich 
bei  den  Makkabfiem)  eine  große  Rede  ober  die  bisherigen 
Resultate  zu  halten.  Singer  hatte  gemeint,  daß  ich  ein 
großes  Meeting  „mit  Eintrittsgeld"  abhalten  solle.  Aber 
das  lehne  ich  ab.  Vor  zahlenden  Zuhörern  spreche  ich 
nicht.  Vielleicht  ist  das  übrigens  in  England  gang  und 
gäbe. 

15.  Mai. 

Brief  an  Newiinsky : 

Mon  eher  Monsieur, 

je  viens  de  recevoir  votre  dSp^che.  Je  vous  avais  dijk 
6crit  avant-hier  k  Berkeley-H6lel,  Piccadilly,  d'oü  vous 
voudrez  bien  retirer  ma  lettre. 

Rri^vement  je  vous  rip^te  le  contenu.  J'ai  f  ait  pr^parer 
pour  vous  le  terrain  aupr^s  de  Lord  S.,  et  j'ai  pri£  mes 
amis  de  privenir  aussi  les  chefs  du  mouvement  armSnien. 
A  Londrea  c'est,  je  crois,  Mr.  Nikoladze,  auquel  il  faudra 
parier.  Un  de  mes  amis  s'est  aussi  chargS  d'intervenir 
aupris  du  chef  des  comit6s  russes  ä  TlfUs. 

36    Henk  Tasebfloher  I.  4oi 


dbyGoogle 


Vous  aurez  i  vaincre  la  mifiaace  des  Arm^Dieaa.  Les 
chefs  croiront  que  Ton  veut  les  compromettre  par  une 
souDiission  vaine  <]iji  d^capiterait  le  mouvement  entier. 
Au  fond  OD  pourrait  les  disposer,  d'aprM  des  reaseigne- 
ments  que  j'ai  re^u  hier  soir,  de  conclure  raimistice  sans 
prÄjudice. 

Le  cbef  de  TifUs  viendra  peut-&tre  A  Vieane,  et  je  le 
varrai. 

Mille  amitifis        Votre  bien  d*vou6  h„j| 

Zweiter  Brief:  *^-  ""'■ 

Mon  eher  Monsieur, 

J'ai  fait  erreur.  Le  chef  du  mouvement  k  Londres 
s'appelle  Avetia  Nazarbek,  et  il  dirige  le  Journal  „Hut- 
schak".  On  lui  parlera. 

Bien  i  vous  g 

i6.  Mai. 

Von  Nordau  einen  guten  Brief  bekommen,  der  das 
Nein-Telegramm,  das  mich  ein  bißchen  erschüttert  hatte, 
wieder  ausgleicht. 

Nach  seinem  Brief  hat  er  gestern  nachmittag  mit  Ed- 
mund Rothschild  gesprochen.  Zadok  Ktdm  hat  ihn  in  die 
RueLaffitte  geführt.  Daß  Rothschild  diesen  angesehenen 
Schriftsteller  sich  in  sein  Bureau  und  nicht  in  seine  Woh- 
nung führen  läßt,  ist  ja  einigermaßen  snobbisch  und  er- 
innert an  mein  Rendezvous  mit  den  KohlengutmSnnern. 

18.  Mai. 
Nordau  meldet,  daß  er  mit  Zadok  bei  Edmund  Roth- 
schild war.  Die  „Audienz"  dauerte  63  Minuten,  wovon 

4o2 


dbyGoogle 


Rothschild  53  sprach  und  Nordau  „mit  Mühe  und  Uo- 
höflichkeit"  nur  zeba. 

Rothschild  will  absolut  nichts  von  der  Sache  wissen; 
er  glaubt  nicht,  daß  beim  Sultan  etwas  zu  erreichen  sein 
werde,  will  jedenfalls  nicht  mithelfen.  Was  ich  mache, 
hält  er  für  gefährlich,  weil  ich  den  Patriotismus  der  Ju^ 
den  verdächtig  mache,  und  für  schädlich,  seinen  Palä- 
stina-Kolonien nämlich. 

Wir  gehen  also  über  ihn  zur  Tagesordnung. 

Lustig  wirken  danach  die  heutigen  Pariser  Depeschen, 
die  von  Straßendemonstrationen  gegen  die  Juden  und  na- 
mentlich gegen  die  Rothschilds  berichten.  Vor  demselben 
Hause  in  der  Rue  Laffitte,  wo  E.  R.  Freitag  meinen  Freund 
Nordau  abgewiesen  hatte,  schrien  Sonntag  die  Leute: 
„Nieder  mit  den  Juden  I" 

i9.  Mai. 

Nuntius  Agiiardi  ließ  mir  gestern  durch  unseren  Mit- 
arbeiter Münz  sagen,  daß  er  mich  heute  empfangen  wolle, 
und  zwar  punkt  zehn  Uhr  vormittags. 

Um  zehn  Uhr  trat  ich  in  das  Haus  der  Nuntiatur  „Am 
Hof",  mich  vorsichtig  umschauend,  wie  wenn  man  in 
ein  verrufenes  Haus  geht.  Ich  muß  diese  Stimmung  hier 
festhalten,  weil  sie  die  bemerkenswerte  war. 

Wer  mich  da  hineingehen  sah,  konnte  den  Gang  leicht 
mißverstehen. 

Die  Nuntiatur  ist  ein  dumpfes,  kühles,  altes,  verkom- 
menes Palästchen.  Keine  stattlichen  Diener,  und  auf  der 
Stiege  liegt  ein  dürftiger  Teppich. 

Meine  Karte  wurde  gleich  dem  Nuntius  übergeben,  und 
er  ließ  mich  gleich  vor,  redete  auch  gleich  zur  Sache. 

Er  machte  nur  den  Vorbehalt,  daß  es  kein  Interview 
werden  dürfe!  Das  versprach  ich  natürlich. 

»6'  4o3 


dbyGoogle 


Dann  sebte  ich  ihm  die  Sache,  die  er  nur  in  allgemei- 
oen  Umrissen  kannte,  kurz  auseinander. 

Ich  sprach  französisch,  war  aher  heute  nicht  recht  dis- 
poniert, wenn  auch  gar  nicht  verlegen.  Es  scheint,  ich 
beginne  die  Verlegenheit  zu  verlieren. 

Agiiardi  hörte  mit  einer  großen  Art  zu.  Er  ist  hoch, 
schlank,  fein  und  steif,  eigentlich  ganz  wie  ich  mir  den 
pgpstlichen  Diplomaten  vorstellte.  Die  grauen  Haare  sind 
spSrIich,  er  rückt  im  Gesprfich  öfters  das  violette  KSpp- 
chen.  Seine  Nase  ist  schön,  groß  und  adlermäßig.  Seine 
Augen  forschen. 

Er  stellte  in  schlechtem  Französisch  Zwischenfragen. 
Oh  ich  mir  die  Schwierigkeiten  gegenwfirtig  hielte?  In 
welcher  Weise  die  Regierung  dieses  neuen  „Königreichs" 
herzustellen  und  die  Mächte  zur  Anerkennung  zu  bewegen 
wären?  Ob  die  jüdischen  „Grandseigneurs"  —  Rothschild 
und  andere  —  dazu  Geld  hei^ehen  würden  usw.? 

Ich  sagte:  Wir  wollen  kein  Königreich,  sondern  eine 
aristokratische  Republik.  Wir  brauchen  nur  die  Zu- 
stimmung der  Mächte,  und  namentlich  die  Sr.  Heiligkeit 
des  Papstes ;  dann  werden  wir  uns  —  unter  Exterritoiiali- 
sierung  Jerusalems  —  konstituieren.  Dem  Sultan  wer- 
den wir  seine  Finanzen  ordnen. 

Agiiardi  lächelte :  „Er  wird  damit  sehr  zufrieden  sein. 
Sie  wollen  also  Jerusalem,  Bethlehem,  Nazareth  ausschei- 
den und  die  Hauptstadt  wohl  mehr  nach  Norden  ver- 
legen?" 

„Ja",  sagte  ich. 

Er  meinte,  es  sei  fraglich,  ob  die  Mächte  zustimmen 
würden,  insbesondere  Rußland.  Auch  glaube  er  tucbi, 
daß  es  die  Lösung  der  Judenfrage  sei. 

„Nehmen  Sie  an,"  sagte  er,  „Sie  können  von  den 
i3oooo  Juden  in  Wien  Soooo  abziehen.  Eis  blieben  noch 

4o4 


dbyGoogle 


looooo.  Sagen  Sie,  es  blieben  nur  5oooo  in  Wien  zu- 
rück. Diese  würden  den  Antisemitismus  weiter  erregen, 
—  diese  leichten  Verfolgungen,  die  wir  jetzt  sehen.  Wie 
steht  es  bei  uns  in  Italien?  Wir  haben  vielleicht  loooo 
Juden  im  ganzen  Lande.  Davon  sind  5  bis  6000  in  Rom, 
ein  paar  tausend  in  Livorno,  Mantua,  die  übrigen  zer- 
streut. Nun  denn,  diese  10  oder  sagen  wir  30000  Juden, 
die  auf  3o  Millionen  der  Bevölkerung  kommen,  rufen 
dieselben  Klagen  hervor  wie  hier.  Man  findet,  daß  sie 
die  BCrse,  die  Presse  beherrschen  usw. 

Es  scheint,  mein  Lieber,  ihr  Juden  habt  eine  besondere 
Energie,  die  wir  nicht  haben,  eine  eigene  Gabe  Gottes . . ." 

In  diesem  Augenblick  klopfte  der  Diener  an  die  Türe. 

„Avantil"  rief  der  Nuntius. 

Der  Diener  meldete :  „Sua  Eccellenza  l'Ambasciatore  di 
Francia !" 

Der  Nuntius  erhob  sich,  bat  mich,  ein  andermal  wieder- 
zukommen. 

Im  Vorsaal  wartete  Loz£,  der  französische  Botschafter. 

Ergebnis  der  Unterredung:  ich  glaube,  Rom  wird  da- 
gegen sein,  weil  es  die  Lösung  der  Judenfrage  nicht  im 
Judenstaat  sieht  und  diesen  vielleicht  sogar  fürchtet. 

21.  Mai. 
Sylvia  d'Avigdor  berichtet  aus  London,  daß  Samuel 
Montagu  ihre  Übersetzung  meines  „Juden8taat3"Gladstone 
gegeben  habe.   Gladstone  bfitte  sich  hierauf  in  einem 
Briefe  sympathisch  geäußert. 

Pfingttaonntag. 
Morgen  wird  es  ein  Jahr,  daß  ich  durch  meinen  Besuch 
bei  Hirsch  die  Bewegung  begonnen  habe.  Wenn  ich  im 
nächsten  Jahre  verhSltnismfißig  ebensolche  Fortschritte 

4o5 


dbyGoogle 


mache,  wie  vom  damaligen  Nichts  zu  den  beutigen  Er- 
rungenschaften, so  sind  wir  leichonoh  haboH  bijrmcho- 
lajiml 

*    *    * 

Rechtsanwalt  Bodenheimer  in  Köln  fordert  mich  auf, 
zur  Versammlung  der  deutschen  Zionifiten  Ende  Juni  nach 
Berlin  zu  kommen.   Ich  antworte  ihm  u.  a. : 

„Was  die  Zionisten  bisher  getan  haben,  bewundere  ich 
dankbar,  aber  ich  bin  ein  prinzipieller  Gegner  der  In- 
filtration. Durch  die  Infiltration  wird,  wenn  man  sie 
gewähren  läßt,  das  Land  mehr  wert,  und  wir  werden  es 
immer  schwerer  kaufen  können.  Den  Gedanken  einer 
Unabh&ngigkeitserklärung,  „sobald  wir  dort  genflgend 
stark  wären",  halte  ich  für  unausführbar,  weil  die  Mächte 
das  sicher  nicht  zugeben  würden,  auch  wenn  die  Pforte 
schwach  genug  wäre.  Mein  Programm  ist  vielmehr  Sistie- 
rung der  Infiltration  und  Konzentration  aller  Kräfte  auf 
die  vdtkerrechtliche  Erwerbung  Palästinas.  Hierzu  sind 
nötig  diplomatische  Verhandlungen,  die  ich  schon  be- 
gonnen habe,  und  eine  publizistische  Aktion  im  allergröß- 
ten Maßstäbe. 

Pfingattonntag. 

NewUnsky  telegraphiert  und  schreibt  aus  London,  er 
könne  nichts  ausrichten,  ich  solle  ihn  an  Lawson  vom 
Daily  Telegraph  empfehlen  und  „beim  Premier,  der 
nichts  tun  wolle",  unterstützen. 

Ich  telegraphiere  ihm  eine  Empfehlung  an  Lucien 
Wolf  vom  Daily  Graphic  und  will  noch  versuchen,  Hecb- 
ler  zu  Monson  zu  schicken. 

Newiinski  schreibe  ich : , Ja  chose  a  kX6  mal  emmanch6 
et  Burtout  trop  tard".  Er  solle  nur  zurückkommen,  ich 
würde  die  Sache  schon  in  die  Hand  nehmen. 

do6 


dbyGoogle 


Pfingstsonntag. 

Zwei  Burschen  der  „Kadimah",  Schallt  und  Neuberger, 
waren  bei  mir.  Au  der  Uuiversitit  scheinen  die  Assimi- 
lanten  wieder  die  Oberhand  lu  bekommen.  Man  wolle 
in  der  Lesehalle  vom  Zionismus  nichts  hören.  Sie  sagten 
mir  auch,  es  sei  der  Vorschlag  aufgetaucht,  eine  Frei- 
willigentruppe von  tausend  oder  zweitausend  Mann  zu 
werben  und  eine  Landung  in  Jaffa  zu  versuchen.  Wenn 
auch  einige  ihr  Leben  dabei  ließen,  würde  doch  Europa 
auf  die  Bestrebungen  der  Juden  aufmerksam  werden. 

Ich  widerriet  diesen  schönen  garibaldinischen  Gedanken, 
weil  diese  Tausend  uoch  nicht  wie  die  von  Marsala  eine 
national  vorbereitete  Bevölkerung  vorfinden  würden. 
Die  Landung  wäre  nach  a^  Stunden  wie  ein  Knabenstreich 
reprimiert. 

26.  Mai. 

Newlinsky  telegraphiert : 

„S(ali8bury)  veut  pas  recevoir.  Faitea  possible." 

Ich  antworte  ihm: 

Rate  baldigst  heimzukehren.  Werde  vielleicht  Emp- 
fang bei  S.  Ende  Juni  persönlich  verschaffen.  Fahren 
wir  vorher  zu  Ihrem  Auftraggeber, 

•    •     • 

Brief  an  Rev,  Singer  (Antwort). 

Verehrter  Freund  I 

An  Sir  S.  Montagu  schreibe  ich  nicht  direkt,  weil  ich 

mich  englisch  nicht  gut  ausdrücken  kann,  und  es  auf 

Klarheit  ankommt.  Ich  bitte  Sie  also,  sich  abermals  zu 

bemühen  und  ihm  die  Sache  eindringlich  zu  erklären. 

Niemand  von  uns  weiß,  wie  lange  er  leben  wird  —  das 

habe  icb,  obwohl  ich  es  mir  dachte,  dem  Baron  Hirsch 

407 


dbyGoogle 


gestern  vor  einem  Jahre,  als  ich  mit  ihm  eine  große  Un- 
terredung hatte,  nicht  gesagt.  Heute  ist  dieser  Mann,  der 
so  viel  Herz  für  die  Judeu  hatte,  tot,  und  er  hat  nichts 
als  Philaatropischea  geleistet  —  das  heifit,  für  die  Schnor* 
rer.  Und  er  hätte  etwas  für  die  Nation  tun  können ! 

Sprechen  Sie  ernst  mit  Montagu,  denn  unsere  Sache 
ist  hoch  und  ernst.  Ich  sehe  in  ihm  eine  geeignete  Kraft 
für  einen  Teil  der  Aufgabe.  Man  wünscht  von  ihm  kei- 
nerlei materielles  Opfer.  Er  braucht  nicht  einen  Penny 
herzi^eben. 

Will  er  nicht  mitwirken,  so  werden  wir  uns  eben  ohne 
ihn  behelfen  müssen. 

Es  tut  mir  leid,  daß  die  Zeit  anfangs  Juli  wieder  un- 
günstig sein  soll.  Ich  kann  aber  erst  Mitte  Juni  von  hier 
fort  und  will  tuerst  nach  Konstantinopel.  Sollte  meine 
Reise  nach  Konstantinopel  jedoch  aus  irgendeinem 
Grunde  verschoben  werden  müssen,  so  will  ich  zuerst 
nach  London  kommen.  Sie  werden  davon  rechtzeitig 
verständigt  werden,  damit  der  Abend  bei  den  Makkabäern 
eventuell  schon  auf  den  si.  Juni  anberaumt  werden 
könne. 

Gehe  ich  nach  Konstantinopel,  was  vorläufig  noch  ein 
strenges  Geheimnis  bleiben  muß,  so  teile  ich  es  Ihnen 
ebenfalls  rechtzeitig  mit,  damit  Sie  diejenigen  Mitglieder 
Ihrer  Community,  deren  Anwesenheit  erwünscht  ist, 
wenn  ich  hinkomme,  veranlassen,  bis  zum  5.  Juli  in  Lon- 
don zu  bleiben. 

Wir  würden  dann  am  5.  Juli  bei  den  Makkabäern  zu- 
sammenkommen . 

In  einem  früheren  Briefe  bat  ich  Sie,  mir  einige  Per- 
sonen zu  nennen,  die  wir  in  die  Society  of  Jews  koop- 
tieren können.  Diese  Society  soll  aus  einem  großen  Ko- 
mitee bestehen,  in  das  wir  angesehene  Juden  —  größten- 

4o8 


dbyGoogle 


teils  Engländer  —  setzen  und  aus  einem  Exekutivkomitee. 
In  letzterem  möchte  ich  Sie,  Goldsmid,  Montagu,  Nordau 
usw.  haben. 

Ich  bitte  Sie,  mir  über  diesen  Punkt  zu  antworten,  und 
zwar  bald. 
Mit  herzlichem  Gruß 

Ihr  ergebener 

Herzl. 

29.  Mai. 

Unser  Mitarbeiter  Schütz  hat  den  Grafen  Leo  Tolstoi 
auf  dessen  Gut  bei  Moskau  besucht  und  schreibt  darüber 
ein  Feuilleton. 

Gleichzeitig  schickt  er  mir  eine  Postkarte,  auf  der  er 
mir  mitteilt,  daß  Tolstoi  meine  Broschüre  erwähnt  habe. 
In  dem  Feuilleton  ist  aber  nur  gesagt,  Tolstoi  habe  sich  in 
der  Judenfrage  ablehnend  über  den  Judenstaat  geäußert. 
Das  ist  das  erstemal,  daß  der  „Judenstaat"  in  der  Neuen 
Freien  Presse  erwähnt  wird  —  ohne  daß  ich  genannt 
würde,  und  ohne  daß  irgend  jemand  verstehen  könnte, 
was  eigentlich  gemeint  ist.  Das  Prinzip  des  Totschwei- 
gens wird  in  diesem  Augenblick  geradezu  komisch. 

31.  Mai 
Schon  eine  Spaltung  unter  den  jungen  Zionisten.  Schon 
Vorzeichen  der  Undankbarkeit,  die  ich  erwarte.  Ein  Stu> 
dent  war  bei  mir,  erzählte,  wie  die  jüdisch-nationalen 
Vereine  untereinander  hadern;  dann  machte  er  versteckte 
aber  verständliche  Anspielungen,  daß  er  und  vielleicht 
auch  andere  meine  Liebenswürdigkeit  gegen  die  jungen 
Leute  für  Komödie  halten. 

Ich  war  sehr  empört  und  habe  ihm  gleich  den  Kopf 
zurechtgesetzt.   Wenn  man  mir  meine  Bemühung  ver- 

409 


dbyGoogle 


ekelt,  werde  ich  sie  einfach  aufgeben;  uod  wenn  ich  Un- 
dankbarkeit merke  —  natürlich  nicht  von  Einzelnen,  die 
qaantiti  n^gligeable  sind,  sondern  von  der  Menge  —  so 
ziehe  ich  mich  gfinzlich  zurück. 

*  *     * 

Ahnlich  wie  bei  den  Studenten,  scheint  sich  aber  auch 
bei  den  erwachsenen  Zionisten  schon  eine  gewisse  Unzu- 
friedenheit mit  meinen  Erfolgen  zu  regen.  Ich  höre,  daß 
„Gegenströmungen"  sich  bilden  —  schonl  Es  wird  mir 
gesagt,  daß  Dr.  J...  K...  eine  „Richtung"  etablieren 
will,  die  sich  aktiv  am  innerpolitischen  Lehen  Österreichs 
beteiligen,  das  heißt  Gemeinderats-,  Landtags-  und 
Reichsratsmandate  vergeben  soll.  Klar,  an  wen. 

Von  Dr.  Bodenbeimer  erhielt  ich  eine  neuerliche  Auf- 
forderung, zum  Berliner  Zionistentag  zu  kommen.  Gleich- 
zeitig sandte  er  mir  die  „Grundsätze"  der  Kölner  Zio- 
nisten, mit  denen  ich  mich  vollkommen  einverstanden  er- 
klirte  —  mit  Ausnahme  der  Infiltration,  die  ich  sistiert 
sehen  mOchte.  Ich  schrieb  Bodenheimer,  er  solle  in  Ber- 
lin, falls  ich  verhindert  wäre  hinzukommen,  Beschlüsse 
für  unsere  Londoner  Zusammenkunft  am  5.  Juli  provo- 
zieren. Auch  möge  eine  Abordnung  nach  London  ge- 
schickt werden,  die  zwei,  drei  Tage  früher  dort  sei,  damit 
wir  uns  über  das  Vorgehen  konzertieren  könnten.  Ich 
entwarf  auch  kurz  für  die  Berliner  Zionisten  den  Plan 
der  Society-Zusammensetzung  aus  großem  und  Exeku- 
tivkomitee. Beide  Komitees,  hauptsSchlich  aus  Englin- 
dern bestehend,  sollen  durch  kooptierte  Mitglieder  aus 
anderen  Ländern  verstärkt  werden. 

*  *     * 

Rosenfeld  schreibt  aus  Konstantinopel,  sein  Vertrau- 
ensmann wünsche,  die  Geldkräfte  zu  kennen,  die  hinter 

4io 


dbyGoogle 


mir  stehen,  weil  er  beim  Scheitern  der  Verhaadlungeu 
seinen  Kopf  riskiere.  Da  Rosenfeld  in  Budapest  damit 
debütierte,  von  mir  einen  Geldvorscbuß  zu  verlangen, 
lasse  icb  mich  vorläufig  mit  ihm  nicht  weiter  ein.  Übri- 
gens sind  gute  Nachrichten  von  Newiinsky  aus  London 
da.  Ich  glaube  aus  seinen  kurzen  Briefen  entnehmen  zu 
können,  daß  er  Vertrauen  zur  Sache  hat.  Ist  das  richtig 
—  was  ich  bei  seiner  Rückkehr  erfahren  werde  — ,  so 
fahren  wir  offenbar  Mitte  Juni  nach  Konstantinopel. 


Von  Klatschko  einen  interessanten  Bericht  über  die 
Schritte  in  London  bei  den  Armeniern  erhalten.  Sein 
GewShrsmann  schreibt  aus  Harrow,  daß  er  mit  Nazarbek 
gesprochen  habe,  der  Mißtrauen  gegen  den  Sultan  hege, 
aber  dem  „Führer  der  Judenbewegung"  für  die  guten 
Gesinnungen  danke. 


Klatschkos  Brief,  wie  der  Nordaus  über  die  Unter- 
redung mit  Edmund  R.,  wird  nach  dem  Datum  in  dieses 
Buch  einzuschalten  sein. 

i.  Juni. 

Mein  gestriges  Feuilleton,  „Das  lenkbare  Luftschifr', 
wurde  ziemlich  allgemein  als  eine  Allegorie  auf  den  Ju- 
denstaat verstanden. 


Heute  bringt  die  Londoner  Zeitungskorrespondenz  die 
Zuschrift  Gladstones  an  Montagu  über  meinen  „Juden- 
staat". In  der  Redaktion  wurde  diese  Notiz  wie  mit  Zan- 
gen angefaßt.  Der  England-Redakteur  V. . .  schickte  sie 
dem  Lokal-Redakteur  Oppenheim,  der  sie  vorsichtig  lie- 


41. 


dbyGoogle 


geo  ließ.  Darauf  packte  ich  einfach  den  Stier  bei  den 
Hörnern  und  zeigte  den  Ausschnitt  Benedikt,  der  heute 
aus  redaktionellen  Gründen  mit  mir  besonders  zufrieden 
war. 

„Wollen  Sie  das  geben?"  fragte  ich  ijin  im  Vorzimmer, 
als  er  eben  im  Begriffe  war,  wegtugehen.  Er  las  die  Notii 
aufmerksam  und  sagte:  „Ja". 

„Soll  man  dazu  einige  einleitende  Zeilen  schreiben?" 
fragte  ich. 

„Nein",  sagte  er.  „Geben  Sie  das  einfach  unter  der 
Spitzmarke  ,Gladstone  über  den  Antisemitismus',  gant 
naiv,  ab  hätten  wir  schon  darüber  geschrieben.  Lassen 
Sie  sich  auch  den  Roman  kommen,  den  Gladstone  er- 
wähnt; nur  dürfen  Sie,  wenn  Sie  darüber  schreibea,  nicht 
Ihren  Judenstaat  erörtern." 

„Habe  ich  Ihnen  denn  schon  Schwierigkeiten  ge- 
macht?" fragte  ich  sanft. 


Und  so  ist  am  a.  Juni  i8g6  zimi  erstenmal  diese  dürf- 
tige Notiz,  die  ich  hier  einklebe,  in  der  Zeitung  erschie- 
nen, deren  Mitarbeiter  ich  seit  Jahren  bin.  Ich  müßte 
mich  aber  sehr  irren,  wenn  sie  nicht  große  Wirkungen 
haben  sollte.  Denn  die  anderen  Blätter,  die  mich  in  einem 
tiefen  Zwiespalt  mit  den  Herausgebern  vermuteten,  wer- 
den das  als  ein  bedeutsames  Zeichen  der  Versöhnung  auf- 
fassen; und  die  Leser  der  N.  Fr.  Pr.  werden  anfangen, 
vom  Judenstaat  zu  reden. 

(Gladstone  über  den  Antisemitismus.) 

Gladstone  hat  an  den  Parlaments-Abgeordneten  Sir 
Samuel  Montagu,  welcher  ihm  die  Broschüre  Dr.  Theodor 
Herzls,  .Der  Judenstaat',  zusendete,  das  folgende  Schrei- 
ben gerichtet:  „Der  Gegenstand  der  zugesendeten  Schrift 

4l3 


dbyGoogle 


ist  höchst  interessaat.  Es  ist  nicht  leicht  fOr  den  Aufien- 
Bteheaden,  sich  ein  Urteil  darüber  zu  bilden;  und  es  trägt 
vielleicht  wenig  zur  Sache  bei,  wenn  man  es  ausspricht, 
nachdem  man  sich  eines  gebildet  hat.  Es  überrascht  mich 
aber,  zu  sehen,  wie  weit  das  Elend  der  Juden  geht.  Ich 
bin  natürlich  stark  gegen  den  Antisemitismus.  In  einem 
eigentümlichen  und  ziemlich  fesselnden  Roman:  ,Das 
GUed'  (The  Limb)  finden  Sie  eine  ziemlich  außerge- 
wöhnliche Behandlung  des  Judentums." 

5.  Juni. 
Nordau  schreibt,  daß  er  einen  Geldsammeiaufruf  um 

keinen  Preis  unterfertigen  würde,  wenn  nicht  bekannte 
Millionäre  mit  darauf  stünden.  Auch  ins  Exekutivkomi- 
tee scheint  er  nicht  zu  wollen,  nur  ins  große  Schau-  und 
Ehrenkomitee  der  Society, 

Ich  antworte  ihm,  daß  ich  auch  nicht  naiv  und  weit* 
unkundig  genug  sei,  um  einen  Geldaufruf  zu  unterschrei- 
ben, der  nicht  zweifelsohne  sei.  Aber  ich  habe  für  meine 
Verhältnisse  Geldopfer  genug  gebracht  und  muß  es  wei- 
terhin dem  Judenvolk  selbst  überlassen,  ob  und  was  es 
für  sich  tun  will. 

6.  JunL 
Newlinski  ist  seit  drei  Tagen  hier  und  hat  sich  nicht 

sehen  lassen.    Ist  er  al^eschwenkt?    Ich  schreibe  ihm: 
Jecomptepartirle  i5  juin.  fites-vous  avec moi?  Mille 
amiti^s,  votre  d6vou6  Herzl. 

7.  Juni. 
Newlinski  war  heute  bei  mir,  während  ich  in  Baden 

war.  Frage,  ob  er  noch  mit  mir  geht  oder  das  Vertrauen 
zur  Sache  —  wenn  er  überhaupt  welches  hatte  —  ver- 
loren hat? 

ii3 


dbyGoogle 


8.  Juni 
Ich  war  heute  bei  Newlinski,  der  den  Eindruck  macht, 

abgekühlt  zu  sein.  Der  Moment  sei  jetzt  nicht  geeignet 
für  die  Reise  nach  Konstantinopel.  Der  Sultan  habe  nur 
die  Kretensischen  Unruhen  im  Kopf  usw. 

Vielleicht  war  alles,  was  er  mir  vor  seiner  Reise  nach 
London  sagte,  nur  zu  dem  Zwecke  gesagt,  daß  ich  ihn 
dort  unterstütie.  Jetzt  weicht  er  zurück  und  meint,  er 
kOnne  nicht  uneingeladen  nach  Konstantinopel  kommen. 

9.  Juni. 
Newlinski  war  vormittags  anderthalb  Stunden  bei  mir. 

Ich  hatte  mit  ihm  eine  Kampfunterredung,  in  der  ich 
ihm  wieder  Vertrauen  zu  unserer  Sache  einzuflößen  ver- 
suchte. Et  ist  mir  offenbar  in  London  und  auch  hier  ent- 
mutigt worden.  Ich  bearbeitete  ihn  mit  Eindringlichkeit. 
Ich  sprach  mit  starker,  entschlossener,  herrischer  Stimme, 
ließ  unsere  Machtmittel  vor  ihm  aufsteigen,  riet  ihm, 
uns  zu  dienen,  solange  er  davon  den  großen  Vorteil  haben 
könne,  das  heißt  früh,  im  B^mt  der  Aktion. 

Er  sagte  mir,  mein  Unternehmen  werde  in  Joumalisten- 
kreisen,  und  folglich  auch  in  Finanz-  und  Regierungs- 
kreisen, als  ein  utopisches  angesehen.  Der  LSnderbank- 
direktor  habe  es  für  eine  Phantasie,  unser  Herausgeber 
Benedikt  für  eine  Verrücktheit  erklärt.  Die  Journalisten 
lachen  alle  darüber. 

Ich  antwortete  ihm :  „D'ici  un  an  tonte  cette  racaille  me 
I£chera  les  bottes." 

Er  meinte,  ich  solle  jetzt  nicht  nach  Konstantinopel 
gehen,  dort  habe  jetzt  niemand  den  Kopf  auf  andere 
Sachen  als  den  Kretensischen  Aufruhr. 

Ich  sagte,  wenn  er  nicht  mitwolle,  würde  ich  allein 
gehen  —  obwohl  ich  daran  nicht  denke.  Denn  mit  ofti- 


dbyGoogle 


ziellen  Empfehlungen,  wenn  ich  sie  überhaupt  kriege, 
kann  ich  die  Privataudienz  schwerlich  erzielen.  Und  ob 
der  Roseofeld,  der  mich  zu  Izzet  führen  will,  verläßlich 
ist,  scheint  mir  mehr  als  fraglich. 

NewUnski  schilderte  mir  seine  englischen  Eindrücke. 
Dcoi  glaube  man  an  den  bevorstehenden  Untergang  der 
Türkei.  Kein  englischer  Premier  dürfe  es  wagen,  sich  für 
den  Sultan  zu  erklSrea,  weil  er  die  öffentliche  Meinung 
gegen  sich  hätte.  Man  denke  daran,  den  Bulgaren  Fer- 
dinand, weil  er  ein  Koburger  sei,  zum  Erben  des  Tür- 
kischen Reiches  zu  machen.  Wenn  das  keine  diceria  ist, 
ist  es  ja  hochinteressant.  NewUnski  glaubt,  des  Sultans 
einzige  Rettung  sei,  sich  mit  den  Jungtürken  zu  verbin- 
den, die  ihrerseits  mit  Mazedoniern,  Kretensern,  Arme- 
niern usw.  gut  stehen,  und  mit  ihrer  Hilfe  die  Reformen 
durchzuführen.  Das  habe  er  auch  dem  Sultan  in  einem 
Bericht  geraten.  Ich  sagte  nun,  er  solle  diesem  Programm 
hinzufügen,  daß  er  dem  Sultan  auch  die  Mittel  zur  Durch- 
führung in  der  Hilfe  der  Juden  bringe.  Der  Sultan  gebe 
uns  das  Stück  Land,  und  dafür  werden  wir  ihm  alles  in 
Ordnung  bringen,  seine  Finanzen  regeln  und  die  öffent- 
liche Meinung  der  ganzen  Welt  für  ihn  stimmen. 

Newlinski  verwies  skeptisch  auf  die  Haltung  der  Wie- 
ner Blätter  mir  gegenüber.  Darauf  sagte  ich  ihm,  daß 
ich,  wenn  ich  wolle,  durch  Gründung  von  Konkurrenz- 
blättern ausnahmslos  alle  kirre  machen  kann. 

Ich  erzählte  ihm,  daß  die  Zionisten-Adresse  an  mich 
schon  von  3ooo  Doktoren  unterschrieben  sei,  was  ich 
Sonntag  von  meinem  Vetter  LSbl  gehört  hatte. 

Er  verließ  mich,  wie  ich  glaube,  erschüttert  und  halb 

wiedergewonnen.  Ich  drang  in  ihn,  sofort  an  den  Sultan 

zu  schreiben  und  sich  rufen  zu  lassen.  Das  versprach  er. 

*     *    * 

4t5 


dbyGoogle 


In  der  Delegation  zu  Budapest  hielt  Golucbowski  heute 
ein  Expos^  voll  ernster  Mahnungen  an  die  Türkei.  Ich 
schreibe  daraufhin  an  Newlinski: 

Mon  eher  monsieur, 

L'expoa£  de  Budapest  vous  fournit  une  excellente  occa- 
sion  de  renouveler  vos  cooseils  non  moins  excellents  k 
Constantinople.  Soyez  iaergique,  faites  entrevoir  tous  les 
avantages  que  nous  saurions  apporter. 

Si  vous  d^cidez  ä  partir  avec  moi,  j'espSre  bien  que 
vous  me  ferez  l'honneur  et  le  plaisir  d'Atre  mon  invitö 
pendanf  ce  voyage. 

Mille  amiti^,  votre  d6vou£ 

Th.  Herzl. 

Bei  Hechler  traf  ich  nachmittags  den  englischen  Bi- 
schof Wilkinsoa,  einen  klugen,  schlanken,  alten  Mann 
mit  weißen  Whiskers  und  dunklen,  gescheiten  Augen. 
Der  Bischof  hatte  meine  BroschOre  schon  gelesen.  Er 
fand,  es  wäre  „rather  a  business". 

Ich  sagte  kategorisch :  „I  don  't  make  businesses.  I  am 
a  literary  man";  worauf  der  Bischof  erklärte,  daß  er  das 
nicht  kränkend  gemeint  habe.  Er  halte  die  Sache  viel- 
mehr für  eine  praktische.  Wenn  es  auch  als  Gesch&ft 
hegfinne,  kOnne  doch  etwas  Großes  daraus  werden.  So  sei 
ja  auch  das  indische  Reich  Englands  unbewußt  entstan- 
den. Er  segnete  mich  schließlich  und  wünschte  Gottes 
Segen  für  die  Sache. 

15.  Juni. 
Nachts  im  Coupä,  nachdem  ich  in  Wien  allein  in  den 
Orientzug  eingestiegen  bin. 

4i6 


dbyGooglc 


Newlinski  wird  erat  um  zwei  Uhr  morgens  in  Budapest 
einsteigen. 

Ich  will  jetzt  in  aller  Eile  die  Ereignisse  der  letzten 
Woche  nachtragen,  in  der  ich  vor  OberbeschSftiguug  lei- 
der nicht  dazu  kam,  die  Eindrücke  frisch  nach  ihrem 
Entstehen  zu  fixieren. 

Newlinski  hatte  nach  seiner  Rückkehr  von  London 
keine  Lust,  mit  mir  nach  Konstantinopel  zu  fahren. 

Er  widerstand  in  mehreren  Suggestivunterredungen; 
offenbar  stand  er  unter  der  Einwirkung  ungünstiger  Äuße- 
rungen aus  meinem  eigenen  Kreis  über  die  Sache.  Par 
ricochet  hörte  ich  von  einigen,  daß  er  sich  über  mich 
erkundigt  hatte. 

Ich  gewann  ihn  endlich  durch  die  Entschlossenheit,  die 
ich  zeigte,  allein  nach  Konstantinopel  zugehen.  Damochte 
er  besorgen,  daß  andere  die  großen  Vorteile  gewinnen 
würden,  die  ihm  in  Aussicht  stehen,  wenn  er  mich  unter- 
stützt. 

Freitag  verbliehen  wir  nach  einer  langen  Unterredung 
so,  daß  wir  es  uns  beide  noch  überschlafen  wollen,  ob  wir 
Montag,  den  i5.  Juni  nach  Konstantinopel  reisen.  Ich, 
ob  ich  die  Sache  ohne  ihn,  d.  h.  mit  meinen  „anderen 
Konstantinopler  Verbindungen"  unternehme  —  er,  ob  er 
mittue. 

Samstag  besuchte  ich  ihn  wieder.  Ich  hatte  eigentlich 
keine  Erwartung  mehr  und  war  von  der  fragwürdigen 
Expedition  so  ziemlich  abgekommen.  Er  fragte  mich 
leise  lauernd:  „Eh  bien,  partez-vous?" 

Ich  erriet,  was  in  der  Frage  lag,  und  antwortete  ent- 
schieden : 

„Je  pars." 

Und  da  er  nun  sah,  daß  ich  jedenfalls,  auch  ohne  ihn, 
gehen  würde,  erklärte  er  sich  bereit,  mitzufahren,  bat 

17     Her»U  TaeebOoliBr  I.  ^lij 


dbyGoogle 


mich  sogar,  „mir  keine  andere  Einführung  mitzuneh- 
men". Bon. 

Gestern  waren  wir  wieder  beisammen,  verabredeten  das 
Letzte  für  die  Abreise.  Er  werde  schon  heute  nachmittag 
nach  Pest  vorausfahren  und  nachts  in  den  Orientzug  ein- 
steigen. 

Wir  kamen  dann  auf  den  Finanzplan  durch  seine  Fra- 
gen, auf  die  ich  eigentlich  nicht  vorbereitet  war.  Mit  den 
Details  hatte  ich  mich  schon  lange  nicht  mehr  oder  — 
zum  Teile  —  noch  nicht  beschäftigt. 

Unvorbereitet,  wie  ich  war,  sagte  ich  ihm  nur,  daß  wir 
uns  vorstellen,  wir  würden  ao  Millionen  Pfund  für  Pa- 
lästina geben.  (Montagu  hat  im  „Daily  Chronicle"  nur 
zwei  Millionen  angeboten.) 

Ich  fuhr  dann  nach  Baden  und  telephonierte  an  Rei- 
chenfeld, den  Vetter  meiner  Frau,  er  möge  noch  abends 
hinauskommen,  um  mir  einige  Aufschlüsse  zu  geben. 

Er  kam  um  neun  Uhr  abends  nach  Baden,  ich  bat  ihn, 
mir  Aufklärungen  über  die  türkische  Staatsschuld  zu 
geben.  Während  er  mir  den  Zustand  der  dette  publique 
entwickelte,  konstruierte  ich  den  Finanzplan. 

Wir  wenden  ao  Mill.  Lt.  an  die  Regelung  der  türki- 
schen Finanzen.  3  Mill.  davon  geben  wir  für  Palä- 
stina, auf  Basis  der  Kapitalisierung  des  jetzigen  Ertrags 
von  80000  Lt.  jährlich.  Mit  dem  Rest  von  18  Mill.  be- 
freien wir  die  Türkei  von  der  europäischen  Kontroll- 
kommission. Die  Inhaber  der  Titres  A,  B,  C,  D  der  dette 
publique  werden  durch  Begünstigungen,  die  wir  ihnen 
unmittelbar  gewähren:  Erhöhung  ihres  Zinsenbezugs, 
Verlängerung  der  Amortisierung  usw.,  bewogen,  der  Si- 
stierung der  Kommission  zuzustimmen. 

Reichenfeld  war  von  diesem  Plan,  den  ich  sofort  mit 
allen  Details  und  spekulativen  EventualitSten  entwickelte, 

4i8 


dbyGooglc 


überrascht,  und  fragte,  welcher  Finaacier  das  ausge- 
arbeitet habe.  Ich  hüllte  mich  in  geheimmsvoUes  Schwei- 
gen. 

Heute  brachte  ich  Ncwlinski  seine  Fahrkarte  nach 
Konstantinopet.  Die  Expedition  kostet  mich  nicht  wenig. 
Newlinski  ersuchte  mich  auch,  einige  Früchte  für  den 
türkischen  Hof  mitzunehmen.  Er  hatte  einen  Bestell- 
zettel angefertigt,  den  ich  im  Hotel  Sacher  besorgen  lassen 
solle:  Erdbeeren,  Pfii'siche,  Trauben,  Spargel  —  alles 
aus  Frankreich.  Der  Korb  kostete  siebzig  Gulden  —  und 
dabei  waren  zum  Glück  nur  halb  so  viel  Trauben,  nur 
6  statt  3^  Pfirsiche,  und  nur  ein  Bund  Spargel  zu 
haben.  Ich  nahm  alles,  was  da  war.  Ultra  posse  nemo 
tenetur. 

Mein  armer  Hechler  war  anspruchsloser,  als  wir  zu- 
sammen fuhren. 

17.  Jani. 

Im  Orientzug,  morgens  um  sechs  Uhr,  vor  Baba-Eski. 

Der  gestrige  Tag  der  Fahrt  war  schon  hochinteressant. 
Newlinski  sagte  mir,  ab  er  um  zwei  Uhr  morgens  in  Bu- 
dapest einstieg,  daß  einige  Paschas  mit  seien,  namentlich 
Ziad  Pascha,  Chef  der  türkischen  Mission  bei  der  Mos- 
kauer Krönung. 

Gestern  vormittag  stellte  Newlinski  mich  Ziad,  Kara- 
theodory  und  dem  Belgrader  Gesandten,  Tewfik  Pascha, 
vor.  Später  bereitete  er  die  wichtigste  dieser  drei  Exzel- 
lenzen, Ziad  Pascha,  auf  den  Zweck  meiner  Reise  nach 
Konstantinopel  vor.  Ziad  interessierte  sich  sofort  für  die 
Sache,  und  es  wurde  nur  der  Moment  abgewartet,  wo 
wir  allein  wären,  um  ihn  näher  einzuweihen. 

Ziad  Pascha  ist  ein  kleiner,  eleganter,  zierlicher,  ver- 
pariserter  Türke,  der,  so  klein  er  ist,  sich  ein  gehöriges 
Ansehen  zu  geben  versteht.    Er  blickt  ernst  und  kühn 

'1'  4i9 


dby  Google 


aus  duoklen  Augen,  seine  Gesichtszüge  sind  fein  und 
scharf,  die  Nase  geschwungen,  der  kurze,  spitze  Vollbart 
wie  das  dichte  Haar  schwarz  und  im  Beginn  des  Er- 
grauens. 

Karatheodory  ist  weißbirtig,  fett,  gescheit,  lustig, 
spricht  brillant  Französisch,  liest,  wenn  er  nicht  plau- 
dert, eine  neue  Geschichte  Rußlands,  erzihlt  Wunder 
von  den  Reichtümern  der  Moskauer  Krönung  —  und  ißt 
auf  den  Haltestationen  leichtsinnig  Obst  und  trinkt  das 
Wasser  des  Ortes  dazu. 

Tewfik  ist  ein  junger  Pascha,  spricht  mit  Bewunde- 
rung von  der  Neuen  Freien  Presse,  zitiert  Passagen  aus 
alten  Leitartikeln. 

Nachmittags,  als  Karatheodory  das  Rauchzimmer  des 
Speisewaggons  verlassen  hatte,  und  nur  Ziad,  Newlinski 
und  ich  da  waren,  entwickelte  ich  dem  ernst  und  ge- 
spannt zuhörenden  Ziad  den  Plan. 

Er  sagte:  ,,Ich  sehe,  daß  Sie  nicht  mit  .Hintergedanken 
sprechen."  (Ich  erkifirte  nämlich,  daß  wir  Pat&stina  als 
vollkommen  unabhängiges  Land  erwerben  wollten;  und 
wenn  wir  es  so  nicht  bekämen,  würden  wir  nach  Argen^ 
tinien  gehen.) 

„Sie  sagen  Ihren  Gedanken  voll  heraus,"  sagte  Ziad, 
„aber  ich  muß  Ihnen  sagen,  daß  man  sich  mit  Ihnen  wohl 
kaum  auch  nur  in  Pourparlers  einlassen  wird,  wenn  Sie 
das  unabhängige  Palästina  verlangen.  Die  Vorteile  in  Geld 
und  Presse,  die  Sie  uns  versprechen,  sind  sehr  groß,  und 
ich  hielte  Ihren  Vorschlag  für  sehr  günstig;  aber  es  bt 
gegen  unser  Prinzip,  Territorium  zu  veräußern." 

Ich  erwiderte :  „Das  ist  unzSbligemal  in  der  Geschichte 
vorgekommen." 

Newlinski  warf  ein,  daß  ja  erst  kürzlich  England  Hel- 
goland an  Deutschland  veräußert  habe. 

^30 


dbyGooglc 


Ziad  blieb  dabei:  „Als  unabhSng^es  Land  bekommen 
Sie  Palftstina  keinesfalls  —  vielleicht  als  Vasallenstaat." 

leb  erwiderte,  daß  dies  eine  Unaufrichtigkeit  von 
vornherein  wfire,  denn  die  Vasallen  denken  doch  immer 
nur  daran,  sich  möglichst  bald  unabhfingig  zu  machen. 

Die  Unterredung  dauerte,  bis  wir  nach  Zaribrod  kamen. 
Dort  wurde  Newlinski  vom  bulgarischen  Minister  Natcho- 
witch  erwartet,  der  ihm  entgegengefahren  war.  Mir  kam 
eine  Deputation  der  Sofianer  Zionisten  entgegen.  Ich 
hatte  vorgestern  telegraphiert,  daß  ich  durchreisen  werde. 

Die  beiden  Herren  befragten  mich  über  den  Stand  mei- 
ner Zionsarbeit.  Ich  sagte  ihnen,  was  ich  konnte.  Dann 
mußte  ich  sie  verlassen,  um  mit  Newlinski  und  Natcho- 
witch  im  Speisewagen  zu  dinieren.  Natchowitch  bat  mich 
insbesondere,  daß  ihm  die  Neue  Freie  Presse  bei  seinem 
nichsten  Rücktritt  keinen  schmeichelhaften  Nachruf 
widmen  möge,  weil  er  sonst  im  derzeit  russenfreundlichen 
Bulgarien  zu  sehr  als  Günstling  Österreichs  gelten  würde  ; 
und  dadurch  wäre  ihm  sein  Wirken  im  österreichischen 
Sinn  erschwert. 

In  Sofia  erwartete  mich  eine  ergreifende  Szene.  Vor 
dem  Geleise,  auf  dem  wir  einfuhren,  stand  eine  Men- 
schenmenge —  die  meinetwegen  gekommen  war.  Ich 
hatte  total  vergessen,  daß  ich  das  eigentlich  selbst  ver- 
schuldet hatte. 

Es  waren  MSnner,  Frauen,  Kinder  da,  Sepbardim  und 
Aschkenasim,  Knaben  und  Greise  mit  weißen  BSrten. 
Vorne  stand  Dr.  Rüben  Bierer.  Ein  Knabe  überreichte 
mir  einen  Kranz  aus  Rosen  und  Nelken.  Bierer  hielt  eine 
deutsche  Ansprache.  Dann  verlas  Caleb  eine  französische 
Adresse,  und  zum  Schluß  küßte  er  mir  trotz  meines  StrSu- 
bens  die  Hand.  In  diesen  und  den  folgenden  Ansprachen 
wurde  ich  ab  Führer,  als  das  Herz  Israels  usw.,  in  Ober- 

431 


dbyGoogle 


Bchwenglichen  Worten  gefeiert.  Ich  glaube,  ich  stand 
ganz  verdutzt,  und  die  Passagiere  des  Orientzuges  starr- 
ten die  fremdartige  Szene  erstaunt  an. 

Ich  stand  dann  noch  eine  Weile  auf  den  Waggonstufen 
und  überblickte  die  Leute.  Die  verschiedensten  Typen. 
Ein  alter  Mann  mit  Pelzmütze  sah  meinem  Großvater 
Simon  HerzI  Shnlich. 

Ich  küßte  Bierer  zum  Abschied.  Alle  drKngten  sich 
herzu,  um  mir  die  Hand  zu  gehen.  Sie  riefen  leschonoh 
haboh  bijruackolajim.  Der  Zug  fuhr  ah.  Hüteacbwenken, 
Rührung.  Ich  seihst  war  ganz  gerührt,  insbesondere  von 
der  ErzShlung  eines  RumSnen,  der  mir  sein  Leid  klagte: 
er  habe  nach  geleistetem  Militlrdienst  auswandern  müs- 
sen, weil  man  ihm  das  Bürgerrecht  nicht  gewShrte. 

Newlinski  und  Ziad  waren  von  der  Manifestation  wf»- 
niger  frappiert,  als  ich  es  erwartet  hatte.  Oder  zeigten  sie 
ihren  Eindruck  nicht?  Newlinski  seinerseits  war  vom 
bulgarischen  Kirchenfürsten  Gregor  erwartet  worden, 
dem  wieder  er  seine  Durchreise  voraustetegraphiert  hatte 
—  vielleicht,  damit  ich  sein  (N's)  Ansehen  in  Bulgarien 
konstatiere. 


Abends  saß  ich  noch  mit  Newlinski  allein  im  Speise- 
wagen und  entwarf  ihm  den  auf  Basis  von  ao  Millionen 
Pfund  gestellten  Finanzplan,  wovon  zwei  Mill.  auf  un- 
mittelbares Handgeld  für  die  Überlassung  Palästinas,  und 
i8  Mill.  auf  die  Befreiung  der  türkischen  Regierung  von 
der  Kontrollkommission  kämen. 

Newlinski  widersprach  heftig.  Er  habe  Ziad  schon  ge- 
sagt, daß  ich  die  Befreiung  von  der  Kontrollkommission 
in  der  folgenden  Form  proponiere: 

Ein  Drittel  bezahlen  wir  bar.  Das  zweite  Drittel  üher- 


h22 


dbyGoogle 


nehmea'wir  zu  unseren  Lasten  (resp.,  wenn  wir  Vasallen 
werden,  wird  dieses  Drittel  auf  unseren  Tribut  fundiert). 
Das  dritte  Drittel  verzinsen  wir  aus  den  der  jetzigen 
Kommission  wef^nonunenen  und  uns  überwiesenen 
Staatseinnahmen. 

Wir  könnten  es  unm^lich  wagen,  meint  N.,  dem  Sul- 
tan ao  Mill.  Pfund  für  das  Land  Pal&stina  anzubieten. 
Das  sei  sozusagen  schon  der  Geschäftswert;  wir  müßten 
jedoch  das  pretium  affectionia  zahlen.  Wir  könnten 
eventuell  uns  noch  verschiedene  Konzessionen  ausbedin- 
gen, wodurch  wir  uns  die  Leistung  billiger  stellen,  z.  B. 
ein  Elektrizitätsmonopol  für  die  ganze  Türkei  usw.  Aber 
bei  dieser  Dreiteilung  müsse  es  unbedingt  bleiben. 


Das  habe  ich  überschlafen  und  finde,  daß  Newlinski 
recht  hat.  Ich  kann  sogar  aus  dieser  Wendung  einen 
neuen  Vorteil  ziehen.  Ich  kann  und  werde  in  Konstanti- 
nopel  sagen,  daß  die  Bedingungen  absolut  geheim  blei- 
ben müssen,  weil  ich  mein  Komitee  erst  mit  allem  ver- 
traut machen  müsse.  Dadurch  verhindere  ich  es,  daß 
eventuell  Montagu  oder  E.  Rothschild  gegen  meine  Vor- 
schläge protestieren. 

Komme  ich  aber,  stark  durch  die  Unterredung  mit  dem 
Sultan  nach  London,  so  werde  ich  durchsetzen,  was  ich  will . 

Eventuell  nehme  ich  Fühlung  mit  Barnato. 


Bierer  sagte  mir  in  Sofia,  Edm.  Rothschild  habe  vor 
ein  paar  Tagen  seinen  Vertreter  nach  Konstantinof«!  ge- 
schickt, um  dem  Sultan  Geld  anzubieten  für  die  Gestat- 
tung weiterer  Kolonisation. 

SoUte  das  ein  Schachzug  gegen  tnich  sein? 


433 


dbyGoogle 


i8.  Juni,  Kontlantinopel. 

Newlinski  ist  unBerer  Sache  vom  allergrößten  Wert.  Er 
ist  von  einer  Geachicklicbkeit  und  Hingebung  über  alles 
Lob.  Er  wird  eine  ganz  außerordentliche  Belohnung  er- 
halten müssen. 

Wir  kamen  gestern  nachmittags  in  Konstantinopel  an. 
Auf  dem  Bahnhof  erwartete  uns  Baron  B.  Popper  aus 
Wien,  nebst  zwei  hiesigen  Journalisten,  über  die  New- 
linski verfügt.  Die  Paschas,  die  mit  uns  gereist  waren 
und  sich  schon  vor  der  Ankunft  in  Gala  geworfen  hatten, 
um  sofort  zum  Sultan  zu  gehen,  wurden  von  einer  Schar 
von  Leuten  erwartet. 

Wir  fuhren  durch  diese  erstaunliche,  schöne,  schmut- 
zige Stadt.  Blendender  Sonnenschein,  farbige  Armut,  zer- 
fallende GebSude.  Vom  Fenster  des  Hotel  Royal  geht  der 
Blick  über  das  Goldene  Hörn.  Die  HSuser  an  den  Hügel- 
hSngen  stehen  im  Grün,  und  es  sieht  aus,  wie  wenn  Gras 

zwischen  den  Steinen  wüchse wie  wenn  die  Natur 

diese  verfallende  Stadt  langsam  zurückeroberte. 


Newlinski  ist  hier  sehr  angesehen  und  einflußreich.  So 
wie  mit  Ziad  und  Karatheodory,  mit  denen  wir  fuhren, 
steht  er  mit  vielen  großen  Türken. 

Gleich  nachdem  er  sich  umgekleidet  hatte,  fuhr  er  nach 
Yildiz  Kiosk.  Ich  begleitete  ihn  im  Wagen.  Das  Straßen- 
leben ist  sonderbar  arm  und  heiter.  Die  vergitterten  Ha- 
remsfenster der  Hluser  -  sind  ein  reizendes  Geheimnis. 
Dahinter  harrt  wohl  für  den  Eindringling  die  Entttu- 
schung. 

Wundervoll  der  Blick  auf  den  Bosporus  vor  dem  wei- 
ßen Palast  von  Dolma  Bagdsche. 


4M 


dbyGoogle 


Nachdem  NewUnski  in  Yildiz  ausgestiegen  war,  fuhr 
und  schlenderte  ich  allein  durch  die  holprigen  Straßen 
von  Pera  und  hinunter  zur  alten  Brücke. 


NewUnski  kam  spät  und  verdrießlich  zurück.  Iszet 
Bey,  der  erste  Sekretftr  des  Sultans,  hatte  sich  schroff 
ablehnend  gegen  die  Sache  gestellt.  „Man  verspricht  in 
dieser  Sache  zu  viel  Beteiligungen  I"  sagte  er,  und  New- 
Unski meint,  daß  der  Mann,  der  hier  schon  erste  Schritte 
unternommen  hat,  ungeschickt  vorgegangen  sei.  Das 
w£re  also  gutznmachen,  was  vielleicht  nicht  leicht  sein 
wird. 

Eine  andere  Schwierigkeit:  der  Sultan  scheint  krank 
SU  sein.  NewUnski  wurde  nicht  voi^lassen.  Was  dem 
Sultan  fehlt,  ist  nicht  zu  erfahren.  Baron  Popper  hat  von 
seiner  Schwester  gehört,  daß  beim  Wiener  Professor 
Nothnagel  angefragt  wurde,  ob  er  hierherkommen  könne. 
Es  wSre  ein  furchtbares  contreiemps,  wenn  mein  Emp- 
fang daran  scheitern  soUte. 


Wir  gingen  nach  dem  Diner  in  den  Konzertgarten  von 
Pera,  wo  eine  itaUenische  Operettengesellschaft  gastiert. 
Im  ersten  Zwischenakt  trafen  wir  Djawid  (oder  Djewid) 
Bey,  den  Sohn  des  jetzigen  Grofiveziers.  Ich  wurde  vor- 
gestellt und  ging  sofort  media»  in  res.  Wir  saßen  auf 
einer  Gartenbank,  die  Operettenweisen  klangen  entfernt 
von  der  Arena  her,  und  ich  machte  den  noch  jungen 
Staatsrat  mit  der  Sache  vertraut. 

Seine  Einwendungen  waren :  die  Verhfiltnisse  der  hei- 

435 


dbyGooglc 


ligen  Orte.  Jerusalem  müsse  unbedingt  unter  der  Ver- 
waltung der  Türkei  bleiben.  Es  wSre  gegen  die  heiligsten 
Empfindungen  des  Volkes,  wenn  Jerusalem  abgetreten 
würde.  Ich  versprach  eine  weitgehende  Exterritorialität. 
Die  heiligen  Stätten  der  Kulturwelt  dürfen  niemandem, 
müssen  allen  gehören.  Ich  glaube,  wir  werden  schliefilich 
zugeben  müssen,  daß  Jerusalem  in  seinem  jetzigen  Zu- 
stande verbleibe. 

Ferner  fragte  Djawid  Bey,  in  welchem  Verhältnis  der 
Judenstaat  zur  Türkei  stehen  solle.  Also  wie  Ziads  Frage 
nach  dem  Vasallentum. 

Ich  sagte,  daß  ich  einen  vollen  Erfolg  nur  in  der  Un- 
abhängigkeit sehe,  aber  wir  würden  jedenfalls  die  Ver- 
bindung wie  die  Ägyptens  oder  Bulgariens,  also  das  Tri- 
butverhältnis, diskutieren. 

Endlich  erkundigte  sich  Djawid  nach  der  zukünftigen 
Regierungsform . 

„Eine  aristokratische  Republik",  sagte  ich. 

Djawid  wehrte  heftig  ab:  „Sagen  Sie  dem  Sultan  nur 
das  Wort  Republik  nicht  I  Davor  hat  man  bei  uns  eine 
heillose  Angst.  Man  fürchtet  das  ansteckende  Übergrei- 
fen dieser  revolutionären  Regierungsform  von  einem  Ge- 
biet auf  das  andere." 

Ich  erklärte  ihm  in  ein  paar  Worten,  daß  ich  mir  eine 
Staatsform  wie  die  Venedigs  vorstelle. 

Endlich  bat  ich  ihn,  bei  der  Audienz  zugegen  lu  sein, 
die  sein  Vater,  Khalil  Rifat  Pascha,  der  Großvezier,  mir 
gewähren  soll. 

Der  junge  Exzellenzherr  versprach  dos  und  will  uns 
überhaupt  mit  Rat  und  Tat  beistehen.  Auf  seine  Frage 
nach  den  Vorschlägen,  die  ich  zu  machen  gedenke, 
sagte  ich,  daß  ich  die  Details  nur  dem  Sultan  mitteilen 
könne. 

6a6 


dbyGoogle 


i8,  Juni. 

Newlinski  sagte  mir  beute,  daß  in  Yildiz  Kiosk  Ruß- 
land die  Oberhand  gewonnen  babe.  Man  halte  die  Lage 
der  Türkei  aicht  für  gefährdet,  solange  die  Freundschaft 
mit  Rußland  bestehe.  Izzet  neige  zu  Rußland  hin.  Was 
ich  dem  Großvezier  sage,  werde  man  Rußland  unter- 
breiten. 

Wir  kamen  daher  überein,  daß  ich  mit  dem  einfluß- 
reichen Dragoman  der  russischen  Botschaft,  Jakowlew, 
^trechen  werde,  bevor  ich  zum  Großvezier  gehe. 

Ich  bat  sofort  Jakowlew  schriftlich  um  eine  Unterre- 
dung, die  er  mir  sofort  für  ein  Uhr  nachmittags  zusagte. 
Offenbar  sind  sie  auf  meine  Ankunft  schon  durch  die 
Zettungen  und  den  Diplomatenklatsch  aufmerksam  ge- 
worden. 

19.  Juni. 

Der  gestrige  Tag  war  ein  bewegter  —  mit  ungünstigem 
Ausgang. 

Mein  erster  Besuch  galt  dem  russischen  Dragoman  Ja- 
kowlew. Er  wohnt  im  Konsulatsgebäude  in  Pera.  Ein 
türkisch  verwahrlostes  Haus.  Im  Hof  Kawassen  und 
nicht  elegant  aussehende  Diener.  Eine  schmutzige  Magd 
nimmt  meine  Karte  und  trägt  sie  tu  Jakowlew,  der  noch 
beim  Speisen  sitzt,  wie  ich  dem  Teltergeklapper  aus  dem 
Nebenzimmer  entuehme.  Jakowlew  schickt  mir  Zigaret- 
ten herein.  Nach  zehn  Minuten  erscheint  er  selbst,  hager, 
groß,  dunkelhaarig,  schmales  Gesicht  mit  dürftigem  Bart, 
schmal  geschlitzte,  kleine  Augen. 

Er  benimmt  sich  sympathisch. 

Ich  sage  ihm  den  Zweck  meines  Besuches  in  ein  paar 
Worten,  spreche  aber,  um  ihn  auf  den  Schock  vorzubereiten, 
anfangs  vorsichtig  nur  von  einer  Kolonisation.  Ich  bitte 
ihn,  zur  Kenntnis  zu  nehmen,  daß  ich  mich  bei  der  rus- 

437 


dbyGooglc 


sischen  Botschaft  melde,  bevor  ich  mit  der  türkischen 
Regierung  spreche.  Ich  hätte  auch  die  Absicht  und  die 
Hoffnung,  mich  heim  Zar  durch  ein  Mitglied  von  dessen 
Familie  einführen  zu  lassen  (worunter  ich  den  Prinzen 
von  Wales  verstehe,  ohne  ihn  zu  nennen). 

Jakowlew  antwortet  mir  mit  einer  ErzShlung  seiner 
Erfahrungen  in  Jerusalem,  wo  er  Konsul  war.  Die  Juden, 
die  er  dort  kennenlernte,  haben  ihm  wenig  Sympathie 
eingeflö&t,  obwohl  er  ihnen  mit  Wohlwollen  entgegen- 
kam und  sie,  wenn  sie  Russen  waren,  als  russische  Staats- 
angehörige protegierte.  Sie  hätten  sich  gegen  das  Kon- 
sulat betrügerisch  benommen,  sich  um  die  schuldigen 
Konsulatstaxen  herumgedrückt  und  sich,  je  nachdem  es 
ihnen  paßte,  für  Türken  oder  Russen  ausgegeben. 

Ich  bemerke  hierauf,  daß  es  bei  den  Verfolgungen, 
denen  unser  Volk  seit  vielen  Jahrhunderten  ausgesetzt  war, 
kein  Wunder  sei,  wenn  die  Juden  moralische  Defekte  auf- 
weisen. Dem  stimmte  er  zu. 

Dann  gehe  ich  auf  meinen  Plan  nSher  ein,  es  handle 
sich  nicht  um  eine  Kolonisation  im  kleinen,  sondern  im 
großen.  Wir  wollen  das  Territorium  als  ein  autonomes. 

Er  hört  mit  wachsender  Spannung  und  Teilnahme  zu, 
findet,  daß  es  ein  großer,  schöner,  menschenfreundlicher 
Plan  sei. 

Ich  sage:  „Je  crois  que  cette  id6e  doit  £tre  sympathique 
k  tous  les  honn^tes  gens." 

Er  meint  schließlich,  daß  die  Sache  viele  Jahrzehnte 
in  Anspruch  nehmen  würde.  Ich  würde  wohl  das  Ge- 
lingen nicht  erleben;  aber  er  wünsche  mir  den  besten  Er- 
folg und  freue  sich,  mich  kennengelernt  zu  haben.  Er 
wünscht  mir  Kraft  und  Gesundheit  zur  Ausführung,  und 
ich  empfehle  mich. 

Beim  Abschied  rät  er  mir  noch,  mich  beim  hiesigen 

638 


dbyGoogle 


russischen  GescbSftstr&ger  zu  melden,  und  begleitet  mich 
zur  Treppe.  Da  sagt  er,  wie  um  seine  früheren  abffilligen 
Bemerkungen  gutzumachen:  „Sie  haben  vielleicht  unter 
Ihren  Leuten  zwanzig  Perzent,  die  moralisch  nicht  viel 
taugen,  aber  das  findet  man  auch  bei  anderen  Völltern." 
„Ja,"  sagte  ich;  „nur  werden  sie  uns  doppelt  angerech- 
net, so  daß  man  glauben  könnte,  es  wären  vierzig  Per- 
zent." 


Von  Jakowlew  fahre  ich  nach  der  Hoben  Pforte,  wo 
ich  schon  angesagt  bin.  Auf  dem  Bock  sitzt  neben  dem 
rotbefezten  Kutscher  mein  Dragoman. 

Fahrt  durch  winklige,  schmutzige  Straßen  nacbStam- 
hul.  Die  Hohe  Pforte  ist  ein  verfallendes,  altes,  schmut- 
ziges, großartiges  Haus,  erfüllt  vom  merkwürdigsten 
Leben.  Auf  kleinen  Sockeln  der  Vorhalleq  stehen  die 
wachhabenden  Soldaten. 

Arme  Teufel  hocken  auf  der  Erde.  Eine  Unzahl  von 
Beamten  und  Dienern  läuft  auf  und  ah. 

Mein  erster  Besuch  bei  Sr.  Exzellenz  Khair  Eddin  Bey, 
dem  GeneralsekretSr  des  Großveziers.  Die  Namen  aller 
der  Funktionäre  schreibe  ich  nach  dem  Gehör  auf.  Ich 
weiß  nicht.  Ob  richtig.  Erst  heute  erfahre  ich,  daß  der 
Sohn  des  Großveziers  nicht  Djawid,  sondern  Djewad  Bey 
heißt. 

Khair  Eddin  ist  ein  Mann  von  etwa  dreißig  Jahren, 
hübsch,  mit  glatten  blassen  Wangen,  schönem  schwarzen 
Vollbart  und  abstehenden  Ohren.  Er  lächelt  bei  jedem 
Wort  freundlich  und  zugleich  erstaunt.  Nach  wenigen 
Minuten  werden  wir  zum  Großvezier  gerufen.  Wir  durch- 
schreiten die  Vorhalle  und  einige  Vorzimmer.  In  einem 
großen  Saale,  mit  dem  Rücken  zum  Fenster,  sitzt  Se. 


429 


dbyGoogle 


Hoheit  der  Großvezier  KhalU  Rifat  Pascha.  Er  erhebt 
sich  bei  meinem  Eintritt,  reicht  mir  die  Hand.  Er  ist  ein 
großer,  vorgebeugter,  alter  Mann  mit  weißem  Bart,  fal- 
tiger verdorrter  Gesichtshaut.  Auf  dem  Schreibtisch  vor 
ihm  liegen  zwei  Rosenkränze. 

Er  setzt  sich,  weist  mir  einen  Fauteuü  neben  sich  an; 
uns  gegenüber,  jenseits  des  großen  Schreibtisches,  nimmt 
Khair  Eddin  als  Dolmetsch  Platz. 

Der  Großvezier  erkundigt  sich  zuerst  nach  meiner  An- 
kunft, dem  Reisewetter,  der  voraussichtlichen  Dauer  mei- 
nes Aufenthaltes,  nachdem  er  mir  eine  Zigarette  gereicht 
hat. 

Dann  macht  er  der  Neuen  Freien  Presse  einige  Kom- 
plimente. 

Khair  Eddin  übersetzt  die  BanalitSten  mit  freundlicher 
Wichtigkeit.  Ich  antworte  mit  anderen  Salamaleks:  die 
N.  Fr.  Pr.  habe  immer  gute  Gesinnungen  gegen  die  Tür- 
kei gehabt  und  werde  sieb  immer  freuen,  wenn  sie  Gün- 
stiges über  das  Reich  zu  melden  habe.  Zuweilen  seien 
wir  vielleicht  über  die  Tatsachen  nicht  genügend  unter- 
richtet; aber  vrir  verlangen  nichts  Besseres,  als  immer  das 
Wahre  zu  berichten. 

Der  Großvezier  läßt  mir  sagen,  unser  Korrespondent 
mdge  nur  wann  immer  kommen,  man  werde  ihm  alles 
sagen. 

Ich  danke  für  die  Zusicherung. 

Dann  lasse  ich  Seine  Hoheit  fragen,  ob  er  den  Zweck 
meiner  Reise  kenne. 

Nein,  läßt  er  mir  antworten,  wobei  seine  halbgeschlos- 
senen Augen  immer  auf  den  Tischrand  oder  auf  seine  mit 
dem  Rosenkranz  spielenden  großen  Hände  gesenkt  sind. 

Ich  setze  also  Khair  Eddin  meinen  Vorschlag  zur  Wei- 
terbeförderung auseinander. 

43o 


dbyGooglc 


Der  Großvezier  hört  unerschütterlich  zu.  Er  stellt 
Fragen  wie  diese:  „PaiSstina  ist  groß.  Welchen  Teil  da- 
von ich  mir  denke?" 

Ich  lasse  antworten :  „Das  werde  sich  mit  den  Vorte^en, 
die  wir  bieten,  balancieren  müssen.  Für  mehr  Land  wer- 
den wir  größere  Opfer  bringen." 

Se.  Hoheit  läßt  sich  nach  den  Bedingungen  erkundigen. 

Ich  lasse  um  Verzeihung  bitten,  wenn  ich  auf  Details 
nicht  eingehe.  Ich  könne  nur  Sr.  Majestät  selbst  den 
genauen  Umfang  unserer  PropositioneD  angeben.  Sollle 
man  unsere  Vorschläge  im  Prinzip  entgegennehmen  wol- 
len, so  würde  Sir  Samuel  Montagu  unser  finanzielles 
Programm  vorlegen. 

Khalil  Rifat  Pascha  macht  große  Pausen  im  Gespräch, 
während  welcher  er  den  Rosenkranz  Perle  für  Perle  zwi- 
schen seinen  Fingern  abzählt,  als  hätte  er  innerlich  eine 
Bedenkzeit  von  Wort  zu  Wort  einzuhalten. 

Ich  habe  schließlich  den  Eindruck,  daß  er  der  Sache 
nicht  nur  at^neigt,  sondern  geradezu  mißtrauisch  ist. 

Während  unseres  Gesprächs  sind  fortwährend  Beamte 
und  Diener  tief  grüßend,  meldend,  Papiere  bringend,  er- 
schienen und  haben  sich  rücklings  schreitend  entfernt. 

Khalil  Rifat  läßt  mir  nach  dem  Eintritt  eines  anderen 
ernsten,  alten  Mannes  andeuten,  daß  die  Unterredung  zu 
Ende  sei.  Er  erhebt  sich  halb  und  reicht  mir  die  Hand. 

Im  Vorsaal  frage  ich  den  freundlich  lächelnden  Khair 
Eddin,  ob  der  Großvezier  es  mir  übel  genommen  habe, 
daß  ich  die  Bedingungen  vorläufig  verschwieg. 

„Nein,"  sagt  der  Lächelnde,  „er  ist  ein  Philosoph,  und 
es  kann  ihm  nur  gefallen,  daß  Sie  Ihre  Pflichten  er- 
füllen, wie  er  die  seinigen  erfüllt.  Es  kann  ihm  nur  recht 
sein,  wenn  Sie  sich  an  seinen  erhabenen  Herrn  direkt 
wenden." 

43i 


dbyGoogle 


Khair  Eddin  zeigt  mir  noch  einen  herrlichen  Ausblick 
auf  den  Bosporus  und  das  ferne  Dolma  Bagdsche;  dann 
drückt  er  mir  lange  und  vei^nflgt  die  Hand.  <  i^- 


Durcb  viele  Gänge,  an  Wachen,  Dienern,  Bummlern, 
Beamten  vorüber  werde  ich  ins  AuswSrtige  Amt  zu  N . . . 
Bey  geführt. 

Das  ist  ein  rotblonder,  eleganter,  intelligenter,  gebil- 
deter Armenier,  der  lange  in  Paria  gelebt  hat  und  ein 
ganzer  Pariser  ist.  Einige  fremde  Diplomaten  kommen 
und  gehen.  Es  ist  eben  von  zwei  Frauen  die  Rede,  die 
irgendwo  Räubern  in  die  Hände  fielen  und  gegen  Löse- 
geld freigelassen  werden  sollen.  Ein  Attache  irgendeiner 
Botschaft  bittet  N...  Bey,  alle  nicht  dringenden  Ange- 
legenheiten liegen  zu  lassen,  weil  er  vor  seinem  Urlaub 
nichts  Neues  in  Angriff  nehmen  möchte.  Man  merkt,  daß 
ihm  gar  nichts  dringend  vorkommt. 

Als  wir  allein  sind,  sage  ich  N . . .  Bey,  was  ich  will. 
Seine  Augen  leuchten  hoch  auf.  Er  kapiert  sofort. 

„C'est  süperbe",  sagt  er,  als  ich  ihm  —  wie  vorhin 
dem  Großvezier  —  sage,  daß  wir  die  Türkei  von  der 
Schuldenkontrollkommission  befreien  wollen.  Man  hätte 
dann  Mittel,  um  alle  nötigen  Reorganisationen  durchzu- 
führen. N . . .  ist  entzückt  und  gewonnen.  Er  hat  aber 
das  große  Bedenken  wegen  der  heiligen  Orte.  Wer  soll 
die  administrieren?  ,,Das  wird  sich  arrangieren  lassen," 
bemerke  ich;  „bedenken  Sie  nur,  daß  wir  die  einzigen 
Käufer  einer  für  jeden  anderen  wertlosen  und  nichts 
tragenden  Sache  sind,  und  zwar  zu  hohem  Preis." 

Hierauf  führt  mich  N . . .  Bey  zu  Daout  Efendi,  der  ein 
Jude  ist,  aber  als  erster  Dragoman  die  rechte  Hand  des 

433 


dbyGoogle 


Ministers  des  Auswärtigen,  und  für  den  einflußreichsten 
Mann  im  Ministerium  gilt. 

Seine  hohe  Stellung  erkenne  ich  an  den  tiefen  Salam- 
aleks  der  Eintretenden.  Die  Beamten  legen  die  Schrift- 
stücke zu  seinen  Füßen  nieder,  so  daß  er  sich  immer 
bücken  muß,  also  unbequemer  bedient  ist.  Er  arbeitet 
auf  einem  Fauteuil,  ohne  Tisch  vor  sich,  sitzend  und 
schreibt,  das  Papier  frei  in  der  Hand  haltend. 

Er  ist  ein  großer,  dicker  Mann  mit  kursem,  grauem 
Bart.  Auf  der  gebogenen,  fleischigen  Nase,  vor  den  vor- 
quellenden Augen  sitzt  die  Brille. 

Er  versteht  mich  sofort.  Aber  er  ist  sichtticb  ängstlich. 
Er  sehe  deutlich  die  ungeheuren  Vorteile  für  die  Türkei, 
aber  als  Jude  müsse  er  sich  die  allergrößte  Reserve  auf- 
erlegen. 

Es  werde  enorme  Schwierigkeiten  geben,  ja  er  halte  die 
Sache  für  undurchführbar.  Er  sprach  bald  wie  ein  Bru~ 
der  mit  mir,  ernst  und  bekümmert.  Dem  Minister  des 
Äußeren  solle  ich  mich  durch  einen  anderen  vorstellen 
lassen,  aber  diesen  Refus  begleitete  er  mit  einem  Freun- 
desblick, der  mich  um  Entschuldigung  bat.  Ich  solle  ihn 
vor  meiner  Abreise  noch  einmal  besuchen. 

Den  Juden  gehe  es  in  der  Türkei  gut,  und  sie  seien 
gute,  treue  Patrioten,  sagte  er. 

Wie  eine  Illustration  dazu  war  es,  als  er  dann  mit  mir 
durch  eine  Vorhalle  ging  und  die  swei  Wachsoldaten  auf 
ihren  Postamenten  klirrend  und  rasselnd  das  Gewehr  vor 
ihm  präsentierten. 

Ich  sah  auch  Niscban  Efendi,  den  Chef  des  Preß- 
bureaus, in  seinem  kleinen  Zimmer,  wo  ein  paar  Redak- 
teure aus  den  europäischen  Blättern  die  öffentliche  Mei- 
nung der  Türkei  herstellten. 

iS     Henli  Tagebflohet  I.  433 


dbyGoogle 


Nischan  beklagte  sich  Ober  die  Leitartikel  der  N.  Fr.  Pr. 
und  über  Gotucbowskis  letzte  Rede. 


Abends  kam  Newliuski  mit  langem  Gesicht  und  schlech- 
ten Nachrichten  aus  Yildiz  Kiosk  zurück. 

Er  ließ  sich  nur  eine  halbe  Flasche  Champagner  geben 
—  en  aigne  de  deuU  —  und  sagte  mir  in  zwei  Worten: 
^.Es  ist  nichts.  Der  große  Herr  will  nicht  darauf  ein- 
gehen!" 

Ich  hielt  den  Stoß  wacker  aus. 

,J)er  Sultan  sagte:  Wenn  Herr  Herzl  in  solchem  Maße 
Ihr  Freund  ist,  wie  Sie  der  meinige,  dann  raten  Sie  ihm, 
keinen  Schritt  weiter  in  dieser  Sache  zu  tun.  Ich  kann 
keinen  Fußbreit  Landes  veräußern,  denn  es  gehört  nicht 
mir,  sondern  meinem  Volke.  Mein  Volk  hat  dieses  Reich 
mit  seinem  Blut  erkämpft  und  gedüngt.  Wir  müssea  es 
wieder  mit  unserem  Blut  bedecken,  bevor  man  es  uns 
entreißt.  Zwei  meiner  Regimenter  aus  Syrien  und  Palä- 
stina haben  sich  Mann  für  Mann  bei  Plewna  umbringen 
lassen.  Gewichen  ist  keiner;  alle  Mann  sind  tot  auf  die- 
sem Schlachtfeld  gehlieben.  Das  Türkische  Reich  gehOrt 
nicht  mir,  sondern  dem  türkischen  Volke.  Ich  kann  davon 
nichts  hergeben.  Die  Juden  sollen  sich  ihre  Milliarden 
aufsparen.  Wenn  mein  Reich  zerteilt  wird,  bekommen 
sie  vielleicht  Palästina  umsonst.  Aber  teilen  wird  man 
erst  unseren  Kadaver.  Eine  Vivisektion  gebe  ich  nicht  zu." 

Sie  sprachen  dann  noch  von  anderem.  Newlinski  riet, 
mit  den  Jungtürken  zu  regieren. 

Der  Sultan  sagte  ironisch:  ,,Also  eine  Verfassung?  So- 
viel ich  weiß,  hat  die  Verfassung  Polens  es  nicht  verbii^ 
dert,  daß  Ihr  Vaterland  geteilt  wurde." 
*     *    * 


dbyGoogle 


Ich  war  vob  den  wirklich  erhabeoen  Worten  des  Sul- 
tans gerührt  und  erachüttert,  obwohl  sie  alle  meine  Hoff- 
nuoffen  vorläufig  zuscbanden  machen.  Es  ist  eine  tra- 
gische SchSoheit  in  diesem  Fatalismus,  der  sich  totschla- 
gen und  teilen  lassen,  aber  bis  zum  letzten  Atemzuge 
wehren  will,  wenn  auch  nur  durch  passiven  Widerstand, 

19.  Juni. 

Newlinskl  zeigte  sich  angenehm  davon  Überrascht,  daß 
ich  meine  Enttäuschung  nicht  in  einer  Depression  merken 
Ueß. 

Ich  dachte  natürlich  sofort  an  andere  Kombinationen 
und  fand  diese,  die  ich  Newtinski  zur  Besorgung  aufgab: 
Wir  wollen  trachten,  der  Umgebung  des  Sultans  gleich 
und  im  vorhinein  „Beweise  unserer  Anhänglichkeit"  zu 
geben. 

Newlinski  möge  durch  Izzet  Bey  und  direkt  alles  auf- 
bieten, damit  der  Sultan  mich  dennoch  empfange.  Ich 
will  dem  Sultan  unsere  Proposition  mitteilen,  (out  en 
m'inclinant  respectaeusement  devant  sa  volonti.  Er  soll 
wissen,  daß  ihm  die  Juden  an  dem  Tage,  wo  er  es  für 
gut  finden  wird,  auf  diese  Ressource  zurückzugreifen, 
ihre  Geldkraft  zur  Regelung  der  finanziellen  Situation 
der  Türkei  zur  Verfügung  stellen  wollen. 

19.  Juni. 

Das  Selamlik,  Freitag. 

Wir  fahren  an  dem  sonnigen  Tag  hinaus  nach  Yildiz- 
Kiosk.  Truppen  in  Gala  unterw^.  Der  Bosporus 
leuchtet. 

In  Yildiz,  vor  dem  Pavillon  der  Gäste,  empfangen  uns 
zwei  Adjutanten  des  Sultans  in  großer  Gala.  Es  jagen 
in  wenigen  Viertelstunden  die  herrlichsten  Bilder  vorüber. 
Die  weiße  Yildiz-Moschee   im  Sonnenschein.    Jenseits, 

'8*  435 


dbyGoogle 


drübea  der  blaue  Bosporus,  ferne  die  Inseln  im  Duft. 
Truppen  marschieren  auf.  Stämmige,  sehnige,  braune 
Kerle,  energisch,  ,^trapasentrutzeDd".  Prachtvolle  Ba- 
taillone. Hechts  vom  Bei^  herunter  reiten  die  Kavallerie- 
regimenter. Die  roten  Lanzenfähnchen  flattern.  Vor  uns, 
den  Hügel  hinan,  schreiten  in  straffem  Stecbschritt  die 
Zuaven  mit  grün-rotem  Turban.  Die  Trompeter  halten 
ihr  Blechhorn  vor  dem  Mund,  zum  Blasen  bereit. 

Paschas  in  großer  Uniform  fahren  und  reiten  heran. 

Id  den  Moscheevorbof  liehen  Fromme  in  den  farbig- 
sten Trachten. 

Buntes  Geflirr.  Jeder  Augenblick  bringt  neue  Pracht 
der  Farben. 

Kleine  Jungen  in  Offizierstracht,  Söhne  von  Paschas, 
treten  in  pubtiger  Grandezza  auf. 

Endlich  kommt  der  Hof.  Zuerst  die  Söhne  des  Sultans 
und  andere  Prinzen.  Sie  steigen  am  Fuß  des  Yildiz- 
Hügels  zu  Pferde  und  erwarten  dort  in  stattlicher  Reihe 
das  Erscheinen  des  Kalifen.  In  der  Reihe  der  jungen  Prin- 
zen zwei  graubfirtige  Offiziere,  die  militärischen  Erzieher 
der  Prinzen. 

Der  Chef  der  Eunuchen,  ein  fetter,  großer  Kastrat, 
kommt  würdevoll  vorüber. 

Drei  geschlossene  Hofequipagen  mit  dichtverschleier- 
ten Haremsdamen. 

Jetzt  kommt  eine  Doppelreihe  von  Palastoffizieren  in 
feierlichem  Schritt  den  Hügel  herunter.  Und  dann  der 
Wagen  des  Sultans,  ein  halbgeschlossener  Landauer  mit 
Vorreitern,  umgeben  von  Garden  und  Offizieren. 

Im  Wagen  sitzt  der  Sultan,  ihm  gegenüber  Ghazi  Os- 
man  Pascha. 

Vom  Minarett  ruft  ein  Muezzin  mit  heller  Stimme  zum 
Gebet.  Militärmusik  dazwischen. 

436 


dbyGooglc 


Die  Truppen  begrüßen  mit  zweimaligem  lauten  Zuruf 
den  Kalifen. 

Er  ist  ein  schmSchtiger,  kränklicher  Mann  mit  großer 
Hakennase  und  halblangem  Vollbarte,  der  braun  gefSrbt 
aussieht. 

Er  macht  den  türkischen  Gruß  mit  einem  SchnOrkel 
beim  Mund. 

Wie  er  an  der  Terrasse  vorüberkommt,  auf  der  wir 
stehen,  fixiert  er  NewUnski  und  mich  scharf. 

Dann  fShrt  er  hinter  das  Moscheegitter,  steigt  beim 
linken  Flügelvorsprung  aus,  geht  tangsam  die  Treppe 
hinauf. 

Zurufe.  Er  grüßt  nochmals  imd  tritt  in  die  Moschee 
ein,  der  nun  alle  Spaliersotdaten  das  Gesicht  zuwenden. 

Die  Andacht  dauert  etwa  zwanzig  Minuten.  Im  Mo- 
scheehof breiten  die  Pilger  Gebetteppiche  aus,  knien, 
hocken  nieder. 

Den  Soldaten  im  Sonnenbrand  wird  Wasser  gereicht. 

Nach  der  Andacht  erscheint  der  Sultan  wieder,  besteigt 
einen  offenen  zweispSnnigen  Wagen,  den  er  selbst  kut- 
schiert. 

Im  Moscheehof  ein  tiefvemeigtes  Spalier  von  Paschas 
und  Generalen. 

Die  Prinzen  steigen  wieder  zu  Pferde. 

Wie  der  Sultan  abermals  an  uns  vorbeikommt,  fixiert 
er  mich,  der  ich  an  Newlinskis  Seite  für  ihn  erkennbar 
bin,  mit  einem  harten  Blick. 

Ein  Gewühl  von  laufenden  Offizieren  den  Berg  hinauf 
hinter  dem  Wagen. 

Dann  löst  sich  das  mftrchenhaft  prächtige  Bild  auf. 


437 


dbyGoogle 


i9.  Juni. 

Nach  dem  Selamlik  sah  ich  die  Drehderwische  in  der 
Moschee  der  Rue  de  P^ra. 

Ein  kleiner  Junge  unter  den  alten  hageren,  dumpf  und 
verschmitzt  dreinschauenden  „Fanatikern",  die  das  feier- 
lich-groteske Tanzspiel  aufführen. 

Einfältige  Musik,  genKselte  Gebete,  Rundgang  wie  eine 
Art  chaine  anglaUe  der  Quadrille  mit  tiefen  Verbeugun~ 
gen,  dann  das  schwindlige  sinnlose  Drehen.  Nach  Ab- 
werfen der  bunten  Mäntel  in  weißen  Kleidern  ä  la  Laie 
Füller,  die  linke  Handfläche  zur  Erde,  die  rechte  nach 
oben  geehrt. 

*     *    * 

Nachmittags  mit  Margueritte,  dem  Günstling  des  Groß- 
veziers,  bei  den  süßen  Wassern  von  Europa. 

Margueritte  bietet  sich  mir  an.  Er  könne  vom  Groß- 
vezier  erlangen,  was  er  nur  wolle.  Er  werde  demnächst 
eine  Konzession  für  die  Petroleumquellen  von  Alexan- 
drette  bekommen.  Er  erzählt  mir  die  Geschichte  vom  ge- 
scheiterten Anlehen  des  Baron  Popper.  Dieser  habe  das 
Drei-Mitliooen-türk.-Pfund-Anlehen,  das  dann  die  Otto- 
man Bank  machte,  machen  wollen.  Er  hatte  schon  alles 
abgeschlossen,  Izzet,  Tahsin,  den  Scheik  des  Palais  und 
einige  andere  Personen  beteiligt.  Der  Großvezier  nimmt 
nichts,  doch  wollte  P.  dessen  Frau  ein  Kollier  oder  dgL 
schenken. 

Die  Botschaften  im  Auslande  waren  angewiesen,  P.  zu 
unterstützen.  Da  stellte  sich  heraus,  daß  die  Bank,  deren 
Vertreter  P.  zu  sein  erklärte,  angab,  sie  kenne  ihn  nicht. 

Das  habe  hier  gegen  P,  verstimmt  —  parbleul  —  ohne 
ihn  jedoch  dauernd  unmöglich  zu  machen.  Er  bewerbe 
sich  jetzt  um  die  Bahnkonzession  Alexandrette-Damas- 

438 


dbyGoogle 


kus,  die  dem  Suezksaal  den  Verkehr  nach  Asien  abgrtibeD 
würde. 

Margueritte  teilt  mir  auch  mit,  daß  Newlinski  gestern 
spät  abends  in  meinem  Namen  —  er  hatte  mich  davon 
nicht  verstSndigt  —  sagen  ließ,  er  möge  die  von  mir 
vorgetragene  Sache  fallen  lassen. 

Margueritte  versprach  mir,  Djewad  Bey,  den  Sohn  des 
Großveziers,  für  mich  zu  interessieren. 

Mit  Djewad  könne  man  „offen  reden". 

20.  Juni 

Morgens  beim  Frühstück  wird  in  unserem  Salon  mit 
dem  langen  grdndamastenen  Sofa  immer  Kriegsplan  ge- 
macht. Ich  schlage  Newlinski  vor,  den  Leuten  im  Palais 
und  auf  der  Pforte  ein  Anfangsgesch&ft  in  Aussicht  zu 
stellen.  Ich  würde  mich  bemühen,  sie  zu  einer  kleinen 
Anleihe  von  ein  bis  zwei  Millionen  zu  bewegen,  da  nach 
meiner  Ansicht  dies  unseren  ferneren  Plan  nicht  kompro- 
mittiert. Das  Geld  w&re  in  ein  Faß  ohne  Boden  geworfen. 
Wir  würden  aber  dadurch  hier  festen  Fuß  fassen  und 
beliebt  werden. 

Ich  bitte  Newlinski,  nur  alles  Mögliche  aufzubieten,  da- 
mit mich  der  Sultan  empfange.  Wenn  ich  ohne  Empfang 
mit  Nein  zurückkehre,  wird  man  alles  für  Traum  halten. 

Vorläufig  wagt  natürlich  niemand,  dem  Sultan  von  mir 
zu  reden,  nach  dem  formellen  Refus,  das  er  Newlinski  vor 
Münir  Pascha,  Izzet  Bey  usw.  gegeben. 

Izzet  Bey  rSt  aber  fönendes:  die  Juden  sollten  irgend- 
ein anderes  Territorium  erwerben  und  es  dann  der  Türkei 
als  Tauschobjekt  (mit  Draufzafalung)  anbieten. 

Ich  denke  sofort  an  Zypern. 

Izzets  Idee  ist  gut  und  zeigt,  daß  er  mit  uns  und  für 
uns  denkt. 

439 


dbyGoogle 


Eine  persönliche  Beteiligung  lehnt  er  ab.  Doch  hat  er 
in  Arabien  seine  Familie,  die  aus  —  i5oo  Köpfen  be* 
steht,  für  die  man  etwas  tun  müßte. 


Gestern  nachmittags  sah  ich  N . . .  Bey  wieder,  nach- 
dem Newlinski  von  ihm  fortgegangen  war.  Ich  wartete 
auf  Newlinski  im  Wagen  vor  der  Hohen  Pforte.  Heiße 
Nachmittagsstunden. 

Newlinski  kam  nach  einer  Stunde.  Er  hatte  mit  dem 
Großvezier  und  N . . .  Bey  von  unserer  Sache  gesprochen. 
Der  Großvezier  ist  dagegen.  N. . .  Feuer  und  Flamme  dafür. 

N . . .  Bey  empfing  mich  sehr  liebenswürdig,  ging  dann 
aus  seinem  Zimmer,  wo  Besucher  waren,  mit  mir  ins 
Nebeokabinett  und  sprach  da  gani  offen.  Er  sei  ganz  für 
uns;  aber  leider  müsse  man  hier  mit  den  vielen  vernagel- 
ten Köpfen  rechnen. 

Er  kokettiert  ein  bißchen  mit  seiner  europSischen  Bil- 
dung und  Intelligenz  und  sagt  selbstgefällig:  „Unter  die- 
sen Blinden  bin  ich  der  Einfiugige." 

Er  ist  aber  wirklich  eine  viel  höhere  Intelligenz  als  die 
meisten  der  übrigen. 

Folgendes  r&t  er :  Die  Juden  sollten  die  türkischen  Pa- 
piere erwerben  und  die  Kommission  der  Bondholders  mit 
Juden  besetzen.  Diese  Kommission  habe  großen  Einfluß 
und  trete  in  jedem  kritischen  Augenblick  auf  den  Plan. 

Er  hat  diese  Idee  auch  Newlinski  mitgeteilt,  wie  ich 
später  erfuhr.  Newlinski  war  gleich  dagegen,  weil  da- 
durch die  Juden  hier  so  verhaßt  würden,  wie  jetzt  die 
Kommission, 

Newlinski  bemerkt  sogar  gegen  meine  Lobsprüche  auf 
N . . . :  „Intelligent  wäre  er,  wenn  er  das  riete,  um  die 
Judensache  unmöglich  zu  machen." 

Uo 


dbyGoogle 


N . . .  versprach  mir  seine  Unterstützung  im  reichsten 
Maße,  namentlich  auch,  wenn  wir  gegen  die  Ottoman 
Bank  einschritten,  die  hier  für  die  Finanzmiseren  ver- 
antwortlich gemacht  wird. 


Dann  bei  Davout  Efendi,  nach  meiner  Ansicht  der  Ta- 
delloseste unter  den  Funktionären,  die  ich  bisher  kennen- 
lernte. Ich  bin  stolz,  daß  er  ein  Jude  ist.  Der  Sultan  hat 
keinen  treueren  Beamten.  Er  ist  im  Herzen  mit  uns,  muß 
sich  aber  hüten,  es  zu  zeigen. 

Er  h&lt  es  für  möglich,  daß  wir  eines  Tages  unser  Ziel 
erreichen,  wenn  die  Türkei  „sera  dana  la  dicke,  et  si 
voaa  dorez  la  pilale"  —  nämlich  den  Staat  als  Vasallen- 
staat gründen. 

Er  versprach  mir,  heute  bei  Tewfik,  dem  Minister  des 
Auswärtigen,  zu  sein,  wenn  ich  komme.  Nur  solle  es  aus- 
sehen, als  ob  wir  uns  nicht  kennen. 


Abends  teilt  mir  NewUnski  mit,  daß  Izzet  Bey  mich 
heute  empfangen  werde. 

2*.  Juni 
Ich  schreibe  Davout  Efendi,  er  mOge  vorläufig   mit 
seinem  Minister  nichts  von  der  Sache  reden.  Der  Moment 
sei  nicht  günstig. 

*     *    * 

Gestern  hat  der  Sultan  NewUnski  gesagt,  er  wolle  mich 
als  Journalisten  nicht  empfangen,  weil  die  N.  Fr.  Pr. 
nach  Bachers  Interview  ihn  persönlich  schwer  attackiert 
habe. 

Ut 


dbyGoogle 


22.  Juni. 

GeaterQ  morgens  fuhr  ich  mit  Newliiuki  nach  Yildiz 
Kiostc  zu  Izzet  Bey.  E^  wurde  vorher  ausgemacht,  daß 
die  Unterredung  nur  aus  höflichen  Banalitäten  bestehen 
dürfe. 

Um  halb  zehn  fuhren  wir  auf  dem  schon  bekannten 
Weg,  den  das  bunte,  arme  Volkstreiben  des  Orients  sSumt, 
an  Dolma-Bagdsche  vorbei,  wo  der  blaue  Bosporus  schim- 
mert, den  Berg  hinauf  nach  Yildiz. 

Wir  traten  in  den  Schloßhof,  wo  jetzt  gerade  Baurepa- 
raturen gemacht  werden. 

Izzet  Bey  stand  zufällig  im  Hofe.  Wir  grüßten  und 
gingen  in  sein  Amtsgebäude,  das  recht  dürftig  aussieht. 
Die  einzelnen  Bureaus  sehen  wie  Badekabinen  aus.  Selbst 
das  Zimmer  Izzet  Beya,  des  Allmächtigen,  ist  klein  und 
dürftig.  Ein  Schreibtisch  Izzets,  ein  kleinerer  des  Sekre- 
tärs, einige  Fauteuils  und  ein  geschlossenes  Himmelbett 
(für  den  Fall  des  Übernachtens  im  Permanenzdienst),  daa 
ist  alles.  Aber  ein  Fenster  öffnet  sich  auf  die  weite  und 
lachende  Schönheit  des  Bosporus,  über  die  weißen  Mina- 
retts der  Selamlik-Moschee  bis  nach  den  duftigen  Prinzea- 
inseln. 

Mit  uns  wartete  auf  Izzet  Hey  ein  jüdischer  Juwelier, 
der  die  vom  Sultan  bestellte  silberne  Standuhr  gebracht 
hatte.  Diese  Uhr  ist  die  Belohnung  für  den  Militärarzt, 
welcher  vor  ein  paar  Tagen  das  Furunkelgeschwür  des 
Sultans  operiert  hatte. 

Izzet  Bey  trat  ein  und  fertigte  zuerst  den  Juwelier  ab, 
nachdem  ich  ihm  vorgestellt  worden  war. 

Izzet  Bey  ist  ein  mittelgroßer,  schmächtiger  Mann  in 
den  Vierzigern.  Das  faltige,  ermüdete,  aber  intelligente- 
Gesicht  ist  eher  häßlich.  Große  Nase,  schütterer,  halb- 
langer dunkler  Vollbart,  kluge  Augen. 

44a 


dbyGoogle 


Ich  sage  die  verabredetea  Banalitäten:  icb  hätte  nicht 
wegfahren  wollen,  ohne  einen  der  hervorragendsten  Min- 
ner dieses  großen  Landes  kennengelernt  zu  haben.  Ich 
würde  mich  sehr  freuen,  wenn  es  mir  gelänge,  die  gün- 
stigen Eindrücke,  die  ich  von  Konstantinopel  mitnehme, 
auch  anderen  durch  die  Zeitung  beizubringen.  Ich  ge- 
dächte, eine  Reihe  von  Artikeln  über  die  politischen  Kreise 
der  Türkei  zu  schreiben  und  wäre  erfreut,  wenn  ich  etwas 
nützen  könnte. 

Izzet  Bey  Ifichelt  zu  alledem  sehr  liebenswürdig  und 
„freut  sich,  meine  Bekanntschaft  gemacht  zu  haben",  als 
ich  mich  nach  einer  Viertelstunde  empfehle. 

Newiinski  hatte  mir  vorher  gesagt,  daß  man  allen  Die- 
nern Bakschisch  geben  müsse.  Izzets  Diener  nahm  im 
Wandelgang  des  ersten  Stockes  zwei  Medschidies,  der 
Diener  im  Erdgeschoß,  der  meinen  Stock  gehalten  hatte, 
nahm  eine  Medschidie.  Am  Yildizausgang  aber  wurde 
die  Sache  komisch.  Da  befanden  sich  zwei  Türstoher.  Als 
ich  in  die  Tasche  griff,  hielten  sie  beide  nebeneinander 
die  Hand  auf,  und  ich  verzögerte  absichtlich  die  Gabe 
um  ein^  Sekunden,  um  das  symbolische  Schauspiel  die^ 
ser  Bakschischiden  am  Hoftor  etwas  länger  zu  genießen. 
Jeder  bekam  eine  Medschidie. 

Dann  fuhren  wir  den  Bosporus  entlang  hinaus  nach 
Bebek,  an  träumenden  Haremaschlössern  vorbei,  im  Son- 
nenbrand. Vom  Bosporus  her  wehte  eine  leichte  Brise. 

Jetzt  erst  sagte  mir  Newiinski  alles,  was  er  am  Vortage 
(Samstag)  bei  der  Pforte  und  im  Palais  ausgericlitet  hatte. 
Denn  damit  ich  im  Gespräch  mit  Izzet  auch  nicht  die 
leiseste  unabsichtliche  Andeutung  mache,  hatte  er  mir 
vorher  nichts  sagen  dürfen. 

Der  Großvecter  sei  gegen  den  Vorschlag,  den  ich  ge- 
macht habe.  (Marguerilte,  der  Vertraute  des  Großveziers, 

443 


dbyGoogle 


hatte  mir  das  Gegenteil  berichtet.  Wer  lügt?  Vielleicht 
politisierte  der  Großvezier  nur  Newiinski  gegenüber,  weit 
er  mich  im  unklaren  lassen  wollte?) 

Newiinski  bat  den  Großvezier,  wenn  dieser  schon  da- 
gegen sei,  mindestens  dem  Sultan  nichts  zu  sagen.  Der 
Großvezier  darf  nämlich  nicht  wissen,  daß  der  Sultan 
dagegen  ist.  Hier  haben  alle  die  unterwürfige  Gewohn- 
heit, den  Sultan  in  allem  zu  bestärken,  was  er  ohnehin 
schon  will,  und  alles  köhn  zu  bekimpfoo,  was  er  ohnehin 
nicht  will. 

Im  Yildiz  Kiosk  habe  sich  nun,  nach  Newlinskis  Wahr- 
nehmungen vom  Samstag,  die  Stimmung  für  mich  eini- 
germaßen gebessert.  Der  Sultan  gestattete  wenigstens, 
daß  Newiinski  von  mir  sprach.  Newiinski  hatte  dem  Sul- 
tan Samstag  mitgeteilt,  daß  ich  dessen  erste  abscblSgige 
Antwort  sublim  gefunden  und  sehr  bewundert  habe.  Ich 
sei  ein  Freund  der  Türkei  und  wünsche  dem  Sultan  zu 
dienen.  Er  möge  mich  empfangen. 

Der  Kalif  lehnte  das  ab.  Als  Journalisten  könne  und 
wolle  er  mich  nach  den  Erfahrungen,  die  er  mit  Bacher 
und  der  N.  Fr.  Pr.  gemacht  habe,  nicht  empfangen. 
Wenige  Monate  nach  der  Audienz  Bachers  erschien  bei 
uns  der  gehässigste  Angriff  gegen  seine  Person,  der  je 
in  den  BUttern  gestanden  —  die  englischen  und  arme- 
nischea  inbegriffen.  Der  Sultan  beklagte  sich  darüber 
heim  österreichischen  Botschafter  Calice  und  bedauerte 
ausdrücklich,  daß  dieser  ihm  Bacher  vorgestellt  habe. 

Hingegen  könne  und  wolle  er  mich  als  Freund  emp- 
fangen —  nachdem  ich  ihm  Dienste  geleistet  haben  werde. 
Der  Dienst,  den  er  von  mir  verlangt,  ist  folgender:  ich 
solle  teils  in  den  europäischen  Blättern  (in  London, 
Paris,  Berlin  und  Wien)  dahin  wirken,  daß  man  die  ar- 
menische Frage  türkenfreundlicher  behandle,  teils  möge 

m 


dbyGoogle 


ich  direkt  auf  die  armenischen  Führer  einwirken,  zu  dem 
Zwecke,  daß  sie  sich  ihm  unterwerfen,  worauf  er  ihnen 
alle  möglichen  Zugeständnisse  machen  wolle. 

Der  Sultan  gebrauchte  Newlioaki  gegenüber  ein  poeti- 
sches Wort:  „Für  mich  sind  alle  meine  Völker  wie  Kin- 
der, die  ich  von  verschiedenen  Frauen  bStte.  Meine 
Kinder  sind  sie  alle;  und  wenn  sie  auch  untereinander 
Differenzen  haben  —  mit  mir  können  sie  keine  haben." 

Ich  sagte  Newiinski  sofort,  daß  ich  bereit  sei  ä  me 
mettre  en  campagne.  Man  möge  mir  eine  pragmatische 
Darstellung  der  armenischen  Sachtage  geben :  welche  Per- 
sonen in  London  umzustimmen,  welche  BlStter  zu  ge- 
winnen seien,  usw.  Freilich  würde  mir  meine  Bemühung 
sehr  erleichtert  werden,  wenn  mich  der  Sultan  empfinge. 

Newiinski  sagte :  „Er  wird  Sie  nachher  empfangen  und 
Ihnen  einen  hohen  Orden  verleihen." 

Ich  antwortete:  „Den  Orden  brauche  ich  nicht.  Was 
ich  jetzt  will,  ist  nur,  daß  er  mich  empfange.  Planter  le 
premier  jalon  —  das  ist  jetzt  unsere  ganze  Aufgabe." 

Wir  führten  dieses  GesprSch  im  Kaffeegarten  zu  Bebek 
am  Bosporus.  Wir  saßen  unter  einem  Baum  im  Schatten, 
in  der  schweren  Mittagsbitze. 


Wir  fahren  dann  den  Berg  hinauf  zu  Frau  Gropler, 
einer  merkwürdigen,  lieben,  alten,  kranken  Dame.  Es 
ist  ein  polnisches  Emigrantenhaus,  wo  seit  vierzig  Jahren 
alle  flüchtigen  Politiker,  alle  reisenden  Künstler  und 
Diplomaten  en  ruptare  d'ennai  officiel  verkehren. 

Ein  polnischer  Geiger,  Neffe  der  Hausfrau,  spielte  uns 
nach  Tisch  vor.  Es  kam  auch  Reschid  Bey,  Exzellenz, 
Sohn  des  berühmten  Reschid  Pascha  und  Enkel  Fuad 
Paschas. 


445 


dbyGoogle 


Rescbid  ist  ein  dicker,  intelligenter,  noch  junger  Mann, 
welcher  der  Botschaft  in  Wien  zugeteilt  war.  Seine  bei- 
den kleinen  Buben,  die  er  mitgebracht  hatte,  sprechen 
Deutsch  und  sangen  uns  lieb  deutsche  Lieder  vor. 

Newlinski  hatte  mit  ßeschid,  der  beim  Sultan  gut  an- 
geschrieben ist,  nach  Tisch  von  meinem  Projekt  gespro- 
chen. Rescbid  begrüßte  es  mit  Sympathie;  und  als  ich 
vor  meinem  Abschied  einige  Minuten  mit  ihm  auf  der 
Terrasse  stand,  sagte  er  mir  seine  Unterstützung  zu. 


Nachmittags  war  ichbeim  Feuerwehrexerzitium,  zudem 
uns  der  hier  als  Pascha  angestellte  Graf  Szteh^nyi,  ein 
gemütlicher,  alter  Herr,  sehr  dringend  eingeladen  hatte. 

Die  Sappeurs  sind  stimmige  Prachtkerle  aus  Anato- 
lien.  Man  versteht,  daß  der  Herr  solcher  Truppen,  die 
keinen  Sold  zu  kriegen  brauchen  und  doch  freudig  die- 
nen, seine  Situation  noch  lange  nicht  oder  nie  als  ver- 
loren ansehen  wird. 

Leider  bin  ich  durch  die  großen  Sorgen  meiner  poli- 
tischen Bemühung  halb  blind  gegen  die  Schdnheit  des 
Ortes,  die  Wunder  der  Geschichte,  die  Farben  der  Ge- 
stalten, die  ich  fortwährend  sehe.  So  waren  auch  beim 
Feuerwehrmanöver  am  Straßenrand  und  den  Berg  hin- 
auf Menschengnippen,  hockende  Frauen  in  ihrer  geheim- 
nisvollen Tracht,  und  viel  anderes,  was  sonst  ein  Genuß 
für  meine  Augen  gewesen  wfire. 


Auf  den  verfallenen  Friedhöfen  viel  hundert  Jahre  alte 
Grabsteine,  auf  die  sich  die  Leute  sötzen  oder  Wäsche- 
leinen spannen. 

Abends  kam  Newlinski  ermüdet  und  verstimmt   von 


dbyGoogle 


YUdii-Kiosk  zurück.  Aus  verschiedenen  Teilen  des  Rei- 
ches sind  schlechte  Nachrichten  eingelaufen.  Blutver- 
gießen auf  Kreta;  die  Drusen  haben  ein  ganzes  Bataillon 
regulSrer  Soldaten  (am  Libanon?)  aufgerieben,  d.  h. 
Mann  für  Mann  ermordet,  und  von  der  russischen  Grenze 
her  sind  neuerdings  Armenier  eingedrungen  und  haben 
dreihundert  Mohammedaner  niedergemetzelt. 

Der  Sultan  möchte  durchaus  gern  mit  den  Armeniern 
Frieden  machen.  Er  sieht  düster  in  die  Zukunft  und  sagte 
zu  Newlinski :  „G'est  une  croisade  d^guis^e  contre  la  Tur- 
quie." 

Mich  erinnert  dieser  großmütige,  melancholische  Fflrgt 
des  Untergangs  an  Boabdil-el-Cbico,  von  dem  Heine  singt. 

Die  Höhe  von  Yildiz  ist  vielleicht  der  „Berg  des  letzten 
Kalifenseufzers" . 

Nach  Sonnenuntergang  fuhr  ich  auf  einer  kleinen  Jacht 
den  Bosporus  hinauf,  in  der  Richtung  von  Bujukdere. 

In  Abendscbleier  hüllen  sich  langsam  die  schönen,  wei- 
ßen, stolzen  Schlösser,  wo  die  Haremsfrauen  wohnen, 
die  Witwen  voriger  Sultane  und  die  Witwen  des  jetzigen. 
Denn  er  lebt  nicht  mit  ihnen. 

22.  Jani. 

Newlinski,  dessen  diplomatische  SchSrfe  und  Feinheit 
ich  immer  mehr  bewundere,  meint,  ich  müsse  zunSchst 
eine  Stellung  im  Palais  haben,  von  der  aus  ich  selbst  — 
ohne  irgend  jemands  Vermittlung,  der  wie  gekauft  aus- 
sehen könnte  —  immer  wieder  auf  den  Vorschlag  der 
Juden  zurückkäme. 

Das  ist  ausgezeichnet. 

Ich  dringe  stündlich  in  Newlinski,  mir  die  Andient 
beim  Sultan  eu  verschaffen,  damit  mir  meine  Londoner 
Freunde  glauben,  daß  ich  da  war. 

447 


dbyGoogle 


Hätte  der  Sultan  „Ja"  gesagt,  so  brauchte  er  mich 
nicht  zu  empfangen.  Ich  wSre  weggereist  und  h&tte  die 
Sache  engagiert. 

Da  er  Nein  sagt,  ist  es  unerläßlich,  daß  er  mich  emp- 
fange, damit  meine  Freunde  sehen,  que  toat  n'est  poM 
rompa. 

23.  Juni. 

Giestera  ist  nicht  viel  vorgegangen.  Tak6  Miu-gueritte 
hat  mit  dem  Großvezier  gesprochen  und  ihm  gesagt,  daß 
ich  ihm  den  Dienst  erweisen  wolle,  ihn  zu  interviewen. 
Kbalil  Rifat  Pascha  ließ  mir  antworten,  er  werde  mich 
empfangen. 

Darauf  telegraphierte  ich  an  Benedikt,  daß  ich  mit  dem 
Großvezier  über  allgemeine  Politik  reden  und  die  ganze 
Unterredung  telegraphieren  werde,  jedoch  unter  der  Be- 
dingung, daß  in  den  redaktionellen  Kommentaren  der 
Liebenswürdigkeit  Rechnung  getragen  werde,  mit  der  ich 
hier  empfangen  wurde. 

Benedikt  antwortete  mir  telegraphisch: „Werde  alles 
tun,  was  Sie  wünschen." 

Das  habe  ich  erwartet. 


Newlinski  ist  ein  eigentümlich  interessanter  Mensch, 
dem  man  in  Wien  schweres  Unrecht  tut. 

Sein  Charakter  wird  mir  immer  sympathischer,  je  näher 
ich  ihn  kennenlerne.  Wenn  er  genug  Geld  gehabt  hätte,' 
wäre  er  einer  der  feinsten  grandseigneara  und  ein  welt- 
geschichtlicher Diplomat  geworden.  Er  ist  ein  Verstauch- 
ter, aber  sehr  fein  und  voll  edler  Regungen.  Er  ist  ein 
tmglücklicher  Pole  und  sagt  oft : ,  J)a  ich  nicht  die  Politik 
meiner  Nation  machen  kann,  ist  mir  alles  Wurst.    Ich 


448 


dbyGooglc 


nnteriiehine  Kunstreisen  in  der  Politik,  wie  ein  Klavier- 
rirtuose  —  das  ist  alles." 

Eh  ist  schwer,  von  dieser  edlen  polnischen  Melancholie 
nicht  gerührt  zu  werden. 

Er  ist  viel  gebildeter  als  die  meisten  Adeligen,  hat 
Kunstsinn,  Zartgefühl.  Ich  wollte  ihn  nur  als  Instrument 
benutzen,  und  bin  dabin  gelangt,  ihn  zu  achten  und  zu 
lieben.  Er  ist  gefällig  und  stolz,  listig  und  dabei  doch 
aufrichtig,  und  seine  unverkennbaren  Kavalierseigen- 
schaften schaden  seinem  Ruf  nur,  weil  er  sich  in  die 
Bourgeoisie  begeben  hat.  Er  ist  die  interessanteste  Ge- 
stalt, mit  der  ich  zu  tun  bekam,  seit  ich  die  Judensache 
fahre. 

26.  Juni. 

Gestern  hatte  ich  das  Interview  mit  dem  Großvezier  für 
die  li.  Fr.  Pr.  Es  dauerte  anderthalb  Stunden.  Haireddin 
Bey  war  wieder  der  liebelnde  Dolmetsch.  Er  sagte  ver- 
gnügt: „Es  war  nichts  —  nur  ein  paar  hundert  Tole." 

Ich  saß  am  Fenster  im  Sonnenschein  und  schwitzte, 
während  ich  auf  den  Knien  schrieb.  Die  Sonne  fiel  auch 
auf  das  Papier  und  blendete  meine  Augen.  Es  war  sehr 
ermüdend. 

Orientalischer  Zug. 

Als  wir  über  die  Brücke  vom  Goldenen  Hörn  gingen, 
belästigte  mich  ein  Betteljunge,  auch  nachdem  ich  ihm 
etwas  gegeben  hatte.  Ich  bat  Tak^  Margueritte,  mir  Ruhe 
zu  verschaffen.  Er  spuckte  dem  armen  Buben  einfach 
ins  Gesicht. 

Eine  halbe  Stunde  später  waren  wir  im  Hotel.  New- 
linski  schrieb  und  sagte  plötzlich  zu  Tak6  in  barschem 
Ton:  „Sonnez," 

Und  Takä  läutete  gehorsam.  Der  Bettelbub  war  gerächt. 

39    HenU  TagebOcber  I.  h^Q 


dbyGoogle 


Newiinski,  dem  ich  die  Siene  von  der  Bracke  erzthlt 
hatte,  höhnte  Taki  apSter  noch,  indem  er  sagte:  „Ici  on 
refoit  des  crachats,  et  on  les  rend." 


Newiinski  war  gestern  den  ganzen  Nachmittag  mitizzet 
und  N . . .  Bey  im  Palais  heisammen.  Ich  soll  auf  beide 
den  günstigsten  Eindruck  gemacht  haben.  Izzet  sagte  von 
mir:  ich  sei  ein  „inspiri",  was  das  htehste  Lob  bei  den 
Muselmanen  ist,  und  N . , .  meinte,  ich  sei  ein  komme  hora 
ligne. 


Freilich,  die  Hauptsache,  der  Empfang  beim  Sultan, 
war  nicht  zu  erreichen. 

Es  ist  immerhin  eine  ungeheure  Sache,  denn  Sz6cb£nyi 
Pascha  z.  B.,  in  dessen  Haus  wir  gestern  d6jeunierten, 
hat  mit  dem  Sultan  seit  zehn  Jahren  nicht  gesprochen,  ob- 
wohl er  beim  Selamlik  nie  fehlt,  und  c^wohl  er  vom  Sul- 
tan demnSchst  zum  Marschall  befördert  werden  vnrd. 

25.  Juni. 

Gestern  ließ  mir  der  Sultan  sagen,  ich  möge  heute  noch 
nicht  wegfahren;  er  werde  mir  wahrscheinlich  noch  vor 
meiner  Abreise  etwas  zu  sagen  haben.  Das  ist  ein  Erfolg, 
freilich  ein  unsichtbarer. 

Ich  telegraphierte  gestern  ein  größeres  Eatrefilet  an 
die  N.  Fr.  Pr.,  welches  die  hiesige,  allerdings  kritische 
Lage  in  regierungsfreundlicher  Weise  darstellt. 

Dann  fuhr  ich  nachmittags  auf  einer  kleinen  Jacht 
nach  Bujukdere  zum  österreichischen  Botschafter,  Baron 
Calice. 

45o 


dbyGoogle 


Dieser  empfing  micli  gnSdiger,  als  er  es  wahrw^Hnlich 
getan  hfttte,  wenn  ich  von  vornherein  mich  an  ihn  ge- 
wendet hStte. 

Calice  ist  ein  hober,  gut  repräsentierender  Sechziger. 
Glatze,  große  Nase,  Schnurrbart,  ziemlich  große  Manie- 
ren, nicht  unbedeutende  Gesprächigkeit.  Von  Zeit  zu 
Zeit  fällt  ihm  im  Redestrom  plötzlich  ein,  was  er  eigent- 
lich für  ein  großer  Mann  sei  —  et  alors  U  se  reprend. 

Wir  saßen  in  dem  schönen,  großen  Salon  des  Sommer- 
botAchaftshauses  zu  Bujukdero.  Zu  den  großen  Fenstern 
hinaus  umfängt  der  Blick  liebend  die  rosige  und  blaue 
Schönheit  des  Bosporus. 

Calice  entwickelte  mir  ausführlich  seine  Auffassung 
der  Situation.  Er  sprach  ungefähr  im  Stil  der  Diplomaten 
in  deu  Gregor  Samarowschen  Romanen.  Er  „stellte  die 
Situation  auf  einem  Schachbrett  dar".  Wer  die  Partie 
verstehe,  sagte  er  mit  bedeutendem  Augenaufschlag,  der 
erkenne  die  Wichtigkeit  dieser  oder  jener  Figur.  Der 
russische  Einfluß  sei  groß  durch  die  geographische  Lage. 
England  habe  seine  Stellung  hier  eingebüßt,  weil  die 
Türken  sahen,  daß  es  nicht  die  Dardanellen  forcierte, 
auch  nach  der  Drohung  nicht.  Andererseits  ist  der  Bos- 
porus für  Rußland  offen.  Hinzukommt  die  jetzige  Fär- 
bung Bulgariens,  das  russisch  geworden. 

Die  Lage  der  Türkei  hält  Calice  für  ziemlich  ernst  — 
aber  die  Lebenskraft  dieses  Reiches  habe  sich  schon  so 
oft  bewiesen,  daß  es  vielleicht  noch  länger  dauern  wird. 
Freilich  —  die  vielen  Aufstände,  der  Mangel  an  Geld 
usw.  Er  hofft,  die  Türkei  werde  sich  wieder  helfen,  aber 
er  weiß  es  nicht.  Die  armenische  Frage  stellt  er  wesent- 
lich anders  dar  als  die  Türken,  die  immer  die  Tatsachen 
fälschen.  Jetzt  wollen  sie  natürlich  keine  fremde  Inter- 
vention, sie  werden  schon  alles  seihst  machen,  Reformen 

"9*  45i 


DqHzedbyGoOgle 


usw.  Aber  ist  die  Not  vorbei,  so  denken  sie  nicht  mehr 
daran. 

Von  einer  croäade  diguisie  könne  man  nicht  spre- 
chen, eher  von  einem  Zug  des  croiasant,  denn  die  Türken 
verfolgen  die  Christen. 

Osterreich  beobachte  wie  immer  eine  Politik  der  Er- 
haltung der  Törkei.  Meinen  Vorschlag  eines  freund- 
schaftlichen Ratschlags,  den  Golucbowski  den  Arme- 
niern geben  solle,  lobte  er  als  einen  patriotischen. 

Im  ganzen  ein  leeres  Gespräch. 

Wir  speisten  dann  bei  Petala  am  Bosporus-Ufer.  Wun- 
derbarer Meeresabend. 

Im  Mondschein  fuhren  vnr  nach  Konstantinopel  zurück. 
Namenlos  süße  Nacht. 

Tak6  Margueritte  war  betrunken. 

25.  Juni. 

Heute  das  Großvezier-Interview  durch  einen  Passagier 
des  Orientzuges  nach  Wien  abgeschickt. 

Newlinski  kommt  abends  aus  dem  Palais,  wo  man  mir, 
wie  es  scheint,  schon  sehr  wohl  will.  Sie  befreunden  sich 
mit  der  Judenidee. 

Sie  scheinen  eben  in  einer  sehr  argen  Geldklemme  ni 
stecken.  Nur  müßte  man  die  Sache  in  einer  anderen  Form 
präsentieren.   Sauver  les  apparencesl  , 

Izzet  (aus  dem  natürlich  der  Sultan  spricht)  oder  der 
Sultan  (aus  dem  Izzet  spricht)  möchte  wohl  Palästina  her- 
geben, wenn  man  dafür  eine  gute  Form  fände.  Gerade 
weil  es  ihnen  schlecht  geht,  dürfen  sie  kein  Land  ver- 
kaufen, berichtet  Newlinski,  der  abergünstigeFortscbritte 
meiner  Idee  konstatiert. 

In  einigen  Monaten  werden  sie  im  Yildiz  Kiosk  viel- 
leicht reif  sein.    L'idie  les  iravaiUe  visiblement. 

453 


dbyGooglc 


Auch  N . . .  Bey  ist  unserer  Sache  sehr  geneigt.  Er  sagte 
lieute:  wir  maßten  nur  trachten,  den  Zar  zu  gewinnen. 


Es  sind  heute  wieder  schlechte  Nachrichten  aus  Ana- 
tolien  da. 
Neue  Massaker  in  Van. 

26.  Juni. 

Wieder  ein  Selamlik.  Genau  dasselbe  Schauspiel  wie 
heute  vor  acht  Tagen. 

Newlinski  sagt,  er  sei  fiberzeugt,  daß  die  Türken  uns 
Palästina  geben  wollen.  Es  sei,  wie  wenn  man  in  einer 
Frau  vermute,  daß  sie  sich  ergeben  wolle;  man  könne 
dabei  vielleicht  noch  gar  nicht  sogen,  worauf  sich  diese 
Vermutung  stützt. 

„Ich  sag',  sie  ist  eine  Hur'  —  ich  weiß  nicht  warum; 
ich  fühle  es  nur",  sagt  er  in  seinem  polnisch  gebrochenen 

Deutsch. 

*     *    * 

Nach  dem  Selamlik  fuhr  ich  nach  Therapia,  und  New- 
linski wurde  vom  Sultan  empfangen. 

Jetzt  abends,  nach  meiner  Rückkehr,  berichtet  er  mir 
Ober  seine  Audienz. 

Der  Sultan  begann  selbst,  von  mir  zu  sprechen.  Er  be- 
dankte sich  für  den  Artikel  in  der  N.  Fr.  Pr.,  den  ich 
.telegraphiert  hatte. 

Dann  fing  er  an,  von  Palästina  zu  sprechen.  Zunächst 
warf  er  Newlinski  vor,  daß  er  die  Sache  in  einer  unüber- 
legten Weise  vorgelegt  habe.  Newlinski  müsse  als  Ken- 
ner der  hiesigen  Verhältnisse  wissen,  daß  in  der  propo- 
nierten  Form  eines  Kaufes  Palästina  nie  hergegeben  wer- 
den könne.  Aber  wie  er  —  der  Sultan  —  höre,  dächten 
die  Freunde  des  Herrn  HerzI  eventuell  an  einen  Tausch. 

453 


dbyGoogle 


Diese  Tauschidee,  die  von  Izzet  Bey  herrührt,  scheint 
dieser  als  von  uns  kommend  dem  Sultan  vorgetragen 
zu  haben.  Izzet  war  auch  der  Dolmetsch  von  Newiinskis 
heutiger  Audienz. 

Newiinski  wußte  nicht  gleich,  was  er  dazu  sagen  solle, 
und  verwies  auf  die  Auskünfte,  die  ich  geben  würde.  Es 
wäre  mein  sehnlichster  Wunsch,  von  Sr.  Majestät  emp- 
fai^n  zu  werden. 

Der  Sultan  antwortete  hierauf :  „Ich  werde  schon  sehen. 
Jedenfalls  werde  ich  Herrn  Herzl  empfangen  —  früher 
oder  später." 

Newiinski  machte  darauf  aufmerksam,  daß  ich  in  den 
ersten  Julitagen  in  London  mit  meinen  Freunden  reden 
müsse.  Der  Sultan  wiederholte:  „Ich  werde  sehen." 

Es  ist  also  mOglich,  daß  ich  doch  noch  empfangen  werde. 

Der  Sultan  machte  dann  Newiinski  nodi  eine  weitere, 
recht  überraschende  Eröffnung:  er  sei  schon  von  einer 
Großmacht  sondiert  worden,  wie  er  sich  zu  meinem  Vor- 
schlag stelle. 

Welche  Großmacht  das  war,  konnte  Newiinski  nicht 
fragen. 

(Ich  aber  muß  hier  eine  Parenthese  für  mich  machen: 
ich  habe  doch  schon  einiges  zuwege  gebracht,  wenn  mein 
von  so  manchen  Leuten  für  verrückt  erklärter  Plan  heute 
bereits  Gegenstand  großmSchtiger  diplcHnatischer  Schritte 
ist.  Armer  Friedrich  S...!  Armer  Moritz  Benedikt I) 

Der  Sultan  fragte  dann  noch :  Müssen  denn  die  Juden 
durchaus  Palfistina  haben?  Könnten  sie  sich  nicht  in 
einer  anderen  Provinz  niederlassen? 

Newiinski  antwortete:  Palästina  ist  ihre  Wiege;  dahin 
wollen  sie  zurück. 

Dar  Sultan  antwortete:  „Aber  Palistina  ist  auch  die 
Wiege  anderer  Religionen." 

454 


dbyGoogle 


Newlinski  meinte  hierauf : 

„Wenn  die  Juden  Palästina  nicht  bekommen  können, 
müßten  sie  eben  nach  Argentinien  gehen." 

Der  Sultan  sprach  dann  noch  Türkisch  mit  Izzet  über 
mich.  Newlinski  verstand  nnr,  daß  mein  Name  Öfters  wie- 
derkehrte.  Iszet  scheint  freundlich  über  mich  gesprochen 
zu  haben. 

Der  Sultan  stellte  dann  noch  eine  Frage  an  Newlinski: 
„Wieviel  Juden  gibt  ea  in  Saloniki?" 

Newlinski  wußte  es  nicht.   Ich  auch  nicht. 

Mochte  er  uns  vielleicht  die  Gegend  von  Saloniki  geben? 

Dann  sprach  der  Sultan  ober  die  allgemeine  Lage.  Die 
MSchte  hätten  vorgestern  einen  ungerechten  Kollektiv- 
schritt wegen  der  Greuel  von  Van  unternommen,  wo  doch 
in  Van  die  Muselmänner  von  Armeniern  niedergemetzelt 
wurden. 

Ferner  sprach  er  von  der  Finanzlage,  die  nichts  weniger 
als  rosig  ist. 

Newlinski  konkludiert:  „Es  ist  eine  Hur'l" 

27.  Juni. 

Newlinski  erzählt  mir  Geschichten  aus  Yildiz  Kiosk. 
Träume  spielen  eine  große  Rolle.  Da  ist  der  Kammer- 
diener des  Sultans,  Lufti  Aga,  ein  großer  Träumer.  Lufti 
Aga  ist  den  ganzen  Tag  um  den  Sultan  herum,  bedient 
ihn  intim,  hat  großen  Einfluß.  Wenn  Lufti  Aga  sagt: 
Das  und  das  habe  ich  geträumt,  so  macht  das  Eindruck 
auf  den  Sultan.  Wenn  Lufti  Aga  eines  Tages  sagen  sollte ; 
mir  hat  geträumt,  daß  die  Juden  nach  Palästina  kommen, 
so  wäre  das  mehr  wert  als  die  „Schritte"  aller  diploma- 
tischen Vertreter. 

Es  klingt  wie  ein  Märchen,  aber  ich  habe  unbedingtes 
Vertrauen  zu  Newlinski. 

455 


dbyGoogle 


Als  die  AusaöhDuog  mit  dem  FürsteD  von  Bulgarien 
stattfand,  haben  Lufti  Agas  TrSume  eine  große  Rolle 
gespielt.  Er  tr&umt  nicht  umsonst.  Der  Fürst  von  Bul- 
garien verstand  nicht  gleich,  warum  dieser  Kammerdiener 
ein  Geschenk  von  aoooo  Franks  bekommen  sollte.  Aber 
die  Ernennung  Ferdinands  zum  Muschir  hatte  er  einem 
Traum  zu  verdanken. 


Diplomatenklatsch. 

Ich  hatte  Calice  gesagt,  daß  Sz^h6nyi  Pascha  wahr- 
scheinlich mit  einem  Handschreiben  des  Sultans  nach 
Wien  gehen  werde.  Calice  Ifichelte  überlegen  und  sagte: 
„C'est  de  la  menue  monnaie." 

Aber  gestern  heim  Selamlik  trat  er  auf  St^ch^nyi  zu 
und  sagte:  „Ich  höre  von  Dr.  Herxl,  daß  Sie  einen  Auf- 
trag an  unseren  Ktüser  bekommen  sollen  — "  wo  ich  ihm 
das  nur  vertraulich  gesagt  hatte. 

Sz£ch6nyi,  der  sieb  schon  als  Muschir  (Marschall)  ge- 
sehen hat,  für  langjähriges  Löschen  KonstantinopoUta- 
nischer  Brände,  ist  jetzt  ganz  außer  sich.  Er  fürchtet  um 
den  Urlaub,  um  die  Muschirscbaft  und  um  die  „Mission" 
zu  kommen,  weil  Calice  eifersüchtig  sein  und  dagegen 
arbeiten  vnrd. 


Idee  für  London. 

Den  englischen  Finanzlords  muß  ich  die  Sache  in  dieser 
Form  genießbar  machen : 

„Überzeugt,  daß  Judenfrage  nur  territorial  zu  lösen, 
bilden  wir  Society  zur  Erwerbung  eines  autonomen  Lan- 
des für  diejenigen  Juden,  die  sich  nicht  an  ihren  jetzigen 
Wohnorten  assimilieren  können." 

456 


dbyGoogle 


Diese  Form  vereinigt  Zionistea  und  Assimilanten. 
Die  kann  Edmund  R.  wie  Lord  Rothschild  unter- 
schreiben. 

27.  Juni. 

N .  .  .  Bey,  der  intelligenteste  Kopf  des  Auswärtigen 
Amtes,  und  beim  Sultan  sehr  beliebt,  hat  diesem  einen, 
wie  es  scheint,  günstigen  Bericht  über  meinen  Vorschlag 
erstattet.  N , . .  Bey  ist  durchaus  für  meine  Idee.  Viel- 
leicht ist  die  merkliche  Wendung  im  Verhalten  des  Sul- 
tans auf  N . . .  s  Bericht  zurückzuführen. 

Iizet  Bey  war  ein  wenig  verstimmt  —  aber  nicht  gegen 
mich  —  weil  N . . .  diesen  Bericht  hinter  seinem  Rücken 
erstattete. 

Izzet  und  N . . .  sind  übrigens  Freunde. 

Gestern  früh  sagte  ich  als  meiner  Weisheit  letzten 
Schluß,  mit  Widerstreben  und  heimlicher  Scham,  zu 
Newlinski : 

„Wenn  mich  der  Sultan  nicht  empfangen  will,  müßte 
er  mir  wenigstens  ein  zeigbares  Zeichen  geben,  dafi  er 
nach  Anhörung  meiner  Proposition  und  nach  deren  Ab- 
lehnung doch  noch  en  coqueiterie  mit  mir  bleiben  will. 
Dazu  würde  sich  ein  hober  Orden  eignen.  Ich  bitte  Sie 
aber  inständig,  mich  nicht  für  einen  Ordenajäger  zu  hal- 
ten. Ich  habe  immer  auf  Orden  gepfiffen  und  pfeife  auch 
jetzt.  Aber  ich  brauche  für  meine  Leute  in  London  drin- 
gend ein  Gnadenzeicben  des  Sultans." 

Newlinski  schrieb  das  sofort  an  Izzet  Bey;  aber  es  kam 
im  Lauf  des  Tages  keine  Antwort. 

Nur  nachmittags  eine  Depesche  des  Zeremonienmeisters 
Munir  Pascha,  worin  angezeigt  wird,  daß  ich  heute  die 
Schlösser  und  Schätze  des  Sultans  durch  einen  Adjutan- 
ten gezeigt  bekommen  werde. 

457 


dbyGooglc 


In  diesem  Augenblick  entstand  swiscben  Newlinski  und 
mir  eine  ganz  leichte  Verstimmung. 

Ich  war  ein  bißchen  eBttSuscht.  Darauf  wollte  New- 
linski die  Ehre  dieser  Einladung  stark  unterstreichen. 
Aber  ich  sagte :  „Je  ne  suis  pas  assez  fabricant  de  cho- 
colatpour  6tre  touch£  jusqu'aux  larmesparcettefaveur." 

Newlinski  widersprach  ein  bißchen  gereizt:  er  sei  für 
solche  Aufmerksamkeiten  sehr  empfänglich  und  dankbar. 

Ich  mühte  mich  aber  im  Lauf  des  Abends,  diesen  un- 
angenehmen Eindruck  wieder  auszulöschen. 

Später  kam  der  Grieche  Constantinides,  ein  unterwür- 
figer Journalist,  dem  Newlinski  heute  einen  Orden  ver- 
schafft hat. 

Der  byzantinische  Grieche  trug  seine  luokelnagelneue 
Rosette  im  Knopfloch  und  küßte  Newlinski  die  Hand. 

Newlinski  empfand  meinetwegen  eine  merkliche  Ge- 
nugtuung. 


Wir  fahren  heute  abend  nach  Sofia. 

Diese  Reise  kostet  mich  ungefähr  dreitausend  Frank. 

Der  fonds  perda  wächst. 

28.  Juni. 
Im  Jardin  des  Petits  Champ»  von  Pera,  der  auf  einem 
alten  türkischen  Friedhof  steht,  gastiert  eine  italienische 
Operettentruppe.  Der  Stern  ist  die  Sängerin  Morosini, 
hübsch,  graziös,  liederlich.  Newlinski  sprach  öfter  davon, 
sie  zum  Souper  einzuladen.  Es  geschah  nie.  Er  nennt 
sie  „la  Moroxina".  Aus  diesen  zehn  Tagen,  in  denen  ein 
Stück  Weltgeschichte  von  uns  vorbereitet  wurde  —  denn 
selbst  dieser  Versuch,  den  Judenstaat  zu  gründen,  wird 
im  Gedächtnis  der  Menschen  bleiben,  auch  wenn  der  Plan 


&58 


dbyGoogle 


ein  Traum  bleibt  —  aus  diesen  bunten  und  ernsten  Tagen 
wird  uns  der  Name  la  Morosina  sieber  im  Gedäcbtnis 
bleiben,  gerade  weil  nur  davon  gesprochen  wurde.  New- 
linski  sagte  seinen  Byzantinern,  dem  dicken  Danusso,  dem 
komischen  Rumänen  Tak£  Margueritte  und  dem  krieche- 
rischen Griechen  Constantinides  täglich :  „Invitez-moi  la 
Morosina." 

Es  steckt  darin  etwas  unnachahmbar  Grandseigneu- 
riales. 

Die  Aussicht  aus  unseren  Hotelfenstern  auf  das  Gol- 
dene Hörn  habe  ich  sehr  geliebt.  Whistlersche  Dämme- 
rungen und  NSchte  mit  Lichtern,  wundervolle  rosige  Mor- 
gendünste; die  schwere  violette  und  blaugraue  Pracht  der 
AhenddSmpfe.  Die  großen  Schiffe  tauchen  in  den  Nebel 
und  taueben  wieder  heraus.  In  der  Mondnacht  weiche 
Staubschleier.  Heute  ein  sonniger  Tag.  Die  Höhe  drüben 
—  ich  glaube  Ejub  —  streckt  sich  zwischen  zwei  blauen 
Farben.  Oben  der  zarte  Himmel,  unten  das  ölige  Wasser, 
auf  dem  silberne  RuderscblSge  aufleuchten. 


Man  begreift  die  Gier,  mit  welcher  die  ganze  Welt  nach 
Konstantinopel  blickt. 

Alle  möchten  es  haben  —  und  das  ist  die  größte  Ga- 
rantie für  den  Bestand  der  Türkei. 

Diese  Schönheit  gönnt  keiner  der  Seeräuber  dem  an- 
deren —  so  bleibt  sie  vielleicht  ungestohlen. 

29.  Juni,  Sofia. 
Gestern  nachmittags  sah  ich,  vom  Adjutanten  des  Sul- 
tans begleitet,  die  Schätze  in  Eski  Serai  und  die  Bosporus- 
Paläste  Dolma  Bagdsche  und  Beglerbeg. 


459 


dbyGoogle 


Der  Adjutant  sprach  wenig  Französisch,  hatte  aber 
einen  enorinea  Respekt  vor  mir,  sagte  auf  jede  Frage: 
„Oui,  Monsieur"  und  ging  dann  zu  Exzetleoz  über :  „Oui, 
mon  ExcelleDcel" 

Die  Schlösser  sind  herrlich. 

Der  Badesaal  von  Beglerbeg  ein  schwüler  orientalischer 
Traum. 

Den  Kaik  des  Sultans,  in  dem  wir  fuhren,  ruderten  acht 
stSmmige  Schiff sknechte  des  Kalifen;  der  Steuermann 
hockte  mit  gekreuzten  Beinen  hinten  und  trug  den  Salon- 
rock, 


Als  ich  von  dieser  heißen  und  schönen  Fahrt  ins  Hotel 
Royal  heimkehrte,  sagte  mir  Newlinski,  der  in  Unterhosen 
und  Leibchen  Briefe  schrieb:  „Das  schickt  er  Ihnen I" 
und  übergab  mir  ein  Etui,  enthaltend  das  Kommandeur- 
kreuz des  Medscbidijeordens. 


Wir  verabschiedeten  uns  dann  vom  edundi  exercitas 
Danusso,  Margueritte  und  Constantinides,  und  reisten  ab. 

Im  Coup£  erzählte  mir  Newlinski : 

„Der  Sultan  hat  mir  gesagt,  er  hStte  Ihnen  auch  eine 
Dekoration  gegeben,  wenn  ich  sie  nicht  verlangt  hätte. 
Er  konnte  Sie  aber  diesmal  nicht  empfangen,  weil  Ihr 
Plan  nicht  geheim  geblieben  ist,  und  mehrere  sogar  dar- 
über Bericht  erstaltet  haben,  und  zwar  der  Großvezier, 
N . . .  Bey,  Davout  Efendi  und  Djavid  Bey.  Unter  sol- 
chen Umständen  hätte  der  Empfang  nicht  mehr  den  in- 
timen Charakter  gehabt;  und  da  der  Sultan  Ihre  Propo- 
sition in  der  jetzigen  Form  ablehnen  muß,  so  wollte  er 
überhaupt  nichts  davon  sprechen.  Aber  er  sagte  mir : ,  J)ie 

46o 


dbyGoogle 


Juden  sind  iatelligent;  sie  werden  schon  eine  Fonn  fin- 
den, die  akzeptabel  ist."  Daraus  geht  hervor,  daß  der 
Sultan  nur  will  „sauoer  le»  apparences",  und  ich  glaube, 
er  wird  schließlich  annehmen.  Er  scheint  die  Tausch- 
form  zu  meinen,  jedenfalls  darf  man  in  der  Diplomatie 
nicht  allzu  deutlich  über  den  Kern  der  Dinge  sprechen. 
Oft  verhandelt  man  lange  Zeit  und  drückt  sich  um  die 
Hauptsache  herum.  Izzet  Bey  scheint  für  Sie  zu  arbeiten, 
diesen  Eindruck  habe  ich. 

Der  Großvezier  erstattete  ein  ungünstiges  Referat,  er 
halte  den  Plan  nicht  für  ernst  gemeint,  sondern  für  phan- 
tastisch. N...  Bey  erstattete  ebenfalls  Bericht  und  hob 
nur  die  Gründe  hervor,  die  dagegen  sprechen,  obwohl  er 
uns  g^^nüber  so  warm  tat.  N . . .  Bey  hat  wohl  erfahren, 
daß  der  Großvezier  dagegen  sein  wird,  und  wollte  sich 
salvieren.  Aber  er  wird  leicht  wieder  zu  gewinnen  sein, 
sobald  der  Wind  umschl%t.  Am  klügsten  schrieb  Davout 
Efendi.  Dieser  setzte  den  ganzen  Plan  deutlich  ausein- 
ander und  fügte  hinzu :  er  könne  als  Jude  weder  zu-  noch 
abraten.  Djavid  Bey,  der  Sohn  des  Großveziers,  sprach 
sich  in  seinem  Referat  entschieden  für  den  Plan  aus,  je- 
doch mit  der  dummen  Begründung,  die  Juden  seien  so 
gute  Untertanen  Sr.  Majestät,  daß  man  es  nur  gern  sehen 
konnte,  wenn  ihrer  mehr  einwanderten. 

Der  Sultan  ist  letzterer  Ansicht  und  erwähnte,  daß  ihm 
der  Gouverneur  von  Saloniki  berichtet  habe,  die  Juden 
von  Saloniki  zögen  fort,  sobald  sie  zu  Geld  gekommen 
wären.  Ich  erklärte  das  dem  Sultan  damit,  daß  die  Juden 
doch  keine  rechte  Heimat  hätten,  und  daß  es  sich  ja  ge- 
rade darum  handelt,  ihnen  ein  foyer  zu  verschaffen. 

Der  Sultan  erwartet  jetzt  von  Ihnen,  daß  Sie  ihm  in 
der  armenischen  Sache  helfen.  Auch  wünscht  er,  daß 
Sie  ihm  das  Anlehen  auf  den  verpachteten  Ertrag  der 

46 1 


dbyGoogle 


LeuchttOrme  verschaffen.  Zu  diesem  Zweck  schickt  er 
Ibnen  den  Vertrag  mit  Collas.  Der  Ertrag  ist  jährlich 
iiSooo  türkische  Pfund.  Das  Anlehen  soll  zwei  Millionen 
Pfund  betragen." 


Wir  fuhren  dann  nach  Sofia.  Unterwegs  besprachen 
wir  die  nSchsten  Schritte.  Bismarck  wird  für  die  Sache 
lu  interessieren  sein.  Newlinski  hat  Beziehungen  zu  ihm, 
ebenso  wie  zur  römischen  Kurie,  an  die  wir  ja  auch  heran 


Im  Coup6  erzählte  mir  Newlinski  wieder  eine  Menge 
Geschichten  aus  Hof-,  diplomatischen  und  Regierungs- 
kreisen. Längst  hatte  ich  intuitiv  herausgefunden,  dafl 
die  Großen  der  Erde  nur  aus  dem  Respekt  bestehen,  den 
wir  vor  ihnen  haben.  Jedes  Geschichtchen  bestätigt  diese 
Annahme.  Z.  B.,  was  Newlinski  mir  vom  bulgarischen 
Kriegsminister  Petrow  erzählt.  Diesem  hat  der  Sultan 
einmal  ein  Pferd  versprochen,  und  da  es  bis  jetzt  nicht 
eingetroffen,  ist  Petrow  schwer  ergrimmt.  Jede  Woche 
schreibt  er  an  den  bulgarischen  Vertreter  nach  Stambul: 
„Wo  ist  mein  Pferd?" 

Und  er  erklärt,  er  werde  auf  die  mazedonischen  Re- 
bellen nicht  schießen  lassen,  weil  er  das  Pferd  nicht  be- 
kommen habe. 

Als  Fürst  Ferdinand  heim  Sultan  war,  verteilte  dieser 
Geschenke  an  die  bulgarischen  Minister.  Sie  vei^lichen 
die  Dosen  usw.  miteinander  und  waren  erbittert,  wenn 
ein  Geschenk  minderen  Wert  hatte  als  das  andere. 

463 


dbyGoogle 


30.  Juni. 

Auf  clem  Bahnhofe  in  Sofia  erwarteten  mich  Ewei  Her- 
ren vom  Zionsverein,  denen  meine  Durchreise  von  Phi- 
lippopel telephoniert  worden  war. 

Aufsehen  in  der  Stadt;  überall  flogen  die  HQte  und 
Mützen  in  die  Luft.  Ich  mußte  mir  den  Cort^ge  ver- 
bitten lassen. 

Im  Zionsverein  Ansprachen.  Ich  mußte  dann  in  den 
Tempel  gehen,  wo  Hunderte  mich  erwarteten. 

Ich  warnte  vor  Manifestationen,  riet  zur  Ruhe,  damit 
nicht  die  Volksleidenschaften  gegen  die  Juden  aufgereizt 
werden  könnten. 

Meine  Worte  wurden  bulgarisch  und  spaniolisch  wie- 
derholt,  nachdem  ich  deutsch  und  franzOsiscb  gespro- 
chen hatte. 

Ich  stand  auf  der  AltarerhOhung.  Als  ich  nicht  gleich 
wußte,  yne  ich  zu  den  Leuten  mich  wenden  solle,  ohne 
dem  Allerheiligsten  den  Rücken  zu  kehren,  rief  einer: 
„Sie  können  sich  auch  mit  dem  Rücken  zum  Altar  stellen, 
Sie  sind  heiliger  als  die  Thora." 

Mehrere  wollten  mir  die  Hand  küssen. 


Abends  mit  Minister  Natchevitch  diniert.  Ich  erw&hnte 
die  Beschwerde  der  Juden,  denen  man  den  Tempelgrund 
expropriieren  will.  Auf  dem  Platze  stand  seit  5oo  Jahren 
die  Synagoge. 

Die  befreiten  Bulgaren  sind  unduldsamer,  als  die  Tür- 
ken waren. 

Natchevitch  versprach,  die  Sache  wohlwollend  lu  er- 
ledigen. 


m 


dbyGoogle 


i.JulL 

Badea  bei  Wien,  bei  meinen  Eltom. 

Noch  der  letzte  Tag  im  Coup£  mit  Newlinski  war  voller 
Anregungen.  Das  ist  ein  seltener,  eigentümlicher  Mensch 
von  hohen  Gaben. 

Er  hatte  folgenden  Einfall.  Man  müßte  dem  Sultan 
suf^rieren,  daß  er  sich  der  lionistischen  Bewegung  be- 
mtchtige  und  den  Juden  kundgebe,  er  wolle  ihnen  Palä- 
stina als  Fürstentum  mit  eigenen  Gesetzen,  Heer  usw. 
unter  seiner  SuzerSnitSt  eröffnen.  Dafür  hStten  die  Juden 
einen  Tribut  von  etwa  einer  Million  Pfund  jihrlicb  zu 
entrichten.  Diesen  Tribut  könnte  man  dann  sofort  für 
ein  Anlehen  (das  wir  machen  würden)  verpfänden. 

Ich  finde  diese  Idee  ausgezeichnet.  Ich  hatte  mir  schon 
in  Konstantinopel  etwas  Ahnliches  gedacht,  aber  nicht 
davon  gesprochen.  Denn  das  ist  ein  annehmbarer  Vor- 
schlag, und  ich  durfte  bisher  nur  unannehmbare  machen, 
weil  ich  nicht  sicher  bin,  ob  die  Londoner  mich  nicht  im 
letzten  Augenblick  im  Stich  lassen. 

Jetzt  gehe  ich  mit  diesem  Vorschlag  nach  London,  wo 
man  mich  schon  mit  einiger  Spannung  erwartet. 

Newlinski  proponiert  ferner,  Bismarck  durch  seinen 
Freund  Sidney  Whitman  für  die  Judensache  interessie- 
ren zu  lassen.  Whitman  wird  von  London  nach  Karlsbad 
EU  Newlinski  gerufen,  und  soll  von  dort  nach  Friedrichs- 
ruh  gehen. 

Bismarck  soll  dann  dem  Sultan  Newlinskis  Coup^vor- 
schlag  in  einem  Brief  machen ;  der  Sultan  soll  mich  emp- 
fangen, den  Judenruf  ergehen  lassen,  den  ich  aller  Welt 
mitteile  —  und  die  Sache  ist  gemacht. 

Newlinski  sagt:  „Si  youb  arrivez  k  pacifier  les  Arme- 
niens, si  vous  faites   Temprunt  de  a  millions  de  Uvres 

464 


dbyGoogle 


sar  les  phares,  et  si  nous  avoos  la  lettre  de  Bismarck  — 
nous  enlevons  la  chose  ea  huit  joursi" 


Wir  nabmen  herzlich  Abschied  in  Wien.  Ich  sagte 
Newlinski  meine  Freundschaft  fflrs  Leben  lu. 

Wenn  wir  durch  ihn  Palästina  bekommen,  werden  wir 
ihm  ab  EhrensoM  ein  schönes  Gut  in  Galizien  schenken. 

S./uii. 

Gestern  abends  mit  dem  Armenier  Alawerdow  in  der 
Wohnung  meiner  Eltern  gesprochen.  Herr  Klatschko  war 
Dolmetsch. 

Ich  bot  den  Armeniern  meine  VersOhnungsdienste  an. 
Alawerdow  traute  sich  nicht  mit  der  Sprache  heraus,  weil 
er  Russe  ist  und  sich  vor  seiner  Regierung  fürchtet.  Auch 
schien  er  mir  nicht  lu  trauen.  Endlich  kamen  wir  über- 
ein, daß  er  mich  in  London  als  Freund  der  Armenier  an- 
kündigen und  in  seinem  Kreise  beschwichtigend  wirken 
werde. 


Ich  sprach  mit  Reichenfeld  von  der  Unionbank  über 
das  Zwei-Millionen-Anlehen.  Er  weiß  nicht;  man  müßte 
sehen,  fragen,  beraten.  Ich  lehnte  n&bere  Erkundigun- 
gen ab. 


Hechler  telegraphierte  mir  gestern  aus  Karlsruhe,  daß 
eine  Audienz  versprochen  sei.  Ich  fahre  also  heute  nach 
Karlsruhe,  um  vom  Großberiog  die  Unterredung  mit  dem 
Kaiser  zu  erlangen. 

30    Henli  Tvsliitoliar  I.  (66 


dbyGoogle 


2.  Juli. 

Im  Orieatzug,  uaterwegs  nach  Karlsrahe. 

Die  Tage  über  habe  ich  vergessen,  ein  glänzendes  Wort 
Bismarcks  zu  notieren,  das  er  dem  Sultan  via  Whitman- 
Newlinski  sagen  ließ.  Der  Sultan  hatte  ihn  telegraphisch 
via  Newiinski-Whitman  um  Rat  in  den  gegenwärtigen 
Schwierigkeiten  fragen  lassen.  Bismarck  antwortete : 
„Fermetä,  pas  se  laisser  intimider,  et  loyaut£  dclairee  aux 
trait^s." 

Loyaati  iclairee  ist  geradezu  köstlich. 


Newiinski  sagte  Öfters :  Wenn  ich  Bismarck  Ober  Politik 
reden  höre,  ist  mir  zumut  wie  einem  Musiker,  der  Rubin- 
stein spielen  hörte. 

♦     *     * 

Heute  früh  auf  dem  Bahnhof  verstimmte  mich  Seh . . . 

Als  ich  die  günstigen  Ergebnisse  von  Konstantinopel 
schilderte,  und  insbesondere  bei  Erwähnung  des  Ordens, 
verdüsterte  sich  sein  Gesicht. 

Ich  nahm  sofort  Gelegenheit,  zu  sagen,  daß  ich  Ed- 
mund Rothschild  zum  Eintritt  in  die  Bewegung  durch 
meinen  Rücktritt  veranlassen  wolle.  Denn  es  gebe  J  i  d  e  n 
und  Juden.  Die  Jiden  werden  nicht  Lust  haben,  die  Sache 
zu  unterstützen,  aus  Furcht,  mir  persönlich  damit  Vor- 
spann zu  leisten. 

3.  Jali. 
Im  Coup£  unterwegs  nach  Brüssel. 
Hechler  erwartete  mich  gestern  abends  auf  dem  Perron 
in  Karlsruhe.  Der  Großherzog  sei  nach  Freiburg  gefah- 


dbyGoogle 


reo  und  lasse  mich  bitten,  ihm  dahin,  resp.  nach  St.  Bla- 
sien,  nachzufahren. 

Da  ich  den  Großherzog  momentan  nicht  brauche,  ließ 
ich  ihm  durch  Hechler  telegraphieren,  ich  sei  pressiert, 
man  erwarte  mich  in  London,  und  ich  bäte  um  die  Er- 
laubnis, ihm  auf  meiner  Rückreise  zu  berichten.  Der 
Sultan  scheine  unserer  Sache  wohlwollend  entgegenzu- 
kommen. 

5.  Jali,  London. 

Wieder  in  London.  Diesmal  fine  wealher,  und  alles 
bezaubernd. 

Die  Ankunft  war  übrigens  schlecht.  Auf  der  Überfahrt 
von  Osteade  nach  Dover  hatten  wir  böse  Wellen.  Ich 
hatte  mir  schlechtes  Wetter  gewünscht,  um  meine  Wil- 
lenskraft zu  erproben.  Richtig  wurden  nach  und  nach 
alle  seekrank,  bis  wir  vor  Dover  kamen.  Aber  auch  ich 
hatte  eine  Anwandlung  von  Schwäche,  und  ich  weiß  nicht, 
wie  mein  psychologisches  Experiment  ausgefallen  wäre, 
wenn  die  Sache  noch  eine  Viertelstunde  gedauert  hätte. 

Ein  bißchen  deprimiert  kam  ich  hier  an  und  fand  noch 
anderes  Deprimierendes. 

Goldsmid  entschuldigt  sich.  Er  kann  wegen  einer  Ba- 
taillons-Inspektion  Cardiff  morgen  nicht  verlassen. 

Montagu  lud  mich  brieflich  ein,  ihn  zu  besuchen  — 
aber  er  müsse  abends  (gestern)  verreisen.  Ich  schrieb 
ihm,  ich  könne  nicht  gleich  kommen,  bfite  ihn  aber,  mir 
seinen  Sonntag  zu  opfern,  weil  ich  von  Konstantinopel 
die  presque-certitude  mitbrachte,  daß  wir  Palästina  wie- 
derbekommen würden.  Dennoch  reiste  Sir  Samuel  Mon- 
tagu ab  und  gab  mir  nur  für  morgen  Rendezvous  in  sei- 
nem Geschäft.  Ich  weiß  nicht,  ob  ich  überhaupt  hin- 
gehen werde.   Ich  mache  mich  darauf  gefaßt,  Montagu 

30*  467 


dbyGoogle 


ganz  aus  meinem  Plane  lu  streichen,  obwohl  mir  dies 
in  Konstantinopel  schaden  muß,  da  ich  ihn  nannte. 

Rev.  Singer  war  abends  bei  mir.   Ich  feuerte  ihn  ein 
bißchen  an.  Oberhaupt  werde  ich  hier  erst  alleo  einheinn 


Der  heutige  Morgen  war  besser.  Ich  machte  meine 
Rede  für  die  Malücab&er  fertig  und  schickte  sie  im  Lauf« 
des  Vormittags  Stack  für  Stack  zu  Sylvia  d'Avigdor  lur 
Obersetzung. 


Lucien  Wolf  vom  Daily  Graphic  kam,  um  mich  zu 
interviewen. 

Alle  hiesigen  BUtter  fangen  schon  seit  einigen  Tagen 
an,  Laut  zu  geben. 

Singer  sagte  gestern,  ich  mOge  Lord  Rothschild  um  ein 
Interview  bitten.  Ich  lehnte  das  als  meiner  unwürdig  ab. 
Singer  meinte:  „Lord  Rothschild  ist  ein  .Patron'".  Den 
Patron  definiert  ein  englischer  Schriftsteller  so:  ,Er  sieht 
vom  Ufer  aus  zu,  wenn  Sie  ertrinkend  mit  den  Wellen 
kimpfen.  Sind  Sie  aber  gerettet  am  Land,  so  wird  er 
Sie  mit  seiner  Hilfe  belSstigen.' 

Wenn  Sie  in  der  Judensache  gesiegt  haben,  wird  ot 
Sie  —  mit  anderen  Löwen  —  zum  Diner  einladen." 

Ich  sagte:  ,J)»a  Diner  bei  Rothschild  ist  also  der  Preis 
für  Sieger  1  Moi,  je  m'en  fout,  wenn  Sie  diesen  Ausdruck 
kennen." 

Wie  ich  nun  heute  von  der  beginnenden  Bew^^ung  in 
den  BlSttem  höre,  frage  ich  mich  ergOtzt,  ob  das  schon 
für  die  Rothschild-Einladung  genügt. 

Dann  war  ich  bei  unserem  Korrespondenten  S . . .  Wenn 

468 


dbyGooglc 


ich  die  $uperoB  der  jQdlschen  Finanz  nicht  für  die  Leucht- 
tunn-Anleihe,  die  der  Sultan  wünscht,  haben  kann,  werde 
ich  den  Acheron  bewegen. 

Ich  versprach  S . . .  für  die  Vermittlung  dieser  Anleihe 
eine  Provision;  doch  wenn  er  auch  Geld  daran  verdiene, 
so  müsse  doch  immer  und  jedermann  die  Wahrheit  be- 
kannt sein :  da&  ich  an  diesen  Geschäften  nichts  verdiene 
und  sie  nur  ab  entrie  en  matüre  mache,  um  dem  Sultan 
gefSllig  zu  sein  im  Hinblick  auf  die  Judensache. 

5.  Jali. 

Mittags  kam  Lucien  Wolf  vom  Daily  Graphic  mich 
tu  interviewen,  nachdem  schon  in  den  heutigen  Sunday 
Times  ein  Interview  mit  Zangwill  über  mich  stand. 

Beim  Luncheon  machte  Wolf  Notizen  für  sein  Inter- 
view. 

Nachmittag  kamen  Claude  Montefiore  und  Frederic 
Mocatta  von  der  Anglo-Jewish  Association.  Ich  hatte  Mon- 
tefiore bitten  lassen,  die  mit  dem  morgigen  MakkabSer- 
Bankett  zusammentreffende  Ausschuß-Sitzung  zu  ver- 
schieben. Ich  wolle  alle  jüdischen  Komitees  zu  einem 
einzigen  großen  zusammenballen;  und  damit  niemand 
glauben  kdnne,  daß  ich  mir  persönlich  Vorspann  leisten 
lassen  wolle,  bot  ich  für  die  Annahme  meines  einfach 
formulierten  Programms  meinen  Austritt  aus  der  Füh- 
rung der  Bewegung  an. 

Das  Programm  formulierte  ich  wie  folgt : 

irDie  Society  of  Jews  macht  sich  die  völkerrechtliche 
Erwerbung  eines  Territoriums  zur  Aufgabe,  für  dieje- 
nigen Juden,  die  sich  nicht  assimilieren  können." 

Die  Herren  erbaten  sich  Bedenkzeit,  die  ich  natürlich 
gewährte.   Nur  sagte  ich,  daß  ich  nicht  die  aasoeiation» 

469 


dbyGoogle 


als  solche,  sondern  die  einzelaen  hervorragenden  Per- 
sonen in  die  Society  rufen  wolle. 

Es  war  eine  ermüdende  Kampfunterredung.  Mocatta, 
der  mein  Buch  nicht  kannte,  brachte  alle  alten  Argiunenle 
vor. 

Montefiore  s^e  ernst,  daß  ich  eine  Revolution  aller 
seiner  bisherigen  Ideen  verlange. 

6.  JulL 

Die  Rede  für  die  MakkabSer  tont  bien  que  mal,  ermüdet 
wie  ich  schon  bin,  fertig  gemacht. 

Ich  schrieb  an  Montefiore  und  Mocatta,  daß  ich  die 
gestern  im  Verlauf  der  Unterredung  vorgebrachte  Pro- 
position, die  Society  of  Jews  zunächst  als  eine  sociite 
d'itudea  zu  gründen,  Einnehme. 

(Dieser  würde  ich  natürlich  meine  bisher  acquirierten 
Verbindungen  nicht  zur  Verfügung  stellen.  Nur  einem 
Aktionskomitee  gebe  ich  meine  Aktionsmittel.) 


Mocatta  antwortet  einige  Stunden  spSter,  er  halte  den 
ganzen  Plan  für  unannehmbar,  den  Judenstaat  weder  für 
mj^lich  noch  für  wünschenswert. 

Komisch  ist  dabei,  daß  ich  Mocatta  gar  nicht  hatte  rufen 
lassen,  sondern  nur  Montefiore.  Mocatta  kam  mit  Monte- 
fiore, wie  einmal  Antonin  Proust  mit  Spuller  zu  Casimir 
Parier,  als  letzterer  gebeten  wurde,  ein  Kabinett  zu  bil- 
den. Casimir  P£rier  nahm  dann  Proust  auch  ins  Kabinett, 
weil  der  zufällig  mitgekommen  war. 

Mocatta  machte  ungefähr  den  Eindruck  eines  geschäf- 
tigen Sekundanten  bei  einem  Duell. 


470 


dbyGoogle 


S . . .  kam,  um  mir  die  Würmer  aus  der  Nase  zu  ziehen: 
worauf  die  Anleihe  des  Sultans  basiert  werden  solle. 

Da  ich  fürchte,  daß  er  das  als  „Geschäft"  herumtrageo 
und  Krethi  und  Plethi  anbieten,  mich  aber  dadurch  in 
Konstanlinopel  kompromittieren  würde,  so  sagte  ich  ihm 
nichts.  Es  wäre  zwar  für  die  Sache  vortrefflich,  wenn 
ich  die  Phore-Anleihe  durch  Bankiers  zweiten  Ranges, 
durch  die  Afrikander  wie  Barnato  usw.,  machen  könnte, 
weil  ich  die  besser  in  der  Hand  hfitle,  als  die  Rothschilds, 
Montagus  usw.  Aber  ich  kann  mich  nicht  durch  S . . .  s 
geschäftliche  Behandlung  eventuell  kompromittieren  las- 
sen. Lieber  soll  die  Anleihe  gar  nicht  gemacht  werden. 

7.  Juli. 

Gestern  abends  das  Maccahean  Dinner. 

Ich  hatte  Miss  d'Avigdors  Übersetzung  erst  nachmittags 
typewriten  lassen  können. 

Um  fünf  Uhr  bekam  ich  dieses  lesbare  Manuskript  und 
las  es  nun  mit  Rev.  Singers  Hilfe  durch.  Ich  lernte  sozu- 
sagen eine  Stunde  vor  der  Versammlung  Englisch.  Die 
Aussprache  der  Wörter  notierte  ich  mir  zwischen  die 
Zeilen. 

Das  Bankett  hatte  einen  sehr  festlichen  Charakter.  Auf 
den  Toast  des  Chairman  Singer  antwortete  ich  deutsch 
und  französisch,  was  ZangwiU  zu  dem  Witz  veranlaßte, 
ich  sei  wie  die  neue  Revue  „Cosmopolis",  die  deutsch, 
französisch  und  englisch  erscheint. 

Wir  gingen  nachher  in  den  Redesaal,  und  ich  las  mei- 
nen Speech  mutig  vor. 

Der  Erfolg  war  sehr  groß.  Später  kam  eine  Debatte 
mit  alten  Argumenten,  auf  die  ich  schon  bekannte  Dinge 
erwiderte.  Mit  zwei  beinahe  unhöflichen  Ausnahmen  — 
der  Nationalökonom  Levy  oder  Leve  und  ein  Russe,  des- 

471 


db,Googlc 


sea  Namen  ich  nicht  verstand  —  sprachen  selbst  die  Geg- 
ner ehrfurchtsvoll. 

L.  Wolf  beantragte  die  Einsetzung  eines  Studienk<Mai- 
tees  aus  MakkabSern  und  anderen  xur  Prüfung  meines 
Vorschlags. 

Das  rief  üne  Debatte  hervor,  die  meine  Antipathie 
gegen  die  Vereinsmeierei  nur  neuerlich  hestfirkte. 

7.JutL 
Colonel  Goldsmid  telegraphiert,  er  werde  Donnerstag 

hier  sein. 

*    *    * 

S . . .  telegraphiert,  er  könne  so,  wie  ich  es  pK^niere, 
das  Gescbift  nicht  einleiten. 


Nordau  schrieb  gestern  von  Zadok  Kahns  Besuch.  Za- 
dok  kam,  Klage  zu  führen,  weil  — -  wie  er  und  Edmund 
Rothschild  vermutet  ^-  infolge  meiner  Publikation  die 
türkischen  Behörden  in  PalSstina  den  letztangekonune- 
nen  Kolonisten  Miseren  bereiten  und  sogar  die  neueste 
Kolonie  zerstörten. 

Zugleich  entschuldigte  Nordau  in  abgekühltem  Ton  sein 
Ausbleiben  vom  heutigen  Makkab&er-Diner. 

Ich  telegraphierte  sofort  an  Zadok  Kahn:  „Viens  de 
Constantinople.  Vos  inqui^tudes  injustififies.  Sultan  t6- 
moignait  beaucoup  de  bienveillance.  Si  sousorganes  com- 
mettent  brutalit^  je  suis  en  mesure  de  me  plaindre  di- 
rectement  aupr^  de  lui.  Donnez  d£tails  Hötel  Albemarle. 

Herzl." 

An  Newlinski  telegraphierte  ich : 

„Phare  und  Armenisache  wirksam  eingeleitet.  Aber 
alles  aussiditslos,  wenn  sich  bewahrheitet,  daß  türkische 


47a 


dbyGoogle 


Behörden  Palistina  neuangekommeae  Kolooistea  gewalt- 
Bsm  ausweisen.  Bitte  sofort  Konstandnopel  anfragen. 
Resultat  hierher  melden.  Gruß  Theodor." 

S.JulL 

Ich  bin  schon  sehr  mOde, 

Gestern  mit  Lucien  Wolf  die  armenische  Sache  enga- 
giert. Ich  bat  ihn,  eine  kleine  PreÖkampagne  für  die  Be- 
schwichtigung der  Gemüter  in  der  armenischen  Sache 
einzuleiten. 


Dann  fuhr  ich  zu  Montagu  in  das  House  of  Commons. 

Die  gotischen  Steinscbnitiereien  und  das  Leben  in  der 
Wartehalle  interessierten  mich  sehr. 

Beim  Anblick  dieser  imposanten  Parlamentsmaschine- 
rie — ■  Äußerlichkeiten  wirken  ja  dramatisch  —  empfand 
ich  einen  leichten  Schwindel,  wie  damals  im  Vorsaal  des 
Großherzogs  von  Baden.  Zugleich  begriff  ich,  daß  die 
englibchea  Juden  sich  an  ein  Land  klammem,  wo  sie  in 
diesem  Haus  als  Herren  einziehen  können. 

Montagu  kam  und  führte  mich  in  ein  reizendes  kleines 
Sprechzimmer  mit  gotischen  Fenstern,  durch  die  man  auf 
einen  gotischen  Hof  hinaussiebt. 

Ich  erzShIte  ihm  die  praktischen  Resultate  vom  Groß- 
herzog bis  zum  Sultan. 

Er  war  betroffen  und  bald  wieder  erwärmt.  Ein  präch- 
tiger alter  Mensch. 

Sein  erstes  und  Hauptbedenken  war,  daß  der  Sultan, 
wenn  er  erst  das  Geld  der  jüdischen  Tributanleihe  hat, 
die  eingewanderten  Juden  würgen  wird. 

Ein  heftiges  Glockenzeichen  rief  Montagu  zur  Abstim- 
mung Über  die  Teesteuer.  Während  der  zehn  Minuten 


dbyGoogle 


seiner  Abwesenheit  fiel  mir  die  Lösung  dieser  Schwierig- 
keit ein. 

Angenommen  wird  ein  Tribut  von  einer  Million  Pfund, 
worauf  eine  Anleihe  von  ao  Mill.  zu  beschaffen.  Wir 
machen  Tribut  und  Anleihe  in  Raten. 

Für  die  ersten  Jahre  looooo  Pfund,  worauf  zwei  Mill. 
Anleihe.  Allmählich,  mit  der  Einwanderung,  steigt  der 
Tribut,  auf  den  immer  neue  Portionen  der  Judenanleihe 
gewährt  werden,  bis  das  Geld  ganz  erlegt  ist  —  und  so 
viel  Juden  mitsamt  jüdischer  Heereskraft  in  Palästina 
sind,  daß  Würgversuche  der  Türken  nicht  mehr  zu  be- 
fürchten sind. 

Ich  fuhr  dann  mit  Montagu  nach  seinem  Hause.  Unter- 
wegs sagte  er  mir,  wir  müßten  Edmund  Rothschild  unbe- 
dingt zu  gewinnen  versuchen. 

Ferner  teilte  er  mir  im  Vertrauen  mit,  daß  die  Hirsch- 
Stiftung  gestern  abends*)  über  eine  „disponible"  Summe 
zu  verfügen  hat,  deren  wahre  Größe  niemand  ahnt.  Ea 
sind  zehn  Millionen  Pfund  Sterling. 

Wenn  wir  die  Hirsch-Association  für  den  Plan  ge-^ 
winnen  und  etwa  fünf  Mill.  Pfund  bekommen,  könnte 
damit  der  Tribut  für  die  ersten  Jahre  der  Einwanderung 
gesichert  werden. 

*     *     * 

Sonntag  soll  hier  ein  jüdisches  Massenmeeting  für  mich 
einberufen  werden.  Montagu,  in  dessen  Wahlkreis  — 
Eastend  —  das  Meeting  stattfinden  soll,  meint,  es  wäre 
verfrüht,  in  dieser  Versammlung  zu  sprechen. 

Ich  behalte  es  mir  noch  vor.  Flectere  si  nequeo  superos 
Acheronta  movebo. 

*)  So  im  Original-Manuskript.  Die  Ewei  Worte  geharen  aber 
anschdneod  in  einen  anderen  Zusamm entlang. 


dbyGoogle 


8.  Juli. 

Voa  Zadok  Kahn  einen  Dankbrief  erhalten,  den  ich 
so  beantworte : 

Monsieur  le  grandrabbin, 

je  fais  imm^diatement  une  dämarche  —  si  le  mot  ne 
vous  paralt  pas  trop  diplomatique  et  „puissance"  —  k  Con- 
stantinople.  Je  vous  donnerai  le  resultat,  peut-^tre  ver- 
balement,  la  semaine  prochaine  k  Paris. 

Mon  plan,  qualifii  d^daigneusement  de  r£ve,  prend  de- 
puis  quelque  temps  des  contours  de  r£aUt6. 

J'ai  dijk  obtenu  des  resultats  itonnants  —  m'itonnant 
moi-m£me.  II  faut  absolument  qu'Edmond  Rothschild 
soit  avec  nous.  Pour  obtenir  son  concouirs  j'offre  de  me 
retirer  complMement  de  la  direction  du  mouvement,  pour 
dissiper  tout  soupcon  d'ambition  personelle.  Qu'il  ac- 
cepte  mon  programme,  qu'il  s'engage de continuer  l'oeuvre 
commenc^,  et  je  donnerai  ma  parole  d'honneur  de  ne 
plus  m'occuper  de  la  chose  autrement  qu'en  soldat  dans 
les  rangs. 

Avec  Sir  Samuel  Montagu  et  Colonel  Goldsmid  je  m'ef' 
forcerai  de  trouver  la  forme  sous  laquelle  nous  potirrons 
offrir  k  Edmond  R.  la  pr6sidence  de  la  Society  Of  Jewtf 
' —  et  plus  tard  un  autre  titre. 

Tout  cela  est  absolument  coofidentiel  —  et  s^rieux, 
je  vous  prie  de  le  croire. 

Je  vous  en  apporterai  les  preuves.  Pr^parez  Rothschild, 
s'il  vous  plalt. 

Recevez  l'assurance  de  mes  sentiments  distingues. 

Votre  divou6 


478 


dbyGoogle 


9.Juil 

Diesen  Brief  an  Zadok  Kahn  habe  ich  mir  Oberschlafen 
und  dann  nicht  abgeschickt. 

,J)un8ten  lassen  1"  sagt  Newlinski. 

Gestern  mit  Alfred  Cohen  gesprochen,  ihn  gebeten, 
mich  durch  Lord  Rothschild  bei  Salishury  einführen  zu 
lassen.  Ich  wolle  der  Politik  Lord  Salisburys  den  Dienst 
erweisen,  die  armenische  Sache  auszugleichen  und  da- 
durch den  verlorenen  englischen  Einfloß  in  Konstanti- 
nopel wiederherzustellen. 

Alfred  Cohen  ist  ein  angenehmer,  intelligenter  Gentle- 
man. Er  nahm  eine  Art  Protokoll  auf,  worin  mit  Eleganz 
und  Deutlichkeit  für  Lord  Rothschild  der  Tatbestand  fi- 
xiert ist.  Er  will  darüber  heute  zu  Pferde  mit  Rothschild 
sprechen. 

10,  JalL 

Goldsmid  ist  hier. 

Wir  sprachen  nach  dem  Luncheon  im  Rauchzimmer, 
das  halb  im  Keller  liegt.  Das  Haus  Priuces-Square  ist  ein 
bißchen  eigentümlich.  Die  GoIdsmid-d'Avigdors  sind 
eine  der  besten  jüdischen  Familien,  und  das  Haus  birgt 
schöne  Erinnerungen. 

Goldsmid  schien  mir  kühler  als  damals  in  Cardiff  — 
oder  war  ich  in  den  Anfingen  genügsamer? 

Dennoch  machte  ich  ihm  wann  durch  die  ErzShlung 
meiner  bisherigen  Resultate.  Am  sympathischsten  aber 
war  ihm,  wenn  ich  nicht  irre,  mein  Wort,  daß  ich  mich 
von  der  Leitung  der  Bewegung  zurückziehen  würde,  wenn 
Edmond  Rothschild  einträte.  Diesem  wolle  ich  damit 
zeigen,  daß  es  mir  nicht  um  meine  persSnIicbe  Führung 
lu  tun  sei. 

Goldsmid  machte  geltend,  daß  er  nicht  hervortreten 

Ä76 


dbyGoogle 


könne,  solange  er  on  fidl  pay  sei.  Inkompatibilität  usw. 
Dennoch  konnte  ich  zur  Kenntnis  nehmen,  dafi  er  im 
Prinzip  einverstanden  sei. 

Ich  bat  ihn,  mich  bei  Arthur  Cohen,  Queen's  Coun- 
sel,  einxuführen,  weit  dieser  ein  Freund  des  Duke  of 
Argyll  ist,  welcher  in  dem  armenischen  Komitee  eine 
Rolle  spielt. 

Ich  bat  ihn  auch,  vom  Prinzen  v.  Wales  eine  Einfüh- 
rung beim  Zar  fQr  mich  zu  verlangen. 

iO.  Jali. 

An  den  Verleger  David  Nutt  19  Pfund  und  einige 
Schilling  für  die  englische  Ausgabe  gezahlt.  Er  hat  nur 
160  Exemplare  verkauft. 

Auch  nach  Paris,  an  Nordau,  mußte  ich  vor  zwei  Tagen 
3oo  Franks  für  die  französische  Übersetzung  schicken. 

li.Juli. 

Der  russische  Journalist  Hapoport  (von  den  Novosti) 
kam  mich  interviewen. 

Im  GresprSch  stellte  sich  heraus,  daß  er  zu  den  arme- 
nischen Komitees  Beziehungen  hat,  insbesondere  zum 
Hindjakistenf  ührer  Nazarbek.  Hapoport  deutete  mir  seine 
Vermutung  an,  daß  die  armenischen  RevolutionSre  von 
der  englischen  Regierung  mit  Geld  unterstützt  würden. 

Ich  bat  ihn,  mich  mit  Nazarbek  in  Verbindung  zu 
setzen.  Ich  will  diesem  Revolutionfir  erklären,  daß  die 
Armenier  sich  jetzt  mit  dem  Sultan  aussöhnen  sollen, 
unbeschadet  ihrer  späteren  Revindikationen  bei  der  Tei- 
lung der  Türkei. 

An  Newlinski  geschrieben;  ihm  mitgeteilt,  daß  Mon- 
tagu  und  Goldsmid  mit  der  Vasallenstaatsidee  einverstan- 

477 


dbyGoogle 


den  sind,  und  dabei  entwickelte  ich  den  Plan  des  eche- 
lonierten  Einwanderungsanleheos,  begiimend  mit  einem 
Tribut  von  looooo  Pfund  Sterling  —  also  zwei  Millionen 
Anleibe  auf  die  Hand  —  und  ansteigend  bis  zu  jfiiirlich 
einer  Million  —  womit  das  ganze  Anlehen  30  Millionen 
betrüge. 

Ihm  auch  meine  bisherigen  Schritte  in  der  armenischen 
Sache  angegeben. 


Luncheon  bei  Moatagu.  Es  war  noch  Oberst  Goldsmid 
und  ein  hier  ansässiger  polnischer  Jude  L . . .  anwesend. 
Letzterer  ein  unsympathisch  scharfer  Kopf,  der  aber 
Autorität  in  hiesigen  Judenkreisen  zu  haben  scheint  und 
auch  im  Hirscbkomitee  ist. 

Nach  dem  Essen  kurze  pragmatische  Debatte.  Ich  er- 
klärte den  dreien,  was  bisher  vorliegt,  und  daß  wir  Bis- 
marck  veranlassen  wollen,  an  den  Sultan  zu  schreiben  und 
die  Vasallenidee  zu  lancieren. 

Montagu  stellte  für  seine  offene  Adhäsion  drei  Bedin- 
gungen: 

I.   Die  Zustimmung  der  Mächte, 

3.  daß  der  Hirschfonds  die  disponible  Summe,  also 
zehn  Millionen  Pfund,  hergebe, 

3.  daß  ein  Rothschild,  also  Edmund,  in  das  Komitee 
eintrete. 

L . . .  beantragte,  ein  geheimes  Komitee  zu  bilden,  das 
hervortreten  solle,  sobald  die  Sache  gesichert. 

Goldsmid  meinte,  auf  mich  zeigend :  „He  is  more  than 
any  committee." 

Er  verpflichtete  sich,  an  Edmund  Rothschild  einen 
empfehlenden  Brief  zu  schreiben. 

Alle    drei    äußerten   Besorgnisse   über   die    morgige 


478 


dbyGoogle 


Elastend- Versammlung.  Sie  sei  verfrüht  und  bedeute  eine 
Aufrübrung  der  Massen. 

Ich  sagte,  daß  ich  keine  demagogische  Bewegung  wolle, 
aber  im  schlimmsten  Fall  —  wenn  die  Vornehmen  zu 
vornehm  sein  sollten  —  auch  die  Massen  in  Bewegung 
setzen  würde. 

12.  Jali. 

Gestern  abend  bei  Rev.  Singer.  Anwesend  noch  Lucien 
Wolf  und  Solomon.  Die  Debatte  armselig  schleppend 
und  sich  selbst  immer  wiederholend. 

Am  meisten  Organisalionslust  und  Fähigkeit  zeigte  der 
Maler  Solomon.  Lucien  Wolf  hätte  gern  ,, Näheres  über 
den  Sultan  erfahren",  ist  aber  auch  ein  sehr  guter  Junge. 
Rev.  Singer  weiß  nicht  recht,  ob  er  seine  Position  nicht 
erschüttert,  wenn  er  bei  einer  Society  of  Jewa  mittut. 

Schließlich  kam  man  doch  überein,  ein  enquiring  or 
toatching  committee  zu  bilden,  und  zwar  aus  dem  Kreise 
derjenigen  Makkabäer,  welche  vorigen  Montag  für  meinen 
Plan  gesprochen  haben. 

Der  Name  des  Komitees  soll  nicht  Society  of  Jews  sein 
—  dieser  Name  sei  colourless,  sagt  Rev.  Singer  —  son- 
dern irgendwie  die  Beziehung  zu  Palästina  ausdrücken. 

Alle  diese  Leute,  so  brav  und  sympathisch  sie  auch 
seien,  machen  mich  durch  ihr  Zögern  zum  Führer! 

n  .  ,        ,      ^  «  '3-  •'«'»• 

Bnei  an  den  Großherzog  von  Baden. 

Ew.  Königliche  Hoheit  I 
Es  war  mir  leider  nicht  vergönnt,  von  der  gütigen  Er- 
laubnis, nach  St.  Blasien  zu  kommen,  Gebrauch  zu  ma- 
chen, als  ich  in  Karlsruhe  nach  der  Abreise  Eurer  König- 
lichen Hoheit  eintraf.  Versammlungen,  die  schon  seit 
Monaten  bestimmt  waren,  erwarteten  mich  hier  in  London. 

479 


dbyGoogle 


Nun  bitte  ich  jedoch  über  wichtige  Vorkomnmisse  in 
der  Judensache,  der  Ew.  Königliche  Ht^eit  eine  so  gnS- 
dige  Teilnahme  zuwenden,  zu  berichten.  Sowohl  in  Kon- 
stantinopel  als  hier  in  London  sind  bemerkenswerte  Fort- 
schritte lu  verieichnen.  Ich  reise  morgen  nach  Paris  und 
von  dort  Ende  der  Woche  nach  Österreich.  Darf  ich  nun 
neuerlich  um  die  große  Gunst  bitten,  von  Eurer  König- 
lichen Hoheit  Montag,  den  30.  oder  Dienstag,  den  ai.  ds. 
zur  Erstattung  meines  Berichtes  empfangen  zu  werden? 
Die  Antwort  mit  der  freundlichen  Angabe  des  Ortes,  wo 
ich  mich  einzufinden  habe,  trifft  mich  in  Paris,  Hotel 
Gastille,  nie  Cambon. 

Genehmigen  Ew.  König].  Hoheit  die  Ausdrücke  meiner 
ehrfurchtsvollen  EIrgebenheit 

Dr.  Theodor  Herzl. 


13.  Jali. 

Gestern  mittags  mit  einer  Empfehlung  von  Rev.  Singer 
zum  „Noncooformisten'-Prediger  Dr.  Clifford  nach 
Westboume  Park  Chapel  gegangen.  Ich  hörte  den  ein- 
schlSfernden  Schluß  seiner  Rede  an,  worin  er  mit  leiden- 
schaftlichen Geberden  und  geschwollener  Stimme  filtere 
Selbstverstfindlichkeiten  zum  besten  gab. 

Das  Auditorium  war  hypnotisiert  —  Psychologie  der 
Massen  —  und  nachher  wurde  abgesammelt. 

Ich  sprach  beim  Ausgang  mit  Clifford,  sagte  ihm,  daß 
ich  w^en  der  Aussöhnung  der  Armenier  kSme,  imd  er 
empfahl  mich  weiter  an  Ab.  Atkin. 

Dann  fuhr  ich  mit  der  Underground-Kailway  nach 
Shepherd's  Bush  zum  armenischen  Rev<dutionfir  Nazar- 
bek.  Dieser  war  eben  mit  Georg  Brandes  nach  der  Bahn 
gegangen,  als  ich  in  dem  Haus  ankam. 

A8o 


dbyGooglc 


Das  Haus  ist  geräuschvolle  Bourgeoiseleganz  zweiter 
Klasse,  und  gelegentlich  tauchen  wilde  armenische  Ge- 
sichter im  Türspalt  auf.  Es  sind  Flüchtlinge,  die  hier 
unterkoQunen. 

Der  Russe  Rapoport  hatte  mich  eingeführt.  Ich  war- 
tete mit  ihm  und  Mme.  Nazarhek  int  Salon  auf  den  Haus- 
herrn. Ich  sagte,  daß  ich  noch  Dicht  getüncht  hahe,  wor- 
auf mir  die  Frau  mit  unfreundlichem  Gesicht  ein  Stück 
Fleisch  geben  ließ. 

Nazarhek  kam  nach  Hause :  ein  genialischer  Kopf,  wie 
man  sie  im  Quartier  Latin  herrichtet.  Schwarze  wirre 
Schlangenlocken,  schwarzer  Bart,  hlasses  Gesiebt. 

Er  mißtraut  dem  Sultan  und  möchte  Garantien  haben, 
bevor  er  sich  unterwirft.  Seine  politischen  Ideen  sind 
konfus,  seine  Kenntnis  der  europäischen  Lage  geradezu 
kindisch.  Er  sagte:  Osterreich  errichtet  Befestigungen 
am  Schwarzen  Meerl 

Und  seinen  Worten  gehorchen,  wie  es  scheint,  die  armen 
Leute  in  Armenien,  die  man  massakriert.  Er  sitzt  nicht 
unbehaglich  in  London. 

Ich  fragte,  ob  er  wisse,  wem  all  die  Unruhen  schließlich 
zu  statten  kämen:  Rußland  oder  England? 

Er  antwortete,  ihm  sei  das  gleichgültig;  er  revoltiere 
sich  nur  gegen  den  Türken. 

Die  Frau  sprach  immer  wieder  drein,  und  zwar  arme- 
nisch, offenbar  gegen  mich.  Sie  hat  einen  bösen  Blick; 
und  wer  weiß,  wieviel  Schuld  sie  aa  dem  Blutvergießen 
trigt?  Oder  ist  es  der  böse  Blick  der  Geängstigten,  Ver- 
folgten? 

Ich  versprach  zu  versuchen,  daß  der  Sultan  die  Massa- 
ker und  Neuverbaftungen  sistieren  lasse,  als  ein  Zeichen 
seines  guten  Willens.  Die  Gefangenen  würde  er  schwer- 
lich im  vorhinein  freilassen,  wie  das  Nazarhek  wünschte. 

31     Herala  Ti«ebttaher  I.  48 1 


dbyGoO^^I'' 


Ich  erklSrte  ihm  vergebens,  daß  die  Revolutionäre  ja 
Gevirehr  bei  Fuß  den  Verlauf  der  Friedensverhandlungen 
beobachten  können,  ohne  abzurüsten. 


Abends  mein  Massenmeeting  im  Eastend,  im  Workinp- 
menVClub. 

Englisch-jiddische  Plakate  an  den  Mauern;  im  jiddi- 
schen Text  wird  fälschlich  gesagt,  ich  hStte  mit  dem 
Sultan  gesprochen. 

Das  Arbeiterklubhaus  ist  voll.  Überall  drSogen  sich 
Leute.  Eine  Theaterszene  ist  die  Plattform,  auf  der  ich 
frei  spreche.  Ich  habe  mir  nur  auf  einem  Zettel  ein  paar 
Schlagworte  notiert.  Eine  Stunde  lang  spreche  ich  in  der 
furchtbaren  Hitze.  Großer  Erfolg. 

Folgende  Redner  feiern  mich.  Einer,  Ish  Kischor, 
vergleicht  mich  mit  Moses,  Kolumbus  usw.  Der  Vorsit- 
zende, Chiefrabbi  Gaster,  hfilt  eine  feurige  Rede. 

Ich  danke  endlich  in  ein  paar  Worten,  worin  ich  mich 
gegen  die  ÜberschwengUchkeiten  verwahre. 

Großer  Jubel,  Hutschwenken,  Hurrahrufe  bis  auf  die 
Gasse. 

Es  hfingt  wirklich  nur  noch  von  mir  ab,  der  Führer  der 
Massen  zu  werden;  aber  ich  will  nicht,  wenn  ich  irgendwie 
die  Rothschilds  durch  meinen  Austritt  aus  der  Bewegung 
erkaufen  kann. 


Im  Eastend  bilden  sich  spontan  Komitees  für  die  Agi- 
tation. Programm:  der  Judenstaat I 

Parteiführer:  Rabbinowicz,  Ish-Kischor,  de  Haas  u.  a., 
brave,  begeisterte  Leute  1 


dbyGoogle 


U.  Juli. 

Gestern  abends  habe  ich  das  DOmmste  oder  das  Ge- 
scheiteste getan,  was  ich  in  dieser  Sache  bisher  tat. 

Die  Chovevi-Zion-GeBellscbaft  hatte  mich  zum  „Haupt- 
quartier der  Zelte"  einj^laden.  Das  wird  draußen  im 
Eastend,  BevU  Mark  in  der  spaniscben  Synagoge  abge- 
balten. Ich  kam  spät;  die  Diakussion  dauerte  schon  an- 
derthalb Stunden  und  hatte  vor  meiner  Ankunft  mich  zum 

(Fortgesetzt  in  Folkestone  i5.  Juli,) 
Gegenstande  gehabt,  wie  mir  der  junge  de  Haas,  der  im 
Torgang  auf  mich  gewartet  hatte,  mitteilte.  Die  Chovevi 
Zion  wollen  mir  anbieten,  mit  mir  zu  gehen,  wenn  ich 
mich  verpflichte,  sie  nicht  wieder  anzugreifen. 

Bei  meinem  Eintritt  wurde  ich  mit  sympathischem 
Trommeln  auf  den  Tisch  empfangen  und  bekam  wie  ge- 
wöhnlich den  Ehrenplatz.  Auf  der  anderen  Seite  des 
Chairman  Prag  saß  Goldsmid,  ein  bißchen  düster  hlik- 
kend. 

Sie  verlasen  langwierige  Berichte  Ober  eine  neuzugrOn- 
dende  Kolonie,  die,  ich  weiß  nicht,  vrieviel  hundert  Pfund 
kostet:  soviel  Ochsen,  soviel  Pferde,  Samen,  Holz  usw. 

Es  kam  auch  die  Anfrage  vor,  ob  die  Kolonisten  ge- 
sichert seien,  und  die  Antwort  lautete  verneinend. 

Daran  knüpfte  ich  an,  als  meine  Sache  zur  Diskussion 
kam.  Ich  wolle  nur  die  Kolonisieruog,  die  wir  mit  un- 
serer eigenen  jüdischen  Armee  beschützen  können.  Gegen 
die  Infiltration  müsse  ich  auftreten.  Die  Bemühungen  der 
Zionsvereine  würde  ich  nicht  stören,  aber  Edmund  Roth- 
schilds Sport  müsse  unbedingt  ein  Ende  nehmen.  Er 
solle  sich  der  nationalen  Sache  unterordnen,  und  dann 
wäre  ich  nicht  nur  bereit,  ihm  die  höchste  Stelle  zu  geben, 
sondern  auch  seinen  Eintritt  in  die  Leitung  mit  meinem 
Austritt  zu  bezahlen. 


dbyGoogle 


Darauf  Sturm. 

Dr.  Hirsch  sprach  lange  gegen  mich. 

Rabbinowics,  mein  Freund  vom  Eastend,  erklärte,  daß 
nie  ein  Chovev  Zion  gegen  Edmund  Rothschild  werde  auf- 
treten können.  Hoffentlich  werde  die  Geschichte  der 
Juden  keinen  Hader  zwischen  Edmund  Rothschild  und 
mir  zu  verzeichnen  haben. 

Isb-Kischor  fragte  den  Oberst  Goldsmid,  inwieweit  ein 
Chovev  inoffiziell  mit  mir  geben  könne. 

Gotdsmid  antwortete  ausweichend:  er  könne  natürlich 
niemand  darin  Vorschriften  geben,  was  außerhalb  von 
Chovevi  Zion  geschehe. 

Ich  stand  auf  und  sagte; 

,, Ich  werde  Mr.  Isb-Kishors  Frage  nfiher  präzisieren.  Er 
meint :  ob  der  Oberst  glaube,  daß  meine  geheimen  Schritte 
irgendwie  praktisch  seien,  und  ob  man  sie  ernst  zu  neh- 
men habe." 

Der  Oberst  sagte  zögernd :  „Well  —  wenn  Dr.  Herzl  — 
ich  meine,  wenn  die  Leute,  mit  denen  er  sprach  —  wenn 
sie  nicht  illoyal  sind,  so  bat  Dr.  Herzl  schon  ein  bemer- 
kenswertes Resultat  erzielt." 

Sodann  erklärte  ich,  daß  ich  von  meinem  Standpunkt 
gegenüber  der  Infiltration  nicht  lassen  könne,  auch  wenn 
ich  mich  dadurch  um  die  Unterstützung  aller  Chovevi 
Zion-Vereine,  die  jetzt  in  einem  Zentralverbande  stehen, 
bringe. 

Hierauf  hob  der  Chairman  Mr.  Prag  mit  einem  trocke- 
nen kurzen  „Good-bye,  Dr.  Herzll"  die  Versammlung 
auf. 

Goldsmid  zog  mich  beiseite  und  sagte  mir,  er  habe 
nachmittags  bei  der  Gardenparty  der  Königin  nicht  au 
den  Prinzen  v.  Wales  herankommen,  also  auch  in  der 
Einführungssache  nichts  tun  können. 

484 


db,Googlc 


Somit  bleibt  es  nach  wie  vor  mir  überlasaen,  alles  allein 
tu  tun. 

Auf  der  Gasse  nahm  ich  sofort  Rabbinowics  beim  Arm 
und  sagte :  Organisieren  Sie  mir  das  Eastend  1 

Dann  fuhr  ich  mit  Herbert  Bentwich,  der  mir  ergeben 
ist,  nach  dem  Parlament,  wo  ich  Stevenson  in  der  arme- 
nischen Sache  sprechen  wollte. 

Bentvnch  machte  mich  auf  meinen  Fehler  aufmerksam: 
ich  sei  zu  schroff  gewesen,  ich  hätte  dem  Hauptquartier 
nicht  sagen  sollen,  daß  sie  es  schlecht  gemacht  haben, 
sondern  ihre  Idee  und  bisherigen  Leistungeu  als  vor- 
bildlich anerkennen  sollen. 

Das  ist  richtig.  Und  doch  hatte  ich  gleich  das  Gefühl, 
daß  meine  Haltung,  wie  sie  offen  war,  möglicherweise 
auch  klug  gewesen  sein  könne,  trotz  der  augenblicklichen 
schlechten  Wirkung. 

15.  Juli,  Folkestone. 

WShrend  ich  gestern  morgens  Im  Hotel  meine  Sachen 
packte,  wurde  ich  durch  den  Besuch  Ish-Kishors  über- 
rascht. Das  ist  der  arme  russisch-jüdische  Lehrer,  dessen 
Jargonrede  mich  beim  Eastend-Meeting  sehr  gerührt  und 
die  anderen  Zuhörer  hingerissen  hatte. 

Ich  hatte  auf  dem  Podium  der  Arbeiterbühne  am  Sonn- 
tag eigentümliche  Stimmungen.  Ich  sah  und  hörte  zu,  wie 
meine  Legende  entstand.  Das  Volk  ist  sentimental;  die 
Massen  sehen  nicht  klar.  Ich  glaube,  sie  haben  schon 
jetzt  keine  klare  Vorstellung  mehr  von  mir.  Es  beginnt 
ein  leichter  Dunst  um  mich  herum  aufzuwallen,  der  viel- 
leicht zur  Wolke  werden  wird,  in  der  ich  schreite. 

Wenn  sie  aber  auch  meine  Züge  nicht  mehr  deutlich 
sehen,  so  erraten  sie  doch,  daß  ich  es  sehr  gut  mit  ihnen 
meine,  and  daß  ich  der  Mann  der  armen  Leute  bin. 


dbyGoogle 


Freilich  brächten  sie  wahrscheinlich  auch  einem  ge- 
schickten Verführer  und  Betrüger  dieselhe  Liebe  ent- 
gegen, wie  mir,  in  dem  sie  sich  nicht  tfiuschen. 

Es  ist  vielleicht  das  Interessanteste,  was  ich  in  diesen 
Büchern  verzeichne:  wie  meine  Legende  entsteht. 

Und  wShrend  ich  den  unterstrichenen  Worten  und 
Zurufen  meiner  Anhänger  auf  dieser  volkstümlichen  Tri- 
büne lauschte,  nahm  ich  mir  innerlich  recht  fest  vor, 
ihres  Vertrauens  und  ihrer  Liebe  immer  würdiger  su 
werden. 

*     *     * 

Ish-Kishor  kam  also  gestern,  um  mir  die  Bildung  einer 
OrganisatioD  anzubieten,  die  mich  als  Haupt  anerkennen 
wolle.  Es  würden  sich  im  Eastend  hundert  Männer  zu- 
sammentun, in  allen  Lindem  Genossen  werben  und  die 
Propaganda  des  Judenstaates  betreiben. 

Das  nahm  ich  an;  und  als  de  Haas,  der  mein  „honorary 
secrelary"  sein  will,  kam,  schlug  ich  ihnen  als  den  Namen 
dieser  Vereinigung  vor:  The  Knighis  of  Palestine.  Ich 
müsse  aber  außerhalb  stehenbleiben,  weil  ich  keinem  Agi- 
tationsverein angehören  dürfe. 


De  Haas  verstand  mich,  und  erklärte  es  Isb-Kisbc«-:  ich 
wolle  die  Armen  zusammenraffen,  um  einen  Druck  auf 
die  lauen  und  zögernden  Reichen  auszuüben. 

Als  ich  später  zu  Montagu  ging,  um  ihn  zu  bitten,  die 
armenische  Sache  für  mich  mit  Stevenson,  dem  Vizeprä- 
sidenten der  anglo-armenischen  Komitees,  in  Fluß  tu 
Inringen,  merkte  ich  an  seinem  dienstbeflissenen  Wesen 
die  Wirkung  meines  Erfolgs  im  Eastend. 


486 


dbyGoogle 


Ich  bin  mit  dem  Er^bnis  meiner  Londoner  Reise  zu- 
frieden. 

Die  bedingte  Zusage  Montagus  und  Goldsmids,  mitzu- 
gehen, wenn  Edmund  Rothschild  und  der  Hirschfonds 
mittun  und  der  Sultan  sich  auf  positive  Verhandlungen 
einlSßt,  genügt  mir  vorläufig. 

16.  Juli,  Boalogne  »ur  mer. 

Es  soll  immerhin  nicht  vergessen  werden,  daß  sowohl 
Hontagu  wie  Goldsmid  es  ablehnten,  dem  Eastend-Mee- 
tiog  zu  präsidieren.  Es  war  auch  keiner  von  Beiden  beim 
Bankett  des  Maccabean  Club. 

Aber  ich  brauche  sie  —  folglich  — i-  — 

i7.  Juli. 

Wieder  in  Paris. 

Eänes  der  Zimmer,  die  ich  jetzt  im  Hotel  Catille  be- 
wohne, war  das,  in  dem  ich  den  Judenstaat  (in  der  Form 
der  Rede  an  die  Rothschilds)  schrieb. 

Ich  fand  Depeschen  von  Newlinski  vor. 

Eine  lautet : 

Die  zweite: 

Grande  pri^  achetez  deux  garnitures  chemin^  com- 
pos^  pendule  deux  candelabres  en  argent  premi^  qua- 
litä,  demi-m£tre  hauteur  ou  plus,  massif,  style  renais- 
sance  et  une  Orientale  ou  moresque,  deux  k  trois  mille 
francs  chacune  pay^  cc»nptant.  £n  ai  besoin  urgent 
pour  Sa  MajestS  personellement.  Ici  impoasible  trouver. 
Venez  tous  cas  me  voir  KarMtad.  Priuce  pour  moment 
inutile.  Newlinski. 

Die  dritte: 

Wäre  gut,  wenn  kämen,  um  wieder  alles  besprechen. 
Übermorgen  kehrt  Whitman  von  Herbert.  R^pondez  pour 

487 


dbyGoogle 


garnitures  dois  telegraphier  ConstantiDOple  si  trouvables 
Amiti^  Newlinski. 


Die  Geschichte  dieser  Ktuningarnituren  leuchtet  mir 
Dicht  recht  ein.  Warum  soll  ich  gerade  sie  besoi^u? 
Jedenfalls  bin  ich  nicht  in  der  Lage,  sie  von  meinem 
Gelde  zu  bestreiten.  Ich  telegraphierte  zurück,  er  möge 
angeben,  ob  ich  meinen  Freunden  nahelegen  solle,  dem 
Sultan  zwei  prachtvolle  Garnituren  zu  schenken.  Wenn 
nicht  —  an  wen  das  per  Nachnahme  expediert  werden 
solle 


Bemard  Lazare  gesprochen.  Vorzüglicher  Typus  eines 
guten,  gescheiten  französischen  Juden. 


Nordau  hat  neuaufgelauchte  Bedenken:  es  werde  eine 
innerrussisch-jodische  Angelegenheit  sein  usw. 

Ich  teilte  ihm  wie  Lazare  mit,  daß  ich  Edmund  Roth- 
schilds und  des  Hirschfonds  Beitritt  durch  meinen  Aus- 
tritt erkaufen  wolle.   Das  schien  beiden  das  richtige. 

i8.  Juli. 

Nordau  sagte  gestern:  „Die  Fabel  ist,  daß  man  sich 
mit  Ihnen  in  Konstantinopel  eingelassen  hat.  Fragten  die 
Leute  nicht:  mit  wem  sprechen  wir,  wer  hat  das  Geld?" 

Ich  sagte:  „Ich  habe  die  Junktion  gefunden,  das  ist 
alles.  Ich  durfte  mich  auf  Montagu  berufen.  Da  lag 
übrigens  mein  ungeheures  Risiko.  Montagu  hatte  mir 
nur  unter  vier  Augen  seine  bedingte  Rereitwilligkeit,  mit- 


dbyGoogle 


zugehen,  erklSrt.  Ich  lief  Gefahr,  daß  er  mir  bei  meiner 
Rückkehr  sagen  würde:  das  war  nur  ein  Rauchzimmer- 
gespräch,  nicht  ernst.  Indessen  ist  er  auch  jetzt  bei 
seinem  Wort  gehlieben;  und  so  bin  ich  heute  gedeckt." 


Gestern  nachmittags  l)rBchte  mir  der  sympathische  Rer- 
nard  Lazare  den  Mr.  Meyerson  von  der  Agence  Havas 
und  von  den  hiesigen  Zionsvereinen. 

SpSter  kamen  auch  Nordau  und  Bildbauer  Beer.  Ich 
hatte  bei  dieser  Vereinigung  geistig  hochstehender  Leute 
in  meinem  Zimmer  und  auf  meinem  Terrain  wieder  ein- 
mal deutlich  das  Gefühl  des  riesigen  Fortschritts  meiner 
Idee. 

Meyerson  machte  viele,  allzu  viele  Einwendungen,  na- 
mentlich gegen  BauernfShigkeit  der  Juden. 

Ich  bat  ihn  endlich : ,  ,Ne  me  f  aites  donc  pas  tant  de  mis^ 
res.  Nous  ne  pouvons  pas  prSvoir  l'avenir.  Marchons,  et 
nous  verrons." 

Da  wurde  er  weicher.  Er  nahm  es  auf  sich,  zu  Edmund 
Rothschild  EU  gehen  und  ihm  zu  sagen,  daß  ich  bereit  sei, 
ihn  zu  besuchen.  Ich  verbarg  dabei  den  Herren  nicht,  daß 
es  eines  der  größten  Opfer  sei,  die  ich  der  Judensache 
bringe.  Denn  Edmund  Rothschilds  Benehmen  gegen 
Nordau  hat  mich  verstimmt 

Ich  bat  Meyerson,  meinen  Standpunkt  deutlich  zu  for- 
mulieren: Ich  verlange  die  Einigung  aller  Zionsgesell- 
Schäften,  insbesondere  des  Hirschfonds  und  Edm.  Roth- 
schilds. Letzterer  braucht  seinen  Eintritt  nur  bedingungs- 
weise zu  erklären.  Wenn  ich  die  ganze  Sache  diploma^ 
tisch  fertiggemacht  habe,  sollen  die  von  mir  bestimmten 
Herren  die  Fährung  der  Sache  übernehmen.   Hingegen 

489 


dbyGoogle 


engagiere  ich  dann  mein  Ehrenwort,  von  einer  volkstüm- 
lichen Führung  abzusehen.  Ich  will  keine  demagogische 
Bewegung,  ohwohl  ich  auch  im  Notfälle  bereit  bin,  sie 
zu*  machen.  Die  Konsequensen  könnten  freilich  schwere 
sein. 

Wird  mein  Programm  aber  angenommen,  so  trete  ich 
von  der  Leitung  der  Bewegung  gänzlich  zurück. 


Ahends  mit  S . . .  heim  Bier.  Ich  erinnerte  ihn  an  das 
v(n-ige  Jahr.  Er  meinte :  Na,  dann  habe  ich  mich  vielleicht 
geirrt. 

Übrigens  ist  er  noch  sehr  verstockt  und  versteht  nicht. 

18.  Jali. 

Depesche  aus  St.  Blasien  vom  17.  Juli; 

Großherzog  kann  Sie  in  ang^ebener  Zeit  nicht  emp- 
fangen. Lißt  bitten,  Angelegenheit  schriftlich  vorzu- 
tragen. 

Geh.  Kabinett. 

19.  Jali. 
Gestern  habe  ich  die  „Rede  an  die  Rothschilds"   ge- 
halten. 

So  geht  alles  in  Erfüllung,  was  ich  mir  vorgenommen 
habe,  wenn  auch  in  anderer  Zeit,  in  anderer  FtHin;  und 
das  Ziel  wird  zweifellos  erreicht  werden,  wenn  ich  selbst 
es  auch  schwerlich  sehen  werde. 

Ich  war  gestern  vormittag  bei  Leven  in  dessen  apparU- 
meni  de  bovtrgeoit  cottu.  Leven  bebandelt  die  Juden- 
frage recht  gelassen.  Er  befindet  sich  nicht  übel.  In  maet 
Gespr&ch  hinein  wurde  Meyerson  gemeldet.  Er  kam  vom 

490 


dbyGoogle 


„Baron  EdmuDd",  um  Levttn  und  mich  zu  einer  Konfe- 
renz zu  bitten,  der  er  selbst  auch  beiwohnen  werde.  Zeit : 
halb  zwei  Uhr  nachmittags. 

Um  halb  zwei  war  ich  in  der  nie  Laffitte.  Der  Diener 
nahm  meine  Karte,  fOhrte  mich  in  das  erste  Wartezimmer 
der  allgemeinen  GeschSftsbesucher  dieses  Bankhauses. 
Nach  einigen  Minuten  wurde  ich  in  ein  anderes  holzge- 
tSfeltes  Empfangszimmer  geführt,  wo  Meyerson  schon 
wartete  und  mich  darauf  vorbereitete,  daß  der  Baron  ein 
Mensch  sei  wie  wir  beide. 

Ich  war  von  dieser  Mitteilung  nicht  überrascht. 

Nachdem  wir  etwa  zehn  Minuten  gewartet  hatten,  öff- 
nete sich  eine  Tür  und  Leven  trat  ein,  hinter  ihm  ein 
großer,  schmSchtiger  Mensch  in  den  Vierzigern.  Ich  hatte 
geglaubt,  daß  er  viel  Slter  sei.  Er  sieht  aus,  wie  ein  ält- 
licher Jüngling,  hat  rasche  und  dabei  schüchterne  Bewe- 
gungen, leicht  ergrauenden,  hellbraunen  Bart,  lange  Nase, 
h&ßlich  großen  Mund.  Er  trug  eine  rote  Halsbinde  zur 
weißen  Weste,  die  ihm  um  den  mageren  Leih  schlotterte. 

Ich  fragte,  inwieweit  er  mein  Vorhaben  kenne,  wcffauf 
er  zu  sprudeln  anfing:  er  habe  von  mir  als  von  einem 
neuen  Bemard  l'hermite  gehört,  und  sich  kreuz  und  quer 
in  eine  Widerlegung  meines  Programms  verlor,  das  er 
nicht  genau  kannte. 

Nach  fünf  Minuten  unterbrach  ich  ihn  und  sagte :  „Sie 
wissen  nicht,  um  was  es  sich  handelt.  Lassen  Sie  es  sich 
zuerst  erkliren." 

Er  schwieg  verdutzt. 

Ich  begann:  ,,Eine  Kolonie  ist  ein  kleiner  Staat,  ein 
Staat  ist  eine  große  Kolonie.  Sie  weilen  einen  kleinen 
Staat,  ich  will  eine  große  Kolonie  machen." 

Und  ich  breitete  noch  einmal,  wie  schon  so  viele  Male, 
den  ganzen  Plan  aus.  Er  hörte  stellenweise  mit  Oherra- 

491 


dbyGoogle 


schung  zu,  einige  Male  sah  ich  Bewunderung  in  seinen 
Augen. 

Er  glauht  aher  nicht  an  die  Zusagen  der  Türken.  Und 
wenn  er  daran  glaubte,  würde  er  das  auch  nicht  unter- 
nehmen. Er  hält  es  für  unmöglich,  den  Zufluß  der  Mas^ 
sen  nach  Palästina  in  Ordnung  zu  halten.  Zuerst  würden 
i5oooo  Schnorrer  kommen,  die  man  eruShren  müßte. 
Er  fühle  sich  dem  nicht  gewachsen,  vielleicht  wäre  ich  es. 
Er  könne  eine  solche  Verantwortung  nicht  auf  sich  neh- 
men. Es  könne  Unglücksfälle  geben. 

Gibt  es  so  keine?  warf  ich  ein.  Ist  der  Antisemitismus 
nicht  ein  beständiges  Unglück  mit  Verlusten  an  Ehre, 
Leben  und  Gut? 

Die  Adhäsion  der  Londoner  genügt  ihm  nicht.  Sir  S. 
Montagu  wolle  sich  hinter  ihn  stellen,  das  begreife  er. 
Was  aber  Oberst  Goldsmid  betrifft,  so  habe  ihm  dieser 
in  einem  eben  empfangenen  Brief  mein  Unternehmen 
geradezu  als  gefährlich  hingestellt. 

Diese  Mitteilung  verblüffte  mich  sehr.  Das  hätte  ich 
von  Goldsmid  nicht  erwartet.  Wenn  er  gegen  mich  ist, 
warum  hat  er  mir  es  nicht  mit  militärischer  Offenheit 
gesagt,  warum  hat  er  mich  in  dem  Glauben  gelassen,  und 
am  Chovevi-Zion-Abend  ausdrücklich  gesagt,  daß  ich 
seine  Sympathie  bei  meiner  Unternehmung  habe,  wenn 
ich  in  Konstantinopel  nicht  in  Irrtum  geführt  würde? 

A\ä  Oberst  Goldsmid  wird  nicht  mehr  gezählt. 

Herr  Leven  nickte  gefällig  zu  allem,  was  „der  Baron" 
sagte,  auch  Meyerson  stimmte  allem  zu. 

Ich  hob  nach  zwei  Stunden  dieser  Kampfunterredung 
mein  Parapluie  vom  Boden  auf  und  erhob  mich: 

„Um  diese  Unterredung,  die  ernst  war,  die  wir  nicht 
zu  unserer  Unterhaltung  geführt  haben,  zu  beendigen, 
sage  ich:    Woran  erkenne   ich  die  Macht  einer    Idee? 

492 


dbyGoogle 


Daran,  daß  man  sich  eogagiert,  wenn  man  Ja  sagt,  und 
auch  engagiert,  wenn  man  Nein  sagt." 

Der  Baron  machte  ein  sehr  unbehagliches,  ja  sehr  böses 
Gesicht. 

Ich  ergänzte:  ;,Sie  waren  der  Bogenscfalüssel  der  ganzen 
Kombination.  Wenn  Sie  sich  weigern,  zerffillt  alles,  was 
ich  bisher  gerichtet  habe.  Ich  werde  es  dann  auf  eine 
andere  Weise  machen  müssen.  Ich  werde  eine  große  Agi- 
tation anfangen,  wobei  die  Massen  noch  schwerer  inOrd> 
nung  zu  halten  sein  werden.  Ich  wollte  Ihnen,  dem  phi- 
lanthropischen Zionisten,  die  Führung  der  ganzen  Sache 
übergeben  und  mich  zurückziehen.  Sie  hätten  —  wenn 
einmal  die  Sache  mit  dem  Sultan  in  Ordnung  gebracht 
wäre  —  so  viel  veröffentlichen  und  so  viel  geheimhalten 
können,  als  Ihnen  beliebte.  Die  Regelung  des  Massen- 
zuflusses ist  eine  Frage  der  Regierung.  Wäre  z.  B.  ein 
Run  eingetreten,  so  hätte  man  ungünstige  Meldungen  über 
Unterkunft  und  Arbeitsgelegenheit  publizieren  können, 
wodurch  sich  der  Strom  verlangsamt  hätte.  Das  sind 
lauter  Regierungsdetails.  Sie  finden,  daß  es  ein  Unglück 
wäre,  mit  solchen  Massen  zu  operieren.  Überlegen  Sie, 
ob  das  Unglück  nicht  größer  ist,  wenn  ich  die  Massen 
durch  eine  verworrene  Agitation  in  Bewegung  setzen  muß. 

Gerade  das  wollte  ich  vermeiden.  Ich  habe  meinen 
guten  Willen  gezeigt,  und  daß  ich  kein  intranaigeant  en- 
UU  bin.  Sie  wollen  nicht  —  ich  habe  das  meinige  getan." 

Dann  empfahl  ich  mich.  Wir  erklärten  noch  beide,  daß 
wir  onchantiert  seien,  die  Bekanntschaft  gemacht  zu 
haben,  und  ich  ging. 

Rothschild  hielt  die  anderen  beiden,  die  er  sich,  glaube 
ich,  zu  seinem  Schutz  bestellt  hatte,  falls  ich  ein  Anar- 
chist sei,  an  den  Rockknöpfen  zurück. 

Eine  halbe  Stunde  später  kam  Meyerson  mit  säuerlich 


dbyGoogle 


sQßem  Gesicht  su  mir  ins  Hotel.  War  es  ein  offindser 
Auftrag  des  Barons,  als  er  mir  riet,  zuerst  klein  anzii- 
fangen,  in  der  Türkei  kloine  Zugeständnisse  für  die  Kolo- 
nien Edm.  R's  zu  erwirken  —  dann  werde  sich  dieser 
vielleicht  allmihlich  meinen  PiSnen  geneigter  zeigen. 

Gesamteindruck:  Edmund  ist  ein  aostSndiger,  gutmü- 
tiger, feigherziger  Mensch,  der  die  ganze  Sache  absolut 
nicht  versteht  und  sie  aufhalten  mJVchte,  wie  die  Feigling« 
eine  notwendige  Operation  aufhalten.  Ich  glaube,  er  ist 
jetzt  entsetzt  darüber,  daß  er  sich  mit  PalSstina  einge- 
lassen hat,  und  wird  vielleicht  zu  Alphonse  laufen :  „Du 
hast  recht  gehabt,  ich  hfitte  lieber  Pferde  rennen  als  Juden 
wandern  lassen  sollen." 

Und  von  solchen  Menschen  soll  das  Schicksal  vieler  Mil- 
lionen abhSngenl 


An  Newiinski  telegraphierte  ich: 

Edmund  R.  macht  Schwierigkeiten,  die  in  London  Re- 
perkussion  zu  haben  drohen.  Er  wünschte  zunSchst  kleine 
Zugestfindnisse,  für  die  er  wohl  kleine  Gegenleistung  bOte. 

W.  Juli.  Paris. 

Nachtrag  zur  Rothschild-Unterredung. 

Über  dieses  Gespräch,  das  eines  der  wichtigsten  war, 
habe  ich  eigentlich  auf  den  vorigen  Seiten  sehr  wenig 
notiert. 

Ich  hatte  gestern  mit  Unlustgefühlen  zu  kftmpfen. 
Wenn  ich  denke,  wie  leicht  und  selbstverständlich  den 
Leuten  die  ganze  Sache  vorkommen  wird,  wenn  sie  ein- 
mal gemacht  ist,  und  an  welchen  blödsinnigen  Wider- 
ständen ich  mich  jetzt  krank  arbeite  und  aufreibe 

Edmund  R.  sagte  unter  anderem  pikiert:  „Ich  habe 

49i 


dbyGoogle 


nicht  auf  Sie  gewartet,  um  zu  wissen,  daß  wir  jetzt  Ma- 
schinen zur  Verfügung  haben." 

Ich  antwortete:  „Ich  hatte  nicht  die  Absicht,  Sie  zu 
belehren." 

An  einer  anderen  GesprächssteUe  sagte  er: 

„Et  qu'est-ce  que  vous  me  demandei?" 

Ich  antwortete  barsch:  „Pardon,  vous  ne  m'avez  pas 
c<mipris.  Je  ne  vous  demande  rien  du  tout.  Je  vous  invite 
seulement  de  donner  votre  adh^ion  sous  condition." 

Leven  und  Meyerson  waren,  wie  gesagt,  ganz  seiner 
Ansicht. 

11$  abondaieitt  dan»  le  sens  indiqud  par  lui,  sie  schafften 
gefällig  die  Argumente  für  ihn  herbei.  Als  Edmund 
sagte;  die  Massen  würden  nicht  lu  zügeln  sein,  meinte 
Meyerson  düster:  ,,Ja,  so  wie  auf  dem  Chodinkofelde." 

Leven  verstieg  sich  sogar  dazu,  zu  erkifiren,  daß  ich 
bisher  gar  nichts  erreicht  habe. 

Edmund  R.  sagte  zweimal:  „II  ne  faut  pas  avoir  les 
yeux  plus  gros  que  le  ventre."  Das  ist,  glaube  ich,  sein 
h^hster  philosophischer  Satz. . 

20.  Juli,  Paris. 

An  de  Haas  nach  London  schreibe  ich,  man  m6ge  die 
Organisation  der  Massen  beginnen.  Das  werde  die  Ant- 
wort auf  das  Chodinko-Argument  sein. 

21.  Jali. 

Im  Coup£  hinter  Jaxtzell  unterwegs  nach  Karbbad, 
wohin  mich  Newlinski  dringend  ruft. 


21.  Juli. 
Gestern  noch  mit  Nordau  und  Beer  gesprochen  und 
ihnen  die  Antwort  mitgeteilt,  die  ich  auf  Rothschilds  Ein- 
wendung gefunden:  das  ist  die  Organisierung   unserer 


495 


dbyGoogle 


Massen  schon  jettt.  Unsere  Leute  werden  schon  bei  der 
Abreise  organisiert  sein  und  nicht  erst  bei  der  Ankunft. 
Niemand  wird  ohne  Abgangsdokumente  ankonunen 
dürfen. 

Nordau  erklSrt  sich  mit  mir  ganz  einverstanden  und 
will  auch  in  das  Pariser  Komitee  eintreten,  wie  ich  sagte : 
als  Chef  der  Bewegung  in  Frankreich.  Er  sträubte  sich 
ein  bißchen  gegen  den  Titel  Chef,  nahm  aber  die 
Sache  an. 


Nachmittags  sprach  ich  im  Vereinslokal  der  russisch-jü- 
dischen Studenten,  draußen  im  Quartier  des  Gobelins. 
B.  Lazare  war  anwesend,  auch  drei  jüdische  Studentinnen 
aus  Bußland.  Der  Saal  voll.  Ich  hielt  meine  mir  mm 
schon  bekannte  Rede,  war  aber  nicht  gut  disponiert. 

Ich  sprach  mit  Schonung  von  den  Finanzjuden,  die 
keine  Eile  haben,  und  schloß  mit  den  Worten:  „Je  ne 
vous  dis  pas  encore:  marchons  —  je  dis  seulement:  la 
jeunesse,  deboutl" 

Ich  forderte  sie  auf,  die  Organisation  der  Kader  zu 
beginnen. 


Et  noiu  voilä  reparlia  de  Paris. 

Diese  reizende  Stadt  hat  mich  nie  so  entzückt,  wie  diefr- 
mal  am  Abscbiedstag. 
Wann  werde  ich  Paris  wiedersehen? 


i9< 


dbyGoogle 


Viertes  Buch 


D,3,l,zedb,GÖOgle 


dbyGoogle 


22.  Jali.  KarUbad. 

Newlinski  erwartete  mich  mit  den  Mitteilungen: 

I .  daß  mich  der  Fürst  von  Bulgarien  hier  empfangen 
werde. 

a.  daß  der  türkische  Botschafter  in  Wien  kategoriach 
die  Nachricht  von  Verfolgung  jüdischer  Kolonisten  in 
Palfistina  dementiert. 

3.  daß  von  jüdischer  Seite  gegen  mich  in  Yildiz-Kiosk 
intriguiert  wird. 

Ich  meinerseits  berichtete  ihm  von  meiner  Reise.  Ich 
kirne  mir  vor  wie  der  Offizier,  der  mit  unsicheren  Re- 
kruten ins  Feld  zieht  und  mit  dem  Revolver  hinten  stehen 
muß,  damit  keiner  davonlaufe. 

Insbesondere  Edmund  Rothschilds  Verhalten  sei  stö- 
rend, da  die  ganze  Kombination  jetzt  von  ihm  abhängt. 
Es  sei  übrigens  noch  durchaus  nicht  ausgemacht,  daß  er 
nicht  schließlich  mitkommen  werde. 

Newlinski  sagte,  diese  Mitteilungen  decouragierten  ihn 
zum  erstenmal  in  der  Sache.  Er  wußte  nicht,  daß  meine 
Truppe  so  schlecht  sei. 

22.  Jali.  KarUbad. 

Ich  telegraphiere  an  Edmund  Rothschild : 

Ambassadeur  Türe  de  Vienne  6crit: 

vous  pouvez  d^mentir  cat^goriquement  la  fausse  nou- 
velle  invent^  dans  un  but  Evident  de  malveillance  que 
autorit^  turques  auraient  expuls£  anciens  ou  repouss^ 
nouveaux  Colons  juifs.  D'autre  part  j'apprends  que  quel- 
qu'un  aurait  essayä  d'intriguercontre  moi  k  Yildiz  Kiosque. 
Si  ce  serait  un  de  vos  serviteurs  trop  z£l£s,  il  aurait  lourde- 
ment  engag6  votre  responsabititi.  Espire  que  non,  nous 
devons  nous  entendre.  ^^^^^  j,^^j 

Hotel  Erzherzog  Karl. 


dbyGoogle 


22.  Jali. 

Heute  morgens  fröhstOckte  ich  im  Pogthofgarteo  mit 
Newiinski.  Ffirst  Ferdinand  von  Bulgarien  ließ  sich  mit 
seiner  Suite  unweit  von  uns  an  einem  Tisch  nieder.  Ich 
bemerkte,  daß  ich  ihm  gezeigt  wurde.  Dann  schickte  er 
Fürth  herüber,  der  vorhin  gesagt  hatte,  es  sei  zweifelhaft, 
ob  mich  der  Fürst  heute  Oberhaupt  empfangen  würde. 
Fürth  teilte  mit,  der  Fürst  werde  spfiter  in  den  Laub- 
gSngen  mit  mir  sprechen. 

Es  wurde  nun  aufgepaßt,  wann  er  sich  erhebe;  und  als 
er  ging,  schritten  Newiinski,  Fürth  und  ich  ihm  eilig 
nach. 

Er  wartete  hinter  einem  Gebüsch.  Ich  lOg  den  Hut 
schon  in  einer  Entfernung  von  zehn  Schritten,  und  er 
kam  mir  zwei  Schritte  entgegen.  Es  fand  eigentlich  keine 
Vorstellung  statt.  Er  reichte  mir  die  Hand,  und  ich  be- 
gann gleich,  die  Judensache  vorzutragen.  Wir  gingen 
dabei  auf  und  ab.  Das  Gefolge  hielt  sich  in  ehrfurchtS' 
voller  Entfernung.  Manchmal  vergafften  sich  vorüber* 
gehende  Badegäste  an  uns.  Einmal  stampfte  der  Fürst 
ungeduldig  mit  dem  Fuß  auf,  als  zwei  in  der  Nähe  hor- 
chend stehenblieben,  und  er  machte  eine  Bewegung  mit 
dem  Schirm,  als  wollte  er  dreinschlagen.  Dabei  sagte  er : 
„Es  ist  unerhört,  wie  man  hier  belästigt  wird.  Und  die 
Christen  sind  noch  ärger  ab  die  Juden." 

(Die  zwei  waren  nämlich  erkennbar  Juden.) 

Ich  legte  ihm  meine  Sache  in  lakonischer  Kürze  ftus- 
einander.  Er  war  rasch  gepackt :  „Es  ist  eine  großartige 
Idee",  sagte  er;  ,,so  hat  noch  niemand  mit  mir  über  die 
Judenfrage  gesprochen.  Aber  was  Sie  sagen,  habe  ich 
mir  oft  gedacht.  Ich  hin  eigentlich  von  Juden  erzogen. 
Mit  Baron  Hirsch  habe  ich  meine  Jugend  verbracht.  Ich 
kenne  also  alle  Verhältnisse,  ich  bin  ein  halber  Jude,  wie 

5oo 


dbyGoogle 


man  mir  oft  vorwirft.  Ihre  Idee  hat  meine  volle  Sym- 
pathie —  aber  was  kann  ich  dafür  tun?" 

„Ich  möchte  Ew.  Königl.  Hoheit  bitten,  den  Zar  auf 
meinen  Plan  vorzubereiten  und  mir,  wenn  möglich,  eine 
Audienz  zu  verschaffen." 

„Das  ist  sehr  schwer,"  meinte  er  bedenklich,  „es  ist 
eine  Frage,  in  die  der  Glaube  hineinspielt.  Ich  bin  ohne- 
hin bei  den  Orthodoxen  nicht  gut  angeschrieben.  Es  gibt 
da  heikle  Dinge,  in  denen  ich  oft  meine  Überzeugung  der 
politischen  Notwendigkeit  unterordnen  muß." 

Dabei  richtete  er  sich  hoch  auf  und  sah  wirklich  groß- 
artig mit  zurückgeworfenem  Kopf  auf  mich  herab.  Zu- 
meist stand  er  aber  auf  den  Schirm  gestützt,  leicht  vor- 
geneigt vor  mir.  Ab  ich  einen  Schritt  zurücktrat,  imi 
respektvoller  dazustehen,  rückte  er  mir  sofort  nach,  trat 
mir  sogar  auf  den  Fuß  und  sagte:  „Pardon I" 

Ich  sah  also  sein  feines,  leichtverfettetes  Gesicht  mit 
dem  spitzen  Bart,  der  langen  Nase  und  den  verständig 
hellen  Augen  fortwahrend  ganz  dicht  vor  mir. 

Er  erklärte  wiederholt,  daß  er  ein  Judenfreund  sei,  und 
freute  sich,  als  ich  ihm  das  auch  vom  Sultan  und  Groß- 
herzog von  Baden  sagte. 

,J)er  Großherzog",  rief  ich  aus,  „ist  der  gute  alte  König 
aus  dem  Märchen.  Er  fürchtet  nur,  daß  man  seine  Teil- 
nahme an  meinem  Plan  für  antisemitisch  halten  könnte. 
Es  wird  also  meine  Aufgabe  sein,  der  Welt,  insbesondere 
dea  Juden,  zu  erklären,  daß  es  sich  nicht  um  Austreibung, 
sondern  um  eine  Gnade  der  Fürsten  handle." 

Er  nickte  befriedigt  und  versprach  mir  seine  volle  Un- 
terstützung unter  der  Bedingung  der  Geheimhaltung.  In 
Rußland  werde  böchBtens  Großfürst  Wladimir  für  die 
Sache  zu  interessieren  sein.  Alle  anderen  sprechen  von 
deu  Juden  nicht  wie  von  Menschen.  Ich  möge  ihm,  dem 

5oi 


dbyGoogle 


Företen,  mein  Buch  in  deutscher,  russischer  und  eng- 
lischer Sprache  schicken. 

Er  wolle  es  verbreiten.  Auch  dürfe  ich  ihm  Öfters  über 
den  Stand  der  Sache  berichten. 

Er  verabschiedete  mich  sehr  wohlwollend,  und  New- 
linski  erzählte  mir  dann,  er  hStte  der  Sache  ausdrücklich 
seine  Mitwirkung  versprochen;  ich  dürfe  unbedingt  auf 
ihn  zShIen. 

22.  JaU. 

Nachmittags  mit  Newlinski  spazierengegangen.  Wir 
verabredeten  die  nächsten  Schritte.  Auf  Bismarcks  Mit- 
wirkung sei  vorläufig  nicht  zu  rechnen.  Bismarck  habe 
Sidney  Whitman  gesagt,  er  kenne  mein  Buch  schon,  der 
Sekretär  Chrysander  habe  ihm  den  Inhalt  mitgeteilt.  Bis- 
marck hält  meinen  Entwurf  für  eine  melancholische 
Schwärmerei.  Whitman  war  dann  bei  Herbert  Bismarck 
und  bat  diesen,  auf  den  alten  Fürsten  einzuwirken.  Her- 
bert versprach  es. 

(Newlinski  las  mir  auch  den  Brief  vor,  den  Bismarck 
an  den  Sultan  über  die  Äffären  von  Kreta,  Armenien,  Sy- 
rien gerichtet  hat.  Sehr  interessant.  Bismarck  rSt,  sich 
vor  England,  dessen  Macht  in  aller  Welt  tersplittert  sei, 
nicht  zu  fürchten,  und  mit  Rußland  zu  gehen.  Dieses 
wolle  weiter  nichts  haben  als  die  Durchfahrt  von  Kriegs- 
schiffen durch  den  Bosporus.  Bismarck  hält  die  jetzige 
Lage  des  Sultans  nicht  für  eine  gefährdete  und  spricht  in 
sehr  verächtlichem  Ton  von  den  Kretensern.) 

Da  wir  also  auf  Bismarck  jetzt  nicht  rechnen  können, 
müssen  wir  die  Einladung  an  die  Juden  dem  Sultan  ron. 
anderer  Seite  suggerieren  lassen. 

Gegenfiber  den  jüdischen  Intrigen  —  es  ist  unglaub- 
lich —  in  Yildiz  Kiosk  beschlossen  wir  folgendes:  New- 
linski wird  an  Izzet  schreiben,  die  Juden,  die  gegen  mich 

5oa 


dbyGoogle 


wühlten,  hStten,  weim  schon  keine  persdnlicheo  Inter- 
essen —  was  auch  denkbar  wfire  — ,  doch  zweierlei  sach- 
liche Bedenken.  Erstens  befürchten  sie  eine  Verstärkung 
des  AntisemitismuB  an  ihren  jetiigen  Wohnorten,  wenn 
der  Wandemif  an  die  Juden  erginge.  Zweitens  haben 
sie  die  Besorgnis,  daß  wir  es  in  PalSstina  mit  einem  nicht 
zu  bändigenden  Masseneinbruch  von  armen  Juden  zu  tun 
bekämen.  Aus  diesen  Gründen  möchten  die  jüdischen 
Urheber  dieser  Intrigen  vielleicht  die  Sache  von  vorn- 
herein vereiteln.  Ixzet  mOge  sich  aber  an  mir  nicht  irre 
machen  lassen. 

Newlinski  meint  nun,  daß  es  jetzt  allerdings  noch  mög- 
lich wäre,  leicht  mOglich  sc^ar,  die  ganze  Sache  in  Yildiz 
Kioak  zu  zerstören.  Wenn  meine  Gegner  wüßten,  wie  die 
Sache  momentan  steht,  vermüchten  sie  das  mit  Leichtig- 
keit. Ich  denke  mir  dabei,  daß  es  von  Newlinski  ein  Be- 
weis der  Anständigkeit  und  des  Vertrauens  zu  mir  ist, 
wenn  er  nicht  zu  meinen  reichen  Gegnern  übergeht. 
24.  Juli,  Gmanden. 

In  meiner  grtdwQ  Depesche  an  Edmund  Rothschild  war 
ein  grammatischer  Fehler:  „>i  ce  terait",  statt  „>i  c'itait". 
*     *     * 

Aus  dem  negativen  Verhalten  Rothschilds  muß  ich  alles 
herausnehmen,  was  müglich.  Insbesondere  muß  mir  sein 
Nein  zum  Ja  des  Deutschen  Kaisers  verhelfen. 

Immer  kehrt  der  Gedanke  wieder,  wie  wenig  Dank  mir 
die  Juden  für  das  Riesenwerk  wissen  werden,  das  ich  für 
sie  tue.  Wenn  ich  heute  die  Sache  einfach  fahren  Ueße, 
bliebe  sie  gewiß  ungetan,  und  käme  in  Jahrzehnten  nicht 
zustande  —  dann  auch  nur  durch  Benützung  meiner 
Ideen. 

5o3 


dbyGoogle 


26.  Juli. 

Brief  an  Zadok  Kahn. 

Ew.  EhrwOrdenl 

Daß  Sie  Paris  verließen,  bevm-  ich  ankam,  habe  ich 
sehr,  sehr  bedauert.  Unsere  Sache  hat  vielleicht  den  größ- 
ten Schaden  davon,  denn  es  war  ein  wichtiger  Moment. 
Sie  hfitten  vielleicht  durch  ernste,  gute  Ratschläge  eine 
andere  Wendung  herbeiführen  können. 

Ich  schreibe  Ihnen  Deutsch,  was  Sie  ja  verstehen,  weil 
ich  Französisch  zu  langsam  und  schlecht  schreibe.  Die 
Judensache  nimmt  bei  dem  wachsenden  Umfang  der  Be- 
w^nng  meine  Kräfte  ohnehin  sehr  in  Anspruch. 

Hier  kurz  und  in  streagstem  Vertrauen  die  Tatsachen. 
Ich  war  in  Konstantinopel  und  habe  da  Resultate  erzielt, 
die  mich  eigentlich  selbst  überraschten.  Der  Sultan  nahm 
meinen  Plan:  Palästina  den  Juden I  zur  Kenntnis,  und 
wenn  er  sich  auch  gegen  die  Idee  eines  einfachen  Vei^ 
kaufes  sträubt,  so  zeichnete  er  mich  doch  auf  verschiedene 
Weise  aus  und  ließ  mich  wissen,  daß  die  Sache  gemacht 
werden  könne,  wenn  eine  passende  Form  gefunden  wird. 
II  s'agit  de  aaaver  lea  apparences.  Aus  der  Umgebung  des 
Sultans  wurde  folgender  Vorschlag  gemacht:  der  Sultan 
könnte  die  Juden  feierlich  auffordern,  in  ihr  historisches 
Vaterland  zurückzukehren,  sich  dort  als  Vasallen  des  tür- 
kischen Reiches  autonom  zu  etablieren  und  ihm  dafür 
einen  Tribut  zu  entrichten  (auf  den  er  dann  ein  Aidehen 
aufnehmen  könnte). 

Mit  diesem  Ergebnis  reiste  ich  nach  London,  wo  mir 
Sir  S.  Montagu  und  andere  ihren  Anschluß  versprachen 
unter  drei  Bedingungen:  i.  die  Zustimmung  der  Mächte, 
3.  der  Beitritt  des  Hirschfonds,  3.  der  Beitritt  Edmund 
Rothschilds. 

Die  erste  Bedingung  hoffe  ich  erfüllen  zu  können,  da 

5d4 


dbyGoogle 


mir  bereits  zwei  regierende  Fürsten  ihre  Hilfe  in  Aus- 
sicht f^stellt  haben.  Ich  ging  also  nach  Paris  und  sprach 
mit  Edmund  Rothschild,  Ihm  sowie  den  anderen  Herren 
sagte  ich  deutlich,  um  was  es  sich  handle.  Ich  erbat  seinen 
bedingungsweisen  Eintritt  in  die  Sache:  d.  h.  er  solle 
sich  daran  erst  beteiligen,  wenn  sie  fix  und  fertig  sei. 
Er  brauche  sich  nicht  zu  exponieren,  ich  würde  schon 
alles  mit  dem  Sultan  und  den  anderen  Regierungen  in 
Ordnung  bringen.  Sobald  es  aber  zur  Ausführungkomme, 
möge  er  mit  Montagu  und  den  anderen  die  Sache  von 
mir  übernehmen.  Damit  nun  auch  nicht  der  Schatten 
eines  Verdachtes  auf  mir  ruhen  kQnne,  daß  ich  diese 
Einigung  aller  unserer  Kräfte  nur  zu  dem  Zwecke  wolle, 
um  die  Führung  an  mich  zu  reißen,  machte  ich  mich 
anheischig,  völlig  zurückzutreten,  sobald  dieses  Aktions- 
komitee sich  gebildet  hat.  Gegen  das  Ehrenwort  der  Her- 
ren, mein  Ziel  zum  ihrigen  zu  machen,  wollte  ich  mein 
Ehrenwort  geben,  fortab  mich  in  nichts  mehr  zu  mischen. 
Sie  könnten  dann  die  Bewegung  nach  ihrem bestenWissen 
und  Gewissen  leiten,  da  ich  zu  den  bisherigen  Zionsfreun- 
den  Vertrauen  hfitte.  Sie  könnten  insbesondere  im  stillen 
arbeiten,  der  Öffentlichkeit  immer  nur  so  viel  mitteilen 
als  nötig  wfire,  kurz,  die  große  Bewegung  vernünftig  or- 
ganisieren und  kanalisieren. 

Ich  glaube,  daß  es  ein  anständiger  Vorschlag  war,  der 
von  meinem  guten  Willen  und  meiner  absoluten  Selbst-  - 
losigkeit  zeugte,  und  daß  ich  damit  keine  unmäßige  For- 
derung stellte. 

Leider  wollte  oder  konnte  Edmund  R.  mich  nicht  ver- 
stehen. Er  antwortete,  daß  er,  selbst  wenn  alle  diploma- 
tischen Voraussetzungen  richtig  wären  und  wenn  wir 
Palfistina  bekämen,  die  Sache  für  unausführbar  halte, 
weil  die  Massen  der  armen  Juden  in  einem  unbändigen 

5o5 


dbyGoogle 


Schwärm  nach  Palfistioa  gingen,  und  man  sie  dort  nicht 
beschftftigen  und  nicht  verköstigen  könnte. 

Sie  haben  meine  Schrift  Qher  den  Judenstaat  gelesen. 
Sie  wissen,  mit  wieviel  —  sogar  überflüssigen  —  Details 
ich  die  der  Wanderung  vorhergehende  Organisierung  der 
Massen  beschrieb.  Man  kann  meine  Detailvorschlfige  ver- 
werfen: das  Prinzip,  daß  man  die  Emigranten  bei  der 
Abreise  und  nicht  erst  bei  der  Ankunft  zu  organisieren 
hat,  ist  jedenfalls  durchführbar.  Ohne  CffdentUche  Pa- 
piere —  Paß  usw.  —  wird  niemand  aufgenommen.  Das 
sind  einfache  Regierungsprobleme  und  bereiten  keine 
größere  Schwierigkeit  als  andere  Aufgaben  eines  Staates. 

Ist  das  also  ein  sachliches  Bedenken  E.  R's,  so  müßte 
man  ihm  doch  mit  Vernunftgründen  beikommen  können, 
und  ich  bitte  Sie,  ich  darf  wohl  sagen:  im  Namen  unserer 
unglücklichen  Brüder,  Ihr  ganzes  Talent  und  Ihre  aner- 
kannte Autorität  in  den  Dienst  dieser  Sache  su  stellen. 

Ich  trete  gleichzeitig  den  praktischen  Beweis  für  die 
Organisierbarkeit  unserer  Massen  an,  indem  ich  meinen 
Freunden  in  allen  Ländern  empfehle,  die  Kader  für  den 
Fall  der  Wanderung  aufzustellen.  Ich  glaube,  in  wenigen 
Monaten,  etwa  bis  zum  Frühjahr,  werden  die  National- 
juden in  allen  Landern  stramm  organisiert  sein. 

Die  Bewegung  wird  fortgesetzt,  und  sie  wird  stürinisch 
wachsen,  darüber  soll  sich  niemand  täuschen.  Trotz  der 
Bitternisse  und  Schwierigkeiten,  die  man  mir  bereitet, 
führe  ich  diese  Bewegung  als  ein  besonnener  Mann,  dw 
sich  in  jedem  Augenblick  der  ungeheuren  Verantwortung 
bewußt  ist.  Ich  reize  die  Massen  gewiß  nicht  auf;  aber 
kann  ich  tumulluarische  MißverstSndnisse  verhiodem, 
wenn  es  vorkommen  kann,  daß  ganze  Kapitel  meiner  Aus- 
einandersetzungen übersehen  werden? 

Das  Unglück,   das   Edmund    Rothschild    verhindern 

5o6 


dbyGoogle 


möchte,  richtet  er  durch  seine  Weigerung  erst  an.  Hio- 
lukommt  das  Unberechenbare,  wie  die  Vdlker,  UDter  denen 
wir  serstreut  leben,  diese  Bewegung  aufnehmen  werden, 
wenn  wir  sie  durch  öffentliche  Agitation  betreiben  mü»- 
sen,  statt  sie  von  oben  herab  in  aller  Stille  und  Ordnung 
XU  dirigieren. 

Meinen  guten  Willen  habe  ich  gezeigt;  keine  Mühe  und 
kein  persönliches  Opfer  habe  ich  gescheut.  Mein  Ge- 
wissen ist  ruhig.  Man  möge  doch  verstehen,  welchen 
StiuTQ  des  Unwillens  es  bei  den  armen  Juden  und  bei 
alten  NichtJuden  erregen  wird,  wenn  eines  Tages  bekannt 
wird,  daß  ich  in  meiner  Rettungsaktion  von  denen  im 
Stich  gelassen  wurde,  die  mithelfen  konnten  und  mußten. 
Ich  bin  ein  Gegner  des  Hauses  Rothschild,  weil  ich  es 
für  ein  Nationtdunglück  der  Juden  halte.  Der  einzige, 
der  diu*ch  sein  bisheriges  Verhalten  Sympathien  erregte, 
Edmund  Rothschild,  den  ich  für  einen  braven,  guten 
Juden  hielt,  ja  noch  immer  halte,  sollte  sich  weigern, 
zur  nationalen  Erlösung  beizutragen?  Und  es  ist  keiner- 
lei materielles  Opfer,  das  man  von  ihm  verlangt.  Er  soll 
keinen  Centime  hergeben,  keinen  Schritt  tun,  sich  nicht 
exponieren.  Er  hat  nur  die  fertiggemachte  Sache  zu  ak- 
zeptieren —  bis  sie  diplomatisch  fertig  ist,  bleibt  er  in 
vollkommen  gedeckter  Stellung.  Wenn  er  darauf  nicht  - 
eingeht  —  er,  von  dem  der  Eintritt  der  Londoner  und  des 
Hirschfonds,  also  das  Ganze  abhSngt,  so  wird  ein  Schrei 
des  Zornes  durch  die  Welt  gehen.  Es  mag  ihm  ungerecht 
scheinen,  daß  er  durch  seine  philanthropischen  Versuche 
in  PalSatina  jetzt  vor  eine  solche  EventualitSt  gestellt  ist. 
Ja,  es  war  eben  kein  Spiel,  kein  Zeitvertreib,  sondern 
eine  furchtbar  ernste  Sache,  in  die  er  mit  seiner  PalSstina- 
Kolonisierung  eingetreten  ist. 

ErklSren  Sie  es  ihm,  ich  bitte  Sie.  Ich  war  vielleicht 

5o7 


dbyGoogle 


SU  ungeschickt  oder  ungeduldig.  Aber  die  Sache  darf 
nicht  unter  meinen  Fehlern  leiden. 

Ihr  Amt  und  Ihre  Liebe  zur  Sache  machen  es  Ihnen 
Eur  Pflicht,  nach  Ihrer  besten  Kraft  mitzuwirken.  Ver- 
hindern Sie  es  insbesondere,  daß  Edmund  Rothschild 
sich  eine  falsche  Vorstellung  von  meinen  Absichten 
mache.  Überzeugen  Sie  ihn  davon,  daß  ich  das  Gute, 
Rechte  will. 

Es  liegt  jetzt  die  offizielle  Konstatierung  vor,  daß  die 
türkischen  Rehörden  weder  die  ansässigen  jüdischen  Ko- 
lonisten ausgewiesen  noch  die  Neuangekommenen  zurück- 
gewiesen haben.  Der  Wiener  türkische  Rotschafter 
schreibt:  „Vous  pouvez  ddmentir  caligoriquement  cetle 
nouvelle  invent^  dans  un  but  Evident  de  malveillance." 

Ich  telegraphierte  da»  Edmund  R.  Zugleich  erfuhr  ich 
etwas  geradezu  Monströses  aus  dem  Palast  zu  Konstant 
tinopel,  wo  ich  ergebene  Freunde  habe:  daß  nämlich  von 
jüdischer  Seite  gegen  mich  intrigiert  wird.  Es  klingt  so 
ungeheuerlich,  daß  ich  es  kaum  glauben  kann.  Man  hat 
vielleicht  in  Yildiz-Kiosk  die  hSmische  hingeworfene  Be- 
merkung irgendeines  Juden,  der  vor  mir  nicht  so  viel 
Respekt  bat,  wie  es  sich  nach  der  Ansicht  der  Türken  ge- 
bührt, zu  tragisch  genommen.  Aber  durch  solche  Hand- 
lungen —  ob  sie  nun  aus  Leichtfertigkeit  oder  Böswilleo 
begangen  werden  —  kann  man  eine  gar  schwere  Verant- 
wortung auf  sich  laden.  Und  es  wird  Zeit,  daß  wir  die 
Verantwortungen  gut  sondern  und  feststellen. 

Die  nationaljüdische  Bewegung  ist  so  ernst,  nein,  viel 
ernster  als  der  Antisemitismus.  Man  möge  es  beizeiten 
verstehen. 

Risher  waren  die  mittellosen  Juden  der  Ambos,  und 
die  Antisemiten  der  Hammer.  Wehe  denen,  die  zwischen 
Hammer  und  Ambos  geraten  I 

5o8 


dbyGoogle 


Wenn  Sie  mir  gleich  antworten,  trifft  mich  Ihr  Brief 
noch  hier.   Vom  3.  August  an  bin  ich  wieder  in  Wien, 
Adresse:  Neue  Freie  Presse. 

In  herzlicher  Verehrung 
Ihr 

Th.  Heral. 
Abgeschickt  am  37.  VII. 

«     *    * 

Briefe  am  37.  Juli  an: 

Q.  >  Sofia  (Organisierung  im  Hinblick  auf  E.  R'b 

Einwand). 

B.  Lazare,  Paris  (Besorgung  d.  franz.  Ausgabe  unter 
Verzicht  auf  meine  Auslagen  für  Übersetzung). 

J.  de  Haas,  London  (Organisierung  mit  Rabinowicz, 
Ish-Kisbor). 

Schnirer,  Wien  (Einladung  Kokesch  Mintz  zur  Orga- 
nisierungs-Besprechung) . 

All  das  mit  Erw&hnung  der  Weigerung  E.  R's. 

Hecbler,  Wien  (mein  Besuch  angekündigt). 

Klatschko,  Wien  (russische  Broschüren). 

30.  Jati,  Au««ee. 

Hechler  telegraphiert  aus  Tegernsee : 

„Bin  in  Tegernsee,  Villa  Fischer,  habe  Vorträge  ge- 
halten im  Schloß  und  hei  hohen  Herrschaften.  Alles  be- 
geistert. 

Können  Sie  sogleich  kommen,  um  vorzustellen?  Ich 
will  etwa  Samstag  fortreisen.   Womöglich. 

Hechler." 

Ich  antworte  ihm,  daß  es  mir  schwer  möglich  sei,  da 
ich  nSchster  Tage  nach  Wien  müsse.  Jedenfalls  möchte 

Sog 


dbyGoogle 


ich  zuoSchst  wissen,  wem  er  Vortrag  gebalten,  und  wer 
mich  sehen  wolle. 
Wenn  es  Kaiserin  Elisabeth  ist,  reise  ich  hin. 


Brief  an  den  Großherzog  von  Baden : 

Aussee,  i.  August  96. 
Ew.  Königliche  Hoheit  I 

Aus  Frankreich  wollte  ich  nicht  schreiben,  weil  die 
dortige  Post  im  Verdacht  steht,  neugierig  zu  sein,  imd 
ein  Brief  an  einen  deutschen  Souverän  gewiß  Aufmerk- 
samkeit erregt  bfitte.  Dann  war  ich  einige  Zeit  unruhig 
unterwegs.  So  kann  ich  erst  jetzt  der  gütigen  Aufforde- 
rung entsprechen,  meinen  Bericht  über  die  Judensacbe 
schriftlich  zu  erstatten. 

Ich  war  in  Konstantinopel  und  habe  dort  das  Terrain 
sondiert.  S.  M.  der  Sultan  nahm  meinen  Vorschlag  zur 
Kenntnis,  und  wenn  er  sich  auch  auf  das  bestimmteste 
gegen  die  Überlassung  Palfistinas  als  eines  unabhSngigen 
Staates  an  die  Juden  aussprach,  so  entmutigte  er  mich 
doch  nicht  volbtändig.  Ja,  er  zeichnete  mich  sogar  auf 
verschiedene  Weise  aus,  und  es  wurde  mir  indirekt  an- 
gedeutet, daß  die  Sache  sich  vielleicht  machen  ließe,  wenn 
die  richtige  Form  gefunden  würde.  Aus  der  Umgebung 
des  Sultans  wurde  nun  der  Gedanke  lanciert,  den  Juden 
die  Errichtung  eines  Vasallenstaates  in  PalSstina  zu  ge- 
statten. Ihre  Einwanderung  sollte  durch  Gewährung  der 
Autonomie  begünstigt  werden,  und  sie  hätten  einen  jähr- 
lichen Tribut  an  den  Suzerän  zu  zahlen. 

Als  ich  in  Karlsruhe  die  Ehre  hatte,  die  Sache  vorzu- 
tragen, sprachen  Ew.  Königliche  Hoheit  sich  ja  auch  für 
eine  allmähliche  Einwanderung  in  Palästina  aus. 


dbyGooglc 


Mit  den  Ergebnissen  von  Konstantinopel  reiste  ich  nach 
London.  Unsere  dortigen  Finanzleute  sind  bereit,  diese 
Form  der  Staalsbildung  für  die  Juden  durchzuführen; 
doch  stellen  sie  Bedingungen:  Zunächst  die  selbstver- 
stSndliche,  daß  die  MScbte  das  Ganze  gutheißen. 

Dann  den  Beitritt  EÄlmund  Rothschilds  in  Paris. 

Mit  diesem  EÄimund  Rothschild  habe  ich  gesprochen. 
Er  fürchtet  sich.  Er  glaubt,  daß  wir  die  armen  Leute, 
die  hinwandem  sollen,  nicht  organisieren,  nicht  beschaf- 
tigen  und  nicht  verköstigen  könnten.  Das  sind  aber  lauter 
Regierungsprobleme,  nicht  schwerer  und  nicht  leichter 
als  andere  Aufgaben  des  Staates. 

Ich  will  hier  nicht  wiederholen,  was  ich  ihm  alles  er- 
klärte. Genug,  er  versteht  es  nicht.  Es  wäre  nun  wirklich 
ein  Jammer,  wenn  die  Entwicklung  dieses  ernsten,  großen, 
menschenfreundlichen  Planes  durch  den  Widerstand  eines 
einsigen  Menschen  von  ungenügender  Intelligenz  aufge- 
halten werden  sollte.  Kann  das  Gottes  Wille  sein? 

So  liegt  die  Sache  augenblicklich.  Ein  Ausweg  aus  den 
jetzigen  Schwierigkeiten  wSre  es,  den  Hergang  zu  ver- 
öffentlichen und  durch  eine  Agitation  den  Willen  des 
Widerstrebenden  zu  beugen.  Aber  ich  möchte  die  Be- 
wegung nicht  demagogisch  betreiben. 

In  guter  Ordnung,  wie  ich  es  meine,  kann  der  allmäh- 
liche Abzug  der  Juden  nur  von  oben  hepab  geleitet  wer- 
den. Darum  verharre  ich  in  der  Hoffnung,  daß  die  wirk- 
lich hochgesinnten  Fürsten  Europas  der  Sache  ihren  gnä- 
digen Schutz  werden  angedeiben  lassen.  Dann  könnten 
wir  über  die  Weigerung  einzelner  Geldjuden  leicht  hin- 
weggehen. 

Es  wSre  von  unschätzbarem  Werte  für  den  weiteren 
Gang,  wenn  Seine  Majestät  der  Deutsche  Kaiser  sich  von 
mir  den  Plan  vortragen  ließe. 

Sil 


dbyGoogle 


Einiges  ist  schon  zu  dem  Zwecke  eingeleitet,  dsfi  Se. 
MajestSt  der  Kaiser  von  Rußland  mich  empfangen  mOge. 

Ew.  Königliche  Hoheit  waren  der  erste  regierende  Herr, 
welcher  sich  für  diese  Bewegung  großmütig  interessierte, 
und  ich  werde  die  königlich  schlichten  Worte  dieser  Teil- 
nahme nie  vergessen.  An  die  Gnade  jener  Unterredung 
wage  ich  anzuknüpfen,  wenn  ich  jetzt  Eure  Königliche 
Hoheit- geradezu  bitte,  Se.  MajestSt,  den  Deutschen  Kai- 
ser zu  veranlassen,  daß  er  mich  höre. 

Im  Keim  existiert  heute  diese  Lösung  der  alten  Juden- 
frage schon.  Viele  Menschen,  Christen  wie  Juden,  wür- 
den aufatmen.  Eine  soziale  Schwierigkeit  ernster  Art 
könnte  behohen  werden.  Es  wäre  eine  segensreiche  und 
ruhmvolle  Tat,  die  hinauswirken  müßte  bis  in  spSte 
Zeiten. 

Aber  wenn  wir  keine  Hilfe  finden,  wird  der  Keim  viel- 
leicht verderben. 

Ich  verbleibe 

Eurer  Königlichen  Hoheit 
ehrfurchtvoU  und  dankbar  ergebener 

Dr.  Theodor  Herzl. 

(Adresse:  Reichenau  bei  Payeiiiach,  Nied.-Ost.,  Thal- 
hof). 

''■^--  ~  1.  Aaguat,  Aüsaee. 

Hechler  telegraphiert  aus  Tegernsee:  „Heute  fünfter 
und  letzter  Vortrag.  Heute  oder  morgen  früh  reise  ich 
ab.   Hechler." 

Das  heißt  also,  daß  die  hohen  Herrschaften,  von  denen 
seine  erste  Depesche  sprach,  eine  direkte  Einladung  nicht 
an  mich  ergehen  lassen. 

5ia 


dbyGooglc 


Oder  wollte  er  mich  nur  aufs  Unbestimmte  hin  kommen 
lassen?  Jedenfalls  tat  ich  gut,  mich  nicht  gleich  in  Be- 
wegung 2u  setzen. 

i.  Augast. 

Die  Wirkung  meiner  Bewegung  zeigt  sich  zunSchst  in 
Bettelbriefen. 

1.  Aagast. 

Von  Wolffsohn  in  Köln  kam  anfangs  Juli  ein  Brief, 
den  ich  erst  hier  erhielt.  Auf  dem  Berliner  Zionistentag 
war  heftige  Opposition  gegen  mich.  Wolffsohn  war  der 
einzige,  der  zu  mir  hielt  und  es  mit  Mühe  verhinderte,  daß 
die  Zionisten  gegen  mich  offen  Stellung  nahmen.  Den- 
noch waren  Hildesheimer  und  Bambus  bereit,  mit  mir 
in  Köln  zusammenzukommen,  was  ich  also  versSumte. 

Ich  antworte  Wolffsohn,  daß  mich  Anfeindungen  sei- 
tens der  Zionisten  veranlassen  könnten,  die  ganze  Sache 
wegzuwerfen.  Ich  teile  ihm  Edmund  Rothschilds  Wei- 
gerung mit,  und  daß  eine  Organisation  nötig  werde,  in 
der  auch  ihm  eine  Aufgabe  zufalle.  Ferner  sei  ich  bereit, 
mit  den  Berliner  Zionisten  zusammenzukommen.  Wir 
würden  demnächst  in  Wien  eine  Konferenz  abhalten,  in 
der  die  Einberufung  eines  allgemeinen  Zionistentages  be- 
raten werden  soll. 

1.  August. 

Von  Zadok  Kahn  aus  Weggis  ein  guter  Brief.  Er  pro* 
poniert  eine  geheime  Beratung  der  Vertreter  aller  größ- 
ten Judengemeinden,  da  kein  Einzelner  befugt  sei,  eine 
Sache  von  so  unermeßlicher  Wichtigkeit  allein  ins  Rollen 
zu  bringen.  Es  solle  also  eine  kontradiktorische  Debatte 
stattfinden.  Im  übrigen  wolle  er  gleich  nach  seiner  Rück- 
kehr nach  Paris  (so.  bis  aS.  August)  in  ernster  Weise 
reden  „avec  qui  de  droit"  —  also  Edmund  Rothschild? 
—  doch  scheint  er  davon  nicht  viel  zu  erwarten. 

33     Henli  TasebOaber  I.  5 1 3 


dbyGoogle 


Ich  nehme  den  Vorschlag  der  geheimen  Konferenz  an, 
weil  ich  glaube,  bis  dahin  weitere  diplcnnatische  Erfolge 
erzieh  zu  haben,  und  dann  werde  ich  schon  diese  kontra- 
diktorische Versammlung  zu  einer  Aktion  aufraffen. 

3.  Aagast,  Au»see. 

Brief  an  Zadok  Kahn : 

Ew.  EhrwOrdenl 

Ihren  Vorschlag,  eine  vertrauliche  Konferenz  der  Ver^ 
treter  aller  großen  Judengemeinden  einzuberufen,  akzep- 
tiere ich,  wenn  Sie  der  Einberuf  er  sind  und  die  Sache  von 
vornherein  einen  praktischen  Charakter  hat.  Auf  rein 
akademische  Diskussion  lasse  ich  mich  nicht  mehr  ein. 
Damit  ist  nicht  gesagt,  daß  ich  Verbesserungen  meiner 
Idee,  Ratschläge,  EinschrSnkungen  usw.  ablehne.  Wenn 
ich  bereit  bin,  zu  dieser  Konferenz  zu  kommen,  so  ge- 
schieht es  vielmehr,  weil  ich  zum  soundsovielten  Male 
beweisen  will,  daß  ich  kein  blindwütiger  Agitator  bin, 
sondern  besonnen  und  im  Einvernehmen  mit  unseren  ru- 
higsten und  besten  Mfinnem  vorgehen  möchte.  Meine 
heute  im  Prinzip  gegebene  Zusage  wird  definitiv,  sobald 
ich  die  Tagesordnung  der  Konferenz  und  die  Liste  der 
Mitglieder  kenne. 

Natürlich  werde  ich  meine  Aktion  in  Erwartung  dieser 
Beratung  nicht  unterbrechen.  Ich  marschiere,  wie  Sie 
schon  gesehen  haben,  rasch;  und  wenn  Sie  die  Beratung 
lange  verzögern,  kommt  sie  vielleicht  nach  der  Tat.  Sie 
können  also  schon  von  Weggis  aus  das  nötige  einleiten. 

Für  den  sympathischen  Ton  Ihres  Briefes  danke  ich 
Ihnen  und  bleibe  in  herzlicher  Verehrung 
Ihr  ergebener 

Th.  Herzl. 

Si4 


dbyGooglc 


2.  August,  Aussee. 

An  Nordau  geschrieben,  er  mSge  die  französische  Aus- 
gabe besorgen,  da  ich  sie  für  den  russischen  Hof  und 
für  Rom  dringend  brauche. 

Was  ich  nicht  selbst  mache,  geschieht  nicht. 

S.  Whitman  schreibt  aus  Konstantinopel,  er  werde  in 
drei  Wochen  nach  Wien  kommen  und  daua  nochmals 
zu  Bismarck  fahren. 

3.  Aagust,  im  Coupi  untertoegg  nach  Wien. 

Eine  während  meiner  Reise  nach  England  eingetroffene 
Zuschrift  des  Arabienreisenden  Dr.  Glaser  las  ich  erst 
jetzt.  Es  ist  ein  Memorandum  aus  dem  Jahre  1890,  ge- 
richtet an  den  Baron  Hirsch.  Es  ist  in  unterwürfig  be- 
geistertem Ton  gehalten  und  gipfelt  in  dem  Rufe:  Es 
lebe  der  König  von  Israel  —  und  nach  dem  vorhergehen- 
den Satz  ist  kein  Zweifel,  dafi  „Moritz  Freiherr  von 
Hirsch"  als  König  von  Israel  gedacht  ist. 

Aber  der  Inhalt  des  Memorandums  ist  vorzüglich  ge- 
dacht. Dieser  Glaser  ist  ein  Mann,  den  man  sich  merken 
muß.  Jedenfalls  besitzt  er  eine  bedeutende  Kenntnis  des 
Orients,  und  vielleicht  hat  er  sogar  militfirische  Organi- 
sationsgaben. Da  ich  für  den  unverlSßlichen  Goldsmid 
möglicherweise  einen  Ersatz  brauchen  werde,  ist  Glaser 
zu  pflegen. 

Er  macht  allerdings  den  unm^lichen  Vorschlag,  das 
südliche  Arabien  als  Territorium  für  den  jüdischen  Staat 
zu  wählen;  aber  die  Art,  wie  er  diesen  Kolonisations- 
gedanken motiviert,  ist  ausgezeichnet. 

Ich  will  ihm  noch  heute  oder  morgen  von  Wien  aus 
schreiben,  daß  ich  ihn  als  eine  vielversprechende  Kraft 
in  unseren  Reihen  willkommen  heiße. 


dbyGoogle 


Der  Verfasser  eines  Geheimmittetbuches  für  Ge- 
schlechtskranke, Dr.  L.  Ernst,  bat  eine  possierliche 
Gegenschrift  gegen  meine  Broschüre  unter  dem  Titel: 
,JCein  Judenstaat  1"  verfaßt. 

Der  Verleger  Breitenstein  fragte  mich,  ob  ich  etwas 
dagegen  habe,  wenn  er  diese  drollige  Schrift  auch  in  sei- 
nem Verlag  erscheinen  lasse.  Ich  hatte  absolut  nichts 
dagegen. 

(Gleichzeitig  gab  mir  Breitenstein  die  Abrechnung  Qber 
die  Broschüre.  Es  kommen  ihm  noch  einige  Gulden  her- 
aus. Und  er  hSit  bei  der  vierten  Auflage  I) 

Die  Schrift  des  Ernst  habe  ich  nun  im  Coup6  gelesen, 
den  Bürstenabzug.  Einfältige  Wichtigtuerei,  Unwissen- 
heit, Borniertheit  auf  jeder  Seite. 

Keine  Autwort. 

3.  August,  Wien. 

Wieder  in  der  Redaktion. 

Kurzer,  kräftiger  Zusammenstoß  mit  Bacher.  Erfragte, 
ob  ich  nicht  ein  Feuilleton  über  Konstantinopel  schreiben 
werde. 

„Nein",  sagte  ich.  „In  Konatantinopel  hatte  ich  nur 
geschichtliche  Erlebnisse,  keine  feuilletonistischen." 

Er  lachte  dSmIich. 

„Sie  glauben  das  nicht?"  sagte  ich. 

„Nein,  das  glaube  ich  Ihnen  nicht",  gab  er  zurück. 

Und  ich  darauf  barsch :  „Sie  werden  schon  glauben  1" 

Dann  trennten  vtir  uns  ziemlich  gereizt. 


Nachmittags  bei  Newlinski. 

Er  hat  in  Karlsbad  noch  mit  König  Milan  über  meine 
Sache  gesprochen.  Milan  meint,  ich  übersähe  die  Schwie- 
rigkeiten,  die  Frankreich  machen    würde.     Frankreich 


5i6 


dbyGooglc 


will  sein  syrisches  Protektorat  und  ein  arabisches  Kaiser- 
reich haben.  (Kurios,  daß  das  mit  Glasers  Mitteilung 
lusammentrif f t. ) 

Newiinski  behauptet,  Milan  hätte  mein  Buch  von 
Dr.  Milicevic  schon  in  Paris  bekommen  und  darfiber  ein- 
gehend mit  französischen  Politikern  gesprochen. 

Newiinski  sprach  ferner  io  Karlsbad  nochmab  mit  dem 
Fürsten  Ferdinand,  der  sich  als  ein  Champion  meiner 
Idee  erklärt  haben  soll.  Ferdinand  meint  —  wie  Bismarck 
— ,  daß  die  Sache  von  Rom  aus  protegiert  werden  müsse. 

Newiinski  spann  daran  gleich  interessante  Phantasien. 
Eine  Rennfahrt  im  Oktober,  fünfzehn  Kardinäle  —  das 
ganze  Konklave  zu  gewinnen.  Der  Papst  würde  mich 
empfangen,  vielleicht  eine  Enzyklika  über  meinen  Plan 
veröffentlichen.  Die  katholische  Kirche  müßte  die  Sache 
unter  ihren  Weltschutz  nehmen.  Der  Sultan  würde  auch 
vom  Papst  eher  einen  Rat  annehmen  als  vom  Zar. 

Es  ist  auch  meine  Ansicht,  daß  wir  von  Rom  aus  ar- 
beiten müssen.  Ich  wollte  aber  Newiinski,  so  gut  ich  ihm 
auch  bin,  nicht  merken  lassen,  wie  sehr  mir  das  paßt. 
Denn  er  ist  ein  Klerikaler  und  dem  Papst  jedenfalls  er- 
gebener als  mir. 

Ich  muß  zurücklesen,  ob  ich  den  Zug  notiert  habe,  daß 
Newiinski  auf  unserer  Stambulfahrt  im  Coup6  wie  im 
Schlafsaloa  des  Hotel  Royal  vor  dem  Schlafengeben 
immer  sich  bekreuzigte.  Und  er  arbeitet,  wie  ich  glaube, 
ehrlich  für  die  Juden. 

Beweis,  daß  mein  Vorschlag  wirklich  die  lösende  Ver- 
söhnung von  Christen  und  Juden  ist. 


6,7 


dbyGoogle 


5.  Aagust,  Wien. 

Mit  Schnirer  über  die  Ergebnisse  meiner  Reisen  und 
die  Notwendigkeit  einer  Organisation  gesprochen. 

Die  Haltung  Edmund  Rothschilds  erklärt  er  sich  mit 
der  Tatsache,  daß  so  und  so  viele  Leute  ein  Interesse  an 
dem  Zwiespalt  zwischen  £.  R.  und  mir  haben.  Schnirer 
weiß,  daß  für  jeden  Hausbau  in  Palästina  zweilausend 
Frank  Bakschisch  angeblich  gezahlt  werden. 

Ich  erzählte  von  der  vermutlichen  Intrige  des  Roth- 
schildschen  Direktors  Scheid  gegen  mich  in  Yildii-Kiosk 
und  fragte,  was  Scheid  verdiene,  wenn  es  wahr  ist?  — 
Schnirer  sagte  entrüstet:  ,,Er  verdiente,  aufgeknüpft  zu 
werden." 

Die  jetzige  Organisation  der  Zionsvereine  läßt  alles  2U 
wünschen  übrig.  Der  Zionaverband  ist  ein  untaugliches 
Instrument  und  muß  umgebildet  werden.  Sie  haben  vor 
allem  kein  Geld.  Ich  kann  für  die  Agitation  auch  nicht 
mehr  hergeben,  da  ich  mich  schon  erschöpfe. 

Wir  kamen  überein,  daß  die  Zionsleitung  in  Wien 
regelmäßige  „Mitteilungen"  an  ihre  Mitglieder  versenden 
werde,  die  ihr  dafür  etwas  zahlen  sollen,  so  daß  der  Zions- 
verband  wenigstens  Drucksorten  bezahlen  könne. 

So  ärmlich  ist  der  gegenwärtige  Zustand  der  Ziooisten 
—  die  ich  wahrscheinlich  bald  und  hoch  hinauf  bringen 
werde,  und  die  dann  vergessen  dürften,  was  ich  suw^e 
gebracht  habe. 

7.  Augatt. 

Newiinski  schreibt  mir  aus  Ungarn,  er  habe  eben  einen 
Brief  von  Whitman  aus  Konstanlinopel  mit  einem  inter- 
essanten Detail  erhalten. 

Whitman  hat  in  Therapia  mit  dem  früheren  preußi- 
schen Kriegsminister  Verdy  du  Vernois  gefrühstückt. 
Dieser,  ein  großer  Orientkenner,  habe  sich  über  mein 

5i8 


dbyGoogle 


Palästinaprojekt  sehr  sympathisch  ge&dßert,  und  „glaube, 
es  wfire  ein  Segen  für  die  Türkei,  für  die  er  schwlrmt". 

„Veraois  meiot,  die  Sache  sei  so  groß  gedacht,  daß  es 
Zustandekommen  müsse  und  glaubt  an  Sie*)I...  Er 
ist  sehr  viel;  ich  wollte  es  Ihnen  mitteilen,  um  Sie  für 
die  Schmach  und  Enttäuschungen  zu  entschädigen,  die 
Ihnen  von  anderer  Seite  bereitet  werden.  Machen  Sie 
sich  nichts  daraus,  und  denken  Sie  an  meine  Worte:  Sie 
werden  gerade  unter  Ihren  Glaubensgenossen  auf  die 
niedrigsten  Intrigen,  auf  Dummheit,  Charakterlosigkeit 
und  Undankbarkeit  stoßen.  Gott  wird  Ihnen  aber  helfen! 
...Ich  auchl 

Mit  herzlichsten  Grüßen 

Ihr 

Newlinski," 

*}  „an  Heril"  (Fußnote  v.  Newlinskis  Brief). 


Ich  schreibe  den  charmanten  Brief  Newlinskis  zur  Er- 
innerung ein.  Wie  eine  Illustration  dazu  ist  es,  daß  Son- 
nenschein (Hofsekret&r  im  Eiseababnministerium)  mir 
eben  erzählt,  der  Londoner  Chief-Rahbi  Adler  hätte  zu 
David  Gutmann  gesagt :  „Dr.  Herzl  hat  in  London  Fiasko 
gemacht." 

Und  David  Gutmann  erzählte  das  vergnügt  weiter. 

Ich  schreibe  das  an  de  Haas  nach  London.  Meine  Leute 
im  Eastend  sollen  dem  Chief  rabbi  antworten. 

iO.  Auguit. 
De  Haas  schickt  Zeitungsausschnitte,  darunter  einen 
aus  dem  Daily  Chronicle,  worin  meine  Reise  nach  Lon- 
don mit  einer  türkischen  Anleihekonversion  in  Verbin- 
dung gebracht  wird.  Ich  lasse  das  nicht  einmal  dementie* 


5i9 


dbyGoogle 


ren.  Zugleich  erzShlt  mir  de  Haas,  in  London  sei  das 
Gerücht  verbreitet,  eine  Bankfinna  (Barclay,  Bevan  & 
Cie.)  hStte  mir  zwei  Mitlioneo  Pfund  Sterling  für  meine 
Unternehmung  lur  Verfügung  gestellt.  Auch  gegen  die- 
sen Unsinn  protestiere  ich  nicht,  weil  Märchen,  Witze, 
Karikaturen  die  Vehikel  der  Verbreitung  einer  Idee  sind. 


Newlinski  befühlte  mich  heute  mit  dem  Vorschlage,  ob 
wir  für  den  Fall  eines  „Non  possumus!"  der  Türkei  uns 
nicht  mit  einem  geringeren  Ferman  des.  Sultans  begnügen 
wollten,  worin  die  Juden  nur  cur  Kolonisierung  aufge- 
fordert werden. 

Ich  witterte  darin  seine  Lust,  mit  Edmund  Rothschild 
und  den  geldkriftig  vermuteten  Zionsvereinen  zu  gehen 
und  sagte:  ,,Wemi  wirklich  die  Unmöglichkeit  eintritt, 
eine  Staatsgrundlage  zu  bekcHnmen,  werde  ich  selbst  Sie 
mit  den  Zionisten  und  Edmund  Rothschild  in  Verbindung 
bringen  (damit  er  das  nicht  etwa  selbst  versuche),  aber 
ich  mache  Sie  aufmerksam,  daß  erstens  für  solche  Kolo- 
nisierung den  Vermittlern  wenig  Bakschisch  gegeben  wird, 
und  zweitens,  daß  ich  ein  prinzipieller  Gegner  dieserForm 
bin  und  es  nachher  heftig  bekämpfen  würde.  Behalten 
Sie  nur  Ihr  Vertrauen  zur  Sache.  Dana  cette  chose  il  faut 
oüoir  de  l'estomac,  comme  disent  les  joueurs." 

Hierauf  fragte  er  mich,  sichtlich  neugekrSftigt,  ob  er 
an  Kardinal  Rampolla  nach  Rom  schreiben  solle,  um 
die  Aktion  beim  Papst  einzuleiten. 

Natürlich  bin  ich  damit  sehr  einverstanden. 


In  Reichenau  sprach  ich  gestern  mit  Hörn,  dem  frühe- 
ren Chefredakteur  des  Journal  de  St.  Pfetersbourg.   Er 


dbyGoogle 


ist  der  Bruder  des  verstorbenen  ungarischea  Staatsaekre- 
tfirs  Ednard  Hörn,  den  ich  in  meiner  Knabenzeit  kannte. 
Er  war  dreißig  Jahre  lang  offiziöser  Journalist  in  Kuß- 
land und  kennt  die  VerhSltnisse  natürlich  gut.  Er  glaubt 
nicht,  daß  Rußland  Pal&stina  den  Juden  zulassen  werde. 
Es  bestehe  eine  „Gesellschaft  des  heiligen  Grabes"  unter 
dem  Vorsitz  des  Großfürsten  Sergius.  Auch  meint  er,  daß 
man  die  brauchbaren  Juden  nicht  werde  ziehen  lassen. 
Der  Antisemitismus  in  Rußland  sei  darauf  zurückzufüh- 
ren, daß  die  Stadtbürger  in  Rußland  höchstens  acht 
Millionen  zählen;  und  wenn  auf  diese  fünf  Millionen 
Juden  kommen  —  die  sich  auch  noch  auf  die  ge- 
lehrten Berufe  stürzen,  wegen  gewisser  Militärerleich- 
terungen —  so  sei  das  ein  unertriglicher  Zustand.  In 
die  Bauernschaften  wieder  lassen  sich  die  Juden  nicht 
eingliedern,  weil  in  der  russischen  Dorfgemeinde  die 
Allmende  besteht,  an  der  die  Juden  nicht  teilnehmen 
können. 

Er  war  übrigens  seit  sechs  Jahren  nicht  mehr  in  Ruß- 
land und  weiß  nicht  mehr,  wie  der  Wind  weht. 

Von  Ignatiew  sagt  er,  daß  dieser  als  Mimster  des  Inne- 
ren die  Judenverfolgungen  geradezu  ermuntert  habe. 

Pobedonossew  sei  ein  Fanatiker,  der  selbst  dem  Kaiser 
Trotz  biete  und  sich  mit  mir  schwerlich  einlassen  würde. 

i2.  Augatt,  Wien. 

Haas  meldet  aus  London,  ein  „Zelt"  der  Chovevi  Zion 
habe  sich  erboten,  zu  meinen  Gunsten  zu  „revoltieren"; 
ein  anderes  habe  mich  attackiert.  Die  Daily-Chronicle- 
Meldung,  daß  ich  für  den  Sultan  eine  finanzielle  Mis- 
sion gehabt  habe,  verstimme  die  Leute. 

Ich  telegraphiere  an  Haas: 

6ai 


dbyGoogle 


,4^ümmert  Euch  nicht  um  falsche  Zeitungsnachrichten. 
Sagen  Sie  Prag,  ich  wünsche  Zusammengehen  mit  Cho- 
vevi.  Henl." 


In  der  Allgemeinen  Israelitischen  Wochenschrift  vom 
17.  Juli  füllt  mich  ein  Dr.  Singer-Coblenz  giftig  an. 

.    13.  August,  Wien. 
Heute  beim  türkischen  Botschafter  M . . .  N . . .  gewesen. 
Er  sprach  eine  Stunde  ununterbrochen, ohne dasgeringste 
zu  sagen  —  aber  nicht  aus  rouerte,  sondern  aus  unsag- 
barer Kindlichkeit. 

Er  war  sehr  liebenswürdig  —  ohne  ju  verstehen.  Oder 
ist  er  unendlich  fein??? 

Interessant,  daß  Iizet  ihm  von  mir  geschrieben  hat. 

M...  N...  gab  mir  die  gewünschte  Erklärung,  die  er 
zuerst  an  Newiinski  adressiert  hatte :  daß  die  türkischen 
Behörden  die  jüdischen  Kolonisten  nicht  ausweisen.  Er 
bat  mich  aber,  seinen  heutigen  Brief  nicht  zu  veröffent- 
lichen. Ich  solle  nur  sagen:  „Comme  nout  apprenoat  de 
tource  eeriaine  —  oder  rambassadeur  turc  m'a  du  —  oder 
nous  sommei  en  mesure  d'affirmer"  —  kurz,  er  rechnete 
alle  Glichis  der  Agence  Havas  her. 

Worin  sich  wieder  einmal  meine  Definition  der  Diplo- 
maten bestätigt:  „Leute,  die  aus  unseren  Notizen  Noten 
machen." 

18.  August,  Aassee. 
■    De  Haas  gibt  schlechte  Nachrichten  aus  London.  Die 
Gegner  im  Chovevi  Zion  usw.  gewinnen  die  Oberhand. 

Meyerson  habe  aus  Paris  berichtet,  daß  ich  dort  Miß- 
erfolge hatte.   Auch  die  Aufnahme  bei  den  russisch-jü- 

5aa 


dbyGoogle 


dischen  Studenten  sei  ungünstig  gewesen.  Dagegen  bitte 
Hr.  Prag  sich  neuerlich  freundlich  zu  mir  gestellt. 

Ich  schreibe  de  Haas  einige  Komplimente  für  Mr.  Prag 
und  ermfichtige  ihn  gleichzeitig,  das  Dementi  des  türki- 
schen Botschafters  in  den  Blättern  zu  publizieren  —  nur 
den  Inhalt,  nicht  den  Wortlaut. 

i8.  Augutt,  Austee. 
Newiinski  telegraphiert  aus  Vasvar: 
„Habe  gute  Nachrichten  Rom." 
(Also  vom  Kardinal  Rampolla.) 

23.  August,  Baden. 

Mit  dem  Elektrotechniker  Kremenezky  lange  gespro- 
chen. Er  ist  ein  guter  Zionist  mit  modernen  Ideen.  Am 
sehr  salzhaltigen  Toten  Meer  ließen  sieb  große  chemische 
Industrien  errichten. 

Die  jetzigen  Süfiwasserzuflüsse  wSren  abzuleiten  und 
als  Trinkwasser  zu  verwenden.  Ersatz  der  Zuflüsse  aus 
den}  mittelländischen  Meer  durch  einen  Kanal,  der  teil- 
weise wegen  der  Gebirge  als  Tunnelkanal  geführt  werden 
müßte  (eine  Weltsehenswürdigkeit),  und  der  Niveau- 
unterschied der  beiden  Meere  wfire  (Wasserfall)  zur 
Treibung  von  Maschinen  zu  verwenden.  Viele  tausend 
Pferdekräfte. 

Auch  sonst  gibt  es  ia  Palästina  genug  elektrisch  ver- 
wendbare Wasserkraft. 

Wir  müssen  einen  nationalen  Baumverein  zur  Auffor- 
stung des  Landes  gründen.  Jeder  Jude  stiftet  einen  oder 
mehrere  Bäume.   Zehn  Millionen  Bäume  I 

Zur  Organisation  hatte  ich  im  Gespräch  einen  Einfall. 

Die  jungen  Doktoren  wollen  einen  Zionsverein  der  ab- 
solvierten Akademiker  gründen.  Ich  meine,  es  wird  noch 

533 


dbyGoogle 


besser  sein,  zionistische  Fachvereine  für  hüben  und  drü- 
ben zu  bilden:  Vereine  jüdischer  Juristen,  Ärzte,  Tech- 
niker, Elektriker,  Bauunternehmer,  Beamten,  Kaufleute 
(Handelskammern).  Diese  haben  schon  hier  ein  Gegen- 
seitigkeitsinteresse.  Dann  werden  ihnen  praktische  Fra- 
gen und  PUne  vorgelegt,  zur  Begutachtung,  Diskussion 
usw.  Wird  der  Plan  zur  Ausführung  gebracht,  so  hai>eQ 
wir  an  ihnen  P^pini^n  für  die  nötigen  MSnner. 

Diese  Fachvereine  sollen  sich  dem  Zionsverband  ein- 
gliedern, der  dadurch  aus  seinem  allgemein  beklagten 
Schlaf  geweckt  vnrd. 

35.  Aaguat,  Wien. 

Gestern  ließ  ich  durch  Colbert  5ü  Stück  Steyrermühl- 
Aktien  an  der  Börse  kaufen.  Es  ist  mein  erstes  Geschfift 
im  Leben.  Ich  bin  dazu  gezwungen  durch  das  gemein- 
schmXhltche  Verhatten  der  Wiener  Presse,  die  meine  Idee 
verschweigt.  Ich  muß  trachten,  Einfluß  auf  eine  Zeitung 
zu  bekommen.  Diesen  Einfluß  kann  ich  nur  als  Mit- 
besitzer von  Aktien  haben.  Jeder  andere  Versuch,  zur 
publizistischen  Macht  zu  gelangen,  würde  an  den  hiesigen 
Preßverhfiltnissen  scheitern,  und  ich  würde  mich  daran 
verbluten. 

So  habe  ich  als  locus  minoris  resistentiae  das  Steyrer 
Tagblatt  gewShlt,  das  ich  durch  allmähliche  AktienkSufe 
in  meine  Gewalt  bringen  will.  Resp.  soll  aus  der  Steyrer- 
mühl  ein  neues  Blatt  hervorgehen,  das  ich  red^ere. 

Ich  setze  daran  mein  Vermögen  und  das  meiner  Eltern. 
Dessauer  verspricht  mir  die  Lombardierung  meiner  Aktien 
in  großem  Maßstab. 

25.  Aagust.  Wien. 

Ich  besitze  i5o  Steyrermühl-Aklien. 


5a4 


dbyGooglc 


Newiinski  ist  aus  Ungarn  zurückgekehrt  und  machte 
mir  heute  folgende  Mitteilungen : 

Die  Türken  haben  finanziell  das  Messer  an  der  Kehle. 
Izzet  Bey  hat  ihm  geschrieben,  er  wSre  bereit,  dem  Sultan 
den  modifizierten  Plan  vorzulegen,  wenn  die  Sache  ganz 
ernst  sei.  Denn  es  kOnne  ihn  den  Kopf  kosten,  wenn 
nachher  nichts  daraus  würde.  Newiinski  fordert  mich 
abo  auf,  die  Proposition  endgültig  zu  formulieren. 

Das  tue  ich  in  der  folgenden  Weise,  wobei  für  Itzel 
(und  für  mich)  noch  immer  die  Möglichkeit  bleibt,  den 
Kopf  aus  der  Schlinge  zu  ziehen.  Ich  stelle  eidige  vage 
Bedingungen,  bei  deren  Diskussion  sich  auch  „ernste" 
Anträge  zerschlagen  können.  Während  der  Unterhand- 
lungen mit  dem  Sultan  werde  ich  auch  die  Londoner  und 
Pariser  Juden  bändigen.  Übrigens  beruhen  meine  Vor- 
.  schlage  vollkoDunen  auf  den  allerdings  vagen  Abmachun- 
gen mit  Mont^u,  Landau  usw.  Entwurf,  den  Newiinski 
bearbeitet  dem  Sultan  vorlegen  will : 

Die  Gruppe  will  Sr.  Majestät  ein  echeloniertes  An- 
lehen  von  30  Millionen  Pfund  Sterling  zur  Verfügung 
stellen.  Dieses  Anlehen  ist  zu  fundieren  auf  den  Tribut, 
welchen  die  in  Palästina  autonom  angesiedelten  Juden 
alljährlich  Sr.  Majestät  zu  zahlen  haben.  Der  von  der 
Gruppe  garantierte  Tribut  beträgt  im  ersten  Jahre  ein- 
hunderttausend Pfund  Sterling  und  steigt  bis  zu  jährlich 
einer  Million  Pfund.  Das  allmähliche  Ansteigen  des  Tri- 
buts wird  mit  der  allmählichen  Einwanderung  der  Ju- 
den in  Palästina  in  Korrelation  gebracht,  und  die  nähe- 
ren Modalitäten  sind  in  den  mündlich  in  Konstantinopel 
zu  pflegenden  Verhandtungen  im  einzelnen  zu  bestim- 
men. 

Hierfür  hätte  Se.  Majestät  gnädigst  folgendes  zu  ge- 
währen : 

535 


dbyGooglc 


Die  nicht  nur  vollkommeo  freie,  sondern  von  der  kai- 
serlich türkischen  Aegierung  auf  jede  Weise  su  begün- 
stigeade  Einwanderung  von  Juden  in  Palästina.  Die  ein- 
gewanderten Juden  erhalten  eine  völkerrechtlich  garan- 
tierte Autonomie  in  der  Verfassung,  Verwaltung  und 
Rechtspflege  des  ihnen  überwiesenen  Territoriums.  (Pa- 
lästina als  Vasallenstaat.) 

Es  wird  in  den  Konstantinopler  Verhandlungen  des 
näheren  festzustellen  sein,  in  welcher  Weise  der  ober- 
herrliche  Schutz  Sr.  Majestät  des  Sultans  im  jüdischen 
Palästina  ausgeübt  und  die  Aufrechterhaltung  der  inne- 
ren Ordnung  durch  eine  eigene  Schutztruppe  von  den 
Juden  seihst  besorgt  werden  soll. 

Die  Abmachung  kann  in  folgende  Form  gebracht  wer- 
den: Se.  Majestät  erläßt  eine  allergnfidigste,  gesetskräf- 
tige  und  den  Mächten  vorher  mitgeteilte  Einladung  an 
die  Juden  der  ganzen  Welt,  nach  dran  Lande  ihrer  Väter 
zurückzukehren . 

Selbstverständlich  soll  diese  Einladung  erst  erfolgen, 
nachdem  in  einem  Präliminarabkommen  alle  einzelnen 
Punkte  fixiert  worden  sind. 


Brief  an  Montagu : 

Mein  lieber  Sir  Samuel  I 

Aus  Konstantinopel  erhalte  ich  eine  sensationelle  und 
entscheidende  Mitteilung:  man  ist  dort  geneigt,  mit  uns 
sofort  auf  der  Basis  in  Verhandlung  zu  treten,  die  ich 
Ihnen  schon  in  London  angab.  Für  ein  echeloniertes 
Anlehen  von  zwanzig  Millionen  Pfund  Sterling,  das  auf 
mehrere  Jahre  zu  verteilen  wäre,  würde  der  Sultan  unter 
vorheriger  Verständigung  der  Mächte  die  Juden  der  gan- 
zen Welt  auffordern,  in  das  Land  ihrer  Väter  zurück- 

5a6 


dbyGoogle 


xokehren,  wo  sie  Autonomie  haben  und  ihm  einen  jShr- 
Uchen  Tribut  zahlen  sollen.  Auf  den  Tribut  wSre  da» 
Anlehen  zu  fundieren. 

Die  Geldnot  der  Türkei  ist  aufs  höchste  gestiegen. 
Jetzt  oder  nie  bekommen  wir  Palästina.  Ich  frage  Sie, 
Sir  Samuel,  ob  Sie  bereit  sind,  mit  mir  nach  Konstanti- 
nopel zu  reisen,  um  die  Verhandlungen  zu  führen.  Ich 
weifi,  es  ist  ein  schweres  Opfer  für  Sie,  sich  zu  dieser 
Reise  zu  entschließen.  Aber  wenn  Sie  es  bringen,  wird 
man,  solange  Juden  leben,  von  Sir  Samuel  Montagu  dank- 
bar reden. 

Wenn  Sie  sich  entschließen,  werde  ich  Ihnen  den  Zeit- 
punkt noch  nSber  angeben.  Es  wird  jedenfalls  Ende  Sep- 
tember werden,  wo  die  Hitze  in  Konstantinopel  nicht  mehr 
so  arg  ist. 

Edmund  Rothschild  gab  mir  in  Paris  eine  ausweichende 
Antwort  —  weder  Ja  noch  Nein.  Er  wird  zweifellos  mit- 
gehen, wie  alle  Juden  begeistert  mitgehen  werden,  sobald 
wir  den  Erfolg  haben. 

Bedenken  Sie  wohl,  Sir  Samuel,  in  welcher  historisch 
denkwürdigen  Situation  Sie  sich  jetzt  befinden  1  Verste- 
hen Sie  die  ganze  Größe  der  Aufgabe,  die  an  Sie  heran- 
tritt I  Seien  Sie  der  Mann,  den  wir  brauchen  l 

Ich  grüße  Sie  herzlich. 

Ihr  aufrichtig  ergebener 

Herzl. 


Brief  an  Zadok  Kahn. 

.  Ew.  Ehrwürden  I 

(streng  vertraulichl) 
Aus  Konstantinopel  erhalte  ich  die  sensationelle  und 
entscheidende  Mitteilung,  daß  man  zu  nSheren  Verband- 
Sa? 


dbyGoogle 


lungen  sofort  bereit  ist.  Die  Geldnot  ist  dort  aufs  höchste 
gestiegea.  Jetzt  oder  nie  bekommen  wir  PaUstina. 

Was  haben  Sie  seit  unserem  letzten  Briefwechsel  veran- 
laßt? 

Die  Ereignisse  drängen.  Ich  bitte  um  schleunige  Ant- 
wort. 
In  aufrichtiger  Verehrung 

Ihr  ergebener 

Herzl. 

29.  Aagust. 

Aus  Konstantinopel  kommen  Schreckensnachrichten. 
Das  Haus  der  Ottoman-Bank  wurde  von  Armeniern  ge- 
stürmt. Mord,  Totschlag,  Bomben,  Straßenkämpfe.  Die 
Ordnung  scheint  wieder  hergestellt  worden  zu  sein,  aber 
der  Eindruck  in  der  Welt  ist  deplorabel.  Jedenfalls unter^ 
lasse  ich  vorläufig  die  Absendung  der  vorstehenden  ge- 
stern entworfenen  Schriftstücke.  Die  Engländer  Mon- 
tagu  usw.  werden  jetzt  wahrscheinlich  gar  nichts  mit  dem 
Sultan  zu  tun  haben  wollen.  Andererseits  wäre  freilich 
der  Moment  sehr  günstig,  mit  dem  Sultan  zu  verhandeln, 
weil  er  gegenwärtig  schwerlich  von  irgendwem  Geld  be- 
kommt. 

39.  August,  nachmittag. 

Den  Brief  an  Zadok  Kahn  schicke  ich  doch  ah. 

d.  September,  Breslau. 

Die  Begebenheiten  der  letzten  Tage  einzutragen  war 
ich  durch  den  hastigen  Zeitungsdienst  verhindert. 

Von  Zadok  Kahn  kam  eine  Antwort :  er  könne  vorläufig 
nichts  ausrichten,  weil  er  von  den  Leuten,  an  die  er  sich 
wandte,  „dilatorische,  also  ausweichende  Antworten"  er- 

5a8 


dbyGooglc 


hielt.  Dilatorisch,  aUo  ausweichead,  ist  auch  seine  eigene 
Antwort.  Niemand  hilft. 

Dienstag,  den  i .  September,  fragte  mich  Bacher,  ob 
ich  EU  den  Kaisertagea  als  Berichterstatter  nach  Breslau 
gehen  wolle.  Ich  sagte  natürlich  Ja. 


Am  selben  Abend  war  ich  im  Caf  6  Louvre  in  der  Wipp- 
lingerstraße,  wo  sich  die  Wiener  Zionisten  jeden  Diens- 
tag versammeln  und  seit  Monaten  darüber  beraten,  wie 
man  ein  Vereinslokal  akquirieren  könnte.  Wenn  es  mir 
gelingen  sollte.  Größeres  für  die  Zionisten  zu  erreichen 
und  ihnen  mehr  als  ein  Vereinslokal  für  800  fl.  Jahres- 
lins  zu  verschaffen,  werden  mich  gewiß  viele  angreifen. 
Einzelne  dieses  Schlages  erkenne  ich  schon  jetzt:  sie 
„fühlen  sich  durch  mich  verdrSngt"  usw.  Die  werden 
daran  zu  erinnern  sein,  wie  ohnmichtig  sie  sich  gezeigt 
haben,  und  wie  sie  nichts  taten  als  leer  herumreden. 

Obrigens  boten  sie  mir  diesmal  förmlich  an,  Chef  des 
Exekutivkomitees  der  Partei  zu  werden.  Das  nahm 
ich  an. 

Es  war  der  „Christliche  Zionist",  Baron  Manteuf fei,  zu- 
gegen, der  armen  Judenjungen  auf  seine  Kosten  landwirt- 
schaftlichen Unterricht  geben  l5&t. 


Ich  telegraphierte  an  Hechler,  der  nach  Höritz  zu  den 
Bauernpassionsspielen  gereist  ist,  daß  ich  nach  Breslau 
gehe. 

Er  fragte  mich  darauf,  ob  ich  ihn  kommen  lassen  wolle; 
er  habe  gleich  nach  Baden  an  den  Großherzog  geschrie- 
ben. 

34    Banl«  TBcebSober  I.  5l9 


dbyGooglc 


Ich  bat  Hechler  telegraphisch,  nach  Görlitz  zu  kommflo. 
Heute  meldet  er  mir,  daß  er  morgeu  dort  eintrifft.  Ich 
will  ihn  zum  Prinzen  Heinrich  von  Preußen  schicken; 
vielleicht  gelingt  es,  die  Audienz  beim  Kaiser  zu  be- 
kommen. 

9.  September,  Görlitz. 

Vorgestern  hier  angekommen.  Ich  wohne  in  einem 
traulichen  Privathause  bei  Mueikdirektor  Stiehler.  Ich 
fand  schon  Hechlers  Visitkarte  vor,  der  mich  aufgespürt 
hatte,  obwohl  ich  meine  Adresse  nicht  angeben  konnte. 
Er  selbst  wohnt  im  „Evangelischen  Vereinshause",  das 
auf  mich  den  Eindruck  eines  christlich-sozialen  Konsum- 
vereins macht.  Kahle,  saubere  Wände  mit  Bibelsprüchen. 
Eine  große  Wirtsstube,  wo  man  zwar  den  Leuten  zu 
trinken  gibt  und  daran  vielleicht  sogar  eine  Kleinigkeit 
profitiert,  die  Leute  aber  offenbar  in  der  Hand  hält.  Das 
Ganze  macht  den  Eindruck  einer  geschickten  politischen 
Einrichtung. 

Hechler  saß  in  einem  freundlichen,  evangelisch  mit 
Bibelworten  geschmückten  Zimmer.  Das  ist  ganz  ausge- 
sprochen die  Stöckersche  Gegend,  und  eine  der  kuriose- 
sten, in  die  ich  bisher  im  Verlauf  meiner  Bewegung  ge- 
kommen. 

Hechler  hatte  sich  schon  ein  wenig  informiert.  Unter- 
wegs von  Höritz  hierher  bat  er  einen  Brief  an  den  Kaiser 
über  the  return  of  the  Jews  in  englischer  Sprache  auf 
dem  Papier  der  Wiener  Botschaft  abfaßt.  Der  britische 
Stempel  gab  dem  Ganzen  einen  vagen,  amtlichen  Cha- 
rakter. 

Leider  ist  Prinz  Heinrich  von  Preußen,  auf  den  Hech- 
ler rechnete,  nach  Kiel  abgereist,  um  den  Zar  dort  zu 
empfangen.  „Übrigens,"  sagt  Hechler,  „wer  weiß,  wozu 

53o 


dbyGoogle 


ea  gut  ist.  Prinz  Heinrich  soll  sich  in  der  letzten  Zeit 
Ober  die  Religion  nur  noch  spOttelod  geiußert  haben. 
Und  man  soll  die  Perlen  nicht  vor  die  Säue  werfen,  wie 
die  Bibel  sagt." 

Günther  von  Schleswig-Holstein,  der  Bruder  der  Kai- 
serin, ist  aber  hier.  Dieser  hat  Wohlwollen  für  Hechler 
und  Interesse  für  soziale  Fragen.  Er  war  in  England,  um 
Arheiterzustände  zu  studieren.  Seines  Zeichens  ist  er 
Major,  ich  glaube,  im  GenerBlstabe.  Hechler  erzählte 
mir  bei  dieser  Gelegenheit  auch,  daß  Herzog  Günther 
kürzlich  verdächtigt  wurde,  in  die  anonyme  Hofbrief- 
geschicbte,  die  zum  Duell  Schrader-Kotze  geführt  hat, 
verwickelt  zu  sein.  Klatsch,  für  den  ich  mich  bisher  nicht 
interessiert  habe  und  jetzt  gern  höre,  weil  er  mir  die 
großen  Herrschaften  von  der  kleinen  Seite  zeigt.  Und 
das  ist  notwendig,  wenn  man  vom  äußeren  Brimborium 
ihres  Glanzes  nicht  verwirrt  werden  und  unbefangen  mit 
ihnen  verkehren  soll. 

Dariun  habe  ich  den  Deutschen  Kaiser  in  der  letzten 
Woche,  wo  ich  ihn  so  häufig  sah,  scharf  auf  sein  Ge- 
brechen hin  beobachtet.  Ist  es  nicht  merkwürdig,  daß 
man  von  ihm,  einem  der  „angesehensten"  Männer  der 
Welt,  eigentlich  nicht  weiß,  daß  er  nur  einen  Arm  hat. 
Sie  wandeln  wirklich  in  der  Wolke.  Da  ist  eine  Gestalt, 
die  man  aus  hunderttausend  Abbildungen  kennt;  und 
wenn  man  ihn  sieht,  bemerkt  man,  daß  sein  entschei- 
dendes Merkmal  der  Menge  vorenthalten  wird.  Ja,  die 
Menge  sieht  ihn  täglich  und  weiß  es  kaum.  Die  Scharf- 
sichtigsten sagen:  er  hat  einen  steifen  Arm.  Tatsächlich 
ist  es  der  Arm  eines  Kindes,  der  ihm  von  der  linken 
Schulter  herabhängt.  Der  Arm  soll  durch  eine  rachi- 
tische Entwicklung  zurückgeblieben  sein.  Hechler  gibt 
mir  die  —  offenbar  höfische  —  Version,  Wilhelm  sei 

34-  53 1 


dbyGoogle 


als  Kind  von  seiner  Amme  falleo  getasseo  worden,  und 
man  habe  die  Folgen  erst  bemerkt,  als  es  su  spfit  war. 

Jedenfalls  ist  diese  Abnormilit  für  sein  Bild  wichtig. 
Mir  bringt  sie  ihn  menschlich  nfiher.  Sie  zeigt,  dafi  er 
eigentlich  unter  seinen  vielen  Regiments-Inhaber-Uni- 
formen doch  nur  ein  hilfloser  Mensch  ist.  Wenn  ich  die 
Bilder  seiner  Macht,  den  Glanz  seines  Hofes,  die  kriege- 
rische Pracht  seiner  Legionen  auf  dem  Paradefetde  sab, 
habe  ich  immer  nur  seinen  Krüppelarm  betrachtet,  um 
meinen  Geist  nicht  bet&uben  zu  lassen  für  den  Fall,  daß 
ich  unter  vier  Augen  mit  ihm  sprechen  werde. 

Diese  Krüppelhaftigkeit  erklärt,  glaube  ich,  auch  sei- 
nen ganzen  Charakter.  Dieser  Oberste  Kriegsherr  würde 
von  der  Assentierungskommission  abgelehnt  werden,  wenn 
er  ein  gewöhnlicher  StellungspfUchtiger  wäre.  Daher 
kommt  vielleicht  seine  krankhafte  Vorliebe  für  alles  Mili- 
tSrische.  Er  kann  auch  keine  ungezwungene  Haltung 
haben,  weil  er  immer  an  die  Verbergung  seines  Gebre- 
chens denken  muß.  Wirklich  täuscht  er  auch  viele  durch 
die  Art,  vrie  er  zu  Pferde  die  Zügel  mit  seiner  kurzen 
Linken  hält.  Dieser  Zügelarm  macht  ihn  zum  Reiter. 
Auch  liebt  er  blendende,  glänzende  Uniformen,  strahlende 
Helme,  die  den  Blick  anziehen,  ablenken. 

Er  ist  aber,  wie  mir  scheint,  ein  sympathischer  Mensch, 
besser  noch  und  kürzer:  ein  Mensch  1 

Der  Menge  will  er  zwar  stark  imponieren,  und  er  spielt 
den  Kaiser  mit  Macht.  Denen,  die  ihm  näherkommen, 
will  er  jedoch  liebenswürdig  gefallen.  Er  hat  eine  ge- 
winnende Art  des  Händedrucks,  wie  ein  Parteiführer.  Er 
schaut  jedem,  mit  dem  er  spricht,  tief  in  die  Augen,  in- 
dem er  dicht  herantritt.  Am  liebenswürdigsten  war  er  in 
Breslau  bei  der  Festvorstellung,  als  das  kleine  Militär- 
lustspiel von  Moser  aufgeführt  wurde.  Da  lachte  er  stark 

533 


dbyGooglc 


über  die  bannlosen  Soldatenscberze;  er  schüttelte  sich 
ordentlich  vor  Lachen.  Ja,  es  war  eine  Nuance  von  Über- 
treibung in  dieser  Ungezwungenheit,  die  er  von  so  vielen 
Augen  beobacbtet  wußte.  Er  hat  einen  Hang  zur  Ober- 
treibung. 

Zweifellos  ist  er  ein  hoch-  und  vielseitig  begabter 
Mensch,  der  nur  mit  seinem  einzigen  Arm  zu  viel  an- 
greifen möchte  und  immer  die  Hände  voll  zu  tun  hat, 
weil  er  verbergen  will,  daß  er  nur  eine  Hand  hat. 

Wenn  ich  ihn  recht  verstehe,  werde  ich  ihn  für  die 
Sache  gewinnen,  falls  es  mir  gelingt,  mich  ihm  zu  nähern. 


Hechler  war  gestern  nachmittag  heim  Prinzen  Günther, 
als  dieser  vom  Manöverfeld  heimkehrte.  Leider  um  eine 
Minute  zu  spät.  Der  Prinz  saß  schon  im  Bade  oder  ließ 
wenigstens  durch  den  Diener  sagen,  er  sitze  schon  im 
Bade;  Hechler  möge  abends  vor  dem  Hofdiner  wieder- 
kommen. 

Das  tat  Hechler;  aber  ein  bober  General  war  beim 
Prinzen.  Günther  sprach  im  Weggehen  nur  ein  paar 
Worte  mit  Hechler,  hat  ihn,  heute  abend  um  halb  sieben 
wiederzukommen. 

Damit  ist  die  Aussicht,  hier  zum  Kaiser  zu  gelangen, 
ziemlich  geschwunden.  Denn  von  morgen  früh  weiter 
durch  drei  Tage  ist  der  Kaiser  bei  den  Manövern.  Auch 
muß  ich  morgen  fort. 

/2.  September,  Wien. 
Hechler  kam  vorgestern  nachmittag  und  berichtete. 
Prinz  Günther  habe  von  der  Sache  gesprochen,  wie  je- 
mand, der  sie  kenne.  Der  Kaiser  scheine  mit  ihm  bereits 

533 


dbyGooglc 


vorher  darüber  g^esprochen  zq  haben.  Sie  wollen  ab«* 
offenbar  nicht  an  die  Sache  herangehen,  Fürsten  haben 
eine  Scheu  vor  der  ganzen  Frage.  „/(  is  to  ttrange",  sagte 
Prinz  Günther  zu  Hechler.  Dieser  wird  aber  doch  viel- 
leicht vcnn  Kaiser  empfangen  werden,  obwohl  Günther 
Hechlers  Brief  an  den  Kaiser  nicht  zur  Beförderung  über- 
nehmen wollte. 

Ich  sah  ein,  daß  ich  jetzt  in  Görlitz  nichts  erreichen 
würde,  und  entschloß  mich  sofort  zur  Abreise.  Hechler 
begleitete  mich  auf  die  Bahn.  Dort  schSrfte  ich  ihm  ein, 
er  möge  noch  versuchen,  was  er  könne,  und  jedenfaUs 
dem  Prinzen,  evtl.  dem  Kaiser,  sagen,  daß  ich  zwar  plötz- 
lich abreisen  mußte,  aber  bereit  sei,  wann  immer  und 
wo  immer  zu  erscheinen,  um  die  Sache  vorzutragen  und 
zu  erkllren. 


Der  arme  Hechler  hatte  Pech.  Er  war  von  Höritz  ab- 
gereist, ohne  seine  Adresse  zu  hinterlassen.  Vorgestern 
suchte  ihn  die  Botschaft,  weil  ein  Engländer  hier  gestor- 
ben ist,  und  Hechler  ihn  gestern  hier  hatte  einsegnen 
sollen.  Ich  tel^raphierte  es  ihm,  freilich  zu  spfit. 

Die  Köchin  Hechlers,  bei  der  ich  in  seinem  Auftrag  an- 
gefragt hatte,  teilte  mir  diesen  Zwischenfall  klagend  mit 
Und  sagte;  „Wie  schade,  es  war  eine  reiche  Leiche." 


Von  Zadok  Kahn  traf  w&hrend  meiner  Abwesenheit  ein 
Brief  ein,  worin  neue  Klagen  und  Anklagen  des  Roth- 
Bchildschen  Direktors  Scheid  vorkommen.  Wer  lügt? 
Scheid  oder  die  Türken,  welche  die  Ausweisung  jüdischer 


534 


dbyGoogle 


Kolonisten  förmlich  leugneten?   Das  muß  jetzt  aufge- 
klSrt  werden.    Ich  schreibe  darüber  an  Newlinski. 


Ans  London  kommt  die  Nachricht,  daß  sich  die  Mächte 
mit  dem  Gedanken  der  Absetzung  Abdnl  Hamids  be- 
scblftigen.  Wenn  das  eintrifft,  ist  der  Zionsgedanke  auf 
lange  hinaus  tot.  Denn  ein  neuer  Sultan  findet  Geld  nnd 
braucht  diese  Kombination  nicht. 


Hecbler  telegraphiert  aus  Görlitx: 
„Sehr  freundlichen  Brief   (wohl  von  Günther),   nur 
Mangel  an  Zeit." 

16.  September,  Wien. 

Gestern  uferlose  Debatte  im  Zionsverband  im  Cafi 
Louvre,  dann  im  Gasthaus  Robicsek. 

Ein  Vertreter  der  Lemberger  Zionisten  war  zugegen, 
der  eine  rasche  Aktion  forderte.  Sie  könnten  in  Galizien 
in  einem  Jahre  4oo  bis  Oooooo  Unterschriften  für  eine 
Petition  an  die  Mächte  aufbringen.  Das  Elend  sei  groß, 
die  Sehnsucht  auszuwandern  unermeßlich.  Dr.  Gabel 
beißt  dieser  Abgesandte. 

Ich  nahm  ihn  beim  Wort :  er  solle  die  Unterschriften 
aufbringen.  Diese  würden  die  Stärke  der  Bewegung  be- 
weisen und  ein  Rückhalt  für  unsere  Aktion  sein,  die  man 
aber  nicht  schon  morgen  als  perfekt  erwarten  dürfe. 

Alle  wünschten  Taten,  und  zum  Schluß  stellte  sich 
heraus,  daß  Schnirer  mein  ihm  vor  Wochen  übergebenes 
Rundschreiben  über  die  Notwendigkeit  einer  Organisation 
noch  gar  nicht  verschickt  habe. 

Man  stritt  über  die  Stilisierung  des  ersten  Paragraphen 
in  dem  von  Schnirer  entworfenen  Parleiprc^amm. 

535 


dbyGooglc 


Brief  äo  Zadok  K«lm.  '^-  September, 

Ew.  EhrwOrdenl 

Von  einer  Reise  zurückkehrend,  beeile  ich  mich,  Ihren 
werten  Brief  v.  7.  ds.  zu  beantworten. 

Es  war  mir  schon  früher  mitgeteilt  worden,  daß  Herr 
Scheid  gegen  mich  arbeitet.  Aus  Ihrem  Briefe  ersehe 
ich,  daß  dies  wahr  ist.  Ich  frage  mich,  welches  Interesse 
dieser  Herr  denn  wohl  haben  könne,  so  vorzugehen?  Die 
Bewegung,  die  ich  eingeleitet  habe,  mag  nicht  die  Zu- 
stimmung aller  Juden  finden;  daß  aber  Leute,  die  mit 
der  Kolonisation  zu  tun  haben,  dagegen  ankämpfen,  ist 
mir  vorderhand  unverständlich. 

Auf  Ihre  erste  Reklamation  im  Juli,  die  mir  durch 
Dr.  Nordau  zuging,  habe  ich  sofort  in  Konstantinopel 
Schritte  gemacht  und  ein  offizielles  Dementi  vom  Wiener 
türkischen  Botschafter  erhalten.  Dieses  Dementi  telegra- 
phierte ich  an  Baron  E.  Rothschild,  der  sich  bis  zum 
heutigen  Tage  dafür  nicht  bedankt  hat. 

Ich  ließ  mir  dann  im  August  dieses  Dementi  vom  Bot- 
schafter wiederholen,  weil  sein  erster  Brief  auch  noch 
anderes  enthielt,  was  ich  nicht  vorzeigen  wollte.  Beilie- 
gend finden  Sie  den  Brief,  den  Sie  Baron  Rothschild 
und  Herrn  Leven  zeigen  und  mir  dami  baldigst  zurück- 
schicken wollen. 

Jetzt  kommt  Herr  Scheid  mit  spezialisierten  Anklagen. 
Ich  schicke  diese  zur  Untersuchung  an  die  geeignete  Stelle. 
Ich  werde  konstatieren  lassen:  i.  ob  die  Tatsachen  richtig 
sind,  a.  ob  dergleichen  Schwierigkeiten  vor  meinemAuf- 
treten  nicht  vorgekommen  sind,  3.  ob  die  angeblichen 
Maßregeln  irgendeinen  Zusammenhang  mit  meinen  Be- 
mühungen haben. 

Da  es  zum  Unglück  der  Juden  gehört,  daß  auf  die  Ent- 
schließungen des  Herrn  v.  Rothschild  viel  ankommt,  muß 

536 


dbyGoogle 


diesem  Zwischenfall  einige  Aufmerksamkeit  zugewendet 
werden. 

Wer  unserer  Sache  in  die  Nähe  geht,  soll  sich  den 
ganzen  Ernst  klar  machen. 

Ich  habe  bis  jetzt  die  Bewegung  schonend  und  als  ein 
ruhiger  Mann  geführt,  das  weiß  man.  Man  weiß  auch, 
daß  für  mich  der  Zionismus  weder  Sport  noch  Gescfafift 
ist.  Ich  lebe  nicht  davon,  sondern  dafür.  Ich  bringe 
Opfer  aller  Art,  die  im  Verhältnis  zu  meinem  Vermögen 
gewiß  nicht  geringer  sind  als  die  des  Herrn  v.  Rothschild. 
Also  fordere  ich,  daß  man,  wenn  man  schon  nicht  mit- 
hilft, doch  nicht  gegeaarbeite. 

Ich  glaube,  daiß  wir  an  einem  großen  Wendepunkt 
unserer  Geschichte  stehen.  Sie  kennen  die  Vorkomm- 
nisse in  der  Türkei.  Nie  war  uns  die  allgemeine  Lage  gün- 
stiger. Ich  lasse  mich  jetzt  darüber  nicht  aus,  weil  ich 
mit  Bedauern  Ihrem  Brief  entnehme,  daß  Sie  wieder  um- 
gestimmt worden  sind,  nachdem  Sie  mir  aus  Weggis 
schrieben,  Sie  wollten  einen  vertraulichen  Wettkongreß 
einberufen. 

leb  gehe  meinen  Weg  weiter,  unbeirrt,  unerschütterlich. 

Merkwürdigerweise  wissen  noch  manche  Leute  nicht, 
daß  ich  schreiben  kann  und  ebensowenig  zu  kaufen  bin 
wie  der  unangenehme  Herr  Drumont.  Pampbiete  werde 
ich  zwar  nicht  schreiben,  aber  einen  einfachen  Beriebt 
über  das,  was  ich  versucht  habe,  und  woran  ich  vielleicht 
verbindert  worden  bin.  Das  Buch  wird  heißen  „Die 
Rückkehr  der  Juden",'  und  jeder  wird  darin  seinen  Platz 
haben.  Tont  pis,  $i  cela  foarnira  encore  de  la  eopie  ä 
Monsieur  Drumont. 

Mit  hocbachtungsvollem  Gruß 

Ew.  Ehrwfirden  ergebener 

Herzl. 

537 


dbyGooglc 


16.  SepUmber,  Wien. 

Aus  Jerusalem  ist  eiae  begeisterte  und  rührende  Reso- 
lution  gekommen. 

Der  Übersender  Wilhelm  Groß  schreibt  mir,  die  Unter- 
fertiget gehörten  zu  den  angesehensten  M&nnern  Jeru- 
salems. 

Er  bestreitet  —  wie  merkwürdig  sich  das  trifft  —  daß 
meine  Bemühungen  den  dortigen  Juden  geschadet  bitten. 

Ich  antworte  ihm,  er  möge  aus  den  angesehensten 
MSnnern  ein  Untersuchungskomitee  bilden.  Dieses  solle 
weder  aus  Freunden  noch  aus  Feinden  des  Scheid  he* 
stehen  und  die  drei  Punkte  feststellen,  die  ich  an  Zadok 
Kahn  geschrieben. 

Zugleich  bat  ich  ihn  um  vertrauliche  Mitteilungen  Ober 
Scheid,  weil  ich  diesen  nicht  kenne  und  wissen  möchte, 
ob  ihn  nur  reine  Überzeugung  verleite,  gegen  mich  zu 
arbeiten,  oder  ob  da  noch  andere  Motive  mitspielen. 

2ä.  September. 

Von  Zadok  Kahn  erhielt  ich  einen  Brief  mit  Einlage 
von  Scheid,  worin  dieser  meint,  ich  traute  den  Türken 
SU  viel.  Wenn  ich  wirklich  was  erreichen  könne,  solle 
ich  die  Einwanderungserlaubnis  für  loo  Familien 
nach  dem  Djolan  erwirken.  Zugleich  teilt  Zadok  mit, 
es  werde  im  Oktober  in  Paris  eine  Versammlung  der 
Hirscbfonds-Leute  stattfinden,  denen  er  meinen  Plan  uaw. 
vorlegen  wolle. 

Ich  suchte  sofort  Newlinski  auf,  sagte  ihm,  der  Moment 
de  frapper  un  grand  coup  sei  gekommen.  Der  Sultan 
möge  mir  die  Einwanderungs-Befugnis  für  drei-  bis 
fünfhundert  Familien  geben  oder  eine  andere  große 
Kundgebung,  daraufhin  würden  ihm  die  Birschleute  usw. 
einen  Antrag  machen. 

538 


dbyGoogle 


NewUnski  schrieb  an  Izzet  und  sprach  mit  dem  hie- 
sigen Botschafter  M . . .  N . . .  Dieser  erzählte  bei  der  Ge- 
legenbeit,  daß  der  Botschaftenreporter  der  N.  Fr.  Pr. 
von  mir  als  einem  Verrückten  spreche. 


Inzwischen  hat  sich  noch  folgendes  abgespielt.  Glogau 
kam  zu  mir  mit  der  Mitteilung,  die  Regierung  wolle  der 
N.  Fr.  Pr.  ein  Konkurrenzblatt  in  den  Nacken  setzen, 
weil  die  N.  Fr.  Pr.  seit  der  Versöhnung  Badenis  mit 
Lueger  dessen  Ministerium  unangenehm  wird.  Das  Blatt 
soll  liberal-konservativ-antisemitiscb,  kurz  ein  Unding 
sein,  aber  typographisch  (diebographisch)  genau  so  aus- 
gestattet wie  die  N,  Fr.  Pr.,  die  freilich  auch  Shnlich  aus 
der  alten  , .Presse"  entstanden  war. 

Ich  ließ  nun  vor  Newlinski  die  Bemerkung  fallen,  diese 
Konkurrenz  sei  dumm.  Wenn  man  die  N.  Fr.  Pr.  schwä- 
chen wolle,  könne  man  es  so  nicht  machen.  Ich  aber 
würde,  weil  man  mir  das  vor  einem  Jahr  gegebene  Wort 
nicht  gehalten  und  den  Judenstaat,  die  Judensache,  nicht 
nur  nicht  unterstützt,  sondern  geradezu  böswillig  ver- 
schwiegen hat  —  ein  großes  Blatt  gründen. 

Sofort  erzSblte  Newlinski  das  seinem  Freunde  Kozmian 
—  am  Montag  —  und  als  ich  Dienstag  im  Burgtheater 
War,  kam  Kozmian  und  sagte,  Graf  Badeni,  der  auch 
im  Theater  sei,  wünsche  mit  mir  über  „mein  Blatt"  zu 
sprechen.  Ich  antwortete,  so  weit  seien  wir  noch  gar  nicht; 
es  wfire  nur  ein  Anfang  da,  usw. 

Aber  am  folgenden  Tage,  nach  neuerlicher  Rücksprache 
mit  Badeni,  rief  mich  Kozmian  zu  sich  ins  Hotel  Imperial, 
wo  Newlinski  zugegen  war.  Badeni  ließ  mich  fragen,  was 
ich  ,rfür  meine  Unterstützung"  wünsche. 

leb  antwortete:  „Vor  allem  kein  Geldl  Ich  will  unab- 


539 


dbyGoogle 


faiogig  sein,  das  gegenseitige  Verhältnis  hat  mehr  in  der 
Attitüde  zu  bestehen.  Wenn  ich  für  meine  Idee  eine  Hilfe 
oder  Gefälligkeit  irgendwie  brauche,  soll  mir  die  Regie- 
rung helfen,  dafür  werde  ich  ihr  nicht  anangenehm  sein." 

,  j)as  ist  wenig",  sagte  Kozmian,  der  im  Hemd  war  und 
nur  einen  Oberzieher  daraufgezogen  hatte. 

,^l80  angenehm  1"  erklärte  ich,  „aber  Graf  Badeni  muß 
den  Zionismus  unterstützen." 

Kozmian  glaubte  das  versprechen  zu  können.  Badeni 
werde  die  jüdische  Kolonisation  fördern  (parbleal  auch 
Luegers  Wunsch),  und  es  ist  nun  plötzlich  der  Moment 
da,  den  ich  damals  beim  Erscheinen  meiner  Broschüre 
in  dem  Brief  an  Badeni  vorgeahnt  hatte. 

Kozmian  sagte  noch,  Badeni  werde  mich  empfangen, 
sobald  ich  es  wünsche,  —  und  reiste  ab  nach  Galizien, 
von  wo  er  übrigens  anfangs  Oktober  zurückkehrt. 

Als  ich  hinausging,  begleitete  mich  Newiinski  vor  die 
Tür  und  meinte:  „II  faudra  cr^r  aussi  k  Kozmian  une 
Situation  dans  ce  Journal." 

Ich  sagte:  „Ce  n'est  pas  possible,  mais  je  tächerai  de 
I'int^resser  autrement." 

Newiinski  sagte  hierauf  bündig:  „II  en  a  besoin." 


Ich  betreibe  jetzt  die  Vorarbeiten  für  die  Blattgrfln- 
dung.  Schwierige  Finanzsache.  Dessauer  berät  mich. 

25.  September. 
Brief  an  Zadok  Kahn. 

Ew.  Ehrwfirdenl 
Ihren  freundlichen  Brief  mit  Einlagen  habe  ich  dan- 
kend erhalten.  Ich  ließ  gestern  durch  den  hiesigen  tür- 
kischen Botschafter   eine  Anfrage   nach  Konstantinopel 

54o 


dbyGoogle 


richten,  oachdem  ich  auch  direkt  dort  schon  die  nötigen 
Schritte  in  den  letzten  Tagen  vorgenommen  habe.  In  der 
Türkei  hat  man  jetzt  viele  große  Sorgen;  und  es  ist  nicht 
zu  verwundern,  wenn  man  mir  nicht  sofort  antwortet, 
obwohl  ich  begründete  Ursache  zur  Annahme  habe,  daß 
man  mir  sehr  wohl  will. 

Ich  bitte  Sie,  mir  den  genauen  Termin  des  Zusammen- 
tritts der  Hirschleute  anzugeben,  damit  ich  die  Kund- 
gebung, um  die  ich  in  Konstantinopel  bat,  Ihnen  zur 
Vorlage  an  die  Herren  einsenden  oder  selbst  damit  nach 
Paris  kommen  könne.  Ich  ersuchte  nSmlich  um  eine 
jeden  Zweifel  ausschließende  Bestätigung  der  mir  münd- 
lich gegebenen  Erklärungen.  Erhalte  ich  diese,  ao  wird 
das,  denke  ich,  ein  schätzbares  Material  für  die  von  Ihnen 
angekündigte  Beratung  in  Paris  sein. 

Auch  auf  verschiedenen  anderen  Punkten  bin  ich  tätig. 
Icli  habe  insbesondtsre  hier  in  Osterreich  an  einer  sehr 
hohen  Stelle  Entgegenkommen  gefunden.  Was  es  sonst 
noch  —  in  Rom  und  Berlin  —  für  uns  Günstiges  gibt, 
kann  ich  Ihnen  nicht  schreiben.  Ich  bin  (verzeihen  Sie 
mir  gütig  meine  Aufrichtigkeit!)  nicht  ganz  überzeugt, 
daß  Sie,  wie  es  für  die  Sache  erforderlich  wäre,  durch 
dick  und  dünn  mitgehen. 

Das  schließt  aber  nicht  aus,  daß  ich  Ihnen  für  Ihre  Be- 
mühungen herzlich  dankbar  bin  und  Sie  bitte,  weiter  mit- 
zuhelfen, soweit  Sie  ebeu  mithelfen  kSnnen. 

In  aufrichtiger  Verehrung 

Ihr  ergebener 

Herzl. 

Konnte  Edmund  Rothschild  nicht  versuchen,  sich  dem 
Zar  jetzt  in  Paris  zu  nähern  und  dessen  Wohlwollen  für 
die  Kolonisation  zu  erbitten?    Unsere  Bestrebungen 

54 1 


dbyGooglc 


konvergieren  ja,  wenn  wir  auch  im  einzelnen  auseinander- 
geben. 

25.  September. 
Newlinaki  erz&hlt  mir,  er  habe  von  Kardinal  Agiiardi 
die  Nachricht,  daß  Kardinal  Rampolla  dem  Papst  meine 
Idee  vorlegen  wolle. 

*    *     * 

Hechler  war  schon  ein  paarmal  da,  um  zu  fragen,  ob 
ich  schon  an  den  Prinzen  Günther  geschrieben  habe..  Ich 
war  in  den  letzten  Tagen  zu  matt  und  zerstreut. 


Gestern  waren  Schnirer  und  Kokeech  bei  mir.  Sie  klag- 
ten, der  kleine  Dr.  K . . .  „wolle  sich  losreißen".  Er  agi- 
tiere auf  eigene  Faust  in  Mähren  usw.  und  es  solle 
„innerpolitisch"  gewirkt  werden.  Beide  erklärten  K... 
für  einen  Streber,  dem  es  nur  um  die  Ergatterung  einer 
persönlicheu  Situation  zu  tun  sei.  Schnirer  sprach  davon, 
sich  zurückzuziehen.  Kokesch  wollte  K . . .  durch  Zuge- 
ständnisse wieder  kriegen.  Ich  sagte  diesen  beiden,  die 
zu  den  bravsten  der  hies^ea  Zionisten  gehören : 

„Weder  das  eine  noch  das  andere,  sondern  arbeiten  1 

Beginnen  Sie  endlich  das  oft  besprochene  Organisa- 
tionswerk, so  entziehen  Sie  diesen  Separatisten  den 
Boden." 

Schnirer  sagte,  er  habe  K . . .  aufgefordert,  die  Resul- 
tate seiner  Agitation  „uns",  d.  h.  dem  Zionsverband,  zu 
überlassen.  K . . .  lehnte  das  ab,  das  habe  er  „nicht  für 
uns"  getan. 

Ich  hOre  aber  aus  Mähren,  daß  die  jungen  Leute  mit 
meinem  Namen  agitieren  —  und  doch  „nicht  für  uns"? 

Endlich  beschlossen  Schnirer,  Kokesch  und  ich  die  Ein- 

543 


dbyGoogle 


Setzung  von  Kommissioaea,  die  der  Leitung,  d.  h.  uns,  eu 
referieren  hätten.  Eine  Vereins-,  eine  Preß-,  eine  Finanz-, 
eine  Studienkommission. 

Das  Schlimme  ist  nur,  daß  Schnirer  und  Kokesch  dann 
bald  wieder  die  Sache  werden  einschlafen  lassen. 


Heute  war  der  Rabbiner  Dr.  L . . .  G . . .  aus  Mieslitz  bei 
mir  und  bat  mich  um  Unterstützung,  da  er  in  Floridsdorf 
Rabbiner  werden  möchte.  Er  ist  Zionist.  Er  teilte  mir 
bei  dieser  Gelegenheit  mit,  daß  die  jungen  Leute  in 
MShren  den  Rabbinern  schreiben,  sie  mögen  Anteil- 
scheine &  5o  Fl.  zur  Gründung  einer  jüdischen  Zeitung 
aufl>ringeD. 

Das  ist  offenbar  K . . .  s  Idee. 

5.  Oktober,  Wien. 

Seit  der  letzten  Eintragung  schwere,  wirre  Tage  mit 
viel  Sorgen  und  Ekel.  Ich  habe  mit  „praktischen"  Leuten 
aus  der  Geschäftswelt  und  Politik  zu  tun  gehabt  und  oft 
bedauert,  daß  ich  mich  aus  der  Literatur  in  dieses  Trei- 
ben hinausbegeben  mußte. 

Einige  Tage  w^u'en  voll  von  Versuchen  der  Zeitungs> 
grOndung.  Der  Bankdirektor  Dessauer  hatte  monatelang 
mit  mir  davon  gesprochen,  daß  er,  resp.  seine  Bank,  sich 
au  der  Zeitungsgründung  (die  natürlich  ab  eine  anstän- 
dige, von  Finanzgeschäften  unabhängige  gedacht  war) 
mit  einem  Teil  des  Aktienkapitals  beteiligen  würde.  Als 
ich  aber  mit  Colbert  und  Steiner,  von  der  Verlagsgesell- 
schaft Wiener  Mode,  zu  ihm  kam,  erklärte  er :  „So  dür- 
fen Sie  mich  nicht  beim  Wort  nehmen." 

Es  war  eine  beschämende  Situation. 

Dann  wurde  eine  andere  Kombination  begonnen,  in  der 


543 


dbyGoogle 


ich  und  einige  VerwaDdtea  die  Hälfte  des  nötigen  Geldes 
herbeischaffen  soIImi.  Die  andere  HSlfte  wird  aber 
scliwerlich  aufiubringen  sein. 

Inzwischen  ließ  ich  aber  schon  durch  Newlinsld  und 
Kozmian  den  Grafen  Badeoi  wissen,  daß  ich  eine  große 
Zeitung  zur  Vertretung  meiner.  Idee  aufstellen  wolle.  Die 
innere  politische  Lage  ist  eine  derartige,  daß  dies  auch 
im  Interesse  Badenis  ist.  Er  ließ  mir  durch  Kozmian 
sagen,  daß  er  mich  empfangen  werde,  sobald  ich  ihn  zu 
sprechen  wünsche.  Ich  ging  absichtlich  nicht  hin,  so- 
lange ich  nicht  mit  der  Geldbeschaffung  für  die  Zeitung 
fertig  war.  Ich  bin  es  noch  nicht.  Und  durch  den  Wort- 
bruch Dessauers  bin  ich  jetzt  vor  Newlinski,  Kozmian  und 
Badeni  blamiert.  Badeni  hatte  ohnehin  von  vornherein 
erklärt,  er  glaube  nicht  daran,  daß  ich  es  machen  würde. 
Ich  sei  ein  schwacher  Mensch.  Kozmian  hatte  mich  ge- 
fragt, was  ich  für  die  „Unterstützung  der  Regierung" 
verlange.  Ich  antwortete  ihm,  daß  ich  keinerlei  Geldsub- 
vention annehmen  könne,  aber  für  die  Förderung  meiner 
zionbtischen  Politik  dem  Kabinett  Badeni  Dienste  leisten 
wolle.  Kozmian  schien  nicht  recht  zu  verstehen,  wie  man 
so  etwas  gratis  tun  könne. 

Als  ich  nun  Newlinski  berichten  mußte,  daß  meine 
Zeitungsversuche  soviel  wie  fehlgeschlagen  seien,  geriet 
-  er  in  großen  Zorn  (ich  hatte  ihm  eine  gute  Anstellung 
als  Informator  bei  der  Zeitung  in  Aussicht  gestellt).  Er 
sagte,  er  sei  von  mir  enttäuscht,  ich  sei  offenbar  nicht 
der  Mann  zur  Ausführung  der  Idee.  Ich  sei  zu  viel  Idea- 
list. Ich  müsse  von  Montagu,  E.  Rothschild  usw.  Geld 
verlangen,  um  ein  großes  Organ  zu  schaffen.  Ich  sagte 
darauf,  daß  ich  es  nie  über  mich  bringen  würde,  von 
jemand  Geld  zu  verlangen,  das  aussähe,  als  wäre  es  mir 
gegeben. 

544 


dbyGoogle 


Er  meinte  darauf,  es  sei  am  besten,  die  ganze  Sache 
fallen  lu  lasaeo. 

Ich  begleitete  ihn  dann  bis  zur  türkischen  Botschaft. 
Er  scherzte:  „Wenn  wir  zwei  Verschwörer  wSren,  und 
es  handelte  sieb  darum,  einen  Dynamitdiebslahl  zu  be- 
gehen, und  Sie  weigerten  sich  zu  stehlen,  so  würde  ich 
meinen  Revolver  ziehen  und  Sie  niederschießen." 

Ich  glaube  wirklich,  daß  eine  Energie  dieser  Art  für 
die  Durchführung  nOtig  wSre.  Ich  habe  sie  nicht.  Ich 
scheue  mich  davor,  Geld  für  die  Agitation  zu  verlai^n, 
geschweige  denn,  es  auf  ungenteele  Art  aufzubringen. 

Als  die  Steyrermühl-Kombination  im  Zuge  war,  ge- 
nierte mich  das  Börsenmißige  daran,  und  mit  einer  Er- 
leichterung ließ  ich  die  Aktien  wieder  verkaufen,  ab  die 
Kombination  sich  als  undurchführbar  erwies. 

übrigens  hat  Newlinski  jetzt  Gelegenheit,  figürlich  den 
Revolver  zu  ziehen,  wenn  er  die  ihm  unter  Diskretion 
gemachte  Mitteilung  an  Bacher  und  Benedikt  weitergibt. 

Ich  sSße  dann  plötzlich  zwischen  zwei  Stühlen  auf  der 
Erde. 

Ich  traf  heute  Benedikt  auf  der  Gasse,  bevor  ich  ins 
Bureau  ging,  und  er  begleitete  mich  eine  Stunde  durch 
die  Stadt.  Ich  fragte  ibn,  ob  er  heute  schon  dem  Zionis- 
mus nähergekommen  sei  durch  alles,  was  sich  in  Oster- 
reich seit  einem  Jahr  abgespielt  hat  —  Lueger  beim 
Kaiser,  Badenis  Aussöhnung  mit  den  Antisemiten,  usw.? 

Er  beharrte  darauf,  daß  die  N.  Fr.  Pr.  auf  dem  deutsch- 
liberalen Standpunkt  bleiben  müsse.  Die  jüdisch-natio- 
nale Bewegung  sei  ein  Unglück  usw.  Insbesondere  Mäh- 
ren gehe  dadurch  dem  Liberalismus  verloren.  Dennoch 
schien  mir  sein  Widerspruch  heute  schwächer  als  vor 
einem  halben  Jahre. 

Dieses  balbe  Jahr  hat  für  mich  einiges  bedeutet.    Die 

35    Benli  Taoebtkilier  L  5^5 


dbyGoogle 


Wiener  Juden  scheiDen  mürber  geworden  zu  sein.  Es 
gal>  da  etwas  Eigenlümlicbes.  Mir  waren  die  Fortschritte 
des  Antisemitismus  gleichgültig,  ich  sah  sie  kaum.  Bene- 
dikt und  Genossen  hingegen  Ärgerten  sich  täglich  mehr 
lu  mir  herüber. 

Auf  wie  vielen  Punkten  habe  ich  schon  recht  behalten! 

Oppenheim,  der  vor  einem  Jahre  meine  Broschüre  für 
einen  bösen  Witz  erklärte,  sagte  heute,  dali  ich  ganz  gut 
einige  sachliche  Artikel  über  den  Zionismus  in  der  N. 
Fr.  Pr,  schreiben  könnte. 

Das  wäre  ein  Ausweg  I 

Jedenfalls  kommen  aber  wieder  schwere  Tage  für  mich, 
wie  vor  einem  Jahr,  als  ich  von  der  N.  Fr.  Pr.  weg  sollte 
und  in  den  Unterhandlungen  so  viel  Herzklopfen  bekam, 
daß  mein  Herz  seitdem  leidet. 

Wieder  gibt  es  spannende  Fortsetzungen  in  meinem 
Lebensroman.  Vielleicht  schleudert  mich  die  Bewegung 
jetzt  ans  meiner  sicheren  Stellung  bei  der  N.  Fr.  Pr. 
hinaus  und  in  Abenteuer,  denen  ich  wegen  meiner  Familie 
nicht  ohne  Sorgen  entgegenblicke. 
*    *     * 

Newlinski  erzählt  mir  ein  Wort  von  Bacher.  Sie  trafen 
abends  im  Prater  zusammen.  Bacher  fragte  ä  bräle  pour- 
point:  „Was  machen  Sie  mit  dem  Herzl?" 

Newlinski  antwortete :  „Ich  bin  ihm  bei  der  türkischen 
Regierung  in  der  Judenkolonisationssache   behilflich." 

Worauf  Bacher:  ,J)er  Herzl  ist  ein  solcher  SchmockI" 

6.  Oktober. 
Unter  all  den  Leuten,  die  durch  die  „Bewegung"  an 
mich  herangezogen  wurden,  ist  Rev.  Hechler  der  bravste 
und  schwärmerischste.    Aber  ich  glaube,  er  will   mich 
bekehren. 

546 


dbyGoOglc 


Er  schreibt  mir  öfters  ohne  VeranlassuDg  Postkarten, 
worin  er  mir  meldet,  daß  er  nachts  nicht  habe  schlafen 
können,  weil  ihm  Jerusalem  eingefallen  sei. 

10.  Oktober. 
.  Wieder  einige  Tage  mit  auf  und  ab  in  der  Zeitungs- 
sache. Mehrmals  erschien  alles  fertig,  dann  wieder:  ioat 
est  rompa,  mon  gendre. 

Diese  Peripetien  sind  uointereasant  und  vergessenswert, 
wenn  man  sie  nicht  gleich  aufschreibt. 

Aber  gestern  abend  gab  es  etwas  Starkes  in  der  Re- 
daktion. Bacher  rief  mich  in  sein  Zimmer. 

Ich  glaubte,  er  wolle  über  meinen  Zeitungsplan  roden 
und  machte  innerlich  zum  Gefecht  klar.  Kam  es  schon 
jetzt  zum  Bruche? 

Bacher  fragte:  „Was  halien  Sie  in  Konstantinopel  für 
die  Neue  Presse  ausgemacht?" 

Ich  war  ganz  verblüfft;  „Ausgemacht?   Gar  nichts." 

Er:  ,,Sie  waren  mit  Newlinski  unten?" 

Ich:  „Ja.  Das  ist  bekannt." 

Er:  „Er  hat  Sie  bei  den  Ministern  herumgeführt?" 

Ich:  „Jawohl." 

Er:  ,,E3  ist  uns  heute  zum  zweitenmal  mitgeteilt  wor- 
den, daß  Sie  in  Konstantinopel  waren,  um  von  der  tür- 
kischen Regierung  eine  Subvention  von  dreitausend  Pfund 
für  die  N.  Fr.  Pr.  zu  verlangen.  Man  spricht  in  Konstan- 
tinopel allgemein,  daß  Sie  auch  tatsächlich  Geld  bekom- 
men hätten.  Wir  wurden  vom  hiesigen  Auswärtigen  Amte 
davon  vertraulich  verständigt,  und  Adler,  Präsident  der 
österreichischen  Handelskammer  in  Konstantinopel, 
sciireibt  dasselbe  hierher." 

Mein  gutes,  ruhiges  Gewissen  ließ  mich  diese  kräftige 
Mitteilung  mit  vollster  Ruhe  hinnehmen. 

35*  54? 


dbyGoogle 


Ich  sagte :  „Und  das  haben  Sie  einen  einxigen  Augen- 
blick geglaubt?  Kennen  Sie  mich  denn  nicht?  leb  denke 
doch,  Sie  mflssen  mich  mindestens  für  einen  Gentleman 
halten." 

Bacher  lenkte  sofort  ein:  „Wir  haben  nichts  anderes 
geglaubt,  als  daß  Newlinski  auf  Ihrem  und  unserem  ROk- 
ken  eine  Lumperei  begangen  hat.  Er  wird  sich  Ihrer  An- 
wesenheit bedient  haben,  um  von  den  Türken  Geld  lu 
nehmen." 

Ich  erkiSrte  kategorisch:  „Dem  werde  ich  auf  den 
Grund  gehen.  Ich  habe  in  Konstantinopel  immer  deutlich 
die  Grenze  zwischen  meiner  Eigenschaft  als  Redakteur 
der  N.  Fr.  Pr.  und  als  Vertreter  der  Judensache  gezc^n. 
Den  türkischen  Autoritäten  war  es  kein  Geheimnis,  daß 
ich  nur  wegen  der  Judensache  hinkam.  Meine  erste  Unter- 
redung mit  dem  Großvezier  galt  ausschließlich  der  Ju- 
densache. Erst  die  zweite  war  ein  Interview,  in  dem  ich 
übrigens  nicht  offiziöser  war  aU  beispielsweise  Schütz 
kürzlich  in  Rußland  in  seinen  Gesprächen  mit  den  russi- 
schen Staatsmfinnem." 

Bacher  forschte  ungeschickt  weiter:  „Sagen  Sie  mir 
alles I  Mit  wem  haben  Sie  gesprochen?" 

Ich  begann:  „Mit  dem  Großvezier...",  besann  mich 
aber  gleich  und  brach  ab:  „Das  werde  ich  Ihnen  nicht 
sagen.  Sie  sind  ein  Gegner  meiner  Bewegung.  Lassen 
Sie  mich  in  der  N.  Fr.  Pr.  zu  Worte  kommen,  und  ich 
werde  Öffentlich  alles  sagenl" 

Er  schrie:  „Das  werde  ich  nie  zugeben.  Ich  kann  mich 
nicht  auf  Ihren  Standpunkt  stellen.  E^  gibt  keine  Juden- 
frage, es  gibt  nur  eine  Menschenfr^e." 

Ich :  „Ich  mache  mich  anheischig,  die  Sache  den  Lesern 
zu  efklSren,  ohne  Ihrem  Standpunkt  etwas  zu  vergeben. 

548 


dbyGooglc 


Was  wollen  Sie  gegen  die  jüdische  Kolonisatioa  ein- 
weoden?" 

Er:  „Ich  will  überhaupt  nicht,  daß  die  Juden  auswan- 
dern. Übrigens  gehen  die  Kolonisten  zugrunde.  Die  rus- 
sischen Juden  kommen  alle  wieder  turflck." 

Ich:  „Ja,  von  Argentinien,  weil  Hirsch  die  Sache  falsch 
angepackt  hat." 

Er:  „Und  die  in  Palfistina  sind  lauter  Schnorrer." 

Ich:  „Nicht  richtig I  Die  Palfistina-Koloniea  gedeihen. 
So  wie  Sie  das  nicht  wissen,  so  wissen  es  Ihre  Leser  nicht. 
Lassen  Sie  es  mich  ihnen  erklären." 

Er  wankte  ein  bißchen,  ließ  aber  nicht  nach. 

Dann  ging  ich  zu  Benedikt,  der  süßlicher  sprach,  auch 
erklfirte,  daß  weder  er  noch  Bacher  noch  Döczy  einen 
Verdacht  gegen  mich  gehabt  hätten.  Ich  sei  nur  un- 
vorsichtig gewesen,  ich  werde  schon  wissen,  was  und 
wen  (Newlinski)  er  meine.  Die  Folge  dieses  Zwischen- 
falles sei,  daß  die  N.  Fr.  Pr.  heute  einen  wütenden  Leit- 
artikel gegen  die  Türkei  bringen  werde.  Das  sei  die  ein- 
zige Form,  in  der  man  das  Gerede  aus  der  Welt  schaffen 
könne. 

Auch  ihm  drang  ich  dann  mit  der  Judensache  auf  den 
Leib.  Er  solle  mich  eine  Serie  von  Artikeln  schreiben 
lassen.  Er  sagte,  das  ginge  nicht  au.  Sie  könnten  den 
österreichischen  Standpunkt  nicht  aufgeben.  Ich  sagte 
ihm:  „Sie  sind  doch  ein  guter  Jude.  Warum  soll  ich 
mich  mit  Ihnen  nicht  verständigen  können.  Von  Ihnen 
hängt  ungeheuer  viel  ah.  Gehen  Sie  mit,  und  Tausende 
werden  folgen.  Lassen  Sie  mich  Ihnen  zuerst  alles  er- 
klären, was  in  dem  Jahre  vorgekommen  ist.  Sie  werden 
mir  dann  glauben." 

Er  meinte:  ,3eden  kömien  wir  ja.  Sie  wissen,  daß  ich 
mich  mit  Ihnen  gern  ausspreche." 

549 


dbyGoogle 


Kun,  die  Unterhandlung  schloß  in  friedlichen  Akkor- 
den. 

Ich  traue  diesem  Frieden  dennoch  nicht.  Ich  hatte  den 
Eindruck,  daß  sie  sich  vor  mir  fürchten  und  Wind  von 
meinen  Zeitungsplänea  bekommen  haben. 

Vielleicht  ist  diese  Verleumdungsgeschichte  nur  eine 
Kriegsmaschine  gegen  mich,  um  mich,  wenn  ich  weg- 
ginge, in  den  Verdacht  zu  bringen,  ich  sei  wegen  einer 
schmutzigen  Geldgeschichte  entlassen  worden.  Oder  wol- 
len Sie  mich  von  Newlinski,  d.  b.  von  Kozmian  und  Ba- 
deni,  trennen?  Oder  wollen  sie  mir  das  Weggehen  von 
der  N.  Fr.  Pr.  unmöglich  machen? 

Die  nächsten  Tage  werden  Antwort  bringen. 

11.  Oktober. 

Gestern  abend  ein  schwerer  Auftritt  mit  Bacher. 

Ich  hatte  ihm  mittags  gesagt,  daß  ich  D6czy  wegen 
seiner  Äußerung  zu  fordern  beabsichtige.  Noch  früher 
hatte  ich  mit  unserem  Mitarbeiter  V. . .  gesprochen  und 
diesen  gefragt,  ob  er  mein  Sekundant  sein  wolle.  Y. . . 
schützte  eine  Reise  vor,  ließ  sich  aber  „im  Vertrauen" 
die  Geschichte  erzählen.  Bacher  erklärte  mir,  D6czy  habe 
nur  als  Freund  eine  vertrauliche  Verständigung  (unter 
„Bruch  des  Amtsgeheimnisses")  ergehen  lassen.  D6czys 
Mitteilung  habe  einen  auch  für  mich  rein  freundschaft- 
lichen Charakter  .gehabt.  Und  wenn  ich  Döczy  fordere, 
müßte  ich  auch  ihn  —  Bacher  —  fordern.  Ich  sagte: 
„Gewiß  würde  ich  Sie  fordern,  wenn  Sie  mir  etwas  Ehren- 
rühriges nachsagten." 

Ich  ließ  aber  die  Sache  fallen,  nachdem  Bacher  diese 
freundschaftliche  Erklärung  abgegeben. 

Indessen  hatte  V...  im  „Ausland"zimmer  geschwätzt. 
Das  ganze  „Ausland"  sprach  von  der  Sache.  Bacher  ließ 

55o 


dbyGoogle 


mich  abends  holen  und  stellte  mich  wutentbrannt  zur 
Bede: 

„Herr,  wie  sieht  es  in  Ihrem  Gehirn  aus?  Sie  haben 
eine  Illoyalität  begangen,  indem  Sie  die  Sache  weiter- 
verbreiteten. Dticzy  kann  um  sein  Amt  kommen,  usw." 

Mir  paßte  es  nicht,  einen  groben  Streit  als  Anlaß  mei- 
nes Austritts  aus  der  N.  Fr.  Pr.  setzen  zu  lassen.  Darum 
antwortete  ich  entschieden,  aber  ruhig:  „Die  lUoyalitftt 
lehne  ich  entschiedenst  ab.  Wenn  V. . .  geplaudert  hat,  ob- 
wohl er  Diskretion  versprach,  ist  das  nicht  meine  Schuld. 
Übrigens  war  ich  nachmittags  bei  NewUnski  und  habe  ihm 
Döcty  nicht  genannt.  Es  ist  meine  Überzeugung,  daß  auch 
NewUnski  an  dieser  Subventionsgeschichte  absolut  unbe- 
teiligt ist.  Sie  werden  es  aber  begreiflich  finden,  daß  ich 
die  Sache  nicht  so  einfach  auf  sich  beruhen  lassen  konnte. 
Sie  haben  in  Ihrem  heutigen  Leitartikel  die  Teilung  der 
Türkei  verlangt.  Damit  sind  Sie  aus  dem  Wasser  —  ich 
noch  nicht." 

Hierauf  erklXrte  er,  ruhig  geworden,  daß  ich  Oberhaupt 
nicht  kompromittiert  gewesen  sei.  V. . .  kam  berein,  war 
geniert,  weil  seine  Schw&tzerei  den  Lfirm  verschuldet 
hatte,  aber  schließlich  ging  die  grobe  Lärmszeno  doch 
friedlich  aus.  Bacher  gab  mir  mit  seiner  brummigen,  fal- 
schen Gutmütigkeit  die  Hand,  mehr  als  je  bourru  maU 
faitant. 

Ich  habe  aber  den  Eindruck,  daß  sie  mich  bald  gewalt- 
sam aus  der  Zeitung  hinausdrSngen  worden.  Es  wSre  eine 
Katastrophe,  weil  die  Finanzkombinationen  zur  Grün- 
dung meiner  Zeitung  gescheitert  sind. 

ii.  Okiober. 
Von  Zadok  Kahn  erhielt  ich  die  Mitteilung,  daß  die 
Hirschleute  von  der  Jewish  Colonisation  Association  am 

65 1 


dbyGooglc 


i4.  in  Paris  zusammenkommen;  doch  sei  ihre  Gewalt 
durch  eine  Parlamentsakte  beschrankt,  welche  Ober  die 
Hirschstiftung  besteht. 

Ich  antworte  ihm: 

Ew.  Ehrwürden  1 

Es  ist  mir  derieit  nicht  möglich,  nach  Paris  zukommen. 
Ich  muß  auch  leider  daran  sweifeln,  daß  die  Herren,  die 
sich  dort  versammeln,  hören  wollen,  was  ich  zu  sagen 
habe. 

Sie  erinnern  sich  gewiß  aus  meinen  Briefen  an  den 
Stand  unserer  Sache,  da  ich  Ihnen  einige  Hauptpunkte 
mitteilte.  Diese  Daten  werden  Ihrer  B^edsamkeit  ge- 
nügen, um  den  Herren  ein  Bild  zu  geben. 

In  zwei  Worte  dränge  ich  das  Ergebnis  meiner  bishe- 
rigen Bemühungen  zusammen :  Unsere  breitesten  Schich- 
ten nehmen  den  Judenstaatsgedanken  mit  Begeisterung 
auf.  In  der  Türkei  ist  die  Geneigtheit  vorhanden,  eine 
Kolonisation  in  großem  Maßstabe  zu  gestatten,  falls  da- 
für viel  gezahlt  wird. 

In  den  höchsten  Regiorungskreisen  einzelner  LSnder 
behandelt  man  meinen  Plan  ernst  und  wohlwollend. 

Wenn  die  in  Paris  versammelten  Herren  ebenso  ernst 
auf  die  Sache  eingehen  wollen,  stehe  ich  zu  weiteren  Auf- 
klärungen zur  Verfügung. 

Ferner  mache  ich  folgenden  positiven  Vorschlag.  Die 
Herren  mögen  je  ein  großes  Tageblatt  in  London  und  in 
Paris  gründen  oder  kaufen.  Es  gibt  Blätter,  die  sich  gut 
rentieren,  und  bei  denen  der  Fonds  nichts  verlieren  würde. 
In  diesen  Blättern  ist  die  Politik  der  Juden  zu  machen, 
für  oder  gegen  die  Türkei,  je  nach  Umständen  usw.  Die 
Blätter  brauchen  nach  außen  hin  nicht  als  JudenbIfitter 
kenntlich  zu  sein.  Als  Chefredakteur  für  London  emp- 
fehle ich  Luden  Wolf,  für  Paris  Bernard  Laiare. 

SSa 


dbyGooglc 


Das  hatte  ich  für  eine  der  nächsten  notwendigen  Auf- 
gaben. Wenn  die  Herren  verstehen,  was  jetzt  in  der  Tür- 
kei vCMTgeht,  werden  sie  die  historische  Größe  des  Augen- 
blicks einseben. 
In  aufrichtiger  Verehrung 

Ew.  Ehrwfirden  ergebener 

Horzl. 

i3.  Oktober. 

Heute  telephonierte  man  mir  von  der  türkischen  Bot- 
schaft in  die  Redaktion,  daß  man  mich  nachmittags  zu 
sprechen  wünsche. 

Ich  schrieb  sogleich  an  M . . .  N . . .  Pascha,  daß  ich  be- 
dauere, ihn  nicht  besuchen  zu  können.  Ich  sei  aber  den 
ganzen  Nachmittag  zu  Hause. 

Der  Botschaftor  antwortete,  er  habe  mir  nur  ein  Doku- 
ment überreichen  und  „mit  mir  eine  Zigarette  rauchen" 
wollen. 

Das  Dokument  ist  offenbar  das  Ordensdekret  und 
dient  als  Vorwtmd,  um  mit  mir  Ober  die  Verleumdungs- 
geschichte zu  sprechen. 

Wahrscheinlich  hat  auch  der  antitürkische  Leitartikel 
der  N.  Fr.  Pr.  Entsetzen  in  Konstantinopel  erregt 

Schon  wieder  spiele  ich  unerwartet  und  ohne  mein  Hin- 
zutun in  die  hohe  Politik  hinein. 

Eine  heutige  Zeitungsdepesche  aus  Konstantinopel  mel- 
det, der  Minister  des  Äußeren,  Tewfik  Pascha,  habe  ge- 
sagt, die  Türkei  wolle  eine  Eisenbahn  durch  PalSstina 
führen,  den  Weg  nach  Indien  bauen. 

Das  war  mein  Vwschlag  I 

13.  Oktober. 

Ich  muß  es  mir  offen  gestehen:  ich  bin  demoralisiert. 

Von  keiner  Seite  Hilfe,  von  allen  Seiten  Angriffe.  Nor- 

553 


dbyGoogle 


dau  schreibt  mir  aus  Paris,  daß  sich  dort  niemand  mehr 
rührt.  Die  Maccabeans  in  LondoD  sind  immer  mehr 
Pickwickier,  wenn  ich  den  Berichten  meines  getreuen 
de  Haas  glauben  darf.  In  Deutschland  habe  ich  nur 
Gegner.  Die  Russen  sehen  teilnehmend  zu,  wie  ich  mich 
abrackere,  aber  keiner  hilft  mit.  In  Österreich,  besonders 
in  Wien,  habe  ich  ein  paar  Anhänger.  Hieven  sind  die 
Uninteressierten  vQllig  untStig,  die  anderen,  die  Tätigen, 
wollen  durch  den  Redakteur  der  N.  Fr.  Pr.  vorwärts- 
kommen. 

Hinzu  kommt  die  Verleumdungakampagne,  deren  Leiter 
der  brave  Scheid  >u  sein  scheint. 

Die  Juden,  denen  es  gut  geht,  sind  alle  meine  Gegner. 

So  daß  ich  anfange,  das  Recht  lu  haben,  der  grüßte 
aller  Antisemiten  zu  sein. 

Oft  denke  ich  an  Levysohns  Wort:  „Die,  denen  Sie 
helfen  wollen,  werden  Sie  zunächst  recht  empfindlich  ans 
Kreuz  schlagen." 

ia.  Okiober. 

Heute  war  ich  bei  M . . .  N . . .  Pascha,  dem  türkischen 
Botschafter.  Er  kam  mir  liebenswürdig  mit  dem  Ernen- 
nungsdekret des  Medschidijeordens  entgegen.  Er  hoffe, 
mir  bald  auch  den  Stern  für  die  Brust  überreichen  zu 
können. 

Ich  tat,  als  fühlte  ich  mich  sehr  ausgezeichnet. 

Wir  plauderton  dann.  M . . .  N . . .  hatte  wieder  seine  ko- 
mische Ausdrucksweise:  „Imaginez-vous  quo  vous  n'£tes 
pas  un  homme  politique  et  pas  un  Autrichien,  et  imagi- 
nez  que  je  ne  suis  pas  ambassadeur.  Vous  ^tes  un  Ghilien 
et  moi  du  Pirou  —  et  maintenant  parlons  de  la  Turquio." 

Er  wollte  sagen :  sprechen  wir  unbefangen. 

Ich  sagte  ihm  denn  auch  imbefangen  meine  Meinung. 

554 


dbyGooglc 


Daß  es  DUT  eine  Rettung  für  die  Türkei  gebe :  ein  Abkom- 
mea  mit  den  Juden  über  Palästina.  Dadurch  könnte  man 
die  Finanzen  regeln,  Reformen  durchführen  und  sich 
nach  Herstellung  geordneter  Zustände  jede  fremde  Ein- 
mischung dauernd  verbitten.  Alle  Finanzarrangements, 
die  vorgeschlagen  werden,  sind  kurzbefristete  cxpidienls, 
und  dienen  nur  dazu,  einige  Bdrsenagioteurs  zu  berei- 
chern. 

M . . .  N . . .  nickte  dazu  sorgenschwer  und  sprach  offen 
über  den  verzweifelten  Stand  der  Staatsfinanzen.  Das 
türkische  Volk  sei  gänzlich  verarmt,  man  könne  auch  keine 
Steuern  mehr  auflegen.  Wo  nichts  ist,  hat  der  Sultan 
das  Hecht  verloren.  Er,  M . . .  N . . .  selbst,  stehe  voltkom- 
men auf  meinem  Standpunkt,  er  glaube  auch,  daß  es 
möglich  wäre,  mit  Hilfe  der  Juden  die  Türkei  zu  rekon- 
struieren.  Aber  er  habe  keinen  Einfluß  inKonstantinopet. 
Er  meint,  die  Einwanderung  von  Juden  in  Palästina  könnte 
jedenfalls  nur  stattfinden,  wenn  diese  Juden  türkische 
Untertanen  werden  wollten. 

Im  ganzen  scheint  er  gar  nicht  recht  zu  verstehen,  was 
ich  meine.  Ich  begnügte  mich,  seine  Einbildungskraft  zu 
erhitzen,  indem  ich  vom  Auferstehen  der  Türkei  mit  Hilfe 
der  Juden  ein  Bild  in  wenigen  Strichen  entwarf.  Die 
schon  jetzt  lachenden  Erben  der  Türkei  würden  um  die 
erwartete  Teilung  geprellt.  La  Turqaie  ichapperait  &  ses 
hiritiers  ! 

M . . .  N . . .  hatte  auch  ganz  offen  mit  mir  gesprochen.  Er 
sagte:  „Seit  vierzehn  Tagen  höre  ich  nichts  von  Konstan- 
tinopel. Das  ist  ein  gutes  Zeichen.  Wenn  man  von  einem 
Kranken  keine  Verschlimmerung  berichtet,  darf  man 
wieder  hoffen." 

Er  war  ganz  resigniert,  der  arme  Botschafter. 

M...N...  sprach  auch  auf  eine  komische  Weise  von  un- 

555 


dbyGoogle 


seren  Religionen.  „Die  Moslims",  sagte  er,  „stehen  den 
Juden  nSher  als  den  Christen.  Wer  Moses  oder  Abraham 
beleidigt,  dem  wird  bei  uns  der  Hals  abgeschnitten.  Auch 
sind  wir  wie  Sie  beschnitten.  Sie  könnten  sich  für  einen 
Mohammedaner,  ich  für  einen  Juden  ausgeben.  Christus 
erkennen  wir  nicht  als  Gottes  Sohn  an,  wenigstens  nicht 
mehr  als  einen  anderen.  Für  uns  sind  das  lauter  Pro- 
pheten." 

16.  Oktober. 

Heute  steht  wieder  ein  Mord-  und  Brand-Alarmartikel 
über  die  „Zustände  am  Bosporus"  in  der  Neuen  Freien 
Presse. 

19.  Oktober. 

Der  junge  de  Haas  in  London  scheint  —  nach  seinen 
Briefen  zu  urteilen  —  tüchtig  zu  arbeiten. 

Er  hat  hundert  „stalwarts",  die  sich  Bnei  Zion  nennen 
und  gehörig  agitieren.  Er  will  die  Chovevi  Zion  (3ooo 
Mitglieder)  erobern  und  von  da  aus  weitermars<^ieren. 
Die  englische  Provinz  und  Amerika,  schreibt  er,  gliedere 
sich  seiner  Bewegung  an. 

Ich  schreibe  ihm ,  dafi  ich  jetzt  bemüht  bin,  eine  Audienz 
beim  Kaiser  von  Rußland  zu  bekommen.  Ferner,  dafi 
ich  mit  M . . .  N . . .  über  die  türkischen  Finanzen  und  ihre 
Sanierung  durch  Judengeld  gesprochen  habe.  Ich  frage 
de  Haas,  ob  er  glaube,  daß  Montagu  und  Goldsmid  einer 
Einladung  des  Sultans,  in  Konstantinopel  Propositionen 
zu  machen,  folgen  würden? 

*    *     * 

Gestern  schickte  ich  Hecbler  die  endlich  fertig  gewor- 
dene russische  Übersetzung  meiner  Broschüre  für  den 
Zar.  Zugleich  entwarf  ich  ihm  in  ein  paar  Zeilen,  was 
er  an  Herzog  Günther  und  Prinz  Heinrich  von  Preußen 

556 


dbyGoogle 


über  die  finanzielle  Sanierung  der  Türkei  und  Erhaltung 
des  Status  quo  mit  Hilfe  der  Judenwanderung  schreiben 
solle. 


Eine  Notiz  der  Wiener  Allgemeinen  Zeitung  vom  1 8.  Ok- 
tober i8g6: 

(Hundertfünfzig  Millionen  ffir  zionistische  Zwecke.) 
Im  „Dziennik  Polski"  finden  wir  die  nachstehende  Notiz : 
, .Einer  der  hervorragendsten  Zionistenführer  in  Lemberg 
erhielt  von  dem  bekannten  Verfasser  der  Broschäre  .Der 
Judenstaat',  Dr.  Theodor  Herzl.  einen  Brief  mit  der  Mit- 
teilung, ein  englischer  Millionär  habe  die  Absicht,  i5o 
Millionen  Gulden  für  die  Wiederherstellui^  des  pal&sti- 
nischen  Reiches  zu  opfern.  Der  Millionär  verlangt  aber 
vorerst  Beweise  dafür,  daß  die  polnischen  Juden  auch 
wirklich  zur  Auswanderung  bereit  seien.  Dr.  Herzl  er- 
sucht nun  die  Lemberger  Zionisten,  sie  möchten  im  gan- 
zen Lande  Volksversammlungen  einberufen  und  eine 
möglichst  große  Zahl  von  Unterschriften  sammeln,  welche 
Uun  als  Beweis  und  gleichzeitig  als  Mandat  für  die  wei- 
teren Verhandlungen  mit  besagtem  MillionSr  dienen  sol- 
len. Der  Brief  des  Dr.  Herzl  hat  bei  einer  Sitzung  des 
Zionisten-Ausschusses  zu  drastischen  Szenen  Anlaß  ge- 
geben. Ein  Teil  der  Mitglieder  äußerte  Zweifel  bezüg- 
lich der  Wahrheitsliebe  des  Dr.  Herzl  und  verlangte,  der- 
selbe möge  vorerst  den  Originalbrief  jenes  englischen  Krö- 
sus einsenden  und  auch  beweisen,  daß  er  wirklich  in 
Audienz  beim  Sultan  war  und  von  ihm  die  Versicherung 
erhalten  habe,  daß  er  die  Angelegenheit  der  Gründung 
eines  Judenstaates  in  Palästina  wohlwollend  behandeln 
werde.  Angeblich  aus  diesen  Gründen  wurde  Dr.  Heral 
das  verlangte  Mandat  nicht  bewilligt;  es  ist  immer  der 


557 


dbyGooglc 


Verdacht  nicht  ungerechtferti^,  daß  die  Zionisten  sich 
einfach  bewußt  waren,  daß  es  ihnea  nicht  gelingen  werde, 
die  notwendige  Anzahl  von  Unterschriften  aufzatreibea." 

32.  Oktober. 
Brief  an  M...  N...  Bej: 

Elxcellence, 
permettez  moi  de  vous  remettre  mes  remerciements 
pour  la  d£coration  que  Sa.  Majest^  m'a  fait  Thonneur  de 
me  conf  £rer. 

Veuillez  agräer,  Excellence,  les  expressious  de  ma  haute 
considiration 

Dr.  Theodore  Herxl. 
Eingeschlossener  Brief  an  den  Sultan: 

Sirel 
Son  Excellence  M . . .  N . . .  Bey  a  bien  voulu  me  re- 
mettre  le  brevet  de  la  d^coration  que  votre  Majestä  m'a 
fait  l'honneur  de  me  confirer. 

En  exprimant  ma  profonde  reconnaissance  pour  ce 
signe  de  faveur,  je  prie  Votre  Majest£  de  conserver  aux 
Juifs  Sa  haute  bienveillance.  Le  jour  oü  il  plaira  k  Votre 
Majest^  d'accepter  les  Services  des  Juifs,  ils  mettront  leurs 
forces  avec  joie  aux  ordres  d'un  monarque  aussi  magna- 
nime. 

Je  suis  avec  le  plus  profond  respect, 

Sire, 
De  Votre  Majest^ 

Le  tr^  humble  et  objissant  serviteur 
Dr.  Theodore  Herxl. 
(Die  Ergebenheitsfloskel   zum  Schluß,   die   vielleicht 
ein  bißchen  tief  ist,  kopiere   ich  aus  den  „Usages  du 
Monde",  Kapitel  „lettres  k  des  personnages",  der  Baronne 
de  Staffe.) 

558 


dbyGoogle 


22.  Oktober. 

Gestern  nachmittags  war  Kozmiaa  lange  bei  mir,  und 
zwar  im  Auftrage  Badenis.  Badeni  wünscht  sehr,  daß 
ich  eine  große  Zeitung  mache,  und  sieht  es  als  einen 
mächtigen  Dienst  an,  für  den  er  mir  dankbar  sein  will. 

Ich  wollte  diplomatisieren,  aber  Kozmian  fragte  mit 
einer  gewissen  Rohheit: 

„Was  verlangen  Sie  dafür?  Sagen  Sie  es  deutlich.  Was 
wollen  Sie  für  sich,  und  was  für  die  Juden?" 

Er  sprach  Französisch,  ich  ging  aber  ins  Deutsche  über, 
pour  faire  sentir  davantage  les  nuances. 

Er  sagte:  „Le  gouvernement  comprend  que  vous  lui 
rendrez  un  Service  inappr^ciable.  II  vous  faut  une  po- 
sition  politico-sociale  qui  est  ä  crier.  Que  demandez- 
vous?  Puisque  ce  n'est  pas  de  l'argent?  Voulez-vous  une 
fonction,  un  titre,  une  distinction?" 

Ich  sagte :  „II  ne  peut  £tre  question  d'une  fonction  si 
je  dois  faire  un  Journal.  NewUnski  a  eu  l'id^  d'une 
d^coration  pour  moi,  la  couronne  de  fer  par  exemple." 

„Quelle  claase?"  fragte  er. 

Ich  sagte:  „Troisiämel"  hStte  aber  „deuxiÖme"  sagen 
sollen.  „Mais  l'affaire  principale  n'est  pas  cela.  II  s'agit 
de  dünner  quelque  chose  aux  Juifs.  Par  exemple  un  mot 
de  l'empereur.  M'ayant  conf^r^  cette  distinction,  11  me 
recevrait  et  me  dirait  de  bonnes  choses  pour  les  Juifs, 
avec  l'autorisation  de  les  publier.  Quoi?  On  s'entendrait 
lA-dessus." 

„C'est  gravel"  sagte  Kozmian.  „On  ne  peut  pas  faire 
«ntrer  l'empereur  k  tont  propos  dans  le  d6bat.  L'empe- 
reur n'a  rien  contre  les  juifs;  seulement  il  n'aime  pas 
les  agioteurs.  Badeni  est  ^galement  plut6t  philos6mite. 
II  n'y  sura  certainement  pas  de  pers^utions  contre  les 
juifs." 

5&» 


dbyGoogle 


Ich  unterbrach:  „Je  ae  crains  pas  des  pers^utions,  cela 
a'existe  plus." 

Er:  „Naturellement  je  ue  peux  rien  vous  dire  de  pr^is, 
dis  qu'il  s'agit  de  Is  personne  de  Tempereur.  Je  causerai 
ä  Badeni.  Je  lui  dirai  ce  que  vous  m'avez  dit.  G'est  ud 
esprit  tris  positif.  II  veut  le  Journal  avant  tes  Ölections. 
II  fera  les  £lectiona  au  mois  de  fävrier  ou  mars,  s'il  a  le 
budget  vot£  maintenant.  Et  il  les  fera  tout  de  suite,  si  on 
le  lui  refuse.  Donc  il  a  besoin  tout  de  suite  d'un  grand 
Journal  ind£pendant  qui  ne  lui  fasse  pas  la  guerre,  et  qui 
le  traite  avec  objectiviti." 

Ich  sagte  endlich,  daß  ich  mit  meinen  Freunden  be- 
raten würde,  was  wir  verlangen  sollen. 

Er  meinte:  im  vorhinein  sei  es  schwer,  mir  etwas  lu 
gewShren.  Versprechen  könne  man  mir  die  Eiserne 
Krone,  und  Graf  Badeni  würde  das  auch  sicher  halten, 
selbst  wenn  er  abdanken  müßte. 

Ich  lud  Kozmian  für  nächsten  Mont^  zu  Tische.  In- 
zwischen werde  ich  mit  mehreren  Freunden  gesprochen 
haben. 

Namentlich  mit  Dr.  Grünfeld,  dem  Präsidenten  der 
Israelitischen  Union,  der  mich  unlängst  zu  einem  Vor- 
trag aufforderte.  Ich  nahm  diesmal  an  und  werde  also 
zum  erstenmal  in  Wien  sprechen.  Bei  Gelegenheit  sei- 
nes Besuches  erzählte  ich  Grünfeld  einiges  von  den  schwe- 
benden Unterhandlungen  mit  Badeni,  und  wie  wir  jetzt 
eine  Judenpartei  gründen  könnten  mit  Hilfe  der  Regie- 
rung. 

Ein  Blatt,  ein  Blatt  wäre  aber  notwendig,  und  dafür 
braucht  man  Geld,  Geld.  Ich  habe  aus  der  Familie 
4oo  ooo  Fl.  zur  Verfügung.  Es  ist  aber  eine  volle  Million 
erfcnrderlich. 

*    *     * 

56o 


dbyGoogle 


Gestern  abeods  war  ich  beim  Festkommers  der  Kadi- 
mah.  Eine  Kette  vod  Ovationen.  Sie  nannten  mich  vor 
den  übrigen  Ehrengasten,  ich  saß  rechts  vom  Präsidium 
und  wurde  zum  Ehrenburschen  ernannt.  Alle  Redner 
sprachen  von  mir.  Ort  ne  parle  qae  de  moi  lä  dedana. 

Ich  fürchte  nur,  dem  ßausch  der  Popularität  wird  ein 
Katzenjammer  folgen. 

Vorläufig  ist  es  noch  sehr  hübsch. 

22.  Oktober. 

Heute  steht  in  der  N.  Fr.  Pr.  ein  sehr  giftiger  Leit- 
artikel gegen  Yildiz  Kiosk,  Izzet  Bey  und  Lutfi  Aga.  Der 
Artikel  wird  mir  in  Konstaatinopel  sehr  schaden,  mittel- 
bar vielleicht  auch  den  jüdischen  Kolonisten  in  Palästina. 

Die  Situation  ist  wirklich  unhaltbar  geworden.  La 
Situation  n'est  pas  franche.  Wenn  ich  nur  das  Geld  für 
die  Zeitung  hätte,  wären  wir  mit  einem  Ruck  in  der 
Höhe. 

24.  Oktober. 
Gestern  war  Sidney  Whitman,  Freund  des  Fürsten  Bis- 
marck,  des  Malers  Lenbach,  des  Sultans,  Gordon  Bennets, 
und  Londoner  Vertreter  des  „New  York  Herald"  bei  mir. 

Ein  origineller  Mensch 

Charakteristischer  Kopf  —  eine  großangelegte  Nase,  die 
plötzlich  aufhört,  bevor  sie  an  ihrem  geplanten  Ende  an- 
gelangt ist.  Kurioser,  unterm  Kinn  dichter,  viereckiger, 
ergrauender  Vollbart.  Er  spricht  vorzüglich  Deutsch,  und 
zwar  im  schnoddrigsten  Ton  des  Absprechens.  Er  erzählt 
mit  Korrespondenten-Ruhmredigkeit  von  seinen  Aben- 
teuern in  Konstantinopel,  wo  er  während  der  armenischen 
Massaker  war.  Er  hatte,  wenn  er  schrieb,  immer  den  ge- 
spannten Revolver  auf  dem  Tisch  liegen  aus  Furcht  vor 

36     HenlB  TasebOolwr  I.  56l 


dbyGoogle 


einem  annenischen  Überfall,  da  er  Lanzen  für  den  Sultan 
stach.  Der  Sultan  gab  ihm  Orden  und  Händedrücke. 
Sidney  Whitman  war  es,  der  nach  Europa  lancierte :  die 
Türken  würden  alle  Christen,  deren  sie  habhaft  werden 
könnten,  ermorden,  wenn  die  Mächte  intervenierten. 

Dieser  „Nachricht"  war  offenbar  die  Erhaltung  des 
Friedens  zu  verdanken. 

Whitman  geht  jetzt  zu  Bismarck  nach  Friedrichsruh 
und  wird  trachten,  ihn  für  meinen  Plan  zu  interessieren. 


Später  brachte  Dr.  Grünfeld  den  Landesschulrat  und 
Advokaten  Dr.  G ...  K ...  zu  mir.  Dr.  K . . .  will  das  Kon- 
sortium von  Geldgaranten  für  die  zu  gründende  Zeitung 
zusammenstellen.  Als  ersten  nannte  er  B.  Albert  Roth- 
schild, den  ich  rundweg  refusierte.  Der  Plan  ist:  die 
Juden  gründen  ein  Blatt,  das  den  Grafen  Badeoi  unab* 
häogig  unterstützt,  wogegen  Badeni  eine  judenfreund- 
lichere Haltung  annimmt. 

26.  Oktober. 
Heute  speiste  Kozmian  hei  mir.  Ich  konnte  ihm  noch 
keine  definitive  Zusage  für  Badeni  geben.  Dieser  wünscht 
das  Blatt  sehr  dringend,  wegen  der  N.  Fr.  Pr.,  die  ihm 
unangenehm  ist,  deren  faktisches  Monopol  in  Wien  er 
brechen  möchte,  und  wegen  der  Reichsratswahlen. 

4.  November. 
Zur  Stimmung  dieser  Zeit  gehört,  daß  ich  wieder  von 
Tag  zu  Tag  enervierter  werde.  Dr.  G . . .  K . . .  soll  das  Zei- 
tungskonsortium zusammenstellen.  Die  ablehnen,  schwei- 
gen vielleicht  nicht,  und  bisher  hat  noch  keiner  seinen 
Beitritt  zugesagt.  So  bin  ich  der  zweifelhaften  Diskretion 

56a 


dbyGoogle 


UnbekanDter  ausgesetit,  und  jeden  Tag,  wean  ich  das 
„Ghefzimmer"  betrete,  bin  ich  auf  die  KriegserklSrung 
gefaßt. 

Auch  Kozmian-Newlioski  können  etwas  ausplaudern. 
Schon  war  in  der  Redaktion  das  Gerücht  verbreitet,  ich 
hStte  die  Wiener  Allgemeine  Zeitung  gekauft. 

8.  November. 

Gestern  sprach  ich  zum  erstenmal  Öffentlich  in  Wien, 
in  der  Israelitischen  Union. 

Das  Lokal  Kuhners  beSngst^end  voll.  Ich  war  in  der 
schweren  Hitze  und  bei  meiner  mangelhaften  Redevoi> 
bereitung  nicht  gut  disponiert,  hatte  auch  das  Gefühl  von 
Denklflcken  bis  ans  Ende.  Dennoch  war  der  Erfolg  stür- 
misch. 

Professor  Singer,  den  ich  durch  eine  Anspielung  auf 
die  jetzt  aufgetauchten  SozialpoUtiker  —  ich  sprach  von 
den  Marranen  Spaniens  als  Religionspolitikem  —  ge- 
Srgert  hatte,  meldete  sofort  einen  Gegenvortrag  an,  und 
ich  bat  dann,  über  diesen  eine  Diskussion  zu  eröffnea. 

Der  PrSsident  der  Union,  Dr.  Grünfeld,  dankte  in 
einem  Speech  dafür,  daß  ich  das  erklSrt  habe,  was  man 
bisher  für  eine  Utopie  hielt. 


Ich  sprach  namentlich  gegen  das  geplante  russisch- 
fransösische  Finanzarrangement  der  Türkei,  weil  dieses 
uns  den  Weg  nach  PalSstina  dttschoitte.  Diesen  Teil  der 
Rede  schicke  ich  heute  an  de  Haas  nach  London.  Der 
Hauptsatz  lautet: 

„Die  jüdische  Hochbank,  die  dazu  mithilft,  ohne  Rück- 
sicht auf  die  Leiden  der  armen  Juden,  und  ohne  bei  dieser 

36-  563 


dbyGoogle 


Gfil^enheit  zur  L{teung  der  Judenf  rage  beizutragen,  lüde 
schwere  Verantwortung  auf  sich." 

Ich  fordere  lugleich  Haas  auf,  in  England  und  Amerika 
dagegen  zu  agitieren.  Er  möge  mit  Rev.  Gaster,  RaU>ino- 
wicz,  Isfa  Kisfaor  ein  Masseoprotestmeeting  im  Eastend 
einberufen. 

Zugleich  rege  ich  Sammlung  eines  Nationalfonds  an, 
der  uns  von  der  Hocbbank  unabhängig  machen  soll. 

8.  November. 

Brief  an  Adolf  Stand  in  Lemberg,  der  sich  mir  als  Chef 
des  Exekutiv-Komitees  anmeldet.  (In  der  Einleitung 
spreche  ich  den  Wunsch  nach  Vereinigung  aller  öster- 
reichischen Zionsvereine  im  Zionsverband  von  Wien  aus. 
Dann  wörtlich :) 

,,Dem  Zionismus  droht  jetzt  eine  ungeheure  Gefahr. 
Sie  wissen,  daß  ein  russisch-französisches  Arrangement 
der  türkischen  Finanzen  geplant  wird.  Wenn  das  zustande 
kommt,  ist  der  Sultan  mediatisiert,  handtungsunfShig, 
und  jede  Hoffnung,  Palistina  für  uns  zu  bekommen,  ist 
begraben. 

Dazu  darf  also  die  jüdische  Hochbank  nicht  helfen! 

Ich  sprach  gestern  dagegen  in  der  hiesigen  Union.  Die 
Rede  wird  in  Blochs  Wochenschrift  erscheinen.  Ich  gab 
meinem  Komitee  in  England  Auftrag,  gegen  dieses  An- 
lehen  eine  große  Agitation  einzuleiten. 

Sie  in  Galizien  können  da  nichts  anderes  tun,  als  daß 
Sie  den  Massen  mitteilen,  was  vorgeht. 

Ich  bitte  Sie  aber,  vernünftig  und  vorsichtig  vorzugehen, 
damit  nicht  wieder  solche  perfid-lScherliche  GescLdcbten 
aufkommen,  wie  die  des  Dziennik  Polski. 

Sie  erbalten  jetzt  die  erste  Gelegenheit,  Ihre  Tüchtigkeit 
als  Chef  eines  Laodesexekutivkomitees  zu  zeigen. 

564 


dbyGooglc 


Suchen  Sie  Fühlung  mit  den  einflußreichsten  ortho- 
doxen Rabbinern. 

Ich  gab  in  meiner  gestrigen  Rede,  deren  Verbreitung 
wünschenswert  ist,  auch  noch  eine  für  die  Zukunft  wich- 
tige Anregung: 

Es  möge  an  allen  Orten,  wo  Juden  wohnen,  ein  Natio- 
nalfonds durch  Sammlungen,  Spenden  usw.  angelegt 
werden.  Der  Fonds  bleibt  überall  in  der  Ver- 
waltung derer,  die  ihn  aufbrachten,  resp.  be- 
dingt subskribierten.  Nur  die  Rechnungsausweise  sind 
der  Zentralstelle  mittuteilen.  Diese  weiß  dadurch,  auf 
welche  Mittel  im  Augenblick  der  Verwirklichung  ge- 
rechnet werden  kann.  Und  wir  sind  nicht  mehr  von  der 
Gnade  der  Hochbank  abhängig. 

Überlegen  Sie  alles  gut  und  reiflich,  was  Sie  in  Erfül- 
lung dieses  Auftrages  tun. 

Mit  Zionsgruß 

Ihr 

Th.  Herzl. 

tO.  November. 

Ein  Mann  aus  Jerusalem,  namens  Back,  war  bei  mir. 
Er  reist  in  Europa  herum,  um  eine  Agrarbank  für  PalS- 
Btioa  zu  gründen  —  die  Jewish  Company  in  der  Westen- 
tasche, offenbar  in  seiner  Westentasche. 

Er  behauptet  unter  der  Patronanz  des  galizischen  Wun- 
derrabbiners  Friedmann  zu  stehen. 


Dr.  G . . .  K . . .  teilt  mir  mit,  daß  seine  Geldbeschaf- 
fungsversache gescheitert  sind. 

Ea  wird  also  nichts  aus  dem  großen  Blatt,  die  Aus- 
sichten, die  sich  daran  schlössen,  sind  erloschen. 

565 


dbyGoogle 


Von  diesem  f  esteo  Punkt  aus  hStte  ich  Enormes  leisten 
können.  Das  ist  jetzt  alles  zunichte  gewardea. 


Levin-Epstein,  Administrator  der  Kolonie  Rechowoth 
in  Palästina,  war  bei  mir. 

Er  erzählte  von  Scheid,  daß  dieser  die  Kolonien  in 
wirtschaftlicher  Abhängigkeit  zu  erhalten  trachte,  und 
zwar  mit  allen  Mitteln. 

In  Rischon-le-Zion  komme  beinahe  auf  jede  Kolonisa- 
tionsfamilie  eine  Beamtenfamilie.  Daher  Gedeihen  aus- 
geschlossen. 

Scheid  dürfte  nach  L.  Epsteins  Ansicht  die  falschen 
Gerüchte  ausgesprengt  haben,  um  eine  Ausrede  beim  Ba- 
ron für  die  Mißerfolge  der  durch  Bakschisch  erkauften 
Ansiedlung  im  Hauran  zu  haben. 

Als  Bakschischgeber  in  Koostantinopel  soll  der  Arme- 
nier Dewleth  fungiert  haben. 

1i.  November. 

Heute  begleitete  ich  Benedikt  von  der  Redaktion  nach 
Hause  und  schmiedete  ihn  wieder.  Wenn  er  die  Sache 
aufgreife,  sei  sie  gemacht. 

Unterwegs  begegneten  wir  dem  alten  Kobleo-Gutmann, 
der  protzig  sich  auf  den  Wanst  schlagend  sagte,  man 
habe  ihm  heute  die  Wiener  Allgemeine  Zeitung  zum  Kauf 
angeboten.  Er  habe  zwar  schon  viel  Geld  in  Zeitungen 
gesteckt,  werde  sie  aber  vielleicht  doch  kaufen,  weil 
70  Menschen  brotlos  werden  könnten.  Er  erweist  also 
noch  eine  Gnade,  indem  er  diese  Zeitung  kauft,  in  der 
dann  seine  schmutzigen  Interessen  verteidigt  werden  sol- 
len. Ein  doppelter  Jammer. 

566 


dbyGoogle 


Nachdem  wir  den  Lästigen  losgeworden,  sprachen  wir 
weiter.  Ich  entwickelte  Benedikt  meinen  „echelooierten 
Aoleiheplan". 

Er  sagte :  „Es  fängt  schon  an,  sich  zu  klären.  Sie  gehen 
nicht  mehr  so  weit  wie  früher.  Ober  die  Koloniaation  in 
großem  Maßstab  —  ohne  Zionismus  —  läßt  sich  reden. 
Wir  werden  davon  noch  sprechen." 


Nachmittag  war  Wolffsohn  aus  Köln  bei  nur,  ein 
wackerer,  sympathischer  Mensch,  der  mir  schon  gut  ge- 
fallen hatte,  als  er  vor  Monaten  zum  erstenmal  bei  mir 
war. 

Ich  erzählte  ihm  alles.  Er  staunte  über  meine  Leistun- 
gen in  Konstanttnopel,  London,  hier  und  insbesondere  in 
Karlsruhe,  weil  er  ja  von  Köln  aus  zum  Großherzog  von 
Baden  wie  in  eine  steile  Höbe  binaufblickt. 

Ich  erzählte  ihm  von  Scheids  Intrigen,  die  er  zum  Teil 
auch  kannte.  Er  will  durch  Dr.  Holtzmann  Material  über 
Scheids  Mißwirtschaft  herbeischaffen  lassen. 

leb  erzählte  ihm  vom  Verhalten  Edmund  Rothschilds 
und  Zadok  Kahns.  Dieser  hat  mir  ja  in  seinem  letzten 
Brief  mitgeteilt,  die  Hirschleute  ständen  meinem  Unter- 
nehmen mehr  als  kühl  gegenüber,  und  es  wäre  am  besten, 
ich  ließe  die  Sache  fortab  ruhen. 

Aber  geradezu  entsetzt  war  der  gute  Wolffsohn,  als  ich 
ihm  die  gescheiterte  Verhandlung  mit  Badeni-Kozmian 
berichtete.  Welcher  Jammer  liegt  darin,  daß  ich  die  lum- 
pige Million  Gulden  nicht  aufbringen  kann,  die  zur  Grün- 
dung des  großen  Blattes  und  mithin  zur  Erlangung  der 
Unterstützung  Badenis,  der  ganzen  österreichischen  Re- 
gierung, nötig  ist. 


567 


dbyGoogle 


Eioe  einzige  Million  Guldeal  daß  sie  nicht  jetzt  für  dea 
Zweck  zvx  Hand  ist  —  dadurch  wird  vielleidit  der  histo- 
rische Moment,  in  dem  die  Lösung  der  Judenfrage  mög- 
lich war,  verpaßt. 

Badeni  braucht  mich  jetzt.  Selbst  wenn  er  nach  den 
Reichsratswahlen  noch  im  Amte  bleibt,  wird  er  mich  nicht 
mehr  brauchen,  wird  mich  folglich  nicht  in  Rußland,  wie 
in  der  Türkei,  poussieren. 

Et  ta  Chance  est  bien  manquie, 

Brief  an  den  Großfürsten  Wladimir,  der  sich  gegen- 
wärtig in  Berlin  aufhält. 

Monseigneurt 

S.  A.  R.  le  Prince  Ferdinand  de  Bulgarie  m'a  dit  au 
mois  de  juillet  k  Karlsbad:  „Le  seul  homme  en  Russie  qui 
puisse  vous  aider,  c'est  le  Grandduc  Wladimir  I" 

De  quoi  il  s'agit? 

De  la  Solution  d'une  question  ancienne  d^j&  comme  le 
christiaoisme,  d'une  cause  grande  et  belle,  et  faite  pour 
plaire  aux  coeurs  les  plus  nobles.  Cest  le  retour  des  Juifs 
en  Pal6stinel 

J'ai  d£velopp£  le  plan  dans  une  brochure  qui  a  kt6  tra* 
duite  en  dix  langues.  J'ai  l'honneur  de  remettre  k  Votre 
Altesse  Imperiale  l'^dition  russe.  Depuis  cette  publica- 
tion  j'ai  fait  quelques  d^marches  k  Constantinople,  oü 
j'ai  vu  le  grandvizir,  et  ailleurs. 

S-  A.  R.  le  Grandduc  de  Bade  m'a  fait  l'honneur  de 
me  recevoir  k  Karlsruhe,  et  il  a  eu  la  bont6  de  a'int^resser 
ji  la  cause. 

Je  me  mets  respectueusement  k  la  disposition  de  Votre 
Altesse  Imperiale  pour  explicper  l'id^e  toute  enti^re,  sans 
les  restrictions  qui  sont  nScessaires  dans  un  Uvre.  II  est 
facile  de  se  renseigner  sur  moi  —  je  suis  r£dacteur  de  la 
Neue  Freie  Presse  de  Vienne  —  et  de  savoir  si  je  suis 

568 


dbyGoOglc 


compromettant,  s'U  y  a  &  craindre  la  moindre  indiscrition 
de  ma  part. 

S.  A.  R.  le  Grandduc  de  Bade  peut  le  dire.  Si  Votre 
Altesae -Imperiale  veut  bien  m'accorder  la  faveur  de  me 
recevoir,  je  viendrai  i  Berlio,  k  St.  P^tersbourg,  n'im- 
porte  oä. 

La  Solution  de  la  question  juive  est  une  ceuvre  süperbe. 

Le  jiüfs  peuveDt  venir  en  aide  aux  finances  ditraqu^ 
de  la  Turquie.  Cela  faciliterait  les  riformes  indispeo- 
aables  au  soulagement  des  malbeureux  cfar£tiens  de  rem- 
pire  ottomaD.  Pour  les  pays  daos  lesquels  oa  aimerait 
voir  s'Sloigner  les  juifs,  cela  serait  un  soulagemeat  nou 
moins  bienfaisant. 

Les  massea  des  juifs  pauvres  acceptent  l'idäe  avec  en- 
tbousiasme,  j'en  ai  maintes  preuves. 

Oq  coQtenterait  k  peu  pr6s  tout  le  monde;  c'est  donc  la 
Solution! 

Je  suis  avec  le  plus  profond  respect, 
MoDseigneur, 

de  Votre  Altesse  Imperiale 

le  trds  humble  et  obeissant  serviteur 
Dr.  Theodore  Herzl. 

15.  Novemba-  9S: 
(Ergebenbeitsformel,  siehe  S.  [558].) 
k  Son  Alt.  Imp. 

le  Grandduc  Wladimir 

k  Berlin. 

17.  November . 
Im  Jewisb  World  erscheint  der  Auszug  meiner  Union- 
Rede  unter  dem  Titel:  The  Jewiah  State.  Dr.  Herzt  throw» 
light  ort  his  icheme. 

569 


,db,Google 


Diesen  Ausschnitt  sende  ich  mit  folgendem  Brief  an 
den  Großherzog  von  Baden. 

Ew.  Königliche  Hoheit  I 

Obwohl  ich  nicht  die  Auszeichnung  hatte,  auf  mein  vor 
einigen  Monaten  abgeschicktes  ehrfurchtsvolles  Schrei- 
ben eine  Antwort  zu  erhalten,  gestatte  ich  mir  noch  ein- 
mal auf  die  Judenfrage  zurückzukommen. 

Der  beiliegende  Ausschnitt  aus  einem  Londoner  Blatte 
sagt  Eiirer  Königl.  Hoheit  in  Kürze  den  augenblicklichen 
Stand  der  Sache. 

Es  ist  wirklich  etwas  Wunderbares  um  die  Entwicklung 
der  Judenrückkehr- Bewegung.  Von  den  Armen  und  jun- 
gen Juden  mit  Begeisterung  aufgenommen,  ist  dieser  Ge- 
danke jetzt  schon  rund  um  die  Erde  verbreitet,  wie  aus 
zahllosen  Kundgebungen  hervorgeht.  Und  zugleich  kann 
er  auch  zur  Behebung  der  gegenwärtigen  türkischen 
Schwierigkeiten  dienen. 

Es  ist  im  größten  Interesse  derjenigen  Mächte,  welche 
den  Status  quo  und  dabei  aber  auch  die  Gesundung  der 
Verhältnisse  in  der  Türkei  wünschen,  daß  das  geplante 
russisch-französische  Finanzarrangement  nicht  zustande 
komme.  Denn  das  wäre  tatsächlich  eine  russische  Be- 
schlagnahme der  Türkei,  ähnlich  dem  Protektorate,  das 
Rußland  sich  durch  die  Finanzintervention  nach  dem 
japanischen  Kriege  über  China  zu  sichern  wußte. 

Dieses  angebliche  Arrangement  liefe  auf  eine  neue 
Agiotage  hinaus,  von  der  Frankreich  (im  evakuierten 
Ägypten)  und  Rußland  alle  politischen  und  ein  paar 
Börsenjobber  die  Geldvorteile  hätten,  indes  in  der  Türkei 
alles  heim  alten  bliebe. 

Hingegen  bedeutet  das  nationaljüdische  Arrangement 
—  ganz  abgesehen  von  der  weltgroßen  und  verheißenen 
Erfüllung,  die  darin  liegt  —  eine  wirkliche  Sanierung 

570 


dbyGooglc 


der  Türkei.  Die  Rückkehr  der  Juden  ist  der  Schutz  der 
'  Christen  im  Orient. 

Königliche  Hoheit  I  ich  habe  nur  arme  Worte  zur  Ver- 
fügung, um  auf  den  Willen  der  MSchtigen  dieser  Erde 
'  einzuwirken.  Vielleicht  habe  ich  heute  den  Ton  getroffen, 
der  überzeugt?  Wenn  sein  guter,  weiser  Ratgeher  dem 
Deutschen  Kaiser  empfiehlt,  mich  anzuhören,  wird  Se.  Ma- 
jestät mich  zu  einem  geheimen  Vortrage  nach  Berlin 
kommen  lassen.  Damit  wäre  unendlich  viel  gewonnen. 
Als  ich  in  Karlsruhe  war,  gestatteten  mir  Ew.  Königl. 
Hoheit  gnädigst,  ab  und  zu  über  meine  Arbeiten  in  der 
Judensache  zu  berichten.  Aus  Furcht,  weiterhin  lästig  zu 
fallen,  beschließe  ich  mit  meinem  heutigen  Briefe  den 
Gebrauch,  den  ich  von  dieser  Erlaubnis  machte,  falls  ich 
kein  Zeichen  der  Ermutigung  erhalte. 
Ich  verbleibe  in  tiefster  Ehrfurcht 

Eurer  Königlichen  Hoheit 

dankbar  ergehener 

Dr.  Theodor  Herzl. 

f.  Dezember. 

Dr.  Rothfeld  aus  Pest  erzählt  mir  von  einem  dort  ver- 
breitet gewesenen  Gerücht.  Man  sagte,  ich  hätte  von  einer 
englischen  Landkomp^nie,  die  in  Palästina  ein  Geschäft 
machen  wolle,  für  die  Publikation  des  „Judenstaates" 
ein  großes  Honorar  bekommen. 

So  unglaublich  erscheint  es  unseren  Juden,  daß  jemand 
etwas  aus  Oberzeugung  tun  könne. 

Brief  an  Hechler  für  Lord  Salisbury. 

Verehrter  Freund  1 
Ihre  Ansicht,  daß  ich  Lord  Salisbury  den  Judenplan 
entwickeln  sollte,  scheint  mir  richtig.  Nur  will  ich  nicht 

67. 


dbyGoogle 


direkt  aa  iba  herantreteo.  Wcdd  Sie  es  für  gut  finden, 
werden  Sie  ihm  den  Inhalt  dieses  Briefes  zur  Kenntnis 
bringen. 

Für  Sie,  mein  sehr  verehrter  Freund,  ist  die  Judensache 
eine  theologische.  Aber  sie  ist  auch  eine  politische,  und 
zwar  sehr  aktuelle.  Sie  wissen,  daS  religiöse  Gefühle,  und 
in  jüngster  Zeit  der  überall  auftauchende  Antisemitismus, 
in  den  breiten  unteren  Massen  der  Juden  aller  LSnder  eine 
starke  Sehnsucht  nach  Palästina  erweckt  haben.  Sie  wis- 
sen, daß  Hunderttausende  zur  sofortigen  Wanderung  be- 
reit sind,  und  zu  vermuten  ist,  daß  ihnen  später  noch  mehr 
Hunderttausende  folgen  würden. 

Das  ist  ein  Element  —  ein  neues  allerdings  —  womit 
die  englische  Politik  im  Orient  rechnen  könnte  und 
sollte.  Lord  Salisbury  könnte  damit  einen  Meister^ 
streich  ausführen.  Bei  der  jetzigen,  von  der  russisch- 
französischen  Entente  beherrschten  Weltlage  würde  eine 
Teilung  der  Türkei  England  schwer  benacbteiligen.  Für 
England  wfire  die  Teilung  jetzt  ein  Verlust,  es  muß  also 
den  Status  quo  wünschen.  Dieser  kann  nur  erhalten  wer- 
den, wenn  man  die  Finanzen  der  Türkei  regelt.  Darum 
bat  Rußland  soeben  das  vorgeschlagene  finanzielle  Arran- 
gement verbindert.  Rußland  will  die  AUirÖckelung  und 
Selbstauflösung  der  Türkei. 

Nun  gibt  es  ein  Mittel,  die  türkischen  Finanzen  zu  re- 
geln, somit  den  Status  quo  noch  einige  Zeit  zu  erhalten, 
und  gleichzeitig  für  England  einen  neuen  Weg  nach 
Indien,  den  kürzesten,  zu  schaffen.  Und  das  alles,  ohne 
daß  England  einen  Penny  auszulegen  oder  sich  irgendwie 
sichtbar  zu  engagieren  bstte. 

Das  Mittel  ist  die  Herstellung  eines  autonomen  jüdi- 
schen Vasallenstaates  in  Palästina,  ähnlich  wie  Ägypten, 
unter  der  SuzerSnitSt  des  Sultans.  Ich  habe,  wie  Sie  wis- 

57a 


dbyGoog-Ie 


sen,  im  Sommer,  als  ich  in  Konslantinopel  war,  die  ersten 
Fäden  hierzu  angesponnen.  Die  Sache  ist  möglich,  wenn 
wir  den  Rückhalt,  und  ich  wiederhole  ausdrücklich:  den 
unsichtbaren  Rückhalt,  einer  Großmacht  haben.  Da  der 
Sultan  vorläufig  noch  unbestrittener  Souverän  ist,  kann 
keine  Macht  ihn  hindern,  die  Juden  zur  Einwanderung 
in  Palästina  binzuladen.  Hierfür  würden  wir  ihm  eine 
große  Anleihe  auf  den  von  den  Juden  zu  zahlenden,  im 
vorhinein  sichergestellten  Tribut  besorgen. 

England  hätte  den  Vorteil,  daß  sofort  die  Eisenbahn 
quer  durch  Palfistina  vom  Mittelmeer  nach  dem  Persi- 
schen Meerbusen  gebaut  würde  oder  im  Anschluß  an  die 
vom  Verkehrsbedürfnis  bald  erzwungene  Rahn  durch  Per- 
sien und  Belutschistan  (evtl.  Afghanistan)  nach  Indien. 

England  hfitte  diese  Vorteile  sans  boarie  dilier,  und 
ohne  daß  die  Welt  von  seiner  Reteiligung  erführe.  Wäh- 
rend Rußland  sich  im  Norden  den  Schienenweg  nach 
Asien  vorbereitet,  hätte  England  im  Süden  einen  neu- 
tralen Reserveweg  nach  Indien,  falls  am  Suezkanal 
Schwierigkeiten  entstehen  sollten. 

Will  Lord  Salisbury  dem  Gedanken  nähertreten,  so 
stehe  ich  hier  seinem  Rotschafter  und  ihm  selbst  in  Lon- 
don zur  Verfügung,  wenn  er  mich  ruft. 

Findet  er  die  Sache  zu  phantastisch,  so  kann  ich  nur 
bedauern.  Die  Rewegung  existiert  aber  in  Wirklichkeit, 
und  ein  geschickter  und  großer  Staatsmann  wird  sie  zu 
benützen  wissen. 

Mit  herzlichen  Grüßen  Ihr  getreuer 

Theodor  Herzl. 

il.  Dezember. 
Auf  dem  Weg  ins  Bureau  traf  ich  heute  mittags  New- 
linski.  Seit  dem  Scheitern  der  Blattgründung  hat  er  jetzt 

673 


dbyGoogle 


immer  ein  wohlwollend  spitzbübisches  Grinsen,  wenn  et 
mich  sieht.  Das  will  sagen:  „Hast  mich  draagekriegtl 
Ich  bin  dir  aufgesessen,  nehm's  aber  nicht  übel,  weil  da 
BO  geschickt  warst." 

Je  lui  remets  loajoars  du  caeur  aü  venire.  Ich  sage  ihm : 
„Es  ist  eine  schlechte  Pause  im  Werk.  Nur  Geduld.  Wir 
werden  es  übertauchen.  Die  Freunde  erkennt  man  dar- 
an, daß  sie  in  den  ungünstigen  Tagen  nicht  wankend 
werden." 

Er  versichert  mir  schließlich  immer,  daß  er  festhalte  — 
und  fügt  ironisch  hinzu:  „Ich  bin  Ihr  einziger  AnhSnger." 

Er  erzählt  mir,  daß  Izzet  Bey  beim  Sultan  in  Ungnade 
gefallen  sei.  Seit  zehn  Tagen  wurde  er  nicht  empfangen. 
Tahsim  Bey  scheine  jetzt  obenauf  zu  sein.  Dem  bat  New- 
linski  geschrieben,  er  möge  dem  Sultan  den  Judenvcv- 
scblag  wiederholen.  Man  spricht  von  Rhagih  Bey  als 
wahrscheinlichem  Nachfolger  Izzets. 


Der  dänische  Literaturgeist  Georg  Brandes  bestätigt 
mir  in  einem  ausweichend  höflichen  Brief  den  Empfang 
des  „Judenstaats".  Er  erzählt  mir  die  alte  Anekdote  vom 
Bankier,  der  jüdischer  Gesandter  in  Berlin  werden 
möchte. 

Ich  antworte  ihm  ironisch.  Ich  hätte  eine  andere  Auf- 
nahme des  schönen  jüdischen  Renaissancegedankens  von 
ihm  erwartet.  Ich  glaube  nicht  an  die  Ausführung  des 
Gedankens,  vne  ich  ihn  in  meiner  Schrift  entworfen.  Aber 
ich  glaube,  daß  der  Judenstaat  entstehen  wird,  unter  teil- 
weisem Fortbestande  der  Diaspora,  weil  in  solcher  Dia- 
spora jetzt  alle  Völker  leben. 


574 


dbyGoogle 


12.  Dezember. 
Hechler  war  bei  mir,  brachte  einen  Zeitungsausschnitt, 

welcher  meldet,  daß  der  Deutsche  Kaiser  im  nSchsteu 
Herbst  nach  Palästina  gehen  wird. 

Wir  kamen  überein,  daß  ich  ihm,  Hechler,  einen  zur 
Vorlage  an  den  Kaiser  bestimmten  Brief  schreiben  werde. 
Die  Zeit  ist  allerdings  ungünstig.  Der  SkandalproceB, 
der  sich  an  die  Fälschung  des  Breslauer  Zarentoasis 
knüpfte,  dürfte  den  Kaiser  mißmutig  und  mißtrauisch 
gegen  Journalisten  gemacht  haben. 

13.  Dezember. 
Im  Morgenblatt  lese  ich,  daß  der  frühere  preußische 

Kriegsminister  Verdy  du  Vernois  hier  angekommen  ist. 

Ich  schreibe  ihm : 

Ew.  Exzellenz  I 

Im  August  erfuhr  ich  durch  einen  Herrn,  der  mit  Ew. 
Exzellenz  in  Therapia  zusammengetroffen  war,  daß  Sie 
sich  für  meinen  Entwurf  der  Judenwanderung  nach  Pa- 
lästina interessieren. 

Soeben  lese  ich  in  der  Zeitung  von  Ihrer  Anwesenheit 
in  Wien. 

Wenn  jene  erste  Meldung  richtig  war,  bitte  ich  um  die 
Ehre,  von  Eurer  Exzellenz  empfangen  zu  werden.  Aus 
der  Broschüre  „Der  Judenstaat"  läßt  sich  der  gegenwär- 
tige Stand  dieser  großen  Sache  nicht  erkennen.  Viel  ist 
inzwischen  vorgegangen,  auch  viel  —  malgri  moi  — 
versäumt  worden.  Rund  um  die  Erde  läuft  heute  schon 
diese  von  Menschen  unterschätzte  Bewegung.  Was  sie 
an  Segen  birgt,  und  zwar  nicht  nur  für  die  Juden,  wird- 
noch  nicht  erkannt. 

Wenn  es  mir  vergönnt  wäre,  mich  mit  Ew.  Exzellenz 
über  den  Gegenstand  eingehend  zu  unterhalten,  könnte  ich 

575 


dbyGoogle 


gewisse  Aufschlösse  geben,  die  sich  zur  Veröffentlichung 
nicht  eignen;  und  vor  allem  erhoffe  ich  Belehrungen  von 
dem  Orientkenner. 

Ich  brauche  nicht  tu  sagen,  daß  eine  journalistische  In- 
diskretion in  dieser  mir  so  heiligen  Sache  von  mir  nicht 
zu  befürchten  ist.  Ich  stehe  zu  jeder  Stunde,  und  wo  es 
Ihnen  beliebt,  zur  Verfügung.  Das  Telephon  (Nummer ' 
la  287)  habe  ich  auch  in  meiner  Privatwohnung  IX  Berg- 
gasse 6.   Der  Hotelportier  kann  mich  anrufen. 

Heute  nachmittags  bin  ich  bis  vier  Uhr  jedenfalls  zu 
Hause. 

Nochmals  mache  ich  aber  den  Vorbehalt  der  ersten 
Meldung;  bitte,  wenn  sie  unrichtig  war,  mich  gütigst  lu 
entschuldigen  und  diesen  Brief  als  non  avena  anzusehen. 

Mit  den  Ausdrücken  meiner  ausgezeichnetsten  Hoch- 
achtung 

Ew.  Exzellenz 

sehr  ergebener 

Dr.  Theodor  Herzl. 


Der  Bote  brachte  diesen  Brief  aus  dem  Hotel  Bristol 
zurück  —  der  General  war  schon  abgereist.  Also  non 
avenu.  In  den  Papierkorb. 

1ü.  Dezember. 

Hechler  hat  von  Lord  SaUsbury  eine  leichte  Nase  er- 
halten für  die  Einsendung  meines  Briefes.  Lord  S.  caimot 
grant  Dr.  Herzl  to  interview  him. 

Interessant  an  dem  Refus  nur  die  englisch  gesch&fts- 
mSßige  Art,  in  welcher  vom  „retarn  of  the  Jena"  die 
Rede  ist. 


576 


dbyGoogle 


20.  Dezember. 
Ich  fühle  mich  ermüden.  Ich  glaube  jetit  öfter  als  je 

vorher,  daß  meiae  Bewegung  zu  Ende  ist.  Ich  habe  die 
volle  Überzeugung  von  der  Ausführbarkeit,  kann  aber  die 
Aofangsschwierigkeit  nicht  überwinden. 

Eine  einzige  Million  Gulden  wäre  nötig,  um  die  Be- 
wegung groß  auf  die  Beine  zu  bringen.  Dieser  Bettel  (für 
eine  so  große  Sache)  fehlt  —  und  darum  werden  wir 
schlafen  gehen  müssen,  obwohl  der  Tag  da  ist. 

21.  Dezember. 
Güdemann,   der   mir  seit  Monaten    auswich,   in   der 

Herrengasse  getroffen.  Er  kam  so  dicht  vorbei,  daß  wir 
stehenbleiben  mußten. 

Er  tat  pikiert,  weil  ich  ihn  nicht  mehr  aufgesucht  habe ; 
er  sei  doch  auf  meinen  Ruf  nach  München  gekommen, 
habe  mich  bei  Adler  in  London  eingeführt  usw. 

Ich  sagte  ihm  grob  und  geradezu :  „Sie  sind  lau  und  flau 
geworden  —  da  habe  ich  Sie  einfach  links  liegen  lassen." 

Er  möchte  sich  wieder  mit  mir  „aussprechen". 

Ich  werde  ihn  vor  ein  Dilemma  stellen:  mit  oder  gegen! 

6.  Jänner  1897. 

So  sind  vnr  denn  in  das  Jahr  97  eingerückt,  das  eines 
der  „kritischen"  Jahre  meines  Freundes  Hechler  ist. 

Ich  bin  trige  geworden  in  der  Führung  dieses  Tage- 
buchs. Mancher  Tag  bringt  Aufschreibenswerles,  aber 
die  allgemeine  Dumpfheit  der  Bewegung  liegt  allmfihlich 
auch  mir  in  den  Gliedern.  Auch  schreibe  ich  viele  Briefe, 
da  ich  jedem  antworte;  und  in  diesen  Briefen  emoussiert 
sich  meine  geringe  Schreibelust. 

Ich  bekomme  Besuche  aus  aller  Welt.  Der  Weg  von 

37    Henla  TasebOobcr  I.  ^77 


dbyGoogle 


Palästioa  nach  Paris  fängt  an,  durch  mein  Zimmer  zu 
gehen.  Interessantere  Leute,  die  in  den  letzten  Wochen 
vorüberkamen,  waren :  Schoub  aus  PalSstina,  ein  großer, 
langbärtiger  Mensch  mit  schwärmerischen  Augen ;  Dr.  H . . . 
aus  Berlin,  der  mir  etwas  von  der  Berliner  Judenkleinheit 
in  seinen  Kleidern  mitbrachte;  Landau  aus  Przemysl,  ein 
intelligenter  Halbchassid  mit  hinter  die  Ohren  gestriche- 
nen Peiea,  und  Dr.  Salz  aus  Tarnow,  der  Newlinski  ähn- 
lich sieht  mit  seinem  rötlich  falben,  polnisch  herabhän- 
genden Schnurrbart,  den  hellen  Augen  und  der  großen 
GlaUe. 

Jedem  der  vier  gab  ich  Aufträge.  Schoub  soll  mit  dem 
jodischen  Leibarzt  des  Sultans,  wenn  ich  mich  noch  recht 
erinnere,  heißt  er  Eliau  Pascha,  reden. 

Dr.  H . . .  soll  den  Bnei  Mosche  in  Jaffa,  denen  er  af f i- 
liiert  ist,  schreiben,  wie  die  Sache  steht,  und  daß  ohne 
publizistische  Agitalionsmittel  unsere  Sache  gänzlich  ver- 
sumpfen wird. 

Landau  aus  Przemysl  hat  sich  erboten,  mit  dem  Wun- 
derrabbi Friedmann  von  Czortkow  zu  verhandeln.  Ich 
gab  ihm  einen  Brief  mit,  worin  ich  Friedmann  einlade, 
seinen  Sohn  zu  mir  zu  schicken. 

Dr.  Salz  entwickelte  ich  den  jetzigen  Zustand  unserer 
Sache,  die  in  dem  Augenblicke  groß  werden  könnte,  wo 
wir  eine  Million  für  publizistische  Zwecke  hätten. 

Und  so  steht  es  wirklich.  Mit  der  Million  kann  ein 
großes  Blatt  gemacht  werden.  Mit  dem  großen  Blatte 
verhandeln  die  Regierungen  wie  von  Macht  zu  Macht. 

Ich  fürchte,  die  beste  Zeit  ist  versäumt.  Die  war  in 
den  Monaten,  seit  ich  in  Konstantinopel  weilte.  Als  Izzet 
Bey  noch  Günstling  des  Sultans  war,  und  als  ich  noch 
mit  meinem  ersten  Prestige  mit  den  Paschas  unterhandeln 
konnte. 

578 


dbyGoogle 


Das  Finanzarrangement  durch  französische  Bankiers 
hängt  wie  eine  drohende  Wolke  über  dem  Zionismus. 
Unsere  Chance  besteht  nur  in  dem  Widerwillen  der 
Pforte  gegen  die  Einmischung  fremder  Finanziers,  hin- 
ter welchen  Mächte  stehen,  und  in  der  Politik  Rußlands, 
das  die  Türkei  wie  einen  Aussätzigen  lebend  vermodern 
lassen  möchte. 

Indessen  erringt  sich  der  Zionismus,  wenn  ich  nicht 
irre,  allmählich  in  den  verschiedensten  Ländern  die  bür- 
gerliche Achtung.  Man  fängt  nach  und  nach  an,  uns 
ernster  zu  nehmen. 

Die  wohlhabenden  Juden  benehmen  sich  zwar  nach 
wie  vor  miserabel.  Und  wie  mein  getreuer  de  Haas  aus 
London  schreibt:  „everyhody  is  waiting  lo  see  how  tke  cat 
will  jamp". 

Mit  Benedikt  rede  ich  öfter  von  der  Sache.  Vor  Weih- 
nachten, als  er  mich  fragte,  ob  ich  nicht  einen  schönen 
Festartikelstoff  für  ihn  wüßte,  sagte  ich :  „O  ja,  schrei- 
ben Sie  über  die  Lösung  der  Judenfrage  durch  die  Kolo- 
nisation Palästinas,  die  auch  die  Regelung  der  Orient- 
frage durch  Sanierung  der  türkischen  Finanzen  wäre." 

Er  meinte:  ,,Das  wäre  wohl  ein  schöner  Artikel,  auch 
ein  Erfolg;  aber  diesen  Artikel  darf  ich  heute  nicht  mehr 
schreiben,  weil  Ihre  Broschüre  daliegt,  in  der  Sie  von 
der  jüdischen  Nation  sprechen." 

Ich  replizierte:  ,,Gut,  Sie  schreiben  den  Artikel  heuer 
nicht  —  Sie  werden  ihn  vielleicht  im  nächsten  Jahre  zu 
Weihnachten  schreiben.  Wir  können  warten." 

Bei  Güdemann  war  ich  vorgestern  abend.  Wieder  das 
alte  Geschwätz.  Er  tat  noch  gekränkt.  Aber  als  ich  ihn 
im  Verlauf  meiner  Argumentation  wieder  begeisterte, 
sagte  er:  „Mich  baben  Sie  ganzi" 

„Gut,"  sagte  ich,  „dann  reden  Sie  im  Tempel  davon!" 

37»  579 


dbyGoogle 


„Erlauben  Sie,"  schrie  er  ganz  entsetzt,  „das  geht  nicht. 
Ich  habe  herunif^hört,  die  Leute  wollen  davon  nichts 
wissen." 

„Sind  Sie  der  Hirt  Ihrer  Gemeinde?"  fragte  ich  ihn. 
„Ich  gestatte  Ihnen,  so  vorsichtig  zu  sein,  wie  Sie  wollen. 
BekSmpfen  Sie  meinetwegen  den  Zionismus,  aber  ver- 
schweigen Sie  ihn  nicht.  Man  kann  eine  Sache  zur  Kennt- 
nis der  Leute  bringen,  indem  man  sie  ungeschickt  be- 
kämpft, und  auf  vielerlei  andere  Weise.  Das  ist  die  Kunst 
der  Rede." 

Aber  der  Salbungsvolle,  den  ich  ja  jetzt  schon  gut 
kenne,  rang  nur  die  HSnde  und  jammerte,  dafi  es  un- 
möglich sei. 

Da  sagte  ich  ihm:    „Bleiben  Sie  gesundl"    Und  ich 
ging,  wohl  zum  letzten  Male,  von  ihm  weg. 
*    *     * 

Eine  neue  Figur  ist  in  meinen  Kombinationen  aufge- 
taucht :  der  Maler  K . . .,  den  ich  seit  zwanzig  Jahren  kenne. 
Er  hat  die  Kaiserin  von  Rußland  öfters  porträtiert,  sowie 
andere  gekrönte  HSupter.  Ich  möchte  ihn  gern  zum 
Agenten  meiner  Idee  machen  und  will  ihn  mit  Reklamen 
bezahlen.  Es  wird  zum  erstenmal  geschehen,  daß  ich  für 
jemanden  Reklame  mache;  der  Zweck  ist  es  wert.  Ich 
gehe  heute  zu  K . . . 

7.  Jänner. 

Die  K . .  .-Idee  entwickelt  sich  komisch.  Ich  war  gestern 
bei  ihm.  Künstleratelier  up  (o  date,  ein  bißchen  aufs 
Glitzern  hergerichtet.  Der  Meister  ist  verblüht,  nämlich 
physisch,  seit  ich  ihn  kannte.  Ist  aber  ein  tüchtiger  Künst- 
ler und,  glaube  ich,  auch  ein  braver  Kerl. 

Die  Kaiserin  von  Rußland  hat  er  nicht  jetzt  —  sondern 
als  Prinzessin  von  Hessen  gemalt.  Es  ist  ein  ganz  gewöhn- 

58o 


dbyGoOglc 


lieber  Kuosthändlerkniff,  der  ihn  ab  Porträtisten  der 
Kaiserin  darstellt. 

Die  Kaiaerinpea-Bilder  sind  Ausführungen  von  Skiz- 
len,  die  er  ehemals  in  Darmstadt  machte. 

Dennoch  will  ich  K . . .  benützen,  und  jetzt  erat  recht. 

Die  damalige  Prinzessin  hatte  gelächelt,  als  er  ihr  von 
dem  Gerücht  sprach,  daß  sie  Kaiserin  von  Rußland  wer- 
den solle.  Scherzend  hatte  er  gesagt :  „Wenn  Hoheit  Kai- 
serin werden,  müssen  Sie  mich  zum  Hofmaler  machen  1" 
Und  sie  hatte  l&chelnd  zugesagt. 

Jetzt  will  ich  für  ihn  die  große  Pauke  schlagen,  damit 
er  Hofmaler  werde;  und  wenn  er  es  ist,  muß  er  am  rus- 
sischen Hof  der  Judensache  dienen. 

Ich  muß  mir  die  Instrumente  selbst  fabrizieren,  mit 
denen  ich  dann  das  Werk  machen  werde. 

Ob  er  seine  moralische  Verpflichtung  nicht  vergessen 
wird,  nachdem  ich  ihn  gemacht  habe? 

Die  Undankbarkeit  will  ich  immerhin  riskieren. 


10.  Jänner. 

Newlinski  frühstückte  heute  hei  mir. 

Er  teilte  mir  mit,  die  Hohe  Pforte  „sei  auf  mich  böse", 
weil  ich  die  seinerzeit  in  Koostantinopel  versprochene 
publizistische  Unterstützung  nicht  leiste.  Ja,  man  glaube 
sogar,  daß  die  Angriffe  der  europäischen  Presse  auf  die 
türkische  Regierung  von  mir  ausgingen,  aus  Rache  dafür, 
daß  man  uns  PalSstina  nicht  verkaufen  wolle. 

ich  w&re  mit  dieser  irrtümlichen  Annahme  der  Tür- 
ken nicht  unzufrieden,  weil  sie  bewiese,  daß  man  mit  mir 
dort  als  mit  einer  Macht  rechnet.  Ich  glaube  aber,  'daß 
Newlinski,  der  mir  diese  Mitteilung  mit  diplomatisch 
gesenkten  Augen  machte,   nur   kleine  Zeitungsgefillig- 

58  ( 


dbyGoogle 


Iteiten  faerausdrückeD  mOchte,  die  er  wahrscheinlich  dann 
für  eigene  Rechnung  verwertet. 

Ich  sagte  ihm :  die  Zusage  einer  publizistischen  Unter- 
stützung war  selbstverstfindlich  nur  eine  bedingte.  Wenn 
die  Türkei  sich  mit  uns  auf  Verhandlungen  einließe,  wür- 
den wir  sie  in  den  Blättern  verteidigen.  Donnant,  don- 
nant.  Die  dupes  der  türkischen  Versprechungspolitik 
ohne  wahre  Leistung  wollen  wir  nicht  sein. 

Newlinski  meinte :  „Wenn  die  Türkei  in  den  Blättern 
angegriffen  wird,  dürfte  sie  antisemitisch  werden." 

Davor  habe  ich  keine  Angst.  Wenn  die  Pforte  anti- 
semitisch wird,  bringt  sie  alle  Börsen  gegen  sich  auf  und 
kriegt  überhaupt  nie  mehr  Geld.  Dann  stellen  sich  auch 
alle  Hochbankiers  hinter  mich. 


18.  Jänner. 

„L'Etat  juif"  ist  in  Madame  Rattazzis  Nouvelle  Revue 
Internationale  vom  i.  Jfinner  97  erschienen. 

Nachdem  die  Schrift  ein  Jahr  lang  in  Frankreich  über- 
haupt nicht  anzubringen  war,  scheint  sie  jetzt  Aufseben 
zu  erregen: 

Heute  bekomme  ich  von  drei  Pariser  Freunden  die 
Lihre  Parole  vom  16.  ds.  zugeschickt,  worin  Drumont 
einen  höchst  schmeichelhaften  Leitartikel  über  mich  I0&- 
ISßt  und  weitere  verspricht. 

Es  war  ein  guter  Gedanke,  daß  ich  die  alte  Madame 
Rattazzi,  als  sie  mich  hier  wegen  Reklamen  heranlockte, 
zur  Herausgabe  der  Broschüre  veranlagte. 

Jetzt  wird  auch  Alphonse  Rothschild,  der  treueste  Le- 
ser der  Lihre  Parole,  die  Sache  zur  Kenntnis  nehmen. 
Die  haute  firumce  liest  ja  nur  dieses  Peitschenblalt. 

S83 


dbyGoogle 


26.  Jänner. 

Heute  früb  hatten  wir  in  der  N.  Fr.  Pr.  die  Nachricht, 
da£  FiDaozarrangement  mit  der  Türkei  , .unter  der  Ga- 
rantie aller  MSchte"  sei  perfekt. 

Ich  glaubte  es  zuerst  nicht  und  telephonierte  an  New- 
Unskl,  der  nur  bestätigte:  „C'est  mauvais  pour  nous." 

Dann  war  F.  SchQti  bei  mir,  der  die  Sache  auch  be- 
Eweifelt,  weil  er  aus  Rußland  Nachrichten  hat,  wonach 
die  russische  Regierung  es  abgelehnt  bitte,  den  Wunsch 
der  französischen  Finanziers  (welche  dieses  Arrangement 
wollen)  zu  beachten.  Ja,  Schütz  fügte  hinzu:  der  neue 
Minister  Murawiew  reise  jetzt  nur  darum  zum  Antritts- 
besuch nach  Paris,  damit  die  Regierung  M^lines  gestärkt 
werde.  Und  nach  einem  solchen  Besuch  könne  die  Börse 
es  nicht  wagen,  gegen  Rußland  zu  demonstrieren. 

Indessen  kommen  abends  weitere  Meldungen  von  allen 
Seiten :  das  Arrangement  ist  perfekt.  Es  sollen  zunSchat 
vier  Millionen  Pfund  den  Türken  gegeben  werden.  Jeden- 
falb  sind  sie  „aus  dem  Wasser".  Es  ist  in  dieser  üblen 
Wendung  doch  ein  Gutes.  Das  Arrangement  bedeutet 
ein  weiteres  Anwachsen  der  Macht  dieser  dette  publi- 
que, welche  dem  Sultan  und  allen  Paschas  ohnehin 
schon  ein  Dorn  im  Auge  ist.  Dadurch  wird  die  detle  pu- 
blique noch  verhaßter  werden,  und  das  Geld,  das  die 
Türken  bekommen,  ist  ja  ohnehin  schon  längst  vorge- 
gessen. Es  wird  also  nicht  lange  vorhalten,  und  die  diche 
wird  wieder  da  sein. 

Mr.  Gharriant,  der  Sekretär  der  Madame  Rattazzi,  die 
heute  von  Konstantinopel  bier  eintraf  und  mich  sehen 
wollte,  war  bei  mir.  Ich  kann  die  Rattazzi  wegen  meines 
Schnupfens  nicht  besuchen.  Gharriant  erzählt,  Izzet  Bey  sei 
noch  immer  in  Gunsi  beim  Sultan,  wie  er  vor  sechs  Tagen 
vom  französischen  Botschafter  Gambon  erfahren  hat. 

583 


dbyGoogle 


,  Dann  wareo  Sidney  WhitmaD  uad  NewUnski  bei  mir. 
Sidney  will  meinea  Judenstaat,  dea  er  erst  jetzt  gelesen 
hat,  durch  den  New  York  Herald  lancierea.  (J'aUais  le 
lui  demander.) 

NewUnski  sprach  mit  bitterer  Verve  über  das  Fiaanx- 
arrangemeat. 

Die  Paacba3  würden  es  ab  eine  rechte  Beleidigung  emp- 
finden. Denn  das  Geld  werde  seiner  wirklichen  Bestim- 
mung zufließen.  Sie  werden  es  als  eine  empörende  An- 
leihe empfinden,  die  nicht  für  Djavid  Bey  und  Izzat  Bey 
usw.  gemacht  worden.  Danusso  und  Take  Margueritte 
fallen  durch  1  Es  ist  unerhört. 

So  scherzte  er  großartig  zynisch. 

Er  sagte  auch :  vor  dem  Ramazan  kann  man  alles  mit 
dem  zehnten  Teil  Geldes  richten.  Da  braueben  sie  Geld 
für  die  Beamten,  Soldaten  und  Feste.  Da  sind  looooo 
Pfund  so  viel  vne  sonst  eine  Million. 

Ferner  erzlhlte  NewUnski  einige  komische  Züge  von 
der  Mißwirtschaft  auf  der  Pforte.  Der  Marineminister 
Hassan  Pascha  steckt  alles  ein.  Er  verkauft  die  Kupfer- 
kessel von  den  Schiffen,  iSßt  die  pharmazeutischen  Weine 
der  SpitSler  für  sich  in  seinen  eigenen  Kellern  einlagern. 
Die  Maut  der  Brücke  zwischen  Stamhul  und  Galata  ist 
dem  Marineamt  überwiesen:  d.  i.  a5  Millionen  Frank. 

Die  Zivilliste  ist  auf  die  ZoUeinnahmen  fundiert;  die 
sind  aber  in  den  letzten  ao  Jahren  von  drei  MUUouen 
Pfund  auf  eine  Million  zurückgegangen. 

NewUnski  hat,  wenn  er  diese  Dinge  erzSblt,  einen 
eigentümlich  großen  Ton.  Er  ist  kein  gewOhnUcher 
Mensch. 

27.  JSnner. 

Die  türkische  Anleihe  wird  von  einigen  Blättern  de- 
mentiert. Iq  der  N.  Fr.  Pr.  hSlt  man  die  Nachricht,  die 

584 


dbyGoogle 


übrigens  nicht  von  Paris,  sondern  aus  dem  hiesigen  aus- 
wärtigen Amt  kommt,  aufrecht.  Es  verhSlt  sich  so,  daß 
die  Botschafter  in  Konstantinopel  sich  über  die  An- 
leihe geeinigt  haben.  Von  da  bis  zur  Perfektionierung  ist 
noch  ein  weiter  Weg. 

Ich  hoffe,  der  Sultan  wird  sich  das  nicht  bieten  lassen, 
und  die  Paschas,  die  kein  Bakschisch  erhielten,  werden 
ihn  an  seine  bedrohte  Kalifenwürde  erianera. 

Wahr  scheint  nur,  daß  die  Banque  Ottomane  Sooooo 
Pfund  Vorschuß  gegeben  hat.  Damit  werden  die  Türken 
Ramazan  machen  und  Allah  einen  braven  Mann  sein 
lassen. 

Die  OttomanbSnkler  wieder  werden  mit  dieser  Anleihe- 
nachncht  ein  paar  Monate  an  der  Börse  auf  und  ab 
spielen.  Bald  wird  die  Anleihe  zustande  kommen,  bald 
wird  sie  scheitern.  Das  wird  die  gewünschte  ßausse  und 
Baisse  liefern.  Damit  werden  sie  sich  für  das  Aleato- 
rische des  neuen  Vorschusses  von  Sooooo  Pfund  reich- 
lich entschSdigen  '■ —  wenigstens  die  Bankhalter.  Die 
gogoa  werden  so  und  so  gerupft.  Eine  schamlose  Jour- 
nalistik wird  dieses  Spiel  mit  Tamtamschligen  begleiten. 

28.  Jänner. 

Sidney  Wbitman  besucht  mich  jeden  Tag,  sitzt  stun- 
denlang bei  mir.  Er  will  die  Judensache  im  New  York 
Herald  lancieren. 

Merkwürdig  ist,  daß  er  die  Sache  erst  jetzt  kennen- 
xulernen  scheint.  Ich  dachte  schon  im  Juli,  er  arbeite 
für  mich. 


In  der  N.  Fr.  Pr.  hatten  wir  ein  Feuilleton  von  Flam- 
narion:  „Ist  der  Mars  bewohnt?"   Man  sprach  in  der 


dbyGoogle 


Redaktion  vom  Mars.    Bacher  sagte  überlegen  tu  mir: 
„Den  Judenstaat  können  Sie  vielleicht  auf  dem  Mars  er^ 
richten." 
Gelächter  der  Korona. 

28.  Jänner. 
Heute  war  Dr.  Bloch  hei  mir,  mich  „als  den  Parteichef" 

um  die  Unterstützung  seiner  Reichsratswahl  ia  Sereth- 
Suczawa  (glaube  ich)  zu  bitten. 

Ich  hatte  diesen  seinen  Bittbesuch  schon  vor  einiger 
Zeit  vorausgesagt. 

29.  Jänner. 
Blochs  Erscheinen  brachte  mich  auf  die  Idee,  einen 

zionistischen  Abgeordneten  ins  Parlament  zu  schicken. 

Ich  berief  Schnirer  und  Kokesch  zur  Beratung  über 
Blochs  Antrag.  Zufällig  kam  aucb  Berkowicz.  Alle  drei 
waren  darin  einig,  daß  man  Bloch  nicht  unterstützen 
dürfe.  Er  sei  unverlSßlich  und  habe  sich  immer  schlecht 
gegen  uns  benommeq. 

Meinen  Vorschlag,  ein  Mandat  für  einen  Zionisten  zu 
suchen,  nahmen  sie  mit  Beifall  auf.  Ich  nannte  Prof. 
Leon  Kellner,  der  neulich  auf  meinen  Wunsch  einen  Vor- 
trag im  „Zion"  gehalten  hatte.  Sie  wollten  aber,  daß  ich 
kandidiere ;  meine  Wahl  wäre  in  Gallzien  gesichert,  würde 
auch  viel  wen^er  kosten  als  die  Kellners  oder  irgendeines 
anderen.  Ich  lehnte  rundweg  und  kategorisch  ab. 

Darauf  akzeptierten  sie  Kellner  als  Kandidaten.  leb 
ließ  Dr.  Salz  aus  Tarnow  und  Stand  aus  Lemberg  für 
Dienstag  zu  einer  Wahlbesprechung  nach  Wien  rufen. 
Wir  werden  einen  Wahlkreis  suchen,  unsere  jungen  Leute 
als  Agitatoren  hinschicken.  Frage  nur  noch,  wie  die 
Wabikosten  beschafft  werden  sollen. 


dbyGoogle 


The  Palestine  Pilgrimage. 

To  the  Editor  of  the  Jewiah  World. 

Sir,  —  The  „Message"  of  Dr.  Herzl  to  an  East  Eod 
meetiiig,  dealing  with  this  scheme,  is  so  charged  with 
that  iDteDse  zeal  and  eathusiasm  which  marks  all  the  ut- 
terances  and  proceedings  of  this  remarkahle  man,  that  it 
seems  almost  a  pity  to  have  to  repudiate  some  of  the  ideas 
which  he  has  gathered  —  I  know  not  where  —  about  the 
movement. 

It  is  due,  however,  to  those  who  are  taking  part  in  the 
Pilgrimage  to  say,  that  theyhave  no  such  far-reaching 
scheme  on  foot  as  Dr.  Herzl's  fervid  imagination  would 
attribute  to  them,  and  that  they  have  neither  political 
objects  to  serve,  nor  even  scientific  researcbes  to  make, 
in  connection  with  their  visit. 

The  Pilgrimage  is  what  its  name  denotes,  and  not  an 
„Expedition"  nor  an  „Investigation  Commission",  as 
Dr.  Herzl  suggests;  and  it  will  have  served  its  purpose,  if 
it  enlarges  the  interest  of  Western  Jews  in  the  land  with 
which  their  history  and  traditions  are  so  intimately 
bound  up,  and  if  it  operates  as  an  encouragement  to 
similar  pilgrimages  in  future  years,  so  that  the  reproach 
that  Palestine  is  less  visited  by  Jews  than  by  any  other 
denomination  may  be  removed  from  our  people. 

I  hope  you  will  permit  me  to  take  the  opporlunity  to 
say  that  the  success  of  the  Pilgrimage  is  now  assured  by 
the  adhesion  of  the  necessary  numbers;  and  it  is  hoped 
that  our  party  will  be  completed  up  to  its  maximum  limit 
(3o)  within  tbe  next  few  weeks.  —  I  am,  Sir,  yours  faitb- 
fuUy 

Herbert  Bentwich. 

Tbe  Hohn,  Avenue  Road,  N.  W. 
37  th  January,  1S97. 

587 


dbyGoogle 


U.  Februar. 
Neue  Unruhen  auf  Kreta.  Ich  habe  bei  dieser  Nachricht 
eine  eigentömliche  Vorahnung:  daß  es  vielleicht  die  Li- 
quidation der  Türkei  sei,  die  jetzt  beginnt.  Ich  bringe  mit 
diesen  offenbar  wieder  diplomatisch  arrangierten  Kre- 
tenser  Unruhen  die  letzte  auffallende  Berliner  Reise  un- 
seres Ministers  Goiuchowski,  der  fOr  einen  englischen 
Mittelsmann  gehalten  wird,  in  Zusammenhang,  sowie  die 
Reise  des  russischen  Ministers  Murawiew  nach  Paris  und 
Bertin.  Ich  habe  ein  Vorgefühl,  ich  weiß  nicht  warum. 

4.  Februar. 
Ich  schreibe  an  de  Haas  nach  London,  er  möge  trach- 
ten, den  südafrikanischen  GoldmilUardSr  Barnato  durch 
den  sephardischen  Chief-Rabbi  Gaster  für  unsere  Sache 
gewinnen  zu  lassen. 

5.  Februar. 
Aus  den  Wablberatungen  ist  hervorgegangen,  daß  Kell- 
ner weniger  Aussichten  hätte,  gewählt  zu  werden,  als 
Dr.  Salz.  Ich  wurde  von  allen  Seiten  bestürmt,  zu  kandi- 
dieren, meine  Wahl  wäre  sicher.  Ich  lehnte  aber  ab. 
Ich  glaube,  wenn  ich  mich  hätte  erweichen  lassen,  hätten 
mich  dieselben,  die  mir  zuredeten,  innerlich  gering  ge- 
schätzt. 

Wir  beschlossen  endlich,  Kellner  und  Sals  aufzustellen. 
Kellner  im  Städtebezirk  Drohobycz,  Salz  in  der  fünften 
(allgemeinen)  Kurie  von  Kolomea. 
*    *     * 

Jewiah  Chrontete,  5.  Febr. 
Correspondence. 
The  Palestine  Pilgrimage. 
Sir,  —  The  correction  by  Mr.  Herbert  Bentwich,  who 
wishes  to  lead  a  Pilgrimage  to  Palestine  on  a  much  nar- 

588 


dbyGoogle 


rower  programme  than  I  betieved  bis  intention  to  be, 
compels  me  also  to  say  a  few  words.  Mr.  Beatwich  eave- 
lops  the  thorn  in  a  rose-Ieaf ,  still  I  feel  it.  He  means  tbat 
in  my  letler  to  the  East  End  meeting  I  put  the  matter 
upoD  an  impossible  plane.  How  has  that  come  about? 
I  was  requeated,  from  London,  to  write  a  letter  on  Mr. 
Bentwich's  expedition.  Tbis  letter  was  to  be  read  in  pu- 
blic, in  Order  to  make  the  Pilgrimage  and  its  objects  wi- 
dely  known.  I  wrote  tbe  wished-for  letter  on  hinta  wbich 
I  had  received  from  London.  In  it  I  said  uothing  either 
impossible  or  fantastic.  Od  the  contrary,  I  recommen- 
ded  the  greatest  possible  sobriety.  Apart  from  this,  I 
requested  the  recipient  of  my  letter,  for  greater  precau- 
tioQ,  to  communicate  my  letter  to  Mr.  Beotwicb,  before 
giving  it  Publicity.  In  tbis  way  I  thougbt  to  prevent  any 
possible  misunderstandtng.  It,  however,  appears  tbat  my 
precautionary  measures  were  not  closely  followed. 

I  feel  bound  to  make  this  communication,  as  he  wbo, 
as  I  am,  is  accused  in  any  case  of  too  lively  an  imagina- 
tion  in  my  scheme,  can  really  not  be  sufficiently  careful. 

As  for  the  rest,  there  is  a  difference  of  a  few  degreea 
of  warmth  between  Mr.  Bentwicb's  scheme  and  tbat  sket- 
ched  out  by  me.  It  is  enough  for  me  that  be  is  not  at 
freezing-point,  and  I  can  assure  him  tbat  my  blood  does 
not  boü.  Yours  obediently,  jh.  Henl. 

Vienoa,  February  ist,  i$97- 
*    *     * 

Jewisk  World,  5.  Febr. 
An  ex-premier  on  Dr.  Herzls  Scheme. 

His  Excellency  Prince  Demeter  Stourdza,  who,  to 
within  two  months  ago,  was  the  Minister-President  of 

589 


dbyGoogle 


Rumania,  has  beeo  interviewed  by  the  Special  Vieona  Cor- 
reapondent  of  the  Paris  edition  of  the  New  York  Herald. 
After  a  talk  on  Continental  poHtics,  the  Interviewer  says: 
„Our  conversation  fiaally  took  a  turn  towards  the  af- 
faira  of  Austria  proper,  the  coming  elections,  the  growth 
of  anti-Semitism,  and  the  proposal  put  forward  in  con- 
necticm  therewith  by  a  Dr.  Theodor  HerzI,  a  doctor-of- 
law  in  Vienna,  which  has  already  the  sympathetic  appro- 
val  of  Zionists  in  all  countries,  for  fouoding  a  Jewish 
State  in  Palestine.  His  Excellency  expressed  himself  as 
followa:  —  I  consider  this  an  excellent  idea;  in  fact, 
I  may  say  the  one  and  valuable  way  of  solving  the  Jewish 
Question.  (It  must  he  borne  in  mind  that  Roumania  has 
an  enormoua  Jewish  population.)  The  Jews  are  the  one 
people  who,  living  in  foreign  countries,  do  not  assi- 
milate  with  the  inhabitants  as  others  do.  The  causes  of 
this  are  neither  here  nor  there,  but  the  very  fact  of  the 
Jews  at  last  forming  a  State  of  their  own  would  comple- 
tely  alter  the  present  anomalous  condition  of  things,  even 
if  a  large  number  were  to  remain  behind  in  Europe." 

20.  Februar. 

Wieder  eine  Zeit,  in  der  ich  keine  Lust  hatte,  etwas  in 
dieses  Buch  zu  schreiben. 

Dennoch  bringt  jeder  Tag  etwas. 

In  den  letzten  Wochen  ist  mir  die  Kandidatur  für  den 
Reichsrat  wiederholt  nahegerückt  worden.  In  Galiiien 
werden  mir  drei  Mandate  als  sicher  angeboten :  Kolomea, 
Drohobycz,  Stanislau.  Ich  bleibe  bei  der  Ablehnung. 

Unter  den  Besuchern  der  letzten  Zeit  war  bemerkens- 
wert Fürst  Friedrich  Wrede,  ein  junger  literarischer  Di- 
lettant, der  sich  gern  im  Feuilleton  der  N.  Fr.  Fr.  ge- 
druckt sähe.  Da  ich  in  den  hochadeligen  Kreisen  von  der 

590 


dbyGoogle 


Sache  reden  machen  möchte,  nahm  ich  mir  die  Mühe, 
ihm  alles  zu  enShlen. 

Er  sagte:  „Wir  brauchen  die  Juden,  weil  es  immer  eine 
Unzufriedenheit  geben  muß.  Wenn  man  nicht  gegen  die 
Juden  loszöge,  hätten  wir  eine  Revolution." 

Das  Geständnis  war  io  seiner  Naivität  geradezu  char- 
mant. 


Gestern  war  Dr.  D'Arbela  aus  Jerusalem  bei  mir.  Er 
ist  Direktor  der  Rothschildschen  Spitäler.  Ein  interes- 
santer Mensch,  sieht  aus  wie  ein  Reiteroherst,  groß,  kühne 
Nase,  Schnauzbart,  energisches  Kinn.  Er  erzählte  mir 
wunderbare  Dinge  aus  Palästina,  das  ein  herrliches  Land 
sein  soll,  und  von  unseren  Juden  aus  Asien. 

Kurdische,  persische,  indische  Juden  kommen  in  seine 
Konsultation.  Merkwürdig:  es  gibt  jüdische  Neger,  die 
aus  Indien  kommen.  Sie  sind  die  Nachkömmlinge  der 
Sklaven,  die  bei  den  vertriebenen  Juden  dienten  und  den 
Glauben  ihrer  Herren  annahmen. 

In  Palästina  sieht  man  nicht  nur  jüdische  Feldarbeiter 
und  Taglöhner  aller  Art,  sondern  auch  kriegerisch  ge~ 
färbte  Berg-  und  Steppenjuden. 

Bei  Arabern  und  Kurden  sind  wir  beliebt.  Streitende 
Araber  gehen  zuweilen  statt  zum  türkischen  Richter  zu 
einem  Juden,  der  richten  soll. 

Von  unserem  Nationalplan  spricht  ganz  Palästina.  Wir 
sind  ja  doch  die  angestammten  Herren  des  Landes.  Die 
türkische  Besatzung  Jerusalems  ist  derzeit  schwach  — 
etwa  600  Mann. 

Schon  jetzt  bilden  die  Juden  die  Mehrheit  der  Einwoh- 
nerschaft in  Jerusalem,  wenn  ich  D'Arbela  recht  verstaa- 


591 


dbyGoogle 


den  habe.  Wir  sprachen  so  schnell  und  von  allen  Dingen, 
daß  ich  den  Punkt  gar  nicht  tiefer  angriff. 

Das  Klima  ist  vortrefflich,  der  Boden  nicht  verkarstet, 
nur  die  Humusschicht  ist  von  den  Bergen,  wo  einst  Ter- 
rassen der  Fruchtbarkeit  waren,  in  Schlünde  geschwemmt. 

Jetzt  blühen  in  Palästina  die  Orangen. 

Alles  ist  zu  machen  in  diesem  Lande. 

Diesen  prSchtigen  Menschen  wollen  wir  uns  merken 
für  kommende  Aufgaben. 

Ich  sagte  ihm,  daß  ich  auf  dem  Zionistentag  in  Zürich 
Ende  August  auch  die  Frage  der  Chaluka  auf  die  Tages- 
ordnung setzen  will.  Die  Chaluka  soll  in  anistance  par 
le  travail  umgewandelt  werden.  D'Arbela  wird  einen  Be- 
richt über  die  bisherigen  Zustände  ausarbeiten,  Vorschläge 
machen  und  ein  Komitee  in  Palästina  fflr  die  reo^ani- 
sierte  Chaluka  zusammenstellen. 

21.  Februar. 

Gestern  traf  ich  Newlinski  im  Theater. 
-  Er  hält  die  durch  Griechenland  auf  Kreta  geschaffene 
Situation,  eigentlich  schon  das  fait  accompli  der  Los- 
reißung, für  sehr  ernst,  für  den  Beginn  vom  Ende  der 
Türkei.  Die  Aussichten  der  Juden  sind  dann  schlecht. 
Rußland  ist  gegen  uns. 

Er  sagt  mir  —  ich  weiß  nicht,  ob  ich  es  glauben  soll  — 
er  habe  mit  dem  hiesigen  Botschafter  M . . .  N . . .  davon 
gesprochen,  dem  Sultan,  der  jetzt  in  größter  Geldver- 
legenheit sei,  durch  meine  Freunde  ein  Darlehen  von 
3  bis  Sooooo  Pfund  Sterling  verschaffen  zu  lassen.  M . . . 
N...  habe  das  nach  Yildiz  Kiosk  telegraphiert  und  die 
Antwort  erhalten,  er  dürfe  sich  mit  mir  nicht  einlassen, 
weil  ich  die  Forderung  der  Unabhängigkeit  Palästinas  auf- 
gestellt habe. 

593 


dbyGooglc 


Newlioski  sagte  mir  auch,  daß  man  soeben  25o  Fami- 
lien die  Ansiedlung  in  Palästiaa  verweigert  habe.  Die 
Armen  mußten  sich  nach  den  Ufern  des  Roten  Meeres 
wenden. 


Fürst  Wrede  schickt  mir  sein  Stück,  das  voll  Talent 
ist.  Ich  tat  ihm  unrecht,  als  ich  ihn  nur  für  einen  Dilet- 
tanten hielt.  Um  so  mehr  freut  es  mich,  daß  er  mir 
schreibt,  er  wolle  in  seinem  Roman  „Israel"  meinen  gan- 
zen Judenplan  aufnehmen. 

9.  März. 
Fürst  Wrede  schickte  mir  vor  einigen  Tagen  aus  Salz- 
burg einen  Artikel  über  „die  Zionisten",  den  ich  an  die 
Münchener  Allg.  Ztg.  oder  Kölnische  Ztg.  senden  solle. 
Der  Artikel  wird  wegen  des  Verfassernamens  vermutlich 
Aufsehen  erregen.  Ich  ließ  ihn  durch  Sidney  Whitman 
der  Kölnischen  Ztg.  anbieten.  Resultat  noch  ausständig. 

10.  März. 

Wenn  nichts  vorgeht,  bin  ich  zu  mißgestimmt,  um  in 
dieses  Buch  etwas  einiuschreiben.  Wenn  etwas  vor- 
geht, so  finde  ich  keine  Zeit  dazu. 

So  gehen  manche  Stimmungen  und  Vorgänge  verloren, 
die  mich  und  andere  in  späterer  Zeitinteressierenkönnten. 

Samstag,  den  6.  und  Sonntag,  7.  MSrz  waren  einige 
Zionisten  aus  Berlin  hier,  ferner  Dr.  Salz  aus  Tarnow 
und  Dr.  Ehrenpreis  aus  Diakovar. 

Die  Berliner  kamen  auf  die  Anregung  der  Gründung 
einer  großen  Verlagsgesellschaft,  zu  der  ich  in  meinem 
Bekanntenkreise  Sooooo  Gulden  aufbringen  wolle,  wenn 
sie  700000  dazu  aufbrächten. 

38    BcRli  TtcebOolKr  I.  5g3 


dbyGoogle 


Es  kamen  Willy  Bambus  aus  Berlin,  Dr.ThoD,  Dr.  Birn- 
baum aus  Berlin,  Moses  aus  Kattowitz,Turow  aus  Breslau. 

TuTOw  ist  ein  schachteruer  und  verworrener  Sp6tter, 
übrigens  unter  dem  Namen  Paul  Dimidow  Verfasser  einer 
Broscbüre:  „Wo  hinaus?". 

Birnbaum  selbstbewußter  und  innerlich  mir  feindse- 
liger als  je.  Er  wollte  meine  Geld-  und  moralische  Unter- 
stützung für  seine  in  letzter  Stunde  geplante  Kandidatur 
in  dem  auch  mir  angebotenen  und  von  mir  refüsierten 
Wahlkreise  Sereth-Suczawa-Radautz.  Ich  verweigerte 
ihm  im  Hinblick  auf  die  vorgerückte  Zeit  —  es  fehlen 
nur  acht  Tage  zur  Wahl  —  meine  Unterstützung,  weil 
wir  durch  ein  mißlingendes  Experiment  das  mystische 
Prestige  unserer  Bewegung  in  Galizten  kompromittieren 
könnten.  Er  wird  mir  dieses  Nein  nie  verzeihen.  Übri- 
gens wollte  er,  nur  um  gewählt  zu  werden,  auch  mit  So* 
eialpolitikern,  Sozialdemokraten  u.  a.  persönliche  Kom- 
promisse schließen  und  als  Vertreter  einer  (gar  nicht  be- 
stehenden) jüdischen  Volkspartei  kandidieren. 

Dr.  Thon  scheint  ein  begabter,  aber  noch  nicht  ausge- 
reifter junger  moderner  Theologe  zu  sein. 

Moses  ein  gemütlicher  alter  Mensch. 
.  Der  bedeutendste  von  allen  ist  Willy  Bambus,  ein  stil- 
ler, klarer  Organisator,  der  aber  gern  fähren  möchte. 

Mit  Bambus  besprach  ich  Wichtiges,  und  ich  erfuhr 
von  ihm  Interessantes. 

Die  Jewish  Colonisation  Association  unterhandelt  der- 
zeit mit  einer  griechischen  Familie  (Soursouk  ist  der 
Name,  glaube  ich)  wegen  Ankaufs  von  97  Dörfern  in 
PalJistina.  Diese  Griechen  leben  in  Paris,  haben  ihr  Geld 
verspielt,  und  wollen  ihren  Grundbesitz  (3o/o  des  ge- 
samten Bodens  von  Palästina,  sagt  Bambus)  für  7  Mil- 
lionen Franks  verkaufen. 

594 


dbyGoogle 


Die  J.C.A,  hat  sich  von  Argentiaieo  abgewendet  und 
macht  nur  noch  in  Palästina  Anlagen. 

Interessant  ist,  was  mir  Bambus  von  der  letzten  Sit- 
zung der  J.C.A.  erzShIt.  Zadok  Kahn,  dem  ich  hierin 
unrecht  getan  zu  haben  scheine,  brachte  wirklieb  meinen 
Antrag  vor,  man  möge  in  London  und  Paris  je  eine 
Zeitung  für  die  Judensache  kaufen.  Dies  geschah  in  der 
offiziösen  Sitzung.  Da  erklärten  Claude  Montefiore, 
Lousada  und  Alfred  Cohen,  die  englischen  Mitglieder,  sie 
würden  die  Sitzung  verlassen,  wenn  ein  solcher  Antrag 
in  der  offiziellen  Beratung  vorkäme,  und  Alfred  Cohen 
drohte  sogar  mit  der  Anzeige  an  die  englische  Regierung 
wegen  Statutenöberschreitung.  Zadok  Kahn  zog  sich  hier- 
auf verletzt  zurück. 

Mit  Willy  Bambus  stellte  ich  ein  gutes  Einvernehmen 
her  —  wenn  er  aufrichtig  ist,  kann  es  die  beste  Wirkung 
haben. 

Am  Sonntag  hielten  wir  im  Zionsverein  die  Konferenz 
für  den  Allgemeinen  Zionistenkougreß  ab,  den  ich  nach 
Zürich  einberufen  wollte. 

Man  beschloß  aber,  nach  München  zu  gehen,  weil  diese 
Stadt  für  die  östlichen  Juden  besser  gelegen  sei,  weil  die 
Russen  in  die  des  Nihilismus  verdächtige  Schweiz  nicht 
zu  kommen  wagen  würden,  und  weil  es  in  München  ko- 
schere Restaurationen  gebe. 

Wir  werden  also  bei  Jochsberger  zusammenkommen, 
wo  ich  im  August  i8g5  mit  Gfidemann  und  Meyer-Cohn 
zu  reden  begann. 

Wie  groß  ist  die  Bewegung  seither  geworden. 

Eine  Organisations-Kommission  wurde  nach  langem, 
leerem  Reden  eingesetzt,  ich  mit  der  Einberufung  beauf- 
tragt. Der  Kongreß  wird  ein  öffentlicher  und  ein  ver- 
traulicher sein. 

38*  595 


dbyGoogle 


Klar  ist  schon,  daß  Bambus  und  ich  die  ganze  Arbeit 
machen  werden.  Die  anderen  werden  zusehen. 


10.  März. 

Die  gestrigen  Wahlen  in  der  neuen  V.  Kurie  brachten 
in  Wien  und  Niederdsterreich  den  Sieg  der  Antisemiten 
auf  der  gaaxen  Linie.  Die  N.  Fr.  Pr.  empfahl  in  ihrem 
gestrigen  Leitartikel,  die  Sozialisten  zu  wihlen.  Diese 
Politik  hatte  ich  vor  viereinhalb  Jahren  von  Paris  aus 
empfohlen.  Jetzt  war  es  zu  sp&t. 

Ich  erinnerte  übrigens  Bacher  und  Benedikt  an  meinen 
damaligen  Rat. 

Bacher  sagte  mir,  als  ich  ihm  vor  einundeinhalb  Jahren 
meinen  Judenplan  vorlas:  „Wir  werden  ihn  verschwei- 
gen. Wir  haben  auch  die  Sozialdemokratie  a5  Jahre  vei^ 
schwiegen," 

Und  mit  dieser  verschwiegenen  S.  D.  gingen  sie  gestern 
Arm  in  Arm  zur  Wahl. 

Ist  es  zuviel  erwartet,  wenn  ich  glaube,  daß  die  N.  Fr. 
Pr.  auch  mit  dem  Zionismus  Arm  in  Arm  gehen  wird  — 
freilich  vielleicht  auch  zu  spfit? 


Vorige  Woche  hatte  Bacher  übrigens  ein  launiges  Wort. 

Ich  erzShlte  ihm,  die  Frau  unseres  Kollegen  Steinbach 
pflege  Dienstag  in  den  Zionsverein  zu  kommen. 

Dr.  Ehrlichs  Frau  habe  sie  das  letztemal  b^leilen  wol- 
len. „Den  weiblichen  Teil  der  N.  Fr.  Pr.  werden  wir 
bald  für  uns  haben",  sagte  ich. 

Bacher  lachte:  „Die  MSaner  kriegen  Sie  auch,  sobald 
Sie  den  Erfolg  haben.  Wir  beugen  uns  dem  Erfolg." 


596 


dbyGoogle 


10.  März. 

Die  Juden  von  Wien  sind  heute  deprimiert. 

Dr.  Grüafeld  lud  mich  ein,  an  der  heutigen  Vorstands- 
sitzung  der  Israelitischen  Union  teilzunehmen. 

Man  will  eine  große  Versammlung  (dea  Wehklagens?) 
abhalten. 

10.  März. 
Die  gestrige  Versammlung  war  betrübend.  Einige  alte 

Philister,  die  sich  ,,nix  zu  erkennen  geben"  wollen  als 
Juden,  und  unter  den  Fußtritten  ausharren. 

11.  Märt. 
De  Haas   schickt   einen  Brief  Oberst  Goldsmids   aus 

Biarritz  fQr  mich.  Goldsmid  beteuert,  er  habe  in  Cam- 
bridge nicht,  wie  der  Jewish  Chronicle  schreibt,  gegen 
mich  gesprochen,  sondern  nur  seine  historische  Fahne, 
auf  der  die  zwölf  Stftmme  symbolisiert  sind,  gegen  meine 
siebensternige  verteidigt. 

Wir  hatten  also  schon  eine  Fahnenfrage. 

Obrigens  ist  die  Wiederannäherung  Oberst  Goldsmids 
im  Hinblick  auf  den  MOnchener  Kongreß  willkommen. 

iU.  März. 
Eine  Briefkarte  von  Hechler.  Er  schreibt,  bei  seiner 
Rückkunft  von  Heran  habe  er  eine  Einladung  des  hie- 
sigen deutschen  Botschafters  Eulenburg  vorgefunden,  der 
üch  sehr  für  unsere  Sache  interessiere.  Sieht  Hechler 
nur  Illusionen?  Möglich  wäre  es.  Als  literarischer  Dilet- 
tant kennt  Graf  Eulenburg  jedenfalls  meinen  Namen. 
Er  ist  ein  Intimus  des  Deutschen  Kaisers.  Wenn  ich  ihn 
gewinne,  kann  er  mich  endlich  zum  Kaiser  bringen. 

597 


dbyGoogle 


Das  Übergehen  der  Juden  zu  den  Sozialdemokraten  in 
den  Wiener  Wahlen  vom  g.  M&rz  dürfte  auf  die  Regie- 
renden überall  ein  bißchen  gewirkt  haben. 

Wir  werden  sehen. 

tu.  März. 

Newlinski  frühstückte  heute  bei  mir.  Er  wußte  wieder 
allerlei  von  den  Türken  su  erzählen.  Das  Schnurrigste 
die  Geschichte  vom  Kri^sschatz.  Nach  dem  russisch- 
türkischen Kriege  legte  der  damalige  Finanzmiaister 
einen  geheimen  Kriegsschatz  an,  der  merkwürdigerweise 
nicht  gestohlen  wurde.  Der  jetzige  Fintmzminister  war 
Depositar  des  Geheimnisses,  xmd  aAs  die  Kretakrise  aus- 
brach, meldete  er  dem  Sultan,  daß  i4  Millionen  Frank 
da  seien.  Der  Sultan  verlieh  dem  unbegreiflichen  Manne 
den  Ifrikar-Orden  —  und  jetzt  wird  der  Kriegsschatz 
gestohlen.  Es  werden  Rückstände  bezahlt,  Unterschleife 
gemacht,  die  Botschafter  sehen  wieder  Geld,  auch  New- 
linski hat  welches  bekommen. 

Newlinski  meint  aber,  daß  sie  in  allern&cbster  Zeit  wie- 
der Geld  brauchen  würden.  Die  Juden  mögen  doch  eine 
Anleihe  machen.  Ich  sagte  ihm,  eine  Anleihe  werde  für 
nichts  und  wieder  nichts  nicht  zu  haben  sein.  Aber  (mir 
fiel  Bambus'  Mitteilung  vom  Landkauf  ein)  wenn  der 
Sultan  LSndereien  in  Pal&stina  mit  der  Ansiedlungsbe- 
fugnis  für  3000  Familien  verkaufen  wolle,  so  kOnnte  sich 
vielleicht  etwas  machen  lassen.  Wir  kamen  fiberein,  daß 
ich  nach  Berlin,  Paris,  London  schreiben  solle,  um  einen 
offiziösen  Kaufantrag  zu  provozieren.  Bieten  die  Ver- 
walter der  Jewish  Colonisation  Association  soundso- 
viel per  Hektar,  so  wird  Newlinski  es  dem  Sultan  tele- 
graphieren und  sich  antworten  lassen,  ob  man  den  An- 
tr^  offiziell  stellen  dürfe. 

598 


dbyGooglc 


Ich  schrieb  auch  sofort  an  Bambus,  Zadok  Kahn  (zur 
MitteiluDg  an  Leven)  und  Dr.  Gaster  (für  Mootefiore, 
Lousada,  Alfred  Cohen)  beinahe  gleichlautende  Briefe. 
Dieser  Landkauf  sei  zwar  gegen  meine  Ansichten  über  die 
Infiltration,  aber  ich  betrachte  ihn  ids  Etappe  zu  unserem 
weiteren  Ziel.  Ich  hStte  auch  bei  meinem  Gewährsmann 
die  Frage  einer  eigenen  Gendarmerie  für  diese  Ansiedler 
angeregt.  Der  Gewährsmann  halte  es  für  möglich,  daß 
man  uns  Mohammedaner  als  Gendarmen  anzuwerben  ge- 
statten würde. 

Die  Gendarmeriefrage,  die  nach  D'Arbelas  Mitteilun- 
gen über  die  Wehrhäftigkeit  der  Juden  in  Palästina 
eigentlich  gegenstandslos  ist,  werfe  ich  immer  wieder 
auf,  um  daran  eventuell  die  Verhandlungen  scheitern  zu 
lassen,  wenn  die  Geldhalter  mich  im  Stiche  lassen. 

Im  Brief  an  Zadok  Kahn  deutete  ich  an,  daß  diese 
Sache  ohne  den  verdächtigen  Bakschisch,  der  ja  nicht 
immer  in  die  rechten  Hfinde  gelangen  dürfte,  zu  ma- 
chen sei. 

Im  Brief  an  Gaster  mahnte  ich  die  englischen  J.  C.  A.- 
Herren, die  Notstände  der  armen  Juden  nicht  zu  vornehm 
SU  behandeln. 

In  beiden  Briefen  betonte  ich,  daß  die  Ansiedler  aus 
den  bei  den  verschiedenen  Zionsvereinen  Angemeldeten 
tu  rekrutieren  wären,  welche  auf  eigene  Kosten  oder  mit 
geringer  Nachhilfe  nach  Palästina  gehen  wollen. 

f  5.  März. 
An  de  Haas  nach  London  schrieb  ich,  er  möge  die 
Sache  durch  ein  Entrefilet  im  Jewish  World  ein  bißchen 
schüren.  Montefiore  und  Konsorten  sollen  einen  Wink 
mit  dem  Zaunpfahl  erhalten,  daß  wir  eventuell  die  Mas- 
sen gegen  sie  aufbieten  werden. 

699 


dbyGoogle 


i7.  MSrz. 

Gestern  fand  hier  die  erste  öffentliche  Zionistenrer- 
aammlung  statt.  Ich  ging  absichtlich  nicht  hin,  um  zn 
sehen,  wie  sich  die  Wiener  Zionisten  ohne  mich  hehelf«i. 
Es  war  ein  großer  Erfolg.  Der  Ressource-Saal,  der  4oo 
Personen  faßt,  war  überfüllt.  Es  solleD  800  bis  1000  da- 
gewesen sein,  die  wie  die  Heringe  standen.  Viele  mußten 
weggehen,  weil  es  zu  voll  war. 

Professor  Kellner  präsidierte,  wie  ich  höre,  vorzüglich. 

Das  Verdienst  der  Einberufung,  Organisation  usw.  ge- 
bührt Dr.  Landau  und  Rosenbaum. 

Gegen  den  Zionismus  sprachen  ein  paar  Sozialisten  mit 
alten  Argumenten. 

Die  zionistische  Resolution  wurde  mit  allen  g^en  &o 
Stimmen  angenommen.  Da  stimmten  die  Sozialisten  das 
Lied  Aet  Arbeit  an,  worauf  unsere  Leute  mit  dem  Bundes- 
lied, das  alle  sehr  ergriff,  antworteten. 

iJ.März. 

Heute  mit  Bacher  über  Zion  gesprochen.  Er  sagte 
mürb :  ,Jl  ne  faul  jurer  de  rien." 

Ich  ging  mit  ihm  nach  Hause,  erzfihlte  ihm  die  neue- 
sten VorgSnge.  Er  meinte  endlich:  „Ich  werde  es  wohl 
nicht  erleben." 

Ich  sagte :  ,  J>en  König  von  PalSstina  werden  Sie  nicht 
erleben,  ich  auch  nicht.  Aber  den  Anfang  können  wir 
noch  beide  sehen." 

Er  sagte  noch,  er  möchte  wohl  einmal  mit  mir  eine 
Reise  nach  Palästina  machen  (fihnlich  wie  Benedikt). 

Beim  Abschied  rief  ich:  „Sie  werde  ich  noch  bekehren. 
Vous  aerez  la  plus  noble  de  me»  conquitesT' 

Worauf  er  mir  gerührt  die  Hand  drückte.  Und  mir 
fiel  erst  nachher  ein,  daß  ich  ihm  etwas  Komisches  ge- 

600 


dbyGoogle 


sagt  hatte,  erinnernd  an  das  Wort:  la  plus  noble  con- 
quHe  de  Vhomme,  c'est  te  chevat. 

Ich  halte  es  für  möglich,  daß  die  N.  Fr.  Pr.  meine 
Idee  doch  noch  aufgreift.  Wurde  mir  doch  heute  vom 
Kommerziak'at  Zucker  das  Präsidium  des  jüdischen  Bour- 
geoisvereins  Union  angeboten.  Ich  lehnte  es  ab;  doch  ist 
der  Antrag  charakteristisch.  Die  Uniomsten  waren  vor 
einem  Jahr  meine  Spötter  und  Gegner. 
«    «     * 

Bambus  antwortet,  er  hal>e  meinen  Landkauf -Vorschlag 
sofort  nach  Paris  und  London  befördert. 

18.  März. 
Güdemann  auf   der  Straße  getroffen.    Er   begleitete 

knich  bis  an  mein  Haustor  und  fing  mit  verzweifelten 
Gesten  und  Intonationen  an :  „Erkl&ren  Sie  mir  den  Zio- 
nismus. Ich  verstehe  ihn  nicht." 

Ich  sagte:  „Nein,  ich  erklSre  Ihnen  nichts  mehr.  Es 
ist  schade  um  jedes  W(^." 

Er  hatte  einige  groteske  EinfSlIe :  er  würde  sich  lieber 
vor  dem  Tempel  in  der  Seitenstettengasse  totschlagen 
lassen,  ehe  er  den  Antisemiten  nachgäl».  Er  „will  nicht 
die  Flucht  ergreifen",  und  was  der  bekannten  Scherze 
mehr  sind.  Er  sprach  auch  von  der  „Mission  des  Juden- 
tums", welche  darin  bestehe,  in  aller  Welt  zerstreut  zu 
leben.  Von  dieser  „Mission"  sprechen  alle,  denen  es  am 
jetzigen  Wohnorte  gut  geht  —  aber  auch  nur  die. 

19.  März. 
Wieder  ein  Gesprfich   mit  Bacher.    Wir  gehen  jetzt 

immer  zusammen  vom  Bureau  weg.  Er  möchte  mit  mir 
eine  Reise  nach  PalSstina  machen,  und  als  ich  ihm  den 

6oi 


dbyGoogle 


Reiseprospekt  der  von  Cook  arrangierten  Maccabean- 
Club-Tour  zeigte,  erzählte  er  mir  eine  alte  Prager  Sage, 
die  er  in  seioer  Jugend  gehört  hat : 

Eine  jüdische  Frau  saß  einmal  in  ihrer  Stuhe  und  sah 
zum  Fenster  hinaus.  Da  bemerkte  sie  auf  dem  Dache 
gegenüber  eine  schwarze  Katze  in  GeburtanOten.  Sie 
ging  hin,  holte  die  Katze  und  half  ihr  beim  Entbinden. 
Dann  machte  sie  der  Katze  und  den  Kätzchen  ein  Lager 
auf  Stroh  über  der  Kohlenkiste.  Nach  ein  paar  Tagen 
war  die  genesene  Katze  verschwunden.  Aber  die  Kohlen, 
auf  denen  sie  geruht  hatte,  waren  in  lauter  Gold  verwan- 
delt. Die  Frau  zeigte  es  ihrem  Manne,  und  der  meinte, 
die  Katze  sei  von  Gott  geschickt  worden.  Darum  ver- 
wandte er  das  Gold  zum  Bau  eines  Tempels,  der  Altneu- 
schul.  So  ist  dieses  berühmte  Haus  entstanden.  Aber  dem 
Mann  blieb  ein  Wunsch:  er  wire  als  frommer  Jude  gern 
in  Jerusalem  gestorben.  Auch  die  Katze  hStte  er  wieder- 
sehen mögen,  weil  er  ihr  für  den  Wohlstand  danken 
wollte.  Und  wieder  sah  einmal  die  Frau  zum  Fenster 
hinaus  und  bemerkte  an  der  alten  Stelle  die  Katze.  Da 
rief  sie  rasch  ihren  Mann :  Schau,  dort  sitzt  unsere  Katze 
wieder.  Der  Mann  lief  hinaus,  um  die  Katze  zu  holen, 
aber  die  sprang  davon  und  in  die  Altneuschul  hinein. 
Der  Mann  eilte  hinterdrein  und  sah  im  Tempel  plötzlich 
die  Katze  in  den  Boden  sinken.  Da  war  eine  Öffnung, 
wie  zu  einem  Keller,  Ohne  Besinnen  stieg  der  Mann  hin- 
unter und  geriet  in  einen  langen  Gang.  Die  Katze  lockte 
ihn  weiter  und  weiter,  bis  er  endlich  wieder  Tageslicht 
vor  sich  sah.  Ab  er  aber  hinaus  kam,  war  er  in  einem 
fremden  Ort,  und  die  Leute  sagten  ihm,  er  sei  in  Jeru- 
salem. Da  starb  er  vor  Freude. 

Diese  Geschichte,  sagt  Bacher,  beweist,  wie  das  Natio- 
nalbewußtsein überall    und  zu  jeder  Zeit   sich  in    den 

6o3 


dbyGoogle 


Juden  erhalten  hat.  Eigentlich  liege  das  unter  der  Schwelle 
des  Bewußtseins  —  und  es  schimmerte  durch:  auch  bei 
ihm.  Und  er  habe  mir  das  erzählt,  weil  auch  er  in  sich 
einen  Wunsch  entdecke,  nach  Pal&stina  zu  geben. 

Welche  Wandlung  seit  einem  Jahr. 

Ich  glaube,  es  ist  nur  noch  eine  Frage  weniger  Monate, 
daß  die  N.  Fr.  Pr.  zionistisch  wird. 

2f .  März. 

Ich  schicke  den  „Judenstaat"  an  Herbert  Spencer  mit 
der  Bitte  um  seine  Ansicht.  Ich  schließe  den  Brief  mit 
den  Worten: 

Wir  sind  zur  selben  Zeit  Gäste  auf  der  Erde.  Nach 
dem  natürlichen  Laufe  werden  Sie  vielleicht  früher  ab- 
gehen als  ich,  der  37  jährige.  So  möchte  ich  —  da  ich 
heute  schon  die  Oberzeugung  habe,  daß  der  Judenstaat  in 
einer  oder  der  anderen  Form,  wenn  auch  jenseits  der 
Grenze  meines  Lebens,  entstehen  wird  —  wissen  und 
feststellen,  wie  sich  der  Beginn  dieses  Unternehmens  im 
großen  Geiste  Herbert  Spencers  gespiegelt  hat. 

In  aufrichtiger  Verehrung 

„■'''-'Y  Th.  H. 

\^■-  .  2i5f.  März. 
Der  ägyptische  Emissär  Mustafa  Kamil,  der  schon  ein- 
mal hier  war,  hat  mich  wieder  besucht.  Er  macht  wieder 
eine  Tournee,  um  Stimmung  zu  erregen  für  die  Sache  des 
ägyptischen  Volkes,  das  die  englische  Herrschaft  loa 
werden  machte.  Dieser  junge  Orientale  macht  einen 
vorzüglichen  Eindruck;  er  ist  gebildet,  elegant,  intelli- 
gent, beredsam.  Ich  notiere  seine  Gestalt,  weil  er  wohl 
noch  eine  Rolle  in  der  Politik  des  Orients  spielen  wird 
—  wo  wir  uns  möglicherweise  begegnen  werden, 

6o3 


dbyGoogle 


Der  NacfakcHnme  unserer  einstigen  Bedrücker  in  Hiz- 
raim  senfit  jetit  selbst  fiber  Leiden  der  Unterjochung, 
und  sein  Wc^  führt  ihn  bei  mir,  dem  Juden,  Tcxüber, 
dessen  publixistische  Hilfe  er  sucht.  Ich  lube  ihn,  da  ich 
für  ihn  jetxl  nicht  mebr  ton  kann,  meiner  Sympathien 
versichert. 

Ich  glaube,  ohne  es  ihm  su  sagen,  daß  es  für  unsere 
Sache  gut  wire,  wenn  die  EnglSnder  gexwungeo  wjirden, 
Ägypten  zu  verlassen.  Denn  dann  müßten  sie  für  den 
verlorenen  od^  mindestens  unsicber  gew<vdenea  Snei- 
kanal  einen  anderen  W^  nach  Indien  suchen.  Da  wir« 
das  modern  jüdische  PalSstina  für  sie  ein  Aoskunfts- 
mittel  —  die  Bahn  von  Jaffa  nach  dem  Persischen  Golf. 

34.  März. 

Gestern  mit  dem  türkischen  Botschafter  bei  Newiinski 
gespeist.  M . . .  N . . .  schmollte  anfangs  mit  mir,  offenbar 
wegen  der  türkenfeindlichen  Haltung  der  N.  Fr.  Pr.  Ich 
benutzte  einen  Gespr&cbsswischenfall,  um  hiniuwerfen, 
die  BiStter  kannten  nie  eine  andere  auswärtige  Politik 
machen  als  die  Regierung  ihres  Landes.  Dann  pries  ich 
die  LebensfShigkeit  der  Türkei,  die  noch  große  Tage 
sehen  würde,  wenn  sie  die  jüdische  Einwanderung  be- 
günstigen wollte. 

Der  arme  Botschafter  sagt  ganx  offenberdg:  „Schlech- 
ter, als  es  uns  jetzt  geht,  kann  es  bald  nicht  mehr  werden". 

Das  Milieu,  in  dem  ich  mich  da  befand,  war  kurios.  Es 
ist  diplomatische  Halbwelt. .  Neben  dem  Botschafter  saß 
Direktor  Hahn  von  der  LSnderbaok,  finanzielle  Halbwelt. 
An  der  anderen  Seite  der  Hausfrau  Fürth,  derzeit  Sekre- 
tär des  Fürsten  von  Bulgarien.  Fürth  war  in  Paris  nach 
seinem  Abschied  von  Hirsch  eben  im  B^riffe,  Remissier 
an  der  Bfirse  zu  werden  —  ich  erinnere  mich,  daß  er 

6o4 


dbyGooglc 


mir  im  Wagen  auf  der  RAckfahrt  aus  dem  Bois  erzählte, 
er  vermittle  jetzt  Börseoauf trSge  in  Goldminenaktien  fOr 
Aristokraten  —  da  bekam  er  die  Anstellung  beim  Für- 
sten Ferdinand,  ich  glaube  durch  Vermittlung  der  Jesu- 
iten, als  Lohn  für  seine  Taufe. 

Newlinski  selbst  ist  eine  große  Gestalt  —  ich  weiß 
nicht,  ob  ich  ihn  in  meinen  Aufzeichntmgen  schon  fixiert 
habe.  In  Konstantinopel  waren  meine  Eintragungen  be- 
engt durch  die  Möglichkeit,  daß  er  bei  unserer  intimen 
Heise  irgendeinmal  mein  Tagebuch  in  die  Hand  be- 
kommen könnte.  Er  ist  ein  grand  seigneur  dichu.  Er 
hat  eines  Tages  den  äußeren  Halt  seines  angestammten 
Lebenskreises  verloren  und  ist  in  eine  tiefere  Schicht  ge- 
raten, deren  Tugenden  und  Fehler  er  nicht  bat,  wo  er 
mißverstanden  und  geringgeschätzt  wird. 

EU  gibt  bei  ihm  kuriose  Wahrnehmungen.  Er  hat  die 
Technik  der  Diplomatie,  alle  feinsten  und  tiefsten  Eigen- 
schaften der  „Karriere"  —  aber  diese  sind  im  bürger- 
lichen Leben  absolut  nicht  am  Platz.  Dadurch  ist  er  eine 
halbbrüchige  Existenz  und  macht  einen  verdächtigen  Ein- 
druck. 

Dabei  hat  er  die  große  slawische  Liebenswürdigkeit, 
und  ich  stehe  nach  wie  vor  unter  dem  Bann  seiner  großen 
geistigen  Qualitäten. 

Darum  sehe  ich  aber  doch  deutlich,  daß  es  diploma- 
tische Halbwelt  ist  —  der  kümmerliche  Botschafter  des 
verkrankten  Kaisers  der  Türkei  obenan.  Aber  auch  dieser 
arme  Botschafter  und  sein  armer  Herr  sind  mir  herzlich 
sympathische  Gestalten. 

2/1.  März. 
Heute  mit  Benedikt  von  der  Redaktion  nach  Hause  ge- 
gangen. Wieder  wie  immer  das  Gespräch  auf  die  Juden- 

6o& 


dbyGooglc  ^ 


Sache  gebracht.  Ich  befolge  jetit  die  Taktik,  ihn  tu  Sng- 
stigen,  da  ich  bemerkte,  daß  er  zum  Erschrecken  in- 
kliniert. Ich  kann  natürlich  nur  durch  die  Blume  — 
drohen. 

Allerdings  habe  ich  jetzt  auch  wirklich  schon  die  Be- 
sorgnis, daß  die  Juden  iaWien  lu  spSt  auf  meinen  Plan 
eingehen  werden.  Sie  werden  nicht  mehr  die  politische 
Bewegungsfreiheit  haben,  vielleicht  auch  nicht  mehr  die 
FreizQgigkeit  —  sowohl  von  Personen  wie  auch  von 
Sachen  —  um  nach  Zion  schauen  und  gehen  m  köonea. 

Ich  sagte  Benedikt :  „Die  nächste  Folge  des  Antisemitis- 
mus, noch  vor  den  gesetzlichen  und  administrativen 
Schikanen,  wird  ein  Krieg  der  Juden  gegen  die  Juden 
sein.  Die  schon  jetzt  gedrückten  und  bedrohten  Schichten 
der  Juden  werden  sich  gegen  die  Großjuden  wenden, 
welche  sich  von  Regierung  und  Hetzern  mit  Geld  und 
Diensten  toskaufen."  - 

Das  begriff  er  und  sagte:  „Es  soll  daraus  nur  nicht  an 
Kampf  gegen  die  Reichen  überhaupt  werden." 

Ich  erwiderte:  „Wenn  der  Kampf  begonnen  hat,  liflt 
er  sich  nicht  mehr  begrenzen.  Wer  die  Zeichen  nicht 
verstanden,  die  Notschreie  überhört  hat,  wird  es  sich  selbst 
zuschreiben  müssen." 

Und  dann  erzShlte  ich  ihm,  was  mir  eben  einfiel,  weil 
ich  die  Listen  für  die  Kongreßeinladungen  von  Schnirer 
hatte  holen  lassen,  daß  wir  die  Namen  und  Adressen  ab- 
solvierter Hochschüler,  die  unsere  Anhänger  sind,  auf 
einer  zionistischen  Kundgebung  gesammelt  haben.  (Das 
ist  die  Adresse,  die  für  mich  aus  Anlaß  der  Publikation 
des  „Judenstaates"  vorbereitet  wurde.) 

Da  sah  ich  den  Ausdruck  des  Schreckens  in  seinem 
Gesicht. 

Ich  hatte  einen  Schlag  auf  seine  Einbildungskraft  ge- 

606 


dbyGoogle 


führt.  Ich  erriet,  was  er  in  seinem  Schrecken  plötzlich 
dachte:  das  sind  die  Adressen  der  Abonnenten  fQr  das 
Konkmrenzblatt  der  N.  Fr.  Pr. 


Vorgestern,  Montag,  nach  der  Wahl  in  der  Leopold- 
stadt, als  der  Antisemit  gegen  den  „Liberalen"  unterlag, 
gab  es  einen  Rummel  in  diesem  Judenviertel. 

Einige  PObelbanden  zogen  umher,  schlugen  Fenster- 
scheiben von  KaffeehSusern  ein,  plünderten  etliche  kleine 
Lsden.  Auch  wurden  Juden  auf  der  Gasse  beschimpft 
und  geprügelt.  Als  man  das  in  den  MorganblSttem  las, 
gab  es,  glaube  ich,  der  Judenschaft  einen  Schock  —  der 
aber  schnell  verwunden  war.  Es  muß  Srger  kommen,  es 
wird  ärger  kommen.  Freilich,  die  Millionäre  werden  sich 
dem  Ohel  leicht  entziehen;  und  die  Wiener  Juden  sind 
wie  die  meisten  unseres  Volkes  Ghettonaturen,  die  froh 
sind,  wenn  sie  nur  mit  einem  blauen  Auge  davonkommen. 

26.  März. 
Heute  einen  reizenden  Brief  von  Alpbonse  Daudet  be^ 
koDunen.  Er  erinnert  sich  noch  unserer  Gespräche.  Wenn 
er  noch  da  ist,  bis  der  Judenstaat  entsteht,  will  er  zu  uns 
kommen,  um  Vorlesungen  zu  halten. 


ü.  April. 

Die  hiesige  „Union"  lud  mich  zu  einer  Vorbesprechung 
über  den  Antrag,  eine  große  Versammlung  einzuberufen, 
worin  die  Lage  der  Juden  in  Osterreich  erörtert  werden 
solle. 

Ich  setzte  es  durch,  daß  die  Abhaltung  der  Versamm- 
lung beschlossen  wurde.    Zur  Vorbereitung  wurde   ein 


607 


dbyGoogle 


Komitee  eingesetzt  —  und  dieses  Komitee  beschloß,  sich 
zu  vertagen. 

Ich  habe  zweimal  drei  Stunden  in  Argumentatioaen 
verloren,  die  Steine  weich  gemacht  hätten. 

In  der  ersten  Besprechung  Dienstag  sagte  ich,  daß 
Graf  Badeni  bald  einem  klerikaleren  Minbterpräsidenten 
Platz  macheo  werde.  Ein  Advokat,  namens  Dr.  Elias, 
liebelte  überlegen :  „Badeni  wird  den  Reicbsrat  auflösen, 
wenn  er  keine  Majorität  hat." 

Vorgestern,  Freitag  abend,  war  die  Komiteesitzung,  die 
ich  am  Dienstag  erkämpft  hatte.  Und  Freitag  mittag 
hatte  Graf  Badeni  seine  Demission  überreicht  —  zur  all- 
gemeinen Überraschung. 


Aus  Schaulen  in  Rußland  zwei  Briefe  einer  Kotonistin 
von  Rischon  le-Zion  erhaltea.  Sie  heißt  Helene  Papier- 
meister und  schildert  in  grellen  Farben  die  Mißbräuche 
und  Unterscbleife  des  Rothschildschen  Direktors  Scheid. 
Ich  schicke  die  Anklagen  an  Bentwich,  der  sie,  wenn 
möglich,  bei  Gelegenheit  seiner  Palästina-Pt^rimo^e  un- 
tersuchen soll. 

Der  Papiermeister  schreibe  ich,  sie  möge  die  Beschwer- 
den gegen  Scheid  in  beglaubigter  Weise  vor  den  Münche- 
ner Kongreß  bringen. 

Mit  diesem  Kongreß  wird  ein  Forum  für  die  armen 
Opfer  unserer  „Wohltäter"  und  ihrer  Beamten  ge- 
schaffen. 


Von  de  Haas  aus  London  ein  entmutigter  Brief.  Gol. 
Goldsmid  habe  ihn  kommen  lassen,  ihn  beschworen,  vom 
Kongreß  abzustehen,  damit  keine  „Spaltung"  unter  den 


608 


dbyGoogle 


Chovevi  Zioa  eotstehe.  Ich  mdge  lieber  am  Delegierten^ 
tag  aller  Zionisten  in  Paris  im  nächsten  Herbst  teil- 
nehmen. 

Ich  schreibe  Haas,  er  solle  unverzüglich,  unbeküm- 
mert, mit  seinem  Anhang  darauflos  mar&cbiereD. 

Spaltung  —  tont  pisl 

Von  all  diesen  Pickwickier-Clubs  und  headquarteri  will 
ich  nichts  mehr  wissen. 


Heute  auch  ein  Brief  von  Gol.  Goldsmid,  der  mir 
schreibt,  was  er  Haas  sagte,  mich  beschwört,  meine  Krfifte 
mit  den  ihrigen  zu  vereinigen,  mich  seiner  aufrichtigen 
Freundschaft  versichert. 

Ich  antworte  ihm : 

Mein  lieber  Oberst  I 

Dank  für  den  herslichen  Ton  Ihres  Briefes.  Auch  ich 
bin  Ihnen  aufrichtig  zugetan  und  bedauere  nur,  daß  Sie 
mich  nicht  verstehen. 

Der  MüDcheaer  Kongreß  ist  eine  beschlossene  Sache, 
von  der  ich  nicht  mehr  abgehen  kann.  Aber  er  ist  auch 
eine  Notwendigkeit.  Lassen  Sie  sich  von  Rev.  Gaster  den 
Brief  zeigen,  worin  ich  der  J.G.Ä.  empfahl,  einen  jetzt 
möglichen  Landkauf  mit  Einwanderungsbefuguis  vorzu- 
nehmen. Mein  Vorschlag  wurde,  wie  mir  Zadok  Kahn 
schreibt,  ad  acta  gelegt.  Diese  Herren  wollen  und  wer- 
den nichts  tun. 

Ich  habe  lange  genug  gewartet.  Im  August  werden  es 
zwei  Jahre,  daß  ich  die  ersten  praktischen  Schritte  in 
der  Judensache  unternahm.  Ich  wollte  es  ohne  Aufre- 
gung der  Massen,  von  oben  herab  machen,  mit  den  MSn- 
nem,  die  sich  bisher  im  Zionismus  hervorgetan  hatten. 
Man  hat  mich  nicht  verstanden,  nicht  unterstützt.    Ich 

39    Henia  TacebOober  I.  6oQ 


dbyGoogle 


mußte  allein  weitergehen.  Auf  dem  Kongreß  in  München 
werde  ich  die  Massen  aufrufen,  zur  Selbsthilfe  zu  schrei- 
ten, da  man  ihnen  nicht  helfen  will. 

Ihren  Vorschlag,  die  Teilnahme  der  Chovevi  Zion  vom 
Pariser  Zentralkomitee  abhSngig  zu  machen,  halte  ich 
für  aussichtslos.  Die  Pariser  Antwort  kenne  ich  im  vor- 
aus. Es  ist  die  Ablehnung.  Es  arbeitet  da  hinter  den 
Kulissen  jemand,  mit  dem  ich  mich  weder  auf  eine  Kon- 
kurrenz, noch  auf  einen  Streit  einlasse.  Wer  das  ist,  sagt 
Ihnen  der  beiliegende  Brief.  Ich  vertraue  den  Brief  Ihrer 
Diskretion  als  Gentleman  an.  Schicken  Sie  mir  ihn 
zurück. 

Dieser  Mann  hat  seit  Jahr  und  Tag  gegen  mich  intri- 
giert. Ich  glaubte  anfangs,  er  fürchte  für  seine  Stellung, 
und  hatte  darum  nur  Mitleid  mit  ihm.  Seit  einiger  Zeit 
kommen  mir  aber  solche  Beschwerden  von  den  verschie- 
densten Seiten  über  ihn  zu.   Jetzt  verstehe  ich  alles. 

Jedenfalb  wird  er  alles  aufbieten,  um  den  Kongreß 
zu  vereiteln.  Er  wird  die  nobelsten  Gründe  erfinden,  um 
das  Pariser  Komitee  von  München  fernzuhalten.  Er 
wird  als  „Kenner  des  Orients"  Befürchtungen  erregen 
usw.  usw.  Er  wird  sagen,  die  Öffentlichkeit  schädige  un- 
sere Bestrebungen.  Alles  unwahr.  Der  Sultan  und  seine 
RSte  kennen  den  Judenplan.  Ich  habe  mit  den  türkischen 
StaatsmSnnern  ganz  offen  gesprochen,  und  die  haben  es 
nicht  übelgenommen.  Als  unabhSngigen  Staat  wollen  sie 
uns  Palästina  um  keinen  Preis  geben;  als  Vasallenstaat 
(vielleicht  wie  Ägypten)  künnten  wir  das  Land  unserer 
VSter  in  kürzester  Zeit  bekommen.  Wir  hStten  es  heute 
schon,  wenn  man  im  vorigen  Juli  auf  meine  Londoner 
und  Pariser  Vorschläge  eingegangen  wäre.  Begreifen  Sie 
meinen  Zorn  und  meine  Ungeduld? 

Sie,  Oberst,  sollten  ähnlich  wie  Woods,  Kamphövener, 

610 


dbyGoogle 


V.  d.  Goltz  und  andere  fremde  Offiziere  als  General  in 
türkische  Dienste  treten,  und  als  solcher  h&tten  Sie  in 
Palästina  unter  der  SuzeränitSt  des  Sultans  kommandiert. 
Bei  dem  Zerfall  der  Türkei  würde  uns  oder  unseren  Söh- 
Den  dann  PalSstina  unabhängig  zufallen.  War  der  Plan 
so  unsinnig?  Das  finanzielle  Arrangement  war  noch  ein- 
facher, wenn  die  Geldmagnaten,  wie  ich  es  vorschlug, 
mitgegangen  wären.  Montagu  hat  mein  Anlehensprojekt 
gebilligt. 

Da  es  nicht  so  ging,  muß  es  anders  gehen.  Sie  irren 
sich,  glaube  ich,  wenn  Sie  von  den  Massen  keine  Geld- 
kraft erwarten.  Jeder  hat  nur  ein  kleines  Opfer  zu  brin- 
gen, und  die  Leistung  wird  schon  enorm.  Das  wird  Sache 
der  Weltpropaganda  sein,  die  vom  Münchner  Kongreß 
ihren  Ausgang  nehmen  soll.  Darum,  als  um  eine  Gield- 
sache,  habe  ich  mich  nicht  zu  kümmern.  In  München 
werden  auch  Geldfachleute  sein,  die  diesen  Teil  der  Auf- 
gabe besorgen  werden. 

In  München  wird  nach  langer  Zeit  wieder  eine  jüdische 
Nationalversammlung  stattfinden  1 

Ist  das  nicht  etwas  so  Großes,  daß  jedes  jüdische  Herz 
bei  diesem  Gedanken  hoher  schlagen  muß?  Heute  noch 
in  der  Fremde,  leachonoh  haboh  vielleicht  in  der  alten 
Heimat? 

Sie,  Oberst  Goldsmid,  der  Sie  mich  an  jenem  Abend 
in  Cardiff  so  tief  bewegten,  als  Sie  mir  Ihre  Geschichte 
erzählten,  und  mit  den  Worten  begannen :  „/  am  Daniel 
Deronda"  —  Sie  sollten  an  dieser  jüdischen  National- 
versammlung nicht  teilnehmen  wollen?  Ich  könnte  es 
begreifen,  wenn  Sie  Rücksichten  auf  Ihre  dienstliche 
Stellung  für  Ihre  Person  nehmen  müßten.  Aber  vom 
zionistischen  Standpunkt  aus  können  Sie  doch  nichts  da- 
gegen haben. 

39*  6ll 


dbyGoogle 


Daß  ich  keine  aelfiah  aims  habe,  müssen  Sie  glau- 
b«i.  Eben  jetzt  in  den  Parlamentswahlen  wurden  mir 
drei  Mandate  von  Bezirken  angeboten,  wo  Jaden  die  Ma- 
joritSt  haben.  Ich  lehnte  ab.  Ich  habe  keinerlei  persön- 
lichen Ehrgeiz  in  der  Judensache. 

Man  stelle  mich  auf  die  Prcdw.  Noch  einmal  proponiere 
ich  folgendes:  Stellen  Sie  sich  mit  Edm.  Rothschild, 
HoDtagu,  und  mit  wem  Sie  sonst  noch  wollen,  lusammen. 
Geben  Sie  mir  Ihr  Ehrenwort,  daß  Sie  das  ausführen 
wollen,  was  ich  in  Konstantiaopel  eingeleitet  habe  — 
Und  ich  gebe  Ihnen  mein  Ehrenwort,  daß  ich  von  der 
Leitung  der  Judensache  für  immer  zurücktrete. 

Ist  Ihnen  das  nicht  möglich,  so  vereinigen  Sie  Ihre 
Kraft  mit  meiner.  Arbeiten  wir  zusammen  I 

KSme  es  aber  zu  einer  Spaltung  zwischen  den  „großen" 
Geldjuden  und  uns,  so  werden  nicht  wir  übel  daran  sein, 
sondern  jene.  Drüben  werden  ein  paar  GeldsScke  mit 
ihren  Schnorrern  und  Lakaien  stehen  —  hüben  wir  mit 
allen  edlen,  mutigen,  intelligenten  und  gebildeten  Kräf- 
ten unseres  Volkes. 

Mit  Zionsgniß 

Ihr  aufrichtiger  Freund 

Th.  Henl. 

Beilage;  Brief  der  Frau  Papiermeister  aus  Scbaulen. 

5.  Aprä. 

Der  Kaiser  hat  Badenis  Demission  nicht  angenommen. 
Das  Ministerium  „will  cur  mit  dem  verfassungstreuen 
Großgrundbesitz  regieren". 

Die  Juden  in  Osterreich  werden  wieder  einmal  alles 
für  gerettet  halten.  Aber  die  Antisemiten  sind  wfltend. 
Badeni,  der  keine  Majorität  hat,  wird  ihnen  mehr  Ge- 


dbyGoogle 


fäUigkeiten  erweiseo  mQseea,  ak  eine  klerikale  Regie- 
rung es  getan  hätte. 
Die  Juden  werden  bald  wieder  stöhnen. 

12,  April. 

Baron  Manteuffel,  ein  christlicher  ZionsschwSrmer,  der 
in  San  Michele  all'  Adige  junge  Juden  zu  Weinbauern  fflr 
Palästina  heranbilden  läßt,  schreibt  mir,  er  wolle  nach 
Palästina  gehen,  um  die  Verhältnisse  zu  studieren. 

Ich  beauftrage  ihn  mit  der  vertraulichen  Untersuchung 
der  von  Frau  Papiermeister  angezeig^ten  Mißbräuche 
Scheids. 

Leider  ist  es  so,  daß  die  Angaben  eines  arischen  Ba- 
rons die  Upper  Jewa  stärker  beeinflussen,  als  was  immer 
unsereiner  sagen  kOnnte. 

*    >*>     * 

Haas  meldet  aus  London  seine  und  der  Genossen 
Marschbereitschaft. 

Sie  werden  Goidsmids  Zelte  spalten,  wenn  er  nicht  mit 
nach  München  geht. 

Zugleich  schickt  mir  Haas  einen  Brief  des  Prager  Rab- 
biners K  .  .  .  gegen  den  Münchner  Kongreß.  Diesen  K . . . 
muß  man  sich  als  das  Muster  einer  Wetterfahne  merken. 
Bald  ist  er  für,  bald  gegen  uns. 

Seine  Hauptsorge  aber  ist,  ob  „angesehene"  Leute  — 
d.  h.  reichet  —  dabei  sind. 

Dieser  Pfaffe  verdient  ein  Denkmal  in  meinem  Tage- 
buch. 


Eine  Stunde,  nachdem  ich  dies  hier  eingetragen,  kam 
ein  Brief  von  K  .  .  .,  der  mich  „zu  meiner  Initiative  be- 
glückwünscht". 

6i3 


dbyGoogle 


Abo  nachdem  er  es  durch  Scbmfihungen  nicht  lu  ver- 
eiteln vermochte,  gratuliert  er  dazu.   Ein  Typus  I 

Er  bittet  sogar  um  ein  Referat  über  hebrSische  Sprache, 
denn  er  will  unbedingt  zum  Kongreß  kommen. 

U.  April. 
6a.  Geburtstag  meines  teuren  Vaters. 

*    ■«     * 

Für  den  Kongreß: 

Die  reichen  Juden  brauchen  nur  so  viel  jährlich  her- 
zugeben, als  sie  sonst  für  Wohltätigkeit  budgetieren.  Da- 
f  Qr  seben  wir  die  Armen  nach  PalSstina. 


Kundmachung  an  Buchhändler,  die  das  stenographische 
Protokoll  des  Kongresses  verlegen  wollen.  Anträge  an 
„Zion"  in  Wien  zu  richten. 

*    •     ♦ 

Ich  werde  alle  großen  Blätter  zum  Kongreß  einladen. 
Aber  wer  Platz  reserviert  haben  will,  muß  früher  anmel- 
den. Dadurch  erzwinge  ich  vielleicht,  daß  alle  vom  Kon- 
greß reden  —  aus  Konkurrenzfurcht. 

Auch  die  N.  Fr.  Pr. 

17.  AprÜ. 

Von  Dr.  Güdemann  ist  eine  tückische  Gegenbroschüre 
unter  dem  Titel  „Nationaljudentum"  erschienen.  Offen- 
bar auf  Wunsch  der  hiesigen  Upper  Jews.  Er  hält  sich 
in  vagen,  feigen  Unbestimmtheiten,  bat  aber  die  ersicht- 
liche Absicht,  Munition  für  kühnere  Streiter  zu  liefern. 

Ich  antworte  ihm.  Und  zwar,  nach  dem  Machiavelli- 
schen  Rezept,  vernichtend. 


6i4 


dbyGoogle 


Der  Verleger  Breitenstein,  der  natürlich  alles  i 
und  nur  sein  Gescb&ft  verfolgt,  sagt  mir,  Rotfuchild  hd)B 
gleich  nach  dem  Eracfaeinen  der  GfiBkawamacAen  Schrift 
dreißig  £xeiBi^are  hai^  Uama. 

21.  April. 

Der  griechisch-türkische  Krieg,  der  in  den  letzten  Tagen 
aus  einem  schleichenden  sich  in  einen  akuten  verwan- 
delte, wird  in  seinem  Weiterlaufe  wohl  auch  auf  unsere 
Sache  wirken.  Wie? 

Kommt  es  zu  einem  Friedenskongreß  zur  Ordnung  der 
griechisch-türkischeo  Differenzen,  so  werden  wir  unsere 
Bitte  dem  Kongreß  der  MSchte  vortragen. 

Siegt  die  Türkei,  was  wahrscheinlich  ist,  und  bekommt 
sie  —  was  freilich  unwahrscheinlich  ist  —  vom  finanziell 
schon  jetzt  zerrütteten  Griechenland  eine  Kriegsentschä- 
digung in  Geld,  so  brauchen  die  Türken  die  Judenhilfe 
weniger. 

25.  AprU. 

Bodenheimer-KGln  hatte  eine  glänzende  Idee:  für  die 
türkischen  Verwundeten  sammeln  zu  lassen,  um  dem  Sul- 
tan die  Sympathie  der  Juden  zu  zeigen. 

Ich  griff  diese  Idee  sofort  auf  und  lancierte  sie  unter 
den  hiesigen  Juden,  auch  unter  Nichtzionisten. 


Schalit  von  der  .Kadimab'  kam  und  bat  mich,  ihn  an  den 
türkischen  Botschafter  zu  empfehlen.  EJ:  will  mit  ein 
paar  Medizinern  nach  dem  Kriegsschauplatz  abgehen, 
als  freiwillige  Ante. 

Ich  schrieb  M . . .  N . . .  einen  Brief,  worin  ich  ihm  die 
freiwilligen  Arzte  und  die  Sammlung  für  die  Verwunde- 
ten anzeigte. 

6i5 


dbyGoogle 


24.  ApriL 

Eiae  Perfidie  von  Bambus. 

Ich  erhalte  heute  von  ihm  die  Anzeige,  da&  er  an  einige 
j  üdische  BIStter  eine  Berichtigung  meiner  Kongrefianzeige 
gesendet  habe. 

Der  Zweck  ist  klar :  er  will  mich  als  einen  hableur  hin- 
stellen, den  Kongreß  untergraben,  Yielleicht  schon  im 
Auftrage  Scheids. 

Als  Vorwand  gibt  Bambus  aa,  dafi  die  Müochener  Juden 
außer  sich  seien  und  gegen  die  Abhaltung  des  Kongressea 
in  MüDchen  protestieren. 

Wie  weit  das  wahr  ist,  ob  nicht  auch  da  die  Intrigen 
des  sich  bedroht  fühlenden  Scheid  dahinter  sind,  werden 
wir  noch  herauskriegen. 

Vielleicht  ist  es  nur  platte  Eifersucht  der  Berliner,  die 
fürchten,  daß  ich  die  ganze  Leitung  in  die  Hand  be- 
komme. 

Ich  schreibe  sofort  an  Bambus  und  verlange  die  Revo- 
kation der  Berichtigung,  sonst  würde  ich  mich  von  ihm 
trennen. 

Gleichzeitig  schreibe  ich  an  Bodenheimer-KOln,  ver- 
ständige ihn  von  der  Intrige  und  verlange  die  Zusicherung 
seiner  Standhaftigkeit.  Eventuell  vrird  Kdln  der  Haupt- 
ort des  deutschen  Zionismus. 


Wenn  man  in  München  Miseren  macht,  gehe  ich  mit 
dem  Kongreß  nach  Züricb.- 

25.  April 

Das  erste  große  Genre  der  neujüdischen  Kunst  wird 
wohl  das  Lustspiel  sein  —  gleidigültig  in  welcher  Sprache. 
Man  übersetzt  ja  auch  die  Stücke  des  Labtche  in  alle 
Sprachen. 


dbyGoogle 


Auf  diesen  Gedanken  kam  ich  gestern,  wo  ich  mich 
recht  gut  unterhielt.  Ea  war  der  erste  vergnügte  Tag,  den 
ich  dem  Zionismus  verdanke  —  sonst  hatte  idi  hisher  nur 
Herzklopfen,  Aufregungen,  Erschütterungen  davon.  Auch 
die  Zustimmungskundgebungen  machen  mir  ja  kein  Ver- 
gnügen, weil  ich  hinter  der  Masse,  die  mir  Beifall  sollt, 
auch  schon  die  Undankbarkeit,  den  kommenden  Neid 
und  den  möglichen  Wankelmut  des  morgigen  Tages 
sehe. 

Aher  gestern  gab  es  reines  Ergötzen.  Da  ich  die  Samm- 
lungen für  die  türkischen  Verwundeten  betreibe,  berief 
ich  einige  Herren  zu  mir. 

Zuerst  waren  nur  Prediger  Gelbhaus  und  Dr.  Bloch 
bei  mir.  Gegenstand  der  Unterhaltung:  mein  Artikel 
gegen  Güdemann  in  der  letzten  Nummer  von  Blochs  Wo- 
chenschrift. Der  Artikel  soll  großes  Aufseben  gemacht 
haben.  Bloch  erzfihlte,  daß  er  im  Concordia-Klub  war, 
um  die  Ansiebten  der  Journalisten  zu  hören.  Ein  Finanz- 
notizensammler im  Dienste  des  Bankdirektors  Taußig  er- 
klSrte,  daß  „man  einen  solchen  Artikel  nicht  bringen 
dürfe".  Die  anderen  waren  dafür,  man  bedauerte  nur, 
daß  ich  Rothschild  angegriffen  habe.  Bloch  bestritt,  daß 
ich  Rothschild  mit  den  „Hintermännern"  gemeint  habe. 
Worauf  Julius  Bauer  sagte:  „Bin  ich  Gott,  daß  Sie  mich 
foppen  wollen?" 

Gelbbaus  wieder  erzählte  vom  Aufsehen,  das  der  Ar> 
tikel  unter  den  Tempeljuden  gemacht  habe.  Sie  bildeten 
im  Hofe  ,Jiädlich",  d.  h.  Gruppen,  und  sprachen  nur 
von  der  DemolieruDg  des  Oberrabbiners.  Sie  kamen  auch 
vor  und  nach  der  Predigt  zu  Gelbhaus,  um  ihm  zu  sagen, 
daß  Güdemann  „moralisch  tot"  sei;  es  sei  ihm  nachge- 
wiesen, daß  er  ein  konfuser  Kopf  sei,  ja  daß  er  überhaupt 
nicht  mehr  auf  dem  Boden  des  Judentums  stehe.  Gelb- 

617 


dbyGoogle 


haus  sprach  aber  vod  dar  Hinrichtung  Gudemaoas  ( 


Bloch  ^tondait  dan»  le  mime  sens,  und  erklftrte'  mir, 
was  die  in  derselben  Nummer  seiner  Wochenschrift  ent- 
haltene Verteidigung  des  Güdemanoschen  Standpunktes 
durch  Zitieren  des  ungarischen  Oberrabbiners  Cfaorin  be- 
deute. Chorin  wird  nSmlich  von  den  Frommen  als  Goi 
angesehen. 

Und  Gelbhaus  sagte  fröhlich : 

„Sie  haben  ihn  mit  Ihrer  BekSmpfung  erscblageo,  abw 
der  Nachweis  seiner  Obereinstimmung  mit  Chorin  hat  ihn 
beerdigt." 

Bloch  erziblte  nun,  da  der  Humor  der  Sache  in  ihm 
erwacht  war,  daß  er  mich  mit  der  Besprechung  von  Gü- 
demanns  Broschüre  in  der  „Wochenschrift"  nur  zu  einer 
Antwort  habe  reisen  wollen. 

Darum  ließ  er  durch  Feilbogen,  dem  er  die  Reiension 
aufgab,  betooen,  daß  „der  vierte  Abschnitt  heißen  sollte: 
Dr.  Güdemana  contra  Dr.  Herzl". 

Ich  glaube  das  freilich  nicht.  Eher  glaube  ich,  daß  Feil- 
bc^n  mir  ein  Bein  stellen  wollte,  und  daß  Bloch  bei  der 
Wendung,  welche  die  Sache  zu  meinen  Gunsten  su  neb' 
men  scheint,  sich  auf  die  Seite  des  Stirkeren  schlagen 
wUl. 

Wenn  ich  bei  einem  nächsten  Zwischenfall  erliege, 
verläßt  er  mich. 

Beiläufig  erzählte  er  auch  den  Grund  seines  Hasses 
gegen  Gfidemann.  Dieser  habe  ihn  in  der  Seminarfrage 
treulos  im  Stich  gelassen.  Und  nun  ein  Langes  und  Brei- 
tes über  die  uninteressante  Seminarfrage,  welche  die  Her- 
ren etwa  so  passioniert,  wie  mich  der  Judenstaat.  So  kann 
durch  die  Leidenschaft  auch  der  kleinste  Gegenstand  die 
Menschen  lu  Haß  und  Liebe  treiben. 

6i8 


dbyGoogle 


Auf  die  Frage,  was  Güdemann  zu  meinem  Artikel  sage, 
gestanden  beide  Herren  naiv,  sie  bStten  es  oiclit  heraus- 
bekommen können,  obwohl  sie  ihre  Frauen  zu  Gödemann 
geschickt  hätten,  um  ihm  zum  Franz-Josefs-Orden  zu 
gratulieren,  den  er  vor  drei  Tagen  erhielt. 

Dann  kam  der  kleine,  alte,  gescheite  Sigmund  Mayer, 
und  wir  stellten  die  Liste  des  Komitees  für  die  Samm- 
lung fest.  Das  war  die  Krone  der  Unterhaltung.  Dabei 
erlangte  ich  einige  Personalkenntnis.  Denn  bei  jedem 
Namen  wurden  Bedenken  erhoben,  und  wieder  zeigten  sie 
mit  einer  uowillkOrtichen  NaivitSt,  wie  bescheiden  sie  von 
den  „Notabein"  denken. 

Es  wurde  der  Name  eines  Millionärs  genannt.  Mayer 
meinte,  mit  dem  würde  nicht  jeder  beisammen  sitzen  wol- 
len. Ich  fragte,  warum,  da  ich  ihn  nicht  kannte.  Keiner 
wollte  mit  der  Farbe  heraus. 

Allmählich  machten  sie  zögernde  Bemerkungen,  die 
wie  Entschuldigungen  des  Mannes  klangen.  Er  habe  zwar 
Baukredite  gewährt,  aber  man  kann  nicht  eigentlich  sa- 
gen, daß  er  gewuchert  habe.  Und  allmählich  entstand 
das  Bild  eines  Wucherers,  so  daß  ich  lachend  sagte :  „Jetzt 
weiß  ich,  wer  der  Mann  ist." 

Und  so  bei  anderen.  Ich  erfuhr  bei  Zusammenstellung 
der  Komiteeliste  eine  Menge  Details  Ober  eine  Menge 
Personen. 

Die  reine  Lustspielssene.  Denn  nachdem  man  sie  her- 
untergemacht hatte,  wurden  sie  schließlich  doch  ins  Ko- 
mitee kooptiert,  das  dem  Publikum  eine  Illusion  machen 
soll  und  diese  selbst  nicht  besitzt. 

27.  April. 
Gestern  bei  mir  konstituierende  Sitzung  des  Komitees 
für  die  türkische  Sammlung.  Die  Vertreter  der  tOrldsch- 

619 


dbyGoogle 


israelitischen  Gemeinde  waren  auch  da.  Es  «rurde  nach 
langem  Herumreden  beschlossen,  daß  die  hiesigen  tOrki- 
scheo  Juden  sich  an  die  Spitte  der  Aktion  setieo  und 
die  übrigen  dazu'  kooptieren  sollen. 

28.  AprU. 

Brief  an  M . . .  N . . .  Pascha. 

koafidentiell. 

Ew.  Exiellenz 
beehre  ich  mich  zu  den  glänzenden  Siegen  der  türkischen 
Waffen  zu  beglückwünschen. 

Der  Wunsch  mehrerer  jüdischer  Studenten,  die  frei- 
willig zur  Armee  Sr.  Majestät  des  Sultans  abgehen  wol- 
len, ist  eine  kleine  Stichprobe  der  Freimdschaf  t  und  Dank- 
barkeit, welche  wir  Juden  für  die  Türken  empfinden. 

Ich  habe  hier  und  an  anderen  Orten  Komitees  einbe- 
rufen, welche  Geldsammlungen  für  die  türkischen  Ver- 
wundeten einleiten  sollen.  Die  Ergebnisse  der  Sammlun- 
gen werden  in  den  einzelnen  Lindern  den  Botschaftern 
S.  M.  des  Sultans  Obergeben  werden. 

Hier  in  Wien  stellt  sich  auf  meine  Anregung  die  tür- 
kiscb'-israelitische  Gemeinde  an  die  Spitze  der  Aktion 
und  kooptiert  verschiedene  andere  Personen.  Dadurch 
soll  den  Verdächtigungen  von  antisemitischer  Seite,  ab 
ob  wir  nicht  aus  Menschlichkeit,  sondern  gegen  die  Chri- 
sten sammelten,  jeder  Vorwand  genommen  werden. 

Immerhin  hat  die  Sammlung  einen  heiklen  Charakter, 
und  viele  Juden  werden  sich  fürchten,  gerade  bei  dieser 
Gelegenheit  ihren  aufrichtigen  Sympathien  für  die  Tür- 
ken Ausdruck  zu  geben. 

In  den  westlichen  Lindem  ist  es  jetzt  geradezu  unmög- 
lich, weil  sie  nicht  ge^^en  die  Politik  ihrer  Mitbürger  de- 
monstrieren dürfen.  So  ist  gerade  von  den  englischen  und 
französischen  Juden,  welche  finanziell  am  meisten   in 

630 


dbyGoogle 


Betracht  kommen,  in  diesem  besonderen  Fall  nichts  zu 
erwarten. 

Dennoch  benutzen  wir  Juden  mit  Freude  die  Gelegen- 
heit, den  Türken  unsere  Anhänglichkeit  zu  zeigen.  Bei 
einer  günstigeren  Gelegenheit,  wo  die  äußeren  politischen 
Hemmnisse  nicht  existieren,  würde  sich  die  Sympathie 
der  Juden  in  einem  viel  großartigeren  Maßstabe  zeigen  — 
zum  Segen  für  die  Türkei  wie  für  die  Juden. 

Wenn  diese  Erkenntnis  in  Yildiz  Kiosk  Platz  greift,  wo 
man  mich,  wie  es  scheint,  verleumdet  hat  —  so  werde  ich 
eine  große  Befriedigung  empfinden. 

Beifolgend  Muster  der  Aufrufe,  die  wir  verbreitet 
haben.  Den  Aufruf  3  habe  ich  für  das  öffentliche  Komi- 
tee verfaßt.  Dieses  wird  Samstag,  den  i.  Mai  neuerlich 
zusammentreten  und  Ew.  Exzellenz  eine  offizielle  Ver- 
ständigung zugehen  lassen.  Der  vorliegende  Brief  ist  eine 
vertrauliche  Mitteilung. 

Genehmigen  Ew.  Exzellenz  die  Ausdrücke  meiner  vor- 
züglichsten Hochachtung. 

Ihr  ergebener 

Dr.  Th.  Herzl. 

2.  Mai,  mein  38ler  Geburtstag. 
Ich  war  in  Brunn.  Man  gab  mir  einen  Festkommers  im 
Deutschen  Hause,  der  an  den  Straßenecken  plakatiertwar. 
Ich  hielt  eine  beinahe  einstündige  unvorbereitete  Rede, 
die  gut  gewesen  sein  soll.  Ich  apostrophierte  darin  Fabri- 
kanten und  Frauen. 

*    *     *■ 

Heimgekehrt  finde  ich  einen  Brief  von  Bambus,  der 
ein  bißchen  den  Schweif  einzieht. 


6s  I 


dbyGoogle 


Die  Sammlung  für  die  türkischen  Verwundeten  ist 
von  der  hiesigen  sephardischen  Gemeinde  in  die  Hand 
genommen  worden.  Die  Vorsteher  machen  einen  ordras- 
süchtigen  Eindruck,  namentlich  der  PrSsident  Rusao. 
Mir  kann's  recht  sein,  wenn  sie  Orden  kriegen,  nur  sc^en 
sie  die  Sache  nicht  denaturieren  und  für  ihre  Gemeinde- 
zwecke sequestrieren. 

*    *     * 

M . . .  N . . .  hat  meinen  Brief  nicht  beantwortet.  Ich 
schrieb  aber  die  ganze  Geschichte  an  Sidney  Whitman,  der 
jetzt  in  Konstantinopel  ist  und  täglich  nach  Yildiz  kommt, 

9.  Mai. 

Die  Berliner  „sagen  sich  vom  Kongreß  los".  Ich  ver- 
mute, daß  dahinter  eine  Scheidsche  Intrige  steckt. 

Bambus  und  Hildesheimer  desavouieren  meine  Kon- 
greßanzeige in  Berliner  jüdischen  Blättern. 
„Deutschland. 

Berlin,  5.  Mai.  Vor  einigen  Wochen  verMfentlichte 
Herr  Dr.  Theodor  Herzl  in  Wien  eine  Vorankündigung, 
wonach  am  35.  August  d.  J.  in  einer  Stadt  Süddeutsch- 
lands ein  „Zionisten-Kongreß"  stattfinden  soll.  Unter 
den  als  Referenten  genannten  Rednern  figurierte  auch 
der  Herausgeber  dieses  Blattes,  welcher  über  das  Thema 
„Die  Aufgaben  der  jüdischen  Wohltätigkeit  in  Palästina" 
sprechen  sollte.  Eine  hiesige  jüdische  Zeitung  druckte 
diese  Anzeige  nach,  brachte  ober  bereits  in  der  darauf- 
folgenden Nummer  nachstehende  Zuschrift  des  Herrn 
W.  Bambus,  welcher  selbst  Mitglied  der  mit  der  Vorbera- 
tung des  geplanten  Kongresses  betrauten  Kommission  ist: 

„Es  finden  in  der  Tat  Beratungen  über  die  Einberu- 
fung des  großen  Kongresses  statt,  der  sich  mit  allgemei- 

633 


dbyGoogle 


nen  jüdischen  Fragen,  wie  die  Auswanderung  der  russi- 
schen Juden  usw.,  zu  beschäftigen  haben  wird.  Obderselbe 
nach  den  vonHerrnDr.HerzI  mitgeteilten  Vorschlägen  ein 
Zionisten-Kongreß  sein  wird,  oder  nach  den  von  anderer 
Seite  gemachten  Propositionen  eine  Konferenz  der  Palä- 
stina-Vereine, oder  ob  er  noch  andere  Form  erhalten  wird, 
ist  heute  noch  nicht  zu  entscheiden,  denn  die  ganze  An- 
gelegenheit befindet  sich  durchaus  im  Stadium  der  Vor- 
beratung.  Damit  fallen  auch  alle  an  den  Plan  des  Herrn 
Dr.  Herzl  geknüpften  Folgerungen  hinweg." 

Da  Herr  Dr.  Herzl  trotzdem  mit  der  Versendung  seiner 
Vorankündigung  fortfährt,  sieht  sich  der  Herausgeber 
dieses  Blattes  zu  der  Erklärung  gezwungen,  daß  er  selbst- 
verständlich nie  die  Absicht  gehabt  hat,  an  einem  Zio- 
nisten-Kongreß  teilzunehmen,  sondern  seine  Anwesenheit 
und  seine  Mitwirkung  einzig  und  allein  für  den  Fall  in 
Aussicht  gestellt  hat,  daß  die  geplante  Versammlung  einer 
Besprechung  der  mannigfachen  Aufgaben  des  palästinen- 
sischen Hilfswerkes,  insbesondere  der  .Kolonisation,  ge- 
widmet sein  würde.  Die  Teilnahme  an  einer  Versamm- 
lung, welche  „zionistische"  Theorien  und  Zukunftspläne 
diskutiert,  glauben  wir  —  von  unserem  prinzipiell  vOlIig 
abweichenden  Standpunkte  abgesehen  —  um  so  nach- 
drücklicher ablehnen  zu  müssen,  weil  dieselbe  unserer 
Überzeugung  nach  anstatt  des  erhofften  Nutzens  nur 
schweren  Schaden  zu  zeitigen  und  näberliegende,  reali- 
sierbare Bestrebungen  zu  kompromittieren  und  ernsthaft 
zu  schädigen  droht.  Es  darf  noch  immer  die  Hoffnung  ge- 
hegt werden,  daß  die  bessere  Einsicht  siegen  und  der  Auf- 
wand an  Kraft  und  Mitteln  in  den  Dienst  derjenigen  Auf- 
gaben gestellt  werden  wird,  welche,  wie  von  uns,  selbst 
von  Männern,  die  den  Standpunkt  des  Herrn  Dr.  Herzl 
grundsätzlich  teilen,   als  die  nächstliegenden  betrachtet 

6a3 


dbyGoogle 


werden.  Nur  in  diesem  Falle  kann  die  zweifellos  in  bester 
Absicht  geplante  Veranstaltung  wirklich  Segen  bringen." 
Gleicbieitig  teilt  mir  Landau  einen  Brief  mit,  wtnrin 
Hildesheimer  ihm  vertraulich  schreibt,  er  mfisse  mich 
desavouieren,  um  seine  Autorität  bei  seiner  Spender- 
Klientel  nicht  zu  verlieren. 


Meine  Antwort  auf,  Hildesbeimers  Bubenstreich  steht 
im  Kopierbuch,  S.  i6,  fg. 

12.  Mai. 
Heute  kommen  Nachrichten  aus  der  Kriegsgegend, 
welche  Waffenstillstand  und  Frieden  zwischen  Türkei 
und  Griechenland  in  den  nächsten  Tagen  erwarten  las- 
sen. Damit  fällt  unsere  Verwundetensanmilung  in  den 
Brunnen.  Ich  will  aber  versuchen,  zu  retten,  was  zu 
retten  ist,  und  schreibe  anSidney  Whitman  iuKoustanti- 
nopel,  er  möge  in  Yildiz  sagen,  daß  wir  zu  sammeln  be- 
gonnen hatten. 

*    *    * 

Gestern  trat  der  wankelmütige  Prager  Rabbiner  K  . . . 
der  Kongreß-Kommission  bei.  Ich  hielt  ihm  vorher  eine 
scharfe  Standrede  und  nahm  ihm  vor  den  versammelten 
Aktionskomiteemitgliedern  eine  Art  Treuegelöbnis  ab. 


Dr.  Schnirer  beantragte  gestern  in  der  vertraulichen 
Komiteesitzung  im  „Zion"  plötzlich,  es  solle  ein  Exeku- 
tivkomitee eingesetzt  werden.  Ich  glaube,  daß  er  diesen 
Antrag  vorher  mit  Prof.  Kellner  und  Dr.  Kokesch  be- 
sprochen hatte,    um  mir   die  „Alleinherrschaft"    abzu- 

634 


dbyGoogle 


nehmea.  Ich  war  aber  hocherfreut,  weil  sie  mir  nur  die 
Arbeitslast  erleichtern  werden,  wenn  das  mehr  als  Ko- 
miteemeierei ist.  Scbnirer,  Kellner,  Kokesch,  Steiner, 
Kremenezky,  Seidener  sind  mir  Freunde,  auf  die  ich  mich 
gern  stütxe.  Wenn  ich  bisher  etwas  gegen  sie  hatte,  war 
es,  daß  sie  nicht  genug  mithalfen.  Daß  sie  sich  nun  selbst 
cur  Arbeit  melden,  ist  mir  erwünscht.  Sie  erkannten  mich 
übrigens  gleichzeitig  als  Präsidenten  der  Partei  an. 


Ich  fragte  dann,  ob  ich  Schritte  machen  solle  sum 
Zweck  der  Entsendung  eines  offiziellen  oder  offiziösen 
Delegierten  des  Sultans  zum  Kongreß.  Sie  machten  alle 
strahlende  Gesichter  und  stimmten  gern  zu. 

12,  Mai. 

Einige  Erscheinungen:  die  Attacke  Hildesheimcrs,  die 
Akquisition  eines  hiesigen  Montagswinkelblatles  durch 
die  Zionisten  K , . .  und  Rappaport, die indemselben Augen- 
blick sich  von  uns  lossagten,  endlich  die  Misere,  bei  jeder 
kleinen  Notiz  oder  Berichtigung  auf  die  Gnade  Blochs 
angewiesen  zu  sein,  machen  die  GrQndung  eines  eigenen 
Organs  zu  einer  nicht  länger  auf schiebbaren  Notwendig- 
keit. 

Ich  fragte  Dr.  Landau,  wie  er  die  Redaktionskosten 
beziffere.  Er  machte  eine  Aufstellung,  worin  er  mit 
5o  Fl.  monatlich  vorkommt.  Dann  ließ  ich  mir  von  Hein- 
rich Steiner  einen  Überschlag  der  Herstellungskosten  ma- 
chen. Steiner  berechnet  sie  mit  1 1  ooo  Fl.  jährlich.  Dar- 
auf befragte  ich  noch  meinen  Vater,  ob  er  einverstanden 
sei,  und  als  er  bejahte,  entschloß  ich  mich,  das  Blatt  zu 
machen,  von  dem  in  anderthalb  Jahren  so  oft  die  Rede 
war,  und  für  das  die  Mittel  nie  aufzubrii^en  waren. 

At>    H«nU  Taffeboober  I.  6s5 


dbyGoogle 


Mit  allem  war  ich  gleich  im  reiDon,  nur  mit  dem  Titel 
nicht. 

13.  Mai, 

Gestern  abends  Prof.  Kellner  und  Dr.  Kokesch  von 
meinem  Entschluß  Mitteilung  gemacht.  Sie  waren  über- 
rascht. Kellner  sagte:  „Sie  verblüffen  einen  durch  das 
Tempo  Ihres  Marsches,  der  reine  Moltke." 

Die  Herren  wollten  zunächst  eine  Komiteeberatung 
provozieren.  Ich  machte  Kellner  den  Antrag,  als  Heraus- 
geber oder  verantwortlicher  Redakteur  aufs  Blatt  lu 
gehen.  Er  lehnte  das  Wagnis  im  Hinblick  auf  seine  Stel- 
lung ab.  Kokesch  erklärte  sich  bereit,  als  Herausgeber 
EU  figurieren. 

Über  Nacht  fiel  mir  der  Titel  des  Blattes  ein:  „Die 
Welt"  mit  dem  Mog'n  Dovid,  in  das  ein  Globus  hinein- 
suzeicfanen  wäre,  mit  Palästina  als  Mittelpunkt. 

Landau  kam  und  stellte  plötzlich  höhere  Forderungen, 
als  er  sab,  daß  es  mit  dem  Blatt,  um  das  er  mich  einund- 
einhalb Jahre  gebeten,  ernst  werden  solle.  Er  müsse  „sei- 
nen Zeitverlust  berechnen.  Entgang  anderen  Erwerbs  usw." 
Worauf  ich  ihn  einlud,  seine  Wünsche  schriftlich  zu 
formulieren.  Er  brachte  nachmittags  ein  Dokument, 
worin  er  außer  dem  Fixum  von  5o  Fl.,  das  ja  bescheiden 
wäre,  3oo/o  vom  Reinertrag  verlangte.  Steiner,  dem  ich 
eine  Beteiligung  am  Reinertrag  anbot,  hatte  für  sich  ab- 
gelehnt, und  riet  mir  auch,  Landaus  Begehren  abzuleh- 
nen, da  es  ja  meine  Absicht  ist,  den  eventuellen  Rein- 
ertrag zur  Vergrößerung  der  Agitation  zu  verwenden. 

Nachmittags  waren  Kellner,  Steiner,  Scbnirer,  Kokesch, 
Landau  bei  mir  versammelt.  Steiner  brachte  einen  rei- 
zend entworfenen  Titel:  „Die  s^  Welt"  mit,  der  allge- 
meinen Beifall  fand. 

636 


dbyGoogle 


Im  übrigen  schien  sich  merkwürdigerweise  eine  Gegen- 
stimmung  hei  den  Herren  gegen  das  Blatt  zu  regen.  Sie 
wurde  zuerst  nicht  ausgesprochen,  ich  fühlte  sie  nur. 
Kellner  sprach  gegen  die  Gründung  des  Blattes  als  eine 
verfrühte. 

Schnirer  empfahl  die  Gründung. 

Steiner  meinte,  man  sollte  vielleicht  früher  eine  „Sy- 
nagogentour" machen  und  zuerst  Abonnenten  in  den  ver^ 
schiedenen  Lfindern  werben. 

Ich  bemerkte,  daß  ich  schon  vor  Monaten  proponiert 
hatte,  sich  durch  vorläufige  Sammlung  von  Abonnenten 
einer  Basis  für  das  von  allen  dringend  gewünschte  Organ 
der  Bewegung  zu  versichern.  Dies  war  ebensowenig  ge- 
schehen, wie  anderes,  was  ich  empfahl,  wenn  ich  es  nicht 
selbst  tat.  Also  habe  ich  mich  entschlossen,  das  Blatt  ein- 
fach selbst  zu  schaffen,  mit  meinem  Geld  und  mit  meiner 
Arbeit, 

Hierauf  gingen  die  Herren,  die  soeben  noch  zu  wenig 
erwartet  hatten,  mit  einem  Sprui^  in  zu  große  Erwar- 
tungen über.  Kellner  kaute  ein  bißchen  an  dem  Gedanken 
herum :  daß  ich  als  Unternehmer  ja  meine  Arbeit  gratis 
in  das  Blatt  hineinstecken  könne,  daß  aber  andere  doch 
auf  dem  Honorarstandpunkte  stehen  müßten. 

Darauf  bat  ich  die  Herren,  sich  doch  in  das  Verhältnis 
des  Miteigentums  zum  Blatte  zu  stellen,  indem  sie  ent- 
weder Geld  oder  Arbeit  darin  anlegen.  Geld  wollte  keiner 
dazu  geben;  Kellner  aber  versprach,  seine  Arbeit  gegen 
eine  Gewinnbeteiligung  beizusteuern,  womit  ich  sehr  zu- 
frieden war, 

15.  Mai. 
Kellner  hat  abgesagt.    Er  muß   demnächst  auf  zehn 
Wochen  nach  England.  Demnach  kann  von  seiner  Mit- 

40*  627 


dbyGoogle 


redaktioQ  zu  meinem  Bedauern  nicht  mehr  die  Rede  sein. 
Die  ganxe  Last  wird  auf  mir  ruhen. 

Wir  machten  gestern  abends  den  Spiegel  des  Blattes. 
Ich  entwarf  den  Plan,  Rubrik  für  Rubrik;  Kellner,  Lan- 
dau und  Steiner  hftrten  mir,  glaube  ich,  mit  Erstaunen 
>u.  Kellner  und  Landau  rieten  dies  und  das.  Nach  Kell- 
ners Rat  würde  daraus  eine  mehr  gelehrte  Zeitung  eng- 
lisch-jüdisch-deutschen Aussehens.  Nach  Landaus  Rat 
würde  „Die  Welt"  ein  polemisches  Blatt  mit  hauptsicb- 
lich  galizischem  Horizont.  Ich  glaube,  es  soll  ein  vor- 
nehm-universal jüdisches  Blatt  sein. 

Ich  regte  Kellner  dazu  an,  eine  Serie  literarischer  Cba- 
rakterkOpfe  von  Vertretern  des  Zionismus  zu  schreiben: 
Disraeli,  G.  Eliot,  Moses  Hess  usw. 

Er  ging  mit  Enthusiasmus  darauf  ein  und  wird  mitDis- 
raeli  in  der  ersten  Nummer  beginnen.  Ich  versprach  ihm, 
die  ganze  Serie  —  für  die  er  bei  den  heutigen  Zeitungs- 
verhlltnissen  wohl  nirgends  Unterkunft  gefunden  hStte 
—  nachher  als  Buch  im  Verlag  der  „Welt"  herauszugeben. 
Honorieren  werde  ich  seine  Artikel  wie  die  N.  Fr.  Pr. 
Denn  gerade  von  Zionisten  darf  das  Blatt  keine  Ge- 
schenke annehmen.  Wenn  es  gut  geht,  wird  man  mir 
ohnehin  alles  m^liche  nachsagen  —  besonders  die,  die 
zu  keinem  Opfer  sich  entschließen  konnten. 

Landau  verlangte  gleich  eine  „Aufbesserung"  auf 
75  Fl.  monatlich.   Bewilligt. 

i6.  Mai. 
Die  Vorarbeiten  zum  Blatt.    Briefe,  Organisation,  alles 
von  Grund  auf  zu  schaffen. 

18.  Mai. 
Auch  wieder   die  Konfliktstimmung,    die  mein  Herz 
nicht  gesünder  macht,  in  der  Redaktion. 


dbyGoogle 


i9.  Mai. 

Von  Sidney  Whitman  ein  ausgezeichneter  Brief  aus 
Konstantinopel.  Er  findet,  d^ß  die  Sache  jetit  Hand  und 
Fuß  habe,  und  will  dem  Sultan  selbst  die  Sache  unlerbrei- 
ten.  Er  hat  ein  Siegel  vom  Sultan;  Briefe,  die  damit  ge- 
siegelt sind,  werden  dem  Sultan  sofort  gegeben. 

S.  Whitman  erwartet,  dafi  wir  für  seine  Leistungen 
seine  Zukunft  sicherstellen  werden.  Das  verdient  er,  das 
verspreche  ich  ihm  in  einem  Briefe,  den  die  dankbaren 
Juden  dereinst  einlösen  werden.  Eine  Summe  kann  ich 
ihm  ebensowenig  versprechen,  wie  Newlinski.  Aber  bei- 
den werden  die  Judeo  ebenso  großartig  danken,  wie  daa 
Werk  ein  großartiges  ist. 

20.  Mai. 

Noch  ein  Brief  von  Sidney  Whitman.  Er  hat  Ahmed 
Midhat  Efendi,  den  Günstling  des  Sultans,  fflr  die  Sache 
interessiert.  Ahmed  Midhat  meint,  wir  sollten  „jawaach" 
vorgehen,  nicht  zuviel  verlangen,  damit  der  Sultan  nicht 
gleich  Nein  sage.  Namentlich  das  Wort  Autonomie  dür- 
fen wir  nicht  gebraueben,  weil  dieses  die  Türkei  schon 
in  viele  Kri^e  verwickelt  habe.  Den  Brief  soll  ich  fran- 
tOsisch  abfassen,  damit  er  dem  Sultan  vorgelegt  werden 
könne. 

Ich  schreibe  also  heute  an  Whitman  einen  Brief,  der 
ihm  Belohnung  verspricht  (deutsch,  im  Kopierhuch),  und 
diesen  französischen  zum  Vorteigen; 
Man  eher  ami, 

je  vous  ^is  aujourdhui  sur  le  papier  d'un  nouveau 
Journal,  hebdomadaire,  mais  de  grand  style,  que  nous 
cr6ona  pour  les  besoins  de  la  cause.  „Die  Welt"  parattra 
le  4  juin  1897.  Dans  ce  Journal  nous  comptons  donner 
k  la  Turquie  —  pour  ainsi  dire  —  des  arrhes  de  nos  pro- 

639 


dbyGoogle 


fondes  sympathies.  Vous  pouvez  dire  &  Ahmed  Midhat 
Effeodi  qua  dous  y  publierons  avec  ptaisir  et,  bien  ea- 
tendu,  d'une  fa^on  absolument  desint^ressäe,  des  commu- 
nicatioDS  et  nouvelles  pouvant  6tre  utiles  au  gouvernement 
du  Sultan. 

C'est  un  commeacement  dans  la  voie  de  mettre  en  mou- 
vement  l'inftueDce.  de  la  presse  juive  au  profit  de  la  Tur- 
quie.  Nous  continuerous,  si  Ton  encouragera  dos  efforta 
par  des  sympathies  accord6es  ä  la  cause  juive. 

Une  tentative  faite  par  moi,  en  rapport  avec  vos  indi- 
cations,  pour  porter  secours  aux  bless^  est  venue  —  je 
ne  veux  pas  dire  malheureusement  —  trop  tord.  Gar 
les  victoircs  des  armes  turques  ont  rendu  bien  vite  inutile 
cette  souscription  commencee.  La  Situation  politique  en 
Angleterre  et  en  France  n'ayant  pas  permis  aux  Jutfs 
de  ces  pays  de  t^moigner  leurs  sympathies  —  r^Ilement 
existantes  —  aux  Turcs  dans  cette  circonstance,  nous 
avons  d&  nous  borner  k  itablir  des  comitis  en  Allemagne, 
en  Antriebe  et  en  Hongrie,  en  priant  nos  amis  des  autres 
pays  de  verser  leura  secours  de  la  mani^re  possible. 

Ce  n'£tait  du  reste  qu'un  incident  de  moindre  impor- 
tance  dans  l'flBuvrc  juive  que  je  poursuis.  Je  craios  fort 
que  l'on  soit  inexactement  renseignS  k  Yildiz  Kiosque 
sur  le  caract^re  et  la  portee  du  plan  juif.  Des  malveil- 
lants,  des  intrigants,  ont  peut-Stre  changi  l'aspect  des 
cboses. 

Ce  que  nous  voulons  faire  est  con^u  —  je  ne  m'ea 
Cache  pas  —  dans  l'intir^t  du  peuple  juif,  mais  cela  ser- 
vira  d'une  fa^on  grandiose  au  maintien,  au  renouvelle- 
ment,  des  forces  de  l'Empire  Ottoman. 

Tout  d'abord  il  ne  faut  pas  prendre  mon  livre  sur  l'^^Hat 
juif  comme  la  forme  definitive  du  projet ;  je  suis  le  pre« 
mier  k  reconnaitre  qu'il  y  avait  U-dedans  beaucoup 

63o 


dbyGoogle 


d'idtologie.  J'avais  lanc£,  simple  icrivain,  cette  id^,  sons 
savoir  comment  eile  serait  re^ue  par  le  peuple  juif.  La 
meilleure  preuve  ea  est  que  j'avais  proposä  de  dous  ilab- 
lir  soit  en  Argeatine,  aoit  en  Palestine. 

Mais  depuis  cette  publicatioo  le  mouvemeat  n£o-juif 
a  pris  un  tout  autre  caractöre,  et  il  est  devenu  pratique 
et  praticable.  Nous  comptons  avec  les  circonstances,  nous 
voulons  faire  de  la  boone  politique  sinc&re  et  efficace. 

VoiU  en  deux  mots  la  chose : 

Si  S.  M.  le  Sultan  nous  accorde  les  conditions  indis- 
pensables pour  r^tablissement  de  dos  gens  ea  Palestine, 
nous  apporterons  au  für  et  ä  mesure  l'ordre  et  la  prosp6- 
rit^  dans  les  finances  de  rEmpire. 

Ce  principe  une  fois  accepti,  on  s'entendra  avec  bonne 
volonte  de  part  et  d'autre  sur  les  d^tails. 

Ceux  qui  veulent  l'affaiblissemeDt  et  la  disparition  de 
t'Empire  Ottoman  sont  les  ennemis  plus  ou  moins  d6- 
claräs  de  notre  plan,  c'est  facile  i  comprendre. 

Ceux  qui  veulent  6puiser  la  Turquie  par  des  emprunts 
usuriers  sont  ägalement  les  adversaires  de  notre  projet. 
Car  le  gouvernement  de  S.  M.  recouvrcrait  la  disposition 
des  ressources  du  pays;  et  ce  serait  un  pays  reflorissant. 

Ce  ne  sont  pas  de  vaines  paroles,  et  S.  M.  le  Sultan 
aura  le  moyen  de  s'en  convaincre,  s'il  nous  fait  l'bonneur 
de  nous  envoyer  un  d^l^u6  au  Congr^  Sioniste  qui 
aura  lieu  k  Municb  le  35,  a6  et  37  Aoüt  1897. 

Le  d6l^gu6  de  S.  M.  pourrait  assister  k  toutes  nos  d6- 
lib^rations,  et  par  cela  däji  nous  voudrions  donner  une 
preuve  ^clatante  de  soumission. 

Mais  —  et  il  faut  appuyer  sur  ce  point  —  mais  nous 
ne  voulons  pas  faire  immigrer  nos  gens  en  Palestine, 
avant  d'avoir  men£  ä  fin  rarrangemenl  avec  le  gouverne- 
ment turc. 

63i 


dbyGoogle 


II  est  vrai  que  nos  gena  sont  malhenreux  dans  diff ereots 
pays,  mais  tout  de  mAme  nous  ne  voulons  pas  ächanger 
les  conditioos  actuelles  de  dos  malheureux  contre  des 
incertitudes. 

La  Situation  doit  Mre  franche  et  nette. 

Et  j'arrive  maintenant  i  vos  questions: 

Les  juifs  immigr^s  en  Palestlne  deviendraieat  les 
Sujets  de  S.  M.  le  Sultan  k  la  condttion  d'une  .^elf-pro- 
tection"  absolument  assnr^e. 

Les  achats  nicessaires  du  terrain  s'accompliraient  d'une 
maniire  tout  i  fait  libre.  II  ne  peut  6tre  question  de  ,,d6- 
possMer"  qui  que  ce  seit.  La  propri6t6  est  de  droit  priv6, 
OD  ne  peut  pas  y  toucher.  Les  domaines  priv^s  du  Sultan 
lui  seraient  payäs  argent  comptant  seien  leur  valeur,  s'il 
d£sire  les  vendre. 

En  ce  qui  conceme  le  cöt£  „droit  des  gens"  de  l'arran- 
gement,  I'^quivalent  apport^  par  les  Juifs  serait  un  tri- 
but  annuel,  payi  k  Sa  Majest6. 

On  commencerait  par  un  tribut  de  cent  mille  livres 
par  exemple,  qui  s'^l^veralt  au  for  et  k  mesure  de  Tim- 
migration  jusqu'i  un  million  de  livres  par  an. 

Sur  ce  tribut  nous  pourrions  procurer  tout  de  soite 
un  emprunt  proporlionn6  k  l'annuiti.  Le  tribut  serait 
garanti  par  les  grands  fonds  ezistants,  dont  je  vous  ai 
parlä  k  maintes  reprises. 

Je  ne  veux  pas  r^piter  encore  ce  que  je  vous  ai  si  sou- 
vent  dit,  mon  eher  ami,  que  la  Solution  de  la  question 
juive  comporte  aussi  la  consolidation  de  la  Turquie.  On 
connatt  l'inergie  et  l'iniportance  des  Juifs  dans  le  com- 
merce et  les  finances.  C'est  un  fleuve  d'or,  de  progr^, 
de  vitalit6  que  le  Sultan  ferait  entrer  dans  son  Empire 
avec  les  Juifs  qui  toujours,  depuis  le  moyen  &ge,  ont  M 
les  amis  reconnaissants  des  Turcs. 

633 


dbyGoogle 


Et  avec  le  r^lement  des  finances,  plus  d'ioterventions 
des  puissances  sous  des  prStextes  fallacieux,  plus  de 
„dette  publique",  plus  de  „gdueurs". 

Comprendra-t-on  la  port£e,  l'utiliti,  de  ootre  projet  k 
CoDstantinople?  Esp^rons-le. 

Poor  le  moment  je  ne  demande  pas  mieux  que  de  prou- 
ver  k  S.  M.  le  Sultan  que  tout  cela  est  inspirS  par  les 
meilleures  intentions. 

Inutile  de  vous  recommauder  le  secret  de  cette  lettre. 
Vous,  qui  £tes  ud  ami  si  dSvou£  des  Turcs,  compreodrez 
quel  int£r£t  il  y  a  de  ne  pas  donner  l'iveil  aux  f  aux  amis  qui 
voudraient  contrecarrer  un  projet  salutaire  k  la  Turquie. 

Croyez  moi  votre  cordialement  d6vou^ 

Tb.  Herzl. 

23.  Mai. 

Die  Bewegung  beginnt  in  Amerika. 

Michael  Singer,  Herausgeber  einer  neuen  Wocbenschrift 
„Toleranf"  schickt  mir  Berichte  über  Meetings  in  New- 
York  usw. 

Eine  Babbinerkonferenz  mit  Dr.  Gottheil  an  der  Spitze 
bat  sich  für  unsere  Bewegung  erklärt. 

„New  York  Sun"  brachte  am  lo.  Mai  Artikel  Qber  den 
Zionismus. 

Als  ich  gestern  die  Sun-Spalte  Benedikt  zeigte,  sagte 
er  wohlwollend;  „Die  ganze  Welt  machen  Sie  verrückt.. 
Der  reine  Rattenfänger  von  Hameln." 

Ich  erwiderte:  „An  Ihnen  werde  ich  eine  Genugtuung 
erleben,  wenn  Sie  gezwungen  sein  werden,  den  Bericht 
über  den  Mänchener  Kongreß  aus  der  Kölnischen  Zei- 
tung zu  nehmen,  nachdem  Sie  durch  einundeinhalb  Jahre 
Gelegenheit  hatten,  am  besten  von  allen  unterrichtet  zu 
sein." 

633 


dbyGoogle 


Worauf  er  entgegnete: 

„Nein.  Wir  werden  einfach  am  36.  August  einen  Be- 
richt aus  München  im  Blatt  haben." 

Und  diese  hingeworfenen  Worte,  die  er  eher  halten 
wird,  als  seine  Versprechungen  —  weil  er  muß,  weil  das 
Blatt  nicht  „zurückbleiben"  darf  —  diese  kurze  ErklS- 
rung  stellt,  wenn  ich  nicht  irre,  schon  meinen  Sieg  über 
die  ti.  Fr.  Pr.  vor.  Der  Sieg  kann  nur  bis  zum  Aufpist 
noch  wiederholt  entrissen  werden  —  gestern  hielt  ich  ihn 
in  Hfinden. 

23.  Mai. 

Heute  war  „Pater  Paulus"  Tiscbmann  bei  mir.  Wun- 
derliche Gestalt  von  den  Grenzen  der  Religionen.  Ver- 
wahrlost aussehendes  Jüdlein  mit  schwerem  polnisch-jü- 
dischen Akzent,  vor  kurzem  noch  katholischer  Geistlicher. 
Er  erzählte  mir,  wie  er  im  Alter  von  i5  Jahren  cinge- 
fangen,  getauft  und  spfiter  ordiniert  wurde,  wie  er  es 
auf  die  Dauer  nicht  aushielt  und  in  Siebenbürgen  auf  der 
Kanzel  eine  GotteslSsterung  beging.  Er  wurde  angeklagt 
und  freigesprochen,  nachdem  er  zum  Judentum  zurück- 
gekehrt war.  Eine  Roroanfigur.  Jetzt  hospitiert  er  vne- 
der  bei  Rahbinern.  Ich  glaube,  er  schnorrt  auch  ein  biß- 
chen. Ich  gab  ihm  eine  Kleinigkeit.  Kurios,  daß  er  für 
seine  „Rückkehr"  wohl  keinen  Dank  bei  den  Juden  fin- 
det.  Früher,  unterm  Krummstah,  ging's  ihm  gut. 

Er  sagt  aber  doch  mit  glänzenden  Augen:  „Ich  habe 
aber  die  innere  Befriedigung." 

Das  ist  das  kostspieligste  aller  Vergnügen,  ich  weiß  es. 


Haas  schreibt,  daß  man  in  Amerika  wünscht,  ich  mfige 
drüben  eine  „Vortragstoumee"  machen, 

63i 


dbyGoogle 


26.  Mai. 
Ich  arbeite  bis  zur  Erschöpfung,  bis  zum  ZuBammen- 
brecheo,  an  der  neuen  Zeitung.  . 

*    *    ♦ 

Zwei  Abonnenten  haben  sich  gemeldet.  Auf  viele  hun- 
dert verteilte  Agitationstinzeigen  der  „Welt"  sind  über- 
haupt erst  drei  briefliche  Antworten  gekommen. 

Meine  näheren  Parteifreunde  glauben  an  den  Mißer- 
folg. 

■o  ♦     *     « 

,  Konstantinopel,  s^.  Mai  1897. 

Verehrter  Freund  1 
Meiner  Gewohnheit  gemäß  zeige  ich  Ihnen  umgehend 
den  Empfang  Ihrer  freundl.  Zuschrift  vom  20.  dieses  an. 
Ich  werde  den  Inhalt  gleich  dem  Ahmed  Midhat  vor- 
lesen und  ihn  auffordern,  daß  er  was  für  die  „Welt" 
Bchreibe. 

Übrigens  mehren  sich  die  Zeichen,  daß  ich  den  Sultan 
selbst  sehen  werde  und  ihm  von  der  Sache  sprechen 
kann.  Ich  finde  Ihre  Darlegung  sehr  klar  und  überzeu- 
gend. Näheres  später. 
In  Eile 

Ihr 

Sidney  Whitman. 
P.S. 
Seitdem  ich  obiges  geschrieben,  war  ich  bei  Midhat  und 
habe  ihm  Ihren  Brief  vorgelesen  und  werde  ihm  eine  Kopie 
ausfertigen.  Er  ist  sehr  günstig  für  die  Sache  gestimmt 
und  will  sich  ihr  mit  Leib  und  Seele  widmen,  mit 
der  ausdrücklichen  Bedingung,  daß  er  nie  einen  Pfennig 
für  seine  Dienste  annehmen  wird.  Wir  haben  zu  zweit 


dbyGoogle 


eineD  Schlachtplan  entworfen,  und  werde  ich  möglicher- 
weise noch  vor  meiner  Abreise  dem  Sultan  die  ersten  Er- 
öffnungen machen.  Das  weitere  wird  sich  finden.  J>er 
Münchener  Kongreß  soll  beschickt  werden,  oder  Midbats 
Einfluß  imd  der  meinige  sind  null.  S.  W. 

Unter  uns.  Rothschilds  in  Wien  haben  5oo  Fl.  für 
die  Verwundeten  beigesteuert. 

Ich  erxihle  dem  Sultan  selbst  von  der  „Welt". 

Man  sprach  vor  einiger  Zeit  davon,  daß  der  Sultan 
A.  Midhat  zum  Großvezier  ernennen  wollte  1 

27.  Mai. 
Von  Zadok  Kahn  looo  Franks  in  einem  Scheck  für  die 
türkischen  Verwundeten  erhalten.  Ich  schicke  den  Scheck 
dem  Botschafter  M . . ,  N . . .  und  Zadoks  Brief  an  Sidney 
Whitman  nach  Konstantinopel.  Gleichzeitig  schreibe  ich 
Sidney,  er  möge  dem  Sultan  si^en,  daß  ich  bereit  sei, 
nach  Pfingsten  nach  Konstantinopel  zu  kommen. 

30,  Mai. 

In  den  letzten  Tagen  habe  ich  zwei  Schwierigkeiten  mit- 
einander kompensiert,  was,  glaube  ich,  die  beste  denk- 
bare Politik  ist  —  wenn  es  gelingt. 

Der  Fall  an  sich  unbedeutend;  aber  mein  Prestige  bei 
den  Türken  war  doch  auf  dem  Spiel. 

Die  jungen  Mediziner,  die  sich  unter  Schalits  Führung 
angeboten  hatten,  als  freiwillige  Ärzte  nach  dem  Kriegs- 
schauplatz abzugehen,  bekamen  die  Bewilligung  in  einem 
Brief  des  hiesigen  Botschafters  M...  N...  Da  stellte 
sich  heraus,  daß  sie  zuviel  versprochen  hatten,  denn  sie 
konnten  nicht  fahren.  Sie  hatten  kein  Geld. 

Andererseits  hatte  das  türkisch-israelitische  Samm- 
lungskomitee für  die  Verwundeten  nur  eine  iScherlich 

636 


dbyGoogle 


kleine  Summe  aufgebracht  —  800  Gulden  —  die  man 
sich  abzuliefern  schämte. 

Da  hatte  ich  den  Einfall,  die  800  Fl.  den  Ärzten  zu 
geben:  „das  Komitee  schickt  auf  seine  Kosten  eine  5rzt- 
liche  Expedition  ab".  Das  sieht  etwas  gleich. 

Zu  meiner  Überraschung  verstanden  die  Komiteeleute 
den  Vorsditag. 

31.  Mai, 

Ungeheure  Arbeit  mit  der  Zeitung.  Dr.  Landau  ist  zur 
Waffenübung  einberufen;  Schalit,  den  ich  mir  als  Hilfs- 
arbeiter gedrillt  hatte,  geht  nach  Elasona.  So  steht  die 
Zeitung  gleich  ganz  auf  meinen  zwei  Augen. 


Kellner,  Schnirer,  Kokesch  richten  einen  gemeinschaft- 
lichen Brief  an  mich,  worin  sie  bitten,  eine  den  Kohlen* 
Guttmanns  unangenehme  Notiz  (über  deren  Rekurs  gegen 
die  Kultussteuer)  aus  der  ersten  Nummer  wegzulassen. 
Sie  begründen  diesen  Wunsch  nicht  näher.  Ich  berück- 
sichtige ihn  —  aber  diese  Kommissions-Redaktion  werde 
ich  mir  natürlich  nicht  gefallen  lassen  können. 

2.  Juni. 

Vorgestern  und  gestern  „Die  2^  Well"  aufgebaut.  Es 
war  gar  nichts  da.  Heute  existiert  ein  Blatt  mit  deutlicher 
Physiognomie. 

Alle  Bürstenabzüge,  auch  die  „Inserate"  gelesen,  alle 
Spalten  habe  ich  umbrochen.  D.  h.  Inserate  gab's  nicht. 
Im  letzten  Augenblick  bat  ich  Kremenezky  tetephonisch 
um  ein  Gratisinserat.  Er  konnte  es  nicht  geben,  weil  er 
mit  der  Kommune  Wien  verhandelt. 

Abends  im  Zion  wurde  ein  Inserat  eines  Mariahilfer 
Konfektionärs  gebracht. 


63? 


dbyGoogle 


Die  EinrichtUDgsmüfae  hat  mir  Spaß  gemacht. 

Um  sechs  Uhr  abends  lief  gestern  das  erste  Exemplar 
der  „Welt"  aus  der  Presse.  Das  widme  ich  meinen  teuren 
Eltern. 

6.  Juni,  nachts. 

„Die  S^  Welt"  ist  erschienen.  Ich  bin  recht  .sehr  er- 
schöpft. Diese  Pfingstwoche  1897  werde  ich  mir  merken. 
Neben  der  „Welt"arbeit  auch  noch  die  Stimmung  er- 
iwingen  für  ein  Pfingstfeuilleton  der  N.  Fr.  Pr.  Dazu 
die  Aufregung  im  Bureau,  daß  es  jetzt  und  jetzt  zum 
Krach  und  Bruch  mit  Benedikt  wegen  der  „Welt"  kom- 
men müsse. 

Mehrmals  war  ich  daran,  ihm  wenigstens  das  fait  ao- 
compli  mitzuteilen.  Er  fährt  mich  in  seinem  Wagen  jetzt 
öfters  aus  der  Redaktion  nach  Hause.  Dabei  wSre  die 
beste  Gelegenheit,  über  alles  zu  reden.  Aber  ich  entschloß 
mich  endlich,  ein  Inserat  gegen  Bezahlung  einfach  der 
N.  Fr.  Pr.  zuzuschicken.  Das  Inserat  nahm  die  Admi- 
nistration. 

8.  Juni. 

An  dieser  Stelle  bin  ich  vorgestern  nachts  vor  Müdig- 
keit eingeschlafen. 

Die  Administration  der  N.  Fr.  Pr.  nahm  das  Inserat 
„ungern",  wie  telephonisch  meiner  Administration  mit- 
geteilt wurde.  Die  Aufnahme  einer  Notiz  in  den  Text 
der  N.  Fr.  Pr.  vmrde  aus  „politischen  Gründen"  abge- 
lehnt. 

Mir  war's  auch  gar  nicht  darum  zu  tun,  daß  die  Notiz 
ins  Blatt  käme.  Ich  wollte  nur  Benedikt  ein  faire  pari 
vom  Erscheinen  der  „Welt"  zuschicken,  auf  das  er  mir 
nicht  mit  einem  Verbot  antworten  könnte.  Darum  wShIte 
ich  den  Geldweg.  Die  halbe  Seite  im  Annoncenteil  der 

638 


.dbyGoo^;jlc 


N.  Fr.  Pr.  kostet  75  Fl.  Es  sprach  einige  Wabrscbeinlicb- 
keit  dafür,  daß  Benedikt  diesen  Betrag  nicht  refüsieren 
würde. 

Und  so  ist  die  „Welt"  in  der  N.  Fr.  Pr,  angezeigt  er- 
schienen. 

Samstag  vor  Pfingsten,  5.  Juni,  sah  mich  Benedikt  mit 
gar  kuriosen  Augen  an.  Wir  verkehrten  wie  sonst  in  der 
Redaktion,  aber  es  lagen  bereits  zwei  Administrationen 
zwischen  uns.  Ich  glaube,  er  bStte  gern  mit  mir  eine 
scharfe  Auseinandersetzung  gebäht,  aber  er  hing  in  die- 
sem Augenblick  von  mir  ab :  ich  hatte  mein  Pfingstfeuil- 
leton  noch  nicht  abgeliefert,  und  er  brauchte  es  dringend 
für  die  Pfingstni 


Am  Pfingstsonntag,  vorgestern,  erschien  in  der  offi- 
ziösen iJlcicbswehr"  ein  grimmiger  zweiter  Leitartikel 
gegen  die  „Welt"  unter  dem  Titel  „Benedictus  I.,  König 
von  Ziou". 

Benedikt  wird  darin  als  Zionist  behandelt.  Ich  glaube, 
er  wird  bis  an  die  Decke  springen  vor  Wut, 

Wenn  ich  heute  in  die  Redaktion  komme,  muß  ich 
wieder,  vielleicht  zum  letzten  Male,  zum  Gefecht  klar 
machen.  Die  Auseinandersetzung  ist  heute  ffiltig.  Ich 
weiß  nicht,  wie  sie  enden  wird.  Vielleicht  werde  ich  in 
den  nächsten  34  Stunden,  solange  noch  die  Blätter  dieses 
Buches  reichen,  von  der  N.  Fr.  Pr.  entlassen? 


Ich  blicke  dieser  Eventualität  gefaßt  entgegen.  Herz- 
klopfen habe  ich  allerdings  dabei,  aber  das  ist  nur  eine 
Schwäche  dieses  Muskels,  nicht  meines  Willens. 

Sollte  mich  die  N.  Fr.  Pr.  wegjagen,  so  habe  ich  meine 
Stellung,  die  ich  mir  in  zwanzig  Jahren  der  Arbeit  schwer 


639 


dbyGoogle 


erwarb,  auf  eine  Weise  verloren,  deren  ich  mich  auch 
nicht  schSmen  muß. 


Das  englische  „Hauptquartier"  der  Choveve  Zioo  hat 
sich  offiziell  vom  Münchener  Kongreß  losgesagt  und  das 
in  einer  trockenen  bösartigen  Notiz  verlautbart.  Jewish 
Chronicie  brachte  diese  Anzeige  am  4-  Juni. 

The  Proposed  Zionist  Conference  at  Munich. 
A  meeting  of  Headquartera  Tent  of  the  Chovevi  Zioa 
Association  was  hetd  on  Monday  last,  the  Chief,  Colonel 
Goldsmid,  presiding.  It  was  resolved  that  the  Associatioo 
should  take  no  part  in,  nor  send  any  delegates  to,  the 
Congress  convened  by  Dr.  HerzI,  which  is  to  meet  at 
Munich  in  August  next. 


Gleichzeitig  macht  Hildesheimer  die  amerikanische 
Bewegung  herunter.  „Es  dürften  sich  nur  wenige  ein- 
flußlose Kreise  aus  Amerika  am  Kongreß  beteiligen." 

8.  Juni. 

Erster  Gang  des  Duells  mit  Benedikt. 

Er  fragte  mich  heute  ä  bräle  pourpoint,  als  ich  etwas 
beklommen  ins  Lesezimmer  kam,  um  das  tägliche  Feuil- 
leton tu  besprechen,  und  während  er  sich  wie  immer  nach 
Schluß  des  Abendblattes  das  Gesicht  wusch : 

„Haben  Sie  mit  Bacher  über  die  ,Well'  gesprochen?" 

„Nein",  sagte  ich  kampfbereit. 

Er  antwortete:  „Das  ist  uns  sehr  tinangenehm." 

„Wegen  des  Artikeb  in  der  ,Reich8wehr'?"-fragte  ich. 

„Nein,  ich  habe  den  Artikel  erst  heute  gelesen,  er  hat 
mich  nicht  geniert.  Aber  schon  als  ich  das  Inserat  in  un- 

Güo 


dbyGoogle 


serer  Pfingstnummer  sah,  war  ich  wütend.  Es  hfitte  gar 
nicht  ina  Blatt  kommen  dürfen.  Es  ist  die  Liste  unserer 
Mitarbeiter." 

Ich  zuckte  die  Achseln  und  ging  im  Zimmer  auf  und 
ab. 

Er  wischte  sich  das  Gesicht  ab;  „Sie  haben  uns  in  eine 
Verlegenheit  gebracht." 

Ich  sagte  mit  lauter  Stimme:  „Der  Artikel  in  der 
.Reichswehr'  strotzt  von  den  gemeinsten  Lugen." 

Dann  kam  Goldbaum  ins  Zimmer  —  ich  glaube,  er 
hatte  gelauscht  —  und  das  Gespräch  wurde  abgebrochen. 
Wir  redeten  Gleichgültiges. 

9.  Juni. 

Zweiter  Gang.  Benedikt  fing  heute  mittags  wieder  an: 
„Wir  müssen  noch  über  die  ,Welt'  sprechen.  Bisher  war 
es  in  unserem  Hause  Gepflogenheit,  daß  jeder,  der  an 
einem  Unternehmen  sich  beteiligen  wollte,  der  Redaktion 
eine  Anzeige  machte." 

Ich  sagte:  „Ich  habe  auch  für  die  .Zeit'  geschrieben." 

Er  meinte:  ,JMit  der  ,Zeit'  standen  wir  auf  gutem  Fuß. 
Auch  damals  schon  erörterte  ich  mit  Bacher  die  Zu- 
Ifissigkeit  Ihres  Vorgehens.  Jetzt  haben  Sie  unsere 
ganze  Mitarbeiterliste  in  die  Voranzeige  der  .Weit'  ge- 
nommen." 

Ich  wendete  das  GesprSch :  „Wissen  Sie,  was  ein  ge- 
scheiter Mensch  über  den  Artikel  der  .Reichswehr'  sagte? 

.Der  Verfasser  des  Artikels  wußte  sehr  gut,  daß  Bene- 
dikt ein  Gegner  des  Zionismus  ist.  Er  wollte  nur  Zwie- 
tracht zwischen  Ihnen  und  mir  sSen.'" 

Er  antwortete:  .J>aa  glaube  ich  auch.  Man  wollte  ein 
Zerwürfnis  in  der  N.  Fr.  Pr.  herbeiführen.  Ich  bitte  Sie 
nur,  wenn  unser  freundschaftliches  Verhältnis  erhalten 

41     Herala  Tasebaoher  I.  Q^j 


dbyGoogle 


bletben  soll,  uns  nicht  weiter  su  exponierao.  Namentlich 
die  Mitarbäterliste  dürfen  Sie  nicht  mehr  publizieren." 
Ich  versprach,  dafür  mein  mOg^chstes  la  tun  —  und 
wir  schieden  als  Freunde.  Er  fuhr  mich  in  seinem  Wagen 
nach  Hause. 

10.  Juni,  7ler  Geburtstag  meinet  Hans. 

Hier  schließe  ich  dieses  vierte  Budi  meiner  Geschichte 
des  Judenataates. 

Ich  will  jetzt  die  Büdier  an  einem  sicheren  Orte  hinter- 
legen. 

Der  Zeitpunkt  ist  ohnehin  ein  Abschnitt,  viel  geht  nicht 
mehr  in  das  Buch  hinein,  und  ich  mache  ein  Datum  aus 
dem  Geburtstag  meines  guten  Hans,  der  mir  gesund  und 
glücklich,  ein  starker  Mann  und  Fortsetzer  meines  Wer- 
kes werden  möge. 


643 


dbyGoogle 


Anmerkungen 


D,3,l,zedb,G00gle 


dbyGoogle 


s.a.  „Dührings  Bucli".  Gemeint  ist  des  Philosopbea 
Eugen  Karl  Dühring  »Die  Judenfrage  als  Frage  der  Rassen- 
schädUchkeit  fQr  Existenz,  Sitten  und  Kultur  der  Völker". 
Vgl.  L.  Kellner,  llieodor  Herzig  Lehrjahre,  S.  137  ff. 

5.5.  Dr.  Heinrich  Friedjung,  der  bekannte  Ver- 
fasser des  Werkes  „Der  Kampf  um  die  Vorherrschaft  in 
Deutacbland  1859 — 1866",  gab  Mitte  der  achtziger  Jahre  die 
„Deutsche  Wochenschrift"  in  Wien  heraus,  und  dort  erschien 
eine  Jugenderzählung  Herzls  „Napfatalin".  Friedjung  war 
vom  österreichischen  Unterrichtsministerium  wegen  seiner 
großdeutsch«!  Gesinnung  g^naßregelt  worden  und  erntete 
als  Heransgeber  der  „Deutschen  Zeitung"  von  den  National- 
deutschen Österreichs  bitteren  Undank.  Vgl.  Friedjung,  Ein 
Stück  Zeitungsgeschichte,  1887. 

Über  Heinrich  Kana,  den  Busenfreund  Herzb,  vgl. 
L.  Kellner,  Theodor  Herzls  Lehrjahre,  S.  95 — 100. 

5.6.  Ludwig  Speidel  hatte  sieb  in  Wien  als  Musik- 
und  Theaterkritücer  einen  großen  Namen  gemacht.  Fär  die 
Neue  Freie  Presse  schrieb  er  über  die  Aufführungen  im  Burg- 
theater und  redigierte  das  Feuilleton.  Als  HerzI  den  Wunsch 
hatte,  vtieder  nach  Wien  zu  kommeD,  gingen  die  Herausgeber 
der  Zatung,  Dr.  Ed.  Bacher  und  Moritz  Benedikt,  gern  auf 
den  Gedanken  ein,  um  HerzI  die  Redakti(Mi  des  Feuilletons 
zu  Übei^el>en  und  so  Speidel  zu  entlasten. 

S.i3.  „Bildhauer  Beer".  Friedrich  Beer  (geb.  i8ä6 
zu  BrOnn)  studierte  in  Wimi  an  der  AJcademie,  ging  mit  einem 
Stipendium  nach  Rom  und  ließ  sich  spjtt«-  dauernd  in  Paris 
nieder.  Die  bekannte  Herzl-Büste  stammt  von  ihm. 

S.i^.  „Onkel  Toms  Hütte":  ein  i85i  erscliienener, 
sönerzeit  vielgelesener  Roman  der  Amerikanerin  Harriet  Bee- 
cher-Stowe,  dessen  Schilderung  der  N^^leiden  lur  Aufhe- 
bung der  Sklaverei  beitrug. 

Alphonse  Daudet,  der  bekannte  franz^ische  Ro- 
mancier, war  mit  HerzI  befreundet. 

S.15.  Baron  Moritz  Hirsch  von  Gereuth  (i83i  bis 
1896),  war  der  Gründer  der  Jewish  G^nization  Association 
(,Jtca"),  der  er  rund  zrfin  Millionen  Pfund  zwecks  Rück- 
fflhnmg  der  Juden  zur  Bearbeitung  des  Bodens  widmete. 
Die  Hirsch-KolonieD  in  Argentinien  sind  ein  großw  Erfolg. 

645 


dbyGoogle 


S.  18.  „Ein  Peabody".  George  Peabody  (1795—1869) 
war  aus  klejnstea  Anfingen  zu  gn3D«n  Reichtum  gekommen. 
Berülimt  wurde  er  durch  seine  gro&ea  Schenkungea  an  die 
Hochschulen  seiner  amerikanischeu  Heimat  und  durch  die 
Gründung  von  Arfoeiterwobnungen.  Vor  Carnegie  gidt  er  als 
der  größte  Philanthrop  neuerw  Zeit. 

S.20.  Eugine  Spüller  (i835— 1806),  franiöaiwiier Po- 
litiker, war  wiederholt  Ministw,  iSgi  Unterrichtaministw  im 
Kabinett  Casimir  P^riirs. 

S.3Ü.  Leopoldstadt,  der  von  vielen  Juden  bewohnte 
xweite  Bezirk  der  Stadt  Wien. 

S.38.  „Leinkauf  nehmen".  Moritx  L«okauf  war  der 
Begründer  der  Speditionsfirma  Leinkauf  in  Wien,  durch  aräne 
Frau  mit  Herzl  verwandt. 

,3ei  Floquets  Sekretlr".  Charles  Emest  Floquet 
(1826 — 1896},  der  hervorragende  Parlamentarier,  war  wie- 
deriioU  KammerprSsident  und  kam  1898  in  äea  Senat. 

S.  Ui.  P^age  =  Brück«!-,  W^egeld. 
Suriace:  vgl.  S.  i63. 

S.ä2.  „Daniel  Deronda  lesen".  Der  Roman  dieses 
Namens  der  bedeuten'den  englischen  EntShIerin  George  Eliot, 
der  1876  erschien,  hehandelle  die  'Judenfrage  im  riomstischai 
Sinne. 

Heinrich  Teweles,  geb.  xu  Prag  i856,  war  Dra- 
maturg am  Deutschen  Landeetheater  daselbst.  Geleguitlich 
der  Aufführung  von  Herzb  „Säne  Hoheit"  in  Prag  (1888) 
wurden  die  beidm  miteinander  bekannt  mid  Tewelee  erwies 
sich  als  ein  treuer  Freund,  auch  als  Herzl  Wege  einschlug, 
auf  dmen  er  ihm  nicht  folgMi  konnte.  Siehe  L.  Kdlner, 
Theodor  Herzb  L^rjahre,  S.  79. 

S.  Ii3.  Camondo,  eine  bekannte  Familie  jüdischer  Ban- 
kiers und  Philanthropen,  erst  in  Venedig,  dann  in  Konstanti- 
nopd  ansissig. 

,J)em  Familienrat":  Die  «rste  von  Hwxls  Notizen  xu 
der  Red^  die  er  vor  einer  einzuberufenden  Zusammenkunft 
der  Familie  Rothschild  zu  haltm  beabsichtigle. 

MoritzGüdemann(i835 — 1918),  Rabbiner  in  Wien,  wo 
er  als  Seelsorger  und  Gelehrter  großes  Ansdien  geooß. 

646 


dbyGoogle 


G 1  i  o  n ,  nahe  bei  Mootreux,  am  ösUichea  Ende  des  Genfer 

S.  5ä.  In  der  1894  in  Paris  «rschieoM)  ErzShlung  „La 
ige  Caravane  des  Dominicaiiis  d'Arcueil"  (A.  ist  eine  Stadt 
in  Nordfrankreicb)  wird  berichtet,  wie  eine  Reisegesellscbaft 
von  16  JuDgeo  mit  ihiea  Wer  „'Fährern"  (worunter  der 
Autor)  Konstantinopel,  dm  E^erg  Athos  und  Griechenland 
besucht. 

S.  55.  .Jlaoul  geht  mit".  Gemeint  bt  der  Schriftsteller 
Raoul  Auemheimer  in  Wien,  den  Herzl  Behr  schätzte.  Er 
sagte  ihm  eine  bedeutende  Zukunft  voraus. 

S.  65.  Matamore  (MaurentÖter),  Maulheld  der  spani- 
schen KomOdi«. 

S.  80.  S.  C.  Gemeint  ist  Salo  Gohn  in  Wien,  ein  reicher 
Mann,  der  mit  dtsn  Oberrabbiner  Güdemaon  befreundet  und 
als  Förderer  jüdischer  Literaten  bekannt  war. 

Alfred  Naquet,  radikaler  französischer  Politiker  und 
RevolutionSr,  später  Boulangist. 

5.82.  Assistance  par  le  travail:  vgl.  S.  i55f. 
Johann   Freiherr  von   Chlumecky  war  einer  der 

einflußreichsten  Parlamentarier  des  alten  Osterreich.    iSgS 
wurde  er  Präsident  des  Abgeordnetenhauses. 

5.83.  Edward  Bellamy  (i85o— 1898^  hatte  mit  sei- 
nem Zukunftsroman  „Looking  Backward"  (1888)  auch  auf 
Herzl  tiefen  Eindruck  gemadit. 

Paul  Jablochkow,  ein  russischer  Eiektrotechniker, Er- 
finder der  nach  ihm  benannten  „Kerzen"  (zwei  parallele 
Kohlmstäbe,  durch  eine  Schicht  von  Kaolin  voneinander 
isoliert),  die  vide  Jahre  lang  allgemein  geraucht,  aber  all- 
mählich verdrängt  wurdMi. 

Die  Brüder  David  und  Wilhelm  Gutmann  in  Wien 
waren  die  ersten  Kaufleute,  denen  es  gelang,  das  Holz  als 
Heizmaterial  in  dm  Fabriken  und  Wohnungen  der  konser- 
vativen Wiener  durch  die  Steiak<^le  zu  verdrängen. 

S.  88.   Frani-Josefs-Quai,  Wiener  Geschäftsstraße. 

S.91.  „Wiener  Concordia".  Ein  Vwein  der  Jour- 
nalisten und  Schriftst^Ier  Wiens. 

S.  iOU.  Julius  Bauer,  der  witzige  Herausgeber  des  Illu- 
strierten Wiener  Extrablatts. 

647 


dbyGoogle 


S.105.  Cottage,  engl.  Landhaus,  hier  Villenviertel  ia 
Wien. 

S.  116.  Johano  hieß  Kants  Diener,  der  einen  festen  Be- 
standteil seinee  Lebeta  bildete  und  doch  eeinto-  schlechten 
FOhrunir  w^en  entlassen  werden  mußte. 

S.  iio.  Sadagora,  Ort  in  der  Bukowina,  Residenz  einer 
berühmten   Zaddikim-(„WundeiTahbi8"-)DynB8tie. 

S.27S.  Dr.  Leon  Pinsker  (1831—1891)  in  Odessa,  ver- 
faßte i8Sa  unter  dem  Eindruck  der  furchtbaren  russischen 
Pogroms  die  Schrift  „Auto-Emanzipation",  worin  die  Ab- 
kehr von  all^n  Assimilationsveraucnoi  und  die  territoriale 
Konientrienmg  empfohlen  wird. 

S.27V.  Professor  Isidor  Singer  gründete  tatsSch- 
lich  im  Verein  mit  Dr.  Kanner  das  Tagblatt  „Die  Zeit",  in 
der  er  für  eine  Verständigung  der  Deutschdsterreicher  mit 
dm  Slawen  eintrat. 

S.32Ü.  Henry  George  (iSSg — 1897),  nordamerika- 
nischer SchriftstelW  und  Nationaldkonom;  in  seinem  1879 
veröffentlichten  Hauptwerk  „Fortschritt  und  Armut",  das 
Oberall  großes  Aufsehen  erregte  und  in  fast  alle  lebendea 
Sprachen  übersetzt  wurde,  hat  er  seine  Grundanschauung  nie- 
dergelegt: das  gleiche  Recht  aller  auf  Nutznießung  der  Erde; 
seine  Methode  zur  Durchsetzung  dieses  Satzes  nannte  er  die 
Einzelsteuer  (Single  Tax). 

S.338.  Alexander  Scharf  war  der  Gründer  und  Eigm- 
tOmer  der  vielgelesenen  „Wiener  Sonn-  und  Montagszeitung". 


dbyGoogle 


dbyGoogle 


dbyGoogle 


I 


r 


,Goo>^lc 


dbyGoogle