Skip to main content

Full text of "Theologische Quartalschrift"

See other formats


Google 


This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world's books discoverable online. 

It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that's often difficult to discover. 


Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book's long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 


Usage guidelines 
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 


public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 





We also ask that you: 


+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individual 
personal, non-commercial purposes. 





and we request that you use these files for 


+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's system: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 


+ Maintain attribution The Google "watermark" you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 


+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can't offer guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search means it can be used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 






About Google Book Search 


Google's mission is to organize the world's information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world's books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web 
a[nttp: //books . google. con/] 














Google 


Über dieses Buch 


Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 

Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei — eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 


Nutzungsrichtlinien 


Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 

Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 


+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persónliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 


+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgend welcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 





+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 


+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 





Über Google Buchsuche 


Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|'http: / /books . google. conjdurchsuchen. 














Baia Google 





we: 





Te. μοῦ 8.233 
X55 





Google 


Google 


Theologiſche 


Quartalſchrift. 


In Verbindung mit mehreren Gelehrten 
herausgegeben 
um 
D. v. Drey, Ὁ. v. Auhn, D. Hefele, Ὁ. Welte, 


D. Bukrigl und Ὁ. Aberle, 
Brofefloren der fat$. Theologie an der X. Univerfität Tübingen. 


Fünfunddreißigfter Jahrgang. 





Erſtes Quartalheft. 





QTübingen, 1853. 


Berlag der H. Laupp’fien Buchhandlung. 
(Saupp & Sichel.) 


Deut von ὅ. Sap. ^ 


1. 
Abhandlungen. 





Beiträge zur Geſchichte der deutſchen Liturgie. 


1. Ordo baptisterii 
der Kirche von fixiren aus dem 12. oder 13. Zahrhundert, 
verglichen mil dem alten €aufritus der römifhen uns 
deutſchen Kirche. 


Der ordo baptisterii, welder nun als ein ehrwuͤr⸗ 
diges Denfmal der Vorzeit veröffentlicht wird, ift entnoms 
men aus einem alten handſchriftlichen Miffale, 
welches in ber Bibliothef des f. 5. Priefterfeminars zu 
Briren aufbewahrt wird. Daffelbe diente zum Gebraude 
zweier febr alten Silialficchen der Pfarre St. Andre auf 
dem naͤchſt Briren gelegenen Mittelgebirge, námlid) den 
Kichen zum hl. Johannes in €ornol unb zum heil. 
Leonhard im Orte gl. N. Es enthält nad) der Alter 
fen Ginrijtung in drei abgefonberten Theilen 

- das Antiphonarium mit ben Neumen, das Sacra— 
mentarium und das Lectionarium. Die Präfe- 
tion von ber fefigfen Jungfrau, melde Papft 
Urban Il. (1088—1099) eingeführt hat, ift mit fpäterer 
Hand hinzugeſchrieben. Im Canon findet man nod) dt. . 

Tu 


4 Ordo baptisterii 


(illius illorum) ftatt des fpäteren N— Tauter Kennzeichen, 
daß das Alter biefe& Miffals nicht über das 11. Sabre 
hundert heraufgerüdt werden darf. Damit flimmt aud) - 
überein bie ſchoͤne Schrift zum Theil mit Iongobarr 
bifden Sudftaben, unb daß im vorausgehenden Galen» 
darium mit fpäterer Hand bie Namen der gleidjseiti» 
gen Bifhöfe von Brixen Hardwig (1020—1039), Bopo 
(1039—1048), Altwin (1049—1091) und des Biſchofs 
von Trient Gebhard (1106—1118), welder im Jahr 
1113 das St. Johannis-Kirchlein zu Eornol eingeweiht 
hat, eingetragen find h). Diefer [egte Umftand beweist much, 
daß das Miffale wirflid ber Diöcefe Briren 
angehörte. Das nämliche Refultat ergiebt ſich aud, 
wenn das oben genannte alte Galenbarium mit den fpätern 
für die Kirche von Brixen beftimmten und nod) vorhan⸗ 
denen Kirchenfalendern bis zur Zeit des Fuͤrſt⸗Biſchofs 
Chriſtoph Andre von Spaur, welder das τόπι [ὦ ε 
Miffale und Brevier im Jahr 1604 eingeführt hat, 


1) Das Antiphonarium ſchließt bekanntlich jene Theile ber 
BL Meſſe in Rd), welche gefungen wurden, nämlich bem Introitus, , 
das Grabuale, Offertorium, bie Communio unb die Se 
quenzen. Neumen find die alten Tonzeichen in bem ihuglfdjen 
Büchern, welche aus Puncten, Haͤckchen und Schnörkeln beſtehen, umb 
über den Zeilen bes Textes in verfdjiebener Höhe gefegt wurden. Das 
Sacramentarium enthielt ben. Ganon, bie Präfationen unb 
bit Gebete während ber BL Mefle. Bei der Opferung und zur 
Communion des Prieſters waren efebem Feine beftimmten Gebetöformeln 
vorgefehrieben, daher fie im bem alten liturgifdjen Büchern mangeln. 
Das sl. deutet auf den Gebrauch der Dyptychen und findet fid) 
zegelmäßig mur in Handfepriften vor bem 10. Jahrhundert. Bis 
' afin wurden nämlich im Abenblande bie Dyptychen vorgelefen, 
wenn gleich dieſer Gebrauch bei einigen Kirchen Deutſchlands fich länger 
erhalten Hat. Im £ectionarium waren bie Epifleln und Evangelien, 
wie fie bei der Liturgie gelefen werben follten, aufgezeichnet. 


der Kirche von Brixen. 5 


verglihen werden. Am Ende des oben befchriebenen 
Miffale if ein Ordo Baptisterii beigefügt, für welchen 
aber ein fo hohes Alter nicht angefproden werben kann. 
Offenbar ftammt er von einer andern unb fpätern Hand, 
welde auch am Ende eine Mefie de s. Leonhardo 
geſchrieben hat. Da. nun bie Kirche zum hl. Leonhard, 
welcher, wie ſchon gemeldet wurde, dies Miffale anges 
hörte, erft am Ende des 12. Jahrhunderts geweiht und 
die Mefle de s. Leonhardo wahrfgeinli zur Verehrung 
dieſes Heiligen als des Kirchenpatrons um biefelbe Zeit 
angeſchloſſen worden ig; fo wird aud) das Ende bes 
12. ober der Anfang des 13. Jahrhunderts als bie Zeit 
bezeichnet werben müflen, in welcher unfer ordo baptisterii 
geſchrieben worben if. Damit ftimmen die Eigenthümlich- 
feiten und Fehler in ber Orthographie fowie aud) bie 
SBudjftaben überein. 

Eine genaue Unterfuhung unb Vergleihung des oben 
beſchriebenen Mifiale, des vorangehenden Galenbarium und 
des am Ende beigefügten ordo baptisterii dürfte nicht un» 
bebeutende Beiträge zur Gefhiähte ber deutſchen Liturgif 
liefetn. Für Nieberdeutfchland haben Radulph be Rivo, 
Dedant zu Sungern, und Cornelius Schulting, 
Eanonicus zu Köln, jener am Ende des vierzehnten, dieſer 


am Ende des fechsgehnten Jahrhunderts [djágbare Samm- . 


lungen und Arbeiten geliefert ἢ. In ber neuen Zeit 


1) Rabulph verfaßte ein Calendarium ecclesiasticum" (auch 
de canonum observantia genannt) , worin er Vieles über bie liturgie 
fügen Gebrauche feines Zeitalter einfließen ließ. Ed. Bibl. patrum 
T. IV. Paris. 1575; T. XIV. Colon. 1618; T. XXVI. Lugdun. 1677. 
€dulting made Auszüge aus vorgefundenen alten Handſchriften 
befonders der Archive und Bibliotheken zu Köln, mafm bie in feiner 
Zeit gebraͤuchlichen Ritual» und Meßbücher zu Hülfe und bearbeitete 


6 Ordo baptisterü 


Bat der berühmte Abt von St. Blafien Martin Ger» 
Bert die kirchlichen Gebräuche und Eeremonien, wie biefe 
in Alemannien oder in der Kirchenprovinz Mainz fid) vor» 
gefunden haben, von ben erften Zeiten an unterfucht unb 
erſchoͤpfend bargeftellt 9. Aber für Bajoarien ober bie 
alte Kirchenprovinz Salzburg ift meines Wiffens nur febr 
Weniges geleiftet worden. Daher mögen bie Beiträge, 
welche id) in mehresen Abfägen zu liefern gebenfe, ben 
Freunden kirchlicher Wiffenfhaft nicht unwillfommen fein. 
Für dies Mal begnüge id) mid) das Stefu(tat, welches fidj 
aus ber Unterfudjung und SBergleldung unfers Coder et» 
geben hat, fury anzuführen und fobanm bie genauere Bes 
ſchreibung bed oben genannten ordo baptisterii aus bem 
12. oder 13. Jahrhundert folgen zu lagen. 

Die biſchoͤfliche Kirche von Säben (am Ende des 
10. Jahrhunderts nad Briren übertragen) bildete in 
den erfien Jahrhunderten ihres Beftandes einen Theil ber 
weitgebehnten Kirchenprovinz Aquileja, und ward nad 
dem Wunfhe Carl b. ©. von Papſt Leo IM. mit ben 
andern bifhöflihen Kirchen Baipariens der neu gegründe- 
ten Metropole Salzburg untergeordnet (798). Unfer 
liturgiſcher Gober giebt demnach ein Zeugniß für bie Ber 
ſchaffenheit ber Liturgie in ber Kirchenprovinz Salzburg 
oder in ben Kirchen Bajoariens. Die nähere Unterſuchung 
zeigt uns darin ben gregorianifhen Ritus, welder 


das für ben Liturgen und Dogmatifer wichtige Werk: Bibliotheca ec- 
elesiastica sive commenlariorum sacrorum de exposilione missulis 
et Breviarii. T. 4. Coloniae Agripp. typis Stephani Hemmerden. 
1599— 1602. 

1) Martin Gerbert gab heraus: Vetus. Liturgia Alemannica 
St. Blafien 17765 dann Monumenta veleris Liturgiae Alemann. ex 
aliquis MS. codicibus. 2 Be. Gt. Blaſien 1777-1779. 








der Kirche von Brizen. : 1 


von Sarl b. G. und Papft Hadrian L in Deutſchland 
allgemein eingeführt worben ift, aber aud) bie Eigenthüns 
lichleiten ber deutſchen Liturgie, wie fie fid) insbeſondere 
in ben Befren und Sequenzen ausgebildet haben. Die 
Bergleihung mit andern liturgiſchen Eodices führt uns aud) 
in bie Heimath, welcher unfer Codex entfproffen ift, nämlich 
in das ſüdliche Alemannien. Hier blühten bie berühms 
ten Benebietiner» Abteien Reihenau, Rheinau, Bes 
tershaufen, St. Blafien; vor allen aber €t. Ballen, 
wo fid) Romanus niebergelaffen hatte, welder auf Gr» 
fuden Karl t. ©. vom Papſt Hadrian mit einem autens 
tifhen Antiphonar nad) Deutſchland gefehiet worden war 
(190), wo 9t otfer ber Stammler bie berühmten Hym⸗ 
nen und Lieber verfafte; wo ber römifhe fitdjengefang 
und ohne Zweifel aud) die roͤmiſche Liturgie am reinften 
fib erhielt; wohin aud Meginbert, der Biſchof von 
Säben, im 3. 908 zum Feſte des hl. Gallus wallfahrtete, 
vieleicht um mit dem damals nod) lebenden Notfer über 
liturgijde Gegenflände fij zu befpreden oder um Ab⸗ 
ſchriften für feine Kirche zu erhalten ). Im Borbeigehen 


1) Welche Berbienfte fid) die Klöfter in ber Zeit des Mittelalters 
für Erhaltung und Förderung der Wiſſenſchaft und des Firdlichen Lchens 
erworben Haben, darf id) fier nicht weiter erörtern. Nur in Bezichung 
auf St. Gallen mögen einige Stellen aus der Vita Notkeri Balbuli 
von Effehard dem Jüngern angeführt werben. Fuit in maximo 
desiderio Praelatis coenobii S. Galli et B. Notkero aliisque magistris 
ibi degentibus, ut cantum secundum autenticum antiphonarium re- 
gerent et melodias romano more tenerent, Qualiter autem ista pro- 
secuti sint, intimare curabimus posteris. Mittens denuo imperator 
Carolus Romam ad Adrianum Papam rogat, ut iterum ei mittat duos 
Romanos cantuum gnaros in Franciam, Tunc papa regis precibus 
annuens juxta petitionem suam secundo duos mitlit cum aulenticie 
antiphonariis... Vocabatur autom unus eorum Peirus et alter 


8 Ordo baptisterii 


mache ich auf eine Eigenthümlichfeit unſers Calendars auf- 
merffam, welde für fid allein ſchon ben ſtaͤrkſten Beweis 
für meine Behauptung bildet. Es finden fid) darin weder 
der HI. Ingenuin, der Biſchof von Güben und Schutz⸗ 
patron des Bisthums Briren, mod der bi. Rupert, 
Biſchof und Schugpatren ber Kirche von Salzburg; wohl 
aber bie eigenthämlidhen Heiligen, wie fie in ben 
alten Ealendarien von St. Gallen, Petershaufen, Solo» 
thurn und Straßburg aufgezeichnet find, 2. 99. bie heil. 
Wiborata Klausnerin bei St. Gallen, ber BI. &intan 


Romamus... Melensem ecclesiam adibant, qui cum im Septimo 
(Septimer»&ebirge) lacuque Cumano aere Romanis centrario qua- 
terentur; Romanus febre correptus vix ad nos usque (nad €t. Ὁ al^ 
fen) pervenire pótuit; antiphonarium vero secum... cum duos ha- 
berent, unum S. Gallo obtulit. In brevi autem tempore Domino se 
juvante conveluit Romanus de febre... Imperator comperto de 
Romano mittit celerem nuntium, qui eum si convalesceret nobiscum 
stare nosque instruere juberet... Dein uterque (Petrus et Romanus) 
Tama volante, studium alter alterius cum audisset; aemulabantur pro 
laude et gloria naturali gentis suae more, uter alterum transscenderet. 
Memoria dignum est, quantum bac aemulatione uterque locus 
(St. Gallen und 3Re&) profecerit et mon solum in cantu sed et 
in caeteris docirinis excreverit.... Erat Romae instrumentum 
quoddam et theca ad antiphon: tentici publicam omnibus ad- 
ventantibus inspectionem repositorium, quod a cantu dicebatur 
cantarium. Tale nempe ipse apud nos ad instar illius circa aram 
Apostolorum cum autentico locari fecit, quem ipse attulit, exem- 
plato antiphonario, in quo nsque hodie in cantu, si quid dissentitur, 
in speculo error ejusmodi universis pervidetur atque corrigitur. 
. Abinde sumsit exordium tola fere Europa ei mazime [ere 
'ermania sive Teulomia secundum modum et formam, sicut im 
monasterio S. Galli viri peritissimi: ediderunt, B. Notkerus. Bal- 
bulus et Romanus caeterique magistri correxerunt, juxta exemplum 
autentici Antiphonarii Gregorii. elegit. cantare et hunc. rilum mo- 
dulandi servare, quem etiam omnes Usum appellaverunt. Aus bem 
Chronicum Gottwicense T. 1. f. 56 sq. 
















qua: 





der Kirche von Brixen. 9 


Einfiebler zu RhHeinau, bie 5.5. Synefius und Theo- 
pompus, deren Reliquien vom SBeronefer Bifchof Rat- 
hold im 9. Jahrhundert nad) Reichenau gefchenkt wurden; 
der bl. Arbogaft und die hl. Dtbilia, beide berühmt 
und hochverehrt in der Straßburger Diöcefe. Wenn das 
erftere darin feine Erklaͤrung findet, daß jur Zeit als das 
Ealendarium abgefaßt wurde, bie Verehrung des δ. In« 
genuin und Rupert nod) nicht von Rom aus angeorbnet 
ober beftätigt fondern nur auf bie Eathebralficdhen bes 
ſchraͤnkt war, fo beweifet das Leßtere genugfam, daß unfer 
Eoder den alemannifhen nadgebilbet worden ift. Wir 
dürfen bemnad) annehmen, daß die Diöcefe Briren, wenige 
ſtens nachdem fie zur Metropole Salzburg gezogen worden 
ift, ihre Liturgie nad) bem Mufter der alemannifchen Kits 
den, welche früher [don georbnet waren als bie in Ba- 
joarien, gebildet habe. Dürfte man das 9tàmlide nicht 
von den übrigen Suffragankirchen ber Salyburger Provinz 
fagen? Vielleicht liege e8 fid) aud) ermeijen, wenn nod 
alte Galenbarien ober Meßbuͤcher vorhanden wären. 

Zum Behufe eines genauen Verſtaͤndniſſes und all 
feitiger Beurtheilung felle id) zuerft den alten Taufritus 
in feinen Theilen mit befonberer Berüdfihtigung ber 
tómijden unb deutſchen Kirche in moͤglichſter Kürze bar, 
und vergleiche fobann unfern ordo baptisterii mit andern 
tömifhen und alemannijden Handſchriften, welde Mu- 
tatori und Gerbert herausgegeben haben 3). 

In ber Taufe, wie bie alte Kirche feierlich fie 


1) Liturgia Romana velus, iria sacramentaria complectens, 
Leouianum scilicet, Gelasianum et Gregorianum ed. Ludov. Ant. 
Muratorio. Tomi duo. Venet. 1748. Die oben genannten Monumenta 
veleris Liturgiae alemann. von Mart. Gerbert. 


10 Ordo bsplisterii 


gefpenbet hat, find brei Theile zu unterſcheiden: 1. das 
Gatedumenat; 2. die Scrutinien; 3. bie Sauf» 
handlung. 


1. Das Eatehumenat. 

Diejenigen melde von bem Heiden- ober Judenthum 
in die Kirche Ehrifti eintreten wollten, mußten beim SBifdjof 
oder von dem dazu beftimmten Priefter die Aufnahme fid) 
erbitten, und biefe gefhah, um jeder unbebadjtfamen Eile 
vorzubeugen und bie Wichtigkeit des Schrittes recht ans 
ſchaulich vorzuftellen, mit feierlichen  Geremonien. Deßr 
wegen wurde a. ber Aufzunehmende befragt, ob er bem 
Satan entfagen und ernften Sinnes die chriſtliche Lehre 
annehmen wolle, und nachdem er bieó verfprodjen fatte, 
hauchte ihm b. ber Priefter oder Biſchof bem belebenden 
Odem Ehrifti ein, bezeichnete ihn mit bem Zeichen des 
hl. Kreuzes und legte ihm unter inbrünftigem Gebet bie 
Hände auf. Der ganze Ritus wurde außerhalb der 
Kirche, und zwar bei den Lateinern als Eine, bei den 
Grieden aber in drei abgefonderten Handlungen gefeiert. 
In mehreren Kirchen wurde den Aufzunehmenden Salz in 
den Mund geftreut und ihre Ohren unb Nafe mit Spei- 
chel berührt ). Die Aufgenommenen wurden Katehus 


1) Das Sarramentarium bes Papſtes Gelaſius, welder 492 
—496 auf dem Stuhle Petri regiert hat, —— den Ritus zur Auf⸗ 
nahme ganz kurz mit folgenden Worten: „Gentilem bominem cum 
susceperis; imprimis catechisas eum divinis sermonibus, et dus ei 
monita, quemadmodum post cognitam veritatem vivere debeat. Post 
haec facis eum calechumenum: exufflas in faciem ejus et faeie 
ei crucem in fronte: imponis manus super caput ejus his verbis: 
Accipe signum crucis tam in fronte quam in corde etc. Inde vero 
postquam gustaverit medicinam salis et ipse se signaverit; bene- 
dicis eum his verbis: Domine sancte, Pater omnipotens, aeterne 





J der Kirche von Briten, 11 


menen b. ἢ. Lehrlinge (von κατηχέω) genannt, weil fie 
nun in der Lehre des Heiles vollfommen unterrichtet und 
zu einem bußfertigen und hriftlichen eben angeleitet wet» 
ben mußten, che fie bie heil. Taufe empfangen fonnten. 
Eine nähere Befchreibung des Unterrichtes, welden fie 
genofen, der fcommen Uebungen und Obliegenheiten, denen 
fie fid zu unterziehen hatten, ber verſchiedenen Glaffen, 
in welche fie je nad) bem Grabe ihres Fortſchreitens ges 
theift wurden, gehört nicht in das Bereich der gegenwärs 
tigen Abhandlung. Für bie Dauer des Katechumenats 
gab εὖ feine allgemeine Vorſchrift, zumal biefelbe von 
bem Berhalten der fatedjumenen unb oft aud) andern 
Umftänden abhängig war. Der Bifchof allein hatte bat« 
über zu entſcheiden. In ber Alteften Zeit drang man ges 
woͤhnlich auf eine lange, mehrere Jahre Binburd) an— 
dauernde Vorbereitung; aber biefe großartige Beier des 
Satedjumenaté fam in Abnahme, je mehr bie Zahl ber 
erwachfenen Täuflinge fid verringert und bie der Kinder- 
taufen fid) vermehrt hatte. Gegen das Ende des 7. Jahr⸗ 
hunderts war das alte Katechumenat in der lateinifchen 
Kirche beinahe ganz verfhwunden. Für ben erwachfenen 
Täufling blieb nod) ber nothwendige Unterricht; bie Gebete ^ 
und Geremonien aber, weldje bei ber Aufnahme ber Kates 
dumenen verrichtet wurden, find jur Erinnerung an bie 


Deus etc.“ (Liturgia Rom. vet. ed. Murator. T. 1. 593). Das L 
allgemeine Concil von Konftantinopel gibt im 7. Kanon über bie Aufs 
nahme der Katechumenen folgende Vorſchrift: Τὴν πρώτην ἡμέραν 
ποιοῦμεν αὐτοὺς χριστιανοὺς, τὴν δὲ δευτέραν κατηχουμένους, εἶτα 
τὴν τρίτην ἐξορκίζομεν αὐτοὺς μετὰ τοῦ ἐμφυσᾶν τρίτον εἷς τὸ πρόσ-- 
«πον καὶ εἷς τὰ ὦτα αὐτῶν" καὶ οὕτως κατηχοῦμεν αὐτοὺς, καὶ ποι- 
οὖμεν αὐτοὺς χρονίζειν eis τὴν ἐκκλησίαν καὶ ἀκροᾶσϑαι τῶν γραφῶν" καὶ 
τότε αὐτοὺς βαπτίζομεν. Ed. Herm. Theod. Bruns. Berol. 1839. 


12 Ordo beplisterii . 


alte Zeit in ben Taufformeln erhalten worden. So finden 
wir es in unferm ordo baptisterii; fo finden wir e auch 
in den älteften nod) vorhandenen Taufordines ber deuts 
ſchen Kirche, welche erft im Verlauf des 8. Jahrhunderts 
nachdem das feierliche ftatedjumenat (don aufgehört hat, 
georbnet worden ift und ben roͤmiſchen Ritus allgemein 
angenommen bat. Das Nämliche berichtet aud) Amas 
larius, Erzbifhof von Trier (810—814 oder 822), an 
Earl b. G., welcher von allen Metropoliten feines Reiches 
Berichte über ben üblichen Taufritus abgefordest hatte 5. 


2) Die Scerutinien. 


Die Katehumenen der höhern Ordnung 
oder ber dritten Glaffe, b. ἢ. diejenigen, welde bald zum 
Sacrament der Taufe zugelaffen werben follten und daher 
competentes ober electi genannt wurden, mußten fid) nod) 
firengen Prüfungen unterwerfen unb erhielten baburd) bie 
legte Vorbereitung zur hl. Taufe. Diefe Prüfungen nannte 
man Serutinien, melde, nadbem ber Taufritus fid) 
mehr auégebilbet hatte, in ber römifhen Kirche an vier 


1) „Qui desiderat renovari secundum novum hominem, necesse 
est, ut instruatur a doctoribus ecclesiae, qualis ante baptismum sit, 
qualis post baptismum futurus sit per gratiam Dei, ut de tenebris 
peccatorum in lucem veritatis convertatur. Relicto nomine falsorum 
Deorum colat unum Deum vivum et verum, et postquam haec per- 
cipit a doctore catholico, catecuminus dicitur i. e. instructus (in- 
struendus?) sive auditor*.... Die Gebete, fagt Amaralius weiter, 
werden aud) über bie Kinder geſprochen, „ut caecitas cordis ab eis 
expellatur, disrumpantur laquei satanae , quibus fuerant conligati et 
idonei efficiantur per incrementum et ministrationem membrorum ea 
cognoscere, quae dimitenda sunt et quae tenenda", Monum. vet. 
Liturg. alemann. von Gerbert, weldjer bafelbft das ganze Antworte 
fchreiben des Amalarius aus einer Handſchrift des 9. oder 10. Iahıh- 
mitgetfeilt fot. T. IL p. 264 sqq. 








der Kirche von Brixen. 13 


in ziemlich gleichen Abſchnitten aufeinander folgenden Tagen 
gefeiert wurden, fo daß das erfte am Montag ber 
dritten Faſte nwoche und das letzte am Tage der 
Taufhandlung ſelbſt gehalten wurde. An dieſen Tagen 
ſtanden die Katechumenen in der Kirche auf dem ihnen 

angewieſenen Platz, Geſchlecht bei Geſchlecht; das maͤnn⸗ 
liche zur rechten, das weibliche zur linken Seite, nur mit 
dem Unterkleide angethan, bedeckten Hauptes und vere 
ſchleierten Angeſichts, damit ihr Inneres nicht zerſtreut 
werde. Mit den bloßen Füßen betraten fie das ausge⸗ 
breitete Bußfleid. Die vorzuͤglichſten Gcremonien des Scru⸗ 
tiniumó waren a. dad sacramentum salis, b. die Grote 
eismen unb c. bie traditio und redditio symboli ei 
orationis dominicae. Ich laffe eine furje Beſchreibung 
derfelben nad) bem Sacramentarium des Papfles Ge⸗ 
laſius folgen. 

Am dritten Sonntage in ber Faſten wurde das erfte 
Serutinium angefündet, welches folgenden Tages um bie 
fedéte Stunde (nad) unferer Zeitrechnung 12 Uhr) bes 
ginnen follte. Ein Alolythus ſchrieb bie Namen ber aue» 
erwählten fatedjumenen auf. Nachdem fid biefe je nad 
dem Geſchlechte abgefonbert, zur redjten und linfen Seite 
aufgeftellt hatten, fprad) über fic ber Prieſter bie vors 
gefchriebenen Gebcte'). — G8 unterliegt wohl feinem Zweifel, 


1) „Denuntiatio pro scrutinio, quod tertia hebdomada in Qua- 
dragesima secunda [eria initiatur“, „Scrutinii diem, dilectissimi 
fratres, quo Electi nostri divinitus instruantur, imminere cognoscite. 
ideoque solicita devotione, succedente sequente iMa feria circa 
horam diei sextam convenire dignemini etc.“ 

οὔτ autem. venerint ad ecclesiam, scribuntur. nomina in- 
fantum ab Acolytho, ei vocantur in ecclesia per nomina sicut 
scripti sunt. Et. statuuntur masculi in dexteram parlem, foeminae 
in sinistram, et dat orationem. Presbyler super eos“: 


14 Ordo baptisterii 


baf auf diefe Weife jedes ber folgenden Serutinien mit 
Ausnahme des legten angefangen worben fei. Darauf 
folgte bie Weihe des Salzes, welches ben Katechumenen 
in ben Mund geftreut wurde. Diefe Geremonie nannte man 
wegen ihrer myftifchen Bedeutung sacramentum salis — 
das OG ebeimnif des Salzes). 

Die Eroreismen beftanden in verfhiedenen Ger 
beten und Beſchwoͤrungen, weldje von brei Akolythen 
unter Auflegung der Hänbe über bie Katechumenen ge» 
fprodyen wurden. Jeder der Afolyihen ſprach einen Erors 
tismus über bie Täuflinge des männlichen und bann einen 
andern über bie Täuflinge des weiblichen Geſchlechtes. 
Das Schlußgebet über beide verrichtete. der Priefter ?). 
Aud bie Exoreismen wurden bei allen Scrutinien mit 
Ausnahme beó legten vorgenommen. 

Mit bem dritten Serutinium begann bie traditio 
und redditio symboli et orationis dominicae. Diefer 
Nitus, welder aud) apertio aurium. genannt wurbe, ent 
‘hielt einen kurzen Unterricht über bie wefentliden 

Oratio: 

„Omnipotens sempiterne Deus, pater Domini nostri J. Christi, 
respicere dignare etc.“ 

Preces nostras, quaesumus Domine, clementer exaudi etc. 

„Deus, qui humani -generis ita es conditor sic etiam refor- 
mator eic.^ Liturgia Hom. vet. ed. Muratori. T. 1. 533 sq. 

1) Im Gelafianum findet fid) folgende Stubrifz 

„Benedictio salis dandi catechumenis." 

„Exorcizo te creatura salis in nomine Dei patris etc.“ 

„Et post hanc. orat. pones δαὶ in ore infantis et dices: Accipe 
ill. sal sapientiae propitiatus in vitam aeternam. 

s Benedictio post datum salem. 

„Deus patrum nostrorum, Deus universae conditor veritatis eto.“ 
1. c. 584 sq. 

2) Aus bem. Gelaflanım 1. c. 535—537. 


ber Kirche von Brixen. 15 


Lehren des Ehriftenthums, aus welchem bie Statedjumenen 
dann geprüft wurden. Die Extheilung des Unterrichtes 
(traditio) gefhah im dritten und bie Prüfung (red- 
ditio) im vierten, oder legten Serutinium. Den Gegen» 
fand des Unterrihtes bildete eine kurze Belehrung über 
die vier Evangelien, bie Erflärung des Glaubenóbefennte 
niſſes, endlich bie Auslegung des „DBater unfer." Ein 
Priefter, vier Diakonen imb einige Afolythen beforgten 
denfelben, Ὁοῷ fo, Daß bie Erflärungen alle vom 
Briefter gegeben wurden !). Beinahe die nämlichen 
Geremonien find für bie Serutinien aud) im Sacramen- 
tarium des Papſtes Gregor vorgefchrieben 9. 

Die Serutinien haben fid) Tänger erhalten als das 
Katehumenat. Wir finden bigfelben nod) im 13. Jahr⸗ 
hundert bei einigen Kirchen Deutſchlands und Frankreichs. 
Daher erſcheinen fie in den aͤlteſten Taufordines der deut⸗ 
ſchen Kirche und ihrer erwähnen aud bie deutfchen litur- 
gif$en Schriftfteller jener Zeit. In Beziehung auf Ale 
mannien hat®erbert viele Belege gefammelt 3). Nachdem 


1) Aus dem Gelaſianum 1. c. 537 —545. 

2) Liturgia Rom. vet. ed. Murator. T. II. 152 sq. sq. 

3) Berg. u. a. das Sacramentarium von Mheinau aus 
dem 8. Jahrhundert, das Capitulare ecelesiastici ordinis von St. Bla⸗ 
fien ans dem 9. Jahrhundert, bie Abhandlung de totius anni offene 
ac ministeriis in der falf. Bibliothek zu Wien aus bem 12. Jahrhum-⸗ 
dert, das Antwortfchreiben des Amalarins, Erzbiſchofs von Trier, an 
Karl b. ©. „Monumenta veteris Liturgiae Alemann. T. I. 248— 252; 
T. IL 171 sq. 195. 265. Mehrere liturgifdje Schriftſteller dieſer Beit 
Tébem von fieben Grutinien. So [ὠτείδε Amalarins a, a. D.: 
„In scrutinio quippe facimus signum crucis super pueros, sicut in- 
venimus scriptum in Ordine Romano; οἱ genuflexionem et adjuratio- 
nem et docemus orationem dominicam patrinos et matrinas, ut et 
ipsi similiter faciant, quos suscepturi sunt a sacro baptismate... . Simili- 
ter docemus symbolum ... Scrutinium fit ante pasca septies. Sep- 





16 Ordo baptisterii 


die Serutinien verſchwunden waren, haben fid) in ben Sauf» 
orbines unb Ritualen nod) die Gebete, Erorcismen unb 





tenario enim numero saepe universitas designanur ... Seplies per- 
scrutantur, i. e. perfecte perscrutemtur.* Man ficht aus biefer Stelle 
audj, wie bie weife Borficht unferer Bäter die Serutinien zur Belehrung 
und Aneiferung ber Taufpathen benügte, ba biefelben fonft bei ber immer 
fich mindernden Zahl der erwachfenen Täuflinge fonft völlig zwedlos ger 
toefen wären. Muh das eapitulare ordina ecclesiastici bejeidnet 
fieben Serutinien. „Quarta vero hebdomada ante pascha (b. i. bie 
dritte Woche in der Baflen) incipiunt scrutinium facere ad infantes, qui 
in Sabbato sancto babtizandi erunt. Secunda vero fería in ipsa heb- 
domada veniunt hora fertig ad ecclesiam matres cum infantibus eo- 
rum, et facit eos presbyter primum catechumenos, id est imposit« 
manu super capita singulorum dicit orationem his verbis: Ompe 
sempiterne Deus, Pator Dni nri. Dicia ipsa oratione accipit salem 
exorcisatum et ponit in os infantum dicendo: Accipe tali& salem 
sapientiae propitiatus in vitam- aeternam." Tunc scribuntur nomina 
eorum ab accolitho tam infanium quam et eorum, qui eos suscep- 
turi sunt, idem masculi seorsum, et feminae seorsum, et ita exeunt 
foras ecclesiam, exspectantes quando revocentur; tunc primum in- 
cipiunt antiphonam ad introitum: dum sanctificatus fuero in vobis. 
Inde presbyter vadit retro altare in sede sus, ut vocaniur per no- 
sina, ei per ordinem, sicut scripi suni; idem primum masculi, 
et ordinantur ad dexiris, deinde feminae a sinistris, ei intrat 
primum acolitu faciens signum crucis in frontibus singulorum δὲ 
imponit eis manus. et exorcisat eos his verbis: „Deus Abraham, 
Deus Isaac, Deus Jacob et relique. Completa ipsa oratione super 
masculos, vertit se ad feminae , et facit similiter; et iterum sequi- 
tur alius acolitus, et facit similiter; inde tertius, et facit similiter. 
Postea vero intrat presbyler, et imponit eis manum, et benedicit 
eos his verbis; aeternam ac justissimam pietatem tuam. Ista com- 
pleta iterum incipiunt psallere antiphonam ad introitum, inde dicta 
a presbytero oratione de ipsa ordine pertinente, lectio legitur, et 
inde sequitur responsorium, et admonentur a diacono, ut exeant foras 
ita: catecumeni recedant : si quis calecumenus est, recedat: omnee. 
Catecumeni exeant foras: et sic egredientur infantes exspectantes 
pro foribus usque dum completa fuerint missarum solemnia.“ „Lecto 
utem evangelium offerunt matres eorum pro ipsis oblationes, et 
finitas missas communicant ipsae matres, vel clerus; et admunciet 


der Kirche von SSriren. 17 


bie übrigen Eeremonien mehr ober weniger erhalten. Rur 
bat die neuere Zeit in vielen Kirchen biefelben aus bem 


presbyter. qualem diem voluerit, ut revertantur, et facit similiter 
(zweites Srrutinium). Sequente vero hebdomada iterum wma die, 
qualem bresbyter adnunciaverit, similiter facit (drities Gccntinium). 
Tercía vero hebdomada similiter die, quam elegerit presbyter, facit 
aures apertionem (vielmehr: apertionem aurium); id est, veniunt 
ad ecclesiam , sicut prius, et vocant infantes in ecclesiam, sicut 
scripli sunt, ef statuuntur, sicut diximus, masculi ed dezieram, 
feminae a sinistris, et imponunt acoliti tres sicut dictum est, manus 
super eos, et inde similiter presbyter hoc facto accedit ante altare; 
et canent antiphonam ad Introitum, et inde leguntur lectiones duae, 
quas in capitulare commememorat, et secuntur responsoria. lude 
leguntur initia quatuor evangeliorum cum expositionibus suis et 
inde tradit presbyler orationem. dominicam et symbolum. ...; 
Hoc finito admonentur a diacono, iterum hoc modo: Catecumeni rece- 
dant: si quis catecumenus est, recedat. Omnes catecumeni exeant, et 
recedant; etexeunt foras de ecclesia exspectantes pro foribus donec 
consumentur missarum solemnia, et tunc offerunt matres eorum oblatio- 
nes pro ipsis, ot finitas missas communicant ipsae matres, vel qui ipsos 
infantes suscepturi sunt^ (viertes Grrutinium). Iterum adnunciat eis 
presbyter, qualem diem ipse judicaverit, ut revertantur in scrutinium. 
Tta tamen pensandum est, uf a primo ecrutinio usque in sabbato sencto 
septem vicibus hoc fiat: id est in prima hebdomada duabus vici- 
bus, in secunda. unà, inde in tertia dusbus, in quinta vero, quae 
est ullima, sterum, duabus. In ipsa. autem novissima, quod est 
in Sabbelo sco, quando ad fontes debent accedere, -catacísat eos 
presbyter his verbis: Nec te latet satanas. Inde tangit ipse presby- 
ter de oleo benedicto pectus infantum, facions bis.crucem in eorum 
pectus dicendo: Abrenuncias tu falis salans, et omnibus operibus | 
tjus? Respondent circumstantes: Abrenunciat: et inde tertiam cru- 
cem inter scapulas similiter dicendo: et omnibus pompis ejust 
etiterum respondent: Abrenunciat. Inde tangit de saliba ori, sin- 
gulorum nares et aures; et dicit secrele in aures ipsorum: Effela, 
4uod. est aperire et iterum ambulat decantandö super capita ipsorum: 
Credo in unum Deum. Sicque intrant ad benedicendum fontes, et 
baptizantur per ordinem, idem .masculi prius, et feminae posterius, 
Inde postea tenent missas ipsi infantes, et offerunt ipsi infantea-oh« 
lationes, et commaunicant omnes, vel parentes, atque patri Bäp» 
Sco. Ouartalſchrift. 1853. I. Heft- 2 








18 Ordo baptisterii 


Zufammengehang geriffen unb willkuͤhrlich oft aud) völlig 
ohne Sinn an einander gereift. Was unfern alten ordo 
baptisterii betrifft, fo enthält er noch alle Gebete, Exor⸗ 
cismen und Geremonien, welche oben nad) bem Gelafianum 
befchrieben worden find, mit Ausnafme des einzigen Unter- 
richte. 


3. Die SaufBanblung. 

Am Tage, welcher zur Taufe beſtimmt war, mußten 
die Täuflinge das letzte Scrutinium beftehen. Nur 
zwei Male im Jahre pflegte die Tateinifhe Kirche nad) 
uraltem Gebraud) bie heil. Taufe zu ertheilen, wenn nicht 
brüngenbe Roth eine Ausnahme erforderte. Diefe feier 
lien Taufzelten waren bie Borabende des DOfter- 
und Pfingfifeftes". Um die neunte Stunde Vormit⸗ 
tags mußten bie Täuflinge in ber Kirche erſcheinen unb 
ber Reihe nad), wie ihre Namen beim erſten Serutinium 
gefärieben waren, fih aufftellen — bie des männlichen 


tizati autem infantes, si ad praesens possunt episcopum habere, con- 
firmari cum crisma debent. Quod si ipsa die minime episcopum. 
invenire potuerint, in quantum celerius possunt invenire, hoc sine 
dilatione efficiant, et in ipsis diebus octo paschae, quamdiu in albis 
eynt, cottidie debent offerre oblationes fpsi infantes, et missas tenere, 
et communicare." 1. c. pag. 171 “4. 

1) Unter ben liturgifjen Denfmälern, welche Gerbert gefammelt 
Bat, meldet das oben genannte Capitulare ordinis ecclesiastici unb 
zwar mur biefes allein, daß aud) am Vorabend bet Epiphania Domini 
die h. Taufe feierlich ertheilt worben ſel. Damit ſtimmt aud) eiu Brief 
Karls b. ©. an Garibalb Jf. von Lüttich (am ber Maas) 
überein, woraus @erbert bie betreffende Stelle mitgetheilt Bat (Vet. Li- 
turgia' Alemann. Disquis. V. cap. 1. Nr. XVIIL). Die Exthellung ber 
5. Taufe am fBotabenbe ver Epiphanie war bemnad) audy in Deut ſch⸗ 
land mehr ober weniger üblich, bie im 8. und 9. Jahrhundert mit ber 
allgemeinen Verbreitung der roͤmiſchen Liturgie fid) bie feierliche Taufzeit 
auf die Vigillen des Ὅβετ und Pfingfifeftes ſich beſcheaͤnkte. 


der Kirche von Brirxen. 49 


Geſchlechtes zur rechten, bie des weiblichen zur linken Seite. 
Dann trat ein Priefter hinzu, bezeichnete jeden einzeln mit 
dem Zeichen des ἢ. Kreuzes und fprad) mit aufgelegten 
Hänven über alle bie Oration: Nec te latet salanss eic. 
Hierauf folgte die apertio aurium, dann bie Gal« 
bung mit bem Dele, enbli bie Abfhwärung bes 
Satans unb bie Abbetung des Blaubensbefennt«- 
niffes oder die redditio symboli. Die Katechumenen 
wurden nun aus ber Kirche entlaffen. 

Um die dritte Stunde Nachmittags begann wieder bie 
Siturgie. Auf bie feierlihe Weihe der Oſterkerze 
folgten bie Lefungen aus ber B. Schrift mit ben baju 
gehörigen Gebeten, nad) deren Vollendung fid ber Biſchof 
von zwei Diafonen geftügt zum Taufbrunnen begab, wo 
die ftatedjumenen bereits verfammelt waren unb nad) ge» 
füchener Wafferweihe getauft wurden. Der Taufe 
ging ein kurzes Befenntniß des deifiliden Glau— 
bens voran. Nach derſelben geſchah in ber lateiniſchen 
Kirche bie Salbung des Scheitels burd ben Pries 
fer. Das Haupt des Gefalbten wurde mit einem Fleinen 
S$üppden bebedt; ein weißes Kleid hüllte den Neuges 
bornen ein, weldher dann in biefem Feiergewande bie B. 
Communion und vom anwefenben Bifhof bie f. Sire 
mung empfing ). Im Verlaufe des 11. Jahrhunderts 
ift bie Gepflogenheit der feierlichen Taufzeiten und, mit 
derſelben aud) bie feierliche Taufe der alten Kite 
verſchwunden, bie Geremonien und Gebete jebod) find in 
ben Taufordines gamz ober zum Theil erhalten worden. 


1) Nach dem Gelafianum, Gregorianum und ordo roma- 
wus I. in bet Liturgia rom. vet. ed. Murator. T. I. 563 — 57, 
T. HW. 61 —65, 155 — 158, 996 oq. 

2* 


20 Ordo baptisterii 


Der nadfolgenbe ordo baptisterii flammt, wie id 
Thon im Eingang bemerkt habe, aus bem 12. oder 13. Jahre 
hundert und war im ber Diöcefe Briren gebraͤuchlich bis 
zum Beginn des 17. Jahrhunderts, um welche Zeit er 
einem Fürgern, aber eben nicht gluͤcklich zufammengefeßten, 
flag machte. Der Inhalt und bie Zufammenftellung unfers 
ordo baptisterü, in welchem, mit wenigen Ausnahmen, 
alle Gebete unb Geremonien, und zwar in der 
námliden Ordnung, wie fie im Gelafianum und 
Gregorianum erſcheinen, einfad) an einander gereiht 
find, führen in jene Zeit zurüd, da nicht lange vorher bie 
feierliche Taufe verſchwunden war. Die nähere Unterfus 
dung zeigt bie Uebereinſtimmung mit ber cómi» 
fden und afemanni[den Liturgie. Die Gobiceó, 
mit welchen id) unfern ordo baptisterii verglichen habe, find: 

1. Das Gacramentarium bes Papſtes Gela» 
fius nad) ber Ausgabe des Muratori: Liturgia Rom. 
vet. T. 1. 533. sq. 563 sq. 

2. Das Sarramentarium des Papftes Gre» 
gorius unb mar fowohl nach ber Recenfion des codez 
Vaticanus als aud) nad) der des codes Othobonianus. 
Beide ftammen aus ber erften Zeit des 9. Jahrhunderts 
und find von Muratori herausgegeben worben : Litur- 
gia Rom. vet. T. II. 60 sq. 152 sq. 

3. Das alte Sacramentarium von Rheinau 
aus bem 8. Jahrhundert, welhes Gerbert veröffentlicht 
hat: Monum. vet. Liturgiae Alemann. Tom. I. 249—255. 

4. Ein Taufordo vom 10. Jahrhundert in der 
faif. Bibliothek zu Wien, herausgegeben von Gerbert: 
Monum. vet. Liturgiae Alemann. T. II. 5 sq. 

Der Kürze wegen bezeichne ih das Gelafianum 


der Kirche von Briren. 2 


mit L; das Gregorianum mit IL und zwar nad) ber 
Recenfion des cod. Vatic. mit Ilv. und nad ber Recens 
fion des cod. Othobon. mit Πο.; ba$ Sarramentarium von 
Rheinau mit IM. und ben Sauforbo aus bem 10. Jahr 
hundert mit IV. Diefe Ziffern brüden aut) bie Weberein- 
ſtimmung unfers ordo baptisterii mit den betreffenden co- 
dices aus. Unbedeutende Varianten wurben nicht beachtet. 


Incipit ordo baptisterii In nomine domini ἢ). 


Abrenuncias sathane. Abrenuncio. IV. 

Et omnibus operibus ejus. Abrenuncio. IV. 

Et omnibus pompis ejus. Abrenuncio. IV. 

Credis in deum patrem omnipotentem creatorem coeli et 
terre. Credo. 

Credis et in jesum christum, filium ejus unicum dominum 
nostrum natum et passum. Credo. . 
Credis et in spiritum sanctum sanctam ecclesiam catholi- 
cam sanctorum comunionem remissionem peccatorum 
carnis resurrectionem et vitam aeternam post mortem. 

Credo. 


Tunc sufflet in eum dicens. IV.?). 


Exi sathanas da honorem deo vivo et vero. redde hono- 
rem jesu christo filio ejus et spiritui sancto paraclito 3). 


1) IV. Hat die Rubrif: Primum vero ante jenuas ecclesiae pres- 
byler incipiat sacramentum beplismatis ia dicendo: Abrenuntias 
satane etc. 

2) Mit bem Beifap: tribus vicibus in faciem ejus. 

3) IV. gebraucht Hier eine ben Worten nach abweichende Formel: 
Recede diabole ab hac imagine dei increpalus ab eo et da locum 
epiritui Sancto. 


2 Ordo baplisterii 


Tunc cum pollice faciat crucem in frontem 
ejus. IV. 


Signum sancle crucis domini nostri jesu in frontem tuam 
pono. IV. ᾿ 


In pectore faciat crucem. IV. 


Signum salvatoris domini nostri jesu christi in pectus tuum 
: pono. IV. ] 
Oratio "). 

Accipe signum crucis domini nostri jesu christi tam in 
corde quam in fronte sume fidem celestium preceptorum 
talis esto moribus ut templum dei jam esse possi 
ingressus- (a-) que ecclesiam dei. evasisse te laqueos 
morlis letus (a) agnosce. horresce ydola respue symu- 
lachra. cole deum patrem omnipotentem. et in jesum 
christum filium ejus qui in trinitate perfecta vivit et 
regnat deus. p. o. s. I. III. IV. ?). 


Oratio 3). 
Omnipotens sempiterne deus pater domini nostri jesu christi. 


1) I, II. n. IV. ſchreiben fiet bie Auflegung ber Hände vor. 

2) lu. HL haben mod bie Oration: Te deprecor Domine, 
sancte pater, omnipotens aeterne Deus, ut huic famulo tuo etc. dann 
bie Darreihung bes Salzes mit ber Oration: Domine sancte 
pater omnipotens aeterne Deus, qui es et eras etc. IV. hat ebenfalls 
eine zweite Oration: Te deprecor Domine sancte Pater, etc. und nod) 
eine britte: Preces nostras quaesumus Domine clementer exaudi etc. 
Daß übrigens mit unferm ordo baptisterii das Gelaftanum unb folge 
lich aud) das aus biefem entlehnte alte Gacramentar von Rheinan 
im BWefentlichen übereinftimme, zeigen bie oben (S. 10, tote 1) angeführten 
Auszüge. Her endet der erſte Haupttheil des alten Taufritus, nämlich 
vie Aufnahme in das Katehumenat. 

3) L. u. II. fügen bei: super electos. Mit diefer Dration begine 


der Kirche von Brixen. 23 


respicere dignare super hunc famulum tuum (hanc 
famulam iuam) quem (quam) ad rudimenta fidei vocare 
dignatus es. et omnem cecilatem cordis ab eo (ea), 
repelle. dirumpe omnes laqueos sathane -quibus fuerat 
alligatus (alligata) aperi ei domine januam tue pieta- 
tis. ut signo sapientie tue imbutus (imbuta) omnium 
cupiditatum fetoribus careat. e ad suavem odorem 
preceptorum tuorum letus (leta). tibi in ecclesia tua 
deserviat. et proficiat de die in diem. ut ydoneus 
(ydonea) efficiatur accedere ad graciam baptismi tui 
percepta medicina. P. 1. Ilv. Ilo. IL IV. !). 


Oratio. 


Preces nostras quesumus domine clementer exaudi. et 
hunc electum tuum (hanc electam tuam) crucis domi- 
mice cujus impressione eum (eam) signamus. virtule 
custodi. ut magnitudinis glorie tue rudimenta ser- 
vans per custodiam mandatorum tuorum ad regenera- 
cionis gloriam pervenire mereatur. Per. 1. IIo. IV. ?). 


Incipit exorcismus salis dandi catecuminis ?). 
Exorcizo te ereatura salis in nomine patris omnipotentis. 


nen ble Scrutinien, ober ber zweite Haupttheil des alten Taufe 
ritus. Die feierliche Anfündigung derfelben, wie fie im Gelaflanum vore 

^ fommt, Babe ich ſchon oben (S. 13, Note 1) angeführt. Ganz die nám« 
lide Stubrif wirb audj in II. vorgeſchrieben. 

1) lv. fat am Ende bie Bariamte: de die in diem signatus pro- 
missis gratiae tuae. Per D. N. J. Chr. filium tuum, qui venturus est 
judicare etc. 

2) IV. Hat biefe Oration im erften Tfeile (f. €. 22, 91.2) und in I. 
1. Ilo. findet ſich nod) eine dritte Dration: Deus qui humani generis ita 
es conditor etc. Abet adj Ilo. ifi die 2. unb 3. Dratiom ad libitum, 

3) Hier beginnt dad sacramentum salis. 


24 Ordo bsplisterii 


et im caritate domini nostri jesu christi et in virtute 
spiritus sancti. Exorcizo te per deum vivum. per deum 
sanctum. per deum verum. qui te ad tutelam humani 
generis procreavit et populo venienti ad credulitatem 
per servos consecrari precepit. (ut in nomine sancte 
trinitatis efficiaris salutare sacramentum ad effugandum 
inimicum '). proinde rogamus te dómine deus noster ?). 
ut hec creatura salis in nomine sancte trinitatis efficia- 
tur salutare sacramentum ad effugandum inimicum. quem 
tu domine sanctificando sanctifices (1) et benedicendo 
benedicas (i). ut fiat omnibus sumentibus perfecta 
medicina permanens in visceribus eorum in nómine 
domini nostri jesu christi. Qui venturus est judicare 
vivos et mortuos. I. IIo. 11. IV. 5). 

Benedic (4) domine deus creaturam hanc salis tua bene- 
diccione celesti in nomine domini nostri jesu christi. 
et in virtute spiritus sancti ad effugandum inimicum. 

Quem tu domine sanctificando sanctificas (1). et benedi- 
cendo benedicas (+). ut fiat omnibus sumentibus per- 
fecla medicina permanens in visceribus eorum. per 
eum qui venturus. lv. 


Post ea de ipso sale det infanti. 
Accipe salem sapientie ut habeas vitam eternam. Pax 
tecum. I. Hv. Ilo. III. IV. *). 


1) Die eingeflammerte Stelle fehlt in I. u. TI. 

2) Der Gobrr Ilo. liest: deus noster, ut hanc creaturam salis 
sanctificando sanctifices, benedicendo benedicas, ut fiat omnibus ac- 
cipientibus perfecta medicina etc. 

3) Ilv. hat anftatt des exorcismus salis nur ble folgende Dration, 
welche fid) aber in bem andern verglichenen Codices I, Ilo, II. u. IV. 
mist findet. 

4) Alle fünf verglichenen Gobite& Haben bie Variante: Accipe illo 


der Kirche von Brixen. 25 


Oratio!) 


Deus patrum nostrorum deus universe condilor veritatis 
te supplices exoramus. ut hunc famulum tuum (ut 
hanc famulam tuam) respicere digneris propicius. et 
'hoc primum pabulum salis gustantem. non diucius esu- 
rire permittas quominus repleatur cibo celesli. qua- 
lenus sit spiritu domini fervens spe gaudens. tuo no- 
mini semper serviens. perduc eum (eam) domine ad 
move regeneracionis lavacrum. ut cum fidelibus tuis 
promissionum tuarum elerna premia consequi merea- 
tur. Per. L Iv. Ho. IIL IV. - ^ 


Oratio Ὁ. 
Deus abraham. deus ysaac. deus jacob. deus qui Moysi 
famulo tuo in monte syna apparuisti et filios israel de 





sal sapientiae propitiatus in vitam aeternam; in IIv. fehlt bae Wort 
propitiatus ; IV. hat aud: Pax tecum. _ 

1) L I. Ho. u. IV. fegen beit poat salem datum. 

2) Mit diefem Gebete beginnen bie Grorciómen. In I. feft bie 
Rubrif: Item eworcismi super electos, quos Acolythi imposita manu 
super eos dicere debent. Das Nähere ift ſchon oben über blefen Ris 
tus, insbeſonders aus bem capitulare eccles. ordinis v. Gt. Blaſien 
(6. 15 Not. 3) gemeldet worden. Da von jedem der brei Aolpthen ein Grote 
dému& über die Täuflinge des männlichen Geſchlechtes und ein anderer 
über bie des weiblichen Geſchlechtes geſprochen wurde, fo folgten in beu 
alten Taufordines fedjó Grorciómen πα einander, am welche fid) 
das Schlußgebet super ambos, b. h. über alle Täuflinge beiberlei Gt» 
tes rete. Ich mache auf einen wichtigen Unterſchied des codez vatic. 
und bes codex othobon. aufmerffam. Der erfte hat, wie bie Verglei⸗ 
jung zeigen wirb, eigentlich nur einen Grorciómue, ber legte aber mit 
LM IV. und unferm ordo baptisterii alle ſechs Erorcismen. Der 
Codex vatic. gehörte wahrſcheinlich zu einer Kirche in Bom, ber otho- 
bon. aber diente einer Kirche in Paris nod) zu Seiten Karl b. ©. ober 
Ludwig b. Frommen und kann infoferne al verwanbt mit ber beutfdjen 
Kirche augeſehen werben. Vielleicht wird gerabe durch biefen Umftand 


26 Ordo baplisterii 


lerra egypti eduxisti. depulans eis angelum pietalis 
tue qui custodiret eos die ac nocte te quesumus do- 
mine. ul mittere digneris angelum sanctum tuum ut 
Similiter custodiat et hunc famulum tuum (hanc famu- 
lam tuam). et perducas eum (eam) ad gratiam bap- 
tismi tui. Per. I. Ilv. Ilo. IIL IV. 


Oratio !). 

Ergo maledicte diabole recognosce sentenciam tuam et da 
honorem deo vivo et vero da honorem jesu christo 
filio ejus et spiritui sancto paraclyto et recede ab hoc 
famulo tuo (hac famula tua) *) quia istum (istam) sibi 
deus et dominus noster jesus christus ad suam sanc- 
tam graciam et benediccionem fontemque baptismatis 
vocare dignatus est. et hoc signum sancte crucis, quod 
nos damus in fronti ejus tu maledicte nunquam audeas 
violare. Per. I. Ilv. IIo. ΠΙ. IV. 


ber zwifchen bem zwei Codicis obwaltende Unterfchieb einerfeits und bie 
Uchereinftimmung mit ben beutfchen Tauforbines anberfeits erklärt. Hier 
ifi aud) noch ju bemerfen, baf I. u. II. in ben folgenden Erorcismen 
durchaus in ber dielfachen Zahl: hos famulos tuos has famulas tuas etc. ; 
Ilv, Ilo. unb IV. aber in ber einfachen Zahl reden, unb bie Grorciemen 
in Hv, Ho. umb IV., wie in unferm ordo baptisterii vom taufenben 
Briefter aefproden werben. Der folgende Grovcióému& wurde über bie 
Täuflinge männlichen Geſchlechtes gefprodhen. Hier trägt unfer ordo 
baptisterii, wie an andern Stellen, feine gramatifalifchen Unrichtigfeiten 
zur Schau, indem er, neben hunc famulum tuum nodj hanc famulam 
tuam fet. Auch mit ber Zahl wechfelt er nach Belieben. 

1) Konnte nur von einem umwiffenben Abſchreiber hieher gefebt 
werben, ba das Folgende ber Schluß des erften Grotciómué ift. 

2) Sollte fiehen: ab hoc famulo Dei. Πν. hat die Variante: fa- 
mulo Dei, quem Deus et dominus noster ad suam gratiam et bene- 
dictionem vocare $e 


der Kirche von Briren. 22 


Super feminas. Oratio. 


Deus celi et terre deus angelorum deus archangelorum. 
deus prophetarum. deus apostolorum, deus martyrum. 
deus confessorum. deus virginum !). deus omnium bene 
vivencium. deus cui omnis lingua confiteatur. celes- 
tium. terrestium et infernorum. te invoco domine super 
hanc famulam tuam ?) perducere digneris ad graciam 
baptismi tui. Per. Ergo maledicte. I. Ilo. III. IV. 


Super masculos. 


Deus inmortale presidium omnium postulancium. liberacio 
supplicum pax rogancium. vita credencium resurreccio 
mortuorum. te invoco super hunc famulum tuum (hos 
famulos tuos) qui baptismi tui donum petens. eterna 
consequi graciam spiritali regeneracione desiderat. ac- 
cipe eum domine quia dignatus es dicere petite et ac- 
cipietis querite et invenietis pulsate et aperietur vobis. 
petenti ilaque premium porrige et januam pulsanti pande. 
ut eternam benediccionem lavacri celestis (consecutus 
promissa tui muneris regna) percipiant. Per. Ergo 
maledicte Ilv. IIo. 3). 


1) Deus apostolorum, Deus confessorum fehlt in I, Io. u. IL; 
chenfails Deus virginum in I. 

2) ut eam vom Abſchreiber weggelaffen. 

3) Die Gobices TIv. und Ilo. Haben beu eingeflammerten Tert nicht. 
Diefe ganze Oration fammt bem roreism.: Ergo maledicte fehlt in 
Lu. HL, welche dafür ben Erorcismus; Audi maledicte sathanas etc. 
haben. Diefer námlide Groreismus findet fich aud) in Io. nad} ber 
Oration: Deus immortale praesidium folgend anfatt des gewöhnlichen: 
Ergo maledicte. 3m Gober Ilv. folgt gar fein Grozciém, 
mehr. IV. hat die Oration: Deus immortale praesidium nicht, wohl 
aber dafür ble zwei Erorrismen: Audi maledicte und Ergo maledicte. 


28 Ordo baplisterii 
Super feminas. 


Deus abraham. deus ysaac. deus jaéob. deus qui tribus 
israel (de egypcia servitute liberasti per moysen famu- 
lum tuum de custodia mandatorum tuorum in deserto) ') 
monuisti. et susannam de falso crimine liberasti. te 
supplex deprecor domine. ut liberes has famulas tuas. 
et perducere digneris ad graciam baptismi tui. Per. 
Ergo maledicte. I. Ilo. III. IV. τ 

Super masculos. 

Exorciso te inmunde spiritus. in nomine patris et filii et 
Spiritus sancli. ut recedas ab hiis famulis dei. ipse 
enim tibi imperat maledicte dampnate qui pedibus super 
le?) ambulavit et petro mergente dexteram porrexit. 
Ergo maledicte. I. IIo. II. IV. 


Super feminas. 


Exorcizo te inmunde spiritus. per patrem. et filium. et 
Spiritum sanctum. ut exeas et recedas ab hiis famu— 
labus dei. ipse enim tibi imperat maledicte dampnate. 
qui ceco nato oculos aperuit. et quatriduanum lazarum 
de monumento suscitavit. Per. Ergo maledicte. I. Ilo. 
I. I. 

Super ambos ?). 

Eternam ac justissimam pietatem tuam deprecor domine 
sancte pater ommipotens eterne deus luminis et veri- 
latis super hunc famulum el famulam tuam ut digneris 
eos illuminare lumine intelligencie tie munda et sanc- 


1) Der eingeflammerte Tert fehlt in 1. u. III. 
2) Sollte fein: super mare. 
3) I. fat: Sequitur oratio, quam sacerdos dicere debet. 





der Kirche von Brixen. 29 


tifica. da eis scienciam veram. ut digni efficiantur ac- 
cedere ad graciam baptismi tui. teneantque firmam 
spem. consilium rectum. doctrinam sanctam. ut apti 
sint ad percipiendam graciam tuam. Per christum. I. 
Ilv. Ilo. Ill. IV. 1). 


Hic introducantur pueriin ecclesiam et ponat 
presbyter manus super capita infantum et dicat 
symbolum et dominicam orationem. Sequi- 
tur Oratio 3). 


Nec te lateat sathanas iminere tibi penas iminere tibi tor- 
menta. diem judicii diem supplicii. diem qui venturus 
est velut clybanus ardens in quo tibi alque universis 
angelis tuis preparatus sempiternus eri interitus. et 
ideo pro tua nequicia dampnate atque dampnande. da 


1) Ilv. und Ho. Iefen: ad percipiendam gratiam baptismi tui, 
Nach den Grotciómen, welche hier enbeu, folgte bie traditio symboli et 
orationis dominicae. In L liest man folgende Rubriken: Incipit ex- 
pesitione evangeliorum in aurium apertionem ad electos. — Incipit 
praefatio symboli ad electos. — Item praefatio orationis dominicae. . 
Bon diefem Ritus findet fid) in unferm ordo baptisterii noch eim Ueber⸗ 
bleibfel, ba bie mun folgende Rubrik die Aobetung des Symbolum 
„und Bater unfer“ anorbnet. 

2) Mit dieſer Dration begann’ das legte Gcrutinium (red- 
ditio symboli) am Vorabende des Ofterfefles. Das Gelafianum unb 
mit biefem übereinftimmend ber Codex othobon. unb ba6 alte Sacra⸗ 
mentat vonStfeinau melben: Sabbatorum die mane reddunt in- 
fantes symbolum. .Prius catechizas eos, imposita super capita eorum. 
manu, his verbis: Nec te latet etc. Der Tauforbo IV. enthält nadj 
den Grorciómen eine Perifope ans bem Evangelium des h. Matthäus. — 
In illo tempore oblati sunt Jesu parvuli etc., bann bie Mbbetung bes 
Glaubensbefenntniffes unb bes Bater unfer unter Sufíee 
gung ber Hände, endlich: Neo te latet; aber bic Ginführung ἐπ 
bie icd e wird ετῇ nach bet apertio aurium unmittelbar vor 
der Waffermweihe angeorbnet. 


30 Ordo haptisterüi 

honorem deo vivo ei vero. da honorem jesu christo 
filio ejus et spiritui sancto paraclyto. in cujus nomine 
aique virtute precipio tibi quicunque es inmunde spi- 
ritus. ut exeas et recedas ab hoc famulo (ab hac 
famula) dei quem (quam) hodie dominus noster jesus 
christus ad suam sanctam graciam el benediccionem 
fontemque baptismatis vocare dignatus est, ut fiat ejus 
templum per aquam regeneracionis in remissionem pec- 
atorum omnium in nomine domini nostri jesu christi. 
Qui venturus est judicare. I. IIv. IIo. III. IV. 


Deinde tangat aurem dextram de sputo IV. 
Effeta quod est adaperire. I. Ilv. IIo. III. IV. 


Ad nares IV. 
In odorem suavitatis. I. Iv. Io. III. IV. 


Ad aurem sinistram. IV. 
Tu autem effugere dyabole appropinquat enim judicium 
dei 1. Ilv. IIo. II. IV. 
Deinde dicat abrenunciant, 


Abrenuncias sathane? Abrenuncio. 
Et omnibus operibus ejus? Abrenuncio.) L Ilv. Ilo. III. 
Et omnibus pompis ejus? Abrenuncio. 


Deinde tangat ei pectus de oleo sancto et fa- 
ciat crucem cum pollice dicens. I. Ilv. IIo. IV. 


Fuge inmunde spirilus da honorem deo vivo et vero. 


Inter scapulas. 
Exi inmunde spiritus. da locum spiritui sancto. 


der Kirche von Brixen. 3 
In pectore. 
Et ego te lineo oleo salutis. IM. IV. 


Inter scapulas. 
In christo jesu domino nostro. HL. IV.!). 


Benediccio fontis. 
Dominus vobiscum. Et cum spiritu tuo. - 


Oratio. 


Ümnipotens sempiterne deus. adestó magne pielatis tue 
misteriis. adesto sacramentis οἱ ad creandos novos po- 
pulos quos tibi fons baptismatis parturit. spiritum ad- 
opcionis emitte. ut quod nostre humilitatis gerendum 
est. ministerio tuo virtutis impleatur effectu. Per. I. 
Ilv. Ilo. III. IV. 

Dominus vobiscum. Et cum. 

Sursum corda. Habemus ad. 

Gratias agamus. Dignum et.justum est'equum et salutare 

Nos tibi semper .et ubique graciss agere domine sancte 
pater omnipotens. eterne deüs. Qui invisibili potencia 
sacramentorum tuorum operaris effectum et licet nos 


1) Die Eobices I, Tlv. u. Ho. Haben bie Rubrik: Inde vero tan- 
get ei nares et aures. de sputo ei dicat ed aurem: Epheta quod 
est adaperire in odorem suavitatis. Tu autem effugare etc. Eben 
fo werben in allen Dreien bie Abſchwörungen und bie Gal» 
bung ber ruf unb bes Nadens vorgeſchrieben, aber fein Ges 
bet mit biefer verbunden. Eine fpätere Hand Hat in Mo. das Gebet 
jut Salbung beigefügt und darauf die Abbetung des Glau— 
bensbekenntniffes angemerkt, welche Iegtere aud) in I. u. ΠῚ. an 
diefe Stelle verfept ift. IV. Hat erft nach ber Waſſerweihe unmittele 
bar vor bet Taufe die Galbung mit bem betreffenden Gebet. 


32 Ordo baptisterii 


iantis misteriis exequendis simus indigni. tu tamen 
gracie tue dona non deserens. eciam ad nostras preces 
aures tue pietatis inclinas. Deus cujus spiritus super 
aquas inter ipsa mundi primordia ferebatur ut virtu- 
iem sanctificacionis aquarum natura conciperet. Deus 
qui nocentis mundi (crimina) per aquas abluens. 
regeneracionis species (m) in ipsa diluvii effusione 
signasti. ut unius ejusdemque elementi misterio. et 
finis esset viciis. et origo virtutibus. Respice domine 
in faciem ecclesie tue. et multiplica in ea regenera- 
= ciones tuas. Qui gracie tue affluentis. impetu lelificas 
civitatem tuam. fontemque baptismatis aperis toto orbe 
terrarum gentibus innovandis. ul tue majestatis imperig 
summat unigeniti tui graciam de spiritu sancto. Hic 
aquam manu tangat. Qui hanc aquam regenerandis 
hominibus preparatam. archana sui luminis admixcione 
fecundet. ut sanctificacione concepta ab inmaculato di- 
luvii 1) fontis utero in novam creaturam regenerata 
progenies celestis emergat. Et quos aut sexus in cor- 
pore. aut etas discernit in tempore. omnes in unam 
pariat graciam mater infanciam. I. Hv. Ilo. III. IV. 
Procul ergo hinc jubente (te) domine. omnis spiritus in- 
mundus abscedat. procul tota nequicia diabolice frau- 
dis absistat, nichil hic loci habeat contrarie virtutis ad- 
mixcio. non insidiando circumvolet. non latendo subripiat. 
non inficiendo corrumpat. Sit hec (i) sancta (iterum 
aquam manu tangat) el innocens crealura. libera ab 
omni inpugnatoris incursu. εἰ tocius nequicie purgata 
discessu. Sit fons (+) vivus. aqua (1) regenerans. 


1) Sollte wohl heißen: divini fonts, 


der Kirche von Briren. 83 


uuda (T) purificans ut omnes hoc lavaoro salulifero 
diluendi operandi (te) in eis spiritu sancto. perfecte 
purgacionis indulgenciam consequanter. Unde et be- 
nedico te creatura aque per deum vivum. per deum 
verum. per deum sanctum. per deum qui te in prin- 
cipio verbo separavit ab arida. (oujus spiritus super 
te ferebatur. qui te de paradyso manare (Hic dividat 
aquam 1) ') et in quatuor flumiriibus totam terram rigare 
precepit. qui te in deserto amaram suavitate indita fecit 
esse potabilem. et siclenti populo mel de petra produxit. 
Benedico (1) te per jesum christum filium ejus unicum 
dominum nostrum. qui te in chana galilee signo ad- 
mirabili sua potencia convertit in vinum. qui pedibus 
suis super te ambulavit. et a johanne in jordane bap- 
tizatus est, qui te una cum sanguine suo de lalere pro- 
duxit, et discipulis suis jussit, ut credentes baptizarentur 
in te dicens. Ite docete omnes gentes. baptizantes eos 
in nomine patris et filii et spiritus sancti (Hic muta 
vocem quasi leccionem legens). Haec nobis precepta 
servanlibus tu deus omnipotens clemens adesto. tu 
benignus aspira. tu has simplices aquas: tuo ore benedi- 
cito. ut preter naturalem emundacionem quam lavandis 
possint adhibere corporibus sint eciam purificandis men- 
libus efficaces. Per. (Hic mittantur cerei in fontem). 
Descendat in hanc plenitudinem fontis virtus spiritus 
sancti. (Et sufflet in fontem tribus vicibus 1). Totam- 
que hujus aque substantiam regenerandi fecundet effectu. 


1) Der eingeklammerte Text fehlt in L. m. EIL unb der Gober IV. 
lest: separavit ab arida, qui fa de paradiso. manare et in quatuor 
luminibus etc. 

Tbeol. Duartalfrift. 1959. I. Heft. 3 


84 Ordo baptisterii 


Hic omnium pecoatoram macule deleantur. Hic natura 
ad ymaginem tuam condita et ad honorem suí refor- 
mata princip cunctis vetustatis squaloribus emunde- 
tur. ut omnís bome hoo sacramentum regeneracionis in 
gressus in vere innocencie infencíam renasostur. Per 
dominum. I. liv. Ho. II. IV. !). 


Tunc baptizat infantem, primum voóato nomine. 


Quis vocaris? Hv. Ilo. 

Abrenuncias sathanae. Abrenuncio. 

Et omnibus operibus ejus? Abrenuncio. 

Ei omnibus pompis ejus? (Abrenunéio). 

Credis in deum patrem omnipotentem creétorem celi et 
terre? Credo. I. Ilv. Ilo, IV. 
Credis et in jesum christum filium ejus unicum dommum 
nostrum natum et passum ? Credo I. Ilv. llo. IV. 
Credis et in spiritum sanotum. sanctam ecclesiam eatholi- 
cam. (sanctorum oomunionem.) remissionem peocato- 
„ram, camis resurreccionem (et vitam eternam) Amen. 
Credo. I. Ilv. Ho. IV. ἢ. 

Quis vocaris? ut supra. ᾿ 


Iterum interroget infantem, 
Vis baptizari? Volo. IV. 





1) Das alte Sacramentar vont Beina u hat nichts weiter 
mehr als bie Rubrik; In ordine suo inde benedicto fonte baptisas 
unumquemque, worin jedoch alles in ben andern codices noch Bolgende 
enthalten iſt. In IV. ift am Schluß ber Wafferweige die Mifgung mit 
bem Ehrisma (infusio chrismatis) vorgefchrieben. Diefe findet fid auch 
im ordo Roman. L bei Muratoril. c. IL 999, obwohl weber das 
Gelafianum nod bad Öregorianum etwas bayon melden. 

2) Die eingeflammerten Stellen fehlen in L IIv. u. Io. 


der Kirche von Briren. 35 
Tribus vicibus dicat. Tunc baptizat infantem. 
Ego baptizo te in nomine patris et filii et spiritus sancti. 


Ilv. Ho. IV. - 
Hic linit infantem in frontem cum chrismate. 
L Ilv. Ilo. IV. 1). 

Oratio. 


Deus omnipotens. pater domini nostri jesu christi qui te 
regeneravit ex aqua et spirilu sancto. quique dedit 
libi remissionem omnium peccatorum, ipse te liniet 
chrismate salutis in vitam eternam. 1. Ilv. IIo. III IV. 5). 


Hic imponat et ei mitram dicens IV. 
Accipe vestem candidam sanctam. quam inmaculatam per- 
feras ante tribunal christi. ut habeas v vitam eternam, 
Amen. Pax tecum. IV. ? 


©. Sintfaufet, Regens der“ * " Domſchule 
wm D. Caſſian in Brixen. 


1) Die Taufformel ift als befaunt in einigen ber. ergligenen Gor 
Bis nit angegeben, die Calbung mit ten Gira sic In allen won 


ſchrieben. 

2) 1, Hi. u. IV. Haben: hrimate εοϊαιί in Christo Jam D... 
in vitam aeternam, 

3) Mit der Variante: sanctam et immaculatam , quam praeferas 
ante tribunal Christi in nomine s. Trinitatis. Amen. Darauf folgt in 
Vy, Hio. x. TV. Sie ehemals gebräuchliche Darreichung ber * tonii 
en bie Getauften. 


2. 
gur Apologie und Geſchichte des Gebetes. 


Das Innere des Einzelnen, wie ganzer Voͤlker hat 

von jeher das Gebet gegen die Anfechtungen Zweifelnder 
vertheidigt. 
Der Menſch ift abhängig nicht blos von zweiten lire 
ſachen, ſondern aud) von, Gott, ber erſten und legten 
Urſache. Dies ward, wenn nicht Har unb richtig erfannt, 
bod) gefühlt. Was ig natürlicher, als daß diefe Ab» 
hängigfeit, das Tiefgefühlte in Worte ausbriht? Und 
was ift bie Aeußerung biefer Abhängigfeit als Gebet? 

SBebürfnif und Mangelhaftigkeit Iaften auf allen Bes 
firebungen. Alles ift Mahnung an unfere Unvollfommen- 
heit. Und doch if ber menſchlichen Bruft bie Sehnſucht 
mitgegeben nad) leiblicher wie geiftiger Volllommenheit. 
Diefer Drang ift die Quelle aller Mühen, aller Hoffnuns 
gen, aller Schmerzen und damit ber Lehrer des Gebetes. 
Denn wer foll ben Mangel beden, das SBebürfnif bes 
friedigen, das Unvollfommene vollfommen maden? Das 
Gebet ift, um mit Ehryfoftomus zu fprechen, das Werkzeug 
der Werkzeuge des geiftigen Lebens, bie Hand des Geiftes. 

Aber eben biefer Drang nad Bollfommenheit mahnte 
daran, daß im Menfchen etwas über das unvollfommene 
Irdiſche Hinausreichendes [ebt, erinnerte an die Verwandt⸗ 


Zur Apologte und Geſchichte des Gebete. 37 


ſchaft mit bem Höchften, bie Gottaͤhnlichleit. Und wie das 
Beduͤrfniß, fo wird aud) biefe Berwanbifhaft, al$ Zug 
der Liebe, von: {εἶδ zum Gebete. 

So if ber Menſch zu feinem Schöpfer, feinem Gr» 
gänzer, feinem Bater in Bezug gefebt. Sein Gefühl, fein 
Inneres wird zum Worte, zum Gebet won {εἶδ und bie 
Golgen, welche er davon fieht, bie zum Theil nod) unten 
befprochen werben, fónnen ihn nur beflärfen. Der im 
Gebete geftillte Drang erfuͤllt mit Beruhigung, Frieden 
und Erhebung, mit Froͤhlichleit und Srof. Gleichfalls 
fubjectiper Gewinn ift eó, baf. das unabweishare Ber- 
haͤltniß zur Gottheit mit jebem neuen. Gebete flarer unb 
inniger für den Beter felbft wird. Aber das Beifpiel ber 
Anketung, beó Vertrauens, der Demuth, der Liebe 1c., 
weldes ber Betende Andern giebt, ift aud) von objectibem 
Erfolge, fördert aud) die Klarheit und Smnigfeit Anderer 
und erhält-die Weberlieferung der Gotteserfenntniß, Got⸗ 
tesfurcht ıc. Das Gebet it tägliches Zeugniß der Religion. 

Eine lange Reihe von Völkern unb Denfern hat feit 
Anfang alles bie&. gefühlt. Stäublin (Geſchichte ber Vor⸗ 
ſtellungen unb Lehren von bem Gebete, Göttingen 1824. 8) 
bat viele Anſichten aus bem Beibnijfen unb chriſtlichen 
Alterthume, wie aus ber fpäteren Zeit zufammengeftellt. 
Sofrates betete, nad) Zenophon, blos um das Gute. Die 
Gottheit, meinte der Weife, müßte fon, was gut fei; 
wer um Gold, Silber, Macht bete, bete um Unſicheres, 
Ungewiffes. Platon bemerft von den Spartanern, fie 
hätten bie Götter blos angefleht, bie guten Handlungen 
iu fegnen und zu belohnen. Er erzählt, ein alter Dichter 
babe das Gebet gelehrt: „Zeus, (dente uns das Befte, 
τοῖς mögen barum bitten ober nicht! Das Meble aber 


38 . . Bur. Apologie 


laß ferne fein, wenn wir aud) barum bitten!® Nur Weife, 
glaubte diefer, koͤnnten beftimmt beten, weil fte ‚allein eins 
fähen, was wahrhaft nüglid) fei. Derfelbe Philofoph laßt 
feinen Lehrer Sofrates beten um Schönheit im Innern und 
um Befreundung alles Aeußern mit.biefem Innern. Herodot 
erzählt von ben Perfern, baf Feiner für fld) allein betete, 
fondern jeder zugleich für Alle. Zenophon laͤßt in ber 
Eyropädie den Perferkönig Eambyfes fagen: „Wir müflen 
erſt felbft Hand anlegen und bann Gott um gute Gaben 
anflehen.” Dies find Ausfprühe aus ber Blüthezeit der 
griechiſchen Philofophie (407 bi8 340 vor Chriftus). 3n 
fpäterer Zeit finden wir bie Stoiker und Reuplatonifer. 
Arrian, der Gefhhichtfähreiber, führt als Gebet der Stoifer 
folgende Worte an: „Verfahre mit mir, o Gett, nath 
deinem Wohlgefalen! Ich flimme bir bei, ἰῷ bin bein!“ 
Kaifer Antoninus bemerkte, man folle nicht um Abwendung 
des Verluſtes beten, fondern darum, daß man feinen 
Berluft fürchte. Seneca lehrte, man folle nicht um Dinge 
beten, um bie zu beten man fid) vor Menſchen fijeue. 
Apollonius von Tyana, Jever folle um dasjenige beten, 
was {hm gebübte. 

Ein breiter Strom von Lehren und Anfichten biefer 
Art zieht fi) fo durch das heidniſche Alterthum bis zu 
bem Punkte, wo der Zorn über den Verfall des Beſſern 
fid) in bie Satyre rettet (Juvenalis, Sat. 10. 346. Persius, 
Satyr. 2. 5). Allen liegt bie Ueberzeugung ber Naturs 
gemäßheit und Siotfwenbigfeit des Gebetes zu Grunde. 
Und auf der andern Geite belehren uns außerordentlich 
viele Bibelftellen von ber Gebetsdurchdrungenheit bes iſrae⸗ 
litiſchen Volles. . 

Aber jener Meberzeugung gegenüber zeigen fid aud) 


und Geſchichte des Gebete, 39 


Thon bei Marimus Tyrius, weder unter ben beiden 
Antoninen und Commodus, um 200 nad) Chriſtus, lebte, 
die Einwürfe gegen das Gebet, welche fid) feifbem bei 
Chubb, Kant und Andern öfter wiederholt haben. Soll 
Gott. feine Beihlüfle, feinen Willen ändern, wenn ihn 
der Sterbliche barum bittet? Wie kann er fi ändern, 
da jede Veränderung einen llebergang vom Guten zum 
Böfen, ober umgekehrt einſchließt, während Gott ſteta beim 
Guten: fiehen bleibt, ob der Menfch betet, oder nicht betet? 
Und was foll das Gebet bei Gott, dem Gerechten, bem 
Wohlthaͤtigen erreichen? Was der Menſch verdient, muß 
ihm Gott, vermöge feiner Gerechtigkeit ungebeten geben; 
was jener night verdient, Tann ber Gerechte nicht geben. 
Sol Gott das Wohl des Ganzen auf Koſten des Einzela 
nen fehmälern? Zu was braucht Gott unfte Anerkennung 
in Bortgebeten? Zu was follen wir. bem Allwiſſenden 
vorbeten, ber umfre Bepuͤrfuiſſe fennt? Zu. was follen 
wir ibn gfeichfam mahnen, als ob ihm Aufmerffamteit 
und Willen fehlten? Soll Gott jeden. Yugenblid ben 
Zufommenhang ber Dinge auf unfer. Gebet burd) ein 
Wunder unterbreihen? Warum erhört er das Gebet fo 
oft nicht 1c. ? 

Diefe und ähnliche Fragen und Zweifel oben ſeit⸗ 
bem die Denkenden beſchaͤftigt und beunruhigt. Die Per 
riode des Gefuͤhles iſt geſchloſſen und die Religionslehrer 
wie Philoſophen haben die Aufgabe, das Gefuͤhlte wiſſen⸗ 
ſchaftlich zu rechtfertigen und begreiflich zu machen. Es 
iR hiebei ein doppelter Standpunkt möglich: ber bes poſi⸗ 
tiven Glaubens und ber ber Vernunft. Der erftere ift 
mit Fleiß und Geſchick von mehreren Theologen, juͤdiſchen 
wie chriſtlichen, eingenommen worden. Dom lepteren 





40 Zur Apologie 


Standpunkte aus i aber biß jet bie Apologie des Gies 
betes mit weniger Grfolg verfud)t worden. 

Wer dies legtere verfuchen will, muß offenbar auf 
bie ganze S3efdjaffenfeit des Lebens Gottes im Menfchen 
zurüdgehen unb bie legten Urſachen der Andacht auffudjen. 
Denn Gefühld » oder Gedanken» ober Wortandacht 'ift 
jedes Gebet. Dies heißt aber nad) dem Zuſammenwirken 
göttlicher und menſchlicher Urſachen, nad) ihrer Stärfe und 
Priorität, oder Nachfolge, und mad) ihrer Mobiftcation 
burd) bie Individuation forfhen, wie das Folgende ans 
deuten mag, wobei id) im Voraus auf Bonaventura (2. dist. 
37. art. 1. quaest, 1), Bellarmin, das reichhaltige Buch 
von Raynaubus (Examen novae theologiae etc.), Alvarez 
(Disp. 22. lib. 3. de auxiliis) und auf bie befannte, vom 
thomiftifhen Standpunfte ausgehende Stelle des Cate- 
chismus romanus vermeife: Non solum autem Deus uni- 
versa quae sunt providentia sua tuetur, atque administrat, 
verum eliam quae moventur et agunt aliquid intima vir- 
tute ad motum alque aclionem ita impellit, ut, quamvis 
causgrum secundarum efficientiam nón impediat, prae- 
veniat tamen, cum ejus occullissima vis ad singula per- 
lingat etc. 

Wenn wir bie Andacht näher erforfhen, fo fpringt 
ung vor Allem in bie Migen, baf hier blefe geheime, von 
den Angeführten fo fehr betonte, vorausgehende göttliche 
Kraft weit mehr ift, als bie menſchliche Seele felbft. Die 
Andacht fommt bem Menfchen, er wird andädhtig, fie ift 
feine willfürlide Selbftbeftimmung. Denn wozu fonft das 
Gebet um Andacht, ober um eine andere Art von Gebet, 
um bie Subrunft, um bie Befreiung von der Trodenheit, 
vom Gefühle des Verlaffenfeins? Die Taufhung, ale 


und Geſchichte bed Gebetes. 4 


ob ber Stenjd bei bem wahren Gebete der Gingebung 
baar und ledig, als ob er activ wäre, rührt aus zwei 
Urſachen her. Entweder hat man ben erften Anſtoß und 
göttlichen Einfluß vergefien, bie erfle verurfachende Wirs 
fung ift in ben Hintergrund getreten. Ober man nimmt 
die Begrenzung, welche aus ber Individuation des Mens 
ſchen entfebt, bie Modification, welche der göttliche all⸗ 
gemeine Einfluß burd) das Einzelmefen erleidet, welches 
gleihfam wie ein Gefäß nur Begrenztes aus bem göttlis 
den Ocean faffen kann, für Aetivität. Hiegegen fpricht 
die Berpflihtung zum Gebete nicht, denn dieſe geht auf 
Unterhaltung der Flämme, bezwedt Grfenntnif (In oratione 
cognosce, unde accipies. August.) Philipp. 2, 13; Roͤm. 
8, 26; 2. Br. a. b. Kor. 3, 5; Joh. 15, 5. 

Auf biefe Art if Gott Factor des Gebete& — wir 
innen ihn mit altphilofophifhem Ausdrude ble orm ber 
betenden Seele nennen — der Menſch dagegen ift bie 
materiale lirfadje. Borm nannte man nämlich dasjenige, 
wodurch etwas eben das if, was εὖ ift; Materie bad» 
jenige, ‘woraus etwas wird. Des Menfhen Thätigkeit 
verhäft fid) zur Thätigfeit Gottes beim Gebete, wie, um 
ariftotelifche Ausprüde zu brauchen, die Möglichkeit zur 
Wirklichkeit. Damit ift das Gebet als eigentliche Wirs 
tung Gottes hingefellt. Denn wenn es etwas Zufam- 
mengefeptes ift, wenn ihm zwei Urſachen zu Grunde liegen, 
fo liegt folgender metaphyfifcher Beweis vor. Wirfung 
der form ift, was von ber Form verurfaht wird; das 
Sufammengefegte wird aber von ber Form verurfacht in 
feiner Art, weil bie Form e& if, moburd) das Zufammens 
geſehte ift, was. εὖ ift; alfo ift das Zufammengefegte Wir⸗ 
fung ber orm. 


42 Zur Apologie 


Nimmt man hiezu nod; am, daß das Verhaͤltniß 
wiſchen Gott und dem Menfchen fein zufälliges if, ſon⸗ 
dern eine wefentlihe Harmonie, daß ber Menſch nad 
feiner ganzen Totalität ‚zum Tempel und Gefäß gebaut 
und gemeffen ift von Anbeginn, fo kann man nun das 
Gebet ein Innewerden ‚göttlicher Berborgenheit, ein Bes 
wußtwerben bes Goͤttlichunbewußten, ein finnliches Heraus⸗ 
treten göttlicher Unfinnlichkeit, ein Ausblühen des Keimes 
des BVerhältnifjes zwifchen Gott unb bem Menſchen, eine 
Sinbipibualifation des Goͤttlichununterſchiedenen, eine Wort⸗ 
werbung des Göttlichlautlofen nennen.: Das Gebet, auf 
ber niebrigfien und hoͤchſten Stufe Gefühlsverlehr, auf der 
mittleren. Zweigeſpraͤch, Hört auf, eine willlürliche Erklaͤ⸗ 
zung, eine abgerifiene Erfheinung zu fein. Es i ein 
neihwendiges Ausbluͤhen am goͤttlichmenſchlichen Organis- 
mus; fefigefugt in bie Ordnung, vorausgefehen unb vor» 
ausangelegt in der Seele, wie der Halm im Korn, wie 
bie Bluͤthe im. SBaume. Daher waͤchst das Gebet mit 
dem Alter. 

In bem Gegen ig bereite auf Grobe, ober Stufen 
Hingewiefen. Die Urſache berfefbem liegt in ber Indivi⸗ 
duation und ber aller Vereinzelung anklebenden Unvoll⸗ 
Tommenfeit. Auf ber hoͤchſten Stufe, von welcher bie 
Rebe war, gelingt ein Meberwinden des Inbivipuellen; auf 
ber niebrigfien hat das Individuum nicht Kraft genug, 
das Böttlihe gleichſam einzurahmen. Gleichwie nämlich, 
um vom erſten Salle zuerſt zu ſprechen, alles leibliche 
Wachsthum aud) während des wachen Zuftandes nur felten 
ins Bewußtfein fommt umb bod) feinen geregelten und 
feften Gang geht, alfo über dem Bewußtſein ftebt, nicht 
blos ald bem Bewußtſein Vorausgehendes und vom Ges 


und Geſchichte des Gebete. 43 


danfen Unabhängiges, fonbern auch als burd) feine Weis- 
heit allen Gebanfen Ueberfteigendes — fo geht auch alles 
innere Wahsthum, wobei Unvolllommenes gefät wird, 
Bollfommenes auferftebt,. feinen feRen Gang. Tief auf 
bem Grunde webt bie Gottheit an der Seele, alà Bors 
ausgehendes und durch Liebe und Herrlichkeit Alles Ueber⸗ 
fleigendes. Nur felten fommt bie volle Grfenntnif in 
Augenbliden göttlicher Begeifterung. Und dann- zeigt ft 
ein umgefehrtes Verhältnig. Wenn das Selbftbewußtfein 
beim Außerlihen Wachsthume in Reflerion, Gedanken bes 
fet, fo beflebt dort bie SBemuftwerbung nicht blos im 
Reflertiven und Denken an Gott, fondern in Seelenerfüts 
lung, ‚deren ſchwache Vorläufer Gedanken find. Die menfe 
Tie Seele vollendet ihren Kreislauf vom aͤußerlich, ot» 
ganiſch Unbewußten burd) das Reich der bewußten Intele 
ligeng zur göttlichen Bewußtloſigkeit der Ekſtaſe. So weit 
aber bie nicht ins Bewußtſein fommenbe SHeilfcaft- ber 
Statur über jeder bemuften Arzneianwendung fteht, fo 
weit fieht diefes Hervorbrechen des göttlichen Grundes im 
hoͤchſten Gebete über aller dewußten, fomit' individuellen 
Religiofität. Kein Auge hat e$ gefehen, fein Ohr hat 
es gehört unb in feines Menfchen Herz ift es gefommen. 

An biefe Stufe grenzt aud) ein wortloſes Gebet, das 
höherer Art ift, als das der niedrigen und mittleren Stufe, 
wie aus den Worten Pauli erhellt: ber Geift felbft bes 
gehrt für uns mit unausfprehlihen Seufzern. 
Und diefe überaus tiefe unb ſchwierige Stelle kann zugleich 
als Prüfftein des. Gefagten. bienen. (6. erhebt fld) hier 
bie frage: wie, ober warum feufst der Geift (Gottes) im 
Menſchen zu Gott und welche Rolle bat. der Menſch das 
Pe? Nach bem Bisherigen’ it im Gebete, wie in ber 





Ss 


4 Zur Apologie 


Religion (im Allgemeinen genommen) etwas Mögliches zu 
Wirklihem, etwas Unvollfommenes zu Bollflommenem zu 
erheben. Dabei ift nun eine boppelte göttliche Erſchei⸗ 
nung ſchlechterdings nothwendig. Denn indem Gott ben 
Menſchen ſchuf, fat er ihm nicht ohne feinen (Gottes) 
Gedanken (Gbenbilb, Mitgift) fdjaffen Fönnen. Diefer 
Gedanke aber — bei den Alerandrinern al. Aoyog σπερ- 


ματιχος gefaßt — if im Verhaͤltniß zum Menfchen das , 


Bormgebenbe, im Berhältnig zum Ziele der Schöpfung 
(aller Individuen) Gebanfe, bet von der Möglichkeit zur 
Wirflicgkeit erhoben werben foll, ein Verlangendes unb 
Seufsendes, weldes den Menſchen (al Paffives, als 
Materie) ans Ziel gebracht wuͤnſcht, für ihn begehrt. Bei 
genauerer Unterſcheidung zeigt ſich alfo bei einem folden 
Gebete Gott der Schöpfer als erfte Urſache ober als be- 
wirfende (causa efficiens) und berfelbe als Endurſache 
(causa finalis), der Aoyoc- als causa formalis, der Menſch 
als eausa materialis. 

Auf ber niebrigfen Stufe find das Gefühl und das 
SBerftánbni zu gering, um ber ſchwach durchſchimmernden 
göttlichen Anregung Worte zu leihen. Das Gefühl ift zu 
fau, ober zu ſchwankend, b. h. von weltlichen Dingen frem⸗ 
ber Art zu fehr beftimmt, um andaͤchtig zu verlangen; ber 
Geiſt, oder fBerftanb, zu ſchwach zur Erflärung. uf ber 
mittleren dagegen find Geiſt und Gefühl, ober wenigftens 
Eines ber Beiden, gehörig disponirt zum individuellen 
SBitt» ober Danfgebet, zum Gelöbnig ober Gegen, zur 
Anbetung oder Seldfterforfhung ac. 

Nach biefer Auseinanderfegung läßt fj nun feit 
das Gebet gegen bie oben berührten Zweifel vertheidigen. 
Senn. die Stage aufgeworfen wird, zu was man bem All⸗ 


unb Geſchichte des Gebetes. 45 


wiſſenden etwas fage, wenn fomit bie Worte angefediten 
werben, das Wortgebet, fo ift zu entgegnen, daß Gott 
ſelbſt Beweger und Former des wahren Gebetes ift, daß 
auf ber mittleren, b. b. faft allen Menſchen auf Erden 
gemeinfamen Stufe, das Ausbluͤhen des Gefühlten unb 
Göttlichsautlofen in Worte feine Sache der Willfür, ſon⸗ 
dern Stadium eines goͤttlich⸗menſchlichen Proceſſes ift, ber 
biefelbe organische Nothwendigleit hat, wie das leibliche 
Bahsthum. 

Bird ferner das Wortgebet im Gegenfape zum Lebens⸗ 
gebete bintangejebt, oder gar verworfen — was ſchon bei 
den älteften griechifchen Philofophen, in ber chriſtlichen 
Zeit aber. bei ben Pelagianern, Wicleff, bann bei Kant und 
Anderen der Fall geweſen (Bellarmin, de bonis operibus I. 3), 
weil gute Thaten das [hönfte und ebelfte Gebet, das Gebet 
ohne Unterlaß feien — fo iſt daran zu erinnern, ba bie 
Gefinnung, welche in das Wortgebet ausblüht, aud) ber 
nothwendige Vorläufer aller guten. Werke ift. 

Verſucht man drittens die Nuplofigkeit und Zwed⸗ 
widrigkeit be& Gebetes aus den Eigenfchaften Gottes und 
feinem Rathſchluſſe herzuleiten, aus dem Zufammenhange 
der Dinge, der Defonomie und Ueberweltlichkeit Gottes — 
fo verräth fdon das Widerfpreihende blefer Einwürfe bie 
Schwäche berfelben. Hier nimmt mar an, Gott unters 
bredje den Zufammenhang ber Dinge wegen des Gebetes 
nicht, wirfe feine Wunder ıc. befchränkt feine Macht, indem 
man ihn und feine Werke nad) den Begriffen menfchlicher 
Ordnung, Geredtigfeit, Beftimmung mift, verweltlicht ihr 
fomit — dort will man alles Weltliche, bie befonbere, ftets 
flüffige Borfehung 1c. befeitigen, unb ihn als rein Uebers 
weltlihes, Unbewegliches hinſtellen. Sodann fehlt εὖ 


46 Zur Apologie 


gegen biefe Einwürfe weber an poſitiv⸗theologiſchen Bes 
weifen (Epbef. 1, 11 2c), nod) an philoſophiſchen, bag ber 
Rathſchluß ein allgemeiner fein mug, fo daß Gott Alles 
was geſchieht mit allen Umſtaͤnden, alo aud) das Gebet 
mit der Erhörung, vorherbeftimmt hat — infofern nämlich 
biefe gerecht find und gut. Justa voluntas hominis est 
ea tantum, quae vult id, quod deus vult eam velle; in- 
justa vero e contrerjo est ea, quae vult id, quod deus 
non vult eam velle (Anselmus, de libero arbitrio, cap. 8). 
Analog wird bie Unveraͤnderlichkeit Gottes darin beftefen, 
daß er fid) unveränderlid ändern wird, nad) ber Unermeßs 
lichkeit feiner möglichen Pläne, fowie gerechter Grund da 
ift in feiner Lebe. Der zum Gebete Treibende, baffelbe 
Einformende,. in ihm Seuſzende will das Individuell⸗Un⸗ 
vollfommene zum Teuchtenden Ziele fuͤhren, den göttlichen 
Gedanken zur Wirklichkeit, das Mögliche zum Wirklichen 
bringen... Da aber, wo er. felbft ift, und gmar mit unmittel⸗ 
bate Mitwirfung (Alvarez, lib. 3. de anxillis, disp. 22.), 
lann Ihm feine verneinende Stellung gegeben werben. 

: Der von ben Fällen ber Nichterhdrung abgeleitete 
Beweis hat endlich nur Kraft, wenn der auf benfelben 
fi Berufende in den fpegiellen Faͤllen nachweist, daß das 
Gebet wirklich von Gott gegeben und eingeformt, nicht 
von Individuell⸗Vergaͤnglichem und: Werthlofem, oder. gar 
zu Mebertoinbenbem und zu Befeitigendem verurſacht und 
abgenöthigt. war. Jeder fan. fid) babel an bie forgfältige 
Aufzählung der Bedingungen ber Gebetserhoͤrung Halten, 
welche von verſchiedenen Theologen, gegeben worben, 4. B. 
Bellarmin (De bonis operibus lib. 1. cap. 9), ober an 
die Aufjählung ber Urſachen ber Nichterhörung, welche, 
wie wis fefen werden, unter Andern Saadja verſuchte: 


und Geſchichte des Gebetes. a 


Der erfiere zählt, bem bí. Thomas von Aquin folgend 
(2. 2. quaest. 83. art. 15; 4. semtent. diet. 15. quaest. 4. 
art. ul); deren adt auf: Glauben, Hoffnung und Bers 
trauen, Liebe ober Geredjtigleit, Demuth, Andacht, Bes 
harrlichkeit, endlich ba& Beten für bie eigene Perfon und 
um Rothwenbiges, ober zum Heile Dienliches. Die Er- 
börung bifbet bei ihm Eime der δτώφις des Gebetes, deren 
ec zehn .aufsählt (1. c. cap. 3): bie Rechtfertigung, das 
SBerbienft, in zweiter. Reihe die Erleuchtung, bie Rährung 
der Hoffnung und des Vertrauens, die Entflammung mit 
Liebe und. Befähigung zur Aufnahme größerer Gaben, bie 
Mehrung ber Demuth unb Gottesfurcht, bie Erzeugung 
der Weltverachtung, ben Anfang der Verkoſtung ber Süßig- 
keit des Herrn, die Verleihung der Würde, melde aus 
benllmgange mit Gott entfpringt. Dieſe, ſowie bie Mehr⸗ 
zahl ber oben angeführten, find ;fubiectiver Met; objectiver 
Art dagegen ift der Erfolg des Gebetes als. Finformung 
im obigen Sinne. Und wenn bei den fubjectiven Früchten, 
à. B. dem Trofte, der Beruhigung, ein Unterfchied gemacht 
werden fann zwiſchen Hörung umb Grbóvung, ſo ift das 
Gebet als Ginformung ohne Exhörung undenkbar. Der 
Segen der Hoͤrung im Trofte, in der Erleichterung ac. 
gleicht dem jeder Mittheilung von Leid unb Freud an 
Dritte. Die fogenannte. pſychologiſche Wirkung des Ge⸗ 
betes, der Genuß ber Selbſterhebung 1c., ἐβ aur Ateidens 
der Erhörung unb fann auch ohne Erhoͤrung bleiben... ' 

Sid) habe oben bemerkt, daß bie Darfellung und Apos 
Ingie beó Gebetes mit größerem Erfolge bisher von poſitiv 
theologifher Seite, als von philoſophiſcher Seite unters 
nommen worden ig. Die Gefihichte liefert den Beweis. 
Ich will Hier zum Schluſſe ſolche Belege wählen, melde 


48 Zur Apologie 


von Stäudlin entweder unbeachtet blieben, ober unbeachtet 
bleiben mußten und welche in irgend einer Berichung das 
Weſen und bie Natur des Gebetes von einer beachtens⸗ 
werthen Seite faffen, oder durch Entſchiedenheit hervor⸗ 
ragen. 

In der perſiſchen Literatur begegnet uns unter Andern 
Dſchelaleddin Rumi, der in Balch geboren wurde und zu 
Konia 1252 ſtarb (Tholuck, Blüthenſammlung aus ber 
morgenlaͤndiſchen Myſtik, Berl. 1825). Wie er ſich das 
Verhältnig zwiſchen Gott unb Menſch gedacht, zeigen 
folgende Verſe feines Mesnevi (Tholuck (5. 64. 66): 

Sandeswell' iſt Sinn, Verſtand und der Gedank', 
Waſſerwell iſt Rauſch in Gott und Untergang. 
Lauten find wir, Schläger bu, der durch fie tönt; 
Biſt e8 bu nicht, ber aus unferm Gtöhnen ftöhnt? 
Lebensfull' Haft du in's tobte Nichts geftellt, 

Haft das Nichts bir zur Geliebten auserwaͤhlt. 

Bon diefem Standpunkte aus kommt er nun wieder⸗ 
holt auf das Gebet (a. a. D. ©. 160. 161. 189). Gott 
fagt: 

Bil ὁ Mofe! ſchuldig find bie Lippen nicht, 

Drauf ohn' Unterraß Gebet um Gnade Liegt. 

Deine Gluth und Seufzer Gottes Boten ſind. 

Deine Lieb’ ein Gürtel meiner Liebe-ift. 

In dem „Herr fomml^ ſtets ein „.Hie Sohn!“ 
ſchlummernd it. 

Er fagt (€. 189), daß das wahre Thränengebet von 
Gott felbft geſprochen werde. 

In der jübifdjen fpäteren Literatur findet fid) bie über- 
lieferte ungemeine Hochhaltung des Gebeteó, wie eine Stelle 
aus bem babylonifhen Talmud zeigen wird. Zugleich 
hält bie theologifche Schule, bie altteſtamentliche Zucht von 
bem, was dem Pantheismus gleichficht, bie Bedeutendſten 


und Geſchichte des Gebetes. 49" 


wenigſtens, ab, regelt umb orbnet dasjenige, was über 
das Gebet gefagt wird. Die mittelalterliche jüdiſche Sites 
tatur ftebt, wenn wir von ber fabbala abfehen, bem 
modernen Rationalismus, kauſtiſcher Verſtandesſchaͤrfe weit 
näher, al8 dem Pantheismus und großer Gemüths- und 
Gefühlstiefe. Als Repräfentanten laſſen fid) Saadja und 
Maimonides vorführen. 

Der erftere, geboren in Fajoum in Aegypten 892, 
927 Lehrer ber Afademie zu Gora, wo er wahrſcheinlich 
942 geftorben, hat übrigens mit bem Ießtern, ber befannt» 
lid ben 30. März 1135 zu Cordova geboren wurde und 
am 13. Dezember 1204 ftarb, das gemein, daß beide, 
τοῦ bem Feſthalten am der Bibel und tto ber Gods 
e$tmg und fBertfeibigung jüdifher Ueberlieferung, ber 
Verfolgung und Anklage der Heteroborie nicht haben ent» 
gehen können. . 

Sn Saadjas Emunot We⸗Deot (Abſchn. 5. Nr. 21) 
wird ald Mittel, ben Gebanfen an Wiederholung ber Sünde 
au befeitigen, bie Erwägung der Zerbrechlichkeit, ber. Nier 
drigfeit, be8 Todes, der Rechenſchaft, Strafe 1t. im Gebete 
empfohlen. „Wir finden deßhalb, fagt ber. Religions- 
philoſoph, daß unfere uralten, weifen Ahnen, gewiß nur 
iu biefem Zwede die Sitte eingeführt, am Sühnetage 
Süufgébete, wie bie ,,bu verfichft bie Gedanken meines 
Hergens" ^, ober „„Fuͤhre uns nidt in Strafgerichte““, 
oder „„Herr alles Gefdjaffenen^" u. dgl. zu beten". 

Im weiteren Berlaufe fommt er bann (Str. 23) auf 
die Dinge, welche bie Gebeterhörung verhindern. 

Dergleihen Hemmniffe, fagt et, giebt e8 ſieben. 
Erſtens wenn ber Menſch erf dann zum Gebete fif 
wendet, wenn das Gottesurtheil bereits über Ihn entſchie⸗ 

Weol. Duartalfeprift. 4853. I. Heft. 4 


4s But. Apologte 


son Stäublin entweder unbeachtet blieben, ober unbeachtet 
bleiben mußten und welche in irgend einer Beriehung das 
Weſen und bie Natur des Gebetes von einer beachtens⸗ 
werthen Seite faffen, ober durch Entſchiedenheit hervor⸗ 
Tagen. : 

In ber perfifdjen Literatur begegnet-uns unter 9fribern. 
Dſchelaleddin Rumi, der in Balch geboren wurde und zu 
Konia 1252 farb (Tholuck, Blüthenfammlung aus ber 
morgenländifhen Myftif, Berl. 1825). Wie er fid) das 
Verhaͤltniß zwiſchen Gott und Menſch gedacht, zeigen 
folgende Berfe feines Mesnevi (Solud G. 64. 66): ΄ 

Sandeswell' iſt Sinn, Verſtand und der Gedank', 
Waſſerwell iſt Rauſch in Gott und Untergang. 
Lauten find wir, Schläger bu, ber durch fle tönt; 
Biſt e8 bu nicht, der aus unferm Stöhnen ftöhnt? 
Lebensfull' Haft du in's tobte Nichts geftelít, 

Haft das Nicht bir zur Geliebten auserwählt. 

Bon diefem Standpunkte aus kommt er nun wieder: 
holt auf das Gebet (a. a. Ὁ. €. 160. 161. 189). Gott 
fagt: 

Wiſſ' 0 SXofe! ſchuldig find bie Lippen nicht, 

Drauf ohn' Untersaß Gebet um Gnabe liegt. 

Deine Gluth und Geufjr Gottes Boten find. 

Deine Lieb’ ein Gürtel meiner Liebe-ift. 

In dem „Herr kommi“ ſtets ein , ie Sohn!“ 
ſchlummernd if. 

Er fagt (€. 189), daß das wahre Thränengebet von 
Gott felbft geſprochen werde. 

In der jübifchen fpäteren Literatur findet fid) bie über- 
lieferte ungemeine Hochhaltung des Gebeteó, wie eine Stelle 
aus bem babylonifhen Talmud zeigen wird. Zugleih 
hält bie theologiſche Schule, bie altteſtamentliche Zucht. von 
bem, was bem Pantheismus gleichficht, bie Bedeutendſten 


und Geſchichte des Gebetes. 49 


wenigſtens, ab, regelt unb orbnet dasjenige, was über 
das Gebet gefagt wird. Die mittelalterliche jübifdje gites 
tatur flet, wenn wir von ber Kabbala abfehen, bem 
modernen Rationalismus, kauſtiſcher Verftandesfchärfe weit 
näher, afó dem Pantheismus und großer Gemüths- und 
Gefühlötiefe. Als Repräfentanten laſſen fid) Saadja und 
Raimonides vorführen. 

Der erftere, geboren in Fajoum in Aegypten 892, 
927 Lehrer der Afademie zu Gora, wo er wahrſcheinlich 
942 geftorben, hat übrigens mit bem Ieptern, ber befannts 
lij den 30. März 1135 zu Cordova geboren wurde und 
am 13. Dezember 1204 ftarb, das gemein, ba beide, 
top dem Feſthalten an der Bibel unb trog. der od: 
tung unb Bertheivigung jüdifcher Weberlieferung,. ber 
Verfolgung und Anklage der Heterodoxie nicht haben ent» 
tm können. . 

In Saadjas Emunot WerDeot (Abſchn. 5. Ar. 21) 
wird als Mittel, ben Gebanfen an Wiederholung ber Sünde 
du befeitigen, bie Erwägung der Zerbrechlichkeit, der. Nie— 
drigfeit, be& Todes, der Rechenſchaft, Strafe ar. im Gebete 
empfohlen. „Wir finden deßhalb, fagt der. Religions- 
Philofoph, daß unfere uralten, weiſen Ahnen, gewiß nur 
im diefem Zwede die Sitte eingeführt, am Sühnetage 
Bußgebete, wie bie ,,bu verfiehft bie Gedanken meines 
Hergeng“ ^, oder „„Fuͤhre uns nidt in Gtrafgerichte" ", 
oder „Herr alles Gefdjaffenen^" u, dgl. zu. beten“. 

Im weiteren Verlaufe kommt er bann (tr. 23) auf 
die Dinge, welche die Gebetserhörung verhindern. 

Dergleihen Hemmniffe, fagt et, giebt es fieben. 
Erfens wenn der Menſch erf dann zum Gebete fij 
wendet, wenn das Gottesurtheil bereits über ihn entſchie⸗ 

Seil, Duartaligeift. 4853. I. He. 4 


48 Zur Mpologte 


von Stäublin entweder unbeachtet blieben, ober unbeachtet 
bieiben mußten und welde in irgenb einer Beziehung das 
Weſen und die Natur des Gebetes von einer beachtens⸗ 
werthen Seite faffen, ober durch Entſchiedenheit hervor⸗ 
Tagen. 

In ber. perfifchen Literatur begegnet-und unter Arivern 
Dſchelaleddin Rumi, ber in Balch geboren wurde und zu 
Sonia 1252 farb (Tholud, Blüthenfammlung aus bet 
morgenländifhen Myſtik, Berl. 1825). Wie er fi das 
Verhaͤltniß zwifchen Gott und Menſch gedacht, zeigen 
folgende Verſe feines Mesnevi (Tholuck ©. 64. 66): 

Sandeswel iſt Sinn, Verſtand und der Gedank', 
Waſſerwell if Rauſch in Gott und Untergang. 
Lauten find wir, Schläger bu, ber durch fle tönt; 
Biſt εὖ bu nicht, der aus unferm Stöhnen ftöhnt? 
Lebensfull' Haft du in's tobte Nichts geftelít, 

Haft das Nichts bir zur Geliebten auserwählt. 

Bon biefem Stanbpunfte aus fonimt er nun wieder- 
holt auf das Gebet (a. a. Ὁ. ©. 160. 161. 189). Gott 
fagt: 

- Sj o SXofe! ſchuldig find bie Lippen nicht, 

Drauf ohn' Unterraß Gebet um Gnabe Περί, 

Deine Gluth unb Seufzer Gotted Boten find. 

Deine Lieb’ ein Gürtel meiner Liebe-ift, 

Sn dem „Herr kommt“ ſtets ein „Hie Sohn!“ 
ſchlummernd ift. 

Er fagt (Θ. 189), daß das wahre Thränengebet von 
Gott felbft geſprochen werbe. 

Im ber jünifchen fpäteren Literatur findet fid) bie über- 
lieferte ungemeine Hochhaltung des Gebete, wie eine Stelle 
aus bem babylonifhen Salmub zeigen wird. Zugleich 
hält bie theologifhe Schule, die altteftamentliche Zucht. von 
dem, was dem Pantheismus gleichfieht, bie Bedeutendſten 


und Geſchichte des Gebetes. 9 


wenigſtens, ab, vegelt und orbnet dasjenige, was über 
das Gebet gefagt wird. Die mittelalterliche fübifdye Liter 
tatur flet, wenn wir von ber Kabbala abfehen, bem 
modernen Rationalismus, kauſtiſcher SBerftanbeefdárfe welt 
näher, ald dem Bantheismus und großer Gemuͤths⸗ unb 
Gefühlstiefe. Als Repräfentanten laffen ſich Gaabja unb 
Raimonives vorführen. 

Der erfiere,' geboren in Fajoum in Aegypten 892, 
927 Lehrer ber Afademie zu Gora, wo er wahrſcheinlich 
942 geftorben, hat übrigens mit bem lehtern, der befannts 
lif den 30. März 1135 zu Cordova geboren wurde unb 
am 13. Dezember 1204 ftarb, das gemein, daß beide, 
top dem Feſthalten an ber Bibel unb tro. ber Hochs 
tung und SBertfeibigung jüdiſcher Weberlieferung,. ber 
Berfolgung und Anklage ber Heterodoxie nicht haben ent» 
gehen können. B 

In Saadjas Gmunot WerDeot (Abſchn. 5. Ar. 21) 
wird als Mittel, ben Gevanfen an Wiederholung der Sünde 
iM befeitigen, die Erwägung ber Zerbrechlichkeit, ber. Nier 
brigfeit, be& Todes, der Rechenſchaft, Strafe ar. im Gebete 
empfohlen. „Wir finden beffalb; fagt ber. Religions- 
Yhilofoph, bag unfere uralten, weifen Ahnen, gewiß nur 
zu diefem Zwede die Sitte eingeführt, am. Sühnetage 
Yußgebete, wie bie ,,bu verfiehft die Gebanfen meines 
Hergens" ^, ober „„Fuͤhre uns nicht in Strafgerichte““, 
oder „herr alles Gefdjaffenen^" u. dgl. zu beten“. 

Im weiteren Verlaufe fommt er dann (tr. 23) auf 
die Dinge, welche die Gebetserhörung verhindern. 

Dergleihen Hemmniffe, fagt et, giebt es ſieben. 
Erſtens wenn der Menſch erf dann zum Gebete fij 
wendet, wenn das Gottesurtheil bereits über ihn entfchier 

Sie, Ouartalſchriſt. 4953. 1. Het. 4 


50 Bur Apologle 


ben, wie an Mofes erhellt (Deut. 3, 23. 26). Zweitens 
wenn ber Menſch ohne Gedanken des Herzen betet (Bf. 78, 
35—37). Drittens wenn Jemand betet, ohne auf das 
Geſetz zu achten (Spr. 28, 9). Vierten wenn Jemand 
auf ben Hilferuf der Armen nit hört (Spr. 21, 13). 
Fünftens wenn Jemand fid) verbotenes Vermögen erfaubt 
Micha 3, 3—4). Sechstens wenn Jemand ohne Geiſtes⸗ 
zeinigung betet Cyef. 1, 15—16). Siebentens werben bie 
Gebete nicht erhört, wenn bie Vergehen des Büßenden 
zahlreich find und er nicht buffertig betet (Sad. 7, 13). 

Hiemit kann man vergleihen, wie Maimonides, bet 
Zweitgroͤßte unter den juͤdiſchen Religionsphilofophen, in 
feinem More Nevochim bie Rothwenbigfeit ber Anrufung 
Gottes Ichrt (Pars II. cap. 36), das Gebet über bie 
Opfer ftellt (Pars II. cap. 32) und das beftändige unb 
file Gebet, die Gottesverehrung derjenigen ſchildert, 
welche bie Wahrheit erfaffen, alle ihre Gedanken auf Gott. 
richten und ihm allein, foweit es möglich ift, anhängen 1c. 
(Pars II. cap. 51). 

Im Tractat SBeradjot des babylonifhen Talmud 
Cherausgeg. v. Pinner Berl. 1842. fol. (5, 32 b) lejen 
wir: „Es fagte R. Elafar: Groß ift das Gebet, mehr als 
gute Thaten. Denn Niemand war größer in guten Thaten 
ele Moſcheh, unfer Lehrer, und gleichwohl if er nicht 
anders erhört worden, als nur burd) das Gebet (5. Mof. 
3, 5—27). — Berner fagte R. Elafar: Groß ift das 
Gebet, mehr ale Opfer (ef. 1, 11. 15). — Es ſagte 
9t. Chanin im Namen 9t. Chaninas: Jeder, ber fi 
lange aufhält mit feinem Gebete, beffen Gebet fommt nicht 
Teer zurüd (5. Mof. 9, 265 10, 10). — G6 fagte 9t. Ehama, 
Gon 9t Cfaninas: Wenn ein SRenff) fibt, ba er 


und Geſchichte be& Gebete. , 51 


gebetet hat und nicht erhört wurde, fo fol er zurüdfehren 
und beten (Pf. 27, 14). — Bier Dinge erfordern Stärke 
und biefe find: die Schrift und gute Thaten, das Gebet 
und die Sitte des Landes. — Einem Frommen, welcher 
auf bem Wege betete, begegnete ein SBornebmer unb ber 
grüfte ibn, ohne daß ihm ber Fromme dankte Da 
wartete der Vornehme, His biefer fein Gebet geenbigt und 
ſprach: „„Leichtfinniger, eà ftebt gefhrieben (5. Mof. 4, 9): 
hüte bid) und deine Seele! Warum haft: bu den ‚Gruß 
nit erwiedert? Wenn id) bit den Kopf abgefehlagen, | 
wer würbe fordern bein Blut von meiner Hand?““ Da 
fprach ber Fromme: „„warte, bis id) bif) verfófmt mit 
Sorten. Wenn bu geftmden vor einem Könige aus 
dleiſch und Blut und e8 wäre bein Freund gefommen unb 
hätte bid) gegrüßt, wuͤrdeſt bu ihm ermiebert haben ?“⸗ 
Der Bornehme ſprach: Nein. „„Und wenn du erwiebert 
hätteft, was wuͤrden fie dir gethan haben?““ „„Sie wür- 
ben meinen Kopf abgefdlagen Baben"", Da ſprach ber 
Fromme: „„Laͤßt fij nicht vom Kleinen auf das Große 
fliegen? Wenn bu vor einem Könige aus eid) und 
Blut, ber heute hier und morgen im Grabe ift, fo große 
Scheu Haft, wie follte ih nicht Scheu tragen vor dem 
König der Könige, dem Heiligen? - Gepriefen-fei er, wel⸗ 
her lebt und emig in alle Ewigkeit Bleibt} . Da war 
der Vornehme verföhnt und bet Fromme gieng Im Frieden 
nad Haufe." 

- Der Betende darf nicht erwiedern, aud) wenn ein 
König ihn grüßt, barf nicht innehalten, auch wenn eine 
Schlange feine Ferfe ummwunden. So Iehrt der Talmud. 

Sehen wir hier überall das unerfchütterliche Feſt⸗ 
halten an altteftamentlicher Gebetsfhägung und Gebetss 
4 


52 Bur. Apologle 


gluth, fo laſſen fid ju biefen Lichtbildern des Orients, 
gleihfam als Schatten, Ausſprüche arabifdjer Religions- 
philofophen fügen. Ein Sfusfprud) des Kabol 9idbar, 
welcher 32 Heg. (652 nach Chriſtus) geftorben, lautete, 
daß ber wiffende Gläubige mehr Kraft wider den Satan 
habe, als Dunbetttaufenb Gläubige, die blos beteten 
(Hammer, Arabiſche Literaturgefh. IL. Bb. S. 161), Und 
Orwet Ion Sobeir, welcher eg. 99 (717 nad) Ehriftus) 
farb, Außerte: „Die Andacht bec Herzen beftebt nuc im 
Danke gegen Gott und weber in Furcht, nod) Bitte, Der 
Zorn bringt den Zornigen am nächften bem Zorne Gottes. 
Einige dienen Gott aus Furt; die find Knechte. Einige 
aus Vortheil mit Bitten; die find Kaufleute. Einige mit 
Dank; bie find bie Freien’ (Hammer a a. Ὁ. II. Bo. 
©. 172). 

Jahrhunderte find nad) Ion Sobeir verfloffen bis auf 
Kant und Hegel. Aber wenn ber Ießtere fagt, Denken 
{εἰ Beten, ober wenn Kant bie Bitte ablehnt, fo fehen 
wir, daß ber menſchliche Geiſt von feiner Zeit abhängig 
ift, weil ſtets biefelben, ober ähnliche Gedanken wiebere 
Tefren, ohne daß aud) nur entfernt ein äußerer Zufammen« 
hang nachgewiefen werben fann. Hier ift es bie Betos 
mung des Wiſſens, des Denkens, welche Kabol mit Hegel 
verbindet, dort der Hintergrund ber Unbeweglichfeit Gottes 
und ber völligen Grgebung, welde Kant mit Ihn Sobeir 
verfettet. ᾿ 

‚Wir wollen Biemit auf bie neuefte Zeit übergehend 
fehen, wie die deutfhen Philofophen, bem Abenden Worte 
des Königsberger Philofophen gegenüber, das Gebet in 
Schutz genommen und aufgefaßt. Es gefhah dies auf 
katholiſcher wie proteftantifcher Seite. Auf der einen Seite 


und Geſchichte des Θεδείεϑ. 33 


wollen wir Baader hören, auf der andern Drobiſch. Der 
erftere, beffen Werke nun eine Gefammtausgabe erleben, 
iR bereits 1841 geſtorben; ber Ießtere, ein Schüler Her⸗ 
barts, lebrt nod) gegenwärtig in Leipzig. 

Franz v. Baader, der frühe viele unb verſchiedenartige 
Bücher las, unb, bei feinem Wiffensdurfte und feiner Leb⸗ 
haftigkeit be& Geiſtes, von polariſch Entgegengefegtem um 
fo mehr angefproden wurde, hat an mehreren Stellen 
fif fragmentariſch über das Gebet auegelaffen. 

Elaudius hatte mit der Gewalt feines Gemüthes aud) 
das Gebetsproblem befeitigt. Indem er (Werke 1829, 
ML Thl. S. 104) auf bie Frage ftàft, wie denn das Gebet 
f zum Sufammenfange der Dinge, der fubjective Wunſch, 
die Bitte des Einzelnen zur Ordnung des Ganzen ftelle, 
äußert er Furzweg, baf er diefen nexus rerum ober Zur 
fammenhang ber Dinge nicht fenne, wohl aber wifle, daß 
Simfon ben nexus der Thorflügel unbefchädigt gelaffen 
und das ganze Thor auf ben Berg getragen. 

Diefe Stelle fowie bie Angriffe Kants befchäftigen 
Baader in feinen Sagebüdjern. Ein oratoriſch gefhmüdter 
Grguf dafelbft (Werfe XL ©. 134 f.) läuft darauf Bin» 
aus, daß der Zufammenhang ber Dinge fein blos Außer- 
lider fei, daß Gedanken und Triebe des Geiftes zu ben 
Berfnüpfungen der Dinge gehörten, daß ein Wechſel⸗ 
verfehr zwiſchen Iebendigem Geifte (Gott) und [ebenbigem 
Geifte (bem Menfchen) ftattfinden müffe, eine Offenbarung 
Gottes im Geifte, im menſchlichen Leben, daß feine Macht⸗ 
beſchraͤnkung Gottes ftatthaft [εἰ und das Wohl des Ganzen 
nur in dem des Einzelnen fid) zeige. 

Wir fehen hier bie oben gegebenen von ber Einwoh- 
mung, Delonomie und Weberweltlichkeit bergenommenen 


54 Zur Apologle 


Bewweife durchſcheinen, bie aber zu feiner Prärifion ge» 
langen. 

An einer andern Stelle (Werke XL ©. 328) geht ex 
von einer Eraltation, oder Graberhöhung bes SBernunfte 
vermögens aus mittelft eines activer. Nehmens, nicht bes 
paffiven Empfangens mittel einer Emanation (Gottes). 
‚Das Gebet ift der [ete Act der Selbſtthaͤtigleit der Ber» 
munft, wenn fie an ber Grenze ihres Bermögens ange 
langt if. Das Gebet ift Wunſch, in bem Wunſche (on 
embryonifh enthalten, wenn er reiner Vernunftwunſch ift. 
Es kann fonad) nie etwas Sinnliches jum Objecie haben, 
fondern mur intellectuelle Subjertserhöhung. Es vermag 
etwas, weil alle Willensäußerungen verurſachende Kraft 
haben, wie bie Vorſtellung bei willfüclihen Musfelbe- 
wegungen Urſachlichkeit hat — hier bie Borflelung ber 
erfannten Rothwenbigfeit unb des Beduͤrfniſſes mehrerer 
intellectueller Kraft. Bedingung ber Eraltation, des Aufs 
ſchwunges ift hier bie Gotteserfenntnig, weil bie Bernunft 
beim Kraftnehmen fehen, b. b. das SBermunftibeal ihr 
denkbar, oder möglih fein muß. Die Wahrnehmung 
diefer Urſachlichkeit if ſittliche Thatſache. Das Gebets- 
vermögen ift ebenfo einfache Thatſache als das Fingers 
bewegen, ober das Athemholen. 

Das Ganze dieſer Anſchauung beruht auf bem bereits 
am Eingange angebeuteten Bevürftigfeits «, Mangelhaftig- 
teitögefühle, welches zur Ergänzung aud) in intellectueller 
Beziehung, b. 5. zum Gebete, treibt. Cine treffende Ana» 
logie mit bem Athemholen, welche uns an die naturaliſtiſche 
Richtung Baaders erinnert, muß übrigens für Bermißtes 
entfdübigen. Ich nehme hier, wie überall, den Ausdruck 
naturaliftifch in bem Sinne, bag Baader nicht blos bie 


und Geſchichte bed Gebetes. 55 


Mittel feiner Speculation (Gleichniſſe, Analoglen 1c.) der 
Ratur entlehnte, fondern aud) den (ete Ausgang feiner 
Speculation im Begriffe einer Natur, bec Ratur in Gott, 
fand, was Fr. Hoffmann (Werke I. 356. I. 18) bei mehr 
Ueberlegung und ethiſcher Haltung leicht finden fonnte. 
An was εὖ in Baader Stelle fehlt, zeigte er fpäter ſelbſt. 
Bir lefen in feinen Werfen L' &. 20 Anm.: „Beten iR 
leineswegs bloße Wünfchen, wenn es gleich ben Wunfch 
ber Erhörung enthält. Denn derjenige, welcher wirklich 
bittet, wendet fid) an einen pofitiven Geber unb er könnte 
nicht bitten, ohne biefen inne zu werben und zu berühren. 
Im Gebete zu Gott ift der Geber ſelbſt fehon der Geber 
ber Bitte, ober des Gebets, welches und aufgegeben wurde.“ 

Andere Stellen in Baaber ſprechen fit über Begriff unb 
Art, über Quelle, Auferlegtheit und Wirkung, über Berechti⸗ 
gung und SBegreiflidjfeit des Gebetes in folgender Art aus. 

Das Gebet if ein Eingehen mit dem Odem ber 
Seele in die liebende Eentraffeele, ober: eine Offenhaltung 
des Einganges in biefe, welche beftändig biefer Deffnung 
harrt (Offenb. 3, 20), welche im Innerften jedes Menfchen 
befüünbig gegenwärtig ift (als das Licht, jedem Menſchen 
leuchtend, der in biefe Welt fommt) unb welde in allen 
iR, weil alle in ihr find, fowie fie aud) beſtaͤndig aufer 
den Menfhen und um fie ift, wie die Figur unb ber 
Schatten der Subflanz immer um bieje find (Werke II. 
©. 512); das Gebet ift eine vitale Function des Ge» 
müthes (Werke IL &. 500); es ift eine Emporrichtung 
zu Gott, eine Gonfrontation jeder partiellen, beſchraͤnkten 
Willensrichtung, ober Action mit ber centralen unb unis 
verfellen, eine priefterliche Vermittlung zwiſchen Gott unb 
der Welt (Werke II. ©. 35). 





56 Zur Applogie 


Die Quelle und Verbindlichkeit des Gebetes ift. von 
Gott gegeben, „Baco fagt, daß jeder phyſilaliſche Verfuch 
eine Frage am jenes Naturwefen ift, von bem wir Aufs 
ſchluß verlangen. Aber Fragen ift in das gefragt wet» 
benbe Wefen eingehen und falls letzteres über mir ftebt, 
ἰῷ folglich ein Stieberfeigen zu mit und in mid) erwar- 
ten muß, ift die Frage (interrogatio) eine Bitte (rogatio). 
Alles Suhen unb Verſuchen, Forſchen und Speculicen, 
welches von der Gigenbeit als folder ausgeht, findet darum 
nichts als biefe Eigenheit unb was in ihrem Bereiche Liegt, 
wogegen nur das von einem Höhern ausgehende Suchen, 
bem id) mein Suchen eingebe, ald meinem Zührer, biefeó 
Höhere in mir findet. Hegel hat zur Erfenntniß biefer 
Sundamental- Wahrheit für bie Religionswiſſenſchaft ben 
Weg mit. der Behauptung gebahnt, bap Gott nicht das 
Object meines Erkennens waͤre, falla Er nicht zugleich das 
Subjeet meines erfennenden Subjects wäre: Das wahre 
Gebet ift mir darum von Gott gegeben und aufgegeben, 
wie mir ber Odem gegeben unb fein Auswirken und Wie⸗ 
berauóatfmen, b. i. SiBiebereinatfmen in den Odemgeben- 
den, mir aufgegeben ift (Genefls 2, 7.), unb ber in mir 
fBittenbe und Rufende ift aud) ber im mir Hörende und 
Erhörende. Wie nämlich (gemäß ber Genefis) von allem, 
was hienieden Odem hat (spiritus a respiratione) ber 
Menſch allein diefen unmittelbar von Gott felber empfing, 
fo hat aud) er allein das Vermögen unb bie Verbindlich« 
keit, biefen Dbem eben fo unmittelbar (nur ausgewirkt) 
wieber Gott zuruͤck zu geben, b. D. wie er allein aus Gott 
athmet, fo foll er allein in Gott atfmen unb fi in un— 
gehemmter Συμπνοία (conspiratio oder Eingeiftung) mit 
Gott, der der Geift ift, erhalten (Werke IL. S. 514 An—⸗ 


und Geſchichte des Gebetes. 57 


merk)" Bgl. L 20, wo er fagt, der Keim des Gebetes 
fei von der moralifchen Natur abgenöthigt. 

In Anfehung der Art oder Beſchaffenheit des Gebe» 
tes fordert er wiederholt den activen und effetiven Ga» 
after, den Willen und das Wort, das legtere jebod) in 
der höchften Bedeutung. „Als intelligent, fagt er (Werke 1. 
©. 294), ift der Menſch allerdings 'ein aud im Annehmen 
ober Empfangen, fo wie im Auswirken ber Gabe freis 
thätiges Wefen und er fann darum nur thuend (fpre- 
ch en d) empfangen. Keine Infpiration, fagt Marheineke, 
geht ohne eine von Seite des Infpirirten mitwirfende Ad⸗ 
fpiration vor fid), fo wie biefe nicht ohne eine Grfpiration. 
Folglich Tann ein Object, welches feine Functionen gegen 
den Menſchen verrichtet, ohne daß diefer auf fole Weife 
felhfthätig gegenwärtig ift, oder zu demſelben fpricht, Fein 
Object feines Eultus fein, weil der Menfch hiebei in feinen 
acliven Rapport mit ihm tritt. Wenn es barum heißt: 
„Bittet, fo wird eud) gegeben“, fo heißt diefes mur: e8 
kann euch, vermöge eurer intelligenten Ratur, nicht geges 
ben werben, falls ihr nicht bittet, b. D. falls ifr nicht, 
wollend unb anerfennend bert Geber, ſelbſtbewußt unb mit» 
wirfend ihm gegenwärtig feid.“ Und am einer andern 
Stelle (Werke I. ©. 514) fagt er: „Begreift man das 
Wort ober bie Rede in ihrer höchften Bedeutung, nämlich 
als Gebet, fo muß man aud) einfehen, daß das Gebet 
vom Willen untrennbar ift, indem ber Wille irgend einer 
Baſis feines Wirkens fid) zufehrend, um in biefelbe ein« 
zugehen, biefe Bafis eigentlich bittend und gläubig anfpricht, 
woraus benn folgt, daß jeder Menſch, er mag fid befjen 
mun Har bewußt werben, ober nicht, in jeder feiner Wils 
lensbeſtimmungen entweber zum Chriſt als Welterloͤſer, 


58 Zur Apologie 

ober zum großen Weltthier, ober enblif zum Verderber 
ſein Gebet richtet und daß, da der Menſch vermoͤge ſeiner 
Natur, nämlich als wollend, ein religiöfes, betendes Weſen 
ift, b. f. ein Wefen, weldjeó mittelft des Odems feiner 
Seele, fid) einem jener drei univerfellen Wefen gelobt und 
verlobt, bie Frage nur bie fein Tann, zu welcher biefer drei 
Regionen ex fid) befennt unb wohin er fein Gebet wendet.“ 

In Betreff der Erhörung bemerkt er (Werke I. 294), 
daß in den Augen Gottes die Deffnung oder Herſtellung 
der freien Gemeinfdjaft der Creatur mit Ihm der eigent- 
lide 3tved jedes Gebetes fei, in weldem Sinne folglich 
jedes Gebet feine Erhörung ſchon mit fi) bringe, eines⸗ 
ijeiló, indem bie Gabe hier von dem Geber nift trenns 
‚bar fei, anderntheils, indem alle uns im Zeitleben befals 
lenben Röthen, weil fie uns zu Gott (aus biefer Zeit 
hinaus) treiben, uns bod) nur die Eine gemeinjame und 
Radicalnoth biefer unſrer Entfremdung von Gott fühlbar 
und .erfennbar machen follten, fo daß alfo die äußere 
(einzelne) Roth nur als leitend und helfend zur Erweckung 
diefer innern Noth fid) auf gleiche Weife verhält, ober 
verhalten foll, wie das äußere Muͤſſen (ber äußere Zwang) 
zum innern Sollen.” Hiemit ift bie Stelle im 2. 8. ber. 
Werke I. 346 zu vergleichen. 

In Anfehung der Begreiflichkeit verwahrt ex fi gegen 
die Gleichſtellung des primitiven Verkehrs unb Rapportes 
des Gefchöpfes und des Schöpfers mit jenem des Gefchöpfes 
und Geſchoͤpfes, und ein Begreiflichmachenmollen des extern 
aus bem lehtern (Werke 1. 293, vgl. 1. 20). 

Die Stedjtfertigung des Gebetes und feine Bertheis 
digung liegt fehon in bem Angeführten. „Der Menſch, 
fagt ες (Werke I. 20), wird des Gebetes (als einer Vers 


und Geſchichte des Gebetes. LJ 


ſtandesſchwachheit) fih fo wenig gu ſchaͤmen brauchen, als 
et fij jedes andern wahren Gemüthsafects zu ſchaͤmen 
braucht, unb nod) weniger wird er es für nöthig finden, 
bei bem Philofophen, (ber denn doch aud) nur ein armer 
Sünder unb Schelm if, wie er) über bie Befriebigung 
ober Richtbefriedigung biefe in ihm lebenbig gewordenen 
Beduͤrfniſſes erft anzufragen. Und follte gegterem etwa 
die Einfachheit des Mittels bedenklich feinen, oder bie 
Unbegreiflichfeit feiner SBirfungmeife (melde freilich bei 
aller Willenscaufalität biefelbe ift, deren Magie eben Mas 
gie bleibt) ibn vom Gebrauche abhalten, fo möchte er nad) 
demfelben Raifonnement nur aud) das Athınen einftellen, 
an welche eben fo einfache und in ihrer Wirkung myflifche 
und unbegreiflihe Function. bie Natur die Erhaltung des 
animaliſchen Lebens Debungen hat.“ Unter Bezugnahme 
auf eine Stelle St. Martins (Tableau naturel des Rap- 
poris, qui existent entre dieu, l'homme et l'univers L 179) 
von ber Nothiwendigfeit, daß alle Wefen bem Princip des 
Lebens Huldigung barbringen müßten, um Hilfe unb Wohl⸗ 
that zu erlangen, fagt er, daß von Seite des Menſchen 
zur Herftellung der Gemein(daft mit Gott ein Thun des 
Menfhen, ein.die particufare Intelligenz mit der abfolus 
ten reliirender Act (religio a religando), fomit Gebet 
nothwendig fei. Es ift Gefeh der Mittheilung, aber Gr» 
teilung ber Grfenntni von einer höheren ober fráftigeren 
Intelligenz am eine niebrigere ober fdymüdjere, fagt er 
Werke 1. 293), εὖ ift das allgemeine Gefeg der Erleuch⸗ 
tung jeber Intelligenz, für ben Fall-nämlich, in welchem 
diefe Erleuchtung (ober SBerfinfterung) nicht ohne Mitwir⸗ 
fen ihver als zu erleuchtender flattfindet, daß biefe Intels 
ligeng ihrerſeits nur burd) ein Bitten jenen ihre Erleuch⸗ 


. 60 Zur Apologie 


tung bebingenden Rapport zu öffnen unb für fij) effectio 
ju machen vermag." IR εὖ fo, dann fann wohl über 
die Nothwendigkeit des Gebete& fein. Zweifel mehr walten. 

Schließlich lont es fij bec Mühe, auf eine von 
Baader (Werke II. 513) berührte, mit ber Aufflärung des 
Gebetes im Zufammenhange ftehende Schattenfeite aufmert- 
fam zu machen. „Wer, fagt er, die jeden Augenblid erfahr⸗ 
bare Wirkfamfeit und alfo Wirklichkeit eines feindlichen 
und giftigen Wefens (welches in der Schrift der Menfchen- 
mörber heißt) nod) bezweifeln wollte, bem geben wir mur 
zu bemerken, daß er mit jeder inneren Berührung biefeó 
vergiftenden Willens bie Anftedung der Stummheit deſ⸗ 
felben in fid) erfahren wird, nämlich die Schwaͤchung feines 
eigenen Vermoͤgens der Rebe oder des Gebetes. Ich fage 
Stummheit, weil der Verderber als felbfithätiges Weſen 
zwar immer fprieht, fein Wort aber, anftatt ihm ben Ein- 
gang des Liebewillens und Liebeodems Gottes zu Öffnen, 
gegen biefen ihn nur verfehließt, fo daß man Recht hatte, 
zu behaupten, daß biefet Verberber nichts thut, als fein 
qum coagulivenden Gifte gewordenes Wort beftändig in 
fi auszugießen und wieder zu verfchlingen, b. B. daß 
feine Blasphemie immer nur in ihn zurüdftürzt, wie Mil- 
ton von ber Sündenbrut fagt, deren ihre Mutter nie [o6 
werben fann." 

In der That beweist das Nichtbetenkönnen des Böfen, 
oder vielmehr bei bem ungefühnten Böfen, deutlich, baf 
Gott das Ginformenbe des Gebetes ift, der Sinn des Ger 
betes und feine Gluth. Dies haben aud bie Dichter heraus: 
gefühlt. Shakspeare laͤßt den König im Hamlet fagen: 

Die Worte fliegen auf, der Sinn Hat feine Schwingen 
Bort ohne Sinn kann nit zum Himmel bringen. 


und Geſchlchte des Gebetes. 61 


Vergebens bemüht er fid) nad) dem Bruderblute, bie ſtar⸗ 
ren Kniee zu beugen, das geſtaͤhlte Herz weich zu machen, 
wie Sehnen neugeborner Kinder. 

Wie Baader, ſo nimmt auch Moriz Wilhelm Drobiſch, 
in den Grundlehren der Religionsphiloſophie (Leipz. 1840), 
in feinem Abſchnitte von der SBerfófnung zwiſchen der Phi⸗ 
loſophie und ber Religion, ben. Kampf gegen Kant wieder 
auf. Der Geift Gottes, fagt er ©. 265 f., ift nicht ber 
bloße Begriff, fonbern ber, als wirklich geglaubte Gegen» 
Rand diefes Begriffs. Wie nun aber wird denn Gott 
wahrhaft geglaubt? Auf doppelte Weife: verborgener, oft 
unbewußt, im zuverſichtlichen fittlihen Thun, das nicht 
blos an feinen Werth, fondern aud) an feinen endlichen 
Erfolg glaubt und offenfunbiger, Mar bewußt, im Gebet. 
das Beten, als ein innerer förmlicher Gotteóbienft — 
fagt Stant — und barum als Gnademittel gedacht, ift 
ein abergläubifher Wahn (ein Fetiſchmachen). Denn es 
if ein blos erflärtes Wünfhen gegen ein Wefen, das 
feiner Erflärung der innern Gefinnung des Wuͤnſchenden 
bebarf, wodurch alo nichts gethan und alfo Feine von 
ben Pflichten, bie uns als Gebote Gottes obliegen, aus⸗ 
geübt, mithin Gott wirklich nidt gedient wird. Ein Berg 
lider Wunſch, Gott in allem unferen Thun unb Laflen 
wohlgefällig zu fein, b. i. die alle unfre Handlungen · be⸗ 
gleitende Gefinnungen, fle, als ob fie im Dienfte Gottes 
geſchehen, zu betreiben, ift der Geiſt des Gebets, ber ohne 
Unterlaß in uns flattfinden kann und folL"^ Grläuternd 
fügt er in einer Anmerkung mod Hinzu: „„In jenem 
Wunſch, ald bem Θείβε des Gebets, fucht ber Senf) 
mur auf fid ſelbſt (au Belebung feiner Gefinnungen vet» 
mittel der Idee von Gott), in biefem aber, ba er fid) 





v Zur Apologie 

bad) Worte, mithin äußerlich erlärt, auf Gott zu miren. 
Im erſtern Sinne kann ein Gebet mit voller Aufeichtigfeit 
flattfinden, wenn gleich ber Menſch fij) nicht anmaßt, 
fefbft das Dafein Gottes als völlig gewiß betheuern zu 
fónnen; in ber zweiten Form, als Anrede, nimmt er biefen 
höchften Gegenftand als perſoͤnlich gegenwärtig an, ober 
ſtellt ſich wenigſtens (felbft innerlich) fo, als ob er von 
feiner Gegenwart überführt fei, in ber Meinung, daß, 
wenn e& aud) nicht fo wäre, εὖ wenigftens nicht ſchaden, 
vielmehr ihm Gumft verfhaffen fónne 2." Die Härte 
Diefer SBeurtfeifung mildert fi zwar ‚etwas, wenn man 
bemerkt, baf fie eigentlich nicht gegen das Gebet. überhaupt 
gerichtet ift — denn das Danfgebet, als Erfüllung ber 
Pflicht der Dankbarkeit, müßte bod) jedenfalls Gott wohl- 
gefallen — fondern nur auf bie eigentliche Bitte geht, 
febann wiederum am meiften ben förmlichen mörtlichen 
Wusdrud betrifft, enblid) hauptſaͤchlich gegen das Gebet als 
Berpflihtung für Jedermann protefliren foll, um es viel» 
mehr bem SBebürfnif des Einzelnen anfeim zu geben. Auf 
Worte und Formeln fommt’s freilich nicht an; ber Wunſch, 
die Sehnfucht Tann fid) aud) in bloße Bilder und Gefühle 
kleiden. Aber ble Bitte läßt fld religionsphilofophifcy recht⸗ 
fertigen und fein Menſch ift fo ſtark und fo vollfommen, 
daß et fid ihrer gänylich zu überheben berechtigt wäre. ' 
Bor- allen Dingen brüdt fij im Gebet, welder Art εὖ 
immer fei, noch beftimmter, als im zuverfichtlichen moralis 
fen Handeln, bet Glaube an Gott aus. An Gott ben» 
Ten, von ihm reden, über fein Wefen "unb feine Eigen 
haften reflectiven heißt nod) nicht an ihn glauben. Der 
wahre Glaube felt Gott eben nur gerade fo vor, wie 
ber inbrünftig Betende. Im Gebete. werben. aber aud) bie 


unb Geſchichte bes’ Gebetes. 63 


zeligiöfen Verpflichtungen des Vertrauens, der Demuth und 
ber Grgebenfeit am vollfommenften ausgeübt unb zwar 
tritt bei ber eigentlichen Bitte, bie. Kant eben verſchmaͤht, 
bie Demuth als hauptfähhliches Erforderniß hervor. Es 
ift wahr: Vertrauen, Ergebung forie Dank läßt fi) Gott 
wohl aud) in der bloßen Gefütnung barbringen, bie, wenn 
fie an ihn denkt, gleichfam in dritter Perfon von ihm rebet. 
Um aber an Gott in ber zweiten grammatifhen Perfon 
benfen zu fünnen, wo bie Rebe in Anrede übergeht, bes 
darf es allerdings ber Demuth. Wer dies nicht Tann, 
der gleicht bem verftodten Kinde, bem die Bitte zu ſchwer 
wird, um fie zu wagen; ober er belügtfid) fe[bft Hinfichts 


Tid feines Glaubens, er glaubt gar nicht feft und innig^ 


« Gott, denn er fritt, fd) feines Glaubens ſchaͤmend, 
pud, wenn er. bamit Grnft maden und fif an Gott, 
glei als einen wirklich Gr[dyeinenben, wenden fol. Der 
Bittende erklärt allerdings feine Abhängigkeit, feine Ohn⸗ 
madt. Darum firäubt fid) ber Hochmuth der fogenannten 
ſtarken Geiſter gegen das Bittgebet. Und bod) ifté mur 
Bettelftolg: ihre Ohnmacht und Befchränktheit geftehen fie 
theoretifch ein, fie wollen fie nur nicht praftifch zugeben. 
Der Betende ftellt fid) nit, als ob er von ber Gegen« 
wart Gottes überführt wäre — bann wäre ja all fein 
Thun nur Heuchelei, fondern er glaubt wirklich, daß Gott 
nicht mur (ft, fondern aud) feine Wünfche unb feine Ges 
löbniffe vernimmt, Das Gebet fordert nicht unbebingt 
Worte. Denn wie oft mißlingt es uns ganz, in Worten 
auszufprechen, was wir fühlen und wünfchen. Noch wenie 
ger bebarf es ber lauten Rede unb ber äußern Geberbe 
(bie jedoch im öffentlichen Gottesbienft, i ber zur allge⸗ 
meinen Sitte gewordenen Form auch nit vernachläßigt 


“ Zur Φροίοριε 


werden Nu Θὰ iR aber nur das Zeichen eines Zeit- 
Que, Mw die Religien abhanden gefommen if, wenn 
der rin Van Arterrajihte Ure haben fell, Ró zu 
erde WP MON viebeatht datauf Sxipcud) hat, Gegen- 
BAR quo cbe Achtang ya rre Se größer der 
St, dex rot, Wa je rüber um erhbebember der 
WE We guarde deicheankt amd Xeweer dex 
MMC, huj cc Aut ἄχαρος enbsuéts fe eft er Dem Somer 
Gories Qudipcudy dat cow Gürmürbuped, umb Der axe 
τας hA Ac Hip awftubug set Pec Demnibigr, erídemt 
lead πὰς um 0 größer Tag Out mehr uners Ge 
is Wut, welehe fü in ive Begehung aem, vex 
(Gb, daß dr uc unite "npud Fre meiigerailer 
md eub i cux üitOuupM cuj awe XEurmge gerickter 
«ἂρ RR DAI CudM zu Qnmufenn — Vemm se Ceire et 
Nie sua Nrut ium auem juidymuütn; ober jar em 
ἥδνι τὼ nurdNuiec? Zap am dett ended D τας Dr 
Jar Sag zu Nindatjen ceuefebugr, ome aum Cilide 
gie G3Eeng, cuu Ne CUtgeousg cree cartina 
dgeduwud cop eure, NB mi? Ἀϊειξαπὸ cenceem mis 
e» OQ Dis Sor iup Seu umor Camm, c eme 
Füge, De wur QNetnessir istp vmenipbtemem blieben 
Mu, TW 49 ἃ Dig Iesteiine ter ibemmi o sernisü 
Sup, cda αἷς cac Joumuüug meg; ἅ, Ce mrd 
Ses Wii, Ge Beauty inp TR ung owe ub 
Oda IENIQEME, sagten ἐξ 
Gan S90 0 IMMaeguué up ud 
dies oen cepüHaa Decdei ut, Corm irent, 
Yan. D Stillen ile Dub, Auf cwaüerstyer Here 
Ceeanogtee dA Mh LE Ines cue τες Herpyidp 
cag an FREE ee SE, 5 ὲ o μα 














und Geſchichte des Gebetes. 65 


durchaus nothwendig, an die Wirkfamfeit beffelben, an die 
im Zufammenhang damit ftefenbe göttliche Hülfe zu glaus 
ben, dieſe nicht für eine blos fcheinbare, als eine nur 
ſubjective, pſychologiſch zu erflärende Grfdeinung zu bes 
taten. Denn eine nur ſcheinbare Hülfe annehrhen, hieße 
ja eben nicht wahrhaft glauben, daß, fondern fid) nur fo 
fellen, al8 ob Gott uns zum Guten beiftehe. Ein Beten, 
das nur auf bie pſychiſche Wirkung fpeculirte, im Hinter 
grund des Gemuͤths aber an ber Realität des ganzen 
Borganges zweifelte, würde, wenn, es anders möglich wäre, 
das unwürbigfte Gaufelfpiel, der nichtswürbigfte Selbftbe- 
ing fein. Wer fo betet, der fünbigt betend, denn er ente 
weiht das. Heilige. Wie bie Hülfe, welde das Gebet 
bringen fol, geſchehen mag, erforfchen zu wollen, ift eine 
ganz wᷣerthloſe und unfruchtbare Grübelei: denn alles Theo⸗ 
tíftm if hier meber am Plage nod) von Erfolg. Auch 
bier ruht der Glaube nicht auf ber theoretifhen Einſicht 
der Möglichkeit, fonbetn auf der moralpractiſchen Nothwen⸗ 
digleit. Am beften alfo, εὖ bleibt ganz balingeftellt, ob 
bie Hülfe Gottes burd) eine fupranaturaliftifche, ober ratios 
naliſtiſche Hypotheſe erflärt werben fol. Der Rationaligs 
mus führt leiht zu einem rohen an Fatalismus ſtreifen⸗ 
den Determinismus. „„Es geht und gehe, wie es gehen 
lam, nachdem Gott Alles vorherbeftimmt hat!““ Diefe 
. Ieuferung drüdt zwar religiófe Grgebung aus, aber in _ 
einer einfeitigen Höhe, bie an heidniſche SBerftodtbeit grenzt. 
Der Supernaturalismus andrerfeits hat fid) vor Schwär« 
merei zu hüten, bie in der Gnadenwahl aud) ein Ziel er- 
tft, das mit fittlichen Ueberzeugungen unvereinbar ift. 
Im Nebrigen aber muß in Beziehung auf fupernaturali« 
file Vorftellungsweife bedacht werben, daß zwifchen bem 
Theol. Duartalfrift. 1853. I. Hefte 5 


66 Zur Apologie 


Wollen und Vollbringen des Guten ein großer Unterſchied 
if; daß wer nur das Wollen hat, zwar gut in ber Ges 
finnung, aber ſchwach in ber Kraft ifl, unb fi, im Gefühl 
folder Schwäche, wohl Beiftand von Oben erfleen fann. 
Wird ihm nun biefer zu Theil, fo ift fein fittliher Wan⸗ 
del allerdings nicht blos fein Werk, allein aud) nicht bloß 
Gottes Werk (wodurch εὖ aufhören würde, fittlihen Werth 
zu haben), fonbern beides zugleich. Unſer Begriff von 
Freiheit ſchließt niemals Motive des bewußten Handelns 
aus; Motive aber find nicht Zwangsveranftaltungen, fon» 
dern werben immer nur erft durch den Willen wirkſam. 
Motive für ben menfhlihen Willen koͤnnen alfo aud) von 
Gott ausgehen, ohne daß baburd) ber Menfch geswungen, 
ohne daß er unfrei, eim blindes Werkzeug ber höheren 
Macht wird. Das flärkfte, natürlihfte und klarſte Motiv 
zum fittlihen Vollbringen ift. aber ber Glaube an die Ger 
genwart Gottes, an fein allfeenbeó Auge, ber fid) eben 
am lebenbigften im Gebet ausſpricht. Darum ift das glaͤu⸗ 
bige Gebet um Kraft zum Guten nie vergeblih. Dies ift 
aber das Myfterium ber Andacht, daß fij zwar einerfeits 
ihre Wirkung burd) die Herrſchaft des Gottesgedankens 
und des Glaubens an feine Gegenfünblidfeit als eine 
pſychologiſch begreifliche barftellt, anbrerfeitó aber biefer 
lebenbige Glaube ſelbſt unaufhörli darauf bringt, über 
biefe blos ſubjective ExrHärung hinauszugehen und ein 
feiner nähern Befchaffenheit nad) verborgen bleibenbes, 
objectives Geſchehen, einen wirklichen Verkehr mit Bott 
für wahr zu Halten; und ohne biefen Glauben giebt εὖ 
wieberum feine religiöfe Beruhigung, feine moraliſche Er⸗ 
febung für den Schwachen. 

Wenn aud) fier der Deismus, ober Theismus, ohne 


und Gefchichte des Gebetes. 67 


fonderliche Tiefe gum Vorſchein kommt, wenn der Einwurf 
bed Determinirtfeins burd) die Unterfcheivung zwiſchen Mo⸗ 
tiv und Zwang keineswegs befriedigende Löfung findet, 
wenn das Berlaffenfein von Theoretifhem, das Verwer⸗ 
fen theoretiſcher Einfiht, das Zurüdweifen angeblicher 
Grübelei unb bie Betonung des Moralpraftifhen nicht 
entfpricht, wenn bie ganze Darftellung fhwerlic eine Vers 
pflißtung aum Gebete beweist unb zu den harten Nuss 
drüden von Bettelſtolz, Verftodtheit, Selbftbelügen, Hoch⸗ 
muth auf der andern Seite nicht berechtigt, weil nur der 
alfeitig und ſtreng Beweifende ritten mag — fo erfreut 
bof das religiöfe, lebhafte Gefühl, bie Friſche ber Ueber⸗ 
xugung des adjtungémirbigen Philofophen, welcher hier, 
über Herbarts Anſchauuůng der Religion hinausgehend, bie 
Zahl derjenigen verfürft, welche für das Gebet gefpror 
dem und, für diejenigen, welche den gleidjen Standpunkt 
einnehmen, ober auf derfelben Stufe teen, nicht ohne 
erweckende und flärfende Bedeutung find. Ich ſchließe mit 
den Worten des Avicenna, welder in feiner Schrift de 
philosophia prima, sive scientia divina X. 1. (Avicennae 
Logica, Sufficientia etc. castigata et emendata per canoni- 
cos regulares S. Augustini in monasterio divi Joannis de 
viridario Commorantes; s. 1. et a. fol. p. 1089) gleichfalls 
vom Nugen unb bet Urſache des Rutzens des Gebetes 
handelnd fagt: Ut timeas reddere malum pro malo et 
studeas reddere bonum pro bono, cujus rei certitudo faciet 
le fugere malum. 


Dr. Gumpo[d. 


5* 


8. 


Die hriftliche Lehre von der göttlichen Gnade nad 
ihrem innern Zufammenhang. 

In nachſtehender Abhandlung wird beabſichtigt, bie 
chriſtliche Gnabenlete von ihrem einfachften Anfang bie 
zu ihrer hoͤchſten Concentration in dem Lehrftüd von bet 
SBorferbeftimmung und Gnadenwahl burd) alle Mittelglier 
ber hindurch zu verfolgen unb fie fo aus ihrem innern 
Zufammenhange zu begreifen. 

Die Function, der wir uns unterziehen, ift daher 
hauptſaͤchlich eine bialectifde. Die bogmatifde Bes 
grünbung liegt aufer unferm Zwede; man findet 
fie in allen, namentlich ben ältern bogmatijjen Werfen, 
in ausreichender Seife vollzogen, wogegen jene Function 
amar in ben einzelnen Lehrpuncten angeftrebt, für das 
Ganze ber Lehre aber wenigftens in der fpätern Scholaftif 
fo gut wie ganz. vernacjläßigt ift; daher überall mehr 
SBertvidelung als Entwidelung unb Auflöfung. In Folge 
der Streitigkeiten nämlich, weldhe durch bie neuen Auf- 
ftellungen einerfeit des Leffius unb Molina, andrers 
feit& des Bajus und Janſenius herbeigeführt wurden, 
ſchwoll das Detail der Lehre auferorbentid) an, unb ba 
bei dem gänzlihen Mangel einer innerlihen Methode !) 


1) Man vergleiche meine Ginteitung in bie Dogmatif ©. 284 ff. 


Die chriſtliche Lehre von ber göftlichen Gnade. 69 


bie Ueberſicht und Klarheit in demſelben Maaße abnahm; 
fo entftand ein Chaos, das zulegt Niemand mehr entwir« 
ten Fonnte. Die Streitigkeiten blieben unentſchieden, fte 
wurden aus Grmübung abgebrodjen und wir haben bie 
Rechnungen ohne das Facit überfommen. "Die Refultate 
müffen erft gezogen, ber Gewinn für bie Wiffenfchaft, 
wenn fte einen foldhen liefern, ετῇ noch erhoben werben. 
Die Theologen der fpätern Zeit, feit der Mitte des 18. Sabre 
hunderts haben bie Sache nur äußerlich vereinfacht, indem 
fe ſich von ben bifficilern Materien auf die anerfannten 
Allgemeinheiten zurüdzogen; unb wiffenfchaftlich nicht ge» 
fördert, ba fie zugleich- Begriffe herbeizogen, bie ihre wahre 
Bedeutung mur innerhalb biefer Materien finden. Auch 
die Vorliebe für bie leichtern, bem gemeinen Sinn näher 
liegenden Auffaffungen 3. 38. in ber Praͤdeſtinationslehre 
bient nicht zu ihrer Empfehlung meber aus dem Gefichts- 
punfte der Wiffenfchaft, noch aus bem ber Gade, des 
tiefen Ernſtes der chriſtlichen Grundanfhauung von ber 
göttlichen Gnade. Da bie ftreitenben Partheien von ben» 
felben kirchlichen Lehrfägen ausgingen, wie fle aud) alle 
bie entſcheidende Autorität des HE Auguftin, nur πίε 
gerade in ber einfeitigen, erclufiven Weife des Janſen 
anerfannten, fomit nur in den Folgerungen, bie fie aus 
jenen zogen, unb in ber Auslegung der Auguftinifchen 
Lehre von einander abwichen; fo- folgt von felbft, daß nur 
eine der Sache felber fid) anfdjfieBenbe, bem Fortgang 
ihrer innern Entwidlung folgende Methode den Ariadne⸗ 
{hen Faden aus jenem Labyrinthe an die Hand zu geben 
im Stande fein wird. Und dies ift denn aud) ber nádjfte 
Sed, ben wir mit unfrer Entwidlung der Gnadenlehre 
aus ihrem innern Zufammenhange vor Augen haben. — 


10 Die chrifiliche Lehre 
. Si quid novisti rectius istis Candidus imperti; si non, 
his utere mecum. Horat. ep. 1. 7, 67. 


1. Der Begriff ber Onabe. 


Bor allem muß man ben Gtanbpunct zu gewinnen 
fuden, auf bem bie Hriftlihe Gnabenlefre Fuß faft. 

Zu diefem Gtanbpuncte erheben wir uns auf zwei 
Stufen, bie wir zunächft zu befchreiben haben. 

Die rationalififihe Betrachtung des Berhältnifs 
ſes Gottes zum Menfchen und ber Menfchen zu einander 
ift das Erfte. 

Hier erbliden wir Gott zwar als ben Schöpfer aller 
Greatur, alfo aud) ber vernünftigen, als denjenigen, der 
biefe mit allem ausgerüftet, was zu ihrem Wefen gehört, 
insbefondere mit Vernunft und Freiheit, und in biefer 
Ausrüftung oder in ben Naturgaben ifr bie einzigen 
Mittel zur Erreihung ihrer Beſtimmungen dargeboten hat. 
Das Gute überhaupt und das Endziel deffelben — die 
Seligkeit — ift lebiglid) in den Willen des Menſchen ges 
ftellt, bem nichts zur Geite ftebt, als einerfeits bie Ders 
nunft, bie ihn daſſelbe fennen lehrt, anbrerfeitó das Ges 
wiffen, das ihn beftändig dazu ermahnt. Gott ift hier 
dem Menſchen nur allein in der Natur und ihrem Laufe 
präfent, unb die göttliche Providenz erftredt fid) nicht über 
bie Anwendung und Herbeifhaffung der äußern Mittel 
zur Grreidjung feiner Aufgabe, in allem übrigen fteht ihm 
Gott gleihfem als bloßer Zufhauer gegenüber unb erft 
qulegt tritt ev wieder ein als Richter, als der geredjte 
Bergelter beffen, was ber Menſch aus und burd) fid allein 
gethan hat, als der Herr, welcher Rechenſchaft fordert über 
bie Anwendung beó von ihm einem jeden extheilten Talentes. 


von ber göttlichen Gnabr. 71 


Hinfitlich des Verhältnifies der Menfchen zu einan⸗ 
ber geht bie rationaliftiffe Betrachtung nicht über das 
Einzelleben al foldhes hinaus. Sie weiß nichts von einer 
fittliden Einheit und Gemeinfamfeit aller Menfchen, 
von einem reellen fittlihen Einfluß eines Einzelnen auf 
alle übrigen; vielmehr fteht nad ihr jeber für fih und 
unabhängig von allen andern ba, jeber ift in fittliher Bes 
tiehung eben nur das, wozu er fid) felbft durch feine eigene 
Thätigkeit gemacht hat. 

Sft nun diefe rationaliſtiſche Betrachtungsweife falſch, 
ober objecti ausgebrüdt, ift die tein natürliche Ord⸗ 
nung nicht wirklich? 

Der driftilide Glaube felit einen ganz andern, 
den fuprarationaliftifchen Gefihtspunet auf und bie drift» 
li$e Heilsordnung ift eine übernatürliche in beis 
berlei Beziehung, (in Berug auf das Verhältnig Gottes 
jum Menfchen und des einzelnen Menſchen zu allen); aber 
wiewohl wir jenen als ben Dódften unb wahrften und 
biefe als die realſte und vollenbetfie betrachten, fo werben - 
wir bod) jene Frage nicht bejahen koͤnnen. 

Sjene rein natürliche Ordnung ift nicht nur wirklich, 
fondern aud) bleibend; Vernunft, Freiheit und Gemiffen 
find nie und nirgends aufgehoben, fie bleiben ihrem Weſen 
nad und befarten in ben Beziehungen zu einander unb 
in den Functionen, wie wir fie oben ausgehoben haben. 
Auch ber Einzelne, als folder, geht nie im Ganzen auf 
und fein perfönliher Werth muß immer gemeffen wet» 
ben nad) dem, was er aus und burd) fid) felber ift. 

Nur in ihrer Ausſchließlichkeit iſt bie rationaliſtiſche 
Betrachtung [αἰ ὦ, nur wenn fie für bie Höchfte abſchließende 
genommen wird, unwahr. Die natürliche Heilsordnung 


12 Die chriſtliche Lehre 


ift in ber uͤbernatuͤrlichen aufgehoben — in bem bekannten 
Doppelfinne diefes Wortes — alfo zunaͤchſt bewahrt, unb 
infofern jene Betrachtung berechtigt felbft auf dem Stand» 
puncte der höhern, pofitio chriſtlichen Anfiht; jene Ord⸗ 
nung ift fodann in biefer überfchritten, alfo negirt, und 
infofern muß fd) bie rationaliftifche Betrachtung gefallen 
lafien, nicht blos als untergeorbnet, fondern felbft als 
bloße Vorausfegung zu gelten gegenüber ber pofitio drift» 
lichen. 

Zweitens. Wir betreten die nächft höhere Stufe der 
Betrachtung, wenn wir erfennen, wie Gott bie beftünbige 
Urſache ift nicht blos davon, daß ber menfdjide Wille ift 
was er ift, fondern aud) daven, daß er ein guter ift unb 
bief lettere unbefdjabet des erfteren, b. 5. unbeſchadet ber 
Natur des Willens als eines freien. G6 ift eine durch⸗ 
aus: mangelhafte, weſentlich unfromme 3Borftellung, ben 
Menſchen in feinem freien Willen allein, bem Bermö- 
gen des Guten und Böfen, von Gott abfangen zu laffen, 
folglich anzunehmen, daß darin bie Urfächlichkeit Gottes 
auf ben Menſchen erfhöpft ober abgefchloffen fei. Gott, 
den abfolut Bollfommenen und Guten, fónnen wir und 
gar nicht benfen, wenn wir babei ftehen bleiben. Diefer 
Gott muß, fo zu fagen — denn bie Stotfienbigteit, von 
ber wir reben, trifft nict ihn, fondern unfer Denken — 
das Vermögen des Guten und Böfen infofern negiren, 

. als er ben Willen — unbeſchadet feiner Freiheit — über 
biefe Potentialität erhebt und zum ſittlich en madt burd) 
Einflößung des Guten. Diefes göttliche Thun heißt, ba 
ihm fein SBerbienft von Seite des Menſchen zu Grund 
liegt, Onade, unb.ift wohl zu unterfheiden von der 
SBerurfadjung der Natur überhaupt und des Willens ind» 


. 
von ber göttlichen Gnade. 73 


beſondere. In Gott felbft ift freilich fein gnädiger Wille 
identiſch mit feinem allmächtigen, aber fo gewiß wir bie 
natürliche Welt als weſentlich verſchieden von ber fittlihen 
erkennen, fo nothwendig müffen wir das Princip ber erftern 
ber bie Mad von bem Princip ber leßtern ober ber 
Gnade ſcharf unterfdeiben. 

Der gnábige Wille Gottes &ufert fid alfo burd) Gin» 
pflanzung des Guten in bem an fid) ober von Natur uns 
entſchiedenen Willen des Menfchen, und zwar nicht diefes 
ober jenes Menſchen, nod) des einen nur und des andern 
nicht, fonbern aller Menſchen, des Senden überhaupt, 
b. ἢ. des erfien Menfchen als des Stammvaters aller, 
folglich vermittelt des natürlichen Nerus aller Einzelnen 
wit die ſem erſten Menſchen ?). 

Man ſieht, wie ſich hier, wo wir zuerſt den Boden 
der rein rationalen Betrachtung verlaſſen, auch ſchon die 
beiden oben hervorgehobenen Momente der Betrachtung 
zugleich einſtellen, mit bem bet übernatürlihen Abhaͤngig⸗ 
keit des Menſchen von Gott, das ber Abhängigkeit des 
Einzelnen vom Ganzen oder Aller von Einem. 

So gewiß man bie SBerurfadjung des menfchlichen 
Willens als eines guten infofern eine übernatürlihe Gna» 
dengabe Gottes nennen muß, al8 damit etwas über bie 
Natur biefeó Willens hinausliegendes, fie überholendes 
und ber eigenen Kraftanftrengung zur Grreidjung feiner 
Beſtimmund vorauseilendes bewirkt ift, fo fanm man fie 
bod in einer andern Beziehung aud) natürlid) nennen. 
Einmal nämlich, infofern als fie fid) über alle ohne Aus- 
nahme erftedt, und zweitens, infofern als ihre Vermitt⸗ 


1) Die nähere Gntwidlung diefes Sages gehört in bie bd von 
ver utfptüngliden Gereditigtelt. 


a" Die chriſtliche Lehre 

fung bei jedem Einzelnen, ihr Uebergang von dem Einen 
auf Alle etwas rein Natuͤrliches ift; in&befonbere wird man 
fle fo nennen müffen im Vergleich mit der Gnade in Gbrifto. 

Auf bie angegebene Weife alfo ift ber Menſch mit 
feinem freien Willen in bie göttliche Gnabenordnung am 
Anfange erhoben worden. Es war an ihm, bur bie 
eigene freie That unter bem Beiftande der Gnade fid) in 
ihr zu erhalten und zu befeftigen, von Tugend zu Tugend 
fortzuſchreiten und fo nad) und πα eine foldje Fertigkeit 
und Stetigfeit im Guten zu erringen, daß die Gefahr 
des Falles immer ferner rüdte und bie beata necessitas 
boni, nad Auguftins Ausdrud, für ihn eintreten fonnte. 
Statt beffen widerfegte fid) ber Menſch ber göttlichen Gna⸗ 
benorbmung, er fünbigte. Mit ber Sünde fiel bie Gnade, 
fiel ber gute Wille Hinweg, und zwar ebenfo für Alle 
burd den Einen, wie fie in bem Einen Allen gegeben 
war. Der menfchlihe Wille, ber durch ben Fall zunaͤchſt 
blos in ben Zuftand der natürlichen Unentſchiedenheit zuruͤd⸗ 
fiel, aber aud) [dom burd) bie eine Sünde angefangen 
hatte, ein böfer Wille gu . fein, geriet, fld) felbft überlafr 
fen und der göttlichen Gnade beraubt, immer tiefer in das 
Böfe hinein. 

Der Abfall von Gott macht den Menſchen verdamms 
lich vor Gott; ber freventlich gerftörten Ginabenorbrumg 
folgt bie gerechte Straforbnung auf bem Fuße: Erbfünde, 
Erbſchuld. Dieß ift das Eine. Sodann ift ber menfch- 
liche Wille in bem Zuftande ber Abfehrung von Gott ber 
Welt, bem Böfen zugewendet: er ift böfe, unb will und 
thut nur das Böfe. Dieß ift das Andere. ' 

Zur Wieverherftelung des Menfcyen, wenn fie εἶν 
gen foll, ift alfo erforderlich: 


on ber göttlichen Gnade. 75 


1) bie Nachlaffung ber Sünde, befonders ber Erb⸗ 
fünde, b. h. die Aufhebung ber in ihrem Gefolge eintre⸗ 
tenden ewigen Verdammung. 

2) Die $erftellung des guten Willens und zwar bet 
guten Willensrichtung und Befchaffenheit (habitus) unb 
des guten Willens unb Thuns (actus, virtus, bona opera). 
Aus diefen Elementen fet fij ber Begriff ber Gnade 
Chriſti als gratia medicinalis im Unterſchiede von bet 
urfprünglichen Gnade, gratia sanitatis, gr. conditoris jus 
fammen. Mit ber Stadíaffung der Erbfünde unb ber 
damit beginnenden Wiederanknuͤpfung Gottes tritt bie auf 
den Willen wirkende und ihn zum guten Willen umſchaf⸗ 
fende göttliche Gnade wieder ein. Jenes gefchieht per 
inputationem justitiae Christi, dieſes per infusionem habi- 
tw justitiae propriae; beide ftefen in Wechſelwirkung zu 
einander, und ebenfo find fie theils Bebingt, theils gefolgt 
durch actuelle Grioedungen ber Gnade und Bethätigungen 
be Willens im Guten. Diefe Verhältniffe, wie fie fi 
im Proceffe der Wiedergeburt geltend machen, gehören aber 
nicht weiter hieher, fonbern in bie Lehre von ber ϑὲ ε ὦ ἐ- 
fertigung. 


2) Die Nothwendig leit der Gnade. 


Die Nothwendigkeit der Gnade zur Wiederherſtellung 
des Menfchen leuchtet im Allgemeinen aus dem kurz zuvor 
Angegebenen von felbft. ein. 

Aber wie ift biefe Nothwendigfeit namentlich nad der 
weiten pofitiven Seite — alfo abgefefen von ber Rad)» 
leffung der Sünde — näherhin zu befimmen? Ihre 
Borausfegung und ijr Gorrelat ift bie Unzulänglichkeit 


«u^ Die chriſtliche Leht e 
lung bei jedem Einzelnen, ihr Uebergang von dem Einen 
auf Alle etwas rein Ratürliches ift; insbeſondere wird man 
fie fo nennen müffen im Vergleich mit ber Gnade in Chriſto. 

Auf bie angegebene Weife alfo ift ber Menſch mit 
feinem freien Willen in bie góttlide Gnabenordnung am 
Anfange erhoben worden. G8 war an ihm, buch bie 
eigene freie That unter dem Beiftande der Gnade fij) in 
ihr zu erhalten und zu befefigen, von Tugend zu Tugend 
fortzuſchreiten und fo nad) und nad) eine ſolche Wertigkeit 
und Stetigfeit im Guten zu erringen, daß die Gefahr 
des Falles immer ferner rüdte und bie beata necessitas 
boni, nad) Auguſtins 9fuébrud, für ihn eintreten Eonnte, 
Statt beffen widerfegte fld) ber Menſch ber göttlichen Gna⸗ 
benorbmung, er fünbigte. Mit ber Sünde fiel bie Gnade, 
fiel ber gute Wille hinweg, und zwar ebenfo für Alle 
durch ben Einen, wie fie in bem Einen Allen gegeben 
war. Der menfhlihe Wille, ber duch ben Fall zunächft 
blos in ben Zuftand ber natürlichen Unentfdhiedenheit zurüd- 
fiel, aber auch ſchon burd) bie eine Sünde angefangen 
hatte, ein böfer Wille zu . fein, gerieth, fid) felbft überlafe 
fen und der göttlichen Gnade beraubt, immer tiefer in das 
Böfe hinein. 

Der Abfall von Gott madjt den Menfhen verdamms 
lid vor Gott; ber freventlich zerftörten Gnadenordnung 
folgt bie gerechte Straforbnung auf bem Fuße: Grbfünbe, 
Erbſchuld. Die ift das Eine. Sodann ift ber menſch⸗ 
lide Wille in bem Zuftande ber Abfehrung von Gott ber 
Welt, bem Böfen zugewendet: er ift böfe, und will und 
ijut nur das Boͤſe. Die ift das Anbere. 

Zur Wieverherftellung des Menfchen, wenn fie edol⸗ 
gen ſoll, iſt alſo erforderlich: 


von ber göttlichen Gnade. 75 


1) bie Nachlaffung der Sünde, befonders ber Erb⸗ 
fünde, b. h. die Aufhebung ber in ihrem Gefolge eintre- 
tenden ewigen SBerbammumg. 

2) Die Herftellung des guten Willens und zwar ber 
guten Willensrichtung und Befchaffenheit (habitus) unb 
des guten Willens unb Thuns (actus, virtus, bona opera). 
Aus diefen Elementen fegt fld der Begriff der Gnade 
Chriſti als gratia medicinalis im Unterſchiede von ber 
urfprünglidjen Gnade, gratia sanitatis, gr. conditoris zus 
faommen. Mit ber Nachlaſſung der Grbfünbe unb ber 
damit beginnenden Wiederanknuͤpfung Gottes tritt bie auf 
den Willen wirkende und ihn zum guten Willen umfchafe 
fende göttliche Gnade wieder ein. Jenes gefchieht per 
imputationem justitiae Christi, biejeó per infusionem habi- 
tus justitiae propriae; beide ftejen in Wechſelwirkung zu 
einander, unb ebenfo find fie theils bedingt, theild gefolgt 
burd) actuelle Erwedungen der Gnade und Bethätigungen 
des Willens im Guten. Diefe Berhältnifie, wie fie fid) 
im SBroceffe der Wiedergeburt geltend machen, gehören aber 
nicht weiter hieher, fondern in die Lehre von ber Rechts 

fertigung. 


2) Die Nothwendigkeit der Gnade. 


Die Nothwendigkeit der Gnade zur Wiederherftellung 
des Menſchen leuchtet im Allgemeinen aus bem Furz zuvor 
Angegebenen von felbft ein. 

Aber wie ift biefe Nothwendigkeit namentlich nad) ber 
zwejten pofitiven Seite — alfo abgefefen von ber 9tadj» 
lafjung der Sünde — näherhin zu beflimmen? Ihre 
Borausfegung und ifr Eorrelat iR bie Unzulänglihfeit 


76 Die Griflliche Lehre 


oder Unfähigkeit des menſchlichen Willens zum Guten !). 
Infoweit daher bem menfdliden Wille die 
fe8 Unvermögen einwohnt, infoweit ift ibm 
der Beiftand ber góttliden Gnade notfmenbig. 
Diefes Unvermögen fommt aber nad zwei Seiten in 
Betracht. 9tad) der materiellen Seite ift εὖ das Gute, 
das der Wille vermirfliden fol, das des ewigen Les 
bens woürbige (übernatürliche) Gute, in Anfehung beffen 
die Frage enifteht: o6 er ſich defielden zu bemädhtigen 
vermöge. Hierüber ſprechen fi bie in ber Anmerkung 
angeführten kirchlichen Beftimmungen unbeſchraͤnkt ver- 
neinend aus. Die Tragweite diefer Befimmungen wird 
aus dem Gegenfage Har, ben fie zurückweiſen. Die 
Synode von Orange fpriht fid gegen den Pelagia— 
nismus und Semipelagianismus, zwifdhen welchen 
der Belag. Iulian einen Mittelweg fudjte, in der an- 
geführten Weife aus. Diefe Gegenfäge find aber folgende: 

1. der pelagianifche: der Menſch aud) in feinem gegen» 
würtigen Zuftand vermag das Gute aus eigener Kraft und 
bebarf der innern Gnadenwirkung nicht unbebingt, fonbern 
mur um mit größerer Leichtigfeit baffefbe zu vollbringen. 

2. der julianifche: ber Menſch bedarf ber Gnade zur 
Bollbringung des guten Werkes, er bedarf ihrer aber 


1) Conc. Arausic. (IL) can. 25: Hoc praedicare debemus et 
credere, quod per peccatum primi hominis inclinatum et attenuatum 
fuerit liberum arbitrium, ut nullus postea aut diligere Deum, sicut 
oportuit, aut credere in Deum, aut operari propter Deum quod 
bonum est possit, nisi eum gratia misericordiae divinae praevenerit. 
Conc. Trid. sess. 6. can. 3: Si quis dixerit sine praeveniente Spiri- 
tus S. inspiratione atque ejus adjutorio hominem credere, sperare, 
diligere aut poenitere posse sicut oportet, ut ei justificationis gratia 
conferatur, anath. sit. Cf. can. 4. 2 u. cap. 1. 


von ber göttlichen Gnade. 77 


nicht zum Suchen, Bitten, Glauben (August. ad Bonif. 
lib. IL cap. 8). 

3. der ſemipelagianiſche: ber Menfch bedarf ber götts 
lichen Gnade zu jedem guten Werke fhlechthin, zum Bes 
ginne wie zur Vollendung defielben, alfo aud) zum Glau⸗ 
ben; nur bie Hinneigung zum Glauben, bie Glaubenss 
geneigtheit (fides inchoata, initium fidei) vermag er aus 
eigener Kraft in fij zu erzeugen h. 

Bermag der Wille das Gute aus eigener Kraft 
ſchlechthin weber zu wollen nod) zu vollbringen, fo [εἰπε 
ihm damit bie fittlihe Freiheit abgefproden; und ift εὖ 
die göttliche Gnade, bie baffelbe burd) ben Willen bes 
wirft, fo ſcheint fie in biefer Action der Gnade auf ben 
Villen aufgehoben zu fein: wenigftens waren dies für 
den Belagianismus in allen feinen Schattirungen bie ent« 
fheidenden Momente, um beren willen er das Vermögen 
des Guten. theils ſchlechthin theils bis auf einen gewiffen 
Punct bem Willen vindieirt unb in derſelben Weife und 
demfelben Maße bie Nothwendigkeit des göttlichen Gnaden- 
beiſtandes beftreitet. 

Die Firhliche Lehre gibt biefe Folgerungen nicht zu: 
fie behauptet das Vorhandenfein des liberum arbitrium 
auch nad) bem Günbenfalle, und räumt nur eine Schwaͤ— 
dung beffelben als Folge diefes Falles ein 5); ebenfo läßt 


1) Der oben cititte Canon des Trident. it wur bie Wiederholung 
der araufic. Beftimmung und fat defhalb auch nur diefe Gegenfäge im 
Auge. Die nach ber entgegengefeßten Seite ausfchreitenben Lehren ber 
Reformatoren find in den folgenden Ganonen berüdfichtigt. 

2) Concil. Trident. sess. 6. cap. 1 — usque adeo servi erant 
peccati et sub potestate diaboli ac mortis, ut non modo gentes per 
viam naturae, sed ne Judaei quidem per ipsam etiam litteram legis 
Moysi inde liberari aut surgere possent, (awmetei in eis liberum ar- 


28 Die chriſtliche Lehre 


ſie daſſelbe unter der Einwirkung der Gnade in ſeiner 
Weſenheit fortbeſtehen und den von ber Gnade getrage⸗ 
nen Willen als wahrhaft frei ſich erweiſen ). Aus bem 
Gefihtspunct des liberum arbitrium alfo ober nad ber 
formellen Seite wird ein Unvermögen des Willens in 
Bezug auf das Gute nicht ſchlechthin ftatuirt; e8 wird 
das Vermögen des Guten infotelt als e8 zugleich mit 
dem Vermögen des Böfen (als Wahlvermögen, nad) 
bem Ausdruck der Schule das aequilibrium potentiae seu 
facultatis, ober bie indifferentia activa) das Wefen feiner 
freien Bewegung conftituirt, ihm vielmehr zus, und nur 
die lebendige in entfpredenbem Thun fij) bemährende 


bitrium minime extincium essel, viribus licet aitenuaium el in— 
clinatum. Augustin. de spiritu et litera c. 28: Verumtamen quia 
non usque adeo in anima humana imago Dei terrenorum affec- 
tuum labe detrita est, ut nulla in ea velut lineamenta extrema re- 
manserint; unde merito dici possit etiam in ipsa impietate vitae 
suae facere aliqua legis vel sapere... Und furz vorher m. 48: si 
autem hi qui naturaliter quae legis sunt faciunt, nondum sunt 
habendi in numero eorum quos Christi justificat gratia; sed in 
eorum potius, quorum etiam impiorum, nec Deum verum veraciter 
justeque colentium, quaedam tamen facta vel legimus, vel novimus, 
vel audimus, quae secundum justitiae regulam non solum vituperare 
mon possumus, verum etiam merito recteque laudamus: quamquam 
si discutiantur quo fine flant, vix inveniuntur quae justitiae debitam. 
laudem defensionemve mereantur. Vergl. Eetius.in 2 lib. sent. 
dist. 41. 6. 2. 

1) Concil. Trident. sess. 6. can. 5: Si quis liberum hominis 
arbitrium post Adae peccatum amissum et extinctum esse dixerit, 
aut rem esse de solo titulo, imo titulum sine re, figmentum deni- 
que a Satana invectum in Ecclesiam, anath. sit. Can. 4: Si quis 
dixerit liberum hominis arbitrium a Deo motum et excitatum nihil 
eooperari assentiendo Deo excitanti atquo vocanti, quo ad obtinen- 
dam justiücationis gratiam se disponat ac praeparet; neque posse 
dissentire si velit, sed velati inanime quoddam nihil omnino agere, 
mereque passive se habere, aneth. sit. 





von der gottlichen Gnade. 79 


actuelle Kraft des Guten abgeſprochen. Es if fein 
sequilibrium inclinationis seu propensionis vorhanden, fo 
daß ber Wille mit derfelben Leichtigkeit für das Gute fid) 
beftimmte, mit ber er auf baó Böfe verfällt; er inclinizt 
wm Böfen, und in bem Maße als biefe Inclination 
müdtig geworben, if das ihm (als einem freien) gleich 
weſentliche Vermögen des Guten geſchwaͤcht (attenuatum 
lib arbit.). Das geftörte Gleichgewicht, bie SRadt auf 
jener und bie Unmacht auf biefer Seite ift aber bem Obis 
gen zufolge in folhem Maße vorhanden, bof der Wille, 
um irgend etwas wahrhaft Gutes zu wollen unb zu voll 
büngen, ſchlechthin ber göttlichen Gnade bedarf. Gleich 
wohl it bie fittliche Kraft in ihm nicht auegetilgt; fie ift 
— nad) einem in ber alten Kirche vielfach gebrauchten 
Audrud — erftorben, aber nicht vernichtet, bem im 
Vinterſchlaf rufenben Auge des Baumes zu vergleichen, 
das mit bem Eintritt der Frühlingsfonne erwacht, Blätter, 
Blüthen und Früchte bringt. Die ΠΗ ὥς Freiheit ift Fein 
bloßer Name, Fein leerer Titel, feine fatanifhe Sáufdung 
wie das Triventinum in Uebereinftimmung mit ber ganzen 
alten Kirche gegen bie ausſchweifenden Affertionen der 
Reformatoren aufs Unzweideutigſte ausgeſprochen hat 
(f. Anmerk.). 

‚Hier liegt eine fehr reelle Differenz vor. Nach einer 
Seite zwar fommt e$ auf baffelbe Hinaus, ob id) (age: 
der Menſch fanm das Gute nicht wollen unb vollbringen, 
es fehlt ihm die fittliche Freiheit in jedem Betracht; ober: 
der Menfch will und thut das Gute nicht, weil bie 
fittliche Freiheit als actuelle lebendige Kraft des Guten 
in ihm gelähmt, erſtorben ift — in beiden Fällen kommt 
es eben nicht zum Guten. In den Bolgerungen für bie 


80 Die SGeiftliche Lehre 


Art des nothwendigen Gnabenbeiftanbes zeigt fif erft bie 
Differenz, bie in principiell verſchiedenen Grundanſchauun⸗ 
gen ihre Gehurtsflätte hat. Wäre die fittlihe Freiheit 
burd bie Sünde ſchlechthin vernichtet, fo müßte fie burdj 
bie göttlihe Gnade erft neu geídjaffen und bem Willen 
wieder eingepflanzt werben — bie Gnade wäre alfo in 
erſter Linie eine ſchoͤpferiſche Kraft gleich der göttlichen 
Macht, eine völlig unjuláfige Vermifhung ganz verfchie- 
dener Begriffe —; ift fie aber nur gelähmt, erfiorben, fo 
braucht fie nur aus ihren Banden befreit, zu frifchem 
Leben erwedt zu werben. Da erſcheint bie Gnade vor 
Allem als die Einwirkung auf ben in feinem Wefen fort» 
dauernden freien Willen, burd) welche biefer a potentia 
ad actum bonum überzugehen angetrieben wird. Weiter⸗ 
hin geht aus ber DVergleihung beider. Anfhauungen un^ 
aweifelhaft hervor, daß bie Nothivendigfeit der Gnade 
war eine andere aber feine geringere ift bei der letztern 
Auffaflung als bei ber erftern, und bof mithin, wenn 


"fonft feine Gründe vorliegen, bie zweite zu der Schärfe 


ber erften zu fleigern, die mildere Auffaffung als bie 
wahre, auch dem [ebenbigften SBemuftfein des tiefen Gün» 
denelends und ber fhlechthinigen Nothwendigfeit der Gnade 
vollfommen genügenbe anerfannt werden muß. Solche 
Gründe find aber nirgends zu finden, dagegen Gründe 
genug, welche vor jener-fhroffen, finftern Anfhauung zus 
ruͤckſchrecken. Die fttliche Freiheit, bie biefe Auffaffung 
gänzlih unb in jedem SBetradjt verloren gibt, damit bie 
Nothwendigkeit der Gnabe befto dringender empfohlen 
und ihre Wirffamfeit defto lauter gepriefen fei, fie muß 
aud) unter der Herrfchaft der Sünde nod) anerkannt wer» 
ben, um bie Schuld berjelben, bie nur bem Menfchen 


von der göttlichen Gnade. 81 


gebührt, nicht auf Gott zu wälzen, wie nicht minder unter 
bem Einfluß der Gnade, damit das Werk der Gnade bem 
Menſchen zu gut fomme, ifm perfónlid) eigen fei. Halt 
der chriſtliche Glaube an beidem feft, an dem Dafein der 
fttlihen Breiheit mit bem[elben Nachdrucke wie an der 
Siotfyoenbigfeit der Gnade, fo darf man ber einen Border 
mung nicht Yo genügen, daß die andere darüber befeitigt 
wird, fondern beide Anfprücde find mit einander ju vere 
fühnen. Die pelagianifche Lehre, in ber bie Gnade 
feine Stelle findet neben der Freiheit, hat zu ihrem Gegen . 
theile die prädeftinatianifche Lehre, melde die Freis 
heit fáugnef, um bie Gnade ‚allein zu verherrlicen, wähs 

. Wüb das kirchliche Dogma fid) in ber Mitte biefer fib 
entgegenftehenden Lehren bewegt. Wir berufen ung ftatt 
Aer auf ben heil. Auguftin, ben von ber Mii ge 
feiertfien Vertheidiger ber Gnade 1). 


1) ©. oben ©. 78. Nur einige Hauptflellen. De peccat. merit. 
εἰ remiss. II, c. 18 n. 28: ne sic defendamus gratiam, ut liberum 
arbitrium auferre videamur; rursus, ne liberum sic asseramus 
arbitrium, ut superba impietate ingrati Dei gratiae judicemur. In 
feiner Schrift de gratin et libero arbitrio fagt er im Eingang: „gegen 
diejenigen Babe er fdjon Vieles gefchrieben, melde bie Breiheit mit Bes 
einträchtigung der Gnade vertfeibigen (die Pelagianer); aber mum gebe 
t$ aud) foldye, welche die Gnade aufKoflen der Freiheit vertheidigen 
und behaupten, man fónne die Gnade nur vertfelbigen, indem man bie 
Freiheit laͤugne“ (er meint bie Mönche von Sforumet, welche femipelas 
gianifch gefinnt, die ſtrenge Gnabenlehre für präbeftinatianifch hielten). 
Man vergleiche übrigens die ganze Schrift. — In dem Brief an ten 
Abt diefer Mönche, Valentin (epist. 215) gibt er als Inhalt der fides 
quae (fides catholica) neque liberum arbitrium negat, 
m malam, sive in bonam, neque| tantum ei tribuit, ut. 
sine gratia Dei valeat aliquid, sive ut ex malo convertatur in bonum, 
sive ut in bono perseveranter proficiat, sive ut ad bonum sempi- 
lernum perveniat, ubi jam non timeat, ne deficiat. Cfr. epist. 214. 

beol. Duartaljdrift. 4959. 1. Heft. 


a 





82 Die chriſlliche Lehre 


Hier geht und nur die praͤdeſtinatianiſche Lehre näher 
an; um ihren Gegenfag zur kirchlichen in bet vorliegen» 
ben frage uns fíar zu maden, gehen wir von bem res 
formatorifhen Eyfteme aus, in bem fie wieder aufgewärmt 
ift. „Nach dem Syſtem aud) der lutheriſchen Kirche, fagt 
Schleiermacher !), hebt die moralifhe Freiheit bes 
Menſchen erft an in dem Zuftande der Begnadigung und 
der Wiedergeburt, bie eben eine Geburt in biefe Freiheit 
ift; dem natürlichen Menſchen aber geftattet biefe& Syftem 
nur in weltliden Dingen bie freiheit, daß er bie 
Begierde überwinden koͤnne durch bie Einfiht, und ben 
felbftfüchtigen Trieb durch ben gefelligen, aber weber jene 
Einfiht nod) biefer Trieb vermögen an fid) das göttliche 
Geſetz zu erfüllen." „Gehen wir von ber (beiden pro 
teftant. Bekenntniſſen) gemeinſchaftlichen Lehre aus, fagt 
Schleiermacher ferner (a. a. Ὁ. ©. 80), daß in bem 
Zuftande ber Günbfaftigfeit nad) bem alle der Menſch 
nicht vermöge, aus eigner Kraft Gott zu erkennen, zu 
lieben und ihm zu vertrauen, oder wie εὖ auch ausge 
brüdt wird, daß, unbefdabet er übrigens einen freien 
Willen habe, hiezu ihm ber freie Wille fehle (Aug. Conk IL 
XVIIL): fo liegt ja darin offenbar biefe&, daß, da e8 bet 
freie Wille ift, burd) ben jemand eine Perfon ift, der 
fünbige Menſch zwar in jeder andern Hinſicht eine Perfon 
fei, in religiófer aber nit.“ Deßhalb bezeichnet aud) 
Schleiermacher bie Wiedergeburt als einen auf unbegreifr 
liche Weife entfiehenden neuen Lebensanfang (©. 84). 

In bem allgemeinen Gage: ba ber fünbfaftt 





1) Sammlung jerſtreuter tóeolog. Suffáge. Reutl. 1830. L che 
die ere von ber Crwaͤhlung. ©. 42. 


von der göttlichen Gnabe. 83 


Menſch vor und aufer der göttlichen SBegnabigung unfähig 
fei, aus eigener Kraft das göttliche Gefeg zu erfüllen, 
fimmt das Fatholifhe Dogma mit jener Lehre zufammen. 
Aber die nähere Beftimmung, der Sinn des Sapes ift 
auf unfeter Seite ein anderer. Die moralifhe Freiheit 
acu, das wirkliche Wollen und Thun des Guten fehlt 
bem aufer der Gnade ftehenden Menfchen; er ift feine 
moralifh gute Perfon; aber al8 moralifche Perfon er- 
weist fid) ber Menſch aud vor und aufer der Gnade. 
Die moralifhe Freiheit potentia, das Bermögen des Guten, ἡ 
biefe natürliche, burd? bie Geburt ihm eigene und unver 
lierbare, daher aud) burd) die Sünde nicht verlorene Wil- 
lensbeſchaffenheit fehlt ihm nicht, und braucht ihm alfo 
«uf nicht erft durch die Gnade wieder eingepflanzt zu 
werden. Die Gnade fnüpft an dies natürliche Vermögen 
an, das, burd) bie Sünde geſchwaͤcht, durch ihre Einwir- 
tung actualifitt, gum wirflihen Wollen und Thun des 
Guten. angetrieben und in baffelbe eingeführt wird. Man 
fónnte einwenden, ein Vermögen bed Guten, das nichts 
vermag, ein Wille, der das Gute wollen fann, aber in 
Wirklichkeit nicht will und thut, {εἰ eine bloße Abftraction, 
ein leerer Rame, etwas fhlechthin Todtes; allein man 
darf nicht vergeffen, daß dies Vermögen fid) [don darin 
als ein wirkliches, reelled erweist, daß ohne fein Vor— 
handenfein das Böfe, welches ber Menſch will, Fein frei 
gewolltes wäre, was e in ber That bod) ift. Vielmehr 
if jene prädeftinatianifche Trennung der Potenz des Guten 
von bem Actus des Böfen, das gänzlihe Sallenfaffen jener 
Seite des Willens eine unwahre Abftraction. Es erweist 
fid aber aud) bie Potenz des Guten als eine überall 
vorhandene und lebendige in den großen fittlihen Untere 
6* 


84 Die chriftliche Lehre 


ſchieden, welche unter den Menſchen, ungeachtet fie allzu⸗ 
mal Sünder find und des Nuhmes vor Gott ermangeln, 
ftattfinden, aud) wenn man fie nur negativ als ein Mehr 
oder Weniger der Verdorbenheit auffaßt "). 

Hier ift nun vor allem nod) eines Mittelglieves Gt» 
mwähnung zu thun. Die bem freien Willen natürliche 
Indifferenz zwiſchen Gut und Boͤs ift nicht bie ausſchließ⸗ 
liche Grundlage feiner Gelbftent(djeibungen, feines wirkli⸗ 
den Wollens und Thuns; er?) fommt aus ifr für fid) 
allein nidt unmittelbar zur guten ober böfen That; viel- 
mehr ift bie Richtung und Neigung nad) einer Seite (eine 
delectatio nad) Auguftins Ausdrud) bie unmittelbare 


1) €. oben ©. 78 Anm. Im Sufammenfang des dort Angeführten 
bemerkt Auguflin: sicut enim non impediunt a vita aeterna justum. 
quaedam peccata venialia, sine quibus haec vita non ducitur: sic 
ad salutem aeternam nihil prosunt impio aliqua bona opera, sine 
quibus difficillime vita cujuslibet pessimi hominis invenitur. Verum- 
tamen sicut in regno Dei velut stella ab stella in gloria differunt 
sancii (I. Gor. 15, 41); sic et in damnatione poenae sempiteruae 
tollerabilius erit Sodomae quam alteri civitati (Luc. 10, 12), et erunt 
quidam duplo amplius quibusdam gehennae flii (Matt. 23, 15): ita 
mec illud in judieio Dei vacabit quod in ipsa impietate dammabili 
magis allus alio. minusve peccaverit. In feiner Präbeftinationsichte 
jedoch hat er diefe concrete Auffaffung nidjt in Rechnung genommen. 

2) Der Wille, nicht der Menſch. Wir wollen nämlich nidt fagen, 
daß der Süenfd nur entweder durch bie Grwedung ber göttlichen Gnade 
oder bie Verführung der Schlange, nicht aber auch durch fid) auf dem 
motürlichen Wege aus der Impifferenz feines Willens zur Willensents 
ſcheidung, guten ober böfen Willensthat fomme; fondern mut dieſes, bof 
der Wille für fij allein aus feiner Imbifferenz nicht unmittelbar here 
austrete. Der Wille des Menfchen, ob er gleich frei i, muß, um Fein 
willlürlicher und grunblofer zu fein, einen Beweg» unb Entfeldunges 
grunb haben, fomme biefer nun als natürlicher aus feinem überlegen 
den Verſtand unb bewegendem Gewiſſen, oder als übernatürliher bon 
außen (oben ober unten) ijm gu. 











von ber göttlichen Gnade. 8 


Grundlage feiner freien Selbſtentſcheidung, fonft wäre 
diefe eine grundlofe, willfürlide. Das Aufgehobenfein 
der natürlichen Unentfchievenheit des Willens burd) bie 
ihm einwohnende Hinneigung, ift die Thüre ober Schwelle, 
über welche der Wille von dem natürlichen Gebiet in das 
fittliche eintritt, in das Gebiet der fittlihen Entfheidungen 
ger Thaten. Zur moralifhen Perſon alfo gehört zu- 
nàdf dieß, daß ber Wille fittlih beſtimmt fei, gut ober 
bis Y. Die Wiedergeburt, mit welcher die gute Willens» 
richtung anhebt, ift daher nicht eine Geburt in bie mora» 
liſche Freiheit überhaupt, oder in die geiftige Perſoͤnlich- 
feit überhaupt, fonbern in bie wahrhafte Freiheit und 


1) Die Pelagianer waren es und bie Rationaliften find e$ noch 
heute, welche jenen ſchlechten Begriff der Willensfreiheit im Sinne eines 
dotem ¶ Indeterminiomus auffellen und vertheibigen. Pelagius 
flit ben Sah auf: Habemus possibilitatem utriusque partis a Deo 
insitam velut quamdam ut ita dicam radicem fructiferam atque fe- 
cundam, quae ex voluntate hominis diversa gignat et pariat, et 
quae possit ad proprii cultoris arbitrium vel nitere flore virtutum 
vel sentibus horrere vitiorum. Augustin. de gratia Christi c. 18. 
Diefe Behauptung, entgeguet der Hl. Auguftin, reite mit ber evanges 
lidem Wahrheit und ber apoſtoüſchen Lehre. Denn ber Herr lehre 
(Elauf. 7, 18), ein guter Baum fönne feine ſchlimmen und eim böfer 
feine guten Früchte bringen; unb wenn ber Apoftel (1. Tim. 6, 10) 
bie Begierlichfeit (cupiditas) als die Wurzel aller Uebel bezeichne, fo 
wolle er bie Liebe (charitas) als bie Wurzel alles Guten verftanden 
wiſſen. Nachdem er dies weiter entwickelt, fließt et (I. c. cap. 20): 
llla ergo possibilitas, non-ut iste opinatur, una eademque radiz est 
bonorum et malorum. Aliud est enim charitas radix bonorum, 
aliud cupiditas radix malorum; tantum inter se differunt, quantum 
virtus et vitium. Sed plane illa possibilitas utriusque radicis est 
espaz; quis non solum potest homo habere charitatem, qua sit 
arbor bona, sed potest etiam cupiditatem, qua sit arbor mala. Sed 
cupiditas hominis quae vitium est, hominem habet auctorem vel 
hominis deceptorem, non hominis creatorem (1. Joann. 2, 16). 
Bergl. cap. 19 und de Spiritu et litera cap. 33 n. 58. 











86 Die chriftliche Lehre 

Geifigfeit, i e. in bie gottähnliche Sperfóntifeit. 
Auch der Sünder ift Perfon, denn er ift frei, umb eine 
moralifhe und geiftige Perſon, aber freilid) eine ſchlechte, 
eine irreligiöfe, und aud) biefeó nicht in der abftracten 
Seife der präbeftinatianifchen Auffaffung, in welder bie 
perſoͤnlichen Unterſchiede aufgehoben find (wie fie denn 
"die fittliche SBerfónfidfeit überhaupt nicht auffommen läßt), 
fonbern fo, daß ber eine mehr der andere weniger der 
wahrhaften Perſoͤnlichkeit ermangelt. 


3. Die Berurfahung des Guten burd bie 
göttlihe Gnade und ben men(dliden Willen. 
Unterſchied biefer Urſächlichkeiten. 


Die Sphäre des menſchlichen Willens, die ſittliche 
Welt ift eine in fid) felbft geichloffene, in ähnlicher Weife 
wie «8 bie Äußere Welt, die Natur ift. Sie hat ihr 
eigenes Prinzip, ben freien, b. b. ben fid) {εἶδ aus unb 
duch fid) beftimmenben Willen; bie einzelnen Dinge in 
ihr find theils eben die einzelnen Gelbftbeftimmungen biefe& 
Willens, theild bie baburd) gefeßten Willensbefchaffenheiten, 
welche hinwiederum auf den Willen unb feine Selbſtbe— 
flimmungen einwirken, alfo, wie biefe, Urſache und Wirkung 
zugleich find. Ueber diefen in fid) jurüdfaufenben Kreis von 
Gelbfibeftimmungen unb Beftimmtheiten des Willens fommen 
wir bei empirifdjer Betrachtung nirgends hinaus, gerade fo 
wie wir, von meldjem Punkte in der Natur aud) ausgegangen 
werben mag, nie über ben Zufammenhang von Urſache unb 
Wirkung hinausfommen zu etwas, was nur Urſache unb 
nicht zugleich aud? Wirkung, und al& biefe reine Urſache der 
legte Grund alles andern wäre. Aber wie wir deſſen⸗ 
ungeachtet zu dem in fi freifenben Naturzufammenhang, 


von der göttlichen Gnd, 587 


zu ber unendlichen Reihe von Dingen, bie fid) gegenfeitig 
bedingen, halten und tragen, eine abfolute Urſache fordern 
als Grund des Ganzen und als das alles Urſaͤchliche in 
ihm Verurſachende, die göttliche Macht, ebenfo poftuliten 
wir aud) zu ber fittlichen Welt eine abfolute Urfadje, auf 
welcher fie a[8 eine gute ruht und melde das bewegende 
Prinzip alles guten Willens ifl, nämlich bie göttliche Gnade. 
Alſo nicht blo8 darin ift ber Menſch abhängig von Gott, 
daß er will unb frei will, infofern ihm ja Gott biefen 
freien Willen gegeben, anerfhaffen hat, fonbern aud) 
darin, daß er das Gute will, infofern ihm Gott tiefen 
Willen fortwährend einflößt. Der göttlihe Wille will 
ben menſchlichen Willen und fo ift biefer; ber göttliche 
Wille wirft aber aud) in dem enblidjen Willen nad) der 
ihm eingepflangten Richtung auf das Gute fort, das Ber» 
mögen des Böfen bem Menfchen allein überlaffend. Eben 
deßhalb fanm von einer Beeinträchtigung der Freiheit nicht 
die Rede fein; diefe wäre vielmehr nur dann vorhanden, 
wenn bie Einwirfung Gottes auf das bem Willen anerfchaffene 
Bermögen des Guten mit gleichzeitiger Unterbrüdung des 
Bermögens des Böfen verbunden wäre. Dann würde Gott 
dur feine Gnabe dasjenige wieder zerftören, was er 
durch feine Macht gepflanzt hat. Wir ‚find aber durch 
niji berechtigt die göttliche Gnade in Gegenfag aur goͤtt⸗ 
lichen Macht zu fielen, fondern ſchlechthin zum Gegentheil 
aufgeforbert. Was heißt es alfo: Gott wirft im menſch⸗ 
lichen Willen das Gute, das für benfelben als einen 
freien nur ift neben der Möglichkeit des Böfen, oder was 
daffelbe fagen will nur baburd) i, daß ber Wille felbft 
fib frei für das Gute beftimmt? Dffenbar nichts anderes, 
als daß bie göttliche Gnabenmirfung eine Bewirfung 


88 . 9c hhriſtliche Lehre 


des Willens zur freien Selbſtbeſtimmung für 
das Gute fei. 

Der Grundirrthum aller von ber kirchlichen Lehre ab⸗ 
weichenden Anſichten uͤber unſern Gegenſtand liegt in der 
falſchen Vorausfegung, als ob der Wille, um als ein 
freier zu gelten, ſchlechthin unabhängig nidt bíoó von 
allen enbliden Urſachen außer ihm, fonberm aud) felbft 
von ber abfoluten !) gedacht werden müfle, als ein folder, 
ber fij [ebigfid) aus und burd) fid felbft zu allem 
beftimme, wozu er fid) beflimmt. Damit hat man nidt 
blos bie moralifche Abhängigkeit des Willens von ber 
göttlichen Gnabe, fondern aud) jede ſolche Abhängigfeit 
des Einzelnen von dem Ganzen oder bem Gtamm»ater, 
b. f. bie durch den Mißbrauch des Willens entflandene 
natürlihe Verfhlimmerung befielben gänzlic) geláugnet. 
Go bie Pelagianer. Es ift diefelbe irrige Vorausfegung 
mur in umgefefrter Anwendung, wenn man bie Freiheit 
des Willens aufopfert, weil man mit ihr die diftfide 
Gnabenlehre, an der man üm jeden Preis fefthalten will, 
nicht vereinbarlih hält. So bie Präveftinatianer. In 
der That flimmen biefe mit ben Pelagianern in biefem — 
dem einzigen — Puncte vollfommen überein; ber Affect 





1) Auf dem Concil von Trient berief fid) 8. Aloiſius von 
Gatane, um die Meinung zu widerlegen, als ob die göttliche Giu» 
wirkung auf ben Willen diefen feiner freien Selbſtbeſtimmung beraube 
und ihm Zwang anlege, auf ben Ausſpruch des δ΄. Thomas: ea 
moveri violenter, quae. moventur a causa contraria, a sua autem 
causa nihil per violentiam moveri — eine treffende Bemerkung, nur 
darf man fid) micht zu bem Schluſſe fortreißen offen, bem jener daraus 
zieht: cum autem Deus voluntatis sit causa, perinde'esse aliquem 
a Deo, atque a se moveri — was burdjaué unrichtig ijt. Die Erzaͤh—⸗ 
lung ijt aus Sarpi hist. Conc. Trident, II. p. 163. ed. 5. Gorinch. 1658. 


von ber göttlichen Gnade. . 89 


für die Gnade aber, wie er ihnen aus bem lebendigſten 
Bewußtfein der menſchlichen Sündhaftigfeit entfpringt, 
treibt fie auf ba6 andere Extrem, wogegen die Pelagianer, 
denen biefes Bewußtfein fehlt, einfach bei ihrem Freiheits⸗ 
begriffe fteben bleiben unb ber göttlichen Gnade ben Eins 
tritt in Das Innere des Willens verfchließen. 

Als die alfgemeinfte Vorausjegung der kirchlichen 
Ongdenlehre ftet der Satz feft: daß göttliche und menſch⸗ 
lihe Tpätigfeit in der Bewirfung des Guten mit einander 
concurriren und beide fid als Urfahen deſſelben vet« 
halten. Auf diefelbe Weife nun fónnen fie nidt 
Urſache des Guten fein, fdjon deßhalb, weil bann immer 
eine überflüffig wäre neben ber andern. Es ift daher 
tit Art ber göttlichen fowohl als der menfdliden Urfädh- 
liffit näher zu beſtimmen. Schon von vorne herein ift 
far, bag bie göttliche ihrem allgemeinen Charakter gemäß 
als die abfolute, vorhergehende, und bie menſchliche ebenfo 
als die bedingte, nachfolgende Urſache gefaßt werben muß. 
Es liegt bie aber aud) (don im bem oben gefundenen 
Ausdrude: daß bie Gnabentoirfung eine Bewirfung be8 
Willens zur freien Selbftbeftimmung fei. n. diefer Sormel 
liegt jedoch nod) mehr unb εὖ it jet unfere Aufgabe, fte 
féárfer in’8.Auge zu faflen, um zu neuen, concretern 
Beſtimmungen zu gelangen. . 

Es gibt feine Bewirfung des Guten burd) bie Gnade 
außerhalb „des Willens unb ohne feine Selbfithätigfeit; 
denn die Gnade wirft ja eben burd) den Willen unb bes 
wirft die Selbftthätigfeit des Willens im Guten; e& gibt 
aber aud) feine Bewirkung des Guten burd) ben menſch⸗ 
lien Willen allein ohne bie Gnabe aus bemfelben Grunde. 
Eollen diefe beiden Säge fid) näher gebracht und bie 


90 Die chriſtliche Lehre 


darin enthaltene Wahrheit ſchaͤrfer beflimmt werben, fo 
muͤſſen wir bie Urſaͤchlichkeit des menſchlichen Willens, 
obgleich ſie an ſich eine und ungetheilt iſt, in zwei Momente 
gleichſam zerſpalten. Wir betrachten zu dieſem Behufe 
die menſchliche Willensthaͤtigkeit zunaͤchſt als eine blos 
fpontane, fein Wollen als bloßes Wollen, und fo fónnen 
wir fagen, baf diefes Wollen durch bie göttliche Gnade 
bewirkt, und daß mithin biefe bie Urſache fei, fraft wel- 
her ber menſchliche Wille das Gute will. Sofort haben 
wir aber bie Thätigfeit des menfdjlidjen Willens aud ald 
eine freie, fein Wollen als ein freies, auf Ueberlegumg 
und Wahl beruhendes, furj als ein fid) felbft aus und 
burd) fid) zum Guten befiimmendes zu faffen. Wäre der 
Wille nur diefes, wäre er abfolut frei, wie der Wille 
des abfoluten Geiftes, wäre er nit auf Natur gepfroyft, 
und infofern nad) einer Seite paſſiv, fo fónntem wir in 
Bezug auf ihn gar feine Urſache außer ihm annehmen. 
Aber aud) fefbft wenn wir ihn als bebingt erfennen, fo 
vermögen wir bod) infofern als wir ihn an dem Momente 
feines Erhabenfeins über bie Natürlichkeit und Paffivität 
in feiner fi ſelbſt beſtimmenden Thätigfeit erfaffen, nicht 
zu benfen, daß er burd) ein ambercó, wie bie göttlihe 
Gnade, bewirkt werde, fondern hoͤchſtens, daß er nidt 
ohne diefes anbere wirfe; und aud) das läßt fij nur 
infoweit flatuiren, als wir biefe& Moment feines Wefens 
zurüdbeziehen auf das erftere unb an daſſelbe gebunden 
denken; denn ohne bieje Gebunbenfeit würden wir von 
aller Urfächlichkeit außer ihm ſchweigen, weil wir nichts 
Bedingtes vor uns hätten. 
Damit haben wir nun ein wichtiges Refultat ger 
wonnen in Bezug auf bie Urfächlichfeit der göttlichen 


von ber göttlichen Gnabe. ?t 


Gnade. Auch bie Gnade können wir in ihrer Einwirkung 
auf den menfhlihen Willen nicht unter dem einfachen 
Geſichtspunct der abfoluten fittfihen Urſache deſſelben 
faffen, was fie an fid allerdings ift, fondern ihr Begriff 
ift ein zufammengefeßter, fie erſcheint einerfeits als causa 
qua, andererſeits als conditio sine qua non ober nad 
Auguftins Ausdruck als auxilium quo unb auxilium sine 
quo non sc. fit bonum. 

Diefes Verhaͤltniß der göttlichen Gnade zu der menfch« 
lihen Freiheit ift das allgemeine, fowohl für den Willen 
in feiner urfprüngliden Unverdorbenheit als in feinem 
fpütern Verderbniß geltende. Es ift nicht wie Auguftin !) 
einmal diefe Momente des Gnadenbegriffs in zwei 
Onadenarten auflöst unb dadurd Anlaß zu der Jans 
fenififchen Lehre gegeben hat, daß bie urfprünglide 
Gnade fid) lediglich als auxilium sine quo non, bie Önade 
des Erlöfers dagegen aí8 auxilium quo verhalte ?); 
der Begriff der Gnade fhließt vielmehr flet biefe beiden 
Momente in fid. Denn wenn man fie ausſchließlich nur 
unter jenem Gefihtspuncte faßt, fo vermag man fie gar 
nicht eigentfid) feftzuhalten und finft auf den einfeitigen 
tationaliftifdjen Standpunft der Pelagianer zurüd; faft 
man fie dagegen ausſchließlich unter biefem Geſichtspunkt, 
fo läßt fid) bie Freiheit des menſchlichen Willens nicht 


1) De corrept. et grat. c. 11 u. 12, fiehe unten das Nähere. 

2) Diefen Unterſchied kann man als das Fundament des ganzen 
Sanfenififdjen Syſtems betrachten. Bergl. Aguire Theologia Anselmi 
Tom. III. tract. 6. disp. 116. sect. 4. n. 28 und bie Abhandlung de 
Janseniano systemate am Schluß des Eftius’fhen Comment. zum 
2. ud der Sentenzen in Ed. 3. Neapoli 1722, Die Abhandlung ift 
von den Herausgebern des Gommentaw. 


92 Die chriflliche Lehre 


damit vereinigen und man verfällt bem präbeftinatianifchen 
Jirthume. 

Die chriſtliche Gnade in ihrem Unterſchied von der 
urſpruͤnglichen beſteht vielmehr zunaͤchſt darin, baf fie 
nidt an bie Natur geknüpft und durch die natürliche Fort⸗ 
pflanzung vermittelt, ebenbarum aud) nicht fehlehthin all» 
gemein if, wie biefe; zweitens darin, daß die chriſtliche 
Gnade auf der Stellvertretung Chrifti beruht unb daher 
mad) einer Seite als Imputation erfdjeint, was bei ber 
urfprüngliden nicht ber (all ift; enblid) darin, daß Gott, 
während er in ber urfprünglichen Gnabe auf bie Seite 
des Guten im menfhlihen Willen tritt und baburd) ihm 
ben Sieg verfhafft über das in feiner Unmacht zurüds 
gelaffene Böfe, in ber erlöfenden Gnade zunaͤchſt bem 
Böfen am menfhlihen Willen entgegentritt und dadurch 
ben Weg zur SBieberermedung des Guten babnt. Hier 
nimmt die Rechtfertigung ihren Weg durch die Belehrung 
und wird vermittelt burd) ben äußern Anſchluß an bie 
chriſtliche Gemeinfhaft und den Gebrauch ihrer Gnaden⸗ 
mittel, dort geht fie birefte vor fid) in der allgemeinen 
Gemeinfhaft aller Menſchen unb ift vermittelt burd) die 
allgemeinen Mittel der göttlichen Weltordnung. 


4. Eintheilungen der Gnade, ober bie ver 
fdiebenen Gnabenmirfungen. Sureidenbe 
unb wirffame Gnabe, oder bie abfolute Wirk 
famfeit der Gnade unbefdabet ber freien 
Selbftbeffimmung des Willens. 


Gewöhnlich theilen die Theologen die Gnade zuerſt 
ein in bie gratia increata et aeterna und bie creata el 
temporalis. Dies ift.aber nicht eigentlid) eine divisio 


son bet göttlichen Gnade. 9 


gratiae wie bie übrigen, fondern bie allgemeine Bezeich⸗ 
nung des doppelten’ Geſichtspunctes, aus welchem, wie 
das Abfolute überhaupt, fo in&befonbere Djer bie göttliche 
Gnade in Betracht fommt. Man fann fie nämlich auffaffen, 
theils wie fle an fid) felber ift, wo fie mit bem göttlichen 
Weſen ivdentifh ober ald Gigenfdjaft beffelben, eine 
biefem Wefen gemäße, daher ewige, unerídjaffene, ungetheilte, 
ſchlechthin einfadje, überhaupt abfolute Wirffamfeit 
Gottes nad) außen ift, theild wie fie in ihren Wirfungen 
auf bie Welt unb den Menſchen insbefondere et» 
ſcheint. Dort fann von einer Theilung nicht die Rede 
fein; bie Differentiirung -beginnt erft bier, woo bie gótt» 
liche Gnade bie Endlichfeit trifft. Daß bie Gnadenlehre 
in ihrer SBolltünbigfeit beide Wege, ben ber abfoluten unb 
den ber endlichen Betrachtung, betreten müffe, fann feinem 
Zweifel unterliegen; mur das fann in Frage geftellt fein, 
οὗ beides an einem Orte zu gefchehen habe, ober ob 
für bie Onadenlehre im engern Sinne nur bie enblide 
Betrachtung fid) eigne, unb bie Prädeftinationglehre, worin 
fih die abfolute; Betrachtung concentrirt, etwa in ben 
erften Theil der Dogmatik, in die Lehre nämlich von bem 
Weſen und den Eigenfhaften Gottes gehöre, wohin fie 
auch von vielen Theologen geftellt wird. Diefen Punct 
wollten wir übrigens nur im Vorbeigehen berühren, weil 
aud) über ihn bie volle Klarheit bei den Theologen vers 
mit wird. 

Geht bie göttliche Gnade in ihren Wirkungen auf 
den Menſchen in ein Mannigfaltiges und Verſchiedenes 
auseinander, fo ift biefe Mannigfaltigfeit bod) eine ges 
ordnete und läßt fid) daher aud) ſyſtematiſch beſchreiben. 
"ien Eintheilungen voraus‘ geht bie Unterfeidung ber 


9 Die chriflliche Lehre 


äußern unb innern Gnate, indem burd) fie bec Begriff 
ber letztern, auf welche fid) fámmtlide Eintheilungen bes 
defen, objectib begrenzt wird. Im berfelben Richtung 
liegt die Bedeutung der Unterſcheidung zwiſchen gratia 
gratis data und gratia gratum faciens; fie begrenzt ben 
Begriff ber innern Gnade fubjectin, denn bie innere Gnabe, 
auf welde fid) bie Eintheilungen beziehen unb von der 
bie Gnadenlehre allein handelt, wirb hier als bie Gabe 
befiimmt, welche auf das eigene Heil des Empfängers 
abzwedt, im Unterſchiede von der gratia gratis dala 
melde der Menfh zu 9tu& und Frommen Anderer em- 
pfängt 1 Gor. 12, 8 ff. Die Eintheilungen der innern 
Gnade find nun folgende. Bezogen auf bie Menfchheit 
im Ganzen, unterſcheiden wir bie gratia conditoris ober 
sanitatis und bie gratia Salvatoris (Christi) ober medicinalis, 
von denen furj zuvor bie Rede war. Der gefhicht- 
liden Entwidlung der göttlichen Heilsmittheilung in ber 
SRenfdbeit entfpriht der fucceffive Verlauf des 
Heils im einzelnen SRenfden, weßhalb bie hierauf 
fid) beziehenden Gnabenwirfungen junádjft burd) das Merk- 
mal ber zeitlich en Verſchiedenheit fid) gegen einander 
abgrenzen gralia praeveniens — gr. concomitans — gr. 
subsequens !). 

Der fucceffive Verlauf des Heils ift erft bie Außer- 
fide Seite feiner Entwidlung und Verwirflihung im 

1) Conc. Trid, sess. 6. cap. 16: Cum enim ille ipse Christus 
Jesus tanquam caput in membra, et tanquam vitis in palmites, in 
ipsos justificatos jugiter virtutem influat; quae virtus bona eorum 
Opera semper antecedit et comitatur, et subsequitur, et sine qua 
mullo pacto Deo grata et meritoria esse possent, nihil ipsis justifi- 
catis amplius deesse credendum est etc. Vgl. Thomas summa 1. 2. 
"qu. 111. art. 3. Auguetin. de nat. οἱ grat, c. 31. 





von ber göftlicden Gnade. 59 


Sienffen. Die weitern intheifungen fnüpfen fij an 
bie innern, wefentlihen Momente dieſes Proceſſes. Und 
war zunaͤchſt daran, daß das Sittlihe überhaupt und 
alfo auch das fittlih Gute fid) theild als Willensrichtung 
und Befchaffenheit, theils als Willensthat, als bleibenden 
Suftanb und vorübergehende Handlung darftellt. Hierauf 
beruht bie Unterfcheidung einer gratia habitualis und einer 
gralia aclualis 1). Hinſichtlich diefer Einwirfung der Gnade 
auf die menfhlihe Handlung (gr. actualis) wird nod) 
genauer unterfchieven bie von Gott ausgehende Anregung 
des Willens, gratia operans, und bie mit der Bewegung, 
des Willens, nachdem fie burd) jenen Anftoß eingetreten 
iR, fortgehende und in ihr thätige göttliche Kraft, gratia 
woperans ?). Im Wefentlichen daffelbe befagt bie Gin» 


1) Thomas summa 1. 2. qu. iii. art. 2. Bellarmin. de grat. 
alib. arbit. L 2. Der Hl. Augufin faßt beide zufammen in ber 
Stelle de grat. Christi c. 19. n. 20: facit autem homo arborem 
bonam (Watth. 7, 18), quando Dei accipit gratiam. Non enim se 
ex malo bonum per se ipsum facit; sed ex illo et per illum et in 
illo qui semper est bonus: nec tantum ut arbor sit bona, sed etiam 
Wt faciat fractus bonos, eadem gratia necessarium est ut adjuvetur, 
sine qua boni aliquid facere non potest. Cf, de natur. et. grat. 
c 26. n. 29 unb de grat. Christi c. 12. n. 13, wo von ber gr. actualis 
ein die Rede ift. ᾿ 


2) Conc. Arausic. (II) c. 9: Quoties bona agimus, Deus in 
Tobis et nobiscum ut operemur operatur; c. Multa Deus facit 
in hominibus bona, quae non facit homo; nulla vero facit homo 
bom, quae non praestet Deus ut faciat homo. Οἵ, Augustin. contr. 
dum Epp. Pelag. lib. II. c. 8. de grat. et lib. arbit. c. 17: Quis 
istam etsi parvam dare coeperat charitatem, nisi ille, qui praeparat 
voluntatem, et cooperando perficit, quod operando it? Quoniam 
ipse ut velimus operatur incipiens, qui volentibus cooperatur per- 
fiens, Cf. Thomas summa 1. 2. qu. 111. art. 2. 











96 Die chriſtliche Lehre 


theilung der actuellen Gnade in gr. excitans und adjuvans, 
praeveniens unb subsequens '). 

Diefen Eintheilungen der actuellen Gnade liegt ber — 
Gedanke zu Grund, daß bie göttliche Thätigfeit den menich- 
lichen Willen nicht blos zur Selbftthätigfeit im Guten 
anrege, um ihn im Weitern fid) felbft zu übsrlaffen, jon 
dern daß fie im Willensacte felbft nod) wirffam fei. Sie 
beftimmen alfo ben allgemeinen Gebanfen von ber Urfäd: 
lidfeit der Gnabe im Guten zu bem beftimmtern fort, 
daß bie Gnade bie Durhgängige Urſache des 
guten Willens fei: Diefer Gebanfe ift in ihnen in 
feine Momente zerlegt und zugleich finnlich gefaßt. Weil 
aber der Wille nicht blos in feinem Thun, fondern aud 
in feiner Richtung und bleibenden Befchaffenheit als einen 
guten fid) erweist, fo ift nicht nur aud) nad) diefer Seite 
bie göttliche Gnade al8 bie abfolute Urſache deffelben zu 
begreifen, fondern es find aud) alle die Momente, in 
welchen fid ber gute Wille in biefer Richtung realiſirt, 
auf fte zurüdzuführen; weßhalb denn aud) einige Theo 
Togen Ὁ nicht vergeffen anzuführen, daß die Eintheilungen 
der actuellen Gnade in einem gemiffen Sinne zugleich 
auf bie gratia habitualis anwendbar feien. 

Endlich theilt man bie gr. actualis in gratia sufficiens, 
quae dat posse operari, und efficax, quae cerlissime dat 
bonum operari (Tournely) ober: quae cum operatione 
quam infallibiliter infert, semper conjungitur (Gonet), 

1) Die obige Eintheilung: gr. praeveniens, concomitans, sub- 
sequens ijt aus bem Geſichtspunct des Mechtfertigungsproceffes ente 
worfen, unb infofern von ber obigen, bie fid fpeciefl nur auf ben guten 
Willensact bezieht, wohl zu unterſcheiden. 

2) 8. 8. Gonet manuale Thomist. Colon. 1707. U. p. 146. 





von ber göttlichen Gnade. 9t: 


eine Unterſcheidung, für mele man fif) auf Cyril von 
Merandrien und Augirftin beruft, bie aber nicht einmal 
von Thomas direct ausgeſprochen if. Sie if ετῇ in 
der fpätern Scholaftif aufgefommen und als ein Mittel 
aufgeftellt worben, bie ſchwierigſte Frage ber Gnadenlehre 
im engern Sinne zu löfen; ſie hat aber biefe Abſicht fo 
wenig geredjtfertigt, ba gerade burd) fie erft der Streit 
faf umheilbar geworben if. Cyrill fagt an ber Stelle, 
auf bie man fidj beruft 5, nidjté weiter, als daß bie 
innerid) auf ben Willen wirkende Gabe viel fráftiger 
fti als bie dufere burd) Ermahnung, SBerfünbigung des 
Evangeliums u. dgl. Der BI. Thomas bemerkt (summa 
1.2. qu. 112 art. 2 ad 2): contingit quandoque, quod Deus 
wovet hominem ad aliquod bonum, non tamen perfectum, et 
lis praeparatio praecedit gratiam; sed quandoque statim 
perfecte movet ipsum ad bonum et subito gratiam homo 
accipit. Aus diefen Worten fann man jene Unterſchei⸗ 
bung nicht unmittelbar herleiten; der Gebanfe, ben fte 
ausſprechen, ift vielmehr zunächft ein anderer, daß nämlich 
die Gnade theils graduell fortſchreitend, theils aber aud) 
wie mit einem Schlag ihr Ziel erreiche, wie bei bec Bes 
fehrung Pauli. Auch der BT. Suguftin gibt jene Unter 
ſcheidung nicht direct an die Hand. Während fie bei ben 
frätern Scholaſtilern fih auf bie Gnade Chriſti unb 
war fpeciell auf bie aetuelle Gnade bezieht, beabſich⸗ 
tigt bie Unterſcheidung, bie Auguftin aufftellt, unb bie aller⸗ 
dings bie Begriffe der zureichenden unb wirffamen Gnade 
m Grunde legt, das Verhältniß berurfprüngliden 
guber jrifliden Gnade mittelft derfelben aufzuflären. 


- 1) Genet L c. p. 146. 
ies, Duartaligrift. 4859. 1. Get. 7 


98: Die chriſtliche Lehre 


Es find dieß die ſchon oben ausgehobenen Begriffe des adju- 
torium sine quo non unb des adjutorium quo fit bonum. Aus 
guftin unter[djeibet ") zwiſchen ber Gnabe, bie bie Ausdauer 


1) De corrept. et grat. c. 11. n. 29: Quid ergo? Adam non 
habuit Dei gratiam? Imo vero habuit magnam, sed disparem. Ille 
im bonis erat, quae de bonitate sui Conditoris acceperat... in qui- 
bus prorsus nullum patiebatur malum, Sancti vero in hac vita, ad 
quos pertinet liberationis haec gratia, in malis sunt, ex quibus cla- 
mant ad Deum, Libera nos a malo (Mattb. 6, 13). llle in illis bonis 
Christi morte non eguit: istos a reatu et haereditario et proprio il- 
lius Agui sanguis absolvit. Ille non opus habebat eo adjutorio, quod 
implorant isti, cum dicunt: video aliam legem io membris meis etc. 
(Rom. 7, 23 — 25). Quoniam in eis caro concupiscit adversus spi- 
ritum, et spiritus adversus carnem (Galat, 5, 17), atque in tali cer- 
temine laborantes ac periclitantes dari sibi pugnandi vincendique 
virtutem per Christi graliam poseumt. Ile vero nolle tali rixa de so 
ipso adversus se ipsum tentatus etque turbatus, in illo beatitudinis 
loco sua secum pace fruebatur... Nr. 31; Istam gri non ha- 
buit homo primus, qua nunquam vellet esse malus: sed sane habuit, 
in qua si permanere vellet, nunquam melus esset, et sine qua etiam 
cum libero arbitrio bonus esse non posset, sed eam tamen per li- 
berum arbitrium deserere posset. Nec ipsum ergo Deus esse voluit 
sine sua gratia, quam reliquit in ejus libero arbitrio... Haec prima 
est gratia, quae data est primo Adam: sed hac potentior est in se- 
cundo Adam, Prima est enim qua fit ut hahoat homo justitiam si 
velit: secunda ergo ples potest, qua etiam ft, αἱ velit, et tantum 
velit, tantoque ardore diligat, ut carnis voluntatem contraria concu- 
piscentem voluntate spiritus vincat. 
jutezin Alstinguende sunt. Aliud est 
fit, et aliud eat adjutorium, quo- aliquid ft, Nam sine alimentis non 
possumus vivere, nec tamen cum adfuerint alimenta, fit ut. vivat 
qui mori voluerit, Ergo adjutorium alimenlorum est, sine quo nom 
fif, iom que fit ut vivamus. At vero-bestitudo quam non habet homo, 
cum data fuerit continpo: fit beatus, Adjwtoríum est enim non solum 
sine quo non fit, verum etiam quo fit propter quod datur. Quaprop- 
ter hoc adjutorium et quo fit est, et sine quo non fit: quia et si 
data fuerit homini beatitudo, continuo fit beatus; et si data nunquam 
fuerit, nunquam erit... Primo itaque hortini . . .. datum «st-adjuto- 


D u 



























von · der gotilichen Gnade. Φ 


im Guten ivt Lid, und derjenigen, bie nur baó Ausdauern⸗ 
können verleiht. Die Ietere, baó adj. sine quo non, fei 
Adam verlieben worben, nicht aber bie erftere, das adj. quo; 
denn wenn ihm jenes nicht verliehen worden, fo wäre er 
ohne feine Schuld gefallen, ba ihm bie Unterftügung ges 
fehlt Hätte, ohne welche er, bloß geftüt auf feine Natur, 
nit hätte ausharren fónnen. Die erflere dagegen erbe 
den Heiligen (Glaͤubigen und Gerechtfertigten) verliehen, 
bie zum Reiche Gottes durch bie Gnade prädeftinirt 
feien. In biefen Worten liegt der Schlüffel für bie 
tihtige Auslegung der dem Mißverſtaͤndniß flarf ausge⸗ 
ſehten Auguftinifpen Stelle. Auguftin faßt die Kriftliche 
Gnade unter bem Gefihtspunet der Vorherbeſtimmung, 
alfo unter bem abfoluten Geſichtspuncte. So erfheint ber 
game fittliche Proceß, in welchem fid das Gute zeitlich 
tealifirt, lebiglid) in bem legten Effect der Befeligung; bie 
Mittelgliever des Glaubens, ber Rechtfertigung und Ber 
obachtung ber Gebote, fo wie bie fid) felbft beſtimmende 
SRifivirfung des freien Willens find nicht mit in Rechnung 
genommen, fondern lediglich vorausgefegt. Nicht darin 
liegt ber Mangel biefet Darftellung, daß Auguftin bie 


rium perseverantiae, non quo fleret ut perseveraret, sed sine quo 
per liberum arbitrium perseverare non posset. Nunc vero Sanctis in 
regnum Dei per gratiam praedestinatis non tale adjutorium perge- 
verantiae datur, sed tale, ut eis perseverantia ipsa donetur... Nr. 37. 
Vt ergo non acciperet hoc donum Dei, i. e. in bono perseverantiam 
primus homo, sed perseverare vel non perseverare in ejus relinque- 
retur arbitrio, tales vires habebat ejus voluntas, quae sine ullo fue- 
rat institota peccato, et nihil illi ex se ipso concupiscentialiter re- 
sütebat... Nuno vero posíea quam est illa magna peccati merito 
amissa libertas, eti&m mejoribus donis adjuvanda remansit infirmi- 
Ws... Subventum est igitur infirmitati volantatis humanae, ut di- 
vina gratia indeclinabiliter et instperabiliter ageretar. ' 
1 * 


100 Die qriftliche Lehre 


chriſtliche Gnabe lediglich als wirkſam, unb bie urfpränge 
lide lediglich als zureichend begreift, fonbern darin, baf 
er jene aus bem abfoluten, biefe aus bem endlichen Ge 
fihtspuncte faßt und fo fie einander gegenüber ftellt: eine 
ungleiche Vergleihung, die nothwendig zu ſchiefen Refuls 
Taten führt, fo bald man fie urgirt, ohne biefen Umftand 
in Anſchlag zu bringen. Das hat Janfen !) getfan und 
fo aus jener Stelle den Gat abgeleitet: gerade barür 
unterſcheide fld bie Hriftliche Gnabe von ber urfprüng- 
lichen, bag unter bem Ginffuffe ber erſtern bie freie 
Selbſtentſcheidung des Willens, auf bie bei der letztern 
gerechnet fei, wegfalle: eine irrige, von ber Kirche mit 
Stedjt vermorfene, unb bem HI. Auguftin mit Unrecht (von 
jenem und Andern) imputirte Lehre. Janſen beftreis 
tet die Gnabe als eine zureichende; bie Ermoͤglichung 
bes Guten ift nad ihm weder eine Defonbere Art, nod 
ein Merkmal des Begriffs der chriſtlichen Gnade, fondern 
biefe befteht lediglich in ber Verwirklichung beffelben 5; 
womit er nur bie im jener und fo vielen andern Stellen 
deutlich vorgetragene Lehre Auguſtins 5) zu wiederholen 
behauptet. Mit Unrecht. Man fee alle dergleichen Stel 


1) Augustinus Tom. 3. lib. IL c. 3 u. 4; Jib. ΠῚ, c. 1. 

2) Augustinus Tom. 3. lib. II. c. 25: Nulla omnino medicinalis 
Christi gratia effectu suo caret, sed ommis efficit, ut voluntas velit 
et aliquid operetur. Lib. II. cap. 3.: Sufficientem illam grati 
quam Scholastici multi in Theologiam velut adjutorium Salvatoı 
tulerunt, ab Augustino destructam funditusque eversam esse libens 
lateor etc. Vocamus antem illam sufficientem gratiam seu suffici 
adjutorium, praeter quod nihil aliud ex parte Dei per modum prin- 
eipii necessarium est, ut homo velit aut operetur. 

3) 8. 9. de corrept. et grat. c. 14; ad Bonifac. II, 9; de grat. 
Christi c. 13. 14; de grat. et lib, arbit. c. 15. 


















von ber göttlichen Onabe. 101 


len nadj, unb man wird finden, daß darin Gebanfen über 
bie Wirkſamkeit der Gnade auégefprodjen find, bie bie 
freie Seldftbeftimmung des Willens nicht ausfchließen, weder 
birecte nod) folgeweiſe. Es fehlägt nicht gegen bie Freis 
heit aus, wenn der Bf. Auguftin lehrt: bie göttliche Gnade 
vermöge aud) das harte Herz zu erweichen; fte wirfe das 
Gute, wo fie gegeben werde, wo fie aber fehle, fomme 
beffelbe nicht ju Stande. Diefe und ähnliche Säge lau⸗ 
fen alle auf den einfachen, von den Pelagianern gänzlich) 
befittenen, von ben. Semipelagianern eingefhränften Bes 
gif der aus und burd fid felber wirffamen, 
ud) bie Einftimmung des Willens verutfadjenben Gnade 
hinaus, ober fie beruhen auf der Auffaſſung der Gnade 
sub specie aetermitetis. 

Was nun jenen Unterfchied felbft betrifft, fo ift zu⸗ 
naͤchſt in Bezug auf den Ausdruck gratia sufficiens von 
entgegengefeßten Seiten, von ben Sefuiten und ben Janſe⸗ 
aiften bemerft worden, daß berfelbe unpaffend ſei. Denn 
da παῷ der Lehre der Thomiften felbft bie gratia efficax 
erfordert werde, damit der Wille wirklich das Gute wolle, 
fo könne man bie davon verſchiedene gratia sufficiens, bie 
blos das Wollenfönnen verleiht, nicht zureichend nennen, 
weil fie es zum wirklichen Wollen nicht fei. Indeſſen 
lónnen wir biefe Einwendung, fofern fie blos ſprachlicher 
Art ift, ganz auf fid) beruhen faffen; denn es Handelt fid 
mur um bie Gade, niht um ben Ausdrud, ben man 
ſchonend beurtheilen muß, wenn jene ftihhaltig if. In 
Bezug auf biefe nun haben bie Thomiften darauf hinger 
tiefen, daß zunädhft fehon bie gratia habitualis als gratia 
sufficiens betrachtet werben könne, infofern außer ihr fein 
anderer habitus infusus, alfo fein weiteres auxilium gratiae 


102 Die qriftuche Lehro 


derſelben Art, wohl aber ein auxilium gratiae secandum 
alium modum, ut scilicet voluntas a Deo moveatur ad 
recle agendum, b. f. bie fogenannte gratia actualig noths 
wendig fei. Aber ſchon hier müffen wir nachdrüdlich darauf 
binweifen, fürs erſte, daß biefe gratia habitualis und aetua- 
lis nur fehr uneigentlid) verfdjiebene göttliche Gnaben ge« 
nannt werben; es find bie vielmehr mur verſchledene im 
menſchlichen Willen durch biefelbe göttliche Gnade und bie 
gleiche (nämlich blos moralifche) Wirkſamleit derſelben her⸗ 
vorgebrachte Wirkun gen; fürs zweite, daß dieſe Wir⸗ 
kungen zwar wohl unterſchieden, aber nift von ein⸗ 
ander getrennt werden duͤrfen, als ob naͤmlich jede nur 
fuͤr ſich hervorgebracht werde, nicht aber beide in Wechſel⸗ 
wirkung auf einander; denn indem Gott den guten habi- 
tus fegt, wirkt er zugleih auf ben actus ein, und indem 
ex diefen bewirkt, wirft er zugleich auf jenen zurüd. Drit⸗ 
tens ift ja zugeſtandenermaaßen nicht eigentlich bie gratia 
habitualis gemeint, wenn von ber gratia sufficiens im 
Unterſchied von ber efficax die Rebe ift, fondern ausdruͤd⸗ 
fid) wird diefer Unterfhied in Bezug auf bie gratia actua- 
lis gemadjt: bie gratia sufficiens foll nämlich nichts andere 
fein, als was fonft gratia excitans genannt wird, während 
bie von biefer als gratia adjuvans unterſchiedene Gnaden⸗ 
wirfung nun näher als gratia efflcax beftimmt wird !). 
Es ift nicht ſchwer zu zeigen, ba ein folder tren⸗ 
nender Unterſchied, wie ihn bie Scholaftifer aufftellen, wenn 


1) So aushrüdlih J. Gonsales de Leon controversiae de ausi- 
ls div. gratise. Leodii 1708. 4. p. 41. cf, p. 324 seqq. Gonst 
l c. p. 148 seqq. Statt sufficiens u. efficax fegen Suarez, Vaſ⸗ 
quez u, A. incongrua u. congrua, eine Differenz, worhber fid Gouet 
a. a D. fur und gut aueſpricht. 


voti der gorillchen Snade. 'eo3 


fie unter ber zureichenven und wirkſamen Gnobe verſchie⸗ 
bene Arten oder Wirfungen ber Guabe verſtehen, 
unzuläßig, und nift einmal auf die gratia interna über» 
haupt, geſchweige auf bie gr. interna hetualis anwenbbar 
ig. Um mit bem letziern zu beginnen, fo ift eine nur das 
Können verleihende, das Wollen aber in den Willen des 
Menichen ftellende Gnade für fid), als eigene Art ober 
Wirfung ber Gnade, gar feine innere, fonbeen bie Außere 
Gnade. Die’ innere: Gnade ſtellt ja das Wollen des 
Guten infofern nit in ben Willen des Menfchen, ober 
ted) nicht allein und aud) nicht principaliter i feinen 
Willen, als fie «uf bie Bewirkung biefes Wollens nicht 
bío8 abzielt, fondern daffelbe aud) mitbewirkt, unb zwar 
principaliter, ald Grundurſache, es bewirft. Diefes Ber 
wirfen des guten Wollens hat allerdings fo zu fagen feine 
Stufen oder Grade, indem es auf bie eigenthüämliche Art 
des endlichen menſchlichen Willens eingeht. Es erſcheint, 
fo angefehen, nicht als ein einfadhes, fonbern als ein 
mannigfaltiges und fortfpreitendes Wirken; und man fann 
in dieſer infit nad) rein empirifcher Auffaffung wohl 
fagen, bie Gnade [εἰ evi dann vollfommen wirkſam, 
wenn fte alle bie Stufen, in welchen der menſchliche Wille 
bis zum vollendeten Act vordringt, durchſchreitend, mit der 
Bewirkung des wirflihen Wollens ihren Sieg feiert, fie 
{εἰ dies aber nidjt, wein fle etwa bei der Bewirkung ber 
guten Willensrichtung ober Del ber Ereitation des Actus 
fiehen bleibe. Aber daraus folgt bennod) nicht, daß fle 
im letztern Galle mur zureichend und nicht wirfam, und 
im erfteen mur wirkſam umb nidyt zureichend fei; venn es 
it ja in jenem Falle die Gnade auf bie Bewirkung des 
Artus berechnet und auf ihn infuirend, und in biefem 


- 4104 Die βόε Lehre 

Balle iſt der Actus nicht geradezu bewirkt, ſondern vermit- 
telſt bec freien Selbfibeftimmung des Willens im Fort⸗ 
gange. ber Momente, burd) welche er fid) bewegt. Mit 
einem Worte alſo: bie Gnade die bloß zureichend ift, ift Feine 
innere; bie Gnabe aber, die blos wirkfam ift, ſchließt die 
freie Selbftbefimmung des Willens aus. 

Haben alfo bie Moliniften Recht, wenn fie behaupten, 
biefelbe!) Gnabe werde zureichend oder wirlſam genannt, 
-je nadbem ber menfhlihe Wille fij zu ihr verhalte; 
wenn er nicht einftimme, fo erweife fie ih als unwirkſam 
aber zureichend, in wiefern der menfchliche Wille Hätte eins 
fimmen förmen, wenn er aber einflimme, erweife fie fif) 
als wirffam (und zureichend, in wiefern bie Einftimmung 
niet von ber Gnade bewirkt if)? Keineswegs. Diefe 
Anfiht ift das gerade Gegentheil der thomiſtiſchen; if 
biefe materiell richtig, aber formell verfehlt, fo ift fie ums 
getebrt mit der Gnabenlebre, inhaltlich ober materiell ges 
nommen, im Widerſpruch, formell dagegen, b. D. in ber 
Stuffaffung der gureidenben und wirffamen Gnabe als bloße 
Momente oder Merkmale des Gnabenbegriffó, im Reit. 
Nach ihr ift bie Cinftimmung gerade fo wie bie Nichtein- 
fimmung die unabhängige alleinige That des menſchlichen 


1) Diefe Auffaſſung, der erſte Schritt zur Löfung der Verwirrung 
in den Gontroverfen de gratiae auxiliis, findet fid aud) bei Petavius 
S. feinem berühmten Werke de theolog. dogmat. Tom. 1. lib. X. c. 16. 
m. 2 fagt er: Ea (gratime divisio in aufficientem et efficacem) non 
generis est in species, sed ejusdem speciei secundum accidens di- 
stnctio. Non enim alia est sufficientis natura sive essentia, quam 
efficacia, cum una eademque sit’sufficiens ex sese, et efficax. Quippe 
omnis efficax eadem et sufficiens est; οἱ quae efücax non est, ac 
tantum suflciens est, ex accidenti non habei effectum, quem per se 
cuique sua (scil. parte) potest et parata est exprimere, nisi libera 
"consensio voluntatis obstaret, 


von bet gbitlichen Gnade. 105 


Willens, und man ἔδηπίε alfo — was doch bogmatifd) 
unzweifelhaft feftftebt — in Wahrheit nicht fagen, daß bie 
göttlihe Gnade auch das Wollen des Guten bewirkte; 
dies Wollen wäre ſtets nur in den Willen des Menſchen 
geſtellt, und bie göttliche Gnade würde baffebe nur präs 
pariren, aͤußerlich und innerlich begünftigen, unterftüpen. 

Indem man nun aufhört, von gratia sufficiens und 
efücax im Sinne ber Thomiften als von verſchiedenen 
Arten oder Wirkungen ber actuellen Gnade zu reden, und 
flatt beffen vielmehr anerkennt, daß bie eine unb felbe 
innere Gnade immer beides zugleich (ei, und bag durch 
die Zulänglichfeit unb Wirkfamfeit nur ble unzertrennlich 
verbundenen Merkmale ihrer Eaufalität überhaupt in ber 
Art ausgebrüdt werben, baf damit fo wohl der Strenge der 
Ontbeníebre, beziehungsweife ihrer Nothwendigkeit zum 
Bollen des Guten, als auch ber unveräußerlihen For⸗ 
derung ber freien Mitwirkung des menfhlichen Willens, 
befonders feiner freien Zu» und Einflimmung Genuͤge ger 
ſchieht; fo ift damit bod) ετῇ eine abſtracte Wahrheit aud» 
gefprochen, unb bie Seite des Problems nod nicht 
berührt, von melder bie Einführung jener 
Unterfheidunggunähftausgegangenund haupt- 
fachlich gefordert zu fein [deint. Es war näms 
lich nicht blos bie zur verftändigen Erkenntniß zu erhe⸗ 
ben, daß bie göttliche Gnabe nidjt nur das Können fondern 
ganz eigentlich aud) das Wollen des Guten bewirfe, fons 
bern, indem man als Subject der Gnade nicht mehr abftract 
ben Menfchen überhaupt, vielmehr bie Menfhen unb 
den Einen im Unterfhied vom Andern ins Auge 
fafte, aud die erfahrungsmäßige Wahrheit zu begreifen, 
daß die Gnade nur einige Menfchen bis zum wirklichen 


406 Die qriſtliche ibo 

Wollan des Guten. führe, waͤhrend andere, abmohl fe 
ſich auch an ihnen thaͤtig erweiſe, nicht dahin kaͤmen. 
Dieſer Sah ift fen von Auguſtin in folgender Weiſe 
ſpecialiſirt werden. Unter Mehrern, die alle zum Olau⸗ 
ben innerlich erregt werben, werden nur Einige zum 
Acte des Glaubens und ben ihm entfprechenden Werken 
gebradt, unb fo gerechtfertigt. Bon biefen Gerecht⸗ 
fertigten find Alle bur bie Gnabe in den Stand ae 
febt, die. Gebote zu beobachten und auszuharren ,bi and 
Ende in der Gerechtigkeit, (omit das ewige Leben zu er 
lenge; aber nur Einigen wird. bie woirffame Gnabe 
zu beidem, namentlid) ba& donum perseveramtiae zu Theil, 
und nur biefe werben wirklich felig. Die zunächft liegende 
Frage, woher εὖ fomme, bag Gott dem Einen bie durch⸗ 
greifenb wirffame Gnade verleiht und bem Andern nicht, 
gehört nicht hieher, foubrrn in bem folgenden F., ber von 
der Vorherbeſtimmung und Onadenwahl handelt. Gor. 
bern bie Frage ift hier zu erörtern, ob wicht unter Bor- 
ausfegung ſolchen Sadjverhalts (ber bogmati[d) feftgebD 
die thomiſtiſche Unterſcheidung einer zureihenben unb wirl⸗ 
famen Gnabe zum Berftänbniß beffefben unumgänglich ers 
fordert werde. Die Antwort hierauf fann, wenn bad 
Borausgegangene wohl in Erwägung genommen wird, nicht 
ameifetpaft fein: jene Unterſcheidung erfcheint auch Bier 
überflüffig und anftatthaft. δάπδε bie Thatſache, daß Eini⸗ 
gen ble. Gnade Gottes bis zum endlichen Siege, zur Aus 
batter. in ber empfangenen Gerechtigkeit bis and Ende vet 
hilft, während Andere nidjt ausbamern, ihre Begründung 
lediglich in der Guabenmittfeilung; fo waͤre die tho⸗ 
miſtiſche Unterſcheidung zuläßig, ja nothwendig; liegt aber 
‚ber Grund hievon zugleich in bes menſchlichen Fteithaͤ⸗ 


ton der gottlichen Gnade. “467 


tigfeit, wenn aud) nicht principaliter, fe (ft derſelbe uns 
nöthig unb ungeeignet. IR bie Gnade, welche ben Einen 
pur Seligfeit führt, ausſchließlich ober fo wirffam, baf 
fie das Merkmal der Sufficienz von fi abweist, bann 
verhäft fid) der Menſch zu biefer Gnadenmittheilung nicht 
frei, und das Argument, bad ber abfoluten Prävefination 
entgegengefept zu werben pflegt: entweber bin id) praͤde⸗ 
finiet, dann wird mir nichts ſchaden, ij mag thun was 
id will, ober id) bin nicht präbefliniet, dann wirb mir 
nichts nügen, und ἰῷ fann folglich Hinfichtlich meines 
eigenen Verhaltens ganz forglos fein — hat feine volle Be- 
rechtigung, und verbleibt (bm biefe fo lange ganz unges 
(ömälert, als das Merkmal ber Zulänglickeit nicht in 
den Begriff des donum perseverantiae ober ber präbeftinis 
tenden Gnade aufgenommen ift. Und umgefehrt, ift die 
wreihende Gnade, welche dem Andern zu Theil wird, 
nicht zugleich wirffam, fo ift fle entweber gar feine innere 
Gnade, oder fie ift diefes nicht wahrhaft, e8 fehlt ihr 
das wefentlihe Merkmal ihres Begriffs. Dies war, daß 
diefe gureidjenbe Gnabe bie Einflimmung des Willens niet 
bewirkt, ift allerdings als etwas Bactifches feſtzuhalten — 
fonft würde der angenommene thatfächliche Unterfchieb, und 
fomit bie Vorausfegung, von der wir hier ausgehen, weg⸗ 
fallen; aber wie die Einwilligung im erſtern Falle prin» 
cipaliter von der Gnade herrührt, unb nift deſtoweniger 
eine freiwillige ift, fo rührt bie Nichteinwilligung im andern 
falle principaliter von bem Verhalten des Willens her, 
ohne baf die Gnade aufhörte, eine auf ble Einwilligung 
einwirfende zu fein 9. 

1) Die Molinifien, denen zufolge bie Einwilligung gerade fo wie 
die Nichteinwilligung lediglich (m ber Willenbentſcheldung begründet if, 


108 Die chriliche Lehre 


Aus allem geht gleichwohl hervor, daß das zuerſt 
behandelte einfachere wie das eben beſprochene complicir⸗ 
tere Problem durch die thomiſtiſche Unterſcheidung einer 
zureichenden und wirkſamen Gnade auf eine ganz falſche 
Bahn geleitet ift, auf ber feine Löfung nicht herbeigeführt 
werben fanm. Auf bem Wege dagegen, den wir gezeigt 
haben, ftoft man allerdings auf eine Graͤnze, über welde 
die verftändige Grfenntni$ nicht hinausfommt, auf ein 
Geheimniß, das fie nicht bewältigt. Die Frage, wie 
ber Wille, beffen Einwilligung bie wirffame Gnade bes 
wirft, bennod) frei einwillige, unb wie bie Gnade, in bie 
der Wille nicht einmilligt, bennod) eine wirffame fei: biefe 
frage ift und bleibt unauflöslih. Aber fo foll es fein; 
das Geheimniß der Offenbarungslehre, auf welche der Geift 
benfenb eingeht, foll nicht aufgelöst — wie von den Mor 
liniften geftiebt — und ebenfo wenig verfefligt werden 
burd) hineingelegte, ſelbſtgeſchaffene Unbegreiflichfeiten — 
wie ſolches bie präbeftinatianifche Gnadenlehre fid) zu Schul 
den kommen läßt — fondern wenn das Nachdenken in 
Durchforſchung des Geheimniffes an jener Gränze ange 
Tommen ift, wendet fid) der menſchliche Geift zum Glauben 
qurüd, mit bem er baffelbe von vorneherein umfaßt hat. 

Bas fhließlih noch die Frage betrifft, woher bie 


fommem auch über die vorliegende Frage ohne Schwierigkeit hinweg. 
Die auf den göttlichen Willen zurüdgeführte Gnadenaustheilung ſtellen 
fie nämlich auf das göttliche Borherwiffen bes durch ben freien Willen 
eintretenden Verhaltens, ber Ginfiimmung ober Nichteinfimmung: es 
verleiht @ott das donum perseverantine nur benen, von melden er 
vorher weiß, daß fie einftimmen werben, benen dagegen, von benen et 
das Gegentheil vorher weiß, verleiht er baffelbe nicht; wogegen bie to» 
miften mit Recht diefe Bräfeienz als Vorausfepung des göttlichen Derrets 
‚ zurüchweifen und bie Prädeftination als eine unberingte behaupten, 


ton ber göttlichen Gnade. 109 


Wirkſamkeit ber Gnade zu leiten fei — denn was wir 
vorausſetzen, daß fie aus fid) (ex se, ab intrinseco) titt» 
fum fei, kann als bogmatifd) fefiftebenb angenommen wer» 
den, wiewohl mande Theologen dies als ein Theologu- 
menon behandeln möchten 1); fo ift es gewiß eine verfehlte 
Vorftellungsweife , wenn bie Thomiften von einer physica 
determinatio ober praedeterminatio — nad) Bannes’ «Bor» 
gange — reden unb fomit auf bie göttliche Allmacht bin» 
weifen; denn biefe ift gerade als das Princip ber goͤttli⸗ 
hen Nat u rwirkungen von bem Sprincip ber moralifden 
BVirfungen Gottes wohl zu unterfdjeiben (vgl. oben S. 1 
X. 3). Daß der Wille als das natürliche Vermoͤgen des 
Guten unb Böfen ift, das ἐξ auf bie göttlihe Macht 
wrüdzuführen; daß er aber gut ift fowohl habituell als 
actuell, das ift etwas übernatürliches ſchon infofern als 
ber Menſch, wenn er felbft feinen Willen dazu beſtimmt, 
fió damit über die Natur feines Willens erhebt, nod) 
mehr aber infofern, ald Gott biefen guten Willen verur« 
fat, und muß dies aus’ ber von ber göttlichen Macht 
verſchiedenen göttlichen Gnade abgeleitet werden. Zwar 
iR aud) bie Gnade abfolut wirfjam zu benfen wie bie 
Macht; aber während das, was ber ollmádjige Wille 
Gottes will, naturnothwendig geſchieht, erfolgt das, was 
der gnädige Wille Gottes will nicht naturnothwendig, fone 
den zwar unfehlbar aber in moralifch freier Weile. Wenn 
die Thomiften ferner auf Gottes dominium supremum über 
den menſchlichen Willen hinweiſen, fo ift baffelbe freilich 
nicht zu laͤugnen, aber anderſeits aud) nicht zu verfennen, 

1) 3.8. Tournely praelect. theolog. Tom. III. P. II. pag. 647 seqq. 


Venet. 1736. 4. und nach ihm Liebermann instit. theolog. Tom. IV. 
p. 85 seqq. ed. 5. Mogunt, 1840 u. 9. . 


uo DR qhriſiliche Seite 

daß Gott die Herrſchaft über das von ihm Geſchaffene 
in Grmäßheit ber Ratur beffelben ausübt, fonft feßten wir 
den weltregierenden Willen Gottes in Widerſpruch mit 
feinem weltfepöpferifchen, b. b. Gott mit fid) ſelber. Die 
Greatur, bie er frei geſchaffen hat, regiert er nicht will 
türlif, fondern in Gemäßheit ihrer Natur, alfo unbe 
ſchadet ihres freien Willen. 

Obwohl wir aber bie thomiftifche Vorſtellungsweiſe 
in den angegebenen beiden Punkten unangemeffen. finden, 
weil fle der Freiheit des menfhlihen Willens nicht bie 
gehörige Rechnung trägt und ftrenge genommen, biefelbe 
ausſchließt, (mas fie felbft aufs Entſchiedenſte beſtrit⸗ 
ten); fo dürfen wir uns bod nicht auf die Geite ber 
Gougruiften unb nod) viel weniger auf bie ber Moliniften 
fhlagen. Denn wenn bie leßteren den guten Willen nur 
infofern burd) bie göttliche Gnade bebingt fein Iaffen, als 
dieſe εὖ in feine Macht ftellt, gut zu fein, fo ſchließen fie 
bie Eoncurrenz der Gnade im Moment des Willensactes 
ſelbſt gänzlich aus und laͤugnen, daß fie aud) bie Einſtim⸗ 
mung beó Willens, das Wollen betoirfe, eine dogmatiſche 
Irzung, wogegen bie der Thomiften eine boctrinelle ift. 
Ihren zufolge ift e nicht bie eigentfümlide Natur unb 
Kraft der Gnade, ihre abfolute Wirkfamfeit, wodurch bet 
menſchliche Wille zum Wollen des Guten beftimmt wird, 
ſondern der Wille beftimmt fü) lebiglid felbft dazu. Es 
fent, populär geſprochen, biefelbe Gnade zweien geges 
ben werben, aber fie erreicht ihre Wirfang nur in Einem, 
weil nur dieſer ihr folgen will; oder bei einem unb dem⸗ 
felben Subjecte erreicht fie jegt ihre Wirkung, weil er 
jegt will, im einem andern Momente erreicht fie biefelbe 
nicht, weil er nicht will. Diefe Lehre, nad) welcher bit, 


"von ber gHillden Gfobe . ff 


Selbſtentſcheidigung des menſchlichen Willens im Momente 
derſelben (in actu secundo) unabhängig von ber Ginabe er» 
folgt, haben bie Gongruiften zu mildern gefuht ἢ". Zu 
diefem Behufe dachten fie ft den menſchlichen Willen ganz 
toneret, wie er in irgend einem Momente unter biefen bes 
fünmten Verhaͤltniſſen oder Umftänden eben aufgelegt ift. 
Diefes Aufgelegtfein entjd)eibet; wenn der rechte Moment 
gefommen ift, erteidt bie Gnabe ihren 3med, in einem 
andern Momente erreicht biefelbe Gnade ihn nicht. Diefe 
Vorftellung hat darin Recht, daß fle die Wirffamfeit der 
Gnade ald eine bem Willen gemäße darftellt und fo ben 
Gedanken einer phyſiſchen Determination, einer gegen bie 
moralifche Natur oder SBefdjaffenfeit des Willens laufen- 
den Einwirkung Gottes befeitigt; ihr fommt ferner zu 
Ratten, daß fie bie abfolute Wirffamfeit der Gnade infos 
fen nod juláft, als man fij unter ben unenblid) 
mannigfaltigen Stimmungen des Willens immer eine ben» 
fen kann, bie ber göttlichen Abſicht mit diefem Willen fo 
iu fagen entgegenfommt. Aber indem fie bod) im Momente 
der Selbftentfheidung die göttlihe Gnade birefte nicht 
wirfen läßt, fondern biefe allein dem Willen felbft zus 
fhiebt, fo erfhöpft fie ben in ber chriftlihen Lehre ente 
haltenen und allein confequenten Gedanken nicht, ben 
nämlich, daß bie göttlihe Gnade burdgángige Urſache 
des guten Willens fei. 

Aus dem Angegebenen leuchtet klar hervor, in wels 
Ger Richtung die Wahrheit zu fuchen ift, unb vor melden 





1) Witasse tractat. theolog. Venet. 1738. Tom. 1. p. 714 seqd. 
wo über die Syfteme ber Gongruiflen, ber Molinifen und Thomiften 
das Rothige beigebracht if. 


2 Tre cider Ber ur τα φιιδιῆμε Gnd. 
fies mer δά a τινε ian Ξ πῖει more ay 
cxx, 3178 iex malt rcr sermmápibélis ($ 3) 
Xancuadumgem zm Einen tem ancor webs 
bes Per ma 3n τες 

(Lex Eac 16x Bir amr. χοὸς fcre ven ter Bar 
lcickmemm, 2: m ah De. 


Ἄχ 


u. 


Wecenfionen. 





1. 


Spicilegium Solesmense complectens Sanctorum Patrum scrip- 
lorumque ecclesiasticorum anecdota hactenus opera selecta e 
graecis orientalibusque et latinis codicibus publici juris facta 
curante Domno J. B. Pitra O. S. B. monacho e congregatione 
gallica, nonnullis ex abbatia Solesmensi opem conferentibus. 
Tomus primus in quo praecipue auctores saeculo V antiquio- 
res proferuntur et illustrantur. Parisiis, prostat apud Firmin 
Didot fratres institui Franciae typographos 1852. 


Das Jahr 1852, fowie das ihm junádft voranges 
gangene Jahr 1851 find außerordentlih reid) am neuen 
Cntbedungen unb Mittheilungen auf bem Gebiete ber. alten 
chriſtlichen Literatur gewefen. Werke, bie man längft unb 
für alle Zeit verloren wähnte ober von deren einfligem 
Vorhandenfeyn man kaum eine dunkle Ahnung hatte, haben 
in ben verfloffenen zwei Jahren zum erftenmale das Licht 
der Welt mit Hilfe der Prefie erblidt, ober ſtehen eben 
in dem Begriffe, an das Tageslicht zu treten. Nach fo 
viden. Stürmen und Revolutionen, παῷ fo vielen Jahr⸗ 
hunderten, in denen „die ungezählte Reihe der Jahre und 
die Flucht ber Zeiten“ die unjerftórbaren Denkmale aus 
Metall und Quaderfteinen zerbrödelt und in Staub zer⸗ 

3 εοῖ. Duartalfgrift. 1853. I. Heft- 8 








114 Pitra 


rieben hat, finden fih in bem Staube ber Bibliotheten, in 
verborgenen Winkeln, in bie nie ober lange nicht ein Strahl 
des Tageslichts gefallen, alte vergilbte, von Motten und 
anberm Ungeziefer turdfteffene Manufcripte, deren Ent 
afferung und Enträthfelung das Privilegium einiger be 
vorzugten Geifter if. Dagegen gehalten ift es ein Caf, 
kaliforniſches oder auftralifhes Gold zu graben und au& 
zuwafchen, welchen mitzumachen Taufende und Zehntaus 
fenbe, ja bie Bevölferung ganzer Landftrihe Kraft und 
Eifer genug in fid) finden. — Zu denjenigen nun, welde 
in dem abgelaufenen Jahre 1852 die Hriftlihe Litteratur mit 
neuen foftbaren Schägen bereichert Haben, bie man längft 
und für alle Zeit in dem Meere der Vergänglichfeit unters 
gegangen glaubte, gehört vor allen ber franzöfifche Bene 
diftiner von Solesmes, Dom Pitra, der den erften Band 
eines neuen Spicilegium erſcheinen läßt, welchem nod eine 
Anzahl weiterer Bände folgen werden, worin ber gelehrt 
SBenebiftiner „um zu ſchweigen von vielen Mittheilungen 
geringern Umfangs und Werthes, bie Werfe von mehr 
als hundertfünfgig Schriftftellern mittheilen wird, welde, 
fo viel man weiß, bis jept nod) nie herausgegeben wor 
den find.“ Auch der gelehrte und fromme Abt der neuen 
Benebiktinerftiftung von Solesmes, bie fo würbig in bie 
Bußftapfen der alten Mauriner eingetreten, denen unfer 
feliger Lehrer, Dr. Herbſt, in biefer Zeitſchrift (1833 —1834) 
ein ſchoͤnes Denkmal geftiftet hat, ift bem theologiſchen 
Publikum burd) mehrere verdienftvolle Werke befannt ge- 
worben. Der SBenebiftiner Pitra aber, ber eben ben erften 
* Band eined neuen Spieilegium hat erfcheinen laffen, gilt 
mit Recht als einer der verdienftvollften Gelehrten ber Ge⸗ 
genmart. Es find bis jet 6 „Spieilegia”, b. b. Samm⸗ 





Spicilegium Solesmense. 115 


lungen neuer bis dahin nicht erſchienener Werke von Kirs 
chenſchriftſtellern erfdjienen; das des Dom Pitra ift bae 
fiebente. Merkwürbig genug find alle diefe „Spicilegia“ 
von Benebiktinern herausgegeben worben, welche dadurch 
der mehr als taufenbjáfrigen Aufgabe ihres Ordens, bie 
Erde unb die diriftfice Wiſſenſchaft zu eultibiren, im emi» 


nenten Sinne treu gewefen find. Zuerft erfhien das, 


„Spieilegium Dacherianum", von bem Benebiftiner d'Achery 
(1655 bis 1677) in 13 Quartbänden, nad Dupins Urs 
theil bie wichtigfte Sammlung bis auf jene Zeit. Das 
weite Spieilegium waren des berühmten Mauriners Mas 
bilon „Analecta vetera“, er(djienen in ben I. 1675—1689 
in 4BändenFol. Daran ſchloſſen fid) die , Analecta Graeca 
sive varia opuscula graeca hactenus inedita, herausgege⸗ 
ben in Verbindung mit SBuget und Lopin von bem ebenfo 
berühmten Mauriner Montfaucon, Paris 1688. Die vierte 
derartige Sammlung ift der „Thesaurus novus Anecdoto- 
rum, Paris 1717, 5 Bde. Fol, von ben beiden Benebiftir 
nern Durand und SXartene. Bon benfelben Gelehrten 
erſchien einige Jahre nachher das fünfte Spieilegium unter 
dem Titel: „Veterum scriptorum et monumentorum histo- 
ficorum, dogmaticorum et moralium amplissima Collectio.“ 
Paris 1724 — 1733, 9 Bde in Fol. Das fehste Spiciles 
gium erſchien von unferm Landsmann, bem Beneiktiner 
Bernhard Bey von Melk unter bem Titel: Thesaurus anec- 
dolorum novissimus®, 1721 — 1729, 6 Bde in Fol. Der 
hohe Werth der Iegtern Sammlung, befonders für mittel- 
alterliche Theologie unb Philofophie wird in ber neuern 
Sit immer mehr anerfannt, und die berühmten „Monu- 
menta Germaniae*, von Perg, fowie bie großartige Patros 
logie des Abbe Migne, beffen unfterblihen Berbienften 
8* 


116 Pitra 


befonberó Dom Pitra bie wärmfte Anerkennung zu Theil 
werden Iäßt, haben für ihre jeweiligen Zwede in bem 
„Thesaurus novissimus“ des Bernhard Pez reihe Aus— 
beute gefunden. Endlich als bie flebente Sammlung von 
»Anecdota^ erſcheint das „Spicilegium Solesmense^ des 
Dom Pitra, auf beffen unermüblide Thätigfeit bie Worte 
Montalembertd in feiner neueften Schrift befonders fid 
zu beziehen feinen: „auch bie SBenebiftiner find wieder 
erſchienen, demüthig fid neigenb über ben unaustilgbaren 
Surden, welche ihr Orden in allen Wiſſenſchaften, und in 
jeder Art des Ruhmes gezogen hat.“ — Der vorliegende 
Band des Spicilegium, in groß Quart, beftebt aus 78 Sei⸗ 
ten Prolegomena, und zerfällt in 2 Theile, wovon ber 
erfte „opera autorum singularia“; ber zweite „Collectanea 
quaedam anecdota^ enthält. Es wäre intereffant zu hören, 
auf welchen feltfamen, oft wunderbaren Wegen Dom Pitra 
in den Θε[ feiner Anecdota gefommen; aber der Raum 
geftattet ung nicht, auf biefen Gegenftanb Hier einzugehen. 
Wir müffen und mit der Bemerfung begnügen, baf er 
befonder8 auf feinen wiſſenſchaftlichen Reifen burd) bie vers 
fhiedenen Theile von Frankreich, nad) Belgien, den Nie 
betfanben und England, fobann aus Italien feine foft 
baren Schäße gefammelt habe. In der Mittheilung berfefben 
hält er fadgemág bie chronologiſche Ordnung ein. Zuerft 
kommt Papins, Bifchof von Hierapolis, ber SBerfaffer des 
in neuerer Zeit fo viel befprodjenen Werkes: Explanatio 
ober interpretatio sermonum domini, λογίων κυρειακῶν Hr 
γησις, auf beffen von Eufebius bezeugten Einfältigfeit 
(σφόδρα γάρ τοι σμιχρὸς ὧν τὸν νοῦν, Euseb. H. e. IIl, 39) 
unfere modernen Kritifer al8 auf einem gar lieben Steden- 
pferde nad) Herzensluft herumtummeln. Das vielgenannte 


Spicilegium Solesmense. t 17 
unb vielvermißte Bud) des Papias war nod) im 12. abre 
funbert vorhanden, benn εὖ fagt ber gelehrte Menardus 
in feiner Gefchihte von Nismes, er habe ein Inventar 
der gut Kirche von Nismes gehörenden Güter gelefen, 
worin bie Worte ftanden: „gleichfalls habe ich in bem 
Klofter vorgefunden das Buch des Papias, das Buch ber 
Reden des Herrn, librum Papiae, librum de verbis Do- 
mini.“ Ja aus der Aeußerung des Trithemius über das 
Bart des Papias fónnte man vermutfen, daß baffefbe 
nof zu jener Zeit, am Ende des fehszehnten Jahrhun⸗ 
derts, vorhanden gewefen fei. Seit bem herben Urtheile 
des Eufebius über Papias gilt berfelbe allgemein als der 
Urheber des Chiliasmus, ober ber Lehre von bem fite 
baren taufenbjüfrigen Reiche, unb er foll aud) feinen Schüͤ— 
ler, ben b. Irenaͤus von Lyon in bie Gemeinfdaft feines 
Srtgumé verwickelt haben. Ueber ben Chilinsmus des 
Bapias vergleiche man befonders ben Auffap des Dr. Reiſchl 
„der Chiliasmus in ben erften drei Jahrhunderten“ in ber 
Hildesheimer Theologifchen Monatfhrift" von 1850, Seps 
temberheft. Anderer Anſicht darüber ift Dom Pitra. Er 
meint, ber ganze Chiliasmus des Bapias rebujire fid) auf 
Miverftändniffe des Eufebiug, ber dem Papias ohnebem 
"ijt gewogen gewefen, aud) benfelben mehr als gering» 
fhägig behandelt habe. Das Ganze beruhe auf dem my⸗ 
ſtiſchen Gebrauch gewiffer Ausdrücke ber heiligen Schrift 
bei Papias. Dann müßte man aber aud) faft alle gleich— 
zeitigen Schriftfteller der Kirche, befonders den berühmten 
"lito von Sardes, des Chiliasmus beihuldigen, von 
dem bod) Polyfrates von Ephefus bezeugt, daß er alles 
in dem heiligen Geifte getan habe. In ber befannten, 
big jet verlorenen, Schrift des Melito, „der Schlüffel“ 


118 Pitre 


genannt, finden fif genau biefelben myſtiſchen Ausbrüde 
mit derfelben Grflárung. Zum erftenmale fat uns Dom 
Pitra in den „Prolegomena“ zu feinem erften Bande [αν 
teinifche Bruchſtuͤcke aus der erwähnten Schrift des Melito 
mitgetheilt, wornach biefelbe eine Art Erklaͤrung bildlicher 
Ausbrüde der heiligen Schrift war. Dom Pitra will biefe 
nod) nit erfchienene Schrift in einem fpätern Bande {εἰσ 
ned Spicilegium mittheilen. Man vergleiche -inbeg über 
die Aechtheit biefer Schrift den Schluß bes Artikels „Mes 
lito" in dem Freiburger Kirdjenlerifon von Dr. Hefele. 
Mas if es nun aber, was uns Pitra aus den 5 Büchern 
des Papias Neues mittheilt? Es if eine neue armeniſche 
und eine neue lateiniſche Meberfegung ber längern Stelle 
aus Papias, welche von Srenáué adv. haer. lib. V. cp. 33 
mitgetheilt wird, und worin mit ben bilblihen Ausbriiden 
der Worte: vinea, palmes, botrus, vinum, triticum, spica, 
granum — ber zufünftige Zuftand der Kirche Chriſti gefchil- 
dert wird. Nach diefem Fragmente des Papias hat und 
fBitra 3 neue Fragmente aus Irenuaͤs mitgetheilt. Durch 
das freundliche Cntgegenfommen der Beamten des britis 
fen Mufeums, befonders des gelehrten Eureton erhielt 
Pitra aus einem febr alten fyrifchen Gober aus bem 6. Jahr⸗ 
hundert zwei biß jet unbefannte Bruchftüde des Irenäus. 
Kerner erhielt ev burd) bie Güte des gelehrten Mechitari⸗ 
fen P. Gabriel Aizarousfi aus einem armenifhen Gober 
ein drittes bis jetzt ungebrudtes Fragment: bes Irenäus. 
Ein ganz merfmürbiger Zufall hatte εὖ gefügt, daß das 
“eine der beiden fyrifhen Fragmente feinem Inhalte nad 
zuſammenfiel mit dem armenifchen Fragmente des Irenaͤus. 
Das armenifhe Fragment hat die Meberfchrift „de Resur- 
reclione Domini“; es handelt von bem Ehriftus, als bem 


Spicilegium Solesmense. 119 


Träger und bem Herrn des Alten unb des Neuen Teſta⸗ 
menteó, ber von ben Propheten umb ben Evangeliften 
gleichmaͤßig bezeugt werde. Nur ift ba& armenifhe Frag⸗ 
ment größer, als das ſyriſche, obgleich das erflere wahr⸗ 
ſcheinlich aus dem legtern überfegt ifl. Das zweite fyrifche 
Fragment Handelt von der Hohheit, fowie von der goͤttli⸗ 
de und menfhlihen Natur in Chriſtus. Der Schluß 
dieſes fragmenta lautet: „berfelbe, welcher hinabgeftiegen 
iR in die Unterwelt, ift aud) emporgeftiegen über die Hims 
mel, denfelben umfchloß bie Krippe, welcher alles mit feiner 
Gottheit erfüllt; ber tobt war, und fiche, er lebt in Ewig⸗ 
feit, Amen." Berner theilt uns Dom Pitra eine wahrfdein« 
li$ von bem Magifter Florus verfaßte SBorrebe zu ben 
5 Büchern bes Irenaͤus gegen bie Irrlehren mit. Bei 
biefer Gelegenheit verſpricht Pitra aud), er werde fpäter 
den Commentar des Magifter Florus zu den paulinifchen 
Briefen, foweit berfelbe bis jegt nod) micht erfchienen ift, 
herausgeben. In ber zweiten Abtheilung des Spicilegium 
finden wir nod) eine Homilie über bie Söhne des Zeber 
bius mit folgender Meberfchrift: „S. Jrenaeo ascripta ho- 
milia sive commentarius valde dubiae auctoritatis ex ho- 
miliario 'secundo.* Diefe Homilie ift einem armenifden 
ober ber Wiener Medhitariften entnommen, unb von bem 
erwähnten Gabriel Aizarousfi ins Lateinifche überfeßt wor⸗ 
den. Der Berfaffer biefer Homilie befämpft bie Arianer. 
Der dritte Schriftfleller, von welchem uns itta Neues 
mittheift, ift ein Anomymus mit feiner Schrift: „de so- 
lemnitatibus, sabbatis et neomeniis.* Pitra meint, biefet 
Anonymus habe gegen den römifchen Presbyter unb nad» 
maligen Häretifer Blaftus gefhrieben, an ben aud) Irenäus 
einen Brief „über bie Kirchenſpaltung“ ridtete. In biefer 


120 Pitra 


Schrift des Anonymus über bie Ofterfeier findet fid) [οἷν 
gende für ben Primat geugenbe Stelle: „quod nunc maxime 
ecclesia, auctoritatem sedis apostolicae sequens, observat. 
Auch eine Stelle von bem wahren Saframente des Leibes 
und Blutes des Germ findet fid) in biefer Schrift, welde 
nur in ber fateinijdjen Weberfegung eines urfprünglich grie⸗ 
chiſchen Textes vorhanden zu fen. (djeint. Sie beftebt aus 
14 kurzen Kapiteln. Der vierte Schriftfteller des Epiciler 
gium if Murinus von Alerandrien, SBijdjof, von feinem 
der Alten, mit Ausnahme Alcuins, erwähnt, ber ihn aber 
Maurinus nennt. Pitra hat vergebens in den Katalogen 
der orientalifchen Biſchoͤfe nachgeſucht, welchen Bifchofefg 
Murinus eingenommen habe. — SBielleict, meint Pitra, fei 
er, nad) der Gewohnheit ber Patriarchen von Alerandrien 
mehrere Bifhöfe als Gehilfen um fid zu haben, einer 
biefer Nebenbifchöfe eines Patriarchen gewefen. Das von 
Murinus Mitgetheilte ift ein SBrudjftüd einer omifie über 
das Ofterfefl. Als der fünfte Schriftfteller in dem Spici- 
legium folgt ber große und heilige Dionyfius, Patriarch 
von Alerandrien, in deſſen Lobe Eufebius von Cäfarea 
unerſchoͤpflich ift. Nach Eufebius und ben Spätern vers 
faßte biefer Dionyfius eine Schrift: „de poenitentia ad 
Cononem.* Der Bifhof von Hermopolis, Ariftenius, ein 
griechiſcher Ganonift, welcher fury vor Balfamon im zehen⸗ 
ten Jahrhundert blühte, hat einen furjen Auszug gemadt 
aus dem Fragmente, welches Pitra von ber erwähnten 
bis jet verlorenen Schrift des Dionyfius mittheilt. Das 
erwähnte Fragment des Dionyfius aber ift aus einem Ox⸗ 
forber Eoder. „In demfelben wird Jedermann, fagt Pitra, 
bie faft goldene SBerebtfamfeit des beften Zeitalters, bie 
φυτῷ bie Zierlicpfeit der Sprache nod) koſtbarere unb reir 


Spicilegium Solesmense. 12 


nere Lehre des fanftmüthigen Martyrers, übereinftimmend 
mit all dem, was fonft nod) von ihm vorhanden ift, bes 
wundern.“ Das Fragment handelt von ber Behandlung 
ber in Todesgefahr ſchwebenden Büßer, und if im grier 
chiſchen Urterte mitgetheilt. Ein zweites kürzeres lateini⸗ 
ſches Fragment fhließt fi) daran an, das (don griechiſch 
von bem Kardinal N. Mai mitgetheilt (Class. auct. T. X, 
pP. 484); und zugleich einem Briefe des Dionyfius Areos 
pagita von febr bezweifelter Aechtheit entnommen ift. Dio» 
nyfius von Alerandrien hat aud) eine Erklärung in Eccle- 
siastem verfaßt, bie aber ſchon zu Zeiten des Eufebius 
ijt mehr befannt war (Eus. VIL 26). Ein gewiffer 
Anonymus nun, bei welhem Pitra an Theodor von Mops⸗ 
tee denkt, von beffen Gommentar über den Prediger uns 
Pitra ein Bruhftüd mittheilt, hatte nod) ben Commentar 
des alerandeinifhen Dionyfius jur Hand, und führt, zum 
Behufe ber Widerlegung, eine Stelle aus bem Commen- 
tar des Dionyfius an. Inbeß findet fid) aud) dieſes Bruch⸗ 
fü (don in ber römifhen Ausgabe des Dionyflus von 
Merandrien vom Jahre 1796. Wir gehen nun zu dem 
fehsten Schriftfteller bei Pitra, zu bem chriſtlichen Dich⸗ 
ter Commodianus über. Ueber das, was Pitra von Com⸗ 
mobian unb von Juvencus Neues gegeben u. f. m. haben 
wir fon gefproden in bem Sreiburger SKirchenlerifon 
unter ben 9f. ,Gebuliu&" und „Severus“, der Kürze 
wegen wollen mir aud) bie Lefer auf das dort über das 
Zeitalter, das Vaterland "ς., des Gommobian Gefagte ver⸗ 
weiſen. Gommodian war wahrſcheinlich ein -afrifanifcher 
Biſchof, und wird zuerft von Gennadius erwähnt, der fid) 
über feine ſchriftſtelleriſche Thätigfeit fehr geringfhägig 
ausſpricht. Pitra macht εὖ wahrſcheinlich, daß Gommobian 


122 : Pitra 


zu Zeiten des Kaiſers Decius geblüht habe, obgfeid) man, 
ba in feinem Gedichte von Cäfarn ober Unterfaifern bie 
Rede ift, auch an die Zeiten bes Diocletian denken 
fanm. Bis jegt δείαβ man von Gommobian ein Werf mit 
dem Titel: Instructiones adversus gentium deos, beftehend 
aus 80 fleinen Abfehnitten, und im Ganzen aus 1258 
Verfen (bei Signe Patr. Band V.). Pitra fand in Enge 
land neue Gedichte, denen zwar ber Name des Commor 
dian nicht beigefegt ift, bie aber nad? Sprache und Inhalt 
kaum einen andern Verfaffer haben fónnen, als ben Eom- 
mobian. Diefes neue Gedicht des Gommobian befteht aus 
1021 Verfen, und Pitra hat bemfelben bie Ueberſchrift 
gegeben: Commod. ep. africani, Carmen apologeticum ad- 
versus Judaeos et gentes. (ὅτ meint, während die früher 
befannten Verſe befonders gegen die Heiden gerichtet ger 
weſen, beziehen fid) bie neu entbedten befonders auf die 
Juden, beren es in Afrifa eine fehr große Zahl gegeben 
habe. Wir erlauben uns hier eine andere Vermuthung 
auszufprechen: wir glauben, bie neu entbedten Verſe feien 
nur eine andere, vielleicht frühere, vieleicht fpätere Bear 
beitung eines unb befjelben Inhaltes. 

An biefe Verſe des Gommobian [djiefen fij) reich: 
lide neue Mittheilungen aus bem verloren gegangenen 
Schriften des Bifhofs unb feit 1851 „Kirchenlehrers“ 
Hilarius von Poitiers. Unfere géfer werden ohne Zwei⸗ 
fel mit uns in dem Gedanfen zufammentreffen, bag Faum 
etwas mehr zur Erhebung unb zum Ruhme des neuen 
„Kirchenlehrers“ Hilarius beitragen fonnte, als bie Ent 
bedung neuer foftbarer Schriften beffelben. | Darüber fpricht 
fid) Pitra eben fo fhön als wahr aus (p. XXVL bet 
Prolegomena). „Ein glüdlihes oo hat εὖ gefügt, daß 


Spicilegium Solesmense. 123 


m berfelben Zeit, in welcher 'auf bie Bitte des Concils 
von SBorbeaur, dad Defret SBabft Pius IX. dem chriſtlichen 
Erdkreis verkuͤndete, daß der heilige Hilarius von Poitiers, 
in Folge Beſchluſſes des apoſtoliſchen Stuhles, in der 
ganzen Kirche die Ehre eines Kirchenlehrers genießen ſollte, 
zu dieſer Zeit alſo, durch die Gnade Gottes, ein herrliches 
Bar eines fo großen Lehrers fid) in meinen Händen bes 
fand, yäamlicy defien Gommentar über bie vierzehn Briefe 
des Apoſtels Paulus, ber jept, foweit derfelbe noch nicht 
befannt ift, an bie Deffentlichfeit treten fol." Den Gom» 
mentar des Hilarius fennt nod) das zweite Concil von 
Sevilla, das unter dem berühmten Sflbor von Sevilla ger 
halten wurde; ja nod) Johannes Veccus ober Beccus, 
SBatriard) von Eonftantinopel, und flandhafter SBertfjeibis 
ger der Union mit ben Lateinern — blühte um 1275 — 
hat eine Stelle aus dem Kommentar bes Hilarius citirt. 
In der öffentlichen SBibliotbe von Amiens fand fid) ein 
aus ber Bibliothef von Alt» Corvei dahin gefommener 
Eoder mit ber Meberfehrift: Incipit tractatus sancti Ámbrosii 
in epistolis beati Pauli ap., beftehend aus 2 Bänden. Der 
erſte Band enthält ben Gommentar des fogenannten Ambro⸗ 
fafter über die drei erften pauliniſchen Briefe. Der Inhalt 
diefer Gommentare fhien bem Dom Pitra im Ganzen 
übereinguftimmen mit den unter dem Namen des Ambros 
fiafter gebrudten Gommentaren über bie erwähnten 3 Briefe. 
In bem zweiten Bande des Gober von Amiens fanden 
bie Gommentare zu ben übrigen pauliniſchen Briefen, mit 
. Ausnahme des an bie Hebräer. Der Inhalt biefer Gom» 
mentare nun ift total verjdjieben von bem befannten bes 
Awmbroſtaſter über biefelden übrigen pauliniſchen Briefe. 
Der gelehrte Motel glaubte in dem Afrikaner Tichonius 


124 Pitra 


ben Berfaffer ber in Rebe fichenden Gommentare gefuns 
ben zu haben, und ein Mauriner in der Literaturgefehichte 
von Frankreich (Bd. ΧΙ. Avert. VI) glaubte fo feft daran, 
daß er fagte: „Endlich ift der Achte SBerfaffet des Com⸗ 
mentaré entbedt worben, welder unter bem unterfhobenen 
Namen des Ambrofius herumgetragen wird." Die über 
geugenden Gründe nun, aus denen Pitra zu beweiſen 
fudt, daß Hilarius ber gefuchte Verfaffer jener 10 pau- 
linifchen Briefe des Gober von Amiens fei, muß man in 
feinen Prolegomena felbft nadjfefen; denn eines gebräng- 
ten Auszuges find fie faum fähig (1, c. €. XXVL bie 
XXXV). In dem gegenwärtigen 1. Bande hat uns Pitra 
aus dem Gober von Amiens den Gommentar zu bem 
Galater » und Epheferbriefe vollftändig mitgetheilt, fowie 
den Gommentar zu bem paulinifchen Briefe an Philemon. 
In legterm Commentar hat Hilarius befonders eine vors 
treffliche Auseinanderfegung des Berhältniffes zwiſchen Herrn 
und Sklaven gegeben. Seine Worte pafjen, nad Pitra, 
aud) heute nad) 15 Jahrhunderten fo, als ob fie aus unb 
über die Gegenwart gefehrieben wären. Von ben Gom» 
mentarien zu ben übrigen 7 paulinifdjen Briefen hat Pitra 
„lectiones quaedam et loca edilis addenda* herausgege- 
ben. Wie fij der ſchon im 9. Jahrhundert in boppelter 
Verfion vorhandene fogenannte Ambrofiafter zu ben Bries 
fen des Hilarius verhalte, hat Pitra in ben Proleg. einis 
germaßen ausgeführt. Doc ift ect von der Zufunft eine 
vollfommene Ausfheidung ber Beftandtheile der verſchiede⸗ 
nen Gommentare zu erwarten, welche unter bem Namen 
des Ambrofiafter vorhanden find. Ueber bie Mittheilung 
ber oben angeführten Gommentare von Hilarius in bem 
vorliegenden Spieilegium ſpricht fid) SBitra alfo aus: „An 


Spicilegium Solesmense. 125 


bie erfte Stelle haben wir bie vollftändigen Abhandlungen 
zu den Briefen an die Galater und Ephefier gefebt, welche, 
foviel wir wiffen, bis jet Niemand herausgegeben hat; 
mit Ausnahme weniger Fragmente bei anfranc (in beffen 
paulinifhen Briefen), welche wir jevesmals in den Noten 
angezeigt haben. Dann haben wir in Betreff der 7 uͤbri⸗ 
gen Briefe dasjenige ausgezogen und mitgetheilt, was 
Slabanué Maurus ausgelaffen hatte. Was wir aber in ben 
Werken des Rabanus (biefe Werke find gleichfalls im 
Jahre 1852 in 6 Boden als Fortfegung ber Patrologie 
des Abbe Migne erfhienen) als Auszüge ‚des Ambrofius 
gefunden haben, ift alles fo entftellt und verborben, daß wir 
(ὁ für unfere Pflicht gehalten haben, biefen Tert nad) 
Kräften zu verbeffern, indem wir bie vorzüglichen Lesarten 
des Eoder von Eorvei ausgewählt haben: fo fam εὖ, daß 
beinahe bie Hälfte ber Abhandlung über Titus ans Licht 
getreten ift. Zuletzt haben wir bie Erflärung des Briefes 
an Philemon ganz mitgetheilt, welde eine Vergleichung 
mit der Erklärung beffelben Briefes durch Hieronymus 
nicht zu [deuen hat. Den Verluſt der Erklärung des 
Brieſes an bie Hebräer, weldje Hilarius gleihfalls Hinter 
laffen hat, werden wir einigermaßen verſchmerzen fönnen 
durch ben SBefi des Auszuges, den Primafius davon ges 
macht hat." An biefe Werke des Hilarius fließen fid) 
2 weitere exegetiſche Mittheilungen an, von denen bie erfte 
überfehrieben ift: „Ejusdem Hilarii fragmentum commentarii 
cuiusdam in prima geneseos capita; εὖ ift eine Erflärung 
von. Geneſis III, 6. Sod hat. Pitra über bie 9fedtbeit 
diefes Fragmentes fein fiheres Urtheil. Es folgt ein zwei · 
tes Fragment aus einem dem Hilarius mit Unrecht zuge⸗ 
ſchriebenen Gommentare über bie Palmen; denn bet Ver⸗ 


128 Pim ^| 


faſſer erwähnt bie Schriften des Areopagiten. Sodann 
folgt eine Anzahl von (114) Verfen „über das Evangelium“, 
welche „vemfelben oder einem andern Hilarius“ zugefährier 
ben find. Der adte Schriftfteller unfers Spicilegium ift 
Biſchof Rheticius vom Autun, ber aber mur mit einem 
gang Keinen Bragmente vertreten if. Rheticius war in 
dem Donatiftenftreite einer ber Vertrauensmänner der Katho⸗ 
lifen, und wird von Auguftin und Hieronymus mehrfach 
erwähnt. Er fehrieb einen Commentar zu bem hohen Liebe, 
auf welden Hieronymus fehr übel zu fpredyen if. Ein 
Bruchftüd von einigen Zeilen, das und hier Pitra mittheilt, 
und ein Bruchſtück, das und Auguſtin erhalten hat, ift 
alles, was bis jebt von Rheticius das Tageslicht erblict hat. 
„Möchte bod, fagt Pitra, diefes hinreichend feyn, daß 
unter ben zahlreichen handfehriftlichen Gommentaren zu bem 
hohen iebe, die ohne Namen unbeachtet daliegen, „aliquis 
emunctae naris homo Rheticii nostri^ grande volumen 
„tandem inveniat ^ Der 9. Schriftfleller des Spicilegium, 
und zugleich ber legte ber erften Abtheilung dieſes Ban 
des ift der chriſtliche Dichter Gaju& Vectius Aquilinus Ju⸗ 
vencus. Bon biefem fpanifhen Priefter und Dichter beſaß 
man bis jegt „4 Bücher evangelifdje Geſchichte“ z und bit 
befte Ausgabe ift von p. Arevalo, Rom 1792, dem Freunde 
und Gehilfen des großen Kardinals oremjani, Sodann 
befaß man von bemfefben eine bichterifhe Umſchreibung 
des I. Buches Mofis von beftrittener Aechtheit, beſtehend 
aus 1441 Herametern, wozu Pitra nod) 54 weitere Berfe 
gefunden hat. Sodann fand Pitra des Metrum in Exodum — 
b. B. eine dichteriſche Umſchreibung des II. Buches Moſis, 
welche jebod) bedeutende Lüden hat, unb, fo wie fie gr 
brudt it, 1392 Verfe enthält. Weiter theilt Pitra 586 Verſe 


Spicilegium Solesmense. 121 


der Umfchreibung des Buches Joſua mit. Sodann: in 
Leviticum, Numeros, et Deuteronomium selecta fragmenta, 
im. Ganzen 1204 Berfe umjaffenb. Pitra vermuthet, Ju⸗ 
vencus habe feine „Metra in Heptateuchum* zur Zeit des 
Kaifers Julian verfaßt, als ben Ehriften ber Gebraud) 
der heidnifchen Schriftfteller verboten war. Er fagt ferner: 
(prol. p. 41). „Juvencus ift wohl ber einzige von allen 
chriſtlichen Dichtern, welcher fomobl das alte, ald das 
neue Teftament (denn ich glaube, daß er die ganze heilige 
Schrift behandelt hat) mit gleicher Sorgfalt bearbeitet Dat." 
9lad den ,selecta fragmenta“ des. Juvencus folgen nod) 
3 Seiten p. 259— 261 altdeutfche Gloffen zu ber evan- 
geliſchen Gefhichte des Juvencus. Und damit fehließt bie 
erſte Abtheilung diefes Bandes. 

Der zweite Theil geht in fortlaufenden Seitenzahlen 
von ©. 205 bis 595. Er enthält Golleftaneen, oder Aus- 
füge und Sammlungen, welche fpätere Schriftfleller aus 
frühern Schriften zu gewiflen Zweden gemacht haben. 
Diefe Eolleftaneen entftanden zuerft zu dem Zwede, um 
Ipätere Härctifer burd) bie Zeugniffe früherer Väter zu 
widerlegen. Das erfte Beifpiel einer folhen Sammlung 
von Eitaten tritt uns im ber erften Sigung ber Synode 
von Ephefus 431 entgegen (Mansi conc. T. IV. 690). 
Daffelbe that Leo I. in feinem erften Schreiben an Flavian, 
und in feinem zweiten an ben Kaifer eo. Damit ftebt 
in Zufammenhang das fogenannte Decretum Gelasianum, 
welches bie fird)lid) zu billigenden, und nicht zu billigen» 
den Bücher aufführt. Die Sitte wurde bald eine allges 
meine, maffenhafte Eitate ber Väter über einen beſtimmten 
Gegenftand neben einander zu ftellen. Don ben erwähn« 
ten Golleftionen oder Sammelwerfen hat uns Pitra in 


128 * Pte 

feinem 2. Theile 3 Sammlungen miigetheilt: bie Scholien 
des Victor von Gapua; eine Sammlung des Johannes 
Diafonus und eine dritte Sammlung von bem B. Nice 
phorus. Viktor, Bifhof von Gapua, war ein Zeitgenofie 
des Caſſtodor. Er. verfaßte nad) Trithemius 5 Werke: 
bie Evangelienharmonie des Ammonius von Alexandrien 
überfegte er in das Lateinifche, und gab einen Oſtercyklus 
heraus, ben er bem von Bictorinus von Marfeille ange 
fertigten Cyklus entgegenflellte. Berner ſchrieb er, nad 
Pitra, „Scholia in Genesim*, nad ber Weife der Scho⸗ 
lien des Origenes, bie er aus frühern Vätern jufammene 
ftellte. Seine Quellen, aus denen er auszog, waren qu 
ετῇ Polykarp, aus beffen Buche: Liber responsorum, über 
deffen Aechtheit natürlich ftatfe Zweifel obmalten, SBiftor 
2 Fragmente mittheilt, die bei Pitra in erfter Linie fteben. 
Es folgen fobann aus Drigenes 6 Heine Fragmente, wie 
überhaupt die folgenden des Viktor unb Johannes in las 
teinifeher Ueberſetzung; bie Bragmente beziehen ftd) auf Stel: 
len im I. und IL Buche Moſis und find aus verlorenen 
Schriften des Origenes entnommen; aus einem Buche deffel» 
ben περὶ φύσεων, einem Buche: de Pascha; einem Briefe „ad 
Gobarum“, unb zwar brei von biefen 6 Fragmenten, end» 
lid) einem Briefe an Girmilian von Gáfarea. Ein kurzes 
fragment ift aus einer verlorenen Schrift des Baſilius 
von Cäfarea entnommen, ein anderes aus ben befannten 
Homilien des Severian von Gabala zu bem Gedétage 
werk, das aber, wie wir wenigftend vermuthen, in bem 
griechiſchen Urtert noch vorhanden ift, unb Hier nur in 
freier Weberfegung vorliegt; folgt fobann ein Feines Bruch⸗ 
füd aus bem Buche: Sermones seniorum. Dagegen 
werden uns 322 Sragmente aus den Scholien des Diodor 


Spicilegium Solesmense. 129 


von Tarfus in Exodum mitgetheift. — An bie Sammlung 
des Viktor von Gapua fehließt fid) die des römifhen Dia« 
lon Johannes, nad) einigen bes fpätern Papſtes Johan⸗ 
nes II. Sie trägt ben Titel: Expositum Johannis — in 
Heptateuchum — ift alfo gleichfalls eregetifchen Inhalts. 
Ber aber ift biefer Sofanneó unter 9 Männern dieſes 
Namens? Nach Pitra Johannes IM, römifher Papſt von 
560 — 573. Die Auswahl der von ihm angeführten Aus⸗ 
zuͤge früherer Väter ift reichhaltiger, als bie des Viktor 
von Gapua; er bringt größere ober geringere Auszüge aus 
Clemens von Rom, aus dem vorhandenen erften Briefe 
an die Corinther, und aus einer Anzahl anderer Kirchen« 
väter; zum Theil ganz neue Stellen, zum Theil (djon vor« 
handene Stellen in einer alten Ueberfegung. Aus bem 
Oftercyklus des Viktor von Gapua giebt Johannes einen 
größern Auszug. Bolgt fobann der f. Nicephorus, Patriarch 
von Gonftantinopel 806 unb Hauptgegner ber Bilderſtuͤr⸗ 
mer, von befjen Werfen bis jet feine vollftändige Aus- 
gabe vorhanden war. Diefe Ausgabe aber erſcheint in 
biefen und in ben folgenden Bänden des Spicilegium. 
Durch ein eigenes Schidfal wurden die Schriften unfers 
Nicephorus von ben fpätern Griechen bem Theodor Grape 
tus zugeſchrieben. Pitra hat einen vortrefflihen Eoder 
des Nicephorus in der Parifer, jebt Faiferlichen Bibliothek 
gefunden, welcher die ‚Grundlage feiner neuen Ausgabe 
geworben. Die Schriften des Nicephorus aber find: 1) „de 
immaculata christianorum fide", 2) „antirrhetici libri tres“, 
gegen ben Kaifer Eonftantinus Copronymus, ober „Widers 
legung und Vernichtung der leeren Einbildungen, welde 
der gottlofe Mamonas (fo nennt er ben Kaifer) gegen 
die Heilbringende Menſchwerdung des Wortes Gottes ein» 
eol. Duartalfrift. 1858. I. Heft. 9 





130 Pitra 

fältig und gottlo8 ausgefprodhen hat.“ An blefe 3 Bücher 
fließen ſich „achtzig Seugniffe der Väter", welche in dies 
fem erfen Bande des Spicilegium ſtehen. Theilweife find 
diefe Zeugniffe in ben Lect. ant. von Basnage lateiniſch 
erſchienen. Die dritte Schrift des Nicephorus ift ber 
„Antirrheticus duplex contra Eusebium et Epiphanium‘, 
beffen erfter Theil, ber Antirrhetifus gegen Eufebius, gleiche 
falls in biefem erften Bande des Pitra fteht. Es ift eine fehr 
weitläufige Widerlegung eines Briefes des Eufebius von Caͤ— 
farea an die Gonftantia, bie Schwefter des Kaifers Conſtan⸗ 
tin. Die vierte Schrift des Sticepforue ift: Antirrheticus liber 
de Magnetis testimoniis, welche fid) gleichfalls in unferm erften 
Bande befindet. Die fünfte Schrift. trägt ben Titel: „Ein 
Bud) gegen bie Gott[ofen, welche e8 gewagt haben, das Bild 
Gottes ein Goͤtzenbild zu nennen" u. ſ. w. Man ftebt, daß 
diefes Werk gegen bie Bilderftürmer gerichtet ift. Das ſechste 
Werk des Nicephorus ift gleichfalls gegen bie Bilderſtuͤr⸗ 
mer, unb zwar gegen bie von Kaifer Leo bem Armenier 
berufene Aſterſynode gerichtet; Beftandtheile daraus hat 
Eombefis mitgetheilt. 7) Gedichte von Nicephorus, mit 
der Meberfchrift „de jejunio monachorum^ find nur durch 
das Zeugniß eines einzigen oder beglaubigt. 8) Auch 
bie von Nicephorus erfchienene Sammlung von Ganoneé 
bedarf mod) einer neuen beridtigten Ausgabe. 9) Zwei 
Briefe von Nicephorus; leider find fehr viele Briefe deſ⸗ 
fefben verloren gegangen. 10) Die Hiftorifhen Werke des 
Nicephorus wurden zwar öfter gebrudt; bod) ermangeln 
fie bis jeßt einer genauen und vollftändigen Ausgabe. Die: 
Chronologia brevis nebft ber Stichometria, ift fiebenmal 
griechiſch ober lateiniſch gebrudt morben, wovon breimal 
im Gefolge ber Byzantiner, unb neulich durch Dindorf, 


Spicilegium Solesmense. 181 


deſſen Ausgabe indeß Grebner in Gießen febr mangelhaft 
nannte. — Dieſes Geſchichtswerk des Nicephorus reicht 
von Erfhaffung der Welt bis zum Jahr 828. Ein ans 
deres Geſchichtswerk it: 11) Breviarium historicum, geht 
vom Jahr 602, oder von bem Kaifer Phofas bis zum 
Jahr 770, und wird den meiften andern Byzantinern vor⸗ 
geyogen, nur eine allzu gebrängte Kürze an demfelben 
ausgefegt. Es ift herausgegeben worden burd) Petavius 
1616; mit den byzantinischen Geſchichtsſchreibern — Paris 
1648 und Venedig — 1729; endlich in ber neuen Bonner 
Ausgabe der Byzantiner burd) SBeffer 1837. — In Ber 
ziehung auf das Leben des Nicephorus befigen wir von 
einem feiner Schüler, Ignatius, das Werk: Acta sancti 
' Patriarchae, in welchem widiige Aktenftüde enthalten find, 
+ 9. eine Collatio de sanctis imaginibus, melde der Pas 
triarch oͤffentlich mit dem Kaifer hielt, welche Collatio fid) 
«ud bei den Bollandiften in dem Leben dieſes Heiligen 
findet — 13. März. — Diefe verfdiedenen Werke des 
Ricephorus follen mun zum erfen Male in einer Ge- 
fammtausgabe von Pitra erfheinen, natürlich mit Beifügung 
tinet — befonders ſchwierigen — lateiniſchen Ueberfegung. 
Damit hat er bereits in biefem Bande ben Anfang ger 
macht durch. bie Herausgabe der oben genannten 3 Werke, 
Bor diefer Thätigfeit des Dom Pitra wird man um fo 
mehr Refpelt befommen, wenn man von ihm vernimmt 
(Prol. p. 76) daß er bei ber Herausgabe ber Patrologie 
bé Abbe Migne vorzugsweife betheiligt, daß er bie Ausr 
wahl der Ausgaben und die Reihenfolge der einzelnen 
Berke (fowie, wo εὖ nöthig war, bie neuen Ausgaben) 
beſorgt Habe. Als et biefe Zeilen fd)rieb, waren von der 
Patrologie. 115 Bände erſchienen, heute befipen wir deren 
9* 


192 Pim. 7^ 


fon 124, welche bis zum Ende des 9. Jahrhunderts 
reichen. Weiter fügt Pitra hinzu: „Neque etiam is ego 
sim, his laboribus exantlatis, qui audacter asseverem me, 
aut dum nova profero, non decipi, quod eruditissimis 
antecessoribus meis plus semel accidit, aut in edendis 
hisce anecdotis optimum semper codicem ac omnium 
semper integerrimum adinvenisse.^ Den erwähnten neuen 
Mittheilungen des Pitra in biefem feinem erften Bande, 
welche mit bem reichften gelehrten Apparate verfehen find, 
fliegen fij am Ende des Bandes nod 6 appendices 
und 6 indices an. Der erfte Appendir enthält eine (don 
erwähnte bem Irenaͤus zugefehriebene Homilie. Der zweite 
fehr werthuolle Appendir enthält bie „Fragmenta versionis 
coplicae libri synodici de I. concilio oecumenico nicaeno, 
welche Fragmente zum erften Male von Georgius Zoega 
aus dem borgianifhen Mufeum herausgegeben wurden, 
jet zum zweiten Male erfcheinen — cum emendationibus 
et notis et versione latina plane nova — herausgegeben 
von Carl Lenormant, Mitglied des Inſtituts. Diefe neue 
Mittheilung und Weberfegung der koptiſchen Fragmente 
des alten Nicäner Goncilà ift um fo wertpooller, als bie 
Ausgabe des Zoega beinahe verſchwunden, und faum mehr 
ein Exemplar derfelben aufzutreiben if. Der Akademiker 
Senormant hat in ben Verhandlungen ber Afademie das 
Toptijde Bragment des Nicäner Eoncils [don ausführlich 
bearbeitet, und theilt uns Bier mur einen Auszug aus 
feiner größern Arbeit mit. Das Foptifhe Fragment ber 
ftebt aus 4 Seien. Für unfere Lefer wird befonders 
ein Verzeichniß der in Nicka anmwefenden- Bifhöfe inters 
effant feyn, das fid) in diefem koptiſchen Fragmente findet. 
Aus Aegypten waren 15 Bifchöfe anwefend, welde mit 


Spicilegium Solesmense. 138 


ihren Sigen angeführt werben, darunter ber nachher ver^ 
bannte Secundus aus Ptolemais. Aus beiden Lybien 
waren 6 Bifhöfe anmefenb. Wir finden aber weder 
unter biefen nod) unter ben voranftehenden Biſchoͤfen ben 
Namen des Arianers Theonas von Marmarica. Aus 
Spaláftina waren 19 Bifhöfe antvefenb, darunter Asclepias 
von Gaza und Eufebius von Cäfarea; aus Phönizien 
12 Bifhöfe. Aus bem untern Syrien fanden fij 14, 
aus dem obern.9 Bifchöfe ein; aus Arabien 6 Bifchöfe, 
nämlih von SBofita, Philadelphia, Jabruda, Goboma, 
Batanen und Dionyfias. Aus Mefopotamien waren 5 
von Gbeffa, Nifibis, Rhefana, wohl bem Rheſee der Bibel, 
Süacebonopolió und (Perfis) Bifhöfe; aus Eilicien eilf; 
aus Gapabocien adjt anwefend. Aus Großarmenien werden 
sir, aus Kleinarmenien zwei; aus Pontus drei; aus bem 
Bontus Polemoniacus drei; aus Paphlagonien drei; aus 
Galatien fünf; aus ber Provinz Afien ſechs; aus Lydien 
acht; aus Phrygien fieben; aus Pifidien zwölf; aus Lycien 
wei Bifchöfe angeführt. Noch ftebt Pamphylien mit 7 
Biihöfen; hier aber ift das Verzeichniß leider abgebrochen, 
fei e$, wie ber Herausgeber fagt: „injuria temporis, vel 
potius christianae pacis inimicorum.* Die Angeführten 
maden zufammen 166; und es fehlen zu ben 318 nod 
152, deren Sige wir befonderd in Europa, unb zwar in 
den europäifhen Provinzen des morgenländifchen Reiches 
zu fuden haben. Daß Hoftus von Gorbuba bem Goncil 
präfidirte, ift befannt. — Das Alter diefer Foptifchen Ueber⸗ 
fegung feßt Lenormant theilmeife nod) in bie Zeit Gonftantin 
des Großen, theilweife in bie feines Sohnes Eonftantius. — 
Der dritte 9lppenbir in unferm Spicilegium ift ein Excursus 
in Commodiani carmen apologeticum novis curis emendatum ; 


434 Pitra Spicilegium Bolesmense. 


der vierte Appendir enthält eine Ueberſicht und Auszüge der 
SDiffertationen des Magnus Erufius über den myfleriöfen 
Hriftlihen Schriftfteller Magnes, mit Zufägen bed Dom 
Pitra. Der fünfte Appendir enthält eine Sammlung von 
Erflärungen der berühmten griechiſchen Inſchrift von 9futun, 
woran fid) aud) zwei deutfhe Gelehrte, Windiſchmann in 
Münden, und Franz in Berlin, verfuht haben. Der 
ſechste Appendir des Pitra enthält Zufäge unb Verbeſſe⸗ 
rungen zum erften unb zum zweiten Theile. Diefen Appens 
dices folgen bie vortrefflihen ſechs Indices, in deren Ans 
fertigung, wie befannt, die alten Mauriner eine fo große 
Ausdauer und Sertigfeit Defafen. Man benfe nur an die 
vortrefflihen Indices zu den Schriften des 51. Auguſtin. 
Der erfte Inder des Dom Pitra ift eine Angabe der in 
feinem Spicilegium vorfommenden Stellen ber 5f. &drift. 
Es folgt fobann ber Index auctorum, quorum opera vel 
loca insignia in hoc tomo novam ad lucem, proferuntur 
aut illustrantur. Daran [djieft fid) 3) ber Index rerum 
et sententiarum. Es folgen 4) ein Index glossarum; 
5) ein Conspectus rerum praecipuarum, quae in pro- 
legomenis, notis et appendicibus exiguntur; enblid) 6) ein 
Elenchus rerum, quae in tomo 1. Spicilegii Solesmensis 
continentur. Dom Pitra fehließt feine Prolegomena zu 
diefem Bande mit ben Worten: „Möge diefes ber einzige 
Kohn meiner "Arbeit feyn, daß biefelbe, fo gering fie aud) 
ſeyn möge, ber Kirche, ber Säule und Grundfefte ber 
Wahrheit, gefalle; freudig unterwerfe id) ihrem Urteile 
alles, was je von mir herausgegeben worben ift, bereit 
alles dasjenige zu verbeffern unb zu widerrufen, was fie 
mid) verbeffern unb widerrufen heißt." Wir aber fließen 
dieſe Anzeige mit dem lebhaften Gefühle der Bewunderung 


Ficker, Reinald v. Daffel, Meichöfanzler von Köln. 135 


und bed Dankes gegen biefen Mann und biefem Orben, 
ber burd) alle Jahrhunderte folhe Männer in feinem 
Schooße genährt unb gepflegt hat. — 

38. Game. 


2. 
Heinald von Daſſel, Reichskanzler und Erzbiſchof von Köln 
1156—1167. Nach ben Quellen dargeftellt von Iulius 
Siker. Köln 1850, VIL 152 €, 8, Pr. 45 fr. 


Der Kirhenfürft, befen quellenmäßige Darftellung 
fi 9. Ficker zum Gegenftanbe feiner Unterfuhung ger 
mat hat, ift fo innig mit der erften Regierungsepodhe 
Friedrichs 1. verflochten, daß biefelbe ohne bie genauere 
Kenntniß des Charakters unb ber Thätigfeit jenes nicht 
tihtig gewürdigt werden fann. Von bem an bem rechten 
Ufer der Wefer reich begüterten Gefchlechte der Grafen 
don Daffel abftammend unb auf der Stiftöfchule zu Hils 
desheim gebildet, befleidete Reinald feit bem Jahre 1149 
die Stelle eines Dompropſts an ber genannten Kirche, 
mit welcher er bald noch mehrere andere Würden vers 
einigte. Nachdem er (don vorher von Friedrich L zu 
Stantsgefchäften verwendet worden zu fein ſcheint, wurde 
er von bemfelben wahrfheinlih im Jahr 1156 zu bem 
wichtigen Amte eines Reichskanzlers befördert. Von welcher 
ÜBebeutung biefe Wahl für Reich unb Kirche jener Zeit 
war, dürfte ſchon von vorneherein aus ber Hinweifung 
auf den Charakter diefer Perfönlihfeit erhellen, welchen 
der H. Verf. ©. 12 f. alfo fdilbert: „Durchdringender 
Verftand, großer Scharffinn, Gewandtheit, Schlauheit und 
Vorfiht, verbunden einerfeits mit glängender Berebfamfeit 


136 Wider, Reinald v. Daffel, 


und wiſſenſchaftlicher Bildung, andererſeits mit einer aus 
dauernden und unermüdlichen Thätigfeit, machten ihn zur 
Leitung der Stantögefhäfte geſchickt, und wie bie Beber 
wußte er aud) das Schwert zu handhaben; an ritterlichem 
Sinne, an Unerfchrodenheit und perfönlicher Tapferkeit, 
an Abhärtung gegen bie Mühen und Befchwerden bes 
Kriegslebens gab er feinem feiner Genoffen etwas nad. 
Laſſen fid) Härte gegen Beſiegte, verlegender Stolz gegen 
Gleichgeſtellte nicht làugnen, fo wußte er andererfeits durch 
Milde und Leutfeligfeit und burd) eine unbegrenzte Frei⸗ 
gebigfeit bie Untergebenen zu gewinnen. Seine Enthalt- 
famfeit wird gerühmt in einer Zeit, wo ein ausſchweifen⸗ 
ber Lebenswandel bei weltlichen wie geiftlihen Großen 
feine Seltenheit war; felbft feine Beinde, bie ben Schis— 
matifer aufs Heftigfte angreifen, wagen es nicht, fein 
Privatleben anzutaften. Die Hauptleidenfchaft aber, bic 
ihn beftürmte, fdeint vor Allem ein ungemeffener Ehrgeiz 
gemefen zu fein, beffen höchfte Befriedigung er im Siege 
feiner Parteianſichten fuchte; bie weitere Darftellung wird 
zeigen, wie er fein Mittel fdjeute, das zu biefem Ziele 
führen fonnte, wie fein ftofjer und unbeugfamer Geift ihn 
vor Feiner Confequenz bes einmal gethanen Schrittes zur 
ruͤchſchrecken ließ. Wenige feiner Zeitgenofien waren mit 
größeren Mitteln ausgeftattet; er war eine Perfönlichkeit, 
die ihres Einfluffes auf ben Gang der Begebenheiten 
fiber fein mußte, zumal in einer Zeit, wo bie Vermittlung 
ihr Ende erreicht zu haben, und Alles auf Löfung durch 
offenen Kampf hinzudeuten [dien." So war fer Mann 
beſchaffen, welcher ‚nit blos mit aller Energie in ben 
Plan Friedrichs L, den antifen Abfolutismus mit ber Idee 
des chriſtlich⸗ germaniſchen Kaiſerthums zu vermiſchen, eine 


Reichskanzler von Köln, 4137 


gieng, fondern benfelben aud) bis in das Auferfte Extrem 
gu verfolgen fid) beftrebte. Eine Gelegenheit, feine ſtaats⸗ 
maͤnniſchen Kräfte zu erproben, bot Reinald bereit ber 
Streit Hadrian IV. mit dem Kaifer bar D. Auf bem 
Reihstage zu SBefangon (1157) war er εὖ, welder ben 
beut[den Fürften das Echreiben des Papſtes und zwar 
in fo gehäffiger Weife verdeutfchte, daß bie Bifhöfe εὖ 
nit wagten, für Hadrian das Wort zu ergreifen. Daß 
der genannte Papft in dem Kanzler feinen gefährlichften 
Gegner erkannte, davon liegen zahlreiche Anzeihen vor 
(5. 17 f). Sa, ε find fogar mehrere Aftenftüde vot» 
handen, melde ben von Seiten der Faiferlichen Partei ge» 
faßten Plan bloß fegen, damals (1158) bie deutſche Kirche 
von Rom loszureißen und in dem Erzbifhofe Hillin von 
Trier einen deutfhen Papſt aufjuftelen. Schon lange 
habe man, fehreibt der Kaifer an den genannten Erzbifchof, 
gelacht über die Einfalt ber Deutfchen, bie fid) ben Aus- 
Íprüdyen eines fremden Papftes unterwürfen, während ber 
Ürbfrei ber Gewalt ihrer Rechten nicht widerftehen Fönne. 
Er aber, ber Erzbiſchof fei Primas bieffeité der Alpen 
und das Herz des Reichs; feine Metropole, das berühmte 
Trier, {εἰ ausgezeichnet vor allen Städten duch ben Beſitz 
des ungenähten Kleidves des Herrn, während ber Papft 


1) 3n bem Borwort ©. VIII bemerkt der H. 8e: „Ob ein 
anderes neues Werk: „„Pope Adrian IV. an historical Sketch by 
Richard Raby. London 18494* für Reinalds Geſchichte bisher Uns 
belanntes enthält, weiß ich nicht zu fagen, da es mir mod) nicht zu 
Gefichte gefommen iſt“ Stef. geſteht, mit großer Begierde nach biefem 
Jude gegriffen zu haben, mad) beffen Durchlefung er jebodj leider das 
Urteil ablegen muß, daß εὖ bie Gefchichte des genannten Papftes, des 
txjgem Englanders welcher den römifcen Stuhl befieg, in feinem 
einigen Punkte weiter geförbert Hat, 





138 der, Reinald v. Daffel, 


das Kleid des Herrn, die Kirche, zerrifien habe. Es werde 
bem Papſte genommen werben; er folle an beffen Stelle 
treten; er ber Erſte fein unter allen nad) bem hl. Petrus, 
der ihm nicht ohme Bedeutung feinen Stab. hinterlaffen 
babe, während ber Papft nod) immer ohne Stab einher 
freite; daher verfüge er fraft Kaiferlicher Machtvollkom⸗ 
menfeit, daß Jeder aus bem Reiche bieffeitó ber Alpen 
fid nicht mehr nad  SBiterbo zum neuen, fondern nad 
Trier zum zweiten Rom wenden folle. Er, ber wahre 
Nachfolger des HI. Petrus, möge fid) daher erheben gegen 
ben, ber fid faͤlſchlich „Statthalter Petri“ nenne, und 
feine Sufftagane zur Beiftimmung bewegen (8.19). Wenn 
aud) diefer Plan aus verfdjiebenen Gründen nicht aus 
geführt werden fonnte, fo wurde er bod) fpäter in anderer 
Form wieder aufgenommen, infofern ber ihm zu Grunde 
liegende Gedanke einer Territorialfiche nad) Hadrian’s IV. 
Tode durch bie Wahl ber Gegenpäpfte zur Verwirklichung 
fam. Hadrian aber flete fid) feinerfeits auf das ente 
gegengefegte Ertrem, fpra Friedrich gegenüber davon, 
daß bie beut(djen Könige durch päpftliche Verleihung Kaifer 
feien, unb daß ganz Italien bis an bie Alpen dem Papfte 
als Gigentfum gehöre, in welchem der Kaifer Feine andere 
Gewalt habe, al& bie Rechte des Papftes zu fügen, und 
drohte mit ber llebertragung des Saifertbumé an bie 
Griechen: — Als Reinald im Anfange des 3. 1159 auf 
SBerlangen Sriebridjó I. zum Erzbiſchof von Köln erwählt 
wurde (©. 49 f.), wurde die Wahl, wie vorauszufehen 
war, von $abrian IV. verworfen. 

Nah bem fury darauf erfolgten Tode des genannten 
Bapftes hatte Reinald, welcher von nun an in der Doppels 
ftelung eines tirdpenfürften und hohen Staatsbeamten 


Weichelanzlet von Köln, 189 


aufteitt, während fein Zeitgenofie, Thomas SBedet, fogleich 
παῷ feiner Wahl zum Erzbiſchof von Canterbury das 
Siegel an Heinrich IL in die Normandie ſchickte — ben 
hauptſaͤchlichſten Antheil. Auch fiel ihm die ſchwierige 
Aufgabe zu, bem kaiſerlichen Papſte, Victor IV., bie An⸗ 
erlennung der Könige von Frankreich und England zu vers 
ſchaffen, forie bie firengen Edicte der Verfammlung von 
Pavia in bem beutídjen Reiche in Vollziehung zu bringen. 
Außerdem ftand er in Italien bem Kaifer in feinen Maps 
tegeln gegen bie Lombarden jur Seite. Er war e, wels 
der feinen Haß gegen Mailand fo weit trieb, daß er ben 
Kaifer zur Zerftörung der herrlichen Stadt beftimmte, und 
dann ‚Die Streitfräfte der italienifchen Seeftäbte zum Kriege 
gegen die 9tormannen in Neapel und Gicilien, an denen 
Aerander MI. feine hauptfächlichfte Stüge hatte, an fid) 
m ziehen fuchte. 

Bon großer Wichtigkeit für die Kenntniffe der kirchlich⸗ 
politifchen Plane der Faiferlichen Partei, welche in Reinald 
ihren Fühnften und meitgreifenbften Träger hatte, ift beffen 
Auftreten zu Sean de Losne und zu Dole. An dem erftern 
Orte erklärte er gegenüber bem Könige von Brankreich, 
nie werde der Kaifer eine Einmifhung Fremder in bie 
Angelegenheiten der römifchen Kirche, bie zu feinem Reiche 
gehöre, und deren Schugpropft er fei, dulden. Das Urtheil 
über bie Papſtwahl gebühre nur den Bifchöfen des Reihe; 
von Rechtswegen müffe der König mit feiner Geiftlichkeit 
ber Entſcheidung jener beipflichten. Mit Recht erwiderte 
Ludwig, ob denn ber Kaifer nicht wiffe, daß ber Sohn 
Gottes bem DI. Petrus und damit ben Nachfolgern des⸗ 
feben alle feine Schafe zu weiden übergeben habe? 
Ob er dabei etwa die Könige von Frankreich und bie 


440 Fider, ϑιάποῖο v. Sof, 


franzoͤſiſchen Bifchöfe ausgenommen habe (€. 46 ()? Zu 
Dole aber äußerte er fd) vor ben geiſtlichen und weltlis 
hen Reihsfürften, welche zur abermaligen Anerkennung 
fBictoró IV. zufammenberufen worden waren, die Einmis 
fung biejer Provinzialfönige in bie Angelegenheiten ber 
Kirche {εἰ eine Bermefienheit und eine Beleidigung des 
Kaifers. Denn wenn in einer ihrer Städte eine flreitige 
Biihofswahl flattgejunben hätte, und der Kaifer wollte 
darüber entſcheiden, fo würben fie das ohne Zweifel für 
eine arge Beleidigung anjeben, während fie baffelóe zu 
Rom, einer ihnen fremden Stadt zu thun wagten. Treff⸗ 
lid) würdigt ber Verfaſſer (S. 48 f.) diefe ber ganzen 
chriſtlich⸗ germaniſchen Anfhauung von bem Berhältnifle 
des Saifertbumó zu bem Papſtthume Hohn ſprechende 
Theorie, indem er feinem Greurfe (E. 50) folgende Ber 
merfungen beifügt: „Und fo tritt uns hier wieder, wie 
fhon im Jahr 1158, ber Gedanke der Territorialfiche 
entgegen. Damals, wo man faum hoffen fonnte, Gabrian'é 
Einfluß in Italien zu brechen, verſuchte man die Herſtel⸗ 
fung einer deutfchen Kirche burd) Losreifung von Rom; 
Reinald's jetzige Pläne würden umgefehrt burd) Aus 
ſchließung der fremden Staaten von Rom zur Reichskirche 
geführt haben, wenn anders folhe Pläne im 12. Saft. 
hundert überhaupt ausführbar geweſen wären, bann aber 
wäre mit dem Papfithume audj das Kaiferthum in feiner 
bisherigen Bedeutung, in ber es ebenfowohl wie jeneó 
in ber Einheit der Ehriftenheit wurzelte, zu Grabe ge 
tragen; ber beiden Schwerter Glanz wäre erblichen, und 
ſchwerlich Hätten die Lehren ber Gefegbücher Juftinians 
hinreichenden Erſatz gewährt.” 

Victors IV. Tod bot dem Kaiſer die geeignetſte Ge⸗ 


Relchekanzler von Köln. 441 


legenheit bat, dem Schisma, burd) Ausföhnung mit Ale⸗ 
rander HL, welcher die Anerkennung des größten Theile 
der Eatholifhen Welt erhalten hatte, ein Ziel zu ſetzen. 
Aber während Friedrich unfdjlü[fig Din» und herſchwankte, 
und vieleicht mehr zu Gunften Aleranders IN. fij bins 
quneigen fehien, orbnete Reinald zu Rom eigenmädtig, 
wie ber Hr. Verfaſſer (S. 55 f. u. ©. 122 ἢ.) gegen 
Reuter („Geſch. Aleranders IM. und feiner Zeit 1. 80. 
Berlin 1845." ©. 392 ff.) überzeugend nachweist, bie 
ſchon hinſichtlich der orm allem Herkommen zuwiderlaufende 
Wahl Paſchalis III. an, durch welche die Lage des Kaiſers 
nicht wenig erſchwert wurde. Reinald mußte nun von 
Reuem dahin arbeiten, die Könige von Frankreich und 
England von Alerander IN. abzuziehen. Wenn Dinfidytlid) 
des Grfteren in biefer Beziehung wenig Erfolg ju erwarten 
war, fo (dien bei Heinrich IL. deffen Streit mit Thomas 
Bedet der Faiferlihen Sache eine günftige Wendung geben 
m wollen. Wirflic ließ fid) aud) der König von England 
bewegen, ben befannten Reichstag von Würzburg burdj 
feine Gefanbten zu beſchicken, welche fid) in feinem Namen 
bereit erflärten, Alexander II. abzuſchwoͤren. Die Seele 
der dortigen Verhandlungen war wieder Reinald, welder 
dem Kaifer einen Plan vorlegte, ber offenbar ein permanen- 
i$ Schisma bezwedte (S. 79 ff). Uebrigens trat hier, 
wie auch bei andern Gelegenheiten, bie zweideutige Natur 
des Kanzlers offen an ben Tag. Als ber Erzbiſchof Wich- 
mann von Magdeburg auf des Kaifers Verlangen, einen 
auf die Anerkennung Paſchalis II. fid) beriehenden Gib 
idu ſchwoͤren, erflärte, er werde biefes erft bann thun, 
wenn fid) ber Erzbiſchof von Köln zuvor zum Priefter und 
Biſchofe habe weihen laſſen, ba erft dann er und bic 


142 Eier, Reinald v. Daſſel, 


übrigen Biſchoͤfe überzeugt ſeien, daß Reinald ehrlich zu 
Werke gehe, weigerte ſich derſelbe, dieſer Forderung zu 
entſprechen, offenbar aus dem Grunde, weil er nicht ſein 
Schickſal mit dem Paſchalis IIL, deſſen nahen Sturz er 
befürchtete, unauflöglih verknüpfen wollte. Bon bem 
Kaifer wegen feiner SBerfibie Dart getadelt, mußte er zuerſt 
ben Schwur Teiften und das Verſprechen ablegen, in aller 
Bälde die Weihen zu empfangen. Daß er jebod) vor 
figtig genug war, feine Zufunft fiher zu fielen, geht 
daraus hervor, baf unter ben von Friedrich 1. beſchwor⸗ 
nen Punkten aud) der fiherlih auf jenen ſich beziehende 
fid) befand: er werde nie zulaffen, daß bie Ermählten, 
die unter fpafdjali ober den von ber Partei beffelben 
gewählten Nachfolgern bie Weihe empfangen würden ober 
fhon empfangen hätten, wegen ihres Gehorfams gegen 
denfelben ihrer Aemter oder geiftlichen Würden entfeht 
würden (6. 84). Zwar entzogen (ij) mehrere bedeutende 
geiftliche und weltliche Sürften, welche Alerander II. an^ 
hiengen, bem Reichstage und leifteten paffiven Wiberftand; 
bie übrigen fügten fid) jebod) in die Nothwendigkeit und 
leiſteten den ſchmaͤhlichen Eidſchwur. „Wie tief mußte 
ſchon“ bemerkt der H. Verfaffer bei diefer Gelegenheit 
(5. 87), „die unumſchraͤnkte Herrfhergewalt Wurzel ger 
faßt haben, wie tief das Selbftbewußtfein der Reiche 
fürften gefunfen fein, wenn faiferfide Machtſpruͤche mur 
mod) auf leidenden SBiberflanb fließen, wenn ein großer 
Theil der Fürften, fel e$ aus Furt oder Zwang, fei εὖ 
aus Eigennug ober knechtiſchem Gehorſam, fid) ihnen fügte, 
wenn ber Kaifer und ber, beffen Ginfluffe er fid) blind 
bingegeben hatte, e8 wagen konnten, fo bie Nation in bet 
Berfon ihrer Sürften mit Fuͤßen zu treten. Kaum bietet 


Rriäktangler von Köln, 449 


bie deutſche Geſchichte ein klaͤglicheres Bild; zeigte Heinrich 
vor Ganofja, was von einem völligen Siege der geiftlichen 
Gewalt zu erwarten, fo giebt der Würzburger Reichstag 
die Kehrfeite. Biel das Gegengewicht der Kirche, fo 
triumphirte der Grunbía& ber Imperatoren — „„quod 
principi placuit, legis habet vigorem““ — über bie 
Satzungen und Gewohnheiten des Reiches.” 

Reinald wiederholte nun abermals feine Bemühungen 
gegenüber ben Königen von Branfreih und England, unb 
da er nicht zu feinem Ziele gelangte, fo fuchte er wenigftens 
beide Könige mit einander zu entzweien (5. 91 f). Nach⸗ 
dem er fid) dann im Det. 1165 hatte zum Bifhofe weihen 
laffen, vollzog er im Einverftändnig mit Paſchalis HL. zu 
Aachen bie Heiligfprehung Karls b. Gr., welder ohne 
Zweifel eine politifche Abſicht zu Grunde fag, infofern auf 
der einen Seite babutd) das Kaiferthum, beffen Idee nad) 
ber Anſchauung Friedrichs 1. in Karl b. Gr. am voll 
fommenften verwirklicht worden war, mit neuem Glange 
umgeben; auf der andern Seite aber Pafchalis III. duch 
ben auf ihn zurüdgeführten Act ber Verehrung ber deut⸗ 
[hen Völfer näher gebracht werden follte. Einige Jahre 
feüher (1162) hatte Reinald aus bem gerftórten Mailand 
bie Reliquien ber hl. Dreifönige unter großen Gefahren 
mad) Köln gebracht und burd) bie an biefelben fid) an» 
fließenden großartigen Wallfahrten nicht wenig zu ber 
lurz darauf ſchnell emporblühenden Größe feines erzbis 
fáoflifen Sihes beigetragen (S. 61 f. 127 ff) Webers 
haupt war derfelbe ungeachtet feiner mit der wahren 
Kirchlichleit durchaus im Widerſpruch flehenden Haltung 
tiftig für die Reinerhaltung des Glaubens, ber Sitten⸗ 
Wujt und der Bewahrung des Kirchenvermögens feinee, 


144 Bilder, Reinald v. Daffel, 


erzbifpöfligen Sprengels bedacht (C. 93 f). Während 
einer lebensgefaͤhrlichen Krankheit feheint Reinald gegen 
bie Einwirkungen der Anhänger Alexanders IIL, welche 
ihn als Haupt.der Schismatifer auf ihre Seite zu ziehen 
ſuchten, fid nicht gleichgültig verhalten zu haben. Kaum 
hatte er jebod) mit der Gefundheit das volle Lebensgefühl 
wieder erhalten, als er mit Kraft wieder auf ber alten 
Bahn fortwandelte. Er zog dem Kaifer auf fein Ver 
langen mit einer Gdjaar Ritter nad) Italien voraus. 
Soeben hatte er mit einer unbebeutenben Anzahl Deutſcher, 
von ben auf ihn eiferfüchtigen und ihm übelmollenden 
Fürften (S. 59 f.) im Stiche gelaffen, über eine unver 
+ hältnigmäßige Uebermacht der auf ihn einftürmenben Römer 
einen glänzenden Sieg erfochten (S. 109 f), als er im 
Jahr 1167 in Folge des in Rom auébredjenben Fiebers 
mitten aus feiner Laufbahn gleich vielen andern geiftlihen 
und weltlichen Fürſten burd) ben Sob geriffen wurde. 
„Mit Reinalds Tode", jo [diet der H. Verfaſſer 
feine Darftelung, „war ein Haupthindernig ber Verföhr 
nung mit bem Papfte geſchwunden; [don in ber πάζβε 
folgenden Zeit that der Kaifer, wenn aud) fürerft erfolg⸗ 
los, vermittelnde Schritte. Keiner ber Nachfolger Reinalde 
hat bie Durchführung feiner Entwürfe in ihrer ganzen 
Schroffheit wieder aufgenommen; in ihm war ber Oppor 
fition gegen die Unabhängigfeit der Kirche die Spige ab^ 
gebrochen. Wohl haben mod) lange Reich und Kirche an 
den Folgen feines Wirfens gelitten, hat es nod) mandet 
Prüfung beburft, ehe ber Kaifer von den ſchwindelnden 
Pfaden, auf denen ihn Reinald fortgegogen, dauernd ein 
Tenfte auf bie Bahn der Vermittlung; aber auf langjährigen 
Kampf folgte bod) enblid bie Verföhnung, fand mit ihr 


Neichslanzler von Köln. Ὁ 145 


die Faiferliche Gewalt ihren natürlichen Boden wieder und 
zeigte fid) in der That wirffamer auf biefem, als fie εὖ 
je in ber Zeit gemefen war, wo man fte burd) Gewalt 
und Gewiſſenszwang zu einer Fünftlihen Höhe Dinaufjus 
fürauben fudjte. Wer möchte beftimmen, in meldet Art 
Reinald bei längerem Leben auf bie Verhältniffe einger 
wirft haben würde! Das aber [djeint unzweifelhaft, daß 
er mit feinem unbeugfamen Charakter, feinen außerorbents 
lihen Geiftesgaben, feinem Alles überwiegenden Einfluffe 
bei dem Kaifer fort und fort einer Ausgleihung unüber- 
ſteigliche Hinderniffe hätte in den Weg legen fónnen, daß 
bei einem weiteren Fortfchreiten auf der früheren Bahn 
ter verhängnißvolle Name „„ruina mundi4* !) vielleicht 
{πε traurige Wahrheit gewonnen hätte. Denn das Ver- 
Plgen einer jeden Richtung, welche fo auf bie Cpipe ges 
trisben wird, daß fie feine Wurzeln mehr findet im Boden 
der Zeit, fann nur zerfegend und jerftórenb. wirfen.” 

Im Bisherigen haben wir unfern eferm bie haupt— 
fählichften Refultate diefer intereffanten und Iehrreichen 
von einem fowohl firdjfid) als politifch gefunden Stand» 
punlte aus verfaßten Schrift mitgetheilt, durch welche fid) 
der 9. Berfaffer kein geringes Verdienſt um die Aufhels 
lung der Geſchichte Friedrichs L, woelde burd) bie Ber 
arbeitungen SS8ünau'é, Kortüms unb 9taumer' bei weitem 
nicht erfhöpft worden ift, erworben Dat. Wir fügen 
unferer Anzeige ben Wunſch bei, daß das Beifpiel des 


1) Als Reinald mod) am ber Stiftsfchule zu Hildesheim lebte, ſoll 
τ einſt plóglid) im Schlafe ausgerufen haben: „Ich bin" und bem 
Seer, der in fragte, wer er denn fei, geantwortet Haben: „Ich bin 
das Berberben der Welt.“ Seitdem foll er von feinen Altersgenoſſen 
„ruina mundi“ genannt worben fein. 

Ael. Duartalfgrift. 4859. 1. Heft. 10 


146 Die neuaufgefundenen Ofterbriefe 


Verfaſſers mehrere Rahahmer finden möge. Das Zeit 
alter δτίευτί 61. — von andern Jahrhunderten ganz abs 
gefehen — ift febr reich an ausgezeichneten Perfönlichkeiten, 
welche in die deutſche Geſchichte eingreifen. Wir erinnern 
nur am bie beiden Aebte Wibald von Stablo unb orbes 
und Gerfod von Reichersperg, an Reinalds Nachfolger 
Philipp, an Chriftian von Buch, die beiden Conrad von 
Wittelsbah und Babenberg u. 9L, welche theils Feine, 
theils feine erfhöpfende Darftellung bis jet gefunden 
haben, und durd deren Bearbeitung befonderd jüngere 
Kräfte den Aufbau der allgemeinen Kirchen» unb Profans 
geſchichte nicht wenig erleichtern würden. 


Dr. Briſchar. 


3 


Die (neuentbedten) Sehbriefe des Heiligen Athanafius Bi- 
ſchoſs von Alerandrien. Aus bem Sprifchen überfegt 
und durch Anmerkungen erläutert von 4. farfom, Dr. 
der Philoſophie, Licentiat ber Theologie, Profeffor am 
Grauen Klofter zu Berlin, orbentl. Mitglied der deutſch. 
morgen!. Geſellſchaft. Nebft drei Karten, Aegypten mit 
"feinen Bisthumern und Alexandria mit feinen Kirchen 
darftellend. Leipzig u. Göttingen 1852. VIIL u, 156 ©. 
groß 8. Preis 1 fl. 34 fr. 


Das vorliegende Buch enthält eine Reihe new 
aufgefunbener Briefe des HI. Athanafius. Wir 
mußten, daß Athanafus faft jahrjährlih während feines 
langen Pontififates einenOfterfeftbrief an feine eigene 


ded HI. Athanaftas. 147 


Dioͤceſe und an die andern Gemeinden Aegyptens erließ; 
aber von biefen vielen Feftbriefen waren nur wenige unb 
faf durchaus ganz Fleine Fragmente auf und gefommen. 
Das einzige größere gehört bem 39fen Ofterbriefe an, 
und findet fid) abgebrudt in Tom. L P. IL p. 767 sqq. 
der verbefferten Mauriner Ausgabe ber Werfe des heil. 
Athanafius (edit. Patavina a. 1771.) Die 12 andern 
Heineren Fragmente aber hat uns Cosmas Invicopleuftes, 
ein ägyptifcher Moͤnch unb Schriftfteller des 6. Jahrhunderts, 
im gehnten Buche feiner topographia christiana aufbewahrt, 
und es find biefelben in ber ebenerwähnten Pataviner 
Ausgabe Tom. Il. p. 78 sqq. zufammengeftellt. 

Wie fehr man fid) nad) 9Bieberauffinbung ber Athanas 
fianiſchen Dfterbriefe gefehnt habe, mag ber berühmte 
Bernhard von Montfaucon beweifen, welder in ber Vor⸗ 
tbe zum erften Bande ber Mauriner Ausgabe fehreibt: 
»Sed nulla, opinamur, jactura major, quam epistolarum 
ἑορταστικῶν aut festivalium ... hoi, hei, quam pungit 
dolor amissi thesauri! quantum ad historiam, ad Consue- 
tudines ecclesiarum, ad morum praecepta hinc lucis ac- 
cederet (edit. Patav. p. XXIV. n. 3). Gleichſam pros 
phetiſch fügt er aber bei: Et.fortassis adhuc alicubi latent 
in Oriente! Gr hatte richtig vermuthet, denn eine bes 
traͤchtliche Anzahl diefer Seflbriefe wurde Fürzlih in einer 
alten ſyriſchen Ueberfegung in einem Klofter Aegyptens 
aufgefunden, und ift jet Gemeingut ber gelehrten Welt 
geworden. Es ging damit alfo: 

In ber Nähe des Nil-Delta’s, etwas weſtlich von 
deſſen Spige, liegt die fogenannte Nitrifche oder Ske— 
tiſche Wüfte, welde ihren erften Namen von ben dortigen 
Ritrons ober Natron-Seen, ben andern aber wegen 

10% 


148 Die nenaufgefundenen Oferbriefe 


der Afceten erhalten hat, bie fi [don in den erften 
Sahrhunderten des Chriſtenthums daſelbſt anſtedelten. Als 
ſofort mit dem Beginne des vierten Seculums das Ana⸗ 
choretenthum in das ftoinobitentfum ober eigentliche Moͤnch⸗ 
thum überging, führte ber heil. Ammon unb nad ihm 
St. Mafarius b. à. letzteres aud) in der Nitrifchen Wüfte 
ein, welche einige Zeit lang von wenigſtens 70,000 Möns 
hen in verſchiedenen Klöftern bewohnt war. Gegenwärtig 
eriftiren davon blos nod vier Kloͤſter: das Klofter des 
BI. Biſchoi, das des HI. Mafarius, das von Syrern bewohnte 
Marienflofter (Deiparae) und das Klofter Baramus (ber 
Griedem; jedes von ihnen zählt jebod) nur mehr ſehr 
wenige unwifiende Mönche unb vermag faum fein Dafein 
au friften. Ehemals aber war εὖ ganz anders, und mehr 
tere Aebte legten. große Bibliotheken in biefen Klöfern an, 
namentlich im Marienflofter Abt Mofes aus 9tifibie im 
zehnten Jahrhundert. Um in ben S3efü biefer fofibaren 
durch bie Indolenz der fpäteren Mönche eigentlich ver- 
ſchuͤtteten &djüge zu gelangen, fhidte Rom im Anfange 
des 18. Jahrhunderts zwei gelehrte Drientaliften nad 
Aegypten, zuerft 1706 den Gabriel eva (Eva), Abt 
zu St. Maura auf dem Libanon, unb im S. 1715 ben 
berühmten Maroniten Joſeph Simon Affemani, 
Beiden gelang εὖ, ben Nitrifchen Mönden einige alte 
Handſchriften abzufaufen, bie nun al Codices Nitriensis 
ber Vatikaniſchen Bibliothek einverleibt wurden. Einen 
neuen SBerfud) biefer Art machte-i. 3. 1839 der anglis 
kaniſche Geiftlihe Dr. Henry Tattam, jet Archidiakonus 
zu Bedford. Er reiste nad) Aegypten und erfaufte von 
den Mönchen des Marienkloſters 49 fyrifhe Handfchriften, 
welche jet das Britiſche Nationalmufeum befigt.. Mit 


des HI. Athanaſius. 149 


vielen Staatögeldern ausgerüftet reiste fodann Dr. Tattam 
im Jahre 1842 zum zweitenmale in bie Nitrifhe Wuͤſte 
und ſchloß mit ben Moͤnchen des Marienklofters einen 
Vertrag, voornad) fte im alle ihre Handſchriften zu über- 
liefern verſprachen. In der Meinung, ben ganzen Schat 
gehoben zu haben, fehrte er im Sabre 1843 nad) England 
zurück. Aber die Mönde hatten ihm getüuffjt und bie 
Hälfte ihres Gobice& zurüdbehalten. Dieß erfuhr Herr 
Auguft Pacho während feines Aufenthaltes in Aegypten 
in den Jahren 1845—1847, und εὖ gelang ihm, audj bie 
Tod zurüdbehaltenen 200 Bände von den Mönchen bes 
Marienkloſters zu erfaufen, die nun ebenfalls nad) Eng⸗ 
land gebracht unb bem Britifhen Mufeum einverleibt wur⸗ 
den. Im biefen Nitriſchen Eodicibus nun, theils in denen, 
die Tattam brachte, theils in denen, welche Pacho erwarb, 
fand Gureton eine Anzahl Ofterfeftbriefe des HI. Athas 
nafius in forifcher Ueberfegung. Daß diefelben von Athar 
naſius Derrübren, if aufer allem Zweifel, denn wenn 
«u$ nicht ihre Ueberſchrift fie diefem Kirchenvaler zus 
ſpraͤche, fo würden (don bie, wie gefagt, nod) voran» 
denen griechifhen Fragmente, bie fid) aud) in den betreffen» 
den neugefunbenen Briefen wieder finden, über ben Autor 
entſcheiden. Dazu fommen aber nod) zahlreide Hinweis 
fungen auf Athanafius in unfern Briefen felbft, Hin« 
weiſungen auf fein Schidfal, auf Alerandrien, und 
dor Allem ganz genaue Zeitangaben, bie nur auf ihn 
Wffen. Sofort gab Eureton biefelben im Jahr 1848 zu 
London unter dem Titel heraus: The Festal Leiters of 
Alhanasius, discovered in an ancient Syriac version, and 
edited by William Cureton, M. A. F. R. S. Chaplain in 
ordinary io the Queen, assistant Keeper of manuscripts 


150 Die neuaufgefundenen Oferbriefe 


in the British Museum. ine deutſche Meberfegung biefer 
ſyriſchen Feſtbriefe endlich beforgte 8. Larfow, Prof. 
am Grauen Klofter zu Berlin, und ließ diefelbe mit Ans 
merfungen und andern Beigaben im I. 1852 im Drude 
erſcheinen. 

Die erſte dieſer Beigaben iſt eine Abhandlung uͤber 
die Kloͤſter der RNitriſchen Wuͤſte; die zweite eine kurze 
allgemeine Erörterung über bie Ofterfeftbriefe der Alerans 
driniſchen Bifhöfe überhaupt. Darauf folgt der aus bem 
Syriſchen überfegte hoͤchſt intereffante, chronologiſch⸗hiſto⸗ 
riſche Vorbericht zu den Feſtbriefen des hl. Athanaſius, 
der urſpruͤnglich einer andern, jetzt verlornen Sammlung 
der letztern angehoͤrte, von einem ſpaͤteren Abſchreiber aber 
der vorliegenden Sammlung beigegeben und vorangeſtellt 
wurde. Er beginnt mit Angabe des Jahres und Tages 
der Erhebung des Athanaſtus auf den Stuhl von Ale 
xanbrien, und gibt fobann in 45 furgem Nummern fleine 
Notizen über alle einzelnen Feſtbriefe des 51. Athanafius 
und bie ihn betreffenden wichtigften Greigniffe jedes Jahres. 
Eine ähnliche chronologiſch-hiſtoriſche Arbeit, ba& Frag 
ment einer Art Gfronif ber alerandrinifhen Kirche im 
4. Jahrhundert, hat (don im vorigen Jahrhundert Seipio 
Maffei zu Verona in fateini[fer Weberfegung gefunden 
und im Jahre 1738 im britten Bande ber Osservazioni 
leiterarie veröffentlicht 1). 

Sehr zweckmaͤßig hat nun Larſow viele Stellen diefer 
historia acephala (denn biefen Titel gab man jener ans 
fangslofen Chronik) den einzelnen correfpondirenden 
Nummern jenes Vorberichtes beigefügt: Weil aber 


1) Auch abgebrudt in der Bataviner Ausgabe ber Opp. S. Atha- 
πουλί, T. IIL p. 89 seqq. 


des HL. Arhanaflus. 15 


in dem Vorberichte alle djronofogifden Data, namentlich 
über das Ofterfeft jedes Jahres, auf Agyptifhe Weife, 
mit Agypptifcher Monatsnennung und zudem an einzelnen 
Stellen ungenau angegeben find, fo hat ein Freund Lars 
ſo w's, Prof. Galle in Breslau, Direftor der dortigen 
Sternwarte, das vorliegende Buch durch eine befondere 
Abhandlung: „Verwandlung der chronologiſchen Angaben 
des ägyptifchen Kalenders in bie gewöhnlichen des julias 
nifhen Kalenders“ Dereidert, und eine DOftertabelle 
bet Jahre von 328 bis 373, b. δ. ber bifhöflichen Amts⸗ 
idit des hl. Athanaflus beigefügt. Damit fehließt fid) bie 
einfeitende Partie des Bus, und es folgt mun bie 
deutfhe Ueberfepung ber Feſtbriefe ſelbſt. 
Dieſelben find 

1) ein langer Ofterbrief für das Jahr 329, ber erfte 
von Athanaſius, (5. 55—63; 

2) ein gleicher für das Jahr 330, 6. 64-70; ebenfo 

3) für das Jahr 331, €. 70-76; 

4) für d. 3. 332, €. 77—80; 

5) für b. 3. 333, €. 81—86; 

6) für b. 3. 334, ©. 86—94; 

7) für d. 3. 335, €. 95—104. 

Stad) biefen 7 erſten Ofterbriefen des hi. Athas 

nafius folgt ſogleich 

8) der fogenannte zehnte v. I. 338 (6. 104—113), 
indem fid) Athanaflus in den Jahren 336—338 zu Trier 
im Exil befand und deßhalb feinem derartigen Hirtenbrief 
erlaſſen konnte ( Vorbericht S. 28 u. 29 — daß er aber 
bed aud) von Trier aus an feine Landsleute ſchrieb, wenn 
gleid feinem. Oſterbrief, erhellt aus S. 105). 

9) Sofort erſchien für das Jahr 339 ber eiffte unb 


152 Die nenaufgefundenen Ofterbriefe 


ausführlichſte Ofterbrief, von €. 114—126; dagegen fehlt 
uns der zwölfte, ber vielleicht, weil Athanafius damals 
aus Alerandrien fliehen mußte, gar nicht erlaffen worden 
ift; dagegen haben wir als Nummer 

10) u. 11) zwei von Rom aus batitte Schreiben, 
nämlid einen Brief an Biſchof Serapion von Thmuis, 
ohne Datum, ©. 126—128, unb ben dreigehnten Ofterbrief 
für das Jahr 341, €. 129—134. 

12) Die zwölfte Stelle nimmt der vierzehnte Beftbrief 
für das Jahr 342 ein; ber 15te und 16te aber fehlen 
ganz, und flatt des i7ten und 18ten erließ Athanafius 
(m feinem zweiten Gri) nur zwei ganz furje Schreiben 
an ben Clerus der Stadt Alerandrien, für Oftern 345 
und 346, welche in unferer Sammlung al6 Nr. 

13) und 14) erſcheinen. Im Jahre 347. dagegen 
befand fid) Athanafius wieder in Alerandrien und erließ 
für diefes Jahr 

15) den ausführlichen neungehnten Feſtbrief, S. 141 
—150, bem er aud) noch eine Nachfehrift in Betreff mehr 
rerer neubeftellten Bifchöfe beigab. 

16) Nicht mehr ganz vollüünbig ift der 20fe Feſt⸗ 
brief für das Jahr 348, ©. 152—154 erhalten; von ben 
fpäteren aber fanden fid) im fyrifchen Gober nur nod 
4 Fragmente, welde Larſow ©. 154— 156 mittheilt. 

Eine zwedmäßige Zugabe bilden endlich nod) 3 Kärt⸗ 
den. Das erfte flellt das Nilvelta, mit den beiden ans 
grengenden Gegenden Augufamnifa (öſtlich) und Nitrifche 
Wuͤſte (weftlih) dar. Namentlich find die Bisthümer und 
Klöfter diefer Diftrifte hier angegeben. Das zweite Kärt- 
hen zeigt bie Bisthümer der Thebais im 4. Jahrhundert; 
dag dritte endlich ift ein Stadtplan Alexandriens unb 


des 9L. Athanaſtus. 158 


feiner Kirchen im vierten umb fünften Jahrhundert nad 
Chriſtus. 

Faſſen wir den Inhalt der neuaufgefundenen Atha⸗ 
naſianiſchen Feſtbriefe naͤher ins Auge, ſo iſt nicht zu ver⸗ 
fennen, daß dieſelben wichtige Punkte darbieten, nament⸗ 
lich a) für die Biographie des bI. Athanaftus ſelbſt; 4) für 
die Geſchichte des Arianismus; y) für bie nähere Kenntniß 
der altfirchlichen Ofterfeier und Ofterpraris, unb 2) für 
die chriſtliche Dogmengeſchichte. Bei alle dem find jedoch 
diefe Feſtbriefe, wie fhon ihr Zweck verlangt, vorherrſchend 
yaränetifher Natur, Ermahnungen zum Baften, zur 
Enthaltfamfeit aller Art, zum leiblichen unb geiftigen Faſten, 
Bergleihung der Außerlichen jüdifhen und ber ἱππεῖ 
li$en chriſtlichen Ofterfeier u. dgl. Der Styl iſt vielfach 
bibliſch, und namentlich ift von zahlreichen Stellen des 91.3. 
met in febr glüdlicher, öfter in wahrhaft überrafchender 
Beife Gebraud) gemacht. Weniger günftigen Ginbrud 
macht εὖ dagegen, daß mandje Gedanken, Wendungen und 
Bilder mehreren diefer Feſtbriefe gemeinfam find und 
fi$ in ihnen zu häufig wiederholen, aud) haben wir weit 
wenigere Anfpielungen auf bie kirchlichen Streitigs 
leiten jener Zeit gefunden, als wir vermutheten. Doc) 
iR wenigftens ba und dort ber Arianer und Meletianer 
und ihres Treibens gebadjt unb an Erfteren ihre Vers 
unglimpfung bes Logos getabelt, von Lepteren das 
gegen gefagt, daß fie ben untrennbaren Rod Ehrifti 
gerriffen hätten. ©. 83. 90. 111. Wiederholt werden 
bie Arianer Chriftusbefrittler (Brief X, ©. 118. 
Brief XL ©. 122. Brief XIII, ©. 129), Chriftusbes 
Rreiter (Brief X, ©. 110. 111. 112), unb Arius— 
tolle (Brief X, S. 110, Brief XI, S. 122) genannt, 


158 Die nenaufgefundenen Dfecbriefe 
ab vom ihmen behauptet: tof fie „ven Logos ἐδ ει 
Brief VI, €. 90), „ven untrennbaren Sohn vom 
Slater trennen? (Brief X, ©. 112), daß „fie ben Sohn 
Gettes jhmähen und fagen, er [εἰ Geſchöpf unb 
ans Rihts hervorgebraht* (Brief XI, ©. 122, 
tef fic behaupten, „er [εἰ nidt ber Schöpfer, fon 
Perm das Geſchöpf“ (Brief XI, ©. 125), unb tof 
fic Rd „mit gig die Riht-Gottheit anzueignen fte 
ben* (Brief XIX, €. 146). 

Mit Bezug auf bie Arianer ruft Athanaſius weiter 
Hin in Brief ΧΙ, ©. 124 aus: „Richt wollen wir gottlos 
handeln wie die Arinstollen, bie da fagen: du feieft 
aus Riäts, Logos; was aber ewig beim Bater 
if, das ig aud von ihm.” Und ebenvafelbft etwas 
fpäter: „wir begehen das Oſterfeſt, indem wir nicht auf 
den Trug der Juden, geſchweige auf bie Lehre der Arianer 
Stüdfibt nehmen, welde von der Gottheit ben 
Sohn trennt und ihn zu ben Geſchöpfen zählt.“ 
— Die fhönfte Stelle in biejer Beziehung ift aber bie in 
Brief X, ©. 110 u. 111, wo Athanaſius zuerft befchreißt, 
wie fij Chriſtus um unferes Heiles willen verbemüthiget 
habe, unb bann gegenüberftellt, wie bie Arianer juerft 
wegen biefer SBerbemuütbigung ihn Berabgefebt unb ges 
ſchmaͤht Hätten. Sie lautet: „Er Litt, bamit er bem 
Menſchen, ber in ifm litt, bielnempfinblidteit 
gegen baé Leiden bereite; er flieg herab, um 
uns heraufauführen; er unterzog fid) bem Ber 
fud des Geborenwerdens, damit wir ihn ben 
Sidtgebornen lieben; er flieg zur Verwes— 
lidfeit herab, bamit das Verwesliche anziehen 
foltte die Unſterblichkeitz er ward fdmad um 


bet hl. Athanaſtus. 455 


unfertwillen, damit wir uns in Kraft erhes 
ben; et lieg qum Tode herab, um ung die line 
ſterblichkeit zu ſchenken und die Todten lebens, 
dig zu maden; futi, er warb Menfd, damit 
wir, bie wir als Menfhen todt waren, wieder 
leben unb der Tod nit mehr über uns ferte 
{hen follte; denn der Tod hat feine Macht über ung, 
verfündigt ber apoftolifche Ausſpruch. Weil nun bief hier 
die Ariustollen, bie Chriftusbeftreiter und Keter nicht vers 
Randen, fo greifen fie mit ihrer Zunge den Retter 
an, [ὦ τὸ ἁ ὦ ἐπ᾿ ben, der da befreite, unb erfinnen ganz 
und gar das Gegenteil gegen den Erloͤſer. Wegen 
feines Herabfteigens námlid, was ber Mens, 
ſhen wegen gefhah, leugnen fie feine Gott 
beit; ba fie ihn aus ber Jungfrau hervors 
gehen fehen, zweifeln fie, ba er wahrhaft der 
Sohn Gottes fei; ba fie ihn in ber Zeit Menſch 
geworden feben, leugnen fie feine Gmigleit; 
da fie ibn betradten, daß er unfertwegen Litt, 
fo glauben fie nidt, daß ber unverwesliche 
Sohn vom unverweslihen Bater fei; unb über: 
haupt, weil er unfertwegen bulbete, leugnen 
fie das, was feiner mirfliden Ewigkeit ange 
hört. Da fie nun aud) ben Lohn ihrer Undankbarkeit tragen, 
fit bie ben Retter verachten, unb flatt der Gnade dankbar 
iu fein, ihm vielmehr Schmach barbringen, fo muß man 
ud) gerechter Weife von ihnen fagen: o Undankbarer! 
Ehriftusbeftreiter! über Alles Gottlofer! der feinen Herrn 
töbtet, am Auge ber Seele Blinder unb Jude in deiner 
Gefinnung! wenn bu bie Schrift verftanben unb auf bie 
Heiligen gehört haͤtteſt ... fo hätte bu exfannt, daß 


455 Ze sexsffunsemr Dice 


er ξετι 1-81 jerclmcier, urlecr παΐετν 


werex Serafkieg. mrl rx üı πεῖς Pici fu 
£rf τοῖς "eme Meriierliche fewrarerx 
míCrromcru da fPetrffii iinrt, mi Der Be 
ter τῇ, x11 πεῦ τες Értr iW, prrz Pürteí bu 
feieiwegB :$r Ühmäherr ce’zı:, ἐδᾷ ber 
Erin ατῷ tez Rerárreriiftfe: Terrergegan 
gex {::: wer wenn tu taj Sert ie:uaer Men 
iberi:che, LES zu urierem Bein geichah, 
φιτάειτεπ bätteü, baum Pürre& ru mitt tem 
Baier ben £efu entiremrer, grt Fáttei ben, 
fer uxó mit kinem Baier veriefzıe, εἰῶϊ für 
einen Sremten gebalten“ 

Ueber ten Bene wer €zcx wer rex Reletianern 
aber st er (Brei X, E. 111 i): „ie beraten ſich 
wie Oritur, kx Batex ἃ 2 mir einander verbunden, 
und weil &c gelernt haben, teu untrennbaren Rod 
Gottes zu trennen, io halten ἅς εὖ aub nicht für 
unpafiend, ben mutbeilfarem €obn rom Bater 
in theilen“ 

Ehen in ber vorletzten langen Etelle deutete Atha-⸗ 
nafius tarani bin, ta tie eger, zunäd bie Arianer, 
bie Heilige Schriit nicht na& te Tradition auslegen, 
„wicht anf Die Heiligen hören.“ Ausführlicher, und für 
die fatholiihe Lehre (efr ſchlagend, äußert er fd) darüber 
«πῶ im 2. Beftbrief, ©. 67 f. aljo: „Eie [εἴτα zwar in 
den Heiligen Schriften, adhten aber nicht darauf, wie 
fie die Heiligen überliefert haben, fondern weil 
fe dieſelben als menſchliche Ueberlieferungen 
annehmen, irren fie, zumal fie biefelben in ber That nid! 
lennen, geſchweige denn ihre Kraft. Daher lobt auf 








be) ΒΓ. Athanaſius. 157 


Paulus, wie billig, bie Corinther als ſolche, bie feine 
Ueberlieferung beachten.“ — 

Eine febr (dne Stelle über bem Logos und feine 
SBirffamfeit finden wir in Brief XIV, ©. 137: „Da er 
das Leben war, farb er, damit er uns lebendig 
made, und da er bad Wort (A0yog) ift, ward er Fleiſch, 
damit er das Fleiſch (bie Menſchen) durch das Wort 
belehrte; ba er bie Quelle des Lebens ift, fo will er 
unfern Durft füllen unb deßhalb aud) uns zum Feſte aufe 
fordern, indem er fpricht: wen ba bürflet, ber fomme zu 
mir und trinfe.^ 

Gewiß würde nod mande andere Stelle bejonberé 
ausgehoben zu werben verdienen, aber id) will mir nur 
πῷ zwei anzuführen erlauben, eine zu ber Onabens 
Ihre, und eine bie zur Lehre von der Kirche gehört, 
Im fünften Feſtbrief S. 83 fagt Athanaflus: „wir wer⸗ 
den den Heiligen ähnlih, wenn wir... bem Herrn bie 
Wohlthaten vergelten. Wenn wir nun vergelten, fo 
geben wir Nichts von bem Unfrigen, fonbern 
das, was wir vorher von ibm empfangen has 
ben; wie ja aud) das namentlich ein Beweis feiner 
Gnade ift, daß er feine Gabe gleihfam von uns forbert. 
Und dieß bezeugt er, indem er fpricht: „„meine Opfer 
find meine Gaben", b. f. was ihr mir gebet, das ge« 
bört euch nur infofern, als ihr's von mir empfangen 
habt." In Brief XI, ©. 123 aber lefen wir: „Wenn fo 
auf gleiche Weife, von Allen, bie überall find, obs 
gefang unb Gebet zu ihm, dem barmherzigen und gütigen 
Vater emporfteigt, wenn bie ganze fatfoli(de 
Site, bie ba überall ifl, unter Breube und Jubel, 
WMgleid unb in ein unb berfelben Weife bie 


188 Die neuaufgefundenen Ofterbriefe 


Anbetung Gottes vollbringt ..., welche Ofüdfeligfeit wirb 
dann nit fein, meine Brüder!" 

Am Ende der einzelnen Feftbriefe wird jedesmal bie 
Zeit für das nàádfte Ofterfeft angegeben, unb zwar fo, 
tef bald [don ber erfüe Tag der Duadragefima, 
‚bald mit deren Hinweglaſſung blos ber erfle Tag ber 
Charwoche notirt wird. Außerdem wird dann jebes- 
mal auch der Charfamftag und Oferfonntag nebft bem 
folgenden Pfingften bezeichnet. Als Beifpiel mag die Ans 
kündigung des Ofterfeftes für das Jahr 338 im zehnten 
Beftbrief €. 113 dienen. Es heißt hier: „Wir beginnen 
nun das vierzigtägige Baften am 19. des Monats Medir 
(13. Februar), das heilige Ofterfaften aber am 24. des 
Monats Phamenoth (20. März, Mondtag in ber Char⸗ 
10066); wir hören auf gu. faften am 29. beffelben Monats 
Phamenoth (25. März) am tiefen Abend bed Sonnabende, 
feiern fo den Sonntag, der am 30. deffelben Phamenoth 
(26. März) aufgeht, und begeben von ba an bie ganzen 
7 Wochen des Pfingfifeftes feierlich nad) ber Reihe.“ 

Wir (efen hier, daß a) zwiſchen ben Quabragefimals 
Baften und den Sfterfaften unterſchieden wurbe. 

b) Die legten begannen am Mondtage in ber Ehar- 
woche unb waren im Unterfiede von ben vorausgegans 
genen Baften jejunia plena. 

€) Sie wurden (don am Charfamftage Abends ges 
ſchloſſen, wahrfcheinlih mit einer feigrlihen Agape. In 
Betreff diefes Faſtenſchluſſes heißt es nod) deutlicher im 
eifften Ofterbriefe &. 126: „wir dehnen das δαβεπ aus 
bi6 zum Sonnabend und erquiden und (bann) am 
fpäten Abend.” Faſt bie ganz gleihen Worte, namentlich 
ben Ausdrud „erquiden“ finden wir aud im erften 


da HL. ehanafins. 150 


Feſtbrief &. 62, im zweiten (5. 69, im britten ©. 76; 
im vierten ©. 79; im fünften ©. 85; im fechsten ©. 94; 
im neunjefnten ©. 150, furz, beinahe in allen. 

d) Mitunter wird im unfern Feſtbriefen die ganze 
Charwoche Ofterfeft genannt, fo im eilften Feſtbriefe, 
€. 126, wo εὖ heißt: „wir beginnen das 5l. Dfierfeft 
am 14. Pharmuthi, und dehnen bann die Saften aus bis 
jum Sonnabend.“ Richtiger aber wird die Gfarmode in 
andern Feſtbriefen „die Bl. Woche des großen Oſterfeſtes“ 
(Brief III, ©. 76), aud „die heiligen Tage des Ofter- 
fees“ (Brief VI, ©. 94), auch „bie große Leidenswoche“ 
genannt (Brief XIX, ©. 150). 

e) Eine febr wichtige Notiz über die Faſten finden 
wit im festen Briefe ©. 94, wo εὖ heißt: „wir bes 
ginnen das vierzigtägige Faften zu Anfang des Monats 
Phamenoth (25. Februar), unb indem wir e8 bis zum 
fünften Pharmuthi (1. April) ausdehnen, mögen wir an 
ihm (diefem Tage, b. i. Palmfonntag) Erholung finden 
von ben vorhergehenden Sonntagen und Sonnabenden. 
Dann aber beginnen wir bie heiligen Tage des Ofterfeftes 
am 6. Pharmuthi und erquiden uns am eilften beffelben 
Monats am tiefen Abend.” Wir fehen hieraus a) bie 
Quadragefima begann am 25. Februar; von ba an bie 
um 4. April, wo Balmfonntag einfiel, waren e& 35 Tage, 
die Sonntage miteingerednet. Zur Duadragefima ges 
hörten aber aud) nod) bie Tage der Charwoche bis zum 
Samftage, fo daß baburd) bie Zahl 40 voll wurde. 8) Nicht 
ein Faſttag, fondern ein Erquidungstag war der Palm- 
fonntag , an ben übrigen Sonntagen ber Ouabragefima 
aber wurde gefaftet, ebenfo am den Samftagen, (obgleid) 
[πῇ im Jahre am Sonntage und bei den Griechen aud) am 


460 Die nenaufgefunvenen Ofterbriefe 


Samftage nicht gefaftet werden durfte) 1); beffalb heißt 
τὸ: „wir mögen an ihm (bem Palmfonntage) Erholung 
finden von den vorhergehenden Sonntagen. — Es if 
bief bie einzige Stelle meines Wifjens, welche über diefen 
Punkt der alten Faftendifeiplin Aufſchluß gibt, und die | 
bisherigen Zweifel hebt, ob aud an ben Sonntagen 
der Quadrageſima gefaftet worden fei. 

f) Daß bie ganze Zeit miden dem Ofter« unb 
Pfingffefte Bentelofte=Pfingften genannt worden 
fe, ift fonft ſchon befannt, und erhellt aud) faf aus 
jedem unferer Beftbriefe. 

Wie ſchon angedeutet, bieten uns diefelben weiterhin 
mande für bie kirchliche Geſchichte und Ehronolo 
gie wichtige Anhaltspunkte, und aud) darauf haben wir 
nod) ins Nähere einzugehen. Vor Allem ift hier der Tert 
der Feftbriefe wohl zu unterfheiden von bem Vorbericht, 
welcher, wie gefagt, urfprünglid) zu einer andern Samm- 
lung der Athanaſianiſchen Feſtbriefe gehörte. Diefer Vor⸗ 
bericht enthält fehr viele Hiforifhe und chronologiſche No 
tigen, aber auch manche zweifelhafte, ja fogar entfchieden 
untidtige; bie Feſtbriefe felbft dagegen geben zwar viel 
wenigere derartige Notizen, aber ganz fidere. 

Aus dem Ofterbriefe für das Jahr 331, bem britten 
ber Reihe nad), S. 70, welcher wohl bald nad) Reujaht 





1) 9i erordnei der 65. apoſtoliſche Cauon, ſowie Canon 35 ber 
Trullaner Synode bei Harduin Collectio Concil. T. I. p. 26. u. T. II. 
p. 1682. Bergl. bie darauf bezügliche Aeußerung des Papftes Nicolaus I, 
ibid. T. V. p. 310. Beveridge vermuthet, ble Griechen Hätten am 
Samftag deßhalb zu faſten verboten, weilMarcion an den Samflagen 
qu Unehren des Jubengottes, alfo aus antinomiftifdjen Gründen, zu faßen 
vorſchreiben wollte (Bevereg. lib. Il. Codic. Canon. vindicat. c. 7. n.6. 
Binterim, Denkwürbigkeiten, Bo. V. Thl. IL ©. 125 f.). 


des hl. Athanaſtus. 161 


331 geſchrieben wurde, erhellt, daß Athanaſius damals 
von feinen Unterbrüdern gefangen gehalten worben fei. 

Wie die Jahrzahl anbeutet, ereignete fid bie, ale 
Eonfantin b. Gr. auf eingegangene Klagen der Mer 
Ietianer hin den b. Athanaſius an fein Hoflager berufen 
hatte, wovon biefer felbft in feiner Apologia contra Aria- 
nos n. 60 berichtet. Bisher glaubte man jebodj, Conftan- 
fin habe bie Unhaltbarfeit ber Klage gegen Athanaflus . 
ſogleich eingefehen und biefen durchaus freundlich bes 
handelt; unfer britter Feſtbrief dagegen belehrt ung fegt, 
daß Athanaſtus damals einige Zeit lang in Haft. figen 
aufte. Aus bem vierten Geftbriefe aber, für das Jahr 332, 
fm wir, daß bie Feinde des Athanaflus bereits befchämt 
turen, er fefbft aber fid) nod immer, und zwar Frank, 
an faiferlichen Hoflager aufhielt, €. 77 u. 80. Der zehnte 
Brief fofort für das Jahr 338, zeigt, daß Athanaflus, 
als er ihn ſchrieb, mod) nicht von feinem erſten Gri[ zu 
{πεν nad) Alerandrien zurüdgefehtt war, denn er ſchrieb 
ihn nob in ber Ferne, ©. 104. 105; hatte jebod) (don 
Hoffnung zur Rüdfehr, ©. 106. 108 u. 112. 

tod) wichtiger ift der 12te Brief, welcher beweist, 
daß Athanaſius [don im SBeginne des Jahres 341 aus 
Aerandrien entflohen war unb fij zu Rom aufhielt 
(δ. 129). Sonach muß denn aud) der Arianer Gregor 
von Gappabocien ſchon minbeftené an Oftern 340 fid) des 
alexandriniſchen Stuhls bemächtigt haben, und nicht erft 
an Dferm 341 9. Daraus folgt aber wiederum weiter, 
daß derſelbe nicht erft burd) bie Antiochener - Synode in 
encaeniis im Jahre 341 zum Bifchofe für Alerandrien 

1) Der Vorbericht zu unfern Feſtbriefen, Nr. XL S. 30 verfeht 
de Anfunft Gregors in Alerxandrien fogar in das Jahr 339. 

Siesl. Duartalfgrift. 1859. I. Heft. 11 





162 Die neuaufgefundenen Ofterbriefe 


beftellt worben fei, wie man bisher auf Grund ber An 
gaben bed Sokrates (hist. eccl. II, 9. 10.) und Sozome⸗ 
nus (I, 6), und burd) Mißverſtaͤndniß einer Stelle des 
Papſtes Julius (bei Athanas. Apolog. cont. Arian. m. 29 
u. 30) faft ganz allgemein angenommen hat. Diefes neue 
Stefultat ift aber aud) für eine Reihe weiterer Punkte in 
der Biographie des b. Athanafius, fowie in ber Chrono 
logie des Arianiſchen Streites beftimmenb und maßgebend. 

Nicht minder wichtig find der 18te u. 19te Feftbrief. 
Erſterer, für das Jahr 346 beftimmt, ift nod) in ber Ferne 
gefchrieben, ber andere aber, für 347, bereitd ἐπ Alerandrien 
abgefaßt (S. 140. 141.). Wir fefen daraus, baf Athar 
naſius ſchon um Neujahr 347 aus feinem zweiten Gril 
mad) Alerandrien zurüdgelommen fein muß; ba nun aber 
biefe Stüdfefr erft ungefähr zwei Jahre nad) der Synode 
von Gatbifa erfolgte, fo fann ſonach aud) biefe nicht erf 
i. 3. 347 ſtattgehabt haben, obgleich bief bie zwei alten 
griechiſchen Kichenhiftorifer Sokrates (II, c. 20) und €» 
zomenus (II 12) auóbrüdíid) verfihern ). Der Bor 
bericht zu unferen Feftbriefen, Nr. XV. ©. 31, verlegt bit 
Synode von Garbifa fogar in das Jahr 343; aber es 
erheben fid gegen biefe Angabe, wie wir ein andermal 
zeigen wollen, allerlei SBebenfen, unb es find biefe um fo 
flärker, ba jener Vorbericht nebft mandem Trefflichen 
auch mehrere zweifellofe Unrichtigkeiten enthält. Betrach⸗ 
ten wir ihn näher. 

1) Gleich in feiner Einleitung ©. 26 gibt er bit 


1) Lehteren folgend habe aud) id) in ber Abhandlung: . , Gontrobete 
fen über die Synode von Sardifa” ἐπὶ vorigen Jahrgange ber fuot" 
talſchrift, Heft 3, bie Synode von Gatbifa in das Jahr 347 verlegt 
was hienach zu berichtigen wäre. 


des 9. Athanaflus. 163 


wihtige Notiz, bag Bifhof Alerander, der Vorfahrer des 
h. Athanafius, am 22. Pharmuthi (17. April) 328 ges 
ſtorben, Athanaftus feldft aber am 17. Payni (8. Juni) 
jenes Jahres zum Bifhof geweiht worden {εἰ Hienach 
wird bie gewöhnliche, auf Theodoret (hist. eccl. I, 26) 
fi früßende Annahme, bie auf das Jahr 326 geht, bes 
tihtigt !); unb es fat biefe Berichtigung alle Wahrfchein« 
lichkeit deßhalb für fid), weil Athanaftus i. 3. 329 feinen 
erſten Ofterbrief erließ. Daß diefer aber in ber That 
fein erfter.gewefen, erhellt daraus, daß aud) jenes grie⸗ 
difde Fragment, weldes Cosmas Indicopleuftes aus 
dem zweiten Befbriefe genommen haben will, gerade aud) 
unferem zweiten (pri[den Briefe v. 3. 330 ange« 
Wrt, unb ebenfo bie griehifhen Bragmente bes 
ὅκα und bten Feſtbriefes, wieder aud) im ſyriſchen 
öten und bten Seftbriefe ihr Analogon finden. 

2) Den Sob des hi. Athanafius verlegt der Borber 
tiht auf den 7. Pachon, b. i. 2. Mai des Jahres 373, 
und es wird baburd) die Vermuthung Pagis, Silfemont'é 
unb Montfaucon’s beflätigt, während Sofrates (IV, 20) 
denfelben unrichtig in das Jahr 371 verfept. 

3) Defter find in diefem Vorberichte bie Confuln un» 
genau angegeben, fo zu den Jahren 335, 340, 352. 

4) Gbenfo ift das Datum des Oftertäges hit immer 
richtig bezeichnet, à. B. i. I. 335, 340 u. a. 

5) In Nr. VIIL des Vorberichtes wird bie Synode 
von Tyrus in das Jahr 336 verlegt. Dieß ift unrichtig, 
denn diefelbe hatte vor ben Tricennalien Gonftantiná, in 

1) Larfow zeigt ©. 26 ganz richtig, daß Theodoret Hier wahre 
ſcheinlich eine Aeußerung des h. Mthanafius (Apolog. c. Arianos. 
€ 59) mifserflanben Habe. 

11* 


464 Die neuaufgefundenen Ofterbriefe 


deſſen dreißigſtem Regierungsjahre ſtatt, wie Euſebius 
(vita Const. lib. IV.-c. 40 u. 41) und Sokrates (1; 28) 
bezeugen. Noch ſicherer aber erhellt dieß aus bem währ 
rend biefer Synode gefertigten Proteftationsfchreiben des 
mareotifhen Clerus bei Athanaflus Apolog. c. Arian. 
C. 75, welches vom 10ten des Monats Thoth (7. Septbr.) 

' unter den Gonfuln Conftantius unb Albinus, b. i. 335, 
datirt it). Daß bem fo fel, und bie Synode von Tyrus 
nit in das Jahr 336 verlegt werden dürfe, (a aud 
Herr Galle in feiner erwähnten, dem vorliegenden Buche 
beigegebenen Abhandlung auf €. 49 Rr. VII; um aber 
bod) den Vorbericht zu reiten, bemerkt er: „der Ausprud 
in biefem Jahre geht daher auf den Zeitraum von 
Dftern 335 bis Oftern 336." 

Bon biefem freilich fer wilführlihen Ausfunftsmittel 
machen er und 9. Larfow nod) àftern Gebrauch, um augen» 
fällige Unrichtigkeiten des Vorberichtes verfdyminben zu faffen. 

6) Dieß gefhieht 3. B. in Betreff der Nr. X. des 
Vorberichts, wo biefer ad annum 338 fagt: „Als Eon 
flantin in biefem Jahre am 27. Pachon (22. Mai) das 
eben verlaffen hatte." Gonftantin wäre bienad) am 22. Mai 
338 geftorben; abet fein Tod fällt gerade ein Jahr früher. 

7) In derfelden Nummer be Vorberichts ift aud) bie 
Anwefenheit des Möndspatriachen Antonius b. Gr., in 
Alerandrien auf das Jahr 338 angefegt; H. Larſow vere 
legt aber aud) diefe Begebenheit burd) Anwendung ber 
obengenannten Hypotheſe in das Jahr 337. 

8) Das Gleiche geſchieht dann natürlich aud) mit ber 
in der nämlihen Nummer des Vorberichts erwähnten 9tüd» 
lehr bei des » Athanaſius, welche am 27. Athyr = 23. Novbr. 


N) Bg. Tüllemont, Mémoires T. VIIL p. 15 ed Brux. 1732. 


des h. Aehanaftıe. 165 


erfolgt ſei. Hoͤchſt wahrſcheinlich gehört fle bem Jahre 338 
an ἢ) wie bicámal der Vorbericht richtig fagt. Larſow aber 
und fein Freund Galle verlegen aud) fie ins Jahr 337. 

9) In Rr, XVII. erzählt der Vorbericht, ad ann. 346, 
bef in biefem Jahre am 2. Epiphi — 26. Juni der aria» 
nifhe Bifhof Gregor von Alerandrien, ber ben Athana- 
fus vertrieben hatte, geftorben, unb nun Athanaflus am 
24. Phaophi — 21. Oktober jurüdgefebrt fei. Larfow und 
Galle (&. 32 u. 50) verfegen aud) biefe beiden Ereigniffe 
dur) Anwendung jenes Ausfunftsmittels (Nr. 5.) in das 
Jahr 345. Hierin liegt nun aber eine doppelte Unrich- 
figfeit. Fürs Erſte Fönnen der Tod Gregors unb bie Rüd- 
fjr des 5. Athanaftus unmöglich fo nahe zuſammenge⸗ 
Tüft werden, indem zwifchen beiden Greigniffen mehr als 
dn Jahr Zwifchenfeift ftatthatte, wie wir aus Athanas. 
hist. Arian. ad monachos c. 21. erfehen. Fuͤrs zweite 
aber war Athanafius im Dftober 345 nod) nicht in Ale⸗ 
sandrien, wie aus feinem 18. Feſtbriefe (S. 140 f.) er» 
heilt. Ex fünbigt darin ben Glerifern in Alerandrien bie 
Dfterzeit für das Jahr 346 an, und beauftragt fie, davon 
die Bifhöfe Aegyptens in Kenntnig zu fepen. Er fefóft 
iR, als εὐ biefen Brief im Spätjahre 345 ſchrieb (S. 140), 
mod) ferne von Alerandrien; ja er läßt aud) nicht einmal 
die Hoffnung auf baldige Stüdfefr durchbliden. — Dazu 
Tommt nod) Folgendes. H. Larfor behauptet in der Note 
3 zu Seite 32, aud) bie von Maffei aufgefundene historia 
acephala (f. oben ©. 150) beftimme ben 21. Oftober 345 ale 
Sag der Ruͤckkehr des δ. Athanaſius. Dem ift jebod) nicht 


1) Bol. darüber Tillemont, Mémoires εἰς. T. VIIL p. 30 unb 
deſen histoire des Empereurs, T. IV. p. 667; aud) Pagi, Critica in 
tunales Baronii ad ann. 338. n. 3. 


166 Die ueuaufgefunbenen Ofterbriefe 
fo. Sie fagt vielmehr ausbrüdlih: ingressus est Ale- 
xandriam Phaophi XXIV. Consulibus Constantio IV. et Con- 
stante III; damit ift aber ba abr 346 nicht 345 bezeich⸗ 
net. Ale Schwierigfeiten aber heben fih, wenn wir bie 
SRüdfefr des b. Arhanafius, wie der Borbericht will, in 
das Jahr 346 verlegen, dabei aber annehmen, Gregor 
fei fhon Jahre zuvor geftorben, unb ber Berfafier bes 
Vorberichts habe mur ungehöriger Weife dieſes Greignig 
bei bem Jahre 346 erwähnt, [εἰ εὖ, weil ihm daſſelbe 
ετῇ beifiel, αἵδ᾽ er bie damit zufammenhängende tüdfebr 
des Athanafius notiren wollte, ober [εἰ es, daß er fid 
wirklich in einem chronologifchen Irrthume hierüber befand. 

10) Haben wir ſchon im Bisherigen auf mehrere 
Unricptigfeiten des SBorberidteó hingewiefen, fo wollen wir 
nod) eine weitere ganz ef(atante bemerklich machen, welche 
fif in 3t. II. ©. 27 findet. Die dort angebrachte Bes 
merfung, Athanafius habe biefen Feftbrief für das Jahr 331 
auf feiner t ü d febr vom faiferlichen Hoflager gefchrieben, 
ift hier völlig am unrechten Plage und gehört zu Nr. IV. und 
zum Jahre 332, wie aus bem Feftbriefe des Jahres 332, 
©. 77 unb befonders S. 80 deutlich erhellt. 

11) Gbenfo unridjtig fagt ber Vorbericht in Nr. XIII. 
u. XIV, Athanafius habe in biefen Jahren (341 u. 342) 
feinen Beftbrief geſchtieben, weil (fein Gegenbiſchof) Gre 
gor in Alerandrien franf war. Vor Allem ift hier gar nicht 
abzufehen, wie bie Krankheit Gregors für Athanafius 
ein Grund hätte fein follen, feinen Dfterbrief zu ſchrei⸗ 
ben; aber aud) abgefehen davon, hat Athanaflus in 
der That in biefen 2 Jahren Ofterbriefe gefchrieben, feinen 
13ten und 14ten, und wir befigen diefelben gerade ja 
in der vorliegenden Sammlung €. 129 ἢ. und 135 ff. 


des h. Athanaſtus. 167 


12) Endlich will ἰῷ ποῷ auf einen Fehler ber zu 
€. 47 mitgeteilten, von H. Galle berebneten Oftertabelle 
aufmerffam machen. Das Ofterfeft für das Jahr 346 ift 
bier auf den 27. Pharmuthi angefept. Es wäre bief 
der 22. April. Herr Galle wollte aber ohne Zweifel 
ben 27. Phamenoth färeiben, b. i. der 23. März, wie 
er denn auf ©. 50. Rr. XVII. angibt, i. I. 346 hätte 
Dfern am 23. März gefeiert werden follen. Allein in bet 
That wurde e8 um eine Woche fpäter, am 30. März oder 
Atm Pharmuthi begangen, wie Ahanafius in feinem 
18. Feſtbrief (S. 141) verorbiret, und aud) der Vorbericht 
€. 32 bemerkt. 

Hefele. 


4. 

Schandlung der Ehefahen im Sisthum Nottenburg in 
pfarramtlicher und feelforgerlicher Hinficht, dargeftellt von 
Ichann faptift Hafen, Pfarrer in Gattnau. Rottenburg, 
Berlag der Gack'ſchen Buchhandlung 1853. 8, 90 ©. 
Preis 36 ἔτ. 

Das vorliegende Schriften enthält eine fpftemati[d) 
georbnete Zufammenftellung fämmtlicher im Bisthum Not 
tenburg geltenden Verordnungen in Betreff der Ehe, wie 
fie von ber firhlihen und weltlichen Gefeggebung erlaffen 
wurden; ber Hr. SBerfaffer will damit denjenigen jungen 
Geiſtlichen, welchen die Führung eines Pfarramtes über» 
tragen wurbe, eine Anleitung an bie Hand geben, wie fie 
die vielen und oft fo verwidelten Eheangelegenheiten nad 
den bei uns beftehenden Einrichtungen zu behandeln haben. 
Die Gefeggebung in Eheſachen ift (don an fid) eine ber 
ſchwierigſten Materien der practifhen Seelforge unb biefe 


168 Safe, 


Schwierigkeit wird in unferer Diöcefe nod) baburd) erhöht, 
daß bie einzelnen Gefege in den verfhiedenen Sammlungen 
wngeorbnet umherliegen und e8 für ben Anfänger große 
Mühe foftet, diefelben in ihrer Gefammtheit ausfindig zu 
maden; zudem find bie Quellen diefer Gefeggebung bei 
uns fo reichlich gefloffen, daß einer Menge von frühern 
Verordnungen burd) neuere Beftimmungen derogirt wurde, 
ein Umftand, ber im einzelnen Falle die Löfung ber Trage, 
was jett rechtliche Gültigkeit Habe, oft febr erſchwert und 
eine gewiffe Unficyerheit in Behandlung biefer Angelegen- 
ten zur nothwendigen Folge hat. Es wird befbalb nicht 
in Abrede gezogen werben fönnen, baf der Gedanke, eine 
georbnete Zufammenftellung (ámmtlider jett gelten- 
der Ehegefege zu geben, ein fehr practifher fei und einem 
wirklichen SBebürfniffe entgegenfomme. Stellen wir uns 
fodann auf den Standpunkt des Hrn. Verfaffers, wornad) 
ex feine gelehrte Arbeit geben, fondern lebiglid) prac- 
tifden Zweden dienen will, fo müffen wir aud) bie Yus- 
führung dieſes Gedankens eine gelungene nennen: bie 
Gefege find mit wenigen Ausnahmen febr vollftánbig 
aufgeführt, fo daß wohl felten ein (all vorfommen wird, 
für welden das Schriftchen nicht bie nöthigen Auffchlüffe 
barbóte; ber ausgedehnte Stoff ift nad) einer febr ὁ Ὁ ed» 
mäßigen GCintbeilung georbnet, bie, abgefehen von 
bem beigegebenen alphabetifhen Sadhregifter, das ϑὲα 
lagen febr erleichtert. Der erfte Abſchnitt behandelt 
bie Stage, was hat zu geſchehen vor der Schließung ber 
Ehe und befpricht die verſchiedenen bürgerlichen unb kirch⸗ 
lichen Ehehinderniffe; der zweite gibt bie Verordnungen, 
bie bei ber Schliefung der Ehe zu beobachten find, fan» 
delt alfp von den Sponfalien, bem Brauteramen und den 


Behandlung der Ehefachen. 169 


damit zu verbindenden SBelefrungen, von ben Prorlamas 
tionen, der Trauung, bem Eintragen berfelben in's Bamis 
lien» und Eheregifter, fomie von ber weltlichen Hochzeit⸗ 
feier. Der dritte Abſchnitt beſchaͤftigt ſich mit der 
pfarrlichen Thätigkeit nach bem Abſchluß der Ehe, alfo 
mit der Behandlung ber Ehediſſidien, mit ben Klagen 
auf Trennung ber Ehe, mit den Difpenfationen u. f. tv. 
Der Anhang gibt einige Mufter von auszuftellenden Scheis 
nen, Bittgefuhen und Stammbäumen, bie eine dankens⸗ 
werthe und namentlich für Anfänger febr zweckmaͤßige Zus 
Babe find. Jedem wichtigern Punkte der Ehegefeggebung 
geht zur Orientirung bes Lefers eine furge Darlegung bes 
gemeinen canonifchen Rechts voran und bann erft folgen 
die particularrechtlichen Beftimmungen unferer Diöcefe; 
tenfo zwedmaͤßig hat ber Verfaffer bei jedem einzelnen 
Salle bie Behörden genannt, bie bei der Behandlung 
deffelben thätig find, unb an melde ber Pfarrer fi) zu 
wenden hat. Defgleichen müffen wir e8 als einen Bors 
dug ber Arbeit bezeichnen, daß bei allen Difpenfationsfäl- 
lm zugleich bemerkt ift, ob unb welde Sporteln an bie 
difpenfizende Behörde zu entrichten feien, worin befannts 
lid bie neueften Beftimmungen von ben Altern merklich 
abweichen, endlich find überall, wo es als nöthig erfcheint, 
mit großer Genauigfeit bie Abweichungen bemerflid ges 
madt, bie in ben ehemaligen Defterreihifhen Orten, in 
welchen nod) heute bie Sofepbinijde Ehegefeßgebung Gil» 
tigkeit hat, beachtet werben müffen, ein SBunft, der gleich“ 
ſalls geeignet ift, dem nod) Ungeübten Schwierigkeiten zu 
bereiten und Mißgriffe zu veranlaffen. — Wenn wir nad 
ΑἹ bem Gefagten feinen Anftand nehmen, das in Rebe 
Rehende Schriftchen ala ein fer zwedmaͤßiges allfeitig au 


170 Hafen, 


empfehlen und bemfelben bie verdiente Anerkennung zu 
wünfchen, fo müffen wir und bod) aud) erlauben, auf einige 
Berftöße und Unvolftänbigfeiten, bie fid) in bemfelben ἔπε 
den, aufmerfíam zu machen. In Betreff der Ehehinders ! 
niffe fagt der SBerfaffer ©. 16: „das allgemeine Kirchen 
redjt weiß nichts von einer Trauerzeit bei Verwittweten, 
nichts von ber Altersungleichheit, nichts von ber Minders 
jährigfeit in unferm Sinn und nichts von bem Qinbernig 
des Mangels an elterlihem Conſens.“ Die erſtere biefer 
Behauptungen (daß das gemeine Recht von einer Trauer 
zeit der Wittwe nichts wiffe) ift in der Beftimmtheit, mit 
welcher fie hier aufgeftellt wird, nicht ganz richtig. Die 
Eanoniften find in ber Beantwortung ber Frage, ob die 
Tirdjide Gefeßgebung der Wittwe- ein Trauerjahr vor. 
ſchreibe, allerdings uneinig, aber bie bejahende Antwort 
verdient ohne allen Zweifel ben Vorzug. Das römifhe 
Recht nämlich hatte beftimmt, daß bie Wittwe erft nad 
Ablauf eines Jahres feit bem Tode ihres Gatten zur | 
zweiten Ehe fihreiten dürfe (fr, 9. 10. 11. Dig. de his, 
qui notantur infamia 3. 2.) und zwar will das Gefeg mit 
diefer Vorſchrift bie turbatio sanguinis sive seminis vet« 
hindern: würde ber Wittwe fogleich nad) bem Tode ihres 
Gatten voieber zu heirathen geftattet fein, fo koͤnnten fij 
in Betreff des erften Kindes dieſer zweiten Ehe febr leicht | 
Zweifel erheben, wer beffen Vater {εἰ — ob der erfte ober 
weite Gatte; biefe Unficherheit zu vermeiden war ber Zwed 
der Trauerjahrs. Auf der andern Seite follte daffelbe bem 
Verdachte vorbeugen, als habe fij die Gattin [don wäh 
rend bes Lebens ihres Ehemannes nad; einer andern Ver⸗ 
bindung gefehnt ober gar bie efefidje Treue gebrochen, 
und wolle nun bie Bolgen biefed Verbrechens vor den Augen 


Behandlung der Ehefachen. m 


ber Welt durch alsbaldige Verheirathung verbergen (No- 
vell. XXXIX. c. 2). Der Wichtigkeit diefer Gründe ganz 
entfpred)enb, waren aud) bie Strafen ber Verlegung des 
Trauerjahres fehr bedeutend: bie Wittwe ſowohl als ihr 
weiter Gatte verfielen der Infamie (fr. 11. Φ. 4, fr. 12. 
Dig. de his, qui not. infamia 3. 2), die Wittwe verlor 
alles dasjenige, was fle der Liberalität ihres erften Dans 
nes verbanfte (c. 1. 2 Cod, de secundis nuptiis 5. 9), 
fie fonnte von Niemand teftamentarifh bedacht werben und ! 
ab intestato von jenen Perfonen nicht erben, bie mit ifr 
entfernter, .a[8 im dritten Grab verwandt waren (No- 
vel. XXIL c. 22). Dieß find bie Berimmungen des τὸν 
nifhen Rechts und es fragt fid) jet, ob fle vom cas 
voni f d) en Rechte aufgehoben, abgeändert ober vollfommen 
beibehalten worden fepen? Die einzigen hieher gehörigen 
Stellen find c. 4. 5. X. de secundis nuptiis 4. 21. Die 
erſtere berfelben, bem Sinne nad) ganz übereinftimmenb 
mit c. 5, lautet: „super illa quaestione, qua quaesitum 
est, an mulier possit sine infamia nubere intra tempus 
luctus secundum leges definitum, respondemus, quod, cum 
apostolus dicat: mulier, viro suo mortuo, soluta est a lege 
viri sui et in Domino nubat, cui voluerit: per licentiam" 
εἰ auctoritatem apostoli ejus infamia aboletur.* Daß zur 
Seit Urbans II, von weldem biefe SBerorbnung erlafien 
wurde, bie roͤmiſche Gefeggebung über das Trauerjahr 
noch allgemeine Rechtskraft hatte, geht aus ben Worten 
hervor: an mulier possit sine infamia nubere intra tempus 
letus secundum leges definitum; an biejen Gefegen will 
der Babft im Hinblid auf das cititte Wort des Apoftels 
nur das ändern, baf die Wittwe, wenn fie vor "Anlauf 
des Trauerjahres zur zweiten Ehe fügreite, nicht mehr 


172 Hafen, 


wie bisher ber Snfamie verfallen fein folle: 
nur über biefen Punkt war, wie ber flare Wortlaut zeigt, 
die Entſcheidung des Papftes nachgefuht unb feine Ents 
ſcheidung fann fij bemnad mur auf ihn beziehen, — ob 
durch biefelbe neben ber Infamie aud; bie andern Strafen 
des roͤmiſchen Rechts aufgehoben worden feien, ift. zweifel⸗ 
haft, für bie Behauptung aber, baf Urban mit dieſer Decres 
tale bie Trauerzeit überhaupt habe aufheben wollen, 
findet fid nift ber geringfte Anhaltspunft. Die letztere 
Abſicht, die bem Papfle von einigen Ganoniften unterlegt 
wird, würde bem Geifte der Kirche und ihrer Gefeßgebung 
durchaus wiber[prodjen Haben: überall, wo von ber zwei⸗ 
ten Ehe die Rede ift, wird bie Eingehung berfelben, mag 
fie früher ober fpäter erfolgen, immer als ein Beweis 
von Unenthaltfamfeit angefehen, fle war, wenn aud ge 
duldet, bod) ftets mifbilligt: würde nun das Oberhaupt 
der Kirche durch gänzliche Aufhebung ber Trauerzeit nicht 
den Witten Gelegenheit gegeben haben, gleichſam über 
dem Grabe ihres verforbenen Gatten einem zweiten bie 
Hand zu reichen und baburd), begünftigt burd) das Gefeh, 
eine Unenthaltfamfeit an ven Tag zu legen, bie felbft bem 
heibnifchen Gefühle zuwider war? Endlich wäre nicht zu 
begreifen, wie ba8 kirchliche Recht, das. in allen andern 
Punkten die Ehe mit fo tiefem Grnfte und faft aͤngſtlicher 
. Oewiffenhaftigfeit behandelte, die Gefahr der turbatio san- 
guinis und bie großen daraus entftefenben Nachtheile durch 
Aufhebung des Trauerjahrs fo ganz follte aufer Augen 
gelaffen haben. — Durch diefe Erwägungen halten wir 
uns zu der Anficht berechtigt, das canonifche Recht habe 
mur bie Strafe der Infamie für bie Verlegung bed 
Trauerjahres, nicht aber dieſes [elbft aufheben wollen, 


Behandlung der Ehefachen. 173 
eine Anſicht, bie auch nod unter ben neueſten Ganoniften 
angefehene SBertfeibiger hat; fo fagt 3. 8. Richter (Kir 
chenrecht, $. 270): „die Beftimmung des römifchen Rechts, 
daß bie Wittwe innerhalb des Trauerjahres fid) nicht wie 
der verheirathen dürfe, ift im canonifchen Rechte, jebod) 
unter auébrüdlider Aufhebung der Strafe ber Infamie, 
als auffchiebendes Hinderniß anerfannt." Ebenſo Ban» 
gerom, Leitfaden für Bandecten-Borlefungen, L &. 348. — 
Wenn wir mit den bisherigen Bemerkungen nicht gerade 
auf eine Unrichtigkeit, fondern nur auf eine Unger 
nauigfeit des vorliegenden Schriftchens aufmerkſam ma« 
hen wollten, fo verhält eà ſich ganz in berfelben Weife 
mit folgendem Punkte. ©. 35 fagt der SBerfaffer: „Ber 
wr dft bic Ehe nichtig, menn bei ber Eingehung ein 
Jribum über wichtige, das Wefen der Ehe nahe anger 
bende Berhältniffe beſtand. Welches biefe feien, ift aber 
niht genau beftimmt und daher bem richterlichen Grmeffen 
überlaffen. Man rechnet dahin: bie Shwangerfhaft 
der Braut von einem Dritten, ein vor der Ehe 
begangenes peinlihes Verbrechen, bleibende, 
fóon vorher dagewefene, Gemüthskrankheit.“ 
Auch diefes hätte nicht mit ber categorifhen SBeftimmte 
heit ausgeſprochen werben follen, wie hier geſchehen ift. 
Zwar enthält bie Gefeßgebung über biefe Punkte Feine 
nähern Beftimmungen und bie moderne Doctrin unb 
Praris hat fie bisweilen wirklih unter bie trennen⸗ 
den Ehehinderniffe geredjnet, aber ob bie im Geifte des 
firchlichen Rechtes begründet fei, láft fid febr bezwei⸗ 
fen. Adgefehen von ben Altern Ganoniften, die biefe in» 
derniffe nicht Eennen, hat, was wenigftens bie Schwangers 
{Haft bez Braut betrifft, nod in ben neuern Zeiten Stapf 


174 Safen, 


Waſtoralunterricht über die Che, S. 105 ff.) die Gründe 
für und wider fo einleudhtend dargelegt, daß man ihm 
mur beiftimmen fann, wenn er fid) für die Anſicht entſchei⸗ 
det, daß fie fein trennendes Ehehinderniß begründe. Außer 
bem aber liegt über diefen wichtigen Gegenftanb aud) eine 
ausbrüdliche Entſcheidung ber Congregatio Concilii vor, 
die jeden weitern Zweifel unmöglich madjt. Diefelbe fuv 
bet fid) nad ihrem ganzen Wortlaute bei Knopp, Sar 
ſtellung der firchlichen Lehre von den Ehehinderniffen, I. 
€. 59 f. — In Betreff ber revalidatio matrimonii heißt 
es ©. 64: „Wenn das inbernig nur einem Theil bes 
fannt und von biefem geoffenbart worben ift, unb wenn 
man befürchten muß, der andere Ehetheil würde Die Ehe 
nicht fortfegen, wenn er davon wüßte: bann ift große Klug 
heit nöthig. — Man beruft bem andern Ehetheil, ftellt 
ihm bie Gadje vor und. ſucht ihn dahin zu bringen, taf 
er zur Einholung ber nadhträglihen Difpens einwilligt.“ 
Es ift hier von bem ſchwierigen Falle bie Rede, wo bie 
unter einem trennenben. Hinderniffe, alfo ungültig einger 
gangene Ehe vevalidirt werden muß, der des Hinderniſſes 
unfunbige Gatte aber befürdten läßt, er werde, falls er 
von dem Stand ber Cade Kenntniß befomme, nicht die 
Dispens unb bie Wieverherftellung feiner Ehe, fonbern die 
Trennung berfelben verlangen. Er muß zum Zwed ber 
Revalidation von ber Ungültigfeit feiner Ehe in Kenntniß 
gefept werben unb eben das ifl bie Frage, wie bief zu 
bewerfftelligen {εἰ Wenn ber Herr SBerfaffet fagt: „man 
' beruft den andern Ehetheil, ftellt ihm die Gadje vor und 
fudt ihn dahin zu bringen, baf er jur Einholung 
der nachträglichen Dispens einwilligt”, fo müffen wir biefe 
Anweiſung als ungenügend bezeichnen. In einzelnen guͤn⸗ 


Behandlung ber Cheſachen 475 


fügen Fällen mag fie zum Ziele führen, aber in.vielen ift 
fie geradezu unanwendbar z. B. wenn ber Pfarrer bloß 
in der Beicht Kenntniß von ber Ungültigkeit der Ehe et» 
hielt — und in andern wird dieſes raſche Vorfchreiten 
gerade die Gefahr nahelegen, burd) unummundene Aufs 
flárung des unfundigen Gatten bie Revalivation zu ver» 
hindern unb ihm Gelegenheit zu geben, auf völlige Auflöfung 
der putativen Ehe anzutragen. Wir hätten bafer gewünfcht, 
daß in biejer wichtigen Materie genauere Aufſchlüſſe ge» 
geben ober bod) auf Autoren vermiefen worden wäre, bei 
welchen der Geiftlihe in einem fofdjen Falle ausführliche 
Belehrung finden fanm. Dergleihen Schriftfteller find 
4. 98. Van-Espen, J. E. P. IL tit. XIV. c. 5. 7; Reiffen- 
siuel, J. C. Lib. IV. Appendix, de dispensatione $. XIII; 
Held, Jurisprud. univers. L. IV. D. V. c. 3. $. 2. und 
bie vortreffliche Inftruftion von 38 en eb i c t XIV. Institut. ec- 
desiast. instit. 87. — (5, 26. werden bie causae dispensandi 
aufgeführt, aber fle find nicht in ihrer Vollftändigfeit an» 
gegeben: es fehlt das periculum haeresis, bie excellentia 
merilorum unb bie impraegnatio sponsae. Wir bemerfen 
dieß deßhalb, weil bie fenntni aller Dispenfationd« 
gründe für den. Geiftlihen von großem Intereſſe ift, um 
in jedem einzelnen Falle ſogleich beftimmt zu woiffen, ob 
für ihm ein vom Rechte anerfannter Unterflügungsgrund 
dorliege oder nicht, b. b. ob Dispens überhaupt erwartet 
werben bürfe ober nicht. Ebenfo hätten bie Fälle, in 
welchen nach bem gemeinen Rechte der Papft biópenfizt, 
von ben biſchoͤflich en genauer auseinanbergehalten 
werben follen, denn das Dispensgeſuch ift je nad) ber 
Behörde, der εὖ vorgelegt wird, vom Pfarrer verſchieden 
iu behandeln; wenn ©. 73 gefagt wird: „in ben Hinder⸗ 


176 Syg. Loyola, Vergmahr, Hirſcher u. A. 


niſſen bec Weihe, des feierlichen und einfachen Geluͤbdes 
der Keuſchheit u. ſ. f. entſcheidet die paͤpſtliche Curie“, ſo 
ift dieſe Aufzählung der paͤpſtlichen Dispensfälle offenbar 
ſehr mangelhaft. — S. 33 f. handelt der Verfaſſer von 
der Geſetzgebung in Sachen der gemiſchten Ehen mit der 
erforderlichen Ausführlichkeit, nur hätte auch die Verord⸗ 
nung vom 16. Nov. 1831, welche bie geſetzlichen Beftim- 
mungen über bie Erziehung der Kinder aus gemifchten 
Ehen enthält, berührt werben follen; ebenfo it in bem 
Abſchnitte, ber von ben Eheftreitigfeiten handelt (&.58 fi.) 
bie Verordnung vom 18. Mai 1818, welche die Behand» 
Tung ber Streitigfeiten in gemiſchten Ehen enthält, uner- 
wähnt geblieben. . Auch wurde ©. 20 bei der gefehloffenen 
Zeit al& auffdicbenbem Hinderniffe die Verordnung vom 
2. Aug. 1825 weder eitirt nod) ihr Inhalt vollftändig ange 
geben. — Mebrigens mag εὖ an biefem wenigen Bemers 
kungen genügen: wie Jedermann fieht, betreffen fie nur 
minder erhebliche Mängel, welche die praftifhe Brauch⸗ 
barfeit des Schriftchens nicht wefentlih beeinträchtigen, 
weßhalb wir unfer obiges Urtheil über daſſelbe wiederholen 
und es ald Rathgeber jedem jungen Geiftlichen angelegents 
lid empfehlen. 


$ober. 


5. 

1. Exercitia spiritualia juxta methodum S. Ignati Loyolae 
a Sacerdole Societatis Jesu jam pridem exarata et edits. 
Nova editio sub auspiciis excellenlissimi et reverendissimi 
Archiepiscopi Carthaginiensis nuntii apostolici Viennae. 
Viennse typis congreg. mechelarist. 1851. p. 394. 


Praktifche Schriften. 177 


3, Manrefa oder die geifllichen Webungen des heiligen 
Ignatius in’ neuer Teichtfaßlicer Darſtellung zum Ge⸗ 
brauche aller Gläubigen. Aus bem Branzöflichen, 
Zum Beſten der armen Schulfchweftern in Nordamerika 
herausgegeben von ber Verwaltung be8 Lubwig-Mifflond- 
Vereins.  Siegenóburg. ὅτ. Puftet. 1848. - 

3. Des chrwürdigen Paters 30b. Pergmayr, Priefters ber 
Geſellſchaft Sefu, Betrachtungen in ber geiftlichen Einfamfeit 
beſonders für Orbensleute. Neu herausgegeben von fi. 
Singel. Zweite Auflage der neuen Ueberarbeitung. 
Augsburg 1851. Kollmann'ſche Buchh. — S. 280. 
Preis 1 fl. 12 fr. 

i Anleitung zur chriſtlichen Vollkommenheit nach ben 

heiligſten Muftern Iefus und Maria. Aus dem Branzö- 

ſiſchen überfept. Wien 1851. Drud und Verlag ber 

Mechitariſten ⸗ Congregationsbuchhandlung. Erfter Theil. 

€. 332. Zweiter Theil. ©. 296. Pr. 1 fl. 45 fr. 

Die Religion in Betrachtungen zum Gebrauche Alter, 

die mit aufrichtigem Herzen Gott fuchen, beſonders für 

diejenigen, welche fid) mit ber Kindererziehung befchäftigen, 
nah Abbe Nohrbacher, von Abbe Müller im Mutter» 

Haufe der chriſtlichen Schulbrüber. Wien 1852. Θεοὶ, 

tariften - Gongregationsbuchandlun. Erfter Band, 

vom Advent bis Himmelfahrt des Herrn. ©. 268, Zmwei« 

ter Band, von Góriftt Himmelfahrt His Advent. ©. 304. 

6. Liber precum ad usum sacerdotum, continens preces quo- 


lidianas, praeparalionis ad missam et gratiarum actionis, 
ad consolandos infirmos, necnon ritus in administratione 
sacramentorum variisque «caeremoniis adhibendos. Cum 
permissu superiorum. Moguntii, Kirchheim et Schott. 1852. 
6.224, Pr. — ἢ, 54 f. 
Derl. Daartal(érift. 1889. I. Geh. 12 


178 Ig. Loyola, Pergmahr, Hirfeher u. A. 


7. Die Nachfolge der allerheiligfen 3ungfrau tn vir 
Büchern, Aus dem Franjzoſiſchen. Neue Ueberſetzung 
Dritte Auflage. Wien, Mechitariften-Gongregationd- 
buchhandlung. 1852, 12. ©. 392, Pr. 30 fr. 


Katechismus der katholifchen Glaubens- und Sitten- 
lehre. Zunächft ald Handbuch für Lehrer und Katecheten 
von Heinrich Güngel, Verfaffer des Leitfadens für den 
Belt - und Communtonunterricht ic. Mit Erlaubniß 
geiflicher Obrigkeit. Gtriegau 1851. Verlag von X. Hof 
mann. — 8. ©. 259. Pr. 1 ([ 20 fr. 


9. Ratholiſcher Aatechismus für ble mittlere und ober 

RKlaſſe. Eine gefrönte Preisſchtift von Jak. Sit 
und Ich. R. Schmitz, Pfarrern. Mit mehreren biſchoſ⸗ 
lichen Approbationen. Zweite Auflage. Köln unb Neuf. 
Schwann'ſche Verlagehandlung. 1851. 12. ©. 296. 

10. Hiftorifcher fatedjismus ober geſchichtliche unb grünblide 
Erklärung des katholiſchen Glaubens unb Lebens In fragen 
und Antworten, von fanbpfarrer Wilhelmus. Mit bi- 
ſchoͤflicher Approbation. Erefeld 1851. Verlag v. Gh 
rich und Comp. 12. ©. 156. Pr. 21 fr. 

11. fritfaben für den Beicht- und Eommunionunterridt. 
Bon einem Geiftlichen ber Diöcefe Breslau. Zweite, der 
befferte Auflage. Mit Genehmigung eines Hochw. Fürf- 
bifchöfl. Generalvikariats Breslau. Striegau, Verlag v. 
A. Hofmann. 1848. ©. 68. Br. 15 fr. 

12. Buße und BSeichte oder Anleitung zum würbigen Em, 
pfange des HI. Sacraments ber Buße, insbeſondere zur 
Verrichtung einer Generalbeichte. Nebſt einem Anhang 
enthaltend Sorgen und Abend, Beichte, Communlons | 
und Mefgebete. Bon Gafpar Ant. θεῖε, Paſtor zu 


8. 


Praktiſche Schriften. - 419 


Rahrbach. Mit Gutheißung des Hochw. Biſchöfl. Orbina- 

tlat8 Paderborn: Zum Beſten einer armen Kirche. Zweite 
vermehrte unb verbejferte Auflage. Soeſt u. Olpe Verlag 

der Naffefchen Buchhandlung. 1851. 12. ©. 125. 

Preis 18 fr. 

Aurze und vertrauliche Antworten auf bie am meiften 

verbreiteten Einwurfe gegen ble Religlon von Abbe v. 

Segur. Ind Deutfche überfegt v. €. 3. Cümmerer. 

Der Ertrag ift zum Beſten ber deutſchen Miſſton in 

Paris.) Mainz, Verlag v. Kirchheim und Schott. 1852. 

©. 140. Pr. 18 fr. 

14. patriſtiſche Rundſ chau, ober paffmbe Stellen für bie 
dvorzüglicäften Glaubens- unb Sittenlehren ber katholiſchen 
Erblehre aus ben Schriften ber HI. Kirchenväter. Bon 
Anton Gundinger, Weltpriefter. Wien 1851. Drud 
und Verlag von A.-Pichlers Wittwe. ©. 353. 

. Goldgrube für Prediger und flatedjeten, v. Dr. Kich- 
ter, Pfarrer. Grfter Band. Wim 1852. Drud und 
Verlag der Medjitariften-Eongregationsbuchhanblung. ©. 
420. Br. 2 fl. 24 fr. 

16. Beiträge zur Homiletik und Aatechetik. Bon Dr. 3. 

8. Hirfher, Tübingen 1852. Verlag ber Q. Laupp'- 
fen Buchhandlung. ©. 118. Pr. 30 fr. 


Es unterliegt feinem Zweifel, daß zur Hebung eines 
innern geiftigen und religiöfen Lebens die Betrachtung unb 
das innerliche Gebet unerlaͤßlich ift. Eine beſſere Anwei—⸗ 
fung hiezu dürfte aber nicht leicht gefunden werben, als 
fe in den geiftliden Uebungen „(exercilia spiritua- 
la)* des heit. Ignatius gegeben ift. Diefelben haben fid) 
frt drei Jahrhunderten bewährt; und wenn man fie aud) 

12* 


1 


* 


180 834. Loyola, Pergmahr, Hirſcher u. A. 


auf einige Zeit verlaffen unb bei Seite legen follte, fo 
wird man bod immer wieder darnach greifen. An ihrer 
Hand fann man am leichteften und einbringlichften jene 
Uebungen des Geiftes machen, ,fraft welcher ein Indivi⸗ 
buum in ftiller Abgeſchiedenheit vor Gott bie ewigen Wahr⸗ 
heiten fi zu Gemüthe führt und im Lichte berfelben feinen 
Seelenzuftand prüft in ter Abfiht, am fid) zu verbeffern, 
was fehlerhaft ift, unb fobann feinem Leben eine ſolche 
Stiftung zu geben, welde Gott bie wohlgefälligfte und 
feiner Seele die évfprieflidfte iſt h.“ 

Die ganze Einrichtung biefer Uebungen, bie fid) durch 
ben dreifachen Weg, den Weg ber Reinigung (sc. v. ben 
Sünden), der Erleuchtung (bud) Betrachtung des Beifpiels 
Jeſu ChHrifti und burd) Entſchließung zu feiner Nachfolge), 
und ber Vereinigung mit Gott in reiner Liebe hindurch 
bewegen, ift eine fo zwedmäßige, ihres Erfolges fo fidere, 
dag man fid zur Annahme berechtigt glaubte, Ignatius 
habe biefe geiftigen Uebungen unter Eingebung des heil. 
Geiftes abgefaßt, was deßhalb um fo glaubhafter wird, 
weil Ignatius biefe& bewunderungswürdige Büchlein zu 
einer Zeit ſchrieb, wo er nod) aller wiſſenſchaftlichen, ins⸗ 
befonbere theologifhen Bildung entbehrte, und in gaͤnzli⸗ 
her Abgefchieenheit in ber Höhle von Manrefa lebte. 
Wegen diefer großen Bedeutſamkeit fand das genannte 
Büchlein des heil. Ignatius verſchiedene Bearbeitungen 
von Mitgliedern der Geſellſchaft Sefu und von andern Geis 
ftesmännern, daher bie exercitia spiritualia juxta metho- 
dum St. Ignatii fer vielfältig verbreitet find. Diefe Erer- 
eitien des BL. Ignatius befommen aber in ber gegenwaͤr⸗ 


1) Genelll, Leben des Heil. Ignatius v. Loyola, &. 111. 


Praktiſche Schriften. 181 


tigen Zeit durch bie Wiederaufnahme der Volfsmiffionen 
unb ber Priefterexereitien wieder eine befondere Bedeu⸗ 
tung; denn fowohl bie Miffionen als bie Erereitien wer» 
den nad ber Methode ber geiftlichen llebungen des heil. 
Ignatius abgehalten. Es ift wohl nicht zu viel gefagt, 
wenn ber obenangeführte Genelli weiter bemerkt: „Hins 
fibtlid) beffen, wie fid) biefe Wirfung nah aufenbin fund 
gab, ift bemerf(id) zu machen, daß bie Gefellfhaft Sefu 
ſelbſt ihr Gntfeben, ihre Grfaltung und Fortpflanzung, 
fo wie ihre organifche Eintihtung ben Grercitien verdankt“ 
(&. 123). Da biefe Erercitien das völlige Eigenthum 
jedes Mitgliedes des Ordens bei feinem Eintritte werben 
wüffm und fij fobanm in ber täglichen Mebitationsftunde 
fmtfegen, fo begreift man, warum bie Mitglieder dieſes 
Ordens zur Abhaltung von Miffionen und Grercitien ganz 
befonber geeignet find 4. 

1) Es liegen drei Bearbeitungen der Geiftesübungen 
des hl. Ignatius vor und; bie erfte (Mr. 1.) ift vorzugs⸗ 
weife auf Klerifer berechnet, bie zweite (Nr. 2.) auf Layen, 
die dritte (Nr. 3.) auf Orbensleute. Die erfte ift. ein 
wörtficher SBieberabbrud einer Bearbeitung, bie im Jahre 
1765 auctore J. M. K. ss. theol doctore et professore 
emerito ín Freiburg im Breisgau bei Wagner erfchien. 
Daß es eine Ältere Bearbeitung fep, ift auf dem Titel 
bemerkt, aber nirgends näher gefagt, daß gerade jene Aus» 
gabe abgebrudt worden fep! Es wäre zweckmaͤßig gewe⸗ 
fen, aus ber alten Ausgabe den Beifag ad usum cleri- 
torum accomodata bem Titel beizufügen, da εὖ natürlich 


1) Auch die Liguorianer werben (n ihrem Noviziate mad) ber gleis 
Gen Methode geſchult. 


182 "3g. Lohola, Pergmahr, Hirſcher u. A. 


ein Unterſchied ift, ob bie Geiftesübungen für Ordensleute 
ober für Klerifer überhaupt bearbeitet find. Diefe neu» 
abgevrudte Ausgabe ift für Weltklerifer beftimmt, und 
fann als eine fehr gute und zwedmäßige bezeichnet wer⸗ 
ben. Hat ein Priefter Erereitien unter ber Leitung eines 
Meifters mitgemacht, fo hat er an biefem Buche ein be» 
quemes Mittel, in feiner Abgefehiedenheit bie. gehabten 
Ginbrüde wieder aufzufrifchen; hat er feine Gelegenheit 
gehabt. öffentliche Erereitien mitzumachen, fo hat er hier 
einen zuverläßigen Führer, an beffen Hand er in einer 
etwaigen achttägigen Zurüdgezogenheit die wichtigften emis 
gen Wahrheiten betrachten fann, um biejen in feinem 
Innern zur fegensreihen Ausübung feines Berufes wieder 
rechtes Leben unb Kraft zu verídjaffen. Diefe neuaufges 
legte Bearbeitung ber Geiftesübungen des 5. Ignatius 
fann daher allen Klerifern empfohlen werben. — 

2) Mit befonderm Vergnügen bringt Referent Nr. 2 
jur Anzeige, ein Bud), das in recht vieler Hände zu wün- 
fen if. Die Betracptungsgrundfäge des 5. Ignatius find 
einfach zur Anwendung gebracht; die Betrachtungen feldft 
in leijtfaglider Borm durchgeführt, und mit fo vielen 
Meditationspuncten und Andeutungen untermifcht, daß es 
nicht viel Uebung in der Meditation braucht, um biefes 
Buch mit 9tugen anzuwenden. Wenn ein Laye, der nur 
wenig befähigt ift für geiftige SBetradjtungen, die hohen 
und ewigen Wahrheiten unferer heil. Religion zur Bele⸗ 
bung unb Auffriſchung feines innern religiöfen Lebens eins 
bringlid betrachten will, findet er in biefem Buche eine 
ausreichende 9Infeitung und zugleich Verarbeitung des Stofr 
fes. Auch Priefter können diefes Buch mit Beifügung 
deffen, was für ihren Stand befonders in bie Erwägung 


Vrabtiſche Schriften. 183 


und Beherzigung aufgenommen werben muß, unzweifelhaft 
mit großem Vortheile benügen, felbft aud) in bem falle, 
wenn fie darin nicht blos Anleitung und Stoff zu Medi⸗ 
tationen, fondern aud) zu Predigten fuchten. — 

3) Nr. 3, vorzugsweife für Ordensleute, ift, wie es 
fh von bem SBerfaffer Pergmayer nidjt anders erwarten 
läßt, eine ihrem Zwecke ganz entſprechende Bearbeitung 
der Exercitien. Die Betrachtungen find fehr zweckmaͤßig 
angelegt unb grünblid und faft volfftánbig ausgeführt, fo 
daß deren SBenügung febr leicht unb bequem gemadit ift. 
Es ift für adttágige Erercitien eingerichtet, und muß, 
wenn es innerhalb ber genannten Zeit nicht blos durchgele⸗ 
fen, fondern burchmebitirt wird, einen tiefen Ginbrud 
nrüdlaffen. Auch Weltleute können das Buch zu Betrach⸗ 
tungen und Geiftesübungen benügen. — 

4) Die Nr. 4 verzeichnete Anleitung zur chriſtlichen 
Vollkommenheit ift bie Bearbeitung eines franzöfifchen Wer⸗ 
les mit dem Titel: l'interieur de Jesus et de Marie. G6 
fehlt ung nicht an verſchiedenen asretifhen Schriften, welche 
es fid zur Aufgabe geftellt haben, bie gläubigen Seelen 
wur chriſtlichen Vollkommenheit zu leiten und darin zu [ὅτε 
dern. Diefes Werk verfolgt aber einen eigenen Gang, 
infofern es ganz in das Leben Jeſu Chriſti und der felig- 
fen Jungfrau Maria einzubringen fudit, um dort bie fihern 
Wege zur Bollfommenheit aufzuzeigen. Und zwar geht 
der Verfaffer von ber gewiß richtigen 9Infit aus, daß 
man nicht blos bie aͤußerlich in bie Augen „fallenden Puncte 
des Lebens Jeſu und Mariä betrachten, fonbern in ihre 
innere Gefinnung ſich verfenfen muͤſſe. Es if unläugbar, 
daß εὖ gegenwärtig viel blos Außerlihes Ehriftenthum gibt, 
die Verinnerlichung beffelben aber weſentlich duch bie ges 


184 Sig. Lohola, Pergmayr, Hirſcher u. A, 


nannte Weife ber Betrachtung des Lebens Jeſu bis in bit 
einzelnften Züge hinein geförbert werben fann. Die Ans 
Tage biefer Betrachtungen ift wumfaffenb, und wohl fein 
eud) irgendwie bemerfbarer Punct in bem Leben 3efu 
übergangen. €8 ift bie chronologiſche Ordnung eingehal- 
ten, durch ein befonderes Regifter aber ber ganze Gompler 
der Betrachtungen fo abgetheilt, bag auf jede Woche mit 
befonberer Berüdfihtigung ber Bedeutung des Kirchenjah⸗ 
res ein Betrachtungsftüd angewiefen ift. Daß bie Be 
tradjtungen über das Leben Jefu wohl drei Viertheile ber 
zwei Bände einnehmen, wirb nicht befremben. 

Die Betrachtungen felbft unterſcheiden fid in der Borm 
ziemlich ſtark von vielen derartigen Werfen, melde vor 
zugsweiſe auf Erregung des Gemüths unb Beftimmung 
des Willens ausgehen. Sie halten fid) nit an Aeußer⸗ 
lichkeiten, ſondern find gründlich theologiſch durchgeführt, 
und bieten durchaus gefunbe Raifonnements. Ref. fuͤrch⸗ 
tet aber, fie möchten zu wenig lebendig unb anregend feyn, 
da fid der Verf. zu fehr aller Bilder, Gleichniſſe, Bei 
fpiele u. drgl. enthalten hat, ein Mangel, der bei Werfen 
der Art immer [der empfunden wird. Der Betrad: 
tungsftoff in biefem Buche ift jebod) reichhaltig. 

5) „Die Religion in Betrachtungen von Abbe Mül 
Ter (Sir. 5.) hat in ber äußern Einrichtung infofern Achı- 
licjfeit mit den vorausgenannten Betrachtungen, als das 
Religionsgange in Betrachtungen auf jeden Tag des Jah 
res vorgelegt ift und zwar unter Berüdfichtigung ber fid» 
liden Zeiten. Es find SBetradjtungen über bie Religion 
in ihrem Zufammenhange; vom erſten Abventfonntage bis 
Weihnachten über die Hauptereigniffe unb vorpüglidften 
Perfonen des alten Teftaments, von Weihnachten bis Eprifi 


Brote Säfte. 185 


Himmelfahrt über die Hauptwahrheiten und Lehren ber 
Kirche, über Leben, Leiden und Sterben Jeſuz von ba 
bis Pfingften über bie Verheißung, bie Chriftus feiner 
fide gegeben hat, nad) Pfingften über bie Trinität, 
Altarſacrament, und fofort nad) ber Octav des δτοπίεί 
namsfeftes bis zum lehten Sonntage nad Pfingſten über 
bie merfwürbigften Heiligen eines jeben Jahrhunderts. Der 
Gedanke, bie ganze Religion von ihren erften Anfängen 
im Paradiefe bis herab auf das Leben und Wirken δεῖν 
felben in der Kirche und den Heiligen burd) bie Jahrhun⸗ 
bete. Binburd in täglichen Betrachtungen fid) zu vers 
gegenwärtigen und in feinem Herzen aufzuwärmen, ift 
gewiß groß unb glüdlid) zu nennen. — 

Die einzelnen Betrachtungen find an fid) Hein, unb 
nehmen in der Regel nur eine Seite und etwas dazu ein, 
aber fie find einfach, herzlich und dabei bod) früftig. Sie 
eignen fi fer gut zu einer Heinen Abendvorlefung in 
einer Familie, ober aud) in Anftalten für Kinder. Ob 
fie für Schulamtszöglinge, für die fie verfaßt worden zu 
ſeyn feinen, nidt etwas zu einfach unb fury feyen als 
Abendbetrachtungen, möchte Ref. faft bezweifeln. Uebrigens 
werben fie doch demjenigen, ber an folden Anftalten bie 
Betrachtungen und Lejungen zu leiten hat, gute Dienfte 
leiſten. — 

6) Es fehlt nicht an kleinen Gebetsſammlungen, wie 
fie ber Prieſter am Morgen und Abend, vor und nad 
der hl. Meffe u. f. w. bedarf. Deſſen ungeachtet fann 
man bod) das liber precum (Nr. 6.) willkommen heißen. 
Es enthält außer ben täglich notwendigen Gebeten For⸗ 
mularien für bie Verwaltung ber HI. Saframente, Gebete 
beim franfenbefude, bie ziemlich weit ausreichen und fehr 


186 Ig. Loyola, Pergmahr, Hirſcher u. A. 


paffenb gewählt find, Ritus zur SBeerbigung, einige Bene 
bictionéformularien, die Professio fidei nad) Vorſchrift des 
Triventinums; enblid) in einem Anhange einige Ehorals 
gefänge, darunter eine missa pro defunctis, bie Marianis 
fen Antiphonen und Anderes. Wenn ein Seelforgpriefter 
biefeó Büchlein immer bei fij trägt, fo ift er für alle 
Bälle gerüftet. Die Gebetsftüde und rituellen Formularien 
find durchgängig als recht gut zu bezeichnen. — 

7) Die Nachfolge Mariens (Nr. 7.) ift ein Betrach⸗ 
tungébüdjein , das von einem ungenannten Verfaffer ber 
befannten Nachfolge Sefu von Thomas von Kempis nad ^ 
gebildet ift. Diefe Nachbildung erftredt fid) aud) auf Gin» 
theilung und orm. Es wurde fdon öfters aus bem 
Franzoͤſiſchen, feiner Urfprache, ins Deutfche überfept 3. 98. 
von Grfen (Aachen 1838). Wenn das Büchlein feinem 
Vorbilde auch nicht gleidjfómmt, fo enthält e& bod) eine 
Menge heilfamer und weifer Ermahnungen, bie Maria 
αἵδ᾽ unfrer zärtlich beforgten Mutter in ben Mund gelegt 
find; εὖ nährt bie Andacht, unb ehrt auf eine einfache 
und anfpredjenbe Weife alle Verhältniffe des Lebens nad) 
dem göttlichen Wohlgefallen orbnen, unb ift barum empfehr 
lenswerth. — 

8) Unter den oben verzeichneten practifhen Schriften 
find Nr. 8. 9 u. 10 SKatechismen. Ref. hat es immer 
ungerne gefehen, wenn in einer Diöcefe an verfchiebenen 
Seiten Katechismen gefertigt wurben mit ber beftimmten 
Abficht des SBerfafferó unb Berlegers, benfelben einen fo 
ausgedehnten Eingang in die Schulen zu verfhaffen, als 
es immer möglich fein folle. Diefe Katehismusfabrir 
Tation war in mandjen Diöcefen ein wahres Unglüd. Da 
durch, daß in ber neuen und neuften Zeit in ben meiſten 


Praktiſche Schriften, 181 


Diseefen Deutfhlands burd) bie Biſchoͤfe Dioͤceſankatechis⸗ 
men eingeführt wurden, ift bie Sachlage eine andere ge« 
worden. So wenig man wünfchen fann, baf nah Eins 
führung eines beftimmten Katechismus in einer Diöcefe 
bier Zweig ber practifch theologifhen Literatur als für 
alle 3ufunft abgeſchloſſen angefehen werde, ebenfo wenig 
lann zugegeben werben, baf ein Geiſtlicher ohne allen 
höhern Auftrag ober Ermächtigung einen von bem Diös 
ceſankatechismus abgehenden Katechismus fertige, unb ben» 
felben in feiner und in andern Pfarreien einzuführen 
fude. Ein Diöcefanfatehismus fann ohne Verlegung 
des fanoni(djen Gehorfams nicht umgangen werden. Wenn 
daher neben bem beftehenden Diöcefanfatehismus neue 
and Tageslicht gefördert werben, fo fónnen die Verf. nur 
die Abficht Haben, durch ihre Arbeit einerfeit& bie Kater 
Hismusliteratur zu fördern und für bie Zufunft tüchtigere 
Diöcefanfatechismen vorbereiten zu helfen, anbrerfeitó ben 
Satedeten zu veranlaffen, burd) Studium von andern 
Katechismen als beffen, ben er täglich in Händen hat, fid 
in der Bertigfeit und Tüchtigfeit des Katechiſirens fortzur 
biben, und fid) in fteter Regfamfeit auf biefem Gebiete zu 
erhalten, indem er burdj tüdjtige Katechismen gewiß immer 
neue Winfe erhält, bie er in feiner katechetiſchen Wirkſam⸗ 
keit mit Vortheil benügen fann. — 

Bon letzterer Anficht ſcheint Güngel (Nr. 8) aus- 
gegangen zu fein, wie er es auf bem Titel feines Kates 
chismus anbeutet und in ber Vorrede beftimmt ausfpricht. 
Es if deßhalb ein etwas erweiterter Katechismus, ohne 
dag Volumen eines Handbuches zu haben. Der Verf. 
hat mit Recht bie alte caniſiſche Eintheifung, zu der man 
ſo ziemlich allgemein zurüdzugreifen (eint, zu Grunde 


188 Sg. Loyola, Pergmapr, Hirſcher w A 


gelegt. Die Form fanm im Ganzen als eine durchaus 
gelungene betrachtet werben; bie Sprache ift einfach, praͤcis 
und befiimmt. Den Stoff hat der Verf. recht vollftánbig 
in furgen Antworten zufammenzufafien gewußt, unb an 
vielen Orten, wie es bem Ref. ſcheint, ben catechismus 
Romanus mit Gfüd benügt. (δ᾽ liegen fid) freilich im 
Einzelnen einige Ausftellungen madjen, bie aber zu weit 
führen würden. Ih made nur auf ben Einen Punft 
aufmerffam, bag ἰῷ bie [pecielle Zuwendung der Erloͤſungs⸗ 
gnade burd) den hi. Geift an ben Einzelnen beftimmter und 
betailliter hervorgehoben gewünfcht hätte. Im Uebrigen 
werben Katecheten diefe Schrift mit Nupen lefen und ges 
brauchen fónnen. 

9. Im Unterſchiede von Güngel ſuchten bie beiben 
€d mit einen Katechismus für ben Gebraud) der Kinder 
in der Schule zu verfaffen. Die Bezeichnung: eine ger 
Erönte Breisfhrift, muß zum Voraus für feine Cm: 
pfehlung ſprechen. Auch fie haben bie Eintheilung des 
Ganifius vollftánbig beibehalten, unb alle Hriftlihen Lehren 
in ben befannten Rahmen einzufaflen gefucht. Die Sprache 
in biefem Katechismus ift fehr einfach, und ſichtlich ber 
Baffungsfraft der Kinder nahe zu bringen geſucht worden. 
für ben ftatedjeten find den Antworten kurze Andeutungen 
in kleinerer Schrift beigefügt. Angehängt if mod) ein 
Heiner Katehismus. für die niebrigfte Klaffe, und eine 
Sammlung der nothwendigſten Gebete. — 

10. Weniger aló bie beiden Angeführten hat bem 
Ref. der Katechismus von Wilhelmus gefallen. Er 
charakteriſirt fid) felbft als “einen hiſtoriſchen Kate⸗ 
chismus. Da die Offenbarung Gottes als eine ge 
ſchichtliche Thatſache in die Welt eingetreten ift, fo hat εὖ 


Vraktiſche Sqhriften. 189 


allerdings etwas für ſich, biefelbe in der Katechefe fo zu 
behandeln, wie fie fid) dargeftellt hat. Allein Ref. ift der 
Anfiht, daß diefes in ausreichender Weife in der biblifhen 
Geſchichte geſchehen Fönne und geſchehen folle, daß Dagegen 
im eigentlichen Fatedhetifchen Unterrichte, der ben Inhalt 
ber Dffenbarung zum Gegenftanbe hat, ein anderer 
Weg einzufhlagen fei. Der vorliegende Katechismus hat 
ben Ref. wieder aufs Neue in diefer feiner Anficht bes 
färkt. Im den erften zwei Hauptftüden, bie von den Offen« 
barungen Gottes des Vaters und des Sohnes handeln, 
geht e8 an, aber in bem britten Hauptflüde: von bem 
hi. Geife und beffen Wirken in der Kirche, wo ein uns 
verhältnigmäßig großer Theil des Unterrihtsfloffes unters - 
gebracht werden fol, ift ein großer Durcheinander zu 
treffen; und fomeit der Verf. aud) mit allerdings aner⸗ 
fennenswerther Mühe Ordnung hineinzubringen — fudjte, 
erſcheint fie jufebr als eine erzwungene. — 9tud) waren bei 
diefer Anordnung Wiederholungen faft unvermeidlich; 3. B. 
iR von ben Geboten Gottes: ©. 10. &. 36 unb bann 
weitläufig €. 93 ff. bie 9tebe. Es wird überhaupt jebe 
theologifch » fpflemati[de Eintheilung eines Katechismus 
unendliche Schwierigkeiten darbieten und am Ende immer 
ſcheitern und fid) als unpractijf) und unjmedmáfig εἴν 
weiſen. Theologifhe Syſteme find immer entweder zu 
künftlich,, ober zu fubjectio unb wechfelnd, als daß fie zu 
dem einfachen fatedjeti[djen Unterrichte bienlid) fein koͤnn⸗ 
im. Die Eintheilung des Ganifiuó, bie von äußern Ans 
haltspuneten ausgeht, wird fid) für bie ftatedjiómen wie 
als bie leichteſte, fo aud) als bie vortheilhaftefte erweiſen. — 
Auch im Einzelnen böte biefer Katechismus manchen 
Anlaß zu Ausftellungen. 3. 99. Frage 103: „Wäre εὖ 


190 Sg. Lohola, Pergmahr, Sirſcher u. A. 


darum nicht beffer getoefen, taf die Menfchen nie geboren 
wären?" erſcheint an ihrem Plage als ganz unnöthig; bie 
rage 566: „Da der Leib zum Dienfte ber Seele und zur 
ewigen Verherrlihung beftimmt ift, dürfen wir ihn wohl 
au umreinen Gelüften mißbrauchen?“ — faft als ungefchidt. 
Auf die ὅταρε 167: wie haben wir barum das Leiden 
und Sterben Sefu zu betrachten?“ ift bie Antwort: „als 
das freiwilligfte Opfer des vollfommenften Gehorſams aur 
Genugthuung für unfere Sünden und zu unferer Verſoͤh⸗ 
nung mit Gott" wegen ber vielen abftracten Worte gewiß 
nicht Tatehismusmäßig. Aehnlich bie Antwort auf Frage 
169. — Im’Uebrigen anerkennt Ref. gerne, daß ben Verf. 
ein aufrichtiges Streben geleitet, bie Fatechetifche Aufgabe 
von einer eigenen Seite, ber eine Berechtigung nicht ab» 
geſprochen werben fann, zu löfen, und daß er mande 
Partieen mit Geſchick behandelt hat. — 

11. Der Unterricht über den Empfang des hl. Safras 
mentes ber Buße und des Altares bei ben Kindern ift 
von der größten Wichtigkeit; denn biefe beiden Gaframente 
madjen bei einem großen Theile der Gläubigen ben größs 
ten wenn nicht ausfchließlichen Theil ihrer practifchen Res 
ligion aus. Jeder Beitrag zur Förderung dieſes Unter- 
richtes muß daher mit Dank aufgenommen werben. Als 
ein folder fhägenswerther Beitrag fann der oben Nr. 11 
“angezeigte Leitfaden betrachtet werden; er hat benfelben 
Verf., wie ber Katehismus Nr. 8. — Die Behandlung 
ift nad) der gewöhnlichen Weife ber Katehismen in Fragen 
und Antworten, aber fefr einläßlih und gut geordnet; 
dabei die Sprache einfach und die Faffung aud) für Kinder 
leicht verfländlih. Der Katechet findet an biefem Büchlein 


Braktiſche Schriften. 191 


einen tüdjtigen Wegweifer bei Ertheilung des Unterrichtes 
qur erfimaligen Beiht und Gommunion. — 

12. Nr. 12 hat einen ähnlichen Stoff, aber nur das 
Bußſacrament, zu feinem Gegenftande; behandelt aber 
denfelben nicht fatedjetifd), fondern mehr didaktiſch⸗adhor⸗ 
tatorifch. Das Büchlein ift zur Lectüre beftimmt, um die 
Refer zu bußfertiger Gefinnung zu bringen, unb fie bei 
Uebung der Buße zu leiten. Zu biefem Zwede fann εὖ 
als brauchbar bezeichnet werden, und vermag das zu 
leiften, was e8 zu leiſten verſpricht. Es if aud eine 
vaffenbe Abhandlung über bie Generalbeiht nad) Porto 
Nauritio und ein Beichtſpiegel angehängt, deßgleichen bie 
nöthigen Gebete beim Gmpfange bes hi. Saframentes 
der Buße. ᾿ 

13. Ein redt practiſches zeitgemäßes Büchlein ift 
unter Nr. 13 verzeichnet. Dreiundfünfzig der gewoͤhnli⸗ 
Gen teivialen Einwürfe gegen bie Religion wie z. B. „Es 
gibt feinen Gott." „Mit bem Tode ift Alles aus” u. dgl. 
werden auf eine gründliche und babei anziehende und 
leichtfaßliche Weife widerlegt. Wo man an allen Eden 
derartige leichtfertige Bemerfungen gegen Religion umb 
teligiöfes Leben hören fann, unb fhon bie zarteften Blüthen 
der Religion in den Herzen ber Jugend welf gemacht wer⸗ 
den, ift es febr zu wün[den, daß. diefes Büchlein bie 
größtmögliche Verbreitung finde und ber Jugend in bie 
Hände gegeben werbe. Der Erlös ift für bie deutſche 
Miſſion in Paris beftimmt, die und auch gewiß am Herzen 
liegen muß, unb bie wir eben damit fördern helfen fönnen, 
daß wir unfer eigenes Heil bebenfen. — ᾿ ᾿ 

14. Unter dem Titel „patriftifhe 9unb[dau^ 
Gi. 14) hat Gunbinger zum Gebraude für Prediger 


192 Ss. tola, SBergmayr, Girfher u U 


wnb Kateibeten eine Menge ven Büterellen geiantmelt, 
tie er zum bequemern Gebraucbe unter vie in alphabe- 
wer Ordnung aufeinteric'genten begmariihen unb mo. 
ταῖς δια SBabrbeiten rubricrt bat. Sui einen verhältniß- 
nüft gar großen Raum bat ter Beri. einen recht 
Jiénem umb reihhaltigen Ete# prummenzmitellen gewußt. 
Auf eine antere als relante Relüintigfeit famm jebod) 
en derattiges Serk bei ter uneriteriiihen Reihhaltigkeit 
ver Bärer nıtı Aniprud madex Ta εὖ jchr zu wünſchen 

. Wt, Tab die Pretiger ten ın ten Kirchenväiern nieberge- 
legien Schat nift ganz uabenuͤdt bei Exue lafen, Biele 
terielben aber mubr in ver aac Wap, unmittelbar {εἰδῇ 
«mb ven Duclen zu ihöpien, ic deuten terartige Werke, 
wie We ütrıgend früher When τὰ arisenem und fleinerem 
Umiange aunsgearbeuet wurdea, fr gute Dienſte, unb 
fann icmui dicie Sammlung Frer:gern empichlen werben. 
45. Sue gende WS ubi Bane Xudrer, πατ in fpe 
Gelerer Stiprung ici Zuiammemüclung ες Goltgrube 
für Preriger mar Katedetren (Rr. 151. Bon ber 
Tubngex απ δε audgchent, daß Nr Gebranib ven Gleich⸗ 
nen Wr τοὶ zur Belebung eme Predigtvorttages bei⸗ 
trage, nt Taf gerade ri ὅπ ἄσπετα md Kirchenſchrift⸗ 
πος xn Sh knbuna un Anmwentung ron Gleuhnifien debt 
φημ geweſea down, hat cr gmicrnemwmen, über bie 
wihngüen Glaubens · un? &uncnlehzem Die wem bem ger 
namen Bären mr Sunrjrüclern gebraudten Gleichniſſe 
winmemenzufielen, inbem cr ri und Sleubniſſe aufzu⸗ 
bellenden Borıe alphahernib aniemanveriolgen Lt Der 
vor ims liegenhe ετῆς Band ach zum Abendeaahl bi 
Iungtrauibait: ein gener dol das Ganze abſchließen. 
Das Bud enthäh ziel Schones amr Bramihhaves; indefien 






Vraltiſche Schriften, : 193 


will e& bem Stef. bod) bebünfen, ber Sammler hätte bei 
Ausfuhung ber Gleichniſſe mehr mwählerifh fein, und 
ebenbamit aud) bie Arbeit auf einen Fürzern Raum zus 
fammenfaffen fónnen. — 

16. Die neuefte Heine Schrift von Dr. 3. 8. Hirſcher, 
Beiträge zur Homiletif unb Katechetik (Rr. 16) 
gibt febr beachtenswerthe Winke. Der SBerf. hat ganz 
Recht, wenn er fagt, daß man, wenn man jet aud) bie 
große Wichtigkeit des Vortrags ber Glaubenswahrheiten 
seinfehe, bod) beim wirklichen 9Bortrage nicht immer ganz 
glüdlid fei. Es if unläugbar, daß ein grünblider und 
zugleich mugbringenber dogmatifcher Previgtvortrag große 
Schwierigkeiten darbietet. Entweber fällt man in trodenes 
und unfruchtbares Theologificen, ober in hohles ungründs 
liches Raifonnement gefpidt mit Erelamationen u. dgl. — 
Sirfder Dat wohl bie zwei Puncte richtig angegeben, auf 
welche bei dogmatiſchen Predigten vor Allem gefehen were 
den muß. Er fagt: „Man beabfichtigt bei folder Predigt 
entweder, bie fittlich erwedende und heiligende Kraft, 
welche in ber betreffenden Wahrheit ober Thatſache liegt, 
hervorzuheben und für das Lehen fruchtbar zu machen. 
Dbe man beabfijtigt zunaͤchſt mur, ſolche Lehren ober 
Thatſachen deutlich zu erflären, wohl zu begründen, und 
gegen Zweifel und Ginreben zu fügen." — 

Die Ausführung diefer Puncte ift fehr gründlich unb 
tinfeudjtenb; unb εὖ wird fein Prediger biefe Heine Schrift 
len, ohne, wenn er es nod) nicht ift, von der Nothwendig⸗ 
feit überzeugt zu werben, daß dogmatifche Predigten ges 
halten werden müffen, unb ohne febr nugbare Winke für 
Abhaltung von Prebigten genannter Art zu empfangen. 

Der zweite Heinere Theil unferes Schriftcheng weist 

Sol. Ouartalfärift. 1959. 1, Heft. 13 


194 Sg. Lohola, Pergmahr, Hirſcher u. A. 


auf bie Nothwendigkeit hin, daß ber Katechet feinen Reli- 
giongunterricht ganz an ben Katechismus anſchließe. Ref. 
theilt- hierin ganz bie 9Infidjt des Heren SBerf., daß von 
den Katecheten viel gefehlt wird, indem fle von bem 
Katechismus zu fehr Abfehen nehmen, und daß der fate 
chetiſche Unterricht nur dann tüchtig ertheilt werde, wenn 
er fi) ganz an ben Katechismus anſchließt, bie Worte 
beffelben gleichfam zum Terte und zur firieten Grundlage 
feiner weitern Ausführungen madt. In ben Schulfates 
cheſen foll diefes unnachſichtlich geſchehen; in ben Kirchen⸗ 
fatedjefen bem größern Theile nad. Wenn aber H. Hirſcher 
meint, εὖ Fönnten alle Säge des Katechismus in ber Weile 
und Ausführlichkeit erflärt werben, wie er an Einem Gate 
die Probe gegeben hat, fo fann Ref. nicht einverflanden 
fein. Eine [olde Grünblidfeit läßt fid) weder anftreben 
nod) erreihen. Man fann bie Katechismus Säge und 
Worte erklären unb fo zu feinem Ziele fommen, ohne daß 
man fo weitläufig und einläßlih wird. Leßteres if in 
fo fern nicht möglih, als man fonft ben ganzen Kater 
chismus in ber entfpredjenben Zeit nicht ganz durchgehen 
Könnte. Uebrigens glaubt Ref. gerne, Hirſcher habe mehr 
ein Mufter einer Katechefe (was feine Statedjefe in ber 
That iff) geben als damit verlangen wollen, baf alle 
Säge des Katechismus mit der gleichen Gründlichfeit und 
Ausführlichkeit behandelt werben follen. 

Wegen ber wightigen practifchen Winfe, bie im biefem 
Schriftchen H.'s enthalten find, empfehlen wir fie Predi⸗ 
gern und Katecheten. — 


Bendel. 


Theologiſche 


Quartalſchrift. 


In Verbindung mit mehreren Gelehrten 


herausgegeben 


D. v. Auhn, D. Hefele, D. Welte, D. Bukrigl 


und D. Aberle, 


| 
| von 
| 
| Brofefforen ber fath. Tpeologie an ber X. Univerfitär Tübingen. 


Fünfunddreißigſter Jahrgang, 





Zweites Quartalheft. 


Tübingen, 1853. 


Verlag der H. Laupp' [ὅκα Buchhandlung. 
(Rauyp Siebec.) 


Dead von δ. Laupp je. 


- . 
Abhandlungen. 





1 


Die Hriftliche Lehre von der göttlichen Gnade nad 
ihrem Innern Zufammenhang. 
TI. Artikel. 
' Die Vorherbeſtimmung. 

Die Vorherbeftimmung, wie fle hier genommen wird, 
bezieht fid) auf das Endziel des Menſchen, die Geligfeit, 
und läßt fij) als Lehrfah gefaßt fo auóbrüden: Gott 
befimmt ben Menſchen zur Geligfeit vorher 


und führt biefen Rathf [uf burd Verleihung 
feiner Gnade aus !). 





1) Augustin. de praedest. SS. c. 10, n. 19.: Inter gratiam et 
praedestinationem hoc tentum interest, quod praedestinatio est 
gratiae praeparatio, gratia vero jam ipsa donatio; unb gleich darauf: 
praedestinatio Dei gratiae est praeparatio, gratia vero est ipsius 
praedestinationis effectus. Das abfolute Moment ber Prädeflination, 
das fier nicht ausbrüdlich berüßet if, macht Auguſtin an einer andern 
Stelle durch Herbeiziehung der göttlichen Praͤſcienz bemerklih, de dono 
persev. c. 14. n. 35: Praedestinatio mibil est alind, quam prae- 
scientia et praeparatio beneficiorum Dei, quibus certissime liberan- 
fur, quicunque liberantur. I 


14* 


198 Die crriftliche Gnadenlehre. 


Dis Menſchen Seligkeit ift bedingt durch ten Glauben 
und das ihm gemäße Leben, dadurch, daß fein Wille in 
den Willen Gottes eingeht und in der Glaubené» oder 
Gottesgerechtigkeit bis an'& Ende befattt: qui perseverat 
usque ad finém, salvabitur Matth. 24, 13; andererfeits 
ift fie eine Gnabengabe Gottes: gratia Dei vita aeterna 
Röm. 6, 23. 

Die Frage nun, wie fid) der ewige göttliche Rath 
ſchluß zu unferer eigenen zeitlichen Entſchließung verhalte, 
weist zunächft auf bie einfachere zurüd: wie fid) bie gött- 
fide Gnade ju unferm eigenen Thun verhalte? deren 
Erörterung in dem vorausgegangenen Artifel gegeben if. 
Die hieher gehörigen Ergebniffe des legtern find: 1) Unfer 
Wille ift außer und ohne die Gnade nicht gut, fondern 
wird es erft burd) fie; 2) bie Gnade ift abfolut wirkſam, 
b. f. fie madjt den böfen Willen zu einem guten, wenn 
Gott will, jebod) unbefchadet feiner freien Selbftbeffimmung. 
Aus diefer legten Beftimmung folgt unmittelbar, daß bet» 
jenige, ben Gott felig wiffen will, unfehlbar felig wird 
(nit: felig werden muß, denn dies wäre, ba bie abfolute 
Wirkſamkeit bec Onade unbeſchadet der Freiheit des Willens 
gedacht werben foll, eine contradictio in terminis). Aber 
aud) in jener Baffung verbirgt diefer Schluß einen fehroffen, 
vielleicht unüberwindlihen Gegenfag, der fid) zum Wider⸗ 
ſpruch verfeſtigt, wenn es nicht gelingt, in einem Mittelr 
begriff feine höhere Einheit nachzuweiſen; denn ber andere 
Ausweg, burd) Aufgeben eines der beiden Glieder in ihrer 
weſentlichen Beftimmtheit, alfo entweder ber. abfoluten 
Wirkſamkeit der Gnabe, ober der freien Selbftbefimmung 
des Willens, wäre eine Beeinträchtigung ber Wahrheit des 
Glaubensfages. Auf der einen Seite alfo der göttliche Rath⸗ 


Vor herbeſtimmung. 199 . 


ſchluß vor aller Zeit gefaßt unb im fo fern abfolut vor» 
greifend, feinem Wefen nad) unabünberlid) und unwider⸗ 
tuflich, in feiner Ausführung jedes Hinderniß beflegend; 
auf der andern ber menfchlihe Wille feiner Natur nad) 
frei und nur in fo fern fittfich "gut, al& er in freier Selbſt⸗ 
beſtimmung für das Gute fid entfcheidet, frei daſſelbe durch⸗ 
führt und behauptet bis an'á Ende! Dazu fommt, daß 
das fittliche Leben des Menfchen fein ftetiges, von Tugend 
Mm Tugend fortfehreitendes ift, daß εὖ vielmehr in einer 
tien. Mannigfaltigfeit fittliher Zuftände fid) entfaltet, 
bis e& gulegt feinem Totalwerthe nad) in ber Wagſchaale 
des ewigen Richters abgemogen wird. Einen ſchaͤrfern 
Contraſt kann es nicht geben als denjenigen, in welchem 
die Unveraͤnderlichkeit und Beharrlichkeit des goͤttlichen 
Rathſchluſſes mit ber Veraͤnderlichleit und Wandelbarkeit 
des menſchlichen Freiheitsgebrauches ſteht. 

Der Verſuch, in das Geheimniß ber goͤttlichen Bore 
herbeſtimmung einzudringen, iſt unbedenklich, wenn er den 
vollen und lautern Glaubensinhalt zur Richtſchnur nimmt 
und das Geheimniß des Glaubens bewahrt, wogegen auch 
die formellſte Loͤſung werthlos und verwerflich wäre, wenn 
fie durch Verlümmerung dieſes Inhaltes gewonnen würde. 
Wenn die Gnade Gottes bie wirkſame Urſache des guten 
Willens if, fo ift bie Vorherbeftimmung ſchlechthin unbe 
dingt, abfolut; und umgekehrt. Diefen ^ ungertrennlichen 
Zufammenhang 1) muß man im Auge behalten und nicht 





1) Dies ift es auch, was Schleiermach er in feiner Abhandlung 
über die Gnadenwahl Hauptfächlich zu erweifen gefudt fat. Das 
latheriſche Bekenntniß begeht mad ibm eine unfatthafte Bolgewidrige 
fit, wenn es von bem abfoluten Unvermögen des Menfchen zu allem 
Guten und ber ſchlechthinigen Notäwendigfeit ber Gnade ausgeht und 


200 Die hrifliche Guadenlchre. 


vergeſſen, daß die Annahme eines bedingten, auf das 
Vorherwiſſen des menſchlichen Verhaltens begründeten 
Rathſchluſſes die Wurzel der Gnadenlehre zerſtoͤrt, gerade 
Das, was der hl. Auguſtin 20 Jahre hindurch unter 
bem Beifall unb ber förmlihen Zuſtimmung der Kirche 
feiner und der fpätern Zeit gegen Pelagius als bie diri 
liche Lehre verfochten hat. 

Der ewige göttliche Rathſchluß und bie Freiheit des 
menfhlihen Willens fliehen, wenn fie getrennt unb aufer 
einander gehalten werden, widerſprechend fid) entgegen. 
Auf biefem Standpunkte (ber bloßen Vorſtellung) Tann 
man fagen: wenn εὖ eine über mein Heil entfcheidende 
unabänderlihe Borherbefiimmung gibt, fo werde id) das 
Heil erlangen (ober verfehlen), id) mag thun unb faffen, 
was id) will; umgefehrt, wenn mein eigenes Thun in 


mit der Aufftellung einer bedingten Präbefination unter Berwerfung der — | 
teformirten Lehre endigt. Auf feinem Boden ift ferner unzweifel- | 
Haft gewiß, was er (S. 7) fagt: „Go erſcheint εὖ demnach als eine | 
Gud bet Wahl, ob einer bie Unentbehrlichteit der göttlichen Gnade 
jut Heiligung anerfennen, aber fid dann aud bie frenge Calviniſche 
Ermälungeformel will gefallen laſſen, ober ob er biefer mit ihren 
Bolgen durch die Lutherifche Formel aus bem Wege gehe, aber babel 
auch fid von der Unentbefrlichfeit ber göttlichen Gnade Iosfagen umb 
auf feinen eigenen Süßen (velagianifch) ftehen wil.“ Wir unferes Orts 
befennen und weder zu der Galvinifdjen Präbeftinationslehre noch zu der 
au bem lutheriſchen fBefenütniffe eigenen Gnadenlehre. Die nente 
Behrlichfeit ber göttlichen Gnade zum wahrhaft Guten iſt wie bie abfolute 
Brävefination in einem doppelten Sinne benffar: Im bem Sinne Gab | 
vine mit Ausfchluß der fittlichen Freiheit, im dem Sinne Auguftins 
mit Ginfáfug derſeiben. Es it zwar befannt, wie die proteRantifcen 
Theologen mad) bem Vorgange der Reformatoren den BL. Auguflin clé 
ihren Gewährsmann in biefer Lehre anrufen und ihn der Kirche ent⸗ 
fremden, bie feine Lehre fanctionirt Hat. Dieſe geſchichtliche Unwahrkeit 
beruht auf einer Gonfufion, deren Duelle wir in ver kaum angegebenen 
Difinction zu ſuchen haben. 


παν 


Vorherbeſtimmung. 201 


Abſicht auf meine ewige Beſtimmung nicht gleichguͤltig, bie 
Erreichung derſelben vielmehr weſentlich davon abhängig 
it, bag ἰῷ das Gute erſtrebe und das Böſe meibe, fo 
gibt e& für mich feinem unabänderlihen, über mein Heil 
abfolut entſcheidenden göttlichen Rathſchluß. Dber in 
formeller Faſſung: wenn Gott mein Heil vorausbeftimmt, 
fo muß ἰῷ diefer Beftimmung gemäß handeln und bin 
nicht frei; wenn ἰῷ aber frei bin in meinem ſittlichen 
Handeln, fo beftimmt Gott mein Heil nicht voraus. In 
allgemeinerer Geftalt zeigt fid) derfelbe zum 9Biberfprud) fid) 
fleigernde Gegenfat, wenn das göttliche Vorherwiffen und 
bie Eontingeng ber Welt, bie freien Bewegungen des 
menſchlichen Willens eingefchloffen, Tebiglih neben eins 
ander geftellt werden. Denn wenn Gott. alles vorhermweiß 
in untrüglicher Weife — wie er ed jedenfalls weiß, wenn 
er ein Vorherwiſſen ber zeitlichen Dinge hat — fo muß 
alles fo gefchehen, wie er es vorfermeif, und e8 gibt fein 
tontingentermeife in der Welt Gefchehendes, fein freies 
Sun; umgelehrt, wenn es ein ſolches Geſchehen und 
Thun gibt, fo fann fein untrügliches Vorherwiffen des⸗ 
felben bei Gott ftattfinden. 

Was fol man hiezu fagen? ift feines von beidem, 
oder eines ohne das andere anzunehmen? Das [εἰ ferne! 
Der Hl. Auguftin, dem der. ausgehobene Widerfpruch 
don den abrumetini(djen Mönchen in der Form entgegen» 
gebracht wurde, daß bei der Annahme einer unbebingten 
Süvübeftination bie fittlihe Ermahnung und SBefirafung 
(correptio) Recht und Bedeutung verliere '), gibt zwar 


1) Augustin. de corrept. οἱ grat. n. 4 seqq. n. 11. de dono 
persev. n. 34, 38. 


202 Die chriſtliche Gnadenlehre. 


keine vollſtaͤndige Loͤſung der Schwierigkeit, aber doch die⸗ 
jenigen Winke, deren Verfolgung auf das Richtige leitet 
unb zum befriedigenden Ziele führt. So ſcheinbar bie 
Unverträgligfeit der Vorherbeftimmung Gottes mit ber 
freien Gelbftbeftimmung des Menfhen aud) fein möge, an 
beidem müffe man bennod) unverbrüd)lid) feſthalten. „Sollte 
beffalb geläugnet werben, was offenbar if (nad) difti 
her Lehre), weil es nit begriffen werden Tann? 
Sollten wir beffalb fagen, es ift nicht fo, wovon wir 
einfehen, daß εὖ fo ift, weil wir nicht begreifen, warum 
7 (oder wie) e8 fo RD? So müßte man aud? aufhören 
bie Praͤſcienz Gottes zu glauben, denn man fónnte fagen:, 
ob id) nun recht lebe oder nicht, gilt gleichviel, denn id 
werde eben fo fein, wie mid) Gott vorherweiß. Aber das, 
daß ich nicht begreife, wie meine Freiheit mit der göftlir 
hen Präfrieng zufammenftimmt, gibt mir feinen. Grund, 
diefe zu läugnen" 9. Alſo nicht an bem ift es, daß ber 


1) De dono persev. n. 37.: Numquid ideo negandum est quod 
apertum est, quia comprehendi non potest quod occultum est? Num- 
quid, inquam, propterea dicturi sumus quod ita esse perspicimus, 
mon ita esse, quoniam cur ita sit non possumus invenire? 

2) Ibid. n. 38, 3m feiner Schrift de civitate Dei verfolgt Au⸗ 
gufin dieſen Gegenftand weiter. Alles Gein und Geſchehen in der 
Welt beruht auf einer gemiffen Orbnung und Aufeinanderfolge ber Dinge 
mad) bem Gefege ver Gaufalitát. Wenn daher Gott alles vorherweiß, fo 
fönnen wir Nies nur fo benfen, daß er bie Ordnung unb Aufeinanderfolge 
der Dinge, und folglich auch die Orbnung der Urfachen vorherweiß. IR 
‚aber bie Aufeinanderfolge der Dinge unb bie Ordnung ber Urfachen vermoͤge 
des unfehlbaren’ göttlichen Wiſſens gewiß und feitgeftellt, fo erfolgt alles 
moijwenbig. Allein in ber Reihe ber Dinge und Urfachen, bemerit 
Auguftin (de civit. Dei lib. V. c. 9. n. 3), find auch unfere Willen 
beftimmungen als Urfachen, welche ihre Wirkungen frei fervorbringen. 
Weiß Gott aud) fle vorher, fo weiß er fie ale bie freien Urfaden 
unferer Handlungen. und Werfe vorher. — Quapropter et voluntates 


BVorberbefttimmung. 203 

Olaube.an bem Begriff eine Schranke finden follte, fondern 
umgefehrt bilvet bie Wahrheit eine Graͤnze, bie bem Fort⸗ 
gange ber Grfenntnif gefegt if. — Ueberall, aud) in ber 
+ Ratur, fehen wir uns von Gefeimniffen umgeben. Wollten 
wir nur das zugeben was wir begreifen, ober nur in 
foweit annehmen, als wir e8 mit bem Verſtande erfaffen 
finnen, bann würben alle die Ueberzeugungen, bie uns 
im Leben und Handeln beftimmen, wanfend unb biefeó 
felber der Häglichften Unſicherheit preiógegeben. Unums 
wunden und mit religiöfer Demüthigung vor bem Ge» 
heimniß ber göttlichen Weisheit geftebt der bI. Auguftin, 
fo.oft er an einem folden Puncte angefommen zu fein 
glaubt , fein Nichtwiflen. Non enim-arroganter, sed 


nostrae tantum valent, quantum Deus eas valere voluit atque prae- 
sivit: et ideo quidquid valent, certissime valent, et quod facturae 
sut, ipsae omnino facturae sunt, quia valituras atque facturas ille 
praescivit, cujus praescientia falli non potest (l. c. n. 4). Wie immer 
t ober mit ber Cinheit des göttlichen Vorherwiſſens umb ber menfchlis 
chen Freigeit fi verhalten mag, wir befennen einen fàdjften unb wahren 
Gott (dem daher aud) das Vorherwiſſen nicht abzufprechen), unb fürch- 
tem nicht, daß wir deßhalb ohne unfern Willen thun was wir mit unferm 
Billen tfm, weil ber, deſſen Wiffen untrüglid ift, vorherweiß, was wir 
aus freiem Willen tun (Le. n. 1). Das ftomme Gemüth nimmt 
beides an, befennt beides und beflätigt beides im frommen Glauben 
(Lc n. 2. ef. n. 3). Might darum find wir nicht frei, weil Gott vor» 
herwußte, was wir ftei thun würden; denn nicht hat Der, welcher dies 
vorherweiß, nichts vorhergewußt; fat er aber nicht nichts, fondern etwas 
vorhergewußt, fo iR offenbar unfer Wille frei, den er als ſolchen vorher» 
weiß. Daher zwingt uns nichts, unter Morausfegung des göttlichen 
Vorherwiſſens bie Freiheit des Willens preíójugeben, oder unter Vor⸗ 
ausfegung des freien Willens das göttliche Borherwiflen zu läugnen, 
u$ unftomm wäre; fondern beides befennen wir gläubig 
und wahrhaft, jenes auf baf wir recht glauben, diefes 
iuf daß wir gut leben (I. c. cap. 10. n. 2). 

1) Die Grünje der Erfenntniß des Glaubens ift zwar eine abfolute, 





204 Die chriſtliche Gnadenlehre. 


agnoscens modulum meum, audio dicentem Apostolum: 
O homo, tu quis es qui respondeas Deo (Rom. IX, 20)? 
et, O altitudo divitiarum sapientiae et scientiae Dei! quam 
inscrutabilia sunt judicia ejus, et investigabiles viae ejus 
(θά. XI, 33)! ) Gerade an der Stelle aber, wo er 
das SBefenntni des Nichtwiſſens ablegt, gibt er einen 
Fingerzeig, bem man nur zu folgen braucht, um das Pro 
blem einer tieferen Löfung entgegen zu führen. Die Frei⸗ 
heit des Menfchen, fagt er (l. o.), ift nidt gegen die 
παῦε zu febren, fonbern secundum gratiam zu vertheis 
digen. Der menídlide Wille erlangt die Gnade nicht 
durch feine Freiheit, fondern umgekehrt wird er burd) die 
Gnabe frei. Quando rogavit ergo (Christus pro Petro 
Luc. XXII, 32) ne fides ejus deficeret, quid aliud rogavit, 
nisi ut haberet in fide liberrimam, fortissimam, invictissimam, 
perseverantissimam voluntatem? Wie bie Abhängigkeit de 
Willens von Gott im Acte der Schöpfung unb Erhaltung 
— daß ift der Grunbgebante — feine Selbſtſtaͤndigkeit, feine 
Breiheit (im. formellen Sinne = Vermögen des Guten 
und Böfen) nicht gefährdet, vielmehr als bie Quelle {εἰπε 
Seins und Beftchens in diefer feiner Eigenfchaft zu er 
Tennen ift, fo hebt bie Abhängigkeit des Willens von bet 
Gnade bie wahrhafte Freiheit (das Freifein von ber 
Knechtſchaft der irdiſchen Begierde, das freie, ungehemmte, 
fertige Wollen des Guten), ben guten Willen nicht auf, 


infofern bie völlige Auflöfung feines Inhalts ín die Form bes Willens 
nicht mágli fe ift aber infoferm aud) eine blos fubjertive, als man 
nicht fagen fanm, daß ba wo Giner biefelbe für fid) gefunden, ein weitere 
Vorbringen ſchlechterdings unmöglich fei. Wie weit Hat Wuguflin hierin 
feine Vorgänger nicht Hinter fi gelaffen? 

, 1) De corrept. et grat. c, 8. n. 7. 


Borherbeftimmung. 205 


bit fie vielmehr bewirkt (praeparatur voluntas a Domino, 
Proverb. ὙΠ]. sec. LXX) '). 

So weit führt uns der hl. Augufin, beffen Auffaflung 
wie nur deßhalb hier Furz erwähnen wollten, weil fie 
und zugleich die Schärfe der dogmatifhen Befimmung 
vergegenwaͤrtigt. 

Sinfnüpfenb an bie vorausgeſchickte Darlegung des 
Gegenſatzes, ſuchen wir nun in methodiſcher Entwicklung 
den ihm anklebenden Widerſpruch aufzuloͤſen und ihn ſelbſt 
zur Einheit fortzubeſtimmen. 

Im unmittelbaren Glaubensbewußtſein findet er fid) 
nift; biefeó if eben darum ein unmittelbares, weil in 
ihm ber göttliche Rathſchluß und bie menſchliche Freiheit 
in unaufgefhloffener, unvermittelter Einheit erfaßt und 
fehgehalten find. — Grft wenn auf beffen Inhalt reflectiet 
wird, auf dem Gtanbpunct der SBorftellung, tritt er ins 
Bewußtfein. Diefeg reflectirte, vorfiellende Bewußtſein 
zuht nad) der einen Seite auf dem unmittelbaren Bewußt⸗ 
fein und trennt fomit ben Gegeníag, ben es auſſchließt, 
nit von feiner Einheit [08, παῷ der andern Seite drängt 
τὸ über fid) felbft und damit über ben Gegenfag hinaus; ber 
entwidelte Gegenſatz fordert bie vermittelte Einheit. 
Zu diefer erhebt fid) ber benfenbe Geift auf ber dritten 
Stufe, auf der des begreifenden Erkennens. Das ift es, 
was man bie Dialectit des Bewußtfeins, ober vielmehr 
des zur wiffenden Einfiht fortfchreitenden Erkennens zu 
nennen pflegt. Der dialectifhe Verſtand unterfcheidet, 





1) Possumus ei volumus, sed non volumus (bonum), misi 
praeparetur voluntas a Deo. August. retract. lib. I. c. 10. n. 2. — 
das df das Geheimniß ber Auguſtiniſchen Gnadenlehre. Bergl. de 
spirit, e& litera c. 91. n. 53 u. 54. Op. imperf. c. Julian. lib. VI. c. 10. 


206 Die chriſtliche Ginabenlefre. 


fonbert; er zerlegt das Ganze in feine Theile, Töst die 
Einheit in die Mannigfaltigfeit und Gegenfágtidfeit auf, 
nicht um fle zu zerſtoͤren, fonbern ihrer in einer andern 
Form habhaft zu werden. Urfprünglih if die Einheit 
und das Ganze; dad Mannigfaltige, Verſchiedene, Ent: 
"gegengefeßte gebt aus ihnen hervor, nicht um in biefem 
fi zu verlieren oder gu gerrinnen wie die Quelle im 
Sande, fondern auf ibm und aus ihm fid) wieberherzu- 
ſtellen als concrete Einheit und Ganzheit. Dies ift die 
dialectiſche Technif, welche in allen fperulativen Erkennt 
niffen zur Anwendung fommt ἢ) unb aud) ber folgenden 
Entwidlung, bie wir num in freierer Weife fortführen, 
zu Grunbe liegt. 

Die Begriffe der göttlichen Praͤſcienz und Praͤdeſti⸗ 
nation find in unferm religidfen Bewußtfein eben fo feft 
begründet, als der Begriff der Gigenmadot in unferm Selbſt⸗ 
bewußtfein und ber ber fittliden Freiheit in unferm ſitt⸗ 
lichen Bewußtfein (Gemifen). Hat fi) nun ergeben, baf 
göttliche SBrábefination und menſchliche Freiheit nicht bes 
ſtehen fónnen lediglih außer» und neben einander, 
fo folgt daß wir fie ans und ineinanber benfen müffen, 
jebod) unbefchadet des wefentlihen Gehaltes ihres gegen 
fágliden Verhaltens. Wollten wir dieſes ſchlechthin nes 
giten, fo würben wir freilich des aufgebedten Widerſpruchs 
der menfihlichen Breiheit mit der göttlichen Vorherbeſtim⸗ 
mung gründlich los, aber aud) auf eine Weltanficht Hin 
ausgetrieben, ber ber menſchliche Geift von Haus aus 
widerſtrebt, weil fie feinen religiöfen und fittlihen Grunds 
Überzeugungen unb Intereſſen den Krieg erklärt. Denn 


1) Vergl. meine Ginfeltung in die Dogmatik €. 45 ἢ. 


Vorher beſtimmung. 207 


ob man, was als nothwendige folge einträte, bie menſch⸗ 
lie Selbfiftändigfeit und Freiheit in bem abfoluten gótt« 
liden Wefen vernichte (Syſtem des afosmifhen Pantheis⸗ 
mud)!y, ober umgefehrt bad Abfolute in die Endlichkeit 
hereingiehe und darin auflöfe (Syſtem des, atheiftifhen 
Bantheismus) 2): beides ftebt in gleich unheilbarem Wider⸗ 
fprude mit jenen Ueberzeugungen und Intereffen. 

An folhem Vorſchreiten hindert uns bie wefentlide 
Wahrheit; daſſelbe kann daher aud) fein Bebürfniß unferer 
Erfenntniß fein. Zwar hat man fid allerdings über ben 
Oegenfag der göttlichen Vorherbeſtimmung mit ber 
menſchlichen Gelbfibeftimmung zu erheben, aber babei fann 
Tit bie Abſicht fein, benfefben aufzulöfen, als unwahr 
du vermerfen; er if im unmittelbaren Bewußtfein, im 
Glauben begründet und muß in feiner wefentlichen Wahr⸗ 
beit erhalten werben. 

Die Einheit daher, auf welde bie Grfenntnig bins 
fibt, kann nicht bie Identität fein, in ber bet Gegen» 
ín völlig untergegangen ift; c6 muß bie Einheit im 
Unterfäiede fein, b. B. bie Unterordnung ber 
menſchlichen Eigenmacht unter bie göttliche Allmacht, ber 
freien Selbſtbeſtimmung unter bie Vorherbeftimmung. Der 
menſchliche Wille ift gar Princip feiner Handlungen, ba 
tt ohnedies nicht frei wäre, aber er ift nicht unbedingtes 
Prineip wie ber göttliche Wille; er ift war ſelbſtmaͤchtig, 
aber nicht allmaͤchtig; vielmehr beruht feine Selbfiftändig« 
fit auf Abhängigkeit, wie in phyſiſcher fo in fittlicher 
Beiichung. 

1) De Bräbeflinationiomus Hat, wie wohl unbewußt, im biefem 
Spfteme feine Wurzel. 


2) Bergl. Hegel, Enchflopäble der fit. DB. 3te Ausg. 5.573 
M. €. 592, begreiſſich mur hinſichtlich des obigen Sprachgebrauch. 





"doe Die chriftliche Gnadenlehre. 


Dieſes allgemeine Ergebniß iſt nun theils näher zu 
entwideln, theils weiter zu begründen. 

Säelling, in feinen ,pbilofopbifden Unterfuchungen 
über das Wefen der menſchlichen Freiheit“ 1) und mit im 
Alle, woelde eine reine Grfenntnig, ein das Gebeimnif 
befeitigendes, ben Glauben überflüffig madendes Wiſſen 
anftreben, halten bie Art ber Löfung fpeculativer Kragen, 
wie fle in bem Bisherigen in Betreff der göttlichen Vor⸗ 
herbeftimmung und menſchlichen Selbfibeffimmung verfudt ' 
worden, für unvollftändig und ungenügend. Schelling be 
merkt (a. a. DO. ©. 403): „Die meiften, wenn fte auf 
richtig wären, würden geflehen, daß wie ihre Borftellungen 
beſchaffen find, die individuelle Freiheit ihnen faft mit allen 
Gigenfdjaften eines hoͤchſten Wefens im 9Biberfprud) fdjeine, 
% Ὁ. ber Allmacht. Durch bie Freiheit wird eine bem 
Princip nad) unbebingte (?) Macht aufer und neben ber 
goͤttlichen behauptet, welche jenen Begriffen zufolge un 
denkbar if. Wie die Sonne am Firmament alle Himmels⸗ 
liter auslöfht, fo unb nod) viel mehr bie unendliche 
Macht jede endliche (I). Abſolute Gaufalitàt in Einem 
Weſen läßt allen andern nur unbebingte Paffvität übrig ?). 
Hiezu kommt die Dependenz aller Weltwefen von Gott, 
und daß felbft ihre Kortdauer nur eine flets erneute Schoͤ⸗ 
pfung ift, in welder das enblidje Wefen bod) nicht als 
ein unbeftimmtes Allgemeines, fondern al biefes beftimmte, 


1) Philoſophiſche Schriften 1. 80. Landshut 1809. ©. 399 ἢ. 
Gine höchn Lefrreiche Abhandlung: non verum docendo quod nesciunt 
philosophi, sed ad verum quaerendum theologos excitando — wenn 
es erlaubt if, das Wort Auguſtins Ge vera relig. c. 8) in biefer 
ffüeife umzubeuten. 

2) Diefer Gedanke iR ble außgefprodene Grundlage der Galvinis 
fen Praͤdeſtinationslehre. 


Vorherbeſtimmung. 200 


einzelne, mit ſolchen und feinen andern Gedanken, Bette 
bungen und Handlungen produeirt wird. Sagen, Gott 
halte feine Allmacht zurüd, damit ber Menſch handeln 
fönne, ober er.laffe die Freiheit zu, erklärt nichts: zoͤge 
Gott feine Macht einen Augenblid zurüd, fo hörte ber 
Menf auf zu fein. Gibt es gegen biefe Argumentation 
einen andern Ausweg, als den Menſchen mit feiner Breis 
heit, ba fie im Gegenfag der Allmacht undenkbar if, in 
das göttliche Wefen felbft zu retten, zu fagen, 
baf ber Menſch nidt außer Gott, fondern in 
Gott fei unb daß feine Thätigfeit felbft mit 
jum Leben Gotteó gehöre?“ 

If dies ber einzige Ausweg, bann ift aud) der Ban» 
theismu8 vie einzige, bie allein wahre Philofophie. Und 
wenn Dies, was folgt weiter? Da beginnt ein neuer, 
gewiſſermaßen exoterifcher Streit über Wirfung und Werth 
dieſes philofophifchen Syſtems. Während feine Anhänger 
daſſelbe im Einklang wiffen mit ben unmittelbaren Ueber 
zeugungen, mit den religiöfen und fittlihen Intereffen des 
menſchlichen Geiftes, ja felbft behaupten, daß, diefe für ben 
denfenden Geift nur in ihm eine ſichere Stätte finden, 
glauben anberé, εὖ fei gerade biefe Denfweife das Grab 
jener Ueberzeugungen, fte [εἰ fataliftifh und atheiſtiſch '), 
womit wir übereinftimmen. Hier ift, wie fonft nirgends, 
ein gemeinfamer Boden, auf bem fid) bie fonft toto coelo 
verſchiedenen Cyfteme begegnen, ein Punct, wo wir ben 
Hebel anfepen koͤnnen. Auch Schelling anerfennt, was 
fein Philoſoph läugnen follte: „ein Syftem, das ben heilige 
fen Gefühlen, dad dem Gemüth und fittlihen Bewußtſein 


1) Jacobi über die Lehre des Cpinogs. 9868. IV. 1. ©. 216. 


210 Die chriſtliche Gnadenlehre. 


widerſpricht, Fönne, in dieſer Eigenſchaſt wenigſtens, nie 
ein Syſtem der Vernunft, ſondern nur der Unvernunft 
heißen" (S. 507). Läugnen, daß die Philoſophie von 
den wefentlihen Grunbübergeugungen des Geiftes, davon 
eine das Bewußtfein der fittlihen Freiheit des Willens 
ift, auszugehen habe, hieße in ber That fid) den Boden 
unter den Füßen felbft wegziehen; und fo weit hat fif 
unſers 9Biffen fein Syftem verirrt, aud) fein pantheiftifches, 
obgleich biefe durchaus in centvifugaler Richtung verlaufen 
und nie wieder zu biefem ihrem Anfangspunct zurüdfehren. 
Dennoch ift jene 9feuferung nicht fo ernſtlich gemeint als 
fie lautet. Denn wenn bie moniftifhe Philofophie von 
jenen Ueberzeugungen der Vernunft ihren Ausgangspunct 
nimmt, fo ift fie bod) nit gemeint, fie als binbenbe, 
bleibende Bafis, als das Gentrum um das fie zu roticen, 
als bie Sonne von der fie ihr Licht zu empfangen habe, 
anzuerkennen. Unter der Hand verändert fid) ihr die Aufr 
gabe, wandeln fid) die Grundbegriffe der Vernunft in ihr 
Gegentheil um, weil nur fo fie zu ihrem Ziele, jenem 
reinen Wiſſen gelangt, aus bem ber Gegenfag und übers 
haupt alles Incommenfurable verbannt ift. 

Diefe abfolute Grfenntnifart, in ber man fid) über 
die Orundwahrheiten ber Vernunft hinwegfest, fo zu fagen 
auf feine eignen Schultern fleigt um eine weitere Ausfiht 
ju gewinnen, ift. fein Bebürfniß für ben menfchlichen Gift 
und fann niemals allgemeine Anerkennung fid) verfdaffen. 
Sie erbaut nidjt das Syſtem der Vernunft, fondern ber 
Unvernunft in dem Sinne, daß fle bie Grängen der Wahr 
heit überfd)veitet. Das ift der Wall in ber vorliegenden 
frage, wenn .bie Freiheit des menſchlichen Willens, 
‚indem fie ald Moment in das göttliche Wefen hineinger 


Vorherbeſtimm ung. 211 


nommen, mit ber Nothwendigfeit des göttlichen Seins 
identificirt wird. 

Wäre die Freiheit eine dem grind nad) unbebingte 
Stadt, fo fónnte fie freilich aufer Gott für fid) feiend nit 
gedacht werden; bie abfolute Macht Gottes ſchließt alles 
in fid was in biefer Eigenfchaft eriftirt, daher man noths 
wendig ber menfchlichen Freiheit entweder biefe Eigenfchaft 
abfprechen oder aufhören muß, fie als etwas für fid, 
als eine felbftftändige Eriftenz aufer Gott zu betrachten. 
Das fegtere ift unvollgiehbar; jeder derartige SBerfud) 
fheitert an dem menſchlichen Selbſtbewußtſein. Wir find 
aber nicht in biefe Alternative eingezwängt: bie menfchs 
fife Freiheit ift feine bem Princip mad) unbebingte 
Naht; fte ift eine Macht von fi) aus zu handeln, einen 
Zuſtand anzufangen; fie ift ein reelles Princip, aber bes 
dingt und abhängig, und abhängige Selbftftändigfeit ift, 
tie wir bald fehen werben, fein widerſprechender Begriff. 
Sud; von ber andern Seite betrachtet, tritt ung Fein Wider 
Íprud) entgegen. Die abfolute Gaufalitát Gottes hebt fo 
wenig bie Selbftftändigfeit des Endlichen auf, baf fie vicl» 
mehr Grund und Quelle berfelben ift. Eben weil. bie 
Dinge von Gott dependiren, von ihm gefdaffen unb ers 
halten find, fo find fie ihres Dafeins und ihrer Selbſt⸗ 
fünbigfeit fiher. Eine Gaufalitát, die lauter Baffivitäten 
ſeht, ift feine abfolute, eine Macht, bie nur Unmächtiges 
ſchafft, Feine Allmacht, von ber göttlichen Liebe gar nicht 
u reden, ber ein ſolches Verhaͤltniß der Creatur, zu reiner 
Paſſivitaͤt beſtimmt zu fein, widerſpricht. Wie die irdiſche 
Sonne die Himmelslichter nicht auslöſcht, ſondern nur 
uͤberſtrahlt, wie fte vielmehr ben Weltkoͤrpern ihres Syſtems 
Grund und Duelle des Lichtes ijt, alfo loͤſcht aud) bie 

Ses. Quartalſqhriſt. 1859. 11, Hefte 15 


212 Die qhriſtliche Gnadenl⸗hre. 


goͤttliche Sonne die irdiſchen Lichter nicht aus, die gerade 
in ihrem Lichte leuchten, ohne daß ſie ſelber dadurch an 
Glanz verloͤre. 

Das iſt wahr, wenn man das Endliche begreifen 
will, fo darf man es nicht im Gegenſatze gegen das 
Unendliche betrachten. Denn begriffen !) wird etwas nur, 
wenn es auf feinen Grund zurüdgeführt und aus ihm 
erkannt wird. Das ift das Verhaͤltniß der@inheit über 
dem Gegenfag, zu der man fid) erheben muß, der Unter 
orbnung bes einen Gliebeó befjelben unter das andere, 
der Abhängigkeit des einen vom andern. Ihm ſteht 
entgegen das Verhaͤltniß ber Ipentität, das bie pam 
theiftifche Speculation als das wahre aufftellt. Um bie 
menſchliche Freiheit, bie im Gegenſat gegen bie göttliche 
Allmacht nicht beſtehen fann, ungefährdet zu erhalten, 
müffe man fte, meint Schelling, in das goͤttliche Wefen 
tetten. Und allerdings, was in dem göttlichen Weſen 
feine Stelle findet, ift unvergängli und fann nicht nicht⸗ 
fein; es ift nothwendig, wie biefe& felber. Allein folie 
Rettung fommt bem Verberben, der Vernichtung gleich. 
Endliches verträgt die göttliche Herrlichkeit nift. Was 
im göttlichen Wefen ift und weflen Thätigfeit mit zum 
Leben Gottes gehört, Tann ſchlechthin nicht außer unb vers 
ſchieden von Gott, in fid felbft und für fid) feienb bes 
griffen werden. Diefes Bürfichfein ift e aber, was das 
Selbftbewußtfein des Menſchen für feine eigene Grifteny 
und das fittlihe Bewußtfein für bie Freiheit des Willens 
in Sinfprud) nimmt, und was feine Speculation angu 


1) Das Begriffenfein ift der Inhalt des Begriffs, von bem 
et feinen Namen fot. Das nämlich if begriffen, deſſen Begriffenfein 
in einem andern erfannt wird. 


Borherbeflimmung. 213 
taſten berechtigt if. Wie ber Menſch überhaupt nicht 
aus dem göttlichen Wefen emanirt, fondern burd) einen 
freien Act des góttliden Willens ift, fo aud 
fein Wille, feine Freiheit. IA e& alfo für den fpeculativen 
Begriff, für bie Erflärung des Endlichen ſchlechthin ge» 
fordert, fein außer Gott Sein (extra et praeter Deum) 
auf ein Sein in Gott, feine Selbfiftändigfeit auf bie Abs 
hängigfeit von Gott zurüdzuführen; fo muß ber göttliche 
Billensact und nicht das göttliche Wefen als deren 
Quelle und Grund erfannt werden. Unter Zugrundles 
gung ber Ipentität, des Subftantialitätsverhält- 
niffe& zwiſchen Gott und Welt wird ed, von allem andern 
abgefehen, niemals gelingen, das felbfiftünbige Dafein 
Individualität) der weltlichen Dinge, unb am allerwenigs 
fen die Freiheit des menſchlichen Willens zu begreifen 1). 
3n das göttlihe Wefen und Leben verflodten, verhalten 
fe fid) nur als Momente beffefben; das göttliche Weſen 
ſelbſt aber hört auf eim perfónlidjed, unabhängig von ber 
Belt für fd feiendes und in fid) abgeſchloſſenes zu fein, 
(ὁ if in bem Begriffe der abfoluten Subftanz, des all 
gemeinen @eiftes feiner Selbſtheit entkleidet. Das find 
die Klippen am denen ber Pantheismus ſcheitert, bie 
Sylla der Selbftlofigfeit des Endlichen unb bie Charybdis 


.1) Belaunt i bas Wort des größten beutffjen Philoſophen, 
keibnig: „Wenn fene Monaben wären, fo hätte Cpinoja redit" 
(Leibmiteii opp. ed. Dutens, Tom. IL p. 327). Das Princiy ber 
Invividmation, das durch die ganze endliche Welt herrſcht, flieht 
den Bantheiemus aus. Sft man dieſes Princip fallen, wie es ber 
Pausheisnus ia allen feinen Bormen tun muß, wm ben Gingang ju 
f ſelber μὲ finden, fo iMt fid) alles außer Bott in bloße Aeccidenzen 
und Modiſicatlonen ber allgemeinen, einen gottlichen Gubflang auf. Bol 
Leitaite. Opp. Tom. IL P. IL 452 sed. 


15* 


214 Die qhriſtliche Gnadenlehre. 


der Unperſoͤnlichleit des Abſoluten. Auch ſind die beſon⸗ 
ders von Schelling gemachten mannigfaltigen Verſuche ven 
dem Princip der Identitaͤt aus das Problem der Specu⸗ 
lation zu loͤſen vollſtaͤndig mißlungen !), bis er zuleht 
ſelbſt fi ju der Einſicht bekannte; daß das MWentitaͤts⸗ 
ſyſtem einſeitig und negativ, durch ein zweites, die Tran⸗ 
ſcendenz Gottes unb das Cauſalitaͤtsverhaͤltniß zwiſchen 
ihm unb ber Welt zur Vorausſehung nehmendes poſitives 
Cyftem zu ergänzen fei, — was freilich wieberum nicht 
zum Ziele führte 9. 

„Abhängigkeit hebt Selbfiftändigfeit, hebt fogar Frei⸗ 
heit nicht auf" 5): das ift bie Wahrheit, mit deren An 
erfennung das Gebiet der Sperulation betreten und 
namentlich unfere in fpeciell beftimmter Weife vorliegende 
Trage ihrer Löfung entgegengeführt wird. Die Abhängig 
trit vom abfoluten Willen nämlich, in feiner Dreifachheit 
als fhöpferifcher, erhaltender und regierender (vor » und 
verfehender) Wille, im Unterfhieve von bem abfoluten 
Wefen und feiner Dreiperfönligkeit, folglich, da ber 
göttliche Wile am fij ibentiff ift mit bem göttlichen 
Weſen, bie Abhängigkeit Bon ber göttlichen Willens be 
fimmung, bem göttlichen Willensa c t— fie ift bie Lebens⸗ 
quelle alles Endlichen unb fo aud des freien menfchlichen 
Willens. Weit entfernt alfo, bag die Individualität unb 
eigene freie Bewegung ber enblidjen “Dinge, insbefondere 


1) Bergl, meine Schrift: Jacobi unb die Philoſophie {ἐν 
ner Zeit. Mainz 1834. ©. 534 ff. 

2) Vergl. meine Abhandlungen über Schellings nego 
tive, pofitive und Dffenbarungsphilofopgie, in der Quarts 
Sqhrif Sag. 1844. €. 57 ἢ. 179 ῇ. Jahıg 1845. ©. 1 ἢ. 

3) Selling a. α, Ὁ. €. 418. 


Vorherbeſtimmung. 215 


eine freie Bewegung des menſchlichen Willens in Wider⸗ 
ſpruch treten ſollten mit der abſoluten Willensbeftimmung }), 
etlennen wir in dieſer vielmehr ihren Erflärungsgrund, 
die höhere Einheit, zu welcher der Gegenfag ber blos vors 
fellenden Grfenntni in ber begreifenden fid) fortbeftimmt, 
und in biefem Fortgang des Widerfpruches [o8 wird, wos 
mit er dort behaftet ift. 

Indem wir aber folhermaßen den enblihen Willen 
in fhlechthiniger Abhängigkeit von bem abfoluten benfen, 
fo entftehen uns neue und ganz eigenthümliche Schwierig⸗ 
keiten, bie in der bisherigen allgemeinen Betrachtung nod) 
nit einmal ausdruͤcklich angezeigt, viel weniger wirklich 
gelöst find. In ber $Borferbeftimmung unb bet ihr 
gemäßen abfoluten Wirffamfeit der göttliben Gnade ift 
lediglich eine Abhängigfeit des guten Willens von Gott 
gefeßt; und erft baburd), bag wir von ber Vorherbeftimr 

. mung gu bem allgemeinern Problem des göttlichen Vorher⸗ 
wiſſens übergingen, haben wir ben menfchlihen Willen 
überhaupt, alfo den guten wie ben böfen, wenn aud) 
nit direct abhängig don Gott, b. 5. von ihm verurfacht, 


1) Bon Duns Scotus wird erzählt (Döllinger in bem Preis 
burger Kicchenlerifon s. v.): Auf einer feiner Reifen in England Babe 
an einen mit Gen. be[djáftigten Bauer Worte religiöfer Mahnung 
gerichtet. „Wozu mahnft du mich“? fagte ber Bauer; „wenn Gott 
voransgefehen Hat, bof ich felig werde, fo werbe ich es unfehlbar, ich 
mag Gutes oder Böfes thun, hat er aber meine Verdammniß voraute 
gefehen, fo kann mich nichts von berfelben erretten.“ Scotus erwiderte: 
u Benn das Wiffen Bottes, wie du meinft, Alles unabänderlich nothe 
wendig macht, wozu fáeft du? Hat Gott vorausgefehen, daß hier Ges 
trade wachfen wird, fo wird εὖ wachfen bu magft fäen ober nicht fäenz 
und fo umgefehrt, alfo ift deine Arbeit vergeblich". So alfo führte 
Scotus den Bauer ad absurdum und damit zur Anerkennung obiger 
Wahrheit. 


216 Die chriſtliche Gnadenlehre. 


fo bod) in folder Weiſe in feiner freien Bewegung ber 
gránjt gedacht, daß berfelbe Gegenfag, ber in Anfehung 
des guten Willens auf jener Seite fid) aufthat, in Ans 
fehung des freien Willens überhaupt auf biefer Seite 
zum Vorſchein fam. Während nun in ber Frage ber gótt 
lichen Präfeienz die Schwierigfeit birect auftritt, wie ber 
freie Wille als Vermögen des Guten und des Böfen von 
Gott abhängig gedacht werben Fönne, fo flellt fid) biefelbt 
Schwierigkeit in der fpeciellen Stage von ber göttlichen 
SBrübeftination indirect ein, baburd) nämlich, daß wir, um 
bie Abhängigkeit des guten Willens von Gott unbefchabet 
feiner Freiheit begreifen zu können, den menſchlichen Willen 
überhaupt ober den freien Willen auf den göttlichen 
als feine Quelle und feinen Grund zurüdzuführen hatten. 
Das alfo ift, wenn wir in der Löfung des Problems ber 
Praͤdeſtination nicht bei jenem allgemeinen Ergebniffe flehen 
bleiben dürfen, bie num auftretende neue Schwierigkeit: 
wie ber freie Wille des Menſchen, ba er als folder δα 
Vermögen des Guten und des Böfen, von Gott, defien 
Wille ald der abfolut lautete und heilige allem Böfen 
fremd ifi, abhängig gedacht werben koͤnne. 

Das Vermögen des Guten und Böfen, welches der 
freie Wille ift, wird nicht in feiner wefentlihen Wahrheit 
erfannt, wenn εὖ als reine Indifferenz, als unlebendiges 
Bahlvermögen gefaßt wird, fo bag das Wefen des freien 
Willens eben darin beftände, fij ſchlechthin gleichgültig 
gum Guten und Böfen zu verhaften, und erft anderswoher 
Antrieb und Kraft empfangen müßte, um eine lebendige 
Wurzel des fittlihen Gegenfages zu werben. Der freie 
Wille ift diefe Ichendige Wurzel 1), feine blos paffive, 


1) Der 8L Auguftin ſcheint (de grat. Christi c. 16 seq.) biet 


Vorherbeſtimmung. 217 


ſondern bie active Caparität für das Gute unb Boͤſe; 
und wenn gleich der Wille auf fij allein geſtellt nicht 
über den Zuftand ber Potentialität hinausfommt (borig. 
beſt S. 84), fo ift das, was ihn darüber hinaus» und 
in das Gute ober Böfe hineinbringt, fomme es nun von 
dem Menſchen felber oder von außenher, bod) mur eine 
fole Bewirkung des Guten ober Böfen in ihm, der er 
widerſtehen fann und bie er durch freie Selbſtentſcheidung 
(activ) fid gu eigen madt. Indem man aber fo im 
Intereffe der Freiheit des menfchlihen Willens jeber Auf⸗ 
feffung entgegentritt, wodurch das ihm einwohnende fitt» 
li$e Vermögen auf eine unlebendige, inbifferente oder 
yaffive Kraft Derabgebrüdt würde; fo erheben fid) dagegen 
af der andern Geite Bedenken von fo hohem Belange, 
deß kaum abzufehen ift, wie jener Forderung eine Genüge 


Begriffe der Freiheit entgegenjutreten; (m ber That ifl e& aber mur bie 
belagtanifche Anwendung beflelben, ber er, und mit vollem echt, 
wöerfpricht. Pelagius behauptete nämlich (I. c.), bit possibilitas boni 
δἰ mali fomme von Gott, bem wir bie Staturgabe ber Freiheit verbaufen, 
das Gute und Böfe aber als ein Wirkliches vom Menfchen, unb {εἰ 
Vjüglid bes Guten wie des Böfen Lediglich das Θτρεθπίβ 
W$ Gebrauche, den er von feiner Freiheit made. Die vom Menfchen 
xehandhabte Freiheit alfo ift nach Belagius ble eine und gemeinfame 
Burzel des Guten und Böfen. Diefen Begriff der Freiheit verwirft 
Auguſtin ale der evangelifchen und apoftolifchen Lehre widerfprechend. 
Bon dem Guten und Böfen fat mad) ihm jebes feine eigene Wurzel, 
Tub beide Fommen nicht in gleicher Weife vom Menſchen. Die von 
Gott gepflanzte charitas if die Wurzel des Guten, bie ans ber 
Gelönfucht des Denfhen kommende cupiditas die Wurzel des 
Büfen. Mber der Wille ift fähig, beide Wurzeln in fi aufzunehmen, 
mb im Ginne viefer capacitas utriusque radicis gibt Muguflin bem 
Begriff der Freiheit als possibilitas boni et mali zu. Diefe Gapacitát 
a8 eine bloße Paffivität zu verſtehen, wiberfpräde dem ganzen 
anguftinifchen Syſteme. Vergl. voriges Heft ©. 85. 


218. Die riftliche Gnadenlehre. 


geſchehen koͤnne. Sft es nämlich auf bem Boden des 
Hriftlihen Glaubens ſchlechthin unzuläffig, für die Freiheit 
des menfhlihen Willens einen aufergóttIiden Ur 
fprung anzunehmen, fo ift, indem diefelbe auf Gott zurüds 
geführt wird, eben damit das in ifr enthaltene Vermögen 
des Böfen als eine göttliche Gabe betrachtet, unb. dies 
ſcheint mit ber Heiligfeit Gottes völlig unverträglic zu 
fein. Denn eine Theilung in der Art, daß, gleidjmie 
bie gute That der göttlichen Gnade, bie böfe dagegen 
bem menſchlichen Gigenmillen zuzuſchreiben ift, alfo aud 
das Vermögen des Böfen [ebiglid) vom Menfchen und 
nur das des Guten von Gott herzuleiten wäre, fann 
offenbar nicht verfuht werden, ba das Vermoͤgen des 
Böfen von dem des Guten unjertrennfid, und der: menfe 
lichen Freiheit weſentlich ift, in Einem beides zu beſihen, 
dies zweiſchneidige Schwerbt zu fein. Sind nun bie 

gnoftifden Ausflücte, wie faum bemerft, von vorne 
herein abgefdnitten, — auf die ohnehin Heutzutage nicht 
leicht Jemand zurüdfommen möchte, wiewohl es Dualiften 
gibt, bie bei ungehemmter Confequenz darauf hinausge 
führt werben — fo fann man verfucht fein, bie Realität des 
Böfen abzuſchwächen und es als etwas blos Negatives zu 
faffen, um auf ſolche Weife der Verlegenheit zu begegnen, 
welde aus ber Zurüdführung ber Freiheit auf Gott ent. 
-fpringt. Allein aud) biefer Verſuch ift mit Schwierigkeiten 
verbunden, bie faum leichter wiegen αἵδ᾽ diejenigen, zu 
deren Befeitigung fie gemacht find. Denn je mehr man 
die Realität des Böfen abſchwaͤcht und baffebe auf einen 
blos negativen Werth herabſetzt, befto ſchwerer wird e$, 
ben Begriff der fittlihen Freiheit und einer fittlichen Welt 
ordnung aufrecht zu erhalten, Auch fommt man, abge 


SBorferbefimmung. 219 


hen von biefer unb ben damit zufammenhängenden Schwies 
tiftiten auf bem eingefdjlagenen Wege nicht zu bem vot» 
gritdten Ziele. Denn wie weit man aud) das Richtfein 
ae das blos negative Sein des Böfen fleigern mag, 
immer muß etwas zurüdbleiben, beffen Pofition und Reas 
Int auf Gott zurüdgeführt das lautere Wefen Gottes, 
wenn auch in minderem Grade als bei bem vollen Bes 
gif des Böfen, zu trüben droht. Nur wenn man bes 
tchtigt wäre, den reellen Gegenfag zwifhen Gut und Bös 
gu aufzuheben unb einen von bem gewöhnlichen gänz« 
Ih verſchiedenen Begriff des Iegtern, eben damit aber 
t$ des erſtern aufzuftellen 4), könnte auf bem einges 
ſtlagenen Wege hie Löfung des Problems ermöglicht 
vnden. 

Wenn demnach weder ein außergöttliher Urfprung 
fir den endlichen Willen angenommen, nod) bie in ihm 
figende Potenz des Böfen unter ihrem wahren Werthe 
angeſchlagen werben darf, fo ift e& zwar nur bie Mögr 
ligfeit des Böfen, bie auf Gott zurüdfällt, während bie 
Verwirklichung beffelben des Menſchen freie That ift; 
"en man fann nicht Iäugnen, was Auguftin fagt, daß 
io das Böfe, wenn aud) aus großer Entfernung, von 
Üott herfommt (non parvo intervallo peccata referuntur 
in Deum) 9. Offenbar fann ferner, wenn [ebiglid) bie 

1) Wie dies im Spinozismus gefchieht und im Pantheiemus übers 
[πυρὶ unvermeidlich if. Das Böfe ift ihm zufolge von bem Guten. nicht 
T fondern mut grobuell verfdjieben; es ijt eine Poſition, eine Boll 
lenmenfeit wie dieſes umb alfo am fid) gut, aber alß eine geringere 
Berfection erfcheint es im Vergleich mit der größern, bie man bos 
Gate zu nennen pflegt, mangelhaft und infofern nicht gut, alfo böfe. 
Seg. Shelling c. o. Ὁ. ©. 424, 

2) De liber. arbit. L n. 4: Credimus ex uno Deo omnia esse 
Tue suni; et tamen non esse peccatorum auctorem Deum. Movet 





212 Die qriſtliche Gnabenlchre. 


göttliche Sonne bie irdiſchen Lichter nicht aus, bie gerade 
in ihrem Lichte Teuchten, ohne bag fie felber dadurch an 
Glanz verlöre, 

Das if wahr, wenn man das Gnblije begreifen 
will, fo darf man εὖ nicht im Gegenfage gegen das 
Unendliche betrachten. Denn begriffen !) wird etwas nur, 
wenn εὖ auf feinen Grund zurüdgeführt und aus ibm 
erfannt wird. Das ift das Verhältniß der@inheit über 
bem Gegenfag, au der man fid) erheben muß, der Unt er⸗ 
ordnung beó einen Gliedes befjelben unter das andere, 
der Abhängigkeit des einen vom andern. Ihm ftebt 
entgegen das Verhaͤltniß der Identität, das bie pan» 
theiftifhe Speculation al$ das wahre aufftelit. Um bie 
menſchliche Breiheit, bie im Gegenfag gegen bie göttliche 
Allmacht nicht beſtehen fann, ungefährbet zu erhalten, 
müffe man fte, meint Schelling, in das göttliheWefen 
retten. Und allerdings, was in bem göttlichen Weſen 
feine Stelle findet, ift unvergänglih und fann nicht nichts 
fein; e8 ift nothwendig, wie diefes felber. Allein folche 
Rettung fommt bem SBerberben, ber Vernichtung gleich. 
Endliches verträgt die göttliche Herrlichkeit nift. Was 
im göttlichen Wefen ift unb weſſen Thätigfeit mit zum 
Leben Gottes gehört, fann ſchlechthin nicht außer unb vers 
ſchieden von Gott, in fid) felbft unb für fld feiend bes 
griffen werben. Diefes Bürfichfein ift εὖ aber, was bas 
Selbſtbewußtſein des Menfchen für feine eigene Exiſtenz, 
und das fittlihe Bewußtfein für bie Freiheit des Willens 
in Anſpruch nimmt, und was feine Speculation anzus 


1) Das Begriffenfein if der Inhalt des Begriffe, von bem 
er feinen Namen hat. Das nämlich ift begriffen, beffen Begriffenfein 
in einem andern erfannt wird. 





Borherbeſtimmung. 213 


taſten berechtigt iſt. Wie ber Menſch überhaupt nicht 
aus dem goͤttlichen Weſen emanirt, ſondern durch einen 
freien Wet des göttlichen Willens ift, fo auch 
fein Wille, feine Freiheit... If es alfo für ben fpeculativen 
Begriff, für bie Erklaͤrung des Endlichen ſchlechthin ger 
fordert, fein außer Gott Sein (extra et praeter Deum) 
auf ein Sein in Gott, feine Celbfiftünbigfeit auf bie Abs 
hängigfeit von Gott zurüdzuführen; fo muß ber göttliche 
Billensact und nicht das göttlihe Wefen als deren 
Quelle und Grund erfannt werden. Unter Zugrundfes 
gung der Sbentitüt, des Subftantialitätsverhält- 
niffe& zwifchen Gott und Welt wird es, von allem andern 
abgefehen, niemals gelingen, das felbftftändige Dafein 
(Snbipibualitát) ber weltlichen Dinge, und am allerwenigs 
fen die Freiheit des menfchlichen Willens zu begreifen ἢ). 
In das göttlihe Wefen und Leben verflodten, verhalten 
fe fif nur al& Momente beffeben; das göttliche Wefen 
ſelbſt aber Hört auf ein perfönliches, unabhängig von ber 
Belt für ſich feiendes und im fld) abgefchloffenes zu fein, 
es ift in bem Begriffe der abfoluten Subſtanz, des all» 
gemeinen @eiftes feiner Selbfiheit entfleibet, Das find 
die Klippen an benen ber Pantheismus feheitert, bie 
Seplla der Selbflofigkeit des Gnbliden und bie Charybdis 


.1) Belaunt i& das Wort des größten deutfchen Philoſophen, 
Leibnitz: „Wenn feine Monaden wären, fo hätte Cpinoja recht“ 
(Leibnitsii opp. ed. Dutens, Tom. II. p. 327). Das Princip ber 
Individuation, das bur bie gamze enbliche Welt herrſcht, ſchließt 
den Bantheismus aus. Laßt man biefes Princip fallen, wie es ber 
Pantgeismns in allen feinen Formen thun muß, um ben Gingang zu 
fi fdber μι finden, fo löst βάν alles aufer Gott in bloße Meribenzen 
ud SRobifitattonex ber allgemeinen, einen göttlidgen Subſtanz auf. MgL 
Leieite. Opp. Tom. II. P. IL zu 52 sed 


15* 


214 Die Grifilige Gnadenlehre. 


ber Unperfönlicpfeit des Abfoluten. Auch find bie befon« 
ders von Selling gemachten mannigfaltigen Verſuche von 
bem Princip ber Ipentität aus das Problem der Specu⸗ 
lation zu löfen vollſtaͤndig miffungen 1), bis er zuleht 
ſelbſt βῷ μι der Einſicht befannte, baf das Mentitaͤts⸗ 
foftem einfeitig und negativ, burd) ein zweites, die Trans 
feendenz Gottes und das Gaufalitätsverhältnig zwifchen 
ihm unb ber Welt zur Vorausfegung nehmendes pofitives 
Cyftem zu ergänzen fei, — was freilich wiederum nicht 
zum Ziele führte 9. 

nAbhängigkeit hebt Selbfiftánbigfeit, hebt fogar Frei⸗ 
heit nicht auf“ 5): das ift bie Wahrheit, mit deren An- 
erfennung das Gebiet der Sperulation betreten unb 
namentlich unfere in fpeciell beftimmter Weife vorliegende 
Stage ihrer Löfung entgegengefüfrt wird. Die Abhängig 
feit vom abfoluten Willen nämlich, in feiner Dreifachheit 
als fhöpferifäper, erhaltender und tegierenber (vor » unb 
verfehender) Wille, im Unterſchiede von dem abfoluten 
Weſen und feiner Dreiperfönligkeit, folglif, ba ber 
göttliche Wille an fij ibentifh ift mit bem göttlichen 
Wefen, bie Abhängigfeit Bon ber göttlichen Willens be 
fimmung, dem göttlichen Wilensa c t— fte ift bie Lebens⸗ 
quelle alles Endlichen und fo aud) des freien menſchlichen 
Willens. Weit entfernt alfo, daß die Individualität und 
eigene freie Bewegung der enbliden “Dinge, insbeſondere 


1) Vergl. meine Schrift: Jacobi unb ble Philoſophie fri» 
met Zeit. Mainz 1834. ©. 534 ff. 

2) Berg. meine Abhandlungen über Schellings nego 
tive, pofitive unb Offenbarungsphilofopie, tn der Quart⸗ 
Schrift Jahrg. 1844. €. 57 ἢ. 179 f. Jahrg. 1845. €. 1 ff. 

3) Selling a. a. Ὁ. €. 418. J 


Vorherbeſtimmung. 215 


eine freie Bewegung des menfchlihen Willens in Widers 
fprud) treten follten mit der abfoluten Willensbeftimmung 5, 
efennen wir in diefer vielmehr ihren Erflärungsgrund, 
die höhere Einheit, zu welcher ber Gegeníag ber blos vor⸗ 
fellenden Grfenntnif in ber begreifenden fid) fortbeimmt, 
und in biefem Fortgang des Widerfprudes [o8 wird, mo» 
mit er dort behaftet ift. 

Indem wir aber folhermaßen den endlichen Willen 
in ſchlechthiniger Abhängigkeit von bem abfoluten benfen, 
fo entfliehen und neue und ganz eigenthümlihe €dwierigs 
keiten, bie in ber bisherigen allgemeinen Betrachtung noch 
nit einmal ausdruͤcklich angezeigt, viel weniger wirklich 
gelöst find. Im der SBorferbeftümmung und ber ihr 
gemäßen abfoluten Wirffamfeit der göttlihen Gnade ift 
lebigfid) eine Abhängigkeit des guten Willens von Gott 
gefet; unb erft baburd), daß wir von ber Vorherbeftim- 

. mung zu bem allgemeinern Problem bes göttlichen Vorher 
wiſſens übergingen, haben wir den menfchlihen Willen 
überhaupt, alfo ben guten wie ben böfen, wenn aud 
nit direct abhängig von Gott, b. h. von ihm verurfacht, 


1) Bon Duns Gcotue wird erzählt (Döllinger in bem Freie 
burger Kirchenlerikon s v.): Auf einer feiner Reifen in England habe 
won einen mit Gäen befchäftigten Bauer Worte religiöfer Mahnung 
geriet. „Wozu mahnf du mic“? fagte der Bauer; „wenn Gott 
voransgefehen hat, daß ich felig werde, fo werde id) es unfehlbar, idj 
mag Gutes oder Böfes thun, hat er aber meine Verdammniß voraute 
geiehen, fo Tann mic; nichts von berfelben erretten.“ Scotus erwiderte: 
nBenn das Wiſſen Gottes, wie bu meinft, Alles unabánberlid) nothe 
wendig macht, wozu fäe du? Hat Gott vorausgefehen, daß hier Gee 
trade wachfen wird, fo wird es wachfen bu magft füen ober nicht fäenz 
und fo umgefehrt, olfo ift deine Arbeit vergeblich". So alfo führte 
Erotus den Bauer ad absurdum und damit jur Anerkennung obiger 
Bafrheit. 


216 Die chriſtliche Gnadenlehre. 


fo bod in folder Weiſe in feiner freien Bewegung be 
grängt gedacht, daß berfelbe Gegenfag, ber in Anfehung 
des guten Willens auf jener Seite fid aufthat, in An 
fehung des freien Willens überhaupt auf biefer Seite 
zum Vorſchein fam. Während nun in der Frage der gàtt 
licen Praͤſcienz die Schwierigkeit dirert auftritt, wie ber 
freie Wille als Vermögen des Guten und des Böfen von 
Gott abhängig gedacht werden Fönne, fo ſtellt fid) biefelbe 
Schwierigkeit in ber fperiellen rage von ber göttlichen 
Präveftination indirert ein, baburd) nämlich, bag wir, um 
die Abhängigkeit des guten Willens von Gott unbefdjabet 
feiner Freiheit begreifen zu fönnen, den menfchlihen Willen 
überhaupt ober ben freien Willen auf ben göttlichen 
als feine Duelle und feinen Grund zurüdzuführen hatten. 
Das alfo ift, wenn wir in ber Löfung des Problems ber 
Praͤdeſtination nicht bei jenem allgemeinen Ergebniffe fteben 
bleiben dürfen, bie nun auftretende neue Schwierigkeit: 
wie ber freie Wille des Menſchen, ba er als folder das 
Vermögen des Guten und des Böfen, von Gott, beffen 
Wille ald ber abfolut fautere und Heilige allem Böfen 
fremd ift, abhängig gedacht werben koͤnne. 

Das Vermögen des Guten und Böfen, welches ber 
freie Wille ift, wird nicht in feiner wefentlichen Wahrheit 
erfannt, wenn es als reine Indifferenz, al unlebendiges 
Bahlvermögen gefaßt wird, fo daß das SBefen des freien 
Willens eben darin beftände, fij ſchlechthin gleichgültig 
gum Guten und Böfen zu verhalten, und erſt anderswoher 
Antrieb und Kraft empfangen müßte, um eine Iebenbige 
Wurzel des fittlihen Gegenfages zu werben. Der freie 
Wille ift diefe Ichendige Wurzel 1), feine blos paffive, 


1) Der HL Auguſtin feheint (de grat. Christi c. 16 seq.) birfem 


Vorherbeſtimmung. 217 


ſondern die active Capatitát für das Gute und Böfe; 
und wenn gleih ber Wille auf fid) allein geftellt nicht 
über den Zuftand ber Potentialität hinausfommt (vorig. 
Heft €. 84), fo ift das, was ihn darüber hinaus» unb 
' im das Gute oder Böfe hineinbringt, fomme es nun von 
bem Menfchen felber ober von außenher, bod) nur eine 
fele Bewirtung des Guten oder Böfen in ihm, ber er 
widerſtehen kann und bie er durch freie Selbſtentſcheidung 
Cactiv) fih gu eigen macht. Indem man aber fo im 
Intereffe der Freiheit des menfchlihen Willens jeder Auf⸗ 
faffung entgegentritt, wmoburd) das ihm einwohnende fitt 
life Vermögen auf eine unlebenbige, inbifferente ober 
paſſive Kraft berabgebrüdt würde; fo erheben fid bagegen 
auf der andern Seite Bebenfen von fo hohem Belange, 
daß kaum abzufehen ift, wie jener Forderung eine Genüge 


Begriffe der Freihelt entgegenzutreten; in ber That if e& aber nur die 
belagtanifche Anwendung befielben, ber er, unb mit vollem Recht, 
wiberfpricht. Pelagius behauptete nämlich (l. c.), bie possibilitas boni 
ei mali fomme von Gott, bem wir bie Naturgabe ber Freiheit verbanfen, 
das Gute und Böfe aber als ein Wirkliches vom Menfchen, unb {εἰ 
bezüglich des Guten wie bee Böfen Lediglich das Ergebniß 
des Gebrauchs, ben er von feiner Breiheit mache. Die vom Menfchen 
gefanbgabte Breißeit alfo IR nach Pelagius bie eine unb gemeinfame 
Wurzel des Guten und Böfen. Diefen Begriff der Freiheit verwirft 
Auguſtin ale ber evangellſchen und apoſtoliſchen Lehre widerfprechend, 
Bon bem Guten und Böfen hat nach ihm jedes feine eigene Wurzel, 
und beide Fommen nicht im gleicher Weife vom Menſchen. Die von 
Gott gepflanzte charitas ift die Wurzel des Guten, bie ans der 
Selöhfucht des Menſchen kommende cupiditas die Wurzel des 
Boſen. δες ber Wille it fähig, beide Wurzeln in fi aufzunehmen, 
und im Ginne virfer capacitas utriusque radicis gibt Muguftin ben 
Begriff der Freiheit als possibilitas boni et mali zu. Diefe Gapasität 
|. als eine bloße Paffivität zu verfüeben, widerfpräce dem ganzen 
auguftiniſchen Syſteme. Bergl, voriges Heft ©. 85. 





218 Die chriſtliche Gnadenlehre. 


geſchehen koͤnne. Iſt es naͤmlich auf dem Boden des 
chriſtlichen Glaubens ſchlechthin unzulaͤſſig, fuͤr die Freiheit 
des menſchlichen Willens einen aufergóttliden Ur— 
ſprung anzunehmen, ſo iſt, indem dieſelbe auf Gott gurüd» 
geführt wird, eben damit das in ihr enthaltene SBermógen 
des Böfen als eine göttliche Gabe betrachtet, unb. dies 
ſcheint mit ber Heiligkeit Gottes völlig unvertráglid) zu 
fein. Denn eine Theilung in der Art, daß, gleichwie 
bie gute That der göttlichen Gnabe, die böfe dagegen 
dem menſchlichen Eigenwillen zuzuſchreiben ift, alfo aud 
das Vermögen des Böfen lebiglid) vom Menfchen und 
nur das bes Guten vom Gott herzuleiten wäre, fann 
offenbar nicht verfucht werden, ba das Vermögen bes 
Böfen von dem des Guten unzertrennlich, und ber- menfdr 
lichen Freiheit wefentlid) ift, in Einem beides zu befigen, 
dies zweifchneidige Schwerdt zu fein. Sind mum die 
gnoftifden Ausflüchte, wie faum bemerft, von vorne 
herein abgefgnitten, — auf die ohnehin heutzutage nicht 
leicht Jemand zurüdfommen möchte, wiewohl es Dualiften 
gibt, bie bei ungehemmter Confequenz darauf hinausge 
führt werden — fo fann man verfucht fein, bie Realität des 
Böfen abzuſchwaͤchen und es als etwas blos Negatives zu 
faſſen, um auf ſolche Weife der Verlegenheit zu begegnen, 
welde aus ber Zurüdführung ber Freiheit auf Gott ent 
-feringt. Allein aud) biefer Verſuch ift mit Schwierigfeiten 
verbunden, bie faum leichter wiegen als biejenigen, zu 
deren Befeitigung fte gemadht find. Denn je mehr man 
die Realität des Boͤſen abſchwaͤcht und baffelbe auf einen 
6108 negativen Werth herabſetzt, befto ſchwerer wird e$, 
den Begriff ber fittlihen Freiheit und einer fittlihen Welt⸗ 
ordnung aufrecht zu erhalten, Auch fommt man, abge 


Vorherbeftimmung. 219 


fehen von dieſer und ben damit zufammenhängenden Schwie⸗ 
tigfeiten auf dem eingefchlagenen Wege nicht zu bem vor» 
geftedten ‚Ziele. Denn wie weit man aud) das Richtfein 
oder das blos negative Sein des Böfen fteigern mag, 
immer muß etwas zurüdbleiben, beffen Pofition und Rea⸗ 
lität auf Gott zurüdgeführt das lautere Wefen Gottes, 
wenn aud) in minderem Grade als bei bem vollen Bes 
griff des Böfen, zu trüben droht. Nur wenn man bes 
tehtigt wäre, ben reellen Gegenfaß zwiſchen Gut unb Bös 
ganz aufzuheben und einen von bem gewöhnlichen gänz« 

. lid verfchiedenen Begriff des Iegterm, eben damit aber 
«ud des erſtern aufzuftellen 4), fünnte auf bem einges 
ſchlagenen Wege die jung des Problems ermöglicht 
erden. 

Wenn bemnad weder ein außergöttliher Urfprung 
für den endlichen Willen angenommen, nod) bie in ihm 
liegende Potenz des Böfen unter ihrem wahren Werthe 
angefhlagen werden darf, fo ift es zwar nur bie Mög- 
lichkeit des Böfen, bie auf Gott zurüdfällt, während bie 
Verwirklichung beffelben des Menfchen freie That ift; 
allein man fann nid läugnen, was Auguftin fagt, baf 
fo das Böfe, wenn aud) aus großer Entfernung, von 
Gott herfommt (non parvo intervallo peccata referuntur 
in Deum) ἢ. Offenbar fann ferner, wenn [ebiglid) bie 

1) Wie dies im Spinozismus gefhieht unb (m Pantheismus über⸗ 
haupt unvermeidlich if. Das Böfe ift ihm zufolge von bem Guten nicht 
tell fondern mur graduell verfchieden; εὖ ift eine Pofition, eine Volle 
Temmenfeit wie dieſes und alfo am fich gut, aber als eine geringere 
Berfestion erſcheint e$ im Vergleich mit der größern, bie man das 
Snte zu nennen pflegt, mangelhaft und infofern nicht gut, alfo bäfe. 
Beg. Selling a. a. Ὁ. ©. 424. 

2) De liber. arbit, I. n. 4: Credimus ex uno Deo omnia esse 
Que sunt; δὲ tamen non esse peccatorum auctorem Deum. Movet 


220 Die Griffe Gnadenlere 


ſchöpferiſche Begabung des Menfchen mit dem freien 
Willen ins Auge gefaßt wird, nicht gefagt werden, Gott 
babe ben Menfchen gut geſchaffen; denn das Boͤſe i 
ihm ebenfo nahe gelegt ald das Gute; ja das Verlangen 
nad den ihm umgebenden irdiſchen Gütern und Genüſſen, 
worin, wenn es mit der Abwendung der Seele von Gott, 
bem unveränderlichen Gute, verbunden ift, bie Sünde ber 
ftebt, tritt um fo unmittelbarer und flärfer hervor, je mehr 
wir und ben Menſchen von Gott verlafien, oder was hier 
baffelbe if, ihn nur in feinen fhöpferifhen Gaben bem 
Menſchen präfent denken. So fpringt εὖ in bie Mugen, 
in welder Richtung die Befeitigung be& Anftoßes, ber aus 
der Zurüdführung des freien Willens auf bie ſchoͤpferiſche 
Eaufalität Gottes hervorgeht, zu fuden if. Er entficht 
eben nur daraus, baf wir Gott nad) der Schöpfung des 
Menfhen von biefem fi zurüdjiehen, daß wir ben 
Menſchen mit bem zweiſchneidigen Schwerdte der Freiheit 
in der Hand ſeine Wanderſchaft durch die Welt allein an⸗ 
treten laſſen: eine einſeitige, abſtracte Betrachtung, von 
ber εὖ klar ift, daß fie ein befriedigendes Reſultat nicht 
gewaͤhren kann. Wir haben von der ſchoͤpferiſchen Cau⸗ 
ſalitaͤt Gottes (und der erhaltenden, welches nur die fort⸗ 


antem animum, si peccata ex iis animabus sunt, quas Dens creavit, 
illae autem animse ex Deo, quomodo non parvo intervallo peccata 
referantur in Deum. N. 35: Et illud simul mihi videre jam videor 
absolutum atque compertum , quod post illam quaestionem, quid sii 
male facere, deinceps quaerere institaeramus, unde mals faciemus" 
Nisi enim fallor, ut ratio tractata monstravit, id facimus ea libero 
voluntatis arbitrio. Sed quaero utrum ipsum liberum arbitrium, 
quo peccandi facultatem habere convincimur, oportuerit nobis dari 
ab eo qui nos fecit. Videmur enim non fuisse peccaturi, si isto 
careremus; δὲ meluendum est na hoc modo Deus etiam malefacto- 
vum nostrorum auctor ecisiimetur. 


Borherbeftimmung. 221 
gefehte ſchoͤpferiſche if) qu ber regierenden (vote umb vers 
fehenden) fortzuſchreiten, bie in ihm eins find, unb in ihrer 
Einheit und unzertrennlihen Verbindung erft das Ver⸗ 
haͤltniß Gottes zum Menfchen in feiner Totalität unb 
Wahrheit befimmen. Und biefes nur erft nad feiner 
natürlichen Seite. In Erweiterung und tieferer Verinner⸗ 
lichung ber ordentlichen Vorfehung begründet fid jene 
übernatürlihe Offenbarung unb Heilsordnung Gottes, bie 
als baé legte unb hoͤchſte Moment bet göttlichen Eaus 
faität zugleich ba& entſcheidende Gewicht in bie Wagſchaale 
unferer Deliberation legt und das fchwierige Problem ber 
Theodicee allein einer beftiedigenden Loͤſung gufüfrt. Wenn 
turf die ſchoͤpferiſche Thätigkeit Gottes wie bie Natur 
gaben überhaupt fo aud) die Freiheit des Menfchen als 
das Bermögen des Guten und Böfen verurfacht find, fo 
iR es die Vorſehung, im welcher Gott lediglich auf bie 
Seite des Guten treten baffelbe burd) alle Mittel feiner 
natürlichen Weltregierung zu fördern und zur Herrichaft 
m bringen bedacht ift. An diefe Thärtgkeit Gottes auf 
den menſchlichen Willen, um benfelben für das Gute zu 
fimmen und zu gewinnen (mas man fonft bie äußere 
Gnade nennt), ſchließt fid) bie uͤbernatuͤrliche Einwirkung 
auf die innern Willendbewegungen felbft, wodurch ber 
Ville für das Gute beffimmt und aus einem inbifferenten 
ein zum Guten. geneigter, ein guter Wille witb. So erf 
if bie wahre Freiheit verwirklicht, ba& Erhobenfein 
des Willens über bie Begierde. Bliden wir von 
bier hoͤchſten Manifeftation, im ber fid) bie Abficht und 
die Wirffamfeit Gottes auf ben Menfchen abſchließt 5, 

1) Und zwar nid fucceffive, fonbern wie mit einem Male fdjon 
beim even Denfcen Was wit im Dbigen vorgeisagen haben, fab 


222 Die Hrifliche Gnadenlehre. 


‚auf das efte Moment, die fehöpferiihe Gaufalitàt zurüd, 
fo ift man berechtigt zu fagen: der Schoͤpfer des Menſchen 


mur bie tiefern Gebanfen der fere von bem. urfprüngliden Zw 
ftanbe. ᾿ 

Der Breipeitöbegriff ber SBelaglamer (oben €. 85 u. 217), das 
ratlonaliſtiſche Princip ihrer Anthropologie, brachte es mit fih, bie un 
fprüngliche Bolltommenfeit, wie alles Uebernatürliche in 
der Entwicklung der Menfchheit zu beſtreiten. Deßhalb waren fie nicht 
im Stande, über den Urfprung bes Böfen auf befriedigende Weile 
fif zu erflären. Julian, ber ſcharffinnigſte umter ihnen, kommt (bei 
Augustin. Opp. imperf. V, 55) auf bie rage: unde illa prima vo- 
'luntas mala in homine fuerit exorta; umb antwortet: a motu animi 
cogente nullo, b. f. von bem freien Willen bes Menfchen. Alſo aus 
bem Werte Gottes? Sa: quia in opere Dei a possibili existit pec- 
catum istud, non a necessario. Der freie Wille ale That, als 
motus animi cogente nullo, fährt Julian (c. 58) fort, gehört bn 
Denfchen, als Natur Gott dem Schöpfer an, unb ift als folche gut. 
Die Möglicptelt des Guten (c. 57) zwingt den Willen nicht, fonen 
laßt ihn aus fid entfiehen; ebenfo im Böfen. Keiner if} daher deßhalb 
gut, weil er einen freien Willen hat, denn ben haben audj die ſchlechteſten, 
und feiner deßhalb 688, teil er im ihm bie Möglichfeit des Böfen ber 
fipt, denn ten Haben aud) die beften. Bon bem guten wie von dem 
böfen Willen fann feine ürſache oder Xtotámenbigfeit amgegehn 
werben; bie Freiheit als Gapacitüt des Guten unb Böfen Hat bed 
fo in fid, daß fie zu feinem zwingt, und biefe nothwendige Ginfeit ente 
gegengefeßter Dinge fann fo wenig getheilt werben, als eine geometriſche 
finie. So lange fie als diefe unjertrennlidje Einheit beſteht, behält fie 
die Bedeutung (vim) ihrer Natur (iR nothwendig), fo wie fie aber in 
den Gegenſatz auseinandergeht, fo hört die Nothwendigkeit, bie zu Ihrer 
Natur gehört, auf, b. h. ber gute Gott hat ben Menſchen gut geſchafen. 
Bir Haben (c. 58) nothwendig die Möglichteit des Guten umb Böfen, 
aber wir gebrauchen fie nicht notwendig, weder gut noch 6386, fonbern 
frel. So groß, heißt es weiter (c. 59), ber Unterfepieb in zwifchen bem 
BVollen und Leeren, fo groß ift er aud) zwifhen bem Möglichen und 
Nothwendigen. Die Möglichkeit als Bählgfeit eines Dinge ift das Ding 
mod) nicht und hat εὖ noch nicht, ift deſſelben Baar. Man kann alfo 
jene Möglichkeit des Guten unb Böfen weber gut noch 586 nennen, 
weil fie bie susceptio repugnantium ift; mur infoweit ift fie noth⸗ 
wendig gut zu nennen, ober ein natürliches Gut, als bie Ehre 


Vorherbeſtimmung. 255 
und feiner Freiheit ift in feinem Sinne Urheber des Böfen. 
Denn erſtens erfpeint das Vermögen des Böfen von ihm 
aus nad) feiner Abſicht und feiner Thätigfeit nicht an und 
für fi, fonbern um des Guten willen gewollt unb 
gefegt, damit nämlich ber Menſch als moralifhes Wefen 





des Schöpfers εὖ erfordert; benn fie ift Mufchulb, mit feinem 
lUehel verbunden unb empkinglic für das Böfe und Ente als eigenes 
Berl. So Julian. 

Auguftin erwiebert Hierauf (c. 57 ff.) im Weſentlichen: 

1) Hat Gott ben Menfchen weder gut noch 586 Yefchaffen, fon» 
dern nur zu beibem fähig, ihm ſelbſt überlaffend bem einen ober andern 
f zuzuwenden; fo Tönne Julian nicht fagen: bonus Deus bonum fecit 
hominem; fo fönnte die fl. Schrift (Eccl. 7, 30) nicht fagen: fecit 
Deus hominem rectum. War er rectus, wenn er feinen guten 
"Bier Hatte, fondern mur die Möglichkeit beffelben ? Mit bemfelben 
Rechte Könnte man fagen: er war pravus, non habens malam volun- 
tatem, sed ejus possibilitatem. 

2) Benn bie Freiheit nichts anderes ift als die formelle Freiheit, 
jene zweiſeitige (im Gleichgewicht der entgegenfeßten fittlichen Potenzen 
f haltende) Möglichkeit, fo begreifen wir bem Sufamb ber feligen 
Geißer und Engel nicht, den Zuſtand ber Fähigleit b[o8 für das Gute, 
be Noth wen digkeit des Guten, jener desideranda necessitas, 
jener certa. securitas , sine qua non potest esse illa, cui non est 
aligquid addendum felicitas (c. 61), b. 5. bet Suflanb des un oame 
belbar auf das Gute gerichteten Willens, bem die Möglichkeit bes 
Böfen mut als eine abſtracte jur Geile ſteht, wo bie formelle Freiheit 
war nicht aus bem Willen verbannt aber durch feine fittliche Kraft 
and Stetigfeit im Guten in den Suflanb des Verſchwindens gebracht ift. 

3) Gott hat den Menſchen von Anfang nid einfadjjin des 
Guten und Böfen fähig, fondern er hat ihn gut geſchaffen, aber frei ; 
er zwang (ju nicht im Guten zu bleiben, wie er e& ja aud nicht ger 
then Katz fuu er gab im bie Wirklichkeit des Guten und 
die Möglichkeit bee Bafen (vergl. c. 62). Aber aud in jener 
iR die Möglichkeit mitgegeben. Auedrücklich fagt Augaftin (c. 58): 
ideo fuisse naturam (rationalem) et doni δὲ mali capacem primitus 
factam, ut, horum alterum diligendo, meritum compararet, quo boni 
solius vel mali solius capax postmodum flerei. . 


224 Die chrimche Enadenlohre. 


(frei) in ben Beſih des Guten. fi zu ſetzen und in per 
foͤnlicher Weife es fij anjueignen vermöge. In dieſer 
Beziehung ift ba& Vermögen des, Böfen etwas Gutes, 
das Moment nämlih, ohne welches das Gute im 
moralifchen Sinne nicht zu verwirklichen wäre. Zweitens. 
Während das Vermögen des Böfen in biefer feiner παν 
türlichen Gigenfdjaft weil in feiner bloßen Potentialität 
von Gott belaffen ift, wird dagegen das Vermögen des 
Guten über feine Natur erhoben Außerlih und innerlich 
gefördert und jum wirflihen Wollen des Guten excitizt. 
Drittens. Das vom Menſchen eigenmächtig, burd) eine 
bem göttlichen Willen widerfirebende That, hervorgerufene 
Böfe wird von Gott negirt burd) Anordnung ber Erlöfung, 
und in deren Zuwendung (Heiligung) bem Menſchen bit 
Kraft verlieben, baffelbe zu überwinden unb un[djábfid zu 
maden. 

Nunmehr ſtellt fi) uns ber Begriff der Abhängigkeit 
des menídjlidjen Willens von bem göttlichen in feiner Boll 
ftánbigfeit dar. Diefe Abhängigfeit ift eine zweifache. Al 
SBermógen des Guten und Böfen ift ber menſchliche 
Wide in ver ſchoͤpferiſchen Gaufalitàt Gottes begründet; 
und biefes Vermögen, das aequilibrium  potentise, if 
das natürliche Element des Willens, das eben fo wenig 
von ber burd) Gottes Gnade gepflanzten wahrhaften reis 
heit verfhlungen, als durch bie aus dem Gigentillen ent 
fprungene Süuͤndenknechtſchaft vernichtet ift 5. 

1) Bon bien. ſpricht der Here bei Joh. B, 34. 36: „er bie 
Gne tut, iſt der Sünde Knecht z wenn eud) ber Sohn frei macht" 
(ben die Sundenlnechtſchaft int Unfreiheit) „fo {εἰν ihr wahrhaft 
frei" Jenes nennt der δ΄. Auguflin arbitrium liberum .jusitiae 


(charitatis), poccati autem (cupiditatis, cencupiscentiae) servum 
(Ad Bonif. 1, 2. 3. de.corsept, ot grat, c. 15. de aet. di στε). οἱ 55 


Sereni, . 385 
als guter Wille if er burd die Gnabe Gottes; 
ie Werk ift die wahrhafte Freiheit, das Exhabenfein 


kb. I. op. imperf. contr. Julian. wieberhoft); ihr Gegentheil if das 
arbitrium peccati liberum, bie wahrhafte Freiheit, nicht bie fore 
uelle Breifeit. Die Sündenknechtſchaft wie die wahrhafte Freiheit find 
vielmehr fittliche Zuflände, bie die formelle Freiheit zut Vorausſetzung 
ταῦ Grundlage haben. Es it in ihmen das aequilibrium inclinationis 
aufgehoben, fofern der Wille auf eine Seite geneigt, für das Gute 
der Böfe entfchieden if, während das aequilibrium potentiae fort 
leet als Bermögen des Guten und füfem. Wie die Waage dadurch, 
ΜΡ auf eine Seite ein Gewicht gelegt ift, ihre wefentliche Eigenſchaft 
alt verliert, die Bähigfeit madj ber anbern Geite ju ziehen und den 
Ausfäleg zu geben, fo auch bie Freiheit. Wenn ber HI. Auguſtin 
von einem Verluſte ber Freiheit in Bolge der Sünde fpricht, fo iR 
nicht die formelle, fonbern bie wahrhafte Freiheit gemeint; bie servitus 
peccati, necessitas peccandi, servum arbitriam und alle hieher ge» 
herigen Anabrüdte, deren er fid bebient, find durchweg im @egenfag nicht 
des formellen, fonberu ber wahrhaften Freiheit gebraucht. Das untere 
ſcheidet feine Lehre von der Luther's und Galvin’s, bie die Freiheit 
in jedem Betracht verloren geben, wie denn Luther das servum 
arbitrrum zugleich im Gegenfag ber formellen Freiheit behauptet. Nicht 
im Musbrug fiegt des Unterfhied (wie man fermi) gemeint hat, daß 
bei ugufiu bet legere gar nicht, vorfomme), fondern im Gedanken, ber 
bei ifm ein ganz auberer iſt als bei jenen. Wir wollen Hiefür einige 
Stge aus Augußin liefern. Ep. 107 ad Vitalem fagt er: Liberum 
wberium ed diligendum Deum pzimi peccati granditate perdidimue ; 
Enckirid. c. 30: Libere arbürio mae utens bomo, et se perdidit 
S ipsum; Bo perfect. justitise c. 4: Vict vitio in quod cecidit 
volastate:, carwi$ libertate natura. Man [eje dieſe Stellen im Zu⸗ 
fnmengang, und man witb überall ben Gedaulen bahin beftimmt finden, 
wie wir fuum ancegeben Haben, Den. guten Willen haben wir burd) 
We Saude verloren nicht: den freien Willen; wir fónnen has Gute 
wollen, abes wis wollen o8 nidjt wirklich, fonbern bae Gegentheil 
(0.6. S. 205. %). Tune effeirsur eere liberi, cum Deus nos fingit, 
i.e format et creat, non ub homineo, guod. jam feci sod ut boni. 
komines sinms, quod nuno gratia sua facit (Enchirid. c. 31). Wuguflin 
erflärt fü aber auch gan beſtimmt über bem Berluf ber Freiheit ad 
Benifac, (contr. duas Epist, Pelagian,) lib. I, c. 2: Quia autem nostrum 
dicat, quod prismi- feminis paccato. pariarit: barum. arbitrium. de 


226: Die qriſtliche Onadenlehre. 
über bie irbifhe Begierde (cupiditas) in ber thätigen Liebe 
(charitas) Gotte& des himmliſchen unveränderlichen Gutes. 
Die Abhängigkeit des Willens von biefer göttlichen 
Eaufalität beruht auf der erftern und ift deren Vollendung; 
fie verhält fid) fomit gegen biefe nicht negativ und je 
flörend. Was daſſelbe ift: bie formelle Freiheit, bie Naturs 
gabe des Schöpfers ift e, bie ber Menſch gebraucht, 
bethätigt, indem er von Gottes Gnade bie wahrhafte 
Breiheit, das Wollen des Guten empfängt: fo wenig kann 
von einem aufhebenden, hemmenden ober ftórenben Einfluße 
ber Gnabenmirfung auf die formelle Freiheit, auf bie 
Gelbfibeftimmung des Willens für das Gute bie Rebe fein. 
Nicht als ob bie göttliche Gnabenmirtung, moburd) der 
Wille ein guter wird, vermittelt wäre burd) bie freie 
Gelbfibeftimmung des Willens; bie Abhängigfeit von ber 
göttlichen Gnade ſchließt fi ganz unmittelbar an bie von 
ber göttlihen SRad an und nichts tritt zwiſchen beide 
als Bindeglied. Die Gnade iſt ebenſo unbedingter Grund 
des guten Willens, wie bie ſchoöͤpferiſche Macht abſoluter 
humeno genere? Libertas quidem periit per peccatum, sed illa quat 
in paradiso uit, habendi plenem cum immoriolitete justitiem; 
propter quod natura humana divina indiget gratia, dicente Domino: 
Si vos Filius liberaverit, tunc vere liberi eritis, utique liberi ad 
bene justeque vivendum et cet. Lib. IL c. 5: Peccato Adse arbi- 
trium liberum de hominum natura periisse non dicimwe: sed ad 
peccandum valere in hominibus subditis diabolo; ad bene autem 
pieque vivendum non valere, nisi ipsa voluntas hominis Dei graa 
fuerit liberata et ad omue bonum actionis, sermonis, cogitationis 
adjuta. So verhält εὖ fih auch · mit dem servum arbitrium, wovon 
Auguftin lib. IL. contr. Julian. c. 8 fpridht: «6 IR das Gingegebenfein 
des Willens an die fBegletbe auf bem Grunde feiner natürlichen 
(formellen) Freiheit — und mit bem übrigen bie Freiheit ſcheinbar ver 
legenben Ausbrüden. Vgl. de corrept. et grat. c. 12. 13. ep. 89, de 
lib. arbit. III, 18. de nat. et grat. c. 43, Betract. L c. 9. de civil. 
Dei XIV, 11. 





Vorherbeſtimmung. 227 


Grund des freien Willens ift. Aber taf bie Gnade, 
wodurch unfer Wille gut wird, fij auf bie ſchoͤpferiſche 
Macht, wodurch er frei ift, fügt, daß die SBemirfung des 
guten Willens nicht als fhöpferifcher Act Gottes in uns 
gefaßt wird: barin und darin allein liegt die Buͤrgſchaft 
für die Erhaltung und Schonung unferer Freiheit unter 
dem Einfluß der Gnade unb die Möglihfeit, biefe Gin» 
wirkung als eine ber Freiheit gemäße zu denken, menn 
wir aud) nicht zu begreifen vermögen, wie Gnade und 
Breifeit, Abhängigfeit und Selbſtſtaͤndigkeit in ber Ber 
wirfung be8 guten Willensactes eins find. 

Soweit mußten wir jurüdgreifen, um, in ben Grund» 
linen wenigftens, ben Beweis zu führen, daß bie Ahr 
hängigfeit des menſchlichen Willens von Gott, wie fle in 
dem Lehrfage von ber Gnabe und Vorherbeftimmung — 
diefe noch ganz allgemein gefaßt — auögefprochen ift, bie 
Freiheit beffelben nicht gefährbe, daß vielmehr biefe Ab⸗ 
hängigfeit ber Begriff fei, durch deffen Anwendung ber 
Widerſpruch fid) fließt, der zwiſchen goͤttlicher Vorher⸗ 
beſtimmung und menſchlicher Selbſtbeſtimmung für das 
teflectirende (vorſtellende) Denken fid aufthut. 

Um nun den Faden unferer directen Entwicklung wieder 
aufzunehmen, haben wir als Grgebnif aus bem Bisherigen 
feflguhalten: daß bie in ber Prädeftination liegende Ber 
fimmung (Abhängigkeit) des menſchlichen Willens beffen 
freie Selbſtbeſtimmung nicht aus fondern einfhließe. Da 
die Gnade nichts anderes ift al8 bie Ausführung des in 
der Präbeftination vorgefehenen Heils (od. ©. 197 9Inm.), fo 
läßt fii das gewonnene Stefultat aud) fo ousfpreden: ber 
tige Rathſchluß Gottes vollzieht fij burd die Gnade 
in der zeitlichen Gelbfibeftimmung des Menfhen für das 

ϑ μοί, Ouartalſqhrift. 4859. 11. Heft. 16 


228 Die qhriſtliche Gnadenlhre. 


ihm vorherbeſtimmte Heil; ſo daß ſich das Geheimniß der 
Praͤdeſtination in ihrer Allgemeinheit betrachtet auf das 
früher (S. 108) hervorgehobene ber wirkſamen göttlichen 
Gnade zurüdführt. 

In das Sperielle unferes Gegenſtandes treten wir 
mit ber frage ein: ob bie Praͤdeſtination eine unbedingte 
(abfofute), „oder eine bedingte fei. Diefer Frage geht aber, ἡ 
toenigftená nah ber Behandlung fpäterer Scholaſtiker 
die andere vorher: ob bie Prädeftination zum ewigen Leben 
(ad gloriam) eine unmittelbare, ober ob fie durch bie 
praedestinatio ad gratiam vermittelt fei. Dieſe Unter» 
ſcheidung, an und für fih unhaltbar, verdankt ihren Urs 
fprung dem Beſtreben, den Härten der unbebingten Prä- 
beflination zu begegnen. Verſteht man mámlid) unter 
praedestinatio ad gratiam bie Vor» unb Verfehung (prae- 
paratio) mit bem Mittel, durch weldes das Endziel 
erreicht wird, unb unter ber praedestinatio ad gloriam 
die Vorherbeftimmung zu dieſem Endziele felbft, fo fann 
man blefe als eine bedingte auf bie praevisa merita ez 
gratia comparata begründete begreifen, während jene eine 
unbebingte ift, fofern aus ber Gnade alles gute und vers 
dienftliche Wollen und Wirken hervorgeht und durch fie 
prineipaliter bedingt ift. Der Gewinn, ben man bamit 
beswedt, ift aber nur ein (deinbarer; denn ble praedes- 
tinatio ad gratiam, deren abfoluter Eharafter zugeftanden 
wird, bringt, ba bie Gnade das burdlaufenbe Princip 
des mwahrhaften Lebens ift, durch bie ganze Reihe ihrer 
Wirkungen bis zu der fegten und abfehließenden, bem eiwigen 
eben vor, unb [δ fomít bie Debingte praedestinatio ad 
gloriam in fi auf, fo daß nur eine praedestinatio und 
dieſe als eine unbebingte ftehen bleibt. Die Unterſcheidung 


Vorherbeſtimmung. 229 


in dem angeführten, hinſichtlich jenes Zwedes aber, wie 
bemerft, illuforifden Sinne, fommt denn aud) teber bei 
bem 81. Auguftin nod) bei den ältern unb bebeutenbften 
Scäholaftifern vor. Zwar faffen fie nicht felten unter bet 
Prädeftination als deren Wirkung und Ziel auébrüdlid) 
beides zufammen, bie Gnabe und. das ewige geben, aber 
fle betrachten aud) beide aus bemfelben Geſichtspunkte ber 
Abfolutheit ober Unbebingtheit; jene Unterfcheivung fennen 
fie nicht, bei ber, wenn fie nicht den befagten illuforifchen 
Sinn haben fol, unter ber gratia etwas ganz anderes 
als unter ber gloria, nämlid) bie göttliche Willensthätigfeit 
felber, und nid, was bie gloria ift, eine Wirkung bet 
präbeftinivenden Gnade verftanben werben muß. Verſteht 
man fie aber fo, dann erſcheint fie ganz unzuläffig wegen 
ber völligen Ungleichartigkeit ihrer Glieder; bann befagt 
fie, daß bie göttliche Gnabentbátigfeit eine abfolute, uns 
bedingte, ihre Wirfung dagegen, bie gloria, durch fie 
bebingt fei, was eine Binfenwahrheit iR. Es ift ganz 
im Auguftinifhen Sinne, was Fulgentius ) fagt: 
Sanctos suos praedestinavit et ad gratiam vitae bonae et 
ad graliam vitae aeternae *); bie beneficia Dei, beren 
ewige Zubereitung bie SBrübeftination ift (ob. 6. 197 9Inm.), 
wmfaffen nad) Auguftin alles, was wahrhaft Gutes durch 
die Gnade im Menfchen bewirkt wird, fowohl bie vita 
bona temporalis, ben Glauben, die Rechtfertigung unb 
die Ausdauer in ber Geredjtigfeit, al8 bie vita aeterna 
(vgl. de praedest. SS. c. 10. δεῖ. de corrept. et grat. c. 7). 

1) De verit. praedest. lib. III. c. 5. 

2) Sm Wefentlihen ebenfo Thomas (P. 1. qu. 23. art. 2 in 
corp.) : Praedestinatio est ratio ordinis aliquorum in salutem aeternam, 
and Scotus (in 1. dist. 40. qu. unic.): Praedestinatio est praeparatio 
gratise in praesenti et gloriae in futuro. 16% 





230 Die chriſtliche Onabenlchre, 


SBebenft man, baf vom abfoluten Standpunkte aus, auf 
bem bie ganze Stage der Präpeftination fid bewegt, der 
Φείίδτα 6 {ὦ [uf — ben man im engern Sinne als eine 
Action des göttlihen Verſtandes zu faffen. pflegt 5, 
nicht zu trennen ift von ber ihm gemáfen Willens 
beftimmung und Wirffamfeit der Gnabe, fo fann von 
ber Präbeftination zum ewigen Leben als einer blos mittels 
baren Handlung Gottes fidjerlid) nicht bie Rebe fein. Aus 
bem abfoluten Geſichtspunkte erfcheint das ewige Leben 
als alleiniges Objekt der Betrachtung; das Leben in ber 
Zeit faßt fi in.ihm als feinem Iegten Ziele und feiner 
Krone zufammen, fofern es nämlih wahrhaftes Leben, 
ein Leben aus unb in ber Gnabe if. Eben batum laͤßt 
ſich aud bie weitere Unterſcheidung der praedestinatio 
. adaequata ober completa (totalis) und inadaequata ober 
incompleta, wovon jene ble praedest ad gloriam und ad 
gratiam, bieje aber nur eine von beiden in ſich ſchließt, 
nicht rechtfertigen. Die praedestinatio ad gloriam umfaßt 
das Ganze, fie erfhöpft ben Begriff der Präbeftination 
unb ift zugleich ihr abäquater 9tu&brud. 

Um jebem Mißperftänpnig zu begegnen und zugleich 
die legte Unflarheit, bie der bisherigen Ableitung mod) 
anhaften fónnte, zu befeitigen, ift es nothwendig mod) 
einmal ausbrüdlic darauf Hinzumeifen, bag der Begriff 
ber Praͤdeſtination aus ber Betrachtung ber Gnade sub 
specie aeternitatis hervorgeht und tein innerhalb biefer 
erhalten und vol(jogen werden muß. Den von uns bes 
fämpften Unterfeidungen liegt aber eine Vermiſchung 
diefer abfoluten S8etrad)tung mit ber endlichen au Grund. 
Das [elige Leben, der burd) bie göttliche Gnade zu reali» 


1) Tournely praelect. theolog. I. p. 577. 


Vorherbeſtimmung. 231 


fitenbe Endawed des Menfchen, macht fid) für ben Menfchen 
nicht mit einemmal, fondern fuccefive; aud) realifttt es 
fib nicht in fletiger Progreffton, in ununterbrochener fitte 
lider Perfektion während des Exdenlebens, fondern es 
findet ein Steigen und Fallen ber fittlichen Suftánbe ver» 
möge der Veränderlichfeit des Freiheitsgebrauches unb bet 
bald geringern bald flärfern fittlihen Energie des Willens 
Ratt. So erfdjeint das ewige Leben als der nad) einem 
wechſelvollen Kampfe des menfdliden Willens gegen bie 
irbifdje Begierde, unter bem SBeiftanb ber göttlichen Gnade, 
ſchließlich errungene Sieg über biefelbe. Das ift bie 
enblidje Betrachtung des ewigen Lebens aus bem Θεβ δε 
punte des unter bem Gnabenbeiftanbe Gottes felbftthätigen 
Willens, bei welcher wir bie Wirffamfeit der Gnade nur 
unter dem Begriffe bed auxilium sine quo non in Rechnung 
nehmen fónnen (ob. €. 90 f.). Ein anderes ift bie ab« 
folute SBetradjtung. Rah ihr erfcheint das ewige Leben 
als bie abfofute Wirkung ber goͤttlichen Gnade, in weldher 
die freie Selbftbeftimmung des menſchlichen Willens auf» 
genommen ift als causa sine qua non, während bie Gnade 
die unmittelbare, direkte Urfache, bie causa quá des ewigen 
Lebens iſt. Die Berufung qum Glauben, bie Rechtfertigung, 
die Ausdauer in ber Gerechtigkeit Tiegen hier nicht zeitlich 
auseinander, noch außerhalb ber ewigen Befeligung, fon» 
dern find in biefer als Momente einbegriffen. Diefe beiden 
Betrachtungen aber ftehen fid) nicht ausſchließend entgegen, 
fie find beide Deredjtigt unb mur formell verſchieden; erft 
in der ausſchließlichen Saffung verfallen fle bem Irrthum, 
jme dem’ pelagianiſchen, biefe bem präbeftinatianifchen. 
Indem man fie aber beide fefthält und mit einander ver» 
bindet, fo gibt eine blos Außerliche Gombination berfelben 


232 Die chriſtliche Gnadenlehre. 


immer ein unreines und inadaͤquates Reſultat, wie uns 
ein ſolches in ber obigen Unterfcheidung ber praedestinatio 
ad gratiam als abfoluter unb ber praedestinatio ad gloriam 
als mittelbarer und bedingter SBorberbeftimmung vor Augen 
liegt. Ein reines und zugleih wahres, ber chriſtlichen 
Lehre von ber abfolut wirkfamen Gnade entfpredjenbeó 
Ergebniß wird mur erzielt burd) Ein» unb Unterorbnung 
der endlichen Betrachtung unter bie abfolute. Wenn fij 
das felige Lehen für ben Menfchen, fofern e nämlich durch 
feinen Freiheitsgebrauch beftimmt ift, nicht mit einemmale 
verwirklicht, wenn baffelbe vielmehr nad) Maafgabe diefes 
Gebrauchs bald im Kommen bald im Verſchwinden, bald 
im Wachen bald im Abnehmen begriffen ift, fo ift zwar 
dem göttlichen Auge, der Präfrienz Gottes diefes Außer 
einander, biefe Succeffion und Fluctuation der fittlichen 
Momente vollfommen präfent, aus bem Gefihtspunft des 
„göttlichen Rathſchluſſes aber, unb ber auf bie Bewirkung 
bes feligen Lebens gerichteten Onabenthätigfeit Gottes 


findet ein unvermittelter, ununterbrodener, fletiger Sorte - 


ſchritt burd) bie pofitiben Momente, in melden fid) dieſes 
eben begründet, aufbaut und vollendet, alfo aud) nur 
eine Präveftination ftat, die unmittelbar auf das Ziel 
gerichtet, eben barum eine unbebingte if. Wie das wahrs 
hafie Leben des Menſchen in feinem Anfang zugeftandener« 
maßen ohne ein vorhergehendes SBerbienft durch bie freie 
unverbiente Gnade Gottes hervorgerufen ift, fo ift aud) 
die Fortführung und Vollendung deſſelben in bem ewigen 
eben. (gloria), ungeadjtet ber freien SBetpátigung des 
Menſchen, an welche bie Realiftrung des Anfanges unb 
dortganges gefnüpft ift, eine unbebingte Gnabengabe 
Gottes. Denn wie wohl das butd) ble Gnade ertoedte, 


Vorherbeſtimmung. 233 
vom Menfhen frei ergriffene wahrhafte Leben von ſolchem 
Werthe in den Augen Gottes fein mag, daß er es nicht 
will unvollendet liegen [affen, wie es fih bann aud) als 
bie unerläßlihe Bedingung, (conditio sine qua non, nicht 
causa qua) als bie fubjertive Difpoftion für bie nàdjft 
höhere Stufe verhält; fo ift bod) die Förderung und Bolls 
enbung deſſelben nicht bie verdiente Belohnung des menfchs 
lichen Verbienftes, indem ein ſolches, abfolut genommen, 
gat nicht vorhanden, unb bie Gnade überall nicht secundum 
merita fondern gratis ertheilt wird — fondern ein Fort 
bauen ber Onabe auf ihrem eigenen Werke. Das Verdienſt 
des Menfchen, durch freies Eingehen auf die Gnade ers 
worben, ift fecunbürer Art, ein bebingtes, nicht ein bes 
dingenbes. Concret zu reden: wenn ber Menfch duch 
Gottes Gnade glaubt, fo ift er bifponizt gum Empfange 
der rechtfertigenden Gnade; aber wenn nun Gott wirklich 
den Gläubigen rechtfertigt, fo frónt er bod nur fein 
eigenes Werk, und nicht das SBerbienft des Menfchen. 
Und menn der Geredjtfertigte bie Gabe der Ausdauer 
von ihm empfängt, unb ber in ber Gerechtigkeit bis an's 
Ende Ausdauernde ídiieglid) das ewige Leben erlangt: 
fo verhält e& fid) aud) hier auf bie gleiche Weife'). Wäre 
εὖ anders, würde ber Glaube bie Rechtfertigung verdienen, 
fo wäre biefe fein Act der Gnade (onbern ber Gerechtigkeit 
Gottes, fo würde immer derjenige Gläubige aud) zur 
Rechtfertigung wirklich gelangen, ber dahin gelangen will 
und weil er es will, b. D. es würde die wirffame Gnade 
als durchgängige Urfache des menfchlichen Heiles geläugnet 
(ob. S. 104). Wenn nun, um dies vorgreifenb zu bes 


1) Bg. die ſchone Ausführung bei Augustin Epist, 194 ad Sixtum 
m. 15 seqq. und damit de grat. οἱ lib. erbit. n. 12. 13. 


234 Die chriſtliche Gnadenlehre. 


ruͤhren, nicht alle wirkſam (zum Glauben) berufen, unter 
den wirkſam Beruſenen nicht alle gerechtfertigt und unter 
den Gereditfertigten nicht alle mit ber Gabe ber Ausdauer 
beſchenkt werden, wie dies ber Begriff ber wirkſamen, 
näher prübeflinitenben Gnabe im eigentlidjen unb engern 
Sinne mit fih bringt (ob. €. 105 f.); fo fann man aud 
fier zwar eine relative Würbigfeit, ein beziehungsweifes 
Verdienſt auf Seite des Menfchen fowohl auf der erften 
Stufe ber Berufung al8 aud) auf den folgenden, dort in 
der geringern fittlichen Unmürbigfeit, hier in ber größern 
fütliden Energie, womit Einer vor bem Andern auf bie 
empfangene Gnade eingeht, anerfennen, aber bie Ver—⸗ 
leihung ber Gnade verhält fid nicht αἵδ᾽ bie dem Geſetze 
der Gerechtigkeit gemäße Folge diefer Difpofition, nicht 
als bie Belohnung der biefer zufommenden Verdienftlichkeit, 
mod ift das. Maaß und bie Kraft der Gnadenwirfung 
durch fle bedingt, fondern die Gnade ftebt als unbebingte 
unb freie Urſache wie ber Erwedung zum Glauben, fo 
der Rechtfertigung und Ausdauer in ber Gerechtigkeit ba. 
Da nun alles, was außer bem Begriff der Präveftination 
Hegt, in bem Begriffe der Gnade, deren Zubereitung jene 
ift (o5. S. 197 Anm.), b. fj. in der Gnadenwirkung fid) 
aufammenfaft, unb unter ben Gnadenwirkungen in Bezug 
auf ihre Abfolutheit fein wefentliher Unterſchied | ftatt 
findet, infofern allen eine gewiße Difpofition im Menfchen 
vorausgehen mag, aber nirgends eine ber Gnabenertheilung 
adäquate ihre Verleihung und Wirkſamkeit bebingenbe 
Beſchaffenheit ober Thätigfeit des Willens angenommen 
werben darf ohne ben Begriff der Gnade zu deftruiren; 
fo folgt daraus unwiderſprechlich zweierlei: erftens, daß 
«6 nur eine Prädeftination gibt, nämlich bie Präbeftis 





füorferbeflimmung. 235 


nation zur Gnabe i. e. zu fämmtlihen Gnadenwirfungen 
(Glaube, Reihtfertigung und Ausdauer), fomit zum ewigen 

- Reben; zweitens, baf biefe Praͤdeſtination eine abfolute if. 
Das ift bie einzig vollftünbige und adäquate Betrachtung 

ber Praͤdeſtination. Es ift in ihr das enblihe Moment 
der freien Gelbfibeftimmung des Willens. nicht aud« fondern 
in bem abfoluten Decret, in ber göttlichen Gnabenbes 
flimmung und Zubereitung, wie aud) in ber Wirfung ber 
Gnabe felbft eingeſchloſſen (ob. €. 87 f), aber fowohl 
jenem Secret als diefer feiner Ausführung untergeordnet. 
Nicht nur vermag ber Menfch diefer Ginabenwirfung zu 
widerſtehen (c8 gibt feine unwiderſtehliche, feine gratia 
irresistibilis, ſondern nur eine gratia cui non resistitur) ; 
fondern er ſtimmt ihr aud), wiewohl es burd) bie Gnade 
gefchieht, frei gu, menn wir gleich nicht begreifen, wie biefe 
Zuftimmung ihres freien Charakters unbefchadet von ber 
Gnade felbf bewirkt ift. Verhaͤlt fi aber ber Menſch 
zur Gnabenmirfung frei, fo ift aud) bie Präbeftination, 

* bie fid) in jener vollzieht, feine den freien Willen beein« 
trächtigende göttliche Action ). Stellt man fij dagegen 
auf den endlichen Standpunct, fo ift bie von ihm aus 
reſultirende Betrachtung ber Praͤdeſtination nothwendig eine 
unangemeffene und unzureichende. Auf diefem Ctanbpuncte 
fallen zeitlihes unb ewiges Leben nidjt blo8 zeitlich aud» 
einander fondern aud) caufal. Jenes εὐ εἰπε als bie 
Ausfaat, biefe& als bie Grnbte. Notwendig wird daher, 


1) Wir fimmen darin und infoweit Leſſius ganz zu, wenn er 
(de gratia efüicaci sect. 6) fagt: Non decebat, ut vires naturae 
a crealore acceptae essent otiosae et quasi passive se ad gratiae 
vires haberent, earum impulsum tantummodo exspectantes et sinentes 
se ab illis moveri, et sic totum a gratiae motione penderet. 


236 Die chriſtliche Onadenlehre. 


indem von dieſer Unterſcheidung aus zur goͤttlichen Prädes 
ftination aufgeftiegen wird, biefe felber in eine doppelte 
serfallen, in bie praedestinatio ad bongm vitam seu ad 
justitiam unb in die praedestinatio ad gloriam, und jene 
als eine unbebingte, biefe aber als durch das Vorherwiſſen 
der auf Grund der Gnade erworbenen Verbienfte bedingt 
qu faffen fein. Da aber jede höhere Stufe des ſittlichen 
Lebens zu ber vorausgehenden (die Rechtfertigung zum 
Glauben, die Ausdauer in der Gerechtigkeit zur Recht: 
fertigung) in ähnlicher Weife fl verhält, wie das ewige 
aum zeitlichen Leben, fo erſcheint feng genommen nur bie 
praedestinatio ad (primam, sc. excitantem) gratiam als 
eine unbebingte, unb bie folgenden, bie fif) in der Prä- 
deftination zum ervigen Leben concentriten, durch das vor» 
ausgefehene Verdienſt ber Suftimmung zur Gnadenerweckung 
bedingt. Diefe Unterfheidung ließe fid) fefthalten, wenn 
das fittlihe Verhalten des Menſchen vor unb aufer ber 
Gnade, wie es allerdings ein wefentlih von bem durch 
die Gnabe erwedten Leben verſchiedenes ift, aud) bezüglich 
auf den Gnabenempfang fij biefem als ein weſentlich 
anderes gegenüberftellte. Das ift aber gerade nicht ber 
Fall. Denn da die Suftimmung zur Gnabe, das Eingehen 
auf fle, wie wohl es ein freies ift, doch zugleich von 
diefer ſelbſt bewirkt wird, fo (ft nad) Abzug diefer Gnaden⸗ 
wirkung das Verhaͤltniß der menſchlichen Zuftändlichfeit 
auf beiden Seiten daſſelbe. Und nidjt anders fónnen wir 
urtheilen, wenn wir innerhalb des burd) bie Gnade ber 
gründeten fittlihen Lebens irgend eine vorhergehende mit 
ber nachfolgenden höhern Stufe vergleiden. Iſt dieſes 
aber fo, dann [ὁδὲ fid) jene Unterſcheidung einer doppelten 
Präpeftination, wie ſchon gezeigt, in fld) felber auf, unb 


Vorherbeftimmung. 237 


es bleibt nur bie Prädeftination zum ewigen Leben übrig, 
in beffen gnädiger Verleihung fid) alle bie febiglid) auf 
fid felber fortbauenben, durch fein eigenes ober ſelbſt⸗ 
fünbigeó Verdienft erworbenen, fonbern rein unverbienten 
Gnabenerweifungen Gottes fummiren und concentriren. 
Sene wiffenfhaftlih (wie wir glauben gezeigt 
su haben) unhaltbare Unterfjeidung, die, wenn man etwas 
Rechtes aus ihr machen wollte, ben reinen Gnadenbegriff 
trüben, fa gerflören müßte, unb die deshalb aud) bei bem 
hl. 9tuguftin, dem eiferfüchtigen DVertheidiger ber Gnade, 
in dem Sinne der fpätern Aufftellung nidt vorkommt, 
verdankt ihre Cntftebung dem Intereſſe des practifchen 
Chriſtenthums. Don den Belagianern und Semipelas 
gianern ift es befannt, wie fie hauptfächlih von biefem 
Grund aus die Gnade gänzlich beftritten ober ihre Wirk⸗ 
famfeit bod) wefentlich befd)ránften; auf denſelben Grund 
hin behauptete man fpäter und behauptet nod) heute 1) bie 
Vorherbeſtimmung zum ewigen Leben als eine bedingte. 


1) Liebermann instit. theol. Tom. IV. p. 125: Quamvis pro- 
posita controversia (de praedestinatione ad gloriam, absolutane sit 
an post praevisa merita ex gratia comparata fiat) ex scripturae et 
traditionis auctoritate dijudicanda sit (was auf eregetifchem Wege 
jedoch faum möglich if, denn es fommen beide Lehrformeln vor, 
Matth. 25, 34 f. 2. Timoth. 2, 20. 2. Petr. 1, 10. die bebingte, 
Qyj. 1, 4. Bm. 8, 28 ἢ. 9, 11 ff. u. a. bie umbebingte; unb. nicht 
anders verhält es fid) auch mit bem Trabitionsbeweis), semotis rationis 
humanae inventis: non deest tamen et hoc argumentorum genus, 
quod ex rationibus theologicis petitur. Dicunt v. g., quando gloria 
lanquam praemium proponitur ab aliquo obtinendum, rectam rationem 
exigere, ut gloria non decernatur, nisi praevideatur meritum : elec- 
tionem post merita magis convenire divinae sapientiae, justitiae et 
bonitati, tum et hominis liberae voluntati: ita enimos ad opera 
bona vehementius accendi, et plenius. removeri desperationis peri- 
culum etc. 


238 Die qhrriſtliche Gnadenlehre. 


Das Intereſſe des practiſchen Chriſtenthums ſteht aber der 
unbedingten Vorherbeſtimmung nicht im Wege; die von 
hier aus gegen ſie erhobene Inſtanz beruht auf einem 
Mißverſtaͤndniß, vielmehr auf dem Mangel des Verſtaͤnd⸗ 
niſſes dieſer Lehre. Daß die wirkſame Gnade die 
Freiheit des menſchlichen Willens nicht duffebe, darauf 
haben wir wiederholt aufmetfíam gemadt. Iſt dies nun 
bet fall, fo fann bie Lehre von ber aus ὦ — und nicht 
erſt durch die Einftimmung. des Willens — wirffamen 
Gnade aud) den Forderungen bes practifhen Ehriftenthums, 
fowie den Ermahnungen zu ihrer Erfüllung nicht wider⸗ 
fprehen. Denn daraus, daß wir nicht begreifen, wie 
bie SBemirfung des guten Willen durch bie Gnade und 
die freie Selbfibeffimmung zugleich jebod) in Abhängigfeit 
ber legtern von ber erflern erfolgt, fann oder darf bod) 
nicht gefolgert werben, daß e8 nicht fo fei, wenn es ung 
im Glauben gewiß ift, daß εὖ fo ift (0b. ©. 202). Sträubt 
man fid, das Recht, bie Forderung ber Freiheit auf dies 
Geheimniß zu baftren, will man e ins Klare, Begreiflihe 
herausfegen, fo ift ber erfte Schritt dazu bie moliniftifdje 
Behauptung, daß bie Gnade wirffam fei weil ber Wille 
wolle, ein Schritt, mit welchem der Auflöfungsproceß der 
ganzen Gnabenlefre beginnt und unaufhaltfam bis jum 
erubeften Pelagianismus fortfähreitet. IR e& aber fo, wie 
wir es im Glauben unter Bewahrung des Geheimniffes 
toiffen, daß die Abhängigkeit von der Gnade die (formelle) 
Breiheit des Willens nicht aufhebt, diefelbe vielmehr voraus» 
febt, fo ijt aud) bie Forderung an ben Menſchen, zu thun 
was in feinen Kräften liegt, nicht ausgefchloffen; und ift 
es zugleich gewiß, daß bie göttlihe Gnade bie wahrhafte 
Breiheit wolle und bewirfe, fo fann darin nur ein Antrieb 


BVorherbeflimmung. 239 


liegen, jener Forderung um fo mehr zu genügen. Infofern 
nun aber das felbfteigene Thun des Menfhen bie Gr» 
Tangung ber Gnabe nicht bewirkt, weil biefe nicht secundum 
merita ertheilt wird, vielmehr bie Gnade bie zuvorfommende, 
bebingenbe Urſache alles wahrhaft Guten ift; fo läßt fid) 
das über biefem Verhältnig von Gnade und Sreiheit 
ſchwebende Gefeimnif practifch fo überfegen. Da ber 
Menſch bie Gnabe Gottes nicht in feiner Gewalt hat, fo 
thue er was in feinen Kräften liegt für feine höhere 
Beftimmung; aber al’ fein moralifches Thun trage,’ ba er 
bie Gnabe Gottes nicht entbehren fann, ben religiöfen 
Eharakter ber Bitte um Gottes Beiftand 1). Das Augu- 
ſtiniſche Wort: da Domine quod jubes, et jube quod vis 
— woran Pelagius fo großen Anftoß genommen, ift ber 
rechte Ausdruck, bie wahre Formel des unferm fittlichen 
Thun wefentlihen und principalen refigiófen Charakters, 
das feinem Inhalte nad) ein befländiges Beten und Streben 
nad) ber diriftliden Vollfommenheit fein foll: „Ora et la- 
bora!* „Wachet und bete! Zu ber Bitte gefellt ſich 
ber Dank gegen Gott, fo oft wir uns in unferm Streben 
mad) ber fittlihen Vollkommenheit gefördert fühlen. Da 
aber das rechte Bitten und Blehen, wie überhaupt alles 
wahrhaft gute Thun burd) bie Wirffamfeit der göttlichen 
Gnade bedingt ift ?), fo fommen wir über ben Eirkel, 

1) Die pofitive Baflung in bem befannten ſcholaſtiſchen Gag: Fa- 
cienti quod in se est, Deus non denegat (largitur) gratiam, {ft 
unzuläffig, weil batin liegt, daß ber Menſch aus eigener Kraft auf bie 
Gnade fid) vorbereiten, biefelbe verdienen Fönne; aber die Tendenz des 
Satzes ſcheint unverwerflich unb feine anbere zu fein, als bie Berechtigung 
des fittlichen Imperativs neben bem Dogma von bet Nothwendigkeit unb 
abfofuten SBirffamfeit ver Gnade zu behaupten. Vgl. Estius in 2 sentt. 
dist. 26. Φ. 35. 

2) Augustin Epist. 194. n. 18. 


΄ 240 Die dirifilie Gnadenlehre. 


über die Wechſelwirkung zwifchen Freiheit und Gnabe auf 
biefer Seite nicht anders hinaus auf einen von der goͤtt⸗ 
lichen Gnade unabhängigen Standort für die Freiheit des 
Willens, als durch Surüdgang auf bie formelle Freiheit, 
das Vermögen des Guten und Böfen, weldhes nicht burd) 
die Onade bedingt, fonbern von ifr vorausgefegt if. In - 
ihm haben wir für den fittlihen Standpunct eine reine 
vorausfegungslofe Grundlage; denn obwohl das Vermögen 
des Guten in dem Suftanbe der Suͤndenknechtſchaft, ber 
Unfceiheit im emphatifhen Sinne, eine vis impedita, ein 
ſchwaches, fraftlofes Vermögen ift, fo ift εὖ bod) ein 
Vermögen, unb der Sag, ber Menfh fann das Gute 
wollen, eine unantafibare Wahrheit; zwar infofern eine 
blos abftracte, als wir erfennen, daß er aus fid das 
Gute. nift wirklich will, infofern aber zugleich eine 
concrete Wahrheit, ald er das Böfe, das er will, frei 
will, indem er es auch nit wollen fünnte. Kurz, biefer 
Rüdgang auf bie formelle Freiheit, bie bem Menfchen 
aud im Zuftand ber Sünde verbleibt, wenn er aud) nicht 
hinreicht, das geheimnißvolle Dunkel des einheitlihen Zus 
fammentoitfen8 von Gnade und Breiheit gänzlich zu zer⸗ 
fireuen, if bod) vollfommen geeignet, bie Bedenken zu 
befeitigen, welche vom fittlichspractifchen Standpunkte aus 
gegen bie Lehre von ber aus fid wirffamen Gnabe erhoben 
werben. Dazu fommt nod) ein anderes Moment, das 
wir wenigftens fur nod) berühren wollen. Der unter der 
Saft der Sünde und fünbbaften Begierde ſeufzende Menſch, 
beffen Heil nur aus bem Grbarmen Gottes burd) bie Gnade 
des Erlöfers entfpringen fann Röm. 7, 24. 25., ftebt 
nad der göttlichen Heilsordnung nit in einem rein inner 
lien, unmittelbar geifligen 9tapport mit ber göttlichen 


Borherbefitmmung. 24 


Gnade, fonbern biefer ift vermittelt durch bie dufere Ger 
meinſchaft mit bem Erlöfer in ber Erlöfungsanftalt ober 
Kirche Chriſti, und wird eingeleitet und vollzogen durch 
die Anhörung des Wortes Gottes unb ben Gebraud) ber 
Sacramente. Der Zutritt zu beidem ift in unferer Gewalt, 
fofern uns das Evangelium verfündigt wird (vgl. 
unt.), wir verhalten und dazu frei. Hier alfo ift gegen» 
über der innern Gnade Gotteó ein reiner von ihr unab⸗ 
hängiger Standpunct für den menſchlichen Willen gegeben, 
und fomit bie von bem Sntereffe des practifchen Ehriftens 
thums aus erhobene Inftanz gegen die abfolute Noth⸗ 
wendigkeit und Wirffamfeit der Gnade vollftändig befeitigt. 
Haben wir nun wiederholt nadjgetoiefen, was bei einigem 
Stadjbenfen Jeder felbft finden wird, daß bie wefentlidjen 
Schwierigkeiten der Präbeftination (in ihrer allgemeinen 
Faſſung) feine andere find als bie ber abfolut wirffamen 
Gnade, fo enthält bie eben vollzogene gófung der [egtern ^ 
zugleich bie Antwort auf bie Bedenken gegen bie unbebingte 
Vorherbeftiimmung aus bem fittlich» practifhen Geſichts⸗ 
puncte. Eine fpecielle Beleuchtung diefer Schwierigkeiten 
erſcheint deshalb vollfommen überflüffig; nur einen Spunct 
glauben wir nicht ganz mit Stillſchweigen übergehen zu 
dürfen, daß nàmlid) bie unbebingte Vorherbeftiimmung zum 
ewigen eben bie Betrachtung beffelben als bie Krone 
ber Gereihtigleit, bie der Herr, der gerechte Richter allen 
verleiht, weldhe feiner Erſcheinung fid) freuen 2 Timoth. 4. 8, 
als Preis des guten Kampfes, als Lohn ber guten Werke 
und Verdienſte, weldjen Gott feiner SBerbeifung getreu 
denen ertheilt, bie bis an'8 Ende in feiner Gnade unb 
der aus ihr fließenden Gerechtigkeit beharren, nidjt aus⸗ 
fondern einſchließe (Conc. Trid. sess. 6. cap. 16.). 


242 Die chriftliche Gnadenlehre. 


An der Graͤnze des uns hier verſtatteten Raumes 
angekommen, müffen wir uns nunmehr darauf beſchraͤnken, 
bie übrigen Lehrſätze unb Probleme, wie fie fid) bem von 
uns eingefdjlagenen fonthetifhen Gange vom Allgemeinen 
zum Befondern gemäß an einander reihen, aufzuführen 
und mit ben nöthigften Erläuterungen zu begleiten. 

G6 gibt nur eine Prädeftination, bie Präbeftination 
zum ewigen geben, und fie ift eine unbebingte: bies 
hat fid) uns aus bem Bisherigen ergeben. Das Gegen 
theil der Prädeftination zum Leben wäre bie SBrábeftination 
qum SBerberben, die Reprobation. Gibt es eine folde, 
und voie ift fle beſchaffen? In Bezug auf das eine und 
felbe Subject, alfo in Bezug auf ben Menſchen überhaupt 
fat Gott defien Heil (ewiges Leben) beſchloſſen, ober nicht bes 
ſchloſſen. Im fegtecn falle — denn ber erfte geht ung hier nicht 
mehr an — hat Gott entweder eben nur dieſes, b. f. nichts 
beſchloſſen Hinftchtlich des ewigen Looſes des Menfchen, ober 
et hat (poſitiv) das Gegentheil, das Verderben beffen ber 
ſchloſſen, beffen Leben er nicht beſchloſſen. Das legtere ber 
haupten biejenigen, welche eine gemina praedestinatio lehren, 
3. 9. G ott(djalT in ver Mitte des 9. Jahrhunderts unb Gal 
vin. Diefe Pebre, wofür man fid) aufYuguftin!) mit Recht 
nicht berufen ann, wiewohl dahin bezügliche Aeußerungen bei 
ihm vorkommen, unb welche bie (2.) Synode von Orange‘), 





1) Contr. Julian. lib. II. c. 18: Bonus est Deus, justus esi 
Deus: potest aliquos sine bonis méritis liberare, quia bonus; non 
potest quemquam sine malis meritis damnare quia justus est — das 
df der Kern feiner Präbeftinationslefre. Ueber dem Unterſchied zwiſchen 
Präbefination und Reprobation vgl. Epist. 194 ad Sixt. n. 12. βοᾷ. 
de grat. et lib. arbit. n. 43. 44. 

2) Cap. XXV. ober vielmeht im Epilog: Aliquos vero ad malum 
divina potestate praedestinatos esse, non solum non credimus, sed 


Vorherbeſtimmung. 243 


obwohl fle ben Fußtapfen Auguftins unverwandten Blides 
folgt, mit Abfcheu von fid) weist, ja ſogar ihr Dafein 
besweifelt, ift verwerflih. Da Gott binfiditlid) bc Böfen, 
worin das SBerberben befteht unb das zum Ververben führt, 
infofern fid) paffiv verhält, als er der in bem freien Willen 
begründeten Möglichkeit beffelben nicht nur feinen Vorſchub 
leitet, fondern aud) ihrem llebergang in die Wirklichkeit 
entgegentritt burd) bie DVerwirflihung des Guten vere 
mittelft feiner ur(prüngliden Gnabe; fo gibt e& von diefem 
(fuprafapfarifden) Gtanbpuntte aus Feine Prädes 
flination zum SBerberben, fondern nur ein Vorherwiſſen 
des Sündenfalles Adams und in ihm des ganzen Geſchlechts. 
Aber aud) feine SBrübeftination zum eben, wenigftens nicht 
in Bezug auf Adam als den Stammvater und Repräs 
fentanten des Menſchengeſchlechts; wie denn überhaupt eine 
allgemeine Präveftination nidt benfbar if, weil mit 
einer folden bie Freiheit des menfhlihen Willens unver- 
einbarlih wäre. Es wäre ein falfher Schluß: wenn 
Gott einen oder einige salva libertate jum ewigen geben 
präbeftiniren fann, fo kann er ebenfo aud) alle dazu 
präbeftiniren. 

Eine Präbeftination Adams in eigener Perfon 
aber, bie allerdings denkbar, fält nicht mehr unter ben 
fupralapfarifhen Geſichtspunct, fonbern unter ben infra» 
lapfarifden, unter weldem Adam als Einzelner in der 
Reihe ber übrigen, durch feine umb ihre eigene Schuld 
dem SBerberben Anheimgefallenen, als ein Glied ber all- 
gemeinen Maffe erſcheint. Stellen wir und auf biefen 
Standpunet, unb fegen alfo ben Ball des erften Menjchen 
etiam ei sunt, qui tantum malum credere velint, cim omni detes- 
tatione illis anathema dicimus, Cf. Cono. Trid. sess. 6. can, 17. 

Stel. Ouartaligrift. 1889. 11. Heft. 17 


244 Die chriſtliche Gnadenlehre. 


und in ihm der ganzen Menſchheit als einen lediglich durch 
ſeine freie That vollbrachten voraus, ſo hat Gott denſelben 
und das mit ihm uͤber die Menſchheit gekommene Verderben 
vorhergewußt, aber nicht vorherbeſtimmt. Die Praͤdeſti⸗ 
nation wie die Reprobation ſind Begriffe, Beſtimmungen, 
die erſt mit dieſem Standpuncte entſtehen und im Sinne 
Auguſtins und der ſtrengſten Auguſtinianer nicht uͤber den⸗ 
ſelben hinausgreifen; dadurch unterſcheiden ſie ſich von 
den eigentlichen Praͤdeſtinatianern, welche, indem ſie ſich 
über dieſe Beſchraͤnkung hinwegſetzen, zugleich bie gemina 
praedestinatio behaupten. Die Auguftinianer lehren nun, 
daß Gott, wie er Einige in ber verborbenen Maffe aus 
freiem Erbarmen zu erretten und zum ewigen Leben zu 
führen befchloffen, ebenfo bie Andern dem ewigen Tode 
geweiht habe vermöge feiner Gerechtigkeit zu ihrer 
wohlverdienten Strafe. Was in biefer Lehre das Schwies 
tigfte ift, bie ungleiche Behandlung ber in gleicher 
Lage fid befindlichen Menſchen, geht uns hier nod) nichts 
an; wir haben lebiglid) zu unterſuchen, von welder Art 
biefe Reprobation fei. Da leudjtet num vor allem ein, 
daß, ba ber abamiti[fe Fall ein völlig freier und von 
Gott in Feiner Weiſe verurſacht ift, bie Reprobation der 
Gefallenen nad Maßgabe ihrer fittlihen 8e 
tbeiligung an bemfelben als ein Act ber ſtrafen⸗ 
den Gereditigfeit Gottes muß angefehen werben, baf folg« 
fid) nur infofern von einer Prädeftination gum Tode bie 
Rede fein Tann, als Gott diefen Fall vorherwiffend bes 
ſchloſſen hat, nicht alle aus ihm zu erretten (was ja auch, 
wie [don bemerft, ohne Beeinträchtigung der Freiheit nicht 


1) Augustin. de dono persev. n. 25. 


Vorherbeſtimmung. 245 


denkbar wäre), fonbern einige darin fteden zu laſſen. Die 
Reprobation ift daher weder eine unbebingte, denn fte 
beruht auf bem Vorherwiffen des menfhlichen Verhaltens, 
mod) eine pofitine Einwirkung zur Verfhlimmerung des 
Menſchen, denn fie ift nur mit Vorenthaltung der Gnade 
verbunden; ja fie ſchließt nicht alle, nicht einmal (um in 
ber hergebrachten Weife zu reden) alle wirffame Gnade 
aus, fondern nur baó donum perseverantiae, b. f. eben 
bie Präbeftination zum Leben. Die Verurtheilung aber 
tichter fij, wie bemerkt, gänzlich nad der Art und bem 
Maaße der Schuld, welche dem Menfhen zur Laft fällt: 
denn fie ift ein Act der abfoluten Gerechtigkeit. Sofern 
daher ganz abftract, wie es von Seiten der Auguftinianer 
geſchieht, febiglid) auf die Erbfünde, die Verwidelung in 
den Eündenfall Adams bei Feftftellung des Begriffs der 
Steprobation hingefehen ift, muß man einräumen, daß fie 
ben Nachkommen des erften Menſchen, ba fie bei beffen 
Falle nicht perſoͤnlich, durch freie, wiffentfide unb gefliffent- 
lide Mitübertretung des göttlichen Gebotes, fondern nur 
unperfönlich betheiligt find, aud) nur nad) biefer Maaß—⸗ 
gabe treffen fann 5). ] 

Haben wir im Bisherigen Sprübeftination unb Repror 


1) Worin die nicht durch perfönliche, fondern blos mitgetheilte 
Schuld bedingte Unfeligfeit befiche, kann hier nicht náfer nachgewiefen 
werben; wir erinnern mur an ben bekannten Unterfchied zwifchen poena 
sensus und poena damni, welden bie Theologen bei ber Brage madj 
dem jenfeitigen Looſe ber ungetauft abflerbenden Kinder ju wentiliren 
pflegen.- Gerade diefer Fall legt bei ber obigen abſtrocten Betrachtung 
vor; ber Menfch ohne "perfönliche Gittüidfeit sive in malam sive in 
bonam partem ift das Kind. 

Die Vervolltändigung obiger fBetradjtung durch Herbeiziehung bee 
perfönlichen Moments gibt das unmittelbar Golgenbe. 
17* 


246 Dle chriſtliche Gnadenlehre. 


bation jede fuͤr ſich und die letztere im Unterſchiede von 
der erſtern betrachtet, fo müflen wir fie fet auf einander 
beziehen und von der Vorherbeftimmung eines Menſchen 
mit Ausfhluß des andern ober von ber Gnadenwahl 
(Borherbeftimmung in concreto) handeln. 

Diefe concrete Betrachtung geht von bem Dualismus 
aus, ben die Erfahrung lehrt, von bem Gegenfage zwiſchen 
Guten und Böfen, der, bei allem Wechſel der Subjecte in 
Bezug auf ihn, als ein bleibender er[djeint, unb aud nad) 
der Lehre des Glaubens niemals verfhmwindet, in Feiner 
ἀποκατάστασις πάντων endet. 

Worin liegt der Grund dieſes Gegenfages? Rad 
allem Bisherigen in beidem zugleich, in ber göttlichen Vor⸗ 
herbeftimmung und in ber menſchlichen Selbfibeftimmung. 
Aber wie? das ift jegt zu unterfuchen und an ber Hand 
der hriftlichen Lehre zu entfcheiden. 

Der Gegenfat führt fi) zurüd auf die ungleiche Aus- 
theilung ber Gnabe, welche wiederum „in bem freien Wohl⸗ 
gefallen“ Gottes begründet if. Wer zum ewigen Leben 
präbeftinirt ift, wird felig, wer nicht prábeftinirt ift, wird 
nicht felig. Zwar ift von ber Nichtbefeligung das Ver⸗ 
derbniß zu unterſcheiden; jene verhält fij als etwas tein 
Negatives, und erft das Verberben ift das eigentliche Gegen» 
theil der Geligfeit; aud) ift der Nichtempfang ber wirt» 
famen Gnabe unb weiter zurüd das Nichtpräbeftinirtfein 
Urſache lediglich der Nichtfeligfeit unb das pofttive Ver⸗ 
berben, bie SBerbammnif allein dem böfen Willen zuzu⸗ 
fhreiben. Allein trog alles deſſen liegt eine ganz ungleiche 
Behandlung der Menfchen von Seiten’Gottes vor, bie fo 
wie fie hier vorgeftelIt ift, mit ber Gerechtigkeit, ber 
ſtrengen Unpartheilicfeit Gottes ſchwer vereinbarlih zu 


BVorherbeftimmung. 247 


fein fdeint. Sehen wir aud) ein, bag bem Nichtpräs 
deftinirten fein Unrecht gefchieht, fofern er vermóge feiner 
ererbten und perfönlihen Unwürbigfeit und Verdammlich⸗ 
keit auf SBegnabigung feinen Anſpruch hat, fo ift bod) bem 
Rechte, das hier in Anwendung fommt, fein Lauf nicht 
gelaffen, fondern daſſelbe zu Gunften eines andern gleichſam 
fufpendirt, fofern an biefem Gnade vor Recht ergeht. Fra⸗ 
gen wir, worin der Grund biefer ungleihen Behandlung 
liege, fo betreten wir ben Weg, bad Geheimniß ber Gnaden⸗ 
wahl zu begreifen, auf bem τοῖς einige Schritte vorzu- 
bringen hoffen fónnen. Der Bf. Auguftin ſchloß mit ber 
Grfenntnif, bag ber Nichtpräveftinirte für fid) feine Ur» 
fade zur Klage habe, ba er fid) ber eigenen Schuld als 
Urfache feiner Verdammung bewußt fein müffe, und unters 
warf fi im übrigen der Tiefe und Unergrünblichfeit des 
göttlichen Geheimniſſes. Liegt jene ungleiche Behandlung 
etwa in bem vorauégebenben, beziehungsweiſe vorausge⸗ 
fehenen ungfeidjen Verhalten der Menfchen? Keineswegs! 
Denn vor und aufer der Gnade find alle Stadjfommen 
Adams verwerflih vor Gott. Aber find fie εὖ vielleicht 
in ungleider Weife? Sieht man lebigli auf die aba» 
mitiſche Sündhaftigfeit, fo muß aud) biefe frage verneint 
werben, ba bie Erbſchuld in allen ganz unb gar biefelbe 
if. Allein gerade diefe abftracte Betrachtung (ber Augu- 
finianer und Thomiften), bie nur das unperſoͤnliche fitt» 
lide Verhalten des Menfhen im Auge hat unb ihn auf 
dem Standpuncte des Kindes firirt, ift. eine untergeorbnete, 
mangelhafte, über bie wir uns erheben Können unb follen 
zu ber Betrachtung des perfónlid) fittlihen Verhaltens, 
welches bem Ermachfenen eignet. Hier erft ift der Begriff 
des Menfchen in feiner Totalität gegeben; und biefer Bes 


248 Die Hriftliche Gnadenlehre. 


griff muß ben Anfangspunet bifben. Nehmen wir alfo 
ben Menfhen als moralifhe Perfon, fo erfcheint zwar 
aud aus biefem Geſtchtspuncte vor und außer der Gnade 
feiner gut, „auch nicht einer" ; und wenn babet Gott Einen 
erwählt unb zum Leben beftimmt, fo ift dies ein Act feines 
freien Wohlgefallens. Allein wenn jener allgemeinen Suͤnd⸗ 
haftigfeit unbefhabet bie Menfchen als fittlihe Perfonen 
fid) doch reell von einander unterfheiden und eine fo 
große Mannigfaltigkeit fittliher Zuſtaͤndlichkeit barftellen 
als es Perfonen gibt; fo ftellen fte eine Reihe vor, in 
welcher von ber tieffrem Tiefe moralifcher Verfunfenheit 
an immer einer über ben andern fij erhebt, eine Reihe 
mithin, die ſich bis an die Graͤnze ber Wiedergeburt aus 
Gott und des baburd) bedingten wahrhaft guten unb gott» 
wohlgefälligen Seins und Lebens erftreden fann. Dürfen 
τοῖς nun den Grund der Erwählung in biefer Abftufung 
gleichwohl nicht fuden; denn aud ber Befte unter ben 
der Eünde Verfallenen ift ein „Kind des göttlichen Zornes“, 
und ob Gott diefen ober einen andern begnabige, in allen 
Faͤllen ift und bleibt feine Erwählung freies unverbientes 
Erbarmen — fo erfheint fle bod) a[& das Moment, von 
bem aus die Härte ber Verwerfung und ber Anfloß ber 
ungleihen Behandlung gemilvert, wo nicht befeitiget wer⸗ 
den fann. 

Die Berufung auf die Gott in feinen Gnadenerwei⸗ 
fungen aufteenbe Freiheit hat ihre Berechtigung; diefe 
Freiheit ift ungertrennlich von Gott αἵδ᾽ einem perfönlihen 
Wefen, und von ihr fehen wir aud) Anwendung gemacht 
in ber befannten evangeliſchen Parabel von ben Arbeitern, 
bie qu verfhiedenen Stunden an bie Arbeit berufen 


Borherbeftimmung. 249 


werden. unb fhlieglih denfelben Lohn empfangen 5. 
Allein man muß fij vor bem Anthropomorphismus hüten, 
ber in ber vollen unb unvermitteltin Anwendung biefeó 
Gedankens liegt; erft dann möge er herbeigezogen werben, 
wenn bie zur Erklärung jener ungleihen Behandlung 
tauglihen Momente erfhöpft find, und nur infoweit zur 
Anwendung fommen, als diefe ihm nod) Raum und feine 
Bermittlung als Bedürfniß erſcheinen laffen. Wenn er 
dagegen, wie εὖ von ben Auguftinianern unb Thomiften 
geſchieht, jener abftracten Betrachtung als Schlußftein auf» 
gefegt wird, fo heißt das ben Denfproceß zu frühe abs 
brechen und gerade das Moment unbeadjtet zur Geite 
liegen faffen, mit beffen SBenügung ber angeftrebte Zweck 
allein auf befriedigende Weife erreicht werben Kann. 

In diefer formellen Beziehung haben aud) hier (vgl. 
oben (5. 104) die Moliniften ihnen den Rang abgelaufen. 
Die Moliniften berufen fid) auf bie scientia media Gottes, 
jenes Wiffen, welches gleihfam die Mitte hält zwiſchen 
der scientia visionis (dem Wiffen des Wirflihen, alles 
beffen, mas war if unb fein wird) und ber scientia 
simplicis intelligentiae (9Biffen des abftract Moͤglichen) 
und als 9Biffen des concret Möglichen erſcheint, b. h. des» 
jenigen, was fif verwirklihen würde, wenn eine bes 
ftimmte Vorausfegung einträte. So weiß Gott vorher, 
taf Tyrus und Sivon Buße gethan hätten, wenn fie die 
Wunder gefehen, die Chorazim und SBetbfaiba erfahren 
haben. Diefen Hilfsbegriff wenden fte hier fo an. Gott weiß 
die Wirkungen feiner Gnade auf die Herzen der Menfchen 
vorher, nicht blos bevor er fie extheilt, fonbern auch bevor 


1) Augustin. de dono persev. n. 17. 


250 Die qhriſtliche Gnadenlehre. 


er ſie zu ertheilen beſchließt; wenn er daher dem einen 
die Gnade (der Berufung, Rechtfertigung, Ausdauer, die 
durchlaufenden Momente der Vorherbeſtimmung) zu er⸗ 
theilen beſchließt (ibn prübefinitt) , dem andern aber fie 
nicht zu ertheilen, ſo geſchieht dieß bei jenem auf dem 
Grunde des Vorherwiſſens, daß er ihr zuſtimmen wird 
(scientia visionis), bei dieſem auf bem Grunde ber scientia 
media, des Vorherwiſſens, daß wenn er fle ihm ertheilen 
würde, er ihr doch nicht folgen, fonbetn toiberfireben 
würde. Denft man fid aber Gott nod) gleihfam in ber 
Wahl oder Erwägung begriffen, welchen er feine Gnade 
extheilen, welchen fie vorenthalten wolle, fo it die scientia 
media das Mittel, burd) welches er in Anfehung beider 
Theile zu feinem Entſchluſſe fommt. Und biefe Stellung 
ift e& (nicht jene), welche bie Moliniften dem gedachten 
Hilfsbegriffe anweiſen, wenn fle auf Grunblage ihrer Lehre 
von ber wirffamen Gnade (ob. (5. 104) bem göttlichen 
Praͤdeſtinationsdecret bie scientia media vorausgehen faffen 
und ben Thomiften, bie bie Bebingtheit deſſelben butdj 
was immer für ein SBorfermiffen des menſchlichen Vers 
haltens beftreiten, entgegentreten. — Wie aber ihre Lehre 
von ber wirffamen Gnade auf einen materiellen Itrthum 
hinausläuft, fo aud) diefe ihre Prädeftinationslehre. Es 
ift unzuläßig, bie Gnadenwahl, Präveftination und Repros 
bation in Einem Acte zufammengefaßt, auf bie scientia 
media als auf ihren Grund zurüdzuführen; denn jene hat 
in ihrem Gefolge eine pofitive Einwirfung Gottes auf ben 
menſchlichen Willen, die, wenn fte durch ein Vorherwiſſen 
bedingt wäre, jedenfalls nid)t burd) bie scientia media 
bebingt fein fónnte, wogegen biefe bie Negation einer 
ſolchen Einwirfung ift, und fomit allein die Anwendung 


BVorherbeftimmung. 251 


biefcó Begriffes zuläßt. Erfolgt die Einfimmung bes 
Willens (übrigens unbefdjabet feiner Freiheit) Durch bie 
in ber Präbeftination zum Leben präparirte Gnadenmit⸗ 
theilung, fomit nicht unabhängig von ber Gnadeneinwir⸗ 
Tung, fo fann das Vorherwiſſen biefer Wirkung fein Bes 
fimmungsgrund für bie Extheilung derfelben fein, jeden⸗ 
falls aber würde biefed Vorherwiflen, wenn man es bod 
dem göttlichen Decret unterftellen wollte, nidt unter ben 
Begriff ber scientia media fallen; benn e$ handelt ſich 
bier nicht von einer Möglichkeit, weder einer ſchlechthinigen, 
mod) einer hypothetiſchen, fondern von einem zufünftig 
Wirklichen. Die Steprobation bagegen in ihrem Unter» 
fbiebe von ber Prädeftination fann auf bie scientia media 
begründet werben; unb indem wir es thun unb biefen 
Hilfsbegriff hier zur Anwendung bringen, fihreiten wir 
in ber Grfenntnif des Geheimniffes der Vorherbeftimmung 
um einen erheblichen Schritt vor im Vergleich mit ber 
abftraeten Behandlung des Problems von Seiten ber 
Auguftinianer und Thomiften, in welder das perfönlich 
ſittliche Moment gar nicht in Rechnung genommen ift. 
Indem Gott, dem nichts verborgen und beffen Blid fo 
wenig in die Graͤnzen des Wirklihen eingefchloflen, als 
feine Macht burd) das Wirfliche erſchoͤpft ift, voraueftebt, 
was ber Menſch unter allen Umftänden will unb tut, 
alfo aud) vorauéflebt, was er thun würde, wenn er 
ihm bie Gnade des ewigen Lebens zuwenden wollte, 
mug ihm bie Vorausfiht ber Nichtannahme, ber Ver⸗ 
féümung und SSeruntreuung feiner. Gnade ein Beftim- 
mungégrunb (ein, diefelbe dem böfen menfdjfiden Willen 
vorzuenthalten. Verhaͤlt es fid) fo, fo wiffen wir alfo, 
warum Gott bem einen bie Gnade nicht ertheilt; warum 


252 Die hriftliche Gnadenlehre. 


et fie aber dem andern ertheilt, das wiffen wir nicht, 
weil wir feinen Grund dafür (auf Seite des SRenfden) 
wiffen. Beides gufammenfaffenb, fónnen wir nun fagen: 
„Bott "mill alle Menfchen retten und zur Grfenntnif der 
Wahrheit führen“ ; 1 Tim. 2, 4., unb biefen feinen- gnädigen 
Willen führt er nur an denen nicht aus, melde ihm eigen» 
willig widerfireben. Zwar fdyeint ein ſolches Widerſtreben, 
das wir nad) bem Bisherigen nur al ein hypothetiſches 
Tennen, feinen wirklichen fittlihen Unterfhied zum Nach⸗ 
theil des Nichterwählten zu begründen, und bie scientia 
media, durch deren Herbeiziehung wir darauf geführt 
wurden, eine logifche Fiction, ein imaginárer Begriff zu 
fein, durch den wir nur (djeinbar über bie abftracte Ber 
trachtung ber Thomiften binausgefommen wären. Auch 
müffen wir daran erinnern, mit welder Hartnädigfeit bie 
entſchiedenen Thomiften diefem Begriffe an fif unb in 
feiner Anwendung auf bie Präbeftination widerſtanden. 
Und bod, behaupten wir, hat er feine Berechtigung. 
Wenn das perfónfid) fittlihe Verhalten nichts Gleihgüls 
tiges ift in Bezug auf das ewige Loos bes Menfchen, 
wenn vielmehr, wie bie Freiheit des Willens überhaupt 
in ber göttlihen Gnadenwirkſamkeit, fo aud) biefes Vers 
halten in ber göttlichen Gnadenwahl eingeſchloſſen if, 
wenn, um eó concret auszubrüden, ber Menfch nicht befs 
halb fhlecht und das emige Verberben fein Loos ift, weil 
er nicht prübeftinirt, weil er reprobirt ift, fonbern ums 
gefefrt deßhalb reprobirt, weil er ſchlecht ift, ber Präs 
deftinixte dagegen zwar deßhalb gut unb des ewigen Lebens 
gewiß, weil er durch bie göttliche Gnade dazu erwedt ift, 
aber bod auch nicht allein unb ausſchließlich deßhalb, 
fonbern zugleich fraft feiner freien Selbfibefimmung für 


Vorherbeſtimmung. 253 


das Gute: wenn biefe Sprámiffen fefftehen — und Nies 
manb, bie Präveftinatianer Gottfhalt unb Calvin auó« 
genommen läugnet fie —; fo ijt bie scientia media fein 
imaginärer Begriff, umb jenes blos hypothetiſche Wider⸗ 
fireben, das wir als Grund der Nichtermählung mittelft 
dieſes Begriffs gefunden, beruht auf einer im Vergleich 
(alfo blos relativ) mit bem Erwählten wirklich vorhan- 
denen fittlichen Inferiorität des Nichterwählten. Wir fagen 
alfo nicht: Gott will Alle retten und rettet aud) Alle, 
welche gerettet fein wollen: darin läge, daß ber Rathſchluß 
ber Erwählung lediglich aus dem Vorherwiſſen des menfdj- 
liden Verhaltens hervorgehe, in bem Gott diejenigen zu 
befeligen befchließe, von denen er vorherweiß, daß fie feiner 
Gnade zuftimmen, wie er Diejenigen nicht zu erretten bes 
fhließt, von denen er baó Gegentheil vorfermeif. Dann 
wäre εὖ nicht die göttliche Gnade, Durch welche wir das 
ewige Leben erlangen, fonbern unfer Wille, wiewohl nicht 
ohne bie Gnabe; dann wäre bie Gnade nicht aus fid 
wirkſam, fondern in Kraft des Willens; wir erlangten, 
was uns Gottes gnädiger Wille ſchenken will, nicht deß— 
halb, weil Gr εὖ will, fonbern weil wir wollen, und außer 
feinem allgemeinen Willen Alle zu retten, gäbe εὖ 
nicht blos rüdfidtlid) ber Intention fondern aud) des 
Effects feinen befondern, alfo aud feine Gnadenwahl 
im eigentlichen Sinne: lauter Lehren, bie im entfchiedenften 
Widerſpruche mit dem Worte Gottes unb bem Dogma ber 
Kirche ftehen. Unfere Formel lautet vielmehr: Gott will 
Ale reiten und rettet nur diejenigen nicht, welche ihm 
eigenwillig wiberfireben. Die fittlihe Selbftunterfheidung 
der Menfchen, welde von bem Freiheitsgebrauche unzer⸗ 
trennlich ig und uns aud) überall da entgegentritt, wo 


254 Die chriſtllche Gnadenlehre. 


wir ſittliche Perſonen vor uns haben, zur directen Vor⸗ 
ausſetzung und Unterlage der Erwaͤhlung zu machen, iſt 
ſchlechthin unzulaͤßig; denn fte beſteht nicht unabhängig 
von dieſer, etwa wie der freie Wille als Vermoͤgen des 
Guten und Boͤſen unabhaͤngig von der Gnade da und von 
dieſer ſchlechthin vorausgeſetzt iſt, ſondern iſt theil weiſe 
ihr Product: fie wäre ganz das Product der Erwaͤhlung, 
wenn es eine gemina praedestinatio gäbe, wenn ber Menſch 
zu beidem, bem Guten und Böfen von Gott befimmt 
wäre. Und theilweifes Product ber Erwählung ift fie in 
„ungleicher Weife; ber böfe, zum SBerberben führende 
Wille ift fein Werf der Prädeftination, fondern das Werf 
des Menfhen unb die Folge ber Nihterwähr 
fung, ber gute zum ewigen Leben führende "Wille aber 
it das Werk ber Prädeftination (Gnade) und 
die Folge ber freien Selbfibefimmung bes 
SRenfden. Hierin liegt ein verſchiedenes Verhalten des 
Menſchen zu dem Zweck und Endziel feines Dafeins, und 
zwar von Seiten des Böfen aus in feiner Be 
siehung zum Guten ein ber Gnade vorausgehendes, 
burd fie nidt bebingtes Verhalten in ähnlicher Weife, 
tie ber natürliche Wille vor und unabhängig von ber Gnade 
ein Vermögen des Guten und Böfen ift. In diefem 
relativen und negativen Sinne erfcheint bie lediglich 
auf bem freien Willensgebrauch beruhende fittlihe Selbſt⸗ 
unterfheidung des einen vom andern als bie Vorauss 
fe&ung ber Erwählung; unb biefe von ber Ermählung 
unabhängige perfönliche Selbſtunterſcheidung verhält fij 
als das Außerfte Glied, als bie tieffte Unterlage des {εἴθ 
fländigen fittlichen Lebens, auf welche die Berechtigung 
aur fittlihen Ermahnung und Beftrafung gebaut werben 


Vorherbeſtimmung. 255 


Tann; wogegen ber bf. Auguftin Ὁ von feinem abſtrac⸗ 
ten Standpuncte aus für biefe Berechtigung auf nichts 
fif berufen Fonnte als auf das fubjective Geheimniß ber 
S)rübeftination, darauf, daß fein Sterbliher weiß unb 
wiſſen fann, ob er in die Zahl der Erwählten von Gott 
aufgenommen fei ober nicht. Der πάζβε Schritt über 
jene fittliche Selbftunterfheidung hinaus führt uns in das 
Verhältniß des gum Leben Vorherbeftimmten zu diefer Vor⸗ 
herbeftimmung hinein, ein Berhältniß, von bem wir oben 
ausführlich gezeigt haben, daß in bemfelben bie Forderung 
der fittlichen Freiheit, der Standpunct des practifchen Chris 
ſtenthums vollfommen gewahrt fei. 

Stadj.ber bisherigen Betrachtung ftellt die Praͤdem̃⸗ 
nation ein inneres unmittelbares Verhältnig Gottes 
jum Menfchen dar. Sie hat aber aud) eine äußere 
Seite, bie fif al8 bie finnfide Vermittlung zu 
jenen rein geiftigen Bezügen der göttlichen Heilsbereitſchaft 
verhält. Wir find nämlich von Ewigkeit her in Chrifto 
wählt, daß wir burdj feine Gnade das ewige geben 
erlangen (Ephef. 1, 4. 5. vgl. 9tóm. 6, 23); die Gnade 
Gottes in Chriſto aber ift gefmüpft an den Eintritt in 
feine Gemeinfdaft ober Kirhe, an bie Auf» unb 
Annahme des Wortes Gottes und ben Gebraud) ber Sacra⸗ 
mente (Gnadenmittel), bie er in ihr hinterlegt hat. „Wer 
glaubt und getauft ift, wird gerettet, wer aber nicht 
glaubt, wird verurtheilt werben." Mark. 16, 16. vergl. 
305.3, 36." Die Schwierigfeit, bie aus diefer Auffaſſung 
der Praͤdeſtination erwaͤchst, [dft fi fur fo zuſammen⸗ 
faffen. Daß einige im Chriftenthum geboren werden und 





1) De corrept. et grat. n. 20. 25. 


256 Die chriſtliche Gnadenlehre. 


durch die Taufe Antheil an Chriſtus gewinnen, andere 
aber nicht, daß überhaupt einem Theil der Menſchheit das 
Evangelium verfündigt wird, einem andern nicht, if 
lebiglid) von Gott fo verordnet, unb biefe Verordnung be 
wegt unb effectuirt fid) nad) ihrer äußern Geite nicht wie 
bie bisher betrachtete innerhalb, fondern außerhalb ber 
Sphäre der menschlichen Freiheit und Gelbftbeftimmung 
auf bem Gebiete der äußern Umftände und SBerbáltniffe, 
in bie wir ohne unfer Zuthun gefeßt find, bie wir mit 
dem beften Willen nicht beherrfchen und zu unfern Gunſten 
Tenfen Fönnen. „Wer den Namen des Heren anruft, fagt 
der Apoftel, wird gerettet werden. Wie können fie nun 
ben anrufen, an ben fie nicht glauben? wie Fönnen fie 
aber an ben glauben, von bem fie nicht gehört haben? 
wie fönnen fie aber von ihm hören, ohne einen Verkuͤn⸗ 
biger" ? Röm. 10, 13. 14. Wie làft fi) über biefe 
Schwierigfeit Hinwegfommen, ober befcheidener gefproden: 
in welcher Richtung liegt ihre Löfung? In Anfehung ders 
jenigen, bie im Chriſtenthum geboren find, fowie beret, 
denen es im Verlaufe ihres Lebens befannt wird burd) 
die Boten des Evangeliums, fat die früher entwidelte 
Betrachtung ihre volle Geltung; auf diejenigen aber findet 
fie feine Anwendung, bie zwar im Ehriftenthume geboren, 
aber durch vorzeitigen Tod ober durch Nachlaͤſſigkeit ans 
derer an ber Wiedergeburt burd) die Taufe verhindert 
werden; forie auf diejenigen, denen burd) ihr ganzes Leben 
das Evangelium völlig unbefannt und fremd bleibt. Don 
jenen reden wir hier nicht weiter, unb zwar deßhalb nicht, 
weil biefe Betrachtung eine particuläre und abftracte, von 
dem vollen Begriff des Menfchen, von bem Menſchen als 
SBerfon abftrahirende ift, bie nie zu einem wiſſenſchaftlich 


Vorherbeſtimmung. 257 


genügenden Ergebniffe führen kann. Sie verhält fi als 
Moment zu der Betrachtung des zuletzt erwähnten 8er» 
haͤlmiſſes und muß von diefer aus, zu ber wir ieht übers 
gehen, gewürdigt werben. Diejenigen alfo, benen ohne 
ihre perfönliche Schuld !) bic chriſtliche Heilsanftalt ver⸗ 
ſchloſſen bleibt, find entweder im Zuſtande ber Vorbe⸗ 
teitung auf Chriſtus, alfo ſolche, denen durch Gottes 
Gnade die Ausſicht und Hoffnung auf ben Erloͤſer eröffnet 
iR, und bie fofglid) mit bem Judenthume das antieipirte 
Chriſte nthum tepräfentiren. In Anfehung aller diefer 
gilt ganz die frühere Betrachtung; fie find, wie bie Ehriften, 
äußerlich in den Stand gefet zu glauben an ben (kuͤnf⸗ 
tigen) Erloͤſer und in dieſem Glauben und das ihm 
gemaͤße Leben bie Seligkeit zu erlangen 9. Oder ſolche, 
bei denen dies nicht ber Fall if — das Deibentfum 
im eigentlichen umb engern Sinne. Diefes Heidenthum, 
welches als vorriftliches bem Judenthum ober ber chriſt⸗ 
lichen Borbereitungsanftalt zur Seite geht, und als 
nachchriſtliches der in Wirklichkeit getretenen chriſtlichen 
Heilsanftalt parallel lauft, kommt hier allein in Betradt; , 





1) Dürfte man fidj auf den Standpunct der allgemeinen Sünd⸗ 
fefüigfeit befehränfen, fo würde man hier wie oben mit Auguftin 
fügen: Keiner kann fih beklagen, bem die Gnade ber Verkündigung 
ds göttlichen Wortes vorenthalten wird, εὖ geſchieht Ihnen Fein Unrecht. ἡ 

2) Die bogmengefdjidotlide und’ theifweife aud) bogmoti[dje Aus 
führung dieſes Sahes gibt ganz gut Natal. Alexander hist, eccles. 
Tom, III. dissert. V. p. 124 seq. p. 370. 373. ed. Venet. 1771. — 
Bas insbeſondere bie chriflliche Taufe, ben Schlüffel zum Reiche Gottes, 
betrifft, fo ift fie eim poſitives Geſetz und verpflichtet deßhalb erft von 
der Zeit feiner Promulgation an Die, denen es promulgirt itj Estiue 
in 4. dist. 3. $. 13. dist. 4. $. 16. Daher fagt aud das Goncil 
von Trient sens, 6. cap. 4, bof bie Rechtfertigung nad) gefcheh e⸗ 
att Berfündigung nicht ohne die Taufe ober deren Botum erfolge. 


258 Die Griflige Gnadenlehre - 


es erſcheint al8 ber Auferlich reprobirte Theil ber 
Menschheit im Vergleich mit ben übrigen, bie als áufetlid) 
präbeftinirt zu benfen find. Diefe Berwerfung if eine 
viel härtere als bie innerliche, weil fie fid) der Einwirfung 
des freien Willens gänzlich entzieht; unb man fann, abs 
. gefehen von ber allgemeinen Schuld, bie Betroffenen in 
keiner Weife für ben daraus erwachſenden Schaden per- 
fönlich verantwortlich erflären. Trifft alfo Gott bie 
Schuld? Keineswegs! Und zwar vor allem ſchon deßhalb 
nicht, weil die SBeranftaftung ber Erlöfung für den durch 
eigene Schuld gefallenen Menfchen, ben er von Anfang 
in den Stand ber Gerechtigkeit und Geborgenheit gefebt 
hatte, eine reine unverbiente Gnabe ift, und folglich bie 
Abirrung von bem Ziele lebiglid) auf Rechnung des 
Menſchen felbft fommt, ber nit nur auf unperfönlide 
Weiſe in ben Fall Adams verwidelt, fondern aud) durd 
eigene perfönlihe Schuld bem Böfen verfallen if. Gegen 
wir aber bie Gnade der Erlöfung voraus und fragen 
und, warum er nicht allen biefefbe zugänglich gemadt, 
nicht von Anfang an und fortlaufend fie zur Kenntniß 
aller gebracht habe: fo ift hierauf in ähnlicher Weife zu 
antworten, wie auf bie rage, warum Gott nicht alle 
burd) feine wirffame (innere) Gnade zur Seligfeit führe. 
Wie die Effectuieung feines allgemeinen Willens alle zu 
' retten. ohne Beeinträchtigung der Freiheit des Menden 
nicht möglich ift, fo if bie gleichzeitige allgemeine Aus 
dehnung feiner äußern Heilsanftalt über alle nicht möglid 
ohne Störung des ordentlichen, natürlihen Weltlaufes. 
Sind wir in jener Beziehung berechtigt zu fagen, daß 
Gott alle rette welche ihm nidt eigenwillig widerſtreben, 
alle alfo bie er retten Fann ohne bie Freiheit, womit er 


Vorherbeſtimmung. 259 


fie am Anfange ausgeruͤſtet und welches die Baſis alles 
fittlichen Dafeins ift, zu beeinträchtigen; fo dürfen mir in 
diefer Beziehung behaupten, daß unter feiner Leitung bie 
Vorbereitungsanftalt fowohl als aud) das Chriſtenthum 
ſelber fo ſchnell und fo weit fid) audbreiteten, als es der 
natürliche Lauf ber Dinge, an den bie übernatürlidje Ord⸗ 
nung fid) anſchließt (mie bie Gnabe an die Freiheit), ver» 
Rattete. Dazu kommt nod) daß, wenn Gott feine in 
Chriſto den Menfchen erworbene Gnade beníelben tegels 
mäßig und orbentlicherweife nur in ber Gemeinfchaft feines 
Sohnes (ber vorbereitenben ober wirklichen) zuwendet, in 
biefer Ordnung und Regel Fein ausſchließliches Gefe& und 
feine abfolute Schranke für ihn in Erfüllung feiner ewigen 
Nathfhlüffe liegen. fann. Ober wie möchte ber Menſch 
ohne Vermeffenheit foldhes behaupten? Hier gilt es mit 
dem Apoftel auszurufen: „DO Tiefe des Gnadenreichthums, 
der Weisheit und Ginfidt Gottes! Wie unerforídilid) find 
feine Gerichte, und unergründlich feine Wege! Denn wer 
hat des Herrn Sinn erfannt oder wer ift fein Rathgeber 
gewefen ?“ Röm. 11, 33—35. Wenn e8 aber fo ijt, daß 
wir in jener Regel unb Ordnung feine Schranfe für bie 
göttliche Barmherzigfeit erbliden dürfen, bann haben wir 
von ber Betrachtung der äußern Gemeinſchaft mit Chriftus, 
unbeſchadet ihrer Nothivendigfeit zum Seelenheile, ben 
Rückgang gewonnen auf bie frühere, nad welder Gott 
dem freien Willen des Menfchen mit feiner Barmherzigfeit 
und Gnade unmittelbar zur Seite fiet Y. Und biefe 





1) Auf pofitivere Weife den Echwierigfeiten gu begegnen, bie " 

füh beiden Betrachtungen , befonders aber der zulegt aufgeſteilten in den 

Bag legen, if ohne Trübung des Dogmas kaum möglich. Wenn daher 

2eibnig, auf beffen theologifche Ginfichten wir übrigens keinen geringern 
Abedl. Svartalfärift. 4959. 1. Heft. 18 


260 Die dieifilitje Guadenlehre. 


innere Gnabenorbnung verhält fid) ju der Außern in aͤhn⸗ 
licher Weife, wie bie Gnabenorbnung an fid) zu der Raturs 
ordnung und die befondere Vorfehung zu der allgemeinen, 
nümfid) als bie vollenbenbe und infofern höhere. 


Werth legen als auf feine philofophifcken, in feinem systema theologi- 
cum (p. 20. ed. Lacroix. Paris. 1845) fagt: Porro omnibus hominibus 
gratiam dat Deus sufficientem , hactenus ut posita modo ipsorum 
voluntate seria, nibil amplius ad salutem eorum desideretur quod 
non sit in potestate, Et proinde muli viri pii persuasi sunt omnem 
hominem venientem in hunc mundum a luce illa mentum, Filio 
Dei aeterno, ejusque Sancto Spiritu ita illuminari, ut saltem ante 
morlem, sive per exíermam praedicationem, sive per internem 
mentis illustrationem , ad nolitiem perveniat, quantum haberi satis 
ek neceise erat, ut salutem obtinere posset, si modo ipse vellet, eo 
fine scilicet, ut saltem, si obstinate resistit vocanti Deo, inexcum- 
bilis constituatur; id enim divina justiiia omnino exigit. Quonam 
autem ratione id praestet Deus, etiam in illis ad quos nulla suspicio 
Evangelii Christi per aliquam externi verbi praedicationem pervenit, 
non iemere definiendum est a nobis, sed sapientiae ejus «c miseri- 
cordiae relinquendum est — fo find wir mit bem legten ganz tin 
verftanden, aber eben barum nicht mit bem erflen, wenn uns barin 
poſitive Aufftellungen geboten fein follen. 








Kuhn. 


Beriätigung. ©. 200 am Schlufſe der Anmerkung muß ger 
defen werben: deren Duelle wir in bem Mangel oder ber Möläuguung 
der foum angegebenen Difinction zu fuchen Haben. 


2. 


SPapft Liberius, fein Verhältnig zum Arianismus 
und zum nicänifhen Symbolum. 


Der frühzeitige Tod des Kaifers Gonftan (350 nad) 
Chr.) übte febr nachtheiligen Einfluß auf bie Gefdide 
der nicänifhen Lehre und ihrer SBertfeibiger. Hatten bie 
Eufebianer fon vorher, gleich nad) ber Rüdberufung des 
Bi. Athanafius aus feinem zweiten Exil, ihre Sntriguen 
gegen ihn erneuert, wie Sokrates (historia eccles. II, 26) 
verfichert, fo febten fie jeßt biefelben befto ungefcheuter fort, 
namentlich) weil Athanaflus bie nicht nicänifh gefinnten 
Geiſtlichen abfegte und andere beftellte, auch, wie fle mein« 
ten, fogar in fremde Diöcefen (deren Obermetropolit er 
übrigens war) Uebergriffe machte '). Vor ber Hand blies 
ben ihre Bemühungen zwar ohne Erfolg, denn wir haben 
noch jet einen Brief des Kaifers Eonftantius an Athanafius, 
worin ihn biefer nad) dem Tode feines Bruders Eonftans 
feines fortwährenden Schutzes verfihert ?), vieleicht, wie 
die Mauriner meinten 3), nur aus Politif, um ftd in ben 
damals Feitifhen Umftänden und Kriegsgeiten (im Abends 


1) Soerates, historia eccles. IL 26. 
2) Bei Athanas. Apolog. ad imperat. Constantium c. 23 umb 
histor. Arianorum ad monachos c. 24. 
3) In ihrer Vita S. Athanasii im erfien Bande p. LIL bet 
Bataviner Ausgabe der Opp. S. Athanas. 
18* 





262 Bapft Aberius 


Tanbe hatte fih Magnentius, in Pannonien Vetra—⸗ 
nion zum Gegenfaifer ausrufen laffen) die Neigung des 
einflußreihen Mannes und des ihm fo anhänglichen 
Aegyptens zu erhalten. 

Ein aud) für bie Kirchengeſchichte nicht unwichtiges 
Ereigniß war der große Sieg des Conftantius bei Murfa 
über den Ufurpator Magnentius am 28, Sept. 351. Biſchof 
Valens von Murfa war damals im Gefolge des Kaifers, 
und ba er das Refultat der fehredlihen Schlacht, welcher 
Eonfantiug nicht unmittelbar ſelbſt beiwohnte, früher als 
diefer erfuhr, verkündete er e8 ihm mit bem Vorgeben, 
durch einen Engel davon benachrichtet worden zu fein, 
und flanb von nun an in hoher Gunft bei dem Kaifer H. 

F Um biefe Zeit traten der genannte Valens und fein 
Freund Bifhof Urſacius von Singidunum wieder zur anti- 
nicaͤniſchen oder arianifirenden Richtung zurüd, deren Ver⸗ 
theidiger fle ſchon fo lange gewefen und weíde fle nur 
einige Zeit fang aus Furcht vor Kaifer Eonftans zum 
Scheine verlaffen hatten. Mit ihnen verbanben fid) Leons 
tius von Antiochien, Georg von Laodicen, Acacius von 
Caͤſarea Palaͤſtina, Theodor von Heraflea und Nareiffus 
von Neronias, und beftimmten gemeinfhaftlih ben Kaifer, 
aufs Neue das Patronat ber antinicänifhen Lehre zu über- 
nehmen. Conſtantius verftanb fid aud) in ber That hiezu 
i. 3. 352, unb beauftragte nun die Genannten, bie öffent» 
lide Stimmung in biefer Richtung zu bearbeiten 9. 

Gerade damals brad) aud) eine der fráftigften Stügen 
des HI. Athanaflus und des nicänifhen Glaubens, denn 


1) So erjäflt Sulpitius Severus histor, sacra; lib. II. p. 345 seq. 
tm VL Bande ber Biblioth. max. Patrum. Lugdun. 1577. 
2) Athanas. histor. Arian. ad monachos. c. 30) 31. 


und das nicänifche Symbolum. 263 


es flarb Papft Julius I. am 12. April 352 und am 22. ° 
Mai Ὁ. I. folgte ibm Liberius, welder (dion unter ben 
nächftvorausgegangenen Päpften mehrere Kirchenaͤmter mit 
Ruhm verwaltet hatte und ein großer Afcet war. Und 
gerade er wird beüchtigt, bie kirchliche Rechtglaͤubigkeit 
aus Menſchenfurcht Herrathen zu haben, und aus Beighelt 
unb Selbſtſucht auf Seite der Keber getreten zu fein. 
Mehrere wollen fogar behaupten, daß er ſchon gleich beim 
Antritte feines Pontififats fid) als heftigen Gegner des 
bf. Athanafius gezeigt habe, und berufen fid) deßhalb auf 
ein Bragment bei Ct. Hilarius von Spoitieré. Daffelbe 
enthält einen angeblichen Brief des Liberius, wornad bie 
morgenländifhen Bifchöfe mod) bei Lebzeiten des Papftes 
Julius neue Klagen gegen Athanaſius vorgebradjt haben 
follen, weßhalb Liberius gleich nad) feinem Amtsantritte 
Geſandte nad) Alerandrien gefehiet habe, um ben 9Itfa» 
nafius zur Verantwortung über bie ihm vorgemorfenen 
Vergehen mad) Rom vorzufordern, wibrigenfalls er von 
der Kirche ausgefchloffen würde. Da nun Athanafius fih 
du erſcheinen geweigert, fo erfläre ‚Liberius jept — in 
diefem Briefe —, daß er fortan nicht mehr mit ibm, wohl 
aber mit den Morgenländern (b. i. ben arianifirenben 
Eufebianern) Kirhengemeinfhaft unterhalten wolle !). 

Allein nicht nur Baronius und andere alte Gelehrte 
haben bie Aechtheit biefe& Briefes beftritten, fondern es 
haben aud) die Mauriner Herausgeber ber Werke des HI. 
Hilarius (p. 1327) deffen Unaͤchtheit deutlich gezeigt, unb 
vat aus folgenden Gründen: ΄ 

1) Qe iſt dieß der Brief des Liberius „Studens paci^ bei Hilar. 


fragm. IV. p. 1327; aud) bei Mansi, Collect. Concil. T. III. p. 208. 
und Baronius ad ann. 352. n. 12. 


264 Slayft Liberlus 


a) Schon in ben erfien Zeiten feines Pontififats 
legte Liberius, wie wir fehen werben, einen großen Eifer 
für Athanaſius unb die nicaͤniſche Sache an den Tag. 

b) Athanafius ſelbſt deutet nirgends im Geringften 
an, daß Liberius (don vor feinem Eril irgend einmal 
die Gemeinfhaft mit ihm aufgehoben habe; ja er fagt 

c) direkte, daß er erft nad) feinem Gri durch Dros 
hungen fid habe verleiten laſſen, unb vorher ganz ſtand⸗ 
haft gemefen fei, aud) bem faiferfiden Eunuchen Eufebius, 
der an ihn abgefanbt war um ihn zu verleiten, fefe ſchoͤne 
Antworten gegeben habe !). 

d) Kiberius erklärte diefem kaiſerlichen Gefandten 
insbefondere: er fónne ben Athanafius, den ſchon zwei 
Cynoben für unfhuldig erflärt und ben bie roͤmiſche Kirche 
im Srieden entlaffen habe, den er uͤberdieß bei defien Ans 
weſenheit in Rom geliebt und in die Gemeinfhaft aufge⸗ 
nommen babe (b. ἢ. als Glerifer unter SBapft Julius an 
der Aufnahme mitgewirkt habe), unmöglich verwerfen ). — 
Das aber hätte Liberius ficher nicht fagen fónnen, wenn 
er felbft (don einmal bem Athanafius bie Kirchengemein⸗ 
ſchaft aufgefündet gehabt hätte. 

e) Liberius wurde ferner von ben Gegnern bes 
Athanaſius befhuldigt, er Babe Klagſchreiben gegen bens 
felben, bie bei ihm im Anfange feines Pontififate 
eingelaufen feien (voie aus dem Zufammenhange erhellt), 
fogar unterbrüdt; fei fonad) eher für Athanaflus pars 
teiiſch gemefen, als gegen ihn. 

f) Auf diefe Beſchuldigung erwiderte Liberius: er 





1) Berg. ble ganze Erzählung des hl. Athanafins in feiner historia 
Arianorum ad monachos c. 35 seqq. 
2) Athanas. 1. c. c. 36, 


und das nieänifche Symbolum. 265 


habe jene Klagſchreiben wohl gelefen und feiner Synode 
mitgetheilt, aber es hätten fid viel mehr Bifhöfe für 
als gegen Athanaflus erflärt ). Auch hierin liegt, baf 
er {εἰδῇ damals, beim Anfange feines Pontififats, ben 
Athanaſius feineswegs verwarf. 

g) Gnbíid) haben bie Arianer in jener Zeit überhaupt 
mehrere falfche Briefe in Umlauf gefeht, wie fon Atha⸗ 
naſius felbft zeigte 3); und aud auf ber Synode von 
Sarbifa war ein folder vorgelefen worden 3). 

So iff bemnad) der erfte Vorwurf, der dem Papfle 
Liherius über fein Verhältnig zur antinicänifhen Partei 
gemacht wurde, für grunbíoó zu eradjten; im Gegentbeile 
zeigte fid derfelbe von Anfang an als entſchiedener Freund 
des Rechts unb ber Orthodorie, wie aud) jeder Schritt 
feiner ferneren Betheiligung an den arianifhen Kämpfen 
beweist. . 

Im Sommer 353 wurde Conftantius burd) bie volle 
fBefiegung und ben Tod des Ufurpator Magnentius Allein» 
herrſcher des großen roͤmiſch⸗griechiſchen Reiches, unb von 
ba an tritt feine Abficht, ben arianifirenden Glauben, bem 
er βείδ felbft angehört hatte, zum herrſchenden zu machen 
und bie homoufiaftifche, vermeintlich fabellianifirende Rich⸗ 
tung zu unterbrüden, immer beutlicher hervor. Damit 
war die Rothwendigkeit gegeben, den Athanaflus aufs 
Neue zu ftürgen, und ein eigenthuͤmlich unehrlicher Plan 
wurde dazu erfonnen. Wahrſcheinlich mit Wiffen des 
Kaifers uͤberreichte man biejem ein angebfid) von Atha⸗ 
naflus herrührendes aber unächtes Schreiben, worin biefer 

1) Hiler. fragm. V. n. 2. p. 1330 ed. Bened. 


2) Athenas. Apologia ad Constantium imper. c. 6. 11. 19. 
8) gl. Hilar. fragm. IL n. 3. p. 1285. 





266 Bapft Aberius 


um die Erlaubnig bat, an das Hoflager Tommen zu dürfen. 
Man hoffte natürlich, dort über ihn eher Meifler werben 
zu fónnen, als in Alerandrien, wo er fo großen Anhang 
beſaß. Eonftantius genehmigte fofort bie vorgebtide Bitte 
und fdidte fein bejahendes Antwortfhreiben burd) einen 
befonberen SBalafibebienten, Montanus, gegen Ende des 
Jahres 353 nad) Alerandrien. Athanafius erkannte fo» 
gleih den Betrug und erflärte: „wenn ber Kaifer auss 
brüdlid) befehle, werde er erfcheinen, aber darum ger 
beten habe er nicht." Er blieb fonad in Alerandrien und 
feine Feinde fäumten nicht, dieß für ein Eapitalverbrechen 
au erflären 1), Zugleich zeigte fij) Gelegenheit zu nod) 
weiteren Angriffen. Die Kirchen zu Alerandrien waren 
feit längerer Zeit zu Mein, unb deßhalb hatte (don ber 
arianifhe Afterbifchof Gregor vor etwa gehn Jahren ben 
Tempel Hadrians in eine Kirche umpugeftalten begonnen. 
Der Bau war nod nicht ganz fertig, die Kirche nod) 
nicht eingeweiht unb bod) hielt Athanaſius am Ofterfefte 
auf Bitten des Volkes darin Gotteödienft,. weil an ben 
vorausgegangenen Tagen bie eigentliche Kathedrale fo 
überfüllt war, daß viele Menfchen gequet(ót wurden. 
Doch fam glüdlicherweife Niemand dabei ums Reben, Die 
Arianer aber fpielten jet bie religiöfen Rigoriften und 
flagten bei dem Kaifer über ben großen Frevel, in einer 
nichtgeweihten Kirche Gottesdienft gehalten zu haben ?). 
Mit den beiden eben berührten Klagepunften vers 
banden fie nod) bie zwei weitern: Athanaſius habe ben 
Kaifer Gonftanó ftetà gegen feinen Bruder Eonftantius 


1) Athenas, Apolog. ad imper. Constant, c. 19 seqq. 
2) lbid. c. 14 seqq. . 


und das nichnifche Symbolum. 267 


aufgezeigt D, unb aud) an Magnentius beim Beginne feiner 
Ujurpation eine ehrerbietige Zuſchrift gefdjidt, um feine 
Gunft zu gewinnen ?). 

Diefe neuen Angriffe auf Athanafius wurden wie dem 
Kaifer fo aud) bem 9Bapfte Liberius mitgetheilt; aber aud) 
bie Freunde des HI. Athanafius traten wieder auf und 
ſchickten, achtzig Bifhöfe an der Zahl, eine Vertheidigungs- 
férift für ihn nad Rom 3). Liberius fand barum bie 
Berufung eines großen Concils für nöthig 9), und bat 
den Kaifer, ein ſolches nad) 9Iquileja auszufchreiben. Con⸗ 
flantiu& wählte jedoch Arles in Gallien, wo er fid) eben 
aufhielt, zum Orte der Synode, unb ließ ben nun hier vers 
fammelten Bifhöfen ein fhon zum Voraus von Valens und 
Urfacius gefertigtes Verbannungsdefret über Athanafius 
vorlefen 5. Die päpftlihen Gefanbten, Biſchof SBincentiu& 
von Gapua und Marcellus Bifchof in Gampanien, fowie 
andere orthodore Bifchöfe ftellten das. Anfinnen, man folle 
bod), ehe man fie zur Unterfprift zwingen wolle, zuvor 
über ben Glauben bdifeutiren, und dann erft über bie 
SBerfon aburtheilen. Aber Biſchof SBalené und feine 
Freunde ließen fid) auf eine neue dogmatiſche Unterfuchung 
gar nicht ein). Sofort machten bie päpftlihen Legaten, 
wie fie fagten, des Friedens willen, nod) ben meitern 
Vorſchlag, fie wollten das Urtheil über Athanafius unter 
reiben, wenn zugleich aud) ein Anathema über die 





1) Ibid, c. 2 seqq. 

2) Ibid. c. 6 seqq. 

3) Hiler. frogm. V. n, 2. p. 1380, 

4) Ibid. fragm. V. n. 1. p. 1930. 

5) Sulpit. Sever. hist, sacra, lib. II, p. 346 1. c. 
6) Sulpit. Sever. l. c. 








266 ffayft Liberlus 

um bie Grlaubnif bat, an das Hoflager Ln can verſprach 
Man hoffte natürlich, dort über ihn ἡ ., aber Valens 
zu koͤnnen, als in Alerandrien, mo —— npe Mehrheit, er 


ba. Conſtantius genehmigte f^ —— ‚nmwilligen zu können 
und (djidte fein bejahendes Ar ag des Athanaſius », 
en a allgemeine Unterfärift 
glei, den Betrug umh geringe Gewalt. Selbſt die 
nang Befehle, - Aerzeichneten ſo das Urtheil gegen 
beten Hab i jlaulinué von Trier blieb ftanbbaft, 
feine Binde fi = zit dem Cril beftraft 2. rapit Liberius 
zu erflären Ὁ dm Abfall feiner Legaten fo fehr betrübt, 
weiteren 9f 97d qe förteb: duplici affectus moerore, mihi 
feit Täne ws aspis pro Deo decrevi, ne viderer novissimus 
arian’ w^ sententiis contra Evangelium commodare con- 
Sn ΤΩΝ Und damit ja Niemand glauben fónne, er 
T PO Scritt feiner Gefanbten, ſchrieb er nicht bios 

us, fondern. aud) an andere Bifhöfe des Abend» 

ind ahnliche Briefe 9. . 

Die Lage namentlich ber italiſchen Bifhöfe war bo 
mals eine gefährliche, denn ber Kaifer verlangte jegt von 
ignen Alen, daß fie ber Gemeinfhaft mit Athanaflus 
entfagen follten. Viele waren muthlos; ba fand Aueifer 
9. von Ealaris in Sarbinien auf und zeigte, baf ber 
Angriff auf Athanafius nichts Anderes {εἰ als eine 8er 
folgung ber niränifchen Lehre, und erbot fid als paͤpf⸗ 
lider Gefanbter an das Hoflager zu gehen, um ben 


1) Hilar. fragm. V. n. 5. p. 1832. 

2) Athanas. Apolog. ad imper. Constant. o. 27. Hilar. conm 
Constantium p. 1246. 

3) Hilar. fragm. Vl. n. 3. p. 1835. 

4) Mansi , collectio Concil. T. III. p. 201. 


und das nicäntfche Shmbolum. 269 


"qlid) auf beffere Wege zu bringen. Liberius 
"ieten. feeubigft an, gab ifm ben Priefter 


» 7 Diafon Hilarius zu SBegleitern und 
‚em fehr freimüthigen und würdigen 

a , worin er fein bisheriged Bes 
x auch zeigt, warum er nicht mit ben 


‚wengemeinf&haft unterhalten fónne, das 
eſchehene fein und zugleich ernſt Feitifirt und 
4b um Abhaltung einer neuen €ynobe bittet ). — 
ougleich fehrieb Liberius aud) an ben hochangeſehenen Bir 
ſchof Eufebius von Vercelli, unb bat ihn, aud) feinerfeité 
der Geſandtſchaft fid) anzuſchließen 9. Zu dem Gleichen 
forderte er auch ben Bifchof Fortunatian von Aquileja au[ 3). 
— Kaiſer Conftantius berief fofort allerdings wie ber 
Papſt verlangte, für das Jahr 355 eine Synode nad 
Nailand, aber Liberius follte bald bitter enttäufcht 
werden, denn Conftantius brachte es auf diefer Synode, 
die in feinem eigenen Palafte abgehalten werben mußte, 
durch Drohungen und Gemwaltthätigfeiten dahin, daß alle 
Anwefenden bie Verurtheilung des Athanaſius unterfchrieben 
und mit ben Eufebianern und ber arianifirenden Partei 
in Kirchengemeinſchaft traten. Nur wenige, wie Eufebius 
von Vercelli, Dionys von Mailand, Lucifer von Calaris 
und die wei andern pápfifiden Gefanbten blieben ftandhaft 
und wurden dafür mit Verbannung beftraft. Unter denen 
aber, bie fid) ſchwach gezeigt, befand fid) aud) ber ſchon 
genannte Bifhof Hortunatian von Aquileja, auf welden, 
wie wir fahen, Liberius fo große Hoffnung gefebt hatte, 
1) Hilar. fragm. V. p. 13291333. 


2) Massi, 1. c. T. ΠΙ. p. 204 u. 205. 
3) Mensi, 1. c. p. 205 x. 206. 


268 Bapft Liberius 


arianiſche Härefle ausgeſprochen werde. Man verſprach 
bie. Sept verfammelte fid) die Synode, aber Valens 
und feine Anhänger, b. f. bie arianifirende Mehrheit, ers 
Härte nun, in biefen Punkt unmöglich einwilligen zu Fönnen, 
beftand dagegen auf der Verurtheilung des Athanaflus !), 
und Conſtantius erpreßte deren allgemeine Unterfchrift 
durch Drohungen und nicht geringe Gewalt. Selbſt bie 
püpfiliden Gefandten unterzeichneten fo das Urtheil gegen 
Athanaftus, und nur Paulinus von Stier blieb ftanbbaft, 
und wurde dafür mit bem Eril beftraft ἢ. Papft Liberius 
aber war über ben Abfall feiner Legaten fo febr betrübt, 
daß er an Oflus ſchrieb: „duplici affectus moerore, mihi 
moriendum magis pro Deo decrevi, ne viderer novissimus 
delator, aut senientiis contra Evangelium commodare con- 
sensum* 3). Und damit ja Niemand glauben fónne, er 
billige den Schritt feiner Gefanbten, ſchrieb er nicht blos 
an Oſius, fondern aud) an andere Biſchoͤfe des Abend⸗ 
landes ähnliche Briefe 9. 

Die Lage namentíid) der itali(den Bilhöfe war dar 
mals eine gefährliche, denn ber Kaiſer verlangte jet von 
ihnen Allen, daß fle der Gemeinffaft mit Athanaflus 
entfagen follten. Viele waren muthlos; da flanb ucifer 
2. von Calaris in Sardinien auf und zeigte, baf ber 
Angriff auf Athanaftus nichts Anderes [εἰ als eine Ber- 
folgung ber nicánifden Lehre, unb erbot fid als pápft 
lider Gefanbter an das Hoflager zu gehen, um ben 


1) Hilar. fragm. V. n. 5. p. 1332. 

2) Athenas. Apolog. ad imper. Constant. c. 27. Hiler. conta 
Constantium p. 1246. 

3) Hilar. fragm. VI. n. 8, p. 1335. 

4) Mansi , collectio Concil. T. II, p. 201. 


und das nieänifche Symbolum. 269 


Kaifer wo möglich auf beffere Wege zu bringen. Liberius 
nahm fein Anerbieten freubigft an, gab ihm ben Priefter 
Bancratius unb ben Diafon Hilarius zu Begleitern unb 
ſchickte fie nun mit einem febr freimäthigen und würdigen 
Schreiben an den Kaifer, worin er fein biöheriges Ber 
nehmen rechtfertigt, aud) zeigt, warum er nicht mit den 
Eufebianern Kirchengemeinfhaft unterhalten fönne, das 
zu Arles Gefhehene fein und zugleich ernft kritifirt unb 
dringend um Abhaltung einer neuen Synode bittet). — 
Zugleich fhrieb giberiu& aud) an den hochangefehenen Bir 
ſchof Eufebius von Vercelli, und bat ihn, auch feinerfeits 
der Geſandtſchaft ſich anzufchliegen 9. Zu dem leihen 
forderte er aud) ben Biſchof Fortunatian von 9fquifeja auf ®). 
— Kaifer Eonftantius berief fofort allerdings wie ber 
Papft verlangte, für das Jahr 355 eine Synode nal 
Mailand, aber Liberius follte bald, bitter enttäufcht 
erben, denn Conftantius brachte e8 auf diefer Synode, 
die in feinem eigenen Palafte abgehalten werben mußte, 
burd) Drohungen und Gewaltthätigfeiten bain, daß alle 
Sinvoefenben die Berurtheilung des Athanaftus unterfehrieben 
und mit ben Eufebianern und ber arianifirenden Partei 
in Kirchengemeinfhaft traten. Nur wenige, wie Eufebius 
von Vercelli, Dionys von Mailand, Lucifer von Calaris 
unb bie zwei andern pápfifidjen Gefanbten blieben ſtandhaft 
und wurden dafür mit Verbannung beftraft. Unter denen 
aber, bie fid) ſchwach gezeigt, befand fid) aud) ber [don 
genannte Bifhof Gortunatian von Aquileja, auf welchen, 
wie wir fahen, Liberius fo große Hoffnung gefeht hatte, 
1) Hilar. fragm. V. p. 1329-1333. 


2) Mansi, 1. c. T. IIL p. 204 u. 205. 
3) Mansi , 1. c. p. 305 u. 206. 







268 Spopft Liberius 
atianifdje Härefie ausgefprohen werbe., H 4 
dieß. Jetzt verfammelte fif) bie ey £ bes 
und feine Anhänger, b. h. die ariav z f s; 

? 7 nder | 

1 d ent· 
und Conſtantius erpreßte Vi ; δ. 
burd) Drohungen und nidt , » fe mit 
päpftlichen Gefanbten unte / αὶ 5 ἢ Bartei 
Athanafius, und mic T- x 2, jagte er, im 


„uchen Ginigteit, 
„Hpeit in ber Kirche an, 





unb wurde bafür mi 
aber war über ber / 5 





daß er an Oſiu⸗ d arianiſchen Principien. Leider 
moriendum m». woͤfe burd) Furcht verleiten, wenige 
delator, aut zum Scheine, den Athanaſtus zu ve» 


sensum* Y „it der Gegenpartei in Gemeinfchaft zu treten; 

billige d aders aber war es von Anfang an auf ben Sap 
an D und ben berühmten Biſchof Oſius abgefehen in | 
Ian“ ML wenn mam biefe geminne, habe man über | 
WT Eonftantius ſchickte jegt ben Gunuden Eufer | 
j, εἴπει feiner vertrauteften Räthe unb eifrigen Arianer, | 
nó om ju Papſt Siberiuó, damit er zwei Dinge von | 
jjm verlange: bie Unterfhrift gegen Athanafius und die | 
Gemeinfhaft mit bem arianifirenden Biſchoͤfen. Erſteres 
wünfche, Lehteres befehle der Kaifer. Geſchenke und Dro 
jungen zugleich angewendet, follten ben Papft nachgiebig 
machen 9. Liberius entgegnete, daß er ben Athanaſtus 
unmöglich verwerfen fónne; man folle aber eine freie 
Synode, nit in einem Faiferlichen Palafte und nicht duch 
des Kaiſers perfönliche Anweſenheit beherrſcht, abhalten, 


1) Hieron. de viris illustr. c. 97. 
2) Athenas. histor. Arian. ad monachos c. 35. 








bi 
DAS nieinifge SHmbolum. ?n 


"Sun en darin erneuern, bie Arianer davon 
ST Tagen gegen Athanafius unterfudjen !). 
>rzürnt, palte die Gefchenfe, bie er 

* unb welche Liberius nidt an— 
*in unb entfernte fi mit Dros 
er darauf in ber St. Peters» 

^ab bem Kirhenhüter einen 

ἃ »-habe unb fandte bie 

«em aber Eufebius bem 

erhielt der Präfeft von Rom 

„ı Liberius ans Hoflager zu fdaffen 

zen ihn anzuwenden ?). Eine allgemeine 
ächtigte fid) der Stadt Rom, bie Anhänger 

‚aberius wurben verfolgt unb Biele zu beftehen ges 
fubt, damit fie gegen ihn auftreten follten. Die Biſchoͤfe, 
bie eben in Rom anweſend waren, verbargen fij, viele 
ee Frauen entflohen, viele Geiftlihe wurden vertrieben, 
und burdj aufgeftellte Wachen Niemanden geftattet, ben 

Papſt zu befuchen 5). Er wurde nun an das Hoflager 

gebradyt unb vor ben Kaifer geftellt; fprad) aber aud) 

diefem gegenüber mit ebler Freimuͤthigkeit *). Er wurbe 
dafür mit bem Eril beftraft umb nad) SBeróa in Thrazien 
verwieſen 5), an einen Ort, wo fid) feiner feiner Freunde 
und Unglüdsgenofien befand; denn burd) folhe Trennung 
wollte der Kaifer bie Strafe vergrößern 5), vielleicht aud) 
hoffend, ben Vereingelten Teichter jur Schwäche verleiten 

1) Ibid. c. 36. 

2) Ibid. c. 37. 


3) IbH. c. 38. 
4) Ibid. c. 39 und Theodoret, hist, eccles. II, 16. 


5) Theodoret, 1. c. 
6) Athenas. hist, Arian. ad mon, c. 40. 


270 Papſt Libertus 


Und er fiel nicht nur felbft, fondern wurbe fpäter aud) 
für Liberius bie Urfache des Falles, wie Hieronymus bes 
zeugt "). 

Nach den Refultaten der Arelatenfer und Mailänder 
Synode ging das Streben des Kaifers dahin, bie ents 
ſchiedenſten Vertheidiger des nicänifhen Homouſios qu 
flürgen, unb e$ dahin zu bringen, daß alle Bifhöfe mit 
der antinicaͤniſchen, im Grunde arianiſch gefinnten Partei 
in firdjengemeinfdjaft treten. Ex thue bief, fagte er, im 
Sintezeffe des Kirchenſtiedens und der kirchlichen Einigkeit, 
und allerdings ſtrebte er eine Einheit in ber Kirche an, 
aber auf ber Grundlage ber arianifchen Prineipien. Leider 
liefen fid) gar viele Biſchoͤfe durch Furcht verleiten, wenige 
ſtens Außerlih und zum Scheine, den Athanaflus zu vers 
werfen und mit ber Gegenpartei in Gemein(djaft zu treten; 
ganz befonders aber war εὖ von Anfang an auf ben Papft 
Liberius und den berühmten SBifdjof Oſius abgefeben in 
der Hoffnung, wenn man biefe gewinne, habe man über 
Alle gefiegt. Eonftantius ſchickte jegt ben Gunuden Eufes 
bius, einen feiner vertrauteften Räthe unb eifrigen Arianer, 
mad Rom zu Papſt Liberius, damit er zwei Dinge von 
ihm verlange: bie Unterfehrift gegen Athanafius und bie 
Gemeinſchaft mit den arianifirenden Bifchöfen. Erſteres 
wünfche, Letzteres befehle ber Kaiſer. Gefchenfe und Dro⸗ 
hungen zugleich angewendet, follten ben Papft nadjgiebig 
maden ?) Liberius entgegnete, daß er den Athanaflus 
unmoͤglich vermerfen fónne; man folle aber eine freie 
Synode, nicht in einem faiferlichen Palafte und nicht durch 
des Kaiſers perfönlihe Anwefenheit beherrſcht, abhalten, 


1) Hieron. de viris illustr. c. 97. 
2) Athanas. histor. Arian. ad monachos c. 35. 





und das nicaniſche Symbolum. ?" 


den nieänifchen Glauben darin erneuern, bie Arianer bavon 
ausſchließen unb bie Klagen gegen Athanaflus unterfuden 9). 
Eufebius, darüber erzürnt, pafte die Ge[denfe, bie er 
vom Kaifer mitgebracht unb welche Liberius nicht ans 
genommen hatte, wieder ein und entfernte fif) mit Dro- 
hungen. Die Gefchenfe legte er darauf in der St. Peters: 
fire nieder; allein der Papſt gab bem Kirchenhüter einen 
Verweis, daß er dies zugelaſſen Babe und fanbte bie 
Gelenke wieder jurüd. — Nachdem aber Eufebius bem 
Kaiſer Bericht abgeftattet, erhielt der Präfeft von Rom 
den Auftrag, den Papft Liberius ans Hoflager zu ſchaffen 
oder Gewalt gegen ihn anzuwenden ἢ. Eine allgemeine 
Furht bemádtigte fid) der Gtabt Rom, die Anhänger 
des Liberius wurden verfolgt und Viele zu beftechen ges 
ſucht, damit fie gegen ihn auftreten follten. Die Bifchöfe, 
die eben in Rom anweſend waren, verbargen ſich, viele 
edle Frauen entflohen, viele Geiſtliche wurden vertrieben, 
und durch aufgeftellte Wachen Niemanden geftattet, ben 
Bapft zu befuchen 9. Er wurde nun an das Hoflager 
gebracht unb vor den Kaifer geflellt; fprad) aber aud) 
diefem gegenüber mit ebler Freimuͤthigkeit *). Er wurde 
dafür mit dem Exil beftraft und nad Berda in Thrazien 
verwiefen 5), an einen Drt, wo fid) feiner feiner Freunde 
und Unglüdsgenoffen befand; denn butd) foldje Trennung 
wollte der Kaifer die Strafe vergrößern 5), vielleicht aud) 
hoffend, ben Vereinzelten Teichter zur Schwäche verleiten 

1) Ibid. c. 36. 

2) Did. c. 87. 

3) Ibid. c. 38. 

4) Ibid. c. 39 unb Theodoret, bist. eccles. IL, 16. 


5) Theodoret l.c. 
6) Athanas. hist. Arian. ad mon. c. 40. 





212 Vapſt Libertus 


zu füónnen, Den bifhöflihen Stuhl von Rom aber erhielt 
jet nad dem Willen des Kaiferd der bisherige Diakon 
Felix bafelbft, mit bem jebod) Niemand in Gemeinfdaft 
treten wollte, fo daß feine Kirchen völlig leer ftanben !). 

Wie Liberius fo wurde jet aud) Oſius erilirt, in 
bem gleihen Jahre, obgleid ein Greió von faft hundert 
Jahren, ber ſchon feit mehr als ſechzig Jahre Biſchof 
war. Athanafius aber fam in Alerandrien in die größte 
Rebensgefahr, und mußte fidj in die MWüfte flüchten, um 
feinen Verfolgern zu entgehen. Aehnliches bulbeten andere 
ſtreng⸗nicaͤniſch gefinnte Bifhöfe und Priefter faft in allen 
Theilen des Reiches, fle wurden verdrängt, vertrieben, 
mißhandelt, und ihre Stühle an Arianer vergeben, ober 
bod) an ſolche, welche mit biefen Kirchen⸗Gemeinſchaft zu 
pflegen bereit waren. 

Diefer temporäre. Sieg ber antinicänifhen Partei 
diente Dazu, bie inmern Gegenfáge in berfelben, melde 
fi bisher im Kampfe gegen den gemeinfamen Feind, bie 
Drthodorie, gegenfeitig tolerirten, zur Cntmidlung und 
Entfaltung zu bringen. Um aber biefe innere Spaltung 
zu heben, und in bie Reihen ber arianiſch Gefinnten wieder 


1) Sosom. hist, eccl. IV, 11. Athanae. l. c, c. 75, — Roncaglia 
im f. Animabverfionen zu Natalie Alex. histor. eccles. Sec. IV. Dis- 
sert XXXII, Artic. 1Π. will behaupten, delir {εἰ τε ἐπι ἀ βίρετ 
Vapſt gewefen, indem Liberius tefignirt habe. Das Gleiche meinte [don 
Pagi, critica in Annales Bfronii ad ann. 355, n. 3 und 357, n. 16 
seqq; wie denn aud) geli im ben Kirchenbüchern nicht mut ald redi 
mäßiger Papfl, fondern fogar als Heiliger aufgeführt if; lehteres deß⸗ 
als, weil ihn Gonflantius, ba er denfelben einen eger genannt, habe 
hinrichten laſſen. Sein Andenfen wird am 29. Juli gefeiert, Gewiß 
ift, baf Mbanafius fagt: Beli {εἰ durch antichrifliche Bosheit auf ben 
biſchoflichen Stuhl erhoben worden. Athenas. hist. Arian. ad monach. 
e. 75. T 


und das nicänifche Symbolum. 273 


Eintracht zu bringen, urbe, freilich vergebens, im Jahre 357 
eine neue Synobe, bie zweite zu Sirmium veranftaltet, unb 
der Kaifer felbft wollte ihr anwohnen. Als mun aber 
Eonfantius auf der Reife dahin aud) nad Rom fam, 
bat die dortige Gemeinde dringend um SBiebereinfegung 
des rechtmaͤßigen Bifchofs Liberius, unb bie ebelften Frauen 
übernahmen es, biefe Bitte dem Kaifer vorzutragen, weil 
bie Männer ben Zorn beffeben fuͤrchteten. Conftantius 
wies fie Anfangs geradezu ab und auf den Gegenpapft 
fir hin, welcher völlig genüge. Als er aber hörte, baf — 
deſſen Gottesdienft (aft von Niemand befucht werde, wollte 
α den Liberius in ber Weife gurüdrufen, daß fortan 
Einer neben dem Andern fiehen und Jeder bie Leitung 
ſeiner (pegiellen Anhänger führen follte. Das 3Bolf höhnte, 
als dies Edikt im Cirkus verlefen wurde, unb rief: „Das 
fei ja paffenb, aud) im Cirkus gebe es zwei Parteien, 
und da fónne bann jede einen Biſchof zu ihrem Vor⸗ 
Rande haben.“ Soſort riefen fie nod) ftürfer und wie 
einfimmig: „ein Gott, ein Ehriftus, ein Bischof,“ unb 
die Gährung drohte fid) bis zu groben Exceſſen zu fleigern, 
fo daß Conftantius bie Stüdberufung des Liberius ger 
nehmigte ). Es dauerte jebod) ziemli lange, nahezu an 
Jahresfrift, bi Liberius wirklich nad) Rom kommen burfte, 
und εὖ wurbe ihm dieß nur unter Bedingungen geftattet, 
die feinem 9fnbenfen in der Gefchichte eine Mafel angehängt 
haben. Wie groß biefelbe fei, namentlid) ob Liberius eit 
arianifhes Glaubensbekenntniß unterzeichnet 
habe, um damit die Erlaubniß zur S9tüdfefr zu erfaufen, 
1) Theodoret, hist. eccl. I, 17. Socrat. II, 37. p. 141 ed. 


Nog.; Sonom. IV, 11. 15. Sulpit. Sever. l. c. IL, 39. in ber Biblioth. 
max. P. P. Lugd. T. VI. p. 346. 


274 Bapft Liberius 


ift ſtrittig, und es hat biefe Frage felten eine ganz un» 
partheiiſche Beantwortung erfahren. Im Intereffe der 
perfönlichen Unfehlbarkeit des Papſtes fuchten nämlich bie 
Einen, fo nod in neuerer Zeit Profeffor Palma in 
Rom !), früher aber befonders der Sefuit Stilting im 
Bollandiftenwerfe ?), unb ber gelehrte Staliener Franz 
Anton Zaccaria?), den Papſt Liberius reiner dar 
zuſtellen, als er war; während ihre Gegner gerade aus 
DOppofttion gegen jene Unfehlbarkeit unb gegen Rom übers 
haupt ben ehler jenes alten Papftes möglich zu ver⸗ 
größeren gefudit haben. Es ift barum nöthig, ble Zeugniffe 
des Hriftlichen Alterthums ohne alle Vorauseingenommen⸗ 
heit aufs Neue zu vernehmen, um fo zu einem fichern, 
wenigftens zu einem wahrſcheinlichen und ungetrübten 
Refultate zu gelangen. 

Theoboret, Sofrates und Sulpitius Severus (Il. cc.) 
berichten bie Stüdfebr des giberiu& ohne irgend einer Ber 
bingung, bie ihm geftellt worden fei, ober irgend einer 
Schwaͤche, die er dabei gezeigt habe, zu gebenferr*); bod 
ber flatfe Aecent, den Stilting, Palma u. 9L. hierauf 
legen, um den Liberius vóllig zu purificiren, ift ganz unb 
gar unbefugt 5. Wie fie aber hier einerfeits zu viel ex 
silentio argumentiren, fo fehen fie fidj anbererfeit zu 

1) Palma, praelectiones histor. eccles, T. I. P. II. Romae 1838. 
p. 94 sqq... 

2) Acta Sanctorum, T. VL. Septembris (23 Sept.) p. 577 sqq. 
beſonders p. 598 seqq. 

3) Zaccaria, Dissert. de commentio Liberii lapsu. 

4) Solrates (1. c.) irrt übrigens darin, daß er bie Erillrung bes 
Liberius ετῇ in bie Zeit mach ber Doppelfpnobe von Gelencla » Rimini 
verlegt. x 

l^ Acla SS. 1. c. 604.» unb Palma 1, c. p. 97 seqq. 


und das nicaniſche Symbolum. 275 


der heftigften critica mordax gezwungen und müffen eine 
Reihe Zeugniffe des chriſtl. Alterthums entfräften, um zu 
ihrem Ziele zu gelangen. Daß ihnen hiebei mitunter recht 
günftige Umftände zu ftatten famen, ift unläugbar, und 
fhon gegen ben erften Zeugen, ben wir aufführen wollen, 
gegen Athanafius, fonnte namentlich Stilting gewichtige 
inreben vorbringen. In der athanafianifchen historia Aria- 
norum ad monachos c. 41 [efen wir: „Liberius wurde 
verbannt, hernach nad) zwei Jahren wurde er ſchwach 
(ὥκλασε) und unterfhrieb aus Furcht vor bem Tode, 
den man ihm anbrobte. So lange er frei war, zeigte 
tt Haß gegen bie arianifhe Härefie und flimmte für 
Athanaſtus; was aber der frühern Ueberzeugung zuwider 
durch Gewalt- entlodt wird, das find Ausſpruͤche nicht 
dee in Furcht Geſezten felbft, fondern ihrer Duäler." 
Gegen dieß Seugnif nun erhebt ber Bollandift Stilting 
bie Ginrebe, bie historia Arianorum ad monachos [εἰ nad) 
€. 4 nod) bei Lebzeiten des Bifhofs Leontius Eaftratus 
von Antiochien, alfo vor bem angeblichen Falle des gie 
berius und vor bem Tode des Oſius verfaßt und folglich 
die von beiden Punkten handelnde Stellen eine SInters 
velation ἢ). Die Mauriner Editoren. ber Werke des hi. 
Athanaſius mollten zwar behaupten, jener Leontius fei 
fpäter geftorben, als Sofrates I, 37 angebe 2); allein 
wir fönnen ihnen hierin nicht beiftimmen, müffen vielmehr 
dem Bollandiften einräumen, daß Leontius zur Zeit, wo 
Liberius fid) ſchwach gezeigt haben fol, entſchieden ſchon 
geftorben, und Eudorius bereits fein Nachfolger war, 





1) Aeta SS., 1. c. p. 601 seqq. 
2) Bol. die Admonitio ber Mauriner in epist. ad Serapionem 
etc. n. XI. T. I. P. L p. 269, ed. Patav. 


Seil. Ouartaffgrift. 1859. U. Heft. 19 


276 Bapft Liberius 


wie Sojomenus (IV, 15 verglichen wit c. 13 und 14) 
ganz auébrüdlid) erzählt. If aber bem fo, fo muß bie 
historia Arian. ad monachos motfwenbig vor bem Falle 
des Liberius gefhrieben fein, woelder ja erft einige Zeit 
nad der fhon von Eudorius zu Antiochten abgebaltenen 
Synode ftatt hatte (vgl. Sozom. IV, 15). 

Daraus geht ‘aber wiederum mit nothwendiger Gon» 
fequenz hervor, ba bie Stelle in der historia Arien, 
welche von bem Halle des Liderius handelt, ein fpäterer 
Zufag fe. So weit hat Stilting unbeftreitbar Recht; 
aber feine weitere Behauptung, diefer Sufag {εἰ nicht von 
Athanafius felbft, fondern von einer fremden Hand, if 
tein aus ber Luft gegriffen, und lediglich feiner Hypothefe 
zu lieb aufgeflellt Y. Wie fid) bie Sache wirklich verhalte, 
erfahren wir von Athanaſtus ſelbſt. Er fehrieb zwar die 
historia Arianorum ad monachos nod) bei Lebzeiten des 
B. Leontius von Antiochien, alfo vor bem Falle des 
Liberius; aber er forderte von ben Moͤnchen fein Manu- 
feript wieder jurüd 9. Einige Zeit fpäter, nadjbem Atha⸗ 
naflus fein Manufcript bereit wieder zurüderhalten hatte, 
ferieb ihm Biſchof Serapion (von Tmuis), er möge ihm 
bod) über bie arianifhe Φάτεβε und über feine eigenen 
Schickſale, fo wie über ben Tod des Arius Nachricht geben. 
Um ben beiden erften Punkten zu entfpredjen, ſchickte er 
bem Freunde feine historia Arian. ad monach. zu, während 
er gut Erfüllung des britten Wunfches das Büchlein de 
morte Arii verfaßte). So war denn zwiſchen ber urfprünge 

1) Acta 88. p. 604. 

2) Er fagt dieß autbrüdlid) in bein Briefe an dieſelben c. 3., welche 
der historia Arian. ad monach. vorangeftellt i, Opp. T. L P. L p. 272 


ed. Patav. 
3) Auch dieß fagt er in f. Epist. ad Serep. c. 1. I. c. p. 269. 


und das nicaniſche Symbolum 277 


lien Abfaffung ber historia Arian. unb ihrer Abfendung 
an Cerapion eine geraume Zeit vergangen, innerhalb 
welcher das Ereigniß mit Liberius und wohl aud) ber 
Sob des Oſius eintrat, was ben hf. Athanaflus zu einem 
Heinen Zufage veranfafte. Daß bem fo fei, hat aud) 
ſchon der ältere College Stilting’s, der berühmte Papebroch 
in feiner Abhandlung über Athanaflus im Bollandiften» 
werke anerfannt und ausgeſprochen !). 

Die zweite Stelle in ben Werfen des hl. Athanafius, 
worin der Schwaͤche des Papftes Liberius Erwähnung 
geihieht, ift c. 89 ber Apologia contra Arianos, worin 
Athanafius in erfter Perfon, was er nicht immer thut, 
von fid fagt, daß hochangeſehene Bifchöfe ihn vertfeibigt 
hätten, namentlich Liberius von Rom und Oſtus. Von 
Erſterem insbefondere fagt er: „wenn er aud) bie Mühfale 
des Exils nicht bi8 zu Ende ertrug, fo blieb er bod) zwei 
Jahre in ber Verbannung, ba ihm bie Verſchwoͤrung gegen 
mid) befannt war.” Auch gegen diefes Zeugnig machte 
Stilting wieder geltend, bie Apologia contra Arianos fei 
ſchon ums S. 349, alfo lange vor bem Falle des Liberius 
abgefaft worden, unb bie beiden legten Kapitel 89 und 90 
feien blos ein fpäterer Anhang 9. Auch bieB ift richtig 
und [don die Mauriner Herausgeber haben eà anerfannt 3). 
Allein abermal behauptet Stilting (I. c.) mit ganz uns 
gerechter Willführ, auch biefer Zufag rühre nicht von 
Athanaſtus her, während abermals fein College Papebroch 


1) Acts Sanct. T. 1. Maji (2. Mai) Prolog. p. 186. 187. und 
Cap. XXV. n. 296. p. 232. ed. Venet. 
2) Acta SS. T. VI. Sept. p. 599 ^. 
3) Admonitio in apolog. c. Arian. n. I. p. 94. und Not. 4 zu 
c. 88, p. 161. T. 1. P. I. ed. Patav. - 
19* 





278 * Bapft Serius 


auf unferer Seite ftebt, mit der Behauptung, diefe Apo- 
logia, eine Gylloge von Aktenftüden, fei allerdings (don 
ums Jahr 350 angelegt, aber i. J. 357 nebft ber historia 
Arian, ad monachos den dgpptijdjen Mönchen zur Einficht 
unb 2eftüre mitgetheilt, unb einige Zeit fpäter (358) audj 
bem Serapion, in Berbindung mit ben fdjon oben genannten 
weitern Schriften, zugeſchidt worden. Bei biefer lehtern 
Zufendung aber habe Athanaflus zugleid) nod) einen Nach⸗ 
trag gemacht, unb zwar bie zwei legten Kapitel angehängt "). 

Zur Belräftigung diefer Anfiht führt Papebroch mit 
Recht an, daß Athanaſius anerkannter Maßen aud) in 
feine Schrift de Synodis v. 3. 359 (nicht 358, wie Bapebrod) 
angibt) nod fpätere Zufäge über das Goncil von Eon- 
flantinopel und ben Sob des Kaifers Gonftantiu& (die 
c. 30 und 31) eingefdjaltet habe. Das Gleiche behaupten 
aud) bie Mauriner?) und es ift dieß überhaupt eine ganz 
allgemein zugeftandene Cade. Somit liegt denn ſichtlich 
fein hinreihender Gtund vor, bie beiden gegen Liberius 
ſprechenden Zeugniffe bei Athanaflus, wie Stilting gethan, 
für nichtig zu erflären; im Gegentheil beweifen fie ung, 
daß Liberius ber Gewalt weihend, die Verbindung mit 
Athanaflus gebrochen und dieß burd) eine Unterfährift an 
ven Sag gelegt habe. Was er unterzeichnete, ift in ben 
beiden angeführten Stellen nicht gefagt; dagegen erfahren 
wir in c. 35 ber historia Arian., daß Conftantius zwei 


1) Acta SS. T. I. Mai. Prolog. n. 11—16 p. 187 sq. u. cap. 
XIX. n. 220. p. 221*. Dabei ift ju beachten, baf fij im Prolog. 
n, 15 p. 188 ein Drudfehler eingeſchlichen Hat unb ftat CCCXLIL. zu 
Tefen tk CCCXLIX, wie fon Stilting bemerkt, T. VL. Sept. p. 599. 
n. 119, . 

2) Admonitio in epist, de Synodis, n, IL T. L P. IL p. 571 
ed Patav. 


und das niciniffje Symbolum. 219 


Punkte von Liberius verlangte: 1, er folle die zu Mais 
land becretizte Ausfchließung des Athanaflus unterzeichnen 
(ὑπογράψαι κατὰ ᾿Αϑανασίθ) und 2, mit den Gegnern 
des ὁμοόσιος in Kirchengemeinſchaft treten. Hienach will 
denn Athanafius fiher aud) im ben zwei obigen Stellen 
fagen, daß Liberius jetzt diefen zwei Forderungen be& 
Kaifers entſprochen habe. 

Unfer zweiter Zeuge foll ber BL. Hilarius fein. 
In feiner Schrift contra Constantium imperatorem c. 11 
fagt er: „er wiffe nicht, ob ber Kaifer ben Liberius mit 
größerem Frevel erilirt ober wieder nah Rom zuruͤck⸗ 
geſchickt habe“ 1). Hierin fiegt angebeutet, daß εὖ bei ber 
9tüdfebr des Liberius nicht völlig tadellos zuging, unb 
Eonftantius fle nur unter fehr befehtwerenden Bedingungen ^ 
geftattete. Ich weiß, Zaccaria und Palma ?) wollen bie 
Worte des Hilarius fo deuten: Conſtantius habe ben . 
SBapft allerdings bei feiner Rüdfehr auf verſchiedene Weife 
beläftigt, aber daß er ihm eine ungehörige und nicht zu 
billigende Unterſchrift abgepreßt habe, [εἰ nicht gefagt. — 
Die ift infofern wahr, als lehteres nicht mit platten 
Worten bei Hilarius auégebrüdt ift; aber es liegt bod) 
unverfennbar in feiner emphatifhen Rebe, als Hinweifung 
auf eine damals allbefannte Thatfache. 

Als dritter Zeuge mag Sozomenus auftreten. In 
feiner Kirchengeſchichte Buch IV. Kap. 11 fagt er: „Con⸗ 
Rantius habe bem Liberius bie Rüdfehr nad Rom ger 
ftattet, unter der SBebinguag, daß er mit ben 
im Gefolge des faifera befinbfiden Bifdófen 


1) „0 te miserm, qui nescio utrum majore impietate relegaveris, 
quam remiseris“ p. 1247 ed Bened. 
2) Bei Palma 1. c. p. 102. 


280 Papſt Liherius 


(Balens, Urfacius, lautes Gegner des ὁμοάσιος und des 
bl. Athanafius) Kirhengemeinfhaft unterhalte.“ 
Nehmen wir dieß mit ber obigen Aeußerung des bL. Hilarius 
zuſammen, fo wird nicht mehr zweifelhaft fein, was bie 
Worte nescio utrum majore impietate (eum) relegaveris 
quam remiseris bebeuten follen. 

Noch weiter erzählt Cojyomenud (IV, 15): „während 
fein ‘8 Aufenthaltes in Sirmium habe ber Katfer ben Liberius 
von Beröa her zu fid berufen, um ibn zu bewegen, daß 
er von Öuosorog ablaffe. Zu diefem Ende habe Eonftantius 
bie vom Driente her eingetroffenen Abgeorbneten ber Synobe 
von Ancyra mit ben am Hoflager ohnehin anmefenben 
Bifhöfen zu einer neuen Eynobe, ber dritten firmifchen 
vereinigt, und [εἰ in Betreff des Liberius hauptſaͤchlich 
von ben drei Semiarianern Bafllius von Ancyra, Euftas 
thius' von Sebafte und Eleufius von Cyzikus unterftüßt 
worden. Cie ftellten all das, τοαϑ gegen Paul von Samos 
fata und gegen Photinus von Sirmium befhloffen worden 
war, fammt bem Symbolum der Antiochener Synode v. 
3. 341 ") in ein Buch jufammen (alfo dónlid) wie c& 
bie ebenabgehaltene Synode von Ancyra gemacht, welde 
aud) die Altern Defrete erneuert und b[o8 genauere Gr» 
Örterungen beigefügt hat), verficherte den Liberius, baf 
das ὁμοάσιος mur der Dedmantel für häretifhe Ans 
fihten fei (mie Dies in ber That bei Photinus der Fall 
war), und brachten ihn fo endlich dahin, daß er fammt 
vier aftifanifdjen Bifhöfen diefer Schrift beiftimmte. Ans 


1) Die fragliche Synode flete vier Symbole auf, welche Athana⸗ 
πο de Synodis c. 22 seqq. mittheilt, Wahrſcheinlich iR abet hier das 
Ate antioch. Eymbolum gemeint, welches aud) zu Philippopolis und auf 
ber Iten firmifcgen Synode i. J. 351 wiederholt worben war. 





und das nicaͤniſche Symbolum. 381 


dererſeits erflärte aber Liberius aud): „wer nicht zugebe, 

daß ber Sohn dem Wefen nad und in Allem bem 

Vater ähnlich fei, folle aus der Kirche ausgefählofien fein," 

und glaubte, biefen Beiſatz maden zu müflen, „weil 

Eudoxius von Antiodien das Gerücht verbreitete, Liberius 

und Oſius hätten das ὁμοιόσεος verworfen und das a»ó- 

μοιος angenommen." 

In alle dem ift deutlich gefagt: 
1. Daß Liberius zur dritten firmifchen Synode berufen 
wurde; | 

Daß auf biefer bie femiarianifhe Richtung wieder 

über bie anomöifche fiegte unb bie zweite (ganz ano» 

möifche) firmifche Formel wieber verbrängt wurbe; 
daß übrigens 

3. auf ber dritten firm. Synode fein neues Glaubens— 
befenntniß aufgeftellt, ſondern nur bie Altern euſe⸗ 
bianifhen Glaubenóbecrete, namentlich) ein antioches 
niſches v. 9. 341, erneuert und unterfchrieben worden 
feien, und zwar aud) von Liberius. 

4. Daß diefer damit zwar bie Formel ὁμούσιος aufs 
gab, aber. nicht weil er etwa von ber ortfoboren 
Lehre abgefallen wäre, fonbern weil ihm glauben 
gemacht wurde, diefe Formel fei der Dedmantel von 
Sabellianismus und Photinianismus; 

5. Daß er aber andererfeits um fo energifher auf das 
Befenntniß drang, der Sohn fei in Allem, aud 
in bem Wefen, dem Bater ähnlich, womit er in 
Anbetraht des in Nr. 4 Gefagten wohl nur im 
Worte, aber nicht bem wahren Glaubensinhalte 
nad) von ber ortfoboren Formel ahmid, was aud 


2 


283 Spapft Liberlus 


durch fein nachheriges Auftreten. für die Orthodoxie 

beftätiget wird (Socrat. IV, 12); endlich 
6. Daß Liberius fortan mit jenen Bifhöfen, welde, 

wie er, bie dritte firmifche Formel unterfhrieben hatten, 

Kirchengemeinſchaft unterhielt; alfo aud) mit manchen 

Arianern, melde aber (eit diefer Unterſchrift, und 

duch fie, fif vom frengen Arianismus entfernten. 

Vierter Zeuge ift der eunomianifhe Hiftorifer Philos 
ſtorgius, welder in feiner Kirchengeſchichte (lib. IV, c. 3) 
mad) dem Berichte des Photius, erzählte: „während ber 
Kaifer fif zu Sirmium aufhielt, fei dort eine Synode 
abgehalten worden, und auf biefer hätten Oflus unb 
Liberius die Verwerfung des ὁμούσιος und bie Abfegung 
des Athanafius unterſchrieben ).“ Man fieht, Philoftorgius 
hat hier bie zweite und britte firmifche Synode nicht unter- 
ſchieden, was fij um fo leichter erflären läßt, als beibe 
in berfelben Stadt, unmittelbar nad) einander, und während 
der Kaifer feinen Aufenthalt bafelbft gar nicht änderte, 
ftattgehabt haben. Zudem lag e8 natürlih in bem pole« 
mifhen Zivede des Philoftorgius, ben Liberius cher eine 
eunomianifhe als femiarianifhe Formel unterfehreiben zu 
Taffen, und wenn wir barum fein Zeugnig nur mit Modis 
fifationen annehmen, fo find wir bod) nicht berechtigt, 
glei Gtilting (1. c. p. 605), baffelbe völlig über den 
Haufen zu werfen. 

Auf den Keher Philoftorgius foll als fünfter Zeuge 
ein Kirchenvater erften Ranges, der hl. Hieronymus 
folgen. Derfelbe fagt in feiner Ehronif: Liberius taedio 
victus exilii, in haereticam pravitatem subscribens Romam 
quasi viclor intravit, unb in feinem Catalogus scriptorum 


1) Philostorg. fragm. eccles, hist. lib. IV, c. 3. 


und das nicänifche Symbolum. 283 


eceles. c. 97: „Biſchof Fortunatius von Aquileja fei vers 
werflich, quod Liberium, Romanae urbis episcopum, pro 
fde ad exilium pergentem, primus sollicitavit ac fregit, 
εἰ ad subscriptionem haereseos compulit^ $ienad) hätte 
Fortunatius bem Papfte giberiu8, ſchon als er in'8 Exil 
reiste, zur Schwaͤche geratben (sollicitavit) unb fpäter, 
nad) ber Ruͤckkehr aus bem Gril, zu Siemium, ihn wirklich 
mr Schwäche verleitet (fregit) ). — Daß Hieronymus 
von einer $áretifden Formel fpridt, welde Liberius 
unterzeichnet habe, darf uns hier nicht befremben; denn 
wenn aud) bie auf ber dritten firmifchen Synode zufammens 
geftellten Bormeln nidté poſitiv Häretifches enthielten, 
fo follten fie bod) bem Semiarianismus dienen, und waren 
in antinicánijdjer Abfiht aufgeftellt worden. Die Worte 
des hl. Hieronymus nöthigen ung deßhalb keineswegs, den 
&berius eines härtern Vergehens, nämlich der Zuftimmung 
jur zweiten firmifchen Bormel zu bezüdtigen; aber wir 
lónnen es anbererfeitd aud) nicht billigen, wenn Palma 
und Stilting biefe Ausfprücde des bL Hieronymus ganz 
und gar als wahrheitslos barzuftellen ſuchten ). Was 
würben fie gefagt haben, wenn Jemand, um bie Schuld 
des giberiuó zu vergrößern, zwei Zeugniffe des hl. 
Hieronymus umguftoßen fij erfühnt hätte?! 

Go leicht fih nun alle bisher angeführten Momente 
und alten Zeugniffe in ein Ganzes conftruiren ließen, fo 
ſcheint nun all dieß auf einmal wieder umgeftürgt zu werben 
unb zwar durch feinen Geringeren, als ben Bapft Liberius 


1) Bg. Salomo Gyprian'é Bemerkung zu tiefer Stelle in Fabricii 
Biblioth, eccles. p. 185. 

2) Sting in den Acta Sanct. T. VI. Septembris p. 605 seqq. 
Peima, 1. c. p. 102 sq. 


284 Bapft Liberius - 


felbft, b. b. durch drei Briefe von ihm, und duch Hi⸗ 
larius, ber biefe Drei Briefe in fein fechötes Fragment 
aufnahm und mit einigen Bemerkungen begleitete !). Der 
erfte biefer Briefe des Liberius, mit ben Worten pro 
deifico timore beginnend, ift an bie orientali(djen (ariani⸗ 
‚firenden) Bifchöfe gerichtet und befagt: „euer bf. Glaube 
ift Gott und der Welt befannt. Ich vertheidige ben Atha⸗ 
naſtus nicht, aber weil mein Vorfahre Julius ihn aufs 
genommen hatte, handelte aud) id) ebenfo. Als ich aber 
zur Einfiht fam, daß ihr ihn mit Recht verurtheilt habt, 
habe ich alsbald biefer eurer Sentenz beigeftimmt, unb 
ein Schreiben über biefen Punkt durch Bifhof Fortunatius 
won Aquileja af den Kaifer Eonftantius ge[djidt. Nach⸗ 
bem nun Athanafius von uns Allen aus der Gemeinfchaft 
ausgeſchloſſen ift, fo: erfläre id), baf id mit euch Allen 
und mit allen morgenländifchen Bifhöfen in allen Pros 
singen Frieden und Einigkeit habe. Biſchof Demophilus 
von Berda hat mir euren, ben Fatholifchen Glauben, welcher 
zu Sirmium von mehreren Brüdern und Mitbifchöfen 
auseinandergefeßt und angenommen worben ift, erklaͤrt, 
unb ἰῷ habe ihn freiwillig angenommen und ohne Wider 
fpru ihm beigefiimmt. Ih Bitte euch nun, wirfet ges 
meinfam dahin, bag ἰῷ aus bem Grif entlaffen werde 
wnb auf ben mir von Gott anvertrauten Stuhl zurädtehren 
Tann." 

Der zweite Brief ift an Urſacius, Balens und Ger 
minius gerichtet unb enthält: „aus Liebe zum Frieden, 
ben er bem Martyrthum vorziehe, fhreibe er, daß er den 
Athanaſius (don vorher verurtheilt Habe, bevor er nod 


1) 8. Hilarii Opp. Frag. VI. p. 1385, n. 4. 


und das wichmifdhe Θυιπδοΐυπι. 285 


die Briefe der orientalifhen Bifhöfe (wohl bie Antwort 
auf ba6 vorige Schreiben) an den Kaifer abfandte. Athar 
nafius [εἰ auch von ber römifchen Kirche vermorfen, wie 
das ganze Presbyterium daſelbſt beweifen fónne. Er habe 
den Bortunatius an den Kaifer gejdidt, um bie Erlaub⸗ 
nif zur Rüdfehr zu erbitten (mas wir bereits wiffen), 
tt habe mit Urfacius, Valens 1c., Frieden und Einigkeit; 
fie follen mm aud) der römifchen Kirche den Frieden wieder 
verſchaffen, überdieß dem Epictet und Aurentius (von 
Mailand) fagen, daß er auch mit ihnen Kirchengemeinſchaft 
habe." 

Der legte ber drei Briefe enblid) ift an Vincenz von 
Capua. gerichtet (f. oben ©. 267), und ift ebenfo auffallend, 
als er fur ift: Ex lautet: „ich belehre nicht, fondern ich 
ermahne nur deine bl. Seele, weil ſchlechte Unterredungen 
gute Sitten verderben. Die Hinterlift des Böfen ift bir 
befannt, beffaló bin id) in bie Elend gefommen. Bete 
zu Gott, daß er εὖ mir ertragen hilft. Ich habe ben 
Streit über Athanafius aufgegeben und habe bief ben 
Drientalen in einem Briefe fundgethan. Gage bief ben 
Biihöfen Gampanien8; fie follen an den Kaifer ſchreiben 
und meinen Brief beilegen, damit idj aus der Traurigkeit 
befreit werde. Daß ἰῷ von Gott abfolvirt werde, möget 
ijr qufehen; wenn ibr mid) im Exil umfommen laffet, 
wird Gott der Richter zwifchen euch unb mir fein." 

Diefe Briefe leitet das genannte bem hl. Hilarius 
iuge[djriebene Fragment mit den Worten ein: „Liberius 
babe all feine frühere Trefflichfeit wieder zu nichte gemacht, 
indem er an bie fünbigen haͤretiſchen Arianer fehrieb, weldhe 
gegen den heiligen Athanaſius ein ungerechtes Urtheil 
gefällt haben,” Weiterhin umterbricht der Autor des Frag⸗ 


286 Bapft Eiberius 


menteà ben erſten fraglichen Brief durch drei Erclamation 

worin er bie firmifhe Formel, bie Liherius unterzeich 

haben (oll, eine perfidia Ariana, ben Liberius ſelbſt αἱ 

apostata unb praevaricator nennt unb ifm breimalig 

Anathema zuruft. Das Gleiche gefchieht am Ende 1 

zweiten Briefe. Endlich fügt ber Fragmentiſt nod) 

Bemerkung bei: ,biefe ſirmiſche Formel fei von 9taxciff 

Theodorus, Baftlius, Eudorius, Demophilus, Gecropü 

Silvanus, Urfacius, Valens, Evagrius, Hyrenäus, G 

perantius, Terentianus, Baffus, Gaudentius, Maceboni 

Marthus (oder Marcus), Acticus, Julius, Surin 

Gimpliciuá und Junior abgefaßt worden 1." 
Hienach wäre 

1. Liberius nicht erft in Sirmium i. 3. 358, fonbi 
ſchon zu SBeróa, während er nod im Eril war, v 
ber Gemeinfhaft mit Athanaftus zurüd- unb in 
der Semiarianer eingetreten; hätte 

2. ſchon zu Beröa eine firmiſche Formel (bie ite ot 
216) unterzeichnet, welche 

3. der Bifhof Demophilus von Berda, ein in der € 
f&hichte des Arianismus befannter Mann, ihm ai 
einanbergefegt habe. 

4. Diefer Formel habe Liherius freiwillig und oh 
Widerſpruch zugeflimmt; habe 

5. ein Schreiben über feine Losfagung von Athanafi 
durch Bifhof Fortunatius von Aquileja an ben i| 
geſchickt, fei aber 

6. bennod) im Eril zurüdbehalten worden, unb bi 
barum 


1) Hilar. Opp. Frag. VL n. 7. p. 1897. 





und das nicänifche Symbolum. 207 


7. um Berwenbung beim Kaifer. Zubem ift endlich 

8. im zweiten Briefe nod) gefagt: nid) blos Liberius, 
fonbern bie gefammte roͤmiſche Kirche habe bie Ges 
meinſchaft mit Athanaſius aufgegeben. 

Daß Bier SBiberfprüdje gegen unfere oben gewonnenen 
Refultate vorliegen, ift unverfennbar; aber zugleich drängen 
fi$ uns faft mit Gewalt allerlei Zweifel gegen bie Aechtheit 
jener drei Briefe und des Hilarfhen Fragmentes auf. 

1. Daß auf foften des Papſtes Liberius Lügen in 
Umlauf gefegt worden find, namentli in ber Richtung, 
daß er bie anomdifhe Lehre gebilligt habe, fagt ojo" 
menus (IV, 15). Eben fo unläugbar ift, daß ibm wie 
dem HI. Athanaſius unächte Briefe unterídoben wurden. 
Seer gehört vor Allem der ganz unbedingt als unädht 
anerkannte Briefwechſel zwiſchen Liberius unb Athanaftus !), 
und was für und nod) wichtiger ift, ein im benfelben 
Sragmenten des Hilarius enthaltener Brief des Liberius 
an die orientaliſchen Bifchöfe, mit ben Worten Studens paci 
beginnend. Daß biefer notkwendig falſch fei, haben wir 
bereits oben erwähnt, unb [don Baronius erkannte bief *), 
bie Mauriner Herausgeber des Hilarius aber und der Bol- 
lenbi P. Stifting haben εὖ ausführlich dargethan 3). 

Mit diefem entſchieden falſchen Stüde nun haben bie 
drei andern angeblich von Liberius herrührenden Briefe, 
die ung hier angehen, eine ganz unverfennbare, auffallende 

1) Bei Mansi, T. IM. p. 219 aqq. (vfeuboifiborijdy) unb p. 225 sqq. 
[alte Falſchung) val. aud) Bolland. Acta SS. Sept. T. VI. p. 625 sqq. 
in der Mbhandlung des P. Joannes Gtilting über Liberius. 

2) Baron. in append. T. III. ad.ann. 352. 

3) Hiler. Opp. ed. Bened. p. 1327 Not. a. Acta SS. 1. c. p. 580 


seqq. Nur Tillemont wagt es nicht, biefen Brief ganz zu verwerfen, 
lc. T. VII. vie de S. Athanas. Art, 64 u. Note 68. 


888 Bapft Llberins 


Aehnlichkeit; alle vier find fichtlich von einem Autor, wie 
man fagt, über eine Schablone gearbeitet. Sprache, 
Styl, Manier unb Anlage find in allen vieren gleich, 
und zwar gleid) fhleht. Die Sprache ift fo barbariſch 
Tatein, und zeigt nicht blos Mangel an aller Feinheit und 
Eleganz, fondern eine fo große Unbeholfenheit und παν 
mentlih aud) Armuth im Ausdrud, (diefelben mitunter 
halbbarbariſchen Termini und Phrafen wiederholen fij) 
immer), daß biefe Briefe unmöglich von einem gebildeten 
Manne, defien Mutterſprache bie lateinifche war, her 
rühren fónnen. 

Nicht beſſer ald bie Sprache i ber Styl. Die 
einzelnen Glieder ber Rebe ftehen abgerifien nebeneinander, 
ohne Verbindung und llebergang, und hängen nur áuferlid) 
auf dem Papiere zufammen ἢ). Am allergrößten aber ift 
bie Armuth an Gedanken und man flieht beutlid), 
der Autor weiß nur zwei ober drei Säge, bie er jegt in 
aller Nadtheit hinftellt, ganz in ber Manier jener, bie 
etwa nur alle Jahre einmal notfbürftig einen Brief zu 
reiben haben. Daher bie Plattheit und Mattheit biefet 
Briefe, die Feine Spur von Empfindung und geifiger 
Erregtheit verrathen, vielmehr gang falt, troden unb lahm 
find, während bod) befanntlih das Unglüd — und in 
foldem war ja Liberius, bem Redner Wärme und Bered⸗ 
famteit gibt. Wer aus bem Eril Briefe ſchreiben fann, 
fo fat, matt und mager, wie jene drei, ber fann aud 
das Unglüd der Verbannung unmöglich gefühlt haben. 


1) Mit Recht fogt Gtilting, L c. p. 580 b: „siylus-est ado- 
loscentis slicnjus linguam latinam discentis, qui prima praeoapta nec- 
dum satis intelligit, et certe nom satis novit, cogitationes suas nitide 
et claro utcumque sermone exprimere, 


und das nicaniſche Symbolum. 209 


Einen ganz anderen Charakter aber tragen andere 
Briefe, bie aud) bem Papfte Liberius zugeſchrieben werben, 
und bie Bermuthung der Aechtheit für fid) haben, fo 4. B. 
fein Brief an Eonftantius 1); ebenfo fein berebter Dialog 
mit bem Kaifer ?*) und jene Rede bes Liberius, welche 
und Ambroftus im dritten Buche de virginibus c. 1—3 
aufbewahrt hat 3). 

2. Die drei fraglichen Briefe des giberiu& bieten ung 
aber nod) weitere Zweifelögründe gegen ihre Nechtheit bar. 
a) Ge ift darin gefagt, Liberius habe ben Biſchoſ Bortu- 
natius von Aquileja mit feinem ben Athanafius v. bes 
treffenden Schreiben an ben Kaifer abgefanbt. War Con⸗ 
fantius damals (don in Sirmium, fo war Aquilefa um 
das Doppelte weiter von SBeróa (mo Liberius wohnte) 
entfernt, als Sirmium felbft, und der Weg nad) Aquileja 
hätte über Girmium geführt, nicht umgekehrt. Ebenſo⸗ 
wenig wäre, falls der Kaifer fij damals nod zu Rom 
aufgehalten hätte, Aquileja bie Mittelfation zwiſchen Berda 
und Rom gewefen. 

Nach bem Wortlaute unferer drei Briefe müßte man 
meinen, Fortunatius habe fid) fortwährend in Geſellſchaft 
des Liberius zu SBeróa befunden, und biefer ihn nun quasi 
a latere an den Kaifer gefhidt, was gewiß unrichtig ig. 
Es i aber aud) unſchwer zu erkennen, daß ber Falſarius 
Ober Pfeudoliberius den Biſchof Fortunatius in unferen 
Briefen deßhalb aufführte, weil er bei Hieronymus las, 
berfelbe habe dem giberiu& zur Schwäche und Unterfchrift 
einer arianifhen Formel geratfen. Aber Hieronymus 





1) δεῖ Hilar. Fragm. V. p. 1330. 
2) bei Theodoret, II, 16. 
3) vergl. Stilting in ben Acta SS, 1. c. p. 582b unb p. 6304. 


290 Papft Libertns - 


macht den Fortunatius feineswegs zum Kammerheren und 
Boten des giberiu& , voie unfer Fälfcher. 

b. Nach ben drei Briefen hätte Liberius, aud) nad» 
bem er alles Mögliche gethan, ben Athanafius anather 
matiſirt, eine arianifche Formel unterfährieben hatte und 
mit ben Arianern be» und tebmütbigft in Kirchengemein« 
{haft getreten war, bennod) bie Grlaubnif zur 9tüdfefr 
nod) lange nidjt erhalten. Die ift unwahrſcheinlich, und 
nad bem, was zu Rom gefehehen war unb was ber 
Kaifer dort verfproden fatte, geradezu unglaublich. 

€. Die drei Briefe enthalten allerlei Ungereimtheiten; 
fo ſagt z. B. ber zweite: bie ganze römifche Kirche habe 
den Athanafius verdammt, wie alle römifchen Priefter ber 
zeugen Fönnten, und zwar fei biefe Verbammung [don 
vor fángerer Zeit erfolgt. Das ift gewiß unrictig, 
benn erft mit ber Rüdkehr des Liberius trat ein anderes 
Berhältnig Roms ju Athanaſius ein, ba8 aber nicht in 
Verdammung beffelben, fondern nur in vorübergehen- 
der Unterbrehung ber Gemeinfdaft mit ihm bes 
ftand. Sa, nad der Fritifh mehr beglaubigten Lefeart: 
prius quam ad comitatum sancti imperatoris pervenissem !) 
wäre Athanafius von ber römifhen Kirche fon anathe⸗ 
matiftet worden, bevor giberiu& (i. 3. 355) ans faifer« 
Tide Hoflager berufen wurde. Dieß ift offenbate Unwahr⸗ 
heit und zwar bie nämliche Lüge, melde wir in bem falſchen 
Briefe Studens paci bereit fennen gelernt haben, fo 


1) Der Monriner Herausgeber des Hilarius Hat blefe Seftart nur 
in die Noten aufgenommen, p. 1338 Nota h, unb bagegen feinen Tert: 
prius quam ad comitatem s. imperatoris literas orientelium destina- 
rem episcoporum nur aus einem von ihm micht ſelbſt eingefehenen 
Eoder Sirmond’s entnommen. Vgl. Stilting 1. c. p. 584a m. 43 u. 44. 


und das nicini[fe Symbolum, 291 


daß ſchon Baronius bie Unädhtheit aud) biefe8 Briefes 
anerfannte '). Weiterhin ift berfelbe zweite Brief in feiner 
erften Hälfte fo unfíar, bag namentlih bie Stelle von 
sola haec causa fuit an, wenn fie je einen guten Sinn 
hatte und in den Zufammenhang paßte, fie bod) jet nicht 
mehr recht verftanben werben fann. 

Am allerungereimteften aber ift ber Inhalt des legten 
Briefes. Gleich ber erſte Sat non doceo, sed admoneo 
fat hier feinen Sinn, denn in ber That ift ber Brief aud) 
feine Etmahnung, fondern eine Bitte; von einer 
Belehrung aber ift weit und breit Feine Rede. — Daran 
fließt fid) ganz unvermittelt das Gitat aus 1 Gor. 15, 33: 
„ſchlimme Gefprüde verderben gute Sitten", was ganz 
und gar nicht in den Zufammenhang paßt und hier feinen 
Sinn gibt. Cbenfo unvernünftig ift aber aud) der Schluß 
diefes Briefes: me ad Deum absolvi, vos videritis; si 
volueritis me in exilio deficere, erit Deus judex inter 
me et vos. \ 

d. Endlich aber find biefe drei Briefe fo weiner- 
Tid, und faffen ben Liberius felbft bei feinen Feinden fo 
bettelhaft um Bürfprade beim Kaifer fleben, baf fte 
mit dem ganzen ‚Charakter biefed Mannes, mit feinem 
bisher gezeigten Betragen, feiner bemiefenen Sreimüthigfeit 
dem ftaifer gegenüber unb aud) feinem nach mals, nas 
mentlich nad) der Synode von Seleucia-Rimini an ben 
Tag gelegten Benehmen und Verhalten unvereinbar find. 

Ich zweifle barum, wegen all des Gefagten und wegen 
der Unvereinbarfeit diefer Briefe mit ber beglaubigten 
Geſchichte (b. f. ben oben angeführten Refultaten) fowenig 





1) Baron. Append. T. IM. p. 25. 
Theol. Duartalfgrift. 1859. U. Heft 20 


292 Spayft Libertus 


als Baronius, Stilting, Petrus Balerini, Maffari, Balın 
u. 9. an ihrer Unächtheit, und vermutfe, daß fie in a 
möifchem Interefie von einem Gráculuó, ber ber latei 
fhen Cprade fehr wenig funbig mar, herrühren. € 
folge Faͤlſchung und Unterfhiebung darf. uns aber 

fo weniger auffallend erſcheinen, als ja, wie wir tif 
auch falfche Briefe des Athanafius eben von ber ar 
nifhen Partei in Umlauf gefeßt wurden und So 
menus (IV, 15) auébrüdlid) berichtet, bie Anomder 
Aften hätten falſche Nachrichten über Liberius verbrei 
als ob er felbft ihren Anfichten beigetreten wäre und 
firhliche Lehre verworfen hätte. Sollten nun bie 1 
Briefe nicht eben das Mittel gewefen fein, jene falfe 
Nachrichten zu verbreiten! 

3) Nicht minder verbád)tig als bie Briefe erfcheit 
uns aber aud) die Anmerkungen und Zufäge des ὅτ 
mentiften, in welchem wir ben hl. Hilarius nicht erfen 
zu dürfen glauben. Befanntlih hat Hilarius von Poiti 
ein Werk gegen Urſacius und Balens, eine Gefchichte 
Synode von Rimini enthaltend, verfaßt ?), mweldes n 
auf ung gefommen ift, wovon aber nad) ber Meinung 
Mauriner bie 15 Fragmente, bie zuerft Nicolaus Ya 
herausgab, Bruchſtücke und Ueberrefte fein follen. Da 
paar diefer Fragmente den Namen des Hilarius an 
Stine oder ad marginem beigeſchrieben tragen, fo (d 


1) Palma, 1. c. p. 170. Ballerin., de vi ac ratione Prima 
cap. 15, 8. p. 298 od. August. 1770. Ueber Maffaris €xjrift i 
die Synode von Rimini, worin biefe drei Briefe fanımt bem (τά! 
studens paci fämmtlich für unächt erflärt werden, geben bie literatiſ 
Ephemeriven von Rom vom 17. April 1779 und Fuchs in ſ. Bibli 
b. Kirchenverf. 900. II. ©. 187 Nachricht. 

2) Hieron. Catalog. seu de viris illust. c. 100, 


und das nieaniſche Symbolum. . 293 


daraus Eouftant, ber Mauriner Herausgeber der Werke 
des hl. Hilarius, daß dieſe fämmtlichen Wragmente von 
legerem herrühren. Daß folder Schluß Außerft gewagt 
und wohl untichtig (ei, hat fhon ber Jeſuit Stilting in 
dem Bollandiftenwerfe (1. c. p. 574 seqq.) ausführlich 
dargethan. Das fechste Fragment insbefondere aber, wels 
ches bie fo oft befprochenen.drei Briefe des Pfeudoliberius 
enthält, hat für feine Abftammung von Hilarius nicht das 
geringfte andere Merkmal aufjutoeifen, ald daß einmal am 
Rande des Gober, worin es fid) fand, bie Worte ftanden: 
sanctus Hilarius anathema illi (Liberio) dicit Dieß ganz 
ſchwache Seugnif wird jebod) durch andere Gegenbeweis— 
gründe weitaus übertvogen. a) Bor allem find bie heftis 
gen unb [eibenfdjafttiden Erclamationen, worin der Frag⸗ 
mentift ben giberiuó {ὦ πιά δὲ und anathematifirt, 
eines Hilarius durchaus unwürdig, und verrathen viel 
eher einen zelotiſchen Ruciferianer; ja fie fónnen b) unmóge 
lif von Hilarius herrühren, ba biefer jene Schrift, wovon 
bie Sragmente ftammen follen, erft nad) ber Synode von 
Seleugia-Rimini, alfo zu einer Zeit verfaßte, wo Liberius 
feine theilmeife Schwäche bereit wieder gut gemacht und 
ſich als einen Hort der Orthodorie gezeigt hatte. Dazu 
fommt c).baf Liberius damals ganz allgemein als ber 
wahre Papſt anerfannt wurde, Hilarius alfo mit ihm in 
Kirhengemeinfhaft fand, und gewiß nicht unchriſtlich 
ungerecht den Stab über ihn gebroden hätte. d) Wie 
man aber ortfoborer Seits über Liberius dachte unb fpradj, 
deigen bie bereitö oben (G. 275 u. 277) angeführten Stellen 
bei Athanafius, wo in ben gelinbeften und entſchuldigendſten 
Ausprüden von feiner Schwähe geredet wird, obgleich 
Athanaſius — wegen ber aufgefündigten Kirchengemein⸗ 
20" 


294 Spapft Liberius 


ſchaft — weit mehr Recht und Veranlaffung zur Heftig 
gehabt hätte, als Hilarius. 

4) Die drei Briefe des Pfeudoliberius fagen ni 
melde firmifche Formel der Papft unterfehrieben ha 
der Bragmentift aber fügt bei, εὖ fei jene gewefen, 
von ben Biſchoͤfen Narciffus, Theodorus, Baftlius, Cui 
xius ic. (f. oben ©. 286) verfaßt worden fei. iem 
kann Liberius unmöglich bie zweite firmifhe Formel unt 
ſchrieben haben, denn 

8) zur Zeit der zweiten firmifchen Synode lebte Th 
dor von Heraflea nicht mehr, ber hier, wie fonft oft, ἃ 
fammen mit Narciſſus von Neroniad oder Irenopolig | 
nannt wird. Zeuge davon ift Papft Liberius felbft in fei 
Unterredung mit Kaifer Gonftantiu& bei Theodoret (II, 1 

b) Weiterhin beftand bie zweite Synode von © 
mium, wie aus Sozomenus (IV, 12) erhellt, aus lau 
Abendländern, bier aber vom Fragmentiſten werben | 
lauter Morgenländer als Urheber der fraglichen ori 
genannt. 

€) Unter biefen zählt er gleich tertio loco ben Bgfil 
von Ancyra auf; wir wiſſen aber, daß biefer bere 
fdjiebenfte Gegner, und feineswegs ein Miturheber | 
weiten ſirmiſchen Bormel gewefen ift. 

d) Außerdem fann man nod) anführen, daß Hiları 
in feinen ächten Werfen niemals die Schwäche des Liber! 
mit ber des Oſtus auf eine Linie ftellt, namentlid) 
Synodis c. 87 dem Oſius allein wegen feines lapsus εἰ 
ganz finguläre Stellung anweist, und daß anbererfe 
aud) bie eigentlidjen Arianer, wie Phäbadius zeigt, | 
nur auf Ofius und feineswegs aud) auf Liberius beriefen 


1) vgl. Stilting in Acta SS, 1. o. p. 611 n. 170, Palma, l.c. p. 


und das nicänifche Eymbolum. 205 


* Aber will der Fragmemiſt mit Aufführung jener Biſchoſs⸗ 
namen nicht anbeuten, Liberius habe bie erfte firmifche 
Formel unterzeichnet, vom Jahre 351, wo Theoborus noch 
lebte, und möglicher Weife alle die aufgeführten Bifchöfe 
an ber Abfaffung Theil genommen haben fónnten? — 
Wir würden biefe Vermutung gemi ſchleunigſt unb 
fteubigf ergreifen, aber wer uns daran hindert, ift gerade 
Hilarius. Er urtheilt nämlich in feinen Achten Werken 
über bie erſte firmifche Formel (unb bie ihr verwandte 
antiochenifhe vom Jahr 341) fo milde, und eregefirt fie 
in fo ortfoborem Sinne !), daß gar nicht baran zu fenfen 
if, er habe fie an einem andern Orte (angenommen, er 
fei der Verfaffer des Gten Bragments) eine perfidia Ariana 
und denjenigen einen Apoftaten genannt umb mit bem 
Anathema belegt, ber fte unterzeichnete. Hilarius felbft 
Rand ja lange, während feines Erils, in freundlichen Ber 
dehungen zu den Semiarianern. 

An bie dritte firmifche Formel endlich fanm ber 
Fragmentiſt nod) viel weniger als an bie zweite gedacht 
haben, denn nit nur war a) Theodorus von Heraflea 
jur Zeit ber britten wie ber zweiten firmifdjen Synode 
bereits verftorben; fondern e8 war aud A) Euborius, 
diefer Freund ber Aetianer, fowenig Mitglied ber dritten 
ſitmiſchen Synode, daß biefe vielmehr gegen ihn unb feine 
antiohenifhe Verfammlung gerichtet war; was aber y) den 
Ausſchlag allein [don gäbe, ift, daß bie fraglichen pfeubos 
liberiſchen Briefe bie Sache fo barftellen, als ob Liberius 
10d während feines Erils, nod zu Berda, eine 
firmifche Formel unterzeichnet habe, alfo (fon vor Abr 
haltung ber dritten firmifhen Synode. 


2) Hilar. de Synodis c. 29 seqq. u. c. 38 seqq. 


296 ' Spayft Liherius 


Wenn wir oben das Refultat geroonnen haben, Liberi 
habe die dritte firmifche Formel unterzeichnet, fo fónr 
uns in biefer Anfiht bie Ginreben Ctifting'à und Palm 
nidt irte machen 1). Beide gehen von ber Meinung αἱ 
bie dritte firmijche Synode habe gar fein Symbolum 
fondern nur 12 Anathematismen aufgeftellt, nämlich a 
ben 18 ancyraniſchen Anathematismen jene 12, wel 
Hilarius (de Synodis c. 12) aufführt, und wobei de 
gerade die bebentliden Säge der Synode von Ancy 
namentlid) ber Ießte, welcher das Öuosorog direfte amati 
matiflrt, weggelaffen worden. feien. Allein Gojomen 
(IV, 15) fagt ausdrücklich, Liberius fei babim gebre 
worden, der von den Gemiarianern verfaßten Sufamm 
ftelung der Ceufebianifden) Glaubensdefrete gegen Pe 
von Samofata, Photinus von Girmium unb ber Syn: 
von Antiochien v. 3. 341 beiguftimmen (f. oben ©. 28 
Und eben biefe Zufammenftellung fammt den 12 ancy 
nifhen auf der dritten firmifhen Synode recipirten 9tr 
thematismen find wir bie britte firmifche Formel zu nenn 
berechtigt. 

Stoff zu einer weiten Einrede muß der Bf. Hilari 
darbieten. Wie befannt hat berjelbe über mehrere fen 
arinifhe Formeln febr milde geurtheilt, hat aud) währe 
feines Grilà in Phrygien mit ben Semiarianern in freur 
lidem Verkehre geftanden. Wie fonnte er nun, me 
fiberiuó nur eine femiarianifde Formel unterfdri 
in Betreff feiner an Kaifer Eonftantius (dyreiben : nesc 


1) Stilting in Acta SS. 1. c. p. 612 seqq. Palma, 1. c. p. 1 

2) Was fie die dritte firmifche Formel nennen, vom Sal 
359, if allerdings fpäter, als bie 9tádfefr des Liberius; aber | 
und ift bif die vierke ſirmiſche Formel, , . 


und das nieänifche Symbolum. 297 


ulrum mejore impietate (eum) relegaveris quam re- 
miseris? !). Weist nicht der hierin liegende Tadel bar» 
auf hin, daß Liberius eine wirklich ατί απ [ὦ ε Kormel 
[4 auferingen ließ? — Ich glaube nicht; denn fürs Erſte 
hat aud) Hilarius eine völlige Gemeinfdaft mit ben Semi» 
arianern nie gebilligt, namentlid) bie Theilnahme an 
ihrem Abendmahle nicht geftattet *), und die übrige com- 
munio mit ihnen mehr nur durch bie Seitumftünbe ente 
quldigt αἵδ᾽ gebilligt; fürs Zweite ſodann tadelt Hilarius 
in jenen orten weit mehr den Raifer als ben Liberius, 
md völlig mit Recht; denn Conſtantius hat in ber That 
der beffern Ueberzeugung des Liberius Gewalt angethan 
und barum an ihm einen neuen Frevel geübt. Indem 
Aber drittens Liberius jenes Symbolum nicht völlig bona 
ide, als enthalte e8 durchaus nur bie Fatholifhe Lehre, 
unterſchrieb (wie es etwa Cyrill von Serufalem thun 
fonnte), fondern indem ihm bie femiarianifche Tendenz 
tier und ähnlicher Formeln befannt war; unb er fif 
dennoch ju ihrer Unterfhrift verleiten ließ, fo fonnte 
Hilarius aud) den Liberius fefbft mit Recht tabefn. Obs 
gleich nämlich Hilarius überzeugt war, bag mande andere 
SBifófe fold)e Formeln optima fide ohne ihr Schlimmes 
a fennen annahmen, fo war er bod) gewiß, daß bief 
bei Liberius nicht Statt hatte, unb es ift fomit feine Ins 
sonfequenz, wenn Hilarius bie Einen entfhuldigt, ben 
&berius aber tadelt, denn duo si faciunt idem, non 
est idem. 

Als Refultat halten wir bemnad) feft, daß Liberius, 
der Gewalt weihend und durch mehrjährige Haft unb 


1) Contra Constantium n. 11. p. 1247. 
2) Contra Constantium n. 2. p. 1239. 





298 Papft Liberius unb das nicänifhe Symbolum. 


Verbannung gebeugt, bie fogenannte dritte ſirmiſche $j 
mel, b. h. bie auf ber dritten firmifchen Synode i. 3. 3 
acceptirte Sammlung älterer femiarianifcher Dec 
unterzeichnet habe. Er that bie nid)t ohne Bedenk 
denn der femiarianiffe Gfarafter und Urfprung bie 
Formulare war ihm befannt; ba fie jebod) feine biret 
und ausdrüdliche Verwerfung des orthodoren Ole 
bens enthielten, unb da ihm anbererfeité vorgeftellt τοὶ 
* ben war, das nicänifhe ὁμοόσιος bilde ben Dedman 
für Sabellianismus und Photinanismus, fo ließ er | 
bereden, das nicänifhe Eymbolum faktiſch fallen zu faf 
und mit dem dritten firmifden zu vertauſchen. Dar 
fat er aber nur das nicänifhe Wort, nicht ben otf 
boren Glauben aufgegeben, wie nicht nur fein gan; 
früheres, fonbern aud) fein fpätercs Auftreten gegen | 
Irrlehre fomie der (€. 281) angeführte Sufag bewei 
ben er bei feiner Unterfehrift der ſirmiſchen Formel b 
fügte. Daß cr weiterhin die Kirchengemeinſchaft ı 
Arhanafius auífob, war eine Folge ber gegen b 
letztern erhobenen Klagen, denen Liberius einigermaf 
Glauben fdenfte; daß aber Liberius enbfid) mit Valen 
Urfacius und andern Arianern, melde ihr biöherig 
Befenntnig abfehrwächend bie dritte firmifhe Formel a 
nahmen, in Kirchengemeinſchaft trat, verftand fid) eo ips 
fotalb er felbft dieſe Formel unterzeichnet hatte, 


Hefele 





In. 


Wecenfionen. 





1. 


1. Gefchichte der Bifhöfe zu Speyer, von Franz Zaver 
Remling, Pfarrer und Diſtriktsſchulinſpektor zu Hambach, 
gewahltem Domfapitular zu Speyer, Mitglied mehrerer ge 
ſchichtlicher Vereine. Mainz bei Kirchheim und Schott. 
1852. Erſter Band, VIII und 683 Seiten groß Octav. 
Preis 4 fl, 

Sammt: Urkundenbud zur Gefchichte der Biſchofe zu 
Speyer. Aeltere Urkunden (den erfien Theil des Urkunden« 
buchs bildend). VI unb 722 ©, gr. Octa. Preis 4 fl. 

2. Geſchichte des Stiftes Säckingen und feines Begründers 
des heil. Fridolin. Bon Clemens Tchaubinger, Dekan 
unb Gtabtpfarrer bei St. Stephan in Konflanz. Einſiedeln 
1852. 99εἰ Gebr. Venziger. VIund 183 S. gr. Octav. 

3. Wrkunbio. Beiträge zur vaterländifchen Geſchichtforſchung, 
vornaͤmlich aus ber norbmeftlichen Schweiz. Herausgegeben 
von einigen Geſchichtsfteunden. L Band, 1{εὖ Heft. Goo» 
thurn, Verlag der Scherer'ſchen Buchhandlung. 1851. 
Vreis 1 fl. 12 fr. 


1. Das Bisthum Speyer ift eines der üfteflen, ber 
Dom gu Speyer einer der größten und intereffanteften 


300 Nemling, 


Deutſchland.. Das Bisthum Speyer beftand unzweifel 
haft fhon zu ben Zeiten Conftantins b. Gr., als ber fj 
Athanafius nad) Trier erilirt wurde (S. 335 n. Chr.) un 
mit dem damaligen Bifhofe Jeffe von Epeyer in freunt 
lide Beziehungen trat. Der majeftätifhe Dom vo 
Speyer aber ift das größte Bauwerk des romanifchen (fe 
genannten byzantinifhen) Styles in Deutfchland, überhauf 
die größte aller vollendeten deutſchen Kirchen, größe 
als die Münfter von Ulm und Straßburg, um fo meh 
größer ald die Dome von Mainz unb Ct. Stephan i 
Wien, und wird nur von bem Dome in Cöln an Θτὸβ 
übertroffen. Außerhalb Deutſchlands aber find “größer 
Gt. Peter zu Rom, der Dom in Mailand, St. Paul i 
Rom, die Sophienfiche zu Eonftantinopel, ber Dom vo 
Florenz und St. Paul in London. Es find bief überhaup 
bie 8 größten Kirchen der Welt nad) ber Reihenfolge ihre 
Größe locit, größer nod) ald der Eölner Dom in feine 
Vollendung. Ja die SBeteréfirdje foll fogar dreimal meh 
Flaͤcheninhalt haben, al& biefer. — Ungefähr gleid) gro 
mit bem Epeyerer Dom aber ift der zu Antwerpen, etwa 
Heiner bie Gatfebrafe Notre Dame zu Paris. — De 
Speyerer Dom ift aud) zugleich bie fhönfte Stiftung be 
deutſchen Kaifer fränfifchen Stammes, deßhalb der Kaifer 
bom genannt, begonnen von Conrad IL ober ben 
Salier i. 3. 1030, von feinem Sohne Heinrich IM. fort 
gefebt und vollendet durch feinen Enfel Heinrich IV. in 
Jahr 1061. Zwei große Brandunglüdsfälle in den Jah 
ven 1137 und 1159 machten nod Neu» unb Umbauter 
nöthig, und veranlaßten ben befannten Kunſthiſtonike 
Kugler zu der Behauptung, der Speyerer Dom gehört 
in feiner jehigen Geftalt nicht (don bem 1iten, fondern 


die Biſchdfe zu Speyer, 301 


erft dem 12ten Jahrhunderte an, intem jene Umbauten 
eine totale Veränderung hervorgerufen hätten (Kugler, 
Kunſtgeſchichte, 2te Aufl. 1848, €. 483). Der nicht min- 
ber berühmte Kunftfenner und Kunſthiſtoriker Schnaafe 
dagegen fat bargetfan, baf bem nicht fo fei, daß viel 
mehr aud ber jegige Dom in feinen Haupttheilen aus 
dem 11ten Jahrhundert Ramme unb das urfpringlide Baus 
werk geblieben {εἰ (Kunftblatt, Jahrg. 1845. Nr. 63—66). 

Ueberdieß ift der Speyerer Dom aud) die Ruheftätte 
von 8 deutfhen Kaifern und Königen (Conrad IL, ein» 
tid) IIL, Heinrich IV., Heinrich V., Philipp von Schwaben, 
Rudolph von Habsburg, Arolf von Naffau und Albrecht 
von Deftreih) welde fammt mehreren ihrer Frauen unb 
Kinder im fogenannten Koͤnigschore begraben liegen (ein 
topographiſches Schema biefer Königsgräber gibt unfer 
Verfaſſer auf 6. 271). 

Schon im Jahre 1828 hat diefer Dom einen würbigen 
Hiforiographen gefunden an bem jegigen Garbinale unb 
Erzbifhofe von Eöln, ber al er nod) Domherr zu Speyer 
war, das ungemein fhäßbare Werf: „der Kaiferdom zu 
Speyer, eine topographifch -hiftorifche Monographie" in 
drei Octanbänden zu Mainz bei Simon Müller heraus- 
gab (jet im Verlage von Kirchheim und Echott in Mainz, 
Preis 5 fl. 24 kr.). — Dagegen fehlte c6 bem Bisthume 
Speyer nod; immer an einem tüchtigen Geſchichtſchreiber, 
Tenn gíeid) mehrere ältere und einige mod) jeßt lebende 
Gelebrte (3. B. Mone, Geiffel 1.0) febr. gute Einzels 
abhandlungen u. dgl. geliefert haben. Es war barum in 
hohem Grabe verdienftlih, daß Herr 9temling, ber fid) 
ſchon durch feine Geſchichte ber Klöfter und 9fóteien in 
Rheinbayern als tüdjigen unb gründlichen Forſcher ause 


302 Renling, 


gemiefen hatte, bie Ausarbeitung einer umfaffenben und 
durchaus quellenmáfigen Gefdhichte des Bisthums Speyer 
übernahm. Dieß Werk, das den anerkannten Arbeiten 
von Srubpert Neugart: Episcopatus Constantiensis, 
von Uſſermann: Episcopus Wirceburgensis u. dgl. ebens 
bürtig an bie Seite treten darf, wird im Ganzen 4 Bände 
umfaffn, 2 Bände Tert und 2 Bände Urkunden. 
Gegenwärtig liegt. der erſte Band des Tertes und ber 
erfte des Urkundenbuchs vor uns, unb εὖ reicht jeber ber» 
felben bis nahezu zum Sabre 1400 herab. Die vier unb 
ein halb fpäteren Jahrhunderte des Speyerer Bisthums, 
vom Jahr 1400 bis zur Gegenwart, wird in bem zweiten 
Bande des Tertes nadjfofgen, und dazu der zweite Band 
des Urkundenbuchs bie ardjivalifdjen Belege barbieten. 
Es ift dieß ein Werk Acht deutſchen Fleißes, gebaut 
auf taufende von Urfunden, von denen fehr viele bisher 
nod) von feinem Hiftorifer benügt worben waren. Diefe 
Urkunden fanden fih theild im Kreisarhive zu Speyer, 
theils im reihen Archive ber Stadt Speyer, tbeiló, unb 
am zahlreihften im General⸗Landes⸗Archive zu Carlsruhe, 
Einiges αὐῷ im Staatsarchive zu Stuttgart und ander 
wärts. Einzelne diefer Urkunden find zwar, bie eine ba, 
die andere dort, bereits früher [don gebrudt geweſen, 
6. Remling hat aber bennod, und zwar ganz mit Reit, 
aud) biefe in fein Urkundenbuch wieder aufgenommen, 
toenigftenó bie älteften von ihnen, um bemfelben bie nöthige 
Vollſtaͤndigkeit zu verſchaffen. Dagegen werden es bie 
Sprachforfher in hohem Grade bedauern, daß er ſowohl 
bie fateinifden als deutſchen alten Urkunden nicht 
mit diplomatiſcher Genauigfeit wiedergegeben hat. Auch 
der vorliegende erfte Band des Urkundenbuchs enthält 





ble Biſchbfe zu Epeper. 808. 


unter feinen 619 Urkunden bereits mandje beutfdje, deren 
erfte, Nr. 486 von dem Speyerer Biſchofe Gigibobo IL, 
dem Anfange des 14ten Jahrhunderts, Jahr 1308, ans 
gehört (S. 459). 

Betrachten wir jet den erften Band des Tertes 
etwas genauer. Derfelbe beginnt mit einer febr ſchaͤtz⸗ 
baren unb banfenswerthen Aufzählung unb Beſchreibung 
der vom Berfaffer gebrauchten ungebrudten und gebrudten 
Speyerer» Gefhihtöwerke. Bei den Autoren der Ießteren 
fügt er ftetó eine bald größere bald Meinere Biographie 
bei, fo daß wir δ. 9. hier ©. 21— 26 eine Lebensges 
fdidte des jegigen Cardinals von Eöln, ©. 19—21 
eine ähnliche des um Wiffenfhaft und Kirche hochverdien⸗ 
ten Archivdirectors Mone in Garlórufe „S. At f. aber 
die des berühmten alten Speyerer Hiftoriferd Georg 
Gbriftopb Lehmann antreffen. 

Daran fließt fld) eine ungefähr 150 Seiten füllenbe 
Abhandlung über bie Gefchichte der Speyerer Gegend in 
der vorchriſtlichen Zeit und in ben erften chriſtlichen Sabre 
hunderten, fammt Unterfuhungen über den Anfang des 
Chriſtenthums im Speyerer Gau, über Seffe, den erften 
befannten Biſchof von Speyer, über bie angeblihe Synode 
von Eöln gegen Euphrates i. I. 346, über bie erften 
Miffionäre diefer Gegenden, über Stiftung und ehemaligen 
Umfang des Bisthums Speyer. — Es iſt hier febr viel 
Intereffantes, jebod) unter dem unpaffenben Titel „Rüds 
bfid^ zufammengeftellt. Theilweiſe hätte das hier Ge» 
fagte eine allgemeine Einleitung zur Gefdidte des 
Bisthums Speyer, theils aber das erfte Eapitel biefer 
Geſchichte ſelbſt bilden follen, zumal ja gerade ber erfte 
befannte Biſchof Jeſſe, und bie Wiebererrihtung des 


04 Remling, 


Bisthums unter fraͤnliſcher Herrſchaft ums Jahr 600 hie 
eſprochen wird. ine Unterfuhung über biefe Anfäng 
«ὁ Bisthums Speyer ift aber bod fein „Rüdblid“ 
ondern ber wirflihe Beginn der Speyerifhen Kirchen 
eſchichte. 

Wichtiger als dieſe gewiſſermaßen allgemein einlei 
ende Abtheilung ift die darauf folgende fpecielle Ge 
dide der Speyerer Bifchöfe, welche unfer SBerfaffer mi 
Kthanafius, bem zweiten uns befannten Biſchof 
son Speyer (610—650 n. Ehr.) eröffnet, und im vor 
iegenden Bande bis zu Nikolaus L, bem 58ten Bifchofi 
vt a. 1396 flarb, fortfüfjrt. Das Auffallende, baf bie 
pecielle Gefdidte der Bifhöfe von Speyer mit ber 
weiten, und nicht mit bem erften Biſchofe beginn 
var mur bie nothwendige Bolge jener unpaffenden Be 
jandlung ber allgemein einleitenben Abtheilung. Es fan 
ibrigens feinem Zweifel unterliegen, daß bie fpecielle Ge 
chichte unferem H. SBerfaffer nod) beffer gelungen ift, al 
ener allgemeine Theil, ja daß fie εὖ ift, welche biefen 
Buche feinen bleibenden Werth fihern wird. Es ift hierin 
im es fury zu fagen, eine Menge fonft vielfad) unbcfann 
πὸ, höchſt wichtiges Detail für bie Reichs- unb Kir 
hen geſchichte Deutſchlands, namentlid aud) für bi 
deutfhe Synodalgeſchichte mitgetheilt, und unfere vater 
ländifch = hiſtoriſche Siteratur woefentlid) bereichert. Jede 
Unbefangene, aud) wenn anderem religiöfen Befenntnifl 
angehörend, muß dieß anerfennen, umb bie wahrer 
Männer vom Sade werden εὖ aud gerne zugeflehen 
während gemiffe DuobegsGremplare von LiteratursReferen 
ten bie Werke katholiſcher Verfaſſer entweder ganz ignoriten, 
oder ohne eigenes Urtheil geben zu wollen, fi einfad 


die Biſchofe zu Speher. 305 


unb bequem, aber aud) malitióó genug, auf befangene 
Beurtheilungen anderer Proteftanten berufen. Ih [age 
bief nicht, weil etwa mir felbft derartiges in neuer Zeit 
widerfahren wäre; bem ift nicht fo; aber andern katho— 
liſchen Hiftorifern ift erft Fürzlich wieder (olde Unbill an» 
getan woorben, welche öffentlich gerügt zu werben vers 
dient. Ich hielt e8 barum für Pflicht, bei biefer Gelegen» 
heit auf jene [hmähliche Praxis Hinzumeifen, welche jeden 
Wiſch von befreundeter Seite als epochemachende Schrift 
lobhudelnd begrüßt, ber katho liſchen Kiteratur dagegen 
ijr gutes Recht tüdifh entzieht. Gurio8 — daß biefe 
„Bibelchriſten“ fid) nicht an das Wort V Mof. 25, 13 ff. 
erinnern: „du follft nit zweierlei Gewicht haben, ... 
denn ber Herr verabſcheut ben, ber foldes thut.“ 
Doch Fehren wir wieder zu dem vorliegenden Werke 
jurüd. Die Gerechtigkeit fordert, daß id) nad) dem bisher 
gefpendeten Fräftigen Lobe andererſeits einzelne Mängel 
und minder gelungene Partien ebenfalls zur Sprache 
bringe, unb es finden fid) deren entfchieven mehr im all- 
gemeinen einleitenden, ald im fpeciellen oder Haupttheile. 
Diefes ift (don in Betreff des Styles der Fall. Auf 
Seite VII der Vorrede zum erften Tertesbande erklärt 
der Verfaffer, von allem Wortſchwalle fid) ferne halten zu 
wollen, und es ift bie aud) in ber fpeciellen Geſchichte 
meiftend gefhehen; in bem allgemeinen. Theile dagegen 
gibt mande Seite, 3. 98. ©. 47. 48. 52 in biefer Ber 
siehung Stoff zu gerechtem Tadel. Ober wozu foll denn 
auf €. 47 bie, wortreihe Erpofition über das Chriften« 
thum dienen? Hier war ganz einfad) der Gebanfe: „die 
Anfänge des Chriftenthums in unferen Gegenden fennt 
man nit", ausjubrüden; aber eine rhetoriſche Des 


306 Nemling, 


finition vom Chriſtenthum war gewiß nicht am Plat 
Der hiſtoriſche Styl verfhmäht ſolche Schminke. 

Das Zweite, was wir nicht billigen fónnen, ift, b 
der Herr Verfaffer über mehrere hiſtoriſche Punkte in ein 
Art fpridjt, als ob hier völlige Gewißheit vorhand 
wäre. Ja mehrmals deutet er nicht einmal (eife an, b 
eine Streitfrage vorliege, unb ſtellt feine Anfict π 
Verſchweigung ber entgegenftefenben fo hin, als ob 
einzig unb allein eriftitte.. So machte er es 3.2. in Betr 
des hl. Fridolin (G. 90 f.) Er weiß bie Zeit fein 
Auftretens, Jahr und Tag feines Todes ganz gena 
und fpricht davon in einer Weife, als ob gar nie eine ande 
Meinung hierüber aufgetaucht wäre; und bod) bifferir 
hier bie hronologifhen Annahmen um mehr als hunde 
Jahre, wie bem H. Verfaffer felbft gewiß fehr gut befan 
if. — In ähnlicher Weife macht er ben hl. Pirminiı 
(€. 197) gang unbebingt zum Chorbiſchofe von Medel 
heim in ber Pfalz, wiederum ohne anzubeuten, b 
andere Gelehrte unb zwar deren Mehrzahl, das Melt 
wo er ben Quellen zufolge wohnte, bald auf Meaı 
γεἰ Paris, bald auf Mels im Canton St. Gallen 5 
jiehen. Mit der nämlichen Decibirtheit fpricht H. Ren 
ing €. 91 f. von bem Miffionär St. Goar am Rhei 
velcher um bie Mitte des fechsten Jahrhunderts unt 
Bifdof Ruſticus von Trier, in der Gegend von Gobla 
jeprebigt unb von Ruſticus ungerecht verfolgt worde 
εἰ. Er ſchweigt aber völlig darüber, daß e& um je 
Zeit durchaus feinen Bifhof Ruſticus in Trier gab, ur 
'af befbalb bie ganze Nachricht über €t. Goar vo 
nehreren Gelehrten, neuerdings aud) von Stettbergi 
einer Kirchengeſchichte Deutſchlands (8b. 1. (6. 465. 481 


die Biſchdfe zu Speher. 307 


in das Reich der Fabeln, freilich mit Unrecht, habe vet 
tiefen werden wollen. 

Unrichtig ift weiterhin, wenn ©. 195 und 196 Eöfn 
fhon zur Zeit des Apofteld ber Deutfhen, Bonifacius, 
für eine Metropole erklärt wird, indem biefe Kirche erft 
wiſchen 794 und 799, als ber Arhicaplan Carls Ὁ. Gr. 
Hildebald auf diefem Stuhle faf, durch bie Gunft des 
Kaifers unb Papftes zur Metropolitanmwürde erhoben unb 
ijt bie Suffraganftühle von Utrecht, Luͤttich, Münfter, 
Minden, Osnabrüd und Bremen unterftelt wurden. — 
Für ebenfo unrichtig halte id) bie Behauptung auf ©. 120, 
daß in Trier bie Weihbifhöfe aud) Chorbiſchöfe genannt 
worden feien. Schon Holzer (jegt Dompropft in Trier) 
Wnertt in feiner Schrift de Proepiscopis Trevirensibus p. 2, 
daß bie Chorepiscopi von Trier, nad) der Synode von 
Sardifa, nur Jurisdictions rechte, Feineswegs aber 
Sontififalred)te gehabt hätten. Sie waren fomit 
eher Generafoifare, als Weihbifhöfe Außerdem ift 
befannt, daß nod im vorigen Jahrhunderte unter ben 
Domherrn von Trier fij fogenannte Gp orbifdiófe 
fanden, aber biefe waren durchaus feine Weihbiſchöfe, 
überhaupt feine Biſchoͤfe, fondern nur Capitelsdigni⸗ 
larien von mehr untergeorbnetem Stange. 

Wiederum nicht beiftimmen fónnen wir bem, was 
©. 113 f. über bie praepositi in ben alten Ganonifater 
und ifr Verhältniß zu ben Eanonifern und bem Dechante 
geſagt ift, noch weniger aber ber auf €. 110 gegebenen 
Auslegung von sacerdos plebanus unb ecclesia plebana. 
Herr Remling flellt ben geutpriefter unb bie plebana 
ecclesia unter ben Pfarrer unb bie Pfarrkirche, waͤh⸗ 
tenb das "Berfáltnif gerade umgefehrt ift, unb ber Leute 

Sie, Ouartaligrift. 1958. 1. Heft 21 


308 Nemling, die Biſchofe zu Speher. 


priefter eher mit einem Dekane oder Archipresbyter ve 
glihen, bie plebana ecclesia aber als Mutterkirche ander 
Parochien bezeichnet werden muß (Thomassin, de nova 
veleri ecclesiae disciplina, Pars I. Lib. IL c. 5. m. | 
€. 6. n. 1. unb Binterim, Denfwürbigfeiten Bd. L SI. 
©. 517 unb 555). 

Das Sete, was wir nod) heruorheben wollen, b 
trifft wiederum bie Gefdichte des bL Fridolin. A 
©. 90 if nad Angabe des alten Ehroniften Balthen 
exzaͤhlt, daß ber Bi. Sribolin, nadjbem er Poitiers ur 
das ihm fo teure Grab des bí. Hilarius verlaffen Bat 
an bie Mofel gekommen [εἰ und an bezen Ufern ein be 
heit. Hilarius von Poitierd geweihtes Klofter gegrünb 
habe. In ber Note hiezu wird angegeben, daß na 
Galmet (histoire de Loraine T. I. p. 302) damit b 
Kloſter Hilariacum zu St. Avold gemeint fei, xoeld) 
jebod) nidt an ber Mofel, fondern in deren Rähe au be 
Fluͤßchen Rofalle liege, das fid) junddjft in die Saar, ur 
burd) biefe in bie Mofel ergieft. Weit wahrſcheinlich 
ift jebod) die Vermuthung Holzer's in feiner oben c 
mwähnten Schrift de Proepiscopis Trevirensibus p. 38 seq 
daß an ben Ort Eller an ber Mofel, ungefähr in b 
Mitte zwiſchen Trier und Goblenj, oberhalb ber Sta 
Cochem gelegen, zu benfen fei, wo zwar nit mehr εἰ 
HilariusKlofter, wohl aber eine Kirche zu Ehren br 
HI. Hilarius mit Reliquien beffelben verfehen, beftebt. D 
hauptſaͤchlichſte Stiftung des HI. Fridolin aber war ba 
Kloſter und bie Kiche zu Sädingen am Rheine, um 
von diefem Stifte handelt bie 

2te und eben vorliegende Schrift von Herrn Dela— 
Schaubing er in Gonfany Den Grund zu biefer hiſtori 


Schaubinger, das Stift Sädingen. 309 


fen Monographie legte don im vorigen Jahrhunderte 
der Ganonifuó zu Rheinau, Moriz obenbaum Van 
der Meer, welcher nad dem Wunſche ber legten ger 
fürfteten Yebtiffin von Cüdingen, Maria Anna von 
bornſtein-Goffingen eine Geſchichte dieſes Stiftes zu 
ſchreiben unternahm und zu biefem Zwecke in bem Archive 
du Sädingen, fowie in ben Bibliotheken zu St. Gallen, 
Züri, Einſtedeln und anderwärts forfchte und fammelte. 
Die franzöftfche Revolution verhinderte jebod) die Heraus- 
gabe diefes Werkes, ja das Stift Cüdingen felbft wurde 
aufgehoben und Dan ber Meer's Papiere famen nun 
— mittelbar — in bie Hand des H. Schaubinger, welcher 
als gebotner Sädinger deren völlige Üeberarbeitung und das 
mit bie Herausgabe des vorliegenden Werkchens befchloß. 
Daffelbe ruht auf Hundert zwanzig Urfunden unb Dofus 
menten und zeugt, bei aller Anfpruchslofigfeit und populá» 
ten Darftellung, von fehr vielem Fleiße und beträdhtlicher 
hiſtoriſcher Gelchrfamfeit des H. Verfaſſers. Das Ganze 
terfällt im drei Bücher, deren erſtes die Geſchichte des 
Bi. Fridolin unb feiner Stiftung von deren Anfange bis 
pum Einfalle der Hunnen (Ungarn) unb ber Zerftörung 
bes Stiftes durch fle im Jahre 917 enthält. Das gzweite 
führt bie Geſchichte diefes Stiftes vom Jahre 900 bis 
1400 fort, während das britte ben fegten vier Jahrhunders 
ten Cüdingené bis zu beffen Aufhebung i. I. 1806 ger 
widmet $t, aber aud) zugleich bie Geſchichte ber Städte 
Sädingen und Laufenburg, bie (don im zweiten Buche 
begonnen tworben war, bis auf bie neuen Zeiten fortfegt. 
Sechs Beilagen endlich handeln 1) von ben Biographen 
des hl. Fridolin, 2) von feiner Doppelfiftung im Allges 
meinen. Srivolin gründete nämlich ein Manns» und ein 
21* 


310 Urfunbio. 


Brauenffofter neben einanber, allein (djon unter ber Caro 
lingern wurde fegtereó bie Hauptfache, erhielt oft Aebtif 
finnen aus fóniglidjem Geſchlechte und wurde fo nad) un 
aach zu einem fürflliden Stifte umgewandelt, in das nu 
Wbefide aufgenommen werben fonnten, während das che 
malige Mannsklofter immer mehr einfhrumpfte, und frühe 
yeitig nur mehr eine Heine Anzahl von Geiftlihen, canonic 
und Gapläne aufgeftellt wurden, fo viel beren nämlid 
die Beforgung des Gottesdienſtes erheiſchte. 3) Die britt 
Beilage fpricht von einer wunderbaren Todienermedun; 
»urd) Fridolin (in Glarus); 4) von ber Verehrung bei 
jl. Fridolin, 5) von den Etatuten der Stiftsdamen un! 
mblid 6) von den Sädinger Urkunden in chronologiſche 
Ordnung. . 

3) Auch die dritte der vorliegenden Schriften ift wefent 
ich kirchenhiſtoriſchen Inhaltes, und führt uns theilweife fo 
jar bis in bie erften Zeiten des Chriftenthums in Helvetiei 
jurüd. Den etwas curiofen Titel erklärt uns einer be 
Mitherausgeber, H. Pfarrer Fiala in Herbetswil (Eantoı 
Solothurn), einer meiner tüdjtigften ehemaligen Zuhörer 
?abin, daß ber Solothurner Bibliothefar Dr. Bete: 
Sgnay Scherer (t 1833) wegen feiner ungemeinen 
Hebe zu ben Urkunden, unb feiner großen SBerbienfte um 
veren Sammlung gewöhnli nur Dr. Urfundio genannt 
vorben fei. Als nun im Jahre 1851 einige Freunde ber 
Befhichte zu Solothurn zufammentraten, um das vor 
tegende Urkundenwerk ins Leben zu rufen, habe man 
'affelbe Urfundio betitelt, theild um jenen Verſtorbenen 
adurch zu ehren, theild aber auch um damit in kuͤrzeſter 
Beife den Charakter bed Werkes felbft zu bezeichnen: 

Die fed in biefem erften Hefte enthaltenen 96» 


urkundio. 311 


theilungen find: 1. Doktor Urfundio, eine biograpfifde 
Sfüge (de genannten Dr. Scherer), von Bf. &iata; 
2. ναὸ Chriſtenthum in Helvetien zur Römerzeit. 
Eine firhenhiftorifch » antiquare Sfige von SBrofeffor 3. 
B. Brofi, in ber That eine ſehr gelehrte und intereffante 
Abhandlung, für Männer vom $jad wie für Gebildete 
überhaupt in hohem Grade anjiefenb, doppelt anziehend 
aber für beh Unterzeichneten, welcher bie Refultate ähnlicher 
Studien ſchon, vor 16 Jahren in feiner €drift „die Gin» 
führung des Chriſtenthums im fünmweftlihen Deutſchland“ 
niedergelegt hat. G8 war für ihm erfreulich, zu bemerken, 
bof wie Prof. Brofi in bicfer Abhandlung, fo aud) bie 
Berfaffer der beiden Gbriften unter Nr. 1 und 2, 6. 
Remling und H. Schaubinger auf diefe Einführungss 
geſchichte vielfach freundlich, meift beiflimmend, mitunter 
auch beridtigenb, Rüdficht genommen haben. Herr Prof. 
Brofi inébefonbere hat Manches bisher in weiteren 
Kreiſen unbefannt Gebliebene über wieberaufgefundene 
Denkfteine chriſtlichen Lebens in Helvetien während ber 
Römerzeit, in dem vorliegenden Auffage und mitgetheilt. 
— Die dritte Nummer dieſes Heftes bilden fofort 29 von 
P. Anfelm Dietler in Mariaftein und von Sof. Ign. 
Amiet mitgetheilte, theils deutſche theils Tateinifhe Ur⸗ 
funben über Schenkungen an Kirchen, Streitigkeiten zwiſchen 
Kloͤſtern u. bgL, bie in verſchiedenen ſchweizeriſchen Archiven 
gefunden wurden unb bem 12ten bis 15ten Jahrhunderte 
angehören. Wir vermiffen bei jeder berfelben eine furje 
Angabe ihres Inhalts. — Das vierte Stüd ift das Jahr⸗ 
zeit buch des Collegiatftijt& Schönenwerth im Ganton 
Solothurn aus ber erften Hälfte des 15ten Jahrhunderts, 
duch H. Propft Vogelſang mitgetheilt. Es ift dies 


312 Verhoe ven · Heufer 


ein Verzeichniß der geſtifteten auf jeden Tag und Mona 
fallenden Safrtáge nebſt manchen hiſtoriſchen und chrono 
logiſchen kurzen Notizen. Das gegenwärtige Heft enthäl 
hievon etwa bie Hälfte. — Die fünfte Sektion bilde 
vier bisher ungebrudte Briefe an Johannes vo 
Müller unb zwei von feinem Bruder, mitgetheilt vo 
6. Piarrer Fiala. Daran -fhließt fid) als fehätes Si 
eine Fleine Urkunde, ben Reformationsfturm in Güns 
berg, in Eolothurn, betreffend; viel wijtiger aber ἢ 
Nr. 7 eine chronologifhe von Fiala verfaßte Ueberfid 
und Inhaltsangabe über 160 alte meift kirchenhiſtoriſch 
Urfunden, vom Sten bis 13ten Jahrhundert, welde i 
ungefähr 30 Jahrgängen ſchweizetiſcher Zeitfchriften, nämlid 
des εἰπῇ fo berühmt gewefenen Solothurner Wochenblatt 
won Glup-Blogheim, Lüthi und Peter Schere 
z Dr: Urfundio) und beffen ortfegung in den Jahre 
1845—47 zerſtreut veröffentlicht und abgebrudt worden fint 
In der Ankündigung ift gefagt, der vorliegende U: 
Tunbio werde in zwangloſen Heften erfheinen, von bene 
Drei oder vier einen Band bilden follen. Bis jeht i| 
mir aber fein weiteres Heft zugefommen, und εὖ wär 
ehr zu bedauern, wenn das Unternehmen nicht Fortgang 
gemánne. Hefele 


2. 

Die Verpflichtung der Pfarrer für die Gemeinde zu app- 
lieiren. Eine kirchenrechtliche Abhandlung nad) zwei Differ 
tationen bed Prof. Dr. Verhoeven mit befonberer Kückſich 
auf Deutfehland bearbeitet von A. Heufer, Kaplan Ir 
BR, Düffeldorf 1850, Verlag der Schaub'ſchen Buch— 
Handlung. (8. H. Scheller.) — ©. 106. Preis 36 ἔτ, — 





Verpflichtung der Pfarrer xc. 913 


Vorliegendes Schriftchen beſchaͤftigt fl mit einem 
Gegenftande von fo großer practifher Wichtigkeit, daß 
ἐπε wenn aud) verfrätete Beſprechung beffelben gerechte 
fertigt erfheint. Es gibt bezüglich der Verpflichtung zur 
Rekapplication für die Gemeinde einige Puncte, bie den 
Barren, deren Gewiſſen εὖ bod) fo nahe berührt, nicht 
ganz Mar find. Hierüber fudt mun unfer Schriithen bee 
fimmte und fidere Auffhlüfle zu geben. Daſſelbe ift 
anähf nur bie Zufammenftellung und deutſche Bearbeitung 
gweier Abhandlungen, welche Berhoeven, Prof. be8 canos 
niſchen Rechts an der Univerfität Löwen, über ben gleichen 
Otgenftanb im Jahre 1842 und 1849 in lat. Sprache 
erſcheinen lief. Sie erregten in Belgien und zum Theile 
in Frankreich großes Aufſehen, weil fie der Verpflichtung 
ur Meßapplication eine Ausdehnung zu geben fuchten, 
die in Prari nirgends zur Geltung gefommen war. Bers 
hoeven wollte nachweiſen, daß alle Pfarrer unb. alle Seels 
forgsgeiftlihen, welche einer Gemeinde principaliter et 
immediate vorgefeßt find (Pfarrverweſer, Rectoren von 
Filiale und Annerichen, Bifhöfe, Prälaten etc.), nicht 
bloß an ben Conn» unb jet nod) gebotenen fondern aud 
an allen abgefdjafften unb verlegten Beiertagen zur Applis 
sation der Meffe pro populo verpflichtet feien und zwar 
perſoͤnlich, wenn fie nicht geſetzlich verhindert find. 
Berhoeven hatte bei feiner Debuction vorzüglich bie Vers 
hältniffe Belgiens und Branfreihs im Auge. In Betreff 
Deutſchlands glaubt er fónne bie Anfiht aufgeftcllt werden, 
dag an ben durch Clemens XIV. abbeftellten Beiertagen 
die Verpflichtung ber Application der Meffe für bie Ge» 
meinde erfoffjen fei. Diefes ift der. einzige Punct, in 
welchem ber deutſche Bearbeiter von feinem Original abs 


314 Verhoeven⸗ Heuſer 


weicht, indem er bie Anſicht aufftellen und feſthalten 3 
müffen glaubt, in ben deutſchen Diöcefen feien bie Pfarr: 
‚gu den beſprochenen Mefapplicationen aud) an ben bur 
Clemens XIV. aufgehobenen Feiertagen verpflichtet. Letztere 
hat auch der rühmlic befannte Kichenrechtsfchriftftell 
Seiß in einer Kritik der erften Abhandlung von Verhoeve 
zu beweifen gefudt (Seitz, Zeitſchrift für Kirchenrecht un 
Paſtoralwiſſenſchaft 98». IL. ©. 105 fg); das Gegentfe 
bihauptete ein Recenfent der genannten Abhandlung íi 
Sitündyener Archiv für theologifche Literatur Jahrg. 184 
©. 696. Wir werben auf biefen Punct nod) befonber 
‚zurüdfommen, da er entichieden von der größten Bebeutun 
und das Gewiſſen Mancher zu beläftigen geeignet ift. 
Außer bem eben angeregten Punkte erſtreckt fid) bi 
Unterfuhung unferer Abhandlung auf die Perfonen 
welche zum Appliciren der Meffe für die Gemeinde vet 
pflichtet find. Das Triventinum fprict eine Verpflichtung 
das bl. Meßopfer für bie Gläubigen darzubringen, bene 
zu, quibus animarum cura commissa est. Dieſe Bezeichnun 
paßt im kirchenrechtlichen Sinne jebod) nicht auf alle die 
jenigen, welche in irgend einer Weife feelforgliche Bunctione 
ausüben, fondern mur auf jene, welde bie volltändig 
Seelſorge cura primaria über einen beflimmten Kreis vo 
Gläubigen entweder vorübergehend oder auf bauernd 
Zeiten haben. Es find fomit befonders die Pfarrer uri 
Pfarrverwalter, welpen biefe Verpflihtung zufällt. Dief 
Verpflihtung wird in einem weitern Kapitel als ein 
feng perfönliche nachgewieſen. Diefen Nachweis führ 
der Verf. aus Entfeidungen der Congregatio Interpre 
concilii Tridentini; unb nad) den angeführten Beweigftüde 
ift der zur Application ber Meſſe für die Gemeinde Ber 


Verpflichtung der Pfarrer xc. 315 


pflichtete verbunden, biefe feine Pfliht in eigener Perſon 
du erfüllen, wenn ihn nicht ein geſetzliches Hinderniß von 
der Erfüllung feiner Pflicht freifpricht (nisi in casu neces- 
sitatis et concurrente causa canonica). Diefe causae cano- 
nicae fhränft ber Verf. aber dergeftalten ein p. 50 ffg., 
daß ein SBjarrer nur fchr felten an feiner Statt einen 
andern appliciren faffen türfte. Auch foll bie Meffe an 
ben vorgefhriebenen Tagen (Sonn⸗ und Feiertagen) appe 
lieirt, und die Application nicht auf einen beliebigen Tag 
verſchoben werten. Der Pfarrer foll aud) die Hauptmeffe 
bet Sonn⸗ und Feiertage halten, nur Fönne er durch leichtere 
Bründe von dieſer Verpflichtung fid) frei erachten als von 
be der perfönlichen Application, bie aud vom Piarrer 
in einer andern Meſſe gefihehen Tann, al& bem fog. Hoch⸗ 
«nte (Inhalt v. Kapitel 3—8). 

Ref. fann nicht Täugnen, daß ihn bie Strenge bes 
Verf. ‚in der Auffaffung der genannten Bunfte, worin bie 
Praxis fo vielfältig abgewichen ift, etwas bebenflid gemacht 
hat, fo wenig er in Abrede ziehen will, daß berfelbe den 
Buchſtaben ber lirchlichen Entſcheidungen und Vorſchriften für 
fi habe. Wenn man aber in Erwägung zieht, baf mande 
Pfarrer entweder um einem empfangenen Stipendium zu 
genügen, ober wegen leidjifinniger Abwefenheit von ber 
Gemeinde ober aus Bequemlichkeit ihre Verpflichtung zur 
Mebapplication unerfüllt Taffen fónnten, fo fann man 
begreiflich finden, daß bie kirchlichen Stellen, welde bie 
Geſetzeswaͤchter und Gefepeóinterpreten find, an bem Buch⸗ 
flaben des Geſetzes fefthalten, und in unferm Falle immer 
auf der Entſcheidung beharren, der Pfarrer fei in eigener 
Berfon zu der fraglichen Application verpflichtet, und habe 
diefelbe in ber zu beftimmter Stunde ju lefenden Meffe 


316 Verhoeven · Heuſer 


zu geſchehen. In einem concreten Falle dürfte aber bó 
diefe Strenge einer Milderung fähig fein; zu biefer Mi 
derung ift die Thüre offen gelaffen durch bie der ftrer 
ausgefprohenen Forderung angehängte Klaufel misi | 
casu necessitalis et concurrente causa canonica. Liter: 
wird aud) auégebrüdt, wenn ein justum et legitimu 
impedimentum vorhanden fei. Man wird daher nicht gege 
den Einn ber oberften firhlichen Oefchgebungsgewalt ve 
flogen, wenn man für unfern Sall annimmt, der Pfarr 
genüge der Meßfalfigen Appficationspflicht, wenn er d 
pplication burd) einen andern Priefter vornehmen laͤß 
im Falle dieſes nicht aus fträflicher Gorglofigfeit um fei 
Heerde, nicht aus Eigennuß, nicht aus Reifeluft u. bg 
geſchieht. Der Pfarrer wird hie und da ohne SBerlegur 
ber kirchlichen Vorſchriften bie Application burd) eine 
andern Priefter vornehmen faffen fónnen, wenn er eine 
vor Gott und der Kirche zu rechtfertigenden Grund für fi 
hat. Ref. glaubt nicht, daß ber concurrens causa canonic 
ein gar fo enger Kreis zugewiefen werden muß, als e 
vom Verf. Kap. 4 gefchehen. Wir glauben für unfer 
Auffaffung die Entfheidungen der Congregatio Rituur 
vom 27. Febr. 1827 und 22. Juli 1848 1) in Anfpruc 
nehmen zu türfen. Letztere Entſcheidung hält fid) milde 
als bie gewöhnlichen Entſcheidungen ber congregatio con- 
cilii tridentini, welche nicht ba6 Gefeg in feiner Anwendun; 
auf den einzelnen Sall zu bezeichnen, fondern ji 
erläutern hat, wie es an und für fid zu verfehen [εἰ 
fie fagt námfid: „nam propius ad casum non obstantibu: 
alias decretis et in facto declaralis rescribere fala esl 


1) Cf. sacrorum rituum Congregationis decreta authentica etc. 
Leodii, Lardinois 1851. p. 154. 


Verpflichtung ber Pfarrer sc. si" 


poste quemlibet parockum, accedente jusía et legitima 
causa, adimplementum missae pro populo applicandae alii 
sacerdoti commitlere.seu per alium sacerdotem hanc missam 
telebrare facere. Demnach kann es ald gerechtfertigt ev» 
feinen, wenn ein Pfarrer bisweilen einen andern Θείβν 
lien für feine Verpflichtung fubfituirt, wenn er mur 
einen angemeffenen Grund hat, vermöge deſſen ex fid) der 
perſoͤnlichen Erfüllung feiner Verpflichtung überhoben benfen 
fann. Unter biefen hinreichenden Gründen dürfte aud) 
der fein, daß der Pfarrer am einem Orte, wo mehrere 
Briefter find, nicht immer ſelbſt das Amt halten fanm 
féon aus Rüdfichten des Anftandes, und bod) bie App⸗ 
fication pro popylo vorzugsweife im Amte gefchehen fofite, 
da aud) die Glüubigen biefem anzuwohnen angehalten find. 
Zieht man einerfeit6 die Grengen, innerhalb welcher fid) 
bit legitimae causae zür Uebertragung ber fraglichen Ver⸗ 
Wüi&tung an einen Andern bewegen müffen, gar zu enge, 
und fagt man andererfeitö bie perſoͤnliche Verpflich⸗ 
tung des Pfarrers als eine fo ftrenge und unausweichliche, 
als e8 von unferm Verf. geſchieht, bann if nicht recht 
einzuſehen, warum überhaupt nur bie Subflitution eines 
Andern nothwendig ober zuläßig fei. Bin id) ganz ftreng 
verbunden, in eigener Perſon unter allen Umftänden 
qu applieien, außer ich {εἰ ſchlechterdings daran gehindert, 
fo fitt mit ber Unmoͤglichkeit der perfónliden Erfüllung 
der Verpflichtung die Berpflihtung überhaupt, und braucht 
fein Anderer fubftituirt zu werben. Umgefehrt aber, if 
bie Verpflichtung nit eine ſchlechthin formal perfänliche, 
fondern eine ſachliche mit der Bedeutung, daß baburd) vom 
Pfarrer Andern námtid) ben Griftgláubigen etwas Gutes 
zugewendet werben foll, fo fann er biefeó Gute aud). durch 





318 fBerforben » enfer. 


‚einen Andern, ber in gleider Weife dazu befähigt i 
"mittbeilen laflen. Das Tridentinum ift midjt mur nic 
‚gegen diefe 9fuffaffung, fondern begünftigt fle nod), wer 
«8 fagt: „quum praecepto divino mandatum sit omnibu 
quibus cura animarum commissa est, oves suas agnoscer 
pro his sacrificium offerre, verbique divini praedication 
*Sacramentorum administratione ac bonorum omnium operu 
exemplo pascere“ elc. (sess. 24 cp. 1 de ref.) Φ 
Pfliht des Seelforgpriefters, für feine Schaafe das Opf 
darzubringen, wird Bier mit feiner Pfliht, das Mo 
Gottes zu verfünden, und bie Gacramente zu fpenden, 
Eine Linie gebradit; nun ift aber allgemeine, und vi 
der Kirche ohne alle SBiberrebe gebulbete Praxis, daf.d 
Biarrer an feiner Etelle aud) andere Priefter, Vikari 
und ftapláne das Wort Gottes verfünden, unb bie € 
framente fpenden läßt. Es fanm daher wohl bie Ve 
pflihtung des Pfarrers zur Meßapplication an beftimmt 
Tagen nicht eine fo ftreng perfönliche fein, daß bie just: 
et legitimae causae, die ihm bie Subftitution eines Andeı 
geftatten, fo gar eng begrenzt werben müßten. 

Ueber ben eben befprochenen Punct follte es jebo 
nicht fo ſchwer fein fid) zu verftändigen, ba es hauptfägli 
darauf anfömmt, wie man bie causa canonica ober legitim 
faßt; dagegen wird aber die Gontroverfe, ob die Pfarr: 
in den deutſchen Diöcefen nur an ben jegt noch beftehend: 
Beiertagen, ober aud) an ben im S. 1771 von Gfemenó ΧΙ 
abbeſtellten für bie Gemeinde zu appficiren verpflichtet (eie 
nicht fo leicht zu heben fein. — Qeufer, ber Bearbeiter b: 
Verhoeven'ſchen Differtationen hat gegen des Lepter 
Anficht auszuführen unternommen, daß die deutfchen Piarrı 
an allen mann immer aufgehobenen wie an den rod) gel 


Verpflichtung ver Pfarter x. 818 


tenben Beiertägen für die Gemeinde bie Meffe zu appliciren 
verbunden feien. Wir anerfennen gerne das Gewicht ber 
Beweiſe, welde von ihm und früher von Geig an oben 
angeführter Stelle für bie bieffalfige Anſicht vorgebracht 
worben find, müffen aber dennoch geſtehen, daß wir von 
der behaupteten Verpflichtung nicht überzeugt worden find, 
und erlauben uns beffalb unfere Gründe furj entgegen« 
halten, ohne baf wir jebod) beftimmt zu behaupten wagen, 
εὖ {εἰ eine foldje Verpflihtung durchaus nicht vorhanden. 

Fuͤr's erfte bringt bez Berf. zur Grfártung feiner 
Behauptung lauter Cntfdjeibungen vor, welde fij auf 
außerbeutfche Diöcefen beziehen, welche nicht bloß vom 
der Reduction ber Beiertage im S. 1771 fondern aud 
von ber im S. 1802 betroffen wurden. Diefe zwei Beier« 
tagsrebuctionen [deinen uns bei ber Beurtheilung unferes 
Gegenftandes genau auseinanbergehalten werben zu müflen; 
Auf vieles Zudringen der Bifhöfe und weltlichen Fürften 
fete Papſt Elemens XIV. bie in bem Kataloge Urband 
VIL verzeichneten gebotenen Feiertage in aufeinanders 
folgenden Breven vom 3. 1771—72 für bie Diöcefen des 
oͤſtreichiſchen Staates und andere deutſche Didcefen um 
SBebeutenbeó herab, indem er meift nur fünfzehn Befttage 
als fernerhin nod) zu feiernde bezeichnete nämlich :. nativitas 
D. N., circumcisio, epiphania, feria secunda post resur- 
reclionem et pentecosten, ascensio, corpus Christi, quinque 
dies dicati B. V. M., festa sanctorum apostolorum Petri 
et Pauli, S. Stephani protomartyris, et unius tantum princi- 
palioris patroni, wornach von ben früher durch Urban VIII. 
autorifitten Feſten ungefähr einundzwanzig auéfielen. Die 
Aufpebung biefer Feiertage war eine vollfiändige, indem 
der Rapft ben Oläubigen Grlaubnif ertheilte, an denſelben 


gewölmfichen weltlichen Gefchäften nachzugehen, ur 
1 bet Pflicht entband, bie heil. Meſſe zu höre 
eduction in Franfreih unb in ben im 3. 1802 | 
eich gehörigen Didcefen gefchah unter ganz eige 
hen Verhältniffen. Es handelte fid) zunächft barur 
akreich den chriſtlichen Kult wieder einzuführen, wn 
46 ben Gingangémorten des püpfliden Inbult 
Apr. 1802 hervorgeht, wurde bem Papſte infinuü 
da bie Feiertage ſchon vorher nicht febr erbauli 
m worben feien, es gut fein bürfte, wenn fie πὶ 
Meiner Zahl anbefohlen würden. Der Papft gi 
ein, unb Bob alle Beiertage auf, ausgenomm: 
nis, corpus Christi, fest. Petri et Pauli, nativita 
0, assumptio M. V., fest. sanclorum omnium, st 
aber nur bie bier [eter an ben Tagen, wo | 
) eintreffen, zu feiern, bie etften drei aber wie bi 
atroni auf den naͤchſtfolgenden Sonntag zu verleg 
Vie Belgifden Bifhöfe und ber Biſchof von Tri 
bisher vorzugsweife über bie Berpflichtung b 
t an ben aufgehobenen Feiertagen zu applicit 
en nad Rom gelangen ließen, hatten hauptfädjli 
3. 1802 theils aufgehobenen theils auf ben Son 
tlegten Feiertage im Auge; umb bie Antwort, d 
196 durchgehende bie Verpflichtung bejaht, holt au 
iche nicht weiter aus, als bie Anfrage fie gegebe 
Benn εὖ aud) in ben Antworten Allgemeinhin heiß 
an ben abgefdafften Beiertagen zu appliciren, | 
ie Entſcheidung bod nur gunádjft auf bem 3nfa 
ifrage zu beziehen, und biefe hatte mur bie im £ 
aufgehobenen Feiertage gu ihrem Ausgangspunkt 


Verpfllchtung bee Pfarrer oc. 3t 


Bir haben fogar eine Entſcheidung für und. Der Biſchof 
von Namur nämlich nimmt in feine nad) Rom gerichtete 
Anfrage als einen abgefonderten Punct auf: an sit nune 
applicanda etiam diebus festig, qui anno 1771 fuerunt 
per Clementem XIV. suppressi, id est omnibus festis in 
catalogo Urbani VIII. recensitig? ier wäre εὖ ber Gon» 
gregatio Interpr. Concilii tridentini fehr nahe gelegen, ftf) 
über die fragliche Verpflichtung Har unb beftimmt auszus 
ſprechen, fie hat aber biefen Fragepunct des Biſchoſes mit 
Stillſchweigen übergangen, und die andern fo beantwortet, 
daß das Stillſchweigen faft unwiderfireitbar als ein Zus 
geſtaͤndniß angefehen werden famn, daß fie für bie von 
Clemens XIV. unterbrüdten Feiertage eine Verpflichtung 
ber Meßapplication ber Pfarrer nicht auszufprehen wage, 
Sie fagt nämlich in bec Antwort v. 27. Jan. 1842: „jussit 
(sc. Sanctitas sua) eidem notificari juxta resolutiones alias 
editas a S. congregatione, missam pro populo esse a 
parochis suae dioecesis applicandam omnibus diebus festis 
liam a S. Mem. Clemente XIV. retentis et deinceps a 
S. Mem. Pio VIL. die 9. aprilis 1802 swppressis.^ Halt 
"uan dieſe Antwort gegen bie fo beftimmt formulirte Frage, 
fo mug man fij wundern, daß bie Gongregation, wenn 
Re der Anſicht ift, bof aud an bem pon Clemens XIV. 
abbeftellten Feiertagen von ben Pfarrern applieiet werden 
wäfle, nicht vor das Woͤrtchen retentis dad andere sup- 
pressis febie. Wie bie Antwort vorliegt, thut man bere 
felden gewiß feinen Zwang an, wenn man aus ifc folgert, 
bie Congregatio Interpretum concilii trident. [εἰ ber Ans 
fit ober widerſpreche wenigſtens derſelben nicht, daß an 
den von Clemens XIV. unterbrüdten Seiertagen von ben 
Viarrern nicht applicist werden mäfle, dagegen erfirede 


322 WVrerhoeven s Heuſer 


fi dieſe Verpflichtung auf alle von Clemens XIV. noch 
in Kraft erhaltenen Feiertage, mögen biefelben fpäter noch 
abgeſchafft ober verlegt worben fein. 

Sft unfere Sfuffaffung von der eben angeführten Cnt» 
ſcheidung ber Congregation (interpr. conc. trident.) richtig, 
fo fann man annehmen, taf die Pfarrer in den deutſchen 
Diöcefen, wo nur bie Reduction der Feiertage unter 
Clemens XIV. ftattgefunden hat, an dem durch ihn unters 
drüdten Beiertagen nicht für die Gemeinde zu appliciren 
verpflichtet feien. Eine das Gegentheil ausſprechende Ent⸗ 
ſcheidung für die betreffenden Diöcefen Hat: Heufer nicht 
beizubringen gewußt.” Er fagt zwar in ber Einleitung 
©. V. auf Anfragen, die er in Köln, Münfter, Trier, 
Mainz, Paderborn, Freiburg geftellt, {εἰ ihm auf bie 
bereitwilligfte Weife Antwort zu Theil geworben. Allein 
abgefehen davon, daß biefe Diöcefen alle, Freiburg aus⸗ 
genommen, an ber Befttagsreduction von 1802 aud Theil 
genommen haben, bringt er aus benfelben nichts bei, was 
aud) nur entfernt bie Gontroperfe zur Entſcheidung führen 
Könnte. Nur aus ber Diöcefe Münfter werden Notizen 
beigebracht S. 35 u. 36, welde für bie Anſicht zu ſprechen 
feinen, daß die Pfarrer an den im S. 1771 abbeftellten 
Beiertagen pro populo zu appliciren hätten. Allein wenn 
man bie Sache genauer arfiebt, laͤßt fid auf bie für bie 
Diöcefe Münfter im 3. 1844 und am 23. Jan. unb 25. 
Septbr. 1846 zu Rom gegebenen Entfcheidungen ein Bes 
weis für jene Anfiht nit gründen. Es wird allerdings 
in einer Entſcheidung geftattet, daß des Biſchof Armere 
Pfarrer von ber bewußten Verpflihtung an den aufge 
hobenen Feiertagen bifpenfiren tónne, und in einer arbern, 
daß ber Biſchof vier Tage beftimme, an benen die Pfarrer 


Verpflichtung ber Pfarrer sc. 323 


flat aller abgeſchafften Feiertage applicirten, ober daß er 
fie nach Umftänden auch ganz difpenfire. Hieraus erhellt, 
daß man in Rom eine Applicationspflicht anerfennt, ba 
man entweder eine Difpens oder Gompenfation verlangt; 
allein- e& ift. wohl au beachten, einmal bag in Münfter 
die Feiertage nicht von Papft Clemens fonbern fdon am 
3. März 1770 vom Bilhofe Graf Marimilian v. Königs- 
egg-Rottenfels aufgehoben wurden 1), ferner daß berfelbe 
Biſchof nad) Aufhebung der Feiertage im S. 1771 am 
14. October eine beftimmte Vorſchrift gab, daß bie 
Pfarrer an den von ibm abgefdafften Beiertagen 
(quum gravissimis permoti rationibus diminuendum in 
dioecesi nostra dierum festorum numerum censuimus) 
jur Application für bie Gemeinde verpflichtet feien, enblid) 
dag Münfter ju den Diöcefen gehört, wo aud bie Res 
duction vom 9. Apr. 1802 ihre Anwendung fand. Die 
Didcefe Münfter verhäft fih alfo zu der Aufhebung der 
Feiertage ganz anders, als diejenigen Diöcefen, welde 
ehedem zu den oͤſtreichiſchen Landen gehörten, und wo bie 
Beiertage von Elemens XIV. in aller &orm Rechtens aufs 
gehoben wurben, umb als jene Diöcefen Deutſchlands, 
welche gleich ben ebengenannten nadjeinanber eine Reduction 
der Feiertage burd) Clemens erlitten. Die SBeftimmungen, 
welche für Münfter gegeben find, können daher nicht ohne 
Weiteres als normgebend für bie lehtgenannten Dioͤceſen 
betrachtet werden. 

Wir haben fobann zweitens gegen bie Beweis— 
führung Heuſers nod) weitere Bedenken, bie fld) uns aus 
der Gadje felbft erhoben. Als das Sribentimum für bie 

1) Heufer widerfpricht fid) offenbar über biefen Punct in ben Anm. 
€. 25 u. 26. 

Test. Duartalfigrift. 1958. IL. Heft. 22 


324 Verhoeven · Heuſer 

Seelſorgsgeiſtlichen die Verpflichtung ausſprach, daß 
fuͤr ihre Schaafe das Opfer darbringen ſollten, hat 
keine Tage beſtimmt; dieſes bat erſt bie Kirche getha 
und fonnte es thun. Dan kann auch ohne Wiberre 
zugeben, daß εὖ ber ausdrückliche Wille der Kirche wi 
es follten die Pfarrer an allen Sonn» unb δείετίαρ 
für ihre Gemeinde appliciren. Run aber ift befannt, x 
febr fid) die Feiertage häuften '), und εὖ fonnte we 
nidt im Sinne der Kirche liegen, daß jene Berpflichtu 
auf alle etwa zufällig auffommenben Feiertage fij) αἵ 
dehne, fondern nur auf diejenigen, welche de praeceq 
find. Als folde find aber nur diejenigen anzufehen, wel 
Urban VIIL als „dies pro festis ex. praecepto colendc 
erflärte. Wie aber Papft Urban aus ber Menge ! 
Feiertage eine beftimmte Anzahl herausgrifj, unb fte « 
für die ganze Kirche giltige Feiertage erflärte, fo fom 
aud) ein Nachfolger jene von Urban feftgefebte Zahl | 
Feiertage rechtslraͤftig herabfegen, unb eine Πείπετε 8. 
als ex praecepto ju feiernde anorbnen, wie εὖ Gleme 
XIV. wirklich gethan hat. Und wie bie Pfarrer an t 
von Urban bezeichneten Feiertagen, fo lange fie in | 
Kirche als fórmlid) autorifirte anzufehen waren, für | 
Gemeinde zu appliciten verpflichtet waren, fo blieb bi 
Berpflihtung fpäter aud) nur nod) für diejenigen δείετία 
fteben , welde mit lirchlicher Auctorität aufrecht erhalt 
wurden, während fie für diejenigen auffórte, welche ı 
firdjlidjer Auctorität befeitigt wurden. Wir glauben bie 
behaupten zu fónnen, wenn gleid) unbefizeitbar. (efft 
daß an den burd) das päpftliche Indult vom 9. Apr. 18 


1) Man leſe die Schrift Gerberts „de festorum dierum nume 
minnendo*, und Sóenebicté XIV. über denfelben Gegenftanb. 


Verpflichtung der Pfarrer x. 825 


abbeftelften und verlegten Beiertagen bie Application für 
die Gemeinde gefordert wird, denn bie letztere Reduction 
der Feiertage bis auf vier ift nur aus Indulgenz geſchehen, 
um ber Wiederbelebung des hriftlihen Kultus nicht etwa 
ein Hinderniß in den Weg zu legen, während bie Reduction 
‚von Elemens XIV. als eine felbft von ber Kirche nicht 
bloß vorübergehende, fondern überhaupt nothwendige er» 
achtet und als foldje vollgiltig vollzogen wurbe. 

Da εὖ aud) als Vorfhrift der Kirche zu betrachten 
ift, daß bie fraglide Verpflichtung für die Pfarrer nur 
an ben ex praeceplo zu feiernden Wefttagen vorhanden 
fei 5, fo hätte ausbrüdlich hervorgehoben werben follen, 
daß troß ber Befeitigung einiger Beiertage jene Ber» 
pflihtung in ber gleichen Ausdehnung auch für bie bes 
feitigten Feiertage fortbeftehe. Das ift aber dortmals 
nicht geſchehen unb ift wenigftens bezüglich ber von Clemens 
XIV. aufgehobenen δείετίαρε bis jegt nicht mit Beftimmtheit 
geſchehen. Die Pfarrer (deinen daher in ihrem Rechte 
du fein, wenn fe an ben im S. 1771 abbeftellten Feier⸗ 
tagen bie Application pro populo nicht mehr als eine 
ihnen pflihtmäßig obliegende anfehen, wie denn aud) fein 
Biſchof je nachher biefe Verpflichtung infinuirte. Damit 
foll aber nicht gefagt fein, daß, wenn je bie Verpflichtung 
fortbeftanden haben follte, biefelbe durch bie faft hundert» 
jährige Unterlaffung per ‚consuetudinem tedjtéfráftig er» 
loſchen fei, wie einige behaupten wollen, ba wohl einer 
folgen Verpflichtung gegenüber eine Verjährung burd) 
Gewohnheit nicht Platz greifen kann. 

Man fann aber fiherlid in unferer Gontroverfe aud) 


1) CL. Bulle Benedicto XIV. v. 3..1744. Quum semper. $. 5. 
22* 


326 ¶Verhoeven » Heufer 


darauf aufmerffam machen, baf bie Pflicht des Pfarrers 
ür feine Gemeinde bie Meſſe zu applieiren in einer Eorres 
pondenz ftebt mit ber Pfliht der Gläubigen, bie Mefie 
u befuhen. Hört nun bie leßtere rechtmaͤßig auf, fo if 
vie Vermuthung dafür, baf aud) bie erfte aufgehört Habe, 
venn nicht ber audbrüdlid)e Wille ber Kirche anders be: 
timmt. Daß ein foldhes correlatived Verhaͤltniß απ’ 
jenommen werden bürfe, geht aus ber Bulle Benebicte 
XIV. Quum semper v. S. 1744 $. 7. hervor. Diefe 
Bapft hatte nämlich geftattet, daß bie Gläubigen an einigen 
Feiertagen, bie fpäter von Clemens XIV. vollfünbig ab. 
jeſchafft wurden, arbeiten dürften, aber guerft eine Meſſe 
vefuchen müßten, unb hier begründet er bie Verpflichtung 
ver Pfarrer, die Mefle für das Volk zu appliciren, aus 
γεν Verpflichtung der Gläubigen fie zu befuchen: Nos, fag! 
t, ut obortae jam dubitationes circa onus applicationis 
nissae parochialis in hujusmodi diebus festis penitus eli- 
ninentur, statuimus et declaramus, quod etiam iisdem 
eslis diebus, quibus populus missae interesse debet et 
'rvilibus operibus vacare polest, omnes animarum curam 
ferentes missam pro populo celebrare et applicare tene- 
mtur. Diefelbe Anſicht theilt aud) iguori, indem er fij 
wif bie ebenangeführte Stelle SBenebicté beruft und fagt: 
cum hae obligationes sint correlativae, in quibus enim 
iebus tenetur populus audire missam, tenetur parochus 
lam celebrare ').“ Es daͤucht uns daher, εὖ hätte bei 
fuffebung ber Verpflichtung des Volkes zur Anhörung 
et hl. Meſſe an getoiffen Tagen auebrüdlid) hervorgehoben 
verden follen, daß bie entfpredhende Berpflihtung ber 


1) Theol. Moral. lib. VL tract. III. nr. 314. 


Verpflichtung ber Pfarrer sc. 327 


Pfarrer zu appliciren nicht aufhöre. Denn daß die Kirche 
diefe Beftimmung geben fónne, bezweifeln wir nicht, das 
aber, daß fie diefelbe wirklich gegeben habe, und baf fle 
ſchon bei der erfimaligen Aufhebung einer Zahl von Feier⸗ 
tagen in ihrer Intention gelegen habe. 

Wir haben enblid) drittens gegen bie Beweis— 
führung Heuſers noch Bedenken, bie fih auf Theologen 
von anerfanntem Anfehen fügen. Unter den ältern ers 
wähnen wir ben vorhin genannten iguori, ber lib. VI. 
tract. II. nr. 324 fg. von ber Verpflichtung des Piarrers 
zur Mefapplication handelt. Unter Bezugnahme auf bie 
mehrerwähnte Bulle Benedicts XIV. „Quum semper* et» 
Hört er fid) dahin, daß ber Piarrer an Eonn- und ger 
botenen #efltagen (festis diebus de praecepto) für bie 
Gemeinde zu appliciren unter allen Umftänden verbunten 
fel, ob er wenig ober viel Einfommen beziehe. Hält man 
diefes zufammen mit bem, was er L c. nr. 314 über die 
Verpflihtung der Pfarrer zum Celebriren überhaupt fagt: 
„communiter et verius dicunt alii teneri (sc. parochum) 
ad celebrandum tantum diebus festis, in quibus tenentur 
parochiani missam audire*, fo macht man gewiß mit Recht 
den Schluß, es liege ganz im Sinne Liguori's, daß, wenn 
die Glaͤubigen durch die rechtmaͤßige kirchliche Auctorität 
von der Pflicht entbunden ſind, an fruͤher beſtimmten 
Tagen die Meſſe zu hoͤren, ebendamit auch der Pfarrer 
entbunden fei, für feine Gemeinde zu appliciren. Dieſen 
Schluß hat freilich Liguori nicht ſelbſt gemacht, da er 
noch keinen Bezug auf abbeſtellte Feiertage nimmt, aber 
er liegt in Folge der Prämiffen, wie fie ſich in feiner 
Moral finden,.auf ber Hand. 

Gouffet, Erzbiſchof und Garbinal von Rheims, ben 


328 DVerhoeven » Heufer 


gewiß Niemand eines zu großen Laxismus befdufbiget 
wird, fennt eine Verpflihtung des Pfarrers zur Meß 
application für bie Gemeinbe nur an den Sonn» umi 
gebotenen Feiertagen (tous les dimanches et fétes di 
commandement), obgleich zur Zeit der Herausgabe feine 
Moral bie von Verhoeven und Heufer benügten Entſchei 
dungen von Rom [don befannt waren. „Durch gótt 
idee Recht, fagt er weiter über biefen Grgenfland !) 
find die Bifhöfe, Pfarrer ac. verpflichtet, von Zeit zu Zei 
für diejenigen Seelen, welche ihrer Obhut anvertraut find 
bie hi. Meſſe zu arplieiren Ctrident. sess. XXII. cap. 1 
de ref); vermöge firhlihen Rechts aber find fi 
diefes zu thun verpflichtet an den Conn» und gebotener 
Beiertagen felbft in dem Balle, wenn ihre Einfünfte zum 
Unterhalte nicht hinreihen follten. Nur fann im lepterr 
falle der Biſchof erlauben, baf der Pfarrer die Application 
wenn er auf den Eonntag ein Etipendium hat, auf einen 
andern Tag verfdjiebe. Gouffet glaubt fogar, der Bilde! 
fönne einen armen Pfarrer auf eine gemife Zeit gan; 
bifpenfiten. — 

Wenn nun nad) angefehenen Moraliften bie Verpflich— 
tung ber Pfarrer zur MeBapplication pro populo nur an 
ben Conn» und denjenigen Beiertagen befteht, bie de 
praecepto zu feiern find, und Papft Glemené XIV. ex 
spostolica aucloritate beftimmte, daß nur bie Feiertage 
de praecepto zu feiern fein follen, welde wir jegt nod) 
in Deutſchland zu feiern pflegen, fo find gewiß Bedenfen 
gegen eine weiter auszubehnende Verpflichtung gerecht» 
fertigt. 


1) Theologie morale etc. par Gousset. Tom. IL p. 125. 


Verpflichtung der Pfarrer γε. 329 


' Bir glaubten feinen Anſtand nehmen zu dürfen, bie 
Bedenken, wie fie fid) uns bei Durchleſung des beſproche⸗ 
nen Schriftchens aufbrängten, auéjufpreben, ohne daß 
wir darauf Anſpruch madıen wollten, die Unrichtigfeit der 
dort aufgeftellten Anficht bewiefen zu haben. Wir glauben 
überhaupt, daß fid biefe Gontroverfe auf dem bloßen Ge⸗ 
biete der Wiffenfhaft bis zur vollen Evidenz ſchwer heben 
laffen wird. uf der andern Eeite fann nidt entgehen, 
daß eine Gontroverfe in einem Gegenftanbe, ber von fo 
großer practifdjer Bedeutung if, und das Gewiſſen des 
größten Theils des Seelforgelerus unmittelbar berührt, 
je länger fie dauert um fo bedenflicher werden muß. Der 
einfachfte und fiherftie Weg zur Hebung derfelben dürfte 
wohl ber fein, wenn bie deutſchen Biſchoͤfe, ſoweit ihre 
Diöcefen nur von der Feiertagsreduction Clemens des XIV. 
betroffen. wurden, entweder insgefammt oder nad) Rändern, 
begiehungsweife Provinzen abgetheilt, eine Deftimmte 
Erflärung der Congregatio interpr. concil. trid. oder ber 
C.ngregatio sacr. rituum über biefen Punct veranlaßten, 
und in Folge beffen ihrem Seelforgselerus flat [autenbe 
Vorſchriften gäben. — 

Bendel, Gonbictóbirector k. 


* Nachtrag. Inzwiſchen ift ein Graf. des Bifchöfl. 
Drbinariats in Rottenburg erſchienen, worin tie gefammte 
Piarrgeiſtlichkeit zur gewiflenhaften Beantwortung folgens 
der Fragen aufgefordert wird: 1) Haben bie Piarrgeifte 
lijen an ben abgewürdigten Beiertagen das heilige Meß⸗ 
epfer pro populo applicitt? — 

2) IR, fo lange und fo oft eine bießfällige Unter» 
lafung fast fatte, biefelbe in bem guten Glauben, ald 


330 Verhoefen⸗Heuſer, Verpflichtung der Pfarrer sc. 


wäre mit der Verbindlichkeit des Volles zur Anhörung ber 
heit. Meſſe aud) die Verbindlichkeit der Pfarrer zur Apr 
plication aufgehoben, geſchehen? — Diefe Bragen werben, 
wie in bemfelben Exlaffe angebeutet ift, mur deßwegen 
geftellt, um biefe practifch fo wichtige Angelegenheit burd) 
die hoͤchſte kirchliche Auctorität normiren zu laffen, eine 
Abſicht, bie gewiß von jedem gewiflenhaften Geiſtlichen 
gebilligt werben wird. Indeſſen dürfte bie hoͤchſte Cnt» 
ſcheidung in biefer Angelegenheit zum Voraus ziemlich 
fiyer fein, denn c8 fommt ung eben ein Decret der Congreg. 
interpr. concil. trid. in dem Salzburger Kirchenblatt Ar. 4 
1853 zu Gefihte, worin die angeregte rage für bie 
Diöcefe Olmüg entídieben wird. Wir glauben diefes 
Derret um fo mehr wörtlich beifegen zu follen, als unfere 
in obiger Anzeige aufgeftellte und vertfeibigte Anſicht darin 
vollftánbig beftátigt wird, und baffelbe geeignet ift, mande 
beunruhigten Gemiffen zu beruhigen, weil dasjenige, was 
für die Diöcefe Olmüg Hinfichtlich der durch Clemens XIV. 
abbeftellten Feiertage gilt, aud) als für bie andern deut⸗ 
ſchen Diöcefen giltig angefehen werden fann. Diefes 
Decret lautet: Perillustris ac reverendissime Domine uti 
frater. — Relatio sanctissimo Domino nostro per infra- 
scriptum secretarium S. Congregationis Concilii adjunctis 
precibus datis nomine Amplitudinis tuae, Sanctissimus 
mandavit praesentem ad Amplitudinem tuam scribendam 
esse eum in finem, ut Eidem nolificetur non teneri pa- 
rochos ad applicationem missae pro populo enuntiatis 
diebus festis, quibus permissum fuit eidem populo vacare 
operibus servilibus et sublata fuit obligatio missam 
audiendi, cum non comprehendantur in declarationibus 
facis a summis pontificibus Pio VI et Pio VII quoad festos 


Müller, Jahrbuch ber kathol. Kirche, 331 


dies ab iisdem derogatos. Haec sanctitatis Suae mandata 
dum per praesentes exequimur, eidem Amplitudini tuae 
fausta omnia precamur a Domino. Amplitudinis tuae, 
vti frater stud. 
Romse, 28. September 1852. 
C. Card. Patricius. 
A. Quaglia, Secretarius. 


3. 


Jahrbuch der römifch-katholifchen Kirche, Herausgegeben 
von Iofeph Heinrich Müller. Zweite Ausgabe. Berlin 
1852, Verlag von Th, Grieben. 8. 314 ©. Pr. 36 ἔτ, 


Ein Jahrbuch der römifch-Fatholifchen Kirche, in feinen 
Angaben verläjfig, in den ſtatiſtiſchen Notigen richtig, in 
den hiſtoriſchen Aufzeihnungen genau und bündig, in ben 
Ueberfihten Mar, ἐξ gewiß eine willfommene Grídeinung 
für alle Freunde der Gefdjid)te und eine Bundgrube von 
Daten, tamen. und Thatfahen für fpätere Zeiten. Allein 
jum Voraus leuchtet ein, daß ein foldes Unternehmen 
eine Kenntniß von ben Einzelnheiten des perfönlichen und 
ſaktiſchen Beftandes in der ganzen Fatholifhen Welt vor» 
ausfeßt, wie fie von einem Privatmann faum erwartet 
werden kann. Wenn daher das vorliegende Yuch, welches 
als erfter Verſuch diefer Art auftritt, viel Unvollftändiges 
enthält, fo liegt bie in der Natur der Sache und darf 
man eó ben guten Willen des Verf. nicht entgelten laſſen, 
im Gegenteil man wird das Sud) als eine erfreuliche 


332 SRüfler, 


Grídeinung begrüßen bütfen, wie e& im benn zur Gav 
pfehlung gereidjt und als ein Seugni für das vorhans 
- bene Bebürfnig angefehen werden muß, daß bereits bit 
2te Ausgabe veranftaltet wurde. 

Betrachten τοῖς näher, was und ber Verf. dargebo⸗ 
ten hat. 

Suerft fommt das Fatholifhe Kirhenjahr mit 
feinen Feſten und Heiligentagen, mit einer Tafel für die 
beweglichen Befte bi zum Sabr 1883. Die Aufzählung 
der auf bie einzelnen Monatstage vertheilten Heiligen, 
bei denen jedesmal ihr Eterbetag, was wir billigen, ans 
gegeben ift, wie aud, in welden Etädten fle als Patrone 
verehrt werben, geht bis (5. 30 und fönnte für bie Zur 
Tunft in biefer Ausdehnung wegbleiben ober in eine flereos 
type tabellarifche Form gebradjt werben, wogegen natuͤrlich 
neu erigirte Gefttage von Heiligen befonbere Erwähnung 
im Jahrbuch zu finden haben. 

Das Gleife gilt von den Epifteln und Evan 
gelien auf die Conn» und efttage, welde bis G. 39 
zeihen. Nun folgt: ber heilige Vater und bie 
Eardinäle Die Namen und Daten der Geburt, bet 
Titel und Würden und ber Ernennung find angegeben. 
Es find 6 Cardinalbiſchoͤfe, 47 Garbinalpricftet, 11 Gars 
dinaldiafonen, zufammen —:- 64 aufgezählt. (Der Ber 
fand hat fi) feither wieder verändert). Zur Bequemliche 
keit des Leſers dürfte εὖ gereichen (und biefe ift bei ſolchen 
Büchern ganz befonders hoch anzufhlagen), bie Zahl ber 
Garbináfe αἰεἰῷ zum Voraus in Ziffern anzugeben, wie 
aud) das Alter des Papftes unb ber übrigen hohen Wuͤr⸗ 
denträger ber Kirche. Die Lefer wollen nicht lange rechnen 
und zufammenzählen, fondern nachſchlagen und fehen: 


Jahrbuch ber kathol. Kirche. 333 


dieſer oder jener SBifibof ift fo unt fo aft. ' Nun werben 
die höheren Beamten des päpfllihen Staates und Hofes 
aufgezählt, der Minifterraty, Staatsrath, Penitenzieria 
apostolica (unvollfändig), apoftolifhe Kanzlei, Dateria 
apostolica, Sacra Rota romana (unvolftändig), apoſtoliſche 
Kammer, Hausprälaten. Die SBefegung der gegatens unb 
Delegatenftellen war αἵδ᾽ jur rein politifchen Eintheilung 
des Kirchenftantes gehörig nicht gerade notbmenbig. Der 
Kirhenftaat umfaßt 748 DM. mit 2,900,000 Einwohnern 
(ungeredbmet ungefähr 10,000 Juden). SBapft Pius IX. 
if 61 Jahre alt, ber gegenwärtige Proftantsfecretär ift 
der Carbinalbiafon Giacomo Antonelli, 47 Jahr alt. 

€. 53—57 if das diplomatifhe Corps zu 
Rom und bie Confuln verzeichnet. Hieran hätte fi) natur 
gemäß gereiht oder nod) beffer hätte ihm vorangehen koͤn⸗ 
nen bie Aufzählung ber päpftliben Nuntiaturen in 
andern Ländern, welde im Buch bei den einzelnen Ländern 
nad den geiftlihen Würdenträgern zerſtreut ſtehen. G6 
wäre nicht blog bie Ueberſicht erleichtert worden, fondern 
aud mehr in die Augen gefprungen, bei welden Staaten 
der päpftlihe Stuhl nicht vertreten ift. 

Run folgen die fatfoliíden Stegenten und Präfis 
benten (gehört hieher nicht aud ber Kaifer δαμβίπ 1. 
von Hayti Y), und andere Fatholifhe Fuͤrſten, Herzoge 
unb ebenbürtige Grafen (jebod auf Deutſchland ber 
féránft). ©. 72 eine „Zufammenftellung derjenigen Mit 
glieder vormals reihsftändifher Familien, welche feit bem 
Ende des 16ten Jahrhunderts zur Fatholifhen Kirche qu» 
tüdgefebrt find.” Es find deren 80 aufgeführt von 1516 
bis 1825. Der regierende Herzog Friedrich Ferdinand von 
Anhalt⸗Koͤthen ift als der legte genannt. Dieſes Vers 


334 Müller, 


zeichniß befchränkt fij gleichfalls auf deutſche Haufe 
Wir entnehmen daraus, daß Gonverfionen flattgefunde 
haben vom Haufe Baden 5, Naffau 3, Sachſen 11, Bran 
benburg 1, Anhalt 2, Hefien 8, Braunſchweig 2, Holftein € 
Würtemberg 3, Meklenburg 2, Pfalz 7. Diefes Verjzeichni 
mwünfchten wir fortgefegt und ausgedehnt auf auferbeut[d 
Fürftenhäufer, aber aud) auf andere durch Stellung un 
Gelehrſamkeit hervorragende Perfonen, befonberé neuer 
Zeit. 

Einen wichtigen unb danfenswerthen SBeftanbtbeil de 
Jahrbuchs macht bie Perſonalſtatiſtik ber fatbol 
fhen Kirche in Preußen, wie aud) ber Etat für be 
katholiſchen Eultus in Preußen auf das Jahr 1852. Prer 
fen zählt unter 16,346,625 Einwohnern 6,046,292 Kath 
Iifen in 2 Erzbisthümern und 6 Bisthümern. Die fta 
lichen Rechte wahren 4 Perfonen, der Eultminifter (gegenn 
v. Raumer) und bie Abtheilung für bie kathol. Kirchen 
angelegenheiten unter Direktion des Geb. Ober-Reg.-Ratt 
Aulife der vortragende Rath Dr. Brüggemann und al 
Hilfsarbeiter ber Geb. Juſtizrath von Gllerté. Hierau 
Taffen fid) praftifche Folgerungen ziehen für andere Länder 
Wir finden nun nicht blos bie namentliche Anführung de 
Biſchoͤfe, Prälaten und Domherrn, fondern aud) bie De 
fanate unb die Namen ber Defane verzeichnet. Lehtere 
ſcheint uns in einem Jahrbuch ber roͤmiſch-katholiſche 
Kirche überflüffig und dürfte die Angabe ber Defanat 
und Archipresbyterate genügen. 

Sodann ift zu tadeln, daß bei ben Bifchöfen Preußens 
wo bod) die Quellen für ben Verf. am ergiebigften flofen 
nicht bie Daten ihrer Geburt und Ernennung nebft Furzem 
Sebenéabri angegeben find. Da bie Biſchoͤfe hiſtoriſch 


^ — Jahrbuch ber fato, Kirche. - $35 


Perſonen find, fo follte bie in einem ſolchen Jahrbuch 
nicht fehlen. Belehrend für unfere Verhaͤltniſſe ift bie 
Drganifation der preufifdjen Orbinariate. Jedesmal find 
angegeben bie Mitglieder 1) des Domkapitels mit Doms 
propft unb Sombefan, 2) des Bifhöfl. Generalvifariats 
unb Offizialats, 3) des Biſchoͤfl. geiftlihen Gerichts in 
3 Inftangen, wobei aud) ein weltliher Syndikus ober 
Juſtitiar aufgeführt if. Unter ben Diöcefaninftituten 
findet fid) nebft bem Priefterfeminar aud) ein domus Eme- 
ritorum unb domus Demeritorum, welche jedoch theilweife 
„ihre Ginridtung erwarten“, wofür aber im Etat nam» 
bafte Summen auégefegt find. Aus bem Etat ergiebt 
fi, daß bie Ausfattung der Bisthümer unb bet bazu 
gehörigen Inſtitute beträgt 
für das Bisthum Ermland zu ᾿ 
Srouenbutg . . . . 42,789 Sfr. 16 Sgr. 6 Pf. 
» » m Gulm ju Belplin 43,761 „ 27 , 4, 
» « Crubietum Onefen 
unb Son. . . . 82576 , 19 , 
» »ν Bisthum Münfter — 56415 , — , 
"Em " Paderborn 47,639 , 6 , 
„„Erzbisthum &óln — 87841 „ 
» Bisthum Trier . 54535 „ 
Zuffe für Geiſtliche und 
Kihen ..... 974345 u — , — u 
Zur Bortfegung des Doms 
baus in Köln . . . 5000 ,— un — u 
"u δε Reubaues 
einer zweiten fath. Kirche 
in Bein ....100 n — ,— , 
Zur Errichtung einer Emeris 


"|[oc-. 
203 o5 xo 


336 Miller, 


tenanftalt im Kloſter Bin» 
nenberg für das Bisthum 
Münfer.. . . . . 10,000 Thle. — €gr.— 9 
Demeritenhaus für das Erz⸗ 

bisthum Köln im Kloſter 

Marienthal . . .. 7000, — ,—, 
Demeritenhaus für Trier 9,00 , — u — 

Jeder Biſchof hat 8000 Thlr. jährliches Einfomme 
bie 2 Erzbifhöfe von Köln und SBofen und der Füuͤrſtbiſch 
von Breslau je 12,000 Str. . 

Die hohenzollern'ſchen Pürftenthümer find im obig 
Zufammenftellung nidjt berüdfichtigt und ift ihre τώ! 
Statiſtik febr mangelhaft aufgeführt, da blos ber Det 
Emele zu Sraudjenmieó genannt ift. 

So ausfuͤhrlich die Mittheilung über ben Beftand d 
fatholifhen Kirche in Preußen ift, fo dürftig find a 
übrigen Länder ber Chriftenheit davon gefommen. ( 
find blog bie Namen ber Biſchöfe angeführt, von Nor 
amerifa b[o8 6, während bie Zahl ber Bisthümer 40 übe 
fliegen hat. (€. 260 u. ff. gibt ber: Verf. eine fpezielle 
Schilderung der fatf. Kirche in Nordamerifa, an wel 
fib eine Charakteriſtik der verſchiedenen hauptfächlichft 
Selten bafelbft anfnüpft. . Was Defterreid) betrifft, 
bringt der Verf. für diesmal nachträͤglich S. 234 ff. t 
Perfonalftatiftif ber Erzdiöcefe Wien nebft einem Be 
zeichniß der Klöfter in ihr, unb verfpricht weitere Mi 
theilungen für. fpäter.) 

Die Statiftif ber Fath, δ τῷ ε im Allgeme 
nen (6. 160—172) gibt zuerft eine Ueberſicht ber fat 
Miſſionsthaͤtigkeit. Auch hierin ift für nachfolgende Banl 
reicher Stoff übrig. Es ift z. B. des äfterreichifchen Le: 


Jahrbuch der kathol. Kirche. BT: 


poldinenvereins nicht erwähnt, aud) bag in Bayern ein 
befonberer Verein, ber Rudwigsverein, für bie auswärs 
tigen Mifftonen befteht, bem fid) aud) bie Diöcefe Rotten⸗ 
burg angefchloffen hat. Auch ber Verein von ber Kinds 
heit Sefu, wie aud) ber Bonifaciusverein für Deutſch⸗ 
land follte nothwenbig fpäter eine Erwähnung finden, wie 
aud) bie verfdjiebenen veligiöfen Gongregationen, bie fid 
befonder8 bem Miffionswerf unter ben Heiden widmen, 
und bie Propaganda in Rom als oberſtes leitendes Organ 
der Kirche. Die weitern Nachrichten über bie Zahl ber 
latholiſchen Einwohner in ben verfchiedenen Ländern, ven 
Beftand der Geiftlichkeit, der Klöfter, Pfarreien, aud) der 
lirchlichen Ginfünfte bieten manches Sntereffante bat, aber 
fie ermangeln vielfach der erwünfchten Grünblidfeit. 
Nehmen wir 2, B. Franfreih (S. 16%. Da heißt 
t6, e$ habe 33,600,000 Katholifen. Beftand ber Geiſt⸗ 
lichkeit 40,240 Perfonen. „In mehr als 4000 Klöftern 
lóten 1847 24,000 Kloftergeiftlidhe, wovon inbef 
etwa drei Viertheile weiblihen Geſchlecht s fif bem 
Kranfendienft unb ber Erziehung gemibmet haben.“ Da 
war bie Beber denn bod) zu flüchtig! Bei der Zahl ber 
Kirchen und Kapellen ift bud) einen Drudfehler eine Null 
viel: 51,3000 ftatt 51,300. 
Bei England ift die neue Diöcefaneintheilung mod) 
wit berüdfichtigt, obgleih Hr. Wifemann vornen ſchon 
als Erzbiſchof von Weftminfter unter den Kardinälen fommt. 
Die Zahl der Katholifen in Großbritannien ift nod) bie 
von 1844, während gewiß neuere Quellen zu Gebot ſtehen. 
G6enfo bei Defterreih, wo auf das Jahr 1842 zurüds 
gegriffen ift. 
Die Zahl der ftloftergeiftiden in Preußen wird auf 


. 


988 ΄ Miller, 

2000, die der Nonnen auf 1000 gefhägt. Da der Verf. 
die ‚Perfonalftatiftit von Preußen fo fpeziell behandelte, 
marum Dat er nicht aud) bie Ordensgefellfchaften und ihren 
Beftand fpeziell erwähnt? Wir möchten die Richtigfeit 
biefer Ziffern bezweifeln. 

Das katholiſche Belgien, das fo reichen Stoff für ein 
Sabrbud) ber Fatholifhen Kirche liefert, ift faft gar nid 
berüdfichtigt. 

Bon €. 173—197 gibt der Verf. eine „hronologifd 
Ueberfiht der Geſchichte von Religion und Kirche in Frank— 
reich während des Schredensjahres ber Revolution vom 
Juli 1793 — Juli 1794" ig orm eines Diariums; unt 
von G. 198— 233 bie „Chronologie der Päpfte, bis au 
Honorius IIL" (1216). Diefe Einrichtung ift lobenswertt 
und zwedmäßig. Wir finden naͤmlich bie Jahrzahl ber Gr. 
Bebung eines jeben Papftes auf ben bL. Stuhl, Namen 
Heimath, bei ben fpätern bie familie und einige biogr 
Daten, Todesjahr unb Tag. Unter jedem Papft ftefer 
die während feines Pontififats ftattgehabten wichtiger 
kirchlichen Exeigniffe mit Angabe der Jahreszahlen. 

Hierauf folgt eine Ueberficht der „Fatholifchstheologi 
fen Lehranftalten in Deutfchland“, ein dürres Verzeichnif 
von tamen. Hier wäre wieder ein weites Feld für ber 
Ehroniften; er koͤnnte Notizen bringen über bie alten Fath 
Univerfitäten, über bie bermalige Stellung der katholiſcher 
Bafultäten unb theologifchen Lehranftalten; nähere Daten 
über bie Profefforen, Geburt, Anflellung unb befonderd 
aud) die Fächer, welche fie vortragen. Warum find einige 
Bayern und Deftreicher als Dr. bezeichnet, alle übrigen 
aber, bie Doktoren find, nicht? Bei Hildesheim if 
die katholiſch⸗ theologiſche Lehranftalt gar nicht erwähnt, 


* 


Jahrb uch der kathol. Kirche. 889 


aud bie in Mainz fommt nicht vor; bei vielen öfters 
teichiſchen und bayerifchen theologifchen Rehranftalten ifi 
mrt ber Rektor angeführt. Diefe Partie läßt alfo Vieles 
m wuͤnſchen übrig. 

Die Nachrichten über bie katholiſche Kirche in Nord⸗ 
amerifa unb über bie verfhiedenen Sekten daſelbſt haben 
τοῖς (djon erwähnt. Solche Mittheilungen find willfommen. 

Zum Schluß verzeichnet der Verf. die kath. Literatur 
Deutſchlands und Frankreichs im Jahre 1851; die frans 
zͤſiſche Literatur befchränkt fid) aber auf bie Haupterſchei⸗ 
nungen ber [eten Monate. J 

Rachdem wir den Inhalt des Jahrbuches durchge⸗ 
gangen, haben wir noch einige allgemeine Bemerkungen 
wu maden. 

Wir vermiffen bei bem Jahrbuche einen befimmten 
m Grund liegenden Plan; der Verf. hat fid in feinem 
Borwort darüber ausgefprohen und aus dem Bud) felbft 
if er nicht zu erfennen. Ein Jahrbuch) der roͤmiſch⸗katho⸗ 
liſchen Kirche follte fid) aber nothwendig einen feften Plan 
dorzeichnen, und große Klarheit und Ueberfichtlichkeit an» 
freben, weil fonft das große Gebiet nicht zu überfchauen ift. 

Bor Allem follte unfrer Anfiht nad) die Jahrzahl, 
für welche das Jahrbuch gefchrieben ift, durchweg als ber 
terminus a quo feftgehalten fein, der Titel follte das (don 
ausbrüden; Jahrbuch ber r. f. Kirche für das Jahr 185. 
uf. w. Sonſt fat man feinen Anhaltspunft; ein Jahr⸗ 
buch, das Dezennien umfaßt, ift Fein Jahrbuch. Sodann 
if Vieles in ber kathol. Kirche ftabil, was nicht jebes 
Jahr παῷ feiner ganzen Ausdehnung wieder gebracht 
werden kann. Das follte tabellarifitt, und nur bie ein» 
gelretenen Veränderungen follten im Gontert befonderd 

Siesl. Ouartalſariſt. 1858. 11. Seft- 23 


340 Müller, Jahrbuch ber kathol. Kirche, 


bemerkt werben, ober e8 fann auf den früheren Jahrgang 
sertoiejen werben, wenn feine Veränderung eintrat. 

Es ift nicht móglid, von allen Ländern in jeden 
Jahrgang alle einfdjágige kirchlich- fatiftifche Notizen zu 
liefern; dagegen ift e8 nicht zu tadeln, wenn biefelben 
1adeinanber fpeziell aufgeführt werden. So fónnt 
|. 9. zunaͤchſt Defterreich, Bayern, bie oberrheiniſche Kit 
henprovinz jur Darftellung kommen, worauf in ben fpäter 
Jahrgängen nur bie Veränderungen nadjgutragen wären 
Diefe Darftellungen follten aber bann genau und um 
faffenb fein. . 

Bei einem kirchlichen Jahrbuch dürfte bann ftatt b: 
Raatlihen Eintheilung beffer die Firhliche Eintheilun 
bet Welt zu Grund gelegt werben und bie ftaatliche neben 
her laufen, denn die Kirche fennt feine Landesgrenzen. 

Auf das Drdenswefen dürfte größere Rüdfid 
genommen werden, umb bie einzelnen Orden. mit ihre 
Beneralen, ihren Provinzen, bem Beftand ihrer Klöfte 
nacheinander jur Darftellung kommen. 

Dann wären die kirchlichen wichtigen Ereigniffe be 
Jahrgangs aufzuzeichnen, unb an bief ετῇ andere hiſtoriſch 
Üeberfidjten und Zufammenftelungen zu reihen. 

Wir verfennen bie Schwierigfeiten, bie zu übertoinbe 
inb, allerdings nicht, ſprechen all bie aud) nidjt als Sabe 
jegen den. Verf. aus, fondern möchten mur durch bief 
Bemerfungen etwas dazu beitragen, das aud) (don ü 
einer gegenwärtigen Geſtalt viel Brauchbares und Be 
ehrendes enthaltende Buch für bie Fünftigen Iahrgäng 
no braudjbarer und bedeutender zu machen. 

Eduard Vogt, 
Stabtpfarrer zu Ludwigsburg 





Netrolog. 





Profeflor Dr. von Drey wurde zu Killingen, einem 
dilialorte der Pfarrei Röhlingen bei Ellwangen am 16. Det. 
1777 geboren und am folgenden Tage zur hl. Taufe ger 
bracht, wo er ben Namen Johann Sebaftian erhielt, 
Seine Eltern waren in hohem Grabe bürftig; fein Vater 
ein Hirte. Während der Knabe die Elementarſchule in 
Röhlingen befuchte, bemerkte der dortige Pfarrer, P. Martin 
Siegfer, ein Grjefuite, von welchem Drey ſtets mit hoher 
"tung fprad), feine hervorragenden Talente, begann ihn 
in den Anfangsgründen der lateinifchen Sprache zu unters 
täten, und beflimmte bie Eitern, benfelben tret ihrer 
Armuth im Herbſte 1787 dem Gymnafium zu Ellwangen 
iu übergeben. Der wohlthätige Sinn ber Einwohner Ell⸗ 
wangens machte, wie vielen andern armen Knaben und 
Jünglingen, aud) bem jungen Sebaftian das Betreten der 
wiſſenſchaftlichen Laufbahn möglich, zumal ihn P. Ziegler 
an feine alten Freunde und Orbensbrüber in Ellwangen, 
die aud) nad) Fürzlich erfolgter Aufhebung des Jefuitens 
ordens nod) Profefforen am Gymnaſium geblieben, empfob» 
lm und durch fie feinem &djüglinge fogenannte Kofttage‘ 

23 * 


342 Nekrolog. 


und Wochengelder verſchafft hatte. Fuͤr bie noͤthige 
Schulbuͤcher aber wurde dadurch geſorgt, daß vermögli 
dre Gymnafiſten höherer Klaſſen ihre entbehrlich gewor 
denen Exemplare zum Gebrauche uͤberließen. Drey macht 
ſolche Fortſchritte, daß er ſchon nach wenigen Jahre 
anderen Schuͤlern als Privatinſtrultor dienen und fo fein 
äußere Lage einigermäßen verbeffern fonnte. Unter be 
Lehrgegenftänden zogen ihn jegt beſonders bie lateiniſche 
Hiftorifer an, und bem Schulgange vorauseilend la6 « 
fie privatim mit allem Eifer, lernte die eingefloctene 
Reden, namentlid) von Livius, auswendig, und beclamir! 
fe auf δεῖν und lur. Ein Marfftein oder Holafı 
mußte als Rebnerbühne dienen. Etwas fpäter lernte « 
aud) Horaz liebgewinnen, unb εὖ blieb biefer neben Liviu 
fein Lieblingsfehriftfieller, fo daß er in fpäten Jahren no 
in beiden mit Vergnügen las, ober aud) von Andern, ;.2 
dem Schreiber dieſer Zeilen, fi daraus vorlefen lief. - 
tad) bem Studienplane ber Jefuiten zerfiel ihre Lehranſta 
in Ellwangen in bie eigentlichen Gymnaſial⸗ und die hoͤht 
ven Lycealklaſſen. In den erfteren. flanb bie Philologi 
in ben fegtern Phyſik und Philofophie im SBotbergrunt 
des Unterrichts. Als mun Drey in biefe höhern Klaſſe 
überging, wurde er auf bie Empfehlung feiner Lehre 
Inftruftor in dem Haufe des fürftlich ellwangifchen Kanzler 
von Baur, und that fi aud) jept wieber in feinen Stu 
bien mit großer. Auszeichnung hervor. Mit ihm wei 
eiferten feine theilweife gleih talentvollen Mitfcyüle 
Diemer, Werfer und Weinſchenk, trog der Rivali 
tät ihm innig befteunbet und fortwährend von ihm auf 
richtig geliebt. Der erſtere flarh frühzeitig als JOberamb 
mann in Reresheim; die beiden andern wurben SPrieftr, 


Nekrolog. 343 


und wie wir fehen werden, fpäter mehrere Jahre lang 
Drey's Eollegen in Rottweil. Die bebeutenbften. Lehrer 
aber, deren Unterricht Drey in Ellwangen genoß, waren 
die drei Erjefuiten P. Reb, P. Wagner und P. Gmer; 
bei dem Letztern, dem tüdtigften unter ihnen, hörte er 
insbefondere Mathematif und Phyſik, und erhielt vurch 
ihn eine Liebe zu dieſen Diſciplinen, welche nie mehr ver⸗ 
ſchwand. — Rah AOjährigem Aufenthalte in Elwangen 
begab fid Drey im Herbie 1797 nad) Augsburg, um 
dort unter Hohenbuͤchler, Feind! unb Stofe bie Theologie, 
und unter dem damals berühmten Zallinger das Kit 
chenrecht zu ſtudieren. Um fid) bie hiezu nöthigften äußern 
Mittel zu verfchaffen, übernahm er zugleich die Stelle 
eines Imftruftors im Haufe des Zollverwalter8 an der 
Berta »Brüde, eines Stalieneró, durch beffen Umgang 
er fi in der italienifchen und franzoͤſiſchen Sprache ſeht 
übte. Unter feinen Mitſchuͤlern aus dieſer Zeit ſtand ihm 
beonberé ber jeßige Domdefan von Saumann in Rote 
tenburg febr nahe, unb beide blieben von ba an 56 Sabre 
hindurch enge verbunden. Auch Drey’s freundſchaftliches 
Verhaͤltniß zu dem hochw. Bifchofe Peter Mirer von 
Gt. Ballen datirt fid) aus biefer Zeit. — Nach zweijäh« 
tigem Aufenthalte in Wugsburg trat Drey mit Jaumann 
und Andern am 4ten Rov. 1799 in das Priefterfeminar 
der augéburger Diöcefe zu Pfaffenhauſen (Landgerichts 
Mindelheim) ein, wo der geiftl. Rath Roͤſle damals 
Regens, der fpäter berühmt gewordene augsburger Doms 
befan Egger aber Stepetent war. — Schon in Augsburg, 
nod mehr im Seminar begann jenes Leiden fi zu ent 
wideln, weldes gerade bie beſten Mannesjahre Drey’s 
vielfach tnibte — bie Oypochondrie; angeſtrengte Studien 


344 : Nekrolog. 


und gebrüdte finanzielle Verhaͤltniſſe ſteigerten das Uebel 
ſchon im Entſtehen, und mitunter in Folge bavon zeigte 
Drey bem jugendlichen Frohſinn feiner 70 Coalumnen 
gegenüber bereits ein fo gefeptcó Welen, daß fie ibn 
deßhalb, fowie wegen feiner großen Kenntniffe ſcherzhaft 
ben „Profeſſor“ nannten. Aber aud) bie ſtaͤrkſten Leiden 
fonnten fein freundliches, fanfte& und wohlwollendes Weſen 
midt unterbrüden. — Im Mai 1800 drangen die Bram 
gofen in Schwaben vor und ſchlugen fid bei Mindelheim 
fo daß man ben Kanonendonner in Pfaffenhaufen hört 
und die Seminariften entließ, ben 11. Mai 1800. Mi 
mehreren Freunden flüchtete jegt Drey mitten unter ber 
retirirenden Deftteihern nad) feiner Heimath, fonnte je 
bod) (don im Herbfle beffelben Jahres nad) Pfaffenhaufer 
zurückkehren, erhielt bald nah Neujahr 1801 die Sub 
biafonató» und Diafonatsweihe burd) den emigrirten fran 
söfihen Biſchof Iuigny von Paris (im Auftrage be 
Biſchofs von Augsburg), übte fid) jegt praftifh im Pre 
digen ſowohl zu Pfaffenhaufen fefbft als in ber Umgegend 
und wurde am 30. Mai 1801 im Dome zu Augsbur; 
von bem Ehurfürften von Trier, Clemens Wenceslaus 
ber zugleich Bifhof von Augsburg und gefürfleter Propf 
von Ellwangen (fomil Drey’s Landesherr) war, zum 
Briefter geweiht. Auf feinen eigenen Wunſch und be 
des ehrwuͤrdigen P. Ziegler wurde er jegt biefem αἱ 
Vifar zugewiefen, feierte am 14. Juni 1801 in der Pfarr 
fide au Röhlingen feine etfte DL. Meffe und verblieb vor 
da beinahe 5 Jahre in dem gleichen Poſten als Seelforg: 
gehülfe fowohl bei P. Ziegler als bei beffen Nachfolge 
Iahann Repomuf Berlin, welcher fpüier Drey's Golleg: 
als. Profeflor ber Theologie in Elwangen werben follte 


Nekrolog. 345 


Reben ber Geelforge zogen ben jungen Priefter beſonders 
die neuen Erſcheinungen auf bem Gebiete der deutſchen 
Bhilofophie an, bie Schriften von Kant, Fichte unb 
Schelling, und mit ber ihm eigenen geiftigen Energie unb 
Gewandtheit drang er aud) in biefes Gebiet des Wiflens 
auf eine fo tüdjtige Weife ein, daß alle feine fpätern 
Arbeiten, Vorträge und Schriften das Gepräge einer gründs 
lichen philofophifhen Durchbildung an fid) trugen. Ein 
größerer Wirfungsfreis eröffnete fid) bem ftrebenben Manne 
im Sabre 1806, und die Prophezeiung feiner Goafumnen 
in Pfaffenhaufen begann in Erfüllung zu geben. Mit 
Werfer und Weinſchenk gemeinfam wurde er im Februar 
1806 als Profeffor an die höhere Fatholifhe Lehranftalt 
zu Rottweil berufen, um hier Religionsphilofophie, Mas 
thematit und Phyſik zu Ichren, und bie an fij fo vete 
fhiedenen Faͤcher fanden in dem reichen Geifte des jungen 
Lehrers ihre fhöne und würbige Vereinigung. Von da 
begann er unter anberm feine fleißigen meteorologifchen 
Beobachtungen, bie er bis in bie [egten Tage feines Lebens 
fortfegte und bie ifm fefbft in ſchmerzvollen Stunden ber 
Krankheit eine angenehme Beſchaͤftigung gewährten. Die 
andere Seite feines combinirten Lehramts aber bildete für 
ihn eine tüchtige Vorbereitung für feinen künftigen höheren 
Beruf ald Profeſſor ber Dogmatif, und befähigte ihn zu 
jener fpefulativen Behandlung ber Theologie, woburd er 
fid in Bälde fo rübmlid) hervorthat. Bei Errichtung der 
Friedrichsuniverſitaͤt in Ellwangen, welche bie fatfolijde 
Sandesuniverfität Württembergs fein follte, wurde Drey 
im Jahre 1812 als ordentlicher SBrofeffor der Dogmatik, 
Dogmengefchichte, Apologetif und theologifhen Encyklopaͤdie 
m diefelbe berufen, und damit auf jenen Leuchter geſtellt, 


ns Nekrolog. 


wo er fo lange und fo rübmlid glänzen ſollte. Seine Col⸗ 
legen waren Spegele, Beftlin, Wachter und Graf, unb mit 
ihnen gemeinfam erhielt er im Jahre 1813 bie theologiſche 
Doctorwürde von der Univerfität Freiburg. Später, im 
Sabre 1814 trat, nad) Spegele's Abgang auf bie Pfarrei 
Ziegelbah bei SBafbfee, Herbft ald Profefior ber alte 
teftamentlihen Gregefe in Ellwangen ein; Drey aber 
{ὠτίεδ. jegt in den Jahren 1814 unb 1815 feine erften 
Abhandlungen, zwei lateiniſche Differtationen über bie Lehre 
Juſtin's vom taufendjährigen Reihe’), wnb über das 
Bußweſen ber alten Kiche?). Ueber Iegtere wurden von 
gewißer Eeite her, wie εὖ [dint aus perfönlicher Miß⸗ 
gunft, übelwollende Berichte nad) Rom erftattet, ohne daß 
jedoch dem Verfaſſer Unannehmlicpfeiten daraus erwachfen 
wären. — Nach dem Tode des Königs Friedrich und bem 
Regierungsantritte des jepigen Königs wurbe bie Ellwanger 
Univerfität im Jahre 1817 wieder aufgehoben und in bet 
Eigenſchaft einer katholiſch⸗theologiſchen Bacultät der Unis 
verfität Tübingen einverleibt. Wachter und Beftlin traten 
in bie Baftoration gurüd, Drey Dagegen überflebelte mit 
Beibehaltung feiner bisherigen Bäder, in Gemeinſchaft 
mit Grag und Herbft nad) Tübingen, erhielt einen neuen 
Eoflegen an Hirfher, und gründete mit biefen breien 
gemeinfam i. 3. 1819 die Tübinger theologiſche Quartals 
ſchrift, welche von ba in umunterbrodhener Reihe fortges 
führt wird und gegenwärtig ihren 35ften Jahrgang zählt. 


1) Observata quaedam ad illustrandam Justíni martyris de 
regno millenario sententiam. Gamundiae 1814. 

2) Dissertatio historico - theologica originem et vicissitudinem 
exomologeseos in ecclesia catholica ex documentis ecclesiasticis 
ilasrans. Elvaci 1815. . 


Sufrilog. set 


Ganz befonberó thätig für fle war Prof. Drey, unb eine 
Reihe von Auffägen und Recenfionen in berfefben, durch 
Alarheit, Prärifion unb Styl ausgezeichnet, find ἀπό feiner 
gewanbten Feder geflofien. Schon im Jahre 1819 publi 
vite er Überdieß die „Kurze Einleitung in das Stubium 
der Theologie, mit. Rüdfiht auf den woiffenfdaftliden 
Gtandpunft und das fatbolifde Syſtem“, ein Buch, wel» 
es unftreitig alle ähnlichen Grídjeinungen ber damaligen 
Siteratur an lichtvoller Auffaffung und geiftvoller Behand⸗ 
fung des Stoffes weit überragt. Im Jahre 1823 wurde 
er von Sr. Majeſtaͤt unferem Könige mit bem Ritterkreuze 
des Kronordens beehrt und einige Zeit fpäter, ohne alles 
eigene Zuthun, als erfter Biſchof für Rottenburg in Aus⸗ 
Ächt genommen. Lepteres Projekt zerſchlug fh jedoch 
wieder, zum Theil weil das oben berührte Schriftchen 
Drey's zu feinen Ungunften wieder in Erinnerung gebracht 
wurde, nod) mehr aber, weil es unthunlich fhien, ben 
Heren v. Keller, der bereits Weihbifhof und apoftolifcher 
ÜBifar war, wieder zu befeitigen, umd auf Drey wurde 
nun in ber Weife Rüdfiht genommen, daß bie erſte Doms 
herenftelle ihm vorbehalten. blieb und aus deren Einkünften 
theils fein Profefforengehalt erhöht, theils ein befonderer 
Hütfslehrer für ihm belohnt wurde. In die Domherrn⸗ 
flee felbft aber wurde er πίε eingefet. Im Jahre 
1832 veröffentlichte er feine „Neue Unterfuhungen über 
die Gonfitutiones unb Canones ber Apoftel”, wodurch eine 
ftit Jahrhunderten fhwebende Stage auf fo befriedigende 
Weiſe und mit folfem Scharffinn und folder kirchlich⸗ 
archaͤologiſcher Gelehrfamfeit gelöst wurde, daß bie gelebte 
ten Kritifer auófpradjen: „die Akten darüber feien jet 
gídiofen." — Rad einer überanbenen ſeht ſchweren 


848 Netrolog 


Krankheit, bie ihn im ‚Jahre 1837 an ben Rand des 
Grabes bradjte, wurde Drey auf feinen Wunſch von bem 
ausgedehnten Lehrfach ber Dogmatik enthoben, behielt das 
gegen Apologetif und Encyflopädie, unb gab jet in ben 
Jahren 1838 bis 1847 fein treffliches Werk über dift, 
lide Apologetit in 3 Bänden heraus. Vom wiffenfhafte 
lihen wie vom kirchlich⸗ orthodoren Standpunfte gleich 
anerkennenswerth ift es ein fhönes Denkmal feines feinen 
Geiſtes ſowohl wie feiner aufrichtig kirchlichen Geſinnung. 
Ueberhaupt hat Drey ſelbſt damals, wo das Feſthalten 
an der Orthodorie in manchen Gegenden Deutſchlands bem 
Zeitgeifte unterlag, fid) bod) ſtets als einen treuen Ans 
hänger feiner Kirche und ihres Glaubens bewiefen, und 
wie bei vielen Andern hat fld) aud) bei im unter guͤnſti⸗ 
geren äußeren Einflüffen durch fortfchreitende Studien 
diefe Richtung nod) verftärkt und gehoben. — Mit vollem 
Recht wurde ihm überall. große Verehrung und Hochachtung 
als Menſch, als Lehrer unb Schriftfieller zu Theil; taufenbe 
von Schülern aus allen Gegenden Deutſchlands und ber 
deutſchen Schweiz find zu feinen Büßen gefefien und bes 
wahren ihm bis Beute ein banfbareó Andenken. Insbe⸗ 
fondere gehört der weitaus größte Theil der katholiſchen 
Geiſtlichleit Württembergs zu feinen Schülern, vom hoch⸗ 
würbigften Biſchofe herab bis zu ben Hülfsgeiftlichen. 
So wirkte er volle 40 Jahre im Lehramt rüfmlid) und 
fegensreih, — da wurde er im Jahre 1846 in den Stufe 
fand verfegt und zugleich mit dem Commenthurkreuz des 
Kron⸗ Ordens beehrt. Aber aud) im Penfionsftande blieb 
er fortwährend geiftig, ja ſogar ſchriftſtelleriſch thätig und 
fertigte nod) eine beträchtliche Anzahl von Arbeiten theils 
für das Freiburger Kirchenlexikon, theils für bie Tübinger 


Nekrolog. 349 


theologiſche Ouartalfchrift, deren Mitherausgeber er bie 
an feinen Tod geblieben ift. Am 15. Juni 1851 feierte 
er fein Priefterjubiläum, nod) rüftig an Geift unb Körper; 
ja gerade in feinen fpätern Jahren erfreute er fi einer 
beſſern Gefundheit al früher, unb nur das Gehör hatte 
merid) abgenommen. Seit etma zwei Monaten durfte 
er wegen Rheumatismen, bie übrigens feine heitere Stim» 
mung nur auf 9fugenblide trübten, das Haus nicht mehr 
verlaffen; dazu fam in den [egten zwei Tagen eine Heine 
Unpäßlichkeit, anfcheinend eine Indigeftion, die Niemand 
für gefährlich erachtete, unb nod) wenige Sekunden vor 
feinem Tode redete er friff) und früftig (im Bette) mit 
den Umftehenden. Ploͤtzlich fanf er zurüd, unb war ohne 
Todeskampf verſchieden, am 19. Februar 1853 Vormittags 
{12 Uhr. Ein Hirnſchlag fatte feinem langen und ſegens⸗ 
reichen Leben im 76ten Jahre beffelben ein Ende gemadht. 
Sein Name ift ruhmvoll eingefehrieben in die Gefchichte 
der latholiſchen Wiſſenſchaften. 


«s Google 


Riterarifcher Anzeiger 
Nr. 2. 


—MM — — 

Die hier angezeigten Schriften findet man in ber H. 8 chen 

Buhdandlung (daupp & Fiebeh) in Tübingen vorräthig, fo 
wie alle Erfeinungen ber neueften Literatur. 





Verlag von Friedrich Cazin in Münster. 
INSTITUTIONES 


LITURGICAE 
UAS 


Q 
AD USUM SEMINARII ROMANI 
DIGESSIT 


J. FORNICI, 


CANONICUS, AB APOSTOLICIS CAERENONUS MAGISTER, S. CONGREGATIONIS IN- 
MLGENTIARUM RT SS. RELIQ. CONSULTOR, NEONON iM DICTO MOM. SENL'ARIO 
8. LITURGIAE PROFESSOR 


EDITIO NOVA 


TN USUM 
CLERICORUM ET SEMINARIORUM CLERICALIUM 


PLURIMAE ACCESSERUNT NOTAE, EX PROBATIS 
AUCTORIBUS DESUMPTAE. 


30 Bogen. 8. Preis für das ganze Werk nur 27 Sgr. 6 Pf. 


Die hohe Stellung des Verfassers, so wie die dem Buche in 
den belobensten Ausdrücken ertheilten und demselben vorgedruckten 
Approbationen der hochwürdigsten Herren - Gardellini, Aloysius, 
Sacrorum Rituum Con; ionis Assessor et Sub- otor fidei; 
Piazza, Fr. Th. Dom., O. P. Pro-Mag. S. P. A.; Della Porta J., 
Patriar. Constant. Vicesg.: Gigli Dom. J. U. D. Secretariae Congre- 

ionis Sacrorum Rituum Substitutus; de Ligne, Jos., Sacrae Theo- 

iae Doctor et Apostolicarum Ceremoniarum Magister, — geben 
die sichere Gewährleistung, deas dasselbe zuverlässig, tüchlig und 
brauchbar ist. 

Der Preis ist ungewöhnlich billig, damit das Buch auch dadurch 
za allgemeiner in den geistlichen Seminarien sich eigne. 

Sm Berlage ber B. Schmid’fhen BudfanbIung (f. €. Kremer) 
I dngsburg iR ετίφίεπεπ und in allen Bughandlungen zu 
jaben, : 


Bona, Eardinal ic. ıc., ber Wegweiſer zum Sim: 
mel, oder Weisheitslehren, entnommen aus den Werfen 
heil. Kirchenväter und einiger alter Philoſophen. Aus 
dem Lateiniſchen ins Deuiſche übertragen, und wit 


23 
einem Zufage von Morgens, Abends, Mes, Beichts, 
Gommunionz, Kreuzweg⸗ und Vefpergebeten, wie andern 
Andachten verm. von A. Scheuereder. Biueite 
Auflage. 12. 314 €. Mit Ctabljtid. geb. 36 tr. 
᾿ oder 111A, Nor. 
Egger, Seb., bimmlifche Waffenräftung für 
bie Jugend, beftchend au ben heiligen Saframenten 
ber Buße, des Altars unb ber Firmung. Ein prafs 
tiſcher Unterricht. gr. 8. 80 Ὁ. gef. 12 fr. ob. 4 gr. 
Miniftrant, der, ober furye Anleitung, wie 
der Miniftrant bem Priefter bei der heiligen Meſſe am 
-Altare zu dienen Babe. Mit fünf SBignetten. 32. 
32 €. Einzeln 3 fr. ob. 3/4 9tgr., per Parc 
ob. gt. 
Giountagóblatt zur Augsburger Poftzeitung 
1888. Preis für 52 Rummern fl. 1. a ge 
mE Dl. h Star. 
Stempfle, 2., Zunge Erbauungsreden für (tu 
birenbe Yünglinge. Gehalten in ber Studien, 
Kirche zu Dillingen. Herausgeg. von S. G. Boll. 
L Jahrg. 16 w.26 Sem. 8. br. 532 ©. fl. 1. 36 ἔτ. 
. ob. Sir. 1. 
Wallfahrt, heilige, oder anbácbtige Befuchung 
des fehmerzhaften Kreuzwegs unferé Herrn Sefue Chris 
Rus. Abgetheilt in fünfzehn Stationen ober Betrach⸗ 
tungéorte, mit Gebeten und Gefángen. Mit Appro⸗ 
bation des hochwürd. biſchoͤſt. Drbinariaté Augsburg. 
Bmrite Auflage. Mit Vignetten. 12. 48 ©. r 
4 fr. ob. 1'/4 Nor. 
Bantmäller, 8. 3., Spiegel der Heiligen. 
Gin Eatholifches δεῦτε, Gebets unb Beiradr 
tungsbuch nebft einer kurzen Legende auf jeden 
Tag des Jahres. Bweite Auflage. Mit vier Stahls 
fihen. 12. 532 6. fl. 1. 12 fr. ob. 22!/ Nor. 
Eine Empfehlung dieſes trefflichen Buces Seitens ber Ber 
Tagspanblung erfeint überflüffig; man bittet nur das Bud zur 
dand zu nehmen, die vorgebrudten Beurtheilungen ber erfiea 
Auflage werden am befen Zeugniß für den wirkligen Werth 
diefes Gebet» unb Regendenbuces geben; bie fehöne Aus 


flattuug unb ber Sujet billige Preis verdienen gewiß alle An 
ertennung. t 


Theologiſche 


Quartalſchrift. 


In Verbindung mit mehreren Gelehrten 
herausgegeben 
von 
D. ». finn, D. Hefele, D. Welte, Ὁ. Bukrigl 


unb D. Aberle, 
Vrofeſſoren ber lath. Tpeologie an ber K. Univerfät Tübingen. 


Fünfunddreißigfter Jahrgang. 





Drittes Quartalpeft. 


Tübingen, 1853. 


Verlag der H. Baupp’fcen Buchhandlung. 
(Saupp & Giched.) 


Drad von 6. Saupp jr. 





I. 
Abhandlungen. 





4“ 
Die ruſſiſche Kirche. 


Die hohen Anſpruͤche, welche der Kaifer von Rußland 
gerade in unferen Tagen im Angefihte von ganz Europa 
erhebt, Ienfen wie billig unfere Aufmerkfamfeit auf die 
Kirche bin, als deren geharnifchter Sprecher er mit fo 
vieler Entfhiedenheit auftritt, und für bie er eine glän« 
sende Zufunft burd) diplomatifche Künfte oder burd) mille 
taͤriſche Macht herbeizuführen trachtet. Sobald wir aber 
der griehifhen Kirche gebenfen, müffen wir uns auch 
ihrer Scheidung in zwei große Hälften erinnern, nämlich: 
in die griechiſch-griechiſche und in bie ruffifche 
gtiedifde fitde, und gerade bie legtere, griechiſch 
der Religion, ruffifch ber Nationalität nad, wollen wir 
näher ins Auge faflen, theils weil ihre Geſchichte in weis 
teren Kreifen weniger befannt, 15eil6 weil gerade fie bier 
jenige ift, die, ohnehin ſchon viel größer al8 bie eigentlich 
griechiſche, burd) das beanfpruchte Proteftorat des Ezaren 
aud über letztere Kirche, zur unbeftrittenen Hegemonie im 
Drient gebracht werben fol. 

24" 


354 Die ruſſiſche Kirche. 


Die Anfänge dieſer Kirche fallen gerade in bie Zeit 
der erften Trennung Griedjenlanbé von Rom unter Pho- 
tius. Allerdings behaupten ruſſiſche Quellen, wie bet 
Mönd Neftor aus dem Höhlenflofter zu Kiew, der Bater 
der ruffifchen Kirchengeſchichte (im 11ten Jahrhundert), und 
der Verfaſſer des berühmten ruffifhen Stufenbuds 
aus bem 16ten Jahrhundert, daß ſchon ber Apoftel An- 
dreas in Rußland das Evangelium gepredigt und auf 
einem Berge bei Kiew das heilige Kreuz aufgepflanzt 
habe 1); aber biefe Tradition ift mehr als unſicher, zumal 


1) Bgl. Karamfin (ruff. Staaterath und Reichshiftoriograph + 
1826), Geſchichte des ruſſſchen Weide. Nach der 2tem Driginalonte 
gabe überfegt. 1820. 80. L ©. 26. 27. 236. Q4 ift bief das Haupt: 
werk über bie ruſſiſche Gefchichte, in 11 Bäuden bis 1612 reichend. 
Der gelehrte Schafarif, der größte Kenner der flawifchen Geſchichte und 
Sütertbümer, fagt: „Raramfin, auf bem Felde des Altflawiemus unzu- 
verläffig, wirb, fobalb er bem rein ruſſiſchen Boden betritt, ein Geſchicht⸗ 
föreiber, der feines Gleichen im Rupland nicht Hat, noch fogleich wicher 
Haben wird, wenn man bie gegenwärtigen Arbeiten feiner undanlbaren 
Sonbéleute ind Auge faßt, bie, auf feine Schultern tretend unb von feinen 
Schaͤtzen zehrend, ohne alle Sorge um Erweiterung und tiefere Ergrüns 
dung der Quellen, die unfchägbaren Berbienfte biefe& Mannes zu νεῖν 
Meinen befirebt find.” Meben Raramfim verdient befondere Beachtung 
Strahl (+ Prof. b. Geſch. in Bonn, früher längere Zeit in Rußland). 
Bon ihm Haben wir 1) eine Geſchichte des ruſſiſchen Staats, 2 Bänbe. 
Sambg. 1832 ff. , einen britten Band beforgte mad) Strahl's Tode Dr. 
Eruſt Herrmann, bié zum 3. 1682 reichen. 2) Geſchichte ber 
ruſſiſchen Kirche, ifer Band, Halle 1830, bis Ende des 16ten Jahr⸗ 
hunderts gehend. 3) Beiträge zur ruſſiſchen Kirchengeſch. Halle 1827. 
4) Gelehries Rußland, Leipzig 1828. 5) Mehrere Aöhandlumgen in der 
Tübinger theol. Quartalſchrift 1823. 

Außer diefen Benüpten wir beſonders : 

King, anglit. Geifl. in Petersburg, die Gebräuche und Geremonien ber 
griech. Kirche im Rußland. Aus bem Engl. überfegt, Riga 1773. 
Quart. 

Schmitt, Hermann Joſeph, Harmonie der morgenl. und abeundl. Kirche, 


Die ruſſiſche Kirche. 355 


febft Reftor fie nur als Sage aufführt; unb bie beglaus 
bigte Gefchichte fennt vor der zweiten Hälfte des neunten 
Jahrhunderts Feine hriftliche Miffton in ben weiten Lands 
frichen ber ruſſiſchen Slawen. Beachtenswerth ift es, daß 
bei diefen die Gtaatenbilbung und das driftlie Kirche 
tum zu gleicher Zeit fid anfegten. Lange Jahre Bin» 
dur hatten bie in Rußland gelagerten Slawen fld) ge» 
genfeitig befämpft und geſchwaͤcht, ba ſchickten um bie Mitte 
des neunten Jahrhunderts (862) bie um Stomgorob an« 
fähigen unb einige andere flawifchen und finnifhen Stämme 
eine Geſandtſchaft an bie Fürften ber Waräger !) in Skan⸗ 
dinavien, um fid) von ihnen Herrſcher zu erbitten. So 
famen jet drei Warägifche Brüder aus dem Gtamme 
Ruß (woher Rußland abgeleitet wird) mit anderen 
ffandinavifhen Eveln zu den fraglichen Slawen, unb der 
Baräger Rurif gründete nad) dem Tode feiner beiden 
Brüder bie große ruffifche Monarchie 864 3). 

Doch zwei andere warägifhe Häuptlinge, Aſtol unb 


Wien 1824, und fritiffge Geſch. der neugriechiſchen und ruſſiſchen 
Kirche, Mainz 1840. 

(Theiner), bie neueften Buftánbe ber katholiſchen Kirche beider Ritus 
in Polen und Rußland feit Katharina IL. bis auf unfere Tage. Mit 
einem Stüdélid auf die ruffifche Kirche und ihre Stellung zum Hl. 
Stuhle feit ihrem Gnifefen bis auf Katharina IL Bon einem 
Prieſter aus ber Gongtegation des Oratoriums des h. Philippus Neri. 

. 1841. 

+ Säloffer, Sob. Friedrich Heine., bie morgenländifche orthobore 

Αἰτάε Stufíanbé und das europäifche Abendland. Heidelberg 1845. 
Weitere von und benüßte Hülfsmittel toerben je am einfchlägigen 

Plage genannt werben. 

1) Die Waräger find fein Stamm, fonbern bie Rriegevtafte 

Slandinaviens. 

2) Karamſin, a. a. O. S. 37. 94. Schafarik, ſlawiſche 

Aluerthumer, deutſch von@chrenfeld. Leipz. 1844, 90. II. ©. 68 ἢ. 77. 


356 Die ruſſiſche Kirche 


Dir, wollten ſich unabhängig von Rurik ein eigenes Reid) 
grünben und eroberten zu dem Ende bie ſlawiſche Stadt 
Kiew, damals von den Kofaren beherrfcht ), fo daß jetzt 
unter warägifchen Fürften ein noͤrdlicher (Rowgorod) und 
ein füblidjer ruſſiſcher Staat (Kiew, Kleinrußland) feine 
Entftehung erhielt. 

Kurze Zeit nachher, um's Jahr 866, wagten Affold 
und Dir aud) einen Kriegszug gegen Gonftantinopel, und 
gerade diefer gab die erfte Veranlaffung zur Einführung 
ber chriſtlichen Kirche in Rußland. Um bimmlifhe Hülfe 
gegen bie wilden Θάβε zu erhalten, foll ber griechiſche 
SBatriard) das Gewand der heiligen Jungfrau in feierlicher 
Progeffion nad) dem Geftabe des Meeres getragen und in 
die Wellen getaucht haben, worauf ein ſchrecklicher Sturm 
die Schiffe der Ruffen ergriff und fle feber zum Frieden 
mit dem Kaifer zwang. Staunend über baó wunderbare 
Ereigniß hätten fie fid) jebt dem Chriftengotte unterworfen, 
der feine Verehrer fo mächtig befdyüge. So erzählen Ne 
ſtor und einige byzantiniſche Hiftorifer; der griechiſche Kaifer 
Eonftantin Porphyrogenetos aber, ber von diefem Ereig⸗ 
niffe nicht hundert Jahre abfland, und andere Geſchicht⸗ 
ſchreiber feiner Ration, fhweigen von bem genannten Wunder 
und berichten, bie Ruſſen feien burd) reichliche Geſchenle 
sum Frieden beftimmt worden. Diefem fügt Porphyros 
genetoó bie Nachricht von einem andern Wunder bei, 
welches die Ruffen zur Annahme der chriſtlichen Religion 
geführt haben fol. Laͤngere Zeit gegen die ihnen vorge⸗ 
tragenen chriſtlichen Lehren ungläubig, ſprachen fie enblidj 
zu bem griechifchen Bifchof: „wirf diefes Buch (bie 
Bibel) in'6 Feuer, und wenn es nicht verbrennt, 


1) Schafarit, Slawiſche Aterthämer, fb. IL ©. 64. 77. 


Die zufflfige itv. 857 
[ὁ wollen wir an beffen Heiligkeit glauben.“ 
Der Biſchof Habe ihrem Verlangen willfahrt, das Evans 
gelium {εἰ unerfehrt geblieben, unb nun der Sürft und 
Adel der Ruſſen gläubig geworben h. 

Wie man aud immer über diefe Nachrichten urs 
teilen mag, Dasjenige, was für und Bedeutung hat, 
flt unbedenklich feft, bag nämlich burd) jenen Krieger 
ag das Chriſtenthum zu ben 9tufjen von Kiew, ober ben 
Gübrufjen gekommen fei. &o ficher bief ift, fo freitig ift 
die genaue Beflimmung der Chronologie. Nah Neſtor 
nämlich und Andern wäre ber fraglihe Patriarch von 
Eonftantinopel der berüiptigte Photius gewefen unb ibm 
wuͤrde der Ruhm gebühren, bie erften Ruſſen im Jahre 
866 getauft und bie erfte Miffton in ihr Land geſchickt zu 
haben, fo daß die Stuffen [don mit bem Augenblide ihrer 
Belehrung in das Schisma verwidelt worben wären. 
Eonftantin Porphyrogenetos dagegen berichtet, bie Beleh⸗ 
tung der 9tuffen habe erft ein Jahr fpäter (867) flattger 
babt, nachdem ber neue Kaifer Baſilius Macedo ben 
ſchismatiſchen Photius vertrieben und ben rechtmäßigen 
Patriarchen Ignatius wieder eingefegt hatte. Dieſemnach 
wären bie Ruflen nicht ſchon von Anfang an ſchismatiſch 
gewefen; und biefe Meinung hat früher an Affemanni, in 
der neueren Zeit insbefondere an Theiner Ὁ ihren Ver 
theidiger gefunden, während Strahl unb ber Rufe Kar 
tamfin 3) die entgegengefegte Richtung vertreten, und 

1) Karamfin, a. a. D. €. 95— 97 u. €. 302. 308. Θ΄ a⸗ 
farit a. a. D. ©. 78. Strahl, Seſch. *. tuf. fife S. 43 ἢ. 

2) (Theiner), Die neueften Buftände ber fatf. Kirche beider Ritus 
ἐκ Bolen und Rußland. 1841. ©, 2. 


3) &atamfin, a. a. D. €. 97. Strahl, a. a. Ὁ. ©. 47. 
Beide fügen fid Insbefondere anf eim eigenes Schreiben bes Photius, 


358 Die ruſſiſche ire, 


bem Ignatius erft bie zweite Miſſion unter ben Ruſſen 
zuſchreiben, um durch dieſe Annahme bie Verſchiedenheit 
der alten Nachrichten auszugleichen. 

Karamſin und Schafarik, welche in der Geſchichte der 
Slawen und Ruſſen die größten Autoritäten der neueſten 
Zeit ſind, finden es wahrſcheinlich, daß die griechiſchen 
Miſſionaͤre eben damals ſchon die von dem hl. Cyrill er⸗ 
fundene ſlawiſche Schrift auch in Rußland eingeführt has 
ben 5), um dem Chriſtenthum wie der Cultur eine feſtere 
Grundlage zu verſchaffen; aber deßungeachtet konnte der 
ausgeſtreute chriſtliche Same politiſcher Stuͤrme halber 
bei den Ruſſen lange Zeit nicht reichlich unb freudig aufe 
fproffen. Schon um’s Jahr 882 wurden Affold und Dir 
von Ruriks Nachfolger Dleg, dem Vormünder Sgor', 
burd) Lift überwältigt und ermordet, ihre Herrſchaft mit 
Stotogorob vereinigt und Kiew zur Hauptflabt des ganzen 
großen Reiches erhoben. Theiner macht Affold unb Dir 
zu ben erften Mariyrern Rußlands 2); aber das waren 
fie in feiner Weife, denn ifr Tod floß aus rein politifben 
Gründen und aus ber Herrſchſucht Oleg's hervor. Oleg 
aber unb. fein Pflegling Igor, ber bis zum Jahre 945 
regierte, waren Heiden. So fam e, daß fie das Ehriften- 
thum zwar bulbeten, aber nicht fórbertem , unb biefeó nur 
ſehr fangfame Fortſchritte unter ben Ruſſen zu made 
vermochte. Die Mehrheit berfelben war nod) immer heids 
niſch, barum werden in einem SBertrage mit Conftantinopel 


worin biefer fid) ſelbſt die Belehrung ber Muffen zuſchreibt. Ge ift οἷν 
getrudt bei Baronius ad ann. 863. n. 41; aber ber Verdacht liegt, wie 
Theiner meint, nahe, Photius habe mur prahlerifch gefprocen. 
1) faramfin, a. à. D. S. 97. Schafatik, α. a. Ὁ. 6. 18. 
2) Theiner, a. a. D. €. 8. 


Die ruſſiſche Kirche. 359 


(. 3. 911) Ruffen und Ehriften (b. i. Griechen) tviebere 
holt als Gegenfäge aufgeführt h. 

Ein paar Dezennien fpäter muß die Zahl der Ehriften 
unter den Ruffen einigermaßen gewachſen fein, denn in 
einem neuen Vertrage mit Griechenland vom Jahre 945 
werden unter ben Ruffen felbft getaufte und unges 
taufte ausdruͤcklich unterſchieden 2. 

Ein großer Gewinn für bie ruſſiſche Kirche war- die 
Belehrung der ruffiihen Helena, ber berühmten Sürftin 
Dlga, welde nad) dem Tode ihres Gemahls Igor, im 
Jahre 955 fid) zu Eonftantinopel taufen lief, aber weder 
ihren Sohn, den Fürften Swaͤtos law, nod) defien Ge« 
folge zu befehren vermochte 3). Dagegen war εὖ ihrem 
Enkel Wladimir aufbehalten, nad) einer wüften, duch 
Ausfhweifung, Ehriftenverfolgung unb Menfchenopfer gc» 
ſchaͤndeten Jugend, im veiferen Alter der Beglüder feines 
Volkes, hauptſaͤchlich durch allgemeine Einführung des 
chriſtlichen Glaubens zu werden. Erfennend, daß eine 
theiftifhe Religion ihm und feinem Volke noththue, ſchickte 
er bei ben Lateinern, Griechen unb Mahomebanern unters 
tihtete Männer zur Erſorſchung ihrer heiligen Lehren unb 
Gebraͤuche umher, und entfdjieb fid) enblid) im Jahre 988 
für ben Anſchluß an bie griediifdje Kirche, weil deren 
Eultus als der impofantefte erfjien. Der Gropfürft ließ 
nun die Gógenbilber zerftsren, den Hauptgögen feines 
Volles, Perun, an den Schweif eines Pferdes binden, 
mit Keulen ſchlagen und enblid) in den. Dnjeper werfen; 


1) Raramfin,a. a. Ὁ. G. 111 ff. 

2) Raramfin, a. a. Ὁ. ©. 123. 124, 127. Strahl a. a. 
D. €. 49. 

3) &acamfin, a. a. D. €. 136. 139. 


800 Die ruſſiſche Kirche. 


fein Volk aber empfieng nun in Mafle in bemfelben Fluſſe 
ftebenb die Taufe, von Prieitern, bie in Kähnen umher⸗ 
fuhren, um das Gaframent zu fpenben, während Wladi⸗ 
mir am Ufer betete. Sofort erbaute er in Kiew eine 
Kirche zu Ehren des HI. Baſilius, an berfelben Stelle, 
wo früher Perun ftanb, errichtete hriftliche Schulen 1), und 
fibidte Miffionäre in feinem großen Lande umher, ohne 
indeß feine Unterthanen zum neuen Glauben zu zwingen, 
fo daß noch im zwölften Jahrhunderte B εἰν πὶ [ὦ ε Ruffen 
fid vorfanden 3). 

Nah al’ bem verftand εὖ fld) von felbft, baf bie 
neugegrünbete ruffifche Kirche zum Patriarhate von Eon» 
ftantinopel gehörte, und in der That wurde fie im zehnten 
Jahrhundert bald als die 60te bald als bie 76te 
Provinz diefes Patriarchalſprengels gezählt 9. Weil aber 
die Kirche von Conftantinopel nah der DVertreibung 
des Photius vom SBatriardjenftubl unter Kaifer Leo bem 
Weiſen (feit 886) das Schisma wieder aufgehoben unb 
bie Einheit mit dem Mittelpunkte ber Kirche wieder Bere 
geſtellt hatte, fo partieipirten hieran matürlid) aud bie 
ruſſiſchen Ehriften, unb barum müffen wir fie zur Zeit 
Olga's und Wladimir's nothwendig als Unirte betrachten. 

Als jebod) um bie Mitte des eilften Jahrhunderts 
die griechiſche Kirche unter dem Patriarchen Michael Ge« 
tularius fid) von ber lateiniſchen bleibend trennte, wurde 
auch Rußland dur feine hierarchiſche Verbindung mit 





1) Ihre Einführung fand ungeheure Schwierigkeiten, namentlich 
fürchteten viele Ruffen das Schreiben, denn bie Schrift fchien ihnen eine 
Sauberei. 

2) &aramfíin, a. a. D. ©. 168—178, 

3) Strahl, a. a. D. €. 48 f. 


Die ruſſiſche Kirche. 361 


jener in das Schisma Hineingezogen. Sie zählte bamala 
12 Diözefen oder Gpardjen: 1) Kiew, bie Metropole 
des ganzen Reiches, 2) Nowgorod (Grofnomgorot), 
3)8oftow, 4) Tſchernigow, 5) Jurjiew, 6) Biel- 
gorod, 7) BWlabimir, 8) Berejaslam, 9) Pos 
lotst, 10) Ehelm, 11) Turomw, 12) Tmutura— 
fan, unb alle biefe ftanben unter bem Patriarchen von 
Gonftantinopel, als ihrem höchften geiftlihen Obern. Ueber» 
haupt war unb ift die τι πε Kirche nur ein integriren« 
der Theil ber griehifhen, weder in Dogma, mod in 
Disciplin, überhaupt in feinem andern Bunfte von ihr 
verſchieden al darin, daß fie fid) beim Cultus ber alt 
flamonifden Gprade bediente. Uebrigenó war bei 
ben Ruffen ihre Scheidung von Rom im Anfange weit 
weniger ſcharf und bitter, als bei ben Griechen, und fo 
lam es, daß noch bié heute bie ruffifhen Ritualbücher 
eine Reihe von Stellen enthalten, in melden Roms unb 
feines Primats in hoͤchſt naiver Weife erwähnt it). Nur 


1) Auf den Gedachtnißtag des 5. Papftes Gilvefler z. B., der zur 
Bit der erften Nicaͤner Synode lebte, hat das ruffifche Ritual folgendes 
&bet: „Du bif das Haupt der geheiligten Berfamme 
lung; bu verherrligteft ben Thron bee Apoftelfür 
Ren; göttlihes Oberhaupt ber heiligen Bifchöfe“ Und 
auf den Papft Leo J. heißt e$: „w elchen Namen [011 [ὦ heute 
Dir geben? Goll id Did nennen den wunderbaren 
Herold unb die fefe Stüge der Wahrheit, bat eu 
würdige Haupt bee oberfien Gonciliume, ben Rad» 
folger auf bem bàdfien Throne bes BL. Petrus, ben 
Erben des unbefiegbaren Belfen und benWtadfolger 
in feinem Reiche.“ Den Papft Martin aus bem 7ten Jahrhundert 
preist bie ruſſiſche Kirche mit ben Worten: „Du zierte den 
göttlihen Thron des Petrus, und indem Du die 
Kirche auf diefem unerfhätterlichen Belfen auf 
seht erhielten, vexberelidteft Du Deinen Namen, 


362 Die ruſſiſche Rice. 


von außen, durch ihre hierarchiſche Verbindung mit Eons 
ftantinopel in bie Trennung von Rom hineingezogen, fühlten 
die Ruffen nod) nicht jenen eigenthümlichen fhismatifchen 
Haß, ber alle Spuren früherer Freundſchaft ángflid) zu 
tilgen bemüht ift; und als biefer nad einiger Zeit audj 
bei ihnen zu feimen begann, hatte fi bie Form ber litur⸗ 
giſchen Bücher für bie ſchismatiſch⸗rufſiſche Kirche bereits 
burd) Verjährung befeftigt. Die angebeutete Veränderung 
aber begann in ber erften. Hälfte des zwölften Jahrhun⸗ 
bertó, und eó wat ber aus Eonftantinopel gefommene 
neue Metropolit Nicephorus von ftiem, ber bit 
Ruſſen mit Acht griechiſcher Feindſchaſt gegen bie Lateiner 
und Rom insbefondere zu inficiren und biefen gehäffigen 
Sinn aud) bem Großfürften Wladimir Monomachos 
(feit 1113) einzupflangen wußte. Diefer Fürft trat mm 
in nähere Verbindung mit Eonftantinopel und wurde auf 
Befehl des byzantinifhen Kaifers Alerius Comnenus von 
dem Erzbiſchofe Neophit von Ephefus i. S. 1116 zu Kiew 
gekrönt und mit dem Titel Czar (ſlavoniſch = Ὁ δεῖν 
tönig) beehrt, ohne daß jebod) aud) feine nächften Rad 


glorreigfter Meier aller rehtgläubigen Lehre, 
Wahrheit verfündender Mund ber HL. Gebote, um 
meiden baé gefammte Prieſterthum unb bie ge 
fammte 8edtgláubigteit fid) vereinigten, um bie 
Härefie qu verdammen.“ Bon Gregor II. im 8ten Jahrhundert 
heißt es: „Bott berief Did, daß Du der oberfie Bi[dof 
feiner Kirche fele und der Nachfolger Betri, des 
δάτῇεπ ber Spoftel;^ unb von Leo IIL (um's Sar 800): ,O 
Duſoberſter Hirte ber Kirche, vertritt Du die Stelle 
Sefu EHrifti.“ Noch viele andere Beifpiele diefer Art Bat ber felige 
5.08. Fried. Schloffer gefammelt in feiner oben erwähnten Schrift: 
mDie morgeulandiſche ortfobore Kirche Rußlands“ sc. xc. Bol. Tübinger 
icol. Ouartalfäft,, Jahrg. 1846, €. 104 ἢ. 


Die ruſſiſche Kirche. 363 


folger fid) alfo benannt hätten. Vielmehr wurde biefer 
Titel erſt feit der Mitte des 16ten Jahrhunderts der ge» 
wöhnliche. — Die eigenthümliche alte politifhe Einrichtung 
Rußlands, ber des deutfchen Reiches ähnlich, bie theilweife 
Unabhängigfeit ber Fürften vom Groffürften (u Kiew), 
und die gegenfeitigen Uneinigfeiten 1), wobei ber Metros 
polit häufig den Schiedsrichter machte, erhöhten das An- 
fehen des Erzbiſchofs von Kiew, beffem Stadt reih an 
Kirchen, bie gebilbetfte und damals aud) bie bürgerliche 
Hauptftabt von Rußland war. Den nádjften Rang ber 
fauptete Rowgorod, beffen Bifhof Elias i. S. 1166 
von bem Metropoliten zu Kiew ben Titel Erzbiſchof erhielt, 
tie denn in ber ruffifichen Kirche (ode Ehrenbenennungen 
nit felten und barum Erzbifhöfe und Metropolis 
ten wohl von einander zu unter(djeiben find. 

Auch nad) dem Tode des Metropoliten Nicephorus 
von Kiew (t 1121) wurde jener Stuhl nacheinander wies 
derholt mit Eonftantinopolitanern befeßt, welche die Sen» 
mung von Rom befefigten. Zugleich entftanben neue Did- 
sefen, 3. B. im 3. 1137 Smolenst, der griedifche 
Kirchengefang wurde in Rußland eingeführt und das erfte 
Interdikt in biefem Reiche von bem Metropoliten 9t i d) a e (II. 
über bie vebellifche Stadt Nowgorod ausgeſprochen i. 3. 
1135 9. Zehn Jahre fpäter entftanb unter bem ruſſiſchen 
Episcopat heftiger Streit, ob der nicht von Conftantinopel 
geſchickte und nicht bafelbft ordinirte, fondern auf des Groß⸗ 
fürften Befehl erhobene und mit bem votgebliden Kopfe bes 


1) Die Oberhertlichteit bes Großfürften ſchwand Immer mejr, vide 
Streitigfeiten um diefe Würde entflanben, und manche Tpeilfürften ufur- 
pirten ebenfalls den Titel Grogfürf. 

2) Bol. Strahl, Geſch. der cuff. Kirche, Bd. I. 130. ©. 140 f. 


364 Die ruſſiſche Kirche, 


f. Clemens Romanus zu Kiew eingeweihte neue Metro⸗ 
polit Kliment (= Elemens) rechtmaͤßig [εἰ ober nicht. 
Seine Gegner, namentlid) B. Niphon von 9tomgorob, ein 
Heiliger ber ruſſiſchen fire, flegten, unb Kiew erhielt 
wieber griechiſche Metropoliten. Unter ben folgenben Bürgers 
friegen litt aud) bie ruſſiſche Kiche manchen materiellen 
Verkuft, bod) erwachte zugleich unter allen Ständen großer 
Eifer für Kirchenbauten und Stiftungen, zahlreiche Klöfter 
Yourben gegründet, wovon bie berühmteften den alten Nas 
men Lawren (Lauren) führten, 3. B. das berühmte 
Höhlenflofter zu Kiew, unb Güter und leibeigene 
Bauern in großer Zahl wurden an biefe Klöfter vergeben !). 
Namentlich fliftete Fürft Andreas Bogolubsfi das 
berühmte f. 6. ephefinifhe Muttergottesbild, das 
von dem DI. Evangeliften Lufas gemalt fein follte, damals 
aus Griechenland gefommen war, und jebt noch im Dome 
au Mosfau gezeigt wird. Dagegen wurde bie rufflfche 
Kirche jept um. bie Mitte des zwölften Jahrhunderts durch 
einige heftige und lange Streitigfeiten, namentlich des 
Moͤnches Martin heimgefucht, unb zwar über einige 
feiten, 4. B. über bie Art unb Weife, das Kreuzzeichen zu 
machen. Ein ruffifhes Generalconeil mußte zufammens 
fommen i, 3. 1157, um barüber zu entfcheiden. Bald 
darauf treffen wir ben Metropoliten Johann IH. (feit 
1164) in Briefwechfel mit Papft Alerander II. — gegtetet 
wuͤnſchte eine firdjid)e Union, aber ber Metropolit von 
Kiew wies ihn an ben Patriarchen von Gonftantinopel, 
als an feinen Obern, und repetitte bie alten griechiſchen 
Anſchuldigungen gegen bie lateinifhe Kirche 9. Um dies 
1) € traf, a. a. Ὁ. €. 148. 
2) Strahl, a. a. D. €. 166. 


Die ruſſiſche Kirche. 365 


felbe Zeit verlor Kiew bie groffürflidge Würde an bie 
Stadt Wladimir, blieb aber bennod) der Metropolitans 
fuhl des Reichs. Für Schulen der Geiffifen forgten 
jet mehrere fromme Fürften, namentlih Roman Ros- 
tiélamit(d von Smolensf (t 1181) unb fein Zeit 
genofe Fuͤrft Jar o la w von Galisien ober alic. 
Ewas fpäter, gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts, 
ſchidte Papft Clemens IL aud; nad Rußland Gefanbte, 
um zum britten großen Kreuzzuge aufzurufen. Der Groß⸗ 
fürft und ber Metropolit hörten jebod) nicht auf feine 
Stimme, und blos einige nod) nicht orbinirte Moͤnche 
[bloßen fi dem Zuge an ἢ). 

Im Jahre 1204, gleid) nad) Errichtung des lateini 
ſchen Kaiſerthums zu Conflantinopel, und abermals im 
Jahre 1209 erfchienen Legaten des Bapftes Snnocen III. 
bei dem Groffürften Roman und der ruffifhen Geift- 
lichkeit, um fie für bie Union mit ber lateinifhen Kirche 
δι gewinnen. Aber umfonft. Die Einnahme Eonftantinopels 
burd) bie Lateiner hatte wie ben Haß der Griechen fo 
aud) ben der Ruſſen gegen jene erhöht, unb fle ſchloßen 
fib jegt nur nod) enger an ben nun in Nizäa refidirenden 
Patriarchen von Conftantinopel an. Nur das fühlihe 
ruſſiſche Fuͤrſtenthum Galizien (alic, welches bem ka⸗ 
tholiſchen ungariſchen Prinzen (δ ὁ [Ὁ man zugefallen war, 
wurde, wohl unter Beibehaltung des ſlavoniſchen Ritus 2), 
unter Papſt Honorius IH. mit Rom verbunden und ber 
ſchismatiſch⸗ruſſiſche Biſchof daraus vertrieben. In andern 
Theilen Rußlands, namentlich zu Kiew und 9tomgorob, 
erhielten um diefe Zeit die Sateiner, zumal bie lateis 


1) Theiner, a. a. Ὁ. ©. 34. 
2) Bel. Strahl, a. a. Ὁ. €. 209 f. 





366 Die sufflfche Kirche. 


nifhen Kaufleute, bie fij dort aufhielten, das Recht 
öffentliben Gottespienftes, wurden aber bod) nicht für 
wahre Ehriften erachtet und bei etwaigem llebertritte zur 
ruſſiſchen Kirche nod) einmal getauft. 

Gelegenheit zu neuen Unionsverfuchen boten bie Pſko— 
wer, ein an das Deutſchordens⸗Gebiet ftoßender Stamm 
der Ruffen, welche damals, in großer politifcher Noth, ihre 
Geneigtheit zur Einigung erflärten. Die Paͤpſte Hono— 
rius IM. und Gregor IX. beauftragten darum in ben 
Jahren 1227—1231 ihren Legaten am Hofe des Deutſch⸗ 
orbenó, für diefe Zwede zu wirken, und es ift nicht uns 
wahrſcheinlich, bod) nicht gang fiher, daß Bürft Jaros- 
law von Pifow (gleidj den andern ruſſiſchen Theilfürften 
unter bem Großfürften ftehend) damals katholiſch geworben 
fei !); auf jeden Fall aber hatte biefe Union bod) feinen 
Bortgang. Kirche und Staat von Rußland litten übrigens 
in biefer Zeit unendlich große Zerftörungen durch bie «tons 
golen, melde wiederholt ba und dort einbradjen, und 
Städte, Kirchen und Klöfter gerftörten und plünderten. 
Auch Kiew und das HöhlenFlofter wurden 1240 verwuͤſtet, 
viele Ruffen um des Glaubens willen getóbtet unb viele 
der alten ruſſiſchen Heiligthümer zerbrochen ober ver⸗ 
ſchleudert. Noch jet verehrt bie rufflfhe Kirche viele 
Heilige unb Martyrer aus diefer Periode, darunter aud 
ben hi. Mercurius, ber feinen eigenen abgeſchlagenen 
Kopf in der Hand tragenb, ein zweiter Dionyfius, aus 
ber Schlacht gegen bie Mongolen nod) Smolenst gurüd» 
gegangen fei ἢ. Mebrigens fiegten bie Mongolen unter 
Batu, dem (drediiden Großneffen Dſchingiskhans, und 


1) Theiner, a. a. D. ©. 36. mE a. α. Ὁ. €. 221. 
2) Strahl, a. a. Ὁ, δ. 238. 





Die ruſſſche Kirche. 367 


15.3. 1238—1240, wurden fie die Oberherrn von ganz 
Rußland mit einziger Ausnahme des Fürftenthums Now⸗ 
φτοῦ. Die ruffiihen Fuͤrſten und Großfürften mußten 
jegt ihre Herrfchaft von den Mongolen zu Lehen tragen, 
und zum Zeichen ihrer Unterwürfigfeit häufig brüdenbe 
Steuern entrichten. Im diefer Noth blidten fie wieder nad 
Rom, um burd) Hülfe des Abendlandes bie aftatifchen Qorben 
u befämpfen. Der kräftige Papſt Innocenz IV. fanbte 
darum hen berühmten Sranzisfaner Johann de Plano 
Carpino als feinen Legaten nad Rußland, um die Ruffen 
jur Union und die Mongolen zur Annahme des Chriſten⸗ 
thums zu beftimmen, i.3. 1244 1. Die erftere Aufgabe ver» 
folgte drei Jahre nachher aud) der Erzbifhof € d b ev t, früher 
Bisthumsverwefer zu Lübed, welchen Snnocen IV. zu feinem 
Legaten im Norden und zum Erzbifhof von Preußen, 
fiflanb und Efihland erhoben hatte 2. — In ber That 
trat auch ber ruſſiſche Fürft Daniel von Kiew und 
Halicz (das die Ungarn unterbeffen wieder verloren hatten) 
in die katholiſche Kirche ein; weil aber bie erfehnte mili 
taͤriſche Hülfe ber unter fid felbft uneinigen Lateiner aus⸗ 
blieb, fiel er nachmals von der Union wieder ab, und aud) 
der Verſuch defielben Papftes, den berühmten Groffürften 
unb ruſſiſchen Heiligen Alexander Newski zu gewin« 
nen, ſchlug gänzlich fehl i. 3. 1250. 

Ein wichtiges und folgenreihes Ereigniß war bie 
Verlegung des Metropolitanftuhls. Die Mon- 
golen hatten im Jahre 1240 bie Metropole Kiew fammt 

1) Strahl, a. a. D. ©. 241. 

2) Näheres über ihn unb feine Stellung findet fi) im Freibunr⸗ 
ger firdenlerifon, 5. VIIL u. b. 9. Preußen, Einführung des 
Shrifentfums ©. 674 f. 

Neel. Ouartalſqhrift. 1859. II. eft. 25 


368 Die ruffiſche δικά. 


bet Kathedrale und ben Heiligthümern zerftört ἢ, Dieß 
beftimmte den Metropoliten Cyrill IL, feinen Wohnſitz 
fortan im nórblidjen Rußland zu nehmen, ohne jebod) ben 
Stuhl förmli zu verlegen. Letzteres geſchah erft i. 3. 
1299, wo die Stadt Wladimir, und i. 3. 1328, wo 
9Rosfau, jebt aud) bürgerlihe Hauptftadt, unter dem 
Metropoliten Theognoft zum bleibenden Sig ermábit, 
aber ber alte Titel: „Metropolit von Kiew und ganz Ruß⸗ 
lanb nod) immer beibehalten wurde. Für Kiew felbft 
und das fünmweftlihe Rußland beftellten bie Metropoliten 
fortan nur befonbere Vifare, und gerade das geringere 
Anfehen diefer, und bie Abweſenheit des allgemeinen Obers 
hauptes ber ruſſiſchen Kirche erleichterte bie Union der 
fühweftlihen Provinzen mit der lateinifhen Kirche. Um 
biefe Union, ja fogar vieljad) einen völligen Webertritt 
in bie lateiniſche Kirche herbeizuführen, waren bie politis 
ſchen Begebnifle des 14ten Jahrhunderts befonders ges 
eignet. Durch den Drud der Mongolen, welche über 
zweihundert Jahre lang (1238—1462) die Oberherrlichkeit 
über Rußland übten, geſchwaͤcht, konnten bie Ruffen ihren 
weftlihen Nachbarn, ben Lithauern und Polen fo wenig 
widerſtehen, daß diefe im 14ten Jahrhunderte die ſuͤdweſt⸗ 
lichen ruſſiſchen Provinzen, darunter Kiew, eroberten. Schon 
im 3. 1319 τίβ der Fühne Herzog Gedimin von Lithauen 
ijeilé burd Waffengewalt, tfeiló durch Heirath feiner 
Söhne mit ruffifjen Pringeffinnen, Witebst, Weiße 
rußland unb Kiew nebft Tſchnernigow an fij. 
Selbſt nod) ein Heide zeigte er gegen alle chriſtlichen Culte 
billige Dufdung; aber bie Ruffen verfäumten lethargiſch 
burd) Mifftonen unter ben heidniſchen Lithauern zu wirken, 


1) Strahl, a. a. Ὁ. €. 236 f. 


Die ruſſiſche Kirche. 360 


während aus bem Abendlande Dominikaner und Franzis⸗ 
Taner zahlreich herbeifamen, Lithauen in allen Richtungen 
durchzogen unb mit großem Erfolge bafefbft wirkten. Diefe 
Mifftonen ber Lateiner wie bie Kriege ber Lithauer gegen 
Rußland dauerten unter Gedimin’s Söhnen unb 9tad^ 
folgern (von denen die Einen dyiftfid) , die Andern heids 
niſch waren), nod) fort, fo daß in Lithauen bie katholiſche 
Kirche immer mehr Boden gewann. Sm ben unterworfenen 
ruſſiſchen Provinzen verblieb amar bie ruffiffje Religion, 
aber fie hatte jegt eine uͤbermaͤchtige 9tadjbarin in ber Far 
tholifchen Kirche Lithauens erhalten. Während beffen er- 
9berte ber polnifhe König Gafimir b. Gr. Rothrußland 
9ber Galizien um'é Jahr 1340, überließ aber einen Theil 
davon, námlid) Volhynien, wieder an Lithauen. Etwas 
mehr als ein Menfchenalter fpäter vermählte fid) bie Erbin 
von Polen, Hedwig, mit bem Herzog Jagello von 
fitjauen i. S. 1386. Er trat vom Heidenthum in bie 
kathol iſche Kirche über unter dem Namen Wladis laus, 
und Lithauen wurde nun in Abhängigfeit von bem ftónigreide 
Polen und als Theil beffelben, von befonderen Herzogen 
aus dem Haufe Jagello's verwaltet. Die nádffte Bolge 
hievon war bie völlige Chriftianifirung bed Landes. Auf 
bem Reichstage zu Wilna, der litjauifden Hauptftadt, 
im S. 1387 erhob Jagello bie roͤmiſche Religion zur Staats⸗ 
teligion unb ganz Lithauen mit Ausnahme ber urfprüng« 
Tid vuffiffen (rutheniſchen) Provinzen befannte fi zur 
Tateini(den Kirche. In Jagello's Namen und Auftrag 
herrſchte fofort fein Vetter Witold (ober Witomt) über 
Lithauen, ein Fräftiger nnd friegeriffjer, aber aud) grau⸗ 
famer unb unreblidjer Fürft, der fateinifdjen Kirche ange 
hoͤrig, ber das litfauifde Reich erweiterte, bie Abhaͤngig⸗ 
25" 


370 Die ruſſtſche Kirche. 


keit von Polen beſchraͤnkte, neue Stüde von Rußland abriß 
und bie Verbindung feiner Ruthener mit dem ausländis 
ſchen Metropoliten von Moskau febr ungerne faf. Schon 
im Sabre 1350 hatte der Patriarch von Eonftantinopel 
aus $abfudt zwei Metropoliten für Rußland geweiht, 
von denen der Eine, Aleris, zu Moskau, der Andere, 
Roman, zu Kiew refivirte. Nachmals waren zwar bie 
Metropolen wieder vereinigt worden; doch gab jene Tren- 
nung einen Vorgang für bie meue, melde Witold beab- 
fichtigte. Nach feinem Willen verfammelten fid) im Jahre 
1414 die fübruffifden Bifhöfe von Tſchernigow, Spolotef, 
fuif, Wladimir, Smolensk, Gfelm unb Turow, fagten fid 
von der Metropole Moskau 106, unb wählten einen eigenen 
Metropoliten von Kiew, Gregor Zamblak . Diefer 
bemühte fid) vergebens, ben Fatholifchen Herzog zum Meber- 
tritte in die griechiſch⸗ruſſiſche Kirche zu bewegen, unb ber 
gab fij aud auf das große Goncilium zu Conſtanz, 
wahrſcheinlich um aud) hier die ſchismatiſchen Interefien 
zu vertreten. Strahl meint (a. a. D. ©. 438), er habe 
gar ben Papft befehren zu Fönnen geglaubt. Sein Nach⸗ 
folger Geraffim ftarb i. 3. 1435 ale Hochverräther, 
und die Kiew’fhe Metropole blieb mehrere Jahre lang 
erledigt. Da ward in Mosfau ein gewiffer Ifidor auf 
den Metropolitanftuhl erhoben 9, vom conftantinopolitanis 
ſchen Patriarchen gefandt und geweiht, ein gelehrter Grieche 
aus Theſſalonich, geſchmeidig, ſchlau und berebt, jugleid) 
ein Freund Roms, welcher einfah, daß nur in bem Ans 
ſchluß an diefes bie griechiſche Kirche wieder Leben, baó 

1) Strahl, a.a. Ὁ. €. 434 f. Karamfin, Thl. V. Θ. 185. 


Theiner, ©. 44. 
2) Raramfin, 29. V. €. 224 ἢ. 


Die ruſſiſche Kirche. 3n 


griechiſche Reich wieder eine Garantie ber Fortdauer ge» 
winnen fónne. Als nun ber griehifhe Kaifer Johann 
Paläologus IL eine Union mit Rom wünfhte, um 
durch abenbländifche Hülfe fid ber Türken zu erwehren, 
und mit dem Patriarchen Joaſaph von Gonftantinopel, 
und vielen Bifhöfen und Großen nad Italien auf die 
Unionsfynode zu Ferrara⸗Florenz gereist war, ba 
erklärte der Metropolit Ifidor von Rußland, ber [don 
früher einmal zu Rom gewefen, es für feine Pflicht, an 
diefer Synode ebenfalls Theil zu nehmen, unb. führte bief 
aud aus (1438), obgleich ber ruffifche Groffürft dagegen, 
und einer Union nicht geneigt war ). Iſidor fam mit 
dem Biſchofe von Susbal (bei Wladimir in 9tuflanb, im 
i3ten Jahrhundert errichtet) und anderem großen Gefolge 
qu Ferrara an, begleitete dann die Synode nad) Florenz, 
mar einer ber Hauptrebner der Griechen, zugleih Stell- 
vertreter des Patriarchen von Antiochien, und neben Erz⸗ 
bifjof Beffarion von Nicka am meiften für die Union 
thätig, weßhalb ihn Eugen IV. nachmals zum Carbinal 
der roͤmiſchen Kirche und zum apoftolifden Regaten für 
den Norden ernannte). Nachdem die Union im Jahre 
1439 glüdlid) zu Stande gefommen und Iſidor bie Urfunde 
unterzeichnet hatte, begab er fid zuerſt mad) Kiew und 
wurde hier auf den, wie wir fehen, feit einigen Jahren 
erledigten Metropolitanftuhl ber zu Lithauen und Polen 
gehörigen rutheniſchen Provinzen gefet, welde nun in 
die Union eintraten. Sofort Fehrte er nad) Moskau zus 
τὰ, publieitte aud) hier die Union, wurde aber von dem 
1) Raramfin, TH. V. ©. 225. 227 f. 


2) Bol. meine Abhandlung über die Union der griechifchen Kirche 
in ber Quartalſchr. 1847. S. 195. 205. 236 ἢ. u. 1848. ©. 183. 


372 “Die uffifge Kirche. 

Groffürften Waſſili IL, ber fammt bem ruſſiſchen Epis⸗ 
copate bie Union nicht anerfannte, in ein Kloſter gefpertt 
(1441); entfam nad) 2 Jahren wieder durch Flucht, begab 
fib nad Rom, erhielt Hier hohe Würden, wurde zulept 
Garbinalbefan und Iateinifcher Patriarch für Gonftantinopel 
und ftarb i. 3. 1463. . 

So war nun bie Mosfauer oder nördliche Metro⸗ 
pole griechiſch⸗ſchismatiſch, bie füblide oder Kiewer das 
gegen unirt, unb mit ihr bie Cuffraganbiétbümer Brjansf, 
Smolensf, Peremyſchl, Surom, Luzf, Wladis 
mir, Polotsk, Chelm und £alica ἢ. Weil aber 
aud ber Patriarch von Gonftantinopel bie Union anges 
nommen hatte, beffjalb trennte fid) jet bie ruſſiſche Mer 
tropole Mosfau temporär von ihm [o8, und εὖ war jene 
Union Eonfantinopeld mit Rom bem Groffürften Waf- 
fili eine erwünfchte Gelegenheit, die ruſſiſche Kirche von 
Eonftantinopel unabhängiger zu maden, was [don viele 
feiner Vorgänger gewünfcht, aber herbeizuführen nicht ges 
wagt hatten. Und wenn aud nad bem Falle von Gon» 
fantinopel i. 3. 1453 unb der SBieberauflófung ber Flo⸗ 
rentiner Union die Verbindung Mosfau’8 mit bem 
Patriarchate Eonftantinopel einigermaßen wiederhergeßellt 
wurde, fo war bod) unterbeffen der Einfluß des Gjaren 
auf bie ruſſiſche Kirche beträchtlich gewachfen und er fing 
bereits an, fid) al& beren Oberhaupt zu betrachten und zu 
benehmen 2). Dabei ermangelte Rußland Flugerweile 
nie, bie unter türfifher Herrſchaft verarmten Griechen 
reichlich zu unterftügen und viele der Flüchtlinge freundlich 
aufzunehmen. Es gewann dadurch bie Sympathie ber 


1) Raramfin, Thl. V. €. 241. 
2) Strahl, a. a. Ὁ. ©, 477. 909. 554. 559. 861. 599. 


Die ruſſiſche Kirche, 373 


eigentlichen Griechen, lief fie fo die Emancipationsgelüfte 
der ſtolz gewordenen Tochter vergeffen, und beteidjerte zus 
gleich das eigene Reich burd) eine gute Anzahl wiſſen⸗ 
ſchaftlich gebilbeter Männer. 

Mehrere SBerfude, aud) das eigentliche Rußland für 
die Union zu gewinnen, blieben erfolglos, namentlich jene, 
die unter Papft Sirtus IV. im 3. 1472, unter Leo X. im 
3. 1513 und unter Clemens VI. im 3. 1525. unternoms 
men worden find ἢ. Volk, Geiftlichfeit und Regierung 
waren Dagegen, umb ein ftarfer Haß gegen bie Iateinifche 
und die unirte griechifche Kirche trat ganz unverfchleiert 
m Tage. Auch gewann die ſchismatiſch- ruſſiſche Kirche 
vielfachen Zuwachs. Von dem Mongolenjoche befreit 
(eit 1462) eroberten die Ruſſen im Norden und Oſten 
eine Reihe großer Provinzen, Perm, Kaſan, Aſtrachan, 
Georgien, Lappland, Sibirien unb bergL, fanbten überall 
Niffionäre bin, und gewannen alle biefe Länder für die 
ruſſiſche Kirche. Nahezu ganz unabhängig von bem Pa- 
triarchen zu Conftantinopel leitete biefe der Metropolit. 
Seine Weihe in Eonftantinopel war faft das einzige Band, 
das ihn nod) an ben alten Patriarchenſtuhl Enüpfte. Seine 
Wahl geſchah auf ben Vorſchlag des Großfürften, im 
Uebrigen war er jebod) von biefem ganz unabhängig und 
frei in feiner Amtsführung; ja bis ins 15. Jahrhundert 
hinein wagte felten ein Großfürft, dem Metropoliten zu 
twiberftehen, und das Anfehen bes gegterem war aud) in 
den weltlichen Dingen des Staates von fer hohem Ges 
wichte. Unter ihm fanden in fehr tiefer Gubjeftion bie 
ÜBorftefer der einzelnen Diöcefen oder Epardien, bie 
gewöhnlichen Biſchoͤfe und Titularerzbifchöfe. Bei ihrer 


1) Strahl, a. a. Ὁ. ©. 483 fj. 548 ff. u. 556. 


374 Die ruſſiſche irche. 


Wahl hatten Fürſt und Bolt, Metropolit und Clerus 
Antheil 1), und bei der Eitelleit und Rangfucht der ruſſi⸗ 
ſchen Geiſftlichen gab εὖ nicht felten zwielpältige Wahlen, 
bie bann gewöhnlich burd) das oos ent(djieben zu werden 
pflegen. Zum Unterhalt des Clerus diente der Zehnten, 
den fhon Wladimir anwies. Im ihren Ländereien hatten 
bie Bifhöfe aud) bie bürgerliche Gerichtsbarkeit, und ihre 
geiſtliche Surióbiftion dehnte fij über Bieles aus, in 
ähnlicher Weile wie bei der der fateini[den Bifchöfe 
des Mittelalters *). Der ruffiihe Episcopat, aud ben 
Klöftern, nicht aus der Weltgeiftlichfeit genommen, zeich⸗ 
mete fid) in der Regel vor diefer burd) Wiſſenſchaftlichkeit 
und firengere Ascefe aus unb genof zugleich zweier ſchoͤ⸗ 
nen Vorrechte im bürgerlichen Leben. Gleich ben alten 
Bifhöfen feit Gonftantin dem Gr. ftanb aud) ben τιν 
[fen das Recht zu, für SBerurtbeifte bei ben Fürften zu 
intercebiren, unb es war bie um fo wohlthätiger, je un 
gerechter einerjeit die rohen Fürften öfters beftraften, 
und je weniger fie andererfeits bei dem hohen Anfehen 
des Episcopats folie Interceffionen gering achten durf⸗ 
ten. Auch unter ber mongolifhen Oberherrſchaft haben 
die ruffiihen Bifhöfe dieſes Recht fegenóreid) geübt, ben 
Zorn ber Khane befänftigt und find vielfach bie wahren 
Retter ihrer Diöcefen geworben 3). Grft im 16. Jahrhun⸗ 
dert zwang Car Iwan IV. ben Elerus, auf dieſes 
ſchoͤne Vorrecht gu verzichten *). 


1) Schmitt, kritiſche Geſch. der neugtiech. u. rufffgen rdv, 
©. 152. 

2) Sämitt, a. à. Ὁ. €. 152. 153. 

3) Karamfin, a. a. D. Thl V. 6. 305. 

4) tra, o. o. D. €. 597. 


Die ruſſiſche Kirche, 375 


Durch ein anderes Recht haben bie zuffifhen Biſchöfe 
manden blutigen und ungercdjten Krieg verhindert. Kein 
tuſſiſcher Sürft konnte nämlich in den Krieg ziehen, ohne 
daß ihn zuvor ein Biſchof dazu eingefegnet hätte. Ein 
ungefegneter Feldhert hätte Feine Soldaten gefunden, und 
in der That ſcheiterte mancher Kriegsplan an ber beharrs 
lien Segensverweigerung fämmtlicher ruſſiſchen Bifchöfe 1). 
Lehtere fprachen überbieß aud) Interdifte über rebellis 
fhe Städte, um fle fo zum Frieden unb zur Unterwerfung 
ju nöthigen; aber nicht immer wurbe biefe Waffe in 
wuͤrdiger, mitunter fogar in ſichtlich ſerviler Weife ge» 
braucht 9. — Manchmal, bod) felten, "trat ber ruſſiſche 
Episcopat zu Synoden zufammen, um ben Suftanb ber 
Kiche zu verbeffern; aber oͤfters waren εὖ bie Heinften 
Aeußerlihfeiten, welche biefe Synoden befchäftigten und 
die Gemütfer auf eine faft unbegreiflie Weife erhigten. 
Wie à. B. das Kreuzeszeichen zu machen fei, ob bie Pros 
aefftonen von SBefen nad Dften ober umgefehrt gehen 
müßten 3), — über ſolche Dinge ftritten fij) die Väter 
ber ruffifchen Kirche oft Jahre [ang mit ber bitterften 
Heftigfeit. Eine Sache ber Bódften Importanz (dien es 
aud), ob bie Bifchofsmüge weiß ober ſchwarz fein müffe, 
unb wem bas Ehrenrecht zuftche, eine weiße Müge mit 
Cngelébilbern zu tragen. Aehnliche Streitigkeiten über 
Kleider herrſchten auch unter bem Elerus zweiten Ranges. 

Nicht minder fleinfid find bie meiften Borwürfe, 
welche bie ruffifchen Biſchoͤfe theils einzeln theils in Sys 
noden verfammelt, der Iateinifhen Kirche machten. Daß 

1) Strahl, a. a. Ὁ. ©. 290. 

2) Schmitt, a. a. D. ©. 154. 

3) Strahl, a. a. Ὁ. €. 490. 578, 


376 Die ruſſiſche Rice, 


die Lateiner durch Begießung mit Wafler, nicht durch 
Untertaudung tauften, (dien ben Ruſſen ein gräus 
lider Abfall vom Chriſtenthum. Die allerfchredlichfte 
Keperei aber fand die Synode von Moskau im 3. 1551 
darin, daß die lateinifdjen Priefter ben Bart (deren laſſen, 
fo fhrediih, baf dieß Vergehen nicht einmal durch das 
Martyrium gefühnt werben fónne ). Das Allerbefte 
jedoh enthält die Kormezaia Kniga, b. b. „das 
gottgehauchte Steuerbuch.“ Es foll dies, proſaiſcher aud» 
gebrüdt, eine Anleitung fein, das Schiff der Kirche zu 
regieten, und fann gewiſſermaßen das ruffiffe corpus 
juris canonici genannt werben. Darin ift nun in lon- 
gum et latum ausgeführt, ber Bifchof von Rom {εἰ von 
Anfang an ber Primas in ber Kirche gemefen, aber burd) 
ben Frjagifhen Riga Karul (b. h. ben Frankenkoͤnig Earl 
ben Gr.) fei das Abendland und damit der roͤmiſche Stuhl 
häretifch geworben, und einer der Päpfte Petrus gombarbu& 
(Befanntlid) nicht Papft, fondern Biſchof von Paris) habe 
den lateiniſchen Geiftlihen befohlen, fieben Frauen zu 
nehmen! Vielleicht hörte der Ruſſe davon, daß Petrus 
Sombatbué bie fieben Sakramente zuerft vollftánbig aufe 
zählte, und bie Ehe septimo loco fete. — Einen Aus- 
jug aus biefem „gottgehauchten Gieuerbudje" gab uns 
der gelehrte Wiener Bibliothefar Kopitar (Wiener 
Jahrbücher in ben 3. 1823—26) unb παῷ ihm Schlofs 
fer in feiner oben eitirten Schrift über bie ruffifche 
Kirche. 

Neben ben Biſchoͤfen nahmen und nehmen bie Ar» 
dimanbriten (Aebte) unb Sgumenen (Prioren) ber 


1) Strahl, a. a. ©. S. 579. 


Die ruſſiſche Kicche, 377 


Klöfter den hoͤchſten Rang in ber ruſſiſchen Kirche ein, 
duch Stellung und Bildung. Die Klöfter felbft, nad 
der Regel des hi. Baftlius b. Gr., mehrten fij) ins Uns 
geheure an Zahl, Reichthum und Anfehen. Einzelne, wie 
bie von bem berühmten Mönche St. Sergius um bie 
Mitte des 14. Jahrhunderts geftiftete Troitza Lawra, zeichnes 
ten fid) burd) Prachtbauten, vergoldete Kuppeln, Gemälde, 
viele und ungemein große Gloden, die ber Ruffe insbes 
fonbere liebt, fowie burd) hohe Zahl Teibeigener Bauern 
aus, deren bie Troiger Lawra über hunderttaufend befaß D). _ 
Manche traten fon in jungen Jahren, andere erft fpäter 
in bie Klöfter, um bie Sünden ihres Lebens zu büßen, 
monde wurden aber auch, felbft Bifhöfe und Fürften, zur 
Strafe ald Moͤnche gefhoren und in Klöfter gefperrt. 
Aehnliches fand aud) bei Frauen aus ben höchſten Staͤn⸗ 
den ftatt; ganz allgemein aber legte man einen hohen 
Werth darauf, wenigftens im Kloftergewande zu flerben, 
und nicht blos hohe Geiftliche, aud) Fürften und Fuͤrſtin—⸗ 
nen unb andere weltlihe Große liefen fid) beffalb am 
Ende ihres Lebens das fogenannte große Engelskleid 
anziehen 9. — Außer den eigentlihen Moͤnchen treffen 
wir in Rußland mod) tief im Mittelalter fogenannte 
Styliten, wie 3. B. der flavonifche Chryſoſtomus, Bir 
hof Eyril IL von Turow im zwölften Jahrhundert, vor 
feiner Erhebung auf ben bifhöflihen Stuhl Tängere Zeit 
in eine Säule unter Faſten und Beten eingefhloffen, 


1) Eine feft ſchoͤne und ausführliche Beſchrelbung ber Troitza 
Laura gibt Qr. v. Harthaufen in feinem trefflichen Werke: „Stubieu 
über die innern Zuftände Rußlande. Qannov. 1847. Thl. J. S. 80—91, 

2) Raramfin, 80. V. €. 305. 


378 Die ruſſiſche ird. 


hohen Ruhm erfangt hattet). Im Ganzen fand ber 
zuffifhe Weltelerus, Protopopen, Popen und Diafonen, 
an Sitten und Kenntniffen tief unter der Kloſtergeiſtlich⸗ 
feit. Biele waren unmiffenb bis zum Nichtlefenkönnen, 
unftttlich nad) verfchiedenen Seiten, bem Sxunfe ergeben 
und fo träge, daß fie oft, namentlich zwiſchen Oftern und 
Allerheiligen, fehr felten Gotteóbienft hielten. Selbft abers 
glaͤubiſch nährten fie den Aberglauben unter dem Volke, 
und dieſer war überhaupt in Rußland fo heimiſch, daß nicht 
blos allerlei fehr unverbürgte Mirafel geglaubt wurden, daß 
vielmehr fogar hohe Prälaten, die als Lichter galten, wie 
der Metropolit Mafar im 16. Jahrhundert, ben Ster- 
benben hohen Ranges, gegen gutes Geld, Schreiben an 
den heiligen Petrus mitgaben, damit diefer bem gnábigen 
Herrn alébalb bie Himmelsthüre öffne ?). 

Gegen Ende des Mittelalters nahm bie Achtung ber 
Weltleute namentlih der Würften vor der Geiſtlichkeit 
merklich ‘ab. Die Czaren betrachteten fij) immer mehr 
aud als das firdjlide Oberhaupt des Reihe, erhoben 

„Ihre Greaturen auf bie bifhöflihen Stühle, ftießen fi 
eben fo eigenmächtig wieder von benfelben herab, erlaubten 
fid oft die vohefte Behandlung und graufamfte Mißr 
handlung ber immer mehr gefnechteten Prälaten, und je 
mehr ber τι πε Cäfareopapismus fid) entwidelte, befto 
häufiger fonnte die ſchmaͤhliche Sitte ftattfinden, aud 
Geiftlihe im Angefichte ihrer Gemeinde mit der Knute zu 
peitſchen. 

Fuͤr Cultivirung und beſſeren Unterricht des 
Elerus ſorgten nur wenige Fuͤrſten; das Meiſte thaten 


1) Strahl, a. a. O. S. 188. 
2) Strahl, a. a. D. ©. 587. 


Die zuffifche Kirche. 379 


Biefür bie Klöfter, unb wenn aud) bie τε Kirche 
des Mittelalters einige in ihr hochberühmte Schriftfteller 
zählte, fo find bod) ihre Werfe und ihre Weisheit meiftens 
von wenig Belang. Griehifhe Einwanderer brachten 
einiges Licht; aber wenn fte, wie im Anfange des 16. Jahr⸗ 
bundert6 der 9Rónd) Marimin auf Fehler in ber flas 
vonifhen SBibelüberfegung und in ben Kirchenbuͤchern 
aufmerffam machten, wurden fie mit Gefángnif belohnt !). 
Die S8udbruderfunft fand bamaló nod gar feinen 
Eingang in Rußland, unb als hundert Jahre nad) ihrer Gr» 
findung Gjar Iwan IV. auf den Wunſch des Metror 
politen Mafar im 3. 1553 fie wirklich einfüfrte, wurde 
fie für Zauberei erklärt und fonnte lange feinen rechten 
Fortfchritt gewinnen 9. Um bie Orthoborie zu überwachen, 
wurde im Anfange des 16. Jahrhunderts bie Predigt 
cenfur eingeführt, unb nur zuvor revidirte Ausarbeitungen 
zum Bortrage zugelaffen 5). Doc konnie felbft biefe 
hoͤchſte Aengftlichfeit für Orthodoxie bie Entftehung 
von Härefien nidt hindern. Namentlih waren εὖ 
wei zahlreiche und gefährliche Sekten, woelde feit bem 
14. und 15. Jahrhundert die ruffifche Kirche zu beläftigen 
begannen, bie Strigohniks's und bie Judenfecte 
Erſtere erhielt ihren Namen nad) einem gewifen Karp 
Strigolnif, der im 3. 1375 zu Groß⸗Nowgorod mit 
der Behauptung auftrat, bie Sitte ber ruſſiſchen Biſchoͤfe, 
von ben zu Drbinirenden eine Tare einzuziehen, fei Gi» 
monie, unb εὖ müffe fid) Jedermann von Prieftern fern 
halten, welde ihre Weihen um Geld erhalten hätten. 
1) Strahl, a. a. D. ©. 545. 


2) Strahl, a. a. Ὁ. ©. 587. 
8) Strahl, a. a. D. ©. 561. . 


$80 — . Die ruffiſche Kirche 


Zugleich erflärte er bie Beicht für überflüffig, denn ber 
Menſch werde aud) ohne fie der göttlihen Verzeihung 
theilhaftig. 

So unrecht er aud) in bem einen wie in bem ande 
ten Punfte hatte, fo zündeten bod) feine Worte in vielen 
Gemüthern, mande Kirhen der Popen blieben jet Teer 
und der Streit erhißte fid) in bem Grade, daß Gitrigolnif, 
fein Diafon Nifita und einige andere Häupter der Gefte 
in den Wolchowſtrom geftürzt wurben im S. 1375. Sie 
galten jet als Martyrer und die Gefte breitete fid) nur 
um fo mehr aus. Sofort beauftragte ber Patriarch von 
Eonftantinopel im S. 1382 ten Biſchof Dionys von 
Susdal mit SBeferung ber Irrenden, und wenn biefer 
wirklich kluge Biſchof in ber That auch Viele zurüdführte, 
fo hörte die Gefte bod) nod nicht auf unb verzieigte 
fib Hundert Jahre nad) ihrer Cntftebung, am Ende des 
15. Jahrhunderts, durch Auswanderung aud) nad) Polen, 
Kurland und Ingermanland, wo ihre 9tadjfommen nod) 
bis heute unter dem Namen Raskolnif’s leben, wie 
auch im eigentlichen Rußland nod) jet die Eeften ber 
Bespopowtschschina unb Njetowschtschina ihre Ueberbleibs 
fef. find 9. 

Noch weit wichtiger war bie Subenfefte, Schi- 
dowskaja-eress, aud in S9owgorob gegen Ende bes 
15. Jahrhunderts entfanben. Der Sube Zacharias in 
Nowgorod gewann wahrſcheinlich durch die geheimnißvolle 
Tiefe ber Kabbala die Popen Dionys unb Aleris 
für feine aͤchtjüdiſche Meinung, das alte Geſetz [εἰ 
mod) in voller Kraft, denn ber Meffins [εἰ nod nicht 


1) Strahl, Beiträge qur ruſſiſchen Kirchengeſch. 1827. & 259 
bis 263, u. Brelburger Kirchenler. £8». IX. €. 186. 


Die ruſſiſche Kirche, 884 


erſchienen. Daraus leitete er zunächft das Verbot bet 
Bilderverehrung ab, und feine Anhänger follen fogar das 
Kreuzbild angefpieen haben und berg. Aeußerlich als 
Chriſten fid) gerirend wirkten nun bie genannten Popen 
insgeheim für das Judenthum, gewannen mande Andere, 
fogar den Protopopen Gabriel an der berühmten 
Sophienkiche zu Nowgorod, ben Arhimandriten Zofima 
und andere höhere Geiftlihe und Laien, und breiteten ihre 
Lehre aud) in Moskau aus. Durch erheuchelte afcetifhe 
Strenge dedten fie bie Härefte fo glüdlich, daß jener Pope 
Meris ein Liebling des Czaren Iwan IIL oder des 
Großen wurde und ihn beftimmte, ben Genoffen Zofima 
auf den Metropolitanftuhl zu erheben im S. 1490. Selbft 
die Sürfin Helena wurde für die Sekte gewonnen. Dies 
felde hatte βῷ bereits längere Zeit insgeheim verbreitet, 
da wurde fie im S. 1488 durch Erzbifhof Gennadius 
von Nomgorod theilweife entbedt und beim Großfürften 
Iwan IM. benuncitt, der num im 9. 1490 darüber ein 
Eoncil nad) Moskau berief. Es prüflbirte dabei der Mes 
tropolit Zofima, befien Antheil an der Keherei nodj 
verborgen war. Diefelbe wurde anathematifirt und bie 
Angeflagten eingeferfert, wobei εὖ Gennabius weder an 
Graufamfeit nod) an Spektakel fehlen ließ. Die Verur⸗ 
theilten wurden umgefehrt auf Pferde gefebt, die Kleider 
verkehrt angezogen, unb jedem eine fpipige Müte von 
Baumrinde mit Strohkraͤnzen aufgeftülpt, worauf mit 
großen Buchftaben fand: „Kriegsſchaar Satans." So 
mußten fie durd alle Straßen reiten, wurden vom Pöbel 
angefpieen, dann die Kappen auf ihren Köpfen verbrannt, 
unb fie fefbft eingeferfert. Aber die Sekte wucherte fort, 
und Sofima mißbrauchte beharrlich feine Stellung, um 


382 Die ruſſiſche Kirche. 


da und dort den Glauben an Chriſtus zu untergraben, 
und diejenigen Geiſtlichen, welche der Haͤreſie beſonders 
kraͤftig entgegentraten, von ihren Stellen zu entfernen. 
Nach einiger Zeit entbedte zwar unb benuncirte der Mönd) 
Joſeph, der uns aud) bie Geſchichte ber Sekte beichrieben, 
bie Irrlehre des Metropoliten; aber der Ezar war nidt 
geneigt, Strenge anzuwenden und großes Auffehen zu 
machen, Zofima wurde barum nicht eigentlich geftraft, fon» 
dern mußte b[o8 vefigniren und fid) in ein Klofter zurüds 
siehen, wo er unfdjáblid) war. Ob bie heutige Sefte ber 
Szelesnewschtschina in Polen, Rußland unb der Türkei 
eine Abart der alten Judenfelte fei, if ungemif aber 
nicht unwahrſcheinlich 1). 

Wie wir oben gefehen haben, war im 15. Jahrhuns 
bert bie Metropole Kiew und bie zu ihr gehörigen rufs 
fiffen Provinzen von Polen und Lithauen in Union mit 
Rom getreten, aber da biefe nur eigentlich vom Metropos 
liten ausgegangen war und nidjt im Volke unb Gleruó 
wurzelte, fo fonnte fie gegenüber ben Lockungen ber disunirten 
Nachbarn in der Moskauer Metropole unmöglih auf 
langen Beftand rechnen. Der Metropolit Joſe ph von 
Kiew, aus bem lithauifhen Haufe der Grafen von Sul 
tan obe Soltan, trat zwar am Ende bes 15. unb 
im Anfange des 16. Jahrhunderts als ihr energiſcher 
Vertheidiger auf; aber er mußte fe[bft (fon den Abfall 
von breien feiner untergebenen Biſchoͤfe erleben, unb kurze Zeit 
nad feinem Tode löste fid) bie Union vollends gänzlich) auf?). 





1) Strahl, Beiträge, L €. 263 f. 938 f. 
2) Strahl, Gel: der ruſſiſchen Kite, Bo. L €. 498. 508. 
Theiner, a. a. Ὁ. €. 64. . 


Die ruſſiſche Kirche, 383 


König Alexander I. von Polen (1492—1506) war 
mit der ruſſiſchen Prinzeſſin Helene vermählt, und dieſe 
glaubte in ber Vernichtung ber Union das politifche Mittel 
gefunden zu haben, um ben Einfluß ihres ruſſiſchen Bas 
terlandes auf Polen in hohem Grade zu vermehren. Es 
' gelang ifr, in bie hoͤchſten Staatsämter Polens Nicht⸗ 
unirte einzuſchieben, die Privilegien ber Mnirten zu zerftd« 
ten, ihre bifchöflihen Stühle mit Unionsfeinden zu befegen 
und die Unirten auf folde Weife ihrer Hirten zu beraus 
ben. Als der ſchwache polnifhe König fid) diefem Plane 
zu widerfegen wagte, rief fie den Vater gegen ben Θὲ 
mahl zu den Waffen, unb ein ruſſiſches Heer, welches 
Smolensf und andere Grenzfeftungen nahm, zwang ben 
König von Polen, die ,ortfobore Religion,” wie Rußland 
fi ausbrüdte, b. h. die ſchismatiſche Kirche, nicht mehr 
au beläftigen. So wurde burd) treulofe Politik der Koͤ⸗ 
nigin bie Union im Anfange des 16. Jahrhunderts [aft 
ganz zerftört, und viele Ruthener traten aus der griechiſch⸗ 
unirten förmlih jur Tateinifhen Kirche (im engern 
Sinn) über, um nidt bem Gdjióma wieder zugetrieben zu 
werben. Unter der ſchwachen Regierung ber zwei folgen- 
ben polnifhen Könige Sigismund 1. (1506 — 1548) 
und Sigismund Auguft I. (1548-1572) erftarfte 
das Schisma nod) mehr, dagegen vertraten König Stephan 
Bathori (1577—86) und fein Nachfolger Sigis- 
mund II. (1587—1632) wieder mit Grnft und Eifer bie 
fatholifhe Sache, Unionsfreunde famen wieder auf bie 
biſchoͤflichen Stühle, bie Sefuiten waren erfolgreich thätig 
und erzeugten durch ihre Schulen in ber ruthenifhen 
Jugend eine Fatholifhe Gefinnung. Im gleihen Sinn 
wirkten viele geiſtliche Bücher in flavonifher Sprache, 
Sol, Ouartalſqriſt. 4868. LI. Geft.. 26 


384 Die ruſſiſche Kirche. 


von ben damals pofniffen Städten Lemberg und Oſtrog 
ausgegangen, unb unter ben Ruthenern verbreitet 1). 
Während fidj fo bie Wieberherftellung ber Union in 
ben ruffifden Provinzen des pofnifchen Reiches vorbereis 
tete, hatten fij in Rußland fefbft febr wichtige kirch⸗ 
liche Ereigniffe zugetragen. Ich meine vor Allem bie 
Verbreitung des Chriſtenthums burd) bie 9tuffen 
nad €applanb, Kafan, Aſtrachan und Sibirien, fowie bie 
ffüiebererneuerung beffelben in Georgien und Sberien 2). 
Diefem glüdlihen Ereigniffe gegenüber aber wurde ber 
ruſſiſchen Kirche im 16. Jahrhundert burd) die Regierung 
des graufamen und fchredlihen Iwan IV. (1533—84) 
mande tiefe Wunde gefchlagen. Bei feiner Thronbefteis 
gung zwar hatte fid) die fehönfte Einigkeit der geiſtlichen 
und weltlihen Gewalt gezeigt, und erflere bei ber rà» 
nung des Czars durch ben Metropoliten im 3. 1547 eine 
bisher nie genoffene Ehre und Auszeichnung erlangt. 
Die Metropolitanwürbe war ber Czarenwuͤrde gleich ge» 
flellt, unb Metropolit und Czar nebeneinander auf -gleid) 
hohe herrliche Throne gefegt worden 3). Auch berief Iwan 
im 3. 1551 die Bifchöfe feines Reichs zu einem Eoncil nad 
Moskau wegen DVerbefferung ber ruffifhen Kirche und 
Ehriftianifirung der neueroberten Provinzen; und es hat 
aud) biefe Synode unter dem Namen Stoglawnik, b. b. 
das hundertfägige Goncil, einen bedeutenden Namen in 
der Geſchichte der ruſſiſchen Kirche fid erworben ^). Aber 
bald follte Ießtere aud) ben Drud des furchtbaren Herr⸗ 


1) Strahl, Geſch. b. ruf. 8. b. L ©. 609. 611. 
2) Strahl, a. a. D. €. 541. 557, 583 (f. 613. 617. 
3) Strahl, a. a. D. €. 572. 
4) Strahl, a. α. O. €. 576. 


Die rufſiſche Kirche. 385 


ſchers empfinden, ber fih, nachdem er münbig geworben, 
als abfolutes Oberhaupt ber Kirche gerirte, bie Biſchoͤfe 
und Metropoliten mit ber willführlihften Grauſamkeit 
behandelte, einfeßte, abfete unb fogar morbete, einen 
großen Theil des Kirchenguts einzog, im SBiberfprud) 
gegen das canoniſche Recht der griehifhen Kirche bie 
Brälaten zwang, feine vierte Verehelichung zu beftätigen, 
und feinen willführlihen Eheſcheidungen, ja Schließung 
einer fünften, festen und fiebenten Ehe ruhig zuzufehen, 
Obgleid) foldhes in bem Augen aller Grieden ein Gräuel 
war ἢ). Stebfibem begünftigte Iwan den in Rußland eindrin- 
genden Proteftantismus und Socinianismus, hatte einen fur 
therifchen Liefländer, Namens Elberfeld, zu feinem Günfts 
Ting, zeigte felbft Steigung bie Augsburgifche Eonfeffion anzu 
nehmen, und erlaubte in feiner eigenen Qauptftabt Mosfau den 
Bau einer proteftantifchen Kiched. Dagegen ließ er, ale 
tt bie Stadt Polotsk ben Polen abgenommen, alle fathos 
liſchen Kirchen derfelben von Grund aus zerflören, unb 
ſchlug eine milbere Richtung erft dann ein, als er von 
dem Helden Stephan Bathory in große Noth gebracht, 
Roms Vermittlung anfprehen mußte. Auf bem h. Stuhle 
fof eben Gregor XIIL, ber fon früher fein Auge auf 
Rußland gerichtet und wenigftens abnenb erfannt hatte, 
wie wichtig εἰπῇ für bie Univerfalität der Kirche bie Union 
des damals freilich mod) micht fo foloffalen ruſſiſchen 
Reiches fein müßte. Er fandte nun ben berühmten Sez 
fuiten Anton Poſſevin zur Verföhnung ber Streiten- 
ben an 8. Bathory von Polen unb an Iwan ben 





1) Raramfin, 2b. VIIL. ©. 157. 219. 220, 348. Strahl, 
a. a. Ὁ. 592. 599. 602 ff. 606 ff. 
2) Strahl, a. a. D. €. 580 f. 
26* 


: 386 Die ruſſiſche Kirche. 


Schrecklichen von Rußland im S. 1581 5. Der Car 
behandelte ihn mit fo hohen Ehren, wie nod) nie einen an» 
dern Gefanbten; bei Nennung des päpftlihen Namens 
erhob er fij fammt bem Czarewitſch, und empfing mit 
Achtung die päpftlihen Gefdjenfe und Schreiben, worin 
unter ber Bedingung Firchlicher Union bie Vermittlung zu 
einem günftigen Stieben mit Polen und fráftige Unter 
ftügung gegen bie Türken zugefihert wurde. Der Czar 
antwortete politiſch, geftattete aber [don bie erfle Bitte 
des Legaten nicht, nämlich bie Grfaubnif zum Bau einiger 
katholiſchen Kirchen für bie Fatholifhen Kaufleute un d 
Einwohner Rußlands. Auf feinen Wunfh begab fid) 
Poſſevin bald wieder in das Lager Bathorys, um biefen 
zum Frieden zu bewegen. Die Unterhandlungen begannen 
in einer Zeit, wo bie Belagerung von Pſtow ohne zu 
gelingen, bem polnifchen Helden viele Taufende raubte 
und fein Heer ihm entfremdete. Einigermaßen baburd) 
entmuthigt, gab Bathory bem Gzaren mande von bem 
- Eroberten gurüd, und Poſſevin vermittelte in ber That 
ben Frieden. Nachdem er dies vollbracht, begab er fid) 
im Sanuar 1582 wieder nah Moskau, um nun aud 
bie Union zu bewirken, und erbat fi zu diefem Zwecke 
eine befondere Unterrevung mit dem Gjaren. Sie wurde 
ifm am 21. Februar 1582 gewährt. Der Gjar. erklärte 
glei Anfangs entfhieden feine Ungeneigtheit zur Union, 
ließ fid aber doch in eine Art Disputation mit bem ge» 
gaten ein, bie nur zu heftigen Redensarten gegen bie 
lateiniſche Kirche führte. „Drei Tage fpäter hatte Poſſe⸗ 
vin abermals Audienz unb wuͤnſchte, daß ber Czar junge 


1) Karamfin, a. a. Ὁ. b. VIIL ©. 260 ff. 


Die ruſſiſche Kirche. 387 


unterrichtete Ruffen nah Rom ſchicken möge, damit fie 
fib dort mit ben Dogmen ber alten griehifhen Kirche 
und mit ber lateinijdjen Sprache befannt machen unb fo 
au fünftigen Vermittlern dienen fónnten. Nicht minder 
möge et „die giftigen Tutherifhen Magifter" aus bem ^ 
Lande treiben. Die zweite Bitte wurde abgefehlagen, zur 
Erfüllung ber erfleren [eere Hoffnung gemacht. Auch von 
einem Kriege gegen bie Türfen wollte der Gjar nichts 
mehr wiffen, fuchte dagegen den Poſſevin durch fft dahin 
ju bringen, daß er einem ſchismatiſchen Gottesbienfte bei 
wohne und bem ruffifhen Metropoliten die Hand Füffe. 
Der Legat klagte über Falſchheit, und obgleich mit äußern 
Ehren umringt, fonnte er bod) für eine Union nicht das 
Geringfte bezwecken, ja nicht einmal die Gr[aubni zum 
Bau einer Fatholifhen Kirche erlangen. Nur die Freige⸗ 
bung von 18 zu Sflaven gemachten Spaniern unb mil» 
dere Behandlung ber Friegsgefangenen Katholifen aus 
Deutfchland und Lithauen wurde ihm zugefihert ). Mit 
Geſchenken entlaffen reifte Poffevin im Mär; 1582 wieder 
ab, und fliftete auf bem Rüdwege nad) Rom ein Iefuiten- 
collegium zu Braunsberg und ein anderes zu Olmüg 
zur Erziehung ſchwediſcher Jünglinge im ber Fatholifchen 
Religion, denn aud) Schweden hatte er der Kirche wieder 
einzuverleiben geſucht und theilweife felbft den König 
Johann II. temporär dafür gewonnen ?). 

Nah Swan herrfähte über feinen ſchwachen Sohn 
und Nachfolger Feodor Iwanowitſch (1584-89) 
defien Günftling und Schwager, Fürft Boris G obunow, 

1) KRaramfim, a. a. Ὁ. 5. VIIL. ©. 288 ῇ. Theiner, 


a. a. D. ©. 67 f. 
2) Schroͤchh, Kirchengeſch. feit ber Reform. 80. IV. ©. 360. 


388 Die ruſſiſche iris. 


Staat und Kirche tyrannifirend. Ihm gelang εὖ, das 
zu erreichen, was bie vorausgegangenen Herrfcher ange⸗ 
firebt hatten, bie Lostrennung vom Patriarchen in Gon» 
fantinopel und die Gründung einer ruſſiſchen Nationals 
fite, bie bei hohem Namen wenig Freiheit haben follte. 
Bor allem vertrieb er den Mugen Metropoliten Dionys 
und erhob den Hiob auf den Stuhl, feinen gehorfamen 
Diener ). Als nun im I. 1588 ber Patriarch Jeremias IL 
von Eonftantinopel in Moskau erſchien, um Almofen für 
bie unter den Türken verarmte griechiſche Kirche und zum 
Bau einer neuen Kathedrale in Conftantinopel zu fams 
meln, ftellte ihm Boris Godunow das durch große Ges 
ſchenke und SBerfpredjungen unterftüßte Anfinnen, ben 
Metropoliten Hiob zum Patriarhen von Rußland zu ers 
heben. Er that es und weihete am 26. Januar 1589 
den Hiob mit vielem Pompe zum Patriarchen von Moss 
fau, bem zugleich der britte Rang in der gefammten 
griehifhen Kirche, nad) ben Patriarchen von Gonftanti 
nopel unb Alerandrien und vor denen von Antiodhien 
und Jerufalem zugewiefen wurde. Auch wurden vier rufe 
fife Biihöfe zu Metropofiten, ſechs andere zu (Titular) 
Grubifdófen erhoben unb nur acht verblieben als gewoͤhn⸗ 
liche Bifhöfe 2. Die Ehrentitel waren geſtiegen, aber 
die Selbſtſtaͤndigkeit ber Bifhöfe nahm immer mehr ab. 

In derfelben Zeit, wo Rußland fid) von Eonflanti» 
nopel trennte, unirten fid) bie zuffifchen Provinzen in Polen 
wieder mit ber Fatholiihen Kirche. Zur leichten Herbei⸗ 





1) Strahl, o. a. D. & 618. 

2) Karamfin, a. a. Ὁ, 990. IX. ©. 186. Nah Schmitt 
(itifäpe Gef. x. ©. 155) wäre der Rang des neuen Patriarchen ger 
tinger gewefen unb er felbft bem Patriarchen von Serufalem nachgeſtanden. 











Die ruſſiſche Kirche, 389. 


führung einer Union hatte Poſſevin zu Wilna eine Sefuiten» 
ſchule und ein Seminar für junge Ruthener gebildet, 
welde zur Union übertreten würden unb zu Shrieftern 
ihrer Nation hier gebilbet werden folltenY. Sowohl 
Stephan Bathory als Sigismund IIL von Polen , beide 
ſelber katholiſch, gingen freudig in feine Plane ein, weil 
teligiöfe Einigung ber Einwohner das Königreih Polen 
nur flärfer machen fonnte. Der Papft und ΕΣ Sigis⸗ 
mund ſtellten darum den Ruthenern die Vortheile bet 
Union vor, und begünftigten die Unirten, ohne jedoch, wie 
felbft ber eifrige Rufe Karamfin (Bd. IX. ©. 318) ge 
feht, mit Gewalt ober Verfolgung zu drohen. Wohl 
aber unterftügten fie bie Unionsfreunde auf alle Weife, 
während dagegen ber Czar bie Gegner ber Union mit 
ruſſiſchem Golde verfah ?). — Wider feinen Willen half 
ber Patriarch von Gonftantinopel ben Unionsplan aus» 
führen. Bon Moskau Deimfefrenb vifititte der genannte 
Jeremias IL aud) die Metropole Kiew, fegte ben Metro» 
politen Oniffiphor ab, weihete an feine Stelle den 
Michael Rahofa (1589), ftrafte mande Biſchöfe unb 
Arhimandriten, machte willführlihe Einrichtungen und 
brandſchatzte bie Diöcefen. Dieß machte ihn verhaßt; zum 
Metropoliten von Kiew aber hatte er einen Mann erhos 
ben, ber fid) bald als ben entfchiedenften Freund ber Union 
zeigte. Im December 1594 berief er alle Bifchöfe feiner 
Metropole zu einem Concil nah Breft (ὅτε, um 
Über die Frage zu entſcheiden, ob Hiob von Rußland ober 
der. Bapft als Oberhaupt anerfannt werben folle. Der 
Spruch fiel beinahe einftimmig zu Gunften Roms aus; 


1) Theiner, a. a. Ὁ. ©. 69. 
2) Raramfin, 90. IX. ©. 319. 


390 Die ruſſiſche Kirche. 


nur wei Biſchoͤfe von Lemberg unb Peremyſchl waren 


anderer Anficht, aber aud) fie traten nahmals dem Sys 
nodal⸗Beſchluſſe bei. Sofort wurden bie Bilhöfe Hypar 
tion Phocias von Wladimir und Eyrill Terledi 
von Luzk als Gefandte nad) Rom gefhidt im I. 1595, 
um bem Papfte auf bie Bedingungen der Slorentiner 
Synode hin bie Union anzubieten. Clemens VIIL nahm 
die Deputirten mit allen Ehren auf, unb in das Gonfiftorium 
eingeführt (23. Decbr. 1595), legten fte das für unirte 
Griechen übliche Glaubensbekenntniß (das nisänifche fammt 
filioque und ben Erflärungen von Florenz über ben Bf. 
Gif) für fid und ihre Gommittenten feierlich ab. Zus 
gleih wurde Alles, was bie Plorentiner Synobe ben 
Griechen einräumte, namentlich bie Beibehaltung ber alten 
Kirchengebraͤuche, Kirchenſprache, Diſciplinareinrichtungen 
und dergl. auch ihnen geſtattet, und Clemens ließ wegen 
Abſchluſſes diefer Union eine Feſtmuͤnze prägen, mit bem 
Bilde des Papftes, bem fij ein Stuffe zu Füßen 
wirft, und mit ber Umfchrift: Ruthenis receptis unb 
der Jahreszahl 1596 3). Meberbieß publicirte er das 
1) Im lorem, Hatten ble Griechen bie bogmatifdje Richtigkeit des 
Zufoges flioque auebrüdlid anerfannt, bod) fatte map bamale nicht 
von ihnen verlangt, daß fie audj das Wort filioque in ihr Symbol aufe 
nehmen müßten. Vrgl. meine Abhandlung über bie Union der Griechen, 
Artifel IL. ©. 252 f. der Quartalfchr. 1847. 
2) Die Gefcyichte fammt dem fraglichen Glaubensbefenntnig unb 
andern Dofumenten biefer Union unsliefertent 
1. Eaefar Baronius in feiner Abhandlung: De Ruthenis ad 
communionem Sedis apost. receptis, bem 7. Bande feiner Annales 
angehängt. Am Gxluffe derſelben giebt er aud) eine Gopie ber 
oben befprochenen Münze. 


2. Theiner, a. a. Ὁ, ©. 96. und die dazu gehörigen Dokumente 
9t. 2. 8, 4. u. 5. 


3. Auch handelt Karamfin, a. a. D. 85. IX. €. 317 f. v. dieſer Sache. 








Die ruſſiſche Kirche. 301 


Geſchehene der ganzen Welt durch die Bulle: Magnus 
Dominus et laudabilis. — Die ruthenifhen Bifchöfe bes 
ſtaͤtigten fofort feierlich, was ihre zwei Deputirten getfan, 
unb die ruthenifche Kicche wurde von nun an wie eine 
SRifflon betrachtet unb ber Congregatio de propaganda 
fide unterſtellt. Durch ihre Vermittlung erhielt jeder 
neue Metropolit bie päftlihe Gonfirmation , während ihm 
felder das Recht blieb, feine Suffraganen zu confirmiren 
und zu confeciten. Gewählt aber follte er werden von 
den SBifdjófen und Archimandriten. 

Auf die Nachricht hievon fhleuderte der neue Pas 
irat $iob von Moskau ben Fluch auf ben unitten 
Elerus, und bie Bifhöfe von Lemberg unb Peremyſchl, 
welde, wie wir fahen, fhon auf jener ruthenifchen Syr 
nobe ber Union nicht geneigt waren, fielen jeßt wieder 
völlig von ihr ab. Unter bem berühmten Könige Johann . 
Sobieski febrten jebod auch ihre Digcefen zur Ein- 
heit gurüd. Große Verdienfte um Ausbreitung der Union 
erwarb fid) der Metropolit Iofeph 8elamin 9tubeti 
(1613—1635), welcher von Papft Urban VII. ter Atha- 
nafius Rußlands unb ber Atlas ber Union genannt wor⸗ 
ben ift, und buch ben bie unirte Kirche einen neuen 
Katechismus in Heinruffifcher und polnifher Sprade (im 
3. 1632) erhielt. Baft hundert Jahre fpäter (1720) orb» 
mele die berühmte polnifhe Synode zu Zam oisk unter 
dem Metropoliten Leo δὲ ἰδέα und unter bem Borfige 
des päftlichen Legaten Hieronymus Grimalbi wieder 
eine Reihe SBerbefferungen in ber unirten Kirche an 5; 


1) Theiner, a. a. Ὁ. ©. 347 ff. 


392 Die ruſſiſche Klirche. 


aber aus zu großer Rigoroſitaͤt hob fle manche ber von 
Clemens VII. concedirten griechiſchen Gebräuche wieder 
auf, und näherte fid) aud) im Ritus ben Lateinern. Der 
hf. Stuhl wollte beffalb die Synode Anfangs nicht bes 
flätigen, denn mit Hoher Weisheit erfannte er, daß bie 
Lateinifirung bie wahre Union in necessariis leichtlich 
finbere, und hatte barum aud) ben Uebertritt der Unirten 
zum Iateinifher Ritus verboten. — Grft auf wieberholtes 
Gefud) des gefammten unirten ruthenifhen Episcopate 
ertheilte Benedikt XII. endlich jener Synode bie páftlide 
Beftätigung!), und der frog des Verbots unter bem ruthes 
niſchen Adel häufig vorgefommene Uebergang von ber unirten 
zur lateiniſchen Kirche zeigte wirklich in Bälde feine ſchaͤd⸗ 
lihen Folgen, indem bie unirten Stutfener, als fle unter 
ruífiffe Herrſchaft famen, jet ihres natürlichen Bes 
ſchuͤzers, eines fráftigen unirten Adels entbehrten, und 
deßhalb viel leichter bie Beute ber ruſſiſchen Disunions- 
Tendenzen geworben find. Am meiften haben bie ruther 
niſchen Bafllianermönde durch ihre gatinomanie gefchabet, 
mit welcher fie zugleich das Streben παῷ Gmancipation 
vom unirten Metropoliten verbanden, und S8enebift XIV. 
fand barum für nótfig, mehrere Bullen gegen bie Ans 
mafungen ber Bafllianer zu erlaffen ?). Nah ihm hat 
nod) einmal Clemens XIV. (1769—1774) der unirten 
Kirche burd) ein neues Verbot des Üebertrittd zum lateis 
nifhen Ritus aufzuhelfen gefudjt; allein er felbft mußte 
nod) den Anfang jener politifchen Greigniffe erleben, in 
deren Bolge bie (don geſchwaͤchte unirte Kirche faft gänze 
lid zerftört wurde. Auf welche Weife und durch welde 


1) Theiner, a a. D. S. 279. 
2) Theiner, a. a. Ὁ. ©. 2721. 


Die ruſſiſche Kirche. 393 


Mittel dieß unter Katharina IL und dem jegigen fai» 
(τ Nikolaus L geſchehen fei, darzuftellen liegt für jegt 
ijt in unferer Aufgabe; dagegen müffen wir anführen, 
daß jene Union aud) in ben polnifhruffifhen Provinzen 
nie vollkommen durchgeführt werben fonnte, daß vielmehr 
noch immer viele disunirte Gemeinden verblieben und εὖ 
neben dem unirten Metropoliten von Kiew aud) einen 
disunirten gab, ber fünf weitere ſchismatiſche Biſchoöͤfe 
unter fid hatte unb dem Patriarchen von Mosfau unters 
fand. Seit bem 3. 1635 hatten biefe Disunirten fogar 
eine eigene Univerfität zu Kiew, Academia orthodoxa 
Kiovo-Mogiloena, von bem disunirten Metropoliten Beter 
Mogila geftiftet, aus ber viele Schmaͤhſchriften gegen 
die Union hervorgegangen find h. 

Sod bliden wir wieder nad) bem eigentlichen 
Rußland. Als bie polnifchsrufflfhen Provinzen in bie 
Union eintraten, regierte über Rußland fafti[) Boris 
Godunow flatt feines Schwager Feodor J. Nah 
des Letztern Tod im 3. 1598 ſchwang fij Boris burd 
Ermordung des Cjaremitj Demetrius, unter Mitwir- 
fung eines großen Theils der fervilen hohen Geiſtlichkeit, 
namentlich feiner Greatur des Patriarchen Hiob, felbft auf 
den Thron im Sabre 1598. Doch ein Diakon unb Mönd, 
Gregor Jakob Otrepiew, beigenannt Raftriga, 
d. h. entlaufener Mönd, trat im S. 1604 in Polen unb 
Sifauen als SBfeubobemetriue auf, und erhielt 
großen Anhang. Selbſt ber König Sigismund IM. von 
Polen, der päpftlihe Nuntius 9tangoni und viele pols 
nifhe Große wurden von bem Betrüger gewonnen und 


1) Theiner, a. a. Ὁ. ©. 109. 


394 Die ruſſiſche Kirche. 


unterftüßten ihn. Dafür machte er ihnen, befonberó bem 
Nuntius die feierlichften Zufiherungen, fobald er auf ben 
Thron fáme, bie Union aud) in Rußland durdzuführen, 
und trat felbft ſchon insgeheim im Sefuitenkolegium zu 
Krakau der Fatholifhen Kirche beit. Auch SBapft Ele 
mens VIIL, mit bem er in Brieſwechſel trat, intereffirte 
fid für ihm, und verfiderte ihn feines Schußes. Der 
Woiwode θὲ πὶ {ὦ εἴ von Sendomir (in Polen) verfobte 
dem Spfeubobemetriuó feine fhöne Tochter Marina und 
trat an bie Spiße der pofniffen Unterftügung des cuffie 
fen Prätendenten. Es half nicht, daß Boris Globunom 
unb ber Patriach Hiob das Ganze für einen Betrug ere 
Härten; bie doniſchen Koſaken fpradjen fid) für Demetrius 
aus, ebenfo bie τι πε Ukraine, und bald fammelte fih 
ein Heer, an befien Cpige Demetrius, wie ein muthiger 
Ritter nah Rußland jog. Seine Manifefte wirkten 
auf das Volk, überall fiel es ihm fammt den Obrig« 
keiten zu und ohne Schwertfireih gingen bie Grenz⸗ 
feftungen zu ihm über. Gobunom, ſchlechten Getviffene, 
verlor feine fonftige Klugheit, und die Liebe der Ruffen 
hatte er ſchon früher eingebüßt. Sein Heer wurde am 
18. Decbr. 1604 von Demetrius gefdjlagen ; dagegen uns 
terlag diefer in einer andern &djfadjt im Januar 1605, 
galt aud) bereits felbft a[8 tobt, fammelte jebod) wieder 
neuen Anhang, und zwar mit folhem Erfolge, daß die 
Partei Godunow’s immer Heiner und immer lauer wurde, 
Da ftarb Lepterer plóglid (wahrſcheinlich burd) Gift) im 
3. 1605 und Hinterließ feinen 15jährigen Sohn Feodor I. 
als Gjaten. Sein oberfter Selbberr Basmanow, bie 


1) Karamfin, a. a. Ὁ, $5. X. ©. 111, 


Die ruſſiſche Kirche. 305 


her ber δεβε Kämpfer gegen den Praͤtendenten, ging nun 
fammt bem Heere zu biefem über, unb in vollem SBompe, 
überall anerfannt, jog Demetrius gegen Moskau. Bevor 
er nod ankam, wurde ber junge Feodor I. von bem 
empörten Bolfe vom Throne geftofen umb gefangen ger 
fest, bald darauf fammt feiner Mutter Maria erwürgt, 
ber Patriach Hiob feines Amtes beraubt und eingefperrt. 
Darauf hielt Demetrius am 20. Juni 1605 feinen feiers 
Tien Einzug in Mosfau, und regierte mit Kraft und 
Weisheit, als wäre er zum Throne geboren gewefen. Des 
ehemaligen Czaren Iwan des Schredlichen fiebente Frau, 
die angebliche Mutter des Demetrius, wurde aus bem 
Klofter, in das fie gefperrt war, herbeigeholt, und erklärte 
mahrfcheinlih aus Haß gegen das Haus Gobunom in 
bie Sáufdung eingehend, ben Betrüger öffentlich für ihren 
Sohn, und umarmte ihn vor bem verfammelten SBolfe. 
Doch das Glüd hatte ben Demetrius übermüthig gemacht, 
et zeigte den Bojaren Verachtung, zog überall die Polen 
und andere Ausländer ben 9tuffen vor, verſchwendete viel, 
lebte in Ausſchweifungen, vernachläßigte mande heilige 
Gebräuche, fhäßte die ruſſiſchen Geiftlihen und Mönde 
gering, hatte dagegen zum größten Aergerniß der Ruffen 
vielſach Sefuiten um fij, gab ihnen eines ber fhönften 
Häufer der Reſidenz und geftattete ihnen fogar im Kreml 
lateinifdjen Gottesdienſt. Auch feine Verheirathung. mit 
der Fatholifchen Polin war ben Ruffen ein Verbrechen gegen 
Religion und Nationalität. Nebenbei machte jedoch Des 
metrius aud) nicht bie geringfte Anftalt, fein Verfprechen 
in Betreff der Union zu erfüllen, und ber Papſt ſchickte 
ganz umfonft den Grafen Alerander Rangoni, einen 


396 Die ruffifche Klrche. 


Neffen des Nuntius in Polen, an ihn ab Y. — Nicht 
Tange, fo verbreiteten fid) aud) Geruͤchte über feine wahre 
Sibftammung, von feinen eignen Verwandten, ja felbft von 
feiner eigenen wahren Mutter ausgehend. Fürft Wafr 
ſily Schuisky trat an bie Spige ber Ungufriebenen, 
und während noch die fofoffalen Feſtlichkeiten der Hochzeit 
mit Marina dauerten, brad) ber Aufftand aus am 17. Mai 
1606. Demetrius, faft von Allen verfaffen, entfprang 
burd) ein Fenſter, wurde aber umringt, aud) von Iwan's 
Wittwe, bie jet widerrief, für einen Betrüger erklärt, 
von zwei Evelleuten erfhoffen, vom Volfe zerriffen. Mas 
tina unb ihr Vater wurden von ben Bojaren gerettet, 
einige andere Polen umb mehrere Sefuiten, auf Anſtache⸗ 
fung einiger Popen, vom Pöbel ermordet. Fürft Waffily 
Bafilius) Schuisky wurde nun zum Czaren erwählt 
im 3. 1606, drei neue Pfeudo-Demetrii und ein Pſeudo⸗Peter 
Cangebliher Sohn Feodor's) traten auf, und fhredliche 
Anarchie und Thronftreitigkeiten entftanden, bis enblid) 
hauptfählih burd) ben Clerus das dem rechtmäßigen 
Gzarengefjledhte verwandte Haus 9tomanow in Wir 
dae Romanow Fedorowitſch (1613—1646) auf 
ben Thron erhoben wurde. Gegen ben Elerus dankbar 
räumte er biefem wieder mehrere Vorrechte ein und ber 
ſchism atiſche Metropolit Mogila von Kiew verfaßte jebt 
(1632) das berühmte griehifhe Glaubensbekenntniß 
(ὀρϑόδοξος πίστις πάντων τῶν Γραϊκῶν), Me wir 
weiter unten näher gebenfen werben. 

Unter Michaels Sohn und Nachfolger Meris (1646 
bis 1676) entftanb die Gefte ber Ras kolniks ober 


1) Karamfin, a. a. Ὁ, 80. X. €. 197. 


ID zuffifche Kirche. 397 


Atgläubigen aus SBeranfaffung einer Berbefferung ber 
Kichenbücher. Schon im Anfange des 16. Iahrhunderts 
fatte, wie wir oben bemerften, der griechiſche Moͤnch 
Marimin angefangen, bie ruffifen Kirchenbücher mit 
ihren griehifhen Originalen zu vergleihen und bie in 
bie alten ſlavoniſchen SBerflonen eingefchlihenen Fehler zu 
verbeflern. Allein aus Verdacht, ald made er die Bücher 
ketzeriſch, wurde er in ein Klofter gefperrt und feine Ars 
beit blieb ohne Erfolg. Auch mehrere fpätere Verſuche 
führten zu feinem Refultate, bis unter bem berühmten 
Batriorhen Nicon 1654 und feinem Nachfolger Jo— 
ſeph ein großes aud von ben morgenländifhen Pa— 
triarchen und ihren Gefandten befuchtes Goncil. eine folde 
Verbeſſerung ſelbſt vornahm. Doch aud) damit waren 
manche Fanatiker aͤußerſt unzufrieden und traten mit Hef⸗ 
tigkeit gegen die Niconianer (wie ſie die übrige ruſſiſche 
Kirche nannten) und für die alten Kirchenbuͤcher auf, 
weßhalb fie jelbft die Starowierzi (b. i. die Alt 
gläubigen) und Raskolniki (v. L bie Getrenn- 
ten) genannt wurden !)., Durch Verfolgung vermehrte 
fi bie Zahl und die Erbitterung ber Geftiter, bedeutende 
Emeuten bradjen aus, Ginridjtungen gaben ben Banatifern 
Martyrer, wer zu ihnen übertrat und nad ben neuen 
Kirchenbuͤchern getauft worden war, ben tauften fie nod) 
einmal, trennten fid) aber aud) felbft wieder unter einan- 
der. Seit Katharina II. | gefhahen wiederholt SBerfudje, 
fie unter Belaffung mancher Gigentfümlidjfeiten wieder 
mit der Kirche zu uniren, aber ohne großen, Erfolg. Die 
Unirten heißen feither Jedinomwerzi, (v. i. die Gleiche 
1) Strahl, Beiträge x. €. 290. Theiner, a. a. Ὁ. 6.110. 
Serthaufen, a. o. D. Br. L €. 3485. 8. IL ©. 69. 


398 Die ruſſiſche Me. 


släubigen. Bald wurde der tame Raskolnik's ges 
neralifirt und aud) auf verfchiedene andere Sektirer über- 
tragen, bie jet in Rußland in nift geringer Zahl bald 
mit bald ohne Prieſter entftanben. Erftere heißen Po- 
pom[dt(dina, legtere Bespowfchtihina. Darunter 
mar bie des Pfeudopriefters Lepichin befonders in Gibi» 
tien (bie Morelfepifi) fanatifch bis zur fogenannten „Feuers 
taufe," fo daß Taufende von ihnen freiwillig ins Wafler 
fprangen, andere fid) lebenbig begraben ließen 3). Biele 
diefer Selten, deren mande wie bie Duchaborzi 
Eichtkaͤmpfer) faft gar nichts Chriſtliches mehr fefthalten, 
haben fid) bis auf ben heutigen Tag erhalten, vorzugs⸗ 
weife in Grofruflanb, bei den Kofafen unb im Norden, 
während die Kleinruſſen durchaus nicht zur Seftirerei ge» 
neigt find. Seit Peter b. Gr. hat die Regierung wieder⸗ 
holt, aud nod) in ben Jahren 1841, 1842 und 1843 
burd) Grilirung in großem Maßſtab nad) Sibirien und 
in den Gaucafué bie Sekten zu erſticken gefud)t, ohne jebod) 
gum Ziele gu gelangen 2). 

Eine wichtige Epoche madt in der ruſſiſchen Profan« 
und Kirhengefichte die Regierung Peter’s b. Gr. 
Während Peter noch mit feinem Altern aber unfähigen 
Bruder Iwan das Reich theilte (1682—89), in Wahrheit 
aber feine ältere Schwefter, bie Huge Sophia, regierte, 
machte der gelehrte und angefehene Grjbiffof Simeon 
von Polotsf den Vorſchlag, der ruffüjfen Kirche einen 
SBapft, vier Patriarchen und zwölf Meiropoliten zu geben, 





1) Strahl, a. a. D. €. 301 u. 307. Harthaufen, a.a. D. 
59». L €. 337 ἢ. 

3) Ausland, Jahrg. 1842. Mr. 318. Harthaufen, a. a. Ὁ. 
100. L Ὁ. 361. 409 jj. 


Die sufflfche Kirche. 399 


in der geheimen Abſicht, durch biefe neue ‚Einrichtung bie 
Union mit ber lateiniſchen Kirche, der er fehr gewogen 
mar, anzubahnen. Auch überfeßte er zu biefem Zwede 
verfhiedene lateiniſche Hauptſchriften, y. B. bie Paftorals 
Regel Gregors b. Gr. ins Ruſſiſche 1). Aber fein Tods 
find, der Patriarch Soadjim, zerflörte dieſen Plan, 
wie den des deutſchen Kaiſers Leopold I., welcher im 
3. 1686 feinem Gefandten zu Moskau ben berühmten 
Jfuiten Johann Bota beigab, um für bie Union 
thätig zu fein. Er fonnte jebod) nit mehr erreichen, ale 
daß in ber Geſandtſchaftskapelle Fatholifcher Gottesdienſt 
frei gehalten werben durfte 7). 

Bald nad) dem Antritte ber Alleinregierung im 3. 1702 
gefattete Peter b. Gr. allen Eonfeffionen freien öffent- 
lichen Gottesdienſt in feinem ganzen Reiche, genehmigte 
den Kapuzinern und Jeſuiten ungehindert Miffionen in 
Rußland, fdágte lehtere als Erzieher und überttug ihnen 
den Unterrricht des jungen ruffifyen Adels. Als ihm ber 
Patriarch) Adrian und die Bifhöfe dagegen Vorftellungen 
machten, erwiberte er jornig: „ihr Büffel verftebt bod) nicht 
die Jugend zu unterrichten“ 8). Mit bem hl. Stuhle unters 
bielt er bie freunbfdjaftlid)fte Verbindung, unb mande 
Aeußerungen ließen vermuthen, daß er eine Vereinigung 
beider Kirchen ernſtlich gemünfdt habe. Dahin deutete 
man aud) bie lange Nichtbeſetung des Patriarhenftuhles 
Gatriarch Adrian ftarb ben 16. Nov. 1700 unb man 
wartete 20 Jahre auf einen Nachfolger), und mehrere 





1) Theiner, a. a. Ὁ. €. 111. Strahl, Beiträge €. 235. 
Derf. gelehrtes Rufland, €. 252 fi. 

2) Theiner, a. a. D. €. 113. Strahl, Beiträge ©. 236. 

8) Theiner, a. a. Ὁ. ©. 114. 

Siesl. Dxaztalfgrift, 4868. I. Seft- 21 


400 Die ruſſiſche Klrche. 


ber von ihm bevorzugteſten ruſſiſchen Bifhöfe waren ber 
Tateinif pen Kirche febr geneigt, namentlih Erzbiſchof 
Theophylakt Lopatinsfi von Twer und Stephan 
Jaworski, Metropolit von Räfan und Sibminiftrator 
des erledigten Patriarhats, mit dem Titel Grard. 
Wegen feines nad) Bellarmin bearbeiteten Werfes „Petra 
fidei^ gegen Zutheraner und Ealviniften, nannte man ihn 
feloft den ruſſiſchen Bellarmin 1). 

Die Geneigtheit Peter’s für bie Union vorausfegend 
machte ihm die Sorbonne bei feiner Anwefenheit zu Paris 
im 3. 1717 Vorſchlaͤge in diefer Richtung. Gr legte fle 
feiner Geiftlichfeit vor; biefe aber verftanb durch allerlei 
Aus fluͤchte Alles zu vereiteln 9. Ueberfaupt. (djeint Peter 
Ὁ. Gr. in den legten Jahren feiner Regierung weniger 
freundlich gegen bie katholiſche Kirche gefinnt gewefen zu 
fein; wenigftens opferte er im 3. 1719 die Syefuiten bem 
Haffe der ruffifchen Geiftlichfeit und verbannte fie, gebot 
aud) in demfelben Jahre, daß alle Kinder aus gemifchten 
Ehen in der ruſſiſchen Religion erzogen werden mußten 9). 
Unwahr dagegen ift, daß Peter bei einer Hofmasferade 
im 3. 1702 den Papft und die Fatholifche Kirche laͤcher⸗ 
lid gemadt habe. Er perfiflirte vielmehr ben ruſſiſchen 
Patriarchen und Elerus, wie Theiner aus bet Be 
fhreibung eines Augenzeugen darthut 9. 

Uebrigens ift bie Hoffnung einer Union wohl nicht 
ber Hauptgrund ber vieljährigen Erledigung des Patriar⸗ 
chalſtuhls gewefen. In vielen Punkten war Peter, von 








1) Theiner, a. α. Ὁ. ©. 115. 119. 

2) Särödh, Kirchengeſch. feit ber Ref. 85, TX. €. 158 f. 
3) Theiner, a. a. D. ©. 129. Strahl, Beiträge €. 240 f. 
4) Theiner, a. a. D. €. 125. Särödh, a. c. S 283. 


Die ruſſiſche Kirche. 401 


abendländifcher Bildung ergriffen, mit ber ruſſiſchen Kirche 
namentlih dem Aberglauben, Bilverdienft, Ceremoniens 
weſen, Unduldfamfeit und Unwiſſenheit hoͤchſt unzufrieden. 
Um folche Mängel zu heben hatte er [don mehrere Goitte, 
insbefondere über Errichtung von Schulen an ben Biſchofs⸗ 
fiten (im 3. 1700) erlaffen ). — 9tod) mehr durfte er zu 
erreichen hoffen, wenn er größeren Einfluß auf bie Kirche 
gewann. Zugleih mochte er caͤſareopapiſtiſche Anfichten 
fiebgewonnen haben ?. Dem hiezu entworfenen Plane, 
bie Patriarchalwuͤrde ganz aufzuheben, follte bie 20jährige 
Sevisvafanz als Einleitung und Vorbereitung dienen. 
Der Grard) fief zwar Anminiftrator des Patriarchats, 
allein feine Gewalt war von bet des Patriarchen Bim» 
melweit verfd)ieben, und mur bie laufenden und minder 
wichtigen Angelegenheiten ihm  unterftellt. Die etwas 
twichtigeren wurden einer Art Synode vorgelegt, bie fid) 
unter dem VBorfige des Grardjen auf Befehl des Kaifers 
von Zeit zu Zeit in Moskau verfammelte; bie allerwidh- 
ligften aber behielt fid) ber Czar felbft zur Entſcheidung 
vor, fo daß man ihn nicht mit Unrecht mit Delai-Lama 
verglich 3). In ber That benahm fid) Peter während ber 
Sedisvakanz bereits faltiſch als geiftliher Diktator, unb 
erließ feit Anfang des 18. Jahrhunderts eine Reihe von 
Defreten und Gefegen, bie in das kirchliche Gebiet eigen» 
mädjtig eingreifen, und über bie Befugniffe eines weltlichen 
Regenten weit hinausliegen, wenn fie aud) wohlgemeint 
und theilweife wirklich geeignet waren, in ben Klöftern 
und unter dem Weltelerus beffere Ordnung zu ſchaffen 


1) Strap, Beiträge x. S. 238. . t 

2) Schroͤchh, a. a. D. €. 171. Sämitt, a. a. D. €. 163 f. 
3) Schmitt, a. a. Ὁ. €. 164. 
s 21 *. 


402 Die ruſſiſche Kirche. 


und namentlich bie wiſſenſchaftliche Bildung zu Deben. 
Selbſt bie Laienbrüber in ben Klöftern, und bie Zellen 
der Moͤnche und Nonnen entgingen ber Faiferlihen Res 
formirluft nicht, unb in ben 26 von Peter felbft verfaßten 
Zufapartifeln zur geiftlichen Regulation (— das neue Ὅτε 
ganifationsftatut) gab er den Geiftlihen eine völlige Pa— 
ftoralinftruftion, und fehrieb 4. 3B. vor, wie fie das Ga» 
frament der Buße verwalten, unb wo fie dabei fitenge, 
τοῦ milde fein müßten). Um recht fider zu gehen, drohete 
et. feinen Bifhöfen mit Anflug an Rom, falls fie feine 
Kirchenreformen nicht billigen würden. Zugleich wurde er 
dabei von manden hohen Geiftlihen Fräftigft unterftügt, 
und zwar war es neben bem genannten Erarchen befons 
ders Theophanes, von Peter zum Titularerzbifchof von 
Pleskow, fpäter von Nowgorod ernannt, ein gelehrter 
und feiner Hofmann, der das Vertrauen des Kaifers in 
hohem Grade befaß, und in feinem Auftrage das Statut 
für bie neue Kirchenverfaffung entwarf. Nachdem Peter 
Alles gehörig vorbereitet glaubte, erflärte er den um ihn 
verfammelten hohen Prälaten, „daß ein SBatriard) weder 
gut Regierung der Kirche nöthig, nod) dem Gtaate nüpr 
lid) fei. Er habe fij barum entſchloſſen, eine andere 
Borm des Kirchenregiments einzuführen, welche bie Mitte 
hielte zwifchen der Regierung einer Perfon unb ber duch 
allgemeine Eoncilien, denn beide [egtere Regierungsweifen 
feien wegen des großen Umfangs des Reichs unpaflend. 
Die erftere führe zum Defpotismus (des Patriarchen), bie 
andere {εἰ zu fofifpielig, langíam und unbequem. Es 
folle deßhalb eine Meine, ausgefuchte, befländige Synode 


1) Sämitt, a. a Ὁ. €. 168. 


Die ruſſiſche Kirche. 403 


ertichtet werben, welcher bie SBeforgung ber geiftlichen 
Angelegenheiten obfiege." — Einzelne Gegenvorftellungen, 
die laut werden wollten, unterbrüdte ber Gjat burd) den 
Machtſpruch: „hier (auf fid) feldft beutenb) ift euer Pas 
triarch,“ unb verfammelte nun im Januar 1720 das legte 
ruſſiſche Concil zu Moskau, auf welchem alle Bifchöfe und 
die Achimandriten und Igumenen ber vornehmften Klöfter 
etſchienen und im Vereine mit ben ebenfalls berufenen 
weltlihen Großen, zufammen 95 Perfonen, das neue 
Kichenftatut, bie geiftlihe Regulation genannt, 
unterzeichneten ). An die Stelle des Patriarchen trat 
mm die permanente „heilige gefeggebende Gy» 
n0be," bie am 25. Februar 1724 feierlich) eröffnet wurbe, 
und im Ganzen aus zwölf Mitgliedern, nämlid einem 
Präfidenten (dem bisherigen Exarchen Stephan), zwei 
Vicepräfidenten (darunter Theophanes), vier Räthen, vier 
Aſſeſſoren und einem Kanzleidireftor beftehen follte. Schon 
im folgenden Jahre wurden jedoch zwei weitere Mitglieder 
beigefügt. Sämmtlihe Mitglieder müffen Geiſtliche fein, 
Erzbiſchoͤfe, Bifchöfe, ober fonft angefehene Priefter, Ars 
dümanbriten ober Protopopen; und Peter wählte hiezu 
in ber That ausgezeichnete Männer. Zugleich aber be» 
ſchraͤnkte er bie Befugniffe diefer „heiligen Synode” auf 
eine ben neuen europäifchen Staatstheorien ganz verwandte 
Weiſe auf das fogenannte „rein geiftliche" Gebiet. In 
Beziehung auf diefes follte fie bie nämlihe Macht haben, 


1) Am ausführlicften wird die lirchliche Reform Peters b. Or. 
beſchtieben von King (onglif. Geifl. in Petersburg) in f. Werke: „Die 
Gebrauche und Geremonien ber griech. Kirche in Rußland. Aus bem 
Englifgen überfegt, mit Rupfern. Riga 1773. S. 407 f. Daraus 
ſchopfte Schmitt, a. a. D. ©. 169 ff. 


404 Die ruſſiſche ird. 
wie ber Faiferlihe Senat in den weltlichen Angelegenheis 
ten, bei gemifchten Gegenftünben aber follten Senat und 
Synode gemeinfdjaftlid) berathen und ihren Beſchluß bem 
Monarchen zur Genehmigung vorlegen. 3a noch mehr, 
das große Gebiet des geiſtlichen Gerichtes, das bisher 
bem Patriarchen juftanb, wurde ber Synode gänzlich ent⸗ 
zogen und ben weltlichen Gerichten zugewiefen, und εὖ 
blieb ihr als Hauptgefhäft nurmehr bie Aufficht über ben 
Gottesdienſt unb ben Religionsunterricht, fowie das Recht, 
für jedes erlebigte Bisthum dem Kaifer zwei Ganbibaten 
zu präfenticen, welcher dann daraus einem erwählt. Sie 
heißt zwar officiell - ,bie gefeßgebende,* aber ihre Gbifte 
und Gefee bedürfen der Faiferlihen Genehmigung, und 
damit fie ja, auch im Kleinen, nichts befchließe, was 
diefem mißfällig wäre, ift ijr ein hoher Staatsbeamter 
als DOberprofurator beigegeben, dem das Vetorecht 
gegen jeglichen Beſchluß eingeräumt if. Wie biefer, fo 
werden aud) bie geiftlihen Mitglieder ber HI. Synode 
vom Kaifer ernannt und ſchwoͤren, daß fie aud) in geiſt⸗ 
lichen Dingen fein anderes Oberhaupt als ben Monarchen 
erfennen. Die Autonomie der ruffifhen Kirche war damit zu 
Grabe getragen umb ber Eäfareopapismus dafür ins Leben 
gerufen '). Der Kaifer regiert theils felbft, theils durch 
feine Synode, aud) in der Kirche, er ift ihr Haupt, wenn 
et fid glei nur ihren Befchüger nennt, ja er regiert 
feine Kirche in vieler infit mit nod) größerer Macht⸗ 
vollfommenheit, als ver Papft die latholiſche. Und bod) 
iR ein wefentlicher Unterſchied zwifchen beiden, indem bie 
1) Sämitt, a. a. D. ©. 173. 174. 214. Dal. auch den Ar 


tif: „Dirigiren de Synode“ von Kerker, im Freiburg. Kir⸗ 
enler. B. X. ©. 614. 





Die ruſſiſche Kirche. 405 


Kaiſer niemals in dogmatiſchen ragen entſcheiden. 
Das Urtheil hierüber flet ber birigirenben Synode allein 
ju, welche fid) in wichtigen Faͤllen mit den übrigen mor» 
genländifchen Patriarchen in's Einvernehmen fegt h. 

Diefer HI. Synode find alle ruſſiſchen Bifchöfe gleiche 
mäßig unterftellt, und es hat zu biefem Zwecke Peter b. Or. 
ſchon vor Grriótung ber Synode bie Metropolitanwürbe 
und bie verſchiedenen Titular- und Rangunterfchiede unter 
den Bifchöfen mit wenigen Titularausnahmen völlig aufs 
gehoben, ftatt der vielen Erzbifhöfe nur einfache Biſchoͤfe 
ernannt und fie alle auf eine und dieſelbe hierachiſche 
finie geftellt. Nur wer befonberé geehrt werben foll, er» 
hält von dem SKaifer den Titel eines Erzbiſchofs 9. 

Beter fand übrigens für gut, von bem Patriarchen 
Jeremias zu Eonftantinopel, und durch biefen aud) von’ 
den übrigen morgenländifchen Patriarchen die 3uftimmung 
qu diefer neuen Einrichtung zu erbitten, und erhielt fle in 
der That im Septbr. 1723. Die conftantinopolitanifhen 
Patriarchen betrachteten unb betrachten dabei bie fragliche 
Synode immer ald Stellvertreterin des (ehemaligen) rufs 
fien Patriarchen und haben fie nun ftetó mit bem Namen - 
der „patriarchaliſchen“ beehrt 3). 

Diefe von Peter ausgegangene Einrihtung ber rufs 
fiffen Kirche dauert nicht nur bis auf den heutigen Tag 
in Rußland fort, fondern wurde aud) bei der neuen kirch⸗ 
lichen Organifation des Königreihe Griechenland von 
der Regentſchaft (während der Minderjährigfeit Otto's L) 
namentlich von bem bayerifhen Staatsrathe v. Maurer 

1) Harthaufen, a. a. Ὁ. 90. III. ©. 91. 


2) € $mitt, a. a. D. ©. 165. 
3) € mitt, a. a. D. €. 201. 


406 Die ruſſiſche Kirche. 


nachgeahmt und der Haupiſache nach eingeführt, um auch 
in Griechenland bie Kirche in dieſelbe Abhängigkeit von 
ber Krone zu bringen wie in Rußland. 

Werfen wir mum nod) einen Blid in das Innere der 
ruſſiſchen Kirche, fo finden wir fie im Dogma, wenig: 
Rens grunbgejeblid) und nad) Borfchrift ihrer ſymboliſchen 
Bücher, in völliger Harmonie mit ber gefammten disunirten 
morgenländifchen (griechiſchen) Kirche, fo daß fie ron ber 
Tatholifchen nur in zwei wefentlichen Punkten, in der Lehre 
vom bL Geifte (defien Ausgehen αὐ ὦ aus bem Sohne 
fie läugnet), unb burd) Richtanerfennung des römiſchen 
Primates differirt. In ber Lehre vom δερίεπει 
Dagegen, welche häufig aud) als Differenzpunft angeführt 
wird, if fein weſentlicher Unterſchied zwifhen uns und 
ben Stufen (überhaupt den Griechen) vorhanden, wie fij 
dieß bei ben SBerbanblungen auf ber florentiner Synode 
im 3. 1439 beutlid herausſtellte unb von uns bereits 
anderwaͤrts gezeigt worben iR ἢ. Das Gleiche bezeugt 
auch ber neueſte Schriftfieller über Rußland, der Freiherr 
von Harthaufen in feinem trejflien Werke: „Stubien 
über bie innern Zuflände x. Xuflanbé* (Hannover 1847, 
S5.L €. 86) mit dem Bemerken, die ganze Dien] 
{εἰ hier nur ein SBertfreit, indem bie Rufen wohl ein 
Burgatorium aber fein Fegfeuer anerlennen. Das 
Genauere barüber wird uns unten €. 410 begegnen. 
Eine weitere beträchtliche aber nicht eigentlich dogmatiſche 
Differenz findet in Betreff der Ehejheidung fat, in 
dem bie Rufjen wie alle Griechen im Falle des Ehebruchs 
bie Eheſcheidung imb Wiererverheiratfung geſtatten. Dech 





1) Duertelfárift 1847. €. 199. 


Die ruſſiſche Kirche. 407 


ſchon bie genannte florentiner Synode hat biefen Punft 
niht für einen grundwefentlihen erachtet und das Aufs 
geben biefer Praxis von Seite ber unirten Grieden zwar 
gewuͤnſcht, aber es nicht jur conditio sine qua non ber 
Union gemadjt Y. Ale übrigen Differenzen zwifchen der 
tuſſiſchen und fatfoli[den Kirche beziehen fi mur auf 
ben Ritus (4. B. Laienfelh) und bie Disciplin (y. 38. 
Priefterehe), im Dogma aber verharret bie τι πῶς Kirche, 
die angeführten Punkte ausgenommen, nod) immer, wenn 
auch nicht alle Dogmen bei ihr vollftändig ausgebilvet 
find, in jener Uebereinftimmung mit dem Stamme ber 
allgemeinen Kirche, wie fie fdjon vor ber Lostrennung 
unter Photius und Michael Eerularius flatt hatte. Sie 
verehrt mit ung biefelben alten Glaubensbekenntniſſe (jedoch 
ohne filioque) , verwirft mit uns alle alten Härefien, bie 
Krianer, Pneumatomachen, Apolinariften, Steftorianer, 
Monophyfiten und Monotheleten, und anerfennt wie wir 
bie acht erften allgemeinen Goncilien, bie ja fámmtlid im 
Bereiche der griechiſchen Kirche abgehalten wurden, und 
denen fie nod das von uns weniger hochgeſchätzte Quini- 
sextum ober Trullanum vom Jahre 692 beizählt. Die 
fpäteren, im Bereiche der Iateinifchen Kirche abgehaltenen 
tilf allgemeinen Synoden dagegen, von bet erften lates 
ranenſiſchen bis tribentiniffen, werden, wie von ben Gries 
hen überhaupt, fo aud) von den Ruffen nidjt ancrfannt, 
Die wichtigſte ſymboliſche Schrift der Ruſſen, bie fid) bem 
Anfehen nad) ben alten Symbolen und ben Aften der adt 
erften allgemeinen Goncilien unmittelbar anſchließt, ift bie 
von bem bidunitten Metropoliten Mogila von Kiew (f. o. 


1) Duartalfgrift 1847. ©. 257. 


408 Die ruſſiſche Kirche. 


S. 396) im Vereine mit ſeinen Suffraganen zwiſchen den 
Jahren 1630—40 entworfene ἔχϑεσις τῆς τῶν Ῥώσων 
πίστεως (Erklärung des Glaubens der Ruffen). 

Um ijr größere Auftorität zu geben, legte Mogila 
diefelbe dem Patriarchen von Eonftantinopel zur Beftär 
tigung vor, unb auf beffen Verlangen trat mum in der 
Moldau eine Commiſſion aus Abgeorbneten von Gonftan- 
tinopel und von Kiew zufammen, um jene Arbeit aufs 
Grünblidfte zu prüfen. Nach diefer neuen Durchſicht fand 
die Commiffion diefelde für würdig, ein fymbolifches Buch 
der gefammten morgenländifchen Kirhe zu werben, gab 
ihr barum den Titel ὀρϑόδοξος ὁμολογία τῆς πίστεως 
τῆς καϑολικῆς καὶ ἀποστολικῆς ἐκκλησίας τῆς ἀνατολικῆς, 
und überídidte fle ben vier apoftolifchen Stühlen bes 
Morgenlandes (wie fid) bie Griechen auóbrüden) zur Bes 
flátigung. Diefe erfolgte am 11. März 1643 burd) feier 
lide Unterfprift der Patriarhen Parthenius von Eons 
ftantinopel, Joannicius von Alerandrien, Mafarius 
von Antiohien unb Paifius von Jerufalem. Sofort 
wurde biefe ſymboliſche Schrift von der Synode zu enu 
falem unter Dofitheus im 3. 1672 aufs Neue approbirt !), 
aud) überall amtlich gebrudt und verbreitet, in Rußland 
im 3. 1685 mit Exlaubniß des Patriarchen Joachim von 
Moskau in die flavonifhe Sprache überfet, unb öfter, 
namentlih im S. 1722 auf Befehl Peter’s Ὁ. Gr. unter 
Aufficht feiner „heiligen Synode" zu Petersburg gebrudt. 
Schon früher im 3. 1695 war eine Ausgabe des gries 
difden Driginaltertes mit lateinifher lleberfegung von 
bem Prof. Normann in Upfula beforgt, in Leipzig er 


1) Bol. Quartalſchrift 1843. ©. 592. 


Die ruſſiſche Kirche, 409 


ſchienen, ebenbafefbf Tie δ τί [ὦ feine deutſche lieber» 
fegung aus bem flavonifhen Terte unter bem Titel: „Der 
größere Catechismus ber Ruffen“ erfdjeinen; nod) andere 
Ausgaben folgten, bis endlich Licentiat Kimmel, felbft 
ein Ruthene, im I. 1843 zu Jena bie neuefte griechifdh- 
lateiniſche Gbition in feinem Sammelwerfe Libri symbolici 
ecclesiae orientalis p. 56—324 beforgte. Diefe ſymboliſche 
Schrift wurde in der geiftlichen Regulation Peter's Ὁ. Gir. 
auébrüdlid) als bie Norm und als das wahre Bekenntniß 
der ruſſiſchen Kirche deflarirt, unb der auf Befehl Peters 
herausgefommene kleine Catechismus ift nichts al8 cin 
Auszug daraus !). 

Gleich in feinem Eingange erflärt das fragliche ſym⸗ 
boliſche Buch ber Ruffen ganz ausprüdlih, daß beides: 
Glauben und gute Werke nöthig fein, um felig 
zu werden. Der erfte Theil des Ganzen handelt nun 
vom Glauben und es wird biefer unter Sugrunblegung 
der zwölf Artikel des nicänifhen Symbolums in 126 ta» 
gen und Antworten erörtert, vor Allem aber erklärt, daß 
ber Glaube aus zwei Quellen: Schrift und Trabi» 
tion zu fehöpfen {εἰ (quaest. 4). Im Einzelnen wird 
mun die Trinitätslehre erörtert, ba6 Ausgehen des heil. 
Geiftes aus dem Vater allein gelehrt, und bie Eriftenz 
der Engel, ihre Obhut über die Völker, die Städte unb 
Menſchen, unb bie Nüplichfeit des Gebetes zu ihnen aue» 
gefprohen. Darauf folgt bie Lehre vom Sündenfalle, 
und ganz richtig wird Diebei gefagt: obgleich ber freie 
Wille des Menfchen durch bie erfte Sünde viel gelitten 

1) Bergl. die Dissert. de ecclesia ruthenica ». Jerem. Frid. 


Reiss (Kanzler in Tübingen) 1762, p. 21 seqq. Schmitt, a. a. D. 
€.228. Schroͤckh, Kirchengeſch. feit ber Reform. B. V. S. 407. 


40 Die ruſſiſche Kirche. 


hat, ſo komme es doch noch auf den Vorſatz eines Jeden 
an, ob er gut ober gottlos fein wolle; zu erſterem bebürfe 
ex jebod) des göttlihen Onadenbeiftandles (quaest. 27). 
Weiterhin wird das dreifahe Amt Chriſti auseinan« 
dergefegt, die Verehrung ber f. Jungfrau fammt bem 
englifden Grufe unb bem Kreuzeszeichen eme 
pfohlen. Vom Abenpmahle ift gefagt, daß Chriſtus 
auf eine faframentale Art darin gegenwärtig {εἰν 
nämli durch bie wefentlihe Verwandlung des Brodes 
und Weines (uersolworg, b. i. Veränderung der Subſtanz, 
dolo); von ben Andachten, Gebeten unb Almofen, 
befonberó bem Meßopfer wird gelehrt, daß burd) fle 
aud ben Seelen ber Verftorbenen Hülfe geleitet werde 
(quaest. 45 et 46). Dagegen wird behauptet: bavon, 
daß bie SBerftorbenen für begangene Sünden mod) ſatis⸗ 
faciren fönnten durch Straferduldung, befonders durch 
Beuer, wiffe bie Kiche nichts, unb es [εἰ beffalb bie 
febre des Drigenes auf der zweiten allgemeinen Synode 
verworfen worden. Ein Berftorbener fönne bod) fein 
Gaframent ber Kirche mehr empfangen, eine Satisfaftion 
wäre aber ein Theil des Bußfaframents. — Die Kirche 
bete für bie Verftorbenen, damit Gott ihnen verzeihe, 
aber fatisfaciren fönnten biefelben nicht mehr (quaest. 
16). — Eine Reinigung duch wirkliches Feuer aber 
wird als origeniftifh verworfen. Später wird bei bem 
adten Glaubendartifel der Punkt von bem Ausgange des 
hf. Geiſtes abermals erörtert;i und im neunten fehr aus⸗ 
fübrlid) von ber Kirche gehandelt. Neun Kirchengebote 
werben hier aufgeführt: 1) an allen Sonn» unb Feſt⸗ 
tagen muß ber Ehrift ben horis matutinis, der Liturgie 
Meſſe), Veſper und Predigt anwohnen, 2) jährli vier 


Die ruſſiſche ird. 411 


Faſten halten (a) vom 15. Nov. bis Weihnachten, b) die 
Quadrageſima, c) vom Ende ber Pfingſtwoche bis Peter 
und Paul, d) vom 1. Auguft bis Mariä Himmelfahrt. 
3) Jeder Chriſt [oll die Geiftlihen achten, 4) im Jahre 
viermal beiten, 5) feine häretifhe Bücher Iefen, 6) für 
feine Rebenmenfhen, befonders geiftlihe und weltliche 
Vorgeſetzte beten, 7) foll alle Faſten unb Bitttage halten, 
welche der Bifhof anordnet, 8) fol das Kirchengut nicht 
antaften ἢ) und 9) in der geſchloſſenen Zeit Feine Hochzeit 
halten (quaest. 87—95). Bei dem zehnten Glaubens» 
artifel (confiteor unum baptisma) wird von ben fieben 
Saframenten gehandelt unb das Abendmahl unter beiden 
Geſtalten verlangt, bei dem eilften und zwölften Artikel 
endlich bie Lehre von den vier legten Dingen entwidelt. — 
Der zweite Theil des Ganzen handelt von der off» 
nung, von bem Gebete des Herrn (fammt Schlußs 
borofogie) und ben neun Geligfeiten (bie Ruffen rechnen 
auch Matth. 5, 11: „felig feib ihr, wenn man eud um 
meinetwillen befhimpft" mod) als eine Seligfeit); der 
dritte endlich von ben göttlichen Geboten und riftlihen 
Tugenden, wobei befonberó a) von Glaube, Hoffs 
nung und Liebe, b) von Gebet, Faften unb Almo—⸗ 
fen, o) von ben Garbinaltugenben Klugheit, Θ τε 
tigfeit, Tapferfeit und Mäßigkeit, und enblid) 
von den gehn Geboten gehandelt wird; ein weiterer 
Auszug aus biefen beiden letzteren Theilen aber ift barum 
nicht nöthig, weil ihr Inhalt nicht dogmatifcher Natur ift. 
Man fiebt, die Anlage des Ganzen ift mit der uns 
ferer Katechismen, befonders des rómiffen, in hohem 


1) Dofungeachtet hat Katharina IL das Kirchengut aufgehoben. 


42 Die ruſſiſche Kirche. 


Grade verwandt; aber ebenfo gut fiet man aud, wie 
unwahr es ift, wenn einige proteftantifche Gelehrte bie 
Dogmatik der Rufen bald femilutherifd bald ſemicalviniſch 
haben finden wollen. Wahr hievon ift nur das, daß feit 
bem vorigen Jahrhunderte mehrere angefehene ruſſiſche 
Praͤlaten und Lehrer ſich faftiff) zum Proteftantismus 
finneigten, und im ent(djiebenften Widerſpruche gegen die 
herrſchende Kirchenlehre ihre neologiſchen Anfihten durch 
Schrift und Wort zu verbreiten geſucht haben. Obenan 
ſteht Bier ber berühmte Erzbifhof Platon von Moskau, 
früher Profeſſor an der Alademie zu Petersburg und 
unter Katharina IL Lehrer des Großfürften, des nachma⸗ 
ligen Kaiſers Paul L Der von ifm verfaßte Katechis⸗ 
mus weicht in wefentfiden Stüden, namentlid) in Betreff 
der Gnadenwirfungen unb der Saframente, beſonders deö 
Abendmahls fihtlih von dem Werke des Mogila und bem 
orthoboren Lehrbegriffe ab Y. In ähnlicher Richtung [die 
und wirkte fein Zeitgenoffe, der Archimandrit Theophy 
lakt, Rektor der Moskau'ſchen Afademie, beffen dogmata 
Christianae orthodoxae religionis im 3. 1773 zu Moskau 
erſchienen. Diefe proteftantifirenbe Richtung ift im gegen 
wärtigen Jahrhunderte noch nicht erlofhen, unb nament: 
lid gab Erzbifhof Methodius von Twer im 3. 1805 
in Iateinifher Sprade ein Werk heraus über bie vier 
erften Jahrhunderte der chriſtlichen Kirche, wobei Bing 
ham fein Gauptgemáfrómann unb feine Hinneigung zum 
Ealvinismus unverkennbar if. Und diefe Schrift erfgien 
mit Genehmigung der „heiligen Synode“ und in beren 


1) Sämitt, a. α. D. €. 229. Schrödh, Kircchengeſch. ſeit 
der Reform. 8. IX. €. 212 f. Bacmeifter, ruſſiſche Wibliothel, 
58. IV. €. 68 u. 88. VOL €. 53 . 


Die ruſſiſche Kirche. 413 


eigener Druckerei !). Noch mehr vom altruffiſchen Dogma 
wich der ruſſiſche Staatsrath von Stourdza ab in 
feinem Werke „über bie Lehre und ben Geiſt der orthos 
boren Kirche," welches im Jahre 1816 zu Stuttgart in 
franzöfifher Sprache (Considérations sur la doctrine et 
lésprit de l'église orthodoxe) erfhien, und bie Dogmen 
theils rationaliftiff verfladt, theild geradezu mit Still 
ſchweigen übergeht, namentlid) jene Punkte, welche bie 
ruſſiſche Kirche mit der Fatholifhen, weil mit der alt» 
SHriftliden, gemein hat. Dagegen wird bei jeder Geles 
genheit der Unterſchied zwiſchen der ruffijfen unb 
Tatholifhen Kirche aufs Schärffte accentuirt. 

Der neuefte Hauptträger dieſer proteflantificenden 
Richtung ift endlih Philareth, der gegenwärtige Metro- 
polit von Mosfau, der während feiner frühern Stellung 
als Profeffor an ber Akademie eine ganze theologiſche 
Säule in diefer Richtung gezogen, und durch eigene 
Schriften wie durch Herausgabe der proteftantifirenden 
Predigten Anderer für deren Verbreitung gewirkt hat. 
Befonders berühmt wurden fein Katechismus ?) und feine 
vergleichende Meberfiht der Controverslehren der mors 
genlánbifden und abendländifhen Kirche, und fefbf bie 
Berliner evangelifhe Kirchenzeitung nahm feinen Ans 
fand, hierin einen Abfall von der alten Orthodoxie zu 
exbliden 9. Die Quelle diefer Richtung ift bie feit ber 
weiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts bei Vielen 

1) Schmitt, aa. D. ©. 231. 

2) Derfelbe wurde im 3. 1840 von bem Brofeffor Foödor Aleran 
drowitſch Golubinsfy im ber Troitza Lara auch ins Deutfche überfegt, 


BVeteröburg bei Prag. Bol. Harthaufen, a. a. Ὁ. Br. I. ©. 83. 
3) Bel. Sämitt, a. a. D. ©. 282, 284 ἢ. 239 ff. 





44 Die ruffiſche Kirche. 


entſtandene Vorliebe für abendlaͤndiſche theologiſche und 
philofophifche, beſonders deutſche proteſtantiſche Litera⸗ 
tur. Namentlich haben Schleiermacher und Neander in 
neuer Zeit einen großen Einfluß auf die ruſſiſchen Theo⸗ 
logen geübt, während bie Werke katholiſcher 88er 
faffer, felbft Boffuet’s, Fenelon's, Stolberg's und aller 
andern Coryphaͤen Angflih vermieden, ja mit blindem 
Haffe abgemiefen werben. — Einen andern Weg fchlägt 
die fungruffijdje Partei der Geiffidfeit ein, unb man 
fann ihre Richtung ber proteftantiflrenben gegenüber bie 
patriftifde nennen. Die alten griehifhen &irdjenváter 
find für fie Hauptbefhäftigung und Hauptbildungsmittel, 
unb fie fhöpfen daraus wieder warme Liebe und Anhängs 
lidjfeit an bie alten Dogmen und Einrichtungen. Ein 
Kampf beider Richtungen fteht nothwendig bevor, wenn 
er auch nod) nicht vorhanden ift 5. 

Wie den Glauben fo haben bie Ruffen aud ihren 
Eultus von ben Grieden, namentlich von Gonftantinopel 
her erhalten. Schon das Aeußere ihrer Kirchengebäude 
zeigt dieß, namentlich jener eigenthümlich byzantiniſche 
Styl des Kuppelbaues über dem griechiſchen Kreuze ober 
Viereck; nur haben bie Ruffen bie Zahl der Kuppeln nod) 
vermehrt, fo bag fünf an einer Kirche bie Regel, aber 
auch dreizehn nicht felten find, die bann durch ihre grüne 
glänzende Dedung einen prachtvollen Anblid gewähren. 
Diefen Typus tragen die meiften ruffifchen Kirchen, na⸗ 
mentlid) die älteren, und erft feit dem vorigen Jahrhun⸗ 
dert Bat aud) der italienifhe und Jeſuitenbauſtyl in 
Rußland Verbreitung: gefunden. So if j B. bei ber 





1) Harthaufen, 8b. IL ©. 98 u. 208. 


Die ruſſiſche Kirche. 45 


Iaatsfiche und ber Kaſan'ſchen Kirche in Petersburg bie 
St. Betersficche in Rom, und bei der St. Andreaskirche in 
fit der Jeſuitenſtyl nachgeahmt, während bie fofoffale 
noch nicht vollendete Kathedrale zum Erlöfer in Moskau, vom 
Irhiteften Toon aufgeführt, fid) wieder bem altruſſiſchen 
Style nähert Y. Viele Ortſchaften haben zwei Kirchen, 
eine Altere größere für den Sommer, umb eine jüngere, 
fleinere und heizbare für ben Winter Ὁ). 

Im Innern find bie ruſſiſchen Kirchen ganz wie bie 
morgenländifchen überhaupt burd) bie Sfonoftafíó ober 
Bilderwand in zwei ungleiche Hälften getheilt, deren oͤſt⸗ 
li$e das Ganftuarium fammt dem Altare enthält, bie 
weftliche aber bem Publifum angemwiefen ift, dem nad 
allgemein orientalifcher Weife nur an beftimmten Stellen 
des Gottesdienſtes butd) Deffnung ber Bilderwand ber 
Blick auf den Altar geftattet ift. Der Altar ift von vier 
Säulen umgeben und mit einem Baldachine bebedt, nad) 
Art des alten Ciboriums, und aufer ihm findet fid) nod) 
in dem heiligen Raume (Sanctuarium) bie Brothefis, 
d. i. eine Art Nebengemady mit dem Rüftaltare = Gres 
denztifche, und das Bema, b. i. der Thron für ben 
Bifhof, wenn biefer felbft pontificirt. Nebenan find bie 
Stühle für ben aſſiſtirenden Elerus; alle Geiftlihen aber, 
welche nicht felbft zu funftioniven haben, alfo auch ber 
nicht celebrivende Biſchof, haben ihren Platz nicht im 
Sanctuarium, fondern im Schiffe der Kirche, wo an ber 





1) Harthaufen, Studien über die innern Suftánbe Rußlande, 
Hamsver 1847. 90. L ©. 51. Sehr Viele Abbildungen ruffifcher 
Kirchen giót Blafins in feinem trefflidjen Werke: „Beife im euros 
paiſchen Rußland im ben Jahten 184041. 

2) Harthaufen, a. a. Ὁ. 90. L €. 230. 303. 314. 484. 

Tel. Duartallarift. 4858. IIL. Gef. 28 


416 Die ruſſiſche Kirche. 


Süd- und Nordwand befondere Stühle für fie bereitet 
find. Ebendaſelbſt befinden fid) aud) die Stühle für bit 
kaiſerliche Familie; andere Bänke unb Betftühle dagegen 
find nicht vorhanden, und alle Anwefenden ftehen ober 
fnieen auf bem Boden, ohne allen Rangunterfhieb unter 
einander gemifdjt 1). Wiederum, wie überall im Morgen: 
fanbe, duldet aud) bie ruſſiſche Kirche feine Orgel, ba 
gegen erfreut fle fid) eines fehr erfebenben, weichen unb 
feierlichen Gefanges. Der alte ruffifhe Kirchengefang 
war härter unb burdjaué unisono, er findet fi aber mur 
nod) bei den Starowierzen ober Altgläubigen, während bie 
neue Gefangsweife erft feit Katharina II. eingeführt wurde. 
Man fete jet die alten Melodieen  mebrftimmig und 
féidte nah Rom, um bie in der Sirtiniſchen Kapelle 
üblichen alten Gefánge zu fammeln. Damit wurden nod) 
einige neue Gompofttionen, namentlich von dem ruífiden 
Gomponiften Bartniausfi verbunden unb überall Sänger: 
ſchulen errichtet. Das natürlich muſikaliſche Talent ber 
Ruſſen machte die (djnelle Durchführung ber neuen Weile 
möglich, fo daß fie in furzer Zeit felbft in bie entfegenen 
Dorffichen fam ?). 

Das Benehmen ber Ruffen bei ihrem Gottesdienſte 
ift Außerft devot, wie fie denn überhaupt im Ganzen und 
Großen ein ungemein religiöfes und glaubensfräftiges, 
ihrer Kiche febr warm ergebenes Volk find. Me 
Stände find voll Verehrung gegen das Heilige, bie hei⸗ 
ligen Orte und Bilder. Bon Iepteren gebrauchen die 


1) Hartgaufen, a. a. D. ©. 102 f. 

2) o. Harthaufen, a. o. D. fBb I. S. 4 u. 5, α. 9». TIL 
©. 107 f. Mn Icpterer telle if aud) die Abhandlung eines rufffgen 
Gelehrten, Hr. v. Nadeſchdin, über ben ruf. Kirchengefang mitgeteilt. 


Die ruſſiſche Kirche. 47 


Stufen blos die gemalten, mit ftrengec Ausſchließung ber 
Skulpturen (als heidniſch), unb halten bei- ihren Sfonen 
jenen altbyzantiniſchen, ernften, fteifen und hohlen Typus 
ff, der gar feine Gemüthöbewegung und Fein eigentliches 
Leben auébrüdt, Die Vorlagen zu diefen Bildern geben 
ihnen die angeblichen verae efligies Ehrifti und Mariens, 
namentfid) aud) bie εἰκόνες ἀχειροποιηταὶ, i. B. das Abgar- 
und das Beronifabild ). Im neueren Zeiten find zwar 
'auf) fteiere und ibeafere Darftellungen Ehrifti und ber 
Heiligen eingedrungen, befonberé in die Kirchen der Haupts 
Räbte; aber die jungeuffifche eifrige Partei unter dem 
Clerus hat fid) entſchieden dagegen und für Beibehaltung 

des alten Typus erflärt Ὁ. — Diefe heiligen Bilder füft 
der Ruffe febr häufig, wirft fid) vor ihnen auf ben Boden 
nieder, berührt dieſen mit ber Stirne, fchlägt febr oft das 
Kreuz u. dgl., und fefbft Sole, welde innerlich wenig 
Religion haben, unb von franzöfifcher Freigeifterei ange 
fedt find, entziehen fid) diefen Ceremonien nicht im Ger 
tingften 5). 

Die gottesdienftlihen Gewänder, Mef- und 
Évangelienbüd er find Außerft prachtvoll, letztere öfters 
mit goldenen Deden verziert unb mit Perlen und be^ 
feinen befezt. Gang befonders reich an folhen Koftbar- 
leiten ift die berühmte Troiga Lawra (b. i. Dreieinigs 
keitökfofter) bei Moskau, welches faft von allen Kaifern 


1) Bgl. meine Abhandlung über Ehriftusbilder im Brelburger fit» 
Senlerifon Bb. IT. ©. 522 f. 

2) 9961. Gartfaufen, a. a. D. 8. ΠΙ. ©. 101 f., wo cud 
ein intereffanter Auffag über die Bildmalerei in der ruffifchen Kirche aus 
dem ruſſiſchen Journal für Dolfsaufflärung (Ian, 1845) mitgetheilt if. 

3) Harthanfen, a. a. Ὁ. 80. L ©. 101 f. 00. III €. 84 ff. 

28" 


48 Die ruſſiſche Kirche. 


und Kaiferinnen in langer Reihe reichlich beſchenkt wurbe ^). 
Die Berwandtfhaft der ruſſiſchen Kirchenkleider mit 
ben unftigen ift unverfennbar, und fie find in allem Wes 
fentlihen nod) diefelben, wie fie ſchon in ben erften Sabre 
hunderten der griechiſchen Kirche üblid) waren. Der fun 
tionirenbe Priefter beffeibet fi juerft mit bem C tia: 
tion, das unferer Albe entfpricht, aber meift aus Seiden⸗ 
βοῇ mit Goldſtickerei befteht. Nah diefem fommt das 
Epitradelion, oder Drarium — Stola, das wie bei und 
vom Diafon nur auf einer Schulter getragen wird. 
Zufammengehalten werden Stiharion und Gpitradjelion 
durch den Gürtel, Zona, an der Hüfte aber hängt gleich 
einem Schwerbte das ben Griechen eigenthümliche Epir 
gonation, zum Zeichen des geiftlichen Kampfes. Dasfelbe 
fat bie Form einer an einer Schnur hängenden Tafche, ganz 
ähnlich ber Säbeltafche ber Hufaren. Als Oberkleid trägt 
der Presbpter das Phelonion von ber Form ber alten 
lateiniſchen Caſula, der Biſchof dagegen ben weniger aͤſthe⸗ 
tifhen Sakkos mit kurzen Aermeln, im Ganzen unferer 
Dalmatifa verwandt. Außerdem trägt der Bifchof nod 
das Omophorion oder Gdulterfleib, dem erzbifdhöf 
lien Ballium ähnlich, und die Mitra, welche weniger 
hoch als unfere Inful unb oben abgerundet ift 5). 

Die Predigt als Beftandtheil des Eultus war [ange 
Zeit im eigentlichen Rußland gaͤnzlich vernadjáfigt (wer 


1) $artbaufen, a. a. Ὁ. 385. L Θ΄. 80 ἢ. 

2) Abbilbungen eines ruffifcgen Diafons, Prieflers unb Biſchofs in 
Amtstracht finden fid) im Anhange zum Lerivion ber morgenl. Kirche von 
Dr. ἄν. v. Muralt, Leipzig 1838, nnb bei Joh. Glen fing 
bie Gebrándje und Geremonien ber griech. Kirche in Rußland. Aus bem 
Eugliſchen überfept. Siga 1773. 


Die ruffifche Kirche. 419 


niger in ber Metropole Kiew); feit einigen Menſchenaltern 
dagegen wird bei der fleigenben Bildung ber Geiftlichen 
wieder häufig geprebigt, bod) meift mur von ben hohen 
Geiftlihen und Mönden. Bei ben gewöhnlichen Popen 
dagegen wird der Vortrag felbfigefertigter Predigten nicht 
gerne geftattet, aus Furcht, fle möchten Irrthuͤmer vors 
bringen, unb fie predigen barum entweder gar nicht, ober 
tagen mur gebrudte unb approbirte Predigten unb Hos 
milien Anderer vor !). 

Die ganze Art und Weife des Gotteóbienftes, 
ale heiligen Geremonien unb ben Inhalt aller Gebete 
haben bie Ruffen von bet alten griechiſchen Kirche entlefnt, 
und bie fegtere nur in bie altflanonifche Sprache überfeht, 
welche zur Zeit ber Abfaffung der ruffifchen Kirchenbücher 
noch Volksſprache war, jet aber allen Nichgelehrten völlig 
unverſtaͤndlich ifl. Dabei wurden jebod) bie griedifchen 
und einige lateiniſchen termini technici für bie Gebete und 
Culttheile unverändert au& ber alten Kirche beibehalten. 

Den Haupttheil des ganzen Cultus bildet bie i» 
turgie, b. h. ber Gottesdienſt λειτουργία κατ᾽ ἐξοχὴν, 
worunter bie Ruffen wie bie Griechen ausſchließlich bie 
hi. Meffe verftehen. Außerdem haben fie aber aud) nod) 
die alten canoniſchen Tagzeiten: bie Matina (Matutin), 
die Prima, Tertia, Serta, 9tona unb bie Veſper, 
fammt Rahvefper oder Gompletorium. In ben 
Klöfern fommt dazu mod) das Mefonyftion ober 
Mitternachtsgebet. In den gewöhnlichen Pfarr 
lirchen werben biefe Horen nur an Conn» unb Befttagen 
in ber Kirche verrichtet, ebenfo an bem Vorabende ber 
Sft, unb biefer Vigilgottesdienſt heißt παννυχὶς, b. b. 


1) Harthaufen, a. a. D. Br. UL S 98. 99. 





4» Die efle Siri. 


nádtlidet Sch, cin Sintérud, ber fd) fion δεὶ δίκη» 
fefemaó dc sacerdotio lt D c 17 findet Die Panıy 
disjeier bricht aus Beiper, Metine umb ετβες ὥστε; unb 
wie wir unter Bigilia auch einen Theil des Geticänienfes 
für tie Torien verfichen, jo unierjgeiren aud vie Rufen 
δε’ καὶ Torien-Panuydim. Ocmélnlid) werben vie 
Batine und tie Prima jwiammen verrichtet, jewemm vic 
Tertia und Seria mit der Liturgie sder Reſſe verbunden 
wm ticier wmmittelher νοταπρεβεῖι, τε Roma und Beyer 
aber auf ten Stedpminag verkheten. ud die Eompe 
Ftien tiejer einzelnen Eulttheile aus Pielmen, Untiphonen 
aber fie fab weit ceremenicnteicher als υἱεῖς. Eine Be 
Üdreibung unt licherichung terielben gab uns King), 
we €. 51 ἢ. ron ter epa, €. 68 5. vom Gomylas 
vum ete ter Ἀάνεημεε, €. 81 E rom SRejonyhisn, 
€. 35 ἢ. ron tex Metinc, €. 110 £ von der Pıims 
geipreden ik. Die übrigen erm hat er wegen ihrer 
Achal:chleit mu ber Prima nice im Demi befchrieben; 
tagegen emıhält dicies Wert and Üebericpungen des Sinus 
bei Epextung per reritietenen Caframente, bei Susie 
mung der Wöchncriunen, Geniecration der SBijdjéje, bei 
Derrbigungen u jo i Eine fingere Gchilderung liefen 
tue „Briefe über den GleucstienR ter morgenlánbijden 
Kirdie*, απὸ tem Ruin'cen überiegt von Erw. ». Mu 
ταῖν (Lapjig 1833). 

Die πα ρεβεάϊεπ Stenzen nötbigen und in Set 
der einzelnen ruigidjem Kulafıe auj tieje Schrift zu wv 





NM Ich Glen Ling, tie διτεωνείει Ir 
Sod. fée V Was bcm Engl ἀδειίεμ. Siga 1773. 


| Die ruffidje Kirde. en 
| weiien, und wir erlauben und mur mod, eine ganz fune 
| Ueberſicht tex rujjden SR εἴ je ober Liturgie beiqufügen. 
| In älteher Zeit hatte jaſt jede Provinz des Morgen 
| μηνεδ ifr eigenes Formular für tie eucharifihe Beier, 
;  bi6 im ber zweiten φάϊιε des vierten Jahrhunderts der 
HL Bafilius b. Or. eine verbefierte Lirurgie einführte, 
welche nad) umb nad, jctod) nicht ohne Widerſpruch all- 
gemein von ben Griechen und tem übrigen Morgenländern 
angenommen wurde. Rad) rer Erzählung des Patriarchen 
Proffus von Gonjgantinopel, der hundert Jahre fpäter als 
Baflius lebte, foll Ichterer nad) einiger Zeit jein Formular 
als etwas zu lange erfannt unb barum nod) ein fürzeres 
entworfen haben, unb in ber That befigen wir unter tem 
Samen des δ. Bafilius zwei Liturgieen, eine längere unb 
tine etwas lũtzere, von denen jebod) feine ihre urfprüngs 
li$e Gefalt unverjehrt bewahrt, vielmehr jebe im Laufe 
der Zeit einzelne Beränderungen unb Zufäße erfahren hat. 
Ein Menfhenalter fpäter als Bafılius verfürzte und 
veränderte ber bL. Chryſoſtomus befjen Liturgie auf's 
Reue, um's Jahr 400 n. Ehr., unb aud fein Sormular 
lom, mande fpätere Beränderungen nod) erfeibenb, nad) 
und nad) in ber ganzen griechiſchen Kirche in allgemeinen 
Gebrauch in der SBeije, daß bie Griechen bi$ auf ben 
heutigen Tag fid) beider Liturgieen, ber des BI. Bafılius 
und Chryſoſtomus neben einander bedienen. Diefe Praxis 
fanden die Ruſſen bei ihrer Belehrung vor und nahmen 
fe in ihre Kirche mit hinuüber. Sie überjeßten ſonach 
die Liturgie des DL. Bafilius, wie die des Chryſoſtomus 
in die altjlavonifhe Sprache, unb bedienen fid) ber legs 
teren für gewöhnlich), der des hi. Baſilius aber nur an 
gewiſſen Tagen, nämlich am Feſte des Hl. Bafilius felbft, 


τ 


422 Die ruſſifche Kirche. 


am Steujabr, an den Sonntagen in ber Faflenzeit (mit 
Ausnahme des Palmfonntage), am grünen Donnerfage 
und am ben Pigilin von Weihnachten, Epiphanie und 
Dftern ). Uebrigens beficht zwiſchen biefen beiden gitur 
gieen fein τὸ ε[επττ ὦ ετ Unterſchied, indem fie ben glei 
hen Charakter und Typus an fi tragen umb mm in 
einzelnen Gebeten und Rebendingen verjdjieben find. Den 
griechiſchen Sext Diefer beiden Liturgieen finden wir bei 
Goar, Euchologion sive Rituale Graecorum (Paris 1647) 
p. 58 sqq. unb p. 158 sqq.; eine beutíde Ueberfegung 
des ruſſiſchen Tertes ber Liturgie des bL Gfryjoftomue 
aber gibt uns King, a. a. D. €. 120 ff. Diefelbe ber 
ginnt mit Gebeten , welche der Diakon unb ber Priefer 
beim Anziehen ber Kirchenfleider recititen. Rad bem 
griedjifden und ruſſiſchen Ritus foll naͤmlich bei jedem 
Gottesdienſte ein Diakon levitiren unb nur ausnahmsweiſe 
und in fehr armen Kirchen funftionirt der Presbyter ohne 
Diakon. — Beide begeben fid) bann zur Prothefis (Rüf- 
altar, Credenztiſch) und waſchen bie Hände unter Abbetung 
des Pf. 25: Lavabo eic. Der Diakon flellt jetzt ben 
Discus (b. i. bie SBatene, melde aber viel tiefer ift und 
mehr Schüffelgeftalt hat) zur Linfen, ben Kelch (gam 
ähnlich dem unfrigen) zur Rechten des SBriefteró, unb νεῖν 
richtet gemeinfam mit biejem ein Gebet. Hierauf nimmt 
der Priefter das Brod (gefäuertes in Form eines Laib⸗ 
chens) in bie infe Hand, in bie Rechte aber bie heilige 
Lanze (ein lanzenförmiges Mefferchen) macht damit dreis 
mal das Kreuz über baó dem Brode (προσφορὰ — Dir 
fate) eingebrüdte Kreuzbild, Siegel (σφραγές) genannt, 
fidt mit ber bf. Lanze in bie verfdiedenen Seiten des 


1) King, a. a. D. €. 117. Muralt, Lerivion €. 10. 





Die ruſfſſche Kirche. 423 


Hoftienbildes, unter den Worten: „zum Andenfen des 
Heren und Gottes und Heiland I. Gfr., ber wie ein 
Schaſ zum Schlachtbank geführt wurde” u. f. f. unb 
fáneibet aus dem runden SBrobe das vieredige obere Stüd 
aus ἢ. Diefes Stüd heißt Lamm, unb ift burd) ein 
Kreuz in vier Meinere Theile getheilt, von denen jeder 
einige auf Chriſtus bezügliche Buchftaben (1H C, X C, 
NI, K A, b. i. ἰησοῦς χριστὸς νικᾷ) burd) einen Model 
tingeprágt trägt. Der Priefter Iegt nun dieſes vieredige 
Ctüd zuerft umgekehrt auf den Diskus (wie ein Schaf 
umgefehrt gelegt wird), dreht es aber, nachdem er ein 
Gebet gefprodjen, wieder um und durchſticht c& auf bet 
tehten Seite mit der b. Lanze, recitienb: „ein Kriegs⸗ 
inecht öffnete mit ber Lanze feine Seite“ u. f. f. Der 
Diakon (denft Wein unb Wafler zugleih in ben Kelch 
tin, nachdem er zuvor ben Priefter um ben Gegen ges 
beten. — Der Priefter nimmt fobanm ein zweites Brod 
(tà werden immer davon 5 auf ben Rüftaltar gelegt), opfert 
(ὁ Gott zur Ehre unb zum Gedaͤchtniß ber bl. Jungfrau, 
hebt es mit ber hi. Lanze in die Höhe, ſchneidet ein dreis 
ediges Stüd, wie eine Feine Pyramide, davon ab, unb 
flt e& unter Gebet auf ben Diskus neben das 61. Lamm 
techts. Hierauf ergreift er das dritte Brod, ſchneidet bate 
aus 9 Feine Pyramiden, opfert fie Gott, Nr. 1 zu Ehren 
des Johannes Baptifta, Nr. 2 der Propheten des A. T., 
Rr.3 der Apoflel, Nr. 4 der Kirhenväter Bafilius, Gregor 
von Razianz, Chryfoftomus, Athanafius, Eyrill ıc., Nr. 5 
des hl. Stephanus und der übrigen Martyrer, Nr. 6 der 
V. Mönche und Nonnen, Rr. 7 des bf. Cosmas unb $a» 





1) Das Uebrige wird zu Eulogien verwendet. Vgl. Goar, Eu- 
cholog. p. 155 a. 


424 Die ruſſtſche Kirche, 


mian 2c. 26, Nr. 8 Anna's, Soadimé und des Heiligen, 
beffen Gedaͤchtnißtag eben gefeiert wird, Nr. 9 des 5. Chry⸗ 
foftomus oder Bafilius, beffen Liturgie eben gehalten wird, 
unb ftelt alle diefe 9 Stüde wie Feine Pyramiden auf 
ben Disfus in einiger Entfernung von bem Lamme in 
drei Reihen auf. — In ähnlicher Weife ſchneidet er aus 
bem vierten Brode eine Anzahl Stüde aus, unb opfat 
das erfte unter Fürbitte für alle vechtgläubigen Biſchoöͤfe, 
bie hl. gefebgebenbe Synode, ben Diöcefanbifchof, bie Prie⸗ 
fter, Mönche unb ben gefammten Clerus; das zweite unb 
dritte für ben Kaifer und feine Familie, unb bie folgenden 
Stüde für alle jene Lebenden, deren er befonders in der 
Meſſe gedenken will Für jeden Einzelnen ber Genannten 
wird ein befonbere& Stüddhen auf den Diskus geftellt. 
Ebenſo geſchieht e& bei bem fünften SBrobe, deſſen einzelne 
€tüdden unter Fürbitten für bie Verſtorbenen, befonders 
für den Bifhof, ber ben Priefter orbinirt hat, und fir 
den Stifter der betreffenden Kirche geopfert und aufgeftelt 
werden. Darauf folgt Räucherung und Gebet. Der Dies 
fon ruft: „lafiet und beten“ und ber Priefter ftellt den 
Afterisfus (ein Meines flernförmiges metallenes Gefell) 
über das δ. Brod, damit bie drei Tuͤcher (das größte 
davon heißt Asr — Luft), womit Brod unb eld) zuge 
bedt werden, das erftere nicht unmittelbar berühren. Auch 
dieß gefchieht unter fortwährenden Räucherungen (der 
Deden und des Credenztifhes) und Gebeten. Darauf 
verrihtet der Priefter das Opferungsgebet, ruft den gött 
liden Segen auf die Opfergaben herab und bie vorbe⸗ 
reitende Handlung, bie an bem Credengtiſche ftatt hatte, 
wird unter Gebet und Raäucherungen beſchloſſen. Rad 
mehreren Gefängen öffnen fid die Thüren des Θέοποβαβόν 


Die sufflfche Kirche, 435 


und Priefter und Diakon gehen in Progeffton, von Kerzens 
trügern begleitet, mit bem Goangelienbudje burd) bie nördliche 
Thüre der Ilonoſtaſis (auf ber Evangelienfeite) aus dem Press 
byterium heraus in das Schiff, und machen hier mit der Bro» 
irífton einen Halbfreis, bis fie vor bie Fönigliche oder Mittel» 
thüre ber ϑίοποβαβδ zu fteben fommen. Das Evangeliens 
bud) wird jegt von bem vornehmften antvefenben Geiſtlichen 
ber feinen Gig auf ber Epiftelfeite des Schiffes hat), 
oder in beffen Abmangelung vom Priefter felbft eingefegnet. 
Priefter und Diakon fefren durch bie große Thüre in's 
Merheiligfte zuruͤk, und der Diakon legt ba& Buch auf 
den Altar. Neue Gebete und Gefänge folgen, bann ver⸗ 
liest der Lektor bie Leftion, unb der Diafon, vom Priefter 
zuvor eingefegnet, dad Evangelium. Er ift zu biejcm 
Iwede von Wachskerzen begleitet aus der Mittelthüre 
heraus» unb auf ben Ambo getreten. Der Priefter bleibt 
während ber Verlefung des Evangeliums am Altare ftehen, 
wendet fid) nad) Weften und ruft: „Weisheit (wird vers 
leſen), ftebet auf; laffet ung hören das Evangelium. Friede 
fei mit euch allen.“ Der Chor antwortet: „und mit Deis 
nem Geifte." Dann ruft der Diakon: „die Lefung aus 
dem Bí. Evangeliften N. N.“, und der Chor: „Ehre fei 
dir o Herr!“ Nach beendigter Leſung fpridt ter Priefter: 
„Friede fei mit dir, ber bu das Evangelium gezeiget haft.“ 
Die Mitteltyüre wird wieder gefdoloffen, der Priefter (im 
Presbyterium), der Diakon auf bem Ambo und ber Gfor 
verrichten Titaneiartige Gebete für ben Monarchen, für 
die SBerftorbenen und die Katechumenen. Diefelben find 
uit Gospodi oder Hospodi (εὖ ift ein Mittelton zwi— 
ſchen g und h) pomilui unterbrochen, wie denn überhaupt 
diefer Ruf, „Here erbarme Dich unfer", im ruſſiſchen 


426 Die ruſſiſche Kirche. 


Culte ſich unendlich oft wiederholt. Der Prieſter deckt 
darauf einen Teppich uͤber den h. Altar, und betet fuͤr 
die Lebendigen unb für ſich ſelbſt um Reinigung, damit er 
das heil. Opfer würdig vollziehen fónne. Der Diakon ift 
unterbefien burd) bie nördliche Thuͤre wieder in'8 Heilige 
thum getreten, und nachdem bie große Thüre wieder geöffnet, 
incenfirt er unter Abbetung des Pfalm miserere und ans 
derer Bußgefänge ben Altar und Priefter und bie Oblaten 
auf bem Grevenztifhe. Der Priefter legt den Diskus 
fammt ben bf. Broden auf das Haupt des Diafon, ber 
ein 9taudjfaf in feiner Hand trägt, den feld) aber nimmt 
et felbft und beide vollziehen nun, bie hl. Gefäße tragenb, 
bie f. g. große Prozeſſion unter litaneiartigen Gebeten 
für ben Kaifer, für die Mitglieder feiner Familie (bie 
namentlich) aufgeführt werben), für bie hl. Synode unb 
bie gefammte Chriftenheit, bis fte wieder burd) bie Haupts 
thüre in'& &anftuarium zurüdgefehrt find. Unter weiteren 
Gebeten ftellen fie Diefus unb feld auf den Altar, und 
der Priefter bebedt fie wieder mit ber Aör, alles ine 
eenfirend. Die Mittelthüre wird wieder verfchloffen. 
Spriefter und Diakon beten für einander, letzterer füft bie 
Hand des erfteren, gehet wieder durch bie nörbliche Thüre 
in das Schiff der Kirche hinaus, ficit fid) an feinen ger 
woͤhnlichen Pla und betet und fingt abwechſelnd mit bem 
Ehore. Der Priefter füffet den Diskus, ben feld) und 
Altar, gibt, wenn andere Geiftlihe ihm afftftiren, dieſen 
ben Friedenslkuß, hält bie Asr über bie DL. Gaben, recitirt 
das nicänifhe Symbolum, und fingt darauf bie Präfation, 
welche der unfrigen ähnlich ift, mit den Verfifeln sursum corda 
und gratias agamus Domino Deo nostro eingeleitet wird 
und mit dem Trisagion endigt. linterbeffen ift der Dia⸗ 








Die ruſſiſche Kirche. 427 


Ion in das Heiligthum hineingetreten, er nimmt jegt ben 
Aerisfus von ben bl. Gaben hinweg, unb ſchwingt über 
lehtere den hl. Fächer, um liegen ıc. davon abzuhalten. 
Darauf folgt bie Gonfecration mit ben Worten: „in der 
Nacht, da er überliefert wurde zc., nahm er das S8rob in 
feine heiligen, veinen und unbefledten Hände, dankte, brad) 
t$ und gab εὖ feinen Jüngern unb Mpofteln, fpredend: 
nehmet, efjet, das ift mein Leib, ber für eud) gebroden 
wird zur Vergebung der Sünden." Bei bem Kelche ſpricht 
der Prieſter: „dieß ift mein Blut, des neuen Teftaments, 
das für euch und für Viele vergoffen wird zur Vergebung 
der Sünden.“ Auch das unmittelbar auf die Wandlung 
folgende Gebet hat mit unferem Unde et memores etc. 
die größte Aehnlichkeit und lautet: „zum Gebächtniffe ba» 
Wr dieſes Gebotes unſeres Heilandes, feines Kreuzes, 
feines Begräbniffes, feiner Auferftehung am dritten Tage, 
feiner Himmelfahrt“ 1c. 2. Eigenthuͤmlich griechiſch ift, 
daß der Priefter noch nad) ber Gonfefration um Herabs 
fendung des hl. Geiftes bittet und ausruft: „mache bie 
Brod zum tfeuren Leib deines Chriſtus, und das, was 
im Becher ift, zum theuren Blute deines Chriſtus; vers 
wandle fie (bie bí. Gaben) burd) deinen hl. Geift, damit 
fie gereiden mögen denen, bie daran Theil nehmen, zur 
Vergebung der Sünden“ ıc. ıc. Hiernach fónnte e8 [deis 
nen, als ob nad) ruffifcher, überhaupt griechifcher Anficht 
die Wandlung erft jet. eintrete; aber [djon Chryfoftomus 
fagt in feiner Rede de proditione Judae, baf bie Worte 
hoc est corpus etc. bie Elemente umwandeln. In Uebers 
einfiimmung hiemit erflärten bie Griechen auf der Unions- 
ipmode zu Florenz: quoniam sb omnibus sanctis doctori- 
bus ecclesiae, praesertim ab illo beatissimo Joanne Chry- 


428 Die ruſſtſche Kirche, 


sostomo, qui nobis notissimus est, audivimus, verba Do- 
minica esse illa, quae mutant et transsubstantiant panem 
et vinum in corpus verum Christi et sanguinem; et quod 
illa verba divina salvatoris omnem virtutem transsubstan- 
tiationis habent!). Daß fie aber nod) nad) ber Conſe⸗ 
fration ben hl. Geift zur Umwandlung herabrufen, damit, 
erklaͤrten fle, {εἰ nichts anderes gemeint, „als daß der Hl. 
Gift auf uns herabfommen, unb in uns das Brod zum 
Tofibaren Leibe Chriſti madjen und ummandeln möge, dar 
mit e& den Gommunicirenben zur Reinigung der Seele 
gereiche. In ähnlicher Weife hätten ja aud) bie Rateiner 
nod nah ber Wandlung das Gebet: jube haec perferri 
per manus sencti angeli tui“ etc. ?). 

Nach ber Wandlung folgt bie Verlefung ber Dipty 
Gen (ber Sobten und Lebenden) und εὖ werben hier Maria, 
Johannes Baptifta, bie Apoftel 2c. 1€. genannt, nicht ale 
ob man bei Gott Fürbitte aud) für fle einlege, fonbern 
„damit Gott burd) ihr Gebet auf uns herabſehe.“ Daran 
ſchließen fid) Fuͤrbitten für jene Todten, die unferes Gebetes 
nod) bebürfen, foie für bie nod) Lebenden, namentlich ben 
Kaifer und alle einzelnen Glieder der Faiferlihen &amilie, 
für bie hl. Synode, bie betreffende Stadt, für bie Reifen 
ben unb alle Menſchen. Nach einigen weiteren Gebeten 
folgt das Pater noster, und bann bie Elevation des Β΄. 


1) Mansi, Collect. Concil. T. XXXL p. 1045 aq. gl. meine 
Stbfblg. fiber ble Union ber griedj. Kirche In der Duartalfcht. 1847. €. 256. 
Harthaufen berichtet in feinen Studien über Rußland iB. L ©. 364, 
daß gerade die Starowierzen ober Altgläubigen in Rußland in Serbie 
dung mit ber theologiſchen Schule von Kiew ganz entfchieden behaupten, 
die Wandlung trete (don mit Ausfprejung der Eonfekrationsformel ein. 
Das Gegentheil wolle die Schule von Mosfau behaupten. 

2) Bel. Quartalſchr. a. o. Ὁ. ©. 246. 





Die ruſſiſche Kirch⸗. 420 


Brodes, wobei ber Diakon ruft: „das Heilige den Oeil» 
gen." Während eines Communionliedes bricht der Priefter 
unter Gebet das hl. Brod in bie vier mit befondern Buchs 
ftaben (f. o. ©. 423) bezeichneten Stüde, legt das Stüdchen 
IHO in ben feld, bricht das zweite mit X C für fid) und 
ben Diakon, das dritte unb vierte aber für das 9Boff (in 
viele Theilden). Die anderen Stüdchen, bie zu Ehren ber 
B. Jungfrau sc. 20. geopfert worden waren, werden nicht zur 
Gommunion gebraucht. Sodann wird ber feld) für bie 
Gommunifanten zurechtgerichtet, indem in benfelben heißes 
SiBaffer (Symbol ber Wärme des Glaubens) aufgeídüttet 
wird, bis ein für bie Zahl ber Gommunifanten hinreichen⸗ 
des Quantum vorhanden ift. Sept beginnt bie wirkliche 
Eommunion. Zuerft reicht der Priefter dem Diakon das 
hl. Brod, bann erft empfängt er εὖ ſelbſt. Aus bem HI. 
Kelche dagegen trinkt er ſelbſt zuerſt dreimal und reicht 
ihn dann bem Diafon. Darauf werden die Thüren zum 
Sanftuarium wieder geöffnet, und bie Gommunifanten 
treten, die Hände freuzweis auf bie Bruft legend, an die 
Hauptthüre heran. Jeder wird mit feinem Namen aufs 
gerufen unb empfängt nun bie beiden Geflalten auf ein» 
mal, indem das ff. Brod in ben hl. Wein getaucht unb 
fo dem Einzelnen mittelft eines Löffelhens gereicht wird. 
Nach vollzogener Gommunion tragen Priefter und Diafon 
den Disfus und Kelch wieder auf ben Grebengtifd, flellen 
fid) dann beim Ambo auf und fprehen Danffagungsgebete, 
ber Priefter (bei den Giriedyen ber Diakon) entläßt dann 
das Volk mit bem Rufe: procedamus in pace (ἐν εἰρήνῃ 
προέλϑωμεν) und mit bem Segen. — Spriefter und Diafon 
fehren in die Prothefls zurüd unb ber Diakon ift hier 
das, was von ben hl. Sachen noch übrig ijt, der Priefter 


430 Die ruſſiſche Kirche, 


aber tritt wieder zum Volke heraus und reicht unter Ger 
bet und Gejüngen denen, welche nicht communieirt haben, 
die Eulogien (τὸ αντίδωρον). Zum Schluß werben bie 
geiftlihen Gewänder wieder unter Gebeten abgelegt unb 
die Hände gewafchen. 

In der Saftenjeit hat nur am Samftag und Sonn 
tag eine ganze Liturgie, am Montag, Dienftag und Don- 
nerftage gar feine, am Mittwoch und Preitage aber eine 
Liturgia praesanctificatorum (τῶν προηγιασμένων) flat, 
ähnlih wie bei und am Eharfreitage. Diefelbe befteht 
hauptfählih aus ben Horen fammt SBefper, welde an 
biefen Tagen länger find. Gegen Ende des SBefpergefange 
nimmt ber Priefter nad) vorauégegangener Räucherung 
aus bem Eiborium, das auf bem Altare ftebt, das am 
Sonntage zuvor confefrirte, bereit6 in das hl. Blut ger 
tauchte Brod heraus, [egt es auf den Diskus, incenfirt 
es, gießt 9Baffer und Wein in ben fed) (jebod) ohne 
ale Eonfecration); verſchiedene Gebete und Geremonien 
folgen, ájnlid) wie bei ber ganzen Liturgie, aud) bie Ele 
vation hat Statt, und am Schluffe communiciren Priefter, 
Diafon und Bolf in ber nàmliden Weife, wie bei ber 
vollfändigen Meſſe 5. 

Diefer ausgedehnte, ceremonienteidje Eult forbert eint 
zahlreiche Geiftlichfeit. Diefelbe ſcheidet fid) in Kloſter. 
und Weltclerus, ober ſchwarze und weiße Geiftlichfeit. 
Aus erfterer, welche bie gebilbetere und höher verehrte if, 
werden alle Bifhöfe und die fonfigen hohen Geiſtlichen 
gewählt, und ihnen ift bie Ehe verboten, während bie | 
Weltgeiftlichkeit, bie Priefter unb alle anderen Gleiftt | 


ur | 
1) Bel. Goar, Eucholog. p. 190 seqq. SRuralt, Briefe x. 
€. 48 f. fing, a: a. D. ©. 169 f. 


Die ruſſiſche Kirche. 431 


fid einmal verehelichen fónnen, vor Empfang der Diafo- 
natsweihe. Da faft ausſchließlich bie Söhne von Popen 
wieder Bopen werben, und es für unanftünbig gälte, wenn 
ein SBopenfobn eine andere als eine Popentochter heira- 
then würbe, fo bildet bie Weltgeiftlichkeit in Rußland einen 
fa faftenartig gefehloffenen Stand. In die Klöfter das 
gegen fannS ebermann aus jedem Stande eintreten, nur 
Tann der eibeigene dabei nicht Pater, fondern nur Laienbruder 
werden. Faſt alle Klöfter ber ruffiihen Kirche gehören 
dem Drden des f. Bafilius an, und man zählt im Ganzen 
462 Manns» unb 118 Nonnenflöfter, mit ungefähr 9000 
Mönchen (Patres und Fratres) und 2250 Nonnen, denen 
wieder 5000 dienende Schweftern zur Geite ftehen. Ale 
öfter haben ihre Befigungen feit Catharina II. verloren, 
und werben jet theild durch Stantsbeiträge, theild burd) 
milde Gaben erhalten. Mit vielen find zugleih aud) 
Schulen und Afademien verbunden !). 

Der hierarchiſchen Eintheilung nad) zerfällt Rußland 
in 52 Bisthümer oder Eparchien mit einem Perfonale von 
ungefähr 120,000 Glerifern ?). An jeder bifhöflichen 
fite findet fld) aufer bem Biſchofe ein Protopope, zwei 
Schagmeifter, fünf Popen, ein Protodiaconus, vier Diar 
Ionen, zwei Leftoren, zwei Oftiarier und 33 Sänger; 
andere bedeutende Kirchen haben einen Protopopen, zwei 
Bopen, zwei Diafone, zwei Sänger umb zwei Oftiarier, 
und Pfarreien, die nur aus zwei bis breihundert Häufern 
beftehen, follen mehrere Priefter und Diakone xc. 1c. haben ®). 
Ale diefe Geiftlihe find feit der großen Gecularifation 

1) Saxthaufen, a. a. D. b. IL €. 93 f. 

2) HSarthaufen, a. a. D. b. IL ©. 92 f. 

3) € $mitt, a. α. Ὁ. ©. 168 f. 

Speol, Duartalſqhrift. 1858. III. Gef. 29 





432 Die ruſſſſche Kirche. 


unter Katharina IL nur auf ſtaatliche Beſoldungen ange 
wiefen und biefe für bie meiften fehr Färglich berechnet, 
Aber trot diefer Dürftigfeit und trog ber nod) viel (diim: 
mern Unfelbftftändigfeit des Gleru& bem Staate gegenüber 
ftebt der geiftliche Stand in Rußland nod) immer in ausr 
gezeichneter Verehrung ἢ. Das Bewußtfein, daß fie „Or 
falbte Gottes“ und daß bie bL. Ordination feine bloße 
Eeremonie jei, ift fefbftoerftünblid) bie Urfache biefer für 
ben Beftand einer Kirche nöthigen Erſcheinung; unb bie 
ruſſiſche insbefondere müßte es mit ihrem eigenen Sob 
büßen, wenn fie fij von bem einfchleichenden SBroteftantits 
mus ben Glauben an das heilige Saframent be 
Priefterweihe je rauben faffen würde, 


1) Bol. Harthaufen, a. a. D. Bb. I. €. 86 fagt hieräbe: 
„Dan Hört felbft in Rußland Häufig die Vehauptung, der gemeine Rufe 
Habe nicht die mindefte Liebe und Achtung vor feiner Geiftlichkeit, m 
Habe fogar den Mberglauben, wenn er am Morgen früh quer einm 
Bopen begegne, fo bringe ihm das Unglüd, er fpei banm bei folder 
Gelegenheit aus. Auf der andern Seite fict man fiete, wenn ein Rufe 
einem Popen begegnet, daß et ijm bemáüifig die Hand Hát. Man wil 
daraus fchließen, daß er ben Popen mur als Träger und Spender ber 
Sakramente äußerlich ere, aber innerlich verachte ober gar affe. Das 
dft eine der halben Wahrheiten, die flets zu falfchen Schlüfen führen. 
Der Ruffe fat die größte veligiöfe Ehrfurcht vor bem Amt umb ber 
Weihe des Geiſtlichen. If nun ber Geiftliche zugleich eim würbiger 
Mann 1c. ıc., fo wird er mit unbegrenzter Liebe und Ehrfurcht behan⸗ 
beit :.. Aber ausgezeichnete Geiftliche find allerdings auf bem Lande 
felten. Die Mehrzahl der älteren Popen iſt àuferft τοῦ, ofne alle Bil 
bung, umeiffend, nur auf ihren Bortheil bedacht .... Daß folge Sepe 
perfönlich nicht geliebt, gelobt unb geachtet werben, daß man nur ihre 
Würde und Prieſterweihe in ihnen ehrt, (ft durchaus natürlich. Seit 15 
Jahren Hat fid) das abet ſchon mächtig geändert, bie jüngere Geiflicteit 
fat mehr Bildung, mehr Streben und mehr Gifer in ihrem Ante.“ 


Hefele 


2. 


Der vorgebliche Pelagianismus ber vorauguftinifchen 
Väter, 


Ein Beitrag zur Dogmengefgihte 


Hatten die älteren Väter, namentlich ber griedhifchen 
Kiche, die menſchliche Willensfreiheit mit großem Nach» 
drud vertheibigt, und ihr Verhaͤltniß zur göttlichen Gna⸗ 
denthätigfeit faft ausfchließlich vom empirifchen unb ethiſch⸗ 
praktiſchen Standpunfte dahin beftimmt, daß ber Menſch 
anfange und Gott feinem guten Willen zu Hülfe fomme, 
laf ber Menſch nad) beften Kräften ringen unb fireben 
fole, damit ihm Gottes Gnade das Wachsthum und bie 
Vollendung im Guten verleihe 1: Gor. 3, 6. 7. Röm. 7, 
18.; fo glaubte man in ihnen Vorläufer des Pelagius 
und Gegner des DI. Auguftin zu erfennen, wie man in 
ähnlicher Weife bie Trinitaͤtslehre der vornicänifchen Väter 
mit dem Arianismus zufammen- und ber nicänifchen Lehre 
entgegengeftellt hat. 

Daß bie alten Häreflarchen felbft fld) auf bie ältern 
Lehrer und Väter als ihre Vorgänger beriefen, ift erflär- 
lij. Abgeſehen von dem natürlichen Verlangen, gegen 
ihre lirchlichen Gegner bei anerfannten und verehrten Nas 
men Schup zu finden, war nad) ihrer eigenen innerften 

29* 


434 Der vorgebliche Pelagtanismus 


Meberzeugung jede Lehre verwerflich, bie mit bem Merkmal 
der Neuheit auftrat und in dem Glauben der früheren 
Zeit feine Stüge fand. Die Berufung auf bie hl. Schrift 
allein galt damals noch feinerfeité für ausreichend zur 
Herftellung des Beweiſes der Chriſtlichkeit einer Lehre; 
und wenn man aud) nicht der Εἰτ ὦ Τἰ ὦ ἐπ Meberlieferung 
vertraute, wie die Gnoftifer 1), fo glaubte man den Aus: 
fall durch Aufftellung einer eigenen, geheimen Weberliefer 
rung beden zu müffen. Auch bie Betrachtung ber bog: 
mengefdichtlichen Gntmidfung, womit fid) ber moberne 
Rationalismus trägt, das hiftorifche, bewegliche unb ver- 
änderliche Moment nicht allein in der Lehrweife, fonbern 
in ber Lehre felber zu fuchen, war der alten Kirche und 
ſelbſt ben Häretifern ganz fremd. Nur darin unterfdjieben 
fid) diefe von ben firdjlidjen Lehrern, daß fie ihrer Lehre 
die Stellung zu bem Glauben und ber Lehre der früheren 

- Väter vinbicirten , welche nad) ber llebergeugung jener 
vielmehr bem gegen bie Irrlehre firittem Dogma allein 
in Wahrheit gufommt. 

Die alten kirchlichen Gegner ber Härefle fuchten zwar 
gerne deren Spuren in ber hriftlichen Vorzeit auf, mit 
befonderem Eifer namentlich ber bl. Hieronymus hin 
fidtlid) des Pelagianismus; aber fle zeihen immer nur 
einzelne Lehrer und ſolche Männer, deren kirchliche 
Drthoborie theils verdächtig — theils geradezu befritten 
war, ber Ausfireuung des Samens, ben bie fpätere, offen 
hervortretende Φάτεβε jur Reife gebracht und finden 
bie Härefle fomit lebiglid) auf ihrem eigenen Gebiete 
heimiſch, auf dem kirchlichen aber nur als ſporadiſche 


1) Tertullian. de pracsc. c. 25.  Iremae. adv. haeres. I, 25. 3. 


der vorauguſtiniſchen Väter. 435 


und vorübergehende Erſcheinung. Die proteftantifchen 
Dogmenhiftoriter der frühern Zeit verfahren nod) ganz in 
bier Weiſe; erft die neuere, buch Semler unter ben 
proteftantifchen Theologen allgemein 1) verbreitete Auffaſſung 
des dogmengeſchichtlichen Prozeſſes hob ben Gegenfag amis 
ſchen ortboborer und heterodorer Lehrentwidlung völlig 
auf; und indem fie bie häretifchen Sondermeinungen bem 
firhlichen Glauben und beffen dogmatiſchen Beftimmungen 
ebenbürtig zur Seite ftellt (mas nidt ohne egoiftifchen 
Beigeſchmad ift), läßt fie begreiflich aud) feinen Unterſchied 
gelten hinſichtlich ber Rechtmäßigkeit des 9Infprudjó, ben 
beide Theile auf Mrfprünglichkeit und traditionelle Beglaus 
bigung machen. Es ift nach diefer Auffaffung bie Ger 
ſchichte des Dogmas ganz ebenfo zu beurtheilen, wie 3. 3B. 
die Geſchichte der Philofophie, die, wie (aut aud) bie τε 
heber ber einzelnen Syfteme εὕρηκα vufen, bod) nur pate 
tielle und einfeitige 9teflere ber Wahrheit aufzumeifen hat. 
Bie bem Nationalismus ſchon bie diftlidje Wahrheit an 
fij, die Offenbarung, nichts Abfolutes, fonbern wie jedes 
enbliche Geiftesproduft ber SBerbefferung fähig unb ber 
dürftig ift, fo amerfennt er aud) in ber Art und 9Beife 
wie diefer Inhalt bem kirchlichen Geifte fid) präfentirt, in 
dem kirchlichen Bewußtfein und feiner Entwidlung nicht 
die Stetigfeit und Unveränderlichfeit, welded bie Merks 
male feiner unverrüdten Uebereinfiimmung mit ber ur⸗ 
fprünglidjen Wahrheit find. Bon folhen Anfihten aus 
füllt es freilich nicht ſchwer, Dogmengeſchichte zu ſchreiben; 
daher auch bie Reihhaltigkeit der rationaliſtiſchen Literatur 


4) Mit cüjmlidjen Musnafmen, wie wir eine foldje 3. B. in der 
Ronographie des Origenes von Thomafius (Nürnberg 1837) gerne 
aueilennen. 


458 Der sonare Pelegienitunt 
im bieiem Fweige. Erideinungen jammein, mat fie cimcm 
vorantgejaften akfrafirn €vieme anpajicn, ih ungleich 
leiter, ald ven Gruxb ber Wahrheit erjerichen umb δε 
Giejcie, welche tie Gridcimungen erklären, aufinden. 
Bi mam, um nun fperich auf unjern Gegenfan 
su fommen, bic verauguiiniiden Bäter geredjt beurteilen, 
je tarj man mit bei bem Wertlamte ihrer Darfellungen 
fichen bleiben, und fc kon Darauf hin des Pelagianisuns 
xihen. Offenbar madıt c6 einen wefentlichen Unterfähiee, οὐ 
ἰώ tem Cap: ber SRenid) jel das Gute, weil er εὖ fann, 
ober ten: ber Sienid) fann tes Gute, weil er e$ fol, auch, 
olwobl beitcmal chen bie ftıliche Freiheit als Bermögen des 
Guten behauptet wirt. Es ij enses anderes, vie fttfide 
Freiheit im Gegeniape des gueftichen Sualtóumé oder te$ 
heit nijchen Fatalisaus, erwas anbere$, ic im Gcgenjah gegen 
den Pelagianismus, gegen εἰς Retkiwendigfet ter Gnade 
zu behaupten. Wan tarf weiter tie Schwierigleit nic 
überichen, tie im der Cade iclbit liegt, das Zufammcr 
wirfen von Freihen unt Gmate im Heilswerfe auf au 
yräciie, nad) allen Eeiten ten möglichen Irrthhum abſchnei⸗ 
vente Weile zu beitimmen. emer t εὖ eine allgemeine, 
ebenie natũtliche als leicht erflärlhe Ericgeimung, bof jo 
lange ein vie Wahrheit gefährtender Srrtfum nicht auſ⸗ 
getandı iR und zur SBerüót im Austruf des allgemein 
Slaubensinhalis mótbigt, ticicr in umbeiangener und forg 
Iojer Weije ausgeiprechen wirt ἢ): ba greift man imma 
zu terjenigen Borfiellung ter Sache, weldje dem gemein 
Cum un Berkäntnis am πἀώβεν Περί. Gublij und 
7 ἢ) Aeguatin. conis. Jekum. I, 2: Disputes im cathelic ec 
diesia mea se alher imtelbgi acburabembur; ial quacstisme — 





der vorauguſtiniſchen Väter, 491 


hauptfächlich darf nicht überfehen werden, daß das Bers 
haͤltniß von Sreiheit und Gnade nad) zwei Seiten ber 
Bahrheit gemäß dargeftellt werden Fann, nad) ber em» 
piriſchen ober ethifchspraftifchen unb nad) der fpefulativen 
oder religiös-theologifhen, und daß εὖ nad) jener Geite 
dargeftellt werben muß, wo es fid) um bie SBertbeibigung 
der Wahrheit gegen den freiheitsläugnerifchen Dualismus 
und Fatalismus, nad) biefer Seite aber, wo es fid) um 
ijre Vertheidigung gegen den gnabenfeinblidjen Pelagias 
nismus fanbelt. 

Bas wir hier ausfprehhen in Abfiht auf bie richtige 
Beurtheilung der ältern Kirchenlehre, ift nicht eine erft 
von und angeftellte Erwägung; wir finden die Hauptger 
danfen [dom von Auguftin hervorgehoben. Die Pelas 
gianer beriefen fid) zum Schuß ihrer Lehre gegen ben 
Borwurf der Härefie auf die frühern Väter 1), befonders 
die ber griechiſchen Kirche. Auguftin entgegnet, es {εἰ 
dieß ohne Grund; denn der riftlihe Glaube fei Einer 
und die Vorfteher der orientalifhen Kirche bekennen feinen 
andern ?). Wie eifrig aud), will er fagen, bie Griechen . 
bie Vertheidigung der menſchlichen Willensfreiheit gegen 
ihre Laͤugner führen, und wie auffallend fte hiebei mit ben 
Pelagianern übereinftimmen, die Gnade, die Nothwendig⸗ 
frt der göttlichen Unterftügung für ben Menſchen Täugnen 
fie nicht, weil beides das chriſtliche Glaubensbekenntniß 

1) Sogar auf Ambrofins (Augustin, de grat. Christi c. 47. 
1.52) und auf Nuguftin felber (Augustin, de nat. et grat. c. 61. 
2.71. c. 63—67. Retract, I, 9). 

2) Non est ergo, cur provoces ad Orientis Antistites, quia et 
i uique Christiani sunt et utriusque partis (terrarum) fides ista 


waa est, quia et fides ista christiona est, cont. Julian. lib. I. c. 4. 
8, 14. cf. lib. IL c. ult. 





438 Der vorgebliche Pelaglaniemus 


fordert ), das aud) das ihrige war. Die verfdjfungenen 
und bunfeln Gänge des BVerhältniffes von Freiheit und 
Gnade kommen freilich, bemerkt er weiter?), den Pelagianern 
{εὖτ zu ftatten, wenn fie bie frühern Väter für ſich an- 
führen; denn biefeó Verhältniß fei fo geartet, baf mit ber 
Vertheidigung ber Freiheit bie (Stotfroenbigfeit ber) Gnade 
aufgehoben zu werben fdeine, unb umgefebrt. Bezüglich 
der Prädeftination insbefondere, welche von ihm als eine 
unbedingte gelehrt, von ben frühern Vätern aber einftims 
mig auf das Vorherwiſſen des menſchlichen Verhaltens 
begründet wird, macht Auguftin darauf aufmerkſam, bof 
biefe Stage früher mur furz und vorübergehend behandelt 
worben fei, und fo habe behandelt werben fónnen, weil 
fle nicht controberé gewefen, daß aber die frühern Väter ohne 
Zweifel forgfältiger und genauer fle gelöst hätten, wenn 
fle, wie er jegt, veranlaßt geweſen wären, den Pelagianern 
zu antworten 5). Cie waren aber gerade in bem ent 
gegengefebten Halle; fie hatten den chriftlihen Glauben 

1) Ep. 215. n. 4. 

2) De grat. Christi c. 47: Sed quia ista quaestio, ubi de arbi- 
trio voluntatis et Dei gratia disputatur, ita est ad discernendum dif- 
ficilis, ut quando defenditur liberum arbitrium , negari Dei gratia 
videatur; quando autem asseritur Dei gratia, liberum arbitrium pu- 
tetur auferri: potest Pelagius ita se latebris obscuritatis hujus invol- 
vere, ut etiam iis, quae a sancto Ambrosio conscripta posuimus, 
consentire se dicat etc. 

3) De praedest. SS. c. 14. n. 27: Quid opus est, ut eorum 
scrutemur opuscula, qui priusquam ista haeresis (pelag.) oriretur, 
non babuerunt necessitatem in bac diffcili ad solvendum quaestione 
(de praedest.) versari? Quod procol dubio facerent, si respondere 
talibus cogerentur. "Unde factum est, ut de gratia Dei quid senti- 
rent, breviter quibusdam scriptorum suorum locis et transeunter 


attingerent, immorarentur vero in eis, quae adversus inimicos Ec- 
clesiae disputabant, 


der vorauguftinifchen Väter. 439 


gegen folde zu vertheidigen, bie keineswegs die Gnabe 
Gottes Täugneten, fondern etwas ihr Analoges lehrten, 
nämlih daß der Menſch vor und unabhängig von feinem 
eigenen Freiheitsgebrauch burd) feine Natur boͤs fei, oter 
bof er einem Verhängniß unterliege, unter welchem fein 
αὐτεξούσιον auffomme. Sie hatten alfo vor allem dieſes 
qu retten, und fo fonnte es bei bem Gegenfage, in welchem 
Gnade und Freiheit fliehen, ben Anfchein gewinnen, als 
vertheidigten fte die Freiheit ausſchließlich, als für fid) all« 
ein zureichend um das verlorne Heil wieder zu gewinnen, 
fomit gegen die Gnabe Gottes. Es [εἰ eine ganz andere 
Frage (welche die frühern Väter und ihn fefbft in feinen 
Schriften gegen die Manichder, worauf fid) Pelagius ber 
tief, befdjüftigt habe), woher das Böfe fomme (ob von 
tatur oder aus bem freien Willen des Menfchen), und 
eine andere Frage, wie zu bem verlornen Gute (zum Heil) 
wieder zu gelangen fei. Dort müffe man ben freien Willen 
geltend machen, der ja in ber That fündige oder das Gute 
thue — obwohl es zu leßterem nicht fomme, bevor ber 
"Hie aus ben Umftridungen der Sünde befreit {εἰ — 
bier Dagegen bie Gnade, die aber felbft aud) nur durch 
den freien Willen wirfe 1). 

Es ift jedoch nicht fo fafl die Verſchiedenheit des 


1) Retract. I, 9. 2 u. 3: Aliud est enim quaerere, unde sit 
malum, et aliud quaerere, unde redeatur ad pristinum, vel ad majus 
perveniatur bonum. Quapropter novi haeretici Pelagiani — — non 
se extollant, quasi eorum egerim causam, quia multa in his libris 
(de lib. arbi.) dixi pro libero arbitrio, quae ilius disputationis 
(contr. Manich.) causa poscebat. Was von Auguflins eigenem Ders 
fahren gilt, läßt fid) unmittelbar auf das ber griechiſchen Väter amens 
dem, fofern biefe gegen die Ginoftifer ſtritten. M. vgl. ferner Retract. I, 
9. 4, überhaupt das ganze Gap. 


440 Der vorgebliche Pelaglanismus 


Gegenſtandes in den beiden Fragen, woher das Böfe 
fomme unb wie ba6 Heil wieder erlangt werde, worauf 
die verfdiedene Behandlung des Verhältniffes der eigenen 
Thätigkeit des Menfhen und des aufer ihm liegenden 
Einflufjes — ſei's der Gnade, nad) riftlicher Lchre,fei’s 
der Ratur oder des Batums, nad) gnoftifcher unb heidni⸗ 
fer Lehre — beruht; beide Fragen laufen julegt auf 
bie eine hinaus, wie das Gittlidje überhaupt vom Mens 
ſchen und burd) ihm verwirklicht werde. Bedingt ift fie 
vielmehr blos relatio, durch bie Gegenfäge, mit denen 
man es zu thun hatte, und wovon bet eine die Freiheit 
läugnet unb an ihre Stelle bie Natur oder das Berhäng- 
nig fegt — ftatt jene in ihrem Rechte zu befaffen unb 
mur ihre Unzulaͤnglichleit hinſichtlich des zu realiſirenden 
ſitilichen Ideals duch den Beiftand der göttlichen Gnade 
ju ergänzen, — ber andere aber die Freiheit mit Aus 
ſchluß der Gnade für allein zureihend und ent[djeibenb 
erflärt. Hatten die Väter der frühern Zeit gegen bie 
Gnoftifer zu fämpfen, (unb Auguſtin {εἰδῇ anfänglich 
gegen die SRanidjder), fo flanb offenbar in erfter Linie 
die Vertheidigung ber Freiheit; diefe fonnten fie aber mit 
Stadbrud nicht führen, wenn fie mit aͤngſtlicher Sorgfalt 
flet& an die Schwaͤchung des fütliden Vermögens durch 
bie Sünde und bie daher rührende Nothwenbigfeit des 
göttlichen Gnadenbeiſtandes erinnert hätten. Sie brauch⸗ 
ten aud) nicht darauf einzugehen; bie hriftlihe Wahrheit 
gefattete ihnen, bie Breiheit ſchlechtweg ju behaupten 
gegen ben moralifhen Dualismus der Gnoftifer, ba bie 
felbe ihr zufolge weder unter bem Drude der Sünde 
mod) unter dem Defebenben und helfenden Einfluß ber 
Gnade aufgehoben oder unwirffam ift. — Die eigentlichen 





dee vorauguſtinifchen Väter. 441 


Antipoden der Gnoftifer imb. Manichaͤer waren die Pela- 
gianer. Sie längneten ben. zerfegenden Einfluß der Sünde 
auf das fittliche Vermögen und bie abfolute Notwendige 
frt der Exlöfung und Gnade Gottes; fie behaupteten 
die menschliche Willensfreiheit als ungeſchwaͤcht und als 
die ausreichende Kraft zur Erreichung des fittlihen Ideals. 
Gegen fie mußte von demfelden Glauben, von berfelben 
Bahrheit aus, bie die Väter in jenem Kampfe leiteten, 
das entgegengefeßte Verfahren eingefchlagen, und das Mor 
ment der Wahrheit, welches dort jurüdtrat, hier in bem 
Vordergrund gezogen werden — baher ber fcheinbare 
"üiberfprud) zwiſchen ber frühern und fpätern Lehre ber 
Väter. Es mußte, unter ausbrüdlider Hinweis 
fung auf das fittlide Verderbniß, bie unbe 
dingte  otbmenbigfeit ber Erlöfung und des 
göttlihen Gnabenbeiftanbeó bis zur Lehre 
von ber abfoluten Prädeftination in bie ans 
dere Wagfhale geworfen werden, wobei, um 
der chriſtlichen Wahrheit feinen Eintrag zu tfun, mehr 
wit nöthig war, alá ber allgemeine Borbehalt 
ber Freiheit unb Freithätigfeit des Menſchen. 

Naͤchſt den Stellen, worin die Väter die Willens: 
freiheit gegen den gnoftifhen Dualismus und heidnifchen 
datalismus vertheidigen, fommen diejenigen Aeußerungen 
in Betracht, worin fie biefelbe ohne Rüdfiht auf entges 
genftehende Lehren thetifch behaupten. Es geſchieht dies 
tells im Zufammenhang mit jener Vertheidigung, wenn 
fie nämlich die Gründe für bie Willensfreiheit {εἰ es aus 
der Schrift, fei ed aus ben moralijfen unb politis 
ſchen Gefeggebungen, oder aus ber Vernunft erörtern, 
theilz abgefonbert bei Behandlung ber ethifhen Lehe 


442 Der vorgebliche Pelagianismus 


ven bes Chriſtenthums. ine ausprüdliche Beriehung 
auf das fittliche Verderbnig und den durch Chriſtus er- 
wirften göttlichen Gnabenbeiftanb finden aud) wir, in diefer 
Caffe von Stellen entmeber gar nicht, ober δῶ ſel⸗ 
ten; eó wird bie Willengfreiheit des Menfchen, das 
Vermögen des Guten und Böfen nur ganz im Allgemeis 
nen behauptet und über ben Umfang und die Bedingungen 
ihres wirklichen Gebrauchs nichts ausgefagt. Daraus 
zu Schließen, daß bie Väter das ſittliche Vermögen als 
ungeſchwaͤcht und unbedingt in feinem wirklichen Gebrauch 
angefehen haben, wäre ein offenbarer Fehlſchluß; das 
bloße Schweigen über bie Grünje des Vermögens berech⸗ 
tigt nicht zu ber Annahme, daß bafielbe ihnen als unbe 
gränzt gegolten habe, um fo weniger, je deutlicher man 
fieht, bag fie fi nur ganz im Allgemeinen auébrüden 
wollten. Was fie über die Kraft und Tragweite ber 
fttlichen Freiheit des Menſchen gedacht haben, biefe com 
crete Frage läßt fid erſt entfdjeiben, wenn wir ihre Lehre 
von den Folgen des Sündenfalls, von der Grlófung durch 
Ehriftus und ber von hier aus uns zufließenden götts 
lichen Gnabe geprüft haben. Endlich kommen diejenigen 
Stellen in Betracht, worin bie Väter von ber Freiheit 
und Gnade handeln und ihr Verhältniß zu einander im 
Heilswerk, b. D. ben beiderfeitigen Antheil an demfelben 
beflimmen. Auf diefe dritte Gfaffe von Stellen fommt es 
hauptfählid an bei Beurtheilung des eigentfümliden 
Charakters ihrer Lehre und ihres Verhältniffes zum Per 
lagianismus. Hier muß es fid entſcheiden, wie weit bie 
Väter in Einrechnung bes fittlihen Verderbens einerfeits 
die Kraft und Wirkfamfeit des menfhlihen Willens, 


der vorauguſtiniſchen Väter. 443 


andrerfeits bie Nothwendigfeit und Kraft der göttlichen 
Gnade ausgebehnt haben. 

An biefe Elaffe von Stellen wollen wir uns nun 
halten. Bekannt ift, daß bie voraugufiinifhen Väter — 
und Auguſtin ſelbſt in feinen Schriften gegen bie Ma- 
nihäer — ganz einfellig vom ethiſch praftifhen Stand» 
punkte aus bie menfchliche Thätigfeit ba& Heilswerk bes 
ginnen, bie göttliche Gnade aber das menfhlihe Thun 
unterftügen, mit Erfolg fegnen und vollenden laffen. Den 
Menfhen, fein Thun und Sein fo genommen, wie e8 fid) 
der unmittelbaren Wahrnehmung barbietet, läßt fl) an» 
ders auch gar nicht verfahren; das gleiche Verfahren ift 
geboten, wenn man ihn al8 Subject des Gittengefegeó 
betrachtet. Davon verſchieden ift der fpeculative Geſichts⸗ 
punft, bie religiös theologifche Betrachtung, welche bie 
Gnade als ben abfoluten Grund unb als Bedingung 
jeder wahrhaft guten Willensthätigkeit aufſtellt. Ein 
Widerſpruch zwifchen beiden Betrachtungen befteht an und 
für fü$ nicht, vielmehr ordnet fid) bie erftere der legtern 
unter; nur wenn fle ausſchließlich bie eine gegen bie 
andere geltend gemadjt werben toollten, wuͤrden beide 
ihren Anfprud auf Wahrheit verlieren. 

Was juerf die Iateinifhen Väter betrifft, fo 
lann gegen fie aud nicht der Verdacht pelagianificender 
Lehre auffommen. Sie find fo wenig im Balle, bie 
ethiſch⸗ practiſche Auffaffung in ausſchließlichem Sinne 
geltend zu machen, baß fie vielmehr bie andre ihr zur 
Seite gehen laſſen. Nur die Vermittlung fehlt, und das 
Geſchick, von ber Betrachtung ber göttlihen Gnade als 
der abfoluten Urſache alles guten Willens aus bie Wils 
Ienöfreiheit zu ihrer wahren Geltung zu bringen. 


444 Der vorgebliche Prlagtanisums 


Führen wir nur einiges zum Belege unferer Behaup⸗ 
tung an. 

Tertullian befämpft die Gnofifer, welde zur 8e 
gründung ihrer Lehre von zwei Naturen im Menfchen, 
einer guten und einer böfen, fid auf die Schriftſtellen 
beriefen: „Ein guter Baum kann feine fdfedten Früchte 
bringen, nnb ein ſchlechter Feine guten;^ „Riemand ärndet 
von Dornen Feigen, unb von Difteln Trauben.” Die in 
biefen Ausfprüchen liegende moralifche Beftimmtheit bed 
Willens, feine der einzelnen That vorausgehende Geneigt- 
heit für das Gute ober Böfe lüugnet Tertullian nidt; 
er anerkennt vielmehr diefe Wahrheit, wie es fpäter Au 
gufin auf Grund derſelben Schriftftellen gethan δα "). 
Gr führt den Gnoftifern ſolche Schriftftellen zu Gemüthe, 
worin zwar gleichfalls bie fittlihe Berfunfenheit bd 
Menfchen bezeugt, aber zugleich aud) die Möͤg lich keit 
ihrer Heilung oder biefe {εἶδες al& wirtlide That 
fad e ausgeſprochen ift, eine Heilung die nicht auf phy 
fiſchem Wege durch Austreibung der boͤſen Natur, fondern 
auf bem moralifhen durch Umſtimmung des Willens in 
Kraft der göttlichen Gnade vor fid) gegangen. Gr ant 
wortet ben Gnoftifern: „Wenn εὖ fo wäre, wie ihr leheet, 
‘fo Könnte Gott ni$t aus Steinen Söhne Abrahams 
erweden, fo fönnie bie Dtternbrutfeine Früchte der Buße 
bringen; fo hätte ber Apoftel geiert, wenn er fagt: „„Auch 
ihr waret εἰπῇ Sinflerni$^^ (unb feib jet Licht); ferner: 
„„Auch wir waren εἰπῇ von Ratur Kinder des Jor 
ne65"" „„Auch ihr waret in diefen Laſtern befangen, unb 
feib jet abgema[den."" So fände Schrift gegen Schrift; 





1) 8. B. de grat. Christ. c. 18 


der vorauguſtiniſchen Väter. 445 


aber bie Schrift widerſpricht ſich nicht. Denn allerdings 
bringt der fehlechte Baum (aus fidj) niemals gute Früchte, 
wenn er nicht veredelt wird (burd) bie göttliche Gnade); 
und der gute Baum bringt ſchlechte Früchte, wenn 
er nicht gepflegt wird. -Die - Steine werden Kinder 
Abrahams, wenn fie zum Glauben Abrahams bekehrt 
werben, und das Diterngezücht bringt Brüchte der Buße, 
wenn eó das Gift der Bosheit ausgefpieen. Das ger 
ſchieht durch die Kraft der göttlichen Gnade, welche maͤch⸗ 
tiger iR als bie Natur (die natürliche Willensneigung), 
und ber bie Freiheit in uns, das αὐτεξούσιον unters 
worfen if. Da nun biefe Freiheit felbft natürlich und 
veränderlich ift (nad) entgegengefegten Seiten beweglich), 
fo wird bie Natur mit verändert (umgewenbet, befehtt), 
wohin fle gewendet wird )." Der Ausdrud ijt etwas 
unbeholfen und ſchroff, ber Gedanfe aber rein unb Fräf- 
tig, und fein anderer als berjenige, auf welchen Auguftin 
feine ganze Gnadenlehre gebaut hat. 

Derfelben Auffafjung begegnen wir bei Eyprian, 
dem Zeitgenoffen des Drigenes. Auf ibn beruft fid) aud) 
Auguſtin ?) fehr gerne, und befennt erft buch ihn darauf 
geommen zu fein, bag [don ber Glaube ein Werk ber 
Gnade Gottes fei. „Wir fügen bei unb fagen — bemerkt 
Eyprian — „„Dein Wille gefhehe wie im Himmel fo auf 
Erden,““ nidt damit Gott thue was er will, fondern 





1) De anima c. 21: Haec erit vis divinae potentior 
Wiquo natura, habens in nobis subjacentem sibi liberi arbitrii 
polestatem, quod αὐτεξούσιον dicitur, quae cum sit et ipsa naturalis, 
quoquo vertitur, natura convertitur. 

2) Contr. duas epp. Pelag. c. 9. Ep. 47. de praedest, 88, c. 3. 
de dono persever. c. 2. al. 


446 Der vorgebliche Pelagianiömns 


damit wir ju thun vermögen, was Gott will. Denn 
feinem Willen kann Niemand eine Schranke fegen, fondern 
weil uns der Teufel hindert, Gott in allweg gehorfam zu 
fein, fo bitten wir, bamit ber Wille Gottes in ung ger 
ſchehe, wozu der Wille Gottes erforderlich ift, b. D. feine 
Hüffe und fein Schug, weil Niemand burd) eigene Kraft 
Fark, fondern nur burd) Gottes Nachſicht und Gnade ficher 
iſt· i)j. „Gottes ift alles, was wir vermögen; von babet 
kommt unfer Leben, von daher unfere Kraft, von daher 
bie innere Erregung, wodurch wir nod) Dienieben die 
Zeichen des Zufünftigen voraus wahrnehmen; nur [εἰ 
man ‚Ängftli für bie Reinheit des Herzens beforgt, damit 
der Herr, ber in unfer Inneres mit feiner Gnade fid 
herabgelaffen, in der Wohnung ver beglüdten Seele 
burd) gebührende Wirkfamfeit feftgehalten werde 9. 
Ambrofius, auf ben Augufin am häufigften zus 
rüdfommt, ben jebod) aud) Pelagius für fij anführt 
(ob. ©. 437 %.), wendet die Schriftſtelle: A Deo praepa- 
ratur voluntas hominum (Proverb. VII, 35. sec. LXX.) 


1) De orat. Domin. p. 491. ed. Venet: Addimus quoque et 
dicimus, fiat voluntas tua sicut in coelo et in terra, non ut Deus 
faciat, quod vult, sed ut nos facere possimus, quod Deus vult. Nam 
Deo, quis obsistit, quominus quod velit faciat? Sed quia nobis a 
diabolo obsistitur, quominus per omnia noster animus atque actus 
Deo obsequatur, oramus et petimus, ut flat in nobis voluntas Dei, 
quae (Dei voluntas) ut flat in nobis, opus est voluntate Dei, i. e. 
ope ejus et protectione, quia nemo suis viribus fortis est, sed Dei 
indulgentia et misericordia tutus est. 

2) Ad Donat. de grat. pag. 9.: Dei est, inquam, Dei omne, 
quod possumus: inde vivim le pollemus, inde sumpto et con- 
cepto vigore hic adhuc positi futurorum indicía praenoscimus etc. 

Weitere Stellen hat Lumper (Hist. theol. crit. PP. pars IX. 
p. 494. seq. 9. p. 539 seq.) gefammelt. 








der vorauguftinifchen Väter. 447 


auf die Gnadenwirkſamkeit Gottes an .). Er will damit 
fagen, ber Wille, der nad) feiner formellen Seite als Wahl⸗ 
vermögen in ber Hand des Menfchen liegt, gehe als ein 
guter aus ber Hand Gottes hervor, Gott pflange in ihm das 
Gute — unbefchadet feiner freien Wahl. Denfelben Ger 
banfen in ber gleichen Form wiederholt Auguftin unzähs 
ligemat, er liegt als leitende Idee feiner ganzen Gnaden- 
lejre zu Grund. G6 fann aud nicht zweifelhaft fein, 
daß Ambrofius jener Stelle den eben bezeichneten Sinn 
wirklich beilegt, wenn er anderwärts Ichrt ?), bie göttliche 
Gnade [εἰ nicht allein zur Bewahrung und Fortführung, 
fondern fhon zum Anfange des Guten erforderlich 5). 
Deſſenungeachtet läßt Ambrofius — ganz wie feine Bors 
gänger — den menídfiden Willen das Heilswerf begins 
men unb bie göttliche Gnade darauf gleihfam warten, an 
ben nach ihr verlangenden Willen anknüpfen zu fónnen ἢ). 
Will man hierin einen SBiberfprud), in ben Ambrofius 
mit fid) feldft getreten, annehmen, fo ift dies freilich bie 


1) Exposit. in Luc. I, 10. (Augustin. de nat. et grat. c. 63. 
n. 75.) Cf. de fuga sec. c. 1. al. 

2) Exposit. in Luc. II, 84. 

3) Shánfder, der die Stelle anführt (Handb. b. Dogmengefih. 
ΤΥ, 162), bezeichnet Ambrofius als ben erften, weder der Gnade 
gleich) bei bem Anfange des Glaubens eine Ginwirfung, Hiedoch mit ber 
Tfätigfeit des freien Willens verbunden“ zugeflche. Ms ob Auguflin 
die gratia praeveniens anberé verſtanden hättel Diefe Meinung fet 
auf gleicher inte mit ber [dom von Andern (j. B. Thomafins 
Dig. ©. 76) gerügten Annahme Mäünfchers, als ob bie Lehre ber 
Väter von der Grófünbe bie Freiheit ausfchließe. Aber auch bie erſte 
Behauptung it unhiſtoriſch. 

4) Comment. in psalm. 118. n. 30: Vult se praeveniri sol 
justitiae (Christus) et ut praevenistur, expectat. Audi, quemad- 
modum exspectet et cupiat praeveniri. Dicit angelo Pergami ec- 
Clesiae ... age poenitentiam etc. 


Stjest, Duartelſritt. 1858. II. Heft. 30 


448 Der vorgebliche Velaglanismus 


leichteſte, aber aud) bie feichtefte Exflärung ber Schwierigfeit, 
Da, wie wir fogleid) zeigen werben, beide Vorftellungen 
an fid) nicht im Widerſpruch ftefen, fo wird e& wohl ταν 
tioneller fein, aud den Df. Ambroſtus davon freizuſprechen, 
und ihn folglich zu Denjenigen zu redjnen, bie, wenn bie 
erftere, wornad bie göttlihe Gnabe bem menfchlichen 
Willen zuvorfommt, beftritten, unb ber entgegenftebenben 
ausſchließliche Wahrheit beigelegt wurde, eine folde Auf⸗ 
faffung als vom kirchlichen Glauben abweichend verwarfen. 

Hieronymus befindet fid wirklich in bem Falle, 
ben wir fo eben blos vorausgefegt haben; er verabſcheut 
ben Pelagianismus und beftreitet ihn nad) allen Seiten 
energiſch, unb bod) befchreibt er das Verhaͤltniß von 
Beeiheit und Gnade unbebenflid) in ber hergebrachten 
empirifchen Weife nad) feiner ethifch-practifhen Seite. 
„Unſere Sache ift εὖ," fagt er, „zu beten, Gottes Sache, 
zu geben, um was er gebeten wirb; wir haben anzufans 
gen, Er zu vollenden, wir haben darzubringen, was wir 
vermögen, Er zu erfüllen, was wir nicht vermögen“ 1). 
„Durch das Gebet rufen wir das Erbarmen des Schöpfers 
hervor, damit wir, bie wir aus eigener Kraft nicht ges 
rettet werben Fönnen, burd) feine Barmherzigkeit erhalten 
werden. Wo aber Barmherzigkeit (Verzeihung, Gnade) 
ift, ba fällt der freie Wille (SBerbienf, eigenes Werh) 
theilweife hinweg; er bewährt fif mur darin, daß 
wir wollen und wuͤnſchen, unb dem was ihm gefällt 
unfre Zuftimmung geben 3)." 

Sm folder Weife alfo äußern fid bie fateinifden 


1) Dialog adv. Pelagisn. lib. IIL n. 1. p. 781. 
2) Dialog. adv. Pelagian. lib. TI. n. 10, p. 793. 





der vorauguftinifchen Vater. 449 


Väter. Sie anerkennen das fittliche Verberbniß, ohne ben 
Untergang ber fittlihen Freiheit zu behaupten; fie lehren 
bie ſchlechthinige Nothwendigfeit des göttlichen Gnaden- 
beiftandes zu unfrer Rettung, ohne uníte eigene felbftthär 
tige unb freie Mitwirfung zu lüugnen. Das Wefen ber 
Erlöfung fegen fie nicht in bie Lehre und das Beifpiel 
Ehrifti, fondern in bie von ihm dargebrachte Sühnung 
der Sünde und in bie Verföhnung Gottes, in deren 
Kraft und Folge nun das Wohlgefallen, die Gnade Gottes 
bem Menfchen zufließt, wenn er mit Chrifto burd ben 
Glauben in Verbindung tritt und ihm im Gehorfame 
gegen ben göttlichen Willen nadjfofgt. Wir finden bei 
ihnen ſonach fämmtlihe Momente hervorgehoben, erfannt 
unb anerfannt, welde ben Inhalt des riftlihen Glau— 
bens ausmachen, und in feinem PBunfte eine Anſicht aus» 
geſprochen, wie fie nahmals von Pelagius und feinen 
Schülern auf allen Punkten diefes Lehrgebietes aufgeftellt 
wurde. Etwas anderes ift bie Art und Weife, wie 
fie bie fid) entgegenftebenben Momente ihrer unmittelbas 
ven Meberzeugung vereinigen, wie fie ben Antheil ber 
göttlichen und menſchlichen Thätigkeit im Heilswerke ber 
fimmen, biefe& alfo in bie Vorſtellung unb den Begriff 
erheben. Diefes doctrinelle Verfahren ſteht mit ihrem 
Glaubensbekenntniß nicht in einem unabtrennbaren Zus 
fammenhang; es fann mangelhaft, einfeitig, ja verfehlt 
fein, während ihr Glaubensbewußtſein rein und vollſtän⸗ 
big ift. 

Aber aud) in jener Beziehung fällt eine nähere Uns 
terſuchung ganz zu ihren Gunften aus. Ihr boctrinelles 
Verfahren läßt fij in feinem alle als verfehlt, nicht 
einmal als einfeitig im engern Sinne bezeichnen. Die 

30 * 


450 Der vorgebliche VPelagianismus 


lateiniſchen Väter faffen Gnade und Freiheit in das Werk 
der menfchlichen Rettung fi) theilen, und indem fie die 
beiberfeitigen Antheile und Beiträge zufammennehmen, das ' 
Heilswerf in feiner Ganzheit zu Stande fommen. In 
der That fonnte man aud) nicht weiter fommen unb nicht 
anders verfahren, wenn man das Problem von der em« 
piriſchen Seite anfafte, wo die menſchliche Thätigfeit als 
das Naͤchſte und Grfte erſcheint; ober von ber ethiſch 
practifhen, wo das Gittengefeb , ber göttlihe Wille ben 
Menfchen zu feiner Vollziehung auffordert; bie menſchliche 
Thätigkeit it aud) hier das Anfangende. 

Diefe Auffaffung ift ganz wahr, aber fte ift bie un» 
tergeorbnete; das Wahre gibt erft bie höhere, zu ber fif 
Auguftin im Kampfe gegen bie Pelagianer erhoben hat, 
indem er bie göttlihe Gnade als das Anfangende, als 
den abfoluten, ben menfchlihen Willen durchweg präver 
nirenden (actor im Heilswerke erkannte. Beide fteben in 
einem blos formellen Gegenfage zu einander. Denn 
aud) bie fegtere fann, fo lange fle, wie es von Auguſtin 
immer gefhah, an ber menfchlihen Selbft- unb Freithä- 
tigkeit als reellem, wefentlihem Mitfactor des Heilswerkes 
feſthaͤlt, nicht tein, nidt adäquat vollzogen werden; fie 
muß, wie bie erftere, zur Theilung einer an fid uns 
theilbaren Sache ihre Zuflucht nehmen. Aber fie läßt — 
und darin beftebt ihr Vorzug unb ihr Fortſchritt im Ver⸗ 
gleid) mit jener — das Heilswerk nicht in zwei Stüde 
zerfallen, wovon das eine bie Wirfung ber menſchlichen, 
das andere bie der göttlichen Thätigfeit ober ber Gnade 
ift, fondern das ganze Heilswerk wird von beiden, nur 
nicht in derfelben Weife gewirkt, von ber Gnade Gottes 
nämlich als abfoluter Urſache und von bem menſchlichen 





der vorauguſtiniſchen Väter. 451 


Willen al& bedingter, von jener in ihrer Wirkfamfeit ab» 
haͤngigen Urſache. In ber letztern Beftimmung offenbart 
fih zwar, wenn wir fle mit der vorauguftiniffen Dar- 
ftellung vergleichen, aud) ein fachlicher Gegenfag, fofern 
nad) biefet ber das Heilswerf anfangenbe menſchliche 
Wille infoweit fefbfüfánbig auftritt, wogegen er nad) bet 
auguftinifhen Auffaffung durchweg, alfo aud) ſchon vornes 
herein durch bie göttliche Gnabe bedingt, unb nur infoweit 
ein guter, zum Heildwerfe wirkfam beitragender ift, als 
et von ber göttlichen Gnade ermedt if. Aber biefer Ges 
genfag ift nur partiell, und ftreng genommen gar feiner, 
Gr if nur partiell, fofern bie vorauguftinijjen Väter bem 
menfhlihen Willen nur für ben Anfang des Heilswerkes 
(den Glauben) eine felbftftánbige Thätigfeit beimeffen, in 
der Fortführung und Vollendung beffelben aber ihn von 
ber Einwirfung der göttlichen Gnade abhängen laffen; er 
if mur fdeinbar, fofern fie das Anfangende, bie Anfähe 
des menfhlihen Willens als unvollfommene Verſuche, 
als Etwas, was in diefer Gigenfdjaft nod) fein vollftäns 
diges, abgefchloffenes Moment des Heilswerkes ift, bate 
fellen, mit einem Wort, den Glauben, fowie er vom 
menfchlihen Willen ausgeht, nicht als vechtfertigend be» 
traten. Es ift daher Feine „Künftelei” 1), wenn ber 
hl. Auguftin biefe Auffaffung, bie früher aud) bie feinige 
war, als wahr, aber nod) nicht bis zum Wahren vorge 
ſchritten bezeichnet 9, und ganz in der Wahrheit begrüns 


1) Go nennt Münfcher bie SBerfudje Auguftind, ben einheitlichen 
Zuſammenhang feiner Lehre mit ber ber frühern Bäter, ſowie bie dufere 
lich formellen Differenzen zwifchen beiden zu erklären. Handb. ber Dogs 
mengeſch. IV. ©. 146 Anm. und öfters. 

2) Retract. I, 23. 3: Quod dixi vor Nusbruc des pelagian. 


"4 
x 


450 Der vorgebliche Pelaglantan"* 
lateiniſchen Väter faffen Gnade unb ^ gam anberé bene 
: ; ie Außerlich genommen 
der menſchlichen Rettung fid) tb ei^ 
opui ; ;, igianer geltend gemachten 
beiverfeitigen Antheile unb Beit ^ 
; i» foi κα Denn bie ältern Bäter 
Heilswerk in feiner Ganzh/ πον πα . 
* erhalten fuͤr die hoͤhere, die 
ber That fonnte man auc ^. ΒΑ 
‚ie ihrige gegen biejelbe abgeſperrt 
anders verfahren, wer belit geftempelt, 
" i pA . 
Pen Seite —7 Praͤdeſtinationslehre betrifft, ſo 
das i dte uri "pt ganz ebenfo. Die vorauguftinifcen 
practifhen, τοῦ κα din früher {εἰδῇ — lehrlen einfimnig 
FAM MA f bat Vorherwiſſen des menſchlichen Bri 
Thatig εἰ E Prädefiination; gegen bie Pelagianer, 
Die , jc Semipelagianer aber ſtellt Auguftin fie als 
terger —* von dem Vorherwiſſen des menſchlichen 
Au ou ‚mas unabhängige hin; jebod mur bie Präbefina- 
ir B^ engern Sinne, bie zum Guten, jur Gnade und 
D nigen Leben, denn bie Reprobation ift nad) ifa 
^ ber göttlichen Geredjtigfeit, bie ben Menſchen 
»" feinen Werfen richtet, fein abfoluter Act wie jene, 
fine praedestinatio ad peccatum et poenam peccati, fon 
pm lediglich das [egtere, und beruht auf bem Vorher 
wiffen ber men(dfiden (frei und unabhängig vollbrad 
ten) Sünde. Sofern nun die Prädeftination nicht ifolitt, 
lediglich für fid) betrachtet wird, fofern mit ber Erwäh 
lung Einiger die Nichterwählung der Andern immer 


Streits): nostrum est enim credere et velle, illius (Dei) autem 

. dare credentibus et volentibus facultatem bene operandi per Spiri- 
tum $., per quem charitas diffunditur in cordibus nostris — verum 
est quidem, sed eadem regula el utrumque ipsius est quia ipe 
praeparat voluntatem, δὲ utrumque mostrum, quia non fi wii 
volentibus nobis. 


ber vorauguſtiniſchen Väter. 453 


ift, fo trifft Die auguftinifche Lehre über ihr 
hinaus, indem zwar nicht die Reprobas 

» Act — aber bod die Nichtpraͤdeſti⸗ 

„bfolute göttliche Decret hineingezogen 

«t, wenn bie Berwerfung Giniger bie 

‚ng ber Andern vorauéfet, fo geht aud) bie 

. der bedingten, auf das Vorherwiſſen des menſch⸗ 
. Verhaltens begründeten Vorherbeftimmung, bie ihr 
„nmittelbares Fundament in bem Begriffe ber Reproba- 
tion hat, über ihr Ziel hinaus, indem fie nicht nur bie 
Nichtverwerfung gleichfalls unter das bedingte göttliche Des 
tet fallen [áft, dem es nicht angehört, fondern fogar ben 
poſitiven Act der Erwählung in feinen Kreis zieht, uns 
geachtet er ein abfoluter ifl. Das leptere abgerechnet, 
bildet biefe Auffaffung das reine Geitenfüd zu ber augus 
finifhen, und ift fo nothwendig und wahr a(& bicfe felber, 
wiewohl ihr untergeordnet. Sie ift unvermeiblih, wenn 
die Selbſt⸗ und Freithätigkeit des Menfchen aud) gegen» 
über ber Praͤdeſtination — ganz allgemein genommen — 
in ihrem Rechte und wefentlihen Werthe beftcht — was 
«ud von Auguftin nicht geläugnet wird; unb gerade 
don bem Intereffe der Freiheit, überhaupt der Sittlichfeit 
aus if fie von ben vorauguftinifhen Vätern aufgeftellt. 
&f dann verliert fie ihre Berechtigung, ihren Anſpruch 
auf Wahrheit, wenn fie als allein gültig aufs unb gegen 
die andere feftgefellt werden will. Das thaten bie Semis 
pelagianer; bie vorauguftiniihen Väter, aud) Auguftin, 
Va er nod) an ihr fefthielt, waren fid) eines ſolchen exclus 
fiven Sinnes gar nicht bewußt, unb nod) weniger war 
er von ihnen beabſichtigt. Daher fonnte Auguftin in 
Wahrheit, „ohne Künftelei" fagen: wenn er früher ger 





452 Der vorgebliche Pelagianismus 


bet, wenn er fie günftiger, überhaupt ganz anders beur⸗ 
theift, als bie femipelagianifdje — die äußerlich genommen 
von feiner eigenen, gegen die Pelagianer geltend gemachten 
nidt einmal fo weit abflebt. Denn bie ältern Väter 
hatten ihre Auffaffung offen erhalten für die höhere, die 
Semipelagianer dagegen die ihrige gegen biefelbe abgefpertt 
und fie dadurch zur Unwahrheit geftempelt. 

Was aber fpeciell bie Praͤdeſtinationslehre betrifft, fo 
verhält e8 fid hier ganz ebenfo. Die vorauguſtiniſchen 
fBáter — und Auguftin früher felbft — lehrten einftimmig 
eine bedingte, auf das Vorherwiffen des menſchlichen Vers 
haltens begründete Prädeftination; gegen bie Pelagianer, 
befonder8 die Cemipelagianer aber ftellt Auguftin fie als 
eine unbedingte, von dem Vorherwiſſen des menſchlichen 
Verhaltens unabhängige hin; jedod nur bie Prädefina 
tion im engern Sinne, bie zum Guten, jur Gnade und 
jum ewigen Leben, denn bie Reprobation ift nach ihm 
ein Act ber göttlichen Gerechtigkeit, bie ben Menſchen 
nad feinen Werfen richtet, Fein abfoluter Act wie jene, 
feine praedestinatio ad peccatum et poenam peccati, (on 
dern [ebiglid) das [egtere, unb beruht auf bem Vorher 
wiffen ber menfdfiden (frei und unabhängig vollbradj 
ten) Sünde. Sofern nun bie Prädeftination nicht ifolitt, 
lediglich für fid) betrachtet wird, fofern mit ber Erwähr 
lung Einiger die Nichterwählung der Andern immer 


Streit): nostrum est enim credere et velle, illius (Dei) autem 
dere credentibus et volentibus facultatem bene operandi per Spiri- 
tum $., per quem charitas diffunditur in cordibus nostris — verum 
est quidem, sed eadem regula el utrumque ipsius est quia ipie 
praeparat voluntatem, ef wírumque mostrum, quia non fit nisi 
volentibus nobis. 


ber. vorauguftinifchen Väter. 453 


zugleich gefegt ift, fo trifft bie auguſtiniſche Lehre über ihr 
eigentliches Ziel hinaus, indem zwar nicht Die Reprobas 
tion — ber pofltive Act — aber bod) bie Nichtpraͤdeſti⸗ 
nation mit in bae abfolute göttliche Decret hineingezogen 
wird. Umgefehrt, wenn die Berwerfung Einiger bie 
Nichtverwerfung der Andern vorausfegt, fo geht aud) bie 
Lehre von der bedingten, auf das Vorherwiſſen des πιεπί 
lien Verhaltens begründeten 98orferbeftimmung, bie ihr 
unmittelbares Fundament in bem Begriffe der Reprobas 
tion hat, über ihr Ziel hinaus, indem fie nicht nur bie 
Nichtverwerfung gleichfalls unter das bedingte göttliche Des 
eret fallen [áft, dem es nicht angehört, fondern fogar ben 
pofitiven Act der Erwählung in feinen Kreis zieht, uns 
geachtet er ein abfoluter ift. Das letztere abgerechnet, 
bildet Diefe Auffaffung das reine Geitenftüd zu ber augus 
ſtiniſchen, unb ift fo nothwendig und wahr al biefe felber, 
wiewohl ihr untergeorbnet. Sie ift unvermeidlih, wenn 
die Selbft- und Freithätigfeit des Menfchen aud) gegens 
. über ber Prädeftination — ganz allgemein genommen — 
in ihrem Rechte und wefentlihen Werthe beftcht — was 
eud von Auguftin nicht geläugnet wird; und gerade 
von bem Intereffe der Freiheit, überhaupt der Sittlichkeit 
aus if fie von ben vorauguftinifhen Vätern aufgeftellt. 
Grf bann verliert fie ihre Berechtigung, ihren Anſpruch 
auf Wahrheit, wenn fie als allein gültig auf- und gegen 
die andere feftgeftellt werden will. Das thaten bie Semi» 
Pelagianer; bie vorauguftinifchen Väter, aud) 9fuguftin, 
ba ec nod) an ihr fefthielt, waren fid) eines folden exclus 
fiven Sinnes gar nicht bewußt, unb nod) weniger war 
er von ihnen beabfichtigt. Daher fonnte Auguftin in 
Wahrheit, „ohne Künftelei” fagen: wenn er früher ger 


454 Der vorgebliche Pelagianismus 


lehrt habe, daß gleihwie bie Erwählten nicht wegen ihrer 
guten Werfe — die ja von Gott fommen — fondern 
wegen des Glaubens erwaͤhlt feien, ebenfo aud) bie Berwors 
fenen nicht erwählt feien wegen ihres Unglaubens, vielmehr 
zur Strafe für ihre ſchlechten Werke verworfen — fo [εἰ 
bief ganz wahr, aber daß (nicht blos bie guten Werke, 
fondern) aud) das SBerbienft des Glaubens felhft ein Ger 
ſchenk Gottes (die Erwählung folglich ein abfoluter gött 
licher Act) fei, daran habe er nicht gedacht und das habe 
er darum aud nicht gelehrt 1). 

Die griehifhen Väter, um von biefen mm nod) ber 
fonberó zu reden, verfahren genau wie bie lateiniſchen: 
fie theilen das Heilswerk zwiſchen bem Menfchen und Gott, 
bem fie das Meifte und Borzüglichfte daran zufchreiben. 
Go namentfid) aud; Chryfoftomus, der neben Origenes 
αἴ Begünftiger ber pelagianifchen Anfhauung von Reuem 
vorzugsweife genannt wird. Nicht ‘in biefer Verhältnif 
beftimmung von Gnabe umb Freiheit, fondern darin, daf 
die Auffaffung der Gnade als der abfoluten Bebingung 
und lirfade alles guten Willens nur in ganz unbeftimmter 
Weife aus der Art, wie fie bie Nothwendigfeit des goͤtt⸗ 
lichen Beiftandes vertfeibigen, hervorzugehen ſcheint, währ 
rend fie andrerfeits die Freiheit und Kraft des menſchlichen 


1) Retract. I, 23. 3: Quod paulo post (nämlich nad; jenm 
Aueſpruch, der Glaube fei unfer Wert — in ber Schrift Exposito 
quarundam proposit. ex ep. ad. Rom. n. 61) dixi: sicut enim in is, 
quos eligit Deus, non opera sed fides inchoat meritum, ut per 
munus Dei bene operentur, sic in iis, quos damnat infidelitas, et 
impietas inchoat poenae meritum, ut per ipsam poenam eliam 
male operentur - verissime dixi; sed fidei meritum etiam ipsum 
esse donum. Dei, nec putavi quaerendum esse, nec dizi. 


der vorauguftintfchen Väter. 455 


Willens fet ftarf betonen, liegt das Gigentfümlide ter 
Lehrweiſe der griedjifden Väter im Vergleich mit ben 
Sateinetn. 

Wie biefe madjen aud) fte bie empirifhe unb ethiſch 
practifche Betrachtung des Heilswerkes geltend: ob aus⸗ 
ſchließlich und in bewußter Gegenfäglichfeit gegen bie fpes 
sulative, religiös theologifche Auffaffung, ober aber nur 
εἰπία fo, daß ihnen diefe Weife das Verhaͤltniß von 
Gnade und Freiheit zu firiren gar nicht in den Sinn fam, 
oder aus rein theoretifchen Gründen, beren -Unhaltbarfeit 
aber bei fortgefchrittener Ginfdt in bie Augen fallen 
mußte — das ift bie entſcheidende Frage. 

Scheint ja felbft, was das Ießtere betrifft, Hier on y⸗ 
mus nod) ber Meinung gewefen zu fein (f. oben ©. 448), 
eine burdjgángige Bedingtheit ber menfdliden Willens⸗ 
thätigfeit im Guten [εἰ unvereinbar mit ber Freiheit, und 
auch deßhalb biefe Bedingtheit nur theilweife, nämlich 
für die Fortführung und Vollendung (nad Umfang und 
Intenfität) zugelaffen, für den Anfang (in gleichem Dop⸗ 
pelfinn) aber das felbfifländige, von der Gnade unabs 
haͤngige Eingreifen des Menfchen ftatuirt zu haben. Gir 
lidjerfid) waren bie früheren, befonders griechiſchen Väter 
in ihrer Beſorgniß für das menſchliche αὐτεξούσιον in 
diefem Falle, und dürfen wir uns darüber gar nicht 
wundern, wenn wir das flarfe Auftreten ber dualiftifchen, 
freiheitsläugnerifchen Gnofis in Anſchlag bringen. Sind 
bod) in ben legten Jahrhunderten viele und nod) heutzur 
tage mande Theologen aus feinem andern Grunde ber 
firengen auguftinifhen Gnabenlebre weniger zugethan, als 
weil fie in der burdjgángigen und unbebingten Abhängig« 
fit des menſchlichen Willens von ber göttlichen] Gnade 


456 Der vorgebliche VPelagianismus 


eine der Freiheit Gefahr drohende Lehre erblicken. Von 
den Semipelagianern gar nicht zu reden, deren wiſſen⸗ 
ſchaftliches Fundament einzig in dieſem Bedenken, ober 
vielmehr in der Behauptung ber Unverträglichkeit jener 
Auffaffung mit der Freiheit des Willens beſteht. Sofern 
jebed) allein aus foldjem Grunde eine Abneigung gegen 
die augufinifhe Auffaffung beftebt, ober, was bei ben 
Altern Väter der Fall war, biejer Grund zu ber andern 
Auffaflung Hintrieb und zu ihrer Feſthaltung ermunterte, 
fann von einer dogmatiſchen Srrung nicht die Rebe fein, 
fondern nur von einer wifienfchaftlichen. 

Die Beantwortung jener Borfrage fann febr ſchwierig 
ja unlösbar fcheinen, unb fie wäre εὖ aud) in ben meiften 
Fällen, wenn lediglich bie Auslegung, der Wortlaut und 
Zufammenhang der betreffenden Acußerungen die Entſchei⸗ 
dung liefern ſollte. Es gibt aber ποῷ einen andern Weg, 
der leichter und fiherer zum Ziele jührt. In unmittd 
barem Zujammenhang mit ber Lchre vom Heilswerk 
und feinen Faltoren (Freiheit und Gnade), ftebt bie Lehre 
von rem Eüntenfalle und ron ter Erlöfung; bieje Lehren 
beftimmen fid) gegenfeitig, und aus ihrem Zufammenpalt 
ergibt fi) ver Stantpunft, auf bem man flieht, mit voll 
Sicherheit. Die Fragen, wie vie griechiſchen Bäter dad 
Heilswerk angejehen, wie fie insbefondere über tie goͤn⸗ 
lide Gnade getadjt, unb ob fie hierin — bei aller for 
mellen Differenz — materiell auf Seite Auguſtins obe 
auf ter des Pelagius, oder meldem von beiten fie näher 
Reben — fie alle finden ihre fidere Entſcheidung, wenn 
wir barauj achten, wie dieſe Bäter den ſittlichen Zuſtand 
des SReniden außer ter Erlöjung und unabhängig von 
bet Gnade, ben Zufland aljo des natürliden Men 


der vorauguſtiniſchen Väter. 457 


ſchen, ber Nachkommen Adams anfehen: ob als uns 
verfehrt und ungeſchwaͤcht durch beffen und bie eigene 
Sünde, oder aber als herabgefommen, verborben unb im 
Vergleich mit bem der Sünde vorhergegangenen, urfprüng» 
lihen Zuftande wefentlid) verfchlimmert. Je nachdem fie 
ba eine oder andere annehmen), beftimmte fid) ihr reis 
heitsbegriff wefentlid) anders, und nad) biefem wiederum 
der Onadenbegriff, bie Art und das Maaß ber Nothwen- 
bigfeit des göttlichen Beiftandes zur Wieverherftellung bes 
Menfhen. Läugnet man bie Erbfünde aud) nur in bem 
Sinne, daß der urfprünglide Gnabenftanb, der von Adam 
auf alle Menfchen übertragen werben follte, durch beffen 
Sünde für alle verloren ging und biefem nun mangelt 
(mas er nit follte), fo fteht man fdon auf bem rein 
natürlichen Boden. Indem man aber den ur[prüngliden 
Zuftand als einen übernatürlichen oder foldjen, in welchem 
die fittliche Freiheit des Menfchen über ihr natürliches 
Gleichgewicht des Guten und Böfen burd Gottes 
Gnadenmittheilung erhoben war, unb bie Erbfünde felbft 
im Sinne des bloßen Mangels diefer übernatürlichen 
Ünabe läugnet, fo wird man nur um fo mehr bem fitt» 
lichen Zuftand des jepigen Menfchen, feine Hinneigung zur 
Sünde, fein Hingegebenfein an das Böfe und den Böfen 
als etwas rein natürliches von bem Begriffe des Sünds 
haften ausfchließen, ja diefen Zuftand geradezu in Abrede 
ſtellen 1) und behaupten, daß aud) jet nod) der menfchliche 
Wille von Haus aus in jenem natürlihen Gleichgewicht 
fi befinde und mur erft bur) langes Sündigen darin 





1) Dber behaupten, daß er das natürliche Produft Aller, ber 
von Anfang an fündigenden Menfchheit (Menfchen) fei; in weichem 
Sinne Reuere bie Grbfünbe als Geſammtthat des Geſchiechtes faffen, 


458 Der vorgebliche Pelagianismus 


geftórt werde ). Auf biefem abftraften (unb in abstrado, 
aber aud nur fo wahren) Standpunkte ift das eigen 
thümlic Chriſtliche, bie übernatürliche Wahrheit völlig 
befeitigt; es ift dieß der Standpunkt ber f. g. reinen Bev 
nunft, ber pure Rationalismus. Das Sitilihe erſcheint 
hier als etwas tein und blos Perfönliches; jeder innere 
Einfluß auf den Menfchen, der göttliche wie ber gefammt- 
menſchliche ober abamitifche ift ſchlechthin ausgeſchloſſen. 
Was am Menfhen gut oder 558 ift, ift in ganz gleicher 
SfBeije das Werk des eigenen Thuns jedes Einzelnen. Wie 
urfprünglidj, fo empfängt nod) jet der Menſch aud der 
Hand des Schöpfers den freien Willen, und fohald er ihn 
bat, ift er fein. Er beweist ihn als fein eigen, fofern « 
alles was er will, febiglid) fraft feiner Selbſtentſcheidung 
will, unb als frei, fofern er beides (Gutes und Böfed) 
vermag und gleich gut vermag. ine Neigung ber Wage 
mad) einer Seite burd) einen andern Einfluß aufer m 
teinen Selbftbeffimmung wäre eine Verlegung, eine Ber 
nichtung feiner Freiheit. Diefer pure Nationalismus iR 
der Belagianismus. (δ6 fpringt in die Augen, buf 
auf diefem Gtanbpunft, wo von Grbfünbe unb einer um 
bedingten Nothwendigkeit des göttlichen Beiftandes zum 
Guten nicht nur feine Rede, wo beide bireft geläugnet 
find, bie hriftlihe, bem fuprasnaturaliftifhen Boden ent 
wachſene Erlöfungslehre Feine Stelle finden fanm. Die 
fünbentilgenbe (fübnenbe) unb verföhnende Kraft des Werkes 


1) Sene moderne Auffaffung Täugnet die phyſiſchen umb fütlijen 
Solgen ber erfln Sünde nicht, aber fie nimmt fie blos ale folde, 
oder auch ald auf ung laftende Strafe, unb läugnet mur, bof fie 
dem Charakter der Sünde anhaften, So ſcheinbar Clemens Am 
Chryſoſtomus. 


der vorauguſtiniſchen Väter. 459 


Chriſti und ihre reale Bedeutung für bie ganze Menfchheit 
fült fier ganz weg; wenn wir Chrifto etwas zu verbanfen 
haben — und das fann unter Ehriften bod) nicht geläugnet 
werben, auch wenn man nur ben Namen tragen will, und 
iR aud) von ben Pelagianern nicht geläugnet worden, und 
wird e$ von unfern Rationaliften nit — fo Fann bie 
Wohlthat nur in feiner Lehre und feinem Beifpiele bes 
Reben, darin alfo, daß Er uns burd) Wort unb That ben 
Weg des Heiles gezeigt und zur Nachfolge eingeladen und 
aufgemuntert hat. 

In diefem innern Zufammenhange ftehen bie Lehren, 
um bie εὖ fi hier handelt; fie beftimmen fid) nicht ein» 
iin, fondern in ihrer Gefammtheit ganz verfehieden, je 
nachdem bie blos rationale oder bie fupernaturale Auffafs 
fung ber fütlidjen Ordnung gewählt wird. Der Pelagia- 
nismus, welcher vom Begriffe ber Freiheit aus jenen Stand» 
punkt betreten, entlebigt fid) all ber Lehren, welche ber 
driffide Glaube als das Gigentümlije ber Offenda- 
tungswahrheit erfaßt und in Erweiterung unb tieferer 
Rerinnerlihung der bloßen Vernunftwahrheit, bie er als 
abftraftes, allgemeines Moment zu feiner Vorausſetzung 
nimmt, feftbált; er [áugnet den urfprüngliden Gnabenftanb, 
den Suͤndenfall, bie Erloͤſung in ihrer eigentlichen Bedeu⸗ 
tung und die fehlechthinige Nothwendigkeit der innern 
Gnadenwirkung Gottes zur Wiederherftellung, zur Rechte 
fertigung und Heiligung des Menfchen. 

Wie verhalten fid) nun hiezu die griechiſchen Väter? 
Rehmen fte den Standpunkt des Pelagius ein, ober fiehen 
fie vielmehr auf bem des hriftlichen Supernaturalismus 
im Ganzen und Einzelnen? — Wer fie fennt und fid) 
nit an den einzelnen Sleuferungen und ben bloßen Worte 


460 Der vorgebliche SBelaglanióurue. 


laut hält, wer vielmehr das Ganze umb ben Geift ihrer 
Lehre ins Auge fat, muß jene Stage ebenfo entſchieden 
verneinen als biefe bejahen. Gerade Das, was bem yes 
lagianifhen Begriff der Freiheit fein eigenthümliches Ger 
präge, feine Schärfe und feinen au&fdliefenben, haͤretiſchen 
Charakter aufbrüdt, findet fid) bei ben griechiſchen Vätern 
nit, wenn fie aud) biefelbe Formel gebrauchen. Der 
ethiſch⸗praktiſche Standpunkt, von bem aus fie Freiheit unb 
Gnade nad) ihrem Bezug auf das Heilswerf beftimmen, 
ruht auf ganz andern Vorausfegungen, unb'ift von ganz 
andern Folgen begleitet, ald wir fie bei Pelagius und 
feinen Anhängern finden. Auch nit einmal femipelagiar 
niſch fann man fie nennen; denn was als (oldje& im ber 
Geſchichte erfdeint, hat feine Geftalt und Wefenheit ledig⸗ 
Tid) im Gegenfage gegen ben Auguftinismus, bem ftd) bie 
Semipelagianer bewußt und abfihtlih verfdloffen, woo» 
gegen die Lehre der griechifhen Väter nad) diefer Seite 
offen ift, unb als bie unmittelbare unb fo nod) untergeorb 
nete. Entwidlungsftufe des Verhaͤltniſſes von reifeit und 
Gnade er(deint. 

Hieronymus fat ben Drigenes ber Urheber 
ſchaft des Pelagianismus beſchuldigt ^); doctrina tua (fo 
redet er an ber erſtern Stelle den Pelagianer an, — 
er nennt feinen Namen —) Origenis ramusculus est. Sn 
Wahrheit aber fommt ber Pelagianismus nicht von Orb 
genes, fondern vom Drigenismus. Dem Glauben und 
ber Denkweife dieſes Lehrers fieht er ferne; aber feine 
Schüler, welche das großartige Syſtem des Mannes aut 
einander geriffen und nad verſchiedenen Richtungen ein, 





1) Ep. 43 ad Ctesiphont. Tom. IV. p. 477 ed, Martian, Dislog- 
adv. Pelag. p. 484. 496. 


der vorauguftinif gen Väter. 401 


feitig verfolgten, kann man von biefem Irrthum fo wenig, 
als von vielen andern freifprechen, wozu der Meifter nur 
in einem ganz allgemeinen, nicht näher qualificirbaren 
Sinne burd) die Freiheit feiner Spekulation und das Aus— 
ſchweifende feiner Hypothefen Anlaß gegeben. Drigenes 
anerfennt mit ber Kirchenlehre den tief gehenden Unter 
ſchied zwiſchen bem urfprüngliden und nadhmaligen Zus 
fand des Menſchen in geiftiger und phyſtſcher Beziehung; 
er läugnet ben Günbenfall der ganzen Menſchheit nicht 5). 
Wenn aber die Kirhenlehre ben Fall von der Sünde 
des crften Menfchen herleitet, fo genügt ihm diefer zeitliche 
und einzelne Aft Eines Menſchen zur Grffürung der Gor» 
Tuption des ganzen Geſchlechtes nicht; er geht darüber 
hinaus und nimmt einen vorzeitlihen Sall ber menſch⸗ 
lichen Seele an; dasjenige aber, was bie hl. Schrift 
1. Mof. 3 in Anfehung Adams ald eines Einzelnen 
und des Menſchen fhlehthin erzählt, verſteht er εἶπε 
feitig nur von biefem, indem ihm Adam nur als Typus 
der ganzen Menfchheit gilt ). So verwerflih biefe (δ τα 
Härung des Sündenfalles ift, wie fie denn aud) fpäter 
befanntlic) verworfen wurde, fo übt fie doch feinen alterie 
tenden Einfluß auf das 9[nerfenntnif des fittlihen 9Ber» 
derbniffes ber adamitifhen Menſchheit, das ifr vielmehr 
jut Borausfegung und Grundlage dient. Es fann daher 
aud) nicht angenommen werben, daß nad) Drigenes bie 
fittliche Freiheit unberührt geblieben {εἰ von bem Suͤnden⸗ 
fall, unb unbeſchädigt, wie fle urfprünglid war, bem zeit⸗ 





1) Coment. in Joann. XXXII, 11. XIII, 34. homil. in Levit, IX, 
11. VIII, 3. 4. XITI, 4. hom. in Luc. XIV. contr. Cels. VII, 50, III, 
92. in Matth. XV, 23. 

2) Contr. Cels. I, 32. 


462 Der vorgebliche Pelagianismus 


lichen Menſchen einwohne. Nach Drigenes ift außer Ehris 
Rus Keiner vom Böfen unberührt geblieben, nicht einmal 
bie hl. Patriarchen, die Propheten und Apoftel ἢ). Die 
Neigung zur Sünde ift Allen von Haus aus eigen 5; in 
der erften Kindheit ruht fie ſchlummernd in ber Seel, 
mit bem ermadjenben Bewußtfein lebt fie auf unb ent- 
faltet nun in dem einen mehr, in bem anbern weniger 
ihre Herrſchaft 9; bod) geht ihre Gewalt nicht in eigents 
Tide Natur über, fonbern bie freie Gelbftbeftimmung bleibt, 
und bie Befferungsfähigfeit, wenn aud) tief herabgebrüdt, 
ift burd fie nicht vernichtet %. Go ift ber Menfch der 
Erlöfung unb Wieverherftellung benöthigt, wozu er in fib 
nur das Bebürfniß, nicht aber aud) bie Yähigfeit unb 
bie Kraft findet. Diefe Grlófung, welde ber Gottmenſch 
Jeſus Ehriftus für Alle vollzog unb allein vollziehen fonnte, 
beftebt nad) ihm weſentlich in der Befreiung des Menſchen 
aus ben Banden ber Sünde (ber Gewalt des Teufel) 
und in der Verföhnung, woburd fowohl die Schuld ber 
Sünde getilgt, als aud) das Wohlgefallen Gottes, die 
Gnabe (ber SBieberferftellung, der Rechtfertigung unb Heis 
ligung) erworben ift 5). 

Auf diefen Sprámiffen ruht bie Lehre von ber Freiheit 
und Gnade bei Origenes. Wäre diefe Lehre wirklich bie 


1) Contr. Cels. III, 66; mehrere Stellen bei Thomafius, Orr 
genes ©. 197 f. Bol. ferner überhaupt Huet. Origenian. lib. II. qu 7. 
2) Comment, in Matth. XV, 23. Die Kindertaufe, welde na 
Origenes auf apoſtoliſcher Ueberlieferung beruft, Hat darin iren Grund, 
bof die Menfchen mit Unreinigfeit und Schuld belaftet in biefe Welt treten. 
In Rom. p. 565. Hom. in Luc. XV. in Levit. VIII, 3. 4. Thoma 
.fiue Θ. 261. 
3) Contr. Cels. III, 62. 66. 
4) Contr. Cels. III, 66—69,. Bgl. t$ omafius ©. 198. 
5) Die Belege bei Thomafius €. 222. 





ber vorauguflinifchen Väter. 463 


pelagianiſche, fo fónnte fte dieſes offenbar nur fein duch 
einen förmfichen Bruch mit jenen SBrámiffen, nur dadurch, 
daß Drigenes mit einem Mal in bem Lehrftüd von ber 
Gnade feinen bisherigen fupranaturalen Gtanbpunft ver» 
laffen, unb ben abftraft philoſophiſchen oder rationaliftifchen 
betreten hätte, 

Dieß ift nicht anzunehmen; um fo weniger, ald Dri» 
gene bie innere Gnade Gottes und ihre Stotfwenbigteit 
ausbrüdlich behauptet. Alle Anfhuldigung yelagianifder 
oder pelagianifirender Lehre kann fid) alfo einzig auf bie 
nahdrüdfihe Hervorhebung ber Willengfreiheit und auf 
bie prinjipale Stellung, bie er ihr im Heilswerke anweist, 
berufen. Hier findet im Ausdruck eine volle Mebereins 
fimmung nicht nur mit ber femipelagianiffen und ber 
pelagianiſchen Lehre nad) Suliané Auffaffung, fondern aud) 
mit ber ftreng pelagiani[djen Lehre ganz unbeftreitbar ftatt. 
Die letztere ift auégefproden 3. B. im Gommentar zum 
Römerbrief (III. 6. p. 509): Si requiratur, quid Deus ho- 
mini — contulerit, et quid homo ex his, quae a Deo 
accepit, operatus sit — invenietur quidem Deum dedisse 
homini omnes affectus omnesque motus, quibus ad virtutem 
niti possit et progredi, insuper etiam vim retionis inseruisse, 
qua agnosceret, quid deberet agere, quid cavere. Haec 
ergo invenitur Deus communiter omnibus hominibus 
praestitisse. Sed si his acceptis homo neglexerit iter 
virtutis. incedere, cui a Deo nihil defuit, invenitur ipge 
defuisse iis, quae a Deo data sunt sibi, — Noch fchärfer 
teitt fle heraus in ber Unterſcheidung, daß von Gott 
das Können des Guten fomme, das er und gegeben 
in bem freien Willen, das wirkliche Wollen und Thun 
aber von uns ausgehen müffe, indem. wir biefen Willen 

Stel, Quartalſqhrift. 1859. III. Heft. 31 


464 Der vorgebliche Pelaglantsmus 


gebrauchen '). Drigenes geht aber gleid) einen Schritt 
weiter und über bie rein rationalifiifhe Betrachtung hin 
aus, wenn er Iehrt, ber menſchliche  οτία 5 für fid ge 
nüge nicht; nur burd) göttlichen 3Beiftanb werbe bie Boll 
enbung des Guten, wie alles Vollfommene erreicht, fo 
daß wir uns felbft mir ba8 Geringere, Gott aber das 
Höhere unb Meifte zu banfen haben ?). Die Gnade Gottes, 
ber wir Diegu bedürfen, werde uns nad) Maßgabe des 
Glaubens, überhaupt nad) Maßgabe unferer Anftrengung 
und unferes Wohlverhaltens, alfo nad unfrer größern 
ober geringern Würbigfeit und Empfänglichfeit zu Theil 3). 

Hiernähft kommt nun. alles darauf an, wie Origenes 
ben Glauben, in weldem wir Gorifto uns anfdjliefen, an 
ihm Theil gewinnen unb ber von ihm verdienten Gnade 
Gottes empfänglih und würdig werden, auffaßt, ob als 
bloßes Wert des Menfhen, ober ald Werf Gottes zugleich. 
Schon oben wurde darauf Bingemiefen, bag nad empiti- 
ſcher Betrahtung, wo der Ausgangspunft des Heilswerfes 
in die menſchliche Willensthätigfeit gefegt wird, ber Glaube 
oder bod) der Wille dazu (eredulitatis affectus) al8 das 
ſubjektiv menſchliche Werk erſcheint, an welches bie goͤtt⸗ 
Tide Gnadenerweifungen anknüpfen, um baffelbe zu voll. 
enden; eó wurde bemerft, daß biefe befonders audj von 
Auguftin vor der Zeit feines Kampfes mit den Gegnern 
der Gnabe angenommene Betrachtung keineswegs unwahr 
{εἰν daß fle dieß vielmehr erft werde, wenn fle fid) gegen 
die höhere, das abfolute Prinzip des Heilswerkes in bet 





1) De princip. II, 1, 3 seqq. 

2) De princip. II, 1. 18. 22; 2. 2. in Mauh. X, 19 seqq. in 
Jerem, VIII, 1. 

8) In Matth, XII, 40. Tract, 88, 69, in Rom, IX, 8, 





der vorauguftintfchen Väter. 465 


Gnade Gottes findende Auffaffung abſchließe unb fperre, 
wie e8 von ben Semipelagianern gefhah — und wir et» 
innern daran, um ben Origenes (und die griechifhen Väter 
überhaupt) bei dem enticheidenden Punkte, an bem wir 
angelangt find, gerecht zu beurtheilen. 

Die Anklage, mit der Hieronymus gegen ihn auftritt, 
Tónnten voir nicht begründet finden, aud) wenn Drigenes 
ben Glauben febiglid) als Werk des Menſchen betrachtete; 
aud) Auguftin war, wie gefagt, in biefem Falle, und bie 
Erflärung, bie er desfalls in feinen Retraftationen vors 
bringt, ift ganz genügend. Sie fommt aud) dem Drigenes 
zu Statten. Sa Hieronymus felbft weiß nod) in bem Mo— 
ment, ba er fid) des wahren Glaubens hinfichtlich ber 
Gnade Eottes gegen die Pelagianer annimmt, das Zur 
Randefommen des Heilswerks fid) nur auf jene empiriſche, 
ethifhepraftifche Weife zu benfen; mit bem von Auguftin 
fräter aufgeftellten Maaße gemeffen, if aud) feine Lehre 
ungenügend. Beurtheilen wir bie griechiſchen Väter, Dri» 
genes mit eingefähloffen, nicht frenger! Doch vermódjte 
biefer in dem Punfte, um den es fid) bier handelt, felbft 
eine firengere Probe wohl zu beftehen. Drigenes fennt 
den Unterſchied zwiſchen ber fides, quae est in nobis und 
ber fides, quae per gratiam datur, und ftellt beide in das 
Verhältniß zu einander, welches im Heilswerke überhaupt 
der menſchliche Antheil zum göttlichen einnimmt. Der 
Glaube, den Gott wirft, [egt zwar den menfehlichen vor« 
aus, aber erft die Gnade macht dieſen vollfommen, zu 
einem wahrhaften, dieſes Namens würdigen Glauben. 
Andrerfeits ift der menfchliche Anfang doch Fein abfofuter, 
denn er ift überholt von dem mas Gott und was Chriſtus 
gethan, nicht blos in bem allgemeinen Sinne, daß burd) 

815 


466 Der vorgebliche Pelagtanismus 


fie erft das Objeft des wahren Glaubens gefdjaffen ift, 
unb bie göttliche Offenbarung und die Erſcheinung Chrifti 
unferm Glaubensvermögen fid) präfentiren, es erfüllen, 
wie das Sonnenlicht unfer Auge, fondern in einem nod) 
höheren und innerliern Sinne. Gott, ber Logos, der 
Gottmenſch Ehriftus nehmen bie Dede von unferm Geifted- 
auge, auf daß wir die Wahrheit fehen, fie rühren unfer 
Herz und reinigen e, auf daß wir ihr vollen, ungetheilten, 
unbebingten Beifall geben, b. b. glauben Y. Der Prozeß 
ift ein lebendiger, auf Wechfelwirfung rufenber. Mag 
man ihn firiren auf einen zeitlichen Anfang, fo geht aller- 
dings bie Bewegung vom Menfhen aus, unb mas Gott 
dagegen gibt, wird vom Menſchen erfaßt und regt feine 
Thätigfeit auf's neue auf, unb hinwiederum befruchtet und 
veredelt Gott dies Streben u. f. w.; anerfannt aber if 
dabei immer bie göttliche Gnabe als bie eigentliche Quelle 
des wahrhaft Guten, wie immer Vollfommenen, als dad 
Anfih des in feiner Grfdeinung menſchlichen Werkes. 
Warum follte nicht aud) der Achte, fruchtbare Keim des 
beginnenden Werfes von Gottes Gnade gepflanzt fein, 
wenn diefe doch ausgefprocdhenermaßen fein Wachsthum 
und feine Reife bedingt? Bezeichnet Drigenes den Gau 
ben fo nadbrüdlid) und feierlich al Ginabengabe, fo wäre 
εὖ bod) feltfam, wenn er ihn erft in feinem Wachsthum, und 
nicht ſchon in feinem Grund und Anfang aus der erleuchtens 
ben und erwärmenden göttlichen Duelle entfpringen ließe. 

Auf biefer Seite alfo wird man ſchwerlich etwas 
Pelagianifhes an ihm entbeden Fönnen. Aber gerabe fie 
ift es, bie ben Höhepunkt feiner chriftlihen Anſchauung 





1) Origen. in Joh. XX, 26. Contr. Cels, III, 38. in Rom. IV, 5. 





der vorauguftinifchen Väter, 467 


bildet. Die verſchiedenen Momente feiner Lehre von Gnade 
und Freiheit liegen nicht blos fo neben einander; fle find 
organiſch verbunden unb bauen fid) vom Allgemeinen zum 
Befondern, von bem Natürlihen (rationellen) zum Ueber» 
natürlichen fortfchreitend pyramidenartig bis zu ber Spitze 
auf, die wir fo eben in feiner Lehre vom Glauben berührt 
haben). Wie bie 51. Schrift 3. B. in der Darftellung 
des Berichtes (Matth. 25) das fünftige Loos des Mens 
fen Tebiglich durch den Gebraud), ben ber Menfd von 
feinen eignen Kräften zum Guten ober Böfen macht, 
beftimmt fein läßt, unb bie Erwählung aus Gottes freiem 
Erbarmen und bie Austheilung ber Gnade, in deren Kraft 
das Gute begonnen und vollendet wird, gänzlich übergeht, 
wogegen fie anderwärts mit Webergehung diefes allgemei- 
nen und natürlichen Gefeges der fittlihen Ordnung ledig⸗ 
lich das göttliche übernatürfide Walten hervorhebt; fo 
finden wir es aud) bei den Vätern der erften Jahrhuns 
derte und befonberó bei den Griechen. Aber es braucht 
nur eine geringe Aufmerffamfeit auf ben innern Zur 
fammenhang biefer Darftellungen, um zu gewahren, baf 
fh die eigenthuͤmlich chriſtliche Wahrheit über jener all 
gemeinen Grundlage a8 bie concrete Wahrheit abfdlieft, 
daß fie jener allgemeinen 3Betradjtung bie Wahrheit nicht 
abfpriht, das Wahre aber erft in ihr felber, in der Abs 
hängigfeit des guten Willens, des Guten überhaupt und 
insbefondere der Seligfeit von Gottes Gnabe findet. Sene 
allgemeinen Ausfprüdhe des Drigenes al[o, bag das Kön- 
nen von Gott fomme, das Wollen aber und Wirken in 


1) Der fonft trefflichen Darftellung von Thomafius fält zur 
ofi, daß fie bie „Heilsorduung“ des Origenes (G. 233 ff.) nicht in 
Biefem isrem Stnfengange aufzeigt. 





468 Der vorgebliche Pelaglantsmus 


unfrer Hand liege, und wie fle fonft nod) Tauten , fie 
alle vechtfertigen den ihm gemachten Vorwurf pelagianis 
fer Lehre nicht, denn fie find von ihm nicht al8 bie 
concrete hriftliche Wahrheit geltend gemacht, vielmehr burdj 
diefe, bie er nirgends verſchweigt, wefentlich modificirt. 
Ein Verdacht pelagiani(der Lehre fällt auf ihn erft und 
am meiften ba, wo er bie Schriftftellen 2. Mof. 4, 21. 
Ezech. 11, 19. 20. Marc. 4, 12. 9tóm. 9, 16. Phi. 
2, 13. worin die abfolute Wirffamfeit Gottes, insbeſon⸗ 
dere feiner Gnade geſchildert iR, im Vergleich mit ben 
ihnen entgegenftehenden 5. Mof. 30, 19. Jeſ. 1, 19. 
SRida 6, 8 zu verkürzen fcheint. Befchränfen wir uns 
hinſichtlich jener auf bie zuletzt angeführten. Sie befagen, 
daß εὖ nicht auf unfer Wollen und Ringen, fonbern auf 
das Erbarmen Gottes anfomme; daß Gott in uns das 
Wollen unb Vollbringen wirke nad) feinem Wohlgefallen. 
Nicht vom Wollen und Vollbringen des Guten ober Böfen, 
meint Drigenes, fondern vom Wollen unb Bollbringen 
überhaupt fei Phil. 2. die Rede, und dies fomme aller 
dings von Gott, während jenes unfer Werf fei, indem 
wir das von Gott verliehene Vermögen recht oder ſchlecht 
gebrauchen. An der Stelle Röm. 9. aber wolle ber 
Apoftel nicht fagen, daß Gott alles wirfe am Heilswerke 
und ber Menſch nichts, fonbern daß des Menfchen Ringen 
und Streben midt genüge, um bae Ziel gu erreichen, 
fondern daß Gott bae Meifte dazu beitrage. Es verhalte 
fi Hier, wie παῷ 1. Kor. 3, 6. 7 beim Landbau. Wie εὖ 
unfromm wäre, zu behaupten, das Zeitigen und Gebeifen 
der Fruͤchte fel dns Werk des Landmannes, der da pflanzt 


1) De princip. III, 1. 6. in Rom. I, 5. 5. VIIL, 16. contr. 
Cels. III, 69. 


bet vorauguftinifchen Väter. 469 


und begießt, und nicht vielmehr Gottes, alfo erfolge aud) 
unfere Vollendung nicht ohne unfer Zuthun, obwohl fie 
nicht burd) ung zu Stande fomme, fondern Gott das Meifte 
dabei wirfe 1). 

Die fegtere Vorftelung, bie befonders bei GB ty» 
ſoſtomus immer wieberfehrt, ift in biefer Form zu 
äußerlich unb infofern mangelhaft, ihr mefentlider Gehalt 
aber, unantaftbar (f. oben). Dagegen fann bie Aus- 
legung der Stelle Phil. 2, 13. nur gezwungen genannt 
werden, wie fle aud) im Princip und in ihrer Confequenz 
der Wahrheit zu woiberfpred)en ſcheint. Allein bie Aus- 
legung gibt fif, wie bie der andern Stelle, nicht als eine 
birecte, fondern ift zur Abwehr einer andern aufgeftellt, 
in ber Drigenes eine woefentlide SBeeintrüdjtigung ber 
Wahrheit, nicht einer fpecififch chriſtlichen, fonbern einer 
allgemein vernünftigen Wahrheit erblidt. Nicht gegen 
folge ift jene Auslegung gerichtet, welche, wie y. B. fpäs 
ter Auguftin, in ber Stelle eine Hauptftüge ber princi» 
vielen Nothwendigfeit der Gnade erblicken, fondern gegen 
bie häretifhe Gnoſis, gegen bie Beftreitung der fittlichen 
Freiheit des Menſchen. Die Abſiicht des Drigenes ift alfo 
aud) nicht, die Freiheit als hinlänglih zu Erreichung 
des Cnbjieló gegen bie Gnade in Schuß zu nef» 
men, fondern fie zu vertheidigen gegen die Behauptung 
eines äußern Berhängniffes oder einer fittliden 
— guten ober böfen — Natur. Hatten fi bie gnoſtiſchen 
Häretifer, wie Origenes ausdrüͤcklich anführt, auf jene 
Stellen für fid berufen, was fonnte er, was mußte er 
tun, um fie ihnen zu entreißen? Was er aud gethan hat. 


1) De princip. TIL. 1. 18. 


470 Der vorgebliche Pelagtantsmus 


Mit weit mehr Schein Tieße fid gegen Elemens 
von Alerandrien, ben Lehrer des Drigenes, ber Bors 
wurf pelagianifivender Lehre richten. Die Unbeftimmtheit 
feiner Aeußerungen und die höhere Achtung, bie bie nad 
folgende Zeit ihm bewahrte, mochten jebod) Hieronymus 
bewogen haben, nicht auf ihn zurüdzugreifen. Das Ber 
hältniß der Nachkommen zu Adam fdjeint nämlich Clemens 
nur als ein äußeres Strafverhältniß aufgefaft zu haben !). 
Du pin fagt von ihm: Adae lapsum agnoscit, et ejus 
peccati poenam, in quam omnes incurrerunt. Verum origi- 
nale peccatum non videtur probe novisse ἢ). Wäre «6 
wahr, daß Clemens zwiſchen unfrer Sündhaftigfeit unb ber 
Sünde Adams einen innen Zufammenhang geläugnet, bann 
fiel für ihn nidt nur bie Wirfung des Erlöfungstodes 
Chriſti in ihrer wahren Bedeutung, fondern auch bie 
ſchlechthinige Nothwendigkeit der Gnade; bie Suͤndhaf⸗ 
tigfeit des jegigen Menſchen wäre ein natürliches Pros 
buct feiner eigenen That, und fónnte deren SBefeitigung 
hinwiederum von ihm felbft erwartet werden. Die durch⸗ 
gängige Allgemeinheit der Sünde fónnte ohnehin nidt 
von ihm gngenommen fein. Auf biefem Standpunfte ftebt 
aber Elemens nicht. Das Günbigen fagt er 5), ift allen 
angeboren unb gemein, unb leitet daher bie 9totbmenbige 
keit unferer Rettung burd) Ehriftus, bie Nothwendigfeit 
der göttlichen Gnade, wiewohl er, und mit Recht, ben 
Gnoſtikern gegenüber auf die Anerkennung der Wahrheit 
bringt, daß Gott uns durch uns felbft, burd) unfte eigne 
freie Selbftbeftimmung retten wolle 9. Aber fefthaltend 
7.1) Stromat. III, 16. 

2) ©. Thomafius a. a. D. ©. 76. 


3) Paedag. II, 12: Τὸ ἁμαρτάνειν πᾶσιν ἔμφυτον καὶ κοινόν. 
4) Stromat, VI, 12. p. 788: Ἡμᾶς R ἡμῶν αὐτῶν βούλεται σώζεσϑαι. 


der vorauguftinifchen Vater. 4T 


an bem Begriff ber Sünde im engern und eigentlichen 
Sinn, fiel ihm der Begriff der Erbfünde infofern Dine 
weg und trat an ihre Stelle ber Begriff einer ererbten 
Strafe. In gleicher Weife verfährt aud Chryſoſto— 
mué?!) Es unterliegt aud) feinem Zweifel, daß bie 
Erbfünde etwas anderes al8 bie Thatfünde, etwas ander 
res alfo, als die Sünde im eigentlihen unb engern Sinn 
ift; unb biefe Väter waren fomit ganz im Recht, wenn 
fie diefen Begriff nicht in Anwendung fommen ließen 
auf das fittliche Verderbniß, das von Adam her auf uns 
übergegangen ift. Nur darin bleiben fie hinter ber Wahr- 
heit zurüd, daß fie das Strafverhältnig nicht ausbrüdlich 
als ein fittliches bezeichnen. Es ift ihnen dies wohl feinem 
Inhalte, der Materie nah, aber nicht zugleich formell. 
An das Leptere erft fnüpt fid) der Begriff der Sünde im 
wahren, wiewohl nicht im eigentlichen und engern Sinne, 
unb nur jur Haren Grfenntnif diefes Moments haben fie 
es nicht gebracht. Bei Chryſoſtomus tritt diefer Mans 
gel ganz deutlich hervor. An der zuerft angeführten Stelle 
fagt er zu Röm. 5, 12; „Daß weil Adam fündigte unb 
farb Cleiblih unb geiftig ), aud) bie welche von ihm 
abftammen, fünbigen und flerben, fat nichts Ungereimtes. 
Daß Hingegen dur) feinen Ungehorfam ein Anderer (ohne 
fein eigenes Thun) zum Sünder geworden wäre, was 
wäre das für eine Solgerung? Auf foldje Weife fónnte 
man ihn nicht einmal als ftraffällig anfehen, fofern von 


1) Hom. X. in ep. ad Rom. Opp. tom. X. p. 125. In Psalm. L. 
hom. 2. Opp. tom. III. p. 874 seq. 

2) Un das legtere benft freilich Münfcher (Handb. b. Dogmens 
geſch. IV. ©. 150) nift. Bergl. Thomafius a. a. Ὁ. ©. 76. 
Anm. 1. der ihm deßhalb zurechtweiſt 


472 Der vorgebl. Pelagtanismus b. vorauguſtin. Väter, 


feinem eigenen Thun völlig abgefehen würde ἢ. Was 
verſteht alfo der Apoftel unter Sündern? Strafbare, wie 
ἰῷ glaube, unb gum Tode Verurtheilte." Alſo Sünder 
im eigentlichen Sinne find wir durch Adam nicht gewor⸗ 
ben; das wird jeber nur burd) fid) felbft, burd) feine eigene 
freie That; aber verdammlid find wir burd) ihn gewor⸗ 
ben, indem wir fo, wie wir von Haus aus find, (und 
durch Adam geworden find), nämlich durch Leidenſchaften 
beunruhigt und jur Sünde geneigt, Gott nicht gefallen 
fónnen 2). 

Weiter ins Einzelne zu gehen, müffen wir ung für 
jest verfagen; wir hoffen fpäter auf den Gegenftand zus 
rüdzufommen. ] 


1) Diefen Satz fat Münfcher wie überhaupt bie ganze Stell 
nicht verflanben. 
2) Vergl. die zweite ber oben citirten Stellen. 


Kuhn. 





Wecenfionen. 


1. 


XPHZMOI ZIBYAALAKOI Oracula Sibyllina. Ad 
fidem Codd. Mscr. quotquot exstant recensuit, praelextis 
prolegomenis illustravit, versione Germanica instruxit, anno- 
tationes criticas et rerum indicem adiecit Josephus Hen- 
ricus Friedlieb. Lipsiae T. O. Weigel. MDCCCLU. LXXXV. 
u 231 ©. — Sectio al CXXIV. ©. in 8. — Preis 
4 ἢ. 12 fr. 


Diefe wunderlihen Erzeugniffe des Orients gehören 
theils einer vorchriftlichen Zeit, theils ben drei erften Sabre 
hunderten n. Chr. am. Sie wurden meiftens von Juden 
oder von jubaifirenden oder eigentlichen Chriften gegen 
ihre Gegner, die Heiden, gerichtet. Mehrere find offenbar 
Aegyptifhen Urfprunge. Im zweiten unb dritten Jahr» 
hunderte wourben fie von ben Kirchenpätern nicht felten 
qur Vertheidigung ber chriſtlichen Wahrheit als Beweis- 
mittel gebraucht, bis fie in der Folge, ald man fid) all- 
mählig von ber Unächtheit berfefben überzeugt hatte, 
immer mehr an ihrem Anfehen verloren und zuletzt in 
Vergefienheit famen. 


474 Josephus Henricus Friedlieb 


Zuerfi gab fie £ft. Botuleius aus einer Auge: 
burger Handfchrift zu Bafel 1545. 4. heraus, und zehn 
Sabre darauf ebendafelbft in Octav Schaft. Gaftalio 
mit einer metrifchen fateinijden Ueberſetzung. Nach Ian 
ger Zwiſchenzeit erſchien zu Paris 1599. 8. bie Opfo 
poeifde und nod) weit fpäter bie Gallefche Ausgabe 
(Amſterdam 1689. 4.) Es entfpann fid) ein langer Streit 
für und wider bie Authentieität ber Sibyllen, bi man 
fib dahin einigte, daß man fie für unterfdjoben erklaͤrte. 
Seitdem [agen fie ganz unbeadjtet, bis 1815 unb 1816 
- ber Däne Thorlacius die 9lufmerfjamfeit wieder auf 

diefen Gegenftand Ienfte und im folgenden Jahre der ber 
rühmte Angelo Mai in ber Ambroſianiſchen Bibliothef 
zu Mailand ein vierzehntes Buch entbedte, welches mit 
dem ſechsten und einem Theile des achten zu Mailand her: 
ausfam. Später gab er in feiner veterum Scriptorum 
nova Collectio (Tom. Il. Rom. 1828. 4.) aus zwei Bas 
ticanifchen Handfchriften das XI—XIV. Bud) ganj, wovon 
baé [eótere mit dem Ambrofianifhen Gober die größte 
Verwandtſchaft hat. 

Eine neue Feitifhe Ausgabe lieferte der framzoͤſiſche 
Gelehrte Alexander zu Paris bei Firm. Didot. 184. 
gr. 8. Davon erfäien aber big jegt nur der erfte Band, 
welcher bloß bie erften acht Bücher enthält. 

Während Alerander aufer den gebrudten Hülfsmit« 
teln bie beiden Pariſer Handſchriften, die Oxforter unb 
die Wiener, von welcher ihm ber veremigte Kopitar 
eine Gollation mitgetheilt hatte, benugen fonnte, war ber 
neuefte Herausgeber fo glüdlid?, das kritiſche Material 
fo volftändig, als möglich zufammenzubringen, indem Dr. 
Keil während feines Aufenthalts in Italien im 3. 1845 





Oracula Sibyllina. 475 


in Rom und Florenz für ihn Bergleihungen anftellte unb 
Profeffor Gilbemeifter in Marburg ihm feine Eollas 
tion der Parifer Handſchriften überließ. Dazu fam nod) 
eine von ihm felbft gemachte Vergleihung des 9Ründner 
Cod. 312, welcher die námliden Bücher unb Bragmente, 
die im Mailänder unb in ben Vaticanifchen vorkommen, 
enthält. . 

Mit diefen Hülfsmitteln verfehen, ging er an bie 
Bearbeitung der Sibyllinifhen Schriften. Ihm lag, wie 
er in dem SBormorte bemerkt, zunaͤchſt daran, bem Publis 
fum eine volltändige Sammlung derſelben und einen 
moͤglichſt fehlerfreien Text gu liefern. 

Sehr [hägbar ift die Einleitung über den Inhalt 
der Sibyllinen, in welder der Herausgeber feine πῇ ὦ: 
ten über bie verfdiebenen SBer[affer, und über bie Zeit 
und ben Drt ber Abfaffung mittheilt und über bie Hands 
ſchriften Bericht erftattet. | 

Darauf folgt bie Inhaltsangabe eines jeden Buches; 
bann ber griedji[de Srt mit gegenüberftehender deutſcher 
Meberfegung. 

Die fateini[d gefehriebene Sectio altera enthält bie 
abweichenden Lesarten zu dem griechifchen Terte, woran 
fi) ein Index rerum et personarum locupletissimus (djlieft. 

Der Gleichfoͤrmigkeit wegen wäre allerdings zu wün- 
fen gewefen, daß aud das Vorwort, bie Einlei— 
tung unb bie Inhaltsangabe Sateinijd) gefehrieben worden 
waͤre. 

Was die Textrecenſion des Hrn. Friedlieb anlangt, 
fo Tann fie Ref. keineswegs eine befriedigende nennen, in» 
bem man an ifr nur zu fehr bie Εἰ ε Schärfe und Ge» 
nauigfeit vermißt; denn man ftóft nicht felten auf metriſche 


416 Josephus Henricus Friedlieb 


Unrigptigfeiten und grammatifche Fehler, welche eit zu 
befeitigen gewefen wären. Wir wollen nur einige Θ εἰς 
fpiele anführen. 

Fragm. I. B. 14 hätte ὕπαι τάξεν anftatt ὑπαίταξεν 
geſchrieben werben follen, wie fdjon Boiffonabe z. Phie 
Ioftrat. Briefen &. 200 rietf. Ebenfo Buch II. 98. 245: 
᾿Αλλὰ πενιχρομένοισι, (ba6 Komma ift hier zu flreichen) 
ϑέβους ἄπο (flat ἀπό) μοῖραν ἰάλλει. 

Buch 1. 8.6 f: — — Σὺ δὲ, ποικίλε vmi, 
πίφασκε Νουνεχέως, ἵνα μή ποτ᾽, ἐμῶν ἐφετμῶν, ἀμε- 
λήσῃς, "Yıyızov βασιλῆα, ὃς ἔκτισε κόσμον ἅπαντα, Eine 
Γεινάσϑω,, καὶ ἐγείνατο. 

Die erfte Ausgabe und bie Wiener unb bie Bodleyſche 
Handfärift haben εἶπας, weldes Alerander mit Recht in 
εἴπας umänderte. Diefe Joniſche SBatticipalform des Aoriſis 
hätte nidt mit εἶπε, wofür vielmehr elrev fteben müßte, 
vertauſcht werben follen, ba fie ganz gut zu ἔκτισε paft. 

— $8. 35 f.: Οὔτε γὰρ ἀκχρασίῃ νόον ἔσκεπτον, οὔτε 

μὲν αἰδῶ, 
άμφεχον, ἀλλ᾽ ἦσαν κραδίαις ἀπά- 
νευϑὲ xdxou. 

Für ἀχρασίῃ ſchlaͤgt Boiffonade zu Babrius 
€. 255 ἀφραδίῃ (silentio) vor. Im folgenden Berfe 
hätte Hrn. Srieblieb nicht ber Eonjectur des Alerander 
folgen follen; denn da bie frühern Ausgaben und, wie 
Mlerander bemerkt, aud) die Gobb. χραϑίης bieten (bei 
unferm Herausgeber herrſcht hierüber Stillfpweigen), fo 
lag bie SBerbefferung xgadins auf flacher anb. 

— 8. 18: Kal πολέμους ἐποίουν" εἰς δ' αὐτοὺς ἤλυ- 

εν ἄτη. 

Hr. Brieblieb folgte bier, wie fein Vorgänger, be 


Oracala Sibyllina. 4m 


Eonjectur des Auratus. Allein die Augsburger, jegt 
Münchner Handſchrift Nr. 351, aus welder bie Ed. pr. 
fof, hat ἔσση (bie florentiner Handſchrift nebft den zwei 
Barifern dor) δ᾽ αὐτοῖς. Demnach ſchrieb Goftalio Zoy 
αὐτοῖς Ruder, mit leichterer 9Berfegung Boiffonade 
i Babr. ©. 207 αὐτεῖς δ᾽ ἴση ἤλυϑεν. Das vorherges 
Benbe ἐποίουν darf übrigens feinen Anſtoß verurfachen, 
ba da vor οὐ verkürzt wird. ©. Boiffonade z. Babr. 
€. 6. Anmerf. 17. t 

— $8. 228 fe: — — ἔγεμεν δέ ye μύριον ἀφρὸν 

Στείρα. 

Was war leichter, αἵδ᾽ φείρᾳ zu verbeffern, wozu 
aus B. 226 οἶκος ϑεσπέσιος als Nominativ zu ergänzen 
iR? Denn ςείρα fann nicht als Nominativ genommen 
werben, ba in diefem Falle ςεῖρα ftehen müßte. Vergl. 
Boiffonade 3. Philoftrat. Briefen S. 209 unb z. Babr. 
€. 256. 

— B. 254 f.: Kol τότε δὴ μετέπειτ᾽ ἄλλον μελα- 

γόπτερον ὄρνιν. 
Tdxog ὑπεξέπεμψεν (nämlich Nos). 

Tayog haben zwar bie Handſchriften und bie erfte 
Ausgabe, fobann ὑπεξέπεμψεν der florentiner und bie 
ioci parifer Codd., der Bodleyſche ὑπεξέπεμπεν, Opfor 
poeus ἐξέπεμπεν, bie erfte und Gaftafio'6 Ausgabe ἐξέ- 
πέμπε. Daß das aus zwei Kürgen beftchende τάχος 
μι Anfang des Herameterd nicht gebilligt werden fónne, 
if einfeuchtend. Daher conjicitte Turneb ὡς τάχος ἔξω 
πέμπεεν, und Gaftalio λάρνακος ἔχπεμπεν. Daß aber ber 
neuefte Herausgeber biefe Verbefferungsverfuche nicht bes 
rüdfichtigte und bie offenbar falfche Lesart im Terte ftehen 
lieg, if befrembenb. Boiffonade flug 3. Philoftrat. 





418 Josephus Henricus Friedlieb 


Briefen S. 200 αὐτίκ᾽ ober εὐθύς ὑπέκπεπεν wor. Ref. 
würde ὡς τάχος ἔξω πέμψεν gewählt umb im bem fol. 
genden Berfe γαίῃ δ᾽ ἐλϑων ἐπέμεινε, wie der Cod. Leon- 
tarius liest, (ftat ἀπέμεινε) geſchrieben haben; benn ἐπὶ 
und ἀπὸ find zu oft in ben Handſchriften verwechſelt 
worden. - 
Bud XIL V. 150 f.: — — πάντες ὅσοι πίνουσι 
πάνιξον 
᾿Αρμένιοι κρύςαλλον ἄγαν δείον- 
τος ᾿Αράξεω. 
Iléwigov ift offenbar burd) bie iotaciftifche Ausſprache 
aus πάνηςον, t. i. perdulce periucundum, entftanden. 
Go verbeflerte ganz richtig Boiffonade zu Herodiani 
partitiones p. 53 mit Zuftimmung ber Beforger ber Dis 
dotſchen Ausgabe des Stephaniſchen Thesaurus. 
Aehnlicher und oft nod) tiefer liegender Verderbniſſe 
gibt es in ben in febr jungen Handfchriften auf ung ges 
fommenen und nod) wenig bearbeiteten Sibyllinifhen Bir 
dern eine Unzahl. Viele hat der gelehtte Boiffonade 
in ben Anmerkungen zu Philoftratus, Babrius und απ’ 
dern Schriftſtellern glüdlid) gehoben. Schade, baf bem 
Hrn. Herausgeber die SBerbefferungen dieſes ausgezeich« 
meten. Kritifers unbefannt geblieben find! Ueberhaupt 
wäre fehr zu wuͤnſchen gewefen, daß er fowohl bie in 
den Altern Ausgaben der Sibyllinen felbft, als aud) bie 
bie unb da gelegentlich eingeftreuten Gmenbationen der 
Gelehrten forgfältig gefammelt und genau angegeben hätte. 
Die der Urſchrift gegenüberftehende deutſche Ueber 
fegung ift leider fo gearbeitet, daß fie ben Anforderungen, 
die man heut zu Tage an einen Ueberfeger zu maden 
berechtigt ift, keineswegs entfpricht. 


Pafſaglla, katholiſche Lehrvortraͤge. 479 


. Mit biefer Beurtheilung verbindet Stef. die Anzeige 
nahftehender, ihm gerade zur Hand gekommenen Abs 
handlung : 

De oraculis Sibyllinis dissertatio supplementum edi- 
lionis a Friedliebio exhibitae. Scripsit Ricardus Volkmann. 
Lipsiae T. O. Weigel 1853. S. 43. 8. 

Da. ber neuefle Herausgeber der Sibyllinen das 
ſprachliche und metrifhe Element nicht gehörig berüdfich- 
tigt hatte, fo glaubte Hr. SBolfmann biefen Theil philor 
logiſcher Forſchung zum Gegenftande einer genauen Unter 
ſuchung maden zu müffen, unb wir fónnen ihm das rühms 
fie Zeugniß geben, baf er feine Aufgabe trefflich gelöst 
babe. Seine tief in das formelle ber Gibyllinifen Sid» 
tungen eingehende Abhandlung zeugt von grünblider Ges 
lehrſamkeit, kritiſchem Scharffinn und mufterhafter Akribie. 
Der Herr SBerfaffer hat ὦ dadurch ein großes SBerbienft 
um diefen Zweig ber antifen Litteratur erworben, welches 
allenthalben gerechte Anerfennung finden wird. 

I. ©. Krabinger. 


2. 


fatbolifd)e Schruorträge gehalten in der Kirche del Gesü 
zu Rom während ber heiligen Faſtenzelt be8 Jahres 1851 
von 9. Carl Yaffaglia, aus ber Gefellfchaft Sefu, pro» 
fefor ber Theologie am zömifchen Golleglum ac. ıc. — 
Aus dem Italieniſchen. Verlag von ©. S. Manz in Re 
gen&burg. 8, VIIL und 249. ©. Preis 1 fl. 30 fr, 


Der Herr Verfaſſer der vorliegenden Fatholifchen Lehr⸗ 
vorträge ift bereits berühmt burd) feine anderweitigen, bes 
fonder8 dogmatiſchen Arbeiten, al$: Commentarius de 

Ses. Duartalſqrift. 1869. II. Heft. 32 


480 Vaſſaglia 

Praerogativis beati Petri apostolorum principis, auctoritate 
divinarum litterarum comprobetis. Ratisbonae 1850 (Manz); 
Commentariorum theologicorum partes tres. Romae 1850. 
1851. Dann: Del necessario a concedere alla ragione 
toltane la regola dall’ analisi dela fede, Roma 1851, 
fo wie burd) bie Herausgabe des Werkes: Enchiridion de 
Fide, Spe et Caritate sancti Aurelii Augustini, episcopi 
hippon., Johanne Bapt. Faure, theologo Soc. Jesu nolis 
et assertionibus theologicis illustratum. — Neapoli 1847. 


Eben fo trefflid), müffen wir geflehen, find aber aud) diefe | 


Tatfoli(den Lehrvorträge, bie er im Jahre 1851 für Ge 
bildete zu Rom gehalten hat. — Wir erfehen hieraus, 
baf er die SBebürfniffe unferer Zeit in religiöfer infit 
wohl erfaßt hat. Das Erſte, was Vielen in unferer Zeit 
fehlt, ift ohne Zweifel der fefte Glaube an bie Wahrheit 
und Göttlichfeit des Chriſtenthums, fo wie ble Ueberzeu⸗ 
gung, daß bie Fatholifche Kirche bie wahre (bie urſpruͤng⸗ 
fide und vollfommene) fel. Außerbem werden aber nod 
befonder8 gewifie Olaubenswahrheiten von ben Natura 
fiften und Rationaliften angefochten. Aud hierauf hat 
der Verf. mit richtigem Scharfblid aufmerffam gemadit. 
Daher enthalten die erften fechzehn Vorträge (zu denen 
wir ned) ben zwanzigſten hinzufügen möchten) bie Apolo⸗ 
getif des Chriſtenthums und ber Kirche in populärer Form 
für Gebibete, Die übrigen fünf Vorträge dagegen ber 
ſprechen eben jene Glaubenswahrheiten, welche in unferer 
Zeit von 9Randen bezweifelt und beftritten werden, als: 
ob die Kirche Gewalt habe, Gefege zu geben (17. Bors 
trag); ob das Gefe ber Kirche über bie Lefung ber heil. 
Schrift nicht eine ungerechte Befchränktung der Stedte 
ber Gläubigen {εἰ (18. Vortrag); ob bie Beichte burj 


ratholiſche ehrvortrage. 481 


ein menſchliches Geſetz auferlegt, ober burd) ben göttlichen 
Willen geboten werde (19. Vortrag); ob bie Auferſtehung 
des Menfgen mit Gewißheit zu hoffen (21. Vortrag). 
Zum Schluffe ſchaͤrſt ec endlich nod) ein: daß das „fihere 
Mittel, um die menſchliche Geſellſchaft aus einem fo aufe 
geregten Suftanbe, wie wir ihn gegenwärtig ſchmerzlich 
empfinden, zu einem georbneten und ruhigen Leben zu 
führen," nur „in bem richtigen Begriffe der Menfchen 
von ihrer eigenen Würde” beftehe (22. Vortrag). 

Wir wollen nun nicht fo febr bie Durchführung ber 
einzelnen Themate befprechen, ba bie uns zu weit führen 
würde, fondern mehr aus ben erfien 16 Vorträgen jene 
Bemerkungen des Verf. hervorheben, bie für bie Wiſſen⸗ 
{haft der Apologetif in unferer Seit von Wichtigkeit find. 
Mit Recht beginnt der Verf. feinen erſten Vortrag mit 
dem Thema: „Die Denkfreiheit.“ Denn Viele in uns 
ferer Zeit fegen bie Denkfreiheit in religiöfer Beriehung 
bloß in eine Zügellofigfeit, bie ba meint: man fönne im 
Denken über göttliche Dinge und Gebote eine willfüfrlide 
Herrſchaft üben, unb fie verwerfen, fobalb fie unfern Neir 
gungen und gelbenfdjaften nicht zufagen. Allein fold) eine 
Gefinnung muß nothwendig entweber zur Gleichgültigkeit 
gegen die Religion ober gar zum vollen Unglauben führen. 
Deshalb loͤst ber Verfaffer zuerft, bevor er mod) an bie 
Begründung der Wahrheit unb Göttlichleit des Chriſten⸗ 
thums geht, die Frage (S. 4): „ob unfer SBerftanb, der 
uns fo fer der Gottheit mabe bringt, für ergaben über 
jedes Geſetz gelten wüfle, fo baß er ganz als eigener 
Herr ſich ſelbſt Gefeg ἰῇ; ober ob er nicht vielmehr bes 
ſtimmten Geſetzen unterworfen fei, welche feine Hands 
lungen Ienten, und bafür maßgebend fein folen,^ Er zeigt 

32* 


483 Baffaglia, 


nun, daß alle Dinge im Univerfum unter beftimmten Ges 
feben ſtehen. ©. 4: „Geſetze beftimmen bie Zufammen- 
fegungen unb Auflöfungen im Mineralreihe: Gefege tal» 
ten über ber Entwicklung ber Pflanzen; unb feften Gefegen 
gehorcht bie ganze Thierwelt. Wäre bief nicht ber gall, 
bann würde alle jOrbmung fhwinden und bie Welt müßte 
zu einem furdjtbaren Wirrwarr fid) geftalten.“ Der Berf. 
fließt nun hieraus, daß aud) der Menſch unter Gejegen 
werde (teen müffen, weil er „ein Theil der Schöpfung“ 
ift (S. 5), mithin, „daß auch die Vernunft, daß auch das 
Denken feine eigenen Gefepe habe, bie εὖ beftimmen.“ 
Dieß beweist die Logi Und ebenfo hat aud (€. 6) 
„feine Gefege der Wille, und daher — die Wiffenfchaft 
der Glüdfeligfeitslehre; und es hat ebenfo das Freiheits⸗ 
vermögen feine Gefepe unb.baber bie Sitten» und Rechts 
lehre.“ Scharffinnig bemerft der Verf. (5. 6): „Man 
muß entweder behaupten, daß unfer Berfland von ber 
Wahrheit abhängig fei, oder umgekehrt, daß bie Wahrs 
heit von unferem Verftande bedingt werde. Wer ficht 
aber nicht bie volle Ungereimtheit des zweiten Sapes?" 
©. 7: „Angenommen nun, daß ber SBerflanb von jedem 
Zügel frei fel; — in weldjem Verhältniffe wird fi dann 
ber Wille befinden müffen? Auch ber Wille wird fein 
Gefeg mehr anerkennen, alle Pflichten werden aufhören, 
und das ganze Leben des Menſchen wird in Zerrättung 
gebracht fein." Hiermit hat ber Verf. fid) einen herzlichen 
Uebergang gebahnt zu bem Beweife, daß ber Geift im 
Bereiche ber Religion keineswegs willkuͤrlich fi von ben 
Dentgefegen losſagen fónne. Auch wir fagen: IR bie 
vernünftige Notwendigkeit des Glaubens an bie Wahr, 
heit unb Göttlicfeit des Chriſtenthums nachgewieſen, fo 


tatholiſche Lehrvorttäge. 483 


Tann der Geift fif vom Glauben nit losfagen, wenn 
ex fonft nicht feinem eigenen Wefen (feiner innern Würde) 
wiberfprechen will. 

(6 if daher vor allem Andern nöthig, aufzuzeigen: 
daß aud der Glaube „unter bie Geſetze des Denkens ges 
δότε, daß es Pflicht des Berftandes fei, Glauben zu 
ſchenken, unb fij im Vertrauen auf das Wort Anderer 
zu beruhigen." Dieß thut der Verf. im 2. Vortrage. 
Er beweist, daß der Glaube unumgänglich nöthig if, 
weil fonft die häusliche und bürgerliche Geſellſchaft, und 
ebenfo die Freundfchaft und die Gewißheit der Wahrnehs 
mungen ber Sinne zerftört würden, nod) eine Erziehung 
mehr möglich wäre. Der Verf. gibt hier ein treffendes 
SBrincip, welches aud) auf bie Religion angewendet wet» 
den fann. Er fagt ©. 16: daß jene thöricht handeln, 
„welche entſchieden erflären, daß fie mur ber offenbaren 
Gewißheit, unb ben inneren und notfmenbigen Bolgeruns 
gen des Vernunftſchluſſes fid) fügen." Denn „wie bie 
Augen des Koͤrpers nicht bloß bei dem gerabeftrahlenden, 
fondern aud) bei dem widerſcheinenden Lichte fehen; fo 
fiebt und ſchaut aud) das Auge des Geiftes nicht bloß bei 
bem Lichte der innern Klarheit, fonbern eben ſowohl auch 
bei bem Lichte des Glaubens und des Vertrauens auf 
das Wort Anderer. — Rein, um das bir Vorgetragene 
zurüdzuweifen, genügt es nicht, zu antworten, e8 fei 
nit far unb einleuchtend, fondern bu mußt beifügen 
Tónnen, baf εὖ aud) nicht einmal glaubbar if. Es reicht 
nit bin, ju fagen: ich fehe nicht die inneren Gründe; 
fondern man muß beifegen: id) fefe nicht einmal äußere 
Anzeichen, und Äußere Zeugniffe, welche es mir annehm⸗ 
bar madjen. Wenn fowohl das eine, wie das andere 


494 εὐ 8efagfa, 


fidt fehlt, bann hat man vollfommen Stet, feine Zus 
fimmung gu verfagen." — Diefe Bemerkung ift ungemein 
wichtig in Betreff der Religion. Denn halten wir viele 
Naturerfcheinungen, welche richtig wahrgenommen worden 
find, für wahr, und bürfen wir fie für wahr halten, 
aud ohne daß wir fie in ihrem innern Weſen begriffen 
haben, fo muß biefer Grundſatz aud) in ber Religion 
gelten, baf wir gleichfalls jene Wahrheiten und Thatſachen, 
welche wir nicht begreifen, für wahr halten .müffen, fos 
bald fie durch eine genügenbe Auctorität bezeugt werben. 
Sft daher, burd) Außere hiſtoriſche Zeugniffe erwiefen, baf 
Chriſtus Wunder gewirkt Bat, fo ift aud) erwiefen, bof 
er göttlicher Gefanbter ift, um fo mehr, da feine Ausfage 
über feine göttliche Sendung wegen feiner Heiligkeit [don 
für wahr gehalten werben muß, mithin müffen wir alle 
teligiófen Wahrheiten, bie er verkündet fat, für wahr 
halten, alfo aud) jene, welche wir mit unferem Verſtande 
nicht vollfommen begreifen. Die Geſchichte unb Erfah⸗ 
tung lehrt es, daß man von vielen Myferien anfangs 
nur Äußerft geringe Vernunftgründe anzugeben wußte, daß 
mande der Vernunft fogar zu widerfpechen (dienen, unb 
daß diefe fpäterhin bod als vernunftgemäß erfannt und 
bewiefen worden find. Es ift daher zum Glauben durch⸗ 
aus nicht, wie mand meinen, die Vernunfteinſicht in 
die Dogmen abfolut nöthig. Gegen diefes Princip vers 
ſtieß fid einſt aud) Abaͤlard durd den Satz: „Nec credi 
posse aliquid, nisi prius intellectum^ 1). 

Sym dritten SBortrage ftellt der Berf. (&. 19) bie 





1) ©. KirjensLericon. Herausgegeben von Wetzer und Welte. 
1847. 1. 8b. ©. 6. 


katholiſche Lehrvbrtraͤge. 485 


Frage: „ob Gott durch ein Zeugniß, verſchieden von bem, 
das in ber Natur, in ben Ausfprüchen des Gewiſſens 
ertönt, und in ben Lichtſtrahlen der Vernunft erglänzt, — 
dem Menſchen e8 zur Obliegenheit machen fönne, gewiſſe 
Wahrheiten zu befennen und getiffe Pflichten zu erfüllen: 
und ob er von bem Willen eine gewiſſe Art der Vereh⸗ 
rung verlangen fónne.^ Die Antwort ift: Ja, weil Gott 
unfer Bater (Schöpfer),. Herr und König ijt. — In dies 
fem SBortrage ift eine Einwenbung der Rationaliften gegen 
die Nothwendigkeit der übernatürlichen Offenbarung grünb« 
lid) widerlegt. Diefe Einwendung lautet alfo (S. 22): 
nWenn zu den religiöfen Pflihten, welche von der Vers 
munft vorgefchrieben, unb in ihrer Gefammtfeit bie nas 
türlid)e Religion bilden, nad) Gottes freiem Willen unb 
Gutduͤnken andere hinzugefügt werben Fönnten; fo müßte 
man zugeben, daß entweder Gott der Urheber unnüger 
Pflichten fein fónne, oder daß bie Natur in bem höchſt 
wichtigen Bereiche der Religion nicht das Nothivendige 
und Gebüprenbe leifte.” (Lebteres behauptet aud) Strauß 
in feiner Olaubensl. I, ©. 267.) — „Aber fowohl das 
eine wie das andere ift im höchften Grade unverträglich 
mit der Weisheit eines Gottes. Es ift unvertráglid) mit 
ijr, anzunehmen, bag Gott, der unendlich weile SBifbner 
der menſchlichen Natur, diefelbe nicht mit allem Lichte reich 
verfehen habe, das erforderlich ift, um alle nothwendigen 
and gebührenden Pflichten ber Religion Fennen zu lernen." 
Der Verf. antwortet auf den erflen Theil bes Einwurfes 
€. 22: „Kann man es für unnüg halten, wenn bem 
Menfchen Anlaß zu Thaten der Tugend geboten, wenn 
ihm Gelegenheit gegeben wird, fie häufiger zu üben; wenn 
der religidfe Sinn gemedt und bewirkt wird, bag man 


486 Raffaglie, 

feine Abhängigfeit von Gott beſſer erfenne und fühle" ? — 
Was den zweiten Theil ber Einwendung betrifft, fo bes 
merkt er (6. 23): Wohl hat bie Natur das Nothwendige 
empfangen, um ber Religion und Gottesverehrung Genüge 
zu thunz aber fet er hinzu: „If das Gefhäft des Schd- 
pfers erfüllt, fo wird baburd) nicht aufgehoben, daß Gott 
aud) nod) das Geſchaͤft der Fuͤrſorge ἅδε." — Allerdings. 
Denn war biefe Fürforge, b. i. bie Erziehung ber Urs 
meníden burd) Gott (don nöthig bei der primitiven Offen⸗ 
barung ber Schöpfung, fo war fie gewiß um fo noth⸗ 
wendiger, ald bie normale Entwidlung berfelben durch 
ihre Sreithätigfeit unterbrochen worben if. G6 fann daher 
fonder Zweifel aufer der natürlihen Offenbarung auch 
mod) eine übernatürliche geben. 

Der Berfaffer zeigt nun im vierten SBortrage „bie 
Wahrſcheinlichkeit der Thatſache der Offenbarung." Diefe 
Wahrfcheinlichkeit beweist er daraus: 1) weil Gott in 
der finnliden Ordnung der Natur fid) nicht blos auf das 
Nothwendige befhränkt, fondern fih als freigebig auch 
durch Vertheilung des Nüglichen und Angenehmen bekundet, 
fo ift εὖ nicht wahrſcheinlich, daß er im überfinnlichen 
Reihe der Religion fi bloß mit dem Nothwendigen bes 
gnügt habe. 2) Um fo mehr läßt fid) dieſes Einſchreiten 
ber Vorfehung vorausfeßen, wenn man erwäget, was bie 
Erfahrung lehrt (S. 30): „Sie zeigt und, daß ber weite 
aus größte Theil ber Menſchen fij faum zu dem lieber» 
finntiden erſchwingt, und faum im Stande ift,. fid) deut⸗ 
lide Begriffe von der Gottheit und von feinen Pflichten 
zu verſchaffen. Sie zeigt und, daß bie Allermeiften, von 
ihren Lebenslagen und Umftänden mit Gewalt abgehalten, 
fih mit ben vielfaden Forſchungen, welche zur Bildung 


katholiſche Lehrvortraͤge. 487 


einer geordneten Sammlung von religiöfen Wahrheiten un» 
etlaͤßlich find, weder befehäftigen fónnen nod) wollen." — 
6.31: „Wenn εὖ alfo wahr ift, daß bie dreifache Stimme 
der Ratur, des Gemiffenó unb der Vernunft nothwendig 
iR qur Religion: wenn es wahr if, daß man biefelbe 
aud hinreichend nennen fann, fobald man die Vernunft 
ihrem Hochbegriffe nad) betrachtet; fo ift εὖ bod) durchaus 
falſch, daß biefelbe genügt, wenn man bie Vernunft bes 
traditet , wie fie in der Wirklichkeit befehaffen if." — Im 
fünften Vortrage ftellt fid) der Verf. die Aufgabe, birect 
iu beweifen (€. 35), „daß Gott aud) mit einer von der 
Stimme der tatur verfchiedenen Offenbarung zu dem Mens 
ſchen gefproden" habe. Denn ©. 38 bemerft er treffend: 
„daß das Menſchengeſchlecht feit feinem Urfprunge, zu 
jeder Zeit und an allen Orten ſtets darin übereinfam, daß 
es göttliche Offenbarungen annahm, die verfchieden waren 
von benen, welche in bem großen Bude ber Natur glán» 
imb verzeichnet fteben —." Diefe Thatſache ber allge 
meinen Uebereinftimmung hat allerdings einen großen Werth 
für unfere Meberzeugung von dem Dafein einer wahren 
göttlichen Offenbarung. Jeder Srrtum ift gegründet auf 
irgend eine Wahrheit, bie man mifbeutet, Alfo fagt 
Boffuet. Wenn bemnad) viele faljde Offenbarungen, bie 
fib für göttlide ausgeben, vorhanden find, fo muß εὖ 
nothwendig aud) eine wahre "göttliche Dffenbarung geben, 
weil fonft ohne biefe bie Menfhen nie auf den Einfall 
gefommen, die falfchen Offenbarungen für wahre auszus 
geben , nod) wäre jemand fo unbefonnen gewefen, daran 
zu glauben, wenn nidt bereits ber Geiſt der Menſchen 
eben durch bie Wahrheit von einer wirklichen göttlichen 


488 Vaſſaglia, 


Offenbarung dazu vorbereitet geweſen waͤre, ſich von den 
falſchen Offenbarungen taͤuſchen zu laſſen. 

Im ſechsten Vortrage ſucht der Verf. die Wahrheit 
und Göttlichfeit des Chriſtenthums durch feine Wirkungen 
darzuthun. Er geht (€. 44) von bem Grunbíage aus: 
s Die Werke Gottes unterfcheiden ih unermeflid) von ben 
Werken des Menſchen.“ Hat alfo Gott turd) Chriſtus 
fi wirklich geoffenbart, „fo Können unb müffen wir als 
ganz gewiß annehmen, daß bie Zeichen hievon Far und 
vielfah in ben Wirkungen zu Tage treten werben." Das 
leitende Prineip hierbei ift (E. 45): „daß bie Urſache der 
Wirkung entfpredhen müffe;^ mithin ,fónne bie Urſache 
mut übermenfhlih und göttlich fein, wenn bie Wirkung 
uͤbermenſchlich umb göttlich if." Er betrachtet deßhalb 
„die Welt vor dem Ehriftenthume in Bezug auf ihr Den⸗ 
Ten, ihre Wünfche, Sitten und Gefege, unb dann, nad- 
bem fie Kriftlih geworben." Gut war e$ vom Berf, 
daß er (S. 52) bemerkte, daß felbft Julian, obgleich ein 
Feind und Abtrünmiger des Chriſtenthums, dennoch bit 
ESittenreinheit der erſten Chriften belobt. — Unläugbar 
war bie burd) das Chriſtenthum bewirkte fittliche Ums 

-wandlung ein Geiftesiwunder, eine neue Schöpfung. Der 
Berf. frágt (&. 53): „Woher εὖ denn fomme, bof 
nicht Wenige in unferer Zeit das Ehriftenthum für eine 
gegenwärtig nicht mehr ziemliche Einrichtung halten? Was 
glauben wir, daß bie Duelle eines fo ungünftigen Urs 
theiles fei? Vielleicht die größere Entwidlung der Ber 
nunft, baé gereiftere Alter des Menfchengefchlechts ?“ Gewiß 
nit. Denn ©. 54 fagt er: „Richt bem Berftande wer 
ben wir fie zuſchreiben, fondern dem Herzen, nicht bem 
vernünftigen Urtheile, fondern ber feiben[djaftfien Gin: 


katholiſche Leßrborträge. 489 
genommenheit.” Der Berf. findet bie Urſache hauptſaͤch⸗ 
lij darin: weil ba6 Chriſtenthum das Gefeg des Olaus 
bens, welches „die Gelüfte des Geiſtes zuͤgelt unb ber 
Unabhängigkeit im Denken Gdjranfen ſetzt,“ gebietet, 
und außerdem mod) „die Abtödtung ber Sinne,“ welde 
den Neigungen durchaus nicht gefällt, fordert. Diele 
Urfahen finden allerdings Statt bei der Mehrzahl 
ber Menfchen, bod) tritt bei den Gelehrten aud nod 
eine andere Urfahe Hinzu, b. i. bie Falſchheit des 
Standpunftes, den fie in ber Philofophie einnehmen. 
Man glaubt vielfach, den monififchen Standpunkt bem 
dualiftifchen, welcher bie wefentliche Verſchiedenheit ami» 
ſchen Geift und Natur, fomie zwiſchen Gott und Welt 
behauptet, vorziehen zu follem, deßhalb, weil man auf 
dem moniftifchen Standpunkte die Schöpfung leichter unb 
beſſer zu erklären und zu begreifen meint. Allein hält 
man ben moniftifchen Standpunkt, nàmlid) ben ber Jm» 
manenz in der Philofophie für ben wahren, fo muß man, 
wie fid) von felbft verfteht, bie Mebernatürlichfeit ber po» 
fitiven Offenbarung aufgeben, und bie Dogmen theils 
ganz negiren, theils fie in einem anbern Sinne deuten, 
als bie wahre Kirche fie auffaßt. Der moniftifhe Stand» 
punkt der Tranfeendenz aber kann wohl mehr ein drift» 
lies Golorit annehmen, jebod) nimmer ber Madel der 
Inconfequenz entgehen. Denn, um nur Eines zu berühr 
ten, ift der menſchliche Geift hier göttlichen Wefens, wie 
fann da confequent πο eine Rede von bem Günben[alle 
und fo von ber Nothwendigfeit der Erlöfung fein? — 
Im flebenten Vortrag beweist ber Verf. die Wahrheit und 
Göttlichfeit des Chriſtenthums burd) bie Mittel, melde 
iu feiner Verbreitung in Anwendung gebracht wurden, 


490 Baffaglia, 
Er fügt feinen Beweis auf folgendes Princip (&. 55): 
„In je größerem Mißverhäftniffe die Mittel zu bem 
Zwecke ftehen, für befto ftärfer muß die Kraft und Macht 
der handelnden Urfache gehalten iverbem." ©. 56: „Je 
wngleider dieſes Verhältniß er[deint, defto mehr muß 
das ganze Werf al über die Kraft der Natur hinaus⸗ 
sehend betrachtet werben." Deßhalb muß man fagen 
(G. 56): „Das Werk des Chriftentyums gehe, in Anbes 
tradjt ber zu beffen Durchführung angewendeten Mittel, 
weit über die Natur hinaus, und gehöre einzig dem 
Reiche der Wunder an." Denn, fährt ber Verf. fort 
(&. 59), „die angewandten Mittel [affen fid) alle insge⸗ 
fammt auf ein einfaches, gewöhnliches, ungebilbete& Wort 
zurüdführen, und zwar mitgetheilt von Menſchen, an 
welchen Alles zu wünfeben übrig blieb." In biefem Bor 
trage ift befonber bie bünbige Zufammenftellung der hiſto⸗ 
riſchen Seugniffe in Betreff ber Verbreitung des Ehriften- 
thums, unb ber Hinderniffe derfelben beachtenswerth. 
Im achten Vortrage zeigt ber Berf., daß bie Wuns 
der und Weiffagungen wirklich den Werth eines Beweiſes 
haben, und daß man mit Recht diefelben zur Bewährung 
der Böttlichfeit des Chriſtenthums anführt (S. 70). Denn 
dieß glaubte bie Menſchheit von jeher, ſowohl vor als 
nad) Ehriftus (S. 72): „Bei den Heiden, Juden, Chriſten 
unb SRufamebanern fand fid immer das gleiche Urtheil: 
die Wunder unb Weiffagungen feien das Werk Gottes, 
des hoͤchſten Herrn der Natur, und nicht des Menfchen, 
der felbft ein Theil ber Schöpfung ift; rühren von Gott, 
ber unendlichen Weisheit her, unb nicht vom Menfchen, 
ber fogar für bie Gegenwart Furzfihtig if." In biefem 
fBertrage findet fid) eine ſchoͤne originelle Bemerkung bed 


katholiſche Lehrvortraͤge. 401 


Berf. über den Unterfchied der Beweisführung für bie 
Göttlihfeit des Chriftenthums in den verſchiedenen Zeits 
perioden. Er fagt (€. 67 u. 68): „In den Evangelien 
unb in ben Briefen der Apoftel fiet man allen und jeden 
Beweis auf zwei Hauptpunfte zurüdgeführt: auf bie 
Wunder, welche gewirft wurden, als auf eine göttliche 
Stimme, bie im ‚vollften! Grade bie Macht befigt, bie 
Geifter zu überzeugen, daß man Gott für ben hödhften 
Urheber des Chriſtenthums anfehen müfle: und auf bie 
Weiſſagungen und Prophezieen, welde- als vollgiltige 
Zeichen gebraucht wurden, um zu beweifen, daß man nothe 
wendig eine Lehre als himmliſch annehmen müffe, bie fo 
viele Jahrhunderte vorher mit fo vielfach verſchiedenen 
Farben vorgebildet, und burd) fo zahlreiche und überein» 
fimmende Zeugniffe vorhergefagt war. Auf die Wunder, 
bie er that, unb auf bie Weiffagungen, bie längft zum 
Boraus feine Lehre angefünbet hatten, nahm der Stifter 
des Chriſtenthums, Jeſus Chriftus, beftändig Berug; aus 
den Wundern und aus den Prophezeiungen fhöpft er bes 
ſtaͤndig den entſcheidendſten Grund für fein Stet, ſowohl 
wann er von denen, bie ihn hörten, Glauben forderte, 
als aud) wann er alle Sene tadelte und für ſchuldig er» 
flárte, welche fid) weigerten, ihm Glauben zu leiften. In 
ben Bußftapfen Jeſu hielten fid treu feine Apoſtel und 
die erften Verfünder des Evangeliums. — Aber in ben 
alten kirchlichen Schriftvenfmälern tritt uns ein viel größer 
ver Aufwand von Beweifen vor Augen." 

„Wohl ift e& wahr: aud) bie firchlihen Schriftfteller 
wiederholen und bemugen früftig bie ben Wundern und 
Weiffagungen entnommenen Beweiſe; aber e8 ift aud 
wahr, ba fie mit ihnen viele andere verbinden, welde 


403 Vaſſaglia 


man vergebens in den Evangelien und in den Schriften 
der Apoſtel ſuchen würde" ©. 69 u. 70: „Woraus 
werben wir nun, der Wahrheit gemäß, biefen Unterſchied 
der Beweisführung herleiten, deren fid) einerfeits Chriſtus 
und die Apoftel, und anbernfeité bie Lehrer und Meifter 
in ber Kirche bebienten? Man muß benfelben zweifels⸗ 
ohne aus ber Verſchiedenheit bez Zeiten herleiten. — In 
feiner Kindheit fonnte bie Göttlichfeit des Chriſtenthums 
febiglid) duch bie Wunder und Weiffagungen bewiefen 
werben; aber in ben folgenden Entwidlungsfufen, in 
feiner Jugend und in feinem männlichen Alter tragen zum 
Nachweiſe diefer Göttlichfeit, gleich ben Blüthen und 
Früchten (eines Baumes) aud) alle jene Zeichen bei, 
deren fi die Vertheidiger beffelben fo ganz mit vollem 
Rechte und mit Gewandtheit bebienten^ h. 


1) Auch wir Hegen biefe infit , daß faft jedes Jahrhundert feine 
eigentlichen Beweife für bie Wahrheit umb Göttlicheit ber dif 
Offenbarung Hat, und ba bie Provivenz gerade jene Beweisarten (euge 
miffe) im jeder Seitperiobe auftauchen Täßt, weiche eben bas Webirfnif 
des Denlgeiſtes ber Menſchen zum Glauben erfordert. Dieß Bat auch 
Ricolas in feinem berühmten unb geiftteichen apologetiſchen Werke : „Bru- 
des philosopbiques sur le Christianisme.“ Paris, 1852, T. I. p. 348, 
ausgefproden: „Ind6pendamment du développement, et de la pré- 
cision ou ont été portées, de nos jours, toutes les sciences qui 
étaient déjà en marche, des sciences toutes nouvelles ont surgi, 
comme pour venir déposer en faveur de la parole de Dieu, à l'épo- 
que précisément oü la foi se mourait dans tous les coeurs. Dans 
ce nombre il faut compter, avant tout, la géologie, à la quelle nous 
allons emprunter des témoignages dignes du plus vif intérét. Chose 
admirable que cette variété et que cete proportion des preuves 
dont se revét tour à tour la Religion, selon la diversité des phases 
de l'esprit humain! Si le moyen-fge et les premiers siàcles de l'Eglise 
avaient des preuves que nous n'avons pas; si le temps des miracles 
οἱ des prodiges, de la sainieté des apótres, de la conversion de 





Tatfolifje Lehrvortraͤge. 499 


Im neunten Vortrage ſucht der Verf. „die Wahrheit 
ber Wunder unb SBeiffagungen^ baburd) zu befräftigen, 
daß er diefelben „als nothwendig anzunehmende Voraus⸗ 
ſetzungen“ Hinftellt und erweift, „und dann neuerdings 
durch eine einzige Thatſache“ (b. i. die Vereitlung der 
Wiederherftellung des Tempels zu Ierufalem burd Julian) 
„ihre Gewißheit außer aller trage" ſetzt. (S. 81). Unter 
die Greignifje, die man ohne Vorausfegung von Wundern 
und Weiffagungen nicht erklären Fönne, zählt er folgende: 
1. Die Bekehrung einer großen Zahl von Juden, von ben 
Schriftgelehrten. 2. Die fittlihe Umwandlung des roͤmi⸗ 
fügen Reiches. 3. Die Belehrung der Länder außerhalb 


Yanivers et du courage des martyrs, est passé, voici des preuves 
toutes nouvelles. e$ non moins frappantes qui étonnent nos regards 
et qui doivent satisfaire notre esprit, précisement par le cóté qui 
lui convient le plus de nos jour, le cóté de la science et de l'exa- 
men.“ — Es wollen zwar Manche aud in unfern Tagen nur ben 
Bunders und Weiffogungsbewels angewendet wiflen, unb alle Bernunft- 
Bere ausfegeiben, um nicht den Schein zu erweden, als fulbigten fie 
einer vationalififchen Richtung. Allein Hat bie Wiſſenſchaft es Berause 
geflelt, daß die Natur der Wahrheit ber pofitiven Offenbarung Seugnif 
gibt, warum folite mun es alsdann ber Wiſſenſchaft vermehren, zu ber 
weifen, daß auch ber Geif (bie Vernunft) berfelben Zeugniß gibt? Hält 
nun unfere Zeit fo viel auf die Vernunfteinfiht, warum follte man bann 
Feine Bernunftbeweife für die Dogmen führen, ba felbe bod) möglich find? 
Anfelm fagt (Cur Deus homo 1. 1. c. 2.): „Negligentia mihi vide- 

' tur, si postquam confirmati sumus in fide, non studemus, quod cre- 
dimus, intelligere. Bleiben bemmadj aud) die Wunder umb Weiffagun« 
gen immerhin ber Hauptbeweis: fo find bod) bie fBernunftbemeife für 
die Dogmen nimmer überfläffig, ba fie ja eine Beflärkung im Glauben 
erzeugen. Muguftin [ἀτείδε in f. 110 Briefe au Gonfentiut: „Wer 
dahin gelangt ift, daß bie wahre Vernunft ijm das Veiſtandniß beffen 
gibt, was er früher glaubte, ohne es zu verſtehen, befindet fid) bod) ger 
wiß in einer befferen Sage, als derjenige, der noch das Verlangen trägt, 
am verfichen, was er glaubt.“ 


494 . Spaffagita, 


des römischen Reiches. 4, Die zahllofen Schaaren von 
Zungfrauen, welche ben herrlichften Eheverbindungen ent» 
fagten. 5. Der Sieg des Chriftenthums über das heid⸗ 
nifde Prieftertfum, und über den Trug der falfhen Phi— 
Tofophie. 6. Die Ctanbbaftigfeit der Märtyrer. 7. Die 
Civiliſtrung der barbarifhen Bölfer. — Wohl hätte ber 
Berf. nad) diefem neunten S8ortrage den imanjigften. εἰπε 
reihen koͤnnen: „die Auferſtehung des Gottmeníden." 
Denn aud) der Glaube an die Gottheit Jeſu war nicht 
móglid), wenn nicht das Wunder feiner Auferftehung ald 
aweifellofe Thatfache vorauégefept wurde. — Treffend ift 
in bem neunten Vortrage ber Nachweis der Glaubwür⸗ 
digkeit ber Thatfahe von der BVereitlung der Wiederhers 
ftellung des Tempels zu Serufalem burd) Julian (S. 89), 
fo mie bie philoſophiſche Kritif diefes Wunders. — 
Im zehnten Vortrage beweift der Verf. aus ber 
Goͤttlichkeit des Stifters vom Gfriftentjum, taf aud) Diefes 
deßhalb göttlich fein müffe. Gr geht von bem Principe 
aus: Man fann aud) von der Kenntniß der Urſache fif 
Bahn breden zur Erfenntniß ber Wirfungen. Man fann 
daher nicht bloß aus ben Mitteln und Wirfungen, fonbern 
aud) aus der Urfahe — aus der Betrachtung des Urhe⸗ 
bers vom Chriſtenthum feinen göttlichen Urfprung nad: 
weifen (€. 98). Denn if ber Stifter deſſelben göttlich 
und himmliſch, fo muß das Gfriftentfum nothwendiget 
Weiſe aud) göttlich und himmliſch fein. Er unterfucht zu 
diefem Gnbjmed: Wer Chriſtus war? Die Antrort if 
nad Sob. 1, 14: das fleijfjgemorbene Wort. — Er ift 
daher nicht bloß Menſch, fonbern aud) Gott. Auch ald 
Menſch ift er erhaben über das ganze Menfchengefchleht. 
„Es erhöhen ihn über baffelbe fein Urfprung, feine Heir 


katholiſche Lehrvorträge. 495 


ligfeit und bie hehre Größe feiner Perſon“ (S. 100). 
„Denn bie Perſon Chrifti ift eine, unb zwar eine göttliche“ 
(Θ. 102). — 

Im eilften Vortrage betrachtet ber Verf. die Größe 
Jeſu, infofern er Menfh war. Er erweift biefelbe aus 
feiner erhabenen Abſicht, allen Menfchen Heil in bem Ber 
reiche des Sittlichen und Religiöfen zu bringen (S. 106). 
Er zeigt deßhalb, daß Chriſtus alle Heroen ber Menfchheit 
weit übertrifft; denn fold einen nüßlihen und erfabe- 
nen Rathſchluß findet man weder in ber Geſchichte, nod) 
in ber Mythologie, nod) in ber Fabellehre. Er ift daher 
„das edelfte Hochbild der Menſchheit“ (S. 115), unb ein 
himmliſcher göttlicher Menſch. Schön ift in biefem Vor—⸗ 
trage befonders bief dargeftellt (S. 143 u. 114): warum 
Chriſtus den großen Weltweifen Sofrates an ΠιΠ ες 
Größe weit übertreffe. 

Im zwölften Vortrage zeigt ber Verf, bafi bic Größe 
Ehrifti nicht bloß in feiner erhabenen Abſicht beftehe, das 
Heil in der religiöfen und fittlichen Beziehung der ganzen 
Menſchheit zu bringen, fondern aud) in bem Werke ber 
herrlichen Durchführung diefes edlen Rathſchluſſes (S. 118). 
Den Anfang hiezu machte er mit ber Erleuchtung des 
Berftandes, weil „das Wahre die Grundlage und bie 
Gtüpe des Guten ig" (S. 119. „Deßhalb volführte 
er zuerft das Amt eines allgemeinen Propheten." Er ift 
auch der höchfte Prophet. Denn er war ein Freund, 
Bertrauter Gottes, weil er ber eigene Sohn des Aller- 
hoͤchſten ift: „er hat im Schooße des Vaters Alles ver» 
nommen.“ — Bir fönnen nidjt umhin, hier eine Bemer⸗ 
fung beizufügen: Es befürchten heutzutage Einige, daß 
Ehriftus als hoͤchſter Prophet negirt werde, wenn man 

Stool. Quartalſchr. 1858. III. Heft. 33 


496 Baffaglla, 


‚ein fpeculatives Verſtaͤndniß der Dogmen anftrebt. Allein 
dieß ift nicht und nimmer zu fürdten. Denn ber Glaube 
bleibt ja immer die hoͤchſte Norm, wornach bie fpeculativen 
Reconftructionen der Dogmen geprüft werden müffen, ob 
fie wahr find ober nicht. Auch erkennt die wahre Philo⸗ | 
fophie es felbft, daß die Auctorität Chrifti als göttliche 
fiherer ift alà bie Auctorität des endlichen und nicht in- 
falibfen Denfgeiftes. Die Vernunftbeweife für bie Do — 
men find nur eine Beftätigung von bem (don gewiſſen | 
Glauben, alfo gerade ein Seugnif für bie Wahrheit bof 
Chriſtus eben ob feiner göttlichen Infallibilität ber höchfe 
Prophet des Menſchengeſchlechtes if. — Im breigebnten 
Bortrage geht der Verf. von dem Grundfage aus, daf 
bem Menſchen theoretifhe oder fpeeulative Wahrheiten 
nöthig find, „weil er mit Vernunft begabt ift, und ſonach 
in bem höchften Theile feiner fefbft von ber Grfenntnif 
des Wahren lebt,“ und daß er ebenfo aud) ber practifchen 
Wahrheiten bebürfe, weil er frei ift, unb fid) felbftthätig 
entwideln muß (S. 129). „If daher Chriſtus ber Prophet 
ber Propheten, und wollte er mit feiner Lehre bie Men 
ſchen in ber That neu umgeftalten; fo muß man nothe 
wendiger Weife bie Ueberzeugung gewinnen, baf er be 
felben ſowohl bie eine als bie andere Gattung von 
Wahrheiten geoffenbaret, daß er nicht minder mit ben 
fpeeulativen Wahrheiten erleuchtet, ald durch bie feſte 
Richtſchnur ber practifhen zum Guten geleitet habe” 
(S. 129 u. 130). Scharffinnig hat der Verf. hier be 
merkt, daß bermalen bie natürliche Sittenlchre zur Gv 
teihung ber Beflimmung nicht genüge. Denn man 
fann nicht (agen, „es bebürfe feiner Seldftverläugnung, 
bief alles werde durch bie Maͤßigkeit vollfommen und 


tatholiſche Lehrvorträge. 497 


reichlich erfegt." „Bei einer harmonifchen und wohlgeord⸗ 
neten Natur gelten die Gefebe des Gleichgewichtes, bie 
Regeln der Mäßigfeit für notbmenbig unb vollfommen 
hinreichend. Aber genügen biefe etma aud) für eine aus 
der rechten Ordnung gerifjene unb verfehrte Natur? Sicher 
reihen fie für eine [olde nicht bin" (S. 132). Aud wir 
haben diefelbe Anficht in einer Broſchüre ἢ) ju beweifen 
verfudjt, daß bie natürlihe Moral nicht ausreihe zur 
Erfüllung ber Beftimmung nad bem falle des Urmen- 
fen, und daß deßhalb eine pofitive Offenbarungsmoral 
nothwendig fei. — Aber allerdings mußte Chriftus aud) 
ſpeculative Wahrheiten (neue Glaubenslehren) offenbaren, 
welde fid eben auf bie neuen Verhaͤltniſſe bezogen, in 
bie Gott zu dem Menfchen durch bie That der Erlöfung 
getreten. 

Im vierzehnten Bortrage erhärtet ber Verf. baf Chriſtus 
als allgemeiner Lehrer ber Welt ben Weg der Auctorität 
und des Glaubens eingefhlagen habe (S. 142 — 146). 
Denn bief bezeugen die Evangelien. Hierauf bemeift er 
weiter, daß der Weg des Glaubens, der Auctorität nicht 
bloß möglich, fondern aud) geziemend fei; daß er gefors 

* bert ward, „durch bie richtigen Folgerungen, welche fid) 
aus einer aufmerffamen Betrachtung ber fonftigen Hand⸗ 
Tungétoeife Gottes, aus vergleihenden Beobachtungen unb 
aus der Erfahrung ergeben" (S. 148). 1. Der Weg 
des Glaubens ift möglih. Denn, fagt der Verf. richtig, 
if e ein Θείεθ des Geiftes, nad) der Vernunft fid) zu 
richten, fo ift e& nicht minder ein demfelben Geifte inne» 
wohnendes Gejeb, der erfannten Auctorität fid) zu fügen. — 

1) „Die Nothwendigkeit der dicifil. Offenbarungsmoral und ifr phie 
ſophiſcher Standpunkt.” Tübingen, 1850, S. 1-60. 

83" 


. 498 Baffaglia, 


Iſt εὖ ein Gefeg des Beiftes, der Wiſſenſchaft fid) gefebrig 
zu unterwerfen, fo ift es ebenfo ein Gefeh des Denkens, 
bei bem Glauben fid) zu beruhigen" (G. 146). — 2. „Nicht 
minder Mar und augenfheinlih muß aud das Gezie⸗ 
mende einer foldhen Erziehung eradhtet werden. Denn 
wer ift denn Jeſus, ber allgemeine Lehrer des Menſchen⸗ 
geſchlechtes? Er ift das Wort Gottes, bie ewig erzeugte 
Weisheit. Nun fagt, welche Art und Weiſe des Unterr- 
richts geziemte fi für einen fo Doderfabenen Lehrer? 
Etwa eine Art, wie fie den Menfchen eigen if, — ben 
Philoſophen ? eine Belehrung burd) Vernunftſchluͤſſe. Nichts 
weniger, als dies.” (6. 147). 3. Der Weg der Auctos 
tität, des Glaubens war aber aud) burd) die Erfahrung 
gerathen. „Sagt, was hatte man benn im Laufe von 
dreißig Jahrhunderten durch bie Vernunft erreicht, und 
durch bie Wiffenfhaft errungen? Einen Blid auf bie 
Geſchichte der Philofophiel Was fehen wir ba? Wir 
fehen ba, daß bie Gebnfudt des Sofrates, das feufzende 
Verlangen des SBlato nad) einem Gefandten des Himmels, 
der mit hoͤchſter Auctorität und Macht die Wahrheit ent» 
huͤllen follte, — für ben Flarften 9fuébrud des Gefühle 
erachtet werden muß, daß die SBernuft nicht genügt, umb 
bie Wiffenfhaft der hohen unb ſchweren Aufgabe, bie 
Menfchen bem fhmählichen Joche des Irrthums zu ent 
reißen, keineswegs gewachſen fid) zeigt” (&. 149). 

Das Mittel der Wiſſenſchaft war auch „ungeeignet 
für die Wahrheiten, welche geoffenbart werben follten. 
Denn εὖ gab darunter nit wenige, welde über ben 
Blid der Vernunft erhaben waren. — Ungeeignet aber 
außerdem für bie Menfchen, welden man jene Wahrheiten 
offenbaren wollte" (S. 149). . Denn fle waren größten« 


katholiſche Lehrvorträge. 499 


theils nicht (eiit zu begreifen, bie meiften febr ſchwer zu 
finden, unb bie Beweisführungen dafür nicht gemeinvers 
ſtaͤndlich. Sie fordern eine höhere Bildung. Allein diefe 
ift nicht allgemein, und wird aud) niemals allgemein erre 
ſchend fein (S. 150). „Die allgemeine Unterweifung des 
Menſcheng eſchlechtes kann daher mittelft ber Vernunft und 
mittelft der Wiffenfhaft weder begonnen noch durchgeführt 
werben” (S. 151). Es bleibt begfalb nur ber Weg des 
Glaubens, der Auctorität als das allgemeine Mittel des 
Unterrichtes für das Menfchengefhleht übrig. — Diefer 
Vortrag ift vielleicht ber originellfte vor allen andern. — 
Nicht viel minder ausgezeichnet ift aud) der folgende fünf» 
zehnte Vortrag. Im biefem zeigt ber Berf. ba „der Weg, 
um zur fihern Erkenntniß des Heiles und des Glaubens 
zu gelangen, fteté der nämliche war und fein wird," unb 
daß, „wie vom Anfange an das Hören, die Auctorität 
und das unfehlbare Lehramt ald nothwendig galt; auch 
bis zum legten Ende ber Tage das Hören, bie Auctorität 
und das unfehlbare Lehramt nothwendig und feftbeftehend 
fein werde" (5. 165). Der Weg der Auctorität ift bem 
Chriſtenthume wefentlih. Sagt man aber dagegen, „daß 
das Lefen und bie eigene Auslegung ber heil. Schriften“ 
(allein) „das von Jefus beftimmte Mittel fei, um zum 
Beige der Wahrheit des Heiles zu gelangen," fo heißt 
bief fo viel, als mit bem einhelligen Zeugniß der Kirchen⸗ 
väter in Widerfpruch fommen, und „die Einheit im Glau—⸗ 
ben“ (nod) fönnte hinzugefügt werben: unb ebenfo bie Voll⸗ 
ftánbigfeit im Glauben) „zur Unmöglichkeit machen" (©. 166). 

Im fechszehnten Vortrage endlich beweift der Verf. 
zum Schluffe nod, daß bie Fatholifche Kicche bie wahre 
(bie vollfommene) fei, deßhalb weil fie bie Art und Weife 


500 Baffaglia, katholiſche Schruorträge. 


des Unterrichtes befigt, welche allein ber Kirche Chriſti, 
des menſchgeworden Logos, geziemen fann, naͤhmlich: bie 
Art des Unterrichtes burd) eine unfehldare Lehramtsauc- 
torität, ba fle vom 81. Geifte geleitet wird. „Diefe Weife 
allein," bemerkt der Verf. treffend, „ift geeignet, das ber 
flánbige Wirken des Alerhöchften in der Kirche anſchaulich 
zu machen“ (Θ. 178). 

Wir hätten fonac die Grundgedanken des Verf. über 
bie Apologetif fennen gelernt. Wir ftimmen benfelben 
volfommen bei, und fónnen fie nur al6 tiefbegründete, 
und für die Wiſſenſchaft als förberliche bezeichnen. — Was 
bie nod) übrigen fünf Vorträge betrifft, welche einige von 
unferer Zeit angefochtene Glaubenswahrheiten vertheidigen, 
fo find fie gleichfalls lobenswerth. Beſonders bünft uns 
unter denfelben der neunjefnte Vortrag (über das Gebot 
der Beichte), meifterhaft bucchgeführt zu fein. Wir fónnen 
biefe bogmati(den Eonferenzen bemnad) ben Geelforgern 
mit Recht empfehlen, befonders folhen Predigern, welde 
es viel mit gebildeten Ungläubigen zu thun haben, bei 
welchen die durch Zweifelfucht zerftörten Grundlagen des 
Glaubens neuerdings gelegt werben müffen. Diefe Vor⸗ 
träge haben befonders das Eigenthümliche, daß jeder ber» 
felben fid auf ein Princip ftügt. Gibt man biefeó bem 
Verf. zu, was man muß, weil feine Wahrheit evibent ift, 
fo muß man hierauf aud) alle daraus gegogenen Folgerun⸗ 
gen augeftehen. Dadurch machen fle auf ben Verſtand 
einen großen Cinbrud, um fo mehr, ba fle zugleich mit 
hoher Begeifterung abgefaßt find. Wir Finnen deßhalb nicht 
umhin, zuleht mod) unfern Dant gegen ben Ueberfeger 
freundlichſt auszufprechen. 


Zukrigl. 


Bumiller u. Schufter, Leſebuch für kath. Volksſchulen. 501 


8. 


Sefebuch für katholifche Solhefdyulen. Bearbeltet von 3. 
Sumiller und Dr. 3. Schufter. Erſte — fechfte Abthel⸗ 
lung. Freiburg im Breisgau. Herder'ſche Verlagsbuch- 
handlung. 1852. Kl. 8. Erfte Abtheilung: 83 S., zweite: 
108 ©,, dritte: 132 G., vierte: 132 G., fünfte: 167 G., 
fehle 129. Nebft Bemerkungen zu dem Gebrauche 
des Leſebuchs für Fatholifche Volkeſchulen, bearbeitet von 
3. Sumiller und Dr. 3. Sdjufter. Freiburg im Brels⸗ 
gau. Herder'ſche SMerlagébudjfanbfung. 1852. ©. 108. 
Preis des Ganzen 1 fl. 30 fr. 


Einem Lefebuh fann unbedingt diefelbe SBebeutung 
für den Bolfsunterriht überhaupt zugefprochen werben, 
ie bem Katehismus für den Religionsunterriht. Wie 
t6 aber in ber Sache des Katechismus längere Zeit nicht 
fehr erfreulich ausfah, ebenfo finden wir e8 auch hinſicht⸗ 
lid eines Lefebuches für Fatholifche Volksſchulen. Die 
Katehismus-Angelegenheit hat ſich aber in ber Ieptern 
Zeit in ben meiften deutſchen Diöcefen entſchieden zum 
Beflern gewendet; daſſelbe läßt fid) weniger von den efe» 
büchern in ben Volksſchulen ſagen. Es hat zwar in ber 
legtern Zeit nicht an Verſuchen gefehlt, an bie Stelle ber 
bisher gebrauchten theild ungenügenben theild durchaus 
ungwedmäßigen Lefebücher in ben Fatholifhen Schulen 
beſſere zu bringen, aber biefe Verſuche wollten bisher nicht 
gelingen ; wenigftens hat fij Keines unter bem Chaos 
von Schulbüchern zu einem ſolchen Anfehen emporzuſchwin⸗ 
gen gewußt, daß es bie Andern zu verbrängen vermocht 
hätte. Das von Rendtſchmidt, das nicht zu verken⸗ 


502 Bumiller und Schuſter, 


nende Vorzüge hat, nahm eine Zeit lang einen tüchtigen 
Anlauf, fat es aber bod) nicht weit über Schleſten bin» 
ausgebracht. Die meiften 9Inbern blieben auf einen mehr 
Ober weniger engen Kreis befhränft, wenn ihnen nicht 
etwa eine Oberfhulbehörde aus befonderer Gunft einen 
weitern Wirkungsfreis anwies. 

Es gebricht barum unmiderfprechlih an einem Fathor 
liſchen Volksſchule⸗-Leſebuch, das billigen Anforderungen 
entfpriht, unb bem Schulunterrichte in feinen nothwenbigen 
Klaffenabftufungen ohne Bedenken zu Grunde gelegt were 
ben Fönnte. Ein jeder aud) irgendwie glüdliche SBerfud) 
in biefem Felde muß willfommen fein, bis ein Werk fif 
Bahn bridjt unb bie Zuftimmung eines fo großen Theile 
der Schulmänner findet, daß εὖ in ganzen Ländern als 
obligates Schulbuch eingeführt werden fann. Letzteres wirb 
freitih um fo (derer fein, je weiter bie Anforderungen 
gerade ber Fachmaͤnner an fragliches Schulbuch auseinan« 
bergefen. Ob das Sefebud) für katholiſche Volksſchulen, 
das wit eben einer furgen SBefpredjung zu unterftellen im 
Begriffe find, jenen durchgreifenden Erfolg haben werde, 
Táft fid) nad) den bißherigen febr günftigen Beurtheilungen, 
bie e8 innerhalb kurzer Zeit in nicht geringer Anzahl ger 
funben, vermuthen. Sollte εὖ aber biefe& Glüdes, das 
es unfers Erachtens feinem Werthe und Gehalte nad) in 
der That verdienen würde, durch mas immer für eine 
Ungunft nicht theilhaftig werden, fo wird ihm bod) das 
Verdienft nicht ftreitig gemacht werden fónnen, bie Löfung 
der Aufgabe hinſichtlich des Vollsſchul⸗Leſebuchs nambaft 
gefördert und ;feinem Ziele um ein Bedeutendes näher 
gerüdt zu haben. 

Die SBerfaffer gingen von einer durchaus richtigen 


Leſebuch für katholiſche Volksſchulen. 503 


Anfiht aus, wenn fie glaubten, es follte den Kindern 
während ihrer Schuljahre nidjt ein buntes Durcheinander 
von Lefebüchern in bie Hände gegeben werben, von denen 
Keines weder in Beziehung auf Inhalt, nod) in Beziehung 
auf Form in einem genau berechneten Verhältniffe zum 
Andern fteht. Sie wollten barum nicht ein gefebud) lies 
fern, das blos für bie höhern Schulklaſſen ben nöthigen 
Leſeſtoff enthielte, fondern ein Gdjulbud), das von bem 
erften Jahre des Schulbefuches bis zu bem legten ale 
Unterlage des Leſe⸗ und Sprachunterrichtes dienen fónnte. 
Diefem gemäß fonnten fie eine fletige Fortentwicklung im 
Ausdrud und in fpradlider Darftellung im Verhältnig 
zu der Weiterbildung des Kindes genau einhalten, und 
nad bem Alter, bem Berürfniffe unb den Fähigkeiten den 
Lefeftoff auswählen. Ein ſolches wie aus Einem Guffe 
hervorgegangenes, in Hinficht auf fpradjide Darftellung 
und Stoffauswahl für bie aufeinanderfolgenden Schuljahre 
genau beredjneteó Schulleſebuch ift in didaftifcher Beziehung 
einem Gonglomerat von Lehrmitteln, bie den Kindern in 
bie Hand gegeben werben, und bie bald aus diefen, bald 
aus jenen Büchleins beftehen, oftmals wie fie gerade ber 
Zufall zufammenwürfelt, gewiß weit vorzuziehen. Durch 
bie für die Bildung eines jeden Schuljahres entfpredjenbe 
ſprachliche Darftellung, von dem einfaden Sage für das 
exfte Jahr bis zu bem zufammengefegten Sage und Satz⸗ 
gefüge u. f. w. für bie fpätern Schuljahre fortſchreitend, 
bildet εὖ einen ganz zwedmäßigen Anhaltspunkt, ben Sprach⸗ 
unterricht mit ben gefeübungen in ber Schule zu verbin⸗ 
ben, was aud) in der Abficht ber Verf. liegt und als ber 
allein vernünftige Sprachunterricht in den Elementarfchulen 
angefehen werden fann. 


504 Bumiller und Schuſter, 


Auch darin ſcheinen die Verf. dem Referenten von 
der richtigen Anſicht geleitet worden zu ſein, daß ſie ſich 
bei der Stoffauswahl nicht an abftrafte theoretiſche Grund⸗ 
fäge hielten, ſondern immer bie geiſtige Entwicklung und 
bie geiftigen SBebürfniffe der Kinder ber jeweiligen Alters 
flafie auf den Grund von gemachten Erfahrungen berüd, 
ſichtigten. Sie haben daher nidt für ben niebrigften 
Jahrescurs etwa blos eine Furze Lehre von Gott (Gott 
büdjlein), für ben zweiten unb britten nicht etwa blos 
Geſchichtchen (bie verfehiedenen Geſchichtsbüͤchlein) aufge 
nommen, und für bie fpäteren Jahre ben Stoff nidt 
abgetheilt nach fyftematifhen Rubriten wie Gieelenlefre, 
Naturlehre, Himmelsfunde ıc., fondern fie haben für bie 
Jahrescurfe nebeneinander dasjenige ausgewählt, was ges 
tabe für Weiterbildung der Kinder, ihre Bebürfniffe und Faſ⸗ 
fungsfräfte paffenb ſchien. Damit Fönnen fie den weitern 
Bed. erreichen, den fie fid) votgeftedt haben, daß nämlich 
„das Schulbudy dem Schüler ein liebes Bud) wird, das 
ex in freien Augenbliden mit Luft ergreift, liest und wieder 
liest, fo daß er baffebe endlich beinahe auswendig Tann, 

‚und das Gelernte in Fleiſch und Blut übergeht. Nur fo, 
fagen bie Verf., erreichen wir unfer Ziel, das ber Wahl 
fprud) bezeichnet: wir lernen nidjt für bie Schule, fondern 
für das Leben. Nur fo wird das Buch ein Vademecum 
für bie Lebenszeit des Schülers, wozu wir ed machen 
wollten, indem wir das Nügliche mit bem Angenehmen zu 
verbinden beftrebt waren.” 

Das gefebud) liegt nad) feiner gegenwärtigen Geftalt 
in ſechs Abtheilungen vor und. Die erften vier find auf 
bie vier erfen Jahrescurſe der Elementarſchule berechnet, 
bie zwei leßtern, von denen Eine ausſchließlich ber Ges 


Leſebuch für katholiſche Volksſchulen. 505 


ſchichte gewidmet iſt, auf die letzten Schuljahre. Jede Ab⸗ 
theilung bildet fuͤr ſich ein Ganzes und kann als ſolches 
den Kindern, je nachdem fte εὖ brauchen, in die Hände 
gegeben werben. 

Die erſte Abtheilung, welche dem Kinde bei feinem 
erfjährigen Unterrichte in die Hand gegeben unb zur 
Grundlage des Schreib» unb Lefeunterrichts gemacht werben 
fll, geht von ben einfachften Vorübungen zum Schreiben 
und ber Lautlehre fort bis zu Lefeftüden in ber einfachften 
Redeform und von folhem Inhalte, wie er für Kinder 
jenes Alters Tehrreich "unb zugleich angiefenb ift. Da ber 
Säreiblefeunterricht in unfern Schulen fo einheimifch ge» 
worden ift, daß ein vom Schreibunterrichte abgefonderter 
fefeunterrid)t felten mehr üblich ift, und ba jene Unter» 
richtsmethode entfchiedene Vorzüge vor ber [egtern hat, fo 
haben bie Verf. mit Recht das Lefebüchlein für bie erfte 
Kaffe für ben Schreiblefeunterricht eingerichtet. Der Gang 
des Refebuches für ben genannten Unterricht muß als febr 
grünblid) unb methodiſch bezeichnet werden. Eben wegen 
der Grünblidfeit fehreitet er etwas Iangfam vorwärts, 
wobei er freilich des Zieles um fo fiherer ift. Dem Ref. 
hat bei der fraglichen Unterrihtsmethode immer ber Ums 
fand einige Bedenken gemacht, daß man fid) fo [ange bei 
ben bloßen Buchftabenzeihen aufhalten muß und nad) 
Wochen ετῇ einige Buchftabenzufammenfegungen vornehmen 
fann, und erft nad) Verlauf von faft einem halben Jahre 
durch alle SBudjftaben fihreibend und lefenb fid) hindurch 
gewunden hat unb in ber Regel erft nad) Verfluß von, 
diefer Zeit finnbezeichnende Worte oder einfache Säge leſen 

, laffen fann. Wenn der Lehrer nicht viel Lebendigkeit und 
Intereſſe zeigt, fo tritt leicht bie Gefahr ein, baf bie tin« 


506 Bumiller und Schufter, 


ber ermüben und bie Eltern zu Haufe unbefriedigt find, 
da fie bie Früchte des Schulbefuhes im Saplefen bälder 
finden möchten, nichts davon zu fagen, bag bei bem 
Schreiblefeunterricht in ber Regel zu Haufe wenig ober 
gar nicht nadjgefolfen werden kann. Nach bem einfeitigen 
Lefeunterrichte, fel e8 nad) ber Lautir» oder Buchſtabir⸗ 
methode, kommen bie Kinder viel bälder zum Wort» unb 
Saplefen. Freilich tritt dann ein Stillſtand ein, wenn 
nod der Schreibunterriht nachgeholt werben foll, der in 
diefem Galle gewöhnlih nur ein gang mechaniſcher ift, 
während bei dem Schreiblefeunterrichte, wenn bie erften 
Schwierigkeiten überwunden find, bie Fortſchritte im Lefen 
und Schreiben febr raſch und in bie Augen fallend find. 
Ref. ift für Beibehaltung des Schreiblefeunterrihts, hätte 
aber gewünfcht, daß ber Gang etwas raſcher und abge 
fürzter wäre, denn es bünft ihm bod) etwas zu viel deut 
ffe Gründlicgfeit, wenn Kinder im erften Halbjahre des 
Schulbeſuches nur zur fenntnif der fleinen Buchftaben 
und zum Lefen abgeriffener Worte ohne alle Sapverbins 
bung fommen. Es follten meines Erachtens wenigftens 
ſchon früher, fo bald den Kindern ein größerer Theil von 
Buchftaben befannt ift, Heine Säge für bie Leſeübungen 
aufgenommen fein, anftatt der aneinanbergereihten unver 
bundenen Worte, deren Ablefen die Kinder fehr ermübet 
und am Ende aud) febr langweilt. Hiemit wollen wir 
dem Leſebüchlein, defien wohldurchdachten, gründlichen unb 
methodifhen Gang wir gerne anerkennen, nicht zu nahe 
„treten; τοῖν wollen nur auf bie ſchwache Seite diefer Mer 
thode an fid) hinmeifen, unb unfere Meinung dahin auss 
fpreden, daß das in der Methode naturgemäß liegende 
Tangfame Vorwärtsfchreiten im Lefen nicht burd) eine 


Leſebuch für Eatholifche Volkoſchulen. 507 


Gründlickeit in ber Handhabung ber Methode erhöht 
werben möchte, welche zwar anerfennenswerth ift, aber viel- 
fad) nicht anerfannt werden wird. Die Behandlung ber 
Methode zeugt übrigens von einem nicht blos Außerlichen, 
fondern tief eingehenden S8erftünbniffe unb einer ſichern 
Verfolgung und Handhabung berjelben. Bon großem 
Werthe find bie Bemerkungen zu ber erften Abtheilung 
des Lefebuches; diefelben Fönnen für jeben Schulfehrer, 
der ſich an biefe Unterrichtsmethode hält, von febr großem 
infteuftivem Nugen fein. Die Lefeftüde, welde (5. 50—83 
für bie bezeichnete erfte (affe aufgenommen find, finden 
wir ſehr gut. Sie find durhaus ber Erfahrung, Ans 
ſchauung und, dem SBebürfniffe ber Kinder dieſes Alters 
angepaßt. Sie dienen theils zu beffen Belehrung, theils 
au beffen Anregung, tfeiló zu beffen Grbeiterung. Die 
Sapform ift einfad) und durchaus der Bildung und δα 
fungsfraft der Kinder entſprechend. Die erften Lefeftüde 
enthalten lauter reine einfache Säge, welche fid) aber all 
mählig erweitern. Die Stüde in gebunbener 9tebemeife 
werben den Kindern willfommen fein, und eignen fid) ber 
fonders zum Memoriren. 

Die zweite Abtheilung unfers Leſebuches, für die 
zweite Schulflaffe.beftimmt, enthält auf 108 Seiten und 
in 112 2efeftüden größere und kleinere Befchreibungen 
(aus der Naturgefhichte u. f. vo.) Erzählungen, Lieder, 
Sprüche, Fabeln und Märchen. Obgleich biefe Lefeftüde 
nicht nad) ihrem Inhalte rubricirt find, fondern ganz unter» 
einander gemiſcht erfheinen, fo waren bod) bie Verf. bei 
ihrer Auswahl von beftimmten Grundfägen geleitet, melde 
in ben Bemerkungen ©. 37 fig. angegeben find. Eine 
bedeutende Anzahl der gebrftüde foll die Kinder auf Gott 


508 Bumiller und Schuſter, 


hinleiten, und ihnen denſelben als Schoͤpfer und Erhalter 
der Welt, als allgegenwärtig unb allwiſſend, als Freund ber 
Kinder u. f. f. zeigen. Andere efeftüde zeigen ben fin. 
bern, was fie ihren Eltern verbanfen, und wie fie fih 
gegen biefelben zu benehmen haben; wieder Andere halten 
ihnen die Gebreden des Kindesalters unb bie entgegen: 
geſetzten guten Eigenſchaften beffelben vor Augen, belehren 
fie über die Strafwürdigfeit der Thierquälerei, des Dich 
ſtahls, der Lüge, verweifen fie auf die Stimme des Gr 
wiſſens u. berg. G8 wird gewiß Jedermann mit bem 
Stoffgebiete, welches in diefer Abtheilung Berüdfichtigung 
fand, zufrieden und aus pädagogifchen Gründen ganz mit 
ben Verf. einverftanden fein, wenn fte tje Lefeftüde in 
bem Büchlein nit nad dem Stoffgebiete, bem fle ent 
nommen find, zufammenorbneten. 

Die formelle Behandlung des Lefeftoffs finden wir 
der Bildungsftufe der betreffenden Altersflafje ganz ent 
fpredjenb. Es Haben ziemlich viele gefeftüde in poetiſcher 
form Aufnahme gefunden, weil, wie bie Bemerkungen 
6. 37 mit Recht fagen, die Natur des Kindes in dieſer 
Periode vorwiegend eine poetifche ift. Sonft ift bie Sprade 
ganz εἰπία und finblid), bie Verbindungsmwörter, patti 
fein u. f. f; find nod) wenig gebraucht. 

Die Bemerkungen zu diefer Abtheilung find ben Leh⸗ 
tern febr zu empfehlen, insbefondere was ©. 53 ffg. über 
den grammatifalijden Unterricht (Sprachlehre) in ber Ele 
mentarſchule gefagt if. Die Befolgung der hier gegebenen 
Winke würde Kindern unb Lehrern mandje Quaͤlereien 
und unnüge Zeitvergeubungen erfparen. 

In der dritten Abtheilung des Leſebuchs ift das eigents 
lid) veligiöfe Gebiet wenig berückſichtigt worben, weil mar 


Leſebuch für katholiſche Volksſchulen. 509 


für biefe Alteröflaffe faft überall eine bibliſche Geſchichte 
als zweites Leſebuch beigieht. Die gefeftüde, meiftens Er- 
zaͤhlungen und Befchreibungen aus ber Naturgefchichte, 
feinen dem Referenten durchaus gut unb zwedmäßig 
ausgewählt. Auch bier Fann id nicht umbin, auf bie 
Bemerkungen zu biefer Abtheilung ©. 62 fig. aufmerf(am 
ju maden. 3d bin ganz mit bem Verf. einverftanden, 
wenn berfelbe bie von ben Lehrern fo fehr vernachläffigte 
Reproduktion des Gelefenen für bie befte Sprachuͤbung 
erHlärt, und wiederholt darauf hinweist, daß den Kindern 
das Verſtaͤndniß des Gelefenen zu erſchließen fei und daß 
ihnen die Sprachformen, Wortflaflen u. f. w. an ber Hand 
des Gelefenen nad) und nad) zum Bewußtfein zu bringen 
feien, und wie dieſes zu geſchehen habe. 

Die vierte Abteilung , die bem vierten Schuljahre 
zufällt, enthält einige veligiöfe Lieder und Erzählungen, 
einige Fabeln, einige Räthfel, Beſchreibungen aus ber 
Naturgefhichte. Die Verf. waren von einem richtigen 
Tafte geleitet, wenn fie in ben erflen Abtheilungen ber 
Anfhauung der Kinder naheliegende Raturgegenftände, 
Shiere und Pflanzen beſchrieben, jegt aber den Schüler 
in ben Mittheilungen aus der Naturfunde etwas mehr in 
die Ferne führen. — Auch mit biefer Stoffauswahl und 
mit der Sprach- unb Darftellungsweife fónnen wir uns 
vollftändig zufrieden erflären. Das Räthfel S.20 „Tabak“ 
erſcheint für Kinder nicht recht geeignet. Die Bemerkungen 
für ben Sprachunterricht in biefer Abtheilung find aud) 
{εὖτ beachtenswerth. 

An die genannten vier Abtheilungen fließt fid) eine 
fünfte an, welche als 2efemittel für die weitern Schul« 
Hoffen dienen foll. Diefe if aber nicht fo ausgedehnt, 


510 Bumiller und Schuſter, 


wie εὖ bie Leſebuͤcher fuͤr dieſe Klaſſe gewöhnlich zu fein 
pflegen. Sie enthaͤlt uͤbrigens doch auf einem Raume 
von 167 Seiten einen ſehr reichhaltigen, mit kluger Be 
tehnung und erfahrungsmäßiger Umfiht ausgewählten 
Stof. Mit 9tedt nehmen die Verf. an, daß ein großer 
Theil unferer Schulen nicht fo beftellt ift, daß jede Ab 
theilung ihres Lefebuches Jahr für Jahr vollfändig ev 
lebigt werden fónnte, unb fomit nod 3—4 Jahre be 
fünften Abtheilung zufielen. Es wird nicht felten ber Fall 
fein, daß in Schulen, insbefondere wenn man nod) die 
biblifde Geſchichte und etwa ein Gefangbud) zu ben Lee 
übungen benüßt, bie erflen vier Abtheilungen für fede 
Schuljahre ausreichen. Für biefen Fall enthalten die fünf 
Adtheilungen unferes Lefebuches Material genug; unb hat 
ein Kind Alles, was darin vorkommt, in fid) aufgenom- 
men, fo befigt e unftreitig eine für das gewöhnliche Leben 
weitaus ausreichende Bildung. Ein weiterer Umfang det 
Refebuches wäre für folche Schulen nur flärend und hin 
bernb. Dagegen haben die Verf. auf diejenigen Schulen 
Rüdfiht genommen, welche Zeit und Bebürfniß für einen 
größern Umfang des Lefematerials haben. Diefes geídjiebt 
burd) eigene Abtheilungen für bie fogenannten realiſtiſchen 
Bücher, unter denen eine der Geſchichte, eine ber mathes 
matifchen Geographie (Naturlehre, Himmelskunde), eine 
ber Naturgefhichte zufällt; bie erſte biefer Abtheilungen, 
bie Gefdidte, ift bereitó bem Lefebuch beigefügt, bie an» 
dern zwei Abtheilungen find nod) ju erwarten. Ref. billigt 
dieſes Verfahren vollftändig; denn bie ganbídjulen haben 
weber bie Zeit nod) bie Aufgabe, wie fle gut organifirte 
Stadtſchulen haben, deßhalb muß auch in bem widtigiten 
Unterrichtsmittel, in bem Leſebuch, ein. Unterfchied fein. 


Leſebuch Für. datholiſche Volkeſchulen. 51 


Auf paffenbere Weife [àft fid) diefes wohl nicht bewerk⸗ 
ftelligen, als es von den Verf. des Leſebuchs gefchehen if. 
Die weitere Abtheilung Aber Geſchichte fann in manden 
Schulen nod) beigegogen werden, in denen man aber bie 
mathematifhe Geographie und Naturgefhichte in specie 
leicht entbehren fann, um fo mehr, ba das Nothwendigſte 
aus biefen Wiflenszweigen in ben vorauégefenben Abtheis 
lungen namentlich in der fünften aufgenommen ift. 

Sn der Abtheilung für Geſchichte ift wohl der rechte 
Weg in der Behandlung biefer Materie für ein Schuls 
lefebud) eingefchlagen worden. Wollte man eine Gfüge 
der gangen Weltgeſchichte geben, fo müßte biefe fo troden 
und widerlich erfcheinen, daß man feinen Zwed in ber 
Schule ganz verfehlte. Dagegen hat das gefebud) mit 
Recht binfidtlid ber alten Völker je eine hervorſtechende 
SBerfónlidjfeit ober Begebenheit hervorgehoben unb daran 
Furz die Gefdichte des ganzen Volkes gefnüpft in einer 
belebten und anfdauliden Sprache. Bon ben Zeiten nach 
Chriſtus if in der Regel je in einem Jahrhundert bie 
wichtigfte Berfon ober Begebenheit herausgegriffen und 
das Andere auf der Seite gelafien worden, was bei bem 
engbegrengten Raume, ipie er einem gefebud) jugemeffen 
ifi, nicht wohl anders fein fann. Darüber hat fid) Stef. 

^ gewundert, daß über bie Kirhentrennung im ſechszehnten 
Jahrhunderte, bie auf der enigegefegten Seite fo febr zu 
unferm 8Radjtbeile ausgebeutet wird, nicht mehr, unb von 
dem Concil von Trient gar nichts gefagt if. Auch von 
dem adıtzehnten Jahrhundert bis zur Hinrichtung Lub- 
wigs XVI. ift nichts erwähnt. 

Betrachten wir vorliegendes Leſebuch für katholiſche 
Volloſchulen, fo finden wir es feiner ganzen Anlage nad) 

«Sie. Duartaligrift. 4868. III. Gef. 34 


$12 Bumiller und Giufter, 


feinem Zwede volllommen entſprechend. Auch bie Ausfuͤh⸗ 
‚zung ift mad) Inhalt unb form als eine gelungene pu 
bezeichnen. Es ift wohl bei einem Giegenftanbe, wie ber 
fragliche ift, nicht leicht anzunehmen, daß bie Forderungen 
unb Wünfche Aller in gleicher Weife befriedigt fein wer⸗ 
den, wenn ein gefebud) an fid) aud) nod fo gut if. Auch 
unfer gefebud) fann wohl nicht bie Anfichten Aller getroffen 
haben, unb mag im Einzelnen manche Ausftellungen ec» 
leiden. Begibt man fid) aber feiner eigenen vielleicht nicht 
gut begründeten perfönlichen Wuͤnſche und Anfihten, unb 
ftellt man fid auf einen objektiven Standpunkt, welder 
qut richtigen Beurtheilung eines folhen Buches unum⸗ 
günglid) nothwendig ik, und liest man mit Bedacht bie 
Bemerkungen, welche zur Rechtfertigung begiehungsweife 
Orientirung über das gewählte Material und bie Sprach⸗ 
form dienen, fo wird man bie Tüchtigkeit und Zweckmaͤßig⸗ 
feit dieſes Lefebuches nicht in Abrede ftellen Fönnen. Ref. 
wenigftens nimmt feinen Anftand zu behaupten, baf am 
bet Hand dieſes Lefebuches gewiß eine erfprießlichere Schul» 
bildung erzielt werde als burd) Benägung irgend anderer 
bisher vorhandener Schulleſebuͤcher. Derfelbe macht neben 
dem Vielen, was bisher [don zu beffem Gunften gefagt 
wurde, nod) auf ben Umftand aufmerkſam, daß baffelbe 
in allen feinen Abtheilungen, ohne daß εὖ im entferntefen 
gefünftelt oder gefucht erfcheint, wie es in derartigen Bi» 
Gern nicht felten ber Sall ift, auf bie Erziehung einer 
durchgaͤngigen chriſtlichen Anſchauung des Lebens und aller 
Erfcheinungen ausgeht. Diefes Streben tritt wie im 
Ganzen fo aud in den einzelnen Leſeſtücken wohlthuend 
hervor. Sodann hat jeder Schullehrer in den Bemer⸗ 
ungen zu biefem Lefebuche einen Gommentaz, ber von ber 


Leſebuch für fatfolifije Volksfegulen, 513 


gediegenen Bildung und befonnenen Beobachtung eines 
durhaus gewandten Schulmanns zeugt, und daher jedem 
Lehrer bei ber Benügung des Leſebuches die trefflichſten 
Dienfte zu leiſten im Stande ift. 

Diefem gemäß ftehen wir nidjt an, unfern Wunſch 
dahin auszufprechen, es möchten bie Oberbehörden unferer 
Säulen diefem Buche ihre Aufmerkfamfeit zuwenden, und 
daſſelbe ftatt der bisherigen in fo ungeregelter Weiſe ge^ 
brauchten Lefebücher in ben Schulen einführen. Nach ben 
bisher gemachten Erfahrungen auf fatboli(der und protes 
Rantifcher Seite ift es zweifelhaft, ob je einmal die Ar» 
beit eines gewählten officiófen Ausfhufles gelingen werde. 
Gelingt εὖ aber, fo ift fehr zu befürchten, daß man auf 
biefem Wege bidleibige Bücher befomme, deren Anfhaffung 
ſehr Foftfpielig und deren Gebraud in vielen Schulen 
nicht möglich if. Das Lefebud von Bumiller und Schufter 
vereinigt fo viele Vorzüge, daß die Schulbildung durch 
Einführung beffeben nur gewinnen fónnte. 

Man hat vielleiht Bedenken wegen des Koftenpunftes. 
Mein abgefehen davon, daß bie einzelnen Abtheilungen 
Hein find, unb bei großer Verbreitung fehr wohlfeil wer⸗ 
den fónnten, find die Lefemittel gegenwärtig aud) nicht gat 
fo wohlfeil, ba ein Kind während feines Schulfurfes im» 
merhin 3, 4 bis 5 Stüge von Lefebüchern (Handfibel oder 
Gottbüdhlein, Spruchbuͤchlein, Geſchichtbuͤchlein, eigentliches 
Refebuch) anſchaffen muß, unb jedenfalls ein neuzufertigendes 
Leſebuch, das fi auf alle Schulflaffen erfiredt, gewiß 
nicht wohlfeilee werden wird. 


Dr. Bendel, Convictsdirektor., 


34* 


514 Probſt, 


4. 


1. derwaltung der hochheiligen Euchariſtie von Serdinand 
Probſt, Prieſter und Doctor ber Theologie. Mit Appro= 
batton ber hochw. Biſchoͤflichen und Exzbtfhäfigien Ordi⸗ 
natlate Rottenburg unb Freiburg. Tübingen 1858, Verlag 
der Laupp'ſchen Buchhandlung. — Raupp & Giebel. — 
©. 718. Pr. 3 fi. 48 fr. 

2. Institutiones Liturgicae, quas ad usum seminarii Romeni 
digessit J. Fornici, Canonicus, ab apostolicis caeremoniis 
magister, s. congregationis indulgentiarum et Ss. reliquiarum. 
consultor, nec non in dicto Rom. seminario s. liturgiae. 
professor. Editio nova, cui plurimae accesserunt notae 
ex probatis auctoribus desumptse. Moguntiae, sumptibus 
Kirchhemii et Schotti. 1852. — ©. 403. pr. 1 fl. 45 fr. 


1. Bon ben angeführten Schriften hat bie Eine den 
Gejammtumfang der Liturgif, die Andere nur einen ein» 
zelnen Zweig derſelben zu ihrem Gegenftanbe. Beide 
fónnen wir aber um fo mehr willfommen heißen, als 
gerade dieſes Gebiet ber Fatholifhen Theologie, bie itur» 
gif nämlich in neuerer Zeit nur fpärlih angebaut wurde. — 
Dr. Propft hat ben wichtigften Punct aus berfelben her» 
auégefoben und ihm eine einláffidje und allfeitige Dar» 
ſtellung gewidmet. Er hat feiner Ausführung mit vollem 
Stedjte bie Rubriken des Miſſale zu Grunde gelegt, babet 
fid) aber weit mehr Freiheit erlaubt, und mehr Geſchmack 
unb praftifhen Sinn bemiefen, als Bearbeiter ber ges 
nannten Rubrifen vor ihm, wie Gavantus, Bauldry, 
Quarti u. 9. Indem er nit bloß eine hiſtoriſche oder 


Verwaltung ber hochhl. Gudjariftle. 515 


myftiſche ober buchftäbliche ober ethiſche Auslegung der 
Rubrifen barbieten, fondern bem Seelforger ein bei ber 
Verwaltung der Euchariſtie unmittelbar nugbares Bud) 
in die Hand geben wollte, mußte er mit Vermeidung ber 
in ben Werfen ber Rubriciften nicht felten vorfommenden 
Spigfindigkeiten und Kleinlichkeiten immer unmittelbar 
auf feinen practifhen Zwed losgehen. Er mußte aud, 
um die Verwaltung ber Euchariſtie volftändig und nad) 
allen Seiten hin zu beſchreiben, Manches aufnehmen, was 
fi in ben Rubrifen nicht findet. Der Verf. verdient 
gewiß bie volle Billigung, wenn er dem Seelforger nicht 
blog für bie Darbringung des Mefopfers fondern aud) 
für bie Austheilung und bie 9[boration der heiligen Gudja« 
riſtie bie kirchlichen Vorſchriften auseinanderfept. 

Je bedeutungsvoller der euchariſtiſche Cult nad) feiner 
dreifachen Beziehung in der katholiſchen Kirche iſt, deſto 
größeres Gewicht ift darauf zu legen, daß derſelbe bis 
ins Einzelnſte und ſcheinbar Unbedeutendfte mit genauer 
Beobachtung der Firhlihen Normen und Vorfäriften von 
Men und jedem Einzelnen gefeiert werde. Man hat 
daher Unrecht, menn man glaubt, es fomme nicht viel 
darauf an, ob man e8 bei ber Darbringung des hi. Meß⸗ 
Opfers in Dingen, bie man nicht für mefentlih in Bezug 
auf ben Opfereult anfehen zu müfjen glaubt, fo ober an« 
ders made, und man handelt ohne Widerrede fündhaft, 
wenn man fid) über bie Rubrifen als etwas nur nad) Belie⸗ 
ben Bindendes Teichtfertig hinwegfegt ober fie gar veradjtet. 
Eine große moͤglichſt erreichbare Einheit in ber äußern 
Verwaltung der Euchariſtie trägt entfhieden viel zur 
würbevollen und erhabenen Feier derfelben bei, unb ſchuͤtt 
den celebrirenden Priefter vor einem nachlaͤſſigen Schlen— 


316 Brodft, 


drian, ohne ifm nothwendig einem Mechaniomus anheim- 
gugeben. — 

Ge fehlt zwar nicht an Werfen Altern theilweife auch 
neuern Datums, welche durch Erklärung der Normen und 
Vorſchriften für die Beier ber heiligen Meſſe bem naͤch⸗ 
ften practifchen Bebürfniffe entgegenzufommen fudjen, unter 
jenen nennen wir vorzugsweiſe Lohner, (instructio prac- 
lica de Ss. missae sacrificio), unter diefen Wiedemann, 
Höflinger und Mohren. Probft macht fie aber burd) die 
Vollſtaͤndigkeit der Darfiellung entbehrlich, und übertrifft 
fie burd) flare und fidere Behandlung feines Stoffes. — 

Die Rubriken des Miffale zerfallen, wie bekannt, in 
allgemeine (rubricae generales) und befonbere; 
bie erftern find in drei Theile gefondert jedem Miffale 
vorgedrudt, die lehztern finden fid) zerſtreut in bem Miſſale, 
und dienen als Normen, die im Ablaufe bes Jahres bei 
den einzelnen Mefien und Mepformularien zu beobachten 
find, je nad) bem man fie aus bem proprium de tempore, 
ober de sanctis oder aus bem commune sanctorum ober 
aus ben S8otip ^ unb Requiemsmeffen nimmt. Probft geht 
bei ber Eintheilung feines Werkes aud) von biefen Rub⸗ 
zifen aus, fucht aber unter Zugrundlegung berfelben eine 
ſelbſtſtaͤndige Eintheilung zu gewinnen; er muß biefeó um . 
fo mehr, als er fid) aud) mit ſolchen Gegenftänden befaßt, 
bie von ben Rubrifen nicht normirt und befmegen in ben 
frühern eigentlich rubriciftifden Werfen nicht beruͤcſichtigt 
werben, bie aber zur giltigen, erlaubten unb würbigen 
Verwaltung der Euchariſtie gehören. Die Begründung 
der befolgten Eintheilung (&. 31 fg.) finden wir durchaus 
gerechtfertigt und dieſe felbft einfad) und fadjgemáf. Der 
Verf. handelt nämlich in der ecften Abtheilung von 


Verwaltung ber hochhl. Eucharlſtie. 517 


ben zur giltigen und erlaubten Verwaltung der Gudjariftie 
nothwendigen Grforberniffen. Diefe Grforberniffe werben 
in fünf Kapiteln, nämlich hinſichtlich ber Materie, ber Form, 
des Minifters, ber Zeit und des Ortes, und endlich bin» 
ſichtlich der Geräthfchaften und ber Gewaͤnder unterfudjt. — 

In diefer Abteilung ftóft man auf die Erörterung 
vieler tagen, weldje fonft in Moraltheologieen aud) vot» 
fommen. Wir find aber mit bem Verfaſſer ganz einver⸗ 
fanden, wenn er die ethifhen BVerhältniffe, welde in 
unmittelbarem Bezuge zu priefterlihen Bunftionen ftehen, 
in die Paftorialtheologie verweiſt. Indeſſen gehören bod) 
Ausführungen wie ©. 144 fiherlich mehr in bie Moral⸗ 
als Paftoraliheologie, da es fid dort um eine ethifche 
Materie Handelt, bie nicht ben Priefter, fonbern ben Laien 
angeht. 

Die Materien diefer Abtheilung haben wir faft durch⸗ 
gängig febr far unb durchſichtig abgehandelt gefunden. 
Wir yerweifen befonberó auf bie $$., melde von bem 
Brode für bie Gudjariftie, unb von ben theilweife febr 
ſchwierigen fragen über bie Deferte bei der Darbringung 

des heil. Meßopſers handeln. Der Verf. glaubt ben Gin» 
wurf Quarti's gegen bie Stubrife P. ΠΠ. tit. III. nr. 6. 
nicht Löfen zu fónnen, unb [egtere dennoch) als praͤceptiv 
annehmen zu müffen S. 50. Mir bünft, wenn man bie 
genannte Stubrif, welde für ben Fall, daß in einer 9Reffe 
ein unconſecrirbares Brod aber ein conferrirbarer Wein 
confecit. und genoffen wurden, vorfchreibt, daß ber 
Prieſter nicht blos Brod fondern aud) Wein nadhconfes 
criren müffe, als präceptiv fefthalten will, fo muß man 
fagen: bie nur einfeitig giltige Gonfecration des Weines 
hatte den mefentlihen Charakter des Opfers gar nicht, 


518 s Probſt, 


und es handelt fij daher nicht um Vervollſtän⸗ 
digung von dieſem, fondern.um Erneuerung. — 

Ginfidtfid) der Meßapplicationen an abbeftellten Feier⸗ 
tagen ſcheint der Verf. bie in feiner Moraftheologie aus⸗ 
geſprochene Anſicht ohne Dinreidenben Grund geändert zu 
haben ober wenigftens darin wankend geworben zu fein 
(Betgl. 9Inm. €. 86 f.). Die von ihm angeführten Decrete 
beweifen jebod) nichts für Deutfchland, unb Ref. ift trop 
derfelben ber beftimmten Anfiht, daß bie Pfarrer an ben 
duch Clemens XIV. aufgehobenen Feiertagen pro populo 
zu appliciren nicht verpflichtet feien 5. 

Die practiſche Frage, ob und von mem im Falle an 
bauernber Kränflichfeit und Altersſchwaͤche eines Priefters 
eine Dispenfation von bem jejunium ante celebrandam 
missam eintreten fónne, hätte am angemefienen ‚Plage 
nicht umgangen werben follen. 

Die zweite-Abtheilung des Buches befpricht bie 
Verwaltung der Gudariftie im Allgemeinen, unb 
zwar in einem erften Kapitel bie Gebräuche und Ceremo⸗ 
nien, bie fid) über bie ganze SXeffe verbreiten, wie bie 
Sprache, fBerbeugungen u. f. w., unb in einem zweiten 
Kapitel bie rituelle Eigenthuͤmlichkeit ber verſchiedenen Ber 
ftanbtfeife der Meſſe, und enbfid) in einem britten bie Bers 
waltung ber Gudjariftie außer der Meffe. 

Den rituellen und rubricalen Erörterungen über bie 
einzelnen Meßtheile ift immer ein Paſſus vorausgefchidt, 
im welchem die Stellung des betreffenden Theiles in bem 
ganzen Organismus ber Meffe erklärt und feine Bezier 
hung zum ganzen Opfer gedeutet wird. Hiebei folgt 


1) Vergl. unfere Erörterung über dieſen Gegenfland. Quartalſcht. 
1853. ©. 812 ῇᾳ. 


Verwaltung ber hochhl. Euchariftte, 519 


der Verf. theils Köffing theils andern Liturgikern, theils 
bat er nicht ohne Gluͤck ſelbſtſtaͤndige Erklärungen vers 
ſucht. Das Eeremonielle, Süituelle und Stubricale ift bei 
den einzelnen Meßtheilen einfach und babel in fo ausges 
behntem Maaße abgehandelt, bag man fij über Alles 
Raths erholen fann, was auf die äußere lirchlich normirte 
Beier ber HI. Meffe Bezug hat. 

Meber den häufigen Empfang ber hl. Gommunion 
lam man im Wefentlihen mit den Anfichten Liguori's, 
denen der Verf. in dieſem Punkte gefolgt iſt, einverſtanden 
fein, aber dabei doch wuͤnſchen, daß in einem Buche, wie 
das Borliegende, baó für den Gebrauch ber Seelforger 
beftimmt ift, einige practifche aus ber Erfahrung gefchöpfte 
Binfe gegeben würden. Vom theoretifhen Standpunfte 
aus wird man ben häufigen Empfang des Gaframenté 
der Gudjariftie immer betonen müffen, von bem practifchen 
erfahrungsmäßigen Standpunkte aus dagegen wird man 
einigen Einſchraͤnkungen Raum geben müffen. Die Dars 
fellung diefes SBuncte& in der Paſtoraltheologie von P. 
Vogl (Bd. U. ©. 143), ber aud) bie Anfihten Liguori’s 
zu Grunde [egt, hat uns beffer gefallen. Wir möchten 
aud) ben vielen Erpofitionen der Gudjatiftie unb den vielen 
theophorifchen Proceffionen mit dem SBerfaffer nicht fo 
unbedingt baó Wort reben, ohne deßhalb ben hohen Werth 
biefer gottesbienftlihen Acte zu verfennen. Eben weil fie 
auf das Bolf einen fo wohlthuenden Eindrud machen, wuͤnſcht 
Ref., daß diefer Eindrud nicht durch zu häufiges Vorkom⸗ 
men abgefhwächt oder faft ganz ausgemwifcht werde. — 

Wenn der Verf. ben Seelforgern bie Verwaltung der 
Eugariftie in ihrem ganzen Umfange darlegen wollte, 
fo mußte er außer ber Meßfeier aud) die Spendung ber 


520 - Sieobft, 


bf. Gommunion unb ben Adorationscultus in ben Bereich 
feiner Arbeit ziehen. Ref. will mit ihm nicht barüber 
rechten, ob biefe Punkte nicht beffer in einem ſelbſtſtaͤn⸗ 
digen Theile des Buches jur Sprache gebracht worden 
wären, als daß fie in bie Abtheilung eingereiht wurben, 
bie von der Verwaltung der Euchariſtie (ber Meſſe) im 
Allgemeinen handelt. — 

In der dritten Abtheilung erübrigt bem Verf. 
90d) zu fprechen von der Verwaltung der Euchariftie (Meß⸗ 
ritus) im Befondern. Das erfte Kapitel verbreitet fi) 
über die Feſt- und Tagesmeffen, bas zweite über 
bie Votiv- und Sequiemóme[fe. Wer nur einmal 
einen flüchtigen Blick in ein rubriciſtiſches Werk gethan 
fat, ber weiß, auf wie verwidelte unb dabei wenig an 
siehende Materien Probft in dieſem Felde floßen mußte. 
Wenn fid) aud) mitunter eine gemiffe Eile, mit ber bet 
Verf. gearbeitet hat, befonders in biefem legten Theile 
nicht verfennen läßt, fo vermißt man doch felten eine 
wohlthuende Klarheit und einen fihern Gang, womit er 
fid) aus oft widerwärtigen Widerfprüchen ber Rubriciſten 
herausarbeitet, unb zu einem feſten annehmbaren Urteile 
fommt. Diefes Urtheil zeugt immer von verftändigem 
Takte und einem gefunden kirchlichen Sinne. Zu win 
ſchen wäre geweſen, daß bem Berf. das liturgijdje Wert 
von Cavalieri, ber in vielen Punften den Gavantus und 
Merati, bie Probft meift zu Leitern hat, befämpft, zu 
Gebote geftanden hätte. ἢ 

Die Auffaffung des Beftcyelus als eine commemo: 
tative Meffe G. 496 ſcheint und etwas ju über 
ſchwenglich, Ref. wenigftens vermag biefem Fluge ber 
Phantaſie nicht zu folgen. Wenn bemerft wird, bof am 


Verwaltung der hochh. Gudjariftle. 521 


Fronleichnamstage feine Lieder in ber Vollsſprache ges 
fungen werben follen, und als Beleg Diefür ein Decret 
der Congr. S. R. v. 1609 angeführt wird, (S. 583) fo 
ſcheint uns dieſes zu weit gehend, und- hätte um fo wer 
niger nadt hingeftellt werden follen, als das Buch vor« 
zugsweife für Seelforger auf dem Lande gefchrieben ift 
unb jenes Deeret gewiß nicht für ben ganzen Umfang ber 
Kirche prüceptio fein will und fanm. Bei ber Erflärung 
des Ritus für dns Fronleichnamsfeſt und beffen Proceffton 
iR die. Bemerkung unterblieben, bag an Kathebralficchen 
der SBiffjof, und im Falle bec SBerpinberung beffelben, 
ber erfte Dignitär, unb an Stadt- umb Landkirchen bet 
sacerdos dignior illius loci das Ganctiffimum bei ber 
Broceffion zu tragen hat). Deßßgleichen ift bie Vorſchrift 
übergangen, daß bie bei der Proceffion zu tragende Hoftie 
in ber Mefle, welche ber Proceffion unmittelbar voraus« 
geht, au conferriven ift, ba bie ganze Beierlichkeit gleichſam 
Ein Ganzes bilvet ?). — 

Im Uebrigen ift von bem Verf. eine Vollſtaͤndigkeit 
angefrebt, die das praftifche Sntereffe der Seelforger über 
biefen Bunft ihrer Anıtsthätigfeit zu befriedigen im Stande 
ift, nur den Ritus einer feierlichen 9Reffe mit Affiftenz von 
Diafonen vermiffen wir. Wenn aud) vorzugsweiſe Lands 
geiſtliche im Auge behalten wurben, fo hätte doch biefer 
Ritus in einem fo umfangreichen Buche Play finden follen. 
Berner glauben wir, der SBerfaffer hätte feinen Gegenftanb, 
fo weit er nicht bloß ind Gebiet der praktifchen Seelforge, 
fondern aud) der Liturgif fällt, abhandeln follen. Es hätte 
qu biefem Zwede nur nod Weniges aufgenommen qu 





1) cf. Barnffaldo, ad rit. Rom. comment. tit, LXXX. nr. 34. 
2) cf. Baruffaldo 1, c. nr. 35. 


522 Breit, 


werten gebraudt, das Qauptíád)fibfie wäre tos Ardäe 
logiſche urb Hifteriide über tie Meßliturgien geweſen. 
Der Beri. will freifid) neben bem Theile ber Pahtoral- 
fbrelogie, ter ich mit bem Piturgifden ber prie 
Rerlihen 9mtotbátigfeit befaßt, nod cine Liturs 
gif als eigene tbeolegiide Disciplin befchen 
lafem, und tverielben das Qiforiffe am bem Firchlidhen 
Gulte zuweilen, wenn wir feine Acußerungen ©. 5. 13. 
31 richtig verlanden haben. Rei. begreift eine isle 3er 
fplitterung ver praftiichtkeologiichen Discipfinen nicht. Ber 
Beri. will in feinem Werfe weder „ein liturgiſches, 
me ein rubricifiiches, nod ein moraltheologi- 
[Φεϑ, femen cim in tie Pafleralibeologie gehörentes 
S)ud^ lieiern (cf. EinL X). Bir fragen aber, was füßt 
er ber Siturgif un? Rubricikif über ven ven ihm behan- 
reiten Segenſtand noch übrig? Senec böcdkens bie und 
te cine Heime Erweiterung παν tem Radtrag bes Siſto⸗ 
riffem, tieier aber nichts, außer wenn man will, be 
Shabriciif müffe eine wungeniefbare umb wmerquidlide 
earfíentere fein. Uniers Grodiens fällt tie Pibrrod 
wn Swbriciif wicht über ic SRoieralfbeelegie hinaus, 
jemterm im fie hinein, un wir betrachten es als ein wer 
jenuiches SBertienit des Beriaßers, daß er als Pafleral- 
ibeelege Süurgif ππὶ Rubricikif fe glüdflich verbumten, 
wmb tem Werth ter lehtern geltene gemacht Bat, ohne 
γαδεῖ tie ετῆττε με igueriren Wir fchen taber tes SBaf 
ShrebW'é aud) als cin puteraliicelegiihes am, aber in 
ver Shafleraltbeelegie δαὶ c& ciem Theil jenes Sebietes 
Ierautgegrißen, ta$ ten Sfricfier als Liturgem zu siga 
bat. — 

Taf tie Βίτατοι μὲς Paſteral⸗ eder praltijchen Ihe 


Verwaltung bes hoch. Euchariſtie. 323 


logie gehöre, und das Werf Sprobf'ó vermöge feines 
Inhalts in das Gebiet der Liturgif falle, wird unſchwer 
einufehen fein, wenn man fid) bie Aufgabe der Paſtoral⸗ 
theologie überhaupt, und bie ber Liturgik in&befonbere 
Hat mad. Jene hat alle bie kirchlichen Thätigfeiten, 
welche bie Priefter an der Stelle Chriſti zur Vermittlung 
feines Heiles vornehmen, barzuftellen. Zu biejen Thätig« 
feiten gehört aud) bie liturgiſche, b. D. diejenige, welche 
fif in ber Verwaltung ber Firhlichen Liturgie, im engern 
Sinne der Meffe, im weitern ber Gaframente, Sakra⸗ 
mentalien unb des Gebetes manifeftirt. Die Befchreibung 
biefer Liturgie, beziehungsweiſe die 9Inmeifung zur Vers 
waltung ber Liturgie bildet die Aufgabe der Siturgil. 
Die Liturgie vollzieht fid) nun aber im Ritus und nad 
demfelben, der Ritus aber wird normirt burd) bie Rus 
beifen; folglich gehören Liturgie, Ritus und Stubrifen der 
Sache nad) zufammen, und follen aud) in der Darſtellung 
nit getrennt werben. Die Rubriken find als bie Aus« 
laͤufer in ber Darftellung der liturgifhen Materie anzus 
fehen. Die rein rubriciftifhen Werke wie von Gavantus, 
Merati, Quarti u. 9. können daher nicht als felbftfläns 
bige wiffenfchaftlihe Werke neben ber Siturgit, fonbern 
mut als Gomplimente ber lehtern Wiſſenſchaft betrachtet 
werben. — 

Es wäre gewiß von Vortheil gemefen, wenn fij 
Sürobft feine Aufgabe als eine Liturgifchs paftoraltheos 
logiſche zum Bewußtſein gebracht hätte. Nach bem Aufriß 
der Paftoraltheologie, ben er in ber Vorrede gibt, um 
bem vorliegenden Werke die gebüfrenbe Stelle im ganzen 
Gebiete anzuweifen, hätte es aud) gefchehen follen. Aber 
Ref. ig fog verſucht zu vermutfen, bie bort gegebene 


524 Fornici, 


Schematiſtrung der Paftoraltheologie fei bem Verf. erf 
im Verlaufe feiner Arbeit fertig geworben. Wenigſtens 
fand Ref. eft S. 290. 307 und 322 f. ausdruͤckliche 
Bezugnahme auf jene Eintheilung ber Paftoraltheologie. 
An diefer Entheilung anerkennt Ref. die felbfftändige und 
geiftreiche Auffaffung, glaubt aber um fo mehr, fid) feines 
weitern Urtheils darüber enthalten zu duͤrfen, als ber 
artige Entwürfe erft dann ins rechte Licht fommen, wenn 
man ihnen bie Ausführung im Einzelnen entgegenhalten 
Kann. Es ift faft nicht zu zweifeln, daß bei ber Rührig- 
keit und bem unermüdlichen Zleiße des Verfaſſers auf ber 
Grundlage des von ihm gemachten Entwurfes einer Par 
ftoraltheologie Ausführungen ber einzelnen Theile folgen 
werde — 

Wenn biefe fo gründlich und tüdjtig ausfallen, als 
bie vorliegende liturgiſche Monographie, fo Tann man fij 
dazu Glüd wünſchen. Denn biefe fann jedem Seelforger, 
ber bie hochheilige Gudjariftie genau nad) ben Vorſchriften 
und Normen bet Kirche verwalten will, wie er aud) fell 
ohne Anftand angelegentlid)ft empfohlen werden. Was man 
fonft über biefen hoͤchſt wichtigen Gegenftanb mühfelig aus 
Gavantus-Merati, aus Duarti, Bona, Lohner u. A. zufams 
menſuchen muß, findet man hier wohlgeordnet und gefichtet 
zufammengeftellt. Diefe Schrift zeugt wie von einem uns 
verbrofienen Seife bei allen fid) entgegenftellenben Schwie 
tigfeiten, fo aud) von einem großen Geſchicke, diefe Schwie⸗ 
tigfeiten zu überwinden, und bei allen Materien Ueber 
ſichtlichkeit, Klarheit und Ordnung herzuftellen. — 

2. Die zweite Schrift ift ein Handbuch ber 
Liturgif, das im roͤmiſchen Seminarium zur Grundlage 
des Unterrichts dient, und das aud) anderwärts zu gleichen 


Institutiones Liturgicae. 595 


Ehren zu fommen verdient. Obgleich fein an Umfang, enthält 
«6 bod) febr viel. Die nach der gewöhnlichen Eintheilung 
der Liturgik zufallenden Materien, bie hi. Meffe, die Car 
framente, Gaframentalien und das Officium divinum, find 
in ſolcher Ausdehnung und Einläßlichfeit behandelt, daß 
man in Seminarien mit demfelben al8 Handbuch ohne 
Widerrede ausreichen Fann. Wir heben an biefem Buche 
als Vorzüge befonders hervor befjen flare, präcife und ber 
fümmte Fafſung, bie vielen eingeftreuten archaͤologiſchen 
und hiſtoriſchen Bemerkungen, bie nicht felten unter bem 
Sete. gegebenen Tractate berühmter Archäologen unb gis 
lurgifer über einzelne wichtige Punkte. 

Es ift leicht begreiflich, daß die in Rede ſtehende Lir 
turgit bei biefen ihren Vorzügen aud) außer Rom eine 
gute Aufnahme findet. Ref. will nicht durch Hervorhebung 
einzelner Heiner Ausftelungen, bie er, wie er glaubt, mas 
den Könnte, einen meitern Raum in Anfpruch nehmen, 
Diefes Buch wird in Seminarien unzweifelhaft gute Dienfte 
tun, voie aud) das Werf von Probſt für ben fpeciellen 
Zweig ber Liturgit, die Verwaltung der Euchariſtie, in 
den SPriefterfeminarien gewiß febr willfommen (ft. 


Dr. Bendel, Gonbiftóbireftor. 


526 Befer, 


5. 


Sehen ausgezeichneter Aatholiken ber drei letzten Jahrhunderte. 
Herauögegeben unter Mitwirkung Anderer von Albert Werfer. 
Erſtes — viertes Bändchen. Schaffhaufen, Verlag ber ὅτ. 
Hurter’fchen Buchhandlung. 1852. Preis pr. Bändchen 36 fr. 


Das Unternehmen, beffen erfte Früchte wir zur 8e 
ſprechung vor ung haben, verdient unfre volle Anerkennung. 
Man hat die Fatholifhe Kirche Thon vor breihundert 
Jahren alles höhern Lebens und aller geifligen Triebfraft 
für unfähig erklärt, und bennod) hat fie gerabe feit jener | 
Zeit Glieder in ihrem Schooße gebildet und genäht, | 
welche an Reinheit der Gefinnung, an weitgreifender und | 
grofartiger Thatkraft und an Heiligkeit des Lebens Hinter 
Keinem aus den frühern Jahrhunderten zurüdbleiben. Die 
großen Männer und Frauen, die gerade in ihrer Eigen 
ſchaft als katholiſche Ehriften einen weithin Deilfamen und 
bie lirchlichen und bürgerlichen Verhältniffe durchdringenden 
Einfluß ausübten, ben fpätern Gefchlechtern wieder vor bie 
Augen zu führen, ift gewiß ein banfenswerthes Unternehmen. 
Abgefehen davon, daß man dadurch einen allgemeinen 
tirchlich apologetifchen Zweck erreit, ba am Ende bit 
Südtigfeit einer Veranftaltung am fiherfien an ihren 
Fruͤchten erfannt wird, fo find derartige Biographien 
ganz befonber geeignet, ein Gegengift zu bilden gegen bie 
vielfachen verberblichen und Firchenfeindlichen Ideen, welde 
fo häufig burd) bie Preffe verbreitet werben. 

Die Verfaſſer haben mit Recht angenommen, daß das 
Beduͤrfniß nad) Sectüre aud) bei bem Mittelfhlage be | 
Bolfes, ber bie entſprechende Schulbildung genofen, groß 


Leben ausgezeichneter Katholiken. 527 


i und daß vorzugsweife Hiftorifche Lefeftüce unb unter 
diefen Lebensbeſchreibungen mit befonderer Vorliebe wie 
nicht minder mit bem größten Nußen gelefen werben, 
wenn fie im rechten Geifte gefd)rieben find. Mit Rüdficht 
auf diefen Leſerkreis wollten umb fonnten bie Verfaffer 
feine wiffenſchaftlich ausgeführte und mit eigenen felbs 
fünbigen Forſchungen bereicherte Biographien liefern. 
Ihnen fag nur ob, mit forgfamer Benutzung des [don 
vorhandenen gefchichtlihen Materials ihren Arbeiten einen 
folhen Charakter zu geben, daß fle in den Kreifen, auf 
die fie rechnen, Leſer finden, umb biefe durch bie Lectüre 
nah ihrem Bedürfniße belehrt, erbaut und unterhalten 
Werben. 

Der Herausgeber fpricht fi in der SBortebe p. VI. 
über den Charakter und ben Smed ber zu liefernden Bis 
ographien folgendermaßen aus: „Es find biefe Lebens⸗ 
beſchreibungen feine Legenden, wollen aber aud) nicht ſtreng 
wiffenfdaftfiden Anforderungen genügen, fonbern find fo 
gehalten, daß fie als gefchichtliche Lebensbilder vorzugs⸗ 
heife den Gebildeten im Volke zur Belehrung, Erbauung 
und zugleich zur nüglichen Unterhaltung dienen dürften. 
Das Wefentlihfte, was bie oft febr umfangreichen unb 
darum fehr Vielen gar nicht zugänglichen biogrophis 
hen Werke enthalten, ift darin aufgenommen und in ein 
moͤglichſt populäres Gewand eingeffeibet. Auf Vollſtaͤndig⸗ 
keit machen fte feinen Anſpruch, tod) ging das Beftreben 
dahin, eim möglichft abgerundetes, in feinen Hauptzügen 
twohlgetroffenes Bild von bem Leben und Wirken der hier 
geſchilderten Katholifen auf rein hiftorifcher Grundlage zu 
entwerfen. Inshefondere wurden die Lebensgefchichten 
folder hervorragender Männer und frauen ausgehoben, 

Tpeol. Duartalſqhrift. 1859. lII. Heft. 35 


528 . fefe, E 

bie bem deutſchen Baterlande angehören, ober welche bod) 
in ber einen oder anbern Beziehung für uns Deutſche von 
befonderem Intereffe find? — 

Hiemit find die Gefichtspuncte angegeben, von denen 
aus bie vor und liegenden Biographien beurtheilt werben 
wollen. Mit bem Ziele, das fid) der Herausgeber geftedt, 
fann man vollftändig einverftanden fein, und es unterliegt 
feinem Zweifel, baf gerade Lebensbefchreibungen derjenigen 
heiligen und überhaupt großen und hervorragenden Kas 
tholifen, welche den legten drei Jahrhunderten angehören 
und beffalb unfern Zeiten und Verhaͤltnißen nabegerüdt 
find, als ganz beſonders geeignet erfheinen, eine nuͤtliche 
Rectüre des [efenben Publifums abzugeben. Es ift jedoch 
nicht bie Abficht des Herausgebers, einen Complex von 
Biographien zu geben, bie als ein zufammengehöriges 
Ganze zugleich ein Bild der ganzen Zeit, nämlich der drei 
legten Jahthunderte, aus denen fie genommen find, bar 
ftellen follen, fonbern jede Biographie fell das in fij ge 
ſchloſſene Charakterbild einer SBerfónlidjfeit und feiner Zeit 
fein. Darum Tann jede Lebensbefchreibung, ober jedes 
Bändchen, von denen das einzelne zwei Biographien 
entHält (daß erfte ausgenommen, das nur bie Lebendbes 
ſchreibung des hl. Carl gibt), für fld) angefhafft und ger 
braucht werden; aus bem gleichen Grunde ift aud) eine 
ſtreng chronologiſche Ordnung in ber Abfolge nicht not» 
wendig, obgleich e8 wünfchenswerth erfdjeinen muß, bie 
Biographien, wenn immer thunlich, fo aneinander anzureifen, 
daß bie dironologifdje Abfolge nicht ſtark verlegt wird. — 

In den bisher erfehienenen vier Bändchen finden fid) 
fieben Biographien, im erften bie des hl. Karl 
Borromäus, im zweiten bie des hl. Ignatius unb be& 





Reben ausgezelchneter Katholiken. 529 


fel. Canifins, im dritten bie des HI. Vincenz von Paul 
und des hl. ὅτ. von Sales, im vierten bie des Benelon 
und des DL Fidelis. Mit Recht ift der hl. Karl Borros 
maͤus an bie Spige diefer biographiſchen Sammlung ger 
fielit worden, fo wie aud) bie Auswahl der übrigen Pers 
fönlichleiten ganz paffenb if. Diefelben zeichnen fid) burd) 
ihr reiches inneres Leben wie durch ihre äußere Wirkſam⸗ 
feit aus. Wenn ledteres bei dem bL. Fidelis aud) weniger 
der Sall if, fo ift bod) feine Berufung zum Ordensſtande 
und fein Mariyrtod fo merkwürdig, daß ihm mit vollem 
Rechte ein Play in biefer Sammlung angetoiefen morben ift. 

Gegen die eingehaltene Aufeinanderfolge ber genannten 
Lebensbefchreibungen laͤßt fid etwas Erhebliches nicht 
einwenden. Auf Karl Borromäus folgen nicht unpaffenb 
in einem eigenen Baͤndchen Ignatius und Canifius. 
Dagegen würde e8 uns beffer erfcheinen, wenn Vinzenz 
son Paula mit fenelon, oder legerer mit Franz v. Sales 
aujammengeftellt worden wäre; inbeffen laͤßt fid) aud bie 
wirkliche Stellung rechtfertigen. 

Auch in der Auswahl des gefhichtlihen Materials 
ſcheint und das rechte Maß getroffen zu fein. Es ift fo 
viel Detail in bie einzelnen Lebensbefchreibungen aufge 
nommen, daß fie feine trodenen Gerippe bilden, ſondern 
das nöthige Leben und wuͤnſchenswerthe Anfchaplichfeit 
und Fülle haben. Diefes Detail ift aber nicht fo reich, 
daß bie Biographien zu weitläufig würden. 

Die Darftellung ift für ben beabfihtigten Zweck unb 
Leferkreis im Ganzen gelungen. Die Anordnung ift Har 
und durchſichtig, der Styl edel und populär. ie und ba 
wäre bemfelben etwas mehr Slüffigfeit, Gefchmeidigfeit und 
Abrundung zu wünfchen; aud) Fremdwörter wie Nepotis⸗ 

35* 


536 ^ Werfe, ' 
mus L p. 12, Hofpitalität L p. 35 u. 9f. hätten unſchwer 
vermieden werben fónnen. 

In einigen Biographien, beſonders in benen bes Bes 
nelon und des Fidelis ift ziemlich viel nicht unmittelbar 
auf bie zu ſchildernde Perfönlichkeit bezügliches hiſtoriſches 
Material aufgenommen worden. Ref. findet biefe Ein, 
flebtung von bem einen und andern hiftorifchen Paſſus 
mehr allgemeiner Natur in derartigen Biographien nicht 
nur zuläffig, fonbern fogar zwedmäßig unb mitunter [aft 
nothwendig. So war eine Schilderung des Hoflebens 
Ludwigs XIV. unb eine Befchreibung ber quietiſtiſchen 
Streitigkeiten notbmenbig, um das Leben Fenelons richtig 
zu verftehen und darzuftellen. Deßgleihen wird man «6 
gerne hinnehmen, wenn das Städtchen, wo Fidelis geboren 
wurde (Sigmaringen) und bie Verhältniffe diefes Städt 
chens zum fürftlichen Haufe, wenn ferner Freiburg, wo er 
fi) länger aufhält, nad) feiner Lage und Bedeutung ges 
fhildert wird, deßgleichen, wenn man über bie Proteftan- 
tefirung Graubündtens Näheres erfährt, da unfer Heiliger 
dort als Mifftonär war. (66 ift befannt, wie bie Fran 
zofen durch ihre außerorbentlihe Gabe der Erzählung bie 
Biographien duch Einmifhung von verfdiebenen allge 
meinen hiftorifhen Notizen intereffant zu machen woiffen. 

Wenn e8 alfo ohne Anftand gebilligt werben Fann, 
daß der Biograph hie unb ba über die Grenzen, melde 
ihm burd) bie zu ſchildernde Perfönlichkeit geftedt zu fein 
ſcheinen, hinausgreift in das weite Gebiet der Geſchichte, 
fo muß diefes bod) immer in einer Weife gefhehen, daß 
εὖ der Einheit ber biographifhen Erzählung feinen Eins 
trag tfut. Die Perſoͤnlichkeit darf nicht Hinter ben er 
zaͤhlten anderweitigen Greigniffen zurüdtreten, fie muß das 


Leben ausgezeichneter Katholiken. 531 


Ganze beherrfhen. Wenn man alfo Zeiterefgniffe, bie 
von der zu fhildernden Perſon etwas abfeitó zu liegen 
fSeinen, in eine Biographie aufnehmen will, fo follten 
diefelben immer in eine lebenbige und anfchauliche Vers 
bindung und Beziehung mit ber Hauptperfon ber Erzähs 
lung gebracht werden. Hiezu gehört eine große ftunft der 
hiſtoriſchen Darftellung, und es ift barum ſchwierig, das 
Richtige ganz zu treffen. Der SBerf. der betreffenden Bios 
grapbien ſcheint uns gerade bie funftvolle Verflehtung 
des allgemein Gefhichtlihen mit bem Perſoͤnlichen nicht 
immer ganz richtig getroffen zu haben. 

Auffallende Unrichtigfeiten find bem Ref. beim Durchs 
leſen nicht aufgefallen. Als unbedeutend Debt er hervor: 
8. IV. €. 110 wird zu Collegium Germanicum, zu beffen 
Gründung ber hl. Ignatius ben Anftoß gab, bie Bemer- 
lung gemacht: „es werben hier deutſche Jünglinge erzogen 
und wiffenfhaftlich gebildet." Jene Anftalt hat aber ben 
beſtimmten Zwed, ausfchlieglih nur G eiftlid)e und zwar 
für Deutſchland zu bilden. ©. 130 beffelben Baͤndchens 
wird aus Verſehen gefagt, der Kapuzinerorden hätte fid) 
fon im fünfzehnten und Anfang des fechszehnten Sabre 
hunderts in ranfreidj, Spanien u. f. τὸ. - ausgebreitet, 
während kurz vorher richtig bemerkt wurde, daß ber ges 
nannte Orden fid) im Jahr 1525 unter Vaschi als ein 
Zweig des Branziöfaner-Drdene bildete unb im 3. 1536 
beflätigt wurde. 

Die befprodjenen Lebensbeſchreibungen find fo gehals 
ten, daß Ref. denfelben viele Lefer, und bem Unternehmen 
überhaupt einen guten Fortgang wuͤnſcht. Die Ausftattung 
iR (dàn; bie Beigabe eines Bildes zu jedem Bänden 
danfenswerth. Noch danfenswerther wäre es übrigens, 


532 Berfer, Leben ausgezelchaeter Katholiken. 


wenn bie Abbildung eines jeden gefdjilberten Heiligen bei» 
gegeben worden wäre. Der Preis, das Bändchen von 
150—200 ©. zu 36 fr., ift gerabe nicht zu Bod. 


Dr. Bendel, Gonviltóbireftor. 


Literarifcher Anzeiger 
Nr. 3. 


M —— ——jh — 

Die Hier angezeigten Schriften findet man in ber H. Laupp'ſchen 

Buchhandlung (Saupp & Fiebeh) in Tübingen vorräthig, fo 
wie alle Erfpeinungen ber neueften Literatur. 





In unferm Berlage erfihienen fo eben und find in allen 
foliven Buchhandlungen Deuiſchlands, in Tübingen in ber Saupy'. 
hen Buchhandlung vorräthig: 

Gaillard, P. Georg. Sechs Reben über die unbefledte 
Empfängniß der allerfeligften Jungfrau Maria. Aus 
dem Lateinifchen vom Verfaffer des Wallfahrtsſpiegels. 
5%, Bogen. gr. 8. Preis: geb. 12 Egr. 

Goldhagen, Hermann, Priefter der Gefelfchaft Sefu. 
Bolfändiges Gebet: und Grbauungébud) ald Andacht 
zum Beiligften Herzen Jeſu Chrifti. Mit Gutheißung 
und Genehmigung der Obern. 14 Bogen. gr. 12. 
Breis: geb. 9 Ser. 

Gröne, Balentin, Doctor der Theologie, Sacramentum 
oder Begriff und Bedeutung von Sacrament ín ber 
alten Kirche bis zur Scholaftif. — Gin Beitrag zur Dog- 
mengeſchichte. 181,4 Bogen. gr. 8, Preis: geb. 25 Ser. 

Gróne, Valentin, Doctor der Theologie. Tegel und 
Luther oder Lebensgefchichte und Rechtfertigung des 
Ablappredigers und Inquifitors Dr. Johann Tegel aus 
ven Predigerorben. 15 Bogen. gr. 8. Preis: geb. 
24 Ser. 

Nolte, 3. δ. Lchrer zu Reiſte. Ehoralmelodieen zum 
fathol. Gebet und Geſangbuche von S. A. Hüfer, Bar 
for in Kirchveiſchede. In Tonziffern überfegt. Τὺ} Bos 
gen. 8. Preis: geh. 8 gr. 

Süfer, 3. 9L, Paſtor in Kirchveifchede. Vorbereitung 
u einem feligen Tode. Gebet: und Betrachtungsbud 

r fathol. Familien. Mit Bifchöflicher Approbation. 

15 Bogen. 8. Preis: 9 Ser. 

Soeft, und Olpe, im Mat 1853, 


Raffe'fhe Buchhandlung. 





2 
Fiterarifche Anzeige. 


Im Verlage ber Fr. Lintz'ſchen Buchhandlung in Trier ik 
foeben erfihienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen: 


Gefchichte 
König Ludwigs 


des Seiligen. 
Aus bem Franzoͤſiſchen ins Deutſche übertragen 
von 
A. Drieſch. 
Mit Portrait des Königs. 
gr. 8. geh. 25 Sgr. 

Die Berlagshandlung madt auf diefe neue Ueberſetzung des 
für die Geſchichie des Mittelalters fo midtigen Werkes bed Herrn 
dv. Joinville umfomebr aufmerfam, al diefelbe nad ber im 
3. 1761 a Paris erfipienenen anerfannt beften Ausgabe 
gefertigt (8. Auch bedient fi der Herr Weberfeger bei feiner 
Arbeit durchgängig der Gypradje bes 16. Jahrhunderts, wodurch 
ber Eindrud, ben die lebhafte und fdmungyolle Darftellung Join 
ville's auf ben Leſer madt, nicht wenig erhöht wird. 


Sn ver Ferber’fgen "niberfitátébudjfanblun, in Gießen 
ift erfchienen durch alle Buchhandlungen zu beiiehen: 


Der hatbolifibe Glaube 
nebft den Grundzügen 


einer Geſchichte und Speotie bet Offenbarung, 
wiffenfdaftlid dargeftellt 
von 


Stanz Anton Scharpff, 
Doktor der Theologie und Silofopfie, orbentl. Profeffor ber Tpeolsgie 
an ber Univerfität Gießen. 
Zweite Auflage. 
8r. 8. geh. fl. 1. 

Ueber gegenwärtiges Religionshandbuch hat fif das βοᾷ: 
würdigfte διε πὶ e Porbindlat zu Mainz in einem po 
fpreiben an bie Defanate zu Mainz, Worms, Darmfladt, Bent 
heim und Gießen vom 25. Mai 1848 alfo audgefproden: 


δ ἄποιος & gar Dat uns bat rs b in zusnat etellte δια, 


8 


τ breiten 
— Üranhfge n o Ἐπεν cr Bern der DaB d lal Täler εἶεν, 
Taf. bie Aubirenbe, Sagenb bel angemefiner Bebanblung unter Gori Eigen 
barin ben vollfänbigfien, madfaltifen Gäu gegen bie Mat des Beutigen 
Ungtaubens finde. Mir müffen daher in biefer Ueberzeugung winfgen , indem 
Εἰς nem Lange gefühlten Sefberium enbreden, hab Bag tuir. δαπεύνά fir 
den Keligionsuntsrigt im ben beibem obern Klaffen der Ghmnaſien eingeführt 
Das Bu hat aud) bei fatholifhen Stubirenden auf Unis 
verfitäten und in andern gebifbeten Kreifen die freunbtidjfte Auf⸗ 
nahme gefunden. 
Bei Parthiebeftellungen treten noch befondere Begünſti⸗ 
gungen ein. 
im ber Unterzeichneten if foeben erfjienen unb in allen 
Buchhandlungen Deutſchlands zu haben: 


Ein 
katholifches 


Bolkfsbuch 


für die Großen und für bie Kleinen. 


Sammlung von Erzählungen und Auffägen 
von 
Adolph Kolping, 
SDomvifar und Präfes des fatfofifdjen Gefellen-Bereins. 


Religion und Arbeit if ber golbene 
Boden des Volkes. 


X. Bändchen. 
12 Bogen 8. Preis: geh. 10 Ser. 

Der Name des Qodiwürbigen Herrn Berfaffers hat einen 
folgen Klang durg ganz Deutfjlanb, bag εὖ feiner weiteren 
Empfehlung bedarf, wir bebfalb das Publitum hiermit einfach 
von beffen Erſcheinen in Kenntniß ſetzen. 


Θοεῇ und Olpe. 
Raflefge Buchhandlung. 


Bet Eduard Anton in Halle tft foeben erfpienen und in 
allen Buchhandlungen zu haben: 
Serzog, Dr. 3. J., ordentl. Prof. b. Theologie in 
ΕΣ die romanifd)en Waldenfer, ihre vorrejormatoriz 
fchen Zuftände und Lehren, ihre Reformation im 16. Jahr⸗ 
hundert unb bie 9tüdwirfung berfelben, haupſachlich 
nad) ihren eigenen Schriften bargeflellt. gr. 8. broch. 
Preis 2 Rthir. 15 Ser. 


4 


In meinem Verlage ist soeben erschienen und dnrch alle Buch- 
handlungen des In- und Auslandes zu beziehen: 


CANONES ET DECRETA 
CONCILII TRIDENTINI 


EDITIONE ROMANA A. MDCCCXXXIV. 
REPETITI. 
ACCEDUNT 
S. CONGR. CARD. CONC. TRID. INTERPRETUM 
DECLARATIONES AC RESOLUTIONES 
EX IPSO DECLABATIONUM THESAURO 
BULLARIO ROMANO ET BENEDICTI XIV. 8. P. OPERIBUS 


zT 
CONSTITUTIONES PONTIFICIAE RECENTIORES 
AD JUS COMMUNE SPECTANTES 
E BULLARIO ROMANO SELECTAE. 
ASSUMPTO SOCIO 
FRIDERICO SCHULTE J. U. D. 
GUESTPHALO 
EDIDIT 


AEMILIUS LUDOVICUS RICHTER 
4, U. D. ET IN LIT. UNIV. BEROL. PROF. PUBL. ORD, 
Imperial-Octav. brosch. 4*/ Thaler. 


Leipzig, Oster-Messe 1853. 
Bernhard Tauchnits. 


Im Verlag der Akademischen Buchdruckerei — University- 
Press — und in Commission bei 3. ΒΒ. Parker, Universitäts- 
Buchhändler in Oxford ist soeben nachstehendes wichtige Werk 
erschienen: 


Socratis Scholastici Ecclesiastica Historia Edidit Ro- 
bertus Hussey, S. T. B., Historiae Ecclesiasticae Pro- 
fessor Regius. 3 Bde. 8. cart. Rthlr. 10. 15 Sgr. 
Der erste und zweite Band enthalten den Griechischen Text 

mit der Lateinischen Uebersetzung von Valesius nebst vielen Aa- 

merkungen, und der dritte Band enthält auf 609 Seiten ,Annota- 
ones“. Die typographische Ausstattung des Werkes, verbunden 
mit stark geleimtem weissen Papier lässt nichts zu wünschen übrig. 


5 


ieh'schen Buchhandlung in Insbruck 
le Buchhandlungen zu beziehen: 


In der Felician RB: 
ist erschienen und durch 





INSTITUTIONES 
PATROLOGIAE, 
QUAS 


AD FREQUENTIOREM, UTILIOREM ET 
FACILIOREM SS. PATRUM LECTIONEM 
PROMOVENDAM 
CONCINNAVIT 


J0S. FESSLER, 


88. THEOLOGIAE DOCTOR, OONSILIARIUS ECOLES. BRIXIN., HISTORIAE 
EOOLESIASTIOAE ET JURIS EOOLES. PROFEBSOR IN SEMINARIO 
XPISCOPALI BRIXINENSI. 


gr. 8. maj. Il. Vol. fl. 9. 24 kr. 

‚Einem Jeden dem sein Beruf oder auch die Liebe zu seiner 
Kirche und ihrem ersten Trüger das Studium der Patrologiae wichtig 
macht, wird die Erscheinung eines Werkes willkommen sein, wel- 
ches — die Frucht jabrelangen unermüdeten Forschens — ihm das 
wichtige Verständnis jener kostbaren Schriften aufschliesst, welche 
von den Uranfängen der Kirche an durch die folgenden Jahrhunderte 
aus den Händen der weissesten und frömmsten Männer auf unsere 
Zeit gekommen sind und in denen für alle künftigen Zeiten die 
Bimeringo des Glaubens gesichert und aufbewahrt ist. In diesem 
Werke findet der Theologe durch die umsichtigste Kritik das Echte 
von dem Zweifelhaften und vom Unrechten geschieden, um in der 
Wahl seiner Lectüre keinen Missgriff zu machen. Wir übergeben 
ächer dieses ausgezeichnete Werk, dem sein gelehrter Verfasser den 
ehrenvollen Ruf an die Universität Wien verdankte, mit der vollsten 
Ueberzeugung damit den Wünschen sehr vieler Wissbegierigen ent- 
gegen zu kommen. 


Im Verlage von Firmin Bidot fröres à Paris it 
kürslich erschienen und durch alle Buchhandlungen Deutschlands 
und Oesterreichs zu beziehen: 

Theiner, A., Geschichte des Ponti- 
ficats Clemens XIV. 2 vol. 8. br. Rthlr. 4. 


— nn a5 » —n 3r Bd 
A. u. d. T. Clementis XIV pont. max. 
epistolae et brevia selectiora ac non- 
nulla alia acta. pontificatum ejus illu- 
sirantia quae ex secretioribus tabu- 














laris Vaticanis depromsit et nunc 





primum edidit A. Theiner. 8. br.  Rthlr. 1. 15 Sgr. 


Früher erschien im gleichen Verlage: 


"Theiner, A., Jean Henry de Franken- 

berg, Archevéque de Malines Primat 

de Belgique, et sa lutte pour la liberté 

de l'église et pour les séminaires 

épiscopaux sous l'empereur Joseph II. 

traduit par Paul de Geslin. 8. br. Rthlr. 1. 7!/; Sgr. 
Jäger, M., l'abbé, histoire de l'église 

de France pendent la révolution. 


3vd 8 ..... . Rthir. 5. 10 Sgr. 
Der hochw. Geiflichkeit und allen HH. Theologie- 
Studirenden. 


€o eben ift bei uns erfhienen unb aud in allen gut aflor- 
tirten Buchhandlungen be gefammten 3n« unb Auslandes zu haben: 


Biblifche Neal-Eoncordanz. 


Eine Zufammenftellung ber in den heiligen Schriften zer: 
ftreut vorfommenden erte, Beifpiele und Gleichniffe über 
die Glaubens» unb Gitten[ebren, fowie ber Stellen über 
biblifche SBerfonen, Orte u. bergL, unter alphabetifh ger 
ordnete Titel mit den nöthigen fachgemäßen Ab» und Unter: 
abtheilungen. Ein nügliches und bequemes bibliſches 
9tepertorium für Fatholifche Theologen, Res 
Higionslehrer und GSeelforger. Bearbeitet und 
herausgegeben von Sev. Lueg, weiland Priefter ber 
Didcefe Paffau. Mit Approbation des Hochwürd. Bifcöfl. 
Drdinariats Paffau. Zweite, burdjauó umgearbeitete, 
berichtigte unb ſtark vermehrte Auflage burd) Fr. yof. 
Seim, Domprediger in Augsburg, Herausgeber des 
Predigt⸗Magazins. In zwei Bänden. 

Diefe Lueg’fche biblifhe Neal: Goncotbang unter: 
ſcheidet fid von allen bisherigen baburd, bab fie 
nicht etwa bloßbei@laubens- und Sittenlehren burh 
Citation berZerte auf die Schrift verweist, fondern 
daß fie die einzelnen Texte wörtlich auffüprt, fie 
nad ihren innern Momenten und Beziehungen orbuet 





T 
a mehr ober minder als ein Gange? erfeinen 
à 


Welche Ausdehnung inbef blefe Art von lleberarbeitung ver 
Queg'íden Goncorban in biefem erften Bande erfuhr, möge daraus 
hervorgehen, baf gegen früher um 661 Artikel mehr aufgenommen 
wurden, von benen 246 ber Glaubens» unb Oittenlebre anges 
hören, 415 Gegenftánbe entfalten, bie ín bie Geſchichte und Geos 
ggapbie dinfatagen, fobann daß bon ben ältern 630 Artiteln nur 

9, größtentpeils nicht dogmatifhe unb moralifhe, unverändert 
ebfieben, während bie übrigen 271 mehr ober minder eine Bers 
efferung oder Erweiterung erfahren haben. 

Erſchienen ift mun ber 1. Band £n 3 Lieferungen. Preis für 
alle diejenigen, welche dieſes Werk vor δ τῷ εἰ π ἐπ ber Schluß- 
litftrung be8 zweiten Bandes im Juli b. 38. abnehmen, nur 
3f. 30 fr. ober 2 Thle. 1!/, fgr. — Preis beider Bände von 
ἄττα 65 Bogen für Subferißenten nur 6 fl. rf. ober 3'/, Soir. 
yrf., alfo pro Drudbogen 6 fr. ober 13/4 Sgr. Anwiderruflicher 
Sabenpreis nach Erſcheinen des II. Bandeö mindeftens 7 fl. 30 fr. 
ober 4! 5 Thlr. — Es dürfte daher Seber, ber fid) bleed unente 
behrliche Werk anzufchaffen gebenft, es in feinem Intereffe finden, 
ſich noch bet Zeiten zur Abnahme zu melden. 


Augsburg, 1. Mai 1853. ' 
$. Kollmann'ſche Buchhandlung. 





Wener Verlag 
von 


Gebr. Earl δὲ Nicolaus Benziger in GinficbeIn. 


Effinger, P. Conrad, Prior des aufgehobenen Kloſters 
Gt. Urban, der Leidenskelch, des Chriften Staͤr⸗ 
fung in ben Prüfungen diefes Lebens. in Gebet 
und Erbauungsbud. Belinpapier. Mit 4 lithogras 
phirten Bildern. 8. 1853. (552 Seiten.) 

15 Nor. oder 48 ft. 


Sausmiffion, die Perle der. Oder Anleitung in 
einer hriftlichen Lebensordnung bie Früchte ber apo- 
ſtoliſchen Miffton zu bewahren. Bon Wilhelm Haus 
fen, meiland Prieſter und mehr als breißigjährigem 
Bußprediger. Neu herausgegeben unb mit einem voll 
ftändigen Gebetbude vermehrt von Br. Anton Häd- 
ler, Kaplan ad St. Jodocum zu Aulendorf, Rotten- 


burger Bisthums. Mit 4 Bildern. 8. 1859. (456 ©.) 

10 Ngr. ober 33 fr. 

Hecht, P. Laurenz, Profeffor unb Kapitular des Stifts 
Einfiedeln, Erzbrubderfchaft des heiligften und un- 
befledten Herzens Mariä zur fBefebrung bet 
Sünder. Deren Entftehung, Verbreitung unb Wir 
fungen in ben merfmürbigflen, wunderbaren Belchs 
rungen unb Heilungen. Mit 2 lithogr. Bildern. IGte, 
mit Gebeten und Andachtsübungen vermehrte Aufl. 12. 
1852. (360 Seiten.) 71 9tgr. oder 21 fr. 


Herzensbund, ewiger, mit ben allerheil. Serzen 
Set und Marid. Ein vollftändiges Unterrihtör 
und Gebetbuch. Nebft allen gewöhnlichen Andachten. 
Bearbeitet vom SBerfaffer des „Miſſionsbuches“ 1c. 
Mit 5 Bildern. 8. 1853. (504 Geiten.) 

. 15 Ngr. ober 48 fr. 

Jahr, das beilige. Das ift das Leben ber fei 
ligen Gottes, eingetheilt auf alle Tage des Jahres, 
mit Anwendungen, Gebenffprüdjen unb Gebeten. Sammt 
einem vollftänbdigen Gebetbuche aus den Schriften ber 
Heiligen Gottes. Bon einem Fatholifhen Landgeifts 
lien. Mit 16 lithographirten Bildern. 8. 1853. 
(628 Seiten.) 23 Nor. ober fl. 1. 12 fr. 

Paffions:Stapulier, das rotbe, dargeftellt in {εἰν 
nem Urfprunge, in feinen Abläffen unb in feiner Bes 
deutung von einem Priefter des Bisthums Chur. Mit 
den gewöhnlichen Meß-, Beicht-, Gommunione ıc. Gt 
beten und vielen dem Zwecke dieſes heiligen Skapuliers 
angemefienen Andachten. Nebft 1 litbogr. Abbildung 
diefes Sfapulierg. 12. 1853. (228 Seiten.) 

] 5 Nor. ober 15 fr. 

Genffótnlein, geiftliches._ Eine Auswahl father 
lifder Gebete für alle Alter, Stände, Zeiten und Vers 
hältniffe. (Mit neuen Lettern.) Mit 10 Bildern. 
9te Aufl. 32. 1853. (478 Seiten.) 7 Ngr. ober 21 fr. 

Wafer, P. G., Priefter aus der Gefellihaft Sefu, ber 
treue Wegweifer in das Heimathland des wahren 
Güde für Hriftlihe Jünglinge. 12. 1852 
(934 Seiten.) 15 Nor. oder 48 fr. 





8 


Merk, P. Ant, des Epriften Pilgerſtab auf ber 
Reife in bie Ewigkeit. Gerehngter Inhalt der 
vorzüglichern Miffionspredigten, nebft Unterricht unb 
Gebeten. — Mit 2 Bildern und gelbbronjittem Titel. 
16te Aufl. 8. 1853. (504 Seiten.) 10 Ngr. oder 30 fr. 


— Daffelbe, 1διε Aufl. Größerer Drud. 8. 1853. 
(504 Seiten.) 10 Rgr. ober 30 fr. 
Sees, Kaver, Pfarrer in Ballwyl, bie driftllide 
aufunft auf bem Lande ober bie neue Kirche 

in Ballwyl unb wie fle geworden. Mit 3 lithogr. 
Beilagen. 18. 1852. (212 Seiten.) 12 Ngr. oder 36 fr. 


Morel, Pater Gall, Gedichte. Mit bem SBilbnig des 
Verfaſſers in Stahlſtich. Velinp. 12. 1852. (304 ©.) 
24 Nor. ober fl. 1. 18 fr. 

— Daffelbe, elegant in Leinwand mit Goldſchnitt ge« 
bunden, Thlr. 1. 6 Nor. ober fl. 2. 


Portrait von Pater Gall Morel in Stahlſtich. 4. 
10 Nor. ober 30 fr. 


en ne qi utens ἡ ra) 
Verwaltung 
der 
bochheiligen Euchariftie 
von 


Ferdinand Wrobft, 
Brieſter und Doktor der Tpeologie. 


Mit Approbation ber hochw. Biſchöllichen und Erzbiſchöflichen 
Ordinariate Rottenburg und Freiburg. 
46 Bog. gr. 8. broch. Preis 3 fl. 48 fr. ober 2 Thlr. 
15 Nor. 





1o 
Zaupp’fcher Verlag. 


Die Tranerreden 
von Boſſuet und Flechier 
mit einigen andern 2ob- und Trauerreden 


vn 
Benrdalsue, Mlascaren, füanry, Fenelen. | 
Aus rem Franöriden 
του 
Sofepb 22$, 
Seri. 
Ski pilerideiitheris t t äntigen Go 
HR Büeriigeäkperriten Grossen δὲν riser welfkimrigra 
Bar 8 Xces ἃ 4 24 ft SR 2 25 W- 


F 
, 
i 
Η 
à 
H 
: 
1 
IH 


WPcmlclNT rif poiianrre- Fachfugg dar Ctrrer τε ὥὅκωξε xexr 
τοὺς δενησστι porhe τς, Eier uolo δ: ἐδιετ᾽ Φ inum 





Theologiſche 


Quartalſchrift. 


In Verbindung mit mehreren Gelehrten 
herausgegeben 
von 
D. v. Auhn, D. ». Hefele, D. Welte, D. Bukrigl 


und D. Aberle, 
Brofeſſoren der kath. Theologie an ber f. Univerfität Tübingen. 


Fünfunddreißigfter Jahrgang. 


Viertes Quartalheft. 


Tübingen, 1853. 


Verlag der H. Laupp’fhen Buchhandlung. 
- (Saupp & Giebel.) 


Φιυᾶ von δ. 2aupp Ir. 





1 


Ueber den Urfprung und bie rechtliche Stellung ber 
'  Generalvicare, 


Die erften Anfänge der hierarchiſchen Würde, von 
welcher wir im Folgenden reden, feßen viele Kirchenhiftorifer 
und chriſtliche Archäologen ſchon in's dritte unb vierte Sabre 
hundert, indem fie auf jene großen Männer hinweifen, bie, 
bevor fie felóft zum Episcopat gelangten, ihre Bifchöfe in 
Ausübung ihres erhabenen Amtes unterftügten und einen 
Theil jener ſchweren aft auf fid) nahmen. So mar ber 
hl. Eyrill von Serufalem von feinem SBifdjofe beauftragt, 
flatt feiner den katechetiſchen Unterricht -zu ertheilen und 
das Predigtamt bleibend zu verwalten, weßhalb ihn ber 
gelehrte Herausgeber feiner Werke, der Mauriner Souttée, 
ohne weiteres ben „Generalvicar von Jerufalem“ nennt !). 
Gregor, ber Theologe, unterftügte feinen Vater gleichen 
Namens, den hochbetagten Biſchof von Nazianz, in Aus- 
übung der bifhöflihen Bunctionen bis zu beffen Tode, 


1) Dissertat. De S. Cyrilli Hierosol. Vita. c. III: „ex commissa 
catecheseon et baptizandorum cura ad episcopum proprie pertinente, 
nec facile aliis commendata, unacum frequenti et assiduo in synaxi- 
bus concionendi munere, optime colligitur, Cyrillum a sancto Prae- 
sole presbyterorum principem e quasi majorem ac generalem, uti 
dicimus, Vicarium constitutum." 


36* 


⸗ 


4 
[f * a 
ἐκ: jeines Epyis⸗ 
εἶ $ „u bleibender Gehilſe 
4 appo ben bf. Yugufinus, 
4 ? ., ber Sanbeófprade als Grieche 


D . maͤchtig, daß er feinem Predigtamte 

κα genügen fónnen, zum Presbyter weihte 

« Vollmacht betraute, in feiner Gegenwart dag 

ottes zu verfündigen *). — Faſſen wir inbeffen die 

‚ung biefer Männer zu ihren Bifchöfen näher ing 
ptt fo wird fid) leicht ergeben, baf fle nur uneigentlich 
"ad im weiteſten Sinne des Wortes Generalvicare 
genannt werben fónnen — fle waren allerdings, wie biefe 
nod) heute, Gefülfen unb Stellvertreter der Bifchöfe, abır 


1) Denfwürbigfeiten, 1. 2. ©. 416 fi. 
2) Vet. et nova Eccles, Disciplin. P. L L. IL c. 7, n. 5, 
3) Thomassin. 1. c. 


4) Poseidiwa, Vin Augustin, c. 4. 5. Migse, Parolag 
Tom. XXXIL. ᾿ . 





Ὁ 


N 


ber Generololeate, 537 


"ii f dj e, was heutzutage den Generalvicar 

Ὁ ei ihnen nod) nicht: biefer ift der 

% in Ausübung ber Juris dict ion, 

πε Stelle vorherſchend bei ben 

nur nebenbei unb ausnahms⸗ 

bet Diöcefe; ber Generals 

abgegrenzten Geſchaͤfts⸗ 

'& duch das öffent 

net, während die 

"m Willen des 

niffen abhieng, 

‚en bald jenen Theil 

.ıtretend auóübten; enblid) 

t „en bie Beftellung eines ſolchen 
‚eine ‘regelmäßig wiederkehrende ger 

4t bann erfolgt zu fein, wenn ein befonders 

„ver Mann in ber Umgebung des Biſchofs fid) 

‚ während fonft bie einzelnen Glieder des Presbyte⸗ 

“ums abwechfelnd bie nöthige Aushülfe unb Unterftägung 
bé Biſchofs übernahmen. Das Inftitut der Beneralvicare 
im Sinne ber gegenwärtigen Disciplin hat feinen Urfprung 
erft im breigebnten Jahrhundert, fie waren hers 
dorgerufen durch bie angemaßte, bis ins Ungebührliche 
ausgedehnte Macht der Archidiacone, weldje bie bifchöfliche 
Autorität völlig in den Hintergrund drängte unb gaͤnzlich 
zu abforbiren drohte, fie follten gegen biefe als Stellvers 
treter des Biſchofs ein Gegengewicht bilden und ihren Händen 
die bifhöfliche Jurisdiction allmählig wieder entreißen. — 
Wenn wir diefe Verhältniffe im Folgenden näher darlegen, 
fo fann εὖ fid) nicht barum handeln, eine volftändige Ges 
ſchichte der Archidiacone zu geben, fonbern nur jene Mos 


536 Urfprung und rechtliche Stellung 


Bafilius, der Große, nahm bei Eufebius, Biſchof von 
Gáfarea, biefelbe Stellung ein und Ehryfoftomus wurde 
nod) als Diacon von feinem Patriarchen Flavianus von 
Antiochien beauftragt, während feiner Abwefenheit feine 
Stelle zu vertreten und namentlih das Predigtamt zu 
verwalten: alle drei werden von Thomaffin und Binterim!) 
in bie Reihe ber Generalvicare geftellt. „Nemo  inficiss 
ibit, fagt der Erſtere *), quin Vicariorum Generalium in 
Oriente tria haec fuerint exempla numeris omnibus abso- 
lutissima.* Auch in ber abendländifchen Kirche finden bit 
genannten Autoren um biefelóe Zeit’ bie Vorgänger unferer 
Generalvicare: in Mailand ben Presbyter Simplician?), 
den Papft Damafus von Rom aus dorthin gefandt hatte, 
damit er ben hl. Ambrofius im Beginn feines Eyis 
copates unterftüge — er wurde befien bleibender Gehilie 
und fpäter fein Nachfolger; in Hippo ben BI. Auguftinus, 
ben der Biſchof Valerius, ber Landesſprache ald τίει 
nicht in bem Maaße mächtig, daß er feinem Predigtamte 
hätte vollfommen genügen fónnen, jum Presbyter weihte 
unb mit der Vollmacht betraute, in feiner Gegenwart bad 
Wort Gottes zu verfünbigen *). — Faſſen wir indefien bie 
Stellung diefer Männer zu ihren Biſchoͤfen näher ins 
Auge, fo wird fid) leicht ergeben, baf fie mur uneigentlih 
und im weiteften Sinne des Wortes Generalvicare 
genannt werben fónnen — fie waren allerdings, wie biefe 
nod) heute, Gehülfen und Stellvertreter der Bifchöfe, aber 


1) Denfwärbigkeiten, I. 2. ©. 416 fi. 

2) Vet. et nova Eccles, Disciplin. P. L L. IL c. 7. n. 5. 

3) Thomasein. 1. c. 

4) Possidius, Vita Augustini, c. 4. 5.  Migwe, Patrolog. 
Tom. XXXI 





der Generalvicare. 537 


tad Charafteriftifche, was heutzutage ben Generalvicar 
ausmacht, findet fid) bei inen nod) nicht: biefer ift ber 
Stellvertreter des Biſchofs in Ausübung ber Juris diction, 
jene dagegen vertraten feine Stelle vorherſchend bei den 
tir lid) en Sunctionen und nur nebenbei und ausnahms⸗ 
weiſe aud) in ber 9fominiftration der Diöcefe; ber Generals 
dicar hat einen vom Geſetze genau abgegreniten Geſchaͤfts⸗ 
freis, fein Verhältnig zum Bifchofe it burd) das öffents 
liche Recht der Kirche fpeciell vorgezeihnet, während bie 
Stellung jener Altern Gehülfen lediglich vom Willen des 
Biſchofs und ben jeweiligen äußern Verhältniffen abbieng, 
fo daß fie ohme Unterſchied bald biefen bald jenen Theil 
der biſchoͤflichen Befugniffe ftellvertretend ausübten; endlich 
fheint in jenen Altern Zeiten bie Beftellung eines ſolchen 
bifhöflichen Vicars feine ‘regelmäßig wieberfehrende ges 
weſen, fondern nur bann erfolgt zu fein, wenn ein beſonders 
hervorragender Mann in der Umgebung des Bilhofs fid) 
befand, während fonft bie einzelnen Glieder des Presbytes 
riums abwechſelnd bie nöthige Aushülfe und Unterftügung 
des Biſchofs übernahmen. Das Inftitut ber Generalvicare 
im Sinne der gegenwärtigen Diseiplin hat feinen Urfprung 
erft im dreigehnten Jahrhundert, fie waren fer» 
vorgerufen burd) die angemafte, bis ins lingebübrlide 
ausgedehnte Macht ber Archidiacone, welche bie bifhöfliche 
Autorität völlig in den Hintergrund drängte und gänzlich 
zu abforbiren drohte, fie follten gegen biefe als Stellver⸗ 
treter des Biſchofs ein Gegengewicht bilden und ihren Händen 
die biſchoͤfliche Syuri&biction almählig wieder entreifen. — 
Wenn wir biefe VBerhältniffe im Folgenden näher darlegen, 
fo fann εὖ fid) nicht barum handeln, eine vollftändige Ges 
ſchichte ber Archidiacone zu geben, fondern nur jene Mos 


538 Urfprung unb rechtliche Stellung 


mente hervorzuheben, die ihre urſpruͤngliche Stellung zu 
Biſchof und Diöcefe in der Weiſe verrüdten, daß dieſer 
fib genöthigt fab, gegen fle durch Aufſtellung eigener 
SBicare einguídreiten; zugleich fügen wir die Bemerkung 
bei, daß die Amtögewalt ber Archidiacone nicht in allen 
Diöcefen die gleiche war, vielmehr hatte das Gewohnheits⸗ 
ted)t den freieften und weiteften Spielraum, indem es hier 
ihre Befugniffe in's Maaßlofe erweiterte, dort fte befchränfte 
— wit find daher darauf angewieſen, nut die allgemeinen 
Geſichtspunkte hervorzuheben, wie fie fid) überall vorfanden. 

Die erfien Spuren der Archidiacone finden fih im 
Anfange des vierten Jahrhunderts !), fle waren bie Vor⸗ 
geícbten der Diacone an der Kathebralfiche 2), vom 
Bifhofe aus ben [egtern frei gewählt, wobei nicht, wie 
beim Archipresbyter, das Alter, fondern perfönliche Tuͤchtig⸗ 
keit ben Ausſchlag gab. Sie hatten die Erziehung und 
den Unterricht der jüngern Glerifer zu leiten, von welden 
feiner ohne ihr Zeugniß und ihre Zuftimmung zur Dr 
bination zugelaffen wurbe, — fie führten bie Aufſicht über 
die niedern Kirchendiener, lciteten die Armenpflege und 
unterftügten den Bijchof in ber, äußern 9lominiftration ber 
Diöcefe 3), fomeit es biefer für nótfig erachtet. Im 
fedften Jahrhundert hatte fid) der Kreis ihrer Befugnifle 
bereit dahin ausgedehnt, daß fie aud) die Verwaltung 
des Kirchenguts führten, für die Erhaltung und Wieders 
herftellung der Kirchengebäude forgten, im Auitrag des 
Biſchoſs ben Zuftand ber Pjarreien unterfuchten, bie Straſ⸗ 

1) Optatus Milev. De schismate Donatist. L. I. 

2) Theodore! , H. E. L. 1. c. 26. ᾿ 

3) &eo der Grofe (Epist. 112, edit. Ballerin.) meint ben Archi- 
diacon ecclesiasticis negotiis praepositus", 





ber. Generalvleare. 539 


gerichtsbarleit über bie Geiflihen und bie Jurisdictio con- 
lentiosa über Laien und Glerifer in allen den Fällen aus- ἢ 
übten, in welchen fie dem Biſchofe ſelbſt zuftand 1), fo zwar, 
daß feltft das weltliche Gericht bei Streitigkeiten zwiſchen 
Laien und Glerifern ohne Dazwiſchenkunft des Archidiacons 
nit vorfchreiten fonnte unb ebenfowenig in Gaden ber 
Wittwen und Walfen 9. — War hiedurch ihr Anfehen 
bereitö foweit geftiegen, daß fie, obwohl nur Diacone, 
bod) über allen Presbytern, felbft über bem Archipresbyter 
fanden 3), fo erweiterte fih ihre Macht im neunten 
Jahrhundert *) noch dadurch, daß fle die SBifitation der 
Diöcefe und die Abhaltung der Sendgerichte, anfangs in 
Begleitung des Biſchofs, fpüter aber als felbftändige, regel» 
mäßig wiederkehrende Amtsfunction erhielten, wodurch in 
natürlicher Weiterentwidlung der Verhältniffe die ganze 
bipöfliche Jurisdiction, namentlich bie Strafgerichtsbarkeit 
— bie Auferlegung öffentlicher Bußen, bie Verhängung 
ber Ercommunication und der Suspenfion, die Ein» und 
Abjegung der Glerifer in ihre Hände fam 5. Dieſe weit» 
ausgedehnten Befugniffe, bie im gemeinen Rechte voll- 
fünbig anerfannt waren‘), würden mit ber gehörigen 


1) Eine volftändige Sufammenfteflung ihrer damaligen Rechte findet 
φ bei Ifidor von Sevilla, Epist. ad Luidfred. — c. 1. $. 11. 
Dis, XXV. 

2) Thomaasin. 1, c. c. 18. 

3) Ifivor von Gevilla 1. c. Archipresbyter se esse sub 
Archidiacono ejusque praeceptis, sicut Episcopi sui, sciat obedire." 

4) Concil. Cabilon. 11. a. 813, c. 15. 

5) BDergl. die fchöne Infruction, wele Hincmar von Rheims 
feinen beiden Archidiaconen für Abhaltung der Sendgerichte ertheilte, in 
Opp. cur. Sirmondi, T. 1. p. 716 seqq. 

6) Die Sfuífidt über bie Kirchengebäude unb das Kirchengut c. 1. 
3. X. de offic. archidiac. 1. 23; tic Bifitation ber Diöcefe und das 


'540 Urfprung und rechtliche Stellung 


Energie ausgeuͤbt fhon für fid) hingereicht haben, bie bis 
ſchoͤfliche Auctorität völlig in Schatten zu ftellen, aber es 
traten noch zwei weitere Momente hinzu, welche bie Stadt 
und das Anfehen ber Archidiacone ungeheuer erhöhten. 
Bis in's achte Jahrhundert hatte die Diöcefe nur Einen 
Archidiacon, aber fhon im 9. 773 theilte der Biſchof 
Heddo von Straßburg feine Diöcefe in fteben Ardyidiaconate 
ein, für das Bisthum Lüttich beftellte Papſt Leo im I. 799 
adt Archidiacone, die meiften Bifhöfe ahmten biefe Ein- 
richtung nad, fo daß im zwölften unb dreizehnten Jahr⸗ 
hundert beinahe alle Bisthümer Deutſchlands, Frankreichs 
und Englants in Arhidiaconalfprengel eingetheift waren’, 
Jedem derfelben ftand ein eigener Archidiacon vor, bie auf 
bem Lande hießen archidiaconi rurales im Unterſchiede von 
bem archidiaconus magnus an ber Kathedralfiche. Es 
leuchtet ein, daß auf biefe Weife mehr Leben, Ordnung 
und Einheit in das Archidiaconalweſen fommen und bie 
Pünktlichkeit in Ausübung ber mit demfelben verbundenen 
SBefugniffe in hohem Grade zunehmen mußte, zugleich aber 
wird aud) nicht geläugnet werden fónnen, daß biefe Ein- 
richtung febr geeignet war, bie Archidiacone, jet auf 
fleinere Bezirke befchränkt, auf ihre Rechte eiferfüchtiger 
zu maden, — fte anzutreiben, jedes felbftändige Eingreifen 
des Biſchofs ſoviel ald möglich fern zu halten und falle 
‚ex dergleichen verfuchen follte, Widerftand zu leiften, was 
ihnen nunmehr vereint viel leichter werden mußte, al 


Recht auf Brocurationen c. 6. 10. X. h t. 1. 23; c. 6. X. de censi. 

3. 39; die Prüfung ber Ordinanden umb die Ginfeung ber Pfründner 

c. 7. 9. X. h. t. 1. 23; die jurisdiet. contentiosa c. 7 X. h. τ; bit 

Strafgerichtöbarfeit in "ben. Senpgerichten c. 3. X. de poenis. 5. 37. 
1) Binterim, Denfwürpigfeiten, L 1. €. 395. 413 ff. 





bet. Omeralolcare. 541 


früher, wo ber Archidiacon bem Bifhofe mod allein 
gegenüberftand. — Auf, ber andern Seite gelangten fle 
mit bem Entfichen des gemeinfamen Lebens und bem 
Aufblühen ber Ganonifate in den Befig der Präpofituren 
diefer Stifte: der Archidiaconus magnus ward in der 
Regel Domprobft der Kathedralkirche unb bie Archidiaconi 
rurales. gewannen die Probfteien an den Eollegiatftiften 
der Landftädte. Das Anfehen diefer einflußreichen Stellen 
und die oft ungeheuren Einfünfte, die mit ihnen verbunden 
waren, mußten die Würde, von der wir reden, mit neuem 
Gange umgeben umb fie in ben Augen von Gleruó unb 
Volk immer mehr erhöhen, fo daß bie angefehenften Männer 
fle fuditen: Stephan von Garlanba, erfter Minifter rant» 
reichs, verfchmähte es nicht, zugleich Archiviacon von Paris 
zu werden ἢ), und Philipp, Bruder Ludwigs VIL, glaubte 
feiner hohen Abfunft nichts zu vergeben, wenn er an bete 
felden Kirche das Amt des Archiviacons befleidete *), mit 
welcher Würde in Frankreich allgemein der fürftlidje 
Titel verbunden ward). Aber biefe Berhältniffe mußten 
die Archidiacone ihren Bifhöfen aud) immer ferner rüden 
und ben leßtern, namentlid) feitbem die Kapitel nad) Auf⸗ 
löfung des gemeinfamen Lebens überhaupt unabhängiger 
wurden, jeden Einfluß auf die Ausübung ihrer Jurisdiction 
entziehen, fo daß die Bifchöfe an manchen Stiften nicht einmal 


1) Der Hl. Bernhard brüdt feine Entrüſtung hierüber Epiat. 78 
mit den Worten aus: sic sublimatum honoribus ecclesiasticis, ut nec 
episcopis inferior videatur: sic implicatum militaribus officiis, ut prae- 
feratur et ducibus, womit er zugleich ein Zeugniß ablegt von bem un» 
geheuren Anfehen, in welchem damals bet Archidiaconat fand. 

2) Thomassin. |. c. c. 20. n. 2. 

3) Lambert, Histor. Metens. L. IV. c. 95. 





542 Urfprung urb rechtliche Stellung 


mehr das Befcgungsredht der Archidiaconate übten !) und 
in Bolge ravon ihre Gerichtsbarkeit oft in Händen feben 
mußten, welden fie bieíelbe bei freier Verleihung nie 
würden anvertraut haben ?). 

Waren die Archidiacone buch diefes glüdliche Zur 
fammentreffen äußerer Umftände zu fo großem Anfehen 
gelangt unb waren fie wenigftens factifch von ben Bifchöfen 
unabhängig geworben, fo finden wir gleichzeitig das febr 
natürliche Beftreben, ihre weit ausgedehnte Jurisdiction 
ud principiell und begriffli von der bifhöflichen 
Auctorität zu trennen: biefelbe war nad) ihrem Urfprunge 
eine bloß übertragene, eine im Ramen unb Aufs 
trage des Biſchoſs auszuübenve, alébalb aber beanſpruch⸗ 
ten fle ihre Inhaber als eine jurisdictio propria et or- 
dinaria, die ihnen fraft eigenen Rechts zuſtehe. Die 
erften Spuren biefer Anſpruͤche finden ſich ſchon in ben 
fränfifhen Gapitufarien 3), mornad) bie Archidiacone bereits 
einen förmlihen Gerichtshof — Audienlia propria — hatten, 
ber in allen Angelegenheiten bie erfte Inftanz bilbete; — 
durch bie häufige Abwefenheit ber Bifhöfe aus ihren Dio» 
cefen, wobei bie Archidiacone ben fpeciellen Auftrag nicht 
einholen fonnten, wurde bie eigene Gerichtöbarfeit ders 
felben durch Gewohnheitsrecht allmählig zur Regel und im 
zwoͤlften unb breigehnten Jahrhundert galt fie als eine ausge⸗ 
machte, burdj Goncilien und Päpfte anerfannte Thatfache. 
Die Eynode von Gíarenbon im S. 1164 fchreibt c. 8 
fórmlid) vor, bag vom (orum des Archidiacons bie Appels 
Tation an ben Bifchof gebe und Innocenz IL nennt ben 

1) c. 31. X. de elect, 1.6, c. 3. X. de supplend. neglig. praclat. 1. 10. 


2) Schmidt, Geſchichte der Deutſchen, III. 6. c, 20. 
3) L. V. c. 171. 


der Generalvicare. 343 


Exftern geradezu ordinarius judex !). Die Defretale Ores 
gors IX. v. 3. 1229, vie fid) c. 16. X. de majorit. et 
obedient. 1. 33 findet, berichtet Folgendes: ber Erzbiſchof 
von Colocza ἐπ Ungarn hatte ein Klofter feiner Diöcefe 
zur Satbebralfitdje erhoben und ifr einen Biſchof gegeben, 
aber der Archidiacon, in defien Sprengel das Klofter lag, 
widerfeßte fid) ber Gremption beffelben und beanfpruchte 
die Suriébiction aud) über ben SBiffjof. Erſt ber Papft 
vermochte feinem Gebabren ein Ziel ju fepen, indem er 
ben Erzbifhof anwies, den Archidiacon anderwärts zu ente 
ſchaͤdigen. Diefer Vorfall beweist offenbar, daß der Archi⸗ 
biacon eine jurisdictio propria hatte, denn im entgegen» . 
geíebten Salle würde feine Jurisdietion in bem Augenblide 
ipso jure aufgehört haben, in weldjem ber Erzbiſchof fefbft 
auf feine Gerichtsbarkeit über das zur ftatfebrale erhobene 
Klofter verzichtete. — Der Erzbifhof von Mainz hatte im 
S. 1327 eine neuerrichtete Capelle einem Clerifer feiner 
Diöcefe übertragen und ihm bie-admissio ad curam ani- 
marum ertheilt: der Archiviacon an ter St. Mauritiuslirche 
aber, in beffem Sprengel die Gapelle lag, hielt fid) für 
berechtigt, bie bereitö gefhehene Verleihung des Erzbiſchofs 
aud) feinerfeità zu beftätigen und bie Worte, womit er dieß 
that, beweifen auf'8 Deutlichfte, daß er fi eine vom Erz⸗ 
bifhof unabhängige Jurisdiction beilegte: „Nos easdem 
translationem et investituram, quantum in nobis est, tan- 
quam loci Praepositus ratas habentes, ipsum N. admisi- 
mus el his literis admittimus ad Capellam memoratam, 
recepta ab eo obedientia manuali, ita quod omnino ejusdem 
successores nobis et nostris successoribus obedientiam facere 


1) Epist. 45. L. XIV. bei Baluz. 


544 Mrfprung und rechtliche Stellung 


et investituram a nobis et nostris successoribus recipere 
perpetuo teneantur !). Hatten fid in biefer Weife bie 
Archidiacone in den Beſitz einer jurisdictio propria gefeßt, 
fo war εὖ davon mur eine natürliche folge, menn fie bies 
felbe wieder fubdelegirten unb für bie verſchiedenen 
Gegenden ihrer Sprengel eigene Ὁ fficiale auffellten 5, 
welche, ihnen allein verantwortlich, mit bem Bifchofe, beffen 
Rechte fie doch eigentlich ausübten, weber Hiftorifch nod 
factifd) in irgend welher Verbindung ftanben unb daher 
nur nod mehr dazu beitragen mußten 3), bie Diöcefan- 
verwaltung des [eter zu ſchwaͤchen. 

Wenn biefe völlige Unabhängigfeit der Archidiacone 
ſchon an fi ein abnormer, der göttlich gugrunbgelegten 
SBerfaffung der Kirche durchaus woiberfpredjenber Zuftand 
war, fo fam nod) das weitere Uebel hinzu, daß fte von 
ihren Rechten offen und ungefcheut ben willfürlichften und 
gewiſſenloſeſten Gebrauch machten. Schon im neunten Jahr⸗ 
hundert erhoben fid) wieberholte Klagen über Erprefiungen, 
bie fid) bie Archidiacone bei Gelegenheit ihrer 9Bifitationen 
erlaubten %: fie führten ein überaus zahlreiches Gefolge 
mit fid, beffen Unterhaltung den Geiftlihen große ftoften 
verurfachte, weßhalb fid) eine Lütticher Synode im S. 1287 

„zu ber Beftimmung veranlaßt fab, bie Archidiacone follen 
fi) mit 5 ober 7 Pferden begnügen unb feine Jagbhunde 


1) Bodmann, Stbringeniffje Alterhümer, &. 850, 

2) c. 3. $. 1 de appellat, VI. 2. 15. 

3) Wie ungemein groß die Gewalt diefer Officiale geweſen, beweist 
eine Urkunde bei Würdtwein (Comment. T. I. p. 524), worin ber 
Archiviacon von Afchaffenburg einem feiner Officiale bie Vollmacht ers 
theilt. Vgl. Schmidt, Thesaurus, T. III p. 316. 

4) Concil. Paris. a. 829. c. 25. 


der GeneraToleate. 545 


und Lodvögel mit fid führen Y; ble für tie Vifitation 
beftimmte Zeit verwendeten fie mehr für bie Jagd unb 
andere Vergnügungen als für die Erfüllung ihrer ernften 
Pflichten, verlangten aber dennoch aud) von folden Ges 
meinben bie SBrocurationen, bie fie gar nicht viſitirt hatten ?) 
und wenn fie fid ben Mühen einer wirfliken Viſitation 
aud unterzogen, fo gefchah bie bod) nur im Intereffe ihrer 
Habfucht, indem fie, anftatt die Vergehen mit ben canonis 
fen Strafen zu belegen, fid) biefe um Geld abfaufen 
liefen 3); ben Ganonifaten, deren Vorſteher fie waren, in« 
corporirten fie eine Menge von Pfarreien und bezogen das 
Ginfommen derfelben, bie übrigen SBeneficien aber verkauften 
fie an diejenigen, welche am meiften dafür bezahlten 5); 
die Jurisdictio contentiosa übertrugen fle ihren Dificialen, 
welche die Geredtigfeitépflege gleichfalls zum Gegenftanbe 
fabfüdtiger Speculation machten, bie Proceffe in die Länge 
zogen, um größere Summen zu erzielen 5). Fügen wir zu 
al biefen Mißbraͤuchen nod) die perfönlichen Rüdfichtslofig« 
feiten hinzu, welche fid) die Archidiacone gegen ihre Bifchöfe 
erlaubten 5), fo haben wir ein ziemlich vollftändiges Bild 
ihreg Treibens gewonnen und werden ben Unwillen begreis 
fen, ben die Bilhöfe gegen fle hegten, in weldem z. 38. 
Suibert von Ehartres von feinem Archidiacon fagt: 


1) Binterim, a. o. ©. L 1. ©. 429, 
il . 1212. P.L. c. 15; Concil. Rothomag. a. 1214. 
. Lateran. IV. a. 1215. c.33; c.23. X. de censib. 








3. 39. 

3) Turk, De jurisdictionis civilis per medium aevum cum 
ecclesiastica conjunctae origine et progressu. p. 52. 

4) Turk, 1. c. 

5) Concil, Salmur. a. 1294. c. 4. 

6) Thomassin. 1. c. c. 20. n. 9. 


546 Urfprung und rechtliche Stellung 


„cum deberet esse oculus episcopi sui, dispensator pau- 
perum, catechisator insipientium, apostavit ab omnibus et 
factus est quasi clavus in oculum, praedo pauperibus, dux 
erroris insipientibus, quin imo superba et contumeliosa 
dicta in episcopum suum jaculatus est^ etc. !). 

Die fide unterließ es nicht, biefen ungebührlihen 
Anmafungen entgegenzutreten, bie ebenfo uncanonijden alà 
verberblid)en Befugniffe ber Archiviacone zu befchränfen unb 
ihre Macht auf bie urfprüngliche Bedeutung zurüdzuführen. 
Alexander IH. verbot ihnen, ohne fpecielles Mandat des 
Bifhofs bie Beneficien zu vergeben unb die admissio ad 
curam animarum gu ertheilen ἢ). Die Diöcefe follen fie nur 
im Namen des SBiffjofó — ad vicem sui episcopi — 
vifttiren dürfen 9. :Derfelbe Papſt machte das Recht, die 
Ercommunication zu verhängen, von ber jedesmaligen 
biſchoͤflichen Erlaubniß abhängig unb unterfagte ben Ardi- 
biaconen, bie Vergehen der Eferifer und Laien mit Gel 
zu beftrafen und diefes für fid) zu behalten 9. Das Concil 
von Saumur 5) entzog ihnen bie Befugniß, eigene Officiale 
zu beftellen — nur am Sige des Bifhofs dürfen fie einen 
Stellvertreter haben; namentlid) aber bie Causae majores, 
bie Eheſachen, bie Unterfuhung wegen Gimonie, bie Ab 
febung unb Degradation ber Glerifer waren es, welde die 
Biſchoͤfe für ifr eigenes Forum zurüdverlangten ober bof) 


1) Fulberti Epist. ad Clerum Paris. in Biblioth. maxim, Patrun, 
T. XVIII. p. 14. . 

2) c. 4. X. de οἵδε, archidiac. 1. 23, cfr. Concil. Lateran. IL 
ann, 1179. Append. P. XXIV. c. 1. 

3)c 1. X. h.t, 1. 23. 

4) c. 5. X. 5.41. 23; c. 8. X. de poenis. 5. 37. 

5) Concil Sslmur. a 1253. c. 8. cfr. Concil. Turonens. a. 1239. 
« 8. 


der Generafolcate, 547 


die Entfgeidung biefer Angelegenheiten von ihrer fpeciellen 
Ermächtigung abhängig madyten !). , Hatten fid enblid) nit 
felten Minoriften und fogar Laien in bie Archidiaconate 
eingeſchlichen lebiglid) in ber Abficht, fid im ben Beſitz 
großer Macht unb vielen Ginfommené zu fegen unb waren 
εὖ hauptſaͤchlich biefe Ginbringlinge, welche bie Surióbiction 
des Biſchofs, zu bem fte nicht im entfernteften Verhaͤltniſſe 
der Unterordnung ftanden, am rüdfihtslofeften zu Boden 
traten, fo verordnete eine Reihe von Synoden, baf nur 
Diacone zur Würde des Archidiaconats gelangen fónnen 
und daß diejenigen, bie biefer Forderung nicht genügen, ihre 
Stellen verlieren follen 9. 

Alein fo wohlberechtigt und gutgemeint alle biefe 
Beſchraͤnkungen waren, bie 9lrdjibiacone febrten fid) nicht 
im Mindeften daran unb übten ihre angemafte Suriébiction 
mit all ihren Mißbraͤuchen zum SBerberben ber Diöcefen 
und zum Hohne der biſchoͤflichen Auctorität nad) wie vor 3), 
denn Verhältniffe, bie einmal fo tief im Leben wurzeln, 
bie bie Gefdjidte von Jahrhunderten für fid haben und 
einen unvorbenflihen Befisftand anrufen fónnen, laſſen 
fid) burd) bloße Gefege und einfache Reclamationen aus 
demfelben nicht verdrängen. Sollte daher bie Gewalt ber 
Bifhöfe nicht für immer das bleiben, was fie feit Jahr- 
hunderten geworben war — ein leerer, wefenlofer Schatten, 
follten die Gläubigen wieder von Denjenigen geleitet wer⸗ 
ben, bie der Herr zu Hirten gefeßt, bie Kirche Gottes zu 
regieren, fo mußten bie Bılhöfe den Boden ber bloßen 
Geſetzgebung verlaffen unb factifd) vorídreiten: das 

1) Concil. ad Vallem Guidonis a. 1242, c. 4. 


2) Thomassin. 1. c. c. 20. n. 4. 
3) Binterim, a. a D. © 411 f. 


548 Urfprung umb rechtliche Stellung 


entfheidende Mittel zu diefem Zwede fanden fie in bet 
Aufftellung eigener Bicare — Offciales, Vicarii 
generales. — Der Zeitpunft, in welchem dieſes geichah, 
ift bie Mitte des breigebnten Jahrhunderts: 
in dem Decrete Gratians ſowie in der Decretalenſammlung 
Gregor's IX., bie im 3. 1234 vollendet wurde, findet fid) 
von diefen SBicarien nod) Feine Spur, der Titel (I. 28), 
ber de officio vicarii überfchrieben ift, handelt von ben 
Gehülfen der Pfarrer; aber fhon das Concil von 
Rouen) im S. 1231 erwähnt des bifhöflihen Official, 
Innocenz IV. fand fid) auf der Synode von Lyon 1245 
bereit8 veranlaßt, der Jurisdiction der erzbifchöflichen Of⸗ 
fieiale Grenzen zu feßen 9, der Biſchof von Aurerre ber 
ſtellte 1248 für bie Dauer feiner Abwefenheit ben Dom- 
ſcholaſticus zum Generalvicar 3) — und von biefer Zeit 
an werben biefe bifhöflichen Gehülfen immer häufiger, 
fo daß der im 3. 1298 von Bonifaz VIIL publicitte Liber 
Sextus einen eigenen Titel de officio vicarii enthält, ber 
ausfhlieglih von ihnen handelt, woraus hervorgeht, baf 
zur Zeit biefeó Papſtes das Inſtitut der Generalvicare 
bereit6 allgemein eingeführt war. Was nun aber ihre 
rechtliche Stellung zum Biſchofe betrifft, fo war biefe burd) 
den Zwed, bem fie dienten, von felbft vorgezeichnet: fie 
follten ein Gegengewicht bilden gegen bie Archidiacone, ihre 
Jurisdiction befhränfen und diefelbe wieder in bie Hände 
des Biſchofs jurüdbringen. Hatten daher die Archidiacone 
ihre Amtögewalt ald eine eigene unb ordentliche 


1) Concil. Rothomag. c. 13. 

2) Der betreffende Ganon. findet fid) c. 1 de offic. ordinar. VL 
1. 16, wird aber dort fälſchlich Innocenz TIL. zugeſchrieben. 

8) Thomassin. 1. c. c. 8. n, 5. 


der Generalvicare. 549 


beanfprucht, fo fonnte bie ber neuen Vicarien nur eine 
jwisdictio delegata vel vicaria fein; hatten jene ihre Rechte 
ins Maaflofe ausgedehnt und allmählig alle bifhöflihen 
Befugniffe ufurpiet, fo mußte bei biefen der Umfang ihrer 
Rechte vom freien Willen des Biſchofs und feiner 
jedesmaligen Uebertragung abhängig gemadt 
werden — und wenn bie 9frdjibiacone eine Audientia 
propria fi) anmaften, fo mußten bie neuen Gehülfen mit 
dem Biſchofe Ein Forum bilden, von weldem die Aps 
pellation nicht an den legtern, fonbern an ben Metropofiten 
gelangt. In Mebereinflimmung mit viefen Forderungen 
beftand daher, freilich mit manchen localen Mobdificationen, 
gewöhnlich bie Einrichtung, daß für die einzelnen Dis 
friete ber Dioͤceſe ſogenannte Officiales foranei beſtellt 
wurden, bie an Ort und Stelle in Ausübung der ihnen 
defegixten, minder wichtigen Rechte mit den Archidiaconen 
concurriren und die Gerichtsbarkeit berfelben an ftd) ziehen 
ſollten; am Cite des Biſchofs aber bildeten die Offi- 
cales principales unb bie Vicarii generales 1) für bie vor 
den Ardidiaconen und Officiales foranei verfanbelten 


1) Die genannte Unterſcheldung be Officialis foraneus umb prin- 
cipalis finden wir querft von Glemene V. beflimmt ausgeſprochen c. 2 
de rescript. in Clement. 1. 2, wüfrenb bem Officialis principalis der. 
Vicarius generalis don von Bonifaz VII. entgegengefteflt wurde c. 3 
de temporib. ordinat. VI. 1.9. Uebrigens wurden beide Bezeichnungen 
vielfach auch identiſch gebraucht (c. 3 de offic. vicar. VI. 1. 13), was nod 
Beute ber Fall iſt. So bemerft Barbofa (De offic. et potest, Episcopi, 
P. HI. Alleg. LIV. n. 53), daß bet Generalvicar nach ber conflanten 
Praris der romiſchen Canzlei in ben Schreiben, bie für Italien, Ungarn, 
Dalmatien, Eyyrus, Greta, den Orient, Sicilien, Sardinien und Gorfifa. 
beftimmt find, Vicarius genannt werbe, während ihn bie Schreiben für 
Arifa, Spanien, Frankreich, England, Deutfpland und Polen als 
Officialis bezeichnen. 

Sie. Dnartalfgeit 4868. IV. Heft. 37 


550 Urfprung und rechtliche Stellung 


Sachen die zweite Inftanz, während fie Diejenigen 
Angelegenheiten in ezfter In ſtanz entſchieden, bie wegen 
ihrer Wichtigkeit jenen entzogen waren — wie bie Causae 
matrimoniales et criminales, bie Beftrafung der Simonie, 
des Goncubinaté, ber Vergehen der Religiofen, bie Er 
theilung von Dispenfationen und Privilegien, die Errichtung 
und Sncorporation der Pfarreien 1c., wobei dann zwiſchen 
Official unb Generalvicar fo geſchieden wurde, daß jenem 
die ftreitige Gerichtsbarkeit, biefem bie Jurisdictio voluntaria 
zugewieſen war !). — In biefer Stellung fämpften bit 
Vicarien mit ben Archidiaconen um bie SBiebererfangung 
ber bifhöflichen Jurisdiction bis in's ſechszehnte Jahr⸗ 
hundert — hier mit mehr, dort mit weniger Erfolg. Daß 
fif bie Lepteren ihre hergebrachte Stadt, nicht fo ohne 
Weiteres entwinden ließen, fle vielmehr eben fo fráftig und 
ganz in derfelben Weife wie bisher handhabten, bemeifen 
bie fdweren Klagen, bie au im 14ten und 15ten Jahr⸗ 
Hundert gegen ihre Willkuͤr, Habfucht unb ſchlechte Vers 
waltung wiederholt erhoben wurden ?), aber für bie Dauer 
mar fle nicht mehr aufrecht zu erhalten. Rachdem fon 
Earl V. in ber vortrefffidjen Formula Reformationis 9), 
bie er 1548 dem Reichstag zu Augsburg vorfegte, c. II 
bie Archidiacone in ihre urſpruͤngliche Stellung zum Biſchofe, 
wornad fie bloße Stellvertreter deffelben find, gurüdgemirien 
hatte, war εὖ befonberá das Tridentinum, daß ihrem 
Treiben das längf verdiente Ende brachte. Die Synode 
entzog ihnen für alle Zufunft bie Causae matrimoniales εἰ 


1) Cabassutius, Theoria et praxis Jur. Can. L. L c. 13. n.i; 
Van-Espen, 1. E. P. L. tit. 12, c. 4. 5. 

2) Turk, 1. c. p. 62 seqq. 

3) Goldaet, Constitut. Imper. IL p. 325 — 339. 


der Generalvicare. 551. 


criminales 1) und bie Ausübung des Vifitationsrechtes 
wurde von der Zufimmung des Biſchoſs abhängig gemacht, 
bem fle im Balle einer Uebertragung innerhalb Monats⸗ 
friſt Bericht zu erflatten und Rechenschaft abzulegen haben 2); 
die Verhängung der Crcommunication forie bie Beſtrafung 
ber concubinarijd)en Glerifer follte für bie Folge nur mehr 
vom Bifchofe ausgehen dürfen 5), deögleihen bie 9Ippro« 
bation der Geiſtlichen, die Ertheilung ber institutio canonica 
bei Patronatspfränden mit Ausſchluß des Archidiacons nur 
dem Ordinarius zufiehen *), bie Gefbfirafen, welche bie 
Archidiacone bisher verhängten und für fid) bezogen, wurs 
den jebt zu frommen Zweden beftimmt, woburd) eine reiche 
Quelle ihres Einfommens hinwegfiel 5), endlich verordnete 
das Eoncit: „Archidiaconi, qui oculi dicuntur episcopi, 
sint in omnibu$ ecclesiis, ubi fieri poterit, magistri in 
iheologia seu doctores aut licentiati in jure canonico* 5). 

Was burd) biefe Beflimmungen, bie ben Archidiaconen 
den größten unb wichtigften Theil ihrer bisherigen Rechte 
entzogen, beabfichtigt war, trat alsbald ein: in vielen 
Diöcefen giengen fle gänzlich unter, fo daß nicht einmal 
Ihr Name fid) erhielt, in andern bfieben fte zwar beftehen, 
aber ifr Amt war weiter nichts, als ein Titel ohne Juris⸗ 
biction, unb wenn fle fid) an einzelnen Kirchen aud) einen 
Heinen Kreis von Rechten nod) retteten, fo übten fte biefe 
nit mehr jure proprio, fondern lediglich in Folge einer 


1) Bess. XXIV. c. 20 de ref. 

2) Sens. XXIV. c. 3 do ref. 

3) Sess. XXV. c. 3. 14 de ref. 

4) Sess. XIV. c. 12. 13; Sess. XXV. c. 9 de ref. 
5) Sess. XXV. c. 3 de ref. 

6) Sess. XXIV. c. 12 de ref. 


815 


559 Urfprung und rechtliche Stellung 


Conceſſton des Biſchofs als jurisdictio delegata ). Diefe 
neuen Berhältniffe hatten aber nod) eine weitere febr wichtige 
Veränderung in ihrem Gefolge; ba bie Officiales foranei 
den Zweck hatien, an Ort und Stelle mit ben Archidiaconen 
gu concurriren und ihnen bie bifchöfliche Syurióbiction all- 
mählig zu entziehen, fo hatten fie mit dem Aufhören der 
Arhidiacone ihre Beftimmung erfüllt und fielen gleichfalls 
hinweg, ja fefbft bie Officiales principales hatten feit bem 
15ten Jahrhundert nad) unb nad aufgehört 9. So blieb 
nur mehr der Generalvicar übrig als ber alleinige 
- Stellvertreter des Bifhofs in Ausübung der gefammten 
Zurisdietion und es wird jept unfere Aufgabe fein, bit 
mod) heute geltende Gefeggebung darzulegen, bie fld) über 
die rechtliche Stellung beffelben auf der Grundlage des 
Deeretalenrehts, des Sxibentinumó unb Pauptfäctic, der 
Entſcheidungen der römischen Eongregationen ausgebildet 
bat. — 


1) Bol. die Verorduung der Synode von Galjburg v. I. 1569 5d 
Binterim, a. a. D. €. 425 f. 

2) Auch das Tridentinum feunt feinen Official mehr im Gegenfag 
jum Generalvicar, εὖ gebraucht beide Suébrüde ſynonym Sess. XXIV. 
c. 16 de ref. unb überweist bie jurisdictio contentiosa , bie früher bem. 
Dfficial zufland, am bem Generalvicar Sess. ΧΠῚ, c. 1 de ref. Ju 
einzelnen ‚Diöcefen beſteht übrigens mod) heute bet Official neben bem 
Generalvicar fort, jenem iR die Gognitlou und Entſcheldung ber Qe 
ſachen zugewiefen und bildet mit ben ihm beigegebenen Domcapitularen 
das Dfficialat, während ber Beneralvicar die ganze ordentliche Juris 
dietion des Bifchofe ausübt und mit den ihm zur eite ſtehenden Räthen 
das Generalvicariat conftituit: beide Golegien zufammen bilden 
dann das bifhöflige Orbinariat, 


der Generalvicare. 553 


A. Beftellung des Generalvicare. 


Senn einige Ganoniften. unter Berufung auf c. 14. 
15. X. de offic. judic. ordinar. 1. 31 die Behauptung 
auiftclten , jeder Biſchof habe bie Verpflichtung fid) einen 
Generalvicar zu beftellen, fo muß biefe Anſicht als durch⸗ 
aus unbegründet bezeichnet werden, weil einerfeitd bie an» 
geführten Stellen von einem eigentlichen Generalvicar gar 
nicht teben und anderſeits weil eine folde Borderung 
mit den Grundanſchauungen des canoniſchen Rechts im 
volftändigften Widerſpruche ſtehen würde. Nah ben 
Haren Beftimmungen defielben haben alle Diejenigen, 
die ein kirchliches Amt wegen ihrer perfönlidhen 
Eigenfhaften erhielten, baffelbe aub perſönlich 
ju verwalten iN daß bie Würde des Episcopates gleichfalls 
in die Reihe diefer Aemter gehöre, daß zu derfelben immer 
derjenige erhoben werben follte, ber vermóge feiner pers 
fónliden Eigenfhaften ber 9Bürbigfte unb 
Saugli fte ift, fann nicht bem geringften Zweifel unters 
liegen 3). Mithin wird ber Bifhof nicht nur das Recht, 
fondern aud bie Verpflichtung haben, feines Amtes 
perfónlid) zu warten und bie Heerde, bie Gott feiner 
Obſorge anvertraute unb für welche er einftenó dem ewigen 
Richter wird Rechenſchaft ablegen müffen, Trid, Sess. VI. 
c. 1. de ref. felbft zu leiten. Die vom Geſetze ihm 
gegebene Befugniß, einen Gehülfen in ber Perfon des 
Generalvicars fid) zu beftellen, muß bemgemáf unter bem 
Gefihtspunfte einer SBerwilligung, einer befondern 

1) c. 3. X. de cleric. non resid. 3. 4. 

2) Trident. Sess. XXIV. c. 1. de ref.; Ferraris, Prompt. biblioth, 
s. v. eleciio, art, III. n. 13 seqq. 





554 Urfprung und rechtliche Stellung 


Eoneeffion, eines Privilegiums qufgefaßt werden, 
von bem er je nad feinem Grmefjen Gebraud) maden 
fann ober nicht: will er bie ſchwere Bürbe feiner Pflichten 
allein tragen, fo wird diefes um fo vollfommener unb 
für ihn um fo verbienftliher fein, hält er es aber für 
die ypünftlibe und ſchnelle Beforgung der Geſchaͤfte für 
swedmäßig, ὦ einen Gehülfen beizuordnen, fo fann er 
Einen oder nad ben Umftänden aud) mehrere Generals 
vicare beftellen ἢ". Diele Freiheit des Biſchoſs, bie aud) 
von ber Rota Romana und ber Congregatio Concilii aus 
brüdlid anerfannt vourbe?), bildet alfo die Regel, 
en welder aud) bann. nod) feftgehalten werden muß, wenn 
der Bifhof zwei Diöcefen unter feiner Jurisdiction ver 
einigt, aber bie Adminiftration beider allein führen will 3) : eine 
wirkliche und vom Geſetze beftimmte Ausnahme tritt nur 
in den Fällen ein, mo ber Bifchof (ei. e wegen zu großer 
Ausdehnung der Diöcefe oder wegen ber Menge der Ge 
fhäfte oder aus irgend einem andern Grunde nicht im 
Stande ἐξ, allein den Verpflichtungen feines Amtes 
nachzukommen und gegründete Urſache für die Befürchtung 
vorliegt, e8 möchte bie geordnete Verwaltung der Diörefe 
Schaden nehmen. Unter foldjen Berhältniffen ift er, wie 
in ber Natur der Sache liegt, verpflichtet, einen Generals 
vicar zu beftellen und fann vom heiligen Stuhle zur An 
nahme eines folhen in der Weife angehalten werben, bof 
falls er den betreffenden Vorſtellungen nicht nadjfommen 


1) S. Congregat. Concil. in Lancian. 24 Mart. 1599; in Gerunden. 
et Cariat. 2 Octobr. 1706. 

2) Rota in Calagurit. Fructuum 18 Mart. 1583; Oomgregel. 
Concil. 11 Februar. 1696. 

3) Ferraris, l. c. s. v. Vicarius generalis Episcopi, art, L n. 13.14. 





der Generalvicare. 555 


follte, ihm vom DOberhaupte der Kirhe ein Gehülfe und 
Stellvertreter fpeciell gefegt wird !), ber alddann bie Voll 
machten eines Vicarius Apostolicus übt und von Geiten 
des Bifhois wunabícgbar ift ?). 

Wie εὖ mit Ausnahme der zuletzt genannten Fälle 
lebiglió von der Entiheidung des Bilhofs abhängt, 
ob er einen Generalvicar beftellen wolle oder nicht, fo hat 
er aud die vollüünbigüe Breiheit in der Wahl ber 
SBeríon: er ift nur feinem Gewiſſen verantwortlich, 
‚Niemand hat Bier mitzufprecben, [εἰδῇ das Kapitel nicht, 
denn nad) der übereinftimmenden Anfiht der Ganoniften 
und ber ununterbrodhenen Praris bedarf ex meber beffen 
Rath nod Zuftimmung 9). Deſſenungeachtet aber wird 
faum nöthig fein zu bemerken, daß er bei biefer Auswahl 
bie größte Vorfiht anwenden und nur einen folhen Mann 
mit bem wichtigen Amte, auf bem eine fo große Ders 
antwortung ruht, betrauen folle, ber in jeder SBeife 
würdig unb nad) allen Seiten hin fähig ift, — die größten 
Biſchoͤfe find biefer natürlichen Verpflihtung gewifienhaft 
nadjgefommen, von Carl Borromäus fchreibt fein Biograph : 
„Vicarium Generalem in primis gravem, pietate religioneque 
praestantem, doctrina spectatum, juris consultum, tum 
praeterea disciplinae sacrae studio incensum , Sacerdotem 
eligebat“ *). In biefem Sinne hat das canonifche Recht 
eine Reihe von Eigenfhaften namhaft gemacht, bie zu ber 


1) Nicolius, Floscul. s. v. Vicarius General. n. 39. 

2) S. Congreg. Episcop. in una Civitatis Castell. 2 April. 1591; 
in Mediolan. 8 Februar. 1594. 

3) Ferraris, |. c. n. 3. 

4) Pellegrinue , Praxis Vicariorum, p. 1. Baerbosa, De offic, 
et potesta, Episcop. P. Ill. allog. 54. n. 3. 


556 Urfprung und rechtliche Stellung 


Würde des Generalvicars befähigen ober aber von berfelben 
ausſchließen. Vor Allem wird der Elerifat gefordert, 
denn bie Laien find zur Ausübung ber kirchlichen Jurisdiction, 
bie gerade ben Geſchaͤftskreis des Generalvicaré bildet, durch⸗ 
aus unfähig ); zwar fann ein Laie in untergeorbneter. 
Eigenſchaft als Beifiger ober Gonfultor einem geiflliden 
Gerichte beigegeben werben, aber al Richter (elbft oder gar 
als Präfident des Gerichtes fann er nie auftreten. Wenn 
bemgemáf nur ein Cleriker Generalvicar werben fann, 
fo fragt fib weiter, welcher Or do erforderlich fei? Daß 
an fij (don bie Tonfur hinreihen würde, [eudjtet ein, 
denn fie ertheilt mit dem Glerifat aud) das Recht, an der 
Ausübung ber firdliden Suriébiction thätigen Antheil zu 
nehmen, aber die pofitiven Beflimmungen des Rechts ber 
gnügten fid) in ber Regel damit nicht: bie fpaniihe Synode 
von Tortofa im Jahr 1419 verlangte c. 10 die höhern 
Weihen und erflärte jede Handlung für null und nichtig, 
bie ein Minorift als Generalvicar vornehmen würde; das 
fechfte Concil von Mailand forderte jum Wenigften ben 
Gubbiaconat, das von SBourbeaur 1583. c.,16 ausprüdlig 
ben Presbyterat und in Spanien ift εὖ feſtſtehendes Geſeh, 
dag nur ein Presbyter zum Generalvicar erhoben erden 
füónne?) — und dieſes Leptere wird wohl das Gieeignetfit 
fein, denn faffen wir bie Stellung des Generalvicard näher in's 
Auge, wornad) er der Vorgeſetzte fämmtlicher Priefter der 
Diöcefe ift, fo wird nicht geläugnet werden fónnen, daß 
etwas Unangemefienes darin liegt, wenn er blos Diacon 
ober Subdiafon ift — Die Trage, ob ein Regulare 


1) c. 2. X. de judic. 2. 1. 
2) Constitu, Urbani VIII: Decet Romanum. 


der Generalvicare. 857 


das Amt eines Beneralvicars befleiden fünne, ift von ber 
Congregat. Episcop. !) wiederholt und mit Recht verneint 
worden, denn einerfeitö ftebt tie Verpflichtung zur Gaufur ent» 
gegen, andererfeits ift der geräufchvolle Wirkungskreis dieſes 
Amtes mit der Beſtimmung bes flófterliden Lebens wenig vet» 
einbar; mur in fehr dringenden Fällen ertheilt der apoſto⸗ 
liche Stuhl dießfals Diſpens *). Ebenfowenig fann ein 
Pfarrer zum Generalvicar beftellt werden, denn beide 
Aemter find unvereinbar 3) und es müßten entweder die 
Pflichten des einen ober des andern vernad)láfigt werben 5, 
nicht einmal bie Anſtellung eines Pfarrricars begründet 
eine Ausnahme von biefem DVerkoted). Aus denfelben 
Gründen find bie firhlichen Dignitäre und bie Canonici, 
melde eine cura animarum haben, ausgeſchloſſen ὁ. Das 
gegen find bie einfachen Domherrn nicht nur nicht aus⸗ 
geſchloſſen, fondern «6 ift fogar Regel, daß der Generalvicar 
aus bem Gremium des Capitels gewählt wird, theil wegen 
bet hohen Stellung, welche bie Mitglieder deſſelben [don 
an fid) in der Diöcefe einnehmen, tbeiló wegen ihrer aus⸗ 
gebebnten Bekanntſchaſt mit den allgemeinen Diöcefanans 
gelegenbeiten. Daher hat bie Ennode von Ealamanca im 
3. 1335 c. 1. geradezu vorgeſchrieben: „Episcopi viros 
providos de gremio ecclesiae cathedralis lilerarum scientia 
praeditos, si reperire potuerint, ad exercendum eorumi 


1) 8. Cong. Episcop. in Asculana 15 Januar 1597, in Motulana 
8 Moji 1615. 

2) Ead. Congreg. in Caputaquens, 17 Novembr, 1593. 

3) S. Congreg. Episcop. in Messana 19 Januar. 1603. 

4) Ead. Cong. in Sutrin. 16 Novembr. 1640, 

5) Eed. Cong. in Albingan. 8 Junii 1621. 

6) S. Congreg. ad Trid. Sess. XXIV. c. 12. de re, edid, 
Richter n. 81. . 





558 Urfprung und rechtliche Stellung 


vices, eligere teneantur* unb aud) bie Congreg. Episcop. 
fprad fid für bie Zwedmäßigfeit ter Wahl eines Dom: 
tapitularen aus 1): daß aber ber Biſchof biegu verpflichtet 
fei, davon fann feine Rebe fein, und erft neuerlich hat 
der heilige Stuhl ausdruͤdlich erflärt, der Generalvicar 
muͤſſe nit nothwendig Mitglied des Capitels fein *). — 
Nach einer Verordnung des Tridentinums *) bat der Biſchof 
aus der Mittedes Gapiteló einen Poenitentiariusan der Kather 
dralfirche anzuftellen : biefer fann nicht Generalvicar werben, 
damit jeder Schein ferne bleibe, als benüge ber Ocnerafvicar 
in Ausübung ber Jurisdiction etmad von bem, was er 
in feiner Etelung als Roenitentiarius in Erfahrung ges 
bracht; nur dann ift eine Musnahme von diefem allgemeinen 
Verbote geftattet, wenn bie anerkannte Rechtſchaffenheit 
des Mannes jeden derartigen Verdacht ausichließt 3). — 
Um ferner jeden Schein des Pepotismus und viele andere 
Inconvenienzen zu vermeiden, verbieten die Gefepe aus 
brüdlid), daß ber Bifhof einen Verwandten zum 
Generalvicar beftelle 5); nur bei befonder6 hervorragenden 
Eigenfhaften und bem Mangel an andern geeigneten 
Männern wird bisweilen auf furze Zeit eine Ausnahme 
geftattet 9. Ob der Biſchof feinen fünftigen Stellvertreter 
aus der Zahlder Didcefangeiftlihen wählen müfle oder 
aud einen Au 6 üáctigen dazu beftellen dürfe, Darüber hat 


1) 8. Congreg. Episcop. in Trahun. 3 Septembr. 1601 * 
Messan. 23 Julii 1603. 

2) Darfiellung der Gefinnungen Geiner. Heiligkeit x. bei Münch, 
Goncorbatt, TI. Όν. δ. 402. 

3) Sess. XXIV. e. 8 de ref. 

4) 8. Cong. Episcop. in Ariminens. 28 Janusr. 1611. 

5) S. Congreg. Episcop. in Ariun. 1636. 

6) 8. Congreg. in una Nullius Pisciae 1. Octbr. 1635. 


der (θεπεταοίεατο, 550 


{ὦ bie Praris ju verſchiedenen Zeiten verfdieben ausgeſpro⸗ 
jen: Carl Borromäus ließ nur Auswärtige ju !) unb aud) bie 
mehrerwähnte Gongregation hat in biefem Sinne wieber- 
holt entftbieben 2), weil fte bei Einheimifhen die allerdings 
naheliegenden SBegünfigunger von Verwandten und Ber 
fannten befürdjtete, allein fle felbft hat fid) febr häufig 
veranlaßt gefehen, hierin zu dispenſiren 5) fogar für ita» 
lien iſche SSifdófe — und wenn in andern Ländern diefe 
Praris nie durchgeführt wurde, fo lag babei ohne Zweifel 
bie ganz richtige Erwägung zu Grunbe, taf ein Ange 
böriger ber Didcefe einerfeitö viel genauere Kennts 
niffe ber fBerbáltniffe und Perfonen habe, was ihm fein 
Amt ungemein erleichtert, unb andernfeitß bei feinen Unter» 
gebenen mehr Liebe und Vertrauen finden werde, — etwaige 
ungerechte Begüinftigungen aber burd) die energifche Perfön« 
Tigfeit des Biſchofs leicht verhindert werden fünnen. — 
Berner verlangt das Recht bei ber. hohen Stellung des 
Generalvicars unb der Wichtigfeit feines Amtes, daß er 
zum MWenigften 25 Jahre alt {εἰ *) und daß felbft bie 
bifhöfliche Dispenfation nicht binreide, einen Jüngern zu 
berufen 5). Daß diefe firenge Forderung vollftändig berechtigt 
fet, geht aus anbermürtigen Beſtimmungen des Geſetzes 
deutlich hervor, denn wenn das Sribentinum 5) für jede 
Dignität mit Seelforge das 25. Jahr fordert, um wie 
viel mehr wird bieß bei bem Generalvicar Platz greifen 

1) Pellegrin. 1. c. p. 1. n. 2. 

2) In Ostunens. 28 Julii 1587, in Spalatrens. 9 Mart. 1593, 
in Senogall. 10 Februar. 1598. 

8) Ferraris, 1. c. n. 35. 

4) Nicolius, Floscul. n. 39. Barbose, |. c. n. 3. 


5) Perreris, |. c. n. 37. 
6) Sem. XXIV. c. 12. de ref, 


360 Urfprung unb rechtliche Stellung 


müffen, ber gleichſam bie Seelforge der ganzen Diöcefe 
in fid vereinigt und als Vorgeſchter leitet? — Um endlich 
eine hinreichende Garantie. für die wiſſenſchaftliche Befähi- 
gung des Generalvicaró zu haben, fann mur ein Doctor 
oder ficentiat des canoniſchen Rechts gewählt werben !) 
und dicß ganz be(onberó bann, wenn ber Biſchof felbft 
dieſer academiſchen Grade ermangelt ?), fo baf er von der 
Congreg. Episcop. jur Annahme eines Graduirten fogar 
genótbigt werden fann; bisweilen jebod) ertheilt die 
-Éongregation Dispens 3), wenn ber. Gewählte nad) allen 
andern Richtungen hin die canoniihen Eigenfhaften hat 
und der Biſchof im Rechte der Kırche ſelbſt erfahren ift, 
eine Radfiht, zu welcher fie um fo mehr berechtigt ift, 
als das Tridentinum für die ungleich wichtigere Stellung 
des Capitularvicars bie genannten acabemijden Würden 
verlangt, bennod) aber beifügt: vel alias, quantum fieri 
poterit, idoneus *). . 

Hat ber SBifbof unter Beobachtung ber aufgeführten 
Borberungen bie Wahl wirflid) getroffen 5), fo fof ez bem 

1) S. Congreg Episcop. in Polignan. 28 August. 1582, in 
Triventin. 6 Octobr. 1645. Der Doctorat in bet. Theologie reicht 
an fid nicht hin und Reht bier jedenfalls bem im canoniſchen Recht nach, 
weil der Wirkungskreis des Generalvicars wefentlid in der 9tueütung 
der Suriébiction umb. der kirchlichen Rechtspflege beſteht. Das 
Gefagte wird ausdrücklich befätigt von ber Congreg. Episcop. in 
Surrentina 15 Novmbr. 1605. 

2) Ead. Congreg. in Arben. 23 April. 1591. 

3) Ead.-Congreg. in Tragurien. 15 Junii 1590, in Oritana 29 
Mart. 1593. 

4) Sens. XXIV. c. 16. de ref. 

5) Hiezu IR ber Bifchof berechtigt, fobald er confirmirt if, 
denn da er durch bie Befätigumg in ben vollen Befig der biſchoͤflichen 
Surieébiction gelangt (c. 42 de elect. VL 1. 6), fo it er auf 
befugt, dieſelbe durch Delegation einem Dritten zu übertragen. 


der Generalvicare. 561. 


Betreffenden die Crnennungéurfunbe, bie zugleich feine 
fünftigen Rechtsbefugniſſe enthält, alsbald aushändigen. 
Diefe Urkunde muß von Zeugen unterzeichnet fein und 
überhaupt den Charakter eines öffentlichen Inftrumentes 
an fij tragen 1), damit fid) der Generalvicar zu jeder 
Zeit af& folder Iegitimiren könne unb ber Kreis feiner 
Rechte ein⸗ für allemal fef und beftimmt abgegrenzt fei. 
Gade des Gewählten ift εὖ fobann, biefe Urkunde im 
Driginal bem verfammelten Gapitel vorzulegen und ihm 
babutd) bie SBefignafme feines Amtes officiel zu notifis 
tien. In ben Acten der bifhöflihen Eurie ift eine aus 
thentiſche Abfchrift nieberjulegen ?). Die Beftätigung 
des vom Biſchofe erwählten Generalvicars, welde in 
neuern Zeiten einzelne Regierungen in Anſpruch genom« 
men haben 3), ift eine ebenfo überflüffige als unmotivirte 
Forderung. Der Generalvicar bildet mit dem Bifchofe 
rechtlich eine unitas personae und Ein und baffelbe Forum: 
er Fann nur diejenigen Rechte ausüben, bie bem Bifchofe 
ſelbſt aufteberi, und wenn er je die bifchöflihen SBefugniffe 
mißbrauchen oder überfchreiten follte, fo ift nicht er, fon» 
dern ber Biſchof verantwortlih. Das Leptere folgt 
einerfeitd aus bem allgemeinen Rechtsgrundſatze: qui facit 
per alium, est perinde ac si faciat per se ipsum *), an« 
bererfeit& liegt e& in der ganzen Stellung, bie ber Biſchof 
fortwährend zu feinem ©eneralvicar einnimmt: er fol 





1) Rebuffus, Praxis beneficiorum, de vicariis Episcop. n. 8, 13. 

2) Pellegrinus, 1. c. p. 3. n. 1. 

3) 3. 8. in Defterreich: Hufberret vom 23. Mai 1782 und 
22. Zuni 1797, und in Bayern, Sn. Müller, Pericon des Kirchen» 
rechts, Art. Beneralvicar. 

4) c. 72 de regul. jur. VL 5. 12. 





562 Urfprung umb rechtliche Stellung 


diefen ununterbrodjen beauffitigen, ſich mit ifm über bie 
verſchiedenen Angelegenheiten befpredhen, ihn ermahnen 1; 
er kaun ihn, false er vom Wege des Rechts abweid)t, 
jederzeit zur Rechenſchaft ziehen, ihn beftrafen und wenn'é 
nöthig fein follte, jeden Augenblick entlaffen ἢ, Macht 
der Biſchof ven diefen ausgedehnten Befugniffen feinen 
Gebrauch, fe if er aud für den Schaden haftbar, ben 
der Generalvicar anrichtet und für die Handlungen vers 
antwortlich, bie biefer widerrehtlich vornimmt 3. Wenn 
demgemäß der Generalvicar nur diejenigen Befugnifie 
ausüben fann, zu welden der Biſchof felbft berechtigt iR 
und im Falle einer Ueberfchreitung bie Verantwortlichkeit 
bem Letzteren obliegt, fo involvirt bie Beſtellung des Ge⸗ 
neralvicars gar feine Veränderung in der 9lbminiftration 
der Diöcefe, die Regierung fleht nad) wie vor lediglich 
bem Biſchofe gegenüber und ebenbarum ift nicht einzu 
feben, wozu bie beanfpruchte Beftätigung dienen unb worauf 
fie fib gründen follte. Ueber bie Behauptung: „Es fónne 
Niemand im &taate ein Amt befleiden, der nidjt von der 
Regierung in demfelben beftätigt fel," vgl. bie Denk 
fórift des Epyiscopats.ber oberrheinifhen Kirchen⸗ 
proviny vom 3. 1853, €. 39 f. — 

Wie endlich der Generalvicar vom Bifhofe allein 
unb zu befen perfónlider Unterftügung gewählt 
wird, fo muß er aud? von biefem unterhalten mer- 
den, felbft wenn bei ber Beftellung hierüber Nichts ſtipu⸗ 
lirt worden wäre %; flirht ber Bifhof, ohne bem Gene 


1) Coneiliam Narbon. s. 1609 bei Thomass. 1. c. c. 9, m. 4. 
3) Berbosa, 1. c. n. 184. 

3) Rebuffus, |. c. in Forma Vicariatus, n. 188. 

4) Borbosa, 1. c. n. 178. 


dee Generaloicare. 563 


ralvicar fein Einfommen verabreicht zu haben, fo ift biefer 
berechtigt, e& vom Gapitel aus den Gefällen der vacanten 
Kathebralfirche zu verlangen !). Die Größe des Gin» 
fommené ift gemeinrechtlich nicht beftimmt, fie richtet fid) 
nach Zeiten und S8erbá(tniffen, zum Wenigften aber muß 
bem Grundfage Genüge geleiftet werben : ,Officialem sti- 
pendio tam pingui donare, ut ne ulla ei ansa sit nundi- 
mandi justitiem et impunitatem peccandi promercalem ha- 
bendi* 2); weßhalb aud) bem Bifchofe auébrüdlid) unterfagt 
ift, dem Generalvicar die Taxen ber Canzlei 9) oder einen 
Theil der Strafgelder *) als Einfommen zuzuweifen. In 
neueren Zeiten ift in vielen beut[den Diöcefen in folge 
der Vereinbarungen mit Rom für bie Dotation des Ges 
neralvicars von Seiten der Regierungen geforgt: 
nad) dem Goncorbat Art. II find in Bayern den Dom- 
herrn, weíde die Stelle eines Generalvicaró. befleiden, 
jaͤhrlich 500 fl. ausgeworfen; für Preußen beftimmt bie 
Bulle: De salute animarum: „singulis Archiepiscopis et 
Episcopis ad satisfaciendum expensis Vicariorum Gene- 
relium et Curiae eem redituum tribuat quantitatem, quae 
a praelaudato Borussiae Rege juxta liberalem et providam 
suam promissionem hisce titulis factam constituetur“; für 
bie Diöcefe Rottenburg ftipulitt die Bulle: Provida 
solersque und übereinftimmend mit ihr das K. Fundations⸗ 
infrument v. 14. Mai 1828, daß ber Sombefan, falls 
er zum Oeneralvicar beftelt wird, 1100 fL, unb ein 





1) Pellegrinus, 1. c. P. I. Sect. IL Subsect. I. n. 21. 

2) Thomassin., 1. c. c. 9. n. 4. 

3) Congreg. 'Episcop. in Senogall. 16. Octobr. 1604. 

4) Barbosa, Bumma Apostol. Decision. verb. Vicar. General 
Episcopi n. 8. . : 





564 Urfprung ππὸ rechtliche Stellung 


einfader Domeapitular 1700 fl. als Zulage erhalten 
folle ). — 


B. Bie Amtsgewalt des Generalvicars. 


Da ber Generalvicar nad) Urfprung und Geſetz⸗ 
gebung feine jurisdictio propria hat, fondern [ebiglid) der 
Gehülje und perfönlihe Stellvertreter des Biſchofs ift, 
fo hängt ber Umfang feiner Jurisdiction vom freien Gr» 
meflen des Biſchofs ab, b. b. er fann nur diejenigen 
Rechte ausüben, bie ber Leptere ihm übertragen hat. 
Daher entſcheidet fid) bie Brage nad) bem jeweiligen Um» 
fange feiner Amtsgewalt genau nad) bem Inhalte des 
Mandats, das der Bifchof ihm. bei feiner SBeftellung zus 
wies ἢ. Sft in bemfelben der Geſchaͤftskreis zwiſchen Bir 
fdof unb @eneralvicar genau abgegrenzt und find bie 
Gegenflánbe, bie vor das Forum bes Lehteren gehören 
follen, fpeciel aufgeführt, fo hat er fid) auf biefe zu bes 
ſchraͤnken unb alles Uebrige bem Biſchofe zu überlafjen >). 
Rautet aber das Mandat ganz allgemein — „Te 
nostrum in Spiritualibus et Temporslibus vicarium gene- 
relem constituimus, nominamus et deputamus* —, fo ftebt 
ipm bie Ausübung der ganzen bifhdilihen Jurisdietion 
zu 9, jebod) mit Ausnahme aller derjenigen Bälle, bie 


1) Aus bier Beſtimmung geht zugleich hervor, ba ber SBifdjof, 
wenn er den Generalvicat nicht aus bem Gremium des Gapitelé nimmt, 
denfelben felb f unterhalten muß. MWgl. Darfiellung ber Gefinnungen 
Geiner Heiligkeit, Nünd, a. a. D. €. 402. 

2) Ferraris, 1. c. art, IL n. 84, 

3) @ine foldje genaue Abgrenzung des gegenfeitigen Wirkungekreiſes 
findet ſich im der fBerorbnumg v. 19. Sept. 1822 für das Erzbisthum 
Bamberg, bei Sinbr. Müller, a. a. D. Srt. Generolojrar. 

4) Garcias, De benefüc. P. V. c. 8. n. 65 seqq. 


der Generalvicare, . 565 


gemeinrechtlich ein mandatum speciale erfordern unb bief 
felbft bann, wenn die Elaufel beigefügt fein follte: dantes 
et concedentes tibi plenam et liberam potestatem '); find 
dagegen im Anftellungsinftrument einzelne Bälle, bie fonft 
das fpeeielle Mandat erfordern, auébrüdid) erwähnt unb 
biefen bie allgemeine Glaufel beigefügt: „et omnia et sin- 
gula faciendi οἱ committendi etiam si majora fuerint et 
quae mandatum exigant speciale, prout ad ipsius Vica- 
riatus et Officialatus ofücium noscitur quomodolibet per- 
tinere etc.,“ fo fann bez Generalvicar Alles vornehmen, 
was gemeinrechtlich ein fpecieles Mandat erfordert — 
mit Ausnahme jener Fälle, die höherer Art find, als bie 
in ber Urkunde ausdruͤcklich erwähnten ?). 

Zur nähern Grflárung des Gefagten wird uns jept 
obliegen, diejenigen Bälle nahmhaft zu madjen, für deren 
Behandlung ber Generalvicar das fpecielle Mandat tt6 
Biſchofs nothiwendig hat und ohne welded feine Entſchei⸗ 
dungen rechtlich null und nichtig find. Wir beginnen mit 
der Aufzählung derjenigen, bie nah ben ausdrüdlis 
Gen Beftimmungen des gemeinen Rechts hieher 
ἂμ rechnen find. 

1) Dem Generalvicar flet in Folge eines allgemeinen 
Mandate die Ausübung ber ganzen biſchöflichen Eivilger 
tidtébatfeit zu, dagegen bedarf er zur Unteriuhung und 
Entſcheidung der Eriminalfahen, fowie zur Vers 
bängung ber Strafen der fpeciellen Erlaubniß des Bir 
ſchoſs 9. 

1) Berkosa, I. c. n. 59. 

2) c. 4 de procurator. VI. 1. 19. Zngel, Collegium U.J. C. L. 
1. tit. XXVIIL n. 10. Qine Formel für derartige Bacultäten findet fif 


bei Pellegrin. 1. c, P. L' Sect. H. Subsect, VI. in fin. 
3) c. 2 de offic. vicar. VI. 1. 13. 


Siesl. Ouarialiariſt. 1858. IV. Heft. 38 


566 Urfprung unb rechtliche Stellung 


2) Ebenfo verhält ed fid) bei der Vergebung derje⸗ 
nigen Pfründen, bie liberae collationis episcopi find, denn 
biefe fallen unter ben Begriff ber Gnaden verleihungen ), 
bie bem Apminiftrator. in δοίρε feines allgemeinen Mans 
dats nie gufteben 2: daher der allgemeine Rechtsgrundſah: 
ea, quae sunt voluntariae. jurisdictionis et sapiunt gra- 
fiam, regulariter non censentur translata in generalem 
Vicarium 3). Dagegen fann ber Generaloicar ohne fpe 
eielle Erlaubniß ben von ben Patronen Praͤſentirten 
bie SBeflátigung unb institutio canonica ertheilen 5), weil 
εὖ fid bier nicht um eine Onadenverleifung, fonbern um 
bie institutio necessaria handelt, bie ertheilt werden muß, 
wenn der Präfentirte die canoniſchen Eigenſchaften befigt. 

3) Ohne fpecielles Mandat kann der Generalvicar 
feine Dimifforialien ausftellen 5), weßhalb er in ben 
ſelben jedesmal beizufügen hat: ex speciali mandato elc. 
Dagegen bedarf er zur Ausfertigung derſelben, wie bie 
eben erwähnte Decretale beflimmt, dieſer fpeciellen Er 
laubniß nicht, „episcopo in remotis agente.“ Welches aber 
ber nähere Sinn der legtgenannten Worte fei, darüber, 
find die Canoniften uneinig: die Gloffe (ad. cap. cit) 

1) c. 9. X. de praebend. 3. 5; c. 7. X. de concessione prao- 
bend. 3. 8. j 

2) c. 3 de offic. vicar. VI. 1. 13. 

3) Fagnani, Comment, ad c. 1. X. de instjt. 3. 7. n. 85. SB 
aber der Viſchof die collatio benefic. nicht [elbft ausüben, fo fans 
et die Vollmacht dazu Riemanden übertragen, als feinem Geno 
talvicar. Glosse in c. 3 de offic. vicar. VI. 1. 18, verb. commisze. 

4) Barbosa, l.c. n. 70. Benedict. XIV. de synodo dioeces. 
1.1. c. 8. . Die entgegengefepte, aber von ben neuern Canonifen 
allgemein aufgegebene Meinung vertheitigt Rebuffuz, Praxis bene. 
additiones in Regul. Cancellar. Xlll. verb. -eus vicarios perpetuos 

5) c. 3 de temporib, ordipat, VL 1. ὃ, 











der Generalolcare. 567 


bemerft, die Einen nehmen diefen Fall an, wenn ber Bie 
hof fid) außerhalb ber Provinz befinde, bie Andern — 
wenn er über zwei Tagreifen von feinem Biſchofsſitze ent» 
fernt fei, fte ſelbſt entſcheidet fib dahin: hoc esse arbi- 
trarium, scilicet pro majori vel minori difficultate con- 
veniendi episcopum. Diefer Meinung [diet fid aud) 
SBenebict XIV. an, wenn er l c. fagt: extra casum, 
quo episcopus in remotis versatur, ita ut ab Ordinandis 
sine magna. difficultate arbitrio prudentis viri metienda 
conveniri non valeat. 

4) Zu allen Dispenfationen von Sirregularitáten unb 
Genfuren, bie auf einem delictum occultum beruhen, bes 
darf der Generalvicar des fpeciellen Auftrags, denn das 
Sribentinum !), das bie SBollmadjt zu biefen Dispenfas 
tionen ben Bilhöfen einräumte, hat auébrüdlid) vorge⸗ 
förieben, daß bie Letztern fle ertheilen per se ipsos aut 
vicarium ad id specialiter deputandum. 

5) Endlich fann der Generalvicar bie SBifitation 
der Diöceſe ohne auóbrüdlided Mandat des Biſchofs 
nit vornehmen, ba dieſes Recht von der Gefeggebung 
für fo wichtig erachtet wird, daß εὖ ber Bifhof immer 
verfönlich auszuüben hat und baffelbe nur bann bem Ger 
neralviear ober einem Andern übertragen fann, wenn er 
durch ein gefehliches Hindernig abgehalten ἰβ 3). — 

^ Wenn wir im Voranftchenden diejenigen Fälle auf» 
geführt haben, bie nah den ausdrüdlihen Beftim- 
mungen beó Rechts ein mandatum speciale erfordern, fo 
bedarf der Generalpicat nad) ber übereinftimmenben Ans 


1) Sess. XXIV. c. 6 de ref. 
2) c. 6 de offic. ordinar. VL 1. 16 unb bie Gioffe bafelbft verb. 
permittitur, ὦ 
88* 


568. Urfprung und rechtliche Stellung 


fibt ber Canoniften mod) für viele andere Functionen, 
bie ben vom Gefege bejeidneten an Wichtige 
feit gleihfommen, nad ber befannten Rechtöregel: 
»in generali concessione non veniunt ea, quae quis non 
esset verisimiliter in specie concessurus* 1) — der [pt 
ciellen Erlaubniß feines Bifhofs unb eim einfeitige& Vor⸗ 
freiten würde hier bie Nichtigkeit der Handlung ebenfo 
zur folge haben, wie in ben oben genannten Fällen. 

1) Sn ber langen Reihe der von ben Ganoniften 
namhaft gemachten Verrichtungen behauptet bie erfte Stelle 
bie Ausübung der jura ordinis episcopalis. Diefe ft 
bem Generalvicar, aud) wenn er die Eonfecration em: 
pfangen und wirklicher Bifhof ift, in Folge feines allg 
meinen Mandats nicht ju, benm er ift principaliter nur 
für bie Ausübung ber jura jurisdictionis, nidjt aber aud 
für bie jura ordinis beftellt; ebenſowenig fann er bie Bors 
nahme ber Pontificalien einem frembem Biſchofe übertras 
gen ?). — Ob bie Befugniß des Biſchofs, Abläffe zu 
ertheilen, unter bie jura ordinis zu rechnen feien, iR 
eine noch unentfchiedene Frage, aber aud) wenn wir ft 
als einen Act der bloßen Syuriébiction betrachten, fann fit 
für den Generalvicar doch nicht in bem allgemeinen Mans 
dat enthalten fein, denn nidt einmal der Gapitularvicar, 


1) c. 81 de regal. jur. VI. 5. 12. 

2) Benedict. XIV. 1. c. L. IL c. 8. n. 2. Wie bem Generaluker 
tie Sfueübung der eigentlichen jura ordinis unterfagt in, fo fab (jm 
auch gewiffe mit dem bifchöflichen Ordo in Verbindung flehende Gir 
echte entzogen, 3. B. das Tragen eines Ringes bei Darbringung is 
HI. Opfers, das Anziehen ber hl. Bewänber vor bem SWitare, der Eih 
auf einem Thronſeſſel, die Beuediction des Prebigers, bevor er de 
Kanzel befteigt, unb des Diacons vor bem Gyangelium sc. — Pellegris. 
P. L Sect, jL. Subsect. IL n. 10 - 18, Ferraris. 1. c. n. HS. 


der Generalvicare. 569 


ber bod) sede vacante die volle bifhöflihe Surióbiction 
ausübt, fann Abläffe ertfeilen 1), um wie viel mehr toirb 
daher ber Generalvicar zur Ausübung diefes Rechtes 
der Ermächtigung des SBifdjofó bebürfen? Ebenſo vers 
langt die Abfolution von den bifhöflihen Refervatfällen ?) 
und die Autorifation zur Verwaltung des Bußfacramens 
tes 5) ein mandatum speciale episcopi. 

2) Der Generalvicar fann ohne fpecielle Ermaͤchti— 
gung alle jene Rechte nicht ausüben, bie bem Bifchofe 
vermöge einer befondern Conceffion ober einer 
päpflliden Delegation zuftehen. Hiebei aber find 
folgende Fälle genau zu unterfcheiden: 

a) IR der Bifhof durch einen fpeciellen Auftrag, ein 
Privilegium oder ein allgemeines Gefeg zur Ausübung 
eines ihm fonft nicht zuftehenden Rechtes mit der aue» 
drüdlichen Bedingung ermädtigt, bag er es allein unb 
perfónlid) ausübe, fo Fann er εὖ bem Generalvicar 
nicht übertragen, ift vielmehr verpflichtet, ber Erledigung 
perfönlih fif zu unterziehen, quia industria personae 
censetur electa *). 

b) Grmádjtigt das Gefeg, wie febr Häufig vom Sri» 


1) S. Congreg. Concil. 13, Novembr. 1688 bei Benedict. XIV. 1. 
€, L. Il. c. 9. n. 7. 

2) Rebuffue, l c. Forma Vicariatus. n. 179. Barbosa, l.c. 
n. 116. 

3) Barbosa, l. c. n. 91. 

4) Sieber gehört 3. ®. Trid. Sess. XIII. c. 5 de ref. unb Sess. 
XXIV. c. 6 de ref. in Betreff der Abfolution vom Verbrechen der Ha⸗ 
tefle. — Trägt aber eine pápfil. Delegation die Auffcrift: „Venerabili 
Fratri Episcopo N. sive dilecto Filio, Vicario ejus Generali,“ fo ift 
eine Subdelegation am ben Generalvicar zuläffig. Zerela, Praxis 
episcop. L verb. vicarius, 8. 21. M 


50 Urfprung und rechtliche Stellung 


dentinum gefchieht, den SBiffjof in biefer ober jener Ans 
gelegenheit als apoftolifcher Delegat zu interbeniren und 
Rand ihm die Vornahme ber betreffenden Cade vor dem 
Tridentinum nicht zu, fo handelt ez als einfacher pápft 
licher Delegat, er fann daher fubdelegiren, aber der Ges 
neralvicar bedarf dabei jedesmal eines mandatum spe- 
ciale !). 

€) Stand ihm dagegen die Befugniß, zu welcher er 
belegirt wird, fhon vor bem Sribentinum jure ordinario 
su, handelt er alfo ald Ordinarius und als Delegat, 
mas überall ber (yall if, wo das Sribentinum ?) ben 
Ausdrud gebraudt: „etiam tamquam apostolicae sedis 
delegalus,* fo wird bie betreffende Angelegenheit als zur 
ordentlichen bifbàffiden Jurisdiction gehörig angefehen 
und der Generalvicar fann ohne fpeeielles Mandat darin 
vorfchreiten 3). 

3) In Betreff ber ordentlihen Adminiftration 
ber Diöcefe ift bem Beneralvicar ohne ſpecielles Dans 
dat in erfter Linie entzogen die Berufung und Abs 
haltung der. Diöcefanfynode: Alles, was er nad 
diefer Ribtung bin ohne die ausdrüdlihe Ermächtigung 
feines Biihojs vornimmt, ift ipso jure null und nichtig 5; 
hat ihm aber der Bilhof, wozu biefer im alle gefcts 


H Dergleichen Delegationen finden fih Trid. Sess. V. c. 1. 2 de 
ref. Vl. c. 2. 3; XXV. c. 14 de ref. XXV. c. 5 de regular., foncit 
fi die betreffenden Befimmungen auf Gremte bejichen. Außerdem ger 
hören hiehert Seas. XXIV. c. 4; XXII c. 5, XXIV. c. 9; XXV. c. 9 ἀδ τοί, 

2) Sess, XXI. c. 3. 4, Sess. XXII. c. 3. 8. 10 do ref. 

3) Bol. die ausführliche Darleung dieſer Berhältnifle bei Fagneni, 
Comment. ad c. 14. X. de offic. judic. delegat. 1. 29. 

4) S. Congreg. Concil. 4. Decembr. 1655 bei Benedict. XIV. 
le. ἵν ll e 8. n. 87 ι 








ber. Generalvicare. 5n 


licher Verhinderung immer berechtigt ἰβ 1), biefe Ermaͤch⸗ 
tigung ertheilt, fo übt er auf der Synode alle biſchoͤf— 
lichen Befugnifie und Prärogative aus. Hält der Biſchof 
bie Synode in eigener Perſon ab, fo ift der Generalvicar 
gleihwohl verpflichtet, zur ſchnellern Erledigung ber Ge- 
ſchaͤfte anmefenb zu fein und nimmt unmittelbar nad) bem 
Bifhof vor ben Dignitären und Mitgliedern des Capitels 
feine Stelle ein 3); regelmäßig wird er den vom Bifchofe 
beftelten Judices Synodales beigegeben 9. Die auf ber 
Synode erlaffenen Statuten leiten ihre Rechtsverbind⸗ 
lidfeit [ebiglid) aus ber bifhöflihen Jurisdietion ab, fie 
können nux vom Biſcho fe wieder aufgehoben werden und 
ebendarum bebarf der Generalvicar zu jeder Aenderung 
berfelben der fpeciellen bifhöflihen Erlaubniß 3). — 

Die €ebtere wird ferner erfordert für bie Unterfuchung 
und Entfheidung ‚aller causae matrimoniales, für bie 
Ausübung des Dispenfationsredtes in allen ben 
Fällen, in welden es dem Bilhofe zufommt, felbft bie 
fDiépeníen von der breimaligen Prorlamation nibt aus— 
genommen 5); für die Aufhebung der kirchlichen 





1) Fagneni. Comment. ad c. 25. X. de accusat. 5 1. n. 11. 

2 Benedict. XIV., 1. c. L. II c. 3. n. 3; c. 10. n. 2. Ueber 
die Kleidung, im welber ber Generalvicar anzuwohnen bat, vgl. 
Gavantus , Praxis. Dioeces. Synodi c. 13. n. 11. 12. 

3) Benedict. XIV., 1. c. L. IV. c. 2. n. 8. 

4) S. Congreg. Rit. 25. Februar. 1606. 

5) Pellegrin, I. c. n. 37. 38. ‘ Da jetod die Diepenſation vom 
dreimaligen Aufgebot febr häufig nachaefucht wird und überhaupt zu ben 
weniger wichtigen Diepensfällen gehört, fo gilt in der Braris ber 
Grunbfag, daß fie der Generalvicar ohne befondere Erlaubniß ertheilen 
Tónne, es müßte denn nur felt, daß ihm ber Biſchof diefe Vefugniß 
ansvrüdlich entzog. Barbosa, l. c. P. Il. Allegat. 32. n. 28. 29. 


572 Urfprung und rechtliche Stellung 


Strafen, bie der Biſchof verhängt hat 5; für bie Er 
bebung der Elerifalabgaben, des Cathedraticum, 
Subsidium charitativum, ber Quarta funeralis unb der 
Procuratio canonica ?). Endlich fann der Generalvicar 
ohne fpecielles Mandat die bifhöflihe Grlaubnif zu Ex 
bauung eines. Klofters nicht ertheilen 3) und eben fo wenig 
bie vom Tridentinum Sess. XXV. c. 17 de regular. vors 
geichriebene, vor ber Profeßleiftung anzuftellende Unters 
fudung vornehmen 9. 

4) Wie bem Generalvicar bie Collatio beneficiorum 
ohne fpecielle Erlaubniß entzogen ift, ebenfo verhält εὖ 
fib mit vielen andern causae beneficiales, bie wegen ihrer 
Wichtigkeit mit der Gollation in gleiche Linie geftellt wers 
ben. Nach einer Befimmung des Tridentinums 5) fol 
einem Pfarrer, der wegen unzureichender Senntniffe für 
die Verwaltung feines Amtes unfähig ift, vom Bifhofe 
ein Hülfsgeiftlicher beftellt und demfelben aus den Cin 
fünften des Beneficiums ober auf irgend eine andere Weiſe 
bie portio congrua zugewiefen werden: für bie SBeftellung 
eines folhen Hülispriefters, bie factifch ber Neubefegung 
der Pfarrei ziemlich gleichfommt, bedarf der Generalvicar 
bet ſpeciellen bifhöflihen Ermädtigung 9. Aus bemfelben 
Umftande, daß der Generalvicar zur Vergebung ber 8e 
neficien nicht berechtigt ift, folgt ferner, daß er bie Pirunds 
ner ohne auébrüdlide Erlaubniß aud) nift abzufegen 


1) Pellegrin, 1. c. n. 39. 65. 

2) Pellegrin, 1. c. n. 48—51. 

8) S. Congreg. Concil. 11. Juli 1620 bei Berbosa, Summa 
Decis. Apostol. verb. vicar. general. n. 10. 

4) Ferraris, 1. c. n. 71. 

5) Sen. XXI. c. 6 de ref. 

6) Barbosa, de offic, et potest, Episcop. P. III. Alleg. 54. n. T3. 


der Generalvicare. 513 


befugt ig 5, eben fo wenig fann er bie Refignationen 
derfelben, mögen fie was immer für einer Art fein, an» 
nehmen und wenn er aud zur Annahme derfelben ermaͤch⸗ 
tigt worden ift, fo bedarf er zur Wiederbefegung des 
dadurch erledigten Beneficiums gleihwohl des fpeciellen 
bifhöflichen Mandat *). Daffelbe ift ber Ball bei ber 
Errichtung neuer Pfarreien und Beneficien 3), bei ber 
Betätigung der Bundationsurfunden für Patronatsfirs 
den *) unb bei ber nad) c. 8. X. de jure patronat 3. 38 
tem Biſchofe zuftehenden Genehmigung der donatio juris 
patronatus 5). Wie endlich ber Generalvicar als folder 
nit befugt ift, SBeneficien zu errichten, fo fann er folge» 
richtig bereits beftehende Pfründen aud) nicht unters 
drüden 9. 

5) Dem Generalvicar find ohne fpecielle Ermächtigung 
alle diejenigen Handlungen entzogen, bie fij auf Ver⸗ 
äußerung des Kirchenguts unb auf Veränderung 
oder Schmälerung ber Beneficien beziehen. Was 
das Exftere betrifft, fo ift fogar der Biſchof wegen ber 
"Bidtigleit ber Sache an verſchiedene befdjrünfenbe Ber 
fimmungen gebunden unb e$ verftebt fid) daher von felóft, 
daß der Generalvicar in allen denjenigen Fällen, in wels 
den der Biſchof zur Veräußerung berechtigt ift, jedesmal 
deſſen auébrüdlide Exlaubniß nótfig hat”), was um fo 





1) Gloss ad c. unic, de capell. monach. VI. 3. 18, verb. 
episcopis. 

2) Rebuffus, 1. c. n. 104—106. 

3) Rota Rom. in Segobien. Capellaniae 28. April, 1625. 

4) Pellegrin, |. c. n. 17. 

5) Barbosa, 1. c. n. 75. 

6) Ferraris, 1. c. n. 80, 

7) Pellegrin , 1. c. n. 29. 55. 


574 Urfprung und rechtliche Stellung 


mehr wird fefgehalten werben müffen, als nicht einmal 
der Goabjutor, ber bod) bie ganze bifhöflihe Iurisdis 
etion ausübt, aus eigener Machtvollkommenheit irgend 
welche Veräußerung des titdjenguté vornehmen fann !). — 
Die Vereinigung unb Theilung ber Beneficien, die 
Auferlegung einer Benfion, die Translation einer 
Baufülligen Kirche, zu deren SBieberferftellung die Mittel 
fehlen, und ihre Bereinigung mit einer benachbarten 
Kirche 3) erfordern gleichfalls ein befonderes Mandat 3). 

6) Da endlih der Generalvicar feine Jurisdiclio 
propria, fonbern bloß eine delegata hat, fo fann et dies 
felbe ohne Suftimmung des Biihofs nift fubdelegi- 
ten *.. Diefe Belhränfung gilt jedoch nur dann, wenn 
es fid um bie Subdelegation der ganzen Jurisdietion, 
ber universitas causarum handelt: zur vorübergehenden 
Mebertragung biefer oder jener einzelnen Rechtsſache ift 
ber Generalvicar aud) ohne bifhöflihe Grlaubnig immer 
berechtigt 5). 

Indem wir hiemit die Aufzählung derjenigen Fälle, 
die ein ausdrückliches Mandat erfordern, beſchließen, für 
gen wir bei, daß ie Ganonijten nod für folgende, in 
der gegenwärtigen Praris entweber gar nid mehr orer 
beb nur felten vorfommende Handlungen das mandatum 
speciale episcopi verlangen: ſuͤr die Beitrarung eincé 
Clerikers mit dem Eril unb die Zurüdrufung aus dems 


1) c. unic. de cleric. aegrot. VI. 8. 5. 

2) Trid. Sess. XXI. c. 7 de ref. 

3) Pellegrin, 1. c. n. 15. 23. 27. 

4) L. 5 Dig. de jurisdictione 2. 1. L. 1 Dig. de officio ejus, 
cui mandata est jurisdict. 1. 21. a 

5) L. 11 Dig. de judiciis 5. 1. Engel, 1, c. L XVIII. n. 6. 





der Θεπεταϊοίεατε. 875 


felben, für die Vollfiredung ber lehtwilligen Anordnun⸗ 
gen, bie Unterfuchung ber Bitten um restitutio in inte- 
grum, für die Behandlung ber causae feudales, bie Bes 
ftelung eine bifchöffichen Defonomen, für die Beglaubigung 
der Abſchriften von Driginalurfunden, bie Vermoͤgenscon⸗ 
fiscation der Elerifer, für bie Umwandlung der Körpers 
in Geldftrafen unb dergleichen. — 


C. Die Appellation vom forum des Generalvicars. 


Da der Generalvicar nad) feiner urfprünglicen Bes 
flimmung wie nad) dem Wortlaut des Geſetzes mit bem 
Biſchofe eine unitas personae unb Ein Forum bildet, 
mithin feine Handlungen fo angefehen werben, als feien 
fie vom Biſchofe felbft ausgegangen, fo fann vom 
Generalvicar an den Bifhof nicht appellirt werden, denn 
das Wefen ber Appellation befteht gerade barin, daß bie 
Berufung vom niedern Richter an ben bóbern mit 
der Bitte gebracht wird, bie von jenem erlaffene Sentenz 
zu unterfuden und abzuändern !): eine Appellation vom 
Generalvicar an ben Biihof wäre eine Appellation vom 
Bifhof an den S9i[dof *), fie würde .ebendarum ihrem 
eigenen Begriffe widerfprechen und jebe Entfcheidung ,. bie 
der Biſchof im Falle einer ſolchen Appellation geben würde, 
müßte null und nichtig fein, weil der Unterridhter die 
von ihm einmal gefällte Definitivfentenz nicht mehr abs 
ändern oder aufheben fann. Wil taber vom Generale 
vicar appellirt werden, fo ift der Metropolit al& der un» 
mittelbare SBorgefete des Biſchofs tie näcfte höhere 3n» 
ftanz. — Diefe in den Prineipien des Rechts begründete 
9) Glosen ad c. 2 de consuetud. VI. 1. 4, verb. officiali 

2) c. 2 de consuetud, VI. 1. 4. 


876 urſprung und reqhaiche Stellung 


Regel leidet aud) dann feine Ausnahme, wem in einer 
Didcefe die Appellation vom Generalvicar an ben Biſchof 
bereit6 Gewohnheitsrecht geworben fein follte, benn eine 
folhe Gewohnheit geht gegen ben Begriff der Appel 
lation unb ift vom Rechte auébrüdlid) als eine consuetudo 
irrationabilis bezeichnet 1); felbft wenn bie Parteien mit 
einander fpeeiell übereingefommen wären, von ber Ent 
ſcheidung des Generalvicars an ben Biſchof zu appelliren, 
würde bie unzuläffig fein, eben weil es bem Begriffe 
ber Appellation widerſpricht ). Auch die fogenannte ap- 
pellatio extrajudicialis ift vechtlih ummóglid), denn ob. 
wohl fie fij in einzelnen Punkten von ber eigentlihen 
Appellation unterídjeibet, fo fällt fie bod) in der Haupt 
fade unter ben Begriff derfelben und muß nad) den glei 
hen Grundfägen behandelt werden 3). — Wenn hienach 
die Unmöglichkeit der Appellation vom Generalvicar an 
den Biſchof ald Regel feftgehalten werden muß, fo gibt 
εὖ bod) aud) Fälle, in welchen fie geftattet ift. 

4) Von einer sententia interlocutoria, bie der Ge 
neralvicar erlafien hat, fann Derjenige, ber fid) dadurch 
für beſchwert hält oder beſchwert zu werben fürdjtet, an 
den SBifdjof provoriven, denn ba ber Unterrichter ein 
von ibm erlafienes Interlocut jederzeit zurüdzunehmen und 
abzuändern befugt iR , fo Fann aud) ber Bifchof, der 
mit dem Generalvicar Eine Berfon ift, ein ſolches Ins 
terloeut zurüdnehmen und abändern, fobald an ihn ap 
pellict wird 5). 

1) c. citat. de consuet, VI. 1. 4. 

2) Pellegrin, 1. c. P. L Sect IT. Subsect. IV. n. 4. 

3) Reiffonstuel, J. C. L. IL tit. 28. $. 1. n. 8 seqq. 

4) L. 14 Dig. de re judic. 42. 1; c. 60. X. de appellat, 2. 25. 

5) Peliegrin, 1. c. n. 6. 





der Generalolcare. 577 


b) Deßgleihen Tann gegen eine Cntfdeibung des 
Generalvicars die Bitte um restitutio in integrum beim 
SBifdjofe angebracht werden und biefer, falls hinreichende 
Gründe vorliegen, fie annehmen und erfüllen, weil aud 
der Generalvicar hiezu befugt ift, infoferm bie restitutio 
in integrum immer vom Unterridhter, gegen beffen Sentenz 
fie gerichtet ift, au&gefproden werden fann N). 

c) Aus demfelben Grunde ?) ift gegen eine Entſchei⸗ 
bung des Generalvicaré bie querela nullitatis beim Bifchofe 
zulaͤſſig 3). 

d) Ob von der Entfheidung des Generalvicars eine 
Supplicatio beim Biſchofe eingereicht werden Fönne, ift eine 
beftrittene Frage, bod) [dint bie bejafenbe Antwort bie 
richtigere zu fein, denn bie Supplicatio unterſcheidet ſich 
wefentlid von ber Appellation: Derjenige, welcher fie ein« 
veicht, bewegt fid) nicht mehr auf dem Boden des Rechts, 
fondern er ruft in einem alle, wo eine Appellation gar 
nicht mehr möglich ift, al8 legte Hülfe die &nabe des 
oberften Richters an. Wenn das roͤmiſche Recht *) jedem 
Unterthanen geftattete, beim Kaifer gegen bie Sentenz eines 
Unterrichters, der bod) aud) im Namen des Erfteren Recht 
fprad), von ber Supplicatio Gebraud) zu machen, fo wird 
εὖ die Billigfeit verlangen, daß aud) ben Gläubigen ger 
ſtattet fel, von der Entſcheidung des Generalvicars beim 
oberften Richter der Diöcefe ein Gnabengefud) um Abs 
änderung der Sentenz einzureichen 5). 


1) Berkose, 1. c. n. 49. 
2) Reiffenstuel, 1. c. n. 28 seqq. 

3) Pellegrin, 1. c. n. 8. 

4)«C. 5 Cod. de precibus Imperatori offerend. 1. 19. 
5) Reiffenstwel, L. L tit. IV. $. 3. n. 77. 78. 





518 Urfprung und rechtliche Stellung 


€) Gnblid) if eine Appellation an ben Biſchof in 
allen denjenigen Angelegenheiten geftattet, in welchen bet 
Generalvicar nicht als folder und vermöge feines Amtes 
handelt, fondern bie ihm abgefondert und in außer 
srdentliher SBeife übertragen wurden: denn bier ift 
ex als judex delegatus ad causam particularem thätig und 
von biejem ift bie Appellation an ben Deleganten jederzeit 
geftattet !). 


D. Erlöfcen der Iurisdiction. 


1) Wie bie Beſtellung des Generalvicars von ber 
freien Entſchließung des Biſchofs abhängt unb alle Juris 
dietion des Erſtern in ber Delegation des Leptern ihren 
Grund hat, fo erliſcht bie Amtsgewalt des Generalvicaré, 
fobald ber Bifhof fein Mandat zurüdnimmt?) 
(revocatio, remotio). Dieß fann auébrüdlid ge 
ſchehen oder illfhweigend. Die fillihweigende Re 
vocation wird bann angenommen, wenn ber Biſchof einen 
zweiten Generalvicar beflellt und den bisherigen hievon 
in Kenntniß ſeht 5. Die δίοβε Thatſache der Beſtel⸗ 
Tung reicht zur Stevocation volftändig hin, der SBiidof 
braucht daher bei der Intimation berjelben nicht auóbrüd« 
lid) zu erflären, die Beſtellung des zweiten Generalvicars 
{εἰ fpeciell in der Abficht gefebehen, bem frühern fein 
Mandat zu entziehen *). — Wenn wir bemnad) als ober 
fen Grundfag feftbalten müfjen, bie Abſetzung des Gene 


1) c. 27. $. 1. X. de offic. judic. delega. 1. 29. Barbosa, |. 
e. n. 52. 


2) Omnis res per quascunque causas nascitur, per easdem di- 
solvitur.“ c. 1. X. de regul. jur. 5. 41. . 

3) c. 14. X. de procurat. 1. 38. 

4) Rebuffus, l. c. Forma Vicariatus n. 206. 








der Generalvicare. 579 


ralvicars hänge vom freien Grmeffen des Biſchofs ab, fo 
fann damit bod) keineswegs gemeint fein, die Revocation 
fei ſchlechterdings in die Willfür des Biſchofs gelegt unb 
der Generalvicar durchaus und allejeit der Laune feines 
Germ. preisgegeben — dieß würde fid mit feiner Ehre 
und der hohen Stellung, bie er einnimmt, fowie mit ben 
Grundfägen über Abſehung der Kirchendiener in feiner 
Weife vereinigen faffen: wie vielmehr bie Anftellung 
von ber Seobadjtung gemiffer gefeglicher Beftimmungen 
abhängt, fo aud) bie Abfegung — «6 muß für biefelbe 
ein hinreihender Grund vorliegen, in beffen 
Ermangelung der willfürlid) temovirte Generalvicar an 
bie Congregatio Episcop. recurrirem unb von biefer woieber 
in fein Amt eingefegt werben fann !). Als hinreichende 
Gründe find anerfannt: fdedte Verwaltung der Diöcefe 
und häufige Klagen gegen bie Amtsführung be& Generals 
viears 2), Mängel der nótfigen Umfiht und Klugheit, 
aud wenn er fonft vollfommen fähig ift 5), Unehrerbietig- 
feit gegen bie roͤmiſchen Gongregationen unb Widerſetzlich—⸗ 
feit gegen ihre Beichle *), VBerhängung ber Grcommunis 
cation über ben Generalvicar 5). Verlangt aus einem 
ber angegebenen Gründe das Wohl ber Diöcefe bie Cnt» 
femung des Generalvicare, fo ift der Biſchof dazu bes 
redtigt , aud) wenn e ibm bei feiner Beftelung das eite 


1) S. Congreg. Episcop. in Spalatr. 3. Julii 1601, in Tragur. 
7. Septemb. et 8, Octobr. 1649. 

2) S. Congreg. in Agrigent. 27. Octobr. 1601 et Spalatr. 5. 
Februar. 1601. 

3) S. Congreg. in Placentin. 11. Septemb. 1601. 

4) S. Congreg. in Rietina 3. Septemb. 1601 et Parmens. 17. 
August, 1645. 

5) — in Placent. 18. luni 1649. 


580 Urfprung und rechtliche Stellung 


Tide SBerfpredjen gegeben haben follte, er werbe ihn 
niemals abiegen, denn ein Veriprehungseid, deſſen Er⸗ 
fülung die Rechte Dritter verlegen. würde, ift an unb 
für fi ungültig !); bod) muß der Bifhof durch den Bapft 
vom Eide vorher entbunden worden fein *). Endlich if 
als ein bei der Revocation weſentliches Moment nod bei» 
zufügen, daß bie Jurisriction des Generalvicars erft von 
bem Augenblide an aufhört, in weldem ihm ber betrefs 
fende Beſchluß des Biſchoſs in authentifcher SBeife noti» 
ficirt worden ift: vor bem (Eintreffen diefer 9totification 
haben alle feine Handlungen rechtliche Guͤltigkeit 5). 

2) Die Amtsgewalt des Generalvicaré erlifht, wenn 
er felbft vefignitt 9, denn Seber, der frei entlaflen 
werden fann, hat aud) das Recht, frei abgubanfen. Da 
übrigens, wie wir eben bemerften, die Entlaffung an das 
Vorhandenſein eines hinreichenden Grundes gebunden ift, 
fo wird confequenter Weife aud bie Refignation 
nit nad) SBillfür, fondern nur unter Anführung eines 
teiftigen Grundes erfolgen Tónnen. Gie ift eine au&brüd» 
lide ober ſtillſchweigende unb die legtere wird bann am 
genommen, wenn ber Genetalvicar die Didcefe verläßt in 
der offenbaren Abſicht, nicht mehr dahin zurückzukehren 5). 

3) Die Suriébiction des Generalvicars hört auf mit 
dem Tode des Bifhofs: denn ba zwiſchen Beiden 
eine unitas personae beficht, Beide Ein Borum bilden 
und der Generalvicar nur die bem Bifchofe gebührende 


1) c. 27. 28. X. de jurejurand. 2, 24. 

2) Rebufwe, 1. c. n. 199. 

8) Peliegrin, P. 1, Sect. II. Sobsect. VL n. 8. 

4) Reifonstuol, J. C. L. L tit, XXVIIL $. 4. n. 102. 
5) Fagneni, Comment, in c. 50, X. de tesib. 2. 30. 


der Generalvicare. 581 


Syurióbiction ausübt, fo muß, wenn bie leßtere durch ben 
Tod ihres Inhabers aufhört, nothwendig aud) bie des 
Generalvicars erlöfhen '). Befindet fid) Diefer in ber uns 
mittelbaren Nähe des fterbenden Biſchofs, fo erliſcht feine 
Amtsgewalt mit bem Augenblid des Todes fo 
war, daß er bie nod) bei Lebzeiten des Biſchofs begons 
nenen Rechtögefhäfte nad) beffen Tode nicht mehr vols 
lenden fann ?); ift dagegen der Generalvicar vom Biſchofe 
weit entfernt, fo haben alle feine Handlungen fo lange 
volle Rechtskraft, bis er von dem erfolgten Tode zuver⸗ 
láfige Kunde erhält 5). — Während der eingetretenen 
Sedisvacanz devolvirt bie bifhöflihe Surióbiction an das 
Eapitel, das zur Ausübung berfelben binnen 8 Tage einen 
Eapitulervicar zu beftellen hat ); auf biefe Würde hat 
der Generalvicar des verftorbenen Bifhofs feinen Ans 
ſpruch, feine Befätigung als Capitularvicar hängt ledig⸗ 
fid) von ber freien Wahl des Gapitelá ab, nur in bem 
einzigen Salle muß er gewählt werden —, wenn er bem 
Gremium des Eapiteld angehört unb in diefem ber eins 
age Doctor juris can. it 5). > n 

4) Der natürlide Tod des Biſchofs ift der ger 
wüóbnlidfte Fall, der ber Amtsgewalt des Generals 
vicars ein Ziel fet: neben ibm gibt edvaber nad) ben 
Grundfägen des tómifden wie bed canonifhen Rechts audj 





1) „Accessorium naturam sequi congruit principalis c. 42 de 
regul. jur. VL 5. 12. t 

2) Glossa in c. 4 de procurat. in Clement. 1. 10, verb. con- 
testata. 

3) Barbosa, 1. c. n. 152. 

4) Trid. Sess, XXIV. c. 16 de ref. . 

5) Ritter, der Capitularvicar, Münfter 1842, ©. 60. 

deol. Duartalfgrift. 1868. IV. eft. 39 


582 Urfprung und rechtliche Gtellung 


einen bürgerlichen Tod, ber rechtlich mit jenem ganz 
biefelben Wirkungen hat, alfo wie jener der Surióbiction 
des Generalvicars ein Ende macht. Hicher gehören fol» 
gende Bälle: 

2) Die Berfepung des Bifhofs. Sobald bec 
Papſt die Genehmigung der nadgefuditen Translation im 
Gonfiftorium publicirt, ift bad Band, welches bisher den 
Biſchof an feine Kirche fnüpfte, gelöst") und er gilt in 
Betreff der Adminiftration der Diöcefe für tobt. Die 
Wirfungen der Berfegung, alfo namentlich das Erlöſchen 
der Zurisdietion bed Generalvicars, treten aber erft dann 
ein, wenn bie fiere Kunde von ber erfolgten Translation 
an Drt und Stelle angelangt ift; daß die eigentliche Ber 
fegungsbulle abgewartet werde, ift nicht nöthig, e& genügt 
jedwede glaubwürdige Nachricht. Bon bem Augenblide 
an, in weldem diefe Kunde eintrifft, hören bie Functionen 
des Generalvicars auf und das Gapitel tritt in bie Ver⸗ 
waltung ber Diöcefe ein, felbft wenn ber Biſchof von 
feinem neuen Bisthum noch nicht Befig genommen haben 
follte 9. Ganz in berfelben Weife verhält «6 fi, wenn 
ber Bifhof vom Oberhaupte ber Kirche feines Amtes 
entfegt wird ®). 

b) Der bürgerliche Tod des Biſchofs und damit das 
Erlöfhen der Gewalt des Generalvicars tritt ferner ein, 
wenn ber Grftere auf fein Bisthum refignirt und ber 
SBapft die Refignation annimmt 5); ebenfo wenn er mit 


1) Benedict. XIV., de synod. diooces. L. XII. c. 16. m. 13. 

2) Die Beweife für das Gefagte bei Ferraris, 1. c. art. capi. 
tulum, ΠῚ, n. 31. 

3), Glossa in c. 3 de supplend, seglig. VL 4. 8. verb. meriem. 

4) c. 9. X. de renmniiat. 1. 9. 


der Generalvicare. 583 


päpftlicher Genehmigung in einen geiftlihen Orden 
tritt !). 

c) Wie nad) ben Grundfägen des römiſchen Rechts 
Derjenige, der in feindliche Gefangenfchaft gerathen war, 
für bürgerlid) todt gehalten wurde *), fo gilt aud) nad 
canonifchem Rechte ber Biſchof für tobt, wenn er von ben 
Beinden der Kirche — a paganis aut schismaticis — aus 
feiner Diöcefe gefangen hinweggefuͤhrt wird. In biefem 
falle ift zwiſchen Hirt unb Heerde aller Verkehr abge 
fdnitten und auf baldige Rüdfehr feine Hoffnung: daher 
fagt Bonifaz ὙΠ]. 3), e& folle der biſchoͤfliche Stuhl an» 
gefehen werben „ac si per mortem vacaret,^ das Ga» 
pitel trete in bie interimiftifhe Verwaltung 
ber Didcefe unb habe alsbald an ben hl. Stuhl zu 
berichten und beffen Anordnungen zu erwarten. — Bon 
bem in Rebe ftehenden alle, in welchem bie Jurisdietion 
des Generalvicars offenbar aufhört, ift aber der andere 
weſentlich verſchieden, wo ber Biſchof nicht von auswaͤr⸗ 
tigen Feinden, fondern von ber eigenen Regierung 
in Gefangenfchaft abgeführt wird: hier fann im Sinne 
des roͤmiſchen und canonifhen Rechts nicht im Entfern⸗ 
teften die Rede‘ fein vom bürgerlichen Tode beffelben — 
weder an fid) nod in feinen Folgen, denn einerfeits 
gilt als allgemeiner Grunbfag: mors civilis vel spiritualis 
non aequiparatur morti naturali, nisi ubi in jure hoc 
cauium invenitur *), ber Fall ber Wegführung durch bie 

1) Glossa in c. 8°C. XVI. q. 1, verb. mortuus. 

2) L. 10. 18 Dig. de captivis. 49. 15. 


3) e. 3 de aupplend. neglig. VI. 1. 8. Benedict. XIV., l. c. 
L. XIII. c. 16. n. 11. 
4) Fagnani, Comment. ad c. 5. X. de coricessiohe.  priobend, 
8. 8. n. 28. 29. - . - 
39* * 


584 Urfbrung und rechtliche Stellung 


eigene Regierung ift aber im Geſetze nicht vorgefehen, 
andererfeitö ift nicht wie im obigen Falle ber Verkehr 
zwiſchen Bifhof und Diöcefe abfolut aufgehoben und 
eben fo wenig bie Hoffnung auf baldige Ruͤckehr gänzlich 
verſchwunden, denn bie feindliche Regierung ftebt immerhin 
mod auf bem Boden des Rechts und ift ben Recla— 
mationen und Borftellungen des Papſtes, des Capitels ıc. 
zugänglich: εὖ liegt alfo hier bei ber vorausfichtlih nur 
vorübergehenden Entfernung des ordenklihen Oberhirten 
fein Grund vor, baf das Eapitel die Verwaltung der 
Didcefe übernimmt, fonbern der Generalvicar übt wie 
fonft im Namen des abwefenden Bifhofs feine Jurisdietion 
ungeftört aus !). 

5) Wenn der Bifchof in bie Suspenflon, Ercommunis 
cation oder das Interdiet verfällt, fo verliert er für die 
Dauer diefer Strafen feine Jurisdiction in der Diöcefe *), 
es erlifht mithin aud) das Mandat des Generals 
vicars: ba aber biefe Strafen als poenae medicinales 
vorausſichtlich nicht von langer Dauer fein werden, fo tritt 
aud) hier das Kapitel nicht in bie Verwaltung der Diöcefe 
ein, fondern ber Papſt trifft, gewöhnlich fdon in ber 
Ereommunicationsbulle ſelbſt, außerordentliche Fuͤrſorge 
durch Beſtellung eines Proviſors. Uebrigens haben dieſe 
Cenſuren die genannten Wirkungen nur dann, wenn ſie 
auóbrüdlid und feierlich verhängt murben: 
als bloße censurae latae sententiae vermögen fie bie bi⸗ 
ſchoͤfliche Jurisdiction, alfo aud) die be& Generalvicaró, 
nicht aufer SBitfjamfeit zu fegen, quia si episcopus est 





1) Walter, Kirchenrecht, $. 143. 
2) c. 24. X. de sentent. et re judic. 2. 27. 


der Generalvleare. 585 


toleratus vel occulle excommunicatus favore publici juris 
cum communi opinione pro non ezcommunicato habetur '). 

Wenn wir hiemit diejenigen Fälle namhaft gemacht 
haben, in welchen die Surióbiction des Generalvicars et» 
liſcht, ſo haben wir jegt nod) bie ὅταρε zu berühren, ob 
et nad) Beendigung feiner Verwaltung über biefefbe 9t ed) en» 
ſchaft abzulegen verpflichtet fei — etwa in der Weife, 
wie ber Eapitularvicar tem neuen Bifchofe verantwortlich 
ift 1 Daß bem Grftern eine derartige Pfliht nad) feiner 
Richtung hin obliegen könne, folgt unmittelbar aus ber 
Stellung, bie er während feiner ganzen Amtsführung εἰπε 
nahm: er handelt nicht felbftftändig und unabhängig 
wie dieß beim Gapitularvicat bem Kapitel gegenüber der Fall 
ift, fondern er ftebt fortwährend unter ber Aufficht des Biſchofs 
und hat defien Weifungen jederzeit zu berüdfichtigen, biefet 
Fann ihn jeden Augenblid und für jede einzelne Handlung 
zur Rechenſchaft zichen, ihn beftrafen und nöthigenfalls fogar 
entlaffen ; thut ber Biſchof dieſes nicht, fo liegt in feinem 
Schweigen bie SBilligung der Handlungen feines Generals 
vicars unb ebentarum hat am Ente der Verwaltung nicht 
diefer, fonbern, wenn überhaupt eine Rechenſchaft ges 
fordert werben follte, der Biſchof fie abzulegen. Bon diefem 
in der Natur der Sache begründeten Geſichtspunkte, more 
mad) die Handlungen des Generalvicard am Ente feiner 
Berwaltung al8 bereits gebilligt und beftätigt 
anzufehen find, wurde bie Frage aud vom pofitiven 
Rechte aufgefaßt. Der Elerus und bie Gommunitát ber 
Stadt Taranto hatten ihrem Erzbiſchofe gegenüber bie 


1) Barbosa, 1. c. n. 147. 
2) Trid. Sess, XXIV. c. 16 de ref. 


586 Urfprung und τος Stellung 

Forderung geftellt und durchzuſeßen gefucht, daß fein 
Generalvicar nad) Beendigung ber Amtsführung Rechen, 
ſchaft abzulegen babe. Die Sache wurde vor ben bi. 
Stuhl gebradt und in einer Bulle v. 3. 1578 antwortete 
Gregor XII: „Statuimus et mandamus, quod Vicarii 
et officiales sive generales sive particulares, etiam foranei 
muncupati, per eundem Archiepiscopum sive ejus pro 
lempore successores in dicta ecclesia Tarenlina sive ejus 
dioecesi deputati vel deputandi, ad aliquem syndicatum 
nullo modo teneantur aut eidem sub quovis praetextu 
sint obnozii“ !). 

Unfere bisherige Ausführung hat fij mit ber Dars 
ſtellung der äußern rechtlichen Stellung des Generalvicars 
befaßt: es übrige nod, das innere Wefen unb bie 
innere Bedeutung feiner Amtögewalt zu berühren. Daß 
bie leßtere feine Jurisdictio propria fei, bie der Generals 
vicar fraft eigenen Rechtes übt, ift allgemein. an 
erfannt, aber über bie Frage find die Ganoniften febr 
getheilter Meinung, ob fie a8 bloße jurisdictio delegata 
ober al ordinaria anzufehen fei?). Faſſen wir ben obſchwe⸗ 
benben Streit näher in's Auge, fo wird fid) alsbald ergeben, 
daß feine Jurisdietion an biefem doppelten Charakter pars 
ticipitt, alfo beide Behauptungen ihr Wahres haben, beide 
aber in bem Maaße unmabr werben, als fie das Eine 
ober Andere ausſchließlich feftbalten unb bie gegen« 
überftehende Anficht abfolut negiren. Fuͤr bie bloße Juris- 
dictio delegata ſpricht [don ihre Geſchichte unb urfprüngs 
lide Beftimmung, wornach fle ihr Dafein lebiglid) bem 


1) Bel Barbosa, 1. c. n. 183. 
2) Berbosa, |. c. n. 26—45.. J. H. Boehmer, 1. E. Ῥ 1. 28. $. 1. 


“ber Generalvlcare. 587 


Mandate des Bifhofs verdankt und der angemaßten Juris- 
dictio propria ber 9frdjibiacone gegenüber einen Theil der 
bifhöflihen Gerechtſame ftellvertretend ausüben follte; es 
ſprechen bafür bie verfhiedenen, glei von Anfang an 
gebraͤuchlichen Benennungen !) des Generalvicars, die auf 
eine bloße Stellvertretung hinweiſen: Deputatus, Commis- 
sarius, Procurator, Cooperator Episcopi, locum tenens, 
vices gerens, Vicedominus; εὖ (predjen dafür bie pofltiven 
DBeftimmungen bes Rechts: die Gewalt des Generalvicars 
Tann wie jebe andere jurisdictio delegata jeden Augenblid 
vom Bifhofe als dem Mandanten jurüdgejogen werden, 
fie erlifcht, wie jede Delegation, mit bem phyſiſchen oder 
bürgerlichen Tode des Bilhofs, ber Umfang der Surió« 
dietion hängt, voie bei jedem Delegaten, von der Conceſſion 
des Biſchofs ab und menn biefer aud) ein ganz allgemeines 
Mandat ertheilte, fo find bem Generalvicar, wie bem 
Delegaten, bod) nod) viele Angelegenheiten entzogen, bie 
eine fpecielle Eonceffton erfordern. — Bis hieher find Die- 
jenigen, welche von einer bloßen Jurisdictio delegata reden, 
vollftändig in ihrem Rechte, — wenn fie aber demgemäß 
den Generalvicar lediglich unter dem Gefihtspunfte eines 
Judex delegatus ad causam particularem auffaffen unb 
damit das Wefen feiner Syurióbiction für erfchöpft halten, 
fo ift bieg durchaus einfeitig: fein Mandat lautet nicht auf 
biefe ober jene einzelne Rechtsſache, nad) deren Erledi— 
gung es wieder aufhört, fondern er hat den ihm zuges 
wiefenen Gefchäftsfreis bleibend zu verwalten, alle 
in benfelben fallenden Angelegenheiten behandelt er fo oft 
fie fi) barbieten, er ift, wie der Sprachgebraud) des Rechte 

1) Pellegrinus, \. c. P. L Sect. I. subsect. II. Gibert, Corp. 
jur. can. T. IL p. 111. 


588 Urfprung umb rechtliche Stellung 


fi ausdrüdt, Judex delegatus ad universitatem causarum 
und gehört cbenbarum in bie Gategorie ber judices ordi- 
narii). ener übt der Generalvicar feine Jurisdietion 
nicht al b lof er Delegat, fonbern in Folge des Amtes — 
ratione officii —, das ihm burd) bie bifchöfliche Beſtellung 
übertragen wurde und bie mit biefem Amte verbundene 
Gewalt hat ihren legten Grund in ber G efeggebung?) 
— a lege seu canone —, nicht in der bloßen Conceffion 
des Biſchofs. Daß aber eine derartige mit einem Amte 
als folem und in Folge des Gefegeód verbundene Juriss 
biction eine ordinaria fei, ijt allgemein anerfannt 3). End» 
lid) gibt e& vom Generafoicar feine Appellation an ben 
3Bifdyof, wie fonft überall vom Delegaten an ben eleganten, 
vielmehr bilden beide Gin Forum und Eine Perfon, in 
bem Generalvicar handelt der Bifhof — beide üben eine 
und biefelbe Syuridbiction, nur in verfchiedener Weife — 
der Biſchof principaliter, ber Generalvicar, wie bie Ca 
noniften fid ausdrüden, ex commissione legis, aber tem 
innern Wefen nad) ift e8 diefelbe Gewalt nämlich die 
ordentliche bifhöflihe Jurisdiction und in eben biefem 
Umftande, wornad der Generalvicar an ber bifchöflihen 
Auctorität partieipirt, beruht bie eigentliche Bedeutung 
feiner hohen Stellung und Würde. Diefe ift denn aud 
im Gefege volftändig anerfannt: überall erfcheint ber 
Generalvicar neben bem Biſchofe, er geht allen Dignitären 
des apiteló und der Diöcefe voran) unb der Generals 


1) Glossa ad c. 62. X. de appellat, 2. 28. verb. Delegatus. 
Fagnani, Comment. in h. c. n. 4. 

2) c. 2 de offic. vicar. VI. 1. 13. 

3) Reiffenstuel, 1. C. J. tit. XXVIIL 6. 4. n. 92. 

4) Benedict. XIV., de Synodo dioeces. L. IIL 6. 10. n. 2. und 
IL. c. 3. n. 8. 





bet. Generalvicare. 589 


vicar des Erzbiſchofs ſteht als perfönlicher Repräfentant 
des Mitropoliten über den Sufftaganbiſchoͤſen). Wenn 
in biefer SBrücebeng des Generalvicars feine Identitaͤt mit 
bem Bifhofe unb ebenbamit feine Jurisdictio ordinaria 
Har unb deutlich ausgeſprochen ift, fo fónnen wir aller» 
dings nicht unerwähnt laffen, daß fie factifd nicht übers 
all flattfinde, daß vielmehr ber Grundſah gelte, ber Generals 
viear habe diejenige Stelle einzunehmen, die ihm das 
Gewohnheits recht an der betreffenden Kirche anweist ?). 
So iſt es vielfach namentlich in Deutſchland der Fall 
geweſen, daß der Generalvicar, wenn er Canonikus war, 
im Kapitel bie ihm ald Mitglied deſſelben gebübrenbe 
Stelle einnahm und falls er dem Kapitel gar nicht ans 
gehörte, allen Gapitularen πα ὦ ἢ α π Ὁ 5), aber bief waren 
bloße Ausnahmen, im Principe unb nad gemeinem 
Rechte ift der Generalbicar mit bem Biſchofe Eine Perfon, 
et partieipirt an feiner Jurisdiction, an feiner hohen Würde 
wie an feinem Ehrenvorrange. Aus bem námlidjen Grunde if 
berfelbe ein firhliher Dignitariu 6 und zwar ber erfte nad) 
bem Bifchofe: denn wenn unter Dignitas ein Kirchenamt vers 
fanden wird, mit welchem eine Jurisdiction in foro ex- 
terno unb ein firhliher Vorrang verbunden ift, fo 
wird dem Generalvicar eine foldje nicht abgefprodyen werden 
fónnen, vielmehr wird er um fo höher fteben als alle 
übrigen Dignitäre der Diöcefe, je au&gebebnter feine Juris⸗ 
diction im Vergleich mit der ihrigen unb je unbeftrittener 


1) c. 26. Dist, 98, 

2) S. Congreg. Rit. in Alexandrina 15. Mart. 1608 bel Barbosa, 
Summa Apost. Decis. verb. Vicarius generalis Episcopi. 

3) Vhillips, Kirchenrecht, S. 168. 

4) Benedict. XIV. 1. c. Ill. c. 3. n. 1. 


500 urſprung und reqhiliche Stellung der Generalvicare. 


ſein Vorrang vor allen Andern iſt. Zwar haben einzelne 
Ganeniften ") die Anſicht ju vertheidigen geſucht, ber General» 
vicar koͤnne nicht in bie Reihe der Dignitäre geſtellt 
werden, weil hiezu eine bleibende Uebertragung bes 
Amtes erfordert. werde, fein Mandat aber vom Bifchofe 
jeden Augenblid widerrufen werben könne unb jebenfalls 
mit dem Tode beffelben aufhöre, allein biefer Umſtand 
vermag bem Generalvicar, fo [ange er dieſes ift, bie 
in Rede fiehende Würde nicht zu entziehen, denn bie zwei 
Hauptmomente, welche den Begriff der Dignität conflituiren, 
liegen vollfänbig vor, bie einzige Folge des berührten Ber» 
hältniffes fann nur darin befichen, daß auch feine Dig 
nität feine bleibende ift, fondern wieder erliſcht, ſobald 
et aufhört, Generalvicar zu fein 5. Diefe Anficht ift aud) 
durch bie Gefeggebung auébrüdlid) anerfannt. C. 11 de 
tesoript. VI. 1. 3. verotbnet Bonifag VIIL, daß nur Digr 
nitäreund Domherrn als paͤpſtliche judices delegati bes 
ftellt werden dürfen, c. 2. de rescript. in Clement. 1. 2 wird 
aber beftümmt, bag aud) ber Generalvicar des Biſchofs 
mit einem derartigen Auftrage vom Pabſt betraut werben 
koͤnne: da nun der Generalvicar nift notwendig Domherr 
su fein braucht, die Stelle der Glementinen aber gam 
allgemein jeden Generalvicar, alfo aud) denjenigen, ber 
nit Domberr ift, zur Mebernahme eines ſolchen päpftlichen 
Mandats für fähig erflärt, fo folgt, daß fic das Amt 
deſſelben unter bie Dig nitäten gerechnet habe 3). 
Prof. Kober. 


1) Ven-Espen, 1. E. P. II, tit, 18. c. 2, n. 13, 
2) Fagnani, Comment, ad c. 13.X. de pracbend. 3. 5. n. 25 seqq. 
8) Glossa in h. c. verb. Delegalus. 


————. 


2. 
Altteftamentlihe Studien, 
- Δ) Ueber bie Bedeutung oou „Aſchera⸗ uw. 


Johannes Ὁ. Gumpach hat in feinen ,aftteftamentf. 
Studien“, Heidelberg bei Mohr 1852, unter andern 
aud) eine neue Anſicht über bie „Aſchera“ (MW) ber 
Bibel niedergelegt und diefelbe zu begründen gefudjt. Gr 
weist vorerft. darauf hin, mie Spencer de legibus hebraeorum 
ritualibus 1. 2. c. 27. p. 507 sqq., Gesenius im thesaurus 
8. v., De Wette bibl. Archäologie $. 233, Greuger Sym⸗ 
bolit II, 55. fü) nad) Selden de diis Syris syntag. VI. 
€. 1. p. 231 sqq. für bie phönififche Göttin Aftarte erklären; 
Movers (bie Phönizier I. ©. 560 ff.) dagegen zu beweiſen 
ſuchte, bie mw fei die fanaanitifdje der Beruth ober 
Benus des Libanon, der Baaltis von Byblos und ber 
babyloniſchen Mylitta gleichſtehende telluriſche Göttin Afchera, 
bie in Geftalt einer aufgerichteten Säule, eines Phallus, 
oder eines grünenben Baumes, ober Saumflammeó vers 
ehrt worden wäre. [Die Anfiht Hugs fdeint der Ver⸗ 
faffer nicht gefannt zu haben. Diefer Gelehrte enſcheidet 
fi für das Sternbild des Meinen Bären ober Wagens, 
das bie Phoͤnizier, infoweit es ihnen ben Eompaß erfegte, 
als ein Sluͤdsgeſtirn vergóttert und ihm ben Namen Aſchera 
bie ‚gute Führerin) ‚gegeben Haben, vgl. Zeitfäprift für bie 


592 Altteſtamentliche Studlen. 
Geiſtlichkeit des Erzbisthums Freiburg 7. Heft. Freiburg 
im Br. 1834. €. 82.] Nach dieſer kurzen Ueberficht gibt 
v. Gumpad) feine Anſicht dahin ab, TWIN, das im A. T. 
18mal im Singular, unb 21mal im Plural vorfomme, 
babe a) im Singular 1. die Grunbbebeutung „Unter 
bau“, 2. die übertragene Bedeutung „Hochaltar“, 
3. die abftract Follective Bedeutung „Hohaltarthum“, 
b) im Plural 1. im Mafeulin die Bedeutung „Hohals 
tate", 2. im Feminin ,Qodaltatgógen". — Aber 
fhon der Mangel an Einfachheit, der biefer Deutung zur 
aft fält, fpeicht gegen fie. Ich bin bermal nod) nicht in 
der Lage, mid) darüber ausſprechen zu fónnen, ob und 
welche beflimmte Göttin unter Aſchera zu verfteben fei, 
und die Beforgung welder Geſchaͤfte ihr obgelegen habe. 
Es ift dieß aud junádft hier meine Abfiht nicht, (ong 
würde id) mid) wohl dahin entídjeiben müffen, daß fid) die 
oben au$gefprodenen Anfichten der Gelehrten über dieſe 
Göttin dahin vereinigen, daß diefelbe in verfchiedenen 
Zeiten und Ländern verídiiebene Namen, Geftaltungen, 
Bedeutungen und Obliegenheiten angenommen habe. Rur 
einige Bemerkungen will idj der Anficht des Verfaſſers 
(Ὁ. Gumpach) entgegenfegen, um baburd) weitere Sor 
ſchungen der Gelehrten anzubahnen. 
Vergebliche Mühe wird e& fein, beweifen zu wollen, 
daß unter „Aſcher a“ eine heidniſche Gottheit dieſes 9ta« 
mens nicht verftanben werde. Die Stellen, worin biefer 
Name in der Bibel vorfommt, fpreden zu laut für eine 
. Göttin. Auch die nicht bibliſche Literatur hat ben Namen 
nod) aufbewahrt und auébrüdlid) erklärt, daß darunter 
eine heidniſche Gottheit und angedeutet, welche darunter 
vesftanden werben folle, Strabo lib. 16, 785 fagt ia 


Aluteſtamentliche Studien. 503 


geradezu: „Arapyarıp de τὴν AIapav (MR, MANN), 
depuerw δ᾽ αὐτὴν Κτησιας καλει.. Diefe Stelle, führt 
Winer in feinem Reallerifon s. v. Astarte und (don lange 
vor ihm Ealmet in feinen biblifden Unterfuhungen über 
verſchiedene Stüde der δ΄. Schrift, deutfche Weberfegung 
von Mosheim 4. Thl. ©. 52 an; und $efpdius bemerkt 
aus Zanthus: „Arsapyasdr AIapr“ vergl. Selden de diis 
Syris ©. 267. 268. 

Unter den fateinifden Schriftftelern erwähnt derſelben 
Justin. XXXVI, 2. - Er redet von einem bamascenifchen 
König „in cujus honorem Syri sepulchrum Athares (h^nW) 
uxoris pro templo coluere, Deamque exinde sanctissimae 
Religionis habent*. Wenn nun gleichwohl Suftin bier über 
ben Urfprung ber Göttin fi$ im Irthum befinden mag, 
fo erfennen wir doch aus bet Stelle augenſcheinlich ben 
Namen der „Aſchera“ und erfeben aud, baf die Syrer 
fie für eine Göttin gehalten haben. — Die Etymologie 
aber wird uns für bie Bebeutung bes Ramens WR 


durch „illustris, excelsa*, entſcheiden laſſen, von A 
I. praecelluit Il. magnificavit IV. elegit, honoravit, prae- 


5 
tulit 5 nobilitas. Im Zabiſchen heißen bie Genieen 


lol codex Nasar. T. 1. ©. 6. 3. 8. — 3n foweit wirb 
nun die Behauptung, welche der Anſicht des Heren v. 
Gumpach entgegengeftellt wurbe, gerechtfertigt exfcheinen, 
daß naͤmlich unter MAR eine heidnifche Böttin dieſes 
Stamenó zu verfteen fei. In den biblifchen Stellen aber, 
worin ber 9tame vorfommt, ift diefe Erklärung überall 
zuläffig, mit der Befchränkung jedoch, ba ΓΖ aud für 
das. Bildniß gebraud)t ift, wodurch bie Göttin vorgeftellt 


594 Auuſtamenuliche Giabten. 
wird, insbefondere, wenn ber Name im Pluralis fet. 
Ich will mich in den Ausprüden des Kirchenvatets Augufin 
iu Judic. 2, 13 faflen, ‚wenn er fid) über bie Aſtarte | 
.(tine identifhe ober verwandte Göttin) dahin erklärt: | 
„Nec movere debet, quod non dixit Astartae, id est Junoni, 
sed ianquam multae sint-Junones pluraliter hoc nomen | 
posuiL Ad simulacroram enim mullitudinem referri vo- 
luit intellectum, quoniam unumquodque Junonis simulacrum 
Juno vocabatur. Ac per hoc tot Junones quot sunt simul- 
acra inlelligi voluit^. Vergl. Selden de diis Syris s. v. 
Astaroth p. 259. — Die, Ueberfegungen ber bibliſchen 
Stellen, worin diefer Name vorfommt, find bem Verfaſſer 
(». Gumpach), al8 von irrigen Borausfegungen ausgehend, 
fámmtlid) mißlungen. 
Sid) will diefelben aud) hier furg durchgehen: 

1. 2 Mof. 34, 13: „fondern gertrümmert ihre Altäre, 
zerſchlaget ihre Opferfäulen, und fállet ihre 8 (dero 
bilder“, 

2; 5 Mof. 7, 5: „Ihre Altäre folt ihr zertruͤmmern, 
ihre Säulen zerſchlagen, ihre Afcherabilder um 
hauen, ihre Gößenbilver aber mit Feuer verbrennen", 

3. 5-Mof. 12, 3: „Zertrümmert ihre Altäre, zerbrechet 
ihre Säulen, ihre Aſcherabilder verbrennet mit 
euer; ble Bilpniffe ihrer Götter aber hauet um und 

-  vertilget felbft ihre Namen von dieſer Stätte”. 

4. 5 Mof. 16, 21: „Du [οἵ die nicht aufftellen eine 
Aſcheta aus jeglidjem Holze neben bem Altare Jeho⸗ 
vas, ben bu dir erbauen magfl. Auch eine Säule, welde 
Jehova bein. Gott haffet, follft bu dir nicht errichten". 

5. Richt. 8,.7: „Sie. vergaßen Jehova's ihres Gottes, 
und dienten ben Baals und Aſcherabildern“. 





6. 


1. 


11. 


Alueſtamentliche Studien. 595 
Richt. 6, 25. 26: „Reife nieder ben Altar be& Baal, 
welchen dein Vater errichtete, und bie Aſchera, 
welche darauf ftebt baue um. Erbaue einen Altar 
Jehova deinem Gott .... und made auffleigen ein 
SBranbopfer mit bem Holge der Afchera, welde du 
umgehauen haft". 28: ,flebe! es wurde zertruͤm⸗ 
wert der Altar des Baal und bie Aſchera, welde 
darauf ftanb, wurde niebergehauen". 30: „weil er 
den Altar Baald zertrümmert unb bie Aldera, 
welche darauf ftanb, umgehauen fat", — 
1 König 14, 15: „weil fle gemacht haben ihre 
Aſcherabilder, melde ben Zorn Jehovas reigten". 
23: „und fie erbauten fid) aud) Höhen und Säulen 
und W(derabilber auf jedem hohen Hügel und 
unter jebem grünen Baume“. 
1 König. 15, 12—14: „Er fhaffte bie männlichen 
Huren aus dem Lande, unb entfernte alle Götzen, 
bie fein .Bater gemacht hatte. Auch feine Mutter 
Maacha ließ er nicht mehr als Königin regieren, weil 
fie gemacht Hatte ein Schandbild für bie Aſcher a; 
εὖ Bieb um Afa ihr Schanpbild und verbrannte εὖ 
im Thale Kidron. Aber die Höhen entfernte man 
nicht“. 
1 König. 16, 32—33: „Ex errichtete dem Baal einen 
Altar im Baalstempel, den er in Samarien erbaute. 
Und εὖ ließ Achab eine Afchera fertigen“. 
4 König. 18, 19: „die 450 Propheten Baals und 
Bropheten bet Afchera 400, melde von bem Tiſche 
Iſebels effen". 
2 König. 13, 6: „Auch bie Afchera fland in Sa- 
matien^, — 


596 Altteſtamentliche Gtublen. 
12. 2 König. 17, 10: „Sie flellten ſich Säulen und 


Aſcherabilder auf allen hohen Hügeln und unter 
jebem grünen Baume auf”. 

2 König. 17, 16: „Sie verfertigten eine Aſchera 
und verehrten baó ganze Heer des Himmels und 
dienten dem Baal“. 


14. 2 König. 18, 4: „Ex entfernte die Höhen, zerbrach 


15. 


16. 


17. 


die Säulen; unb hieb um die Aſchera“. 

2 König. 21, 3: „Er baute bie Höhen wieder auf, 
die fein Vater Hisfta fortgefhafft hatte, unb errich⸗ 
tete Altäre dem Baal und machte eine Afchera, 
wie foldje gemacht hatte Achab, der König von Iſtael, 
und verehrte das ganze Heer des Himmels und diente 
ihnen“. 7: „Und er errichtete das 3Bilbni der 
Aſchera, das er gemacht, im Tempel*. 

2 König. 23, 4: „Alles Geräth, welches gemacht 
worden war für den Baal und für bie Aſchera und 
für das ganze Heer des Himmels". 6. „Er lief die 
Sidera aus dem Tempel Jehovas hinausfchafen 
außerhalb Serufalem Hin zum Thale Kivron, und 
verbrannte fie". .. 7: „Und aerftórte bie Buben der 
männlichen Huren, melde am Tempel Jehovas waren, 
weil die Weiber dort Tempel webten für bie Afchera‘. 
2 König. 23, 13. 14. 15: „Auch die Höhen ..... 
welche erbaut hatte Salomo, König in Ifrael, der 
Aftarte, dem Gräuel ber Gibonier, unb bem Kamod, 
dem Gräuel Moabs, unb bem Milfom, bem Abſchen 
der Söhne Ammons, die der König verunreinigte; 
und zertrümmerte bie Säulen unb hieb um bie Aſchera⸗ 
bilder..... unb aud) den Altar, welder zu Bethel, 
bie Höhe, melde Jerobeam gemacht hatte .... aud 


18. 


19. 


25. 


26. 


Altieſtamentliche Studien. 597 


biefen Altar und bie Höhe zerflörte er und verbrannte 
bie Höhe, madte fle zu Staub und verbrannte bie 
Aſcher a“. 

2 Chron. 14, 2: „Er entfernte bie fremden Altäre 
und die Höhen und zertrümmerte die Säulen und 
Bieb die Afcherabilder um". 

2 Ehron. 15, 16: Auch Maacha, die Mutter, ents 
fetnte Afa, der König, ba fle nicht mehr Herrfcherin 
mar, weil fie gemacht hatte der Afhera ein Schand- 
bild*. Vergl. 1 König. 15, 13—14. 

2 Ehron. 17, 6: „Und wieder entfernte er bie Höhen 
und bie Afcherabilder aus Juda“. 

2 Ehron. 19, 3: „daß bu vernichtet haft Die Aſche ra⸗ 
bilder.aus bem Lande hinweg“. 

2 Ehron. 24, 18: „Sie dienten ben Afhera- und 
Gögenbildern". — 

2 Gron. 31, 1: „Sie zerträmmerten die Opferfäulen 
und hieben um bie Afherabilder unb rien bie 
Höhen und Altäre nieder aus ganz Suba". 


. 2 Ehron. 33, 3: „Er baute wieder auf die Höhen, 


welche fein Vater Hisfia niebergeriffen hatte, unb 
errichtete Altäre den Baalen, unb machte Aſcher αν 
bilder und betete an alles Heer des Himmels und 
diente ihnen“. 

2 Gron. 33,19: „DiePläge, auf denen er Höhen gebaut 
und Afcherabilder und Böpenbilder aufgeftellt hat". 
2 Ehron. 34, 3. 4.7: „Bon den Höhen unb ΒΓ {ὦ ετ αν 
bildern und gehauenen unb gegoffenen Bildern fing 
er an Juda und Serufalem zu reinigen. Und man 
zertrümmerte vor feinem Angefichte die Altäre der 
Baale, und die Hamonsbilder, welde oben drauf 


Sigesl. Ouastalfr. 1858. IV. Oft. 40 


598 Altteflamentliche Studien. 


landen, hieb er nieder, unb bie Aſcherabilder unb 
gehauenen und gegofienen Silber zertrümmerte er. 
2... Er jertrümmerte die Altäre unb Afcherabilder 
und bie Gógenbilber zermalmte er zu Staub und alle 
Hamonsbilder Bieb er nieder im ganzen Lande Iſrael 
und fchrte nad) Jerufalem zurüd“. 

27. Jeſai. 17, 7—8: „Zu jener Zeit wird ber Menſch 
zu feinem Schöpfer emporbliden und nicht mehr empor: 
bliden zu ben Altären, feiner Hände Werf, und was 
feine Finger gemacht, nicht mehr anfehen, bie 9t (dera 
und Hamondbilder". 

28. Sefai. 27, 9: „Indem er alle Steine des Altars 
gefoßenen Kalkfteinen gleih madjt, daß nicht mehr 
Aſchera- und Hamonsbilder bleiben". 

29. Serem. 17, 2: „Ihre Altäre unb Afcherabilder, 

bei den grünenden Bäumen auf den hohen Hügeln". 

Micha 5, 12—13: „Ih will ausrotten deine ges 

hauenen Bilder und Eäulen aus deiner Mitte ... 

en unb zertrümmern deine Afcherabilder aus 
deiner Mitte”. 

Gelegenheitlih will id) bier nod) eine Bemerkung 
über bie oben 2 Ehron. 34, 5. 7. Jeſai. 17, 8. 27,9 
erwähnten Won maden, weil fie mit den DIR vers 
bunden find, und damit eine Frage an die Gelehrten ver | 
binden. Das Wort fommt in unferem dermaligen be 
bräifhen Sprachſchate nur nod) im Plural vor; wohl aber 
glaube id) es nod) in ber phönikifhen Sprache im Sin 
gular zu finden. In ber karthaginenſiſchen Infchrift, wordber | 
Hug in ber Zeitfärift für das Erzbisthum Freiburg 
7. Heft &. 67 ff. eine Abhandlung geliefert, Tefe id) nämlih 
wobn bya nijt yaın 5y3 wie Kopp nod) jan 59 wie 


30. 


Altteftamentliche Studien. 599 


Hug will Was biefe Gelehrten für * halten, gehört mit 
iut litera m, vergl. bie Inscriptio Melit. bei Ludwig Wihl, 
Münden 1831. €. 18 wo das m im phönififhen in bem 
Worte rw alfo gefchrieben i ΕΞ. Auf dem Steine 
unfeter Infhrift if bie Zeichnung fdon etwas verwifcht. 
Der won bya wäre eine heidniſche Gottheit unb bie 
D'3on wären Bilder biefe& Gottes, wie DAWN Bilder ber 
Aſchera. — Was für eine Gottheit e& fei, find wir aus 
Mangel an Urkunden zu beftimmen aufer Stande. Was 
fünde aber im Wege, ihn für dgpptifdjen Urfprungs und 
zwar für den Jupiter Hamon zu halten? — 


b) 9tabonaffar — Salmanaflar. 


Ueber die Perfon Rabonaſſar's, mit bem nad) Syn- 
cellus p. 390 edit. Dindorf bie καταριϑμησις των Χαλδαίων 
βασιλεὼων begann, find bie Gelehrten, fo id) nidt irre, bis 
jegt nod) fer im Ungewiſſen. Hävernid z. 9. in feiner 
Einleitung ins 9. T. 2. Thl. 2. Abtheilung €. 89 macht 
fiber ihn die Aeußerung: „Deffen Name (don feine 
chaldäifhe Herkunft verbürgt“. Der Gelehrte 
Bat fid übereilt. Die Behauptung ift ‚nicht weniger utw 
richtig, als es unrichtig wäre, wenn Jemand alles Ernſtes 
ben vielen Louis in unfern deutfhen Landen auf ble ein» 
sige Grundlage ihres Namens hin franzoͤſiſche Abfunft 
vinbiciren wollte. Dießmal ftehen obiger Behauptung die 
Zeugniffe ber Geſchichte entgegen, welche fo Mare Auskunft 
fiber bae Gegentheil und fo deutliche Hinweifungen auf 
die richtige Kenntnißnahme ber Berfon 8abonaffat'é geben, 
daß εὖ zu wundern ift, wie biefelben bisher haben übers 
fehen werden fónnen. 

40 * 


600 Ateftamentfiche Studien. 


Die babyloniſchen Könige hatten gleich den Königen 
Iſraels und Judas wohl öfters verfucht, fid) gegenüber 
ihren afiyrifchen Oberheren wieder unabhängig zu maden, 
was mehrmalige Revolutionen gegen biefe zur Folge hatte. 
Nabonaffar fuchte, beordert von ben afiprifhen Herrſchern, 
folden Beftrebungen auf längere Zeit zu begegnen, indem 
er die Babylonier ſchwer jüdjtigte, einen Theil der 8e 
toobner transportirte (2 König. 17, 24), der Herrſchaft bet 
angeftammten Königehaufes ein Ende machte und fogar 
bie Thaten der früheren Könige, respect. bie Auffchreibungen 
darüber, vertilgte, um bie Liebe und Anhänglichfeit an 
daſſelbe gänzlich zu erfliden. — Ex felbft aber blieb als 
Vizekoͤnig in Babel, fo daß mit ihm eine neue era der 
chaldaͤiſchen Könige begann. Vom Jahr 747 bis Ende (f 
733 v. Ehr. blieb er in dieſer Eigenfchaft dort. 

Da farb fein Vater oder nächfter Verwandter Tiglath 
Pileſar, König von Affyrien, in beffen Auftrag er biöher 
gehandelt. Er fete einen Statthalter oder Bizekönig über 
Babylonien in ber Perfon des Qabiue (Endet 73 | 
v. Chr.) ein, und eilte nad) Haus, um die Herrſchaft über 
Afiyrien unter dem Namen Salmanaflar in Empfang zu 
nehmen. Bom Jahr 734 v. Ehr. treffen wir ihn barum | 
als König von Afiyrien. Weber bie Sbentitát ber Perfon | 
des Nabonaffar mit Salmanaffar famn gar fein Zweifel 
ftatt haben, menn wir nur bie genaue Mebereinfim | 

| 
| 


mung ber Chronologie berüdfidtigen. Damit flimmt 
aber aud) das ausdruͤckliche Zeugniß des Syncellus über 
ein, wenn er chronogreph. p. 206. B. edit. Goar fagt: 
ἢ de Χαλδαίων (agyr) Asınerar oroıgsmIpasn, vig ono 
Σαλμανασαρ, ον καὶ Naßovavap καλουσι, λαμβανεται παρα 


] 
τε Χαλδαιοις. 


Altteftamentliche Stubien. 601 


Sá wünfdte, taf diefe gewiß richtige 9Infit von 
gelehrten Männern grünblider und ausfuͤhrlicher, als id) 
e zu thun vermag, entwickelt würde, ba fle mir geeignet 
fheint, über mehrere dunkle SBartfieen der Alteren Ges 
ſchichte ein eigenes Licht zu werfen. 


Prof. Zell in Heidelberg. 


Becenfisnen. 





1. 


1. Seiträge zur Erklärung des alten Ceflementes. Drei 
Abbandiungen. 1) Die Schwierigkeiten und Bin 
forüche mandyer Zahlangaben im den Büchern des alten 3e 
famenté und deren Entflehung und Löfung. 2) lieber bel 
Recht der Jsraeliten an Ganaan und über bie Urfache feiner 
Eroberung und ber Vertilgung feiner Gimvofner burd die 
Ieraeliten und die verſchiedenen Grflärungdberfuche barüber. 
3) Ueber dad Gelübbe Jephta's Richt. 11, 30 — 40. Bon 
faur. Heinke, Doctor der Philofophie und Theologie, or- 
bentfidem Profejjor der Theologie umb ber orientalifden 
Sprachen an ber Königl. Akademie zu Rünfler in Bd 
phalen. Münfter, 1851. Verlag der Goppenrath'fchen Bud- 
und Kunfthandlung. Breis 2 Stir. 

2. Beiträge x., enthaltend L Eine allgemeine Ginleitung in 
die Weiffagungen, insbeſondere in die meſſianiſchen Ber- 
heißungen und Beiffagungen und über bie vorgeblid) nicht 
erfüllten Weiſſagungen be8 alten Teſtaments. IL Zwei au 
getifch-hiftorijche Abhandlungen: 1) Ueber das Protenange 
lium 1 Mof. 3, 15. 2) lieber die meffanifche Weiffagung 
vom umbiutigen Opfer des neuen Bundes Salad. 1, 11. 
UL Bemerkungen als Anhang jum erſten Bande ber Se 


Beiträge zur Erflärung des U. Teſt. 603 


träge. Bon Dr. faur. Reinke, Domcapitular und ordent- 
Tider Profeſſor γον Zweiter Band. Münfter, 1853. Preis 
2 Oti. 8 9r. 


Hr. Domcapitular Dr. 9teinfe fügt bier zu feinen 
verſchiedenen [don früher erſchienenen eregetifhen Monos 
graphieen unb Abhandlungen einige weitere hinzu, bie fid) 
mit fer wichtigen und bis jet immer nod) controverfen 
SBunften ber altteftamentlihen Schriftauslegung befaffen. 

Am umfafiendften und wichtigften ift im erften Bande 
gleich die erfte berfelben, bie auch etwas über bie Hälfte 
des ganzen Bandes einnimmt. Bevor aber Hr. R. die 
Schwierigkeiten und Widerſpruͤche in den fraglichen Zahs 
lenangaben zu Iöfen unternimmt, fudit er zu ermitteln, 
auf welche Weife die altteffamentlihen Schriftfteller bie 
Zahlen ausgebrüdt haben, und fommt auf das Ergebniß, 
daß εὖ häufig geſchehen ſei 

1) burd) bie als Zahlzeihen gebrauchten Buchſtaben 
des hebräifhen Alphabets. Hr. 9t. zeigt, daß ber Ges 
braud) der Buchſtaben als Zahlzeichen [dion bei ben alten 
Sprern und Arabern üblid) gemefen fei, mithin als eine 
herrſchende Sitte der alten Semiten erfcheine, und darum 
aud) bei den Hebräcen (djon im Voraus angenommen wers 
den müffe (©. 22. 34); [obann daß biefer Gebraud) ind« 
befondere daraus erbelle, daß aud) auf den maccabaͤiſchen 
Münzen die Buchſtaben als Zahlzeichen erſcheinen (&. 34), 
daß Hieronymus auébrüdlid) bemerfe, baf z. B. das Jod 
bei den Hebräern ebenfo wie bei den Griechen bie Zahl 10 
bedeute (€. 35), daß bie alten Hebräer überhaupt aud) 
abbrevirt zu fchreiben pflegten, und bafer biefe Schreibs 
weife fier aud) bei den Zahlen in Anwendung btadjten 


604 Biene, 


(&. 37), taf fid endlich mande Zahlendifferenzen in alt 
teftamentlihen Parallelſtellen, ſowie auch zwifchen bem Urs 
terte unb ben alten Ueberfegungen nur unter Borausfegung 
einer folden Schreibweife leicht und natürlich erklären 
laffen (S. 27 f). Es wird fij gegen diefes, fo wie 
aud) gegen bie beifpielsweifen Erläuterungen ber dieß⸗ 
fallfigen Nachweiſungen wenig Erhebliches einwenden laſ⸗ 
fen. Nur wenn εὖ 3. B. heißt, bie Verſchiedenheit ber 
Zahlen 1. Kön. 5, 16 und 2. Gron. 2, 2 erkläre fih 
aus der Verwechſelung von W unb C, und beigefügt wird: 
nDie Verwechfelung diefer beiden Buchftaben war wegen ber 
großen Achnlichkeit in der alten Schrift febr leicht" (S. 32); 
fo ſcheint biefe& mit einer vorausgehenden leuferung Hrn. 
Reinke's nicht redit zufammenzuftimmen. Denn unter der 
alten Schrift fann bod) wohl nur bie vor der Quadrat⸗ 
ſchrift bei den Hebräern übliche phönigifhe ober fogenannte 
Münzſchrift gemeint fein; "bon biefer aber fagt Hr. R. 
fefbft, und zwar mit vollem Recht, daß fte Feine Finalbuch⸗ 
flaben gehabt habe (&. 23), womit fhon gefagt ift, baf 
ein Mem finale als Zahlzeihen für 600 in ibt gar nicht 
vorhanden geweſen fei. 

2) Durch volles Schreiben der Zahlwörter. Der 
Hauptbeweis dafür liegt in ben alten Ueberfegungen, ver 
glihen mit dem Urterte. Wenn z. B. ny2uo Sprüdw. 
26, 16 von ben LXX. mit τῷ ἐν πλησμονῇ überfeht wird, 
fo ift Mar, tag in ihrem Original das Zahlwort felbft, 
nicht etwa ber Zahlbuchſtabe 1, gefdhrieben war, baf fit 
aber den unvocalifirten Srt unrichtig lafen, nämlid 
nyaU ftatt nyaWrn; ebenfo wenn fie nND »Ὲ ny Pred. 
8, 12 mit ἐποίησε τὸ πονηρὸν ἀπὸ τότε überfegen, haben 
fie das Zahlwort rw, nicht etwa bloß ben Zahlbuchſta⸗ 


Weltsäge zur Etklarung des 9. Sd. 605 


ben p, tn ihrem Originale gelefen, nur aber jeneó un 
richtig ausgeſprochen. 

3) Nicht aber duch Ziffern, wie einige Gelehrte 
glauben. Sie fügen fid darauf, baf auf pbonüifden 
Münzen und palmyrenifhen Inſchriften Ziffern vorkom⸗ 
men, und daß fid) unter Borausfegung ihres Gebrauches 
von Seite der alten Hebräer manche Zahlendifferenzen im 
altteftamentlihen Texte leicht erflären laffen. Hr. 9t. ber 
merft dagegen nidjt mit Unrecht, bie berüfrten Münzen 
und Inſchriften feien zu jung, als daß fte für eine entfpres 
chende alte Sitte bei den Hebräern viel beweifen fónnten, 
und die Zahlendifferenzen laſſen fid) großentheils auch durch 
Verwechſelung der Zahlbuchſtaben erflären; dagegen finde 
fi feine fihere Spur von dem Gebraude der Ziffern bei 
ben alten Hebräern, unb fei aud) nicht recht glaublid), 
daß fie, menn fie (οἵδε gehabt, biefefben fpäter wieder 
follten aufgegeben haben. t 

Nachdem Hr. 9t. fobann bie Buchſtaben namhaft ges 
macht, bie häufig mit einander verwechfelt wutben, et» 
lüutert er „bie wichtigeren Schwierigkeiten unb Wider 
fprüde, welche fid) bei den Zahlangaben des hebräifchen 
Textes, der famaritanifhen Recenfion des Pentateuchs 
und des Jofephus und ber alten Meberfegungen, naments 
lid) der aferanbrinifdjen, finden“. Er beginnt mit bet 
Genefis, wo fogleih in den Genealogieen Adams unb 
Noah's die Zahlen im Urterte und den ihn begleitenden 
Documenten bedeutend bifferiren, hier aber mit Recht nicht 
aus bloßer Buchftabenverwechfelung, fondern aus beſtimm⸗ 
ten Abfichten und Zweden erflärt werben, welche die Urs 
Beber der vom Urtexte abweichenden Zahlen verfolgten. 
Leſenswerth find bie aus Anlaß "biefer Genealogieen ger 


606 Gin, 


machten Bemerkungen über bie lange Lebensbauer ber 
Menfcyen in der Urzeit und die Befeitigung ber in neuerer 
Zeit darüber aufgeflellten unridtigen Snfiditen (6. 83—87). 
Auch die Schwierigkeit, bie SRandje in den Angaben über 
das Lebensalter Therah's gefunden haben, befeitigt Hr. X. 
{εὖτ einfach und augenfállig richtig dadurch, daß er bie An⸗ 
gabe Θεπεί. 11, 32 al6 eine Prolepſis bezeichnet; nur if εὖ 
nicht ganz richtig, wenn er fagt, daß „Ichon ber bI. Augufis 
nus unb ber hl. Hieronymus jene vermeintliche Schwierig. 
feit für unauflö6bar gehalten“ haben. Hieronymus bemerft 
zwar zu der Angabe, daß Abraham bei feiner Auswande⸗ 
Tung ven Qaran 70 Jahre alt gewefen (ei: indissolubilis 
nascitur quaestio etc., ſucht aber dann bod) bie Frage zu 
lófen, unb gibt mehr als eine ihm möglich fdeinenbe Lör 
fung (Quaest Hebr. in Genes.), freilich nicht bie rechte, 
weil er von ber Vorausfepung ausgeht, Therah fei [don 
iobt gewefen, als Abraham von Haran fortzog. Augur 
flinus dagegen löst die Schwierigkeit durch bie Annahme, 
Therah fei nad Abrahams Auswanderung von daran, 
aber vor feiner Riederlaffung in Ganaan geftorben (Quaest. 
in Genes. XXV). Die Angabe, daß bie Setaeliten 400 
Jahre in Aegypten fein werden (Ben. 15, 13), gegen 
über der anderen, daß fie 430 Jahre dort gewefen feien 
(τοῦ. 12, 40), fonnte feine Schwierigfeit machen, da 
400 nur eine fog. runde Zahl iR. Dagegen bie [dein 
baren Widerfprühe, bie man bei ben Jahreszahlen in 
der Geſchichte Joſephs hat finden wollen, find bebeuten: 
ber, werden jebod) von Hrn. R. auf ganz befriedigende 
Weiſe gelöst, und dabei namentlich bie Unrichtigkeit ber 
Annahme dargethan, daß Jacob fogleih nad) Eſau's δὲν 
rath mit canaanitifhen Weibern fid) nad) Mefopotamien 


Beiträge zur Erklärusg des A. Teſt. 607 


begeben babe, welche Annahme hauptſächlich ber Behaup⸗ 
tung von Widerfprüchen in den Zahlenangaben zur Grund» 
lage dient. Sofort wird nod) über eine Reihe ſchwieriger, 
fib ſcheinbar wmiberfpredenber Stellen Licht verbreitet und 
παπιεπε viele Disharmonieen in ‘den Zahlenangaben, 
unter bec Vorausfegung, daß bie Buchflaben von ben 
Hebräern aud) als Zahlzeichen gebraucht worden feien, 
meiftens gut befeitigt. 

In ber zweiten Abhandlung: „Ueber dad fedt ber 
Ieraeliten an Canaan x." ſchließt fij Hr. R. an bie 
Kirchenväter namentlich Auguſtin an, und gewinnt in aue» 
führlicher Erörterung das Ergebniß: „Die Israeliten has 
ben fein menfchlihes Recht irgend .einer Art an Ganaan 
gehabt, fonbern εὖ durch eine göttliche Schenfung erhalten. 
Die Urfahe, warum die Ganaaniten nicht länger Beſitzer 
des Landes bleiben follten, lag in ihrem tiefen fttlichen 
Berberben, namentlich in bem Gógenbienft der abſcheu⸗ 
lichften Art, indem fie hierdurch ber Vertilgung würbig 
geworben waren. Dur die Schenkung deſſelben gefchah 
daher den Ganaanitern Fein Unrecht. Die Israeliten, 
durch welche Gott, der Herr des Weltall, Ganaan et» 
obern unb befjen Bewohner vertifgen ließ, waren Diener 
der göttlichen Geredtigfeit und erfüllten burd) bie Grobe⸗ 
rung des Landes und bie Yusrottung ber Ganaanitet ein 
ihmen gegebenes göttliches Gebot“. Dann zeigt er ned, 
bafi bie verídiebenen anderartigen Verſuche, bie Eroberung 
Ganaans burd) bie Sétaeliten zu rechtfertigen, unhaltbar 
feien, wie 3. B. die Behauptung, ihr Recht auf €anaan 
gründe fid auf eine von Noah's Söhnen angeftellte Vertheis 
Tung ber ganzen Grbe, bei welcher Ganaan ben Nachkommen 
Sems zugefallen fei, oder bie Joraeliten haben ben Aufe 


es ka, 


trag gehaft, ten Gansaniten ben friben auzmbirkn mh 
erf im PBeigerungäialle βε ohne Eibenung zu tibia, he 


Sinlef; pum Krige gegeben unb feiern icit Der amgeriienbe 
Ipeil geweien Εεἰώε Halten haben die auf iex Gr 
genßent bepislichen Edhrirrürkien zu angeuiälig gegen 9d, 
αἷδ bej Mj xod εἴκει emxbübihüdcn Radiweriung bc 
türfte, mmb beerben beber veu Den. 3b mit Shed mé 
μα seni Far) aberherigt. 

Sm ver Yemen Ῥδδαπείαπα: Ueber das Gier 
ϑιφίμαδ, indt Dc R zu μία, raj; Scplta'8 Sedet 
bem feb. ὅδ Uk über γαῖα θερευβιουὺ im alter umb neut 
Jet [ὅσα fe vil νειδαπεεῖς werten, toj δῷ feum mk 
em»eó über Hn jagen ijt, ead mut irc urgente qe 
fagt wäre. Sm werte der Betrefene 
Türerm m bem Ccrme axipraßı, ταῦ Sepe feine Sede 
werfab ai Sorrrewéer τατρεύταδιε Babe, ie να rer 
She Cerana mur Seba ecu werten femel Bec 
scmieala sala veierikun emmiber fe (Jadces εἰ Esá | 
exphuusi εἰς Morus 1619. p 391). uir von Gafurt: | 
Cowvemmnt im hanc seuäreiisen veieres Hebraei, Pues 
BEaxhexae εἰ cradüümumà quique verres receularesque 
Interpreites (Dimsertsiiones im V. T. Wircch. 1789. L 470). 
Cue mar tie wat 


Ve ΒΩ wait Kingern, τοῦ ὅδ tür Hisfafune ter Bätrt | 





Beträge zur Erklärung des A. Left. 600 


von felbft nicht bloß nahe fegt, fondern fat unabweisbar 
auforángt Selb Biele von Denjenigen, welde eine 
wirkliche Toͤdtung ber Tochter Sepbta'6 nicht anzunehmen 
vermögen, wiflen fid) bem Ginbrude der Tertesworte nicht 
au entziehen und benfen entweder bei Mdyhr an etwas 
anderes als bei nyvo my, nämlih an ein wirkliches 
Opferthier, das Jephta als Brandopfer geſchlachtet, ober 
nehmen das * bei ymmbym in ber Bedeutung „ober. 
Da aber das Eine wie das Andere fihtlih nur ein uns 
genügenber Nothbehelf ift, fo verfiehen Rande das Opfer 
nur im bilbliden Sinne entweder fo, daß Jephta's Tochter 
an einem einfamen Orte eingefchloffen worden fei, um 
in Befünbiger Jungfraufhaft bur Gebet und Baften 
Gott zu dienen (cf. Serar. 1. c. p. 321), ober fo, daß 
fie bem Dienfte des Heiligthums geweiht worben {εἰ 
Hengfenderg, Beiträge zur Einleitung ins 9. S. II. 
128 f). Mein fo gewiß es if, daß „Opfer“ und 
„Dpfern“ aud) bildlich gebraud)t wird, fo wenig fdeint 
die bilblide Auffaffung im gegebenen Falle fi rechtfer⸗ 
tigen zu [affen, und Hengſtenbergs und Reinke's dießfall⸗ 
figer SBerfud) wird fid) nicht als gelungen bezeichnen laffen. 
Sie berufen fid) nämlich auf Hof. 14, 3, we „von Stieren 
der Lippen“ (nicht ganz richtig!) die Rede fei, welche Israel 
bem Heren opfern werde; auf Pf. 40, 7—9, wo „der 
Sänger fid felbft, die Hingabe feiner Perfönlickeit, als 
das wahre von Gott verlangte Opfer“ bezeihne; auf 
Bi. 50, 23, wonach, wer Danf opfere, den Herrn efte; 
auf Pi. 51, 19, wonach bie Opfer Gottes ein zerknirſchter 
Gift feien; auf Pf. 119, 108, wo Jehova an bem wil⸗ 
ligen Opfer des Mundes Gefallen haben foll; enblid) nod) 
auf einige beuterofanoniffje unb neuteftamentlide Stellen, 


910 Reinte, 


wie Gir. 35, 1-3. Weish. 3, 6. Röm. 12, 1. 15, 16. 
Phil. 4, 18. Hebr. 13, 15. 16, wo ebenfalls von Opfern 
im bilblidjen Sinne bie Rebe if. Allein alle biefe Stellen 
find in poetifhem ober bod) rhetoriſchem und exhestater 
tidem Tone gehalten, wo Bilder und ?Bergleidjungen am 
Plage find, und deßungeachtet ift doch nod) überall durch 
irgend einen Beifag oder eine eigenthümliche Redewendung 
ber bildliche Ausprud als folder fenntli) gemacht. Bei 
of. 14, 3 4. 9. würde Niemand das C'op nipbg? von 
Opfern im uneigentlihen Sinne verfteben, wenn nidi 
np durch x»nplp erklärt würde, fobann Pf. 40, 7-9 
bezeichnet der Pfalmift bie Hingabe feiner Perfönlichfeit fo 
gat nicht burd) bie etwa bildlich gebrauchten Ausbrüde 
mag ma] unb rpm hip, bef biefe Ausbrüde υἱεῖν 
mehr gerade den Gegeníag zu jenem uneigentlichen Opfer 
begeicpnen; ferner Pi. 50, 23 ift eben burd) myim (Lob, 
Dank) angejeigt, dag ΠῚ bilblid) gemeint: fei, und ein 
Gleiches gilt von pw) m, was Pf. 51, 19 auf ma 
Dow folgt, unb won "B in p nt272 Pf. 119, 108. In 
all biefen Stellen liegt alfo feine Berechtigung, das vv 
mbty Richt. 14, 31 im bildlichen Sinne von ber Hingabe 
zum Dienfte des Heiligthums zu verftehen, umb eben fo 
Yoenig in den angeführten beuterofanonifhen und neutefla- 
mentlihen Stellen. Es mag fofort nicht viel verfangen, 
wenn Hengftenberg bemerft: — „Da von ben Befennern 
ber Sebopabreligion nie und nirgends Menſchenopfer dar- 
gebracht wurden, fo fiel jebe Siveibeutigfeit weg, und jeder 
Zufag war unnöthig" (d. a. O. €. 139); denn irgend eine 
Andeutung, daß das Opfer nur im bilbliden Sinne ge 
meint fei, müßte man in einer ſchlichten Berichterflattung 


HJ" 
Beiträge zur Crklarung des A. Teſt. eu 


um fo mehr erwarten, al6 foldhes ſelbſt in poetifhen 
Darftellungen geſchieht, unb ein Leſer bem Jephta gar 
leicht etwas Abnormes zutrauen fonnte, wie e8 ja im 
Alterthum wirklich von jeher gefchehen if. Dazu fommt, 
daß ny, vom Opfern gebraucht, immer nur vom eigent- 
lichen Opfer, und zwar von ber ganz beflimmten Opfer 
art, die wir Brandopfer nennen, vorfommt, und ber Aus⸗ 
druck nbi nbym immer mur von ber wirflihen Darbrins 
gung eines SBranbopferé. Das Opfer Abrahams hätte 
man zu Gunften einer uneigentlihen und bildlichen Opfer 
rung der Tochter Jephta's nicht herbeiziehen follen, denn 
aus bem dießiallfigen Berichte der Geneſis, für fid) be 
tradet, laͤßt fid) nicht einmal mit Sicherheit folgern, 
daß Jehova feine Menfchenopfer wolle, weil, was hier 
dem.Abraham zu Lieb gefchehen ift, bie Erlaffung des 
Opfers, ein anderes Mal aud) hätte unterbleiben fónnen. 
Jedenfalls wird aber burd) nótyb mbym Genef. 22, 2 die 
wirkliche Schlahtung und Opferung Hanks, bie fofort 
zu unterbleiben hat, bezeichnet; und es ift fonberbar, wenn 
Hengftenberg in Betreff der Worte: „bringe ihn dar als 
Brandopfer“ bemerft: „Wären biefe Worte äußerlich zu 
verftehen, fo hätte Gott, ber fdon παῷ - der Lehre des 
A. S. fein Menſch ift, bag er füge, unb fein Menſchen⸗ 
fohn, daß ihn geteue, nicht nachher bie Ausführung vers 
bieten Fönnen; was nad) feinem eigenen Giefege gottlos 
ift, das kann Gott auch verſuchungsweiſe nicht gebieten 3 
8. 12 erflärt, daß bem Befehle des Herrn nun, ba bie 
geiftige Opferung vollbracht war, [don Genüge geleiftet 
worden. Daraus erfehen wir, baf bie Verfuhung nur 
in ber Zweibeutigfeit lag" (a. a. D.) Es ift gewiß 
ſchwer, aus ben Worten: „Und bringe ihn dort zum 


6123 ᾿ Reine, 


Brandopfer bar auf einem bet Berge, ben ich bir fagen 
werde“ eine Zweidentigkeit herauszubringen, wenn man 
fe nicht vorher hineingelegt hat. Ein Hebräer fonnte 
nad bem üblichen Sprachgebrauche bie betreffenden Worte 
gar nicht anders als Außerlih von ber Darbringung eines 
wirklichen Opfers verfteben, wie denn aud) Abraham fie 
wirflich nicht anders verfunb. Nun wird man aber nicht 
annehmen wollen, daß Gott bem Abraham etwas befohlen 
babe mit Worten, bie er ganz anders verfeben mußte 
und verftund, als fle gemeint waren, ohne ihn im Ge 
τίπρβεπ auf das unridtige Verſtaͤndniß aufmerffam zu 
maden. Warum aber Gott aud) nicht verſuchungsweiſe 
eine ſonſt unerlaubte That, bie nicht zur Ausführung 
Tommen fol, gebieten könne, weiß Ref. nicht einzufehen. 
Sei aber bem wie ihm wolle, bem Abraham ift bie Schlach⸗ 
tung feines Sohnes wirflid geboten worben, denn weil er 
bie Worte des Gebotes in biefem Sinne verftunb, eriftirte 
für ihn aud) bae dießfallſige göttliche Gebot, unb wenn 
ihm Gott die Schlachtung feines Sohnes nicht hatte ger 
bieten wollen, fo würde er fij anders, als εὖ gefchehen 
ift, ausgebrüdt haben. Auf eine Menge von Bedenken, 
bie man gegen bie wirflihe Opferung der Tochter Jeph⸗ 
ta's vorgebrad)t hat und nod) vorbringt, ift lángft geant⸗ 
wortet toorben (cf. Serar. 1. c.), unb wir können bier 
nicht weiter darauf eingehen. Wenn außerdem gegen eine 
wirkliche Tödtung aud) nod) auf eregetifche Auctoritaͤt, b. ἢ. 
auf die vielen ausgezeichneten Gelehrten, bie fid) gegen dies 
felbe erflärt haben, Gewicht gelegt wird, fo ift zu bemerken, 
daß diefe Gelehrten ber Mehrzahl nad) Proteflanten find 
und fämmtli ber neueren Zeit angehören, daß von ben 
Kirpenvätern ohne Ausnahme unb von ben alten Exegeten 


Beiträge zur Erklarung des A. Teſt. 613 


überhaupt bie betreffende Stelle immer von einer wirt 
lichen Opferung und Tödtung der Tochter Jephta's ver» 
fanden worden ift und biefeó Verfländnig als das tradis 
tionelle und kirchliche erídeint. Wenn übrigens jenen Ge» 
lebrten aud) Eftius beigezaͤhlt wird, fo geſchieht dieß nicht 
mit vollem Recht. Denn zu der Bemerfung: Neque dici 
posse videtur, eum instinctu divino illud fecisse, sicut 
de Samsone occumbente cum Philistaeis quidam dicunt. 
Nam legitur hic Jephte doluisse de tali voto (Annott. ad 
Jud. 11, 39) fügt Eftius in ben Addit. et annott. bei: post 
verb. volo adde: seu de necessitste immolandae filiae, 
quam putabat contractam ex voto v. 35. 

Der zweite Band enthält aufer den nachträglichen 
Bemerkungen zum erften Bande wiederum drei ausjühr- 
liche Abhandlungen. Die erfte ift mehr allgemeiner Art 
und ftellt zunächft in kurzer Ueberfid)t den „Hauptinhalt der 
meffianifchen Verheißungen und Weiffagungen des alten 
Teftaments“ dar, bann die Wichtigfeit derfelben für Juden 
und Ehriften, ihren Kortfchritt im Laufe der Zeit unb 
ihre Beſchaffenheit. Hr. 9t. folgt fo ziemlich ber ent» 
fpredenben Darftellung Hengſtenbergs im erften Bande 
feiner Ehriftofogie, ift aber meiftens etwas ausführlicher. 
Darauf zeigt er, wie man das Bildlihe und Sachliche 
in ben Weiffagungen unterſcheiden, die Zeitfolge der vot» 
herverfündigten Begebenheiten erfennen fönne, unb bei 
dunklen Weiffagungen fih zu verhalten habe, beweist 
bann, daß bie altteftamentlihe Idee vom Meffias unb 
feinem Reihe nicht menſchlichen, fondern göttlichen Ur» 
fprungeó fel, gibt bie Beweismittel an für die Meffanität 
altteftamentliher Stellen, beipriht die Urfahen, warum 
ber Heiland .erft 4000 Jahre. nad dem Sündenfalle ber 

Stel. Duartaligrift. 1858. IV. Od. 4 


614 Reine, 


erſten Menſchen erfchienen (εἰ und verbreitet ſich nod 
über einige vorgeblih nicht erfülte Weiflagungen des 
alten Teftamentes. Auch hier richtet er fid) mit Ausnahme 
des Iepten Punftes großentheils nad) bem Vorgange Henge 
ftenbergs. Im Betreff der vorgeblid) nicht erfüllten Weiſ⸗ 
fagungen aber fucht er ſpeciell und ausführlich zu zeigen, 
daß in den zahlreichen einzelnen Fällen, we man folde 
hat finden wollen, in ber That feine ſolche vorliegen, und 
bie Behauptung ber Stidjterjüllung nur auf unrichtigen 
unb wilführlihen Auffaffungen und Deutungen berube. 
Diefer Berfuh muß aud) wirklich als gelungen bezeichnet 
werden, unb felbft wo ber Lefer fid) etwa mit ber geger 
benen Deutung nidjt befreunden fann, wird er bod) im» 
merbin anerkennen müffen, daß die Behauptung der Richt» 
erfuͤllung entfráftet fei. Wir machen dießfalls befonders 
auf bie gründliche Erörterung über Ced. 38 und 39 
aufmerfjam (S. 141—161), aus ber fid wohl jeder Lefer 
überzeugen wird, bag man jur Behauptung ber Richter 
fühung ber betreffenden Weiffagung feinen Grund habe. 
Wenn jebod) Qr. R. in Uebereinftimmung mit Galmet die 
Weiſſagung auf einen feindlichen Einfall der Perfer unter 
Cambyſes auf feinem Zuge nad) 9legppten und namentlid 
auf feinem Rüdzuge deutet, fo vermag fid) Ref. mit biefer 
Deutung nicht zu befreunden. Schon die Ezechiel'ſchen 
Schilderungen, von Anderem abgefehen, enweden bie Vor⸗ 
ſtellung von etwas ungleid) Groͤßerem, als was durch den 
Berferkönig Cambyſes in Palaͤſtina, einer perfiihen Pros 
vinz, kann geſchehen fein. 

Die zweite Abhandlung befaßt fid) mit dem „Prot⸗ 
evangelium". H. 9t. giebt zuerft „den hebraͤiſchen Text 
nebR einer deutſchen und den alten Meberfegungen“, bat 


Beiträge jut Grffórung des 9f. Teſt. 615 


jebod) unter Teßtere die lateiniſche nicht aufgenommen, 
Yoabrídeintid) nur aus Verfehen, denn obwohl fie alà bes 
Tannt vorausgefegt werben kann, follte fie bod in einer 
ausprüdlih angekündigten Zufammenftellung der alten 
Meberfegungen nicht fehlen. Darauf werden die verſchie⸗ 
denen Auslegungsweiſen „von 1 Moſ. 3, insbeſondere von 
38. 15", nämlich die buchſtaͤbliche, allegoriſche, hiſtoriſtrende 
und mythologiſche angegeben und beurtheilt, unb ber erſten 
mit 9tedt der Vorzug zuerfannt. Dann folgt ein Bers 
zeichniß der Schriften, welche über Genef. 3, 15 handeln, 
ein Gommentar über bie Stelle, Bemerkungen über bie 
Bedeutung einzelner Worte, unb bie Beziehung beó Kin. 
In lepterer Hinficht wird ganz treffend gezeigt, daß fid) 
Wan nur auf ys] begiehen fönne, und baf baé ipsa der 
Bulgata jedenfalls unrichtig, wahrſcheinlich aber eine Ent- 
ſtellung fei, und ber Bierongmianifde Tert urfprünglid) 
ohne Zweifel ipse flatt des jehigen ipsa gehabt habe. 
Darauf wird der Beweis geführt, daß der Teufel durch 
die Schlange bie erften Menſchen verführt habe, unb wer» 
den bie Gründe widerlegt, bie für’ Gegentheil vorgebracht 
worden find. Bei diefer Gelegenheit wird namentlich ges 
zeigt, daß bie Lehre vom Satan bei ben Hebräern nicht 
ετῇ feit dem babyloniſchen Exil Berrfibenb. geworden, fons 
dern [don vor Mofes vorhanden gemefen fei. Wenn 
übrigens als ein Grund, marum Mofes des Teufels mit 
feinem Worte Erwähnung thue, angegeben wird: „Hätte 
er des Teufels, als eines liftigen Geiftes, Erwähnung 
getan, fo hätten bie alten mod) ungebildeten Hebräer 
feiht in den gefährlichen Itrthum der Perfer, bie zwei 
ewige Principien, ein Böfes und ein Gutes, annehmen, 
fallen können“ (©. 273); fo [dint Hr. 9t. fpäter dieſen 
41" 


616 Sine, 


Grund ſelbſt wieder zu entfräften, wenn er in Bezug auf 
den Aſaſel fagt: „Wer in ber Erwähnung des Teufels 
eine Gefahr für bie Israeliten findet, der fónnte biefelbe 
aud in der Erwähnung der Engel finden, von denen oft 
bie Rede if. Denn wenn bie Erwähnung des Teufels 
bie Israeliten zu der Anfiht, daß derfelbe Jehova gleih 
fd, führen fónnte, fo hätte baffelbe aud) in Betreff der 
Engel geíd)eben können“ (304). Bei der rage, ob bloß 
der Teufel, oder bloß das Werkzeug der Verführung, die 
Schlange, oder beide beftraft worden feien, enticheidet fi 
Hr. R. für's egtere, und hat unfiteitig bie Tertesworte 
für fib, fofern V. 14 fiteng genommen nicht auf ben 
Teufel unb 88. 15 ſtreng genommen nicht auf bie Schlange 
paßt. Als Strafe ber Schlange nimmt er mit Hengſten⸗ 
berg eine Veränderung ihrer Natur in eine ſchlechtere und 
häßliche an, ohne bie frühere näher beſtimmen zu wol. 
len; als Strafe des Teufels aber feine Niederhaltung und 
Demüthigung, und feinen enblihen völligen Sturz durd 
ben Meffias. Sofort fuht Hr. R. den Sinn von Gene. 
3, 15 nod genauer darzulegen, die meſſianiſche Auffaſ- 
fung ber Stelle zu rechtfertigen, die gegen fie vorgebradhten 
Gruͤnde zu widerlegen, unb bie von feiner Auffaflung ab 
weichenden Exflärungen zu befeitigen. 

Die dritte Abhandlung hat das reine Speisopfer 
Mal. 1, 11 zum Gegenſtande. Hr. R. theilt wieder wie 
im vorigen (alle zuerſt den Urtert und bie alten Webers 
fegungen mit, ier aud) die hieronymianiſche in der [o 
teinifhen Vulgata, und bann bie verſchiedenen Ausle⸗ 
gungen der Stelle. Darauf erflärt er einige Wörter be6 
eilften Verſes und fudt enblid) zu bemeifen, daß Mal. 
1, 11, von der chriſtlichen Gottesverehrung und nament, 





Behrräge zur Erflärung des A. Teſt. 617 


lid vom unblutigen Opfer des neuen Buntes weiflage, 
und daß bie dagegen vorgehrachten Gründe unhaltbar 
feien. Der legtere Bunft ift hier offenbar die Hauptſache, 
und menn man fragt, ob bie oblatio munda yin nm» 
vom eudariftifhen Opfer des neuen Bundes zu verſtehen 
fei, fo Fann die Antwort nur bejahend ausfallen, unb ift 
aud) von den meiften Kirdenvätern und Theologen, und 
aud) von ber Trienter Synode mit vollem Rechte in dies 
fem Sinne gegeben worden. Denn daß Maleachi von 
einem reinen gottgefäligen Opfer redet, welches an bit 
Stelle des gefeglihen Opfers treten, und zwar nicht etwa 
bloß zu Ierufalem und in Paläftina, fondern unter allen 
Völkern auf bem ganzen Erdkreis bargebradt werden fol, 
ift febr deutlich; e8 ift aber an dirfe Stelle befannter 
Maaßen fein anderes derartiges Opfer getreten ald das 
euchariſtiſche, ober das hriftliche Meßopfer. Damit ift aber 
ſchon angebeutet, daß bie Berechtigung zu jener bejahenden 
Antwort weniger in den Worten des Propheten, die 
ziemlich unbeftimmt find, ald in ber uns befannten That» 
fade ihrer Erfüllung liegt. Daß Maleachi felbft und 
feine gläubigen Leſer vor Gbriftus unter jenem reinen Opfer 
gerade das euchariftifhe Opfer des neuen Bundes gedacht 
haben, fdeint Hr. 9t. nicht behaupten zu wollen, wenige 
fiens wird e6 dur bie von ihm vorgebradjten Gründe 
nicht bewieſen; dagegen liegt in bem Umftande, daß felbft 
im R. S. die Ginfepung dieſes Opfers durch Feinerlei 
Andeutung als Erfülung ber Maleachi'ſchen Verheißung 
bezeichnet wird, unb (don die vorläufige Ankündigung ders 
felben für die Juden eine harte Rede war und ale etwas 
ihnen völlig Bremdes und Unerhöries Viele im Glauben 
wanfend madte (Joh. 6, 67), daß man unter dem reinen 


618 Dieftel, 


Opfer Maleachi's nicht das fid) dachte, was und bie bei 
lige Euchariſtie ift, obgleich eben biefe gemeint war, zwar 
nicht vom Propheten, wohl aber von bem durch ihn reden» 
den heiligen Geifte. Der Prophet fündete alfo wohl ein 
neues Opfer an, das an bie Stelle des alten treten würde, 
aber das Wefen defielben war ihm nicht, wenigftens nicht 
genau befannt, und wurde aud) 9tiemanben genau befannt, 
bis enbíid) feine Anfündigung in Erfüllung gieng; unb 
εὖ gilt von berfelben (omit die befannte petrinifhe Regel 
2 Petr. 1, 20f. Gr felbft hätte feine Weiſſagung nidt 
auslegen fónnen (— ἰδίας ἐπιλύσεως 8 γίνεται), wir abet 
fónnen es, nadbem fie fid) erjüllt hat und fortwährend 
fif erfüllt. 

In ben nachträglichen Bemerkungen wird noch bit 
erfte Abhandlung im erften Bande gegen einige Einwens 
dungen unb ſchiefe 9fuifaffungen in Schu genommen, 
melde im 3. Hefte der Fathol. Zeitſchrift, Münfter 1852, 
veröffentlicht wurden, und zwar, wie uns fcyeint, mit 
gutem Erfolge. 

Welte 


2. 


Der Segen 3acob/'o in Genef. XLIX hiſtoriſch erflärt 
don fubmig Dieſtel, Licentiaten und Privatbocenten der 
Theologie an ber Univerfltät zu Bonn. Braunfdhweig, 
G. A. Schwetſchte u. Sohn. 1853. Preis fl. 1. 20. f. 


Die Gauptatfiót des Hrn. Verf. geht dahin, das 
Zeitalter bed Gegend Jacob's zu befiimmen, welder von 
den neueren Gelehrten häufig nicht bloß jür unächt erflärt, 
fondern aud) in eine verpáltnigmáfig febr fpäte Zeit ver 


Der Segen Jacob's. 619 


legt voirb. Er bemerft daher, daß er flreng genommen 
feiner Schrift den Titel: „Entftehungszeit des Segen 
Jacob's“ hätte geben follen, und nur aus rein ſprachlichen 
Gründen den jegigen etwas ungenaueren gewählt habe. 
Zuerſt beſchaͤftigt fi Hr. D. mit „Vorfragen“ 
über das Haus Jacobs, über die Zwoͤlfzahl feiner Söhne, 
über bie Situation, in der er ben Segen gefprodhen haben 
fol, über bie Behältlichfeit unb den Eingang des Segens. 
In erfterer Hinfiht widerlegt er bie ſchon ältere und bes 
fonders wieder burd) Ewald ver(odtene Anfiht, daß Jacob 
und feine Söhne nie als eingelne Individuen eriftirt haben, 
fonbern nur als Namen von Stämmen, und zeigt nament« 
lid), daß gerade bie Hauptfielle, bie dafür zu fprechen 
ſcheint, indem fie Stämme Iſraels Oy? ww 49, 
28) erwähnt, gegen bie Saffung ber Jacobsſoͤhne ald Sn« 
dividuen nicht bemeifenb fei, daß vielmehr im Segen Jacob's 
feine Söhne gleichzeitig als Individuen und als Vertreter 
von Stämmen erídeinen. In Betreff der Zwoͤlfzahl ftellt 
Hr. D. die nidt unmabrídeinlibe Vermuthung auf, daß 
Jacob wohl mehr ald 12 Söhne gehabt, aber wegen 
einer gewiffen Beveutfamfeit der Zwoͤlfzahl nur bie 12 „Erſt⸗ 
geborenen zu Häuptern und Führern ber Nachkommenſchaft 
ermwählt“ habe. Die Behauptung, daß e& unerflärlih 
fei, wie der 147jährige Greis, ber fury vorher völlig ent« 
fráitet auf feinem Lager ruht und fofort nah dem Segen 
verſcheidet, diefen hohen Auffhwung fönne genommen haben, 
wird mit ganz treffenden Bemerkungen widerlegt. Die 
leichte Behaͤltlichkeit des Segens, zumal von Seite der 
Söhne Jacob's, Tieß fid) leicht nachweiſen gegenüber der 
Behauptung, daß es undenkbar fci, daß jener Segen ſich 
unverändert fortpflanzen konnte. Dagegen fcheint bie vers 


620 φιεβεῖ, 
fudte Nachweiſung, daß ber Anfang des Gegens, nim 
lid) 49, 1°, nicht von Jacob felbft gefproden, fondern nur 
vom Berfafier der Genefió ihm in den Mund gelegt fei, 
ihre nicht geringen Bedenklichkeiten zu haben, fo febr aud) 
Gründlichfeit und Umficht bei derfelben anzuerfennen fint. 
Hr. D. ſchließt diefe „Borfragen" mit den Worten: „Aus 
biefen Erörterungen, in denen wir die allgemeinen Gründe 
beleuchteten, welde man ber Aechtheit des Segens ent 
gegenftellt, ergiebt fid) fomit, bof biefelben nid tüdtig 
genug find, um die Auffaflung der Urfunde (ſcheint etwas 
iu fehlen) zu widerlegen. Hüten wir uns aber bieß Ex 
gebniß zu überfhägen. Denn ben lebten Hauptgrund, 
bie Unmöglichkeit oder bod: Suglofigfeit folder Eröffnungen 
unb Borherfagungen betreffend, haben wir bier nur nah 
feiner allgemeinen eite in'& Licht flellen dürfen: feine 
Haupifraft liegt aber im Einzelnen. Within werben wir 
gefteben müffen, im Ganjen nur febr wenig gewonnen 
zu haben; unb bie Frage, ob der Segen in Jacobs Zeit 
fällt, oder in eine fpätere, bleibt nod) immer offen“ (&. 28). 
Sofort beginnt die „Ipecielle Unterfuhung* der ein 
zelnen Ausiprüche Sacob'& über feine Söhne, um zu e 
mitteln, ob diefelben wirflih aus der Zeit Jacob's unb 
von Jacob [εἰδῇ herrühren fönnen, ober einer fräteren 
Zeit angehören müflen. Dabei wird haupt'ächlich auf bie 
neulid zu großer Geltung gefommene Anſicht, daß ber 
ftaglide Segen aus dem Ende der Stidbterperiobe ſtamme, 
Stüdfiót genommen, und fowohl bie von den Vertheidigern 
diefer Anfiht al& aud) bie vom andern gegen bie Aecht⸗ 
heit des Eegens vorgebrahten Gründe und Schwierig⸗ 
keiten in gebührendem Grade gewürdigt, nirgends etwa 
mur umgangen oder verdedt. Wir müffen'é uns indefien 


Der Segen Yacob’s. 621 


verſagen, dem Hrn. Verf. in bie Einzelnheiten zu folgen, 
und nur im Allgemeinen bemerfen, daß er bei jedem ein» 
zelnen Ausſpruche mit vieler Gründlichkeit zu zeigen fudit, 
baf berfelbe entweder aus der nachmoſaiſchen, oder aud) 
mur nachjacobitifhen Zeit gar nicht herrühren fónne, ober 
daß feine Entftehung zur Zeit Jacobs wenigftens viel 
wahrſcheinlicher fei, al zu jeder fpäteren. Am fürzeften 
ift bie Behandlung des Spruches über Benjamin ausger 
fallen und möge babet hier einen Pla erhalten als Feines 
Beilpiel von dem Verfahren des Hrn. SBerfafferé. Er 
fagt: „Der jüngfte der Brüder, der zweite Sohn ber Rahel, 
ſchließt mit kurzem Eprude das Lied „Benjamin — 
ein Wolf, ber zerreißt; am Morgen verzehrt 
er Beute unb am Abend theilt er Raub“. Es 
liegt darin, wie Bohlen nachweist, nichts Rachtheiliges, 
fondern ift nur Bezeichnung eines unermüblidyen Friegerifchen 
Charakters. — Es ift richtig, daß Benjamin in der fpás 
teren Geſchichte biefen Eharafter zeigt; Ehud und Saul 
find aus diefem Stamme; fein Kampf mit den übrigen 
Stämmen wegen ber. Frevelthat in Gibea (Sub. 20 f.) if 
befannt. — Allein eben bief, baf auf jene fpäteren Thaten 
feine Rüdfiht genommen ift, flößt febr gerechte SBebenfen 
ein, während bie große Allgemeinheit der Ausfage nirgend 
ein Argument für fpätere Abfaffung, für bie Unächtheit 
darbietet. Daß zu der Zeit des Spruches Jerufalem, das 
in feinem Gebiete lag, noch nidt geheiligt war, geftebt 
man ju; ebenfo daß audy der Stamm damals durch Saul 
feine Berühmtheit erlangt haben fonnte. Allein damit 
bfeiben wir nod) in ber Richterperiode. . Hier mußte nun 
nothwendig jene große für den Stamm hoͤchſt wichtige 
Kataftrophe (Sub. 20 f.) eine Erwähnung finden. JR bec 


en Siete, 


. Sprud) aus bem Ende der 9tijtergeit, fo mußte ja eben 
fie nod) in der frifheften Erinnerung fein; ein rügendes 
Wort fonnte nicht fehlen. So find wir höher hinauf zu 
sehen genöthigt, oder vielmehr und der Tradition zu beugen, 
da Gegengrünbe fehlen. Daß ſchon damals der Stamm 
eine gewiffe fühne Wildheit entwidelte, läßt fld) fehr wohl 
denfen, und diefe fonnte bie Zeit wohl nicht erbrüden, da 
der Stamm als der jüngfle Mühe gehabt haben wird, 
fib in Selbfifländigfeit unb Anfehen zu erhalten. Rur 
infofern fönnen wir fagen, bie Geſchichte zeige biefe Bes 
wahrung; von einer „Beftätigung” (Baumgarten) buch 
diefelbe fann nicht die Nede fein, da feine Prophezeiung 
vorliegt“ (&. 106 f.). 

Auf die fpecielle Unterfucung folgen nod drei „Schlußs 
fragen", in denen der Charakter des Liedes, fein bid 
terifher Werth und fein SBerpáltnig zum Gegen Mofis 
beſprochen werben. In Betreff des Charakters wird wieder⸗ 
holt hervorgehoben; daß ber Segen nicht Weiffagungen, 
fonbern Willenserflärungen enthalte, wohei εὖ aber haupts 
fählih auf die Eharafteriftif der einzelnen Söhne Jacobs 
abgefeben fei, In Betreff des dichterifchen Werthes wendet 
fi Hr. D. gegen die Beftreiter der Aechtheit, welde ber 
haupten, „dad Gedicht verrathe eine fehr vollendete Dich⸗ 
tungégabt", und daraus eine fräte Cntftebung folgern. 
Er bemerkt mit Recht: „Bon Kunft form fann bod wohl 
bier nicht die Rede fein; denn einjaer und unfünftleriider 
in formeller Beziehung kann wohl fein Lich fein. Der 
fib in jeder gehobenen Sprache vollends des Drientalen 
einftellende Parallclismus tritt gerade in unferem Liede 
febr wenig hervor“. Dann vergleicht er das Deboraskied 
mit dem Segen Jacobs unb lommt auf das Grgebnif: — 





Der Segen Jacob’s. 623 


„während das Deboralied einen viel complicirteren, feuris 
eren, gewandteren Geift verräth, während es felbft fünft- 
leriſche Formen durchſchimmern läßt — if der Gegen 
Jacobs ganz und gar Achte Naturpoefie, aber der ebelften 
Art". Beim Segen Moſe's fudt Hr. D. die Aechtheit 
der einzelnen Segensfprüche nachzuweiſen, was ihm meiſtens 
febr gut gelingt und einen neuen Grund für die Aechtheit 
des Segens Jacob’8 abgibt, fofern diefer anerfannter 
Maaßen älter ift al ber Segen Mofe’s. Diefer ift übrir 
gens nad Hr. D. burd) eine fremde Hand gegangen, 
wofür allerdings die Einleitung, namentlih 38. 4., und 
das wiederholte MON fpricht, ift aber außerdem nod) theils 
burd) Weglaffungen theild durch Einfhiebfel mehrfach ente 
felt worden. In Betreff der lehteren fheint und jebod) 
Hr. D. mitunter viel zu weit zu gehen, namentlid) beim 
Segen über Joſeph; biefer würbe nad) der von ihm ges 
machten Ausſcheidung fogar mit J nad) TON beginnen, 
was an fid) unpaffenb unb neben ben andern Segensſpruͤchen 
analogiemibrig wäre. Uebrigens if feine Schrift jeden» 
falls, wenn ihm aud) nicht in allen Einzelnheiten 6eiges 
fimmt werden fann, ein febr beadhtenswerther Beitrag 
zur Beweisführung für bie Aechtheit des Pentateuchs, 
obwohl er diefe felbft nicht anzuerfennen ſcheint (S. 27), 
fojetn die Einwendungen gegen ben Gegen Jacobs meiftend 
von der Art find, daß fie aud) diefe Aechtheit ausfchließen 
würden. 
Welte 


634 Strauss, 
3. 


Nahumi de Nino vaticinium ezplicaeit ex Assyriis mo- 
numentis illustravit Otto Strauss. A. MDCCCLIII. Prostat. 
Berolini apud Wilhelmum Hertz libr, Besser. Londini spud 
Williams et Norgste. Preis 2 fl. 42 fr. 


Die Prolegomena handeln in 3 Kapiteln 1) von der 
Berfon 9tagume, 2) von den jübifchen und aſſyriſchen Zus 
fänden, auf bie fid feine Weiffagung bezieht und 3) von 
Diefer Weiffagung ſelbſi. 

Ob der Name des Propheten (ΟἿΠ) getröftet [Sxófter]) 
eine Beziehung auf das propbetifde Amt und insbefondere 
auf die Untergangsbrohung gegen Rinive ausprüde, fofern 
tiefe für Iſrael troftreid) war, läßt Hr. Str. mit Recht 
dahin geftellt, da ja Eigennamen von DM) gebildet öfters 
ohne dergleichen Nebenbegiehung vorkommen, wie 2 Kön. 
15, 17. 25, 23. 1 Ehron. 4, 19. Reh. 7, 7. 3n Betreff 
ber Heimath der Propheten, bie burd) das "wobwa ber 
Ueberſchrift “angegeben ift, entfcheidet fif) Hr. Str. mit 
guten Gründen für bie Anſicht derjenigen, bie ben Dit 
Elkoſch in Palaͤſtina fuhen, und widerlegt diejenigen, die 
dabei an das aſſyriſche Gifoíd im der Nähe von Moful 
. benfen. In der That wird das aſſyriſche Elkoſch [don 
viel zu fpät erwähnt (erſt gegen bie Mitte des 16. Jahrh.), 
als daß εὖ bei ber Frage nad) der Heimath Nahums in 
Betracht kommen fónnte, während bie alten Zeugnifle ohne 
Ausnahme einen paläftinenfifhen Ort als foldye bezeichnen, 
und aud im ganzen Buche Nahums der Verfaffer nicht 
als ein in Afiyrien, fondern al ein in Paläflina lebender 
Seéraelit erjdeint. Als Adfaffungszeit betrachtet Hr. Str. 





Nahumi de Nino vaticinium. 625 


bie Zeit der babyloniſchen Gefangenfdjaft Manaffe's, und 
faßt bie Stelle 3, 8---10., bie von der Serftórung Thebens 
in Oberägypten rebet, unb bie von Manchen zur Beftims 
mung der Abfafjungsgeit benügt wird, als Vorherſagung 
einer zufünftigen, nicht aber al8 Berüdfichtigung einer 
vergangenen Thatfahe, fo daß fie zu jener Beflimmung 
unbrauchbar wird. Die Gründe, bie er dafür vorbringt, 
find allerdings fehr ber Beachtung werth; aber bie Aufr 
faffung von 3, 8—10 als Vorherfagung fcheint- bod) nicht 
ohne Bedenken zu fein. Denn wenn wir aud) die Präs 
terita, was übrigens in biefem Zufammenhang einige 
Ueberwindung foftet, namentlich bei non einfach als pro⸗ 
phetiſche faſſen, ſo ſcheint immer noch der Sinn nicht recht 
paſſen zu wollen. Der Prophet will nach Hrn. Str's. 
eigener Auslegung das Vertrauen der Aſſyrier auf die 
Feſtigkeit ihrer Hauptſtadt und ihre große Kriegsmacht 
durch Hinweifung auf ein factum erfhüttern, das eben 
fo unglaublih ober nod) unglaublicher erfcheinen fonnte, 
als Ninive's Untergang. Nun (dint aber eine folde 
Hinweifung nur zwedvienlih zu fein, wenn es fid) um ein 
befanntes vergangenes (actum. handelt; denn ein ger 
weiſſagtes zufünftiges war nicht geeignet, dem Propheten 
Glauben zu verſchaffen bei ſolchen, bie nicht an feine Worte 
zu glauben geneigt waren. Wollte er ihre Behauptung, 
daß Ninive's Zerfiörung unmóglid und unglaublich fei,. 
durch Thatſachen widerlegen, fo mußten e$ vergangene 
Thatſachen fein, wenn fie Beweiskraft haben follten, weil 
die BVorherfagung zufünftiger von ihnen eben fo wenig 
geglaubt morben wäre, al6 bie Vorherfagung von Riniv 
ve's Zerſtoͤrung. 
Im 2. Kap. wird zuvoͤrderſt die Lage der Juden 


626 Strauss, 


während ber Gefangenfdjaft SRanaff'8 unb fury vor und 
nad) derfelben geſchildert, hauptſaͤchlich nad) Maaßgabe bet 
biftorifhen Bücher des A. T., dabei aud) einzelne unrichs 
tige Anſichten abgemiefen, 3. B. daß die Gefangenfchaft 
Manaſſe's erbichtet fei, ober daß feine baldige Befreiung 
in einem Wechſel der herrſchenden Partheien ihren Grund 
gehabt haben möge x. Darauf wird ziemlih ausführlich 
von ben affyrifchen Zuftänden in jener Zeit gehandelt, vom 
Charakter des aſſyriſchen Reiches und feiner Beherrfcher, 
von feiner wachſenden Größe und Ausdehnung, feinem 
wngegügelten Streben nad) Weltherrfhaft unb befonberé 
feinem Berhäftniffe zum jübifhen Volke. “Hr. Str. benügt 
dabei forgfältig bie neueren Entvedungen, wobei freilid) 
su wuͤnſchen wäre, daß bie Entzifferung der Infhriften 
weiter gebiefen und ihr Ergebniß ein fichereres fein möchte, 
ale es bermalen nod) der Fall if. Sene Entzifferung hat 
πάπι ὦ eigenthuͤmliche und große Schwierigkeiten: — nam 
secundum vv. dd. sententiam cunealorum titulorum expli- 
catio gravissima difficultate premitur ea, quod non solum 
lidem soni variis signis exprimuntur, verum etiam eaedem 
figurae, ubi diversis modis cum aliis conjunciae et com- 
positae exhibentur, longe diversos notare sonitus putantur, 
sicuti omnino Assyrii in inscribendis cuneis satis arbi- 
lrarie versali esse existimantur; accedit ingens signorum 
multiludo, quam supra diximus; neo grammatices satis 
firmas ratasque adhuc regulas investigaverunt. Unde re- 
pelendum est, quod regum eliam nomina vel ejusdem 
systematis patroni satis diversis modis legerint; veluti 
palatii Khorsabadici conditorem Rawlins. antea docebat 
appellari Arkot-sin, postea Sargina, quem eundem eliam 
, Saimensssarem nominari contendit, de Sawcly autem Sardon 


Nahumi de Nino vaticinium. 621 
vel Assarbaddonem, Grotefend. Nabopolassarum, ne di- 
cam Lussato interpretari Kyniladanum; porro rex ille, 
qui celeberrimam statuam Nimrudensem inscripsit, a Ratolins. 
ferebatur appellari Temen-bar; cui nuperrime praetulit 
nomen Divanubara, a Grotef. autem legitur Sbalmaneser; 
οἱ Israelitarum, ut videlur, principem, qui dona regi Assy- 
riorum afferens imaginibus ibi expressis inducitur, Rawlins. 
simul et Hinks. afürmant esse Jahua, filium Khumriya, 
Grotef. autem. Juah, filium Ubri (2 Reg. XVIII, 18 ss.). 
Im 8. Kap. wird juerft ber Inhalt fpeciell angegeben, 
bann de indole vaticinii und de eventu vaticinii gehandelt, 
unb enblih nod) ein interpretum conspectus beigefügt. 
Hr. Str. hält ben Inhalt des Buches mit Recht für eine 
einzige unb vollſtaͤndige prophetiihe Rede, die in 3 Ab⸗ 
ſchnitte jerfalle, welche durch die Kapitelabtheilung richtig 
angegeben feien, und befeitigt Ewald's Anfiht, wonach 
das ganze aus adt Abſchnitten von je fünf SBerfen ber 
fteben fol. In Betreff des Styles ſtimmt er mit Lowth 
überein, welcher fagt: ex omnibus minoribus prophelis 
nemo videlur aequare sublimitatem, ardorem, et audaces 
spiritus Nahumi. Die Gríüllung der Weiffagung findet er 
in der Serjtórung Ninive's burd) Eyararcs, worüber aud) 
nicht wohl ein Zweifel entftehen Tann, und in Betreff ber 
Zeit derfelben ſchließt er fid) der bereitß ziemlich herrſchend 
gewordenen Anſicht an, für bie aud) überwiegende Gründe 
fprechen, daß fie in’8 Jahr 606 v. Ehr. falle. Beim inter- 
prelum conspectus ijt εὖ nicht auf Vollitändigfeit abge» 
fehen; Hr. Str. nennt nur bie bebeutenberen Ueberfegungen 
und Gommentare, bie ibm zu Gebote flunben, und giebt 
über einige beríelben ein kurzes Urtheil ab. 
Die Erklärung felbft if meiſtens fehr eingänglid. 


628 Strauss, 


Gleich das erfte Wort (wii) erhält eine ſechs Seiten 
füülenbe Erflärung. Hr. Str. bringt darauf, baf nn 
immer nur Laft bedeute, und bie Bedeutung Ausſpruch 
gar nicht Haben fönne, weil Niy3 nie in der Bedeutung 
ausſprechen (pronuntiare) vorfomme. Allein sp wp dt 
3 8. Richt. 9, 7 und Jeſ. 24, 14 bod) offenbar nicht ein 
unarticulirtes Schreien, fonbern ein Erheben der Stimme 
welches zugleih ein Ausfprehen von Worten ift, unb 
daher ber Ausprud als etwas unbeftimmte Bezeichnung 
für Ießteres gebraucht. Aehnliches gilt von bem Ausdruck 
buo wig) Stum. 23, 7., indem Mig) nur das Ausfprechen 
der Worte bes oes bezeichnen fann; bie tleberfegung 
„anheben“ ift feineswegs genau (optime), und vorauds 
geſeht fogar, fie fei es, fo fann dabei bod) nur wieder an 
ein Ausfprehen von Worten gedacht fein, weil ohne fols 
ches feine Rede anhebt. Auch Np'3 ohne un fann 3. Ὁ. 
Syef. 42, 2. nicht ein unarticulirtes Schreien bezeichnen, 
fondern nur ein lautes wungeftümeó Reden, etwa mit 
fhreiender Stimme, alfo wieder ein Ausfpredhen von 
Worten. Demgemaͤß muß aud das Subſt. ΝΨῸ nothr 
wendig bie Bedeutung Auoſpruch wenigftens haben fónnen. 
Daß εὖ aber wirflid) in berfelben gebraucht worden fei, 
erhellt aus Jef. 21, 11., wo das Folgende nicht als Laft 
oder Unglüdsdrohung erſcheint, und aus Spruͤchw. 31, 1., 
too bie Belehrungen und Gittenregefn, welche pie Mutter 
dem Sohne erteilt, ebenfalls nicht ala eine aft erfcheinen. 
Endlich wird fid) nicht laͤugnen lafjen, daß Ni überall, 
wo es von prophetifhen Reden vorkommt, in ber Bedeu⸗ 
tung Ausfprud (etwa mit ſchlimmem Nebenbegriff) einen 
paflenden Sinn giebt, unb von auégeíprodjenen oder au&« 


Nehumi de Nino vaticinium. 629 


zuſprechenden Worten jebenfallé, wenn aud) nur im bild⸗ 
lien Sinne gebraudjt iſt. Gegen bie Beſtreiter ber Aecht⸗ 
beit der Ueberſchrift bemerft Hr. Str. mit Recht: Jam 
vero primam tituli partem spuriam esse Eichhornius, 
Berthold, Ew. contenderunt, ideo praesertim quod prima 
verba cum sequentibus nullo modo cohaereant. At vero 
quaenam polest manifestior esse necessitudo, quam quae 
inlercedit inter argumentum libri et auctorem? Accedit, 
quod nisi mentio omnino in titulo facta Nini esset, usque 
ad II, 9 nec universa oratio, nec suffixum illud opo 
1, 8 quo tandem pertineret divinari posset. — Grimmius 
contra defendit primam parliculam e consuetudine vatum, 
tale quid inscribendi oraculis, alteram destituit; at si quae 
est propheterum in hoc genere ratio, ea est, ut suum 
praefigant nomen tenquam divini spiritus instrumentorum, 
ne omne visum stare quodammodo in lubrico videretur. — 
Große Sorgfalt wird auf bie ſprachliche Seite des Buches 
verwendet, ohne daß jebod) darüber die fachliche vernach⸗ 
láfigt würde. Die Vorgänger find fleißig benügt und 
abweichende Auslegungen fo weit fie der Berüdfihtigung 
werth waren, gebührend in Betracht gegogen worden. Die 
fhöne Stelle 1, 3b 4. B. wird fo erflärt: Dominus — 
in turbine et procella via ejus, et nubes pulois pedum 
ejus. MD\D a. τ. MD rapere, auferre, turbinem omnia 
secum rapientem significat. LXX Arab. ἐν συντελείᾳ, in 
excidio, nescio an MiD legerint pro MD, = yp + nt 
Job IX, 17, "yv Jes. XXVIII, 2, aliis fere locis *yO 
Am. 1, 14, mayo Jes. XXIX, 6, n2y9 2 Reg. Il, 1, pro- 
cella est; LXX minus: iterum accurate ἐν συσσείσμῳ (vel 
σείσμῳ cod. Alex.), sequente Arab. in terrae motu.  Utra- 
que vox sic legitur Ps. LXXXIII, 16; Jes. XXIX, 6. 1397 
Kpesl. Ouartalfärift. 1858. IV. Heft. 42 





630 Strauss, Nahumi de Nino vaticinium, 


Hits. sein Wegmachen, inf. Pi., at nullum hujus verbi in 
coni. Piel'usitati extat exemplum; viam pro ratione et 
modo agendi dictam metaphorice, bene notat Vatablw. 
Saepissime autem hac similitudine vehementia pingitur 
poenarum et calamitatum, cfr. Job IX, 17; Jes. LXVI, 15; 
Jer. XXXII, 22; XLIX, 36; Ez. 1, 4; Ps. L, 3; Job X, 
17 (lebtere Stelle wohl nur aus Verſehen wiederholt). — 
yon P2y 139), atras nubes excitat incedendo. Nube is- 
volutus deus in montem Sinai descendit Exod. XIX, 16. 18; 
legem promulgavit bpm ty vie no, in nube vic- 
torem praeibet populi exercitum, habilabat super δὼ 
foederis; nubes omnino comitantur deum ad judicium ve- 
nientem et filium ejus Jes. XIX, 2; Ps. XCVH, 2; CIV, 3; 
Dan. VII, 14; involvumt nubes laetum solis aspectum, ei 
fulgura in se tonitruaque gerunt, quibus pereelluntur mele- 
fici Ps. XVIII, v. 10. 12 s5.; similitadinem ergo praebent 
atrocium Domini judiciorum Joel Il, 2 bon py EN, | 
Zeph. I, 15; Ezech. XXXIV, 2. Quae cum tam aperi 
sit imaginis ratio, nullo modo cum Kreenenio all meü- 
phoram a duce bellico repetemus, agmina in aciem edu- 
cente, quo insuper omnis exemplorum similium megligitur 
analogia. Einer SBemerfung wäre etwa nod) werth geweſen, 
warum das Gewölt gerade „Staub feiner Füße“ genannt 
werde, was babei für eine Vorſtellung oder Vergleichung 
zu Grunde liege. 

Was übrigens biefer Erflärung Nahums zu befon 
berer Empfehlung gereicht, ift bie forgfüttige Rüdfichmahm: 
auf bie alte aſſyriſche Geſchichte, ſoweit fie durch bie neuefm 
Entvedungen aufgehellt worben if. 


Welte 


Sir, Deutſchland im ber Revolutioneperiode. 634 
4 


Beutfchland in der Nevolutions- Periode von 1522 bis 
1526, aus den diplomatifgen Gorrefpondenzen und Origis 
nal-Akten baperifcher Archive dargeftellt von Iof. Edmund 

- Jörg. Breiburg im Breisgau, Gerberfde Verlagshand⸗ 
Tung. 1851. XI. 746 €. gr. 80, Preis 4 fl. 


Seit bie hiſtoriſchen Studien, nachdem die längere 
Zeit in bem Bordergrunde befindlichen ſchoͤnwiſſenſchaftlichen 
und pbifofepbi[den Befteebungen zurüdgetteten, in Deutſch⸗ 
land woiebe in Aufnahme famen und befonders das 16. 
Jahrhundert ein Gegenſtand vielfeitiger, zum Theil (et 
grünbtider umb eindringlicher Forſchungen wurde, ift bie 
lange beinahe vergeffene Wahrheit wieber zum Bewußtfein 
getommen, daß bie fog. Reformation ein kirchlich⸗politiſcher 
Vroeeß war, mithin aus mehreren Gründen, zum Theil 
mit Gewalt zum Stoden gebracht wurde, ehe es ibm 
möglich wurde, fein Brimcip vollfommen auszumirken. 
Ganz hefondere aber waren bie revolutionären Bewegun- 
gen der letzwerfloſſenen Jahre geeignet, ben Blid in die 
Vergangenheit unſeres Volkes zu (dürfen und aus ber 
Wahrnehmung, daß bier wie in den erfien Decennien des 
16. Sabrbunbrrté auffallenb ähnliche Erſcheinungen hervor⸗ 
traten, den Schluß, daß gemeinfame Urſachen werben zu 
Grunde gelegen haben, zithen zu laflen. IA ed ja bod) 
eine unbefrittene Thatſache, baf bie Geſchichte, biefe 
„Lehrcmeifterin des Lebens“, wie aus ber Bergangenheit 
Die Segenwart, fo aus biefer die Vergangenheit begreifen 
lebrt, zum Beweife, wie innig in bem Gebiete der Menſch⸗ 
heit, deren Weſen in der Gedichte ſich aufſchließt, Ge⸗ 
femáfigfeit mit Freiheit pevbunbeu fei, t 

42* 


632 Jörg, 


Aus diefem Grunde ift aud) anzunehmen, daß eine 
abermalige Bearbeitung eines der unfrigen Zeit fo nahe 
verwandten Abſchnittes ber deutfchen Gefchichte neue Rer 
fultate liefern, reiche Lehren für Gegenwart und Zukunft 
ju Tage fördern werde. Daher ift aud) die Mittheilung 
von Quellen und Actenftüden, welche uns tiefer in bit 
Geſchichte jener Zeit einführen, von großem Werthe. Be 
fonder& gilt biefe& von dem vorliegenden Werke, welches, 
das Refultat mühevoller ardivalifher Studien, einen fo 
reihen Inhalt barbietet, daß es von feinem fünftigen 
Geſchichtſchreiber des 16. Jahrhunderts bei Seite gelegt 
werben fann. Gewiß wird e6 ben efern der Quartalſchrift 
von Snterefje fein, wenn wir biefelben mit dem Inhalte 
biefer Schrift infoweit vertraut madjen, als nothiwendig 
ift, um fie in den Stand fegen, zwifchen Sept und Das. 
mals fruchtbare Betrachtungen und Bergleihungen für 
fib anzuſtellen. 

Die von Hrn. Joͤr g nad) Urkunden bargeftellte Re 
volutionsperiode von 1522 bis 1526 wird gewöhnlid 
der große SBauernfrieg genannt, aber, wie der Hr. Bers 
faffer bemerft, mit Unrecht, ba die Bauern als folde 
und abgefeben von ihren fonftigen Qualitäten fid) zu dies 
fem Kriege nicht anders verhielten, denn wie bie Schafe 
zu bem Fluſſe, in melden der Wolf fie gejagt: weßhalb 
bie gewaltige revolutionäre Bewegung des 3. 1522 mit 
fug und Recht beftimmt werden follte: „als ber erfe 
Losobruch der Umfturzpartei in Deutſchland mit ihrer zu 
allen Zeiten gleiche Leibwache: als bie erfte große Schild⸗ 
erhebung des Radicalismus auf deutfchem Boden in feiner 
boppelten Beziehung auf Kirche und Staat, vermöge beren 
er vine politifhe Revolution nicht veranlaflen: kann, 





Deutſchl and In der Mevolutionsperiobe. 633 


ohne zugleich, oder vielmehr vorher, eine religiöfe zu 
maden" (©. 1). ᾿ 

Mit Recht beginnt Hr. Joͤrg feine Darftelung mit 
einer Charakteriſtik des Regiments im Reiche, gegen wel« 
(có bamalé die radicale Partei mit Waffengewalt ans 
ftürmte, fowie mit einer Echilderung der damaligen Zus 
fände, welche eine fo gewaltjame Bewegung hervorriefen 
und móglid) machten. Wie überall, giengen bie demo⸗ 
kratiſchen Beftrebungen von ben oberen Regionen aus und 
theilten fid bann den unteren Schichten der Geſellſchaft 
"mit. Allgemein war das Streben nad) einer einheitlichen 
SBerfaffung in Deutſchland unb nad) einem taburd bes 
bingten georbneten Rechtszuſtande; aber auf welche Weife 
diefe Einheit herzuftellen fei, über bieje wichtige Frage 
giengen damals wie heute bie Anfihten unb Wünfche weit 
auseinander; jeder Stand fuchte dabei feine felbftfüchtigen 
Abſichten in's Werk zu fegen: einer Anzahl divergivender, 
wenn aud) an und für fid) nod) fo tüchtiger Kräfte, ift 
es nod  niemaló gelungen, ein gemeinfameó Refultat zu 
erreihen. So fam εὖ, daß die verídiebenen Reforms 
pläne, welde feit ben legten Decennien des 15. Jahrh. 
bis zur Kaiferwahl Karls V. auftauchten, nicht zur Aus⸗ 
führung famen. — Die Gentratregierung bilvete das 
Reichsregiment zu Nürnberg, welches fij) jedoch nicht in 
die Lage verſehen fonnte, (id) gegenüber den Reichsſtaͤnden 
Geltung zu verihaffen. Als es mit bem Vorſchlage eines 
Reichsgrenzzolls zur Dedung der Koften der Erecutinger 
walt hervortrat, fprad) man [don von welídem Gehor⸗ 
fam, ben der Kaifer bei den Deutfhen einführen wolle. 
Mebrigens war aud) das Benehmen der Mehrzahl biefer 
Reichsregenten nicht der Art, daß fie fid) bei der Nation 


634 Borg, 


Achtung verfhaffen konnten, ba fle für bie kirchliche und 
politifche Neuerung Partei ergriffen und das pet Kurzem 
zu Worms von den Reihöftänden verdammte Lutherthum 
von Regimentswegen vertheidigten und fhügten (&. 17 f). 
Unter foldjen Umftänden war der ſchwaͤbiſche Bund far 
die einzige Macht im ſuͤdweſtlichen Deutſchland, von wel 
her die Aufrehthaltung von Recht und Ordnung zu eis 
warten war. 

. Den Primat über biefen im 3. 1488 zuerſt unter 
ben. 9teibéftábten und der Ritterfhaft Schwabeno ge 
füfteten Verein vie Bayern an fid. Aber in bem Maße, 
als ber Bund durch den Beitritt von weltlichen Fuͤrſten 
fid) verftärkte, loderte fid) ba& innere Band, da die Städte 
in ihrem alten Argwohne gegen bie Fürften immer mehr 
beftärft wurben, beſonders nod) burd) das Benehmen de6 
Marfgrafen Kaflmir von Brandenburg und des Herzogs 
Ulrich von Würtemberg, welch' Letzterer die Bundesſtadt 
Reutlingen mitten im Frieden überfiel und zu einer τοῦτ 
tembergifhen Landftadt machte. — Bekannt ift, daß ger 
rade damals der fhmwäbiiche Bund ben genannten Herzog 
unter Anführung von beffen Schwager, bem Herzoge 
Wilhelm von Bayern aus feinem Lande verjagte und 
Würtemberg einftweilen für Bezahlung der Kriegskoſten, 
freilid) unter Bedingungen, mit welchen die bayerifchen Her 
doge burdjaué nicht zuirieden waren, an Deftreid) uͤberließ. 
(S. 31 ff.) — Eine große Rolle fpielte unter den damaligen 
Verhaͤltniſſen ble niedere Reihsariftofratie, deren Lage ©. 
44—52 grídilbert wird. Der niedere Adel hatte burd) 
die Einführung der Feuerwaffen und bie fieburd) bemirfte 
limgeftaltung des Kriegsweſens feine frühere Bedeutung 
und die Hauptquelle feincé Unterhaltes verloren. Auf bet 


Deutſchland in der Revolutionsperiode. 635 


anderen Seite ftellte er dem Etreben der Fuͤrſten nad 
Entwidiung der Territorialhoheit große Hinverniffe ente 
gegen, auf deren Hinwegräumung biefe fannen. Diefe 
Umflände, verbunden mit den daraus entſtehenden mannige 
faltigen Pladereien unb Verlegenheiten erzeugten in. dem 
größten Theile der Reichsritterſchaft, mit. welder der von 
ben Fürften immer mehr níebergebrüdte landjäßige Adel 
zum Theile gleiches Loos theilte, große Unzufriedenheit. 
Ihr Ziel gieng naturgemäß dahin, bie Uebermadht der 
fürftlihen Macht zu breden und Eine gleichberechtigte 
ariflofratiihe Ordnung im Reihe zwiſchen dem Kaifer 
und ber großen Mafle des Volkes aufzuftellen. Aber 
welche Mittel follten zu biefem Zwecke gewählt werden ? 
SBelannt ift bie große Ritterverfhpwörung, an deren Spige 
Uri von Hutten und Franz von Gidingen fanden. 
(S. 52—65.) Ale bie gährenden Elemente der Zeit 
wurden in ihren Plan hereingegogen: der gegen ben Scho⸗ 
laſticismus fid) erhebende Humanismus, bie von Luther 
engeregte Firchliche Steuerung, die Unzufriedenheit vieler 
Batrioten über die aus ihren Fugen weichende politiſche 
Ordnung des Reiches. Während Hutten mit feinen Beſtre⸗ 
bungen fid) ebenjo fehr an die Maffen wendete, feßte Sickin⸗ 
gen feine Hoffnungen vorzüglich auf die hoͤchſten Regionen; 
aud) war er [eft überzeugt, daß ber junge Kaifer fi an 
bie Spige ber Adelsverſchwoͤrung ftellen ober biefelbe wer 
nigftens gutheißen würde. (S. 65 f) In ber That 
glaubten aud) die drei Churfürften, gegen melde &idingen 
den Schild erhob, daß ber Kaifer in beffen Plan einges 
weiht ſei. Weniger ald Karl V. gelang εὖ übrigens bem 
Nürnberger ^ Reihsregiment, fij von ber Mitſchuld an 
feinem Unternehmen weiß zu wachen. (€. 60 fi) „Das 


636 À rg, 


Reichsregiment hatte fib eventuell das Tobesurtheil ge« 
fprodyen; mit ber Niederlage der revolutionären Parteien, 
durd deren Unterftügung es factifh nod) fortbeftand, 
mußte es felbft zu Grunde gehen. Auffallend ift die Stelr 
lung, in welde dabei Erzherzog Ferdinand als Faiferliher 
Statthalter gerathen war. Denn daß bie Regiments 
Majorität, {εἰδῇ größtentheild aus rittermäßigen Rechts⸗ 
gelehrten beftchend, nicht dabei fteben blieb, bem Gidin 
gen’ihen Unternehmen den beften Fortgang zu woüníden, 
fann nit verwundern. Als Mitglieder des Adels trugen 
fie gleichen Groll gegen bie Willführ fürftliher Uebermacht, 
wie ihre mit Schwert und Lanze Broderwerb treibenden 
Standesgenoffen, als ftunbige des römifhen Rechts fühlten 
fie bereits jene Uniformirfucht, die fid) mehr und mehr zur 
fpäteren Schreibſtuben ^ Tyrannei auswuchs, als Reihe 
tegenten war ihnen die Demüthigung ber von ben Mäds 
tigen behaupteten Selbftherrlichfeit Lebensfrage, als er 
Härte Befchüger des Lutherthums brauchten fie den Boden 
der Revolution nicht erft zu betreten, fondern nur uns 
verzagt auf demfelben voranzufhreiten. Die Erklärung 
der Acht über Sidingen follte, wie e& fheint, nur feiner 
Partei zu Nutz und Frommen das Reichsregiment für 
alle Fälle am Leben erhalten und nadjbem man dadurch 
unb burd) bie vorauégegegangenen fdjeinbar feindfeligen 
Acte ben Rüdzug gefidert glaubte, war bald eine Ber 
enlaffung gefunden, fid) ben drei Kriegsfürkten hindernd 
in den Weg zu legen, welche ohne Hülfe des Regiments 
den erften Angriff des Gcächteten vereitelt hatten, unb nun 
aud) ohne Rüdfiht auf die unthätig in Nürnberg fipenbe 
Eentralregierung ihren Vortheil verfolgen zu müffen glaub» 
ten. Wenn bie Majorität ver Reichsregenten auf ſo weiten 


Deutſchland In der Revolutionäperiobe. 637 


Umwegen zum Ziele firebte, fo fheint der Grund haupts 
faͤchlich in ber noch fortbauernben Anwefenheit des Pialz⸗ 
grafen Friedrich, als ftelvertretenden Statthalter gelegen 
zu haben; ber junge, energifhe und thatenfräftige Fer⸗ 
binanb war entweber felbft wirklich (weſſen man ben Kaifer 
verpächtigte) den Planen der Reichsritterſchaft geneigt, 
oder er wurde von ben Regimentsräthen getäufht und 
als Werkzeug gebraucht“ ((6. 72 f.). Beſonders ſchaͤdlich 
wirfte auf Berdinands beutíde Politik nad Hrn. Joͤrgs 
Darftellung ber verdorbene „Markgraf Kafimir von Brans 
benburg ein" (€. 76 ff), welcher mit bem tollkoͤpfiſchen 
Ulrich von Würtemberg das fuͤrſtliche Proletariat jener 
Zeit bildete und mit Johann von Schwarzenberg, dem eifrig 
lutheriſch gefinnten Haupte der Reichisregiments-Majorität, 
in ber innigften Verbindung lebte (6. 80 f.). Da bie 
Tingufriebenbeit gegen die revolutionärgefinnte Mehrheit 
des‘ Steibéregimenté zunahm, fo wurde baffelbe im 3. 
1524 purificitt und aus dem aufgeregten Nürnberg nad) 
Glingen verlegt (€. 83 ἢ). Doch fam es, da bie zu 
feiner Unterhaltung beftimmten Gelber von allen Seiten 
ſchlecht eingiengen, nod) in bemfelben Jahre feiner Aufs 
loͤſung nahe. Zu einer politifchen Bedeutung gelangte es 
ohnehin nidt mehr. — Geiährlih war ber im 3. 1524 
geiaßte Beſchluß der Reihöftände über den Gegenftanb: 
wie es hinſichtlich ber religiófen Frage inzwiſchen gehalten 
werden fole? Dem Faiferlihen Gefandten felbft fam 
diefer Beſchluß ganz unverfänglid vor; er ermahnte ben 
Kaifer, darauf zu finnen, wie er von feiner Seite tüchtige 
Leute und befonders einen den neuen Lehren gewachienen 
Theologen nad) Speier fende — ein ſchlagender Beweis, 
mit welcher Arg- und Harmlofigfeit bie Eatholifche Partei 


829 - Ing, 


von folhen in ihrer Tragweite gar nicht begriffenen revo» 
Intionären fünften der Gegner fid) hinreigen ließ. Aller⸗ 
dings war aud) ta Verfahren neu! Es follte nun durch 
parlamentariſche Majoritärs-Befchlüffe eine neue Religion 
für Deutſchland gemacht werden; der Gturz der Reiches 
verfafjung mit bem ber geiftlihen Sürften und bie allge 
meine Plünderung des Gute& ber deutſchen Kirche. — 
Diefe Erfolge wären den Babricanten ber deutſchen Rer 
ligion dann von felbft in den Schooß gefallen (©. 93). 
Der Legat Campeggi hatte daher den fatboliffen Fürſten 
vorgeftellt, daß diefe Sammlung von Volfsftimmen jum 
Aufruhr führen würde, und mit einigen berfelben en 
Eonvent zu Regensburg zur Aufrehthaltung der katho⸗ 
liſchen Religion gehalten. Auch ber ftaifer erließ von 
Spanien aus ein fharfes Schreiben zur Beſchuͤzung des 
alten Glaubens. 

Aber während in den höheren Kreifen der Weg des 
Parlamentirens nod) eingehalten wurde, fam in den unteren 
Schichten der Gefellihaft die Bewegung sum thatfädhlichen 
Ausbrude. In den Städten, welche das bemofrati(de 
Element des Reichslebens barftellten, herrſchte Zerflüftung 
und gegenfeitige Befeindung, wie in bem Bereiche bet 
hohen und niedern Reihsarikofratie. (6. 95—116 wird 
die intere Rage der deutſchen Reichsſtädte auf interefjante 
Weiſe geſchildert) Der Gegeníag zwiſchen „den Ehrbars 
keiten” oder dem Patriciate und den „Gemeinen“ rief 
mande Bitterkeit hervor. Dazu fam nod), baf bie Bes 
nachtheiligung der Städte von Seite der Meichöftände 
unter den dortigen Bevölferungen Unzufriedenheit erzeugte, 
fe taf man vielfach den Ruf vernehmen konnte: wenn 
die Gachen fo fortgehen, muͤſſen fe fij zu den Ginger 


Deutſchland In det Revolutlonsperlode. δὲν 


offen ſchlagen und Schweizet werden. „Das Jahr 1925 
πκάϊε ble Wunde auf, an bet die Städte ſiechten. Uchera# 
zeigte ſich derſelbe Zmielpalt zwiſchen den Gefdlebbtern 
and gemeinen Buͤrgern, bie fet unter einem gemeinſamen 
Banner, das alle Schattirungen rerolutionärer Elemmte 
in den Städten um fid verfammelt hatte, durch ganz 
Deutſchland ihren Obrigfeiten drohend, wenn nicht in 
offenem Aufruhr, gegenüber flanben. Denn unter ihnen 
hatten Huttens und Luthers Slugfdriften und die Brand» 
briefe ihrer Gopiften juerft nad) bem Reichsadel, auf den 
fie zuvörderft bered)net waren, fruchtbaren Boden gefuns 
ben; ihre Schlagwörter: „„Evangelium"* und „„deutſche 
Freiheit““ wurden freilich in ben Stäpten nicht in bem 
Sinne der Ritter verftanden, fie waren aber biegfam, 
damit jeder den Verftand hineinlege, der ihm behagte, 
und zugleich mit ihnen thaten fi Prediger in großer Zahl 
hervor, weld fie nad) bem Belieben der willigen Hörer 
erklärten. Das „„Evangelium"* ward bald das einzige 
Alles umfaflende Lofungswort; burd) daffelbe verlangten 
jegt die Bürger, wie früher bie Ritter, jeder für fih bie 
Abſchaffung feiner wirklichen oder vermeinten Beſchwerden, 
die Realificung feiner billigen oder unbilligen Wuͤnſche. 
Immer aber war die Auffaffung des „„Evangeliums“* 
von Seiten des Obrigfeiten weit verſchieden von bem 
Berkändniß, das bie Unterthanen fid) von demfelben ges 
bifoet hatten; darum ftanben „„Ehrbarfeiten"“, die fid 
feldſt des „„&vangeliums"* rühmten, ihren Gemeinden, 
vie aud) nur jür das „„Evangelium“" ſchwaͤrmten, nichts⸗ 
deſtoweniger feindlic entgegen, unb man hörte jene nicht 
felten dieſe verfihern: ba& Evangelium — das mollten 
fie ja an um jeden Preis! wozu alfo bem Hader um 


64 Borg 

daffelbe? Die Lage der fäptifchen Obrigfeiten war denn 
aud) fhon von bem erften Auftreten der neuen Lehre an 
eine um fo fchwierigere, als jedes Einſchreiten gegen res 
volutionäre Umtriebe ald ein Attentat gegen das „„Evans 
gelium^^ gebránbmarft wurde. Daß aber ihre oft wies 
derholten Verfiherungen von ber totalen Unmacht, in 
welder f fid biefem gegenüber befänden, bloße Bors 
wände geweſen feien, möchte um fo weniger angenommen 
werden dürfen, als das neue Reichsregiment ſelbſt der 
Meinung war, daß die „„Ehrbarkeiten““, aud) den beten 
Willen vorausgefegt, nit im Stande feien, dem einbres 
enden Uebel zu wehren" (S 98 f). Zur Begründung 
des fo eben Angeführten wird auf die Zuftände mehrerer 
Städte, wie Augsburg, Nördlingen, Regensburg, Gal 
burg u. f. w. näher eingegangen. Bertraten die Ehrbars 
keiten, um bie Termini ber neuften politifhen Sprade zu 
gebrauchen, das confervative, und bie Gemeinen bab 
liberale Element in den Staͤdten, fo bilvete fib neben 
diefen beiden ein drittes, das Proletariat heraus, welches 
entſchieden rabicafe und communiftifhe Tendenzen verfolgte 
(δ. 110 fi). Den Entftehungsgrund diefer gefährlichen 
Glaffe ber Städtebevölferung fuchte man vorzüglich in bem 
unchriſtlichen Wucher der großen Handelsgeſellſchaften, 
welche den Verſchluß der vielen ſchon damals zum Be⸗ 
duͤrfniß gewordenen Luxusartikel in ihrer Hand hatten 
(8. 116 ff.). Je nadtem nun in einer Stadt das liberale 
oder radicale Element übermog, erfolgte aud) mehr oder 
weniger rafd) ber Anfchluß an bie aufrührerifchen Bauern, 
wie ©. 119 ff. an vielen Beifpielen gezeigt wird. Im 
Bauernlager zu Ried bei Laupheim rednete man z. 9. 
„mit Zuverfiht auf ben δα ber Stadt Biberad; bie 


Deutſchland in der Revolutionsperiobe. 64 


Mehrheit aus der Gemeinde hatte ver(proden, che drei 
Tage vergiengen, die Herren in Biberach über bie Mauer 
zu werfen; und während es in der naͤchſten Umgebung 
des Sitzes der Bundesverfammlung fo ausfah, drohte bie 
radicale Partei aud) in Ulm felbft, wo den Bauern ihre 
Faͤhnlein gemalt unb gefertigt wurden, das Regiment 
vollends an fid) zu reißen" (S. 120). Wie in ben Jahr 
ten 1848 und 49 zeigten fij damals bie Weiber am 
entfchloffenften für ben Fortſchritt. „Wenn aud) bie τὰς 
dicalen Städter allenthalben, burd) bie Ausficht auf Plün- 
derung reicher Kirchen, Klöfter unb Schlöffer angelodt, 
mehr oder minder flarf ben Bauernhaufen zuzogen, fo 
blieben bod) bie Weiber als Befagung zurüd. Gerade 
fie aber machten das „„Evangelium“* am enfdfoffenften, 
vielfach fogar nid)t nur mitjber Zunge, fondern aud) mit 
Spießen und Helebarden „„gegen bie widerhaarigen Ehr⸗ 
barfeiten"" geltend, unb an ihnen befaßen bie rebellifchen 
Bauern ihre verläßigfien Verfechterinnen“ u. f. w. (S. 
124). Bon bem großen Revolutionsbrande blieb faft als 
fein in dem fünweftlihen Deutſchland verſchont bie Stadt 
Meberlingen, welde mit großer Entſchiedenheit und Tas 
pferfeit den Angriffen der Bauern widerftand. Zur An« 
erfennung ihres ausgezeichneten Benchmens vermehrte 
Karl V. im 3. 1528 das Stadtwappen der Ueberlinger, 
gab ihnen zu ihrem Adler den Schild mit dem goldenen 
und golbgefrónten, das bloße Schwert hoch ſchwingenden 
Löwen unb ben titterfidjen Helm, den zuvor feine Reiches 
ftabt außer Straßburg getragen“ (S. 130). Unter ſolchen 
Berhältniffen ift fid) nicht zu vermunbern, menn (wie ©. 
131 ἢ. nadgemiefen wird) der Urfprung ber Bauernres 
volution von ben Städten ausgieng, unb zwar hat bie 


e Sin, 


Stadt Forchheim (im Gebiete des Bifhofs von Bamberg) 
bie Ehre, in ber Revolution die Initiative ergriffen zu 
haben. Wie fonnte εὖ auch anders fein, ba in dieſer 
Stadt ein fo merfwürbiges Greigniß zu Gunflen ber 
Fircplich » politiihen Bewegung geſchah? As in Gerd» 
heim — fo wurde von Luther und andern Reformatoren 
berichtet — ein papiftiicher Piaffe es gewagt habe, in 
feiner Predigt bie evangelifche Lehre anzufechten, (ei er 
fofort vor den Augen aller Zuhörer vom Teufel fihtbar 
lid) burd) die Lüfte davon geführt worden" (&..144). 
Merkwuͤrdig ift bie Neuerung des berühmten Humas 
niften Mutianus über die Tendenzen der Städte: er habe 
aus ſchriftlichen und mündlichen Aeußerungen der einſichts⸗ 
vollften Männer erfahren, daß bie Reicheftädte burd) geheime 
Umtriebe und Stánfe die Bauern unter dem Scheine des 
Evangeliums aufhegten und burd) ihre Wühlerfünfe mit 
Hülfe ber Juden, bis jur Vernichtung der fürklichen 
und fodjabeligen Häufer zu treiben verfuchten; εὖ fei 
ihnen nidt etwa nur um die Abſchaffung der geiftlichen 
Fürßenthümer unb der Bilhöfe, fondern um Befeitigung 
der fürftlihen Würde überhaupt ju tun; denn ihre Abs 
fibt fei, der republifanijden Gtaatéjerm und demokrati⸗ 
ſchen Herrſchaft der Venetianer und der alten Griechen 
das Uebergewicht zu verſchaffen. Bollkswirthſchaft und 
fürſtliches Regiment hätten fif ned) nie vertragen und 
man erkläre den Glauben, die aufftändigen Bauern woll⸗ 
ten blos den Klerus vernichten, nicht umjong für einen 
großen Irrthum; die tüdifchen Reichoſtaͤdter hätten «6 
nicht weniger auf das SBerberben ber ganzen Reichsver ⸗ 
faſſung, weil den Reichsfuͤrſten gemuͤnzt, bie fie in ihm 
Uebermuthe ſchlechtweg als Syrannen tüulizten" (&, 145): 


Deutſchland in ber Revolutionsperiobe. 943 


Hr. Jörg aboptirt diefe vielfach angegriffene Angabe des 
Mutianus als ber Wahrheit vollfommen ent(predjenb und 
ſchildert mit großer Ausfuͤhrlichkeit (6. 150 f.) das wegen 
feiner Zweideutigfeit [ἀπά διε Benehmen der Majorität - 
des Rathes von Nürnberg, ter erften unter den oberdeut⸗ 
ſchen Städten, melde von den dortigen bauern(reunbliden 
Gemeinen zur fränfifhen Schweiz umgeftempelt wurde. 
Wie an den Städten, hatten die Bauern aud) an Herzog 
Ulrich von Würtemberg und an den geächteten Reichsrit⸗ 
teen Bundesgenofien, welche freilid) jene bloß für ihre 
eigenen Zwede benügen wollten (5, 157 f). Befonders 
war Wendelin Hippler, ehemals hohenlohiſcher Kanzler, 
thätig geweſen für bie Verbindung des Adels mit ben 
Bauern. Durch fein Bemühen fam im Lager zu Amors 
bad) bie fog. Declaration. oder Erläuterung zu ben bes 
fannten 12 Artifeln gu Stande, in welcher bie brennenden 
ragen bi6 auf eine fünftige allgemeine Reichöreform vete 
ſchoben unb einftweilen die Wünfche ber neugläubigen 
Städte und der raubjüchtigen Reichsariftofratie zuſammenge⸗ 
tragen waren (€. 160 f.). In der That entwidelte aud) 
bie legtere in SBerbinpumg mit bem Herzog rid), bem 
es gleichgültig war, ob er burd) Gtiefel oder Schuh wie 
ber in fein Sand fomme, große Thätigfeit und verzweigte 
ihre Revolutionsplane fo weit, daß bie Fäden derſelben 
ben wmeiften ihrer Zeitgenofien unbefount blieben. Beſon⸗ 
ders galt e die bayerifhen Herzoge, bie Häupter des 
gefuͤrchteten fhwäbifhen Bundes, von allen Seiten anzu⸗ 
greifen. Dazu follte bie Verbindung Ulrichs mit verſchie⸗ 
denen friegéluftigen böhmifchen Rittern dienen, welche Hr. 
Jörg qum erftenmale — Heyd hatte in feines Lebensbe⸗ 
ſchreibung Ulrichs bie Hieher bezüglihen Rachrichten nicht 


644 She, 


in's redte Licht zu fegen vermodit — aufgeftellt hat (S. 
162 f). Eine Hauptrolle fpielte bei bem vertriebenen, 
Ulrich Johann von Fuchsſtein, wie er fld) felbft nannte, 
Ritter und Doctor, früher Afjeffor bei dem Nürnberger 
Reihsregiment und Kanzler des Pialsgrafen Friedrich 
(6. 172 f.), welcher von feinem Heren zu Sendungen an 
den franzoͤſtſchen Hof, an die Böhmen, zu den fränfifchen 
Rittern und zu den aufrührerifchen Bauern benügt wurde. 
Als Bauernadvorat war Dr. Fuchsſtein, wie Hr. Joͤrg 
nachweist, hoͤchſt wahrſcheinlich ber Verfafier ber 12 Ar 
tifel, welche als Revolutionsprogramm in kuͤrzeſter Zeit 
burd ganz Deutſchland bis nad) Eſthland und Liefland 
fi verbreiteten (S. 180 ff). Später begab fi Fuchs⸗ 
ftein, nachdem er bei Ulrich wegen des unüberlegten 
Heberfalls des bei Hohentwiel gelegenen öftreihifhen Le⸗ 
ben Staufen in Ungnabe gefallen unb bann für Ulrichs 
Sohn Ehriftoph thätig gemefen war, zu dem Könige Jos 
hann nad Ungarn, bem er als fein Bevollmächtigter 
(1533) bei bem Gonvente der antiöftreichifhgefinnten Sürften 
zu Nürnberg Dienfte leiftete. Man ftebt, wie weit vere 
zweigt bie Verbindungen und Entwürfe der hervorragenden 
Revolutionsmänner jener Zeit waren. — Die würtems 
bergifche Angelegenheit war damals von großer Wichtig- 
keit. Während bie Proteftanten rie 8Biebereinfegung Ulrichs 
wuͤnſchten, ba fie von feiner Erhebung eine Verſtaͤrkung 
ihrer Partei hofften, fafen bie bayerifhen Herzoge εὖ 
fàdft ungerne, daß das [dine günbden fih in ben 
Händen des Haufes Deftreih befand, auf das bie Wit 
ielébader von jeher eiferfühtig waren. „Die politi» 
ſchen Zuftände im Innern Deutſchlands hatten fid) burd) 
bie traurige Religionsfpaltung und Deftreihe Ländergier 


Deutfehland in der Revolutionsperlobe. 645 


aufs Kläglichfte gefaltet; daß lehterer Einhalt gethan 
und vor Allem Würtemberg reftituirt werden müffe, wurbe 
täglich mehr Ueberzeugung unter den Ständen des Reiche. 
Bayern, dur Oeſtreichs Umfichgreifen am meiften ge- 
fübrbet, weigerte fij bod) flandhaft, einen Mann, wie 
Utri wieder in fein Land einfegen zu helfen; biefelbe 
Abneigung hegte Heſſen gegen Chriftoph, ber in bem Ber 
dachte fand, Fatholifh zu fein" (&. 189). Unter bem 
Texte führt Hr. Jörg ein Schreiben des bayerifhen Kanz⸗ 
leré Ed an Herzog Wilhelm an, worin berfefbe unver- 
hohlen nicht bloß von franjófifder, fonbern felbft von zu 
erlangender ungarifcher und türfifdec linterftügung 
fpridjt. Wenn wir aud) nicht ju denen gehören, melde 
Allem , was von dem Haufe Habsburg fommt, unbedingt 
Lob fpreden, fo hätten wir bod) hier gewünfcht, bag Hr. 
Jörg, welcher fonft in feinem Urtheile nicht befonders zus 
rüdhaltend ift, aud) einige tadelnde Worte über dieſes 
Benehmen des bayeriihen Staatsmannes (und Hofes), 
welcher ſelbſt Türfenhülfe nicht verfhmähte, hätte ver- 
Tauten faffen. — ©. 191 f. ſchildert ber Hr. Verf. bie 
einzelnen Gfemente der BVolfsbewegung jener Zeit. Er 
febt auseinander, welchen Antheil viele verfommene nie 
dere Klerifer an der Revolution nahmen; wie bie Anz 
führer der Bauern befhaffen waren; wie man zur Aus- 
fprengung falfcher Gerüchte griff, um bie öffentliche Meis 
nung zu berüden; in weld? fehwieriger Rage fld) bie 
Gegner der Bauern befanden, da ihnen bie Unzuverläfs 
figfeit ihrer Soldaten befannt war, während freilich bie 
Aufrührer im Kampfe, wie in bem S. 1848 unb 49, ger 
τίπρε Tapferfeit an ten Tag legten. Weiter unten zu 
der Stellung der Iutherifhen Yürften gegenüber dem 
φιμεῖ. Duartalfarift. 1838. IV. Geit. 43 


646 Jörg, 


„Evangelium“ unb zu bem Bauernkriege übergehend, (©. 
259 ff.) hebt er mit Recht den Unteridied hervor, ben 
man damals zwifhen bem Unterthanens und Fürftenevans 
gelium machte, und wie die Bauern das als ihr Grunds 
recht betrachteten, daß fie das Evangelium nad feinem 
Verſtande auslegen bürjten. Luthers Stellung zu den 
Aufrührern ift burd) bie neueften Unterfuhungen eines 
Stiffef, und des geiftvollen, aber kirchlich- und poli 
tifpradicalen K. Hagen u. f. vo. wieder an baé helle 
fidt gezogen worden. ©. 276 ff. fpriht aud Hr. Jörg 
von berfelben. Weniger befannt ift, daß felbft der Ehurs 
fürft von Sachſen dem drohenden Triumphe der Rebellion 
anfänglih — Aehnliches geihah von gemiffet Seite aud) 
gegenüber ben revolutionären Bewegungen in einigen 
deutihen Staaten während der legten Revolutionsjahre — 
mit Bergnügen entgegengefehen zu haben (dint. (©. 
280 f) Jedenfalls nahm derfelbe damals eine ziemlich 
aweideutige Haltung an. — Da Hr. Jörg einen fo her 
vorſtechend altbayerifhen Standpunkt in feiner Darftellung 
unb Beurtheilung einnimmt, fo wollen wir an biefem 
Drte über die anfänglihe Stellung ber bayerifhen Her⸗ 
zoge zu ber kirchlichen Neuerung Einiges beibringen. Die 
bayerifchen Herzöge waren juerft ebenfalls für Luther ein» 
genommen (&. 316 ff). Unter ben bewegenden Urſachen 
war wohl aud) die Hoffnung, durch SXebiatifirung der 
geiſtlichen Ehurfürftenthümer eine Churwuͤrde für ihr Land 
zu erhalten, wornad) fie fo eifrig firebten. Allerdings 
flug ber bayerifhe Hof um in feiner Anſicht, als bie 
„Neuerer mehr in ihrer Nadtheit hervortraten (S. 318 ff). 
Nichts beflo weniger verkiert ber Eifer der Herzoge für 
die Erhaltung des alten Glaubens einiges an feinem 


Deutfchland im ber Nevolutionspertobe. 647 


Gewichte, wenn man erwägt, welde Privilegien diefelben 
von bem römifhen Hofe hiefür gewannen. Auch ift nicht 
zu vergeffen, daß Bayerns politifhe Bedeutung als fae 
tholifher Rivale Oeſtreichs butd) fein Beharren. bei dem 
alten Glauben fehr groß geblieben if. S. 330 weist 
Hr. Jörg nad, wie bie bayerifhe Geiftlichkeit eine ber 
reichſten in Deutfchland gewefen fei, und wie das Gebiet 
der veihsunmittelbaren Bilhöfe das Herzogthum ganz 
durchſchnitten habe, weld) großes Opfer daher bie bas 
maligen Herzoge in politischer Beziehung gebracht hatten. 
Deſſenungeachtet gibt Hr. Jörg zu, daß diefelben nicht 
bloß auf das Bisthum Eichſtaͤdt eine zeitlang ihre Augen 
geworfen, fondern fogar bem Plane Raum gegeben ha— 
ben, burd) einen Vertrag mit ben Tyroler- und Sale 
burger-Rebellen das Erzſtift (Salzburg) ober wenigftens 
den gelegenften Theil beffelben an fid) zu bringen. Daher 
erflärte fi) Gd — nidt zu verwechſeln mit bem Theo- 
legen gleihen Namens! — mit allem Nachdrucke gegen 
dieſes gefährliche Project. An diefem Gitaatémanne hatte 
Bagern in jener fehwierigen Zeit einen ebenfo gewandten 
als feinen Intereffen treu ergebenen Staatsmann, weßhalb 
Hr. Jörg an berídiebenen Orten feines Buches fi ange⸗ 
legen fein läßt, beffen SBerbienfte um fein Vaterland und 
um bie Fatholifche Kirche hervorzuheben. Da Ed allen , 
Eentvalifationsbeftrebungen, mochten fie son unten, ober 
vom Haufe Habsburg fommen, ftetá energiſch entgegen. 
wirkte, unb an dem Stanppunfte der Territorialhoheit 
und des Particularismus fowohl als des Katholicismus 
treu feßhielt, fo ift erflärlih, warum er nicht bloß von 
ben Gegnern des egteren, fondern aud) von ben Anhän- 
gern Deftzeihs und von ben politifhen Reformern aller 
43* 


648 ' dorg, 


Schattirungen bitter gehaßt und angefeindet wurde. — 
Wenn übrigens Bayern aud) die Kloͤſter und Kirchenguͤter 
beftehen und bie Henne bei Leben ließ, welche goldene 
Eier [egte, fo bürbete εὖ benfelben, fomie der Prieſter⸗ 
ſchaft wiederholt ſchwere Steuern auf und forderte ſelbſt 
das Silbergeräthe von ihnen ab. (S. 354 f) Obwohl 
die Klöfter große Hingebung an das bem alten Glauben 
treu gebliebene bayerifhe Haus an den Tag legten, hielt 
εὖ Herzog Wilhelm bod für nothwendig, den Eifer ber 
mit Schatzung Belegten dadurch zu erhöhen, daß er bie 
Angabe von ben Fortſchritten ber Revolutionäre bedeutend 
übertrieb (S. 378). Freilich hatte Bayern aud) eine fehr 
ſchwierige Stellung, ba der Plan der ſchwäbiſchen und 
falzburgifhen Rebellen, das Herzogthum von beiden Seiten 
zu überfallen, am Tage fag unb aud) auf der fränfifchen 
Seite Gefahr drohte (S. 386 ff.). Zum Glüde bewies 
das bayerifche Volk im Allgemeinen eine gute Haltung 
(&. 394) und ſtellte fid) ben Aufrührern mannhaft ent 
gegen (δ. 395 f.). Daher vermodte Bayern, als εὖ 
fi) um den Gntídeibungéfampf handelte, an der Spige 
des fhwäbifhen Bundes ein bedeutendes Gewicht in bie 
Wagſchale zu werfen. (Siehe ben Abſchnitt: „Bayerns 
Haltung — Deutfhlands Rettung“ S. 394 f) Bir 
verwidelt und vermorren die damaligen Verhäftniffe war 
ven, zeigt der Abfchnitt: „Zuftände im Bundesrathe; ber 
Bund gegen Herzog Ulrich; der Waffenfillftand vom 25. 
Merz 1525" (€. 402—425). Die bayerifhen Herzoge 
waren mit biefem zu Ulm mit den Bauern abgefchloffenen 
„Anftande* nicht zufrieden, ba ihre fhwierige Lage dar 
burd) nicht erleichtert wurde. Während fle von einem 
Meberfalle der Bauern bebrobt wurden, wuchs ihr Miß⸗ 


Deutfhland In ber. Mevolutiondperiobe. 649 


trauen gegen ben Erzherzog Ferdinand, welcher bie bifchöfe 
lid) Augeburgifhe Ctabt Füßen beſetzte (432 f), unb 
von bem fie glaubten, daß ct mit ben Aufrührern in 
geheimem Einverftäntniffe fiche. Auch gegen ben Truchfeß 
von Walrburg, den fog. Bauernjörg, herrichte unter den 
Mitgliedern des ſchwaͤbiſchen Bundes Verrat, er habe 
den flüchtigen Ulrih von Würtemberg, welder von bet 
Schweiz aus einen Einfall in fein Herzogthum gemacht 
batte, abſichtlich entwi den laffen (&. 410 f.). Größere 
Ungufricbenheit erregte e8, als ver Truchſeß ben 17. April 
1525 ven Bauern bei Weingarten einen Vertrag bewils 
ligte (&. 457 f), welder freilich bie Unficherheit ret 
Verhaͤliniſſe nod) vergrößerte und von den Bauern alds 
bald (εἰδῇ gebrodhen wurde (C. 463. 472 fi). Kurz 
darauf vereinbarte ſich der Erzherzog Ferdinand burdj 
feine Gommifiáte in Füßen mit dem Ausſchuſſe der 
Dber + und Niederalgäuer über die Artikel, welche bie 
Grundlage eines zwiſchen Deftreih und Bayern einerfeits 
und mit den Algäuern andrerfeits abzufchließenden Fries 
bené bilden follten (S. 485 [.). Die bayeriichen Herzoge 
freitih waren mit biefem Vertrage, burd) welchen fid) bie 
betreffenden Bürften „auf Gnabe und Ungnade an bie 
Revolution ergeben hatten" (S. 486), nicht zufrieden; 
dagegen giengen fie damit um, mit den Algäuern einen 
Separatfrieden abzuſchließen (S. 489 f.), welder hin« 
wiederum von den Ständen des ſchwaͤbiſchen Bundes als 
für das allgemeine Befte febr gefährlich erachtet wurde 
(S. 493 i). Bei diefee Gelegenheit trat die Zweideutig⸗ 
keit und der Argwohn der Fürjten gegen einander recht 
Bell an's Tageslicht, und có ift ein befonderes Verdienſt 
des Hrn. Verfaſſers, dieſe bunfíe Partei der Vorgänge 


650 org, 


jener Zeit burd) Herbeifchaffung von Metenfihdten aufges 
flürt zu haben. 
. Auffallend ift das verhältnißmäßig gute Einvernehmen 
zwiſchen Ferdinand und den Algäuern, melde den Nit» 
telpunft der Bauernrevolution bildeten, und einerjeitó mit 
den Tyroler⸗, Salzburger» und Kärnthnerbauern, andrer⸗ 
feit8 mit den Hegauern, Schwarzwaldern, Unterſchwaben 
und Franken zufammenhiengen. Da Ferdinand als Bers 
ifeibiger der Algäuer auftrat (€. 496 ff.) unb mit gto» 
fem Eifer fle zufriedenſtellen wollte, fo hatte ibm ber 
ſchwaͤbiſche Bund im SBerbadjt, daß er im Sinne habe, 
das ganze Algäu, beffen Grenzen fih nad) einer Aeuße⸗ 
rung des fhwäbiihen Bundes nicht angeben ließen (6. 
501), an das Haus Deftreih zu bringen (S. 504): ein 
Plan, ben man bei ber bebrängten gage, in der fid) δεῖ, 
dinand ſelbſt befand, jedenfalls gewagt nennen muß. Auf 
der andern Seite hatten bisher die bayerifhen Herzoge 
nidt nur ber Entwidlung der Dinge in dem aufgewühlten 
Tyrol im Gefühle der ihrem Lande drohenden Gefahr 
ruhig zugefehen und gegen bie rebellifhen Unterthanen 
Ferdinands, um fie nicht zu reizen, bie zartefte Schonung 
eingehalten (&. 516), (onbern ἐδ wurde fogar am Münds 
ner Hofe der Plan gefaßt, durch eine foͤrmliche Ueberein⸗ 
Tunít mit der revolutionären Tyroler Landſchaft fid) ſowohl 
den Rüden zu beden, als aud) wenigſtens den gelegenften 
Theil des ber Revolution völlig verfallenen Erzſtiftes 
Salzburg für Bayırn abzureißen (&. 517). Sehr inter 
teffant und [ebrreid) ift der ung eröffnete Ginblid in bie 
Beziehungen der bayerifhen Hirzoge zu den Salgburger 
Revolutionären (5. 548 f). Die Abfiht der Bayern 
gieng dahin, daß der Cardinalerzbifhof Matth. Lang zur 


Deutſchland In ber Mevolutionspertobe. 651 


Abdankung zu Gunften des bayerifhen Haufes bewogen 
werde (©. 574 f). Der Hauptbeftandtheil des Erz⸗ 
fiftes, fo weit dieſes nicht zu Bayern gefchlagen würde, 
folte bem Bruder ber bayerifhen Herzoge, dem Biſchofe 
Ernſt von Paffau als Entfhänigung in bie Hände ge» 
fpielt werden. Doc war diefer felbft mit diefem Plane 
nicht einverftanden. „Er verweigerte, wie einft aud) Hr. 
Ludwig gethan, bem Primogenitur-Geſehe feines Vaters 
die Anerfennung , und verlangte einen Theil des Bayerns 
landes als eigenes Gürftentbum für [ὦ oder wenigſtens 
eine fehr bedeutende Entfhädigung; die Bemühungen Wils 
helms, ihn zu einem mächtigen geiftlihen Bürften zu ma» 
den, wollte er als ben Weg billiger Abfindung nicht 
gelten laffen, weil er überhaupt nicht Luft hatte, ein 
Geiftliher zu werden, und im gegenwärtigen Streben 
feiner Brüder, ihm zum vornehmften erzbifhöflihen Stuhle 
im Deutſchland, ben er übrigens fpäter doch beftieg, zu 
verhelfen, fah er nur einen neuen Beweis, daß diefe fif 
ihrer SBerbinblidfeiten gegen ihn auf Koften der beutfden 
Kirche — die gerade jet jeden Augenblid zahlungsuns 
fähig ju werden brobte! — zu entledigen trachteten“ (©. 
577). Uebrigens befürchteten bie bayeriſchen Herzoge, daß 
aud) Deftreih mit demfelben Plane umgebe, Salzburg an 
fih zu ziehen (©. 601 ff.). 

Gin weiterer Zunder zur Eiferfucht gegen Deftreid) 
war das Beftreben der bayerifchen Herzoge, bie Würde 
eines roͤmiſchen Königs an das Haus Wittelsbach pfälzie 
fer oder bayerischer Linie zu bringen (6. 610), während 
damals Ferdinand mit der Bewerbung ym bie rómifde 
Koͤnigskrone umgieng (&. 623 f.). Zwiſchen ben Piälgern 
und Bayern fanden Berathungen wegen diefes Gegen? 


652 Vrg, 


Randes zu Münden, Heidelberg, wo fid) unter ber Dede 
eines Armbruftfhießens gegen 26 Füͤrſten wegen politi 
ſcher Angelegenheiten verfammelten, und Ellwangen Statt. 
Als die Prälger bie tbeure Königewürde unter Vorſchü⸗ 
dung ihres Unvermögens ablehnten, erflärte Wilhelm fid 
ſelbſt um fie bewerben zu wollen, verfprad) dem „Chur⸗ 
fürften, ber nicht gewohnt war, feine Stimme wohlfeil 
du geben, 100,000 fl. und zweifelte aud) ber andern 
Ehurfürften wegen gar nicht, daß er „„von denfelben 
fein Suchen nidt erhalten follte^", Gelb, das bei ihnen 
vor Alem nicht geípart werden durfte, wäre burd) ein 
bedeutendes Anlehen vom Papfte beigefchafft worden, wel⸗ 
her bereit wieder an der Cpige eines Bündniffes ftand, 
„„um ganz Stalien von ber fpanifhen Iyrannei zu ber 
freien““ (&. 620). 

Die bisherigen Qinmeijungen auf bie Refultate der 
Yörg’ihen Forſchungen werden für unfere Lefer hinreichen, 
um fid ein deutliches Bild von ber innern Auflöiung des 
beutídyen Reiches, welche nicht einmal die Fortfegung des 
ſchwaͤbiſchen Bundes möglih madte (S. 624 f), u 
entwerfen. „Wenn aud) die treue Anhänglicfeit einiger 
weltliber Reichsſtaͤnde an die alte Kirdje bie von ben 
Neugläubigen verſuchte Spaltung ber deutſchen Fürſten 
in zwei einander feinblid) gegenüberftebenbe Lager, das 
geiftlihe und das weltliche, zwiſchen denen ber Vernich⸗ 
tungéfrieg unvermeidlich fofort hätte entbrennen müflen, 
verhinderte; fo jagten tod) alle, einerfeit& durch bie telis 
giöfe Trennung in eine aufs Höchfte geftiegene Zerklüfe 
tung unter fid) gerathen, andererſeits in fortfchreitender 
Arlöfung von bem Centralpunkte des Reichs begriffen, 
nad Einem Ziele, dem vollen Maße jener „„deutſchen 


Deutſchland In ber Revolutlonsperlode. 653 


Freiheit““, durch welche endlich das Reich in ein wuͤſtes 
Chaos obnmádtiger Staatenbildungen auseinanderfiel. Es 
if fein Zweifel, je mehr jene „„Freiheit““ der Herren 
wuchs, befto mehr fiel bie des Volkes; feine Widerſtands⸗ 
kraft war aber feit dem großen Aufruhre vom 3. 1525 
gebroden" (€. 623). Wie auf cine große Fieberhige 
ebenfo große Abipannung der Kräfte und Schwäche folgt, 
fo enden revolutionäre Bewegungen, wenn fle mißlingen, 
gewöhnlich mit um fo größerem Drude für die” unterler 
genen Parteien. Daffelde widerfuhr ten gefchlagenen 
Bauern. 100,000 blieben auf bem Schlachtfelde. tad) 
der beim fhwäbifhen Bunde zu Augsburg im I. 1526 
vorgelegten Zufammenftellung betrug die Summe der im 
ganzen Bundesreiche Hingerichteten 10,000. Sehr viele 
Aufrührer hatten fid ins Ausland, befonders in bie 
Schweiz geflüchtet, um bem ftrafenden Arme der Gerech⸗ 
tigfeit zu entgehen. Unter der Maſſe erhielt fi eine 
entfeglihe Stimmung. Die bumpfe Verzweiflung tradhtete 
bie entfommenen Rävelsführer der alten Aujrührer — 
unter ihnen waren, wie có zu gehen pflegt, die meiften-der 
oberften Häupter — für einen neuen revolutionären Vers 
ſuch zu benügen; wie denn aud) bald darauf im Salz⸗ 
burgiíden eine neue Bewegung losbrah (S. 637 f). 
Eine intereffante unb febr werthvolle Beigabe zu dem vore 
liegenden Werfe bilden die Abſchnitte über bad damalige 
teligiófe und politifhe Gebaren der Wiedertäufer bie 
zu bem Abzuge Solimans von Wien (S. 657—703), 
fowie über bie SBerfolgung derfelben (5, 703—714). 
Unter bem Ramen Wirdertäufer wurden alle jene verichier 
denen neugläubigen Sceparatiften zufammengefaßt, welche, 
wenn aud) in ben übrigen Punkten nod fo febr von 


654 Ser, 


einander abweichend, bod) in ber SBermerfung der Kin 
bertaufe, bie fie in der heil. Schrift nicht begründet fane 
den, gufammenftimmten. Mit Recht leitet Hr. Jörg (Θ. 
651 f.) ihren Urfprung aus bem lutheriſchen Princip der 
freien Forſchung ab, indem er gugleid) eine anſchauliche 
Darſtellung ihres focialen Lebens, . befonberó hinſichtlich 
der Güter» unb Weibergemeinfhaft gibt. Ein Theil ber 
füddeutfchen Wiedertäufer fleuerte auf eine Art bemofras 
tiſch⸗ſociale Republif hinaus. „Sie folte naͤmlich durch 
eine nahe, mit einem ungeheuern alle „„Gottloſen““ 
hinwegſchwemmenden Blutbade verbundene, Kataftrophe 
Raum gewinnen, unb nur bie allein übrig gebliebenen 
„„wahren Goriften^" umfaflen; in biefem unter unmits 
telbarer Beihülfe des „„Heren““ gegründeten Reiche hätte 
es bann natürlich Feiner „Gewalt nod) Meifterfhaft“* 
beburft. Daß der „„Geiſt““ der fhmärmerifhen Sepas 
tatiften mit einer radicalen Umgeftaltung ber fociafen Zur 
fände fld) viel und mit Vorliebe zu (djaffen machte, darf 
bei ben ungeheuern Erfhütterungen bes politifhen und 
ſocialen Lebens, bie in Deutfhland zugleich mit bem Aufr 
treten der neuen Lehre fid) anmelbeten und vollzogen, und 
ber in weiten Kreifen burd) bie Verfiherungen Luthers 
und feiner Gehilfen erwedten Zuverficht, bag das „„Evans 
gelium®* eine durchgängige Aenderung zum Befleven aud) 
in politifcher und focialer Beziehung herbeiführen werde, 
ebenfo wenig verwundern, als daß gerade jet ber alte 
Glaube an bie Nähe des taufendjährigen Reiches ber 
Gerechten mit neuer Stärke erwachte“ (&. 678). „Bor 
Allem beſchaͤftigte aber natuͤrlich bie Frage über das Wie 
und Wann jener ungeheuern Kataftrophe, weld bie 
unwahren Chriſten““ dur ein Meer von Blut in das 


Deutſchland in der Mevoluttonspertobe, 655 


„„neue Reich““ einführen follte, bie Gemüther. Daß ber 
Tag des Heren vorhanden fei, war unter den Wieder⸗ 
täufern gemeine Eröffnung, ,,unb"^ etlihe waren fo 
freventtid), daß fle frei „„Zeit unb Tag beflimmten, warn 
der Tag des Herrn füme^" (S. 682 f). Daher erwar⸗ 
teten bie allenthalben zahfreihen Anhänger mit Ungeduld 
das Signal, um über alle Andersgläubigen herzufallen 
und fie todtzufchlagen. Wenn nicht bloß ter König von 
Frankreich, fonbern felbft bie bayeriſchen Herzoge εὖ nicht 
verfhmähten,, die Verlegenheiten des Haufes Deftreih 
wegen ber Türfen mittelbar und felbft unmittelbar zu 
benügen, fo ift ὦ nicht zu vermunbern, baf aud) bie 
Wiedertäufer auf „den Türken“, welcher bamaló mit bem 
Ungeftümm einer Naturmacht auftrat, bie größte Hoffnung 
febten (6. 688 f.). Auch die Juden zeigten fib. damals 
als in bie politifch-religisen Umtriebe eingeweiht und 
ſuchten daraus Nugen zu ziehen: „fte [deinen, wie ein 
Theil der SBiebertáufer, [don im Bauernaufruhre jene 
jum „„neuen Reiche““ führende Kataftrophe vermuthet 
und wie biefe Schwärmer nod) mehr al& einmal in ihren 
meſſtaniſchen Hoffnungen getäufcht worden zu fein“ (©. 
692). — In großer Verlegenheit befanden fid) bie Luther 
ramer gegenüber ben Beweisführungen ber Wiedertäufer, 
befonders bann, als es fij um deren Beftrafung durch 
den weltlihen Arm handelte. Allerdings war ber Abfall 
von der alten Kirche und bie Widerfeglichkeit gegen Kaifer 
und Reid aud) Auflehnung und Aufruhr. Deffenunger 
achtet wurde ben Wiedertäufern gegenüber zu ber will 
fommenen Ausfluht gegriffen, bag man fie als Aufrührer 
zu behandeln habe (S. 708 f). Daher wurde in ben 
proteftantifchen Territorien eine große Menge Wiedertäufer 


656 Sbrg, 


vom Leben jum Tode gebradjt, während ber Kaifer in 
einem Mandate vom 4. Januar 1528 eine viel mildere 
Behandlung berfelben vorídricb (&. 712). Eine auf ben 
erſten Blick auffallende Grídeinung war, daß in ben fas 
tholifhen Territorien fid) ftetó viel mehr Wiedertäufer bes 
fanden, als in ben proteftantiiben. Den Grund bievon 
gibt Hr. Jörg überzeugend in Solgenbem an: „Dir Ruf 
von bem wiedergefundenen „„Evangelium““ rief. in allen 
Theilen Deutihlands große Maſſen von ber alten, in 
ihrer äußern Grideinung verrotteten Kırde ab, unb wen» 
bete ihre Herzen der vielveriprechenden neuen Lchre zu. 
In einem abgeſchloſſenen Eyitem trat biefe nicht auf, 
vielmehr erzeugte fie ein buntes und verwirrtes Chaos 
verſchiedenet und fid) wideriprehender Lchrmeinungen. 
Mit bem Bauernfriege änderte fid) dieſes injofern, als 
jeht alle neugläubigen Territorialhoheiten die Ordnnug 
bet Sache in ihre eigene gewaltige Hand nahmen und 
bem tobenben Strome der Evangeliums »Liebhaberei das 
Rinnfal anmwiejen, in bem er verlaufen, nicht überlaus 
fen durfte. Die Zahl derjenigen, welche fid in dieſe 
Schranken nidt einzwängen ließen, ober ber bem vors 
ausſichtlichen Gewaltthaten der Polizei « Dogmatiften tro 
$enben Separatiften mußte um fo Heiner fein, als die 
Begriffe von bem Weſen ber religiöfen Bewegung im 
Allgemeinen hödft verwirrt, die Theilnahme an berfelben 
meiftens "nit Sache innerer religiöfer Uebergeugung ger 
wefen, bie zur Schau getragene und mit Plünderung des 
Kirchenguts u. f. vo. tapfer erhärtete Trennung ber Ters 
titorialhoheiten von der alten Kirche leicht überrebete, das 
„„Evangelium““ fei jigt errungen, dem Oppoſitionsgeiſte 
fo bie gejährlihe Spige abbrad), ganz befonders aber 


Deutſchland In der Revolutionsperlode. 657 


neben andern der eigenwilligen Sinnlichkeit ſchmeichelnden 
Zugeſtaͤndniſſen ber neuen Lehre, ber Kern des fofort obrige 
keitlich bemilligten Evangeliums, die Rechtfertigungslehre 
Luthers nämlich, feinen in der Regel weit unterfchägten vers 
lodenden Reiz übte.“ (6. 717 f) Am zahlreichften waren 
bie Wiebertäufer in Tyrol, verhältnigmäßig viel weniger 
fanden fid) in Bayern, wo freilich aud) eine ziemlich große 
Anzahl hingerichtet wurde. „Man hört zwar bis auf 
biefe Stunde von ganzen Schaaren neugläubiger Belenner, 
bie für Luthers „„Evangelium"" mit ihrem Blute Zeugnig 
gegeben hätten; welche Bewandtniß e8 aber in Wahrheit 
mit diefen lutherifhen Martyrern gehabt haben mag, das 
für bietet Bayern ein ſchlagendes Beifpiel. Iene zu 
Landsberg, Münden, Burghaufen und an andern Orten 
Bayerns hingerichteten Wiedertäufer figuriren feit. faft 
hundert Jahren als „„evangelifhe Blutzeugen.“! Ihre 
teligiöfe Richtung wäre in den Augen Luthers und vor 
jeder neugläubigen Obrigkeit nicht weniger ein todes⸗ 
würbiges Verbrechen gewefen, als vor fatholifhen Sxis 
Punalen; weil fle aber in bem Fatholifchen Bayern büßten, 
mußte fie aus „„Teufeld-Martyrern“" eiligft in nnMartyrer 
Chriſti““ umgeformt werden." (&. 721 f.) 

Hiemit find wir mit unfern zum Theil wórtlidjen 
Mittheilungen am Schluffe ber Joͤrg'ſchen Schrift ange» 
langt. Diefelbe fließt fid) enge an bie hoͤchſt verdienft- 
volle Reſormationsgeſchichte Döllingers an, da fie, wie 
die feptere, uns auf urfunbfidem, authentifhem Wege 
mit ben wirkenden Perfönlichfeiten und ben treibenden 
Parteien jener bewegten Zeit genau befannt macht. Werke 
diefer Art müffen bem Hiftorifer die Baufteine liefern, um 
auf funftmáfige Weife ein moͤglichſt anfchaulihes unb 


658 Sig, 


getreues Bild einer Periode entwerfen zu fónnen. Wir 
fprechen daher gegen Herrn Jörg ben Wunfch aus, derfelbe 
möge in ven fo reichhaltigen Münchner Bibliothefen und 
Archiven feine Quellenftudien eifrig fortfegen, um fo aud 
fernerhin zu dem Aufſchwung ber fatboliíden Geſchicht⸗ 
ſchreibung beizutragen. So anerfennenówertb aud) bie 
Bemühungen ber neueften Zeit find, bie Gedichte des 
16ten und 17ten Jahrhunderts in ihrem rechten Lichte 
darzuftellen, fo ift bod, wie jedem Kenner ber einfchlägigen 
Kiteratur befannt fein wird, von fatholifher Seite nod) 
viel zu wenig gefhehen, um ber befonberó in Beziehung 
auf jene Zeitperiode fo viel verbreiteten Geſchichtsverfaͤl⸗ 
fung, zu welcher eine Zeit lang leider fogar katholiſche 
Gelehrte mitgewirkt haben, unb welde mit ihren Elabo⸗ 
raten — man benfe z. B. an die Schiller’fhen Werfe — 
beinahe ben ganzen gebildeten und halbgebildeten Theil 
unferer Nation überfluthet hat, mit größerm Erfolge ent» 
gegengumirfen. — Die Form der von Herrn Jörg ges 
wählten Darftelung hat ihre Licht» und Schattenfeite. 
Es fonnten zwei Wege eingefhlagen werben. Entweder 
fate ber Herr SBerfaffer die Refultate feiner Studien in 
Häre, überfichtlihe Säge zufammen und fegte bie Belege 
theils unter den Tert, theild in,ben Anhang. Ge wäre 
εὖ für den Lefer leichter gemefen, das umfangreiche, fehr 
gehaltvolle Werk durchuarbeiten unb fidere Refultate zu 
gewinnen. Oder aber das archivaliſche Material wurde, 
wie hier gefhah, fo viel als möglich wortgetreu felbft in 
bem Texte verarbeitet. Wenn aud) auf diefe Weife das 
Werk für ben Forſcher und aud) für den Staatsmann, 
für ben es {εὖτ Ichrreih fein kann, vielleit an Werth 
gewann, fo wird doch ſicherlich durch bie fdrwerfällige 


Deutſchland In ber Mevolutionspertobe. 659 


Darftelung unb bie mühjame Portentwidlung ber Ber 
hättniffe und Greigniffe mander Leſer abgeídiedt, das 
Buch ganz burdyulefen, befonberó ba aud) bie Eintheilung 
des Stoffes mande Wiederholungen unvermeidlich macht. 
Nichts defto weniger laden wir unfere Lefer mit gutem 
Gewifjen zum gründliben und gewiß für Jeden lohnenden 
und genufreiden Studium diefer Schrift ein. Der Herr 
Verfaſſer, welchem eine männlichsfräftige, bie unb da fogar 
an baó Derbe ftreifende Sprache zu Gebot ftebt, zeigt 
fid überall, wie es fid) befonders für ben Geſchichtſchreiber 
einer fo traurigen Periode unferer vaterländiihen Ger 
ſchichte, deren Stadymirfungen nod) in der Gegenwart recht 
fühlbar find, geziemt, von bem Ernſte der Gade tief 
burdjbrungen. Ueberall if feine Schrift von edt kirch⸗ 
lidem Geifte durchweht. Daß bie fpecifiihebayerifche Auf⸗ 
faffung ber Verhältniffe einen Nichtbayer, welcher über 
ben vielen Glanjpunften der bayerifchen Geſchichte neuerer 
und neuefter Zeit aud) bie ftarfen Schattenfeiten nicht 
überfieht, zuweilen nicht ganz angenehm ajficire, wird 
Herr Joͤrg felbft begreiflic finden. Doch müffen wir ihm 
ſchließlich das Zeugniß geben, daß er fid) nicht felten aud) 
über den Standpunft feines engern Vaterlands auf ben 
echt nationalen, welder ja ben in gewifien Schranfen 
geltend gemachten particulariſtiſchen nicht ausfchließt, auf 
einige Yugenblide zu erheben gewußt habe. 
Dr. Briſchar. 


660 Abel, 
5. 


1. fünig Philipp der Hohenftaufe, von Dr. Helnt. 8. Otto 
Abel, Privardocenten der Gefchichte an der Unlverſtiat Bonn. 
Mit ungebrudten Quellen. Berlm 1852. Verlag von 
Wilh. Her. XVL 408 ©. 8. Preis Afl. Oft. 


2. Engelbert der Heilige, Erzbifchof von fióln unb Reiche- 
verwefer, von Dr. Iulius Sicher, Profeffor ber Geſchichte 
an ber f, f. Univerfität zu Innöbrud, Köln 1853. Verlag 
von I. M. Heberle. IX. 365 €. 8. Preis 1 fl. 45 fr. 


Die beiden Schriften, in welche wir im 9tadftebenben 
den Peferfreis der Quartalſchrift einführen, behandeln 
Gegenflände, welche für bie mittelalterlihe Reihe» und 
Kirchengeſchichte des deutſchen Volkes von großer Wichtig- 
keit find. „Monographifhe Behandlungen einzelner Abs 
fénitte aus unferer vaterländifhen Geſchichte,“ fagt ber 
Verfaffer des erften Werfes mit Recht, „bevürfen vom 
ſtrengwiſſenſchaftlichen Standpunkt aus feine Rechtfertigung. 
G6 find bie nothwendigen Baufteine, aus denen erft fid 
das fefte und fehöne Gebäude einer deutſchen Geſchichte 
wird zufammenfügen laſſen, wie wir fie fhon lange wuͤnſchen 
und erfireben, Als ein folder Bauftein möchte aud) bie 
vorliegende Schrift angefehen werden; und daß gerade für 
bie Zeit der Staufen gründliche Einzelforfhungen weniger 
Noth thaͤten, wird Niemand behaupten wollen. Gebrängte, 
geiftreihe, micht tabellariſch trodene Darftellungen einer 
ganzen Volks⸗ ober Zeitentwidiung find für ven Laien 
kaum minder ſchwierig zu verfteben, als für die Geſchichts⸗ 
forfcher fie zu fehreiben, und für beide ein gefährlich Ding. 
Gediegene Belehrung ſowohl wie tiefere wahrhaft menſch⸗ 
liche Anregung wird immer nur ber für fij erwarten 


König Polipp ber Hobenftaufe. 661 


dürfen, ber mit ben Menſchen der Vergangenheit und 
wäre es aud) nur eines kurzen Zeitraumes, inniger vers 
traut zu werden fid) die Mühe nimmt. Trägt bod) aud) 
der Geofog reiheren Gewinn davon, wenn er einem eine 
agen SBunfte der übereinander gelegenen Erdſchichten nad 
gräbt, al& wenn er leichten Fußes über weite Streden 
dahinfhürft. Zu einer ſolchen eindringendern Behandlung 
mag das ftaufiihe Zeitalter gewiß vor manchen andern 
einladen. Die BPerfönlichkeit König Philipps wird aller» 
dings burd) die hervorragenden Geftalten der beiden Fries 
bride vor und nad) ihm in Schatten geftellt; aber fle ift 
immerhin bebeutend genug, um, wie eó [don ber Kürze 
halber auf bem Titel geſchah, al Vertreter ber von mir 
gefhilverten Zeit gelten zu fónnen, einer Zeit, bie durch 
das Große, was in ihr gefhah, unb nod) mehr darin 
vorbereitet wurde, eine gründliche Erforſchung im höhern 
Maaße erfordert, als glänzendere, barum aber aud) viels 
leicht ausführlicher bargeftellte und leichter verftändliche 
Epochen.“ (S. VIII f.) 

Wie hat nun ber Herr Verfafier feine Aufgabe gelöst? 

In bem erften Abſchnitte (S. 1—12) ſchildert er bie 
fpätere Regierungszeit Friedrichs L, in welder diefer auf 
andere Weife zu gewinnen fuchte, was ihm in bem ftampfe 
mit den gombatben und mit bem großen SBapfte Alerander III. 
nicht gelungen war. Der unerwartete Tod des genannten 
Kaifers rief feinen Sohn Heinrich, welcher feit Jahren in 
die Staatsgeſchaͤfte eingeweiht war, auf den erften Thron 
ber Ehriftenheit. Im der Charakteriſtik biefed merkwürdigen 
Mannes gibt fid) der gibellinifhe Standpunft, den. der 
Herr Berfaffer einnimmt, vecht deutlich zu erfennen. „Leicht 
dazu geneigt, am Einheimifchen zu verbammen, was et 

Sgesl. Ouartalfrift. 1858. IV. Hei. 44 


662 MENS 


am Fremden verzeiht oder bewundert, bat ber Deutſche 
feine vielberufene Unpartheilichfeit aud) an Kaifer Friedrichs 
Sohne erprobt. Ohne die Zeit, in der er handelte und 
bie Menſchen, mit denen er zu tun hatte, Hinlänglich zu 
fennen ober in Anſchlag zu bringen, ift man gewohnt, bie 
einzelnen Züge feiner Graufamfeit in Sieilien mit greller 
Einfeitigfeit hervorzuheben. Das ſchwarze Bild zu voll 
enden, bietet fid Richard Löwenherz und ber Sänger 
Blondel dar. Ueber der fentimentalen Theilnahme, melde 
man bem tapfern aber ſchlechten engliihen König zumwen- 
bet, hat man ben geídidotliden und vaterländifhen Ger 
fihtspunft für bie Beurtheilung des Verhältniffes zwiſchen 
Heinrich und Richard verloren, und eine großartige Herrſcher⸗ 
geftalt ift in der Erinnerung des eigenen Volkes zur ge- 
woͤhnlichen Tyrannenfigur erniedrigt, die dazu dienen muß, 
ben falfhen Glanz eines Romanhelden zu erhöhen. An 
dem Italiener gieng Heinrich während feiner furgen Herr 
haft vorüber, furdtbar prächtig „„wie biutiger Nord⸗ 
lichtſchein.“ Dem Deutſchen aber folte ihn das allein 
ſchon unvergeßlih machen, baf er wie fein anderer das 
Uebel unferer Zerfplitterung an der Wurzel angriff. Wenn 
irgend jemand, fo hat er Anſpruch darauf, nicht allein 
mad) dem, was er vollbracht, beurtheilt zu werden, fon 
bern nad) dem, was er gewollt bat und nur burd) einen 
früfieitigen Tod durchzuführen verhindert worben if.“ 
Go ſchwierig die Verhältniffe waren, unter denen Hein 
tid VI. den Thron beftieg, fo wußte er fle bod durch 
feine Seftigfeit und Klugheit feinen Planen bienfibar zu 
maden. Deutfhland war auf bem Wege glei ὅταπν 
reich zu feiner fiaatlihen Einheit zu gelangen. Den ent 
ſcheidenſten Schritt dazu that Qeinri VL, als er mit 





König Philipp der Hohenſtaufe. 663 


feinem Antrag hervortrat, welder das ganze deutfche 
Staatsreht umgeftalten mußte. „Es handelte fif) um 
nichts Geringered, ald das Recht der Kaiferwahl, ben 
Stolz der Fürften, das Unglüd unferer Geſchichte aufzus 
heben unb Deutfhland zu einem Erbreich zu machen. Wie 
unerhört man aud) diefen Gedanken fand, bei der Macht 
und Staatöflugfeit des Kaifers, bei der Größe beffen, 
was er dafür zu bieten hatte, erſchien er nicht zu Fühn..... 
Bon Kaifer Heinrich VI mochte in Wahrheit gelten, was 
ein frangöfifcher Chroniſt jener Zeit feinem verhältnigmäßig 
doch fo machtloſen König Philipp nabrühmt, er fei in ber 
Meinung gemefen, ein Mann genüge, bie ganze Welt 
iu beherrſchen. Aufgewachſen in den idealen Vorftellungen 
feines Vaters von der Bedeutung des Kaiferthums, als 
Jüngling (don im Befig einer Macht, wie fie feit Karl 
dem Großen fein Fürft mehr inne gehabt‘, büudte ihm 
fein Ziel unerreihbar. Die Herrlichfeit und Macht der 
alten Gáfaren, als deren Erbe und Nachfolger er fid) 
betrachtete, follte erneuert und alle Fürften in das Ver— 
haͤltniß faiferlider Vaſallen zurüdfehren." (S.20 f.) Schon 
übergab Richard von England alle feine Staaten dem 
Kaifer, um fie af& Rehen wieder aus feiner Hand zu et» 
halten und dadurch gegen den kriegeriſchen König Philipp 
Auguf von Frankreich zu fhügen. Um Richard als Werks 
zeug gegen ben Leßteren zu benügen unb in alle Kriege 
des Feſtlands zu verwideln, belehnte ibn Heinrich VI. mit 
Südburgund unb dem ganzen ganbftrió an der untern 
Rhone zwifhen den Alpen und Pyrenden: Länder, in 
denen bie deutfche Dberherrlichkeit teil gar nicht aner⸗ 
fannt, tfeiló wenig zur Geltung gebracht wurde, Der 
Papſt wurde von allen Seiten -beengt: der Präfeet von 
44 * 


664 Abel, 


Rom wurde von dem Kaifer eingefet und {εἰδῇ bie rechte 
Tiberſeite der Stadt nod zu Toscana gerechnet, mit wels 
chem des Kaifers Bruder Philipp belehnt wurde. Selbſt 
bie Länder ber pyrenäifhen Halbinfel wurden in ben Plan 
der Weltherrfchaft hereingezogen; aus Nordafrika, wo 
Roger einft eine Herrfchaft ausgeübt, famen maurifche Abs 
gefanbte mit Gefdjenfen; der Fürft Boemund von Antiochien 
leiftete bereit6 im Jahr 1190 bem Herzog Friedrich von 
Schwaben al8 bem Stellvertreter des Kaiferd ben Lehens⸗ 
eid. Desgleihen bekannten fid die Könige von Armenien 
und Cypern als 98afallen des römifhen Kaifers. Schon 
ift ein deutfches Kreuz verfammelt; (don nimmt Heinrich 
ben weiten Landftrih von Gpibamnué bis Theflalonid 
als zum Normannenreich gehörig in 9Infprud), unb vers 
langt Schiffe zur Ueberfahrt feiner Truppen nad) 9Batáftina. 
Der erfchrodene griedhifche Kaifer aber, bem mur bie Wahl 
zwiſchen Krieg unb Tributzahlung gefaffen wird, ſchreibt 
eine deutfhe Steuer aus. Die volle Saat der Entwürfe 
ift jur Erndte reif, da wird ber Kaifer 32 Jahre alt 
durch ben Tod von bem Weltfpauplape abgerufen. „In 
alle Ewigkeiten,“ fo ruft ifm ber Moͤnch Dtto von St. 
Blaſien aus feiner einfamen Zelle im Schwarzwald nad, 
„werde diefes Kaifers Sob von bem Volke der Deutſchen 
beffagt; benn er hat fie groß und gefücdtet gemacht bei 
allen Bölfern ringsum, und bei längerem Leben hätte er 
des Reiches alten Glanz wieder heraufgeführt." Auf eins 
mal änderte fij vom Grund aus bie Lage der Dinge. 
Alle bie widerftrebenden Kräfte, die des Kaiſers mächtiger 
Wille zufammengehalten und fid) dienitbar gemacht hatte, 
fudten jet wieder ihre eigenen Bahnen. Die Gefahr 
war vorüber, bie ber Selbftändigfeit der abendländifchen 


König Philipp der Hohenſtaufe. 665 


Staaten, bem Sein des byzantinischen Reiches  gebrobt 
hatte. In bem fangen Kampf zwifchen Kirche und Staat, 
der fhon beinahe zu Gunften des Kaiferthums entſchieden 
war, fiel nun, als hätten Friedrich unb Heinrich nur für 
ihre Gegner gearbeitet, ein leiter Sieg dem Papftthum 
zu. Dem deutfchen Volk erfparte ber plóglide Tod des 
Kaifers das glänzende Unglüd einer Weltherrſchaft. Aber 
dafür warb der Sammer des SBürgerfriegó fein Loos. 
Ausgefchloffen von ben hohen Zielen, bie ihr Heinrich ger 
ftedt hatte, verzehrte fi die überftrömende Kraft und 
Thatenluſt ber Ration fortan in inneren Kämpfen." (&. 36.) 
Eine der nadjtbeiligften Folgen des unerwarteten Todes 
Heinrichs VI. war bie politifhe Spaltung Deutſchlands, 
da ein Theil ber Reichsfuͤrſten ſtatt des bereits früher 
gewählten unmündigen Friedrichs von Sieilien deſſen 
Oheim Philipp von Schwaben, die Oegenpartei Otto 
Heinrichs des Löwen Sohn wübite Die Wahl Otto's 
war hauptiählih das Werf des Erzbiihois Arolf von 
Köln, welcher vom engliiben Ginfluffe geleitet wurde. 
Sotto hatte feine Jugend in der Umgebung feines Oheims 
Richard zugebraht, von bem er beträchtliche franzöfi he 
8 figungen au Lehen erhielt. Er hatte ſich bie jranzoͤſiſchen 
Sitten und Sprache des anglonermannifden Adels zueigen 
gemadt. Bon Natur aus hart und ungeſchmeidig, legte 
derſelbe unbeugfamen Troß und an Tollfühnheit grängenden 
Muth an den Tag, während Philipps milder und ruhiger 
Charakter gerne Schonung und Nachgiebigfeit beobachtete 
unb den Weg flug geführter Unterhandlungen bem Kampfe 
vorzog. 

Es würde zu weit führen, unfern Lefern bie Ges 
ſchichte des langjährigen vielverfeplungenen Thronftreites zu 


666 Abel, 


erzählen. Bon großer Bedeutung war e$, für welche ber 
beiden Partheien fid) der römifche Stuhl erklären würde. 
In der Auffaffung Innocenz II. weicht der Verfaſſer ente 
fhieden von Hurter und aud) von Friedrich Böhmer 
ab, beffen Regeften ihm übrigens eine trefflihe Vorarbeit 
lieferten. Abel läßt Innocenz III. das politife Syftem 
Gioberti's, welches diefer in feinem Primate aufgeftellt 
hat, anticipiren," indem er den großen Papft zu einem 
Befreier Italiens von der Bremdherrfchaft ganz im mos 
denen Sinne des Wortes herunterfegen‘ möchte. — 916 
Dberhaupt der Kirche ben chriſtlichen Voͤlkern und Laͤndern 
allen gleich nahe geſtellt, verlaͤugnete er doch in Gefinnung 
und Handeln nie ben gebornen Italiener. Jtalıen, bem 
nad) göttliher Beftimmung die Herrfhaft über alle andern 
Länder zufommt, foll aus feiner Zerriffenheit und ber 
brüdenben Fremdherrſchaft erlöst unb unter des Papſtes 
unmittelbarer Leitung al Kirchenſtaat vereinigt werben. 
Das if fein Gebanfe und fein πάώβεθ Ziel. Die Gv 
bitterung unb der Haß des Volkes gegen bie Deutichen 
und die Verwirrung, bie mad) bed Kaifers Tode und 
Philipps .rafdyer Umfehr allentpafben eingetreten war, 
Tam feinen Abfihten zu Hilfe. In planmäßigem Vorgehen 
gelang es ihm während ber erften Jahre feines Pontificats 
von Rom aus in immer weiterem Kreife die Deutſchen zu 
verdrängen und feine eigene Hirrfchaft herzuftellen, wo er 
aber größere Anſpruͤche für beu Augenblid nod nicht 
durchzuſetzen vermochte, wenigftens bie Oberherrlichfeit und 
den Einfluß der Kirche zu wahren und zu befefligen.... 
Der harte Drud, ben bie Deutihen ausgeübt hatten, ließ 
ihn als nationalen Befreier erídyeinen und faft ohne Wider⸗ 
ftanb zu finden, feßte er fi in ben unmittelbaren Beh 


. 


König Phupp der Hohenfaufe. 661 


des gröftten Theiles von Mittelitalien." (S. 74 f.) Ber 
fannt ift, daß Snnocenj II. die Sache Otto's, welder 
bem der Kirche von jeher ergebenen Geſchlechte der Welfen 
angehörte, begünftigte,, wenn er aud) im Ganzen genome 
men zwifchen beiden Parteien eine feiner hohen Würde 
angemeffene ſchiedsrichterliche Stellung zu behaupten fudte. 
Diefer Umftand verſchaffte Otto den Uebertritt einiger 
einflußreiher Prälaten, welche ben kirchlichen Standpunft 
höher als den politischen ftellend, ihre Rüdfichten gegen 
das hohenitaufifche Haus hintanfegten. So der Biſchof 
Konrad von Würzburg, welcher als Hojfanzler Heinrichs VI. 
und Philipps in beftändiger Umgebung des Letzteren ger 
weien war und von ben Rittern von Ravensburg aus 
Privathaß und Rachſucht meuchlings ermortet wurde, auf 
defien Leibe man die Spuren von Selbitgeißlung und ein 
bárincó Hemd gefunten haben wollte, weßhalb er von 
feinen Freunden als Martyrer der (reibeit der Kirche ἢ 
gepriefen wurde. Die mit großem Eifer betriebenen Unters 
handlungen Philipps mit dem rómiíden Stuhle führten 
endlich im Jahr 1207 dahin, daß derfelbe von dem päpfte 
lichen egaten zu Worms feierlich von dem Banne los- 
geſprochen wurde. Comit war ein Qauptbinberni der 
Erweiterung feiner Macht aus dem Wege geräumt. Die 
Lage Otto's dagegen verihlimmerte fid) damals aud in 
fofern, als fein Beihüger, König Johann von England 
feldft durch ben eroberungsluftigen König von Granfreid) 
hart bebrüngt wurde. Dagegen verband fib jegt Dito 
mit Waldemar von Dänemarf, ju befjen Gunften bie 
nördliche Reichsgrenze preisgegeben wurde. Im Jahr 1208 
war bie bódfte Spannung ber Dinge eingetreten. Die 
Entfheivung des Kampfes, welche in nádfter Ausficht 


668 Abel, König Philipp der Hohenſtaufe. 

fand, fonnte für Philipp faum mehr zweifelhaft fein, ba 
fiel berfefbe burd) die Hand Otto's von Wittelsbach. Die 
Umftände, unter benen biefe That vorfiel, und bie Art 
und Weife ihrer Ausführung, machen biefelbe zu einem 
hiftorifhen Raͤthſel, ,faft fo unerforſchlich als bie göttliche 
Sügung, bie fle gefhehen lief." Daher bie verſchiedenen 
einander widerſprechenden Darftellungen und Beurtheiluns 
gen, welche biefelbe gefunden hat. Beſonders auffallend 
ift, wie Luden, bemüht „einen Schanvfleden aus ber 
Geíbidte des deutſchen Volkes auszutilgen und einen 
beutíden Fürften edlen Stammes von einem Verbrechen 
zu reinigen, weldes länger als 600 Sabre an feinen 
Namen geknüpft worden ijt," bie Mordthat aus einer 
während eines ſcherzhaſten Spieles vorgefallenen Unvor- 
fihtigkeit hervorgehen läßt. Nach ver ziemlich überzeugenden 
Darftellung Adels war die Ermordung Philipps nicht eine 
That plóplid) auflodernder Rachſucht, fondern einer mit 
^ faltem Blute eingeleiteten Verfhwörung. Zweimal nad 
einander wurbe fo burd) ben Tod der beiden hohenſtaufi⸗ 
fen Brüder der ruhige Gang ber deutſchen Geſchichte 
unterbroden — durch den Heinrichs VI. nad) einer zwar 
kurzen, aber mit großer Conſequenz und Energie geführten 
Regierung, dur ben Tod Philipps nad) einem bem Ende 
nahen zwölfjährigen Bürgerfriege. Als Schluß hat ber 
Herr Verf. feiner in formeller Hinfiht febr gelungenen Dar⸗ 
ſtellung Philipps einige am ben Tod defielben fih an. 
fließende Betrachtungen beigefügt, welche bie Verringes 
tung des Reichsguts, die Macht der römischen Kirche, 
deren Erhebung gegenüber bem Kaiſerthume beklagt wird, 
das Kaiſerthum und Königthum, das Rittertfum und 
Dürgertfum, bie Verbreitung und Einheit ber deutſchen 





Bieter, Engelbert der Heilige. 669 


Schriftſprache und ber deutfchen Dichtung zum Gegen» 
Rande haben. Eine intereffante Beigabe zu bem legteren 
Shunfte bildet bie in den Anhang aufgenommene furje 
Ahandlung Karl Simrofs „über Kaifer Heinrih VI. 
als Liederdichter.“ Sonit enthält ber Anhang außer einer 
reihen Anzahl von Anmerkungen einige Nachrichten über 
ungedrudte Quellm und Auszüge aus benfelben, darunter 
einige ungebrudte Briefe zum Theil von Innocenz IIL; end» 
lid) noch ſechzehn Stammtafeln zur Geſchichte König Philipps. 

Der Berfaffer des zweiten Werkes, Herr Ficher, hat 
das Gebiet der deutſchen mittelalterlihen Geſchichte bereits 
mit Gtüd anzubauen begonnen in feiner Schrift „Reinald 
von Daffel," mit welder wir zu feiner Zeit die Lefer der 
Quartalfchrift befannt gemacht haben. Bei ber Wahl 
feines Stoffes war der Herr Berfaffer von dem Geſichts⸗ 
punfte der Provinzialgeſchichte ausgegangen, infoierm et 
einen Beitrag zur Geſchichte Rheiniranfens und Weſt⸗ 
phalens zu geben beabfihtigte. Doc find auf der andern 
Seite bie Verdienfte des δ΄. Engelberts um das deutfche 
Reich fo hervorſtechend, daß berfebe aud) in ber Reichs— 
geſchichte eine ehrenvolle Stellung einnimmt, während auf 
der andern Seite das Erzbisthum Köln damals eines bet 
bebeutenbften Glieder des Reiches war, und ein ſchweres 
Gewicht in bie politiihe Wagſchaale legte. „An ben 
Namen Engelbert des Heiligen fnüpfen fid für Köln, für 
das Rheinland Erinnerungen an vergangene Größe und 
Herrlichkeit; Engelbert in feinen Doppelbeziehungen , bier 
als Erzbiſchof und Herzog zu Köln, dort als Schirmer 
des Reihe und ald Heiliger der Kirche muß vor Andern 
den NRheinländer mahnen an die großen Tage der Vorzeit 
feines Stammes und feines Landes.” (6. 1.) 


610 gute, 


Engelbert entfproßte bem Haufe der Grafen von Berg, 
welches in bem norbweftlihen Deutfchland als eines der 
mädjtigften und einflußreichften Dynaftengefchledhter eine 
große Rolle fpielte. (S. 14 ff.) Einer feiner Verwandten 
Adolph von Altona war es gemefen, welcher als Cry. 
bifdof von Köln durch Einhaltung einer reichsfeindlichen 
Politif und durch Erhebung be Welfen Dito zum Begen- 
Könige Philipps den langwierigen Thronfreit fammt dem 
daraus hervorgehenden Unheile verſchuldete. (&. 20 f.) 
Engelbert felbft erhielt fhon al& Knabe die Stille eines 
Propftes zum hl. Georg in Köln. Im Jahre 1199 wurde 
die Stelle eines Dompropitcs, die erfte Würde der Kölner 
Kirche nad) dem Erzbiſchofe, erledigt. Bon einem Theile 
der Wahlberechtigten wurde Engelbert und von dem übrigen 
Dietrich von Heinsberg gewählt. Der Streit wurde vor 
Innoeenz ΠῚ. gebracht. Nachdem er fib gegen 4 Jahre 
hingezogen hatte, trug Engelbert, welder inzwiſchen das 
erforderliche canonifdbe Alter erreicht hatte, den Sieg dar 
von. Als ber Erzbiſchof Adolph zu Philipp übergieng, 
verlich aud) fein Vetter Engelbert bie von dem Papſte 
bevorzugte Partei ber Welfen. An dem nun entflehenden 
Bürgerfriege in dem Griftüite Köln nahm Engelbert thätigen 
Antheil, unbefümmert um den Bann, welder auf Befehl 
des Papſtes über ihn verhängt wurde. Die Wendung 
ber Dinge zu Gunften Philipps und deſſen gleich darauf 
erfolgter plögliher Tod griff aud in Engelbertd und 
Adolphs Geſchicke tief ein. Im Jahr 1209 wurde Engels 
bett von dem Banne losgeſprochen; zur Sühne übernahm 
er das Gelübbe eines Kreuzzuges gegen die Albigenfer, 
welches er bann aud im Jahre 1212 ausführie. Als 
ber neue Erzbiſchof Dietrich von Köln auf Seite des in, 


Engelbert ber. Heilige. 671: 


gwifchen von Innocenz II. verfluhten Otto's IV. blieb, 
wurde er von ben päpftlichen Legaten mit bem Banne δὲς 
legt; Engelbert ftanb aber jeht auf Seite Friedrichs IL, 
welcher von der priefterlihen Partei gegen Otto IV. empore 
gehoben wurde. Im Jahr 1216 wurde er felbft in einem 
Alter von 30 Jahren einftimmig zum Erzbiſchof von Köln 
erwählt. An bie Löfung ber fchwierigen Aufgabe, bie 
durch bie verheerenden SBürgerfriege feinem Ersftifte ges 
ſchlagenen Wunden wieder zu heilen und auf dem firdje 
lichen unb politifhen Gebiete Ordnung wiederherzuſtellen, 
ſchritt Engelbert mit Exrnft und Strenge. Bei den außer⸗ 
ordentlichen Faͤhigkeiten, bie er'befag, fonnte ihm das 
Werk aud) gelingen. „Schon fein Aeußeres befunbete 
den Herrſcher. Hatte er bereits als Knabe Aller Blide 
auf fih gezogen, fo galt er als Jüngling für ein Bild 
männlicher Schönheit, wie weit unb breit unter Geiſtlichen 
und aien fein zweites zu finden war, eine hohe Helden⸗ 
geftalt, frájtig unb ebenmäßig gebaut. Es [Φίεπ, fagt 
Eäfarius, al& habe die Mutter Natur in einer Perſon 
alle Borzüge vereinen wollen, um aus dieſem ihrem Meifter- 
werfe, wie aus einem Spiegel ihre Pracht zurüdzuftrahlen. 
Auch feine bedeutenden geiftigen Anlagen hatten fid) früh 
bemerfbar gemacht; bisher freilich hatte er fie faft lediglich 
zur Befriedigung feines Ehrgeiges angewendet. Jetzt hatte 
er das 30je Lebensjahr überfhritten. Der jugendliche 
Mebermuth war dem Ernfte des Mannes gewihen, und 
gerade das wilde Treiben feiner Jugend und mande 
bittern Erfahrungen mögen Urſache gemefen fein, daß er 
jet die Würde feiner hohen Stellung umfomehr zu wahren 
und vergeffen zu machen ſuchte, was er einft gefrevelt.“ 
-(S. 55.) 


672 δίδει, 

Was feine Regierungsthätigkeit betrifft, fo war er 
darauf bedacht, die weltlihe Gewalt in den beiden koͤlni⸗ 
hen Herzogthümern als folide Grundlage für bie 8e 
feftigung und Erweiterung ber Macht des Erzftiftes, welde 
während ber SBürgerfriege geſchwaͤcht worden war, wieder⸗ 
herzuſtellen. (€, 62 f. 78f. cf. €. 223 f., to fif der 
Verfaſſer mit ber Unterfuhung über bie Herzogsgemalt 
der Kölner Erzbiſchoͤſe in dem rheinifchen Lothringen fowie 
in Weſtphalen befhäftigt.) Wenn Engelberts Seitgenoffe 
Eäfarius von Heifterbadh über bie Großen feiner Zeit Hagt: 
„Wenig Gürften, wenig Edle erfüllen bie Tage ihres Lebens 
unverfürgt; nur wenige erreichen bie Jahre des Greiſes; 
denn fie berauben die Armen und butd) die Thränen bet 
Armen werden fle erftidt und früh ins Grab gebracht" — 
fo ift begreiflih, welde Mühe es Engelbert foftete, die 
Großen und Edlen wieder in ihre Schranken zurückzu⸗ 
weiien und feine Herzogsgewalt über fle zur Geltung zu 
bringen. Ohne Zweifel war e8 nicht Herrſchſucht, wohl 
aber das Streben fo viel als möglich Hilfsmittel im feiner 
Hand zu vereinigen, um feine Pflichten als Erzbiſchof und 
ᾧ riog um fo leichter erfüllen zu können, daß er im Jahre 
1223 vie Rigierung der Grafihaft Berg an fid 09. 
Wie er gegen die Großen feines Landes fireng war, und 
er fib. auch angelegen fein ließ, bem nad) Unabhängigfeit 
Arebenden Sinne der Kölner Bürger gegenüber feine 
Herrfchergewalt aufrecht zu erhalten (S. 85 f.), fo nahm 
et fid der Rechte ber Unterdrückten väterlib an. (&. 81 fig.) 
Einen Ritter, welcher mehrere Juden beraubt und erfhlagen 
hatte, ließ er zum Tode verurtheilen. Selbft die Ent 
fiehung des weftphäliiben Vehmgerichtes fnüpft fid an 
feinen Namen. Laßt fid aud) der Antheil Engelderis an 


Engelbert der Heilige. 673 


bet Grriótung biejeó merfwürdigen Inflituts hiſtoriſch 
mit nachweiſen, fo wagt der SBerfaffer bod) bie Ver⸗ 
muthung, daß Engelbert fi) ber Breigerichte zur Aufrechte 
erhaltung des Landfriedens und zur Stärkung feiner er» 
zoglihen Macht bedient unb bie eigenthümliche Ausbildung 
des Stillgerichts veranlaft oder befördert habe. (&. 84 f.) 

Ein Geiftider zu Paris erklärte zu jener Zeit, ere 
zahlt Eäfarius, Alles wolle er glauben, nur das eine 
nit, daß ein deutſcher Bifhof zur Seligfeit gelangen 
ἔδππε. Zu Engelbert felbft fol εἰπῇ nad) bemfelben Ge⸗ 
ſchichtſchreiber ein Moͤnch gefagt haben: „Herr, ihr feib 
ein trefflicher Herzog, aber fein guter SBifdof." Nichts⸗ 
deftoweniger entwidelte Engelbert auch in kirchlicher Ber 
ziehung große Thätigfeit. Eines ber größten SBerbienfte 
um bie Kölner Kirche war bie Berufung ber Bettelmönde. 
Auch ließ er fid) in biefer Beziehung durch die Vorſtel⸗ 
Tungen ber SBeltgeiftlidfeit, welche über Eingriffe in ihre 
Stedte fíagte, durchaus nicht irre maden. Was bie 
Bettelmoͤnche in Köln gewirkt haben, brauchen wir bier 
nit auseinander zu fegen. Es möge hinreichen, bie 
beiden Ramen der großen Scholaftifer Albert der Große 
und Duns-Scotus, welde hier lebten und Iehrten, ins 
Gebádtni$ zurüdzurufen. Engelbert war es aud), welder 
zuerſt den Plan anregte, ben Dom des DL. Petrus neu 
zu erbauen. Geinem zweiten Nachfolger Konrad von 
Hochſtaden war εὖ vorbehalten, ,biefen Wunderbau, ein 
Zeugniß für die fommenben Jahrhunderte, nicht nur bes 
frommen Kunftfinnes fondern aud) des Reichthums und 
der Macht des mittelalterlihen Köln," zu beginnen. 

Ein neuer Abſchnitt in dem Leben Engelberts beginnt 
mit feiner Ernennung zum Reichsverweſer, welche im Jahre 


674 Side, 

1220 bei ber 9tüdteife Friedrichs nad) Unteritalien fatt- 
fand. (€. 105 f.) „Nur ungern übernahm Engelbert zu 
den Mühen ber Regierung des Eraftifts noch die ſchwere 
feft der Reichsgeſchäfte; bann aber führte er biefelben 
qud) mit ſolchem Eifer, daß felbft feine Neider ifm in 
diefer infit feinen Vorwurf zu maden wouften." Am 
8. Mai 1222 frónte er ben jungen König Qrinrid in 
Gegenwart vieler weltlichen und geiftlihen Fuͤrſten zu 
Aachen. Bon ba an blieb er faft beflánbig bei bem Kür 
nige, in beffen Begleitung er das ganze Rei von ben 
Alpen bis zu ber Nordſee durchzog. Im diefer Stellung 
vergaß Engelbert nit, daß er vor Allem ein kirchlicher 
Würdenträger, der Inhaber des damals reidjften unb 
mádtigften Erzbifhofftuhles war. Im Gegentheife richtete 
ex feine Hauptforge auf bie Sicherftellung der Kirche, ihrer 
Rechte und Befigungen, auf bie Hebung ihres Anfchene 
und ihres Ginflufeé. (S. 114ff) Was feine Politit 
nad) außen betrifft, fo blieb er ber Tradition feiner Vor⸗ 
gänger infofern getreu, als er ben König vor der zu engen 
SBerbinbung mit Frankreich zurüdzuhalten und im Gegen 
theil eine Annäherung an England, welches für den nieder 
theinifhen Handel von großer Bedeutung war, herbeizu⸗ 
führen fudte. (S. 124 fi.) Engelbert hatte bereit6 im 
Jahre 1215 mit vielen andern Fürften und Herrn wahr 
ſcheinlich an bem frónungétage Friedrichs IL zu Aachen 
das Kreuz genommen. Als ifm bie Stift6- und Reiche 
angelegenheiten die Erfüllung feines Geluͤbdes nicht moͤglich 
machten, ließ er fi durch ben Papft von bemfelben ente 
binden. 86 aber einige Jahre fpäter bie Lage der Chriſten 
im Morgenlande fid) immer troftlofer geftaltete, und König 
Johann von Serujalem, welcher Europa hilfeſuchend burd» 


Engelbert der Heilige. ets 


309, im Jahr 1224 aud) nad Köln fam, faßte Engelbert 
ben Entfchluß, bie Steidjétegierung niebergulegen unb zur 
Sühnung feiner Sünden in ben Kampf gegen bie Uns 
gläubigen zu ziehen. Doch wurde er burd) feinen -frühr 
jeitigen Tod an der Ausführung diefes und manden ans 
bern Planes verhindert. Die Geſchichte feiner Ermordung 
wird ©. 145 ff. erzählt. Die Urfahe feines gewaltfamen 
Todes war bie Vertheidigung der föniglihen Abtei Eſſen 
gegen feinen Verwandten, ben Grafen Friedrich von Ifen- 
burg, welcher bie alten Vogteirechte feines Haufes über 
jene Abtei geltend machen wollte Die Geſchichte feiner 
Ermordung (7. Rov. 1227) hat viele Achnlickeit mit der 
des hi. Thomas Bekket, mit welder. ſchon Gáfariu& 
unfern Engelbert verglichen hat. Bereitd einige Monate 
nad) feinem Tode wurde Engelbert burd) ben ausgezeich- 
neten Gardinallegaten Konrad von Porto (aus dem alten 
Geſchlechte der Grafen von Urach, welcher nad) Honorius III. 
Tode die auf ihn gefallene Wahl zum Papfte ausfchlug) 
für einen Martyrer und Heiligen erklärt. Bald flieg der 
Ruf feiner Heiligfeit nod) höher bei ber Nachricht von 
vielen burd) die Gnade des Himmels um feiner Verdienfte 
willen an feinem Grabe und auf ber Morbftärte gewirkten 
Wunder, obwohl, wie e aud) bei bem hi. Thomas ger 
ſchah, mande Feinde Engelberts behaupteten, fie könnten 
nimmer glauben, daß ein fo ftofjger, herrſchſuͤchtiger und 
ben Dingen diefer Welt ergebener Fürft Wunder gewirkt 
und den Heiligen beizuzählen fei. (€. 181.) 

Für das deutſche Reih mar Engelberts Ermordung 
ein in feinen Folgen (diver zu bered)nenber Unglüdsfall, 
Kaum hatte das Reich nad) Philipps Tode einige Jahre 
Ruhe und Friede genoffen, und war der Grund μὲ einer 


ἫΝ 
i 
E 
τ 
l 
N 
Y 
Ϊ 


"nm 
il 
ἯΝ 
Im 
ii 


ven δειτιῶ Böhmer morem geecem Bande uw 
„fanes rerum germanizurem “ ja ber mearrm Zeit (EBEN 
für ἐπ qeweifer Shrutert μὲ armngen ecc Gerut „Bngente 
wem Neskerge* gr Gen rumen, werm aid Gemein De 
Grmerrung Pob Gubddpe mad εἴπει zugeblidben Enge 
exilix werte, ex bale τὸς Edpncirr μεθ Grafen δειποσά 


Srber Gutédes al Φαίακα vendu, Ga befnitupes c 
Der 19 Sjecemez wmiojunse Sir von cm wem 


Engelbert der Hellige. 677 


Äh zu einer Eingabe an den Eriminalfenat zu Eleve, um 
bie Confiscation ber Schrift zu beantragen. Der Senat 
ertheilte den SBefdeib, daß es einem jeden unbenommen 
fei, fi in einer alten Legende ben Stoff zu einem Gedichte 
au wählen. Die Abgewiefenen ließen nun zur Wiverlegung 
biefes anftófigen Gedichtes eine Gegenfchrift erſcheinen 
unter bem Titel: „Beleuchtung der Legende, genannt ber 
Ienberg, worin bem bi. Martyrer Engelbertus, Erzbiſchof 
von Köln, die ſchwaͤrzeſten Thaten angebichtet werben, 
wider ben Verfaſſer beffelben dem Wunfche des ganzen 
fathofifchen Publifums gemäß und gum Beften der Armen 
herausgegeben von ber fümmtficben Fatholifhen Geiftlichfeit 
der Stadt Efien und limgegenb." Dorften 1818. Als 
Rautert unmittelbar nad) Grídeinen dieſer Schrift vor 
dem Oberlandesgerichte zu Eleve Klage gegen bie Geift- 
Tidfeit zu Gffen erhob, weil fle in ihrer Schrift beſchimpfende 
Qualificationen ihm beigelegt habe, verurteilte ba& Ges 
tit die Beleidiger zu Stägigem Gefängniffe oder zu einer 
Geldbuße von 10 Thalern per Kopf und in bie Unfoften, 
alles ohne Appellation. Die Geiftlihen entſchieden fid) 
während ber 10 Tage, die ihnen zur Wahl zwifchen Ges 
füngnig ober Geldſtrafe eingeräumt worden war, einftim- 
mig für Gefängnis. Ehe bie 10 Tage abgelaufen waren, 
wurde jedoch den Geiftfiden während ber allgemeinen Aufs 
regung von Eleve aus bie Appellation bewilligt. Der 
Erfolg des Proceſſes war, daß das Gefängniß erfaffen 
und bie Geldbuße auf die Hälfte herabgefeßt wurde N. 
Noch im Jahre 1836 hat fid) ein gewiſſer Manz erbreiftet, 


1) Siehe Ficker ©. 229 {., nah Erſch und Gruber, Eucyll. 
1,40. €. 148, Böhmer L c. p. XXXIV, Note. 
Stet. Duartalfgr. 4858. IV. Heft. 45 


678 Liebermann 


in feiner Schrift: „die Iſenburg ober Friedrich von Jen 
burg und Engelbert der Heilige“ jene Rautert’fche Legende 
in feine angeblihe Geſchichte einzumweben. So verfügt 
unfere Generation mit den größten Männern unferer Vor⸗ 
zeit zum Mergerniffe des katholiſchen Theiles deutſchet 
Nation! Herr Sider aber hat burd) bie firdjlid) und 
patriotiſch gehaltene, klar und gründlich gejd)tiebene und 
überall an bie Borfhungen Böhmers fid anſchließende 
Lebensgeſchichte des hl. Engelberts nicht blos bem größern 
SBublicum eine angenehme und belehrende Lectuͤre, fondern 
aud) einen beadhtenswerthen Beitrag zur Firchlichen und 
potitifhen Geſchichte des deutfhen Mittelalters geliefert, 
beffen Werth burd) die angehängten Regeften Engelberts, 
und mehrere bisher größtenteils ungebrudten Aktenftüde 
nod) erhöht wird. 
Dr. Briſchar. 


6. 

Institutiones Theologicae. Auctore Fr. Leop. Br. Lieber- 
mann, ss. Theologiae Doctore, Dioecesis Argentoratensis 
Vicario Generali Tomus I. Complectens Prolegomena in 
universam Theologiam, Demonstrationem religionis christianae 
el Demonstretionem Catholicam. XX et 510. Tomus H. 
Complectens Theologiam Specialem. XVI et 834. Editio 7** 
emendalissima. Moguntiae, sumptibus Francisci Kirchhemii. 
1853. f. 6. " 

SBorliegenbe Ausgabe der Liebermann'ſchen Inftitutios 
nen unterfcheidet fij von ben vorausgegangenen blos 
aͤußerlich; die fünf Tomi ber frühen Ausgaben finp in 


Institgtiones Theologicae. 679 


wei zufammengezogen unb ift bem erften das Bildniß des 
Berfaffers in Stahl geflohen beigegeben. Das größere 
format (breites Großoctav) geftattete einen zweifpältigen 
Drud und bei größerer Gompreffion des legtern unbe⸗ 
fhabet ber Deutlichkeit und Gefálligfeit bie Zufammens 
feffumg ber fog. General» und Specialdogmatik je in 
Einen Band. Hiedurch find zwei Vortheile erreicht, ein 
billigerer Preis und bie natürlihe Sonderung. der eigent^ 
lifen Dogmatik von ihrer Grunbfegung, ber Apologetif, 
ber fog. Demonstratio christiana et catholica; es ift bie 
Anſchaffung unb ber Gebraud) des Buches erleichtert, was 
bei einem Werke von fo wohlverdientem Rufe alle Be- 
adjtung verdient. 

Ueber ben innern, wiffenfhaftlihen Werth des Buches 
haben wir ung bei Gelegenbeit der fünften Ausgabe des⸗ 
felben im Jahrgang 1841 biefer Zeitſchrift näher ausge 
fproden. Indem wir uns hierauf einfad) beziehen, {εἰ εὖ 
uns geftattet zu wiederholen, was wir am Schluffe jener 
Beurtheilung ausgefprohen haben, taf fid bie Inftitutios 
nen Liebermanns Jenen beflens empfehlen, bie nad einer 
einfachen umb getreuen, aud) möglihft voligánbigen Dar» 
ſtellung der katholiſchen Glaubenslehren Verlangen tragen. 

8. 





T. 


1. Sernhard Schels, Priefter der Didceſe Mündhen-Breifing, 
Die chrifikatpolifche fere in Srühpredigten auf alle 
Sonn» unb Feſttage eines dreifachen Kirchenijahrs. Erfter 
Yand. Schaffhauſen, ὅτ. Hurter’jche Buchhandlung. 1852, 
©. 456. Pr. 1f. 48 f 

455 


680 Predigt · Literatur. 


2. Predigten v. Aloys Nöggl, geweſ. inful. Abt des Pra⸗ 
monftratenfer-Stifts Wilten sc. — Geſammelt und heraus 
gegeben von Alohs Lechthaler, Pfarrer zu Münfter. 
Erfter Band, mit bem Bildniſſe und einer kurzen Bios 
graphte be8 DVerfaffers. Pit bifchöfl. Approbation. Snnt. 
Prud, Verlag von Carl Rauchs fBudjfanblung. 1853. 
G. 455. Pr. 2f 24 ἔτ. 

3. Seichtfaßliche Predigten v. Yincenz Ianfa, Pfarrer in 
Goͤs, Leobner Diöcefe.e 1. Band, Sonntagsprebigten. 
Zweite Auflage. ©. 433. II. Band, Fetertag&s 
und Gelegenheitspredigten. Zweite Auflage 
©. 260. Pr. 8 fl. 

4. Die Predigt in Bildern. Katholiſche ſymboliſche Kanzel 
reden für verfchtebene Feſte des Kirchenjahres. Von Anton 

Dariſch, Weltpriefter. Bier Bändchen. Megendburg, 
Verlag v. ©. Sof. Manz, 1850— 1851. ©. 162. 146. 
129. 146. Pr. 3fL 12. Neue Folge, erfteb und 
zweites Bändchen. Wien 1853. Verlag von Mayer und 
Comp. ©. 162. 168. Pr. je 42 fr. 

5. Homilien über die Evangelien auf ble Sage des Germ 
tm fath. Kicchenjahre, von Pankraz Dinkel, erzbifchöfl. 
geiftlichem Nathe und Kath. Gtabtpfarrer in Crfangen. 
Erfter Band. Erlangen, Palm'ſche DVerlagshandlung. 
1853. ©. 416. Pr. 2 . 

6. flatfolifd)-bogmatifdye Predigten auf ale Sonn« und 
Feſttage des Kirchenjahrs von Dr. &. M. Burfd. Er ſtet 
Theil, vom erften Adventſonntag bis fünften Sonntag 
mad Oftern. Zweiter Thell, von Ehriftt Himmelfahrt 
bis vierundzwanzigften Sonntag nach Pfingften. Tübingen 
1852. Verlag b. H. gaupp'[de Buchhandlung. (Laupp 
u. Giebel.) ©. 506. 478. Pr. 5fl. 24 Er. 





MWuedigt-Literatur. 681 


τ. Leidensbilder, vierzehn Vorträge über ble Leidensgeſchichte 
be8 Herrn, gehalten in ber Collegiat- und Stadtpfarr⸗ 
kirche zu St. Peter in Wien während ber often 1852, 
von fran; Seraph Hafel, Doctor ber Theologie x. 
Schaffhaufen, Verlag ber ὅτ. Hurterfhen Buchhandlung. 
1853. ©. 272. Pr. 1fl. 36 fr. 

8. Die Werfudung 3εῖι Chriſti. Faſtenpredigten v. P. 
Earl Stern, Capitularprieſter der Benedictiner⸗Abtel zu 
u. L ὅται bei den Scholten x. — Mit Genehmigung des 
Hochw. Herrn Stiftsvorſtandes, wie auch des Hochw. 
Furſterzbiſchofl. Ordinariats. Auf Verlangen (!?). 
Der Ertrag iſt zum Beſten des Frauenwohlthatigkeitsvereins 
‚In der Roffau beſtimmt. Wien 1852. In Commiſſion 
bei Kaulfug W., Prandel u. Comp. ©. 188. 

9. Predigten über die Kirchengebote nebft einem Anhange 
von Predigten verfihtedenen Inhalte. Von Yicolaus 
Martini. Trier 1851. Verlag v. 8. A. Cal. ©. 188. 
Br. if. 45 fe. 

10. Iefus kommt! oder Predigten und Anreden vor, bet 
und nad ber Communton, nebft vielen kurzen für bie 
facramentalifche und geiftliche Gommunion dienlichen Bes 
trachtungen. Aus neuern franzoſiſchen Schriften geſam⸗ 

. melt und Bearbeitet v. "1666 f. 3ung, Beichtvater am 
Klofter vom 5I. Grabe in Baden-Baden. Zweite, mit 
einem ftarfen Anhange vermebrte Auflage 
Mit erzbiſchofl. unb bifchöfl. Approbatton. Augsb. 1852. 
Verlag der Matth. Rieger ſchen Buchhandlung. ©. 234. 
Br. 1fl. 

11. fran Iofeph Mofer’s weiland Dompredigers und pro» 
fefford zu Straßburg ſaͤmmtliche Kanzelreden. Heraus 
gegeben von Dr. Käß, Biſchof von Straßburg und 


682 Vredigt ⸗ Literatur. 


Dr. Weis, Biſchof v. Speher. V. u. VI Band, ober 
Lu. 1 anb ber Glaufenüprebtgten. Zweite 
Auflage. Conſtanz, Verlag von W. Med. 1853. 
©. 242 u. 254. Pr. 8 fl. 


Wenn man nad Umfluß eines Jahres eine Heine 
Umfhau in der Predigtliteratur halten will, fo find der 
Producte fo viele, ba man in einer Anzeige, wie fle ber 
Raum diefer Zeitfrift erlaubt, unmoͤglich Alle berüde 
fihtigen fann. Ref. muß daher aud diefes Jahr Manches, 
was er gerne in ben Kreis feiner Beſprechung gezogen 
hätte, abſeits liegen laffen, und wählt deßhalb unter den 
homiletiſchen Erfheinungen, welde ihm in die Hand ges 
fommen find, diejenigen aus, bie ihm vor Andern eine 
SBe(predjung zu verdienen ſcheinen. 

1) Schels fudit in einem dreijährigen Predigteyclus 
das ganze Gebiet der chriſtlichen Heilswahrheilen und des 
chriſtlichen Lebens in Ftühpredigten abzuhandeln. Er befolgt 
dabei bie Eintheilung des Katechismus von Deharpe, und 
weiſt je einem Kirchenjahre ein Haupiftüd zu. 

Die Brage, ob εὖ gerathen fei, ohne Beſugnahme 
auf bie SBericope unb die eintreffende Firchlihe Feier, einen 
aufammenhängenden fpfematifd) geordneten Predigtftoff für 
ein ober mehrere Jahre auszuwählen, if hinſichtlich bet 
Predigten von Schels von untergeorbneter Bedeutung, ba 
er nicht Predigten für den Haupt» fonbern Neben- (Brüh) 
gottedbienft bieten will. Für ben Hauptgottesdienſt fönnten 
wir eine derartige Stoffauswahl und Ordnung nicht 
billigen. Ich erinnere nur an baé Inconveniente, wenn 
man, wie in blefen Frühprebigten gefhieht, an den Faſten⸗ 
fonntagen von ber Zeit unb Weiſe der Schöpfung, von 


Vrcdigt · iteratut. 888 


ben verſchiedenen Geſchoͤpfen, a8 Firmament, Erde, Paras 
dies, Sonne, Mond, Sterne u. f. m. oder am Pfingſtfeſte 
von ber bf. Dreieinigfeit predigen wollte. Anders verhält 
εὖ fid mit Predigten in einem 9tebengotteóbienfte, fei es 
in der Frühe ober dem Nachmittage. Da fid zu ſolchem 
Gottesvienfte vielfah Dienftboten und Leute, bie bem 
Hauptgottesvienfte anzumohnen gehindert find, einfinden, 
fo fónnen mit großem 9tugen Feine Predigten gehalten 
werden, die ben vorherrihenden Eharafter einer zuſammen⸗ 
hängenden Unterweifung in der chriftfatholifhen Religion 
haben. Hiedurh wird ber oft mangelhaften religiöfen 
Erkenntniß nachgeholfen, und werben die Leute durch regel⸗ 
mäßige Aufeinanderfolge der zu behandelnden Materien 
mehr angerogen, ba fie feine üde haben wollen. 

Der Berf. ift. fid) diefer Aufgabe wohl bewußt ges 
blieben. Er fagt felber von feiner Predigtweife ©. 7: 
„Was die Art und Weife betrifft, wie id) zu prebigen 
pflege, fo habt ihr biefelbe fhon genugfam fennen gelernt, 
naͤmlich gut deutſch; b. f. redlich und aufrichtig, flar unb 
ohne Umfchweife, offenherzig unb zutraulih, gerecht unb 
wie εὖ if, fo gut ich εὖ fann und vor Gott erfenne. 
Wem meine Rede zu niedrig Flingen will, ber wiffe, daß 
das Wort Gottes ohnehin [don bod genug ift unb 
ſchwerer verftanben wird, als man glaubt. Wem ἰῷ zu 
einfältig und ohne redneriſchen Schmud (prede, der mag 
nur meine Worte veiflich erwägen und felber fie fo ſchoͤn 
ausmalen, wie er will, Wem id) zu (darf prebige, ber 
wiffe, daß ἰῷ nicht wider ihn fondern wider bie Lafter 
zu Felde ziehe, nicht feine SBerfon fonbern bie Sünde geifle. 
Habt alfo Geduld mit mir, Gott hat fle mit eud aud." 

Der erfte Band, ber vor und liegt, verbreitet fid) 


63 Brebigt-Eiteratur. 

über das erfle Hauptftüd des Katechismus, vie Wahr⸗ 
heiten, bie man glauben joll. Sn 65 Predigten 
die vom Reujahrstage an auf tie Eonn- unb Feftage 
vertheilt find, geht der Verf. bie weientlihen Wahrheiten 
des Glaubens fo grünblid) und vollüünbig durch, taf in 
bigfer Beziehung nicht viel zu wünfchen übrig bleibt. Bald 
herrſcht der unterweifende Ton vor, und wird in der Weile 
des fatechetiihen Verfahrens rubricirt und erflärt (cf. ©. 
10. 13. 45. 174. 237. 404. u. v. a. O.), bald herriht 
der homiletiſche Ton vor, ber oft redneriſch febr gehoben 
ift, in &olge beffen bie Predigten viele Stellen und Aus: 
führungen enthalten, bie an xhetorifcher Eindringlichkeit 
feiner Predigt nachftehen. 

Ref. anerfennt gerne, daß ihm der Verf. in biefer 
Behandlungsmweife glüdlid) zu fein ſcheint. Er bewegt fih 
nie zu lange in trodenen abftracten Ufterweifungen, fondern 
bringt bie vorgetragenen Wahrheiten immer in Bezug zu 
den Lebenserſcheinungen, und greift oft recht anſchaulich 
in die concreten Geftaltungen des Lebens ein. Er dringt 
dabei mitunter fo lebhait auf den Zuhörer ein, daß bicjer 
bewegt werden muß 3. B. €. 157. 191. 406. 451; vidt 
Gmpringlichfeit wird faft eine zu ftarfe Zudringlichkeit 
€. 314: „O Gott, wie lange werden Viele darin (im 
Begfeuer) bleiben müffen! Alle Tage fo viele unüge Worte, 
fo viele Scherzluͤgen, fo viele Ausbrüce des Zorns und 
der Ungeduld! Probirt es einmal, und haltet einen Finger 
nur eine balbe Viertelftunde [ang über ein Kerzenlidt! 
Würdet ibr nicht aljegleib laut aufihreien? Was muß 
τ exit fein, einen ganzen Sag, ein Jahr, hundert Jahre 
dieſen Schmerz auebalten zu müflen!“ 

Ref bezeichnet dieſe Frühpredigten fowohl nad 





Berdigt-fiteratur, 685 


ihrem Inhalte, der vein kirchlich unb wahrhaft religida ift, 
als aud) nad) ihrer Form, bie für ben vorgejegten Zweck 
paſſend gewaͤlt iſt, ohne Anſtand als im Ganzen wohl 
gelungen. 

Er erlaubt ſich aber auch um ſo unverholener auf 
dasjenige hinzuweiſen, was ihm mangelhaft und verfehlt 
ſcheint. Die Predigt nr. 3 „es ift ein Gott," hätte et» 
fpart ober füglid mit nr. 4 in Eine zufammengezogen 
werben fónnen. Die Predigt über bie Abgötterei &. 31 
ift verfehlt; wozu in einer Frühpredigt ober aud) in einer 
Predigt überhaupt all bie Namen ber heidnifchen Gott» 
heiten bei den Deutichen, Griechen und Römern! Die 
fünf Predigten über die δι. Dreifaltigkeit v. €. 192—226 
find fo fublim, daß man fid von benfelben unmóglid) eine 
nußbringende Einwirfung verſprechen fan. Ich will damit 
nicht fagen, daß die Sprache des Verfafiers zu bod) unb 
unberftánblid) fei, fondern der Stoff an fid) ift e6. Bes 
aüglid der Darftellung hat er geleiftet, a8 bei einem ſolchen 
€ toffe zu leiften möglich if. Aber darin hat er offenbar einen 
Mißgriff gemacht, daß er glaubte, in feinen Frühpredigten 
die innern geheimnißvolen Bezüge und Berhältniße ber 
drei göttlihen Perfonen zu einander weitläufig homiletifch 
behandeln zu müffen. Für das religiöfe Leben hat εὖ 
feine Folgen, die Vernunft aber wird nicht befriedigt, fondern 
bódften$ Grübeleien der Weg gebahnt. Stellen wie ©. 
208 und €. 214 find jebod) nibt blod geeignet Grübe— 
Ieien, fonbern aud? Anftoß zu erregen. Der Qomilet wie 
Katechet wird immer gut thun, wenn er bei der hi. Dreis 
einigfeit bie opera ad intra nad) der kirchlichen Definition 
furz darlegt, unb fid) vorzugsweiſe an bie opera ad extra 
pält. . 


684 Vredigt · Literatur. 


über das erſte Φαιριβ des Katechismus, bie Wahr⸗ 
heiten, die man glauben ſoll. In 65 Predigten 
die vom Neujahrstage an auf bie Sonn« unb δεβίαρε 
vertheilt find, geht der Verf. die wefentlihen Wahrheiten 
des Glaubens fo gründlich unb vollſtaͤndig dur, daß in 
bigfer Beziehung nicht viel zu wünfchen übrig bleibt. Bald 
herrſcht der unterweifende Ton vor, und wird in der Weife 
des katechetiſchen Verfahrens rubricirt und erklärt (of. ©. 
10. 13. 45. 174. 237. 404. u. v. a. O.), bald herrſcht 
der homiletiihe Ton vor, ber oft redneriſch febr gehoben 
ift, in Folge beffen bie Predigten viele Stellen und Aus 
führungen enthalten, bie am xhetorifher Eindringlichkeit 
feiner Predigt nachſtehen. 

Ref. anerkennt gerne, daß ihm der Verf. in biefer 
Behandlungsmeife glüdlid) zu fein fheint. Er bewegt fid) 
nie zu lange in trodenen abftracten Uflterweifungen, fondern 
bringt bie vorgetragenen Wahrheiten immer in Bezug zu 
den Lebenseribeinungen, und greift oft recht anidjaulid) 
in bie concreten Geſtaltungen des Lebens ein. Er dringt 
dabei mitunter fo lebhait auf den Zuhörer ein, daß Diefer 
bewegt werben muß 4. B. €. 157. 191. 406. 451; diefe 
Ginbringlid)feit wird faft eine zu ftarfe Zudringlichkeit 
©. 314: „O Gott, wie lange werden Viele darin (im 
Begfeuer) bleiben müffen! Ale Tage fo viele unüge Worte, 
fo viele Scherzlügen, fo viele Ausbrüce des Zorns und 
der Ungeduld! Probirt es einmal, und haltet einen ginger 
nur eine halbe Viertelftunde lang über ein Kerzenlicht! 
Wuͤrdet ihr nicht alfogleih laut aufihreien? Was muß 
εὖ erft fein, einen ganzen Tag, ein Jahr, hundert Sabre 
diefen Schmerz aushalten zu müffen!" 

Ref. bezeichnet dieſe Brühpredigten fowohl nad 


Brebigt-fiteratur, 685 


ihrem Inhalte, der rein kirchlich unb wahrhaft religiös ift, 
als aud) nad ihrer Borm, bie für ben vorgefegten Zwed 
paſſend gewält ift, ohne Anftand alá im Ganzen wohl 
gelungen. 

Er erlaubt fij aber aud um fo unverholener auf 
dasjenige hinzuweiſen, was ihm mangelhaft und verfehlt 
ſcheint. Die Predigt nr. 3 „es ift ein Gott," hätte ers 
fpart ober füglih mit nr. 4 in Eine zufammengezogen 
werden fönnen. Die Predigt über die Abgötterei S. 31 
ift verfehlt; wozu in einer Frühpredigt ober aud) in einer 
Predigt Überhaupt all die Namen der heidniſchen Gott» 
heiten bei ben Deutfchen, Griechen und Römern! Die 
fünf Predigten über die Hl. Dreifaltigfeit v. ©. 192—226 
find fo fublim, daß man fid) von benfelben unmóglid) eine 
nugbringenbe Ginmirfung verípreden fann. Ich will damit 
nicht fagen, bag die Sprache des Verfaſſers zu bod) unb 
unverftändlich fei, fondern der Stoff an fid) ift ed. Bes 
zuͤglich der Darftellung hat er geleiftet, was bei einem ſolchen 
Stoffe zu leiften máglid) if. Aber darin hat er offenbar einen 
Mißgriff gemadbt, daß er glaubte, in feinen Frühprerigten ᾿ 
die innern geheimnißvollen Bezüge und Verhältniße der 
drei göttlihen Perfonen zu einander weitläufig homiletiſch 
behandeln zu müffen. Für das religiöfe Leben hat εὖ 
feine Folgen, die Vernunft aber wird nicht befriedigt, fondern 
hoͤchſtens Grübeleien der Weg gebahnt. Stellen wie ©. 
208 und ©. 214 find jebod) nicht blos geeignet Grübe» 
leien, fonbern aud? Anftoß zu erregen. Der Homilet wie 
Katechet wird immer gut thun, wenn et bei ber bl. Drei 
einigfeit bie opera ad intra nad) der firdbliden Definition 
fur darlegt, unb fid) vorzugsweife an bie opera ad extra 
hätt, 


686 Vredigt · Literatur. 


Das Streben des Verfaſſers, feiner Darſtellung durch 
Einmifhung von Gleichniſſen und Erzählungen Anſchau—⸗ 
lichkeit und Belebtheit zu geben, ift febr gu [oben unb viels 
fad) gelungen. Indeflen wollte e8 den Referenten body 
bebünfen, εὖ hätte weniger oft auf Deibnifde Geſchichten 
und Perfonen zurüdgegriffen werben follen, als wirklich 
geſchehen if. Epicur, Epicuräcr, Heliogabel und A. find 
bod) ben gewöhnlichen Gläubigen ganz unbefannte Namen. 

Auch einige- unpaffenre Ausführungen find dem Ref. 
eufgefofen; ferner find Austrüde wie: „es fanu fein 
Menſch fid) felbft gebaͤren“ S. 53, „EStelldichein“ €. 315 
u. a. für bie Kanzel nicht vorfihtig genug gewaͤhlt. 
Woher hat der VBerfafler die fonderbare Rechnung, bof 
Gott die Welt vor 5800 I. im Monat März erihaffen habe? 
©. 61. Woher fo genaue Auskunft über die Erzeugung, 
Tätigkeit und das Verſchwinden des Antichriſts ? S. 338 
und 341. — Woher weiß er fo gewiß, daß bie 12 Apofel 
in der von ihm ©. 368 befchriebenen Weife bie Glaubens 
artifel verfaßt und zufammengeftellt haben? In derartigen 
Dingen follte man bod) wohl weniger fategorijdje Ber 
hauptungen aufftellen, um nicht abfurd ju werben. 

Solche und ähnliche Darftclungen riechen nad) einem 
etwas Altern Previgtgefhmade, und es dürfte bie Ber 
muthung nicht unbegründet fein, Scheld habe nad) einem 
Altern Werfe gearbeitet, ohne e& jebod) dabei an Selbſtaͤndig⸗ 
feit mangeln zu laſſen. Seine Arbeit bietet viel Körniges und 
Solides nicht blos für Stebenprebigten fondern aud) für 
Hauptpredigten, τοῖς fehen daher ber Fortfegung mit Ber 
gnügen entgegen. 

2) 8t óggl beffeibete beinahe breifig Jahre (v. 1822 
—1851) das wichtige Amt eines infulirten Abtes des 


Predigt Literatur. es? 


fhönen Prämonftratenferftifts Wilten bei Insbrud. Bor 
der Erhebung zu diefer Würde functionirte er mehrere 
Jahre als Pfarrer in zum Klofter gehörigen Gemeinden. 
Aus diefer Zeit indbefonbere, aber aud) aus ber fpätern 
Zeit, wo er troß der vielen Geſchaͤfte als Abt, Gubernial⸗ 
taf u. f. τὸ. nicht felten als Gaſtprediger eingeladen 
wurde, ift ein großer Vorrath von Predigten vorhanden, 
welche fein Neffe 911056 Lechthaler herauszugeben begonnen 
fat. Der erfte bisher erfhienene Band enthält 46 
Predigten auf Feſte des Herrn und Maria’s. Unter ben 
lebtern find nicht blos die gewoͤhnlichen Marienfefte, fon 
dern aud) bie weniger gefeierten wie Mariä Namengfeft, 
Heimſuchung. Marid-Ehmerzen u. 9. bedacht. 

In allen Predigten herrſcht ein reiner hriftfatholifcher 
Gif, ber ihnen einen mohlthuenden foliden Charakter 
verleiht. Sie zeichnen fid) gerade nicht burd) befondere 
Eigenthümlihfeit aus, indefien haben fle bod) ποώ fo 
viele Gebanfen, glüdlide Auffaffungen einzelner Punkte 
und tteffenbe Ausführungen einiger Wahrheiten, daß fie 
die Mühe des Lefens wohl lohnen. Man ftößt nicht 
felten auf finnige Gebanfen, auf gut gelungene concret 
anſchauliche und gemüthlihe Stellen. 

Ref. fónnte zwar nicht fagen, daß ihm alle Predigten 
ganz gefallen hätten, er wüßte an der Einen und Andern 
etwas auszuftellen, bod) zweifelt er nicht, daß ber größere 
Theil derfelben bei allen billigen Beurtheilern Beifall finden 
wird. Es if befonberd die ungefuchte und natürliche 
Conception und die einfache von allem Schwulſte und 
aller Ziererei freie Diction, welche diefen Predigten fihers 
Tid) Freunde verihaffen werden. 

Wenn man inbeffen die Predigten mit einiger Aufe 


688 PrebigtsBiteratur, 


merkſamkeit durchlieſt, fo kann nicht entgehen, daß ein 
merklicher Unterſchied zwiſchen den Predigten ber frühen 
und ber fpätern Periode obwaltet. Die Predigten, welde 
Röggl ale Abt hielt, find unſchwer fenntlid) gegenüber denen 
bie er als Pfarrer gehalten hat. In den erſtern findet 
man eine reihere Zufammenfügung von Gebanfen, abet 
es fehlt oft bie Vermittlung und eine fid ftufenmáfig 
fortbewegende Entwidlung der Gedanken, bie auf ein 
beftimmtes ſicheres Ziel lo8gienge. Die Darftellung vers 
läuft fi daher weniger in redneriſchen Perioden, als in 
einem einfachen oft faft fententiöfen Style. Auch liebt 
der Verf. hier viel Antithefen, fo daß fid. mitunter eine 
ganze Ausführung burd) lauter Antithefen hindurch bewegt. 
Sé made in diefer Beziehung auf die erfte Predigt der 
Sammlung wie auf €. 189 und 359 aufmerfiam. 

Die frühern Predigten dagegen verlaufen in einer 
ruhigen wohlberechneten unb gelungenen Entwidlung der 
Gedanken, in einer einfachen fließenven redneriſch gehobenen 
Gprade; id verweife auf bie Predigten ©. 175, 186 
und 347. Bei den Predigten, die er vor einer von ihm 
paftorirten Pfarrgemeinde hielt, ſcheint er in ben Auss 
führungen viel fiberer zu fein, und das Ziel, das er fid 
bei ber einzelnen Predigt ftedte, Flarer und beftimmter 
gefaßt zu haben, als es fpäter bei Gaſtpredigten ver Ball 
war. Auch mag er als Abt weniger Zeit zu einer ges 
"nauen Ausarbeitung gefunden haben. 

916 weniger glüdlide Partition heben wir bie ©. 
367 hervor: „laflet uns von Maria lernen 1) was wir 
fürdyten unb 2) was wir nicht fürchten follen", Theoretiſch 
find derartige einander ausſchließende Theilungsglieder 
nicht zuläffig, ba fle ein einheitliches Thema bae fle ab» 


Bredigt · Literatut. 089 


fbeifen follen, nicht ermöglichen; zu practiſchen Ausfühs 
rungen ermeifen fie fid) aber hie unb ba als jmedmáfig 
und fónnen beffalb nicht ſchlechthin verworfen werben. 

Ungern vermißt man ein Regifter der in bem etften 
Bande befindlichen Predigten; einem etwa weiter erſchei⸗ 
nenden Bande follte ein foldjed von bem Herausgeber noth⸗ 
wendig beigefügt werden. 

Es waͤre aud) wuͤnſchenswerth, wenn der Herausgeber 
die allegirten Stellen ber hl. Schrift mit einer guten 
Ueberfegung collationiren und den Drt, wo fie zu finden . 
find, angeben würde. 

Drud und Papier find recht (djón, und das beigegebene 
SBilbnig des Autors fehr gut ausgeführt. 

3) In Janfa begegnen wir einem Prediger von 
eigenthümlihem Schlage. Er hat die ziemlich) allgemein 
herrſchende Eonftruction der Predigt Cim engern Sinne), 
bei ber man es auf ein einheitliches Thema und eine 
daraus abgeleitete regelrechte Einteilung abftebt, verfaffen 
und den Weg der Methode betreten, die wir von den 
alten Homileten theilweife befolgt feben. Es ift weder bie 
Homilie der niebern nod höhern Art nach bem ftrengen 
Begriffe, ben bie neuere Homiletif bavor aufftellt; es ift 
eine freie Weife der Verfündigung des göttlichen Wortes, 
die es nicht auf Vollftändigfeit der Durchführung eines 
Gegenſtandes und nicht auf Ebenmaß der einzelnen Glieder 
abfieht, fondern eine religiófe Wahrheit ober Thatſache 
nur nad der Seite hin unb fo ausführt, wie es ber 
Augenblid gerade zu fordern ſcheint. Wir finden daher 
in biefen religiöfen Vorträgen felten ein einheitliches Thema, 
fondern zwei ober drei ober aud) mehr SBuncte aufgegriffen 
und befprodjen; und wenn ein einheitliches Thema vor⸗ 


60 Brebigtrkiteratun. 


auégeftellt ift, fo bindet fid ber Verfaffer nicht genau an 
eine Eintheilung. Die zu befpredenben Puncte, wenn 
gleih unter fid) oft nicht zufammenhängend, find bod) nicht 
aufállig zufammengerafft, fondern der Pericope ober ber 
Beftzeit ober ber zutreffenden Beier enthoben. 

Diefe Methode gibt dem Homileten einen großen 
Spielraum, je nad) Belieben und Geſchick rein practifhe 
Ausführungen, Erflärungen, Beifpiele und Gleichniſſe aufs 
zunehmen, bie in ben Rahmen einer genauen Partition 

night leicht unterzubringen wären. Der Verſaſſer fat 
hievon aud) fo reichlichen Gebtaud) gemacht, daß oft unter 
den einzelnen Theilen nicht leicht ein Zufammenhang zu 
erfennen ift, unb mande Vorträge fo viele ober fo weit 
ausgeführte Exempel enthalten, daß fle faft ben Charakter 
von Crempelprebigten befommen. 

Diefe Predigtweife hat um fo mehr eine Berechtigung, 
als fie im Alterthume nicht obne Vorgänge ift; man vers 
gleiche bie Homilien des Chyrfoftomus, des Cäfarius von 
Arles u. 9L, man wird in Manchen eine ähnliche Anlage 
finden. Die neuere Homiletif hat fid) vielfach allzuſehr 
abgemüht, den Stempel eines logifh moblgeorbneten, ae 
«urat abgetheilten und dabei einheitlichen Auffages aufs 
aubrüden. So fam εὖ, baf viele Prediger die Hauptforge 
darauf wandten, ein etwas neues und frappantes Thema 
ju finden, und baffelbe fofort in einer zierlichen Partition 
auseinanderzulegen. Hatte man das Thema und bie 
Partition, fo war man um die Ausfüllung wenig mehr 
befümmert unb verlegen. In manden Materien ift εὖ 
gut, wenn man fij burd) regelrechte Partitionen bindet, 
aber immer unb ausſchließlich für die Predigt einen Haupt 
fag (Thema) mit Partition zu fuchen, führt leicht zu einem 


Vrrdigt-Piteratug. 991 


einfeitigen Mechanismus und wird ein bequemer Ded⸗ 
mantel der Sterilität. Nichts davon zu fagen, ba bei 
genauer Unterfuhung ein fehr großer Theil ber Partitionen 
ben firengen Anforderungen der Rhetorik, bie in bem 
genannten Balle in der Predigt aud) maßgebend find, nicht 
entſpricht. 

Ref. hat daher ſchon aus dem Grunde die Predigten 
Janſa's mit Wohlgefallen geleſen, weil ſich derſelbe in der 
freien homiletiſchen Methode verſucht hat. Die Lectüre 
fiel in mander Beziehung zu feiner Befriedigung aus, 
da Janfa feine Aufgabe wenigſtens theilweiſe gut gelöft hat. 

Bon den zwei vorliegenden Bänden enthält ber er ſte 
Conntagé^, der zweite Feiertags- und Gelegenheits- 
prebigten. Wenn bie beſprochene Prebigtmanier für bie 
Sonntage nit nur nicht unbraudbar fondern fogar 
empfehlend ift, fo möchte dieſes bod) bei größern Feſtlich⸗ 
leiten weniger ber Ball fein. Es haben aud) bem Ref. 
bie Feſttagspredigten im Ganzen weniger gefallen ald die 
Gonntagéprebigten. Die großen Geheimniffe, welde an 
ben Feſten meiftend den Gegenftanb der Predigt bilden, 
lieben mehr einen feierlichen Charakter unb einen georbneten. 
Gang der Rebe. 

Der größte Theil der Predigten Janfa’s zeichnet fid) 
aber aus durch einfache practifche Haltung, burd) Kräitigfeit 
und Lebendigfeit, durch Anſchaulichkeit und Gemuͤthlichkeit. 
Der Prediger ſteht mit feinen Zuhörern auf einem ganz vet» 
trauten Fuße, er kennt fie, ihr Leben und ihre Verhältniffe 
ganz genau; und in biefeó Leben und in biefe Verhältniffe 
greift er immer fed hinein, unb langt etwas heraus, um 
εὖ feinen Zuhörern im Lichte des Evangeliums vor Augen zu 
falten. Diefer practiſche Sinn macht, daß er immer unmittelbar. 





692 Bredigt · Literatur. 


ober wenigſtens auf dem naͤchſten Wege auf fein Ziel los⸗ 
geht, undefümmert barum, ob die Ausführung einen gere⸗ 
gelten Berlauf nehme ober. nicht, werin er nur feine Abſicht 
erreicht, b. b. feinen Zuhörern diejenigen Puncte, über die 
gu reden er für gut fand, in einer Weife ans Herz gelegt hat, 
"daß er überzeugt fein fann, feine Worte feien eingedrungen. 

Er bedient fid) babet in ber Regel nicht langer Aus⸗ 
führungen, fondern argumentirt auf dem gerabeften. Wege 
ad hominem (cf. ®b. L p. 5. 19. 372. u. ». a.), ober 
gibt Gleichniße oder Erzählungen, die bei dem größten 
Theile feiner Zuhörer viel zuverläßiger wirken, ats bie 
grünblidften Beweisführungen. 

Die Darftellung ift mit wenigen Ausnahmen, wo fid 
der SBerfaffer in eine weniger paffenbe redneriſche Aus⸗ 
malung verliert (3. B. Vd. I. p. 3. I. ©. 229. 246. u. a.), 
einfad) und nüchtern, dabei aber recht concret. unb anſchau⸗ 
lid. Fuͤr letzteres diene folgendes Beifpiel als Beleg: 
„Bei dem Tode Jefu, da der Vorhang im Tempel zerriß, 
fel e& oben gerauſcht und mit vielen Stimmen gerufen 
haben: laffet uns von bannen ziehen! Das feien die 
Engel Gottes gemoefen, die fonft im bi. Tempel ihren 
Wohnfig hatten, nun aber denfelben für immer verließen. 
Von jet an galt er in den Augen Gottes nicht mehr für 
einen Tempel; mit dem Riß des Vorhangs war er ent 
weihtz er war nur nod) ein großes Gebäude von Stein. 
€o geht es aud, wenn die Schamhaftigkeit zerriſſen wird, 
und bie Tugend flirbt burd) den Greuel der Verwuͤſtung, 
durch Unzucht. Es ruft inwendig mit Geifterflimme: laffet 
ung von bannen ziehen! Es zieht von bannen bie Unſchuld, 
der Briede des Herzens, die Freudigfeit zum Gebete, das 
Vertrauen zu Bott und alle holden Engel. Du- warft 


-Bredigt-Literatur. 693 


ein Tempel fodigemeibt in ber Taufe, hochgeweiht durch 
das hi. Abendmahl; jegt haft Du diefen heiligen Tempel 
entweiht und gefhändet, freder und ärger, als je eine 
Chriſtenkirche verunehrt worden iſt. Dafür ift Dein Leib 
jet nur nod) ein Gemenge von Fleiſch und Bein, in 
welchem eine wüßte unreine Seele haufet. Das wird dir 
vergolten werden.“ Bd. I. S. 120. 

Indeſſen wäre ber Kritifer nidt in Verlegenheit, 
manche Ausftellungen ſowohl hinfichtlich der Anlage einzelner 
Predigten im Ganzen als auch hinſichtlich der Ausführung. 
im Einzelnen zu machen. Nicht felten hat fld ber Vers 
faffer bod) zu febr gehen faffen, und Zufammenhang und 
Ordnung in der Anlage zu wenig bedacht. So ift 3. 8. 
in der Predigt auf das Schugengelfeft 8b. IL ©. 136 
fo weitläufig von dem Gbuge ber Engel im leiblichen 
Gefahren die Rede, baf für bie Ausführung ihres Schutzes 
in geifigen Dingen faft fein Raum mehr bleibt. Des⸗ 
leihen hat ber SBerfaffer öfters zu viele Beifpiele und 
Erzählungen in Eine Predigt aufgenommen, z. B. Bd. 1. 
©. 74. Bd. I. ©. 1 und fonft oft. Auch hier gift das 
Eprühwort: omne nimium vertitur in vitium. Bei ben 
vielen Beifpielen und Erzählungen fonnte es nicht fehlen, 
daß mande, ohne baf man einen firengen Maßſtab anlegt, 
ungeeignet (deinen. Ref. wenigftens würde fif fdeuen, 
viele von den gebrauchten Erempeln, oft ganz unverbürgten 
Geſchichten von Heiligen und profanen Geſchichtchen auf 
bie Kanzel zu bringen, 3.2. Bb. I. Ὁ. 19. 20. 121. Bo. 
T. €. 74 unb 75. 164. Auch fonft fehlt es nicht an 
ungeeigneten Stellen und Ausbrüden. 3. 9. 8v. 1. 6. 
139 ift von Königinnen der Unterhaltung unb ben Höllen- 
fünften der Kotterie (vor einer Landgemeindel?) bie Rebe, 

μοί, Duartalíárift. 4868. IV. Heft. 46 


694 Vredigi · Lite ratar. 


©, 134 werden reihe Badegaͤſte ein vornehmes Ungeziefer 
genannt, baé fid) beftialifh wohl fein laffe. Solche Ber 
zeichnungen gehen im Kalender für Zeit und Ewigkeit wohl 
an, nicht aber in der Predigt. Ueberhaupt hat I. den 
genannten Kalender, wie er foíde8 aud) in der Vorrede 
fagt, vielfältig benügt, nur war er nicht wählerifh genug 
für die Kanzel. Gerade die zu vielen Grempel und Ger 
ſchichtchen, bie am Ende bod) die Zuhörer anwidern müffen, 
bie oft ungefhidte Auswahl derfelben, und enblid) bie 
nicht felten vorfommenden für bie Kanzel unpaffenben Aus 
drüde und Paſſagen find εὖ, bie bem Werthe der in Rebe 
ftehenden Predigten einen namhaften Eintrag tfun. 

Wenn die Kunft zu individualifiren unb zu fpecialifiten 
jur Belebung des Predigtvortrags viel beiträgt, fo ift es 
bod) ju weit gegangen, wenn man fid) fo ins Detail ein 
läßt, wie Bd. L S. 360 bei der Thierquäferei und Bd. 
Il. €. 148 bei Beſchreibung ber Sophienlirche in Conſtanti⸗ 
nopel geſchehen if. Die vielfad) wiberfebrenbe Beißelung 
der veligiöfen Leichtfertigfeit der Vornehmen mag aud 
vor einer Landgemeinde gerechtfertigt fein, wenn man 
Grund hat zu fürchten, das Beiſpiel wirke anftedenb. 
Invefien fheint.der Verfaffer doch biefen Punct zu oft 
berührt zu haben. 

Ref. Fann bie Predigten Janſa's in manden eim 
zelnen Puncten der Ausführung nicht billigen, deſſen⸗ 
ungeachtet wuͤnſcht er fie doch in bie Hände recht vieler 
‚Prediger, damit fie an feinem Beifpiele fehen, wie man 
fib einer nur zu lange herrſchenden Feſſel, bie man aus 
der weltlichen Rhetorik in bie Homiletif Binübergetragen 
bat, entſchlagen, unb in freier Weife al Homilet vor feiner 
Gemeinde auftreten könne. (6. ift. freilich nicht au νεῖν 


Vredigt · Literatur. 695 


fennen, baß diefe Predigimethode für Manden Gefahren 
haben fann, in Einfeitigfeit und Plattheit zu verfallen; 
aber gerade deßhalb muß man biefe Methode ftubiren, um 
dieſen Gefabren zu entrinnen. 

4) „Bredigten in Bildern", wie fie Jariſch 
geliefert, find etwas Neues. Um biefelben richtig zu bes 
urtheilen muß man zweierlei unterfheiden, erftens bie 
Grunbíáte und Anfihten, von denen er bei der Geftaltung 
feiner Predigten ausgegangen ift, und zweitens bie Art 
und Weife, wie ibm die Anwentung biefer Grundfäge bei 
der Ausführung ber einzelnen Predigten gelungen ift. 

Hinfihtli des erften Bunctes kann man vorab ganz 
damit einverftanden fein, daß wenn gleich ber Inhalt ber 
chriſtkatholiſchen Predigt immer derfelbe bleibt, bie form 
derfelben bod) eine mannigfaltige fein fónne. Unter biefen 
formen kann man der bilbliden oder ſymboliſchen 
Darftelungsweife gewiß das Recht in ber chriftlichen 
Predigt nicht ftreitig machen. Volks prediger in ftrengem 
Sinn haben fid) derfelben immer mit Vorliebe bedient. 
Es ift aud) natürlich; das Volf und zwar nicht blos das 
ungebildete und ungefdulte, fondern aud) das wohlgefchulte 
ift ſehr wenig an ein abftractes Denken gewohnt, und thut 
barum aud hart, einer Predigt die fih nicht in einer 
etwas grifflihen und anſchaulichen Darftellungsweife bes 
wegt, im Gebüdtniffe zu behalten ober berfelben aud) 
nur mit Sufmerffamfeit und Verftändniß zu folgen. Da- 
gegen verfteht und behält es einen Vortrag viel befier, 
τοῦ 3. Ὁ. die Tugenden und Lafter plaftifche Bezeichnungen 

: gefunden haben, wo überhaupt alle blos abfiracten Aus- 
brüde in lebendige und anfhauliche umgefegt find. Die 
zwei größten Prediger des Mittelalters haben fid) biefer 

46* 


696 Vredigt · Literatur. 


ſymboliſchen ober bildlichen Predigweiſe bedient, naͤmlich: 
Berthold von Regensburg und Geiler von 
Kaifersberg. Wenn 3. 9. Berthold von Regensburg 
von bet Ehe (prit, fo verfährt er fo: zur Ehe find zwei 
Fittiche nöthig, der Eine, um recht unb reblió zur Ehe zu 
kommen, ber Andere, um recht in der Ehe zu eben; jeber 
diefer Fittihe hat fünf Federn. Mit jeder diefer Federn 
bezeichnet er fofort eine igenfdjaft, bie zur Führung ber 
Ehe nothwendig ift. Die Sünden, mit denen bie Leute 
perfudit werben, nennt er Sunfer des Teufels, bie in bie 
Welt ausreiten. Bekannt ift, wie Geiler von K. oft unter 
etwas burlesfen Namen die ernfteften Wahrheiten an ben 
Mann bringt, 3. B. das Rarrenfchiff, der Haa sim Pfeffer, 
die Spinnerin u. A. — „Die fieben Hauptfünden, bie da 
bebeutet find bei ben fieben geiftlihen Schwertern, mit 
denen der böfe Feind, der Teufel die Seelen ber Menſchen 
ſchlaͤgt, verwundet und tübtet, wie man ihm burd) Gottes 
Wort Widerftand thun und beflegen foll; dabei aud) wie 
biefe fieben Schwerter ber Lafter bedeckt find und verborgen 
unter bie fieben Scheiden b. i. unter bie Geftalten der 
guten Tugenden“ ; fo lautet bie Ueberſchrift zu einer Reihe 
von Predigten Geiler's über bie fieben Hauptfünden und 
Haupttugenden, und das Bild ift durchgeführt bis in bie 
fleinften Theile der einzelnen Predigten. Wir fónnen und 
jebod mit der Schilderung und Charakteriſirung dieſer 
altdeutiben Predigtweife nicht länger befaffen, und. müffen 
zum Lefen biefer Predigten felber einladen; fie werden 
gewiß Keinen ohne großen Genuß laffen. Die Predigten des 
Bruders Berthold find purd) bie neu veranftaltete Ausgabe !) 
leicht zugänglich geworden, was fte bisher nicht waren. 


1) Seine Spreblgten find erſchienen bei ὅτ, Hurter in Schaffhauſen, 
1850, in 2 Bänden; herausgegeben v. Göbel. 


Prrbigt-iteratur. 697 


Wir zweifeln nicht, daß gerade biefe eigenthümliche 
bildliche Sprachweiſe die genannten zwei Prediger zu fo 
beliebten Bolfspredigern gemacht hat. Das Volk ift. feinem 
Weſen nad) das gleiche geblieben, unb es wird beffalb 
auch jebt ein Prediger, beffen Darftellung plaſtiſch concret 
ig, bei bemfefben einen leichten Eingang finden. Dabei 
ift aber wohl zu beachten, baf das Vol durch einen gemiffen 
Grad von Berbildung jene Unbefangenheit verloren hat, 
bie e& zur Zeit Berthold's und Geiler’s hatte, und deß— 
halb eine große SBorfidjt im Gebrauche der Bilder anzus 
wenden ift, wenn man nicht ind SBurfedfe und Lächerliche 
fallen will, was ber Kanzel unter feinen Umftänden ans 
ſteht. Ein Prediger der Ichtzeit wird daher biefe zwei großen 
alten Prediger nie förmlich copiren bürfem. Es ift bie 
gegenwärtige Anfhauungsweife des Volkes wohl in Ans 
flag zu bringen, wenn man fid) der fraglichen Predigt 
weife bedienen will; und gerade das ift es, was unferes 
Gradtené die bilplihe Predigtweife ungemein erfchwert, 
und eine duferft vorfihtige Anwendung raͤthlich macht. ^ 

Indem Stef. der bilblidjen Predigtweife an fid) volle 
Berechtigung zuerkennt, gibt er zugleich auch gerne zu, 
daß Jariſch durch feine Arbeiten fid) fd)ügbare SSerbienfte 
um diefelbe erworben habe. Die bilbliden Partitionen 
find vielfach gut und treffend, bie Ausführung reichhaltig 
em Gedanken und Wendungen, ber ganze Eharalter der 
Predigten ernft und eindringlich. 

Dagegen hat den Ref. im Einzelnen Vieles nicht bes 
friebigt. Einmal find die Bilder unb concreten Bezeich⸗ 
nungen, melde an die Cpige der einzelnen Theile geftellt 
wurden, bei der Ausführung nicht ftreng feftgehalten. Denn 
Bhrafen wie: „die ſtechende Hige der SSerfudungen, Sonnens 


698 Prebigt- Literatut. 

brand des Kummers, Regenſchauer ber Trübfal* etc. (δ {1 
€. 21 cf. €. 47. 114. u. v. a.) fönnen nicht charakteriſtiſche 
Eigenſchaften von Predigten in Bildern fein, fondern find 
unter allen Umftänden Adgefhmadtheiten. 

Ausmalungen wie: „Habt ihr ſchon gezählt des 
Winters &dnecfloden, bie er auf die Erde fireut? Kennt 
ihr bie Zahl ber Blätter, bie ber Qerbft von unjem 
Bäumen ſchuͤttelt? Könnt ihr meflen der Donnerwolte 
Tropfen? Seht fo groß if der Leiden Zahl, ber Feinde 
Schaar, des Glenté Heer. Fuͤrwahr ein Thal der Zähren 
ift die Erde τοῦ ihrer Paradiefesauen und Brühlingshimmel, 
iro ihrem Goldglanz unb Freudentaumel 1. Heft ©. 21. 
7. €. 51. Hıfı IV. €. 80. 87. find durchaus nicht geeignet, 
den Beruf des Verfaſſers zu einem Bolfsprediger in 
Bildern in ein günftige& Licht zu ftellen. 

Die Predigten find bei vielem Guten und Leſens⸗ 
werthen fo angefüllt mit fentimental widerwaͤrtigen Bes 
ſchreibungen 3. B. Heft. 1. ©. 48. VL. €. 79, und mit 
Stellen, deren Zufammenfegung voller Ziererei und Un 
natur ift, daß man fid) fragen muß, was hat der Prediger 
mit biefen Stellen gewollt ? Er wollte einen Effect erfünfteln, 
muß man antworten unb weiter nidté. Wozu dann 
weiter flat einer ruhigen vernünftigen Gedankenentwicklung 
bie in jeder Predigt wiederkehrenden draſtiſchen Apoftrophen. 
Stef. hat fid) beim Lefen derfelben fehr übel angefproden 
gefühlt und fann nidt glauben, daß εὖ bei ben Zuhörern 
viel beffer ergehe. Wie die Ausführungen ber Predigten 
in ber Regel viel zu gefünftelt und rhetoriſch manieritt 
find, fo leiden aud) die Eingänge faft durchgehende an als 
zu großer Ueberſchwenglichkeit. 

Unpaſſend erſchien bem Ref. auch bie Bezeichnung des 


Slr&bigtgirtatut, 609 


Beichtſtuhles als Lazareth 1. S. 112; aud) madit die Zur 
fammenftellung der verſchiedenen Stühle in der Kirche in 
folgender Weife: Predigtſtuhl, Beichtſtuhl, Betſtuhl unb 
Stuhl Petri als Predigteintheilung II. ©. 1. wegen 
ber Amphibolie feinen. guten Eindruck. 

‚Ref. anerfennt gerne das aufrichtige Streben des 
ÜBerfafferé, eine allerdings volfsthümliche Predigtweife zur 
Geltung zu bringen und läßt ihm das SBerbienft unanger 
taftet, bei ber Neuheit der Sache Anerkennenswerthes 
geleiftet zu haben. Aber für bie Bortfegung, bie der Bers 
fafler veriproden und bereits begonnen hat, möchte er ihm 
empfehlen, fid) einer weit grófern Natürlickeit und Eins 
fachheit, bie aud) mit zu einem volfsthümlichen Eharafter 
einer Predigt gehören, zu befleißen. Hiezu möchte das 
Studium der Predigten des Berthold v. Regensburg unb 
des Geiler von Kaiferöberg für feinen Zweck febr gute 
Dienfte tbun. 

5) 98. Dinfel hat fid) (don burd) mehrere Producte 
auf bem Gebiete der Homiletif fehr vortheilhaft befannt 
gemadjt. Es wird um fo weniger nothivendig fein, fid) 
in eine weitläufigere Befprehung feiner neu erfchienenen 
Homilien einzulaffen, als fie fl bem Wefen nad) von den 
frühern homiletifhen Arbeiten Dinfels nicht unterſcheiden. 
Nur ber äußern Form nad) unterfcheiden fid) biefe Homilien 
von den frühern Predigten Dinfels. Der Berfaffer will 
nämlich aus der Pericope nicht eine einzige Thefis heraus» 
heben, unb biefe ausſchließlich abhandeln, fondern je in 
einem Bortrage ben Gefamtinbalt der einfhlägigen Pericope 
in Haren Zügen feinen Zuhörern vorführen, dadurch wurde 
er auf die Sorm der Homilie geführt. Seine Homilien 
find aber nicht an ben Tert der Pericope unmittelbar fid 


100 ΓΝ 


anſchließende practiíde Erklärungen, fondern fireben baburd) 
eine einheitlibe Fotm der Duráfübrung an, daß er aus 
einer Pericope je zwei oder drei Punkte erhebt, bie er 
untereinander in Verbindung zu bringen judi. 3. 9. 
am zweiten Sonntage nad) Oſtern redet er 1. von ber 
Hirtenliebe Ehrifi; 2. von den Schafen, die ihn fennen; 
3. von den Schafen, die ibn nicht Fennen ; auf den ecften 
Baftenfonntag betrachtet er an ber Hand der Pericope 
1. ben Orunb der SBerfudung, 2. den Kampf in der Ber 
fudung unb 3. ben Ausgang tet Verfuhung. Die eine 
und andere Homilie fommt durch das ziemlich einbeitlife 
Sema der eigentlichen Predigtform nahe. 

Darurd fol fein Tadel auégeíproden, fondern mur 
die von bem Verfaffer eingehaltene Methode bezeichnet 
werden. Die Pericopen find nod) nit vieljältig in biefer 
Weiſe homiletifh behandelt worden, unb es verdient 
Dinfel ſchon deßhalb Anerkennung. Er hat zugleich bei 
der Stoffauswahl auf das Kirhenjahr gebührende Rüds 
fibt genommen, unb den Beweis geliefert, daß die einzelnen 
Pericopen dem Inhalte nad) in einem wohlberechneten 
Zufammenhange mit bem Ablaufe des Kirchenjahres fteben 
und daß fie richtig verftanden und aufgeíaft einen febr 
mannigfaltigen Stoff zur homiletifhen Bearbeitung bars 
bieten. 

Die Homilien Dinkel's find gerade nicht beſonders 
tiefgreifend, fondern mehr in bie Breite gehend, ohne baf 
jebod) der Inhalt verfladjt wäre. (διε find inhaltlih nod) 
recht gut und reidlid) ausgeftattet. Man findet oft recht 
anfpredenbe Gebanfen und überrafchende Gedankenverbin⸗ 
dungen. Die Sprache ift wohl geglättet, fanft hingleitend 
und ruhig, id) möchte [agen fauber, wenn nicht das Streben, 


Vredigi · iteratut. TOf 


derfelden Schmud und Glanz zu verleihen, am einen unb 
andern Orte zu flarf hervorträte und ber reinen Natürs 
Tidfeit einigen Eintrag brádte. In Befhreibungen fheint 
uns ber SSerfoffer nicht gar glüdiid zu fein, es fehlt 
bem Ausprude ber treffende conerete Eharafter und bie 
Plaſtit. 

Soviel auch in ber Predigtliteratur jedjaͤhrlich ans 
Tageslicht tritt, fo haben wir bod) nod) feinen Meberfluß 
an guten Homilien, ed müffen uns darum bie von Dinkel, 
bie wir ohne Sebenfen. als gute begeihnen, willfommen 
fein und wird deßhalb dem zweiten Bande, der die Homi- 
lien vom Pfingftfefte bid erften Sonntag bed Advents 
enthalten foll, mit Vergnügen entgegengefehen. 

6) Die Anfiht ift fo ziemlich allgemein zur Anere 
kenntniß gefommen, daß ein Fatholifher Prediger nur 
bann den Anforderungen ber Kirche und den SBebürf, 
niffen feiner Zuhörer entfprehe, wenn er fid mit 
feinen Predigten auf dem dogmatifhen Boden betvegt. 
Man hat lange genug Moral ohne Glauben zu lehren 
und Eittlihfeit ohne Religiofttät zu pflanzen gefucht. 
Das Bergeblihe und zugleich das SBermerflibe biefe& Ber 
mühens einfehend haben bie Prediger der neuern Zeit 
fib far durchgängig der kirchlichen Lehrweiſe mit mehr 
ober weniger Geihid und Genauigfeit angeichloffen, wors 
nad) feine Sittenvorschriften ohne Begründung und Zurück⸗ 
führung auf bie entfpredenben Glaubenswahrheiten, unb 
feine Glaubenswahrheiten ohne bie fid daraus ergeben» 
ben fittlihen Folgerungen gelehrt werden. 

In diefem Sinne find aud) die katholiſch⸗dogmatiſchen 
Predigten von Dr. M. Durſch zu verfiehen. Derfelde 
if ganz der ridtigen Anſicht, daß die homiletifche Bes 


"70 | Sirebigif erst, 
lehrung unb Erbauung von bem altlatholiſchen Glauben 
ihren Ausgang nehmen müffe, ba ein wahres Arifliches 
Leben nur auf bem chriſtlichen Glauben ober auf ben 
Grundlehren der katholiſchen Kirche ruhen und fid) ent 
wideln fann. Durſch gibt feine Abſicht in ber Vorrede 
mod) befonders dahin fund: „Es fag ihm (bem Verfaſſer) 
daran, in biefen Predigten das geheimnißvolle Werk ver 
Erloͤſung Sefu von der Herrichaft des Teufels, von bem Reihe 
ber Binfterniß, der Sünde, von Noth und Sob zum Ber 
ſtaͤndniße des Volkes zu bringen, unb baram bie hriftlihe 
Belehrung und Erbauung zu fnüpfen. Es liegt ja Alles 
daran, daß der Ehrift es recht verftele, wohin die Sünde 
ben Menfchen gebracht und baf er nur durch bie Ver 
dienfte Jefu gerettet und erlöft werde. Nur im rechten 
fBerftünbni der Erlöfung erkennt er das Weſen und bit 
Bolgen ber Sünde und bie unendliche Barmherzigkeit 
Gottes, unb nur in diefer Erkenntniß wird ihm fein Er⸗ 
loͤſer lieb und theuer, ſchließt er fid) an ihn an, und hofft 
er durch ihn das ewig felige Leben zu erlangen“ (Borr. S. VD. 
So widtig «6 if, Glaubenspredigten zu halten, fo 
ſchwierig ift es. Bei Ausführung von Thematen aus ber 
Moral fann man meift ohne viel Mühe feine Darftellung 
in conereter Beziehung zu bem Leben und den Lebensver⸗ 
haͤlmißen bringen; um fo ſchwieriger iR es aber bei 
dogmatiſchen Predigten ber Darftellung durch beftimmte 
Beriehungen zu bem Glaubensleben in individuo unb durch 
Herausgreifen von conereten Erfheinungen des chriſilich 
religiöfen Lebens Anfhauligfeit und anfprehende Fülle 
su geben. Eine Klippe an welcher ber bogmatifche Prediger 
nur ju leicht fcheitert, ift beBbalb, bap er ju treden 
und abfract wird. Aus biefem Grunde ſcheuen aud 


Vredigt · kiteratuv 10: 
Manche mit Reit, bei ihrer homiletiſchen Thatigkeit bab 
dogmatifhe Gebiet wirklich zu betreten und begnügen 
Äh an daſſelbe bin -und wieber anzuftreifen. Es gehört 
ficherlich viel eigenes innered religiöfes Reben umb eine 
genaue Beobachtung anderer Berfonen dazu, um bie fublitteit 
unb geheimnißvollen Wahrheiten homiletiſch fo darzuftellen, 
daß die Zuhörer nicht blos im Schultone darüber belehrt, 
fonbern für bie gläubige- Aufnahme derfelben geſtimmt und 
erwärmt werben. 

Durſch hat fid) diefe Schwierigkeiten fiti nidt 
verborgen, und fudit daher bie Glaubenswahrheiten, ble 
er zum Thema feiner Darftellung gewählt hat, bem 
wirflihen eben fo nahe als möglih ju bringen. 
Er verweitt nie zu lange bei Auseinanderfegung von 
Glaubensfägen und den fie bildenden Momenten, fonbern 
macht fo bald aí6 móglid) bie Anwendung von jenen aug 
auf das Leben. Es ift befonberó das Dogma von der 
Erlöfung Jeſu, beffen Bedeutung und Werth er von ver» 
ſchiedenen Seiten aus in vielen Predigten wiederholt ber 
[eudjet, unb es in ber rechten Beziehung jum Indi⸗ 
vidualleben aufzuzeigen ſucht. Deßgleihen fert auch bie 
Beleuchtung der Wirffamfeit des hl. Geiſtes in dem er» 
löften Individuum öfter wieder. Da diefes fo wichtige 
mb weitgreifende Punkte find, fo fann man das Berfahren 
des Verfaſſer s vollſtaͤndig billigen. 

Außer den Grunddogmen hat der Verfaſſer im Wb» 
Taufe des Kirchenjahrs an Sonn» unb Fefttagspericopen fid 
anfchließend fo ziemlich ale wichtigen ®laubenspuncte zur 
ESprache gebtacht ohne daß eine ſyſtematiſche Ordnung 
befolgt worden wäre. Vielleicht hätte mehr über Gnabe, 
Auserwählung, über die Eigenſchaften und Aufgabe ver 


os Vecdigt · kiteratur. 


Kirche, von dem Weſen und den Folgen der Suͤnde ge⸗ 
ſagt werden fönnen. Dagegen haͤtte aber die Predigt 
über bie Gefündheit, ihren Werth, und wie fie zu erhalten 
{εἰ (auf Dom. XYL p. Pent. 90. IL p. 209), nad bet 
Anficht des Ref. unbefchabet der ganzen Sammlung wohl 
ausfallen dürfen. Sie paßt an unb für fid nidt recht 
unter diefe bogmatifhen Predigten, und hat aud) in ber 
Ausführung manches Unp aſſende. 

Wenn Durſch feine Aufgabe, dogmatifche Predigten 
au liefern, im Ganzen gut gelöfl, und bie fo nabefiegenbe 
Gefahr einer abftracten und trodenen Ausführung feiner 
Themate ziemlich glüdlid) vermieden hat, fo liefen fid) 
bod) bei einläßlicher Analyfe der einzelnen Predigten vet» 
ſchie denerlei Ausftellungen machen. Die meiften Predigts 
themate find zwar im Ganzen logiſch durchgeführt; inbeffen 
vermift man bod) nicht felten eine firenge Eontinuität ber 
Gedanken und eine fij far vorwärts bewegende Ent 
widlung ber Ausführungen. Auch wäre mitunter eine 
ſchaͤrfere Abgrenzung und Auseinanderhaltung ber Be 
griffe in dogmatifchen Materien zu wünfchen. Bei allem 
Streben des Verf. nad) Anfhaulichkeit ig ihm doch eine 
wahrhaft concrete und in die mannigfaltigen Beziehungen 
eingehende &affung nicht immer gelungen. Gemuͤthlichkeit, 
Wärme unb Brifhe hätte aud) hie unb da mehr Spíop 
greifen bürfen. Daß er εὖ mehr auf SBollftánbigfeit des Ma⸗ 
terials, als auf oratorifhe Mittel abgeſehen habe, fagt der 
Berf. in der Borrede felbft. Hiernady werden biefe Predig⸗ 
ten vorzugsweife auf Belehrung und nur untergeordnet auf 
Erfhütterung unb Ermärmung des Gemuͤthes und aui Beſtim⸗ 
mung des Willens abzwecken. Bei all dem will biefen Predige 
ten um ihrer durchgängig dogmatiſchen und rein. fitd)lidyen 


Predigt-Bitsratut. "05 


Haltung willen, woburd fle fid) vortheilhaft auszeichnen, 
ein hoher Werth nicht abgefprochen werben. , 

7) Unter den vielen Saftenprebigten, bie in neueſter 
Seit erídienen, nimmt ber Cyclus von Hafel jedenfalls 
eine efr ehrenwerthe Stelle ein. Seine vierzehn Vorträge 
verbreiten fld) über die Hauptpuncte ber Leidensgefchichte 
unfers Heren. Der erfte Vortrag ift den Vorereigniffen, 
bie gewmiffermafen das Leiden Jeſu Ehrifti einleiten, ges 
widmet, nämlich der Cigung des hohen Rathes, bem Gaſt⸗ 
mahl in Bethanien, ben Schritten des Berräthers u. f. f. Der 
weite Vortrag hat zum Gegenftande feiner SBetradjtung 
Chriſtum am Delberge, der dritte bie Leidensnacht im 
Haufe des Raiphas, ber vierte bie Verleugnung, der fünfte 
Chriſtum im Gerihtshaufe des Pilatus, ber fedóte bie 
Kreuztragung, ber fiebente die freujigung, ber achte bie 
beiden Mifferhäter, der neunte die Finfternig und Ver 
laffenBeit, der zehnte den Durft und Eifigtranf, der eilfte 
Chriſti Abſcheiden, der zwölfte bie Schmerzensmutter, ber 
dreigehnte Gbrifti Seitenwunde, der vierzehnte die Grabes⸗ 
ruhe. 

Die Anlage aller Vortraͤge iſt ziemlich gleichfoͤrmig. 
Im erſten Theile wird gewöhnlich der Leidensgegenſtand 
betrachtet, und in einem zweiten Theile bie Bedeutung 
und Beziehung beffelben zu dem Einzelleben des Glau⸗ 
bigen, in einigen Vortraͤgen auch zu dem Geſammtleben 
ber Kirche aufgezeigt. 3. B. „bie Verleugnung des Herrn 
im Hofe des Kaiphas, bie Verleugnung des Herrn in 
unfern Tagen [εἰ heute Gegenftand unferer SBetradjtung^ 
S. 55. Oder: „den Kreuzweg, ben ber Herr mit feinen 
Schritten geheiligt, den Kreuzweg, den bie Kirche mit 
bem Kreuze belaftet wandelt, den Kreuzweg, ben jebet 


τοῦ BrbigtBlieretw. 


Menſch geben muß, wollen wir heute betrachtend wars 
dein" ©. 102, ᾿ 

Durch eine derartige Difpofition, bie fi in Hinſicht 
auf ben zu behandelnden Stoff als gang practifd erweist, 
getwinnen bie einzelnen Theile einen verfchiebenartigen Cha⸗ 
tafter, was aber unfers Erachtens dem Banzen gar feinen 
Eintrag that. Der erſte Theil ift mit vollem fRedte im 
Tone einer SBetradjtung gehalten. Der Berf. verficbt 
es trefflich, die Reidensfcenen und alle Damit zufammen 
hängenden Borgänge bi ins Einzelnſte hinein ohne qui 
fenbe Webertreibung mit fo lebhaften Karben zu ſchildern 
daß der Zuhörer nothwendig davon ergriffen werden muß. 
Sá wähle nur Gin Beifpiel: „Da ward der Herr durch 
ben Hof geführt. Aber mitten unter bem. Bauffchlägen 
und Stößen hat er feines gefallenen Jüngere nicht ver 
geflen, und er wendet fein müdes Haupt um, unb fein 
Auge fudt ben Liebling auf — es war ber Blid des guten 
Hirten, ber fein verlornes Schäfhen auffudt; er ficht 
feinen Jünger ſtehen inmitten ber rohen entarteten Knechte, 
unb e8 wendet der göttliche Heiland, geflogen und ge 
ſchlagen, fein wundes, entſtelltes, todtenbleihes Angefiht 
vol Milde und Grbarmung bem Petrus zu, ale ob «t 
fagen wollte: Petrus, fich mein eniftelltes Angeſicht, für 
dich leide ih, unb bu fannft mif verleugnen! Du fennft 
mid nicht! Du fennft jenen nidt mehr, ber bid zum 
Selen. feiner Kirche erhoben, bet bir bie Schläffel des 
Gimmelyeihes übergeben, ber bid) vor Ahlen ausgezeichnet 
bat, defien Herrlicpfeit bu vor Kurzem auf bem Berge 
geſchaut, bem bu vor wenigen Stunden nod) bie Ber 
ficherung gegeben, ihm treu au bleiben bis zum Tode? 1." 
€. 51. 


Wenn das Gemüth des Zuhörers durch bie Bes 
ſchauung der lebhaft vor Augen geftellten Sibenévorgánge 
erwärmt ift, bann wird derfelbe angeleitet, fein Leben 
Amb:ba8 Leben ber Kirche ober ber menídliden Gefells 
ſchaft im Lichte jener betrachteten Scenen zu beurtheilen. 
Der Verf. verficht. es, oft vecht ſchoͤne Beziehungen Bere 
auszufinden, bie fiberlid febr anregend einwirken. Et 
bemegt fid ganz auf bem Boden des Lebens unb ganz 
beſonders des Lebens ber gegenwärtigen Zeit; al’ feine 


Auswuͤchſe und Gefährlichkeiten werden nad) der Bedeu⸗ 


tung des Leidens Jeſu Chriſti beurtheilt und abgeurtheilt. 
Bald find es wichtige allgemeine Zeitfragen, bie einem 
Borgange im Leiden Jefu Gprigi gegenüber ins rechte 
Licht geftellt werben, bald find e8 Erſcheinungen des ger 
woͤhnlichen religidfen ober fittlihen Lebens, welche burd) 
birecte Beziehung auf das Leiden Jefu mit befonderem 
Stadjbrude befprochen werben. . 

Zur Belebung des Vortrages bedient fid der Verf, 
vieler gefhichtliher Erzaͤhlungen, Parabeln, Vergleihuns 
gen, unb zwar meiftens mit Glüd. Ich verweiſe auf bie 
fhöne vergleichende Beihreibung ©. 3, auf bie treffenbe 
Verleihung &, 142 f. Weniger paffenb für die Kanzel 
aber bezeichnend iR das Gleichniß ©. 195 f., wo bie 
ſchlechten Grundfäge und Schriften ıc. mit einer Eſſig⸗ 
niutter verglichen werden. 

Im Eingange wird gewöhnli eine Geſchichte ober 
Weiffagung des 9L T. zum Ausgangspunfte genommen, 
um auf ben zu befprechenden Punkt überzuleiten. Auch 
im Verlaufe ber Ausführung kommen hie unb ba Bezug- 
nahmen auf das 9. T., die eine gute Wirkung hervor 
bringen, 3. 88. ©. 228. Der Berf. ift den Wienern ge» 


vos Vrcdigt · Literatur. 

gemüber, tor denen er bie in Rebe ſtehenden Vortraͤge 
gebalten hat, febr freimäthig; er hält ihnen wiederholt mit 
ausdrüdliher Benennung der Stadt die grafficende Lauheit, 
Leihtfertigfeit und Aufflärungsfucht vor (vgl. ©. 5. 8. 
451 u. a). Ref. fann überhaupt erflären, daß er burd) 
diefe Vorträge ganz befriedigt wurde, unb biefelben ber 
Empfehlung würdig hält. — . 

8) Die Saftenprebígten von Stern, bie gleid) 
ben eben beíprodenen von Wien ausgehen, fiehen ben 
lehtern an Eleganz der Sprache und Friſche ber Dar 
ſtellung nad. Sie enthalten zwar mande fhöne und 
gute Gedanken; biefelben find aber oft zu wenig motivirt 
und entwideltl. Die Sprache leidet an einer gewifien 
Unbeholjenheit und Eteifheit, und enthält mande ſichtlich 
gríudite Ausprüde, bie zudem nicht immer ganz glüdlid) 
gewählt find, 3. B. „will ein junger Mann fif ebelid 
verbinden, weil εὖ feine age fordert ober bod) geflat 
tet, fo ſucht er fein Weib, feine traute Gefährtin für 
fein Leben, fondern eine Henne, bie goldene 
Eier legt" (S. 63), und baf aus einer Ehe nichts 
Gutes hervorgehen fünne, wenn mut ber Belvfad bem 
Geldſack die Hand zum Bunde reicht“ (ibid). Es (οἵ 
jebod) damit das viele Gute diefer Vorträge nicht vers 
Tannt fein. 

Die Berfuhung Sefu bildet den Mittelpunkt von 14 
Predigten. Es wird zuerft von dem Wefen, den Urſachen 
unb Arten ber Verfuhung gefproden; fobanm von ben 
Hauptrihtungen, in denen fid) bie Verſuchungen in uns 
ferer Zeit geltend machen, von der Genuffudt, bem Un 
glauben, ber Hoffart unb ber Habſucht. Die weitern 
Vorträge handeln von ben Waffen gegen bie Verſuchungen, 


Vredigt · Literatur. 709 


von bem Glauben, ber Wachlamfeit, Flucht und Wider⸗ 
Rand, Arbeit und- Gebet, von Faſten, Demuth und Liebe. 

Diefen Faftenvorträgen find nod) vier Primigpredigten 
ale Anhang beigegeben, die früher fhon einzeln gebrudt 
worden waren, unb hier in zweiter Auflage erfcheinen. 

Der veligiöfe Eifer unb der fittliche Ernft, der aus 
biefen Vorträgen fpridt, macht fie empfeblenémertf. 

9. Rod einmal Baftenpredigten. Diefe har 
ben vorzugsweife die Kirchengebote im Auge, nämlıd das 
Baftengebot, den Beſuch der Pfarrmeffe, bie Beicht übers 
haupt unb bie ófterfide insbefondere (in 4 Predigten), 
das Altarsſakrament (in 6 Predigten). Beigegeben find 
nod) fünf Predigten über die Auferftehung Jeſu (am Dfters 
feft , -über das heilige Saframent der Ehe, über ben 
Gehorfam, über bie Pflihten der chriſtlichen Familien⸗ 
väter, über den Neid. 

Diefe Vorträge von Martini zeichnen fij) aus durch 
Einfachheit unb Natürlichfeit in Gedanken und Darftcllung, 
wodurch fle für Jedermann febr anfpredyenb und verftánblid) 
werden. Eine große Fülle von Gedanken ift in benfelben 
gerade nicht zu treffen, dagegen eine ruhige wohlgeordnete 
fletige Entwidlung der Gedanfen. 

Die feltene Eleganz, mit ber biefeó Buch von ber 
Verlagshandlung auégeftattet wurde, verdient beſonders 
hervorgehoben zu werben. . 

10. Es ift für jeden Seelforger ein bedeutungsvoller 
und freudenreiher Tag, wenn er einige feiner Katechu⸗ 
menen zum erfienmale zum Tifche des Herrn führen fann. 
Er wird deßhalb nie unterlaffen, diefen Tag durd eine 
befonbere Seierlichfeit zu verherrlihen. Wenn die Kinder 
für den Empfang diefes Gebeimniffe$ aud) Hinlänglih 

φιμοί. Ouartalſchrift. 1859. IV. Heft. 47 


Tio Sürebigt«giteratus, 


untereichtet find, fo ift bod) nod) eine anregende Anſprache 
mit unmittelbarem Bezuge auf ben heil. Act gut am Plage. 
Damit wil febod) Referent nicht fagen, daß er mit jenem 
Uebermaße von Standreden einverftanben fei, mit welchen 
man an biefem Tage bie guten Kinder nicht felten mehr 
wu quälen als zu erbauen pflegt. Eine Rede beim Abs 
holen, eine Rebe beim Beginne des Gottesdienſtes, eine 
Rede vor und nod einmal nad der Gommunien, das if 
zu viel geredet. Cine einzige Anrede, im höchften Balls 
wei, dürften faf immer ausreichend fein. 

Die vor uns liegende Sammlung von Jung liefert 
hiezu einen reichhaltigen unb gut verarbeiteten Stoff. Sie 
enthält 23 Anreden für bie genannte Beierlichfeit. — Ginige 
davon And ziemlich ausführlid, andere Fury, wie diejenigen 
beim Abholen ober unmittelbar vor ober nad) ber Com 
munion. Bei ben [egtgenannten Fällen wird Jedermann 
bie Kürze [oben und nahahmen, wenn er überhaupt ba 
Anreden hält. 

Gin der zweiten Auflage beigegebener Anhang ent 
haͤlt zwanzig furje Betrachtungspunkte für die Gommunion 
und mehrere Prebigtentwürfe zur Erneuerung ber Tauf 
gelübbe. 

Die Reben find zum geößern Theile nicht von Sung, 
fondern yon drei franzöflfhen Autoren, aus deren Werfen 
er fie zufammengeordnet und Einiges aus bem eigenen 
Vrieſterleben hinzugefügt hat. Abgefehen von einigen ben 
Sranzofen „eigenen Sentimentalitäten und weniger geeig- 
neten Geſchichtchen aus dem gewöhnlichen Leben find die 
Anreden recht gut und brauchbar, unb werben demjenigen, 
der biefe Seierlidpfeit wiederholt an ber gleichen Gemeinde 
w leiten hat, ficherlich willlommen fein. Sie können 


Vredigt · Literatur. πι 


auch zu biefem Zwede von bem Ref. ohne Anftand em» 
pfohlen werben. 

11. Zum Schluffe glaubt Ref. nod Furz auf eine 
homiletiſche Erſcheinung aufmerffam machen zu follen, die, 
wenn aud) nicht neu, dennoch unfer Intereffe in Anſpruch 
zu nehmen geeignet if. Es find bie Predigten des Er. 
Syof. Mofer, ber im 3. 1777 als Priefter von 26 Jahr 
ren zum Domprediger in Straßburg beftellt wurde, aber 
fon 1780 in ber fráftigften Jugend ſtarb. Bon feinen 
Predigten, die früher Dr. Räß unb Dr. Weis nod) ale 
Profefforen in Speyer herausgaben, erídeint eben eine 
zweite Auflage, die fieben Bände umfaflen fol, und von 
denen ber äte und 6te vor ung liegen. Sie enthalten 
bie Glaubenspredigten Mofers, welche im "ten Bande 
ihren Schluß finden. 

Diefe Glaubenspredigten find größtentheild polemiſcher 
Natur. Es ift eine ſcharfe aber nicht fränfende unb vers 
legenbe Polemif, außer wenn man fid von ber Wahr⸗ 
heit verlegt fühlen follte, bie Mofer hinſichtlich der Geſin⸗ 
nungen und Befteebungen ber fog. Reformatoren unver 
holen fagt. Sonſt aber zeugen die Predigten von einem 
nicht gewöhnlichen rebnerifden Talente, von einem fdjarfen 
Verftande und zugleich großer Gemüthlichfeit, von einem 
teinen Seeleneifer unb von edler Freimüthigfeit. Moſer 
hätte fid) bei längerem Leben ficherlich zu ben Predigern 
erften. Ranges in Deutfhland emporgefchwungen; er wird 
ihnen aud) fo nicht viel nadfteben. Ex hat fi nad den 
Muftern der großen franzoͤſiſchen Kanzelredner gebildet, 
aber eine dem beutfchen Geſchmacke angemefiene Selbſt⸗ 
fländigfeit bewahrt. 

Dr. Bendel, Gonvictóbirector, 
41" 


d Inhaltsverzeichniß 
des 


fünfunbbreiftgften Iahrgange der theologiſchen Quartalſchrift. 





1. Abhandlungen. 


Beiträge zur Geſchichte der deutſchen Liturgie. I. Ordo baptisterii 

ber Kirche von Briren. Tinthaufe „2... . 
Zur Apologie und Geſchichte des Gebete. Gumpofd. . . . 
Die Hriflihe Lehre von der göttlichen Gnade. Kuhn. . 
Die apriflliche Lehre von ber göttlichen Gabe. IT. Artifel, Bor 

Bebeüimmung Ruhm. . . lee 
Bapft iberiu unb das nicániffe Eymbolum. Hefele. . . . 
Die ruſfiſche Kirche. efele. 22e 
Der vorgebliche Pelagianismus der vorauguftinifchen Vaͤter. Kuhn. 
Ueber den Urfprung umb bie rechtliche Stellung der Generalvicare. 

Rode on 
Altteſtamentliche Studien. Bell . . 222. . "E 


11. Recenfionen. 


Anleitung zur Heiftlichen Boltommenbeit. . . . . . . - 
Adel, König Philipp ber Gofenfaufe. 2. 20. 
Bumäller und Schufter, Lefebuch für katholiſche Voleſchulen. 
DieRel, der Gegen Jalobs.. onen 
Dinkel, Gomil . . lle 
Drey, Ich. Geb. v., Neil. > 2 2 2 
Durfch, fatholifhebogmatifche Predigten. . . . . PM 
Exercitia spirituslia juxta methodum S. Ignatii Loyolae. 
Friedlieb, Oracula Sibylla. . . . 22200. 
Sider, Engelbert der Heilige, Erzbiſchof von Köln unb Beides 
verweſe 


Fornici, institutiones liturgieäc.... 

G ángel, Katechismus der Fatholifchen Glaubens und Sitteulehre. 

Gundinger, Patriſtiſche Rundſchau.. 
‚Hafen, Behandlung der Cheſachen im Biethum Rottenburg. . 


714 Inhalt. 








edu 
Hafel, Leidenebilbet.. 0 0. ern nS | 
6 effe, Buße und Veichte.. s.s. sn 18 
Hirfger, Beiträge zur Gomiletif und Ku, 2... 19 
Sanfa, leichtfaßliche Predigten. . » . - eor s. S. 880 
Jariſch, bie Predigt in Bildern. . 680 
351g, Deutfchland In ber Weselationfoeciebe um 588. 1538. 631 
Sung, Jeſus fommt! D . 681 
Satfom, die Befbriefe des HL. διϑαπαλυδ. . ..... εν M6 
Seitfaben für den Beicht- und Gommunion-Unterriht. . . . 178 
Liber precum ad usum Sacerdotum. 2 2... + - εν 177 
Liebermann, lostitutiones theologicae. . o... 678 
Monrefa oder die geifllichen Uebungen des BL Sguatius. νων 17 
Martint, Predigten über bie Kirchemgebote. . «ὁ. εν 681 
Mofer’d fämmtliche Kanzelreden, Berausgegeben von Dr. Βιάβ. 681 
Müller, die Religion in Betrachtungen. . . EAE] 
Shüller, Jahrbuch der römifchefatholifchen Ride . 831 
Bhadfolge der alerbeiligten Suma: . 6.6.0 > so... 176 
Baffaglia, katholiſche Lehrvorträie. . . “ον 419 
Bergmayr, Berragtungen in der geiſllichen noni 176 
Pitra, Spicilegium Solesmense. . . 2. 188 
Probſt, Verwaltung der hochheiligen Φαδατίβιο. . 514 
Reinte, Beiträge zur Giflárung des A. Teſtaments.. . 60% 
Remling, die Bilhöfe zu Speyer. err n s. s. 299 
Richter, Bologuube für Prediget.. 1176 
Röggl, Predigten. . . . eren n nS n n. 680 
€ daubinger, das Gtift Sädingen. ee») κι n n s. 299 
€ dá mig, katholiſchet Katehismus. . . . . .- 25. . 116 
€ dele, bie diiffottolifde Lehre in Sriüfprebigien. 2... 67 
Gegur, furje und vertrauliche Antworten, εν νον PB 
Stern, bie Verſuchung Sefu Ehrifi. . . . . . . . «. 88ιὲ 
Strauss, Nahumi de Nino vaticinium. . . . 624 
Wrtunbio, Beiträge qur vaterländifchen ——— vere 
nämlich aus der norbweftlichen Schweiz. . . 299 
BerfoeveusQeufer, Berpflichtung ber d für bie φι 
meinde zu applicirem. ο΄. ren. 32 
Berker, Leben ausgezeichneter" autholten. Pa s 5 9$ 
Wilpelmus, hiſtoriſcher Katechismus. . . + Ὁ eoo dO 


ΠΕ Siterarifcher Anzeiger. 
Br. 1.2. 3 u. 4. am Ende jedes Heften. 


Literarifcher Anzeiger 
Nr. 4. 


A ———————————————— 

Die hier angezeigten Sdriften findet man in ber 9. Laupp'fgen 

Buchhandlung (Laupp & Fieheh) in Tübingen vorräthig, fo 
wie alle Erfpeinungen ber neueften Literatur. 





In unferm Berlage ift fo eben erfipienen und in allen Buchs 
Yandlungen zu haben: 

Dr. ὦ. F. Scheinert, die drifttide Religion. 
After Band. gr. 8. (30 Bogen.) Broſchirt. Preis 
Rthlr. 2. 8 Sgr. 

Der Berfaffer hat f$ bemübt, in biefem Werke ben Beweis 
zu führen, baf bie driflibe Keligion den Supranaturalismus, 
die SDipfiif. ben Rationalismus wohl als Entwidiungsfufen, aber 
nicht als lepted Refultat, over gar mit ihr iventif anerfennt: 
daß Den!en unb Glauben, Poilofopsie unb Tpeologie norpwendig 
aufammen gehören, daß bie Philofophie nur bann zu günftigen 

folgen gelangen kann. wenn he eine wahrhaft riftfide ift. 

Biere turze Darlegung des Standpunftes, von weldem der 
Berfaffer bei der Ausarbeitung des Werkes ausgegangen if, 
wird genügen, um die allgemeine ?lufmertfamteit auf baffelbe 
au lenten. 

Königsberg. Verlagsbuchbandlung ber 
᾿ Gebrüder Bornträger. 


. Bei Franz Kirchheim in Mainz if foeben erfhienen unb 
in affen Buchhandlungen Deutfhlands, Deferreidd und 
der & d mei zu haben: 


Schrbud 
der 
katholiſchen Dogmatik. 


Dr. $. X. Dieringer, 

MR d DAI Eo 
Dritte vermebrte unb. verbefferte Auflage. 
XXn. 74468. gr. 8. geh. Preis 5 fl. od. 2 Rihlr. 26 Ser. 

„Die wohlwollende Theilnahme, — fagt ber Herr Berfafler 
in der Borrede ju ber hier angefünbigten neuefen Auflage — 
welche bisher dieſem Lehrbuche gefhenft worden, bot eine 
dritte Auflage veffelben erforderlid gemadt. Der geneigte 
Sefex wird bei einer Bergleihung mit der früperen finden, daß 


2 


i. es nicht an Fleiß habe fehlen Taffen, das Füdenhafte zu er 
gänzen, das mehr oder werige Undeutlihe flarer und befimmter 
auszudräden, etlided Süinbermidtige zu verbeflern. die einfahlas 
jigen neueften teiftungen Anderer dankbar :u berüdfichtigen, einige 
Kfanine und Paragraphen gänzlid umquatbeiten. Das eeptere 
gilt namentlih von ben meiften "Bartbien des erfien Zbeile unb 
ven der Vrärefinationgiehre. Wie früher, fo habe ih es aus 
ἐπ diefer Auflage vermieden, mid in eine unerquidiige Bolemit 
einzulaflen, wobei die Wahrdeit feiten gewinnt, die Yiebe báufig 
verliert. Wo εὖ mir unvermeidlih fdien, unridtige Auffaffungen 
^ zu beleudten, ba galt e eben nur den Auffaffungen, nidt ben 
erfonen 1C"... .. Wir glauben εὖ nidt nótbig zu haben, vies 
fen Worten des berühmten Berfaflers, mit weichen er gleihfam 
die dritte Auflage feines Lehrbuches in die Ceffentlicteit einführt, 
mod eine Empfehiung beiufügen und befhränten ung auf bit 
Andeutung, daß vie äußere Ausflartung biefer, aud nad der 
fRogen;abl nicht unbedeutend vergrößerten Auflage ihrem inneren 
Berihe vollfommen entípridt. 


Preisherabſetzung! 
Durch alle Buchhandlungen ift zu beziehen: 

Beyeter, fatty, Erziehungs: u. Unterrichtölehre nad 
fatpof. Grunbfápen sc. 2te umgearb. u. verm. Ausg. [3 8. 
(gbpr. 2 Tpir. fi. 3. 12 tr. τῇ.) jest 24 Nor. fi. 1. 20 tr. 

Auf 12 Er. ein δτείεχεπιρίατ! 

Yarizch, Alerius, fatbol. Gebet: u. Febanungebug 
für Brauen und Sungfrauen. Reueſte Aufl. Wit 1 Stabif. 
12. geh. (tbpr. 15 gr. 48 fr) jett 10 9igr. 32 fr. 

yh. Btinsec in €Cidftiti. 


85 unferem Berlage erfpienen fo eben unb find in allem 
foliden Buchhandlungen Deutfplands zu haben: 

Gailatb, P. Georg. Sechs Reben über bie unbefledte 
Empfängnig der allerfeligtien Jungfrau Marie, Aus 
dem Lateinifhen vom Berfaffer des Wallfaprtsfpiegels. 
5%, Bogen. gr 8%. Preis: geb. 12. Sur. 

Goldhagen, Hermann, Priefter der Geſellſchaft Sefu. 
Bouftändiges Gebet⸗ und Erbauungsbuh als Andacht 
zum heiligen Herzen Jefu Cprifi. Mit Gutpeigung 
und Genehmigung der Obern. 14 Bogen. gr. 125. 
Preis: geb. 9 Sgr. 

Gröne, Balentin, Doctor der Theologie , Sacramentum 
oder Begriff und Bedeutung von Sarrament ín ber 
alten Kirche bie zur Scholafit. Ein Beitrag zur Dogr 


3 

mengefiäte, 13/4 Bogen. gr. 8". Preis: geh. 25 
gr. 

Nolte, 3. 8. Lehrer zu Reiſte. Choralmelodien zum 
kathol. Gebet: und Gejangbude von 3. A. Hüfer, Pa- 
for in Kirchveiſchede. In Thonziffern überfegt. Τῆς Bos 
gen. 80, Preis: geh. 8 Sgr. . 

Süfer, 3. 3L, Paftor in Kirchveiſchede. Vorbereitung zu 
einem feligen Tode. Gebet: unb Betrachtungsbuch für 
fato, Familien Mit Biſchöflicher Approbation. 15 
Bogen. 8%. Preis: 9 Sgr. 

Ehrlich und Schwier. Kopf: und Tafelrechnen, mit 
einander verbunden, und ohne ſchwierige Bruchaufgaben. 
Für Glementarídjulen bearbeitet, und mit einigen Φθίην 
fen für den Lehrer verfehen. 1. Heft. -Sablen einerlei 
Benennung. 3 Bogen. 8%. Preis: 2 Sgr. 

Soeſt, und Olpe, im Auguft 1853. 
$£affe'íóc Buchhandlung. 
Im Berlage der ὅτ. Hurter’fgen Buchhandlung erſchien 
foeben als 
thwendiges Supplement zu allen fieben Auflagen des 
noth er bif Seifen Karesiennee fagen 

Statecbetifcbe8 Nepertorium, oder Bolftändiges 
Auffindebuh von Erklärungen, Notizen, Gleich 
niffen und Veiftpielen zur Erläuterung unb Ber- 
anfhaulihung eines jeden Katechismus. Ein 
nothwender Nachtrag zum biftorifhen Kate 
ὦ ἰδπιπ δ᾽ mit vielen neuen Exempeln. Bon Sy. 
€. Schmid, Katechet. 

Erfte ?ieferung, 36 ἔτ. “10 Nor. 

Das .Ratedetifóe Repertorium” if beſonders für 
bie Befiger_ des hiftorifhen Satediómus$, deflen bisherige 
fieben Auflagen in iprer rafben Aufeinanverfolge ganz unver« 
ändert geblieben, berebnet, um bie Mängel des [e&tern zu ers 
jängen, {pn durch bündige Erflärungen ber fatebetifhen Wahre 

Peiten auch zu vervollfändigen, fowie durch neue Notizen, Gieich⸗ 

niffe und Beifpiele den fatpolifhen Augend« und Bolfsunterrict 

mögliäft intereffant zu maden, fo daß viefe Arbeit in Ber« 
bindung mit bem piforifhen Katebismus, beffen Beifpie'e überall 
mad ber in fämmtliben Auflagen gleich gebliebenen Beiteniah: 
len eitirt find, als ein „vollhändi εὖ Auffindebug“ für 
£&atedeten und Prediger dienen fol. * 


4 


Die oberhirilihe Approbation bezeichnet dieſes Wert als 
»tin für ben katholiſchen Unterricht febr zwedviens 
lioet bilfbud." 

‚Der Seelforger am Kranken: und Sterbelager 
der Gläubigen. Eine Anleitung zur 9luéfpenbung 
ber heiligen  Gterbfaframente, Abläffe und Segnungen 
der Kirche, nebft einer Auswahl von Gebeten und Bes 
trachtungen für Leidende und Gterbenbe. Aus ben 
beften Kranfenbüdern gefammelt und herausgegegen von 
3. A. Eberle, Pfarrer in Mörfhwil. Zweite, veränder- 
Auflage. In zwei Tpeiten. Mit bifhöfliher Apr 
probation. fl. 2. Rthlr. 1. 6 ngr. 

Geparatabbrud hieraus, enthaltend ben für die Kranken allein 
berechneten Theil: 

Der Tröfter am Kranken: unb. Sterbelager 
der Gläubigen. Katboliſches Andagte- und Er 
bauungébud) für leidende Pilger zur Ewigkeit, ihre 
Sreunbe und feelforglichen Führer. Bon 3. A. Eberle. 

fi. 1. 21. fr. 24 ngr. 


Bei Henry & Goben in Bonn erfpien foeben, und if 
durch alle Buchhandlungen zu beziehen: 


Der Primat des Difdsfe von Rom 


und 
bie alten Patriarchalkirchen. 


Ein Beitrag zur Gefchichte der Hierarchie, insbeſondere 
" zur Erläuterung beà fedften Canons des erften allgemeinen 
Concils von Ricaa 

von 


Friedrich Maaßen, 
J. V. D. 


H Preis 1 fl. Rhein. 

Den Gegenftand diefer Schrift bilden die auf bie alten ya: 
triarhalfirden Rem, Alerandrien und Antiodien fi) beziebenden 
Beſtimmungen bes erfien allgemeinen Goucild. Es gehört die 
Sinnerllärung derfelben betanntlid) zu den beftrittenften Materien 
des Sirbenredté und mutte eine neue monographifhe Behand- 
lung um fo mehr als ein Bedürfniß erfheinen, ale inzwifgen 
auf angrenzenden Gebieten Grgeltaiffe gewonnen find, weine das 
richtige Verſtändniß weſentlich erleichtetn. 


5 


Im Berlage der (yt. Eintz'ſoen Buchhandlung in Trier if 
foeben erfopienen und dur alle Buchhandlungen zu beziehen: 


Sacrosancti et oeconomici 
Concilii Tridentini 
Paulo MEE, Julio III et Pio IV. 
Pontificibus maximos 
celebrati 
Canones et Decreta. 

Geheftet. 15 Sgr. — 54 fr. 


Erflärung 


der 
Merkmale der Liebe. 
Aus bem Franzöſiſchen überfegt. 
Geheftet. 15 Sgr. — 54 fr. 


Büſt, Franz, 
Ecce Homo 
ober 
Betradiungen 
über den 
Purpurmantel, das Schilfrohr 


unb bie 








unferes Heben Herrn Jeſa Chriſti. 
Mit einem Zitelfupfer. 
Geyeftet. 17a Sgr. — fl. 1. 


Binz, R., Lehrer, 
Das verarmte Dorf. 
Ein Büdlein 


für den Sandmann und die bürgerliche Ingend. 
ὃς Theil. 21 Gg. 





In der Unterzeisneten ift fo eben erfhienen und durch alle 
folive Buchhandlungen zu beziehen, "(in Zübingen durg bie 
Raupp’fge Bubhandlung): 


Demuth ded Herzens 
der Pater Gaetano Maria ba Bergamo, 


aus der Bamilie des $. Franzislus, Kapuzinerordens. 
Aus dem Italieniſchen ins Deuiſche übertragen von einem 
kathol. Geifttiden. 
Zum Beften des kathol. Gefellen-Hofpitiums in Cöln 
herausgegeben von 
Adolph Kolping, 
Domvicar und Präfes des kaiholiſchen Gefellenvereins. 
Mit Genehmigung der Erzbifhöflihen Behörde. 
8 Bogen 12. Preis geh. 10 Sr. 





De ΄ 
Personae vel Elypostasis 
apud 
patres theologosque natione ét usu. 

Scripsit 
Fr. Guilelmus Nottebaum, 

St. Theologiae lic. olim in convicwrio Bonnensi repetens. 
(Opus posthumum.) 
praefatus est 
Dr. Canradus Martin, 
in universitate Ahenana prof, et Couvictorii cath. inspector. 
6!/, Bogen gr. 8. Preis geh. 9 Sgr. 

Soest und Olpe. 
Nasse’sche Buchhandlung. 
So eben ist in unserm Verlage erschienen: 

Pistis Sophia opus gnosticum Valentino ad- 
judicatum e codice Coptico Londinensi descriptum 
latine vertit MI. G. Schwartze adidit J. H. Pe- 
termann. gr. 8. geb. 2 Rthlr. 


Bei der mangelhaften Kenntaiss der gnostischen Systeme, welche 
wir fast nur nach den Schriften ihrer Gegner, der Kirchenväter za 


T 


beurtheilen vermögen, ist es von grosser Wichtigkeit, einmal ein 
vollständiges, und von aller kritischen Beimischung freies Werk ei- 
nes Gnostikers kennen zu lernen. Ein solches ist die Pistis Sophia, 
deren Bekanntmachung seit langer Zeit von den gelehrten Theo- 
logen sehnlichst gewünscht worden, und von der wir hier einen 
besondern Abdruck der Uebersetzung aus der im Jahre 1851 er- 
schienenen Ausgabe des Textes nebst Uebersetzung zu einem mäs- 
sigen Preise zugänglich machen. 
Berlin im September 1853. 


Ferd. Dümmler's Verlagsbuchhandlung. 





Im Berlage der Kaifer’fchen Buchhandlung in Luzern 
ift erfbienen und in allen Buchhandlungen zu haben: 


Clemens XIV. 


‚und bie 


3efniten. 
Nah dem Werke: 


Geſchichte des Pontificats Clemens XIV. 


nach unedirten Gtaaté(driften 
ans bem geheimen Archive des Vatikans 


von 
Profeffor Dr. 9fuguftin Theiner, 
Prieſter des Dratoriums, Eonfultor ter heiligen Gongregationen 
des Inder, der Bifhöfe unb rbenégeifiliben und des Gants 
Dfficto, Mitglied ber Specialcongregation der unbefledten Ems 
pfängniß ber deil Jungfrau Maria, des theologiſchen Collegiums 
an ber Univerfität von Rom, ber päpfllihen Acavemie ber Ars 
Yäologie, Präfect »Coadjutor bed geheimen Archives des 
heiligen Stuples u. f. τὸ. 


Herausgegeben 
von 
Siofef Burkhard Leu, 
Probſt, Erziehungsrath unb Profeffor der Theologie in Luzern. 
9 Bogen. (leg. geh. 54 fr. — 16 Nor. 





Bet Fl. Supferberg in Mainz find fo eben erfchienen 
und in allen Sudbanblungen zu haben: 


Spacbtfer, ©. M., Die Hymnen der katholifhen Kirche. 
im Veromaße überfegt. 29 Bogen, Miniatur Ausgabe, 


8 


gebeftet 1 Sübír. 15 Gar. oder 2 fl. 42 fr. 
gebunden (n Goldſchnitt 2 9ttbv. 6 &gr. oder 3 ff. 48. fr. 
Format wie „Redwitz Amaranth.” 
Pachtler, G. M., Preces in usum oatholicorum, qui 
litterarum studiis vel imbuuntur, vel jam sunt imbuti. 
6. 14 Sgr. oder 48 kr. 
gebunden in Goldschnitt 1 Rthir. oder 1 fl. 45 kr. 
Das vorliegende lateinische Gebetbuch zeichnet sich vor den 
meisten seiner Árt durch eine möglichst reine Latinität aus und 
ist zugleich streng in katholischem Geiste abgefasst Der Hoch- 
würdigste Bischof von Rottenburg hat es nicht blos approbirt, son - 
dern zugleich empfohlen. Ebenso ist es vom Hochwürdigsten B!- 
schof von Mainz approbirt. Insbesondere empfehle ich auch die 
bundene, höchst elegante Ansgabe, für welche gans eıgene Buch- 
inderformen angefertigt wur 


In ber Krüll'ſchen lniverfitáté: Buchhandlung erfiheint und 
ift bur alle foliven Buchhandlungen des Ins unb Auslandes 
gu beziehen: 

SSerrone, 3. D. Eompendium der katholiſchen Dogmatik. 
Zum Gebraud für Theologen und gebildete Laien beutfd) 
bearbeitet von einem katholiſchen Geiſtlichen. 

Diefes Wert wird aus 4 Bänden von fe 4—5 Pieferungen 
à 12 Rgr. — 36 fr. rn. befiejen und binnen Yapresfrift vollen: 
bet fein. Der L und Il Band unb vom ΠῚ. Band bie erfte und 
aweite Xieferung find bereiss erfhienen. 


Im Berlag der Kaifer’ihen Buchhandlung in Luzern 
ift erfgienen und in allen Buchhandlungen gu haben: 
Warnung 


vor 


Neuerungen und Hebertreibungen 


in ber 
katholiſchen Kırae. Peufclande. — . 
Bon 
der pU Joſeph Burkard eu, 
er ΘΙ. δὲ. 3. Prälat. consist. befätigt. infulirter Prob 
und —X der Theologie Pa ujern. von 
Inpalt: Neuerungen in der Dogmatit — Streit über ben 
Trauergostesvienft in Barden — Rreipeit und Unabhängigkeit der 
Kirpe von der Sraa’sgewalt. Ueber die Denkiwrift des Epie: 
eopaies der oberrhein. Kirchenprevinz vom 18. Juni 1853. 
. 5 Bogen 8. geh. 27 fr. 8 Ngr. 








9 
Sn der Unterzeichneten (ἢ foeben erfhlenen: 


- Kalender für Seit und Ewigkeit. 
Bon 
. M. Zugichwerdt. 
1854. Zwölfter Jahrgang. Mit 6 Bildern. 
Preis 9 fr. — 3 9tgr. d 
Die außerordentliche ?Inerfennung, melde ber Kalender für 
Zeit und Ewigkeit allerwärts erlangt hat. überhebt ung jeder 
Empfehlung; wir bemerken daher nur. daß fib ber neue Jahr 
gang in jeder Beziehung würdig an feine Vorgänger anreipt. 
Bon ben vorbergehenden Sabrgángen des Kalenders 
für Zeit und Ewigkeit waren einige vergriffen. Diefelben 
find in neuen Auflagen erſchienen und burd) alle Buch— 
bandfungen wieder zu beziehen. 
Der Preis ter. Jahrgänge 1843 bis 1851 beträgt je 
6 fr. — 2 ngr. 
Sreiburg, 1853. 


Serbder’fche Verlagshandlung. 


Im Berlage ber Eoppenrath’fhen Bub» und Runfidand« 
Tung in Nünfter ifl fo eben erfdienen und dur alle Buchhand⸗ 
lungen zu beyteben: 


Geicidte Bayerns. 


Zum Gebrauge bei afademifchen Vorlefungen 
und zum Selbſtudium. 
Bon Dr. M. Th. Gonten, 
Brofeffor ter Φεβδίφιε an ber Univerfität zu Würzburg. 
Erfte Abtheilung. 1853. gr. 8. 1 fr. 10 Sgr. 

Der gelehrte Berfaffer hat in diefem Werte fib die Aufgabe 
geftellt, vom Standpunfte der neuern Forſchung aut bie fo mid 
tige Gefbidte eines ter bebeutenbften beutfden Yänder für das 
Bedürfniß benfenber Gefdidtófreunbe in anziehender und ges 
brángter Weiſe darzuftellen, die Vebandfung {εἰδῇ aber auf alle 
SBeflanbtbeile des Königreiches, neuere wie ältere, worin bie vers 
féiebenartigften Staatsformen zur Entwidelung gefommen find, 
gleihmäßig aurzudehnen. Nach beiden Richtungen bin brit biefe 
peue Bearbeitung eine bisher nod) nicht verfucte Bahn. — Es 
erfheint in drei Rteferungen von beiläufig gleihem Umfange, 
deren febe ein in fid gefdloffened Ganze bildet; in der zweiten 
Lieferung wird bie Θεφίφιε Bayerns bis zum Ausgange des 
Mittelalters, in ber dritten bis auf unfere Tage geführt werden, 


10 


Bei Eduard Anton in Halle tft ſoeben erſchienen und in 
allen :udfanblungen zu haben: 

Toluck, Dr. A., das akademiſche frben des 17ten Iahr- 
hunderte , mit bejonderer Beziehung auf bte proteftans 
tıjp:tbeologiihen Fakultaͤten Deutſchlands, nad) hand» 
ſchriftlichen Ducllen {τε Abth. Die afademifhen Zus 
fände. A. u. b. Titel: Vorgeſchichte des Rationalis 
mus L 1. Atıh. 1853. gr. 8°. bred). 1 Rihlr. 22’ gr. 

Yortrait des Herrn Prof. Dr. 9. Seo. fol. Div. Papier 
20 Sgr. Belin Papier 25 25 &gr. 


In unferm gommifiond« Bertage ift fo eben erfhienen unb 
in allen foliben Buchhandlungen zu haben: 


Ein Tatbolifches Volksbuch 
für die Großen und für die Kleinen. 
Sammlung 


von Erzählungen und Auffäten 
von 
Adolph Aolping, 
Domvicar und Präfes des Bathol. Befellen- Vereine. 
Religion und Arbeit ift ber goldene 
Boden des Volles. 
1 Baͤndchen. 12 Bogen 8. Preis geb. 10 Ggr. 
Der Name des Pochwürdigen Heren Berfaffer hat einen 
fofben Klang durh ganz Deurfóbtanb, dak ed feiner weiteren 
Gmpfeblung bevarf, mir deshalb das Publikum hiermit einfach 
von beffen Erfgeinen in Kenuiniß fegen. 


Spef um Olpe, Naſſe'ſche Buchhandlung. 





Am Berlage von ©. P. Aderholz in Breslau ift fo eben 
erfgienen und in a en Puafanb ungen zu haben: 


Neue tbeologifche Briefe 
an Dr. Anton Günther. 
Ein Gericht für feine Ankläger. 
Nebft vorangehender Duplik auf des Dr. Eiemens Replik. 


Sei Dr. S. B. Balger, 
Zweite Eerie. gr. 8. geh. 1434 Bogen. 20 Egr: 


Der Proteftantismus 
ale politifdes Princip 
von Dr. Wriebrid) Julius Stahl. . 
In drei Genbídreiben vom Stantpunfte der Waprpeit, 
des Rechtes und der Gefchichte widerlegt durch 
Earl Nicolaus Guſtav Rintel. 
gr. 8. geb. Preis 20 Ser. 


Der Proteftantismus als politifches 
Sprincip 


von Dr. Wriebr. Jul. GtabI. 
Nach ben Principien gewürbigt von 
Dr. Sy. 8. Reinkens, 

Dom Feſtprediger unb Sprofeffor in Breslau. 
gr. 8. gef. 9 Bogen. Preis 15 Ser. 
Illuſtrirte Prachtausgabe 

der Probs heiliger Ascetik. 


DE 
IMITATIONE CHRISTI 
LIBRI QUATUOR. 


Ad optima exemplaria, collata cum vetustissimo ‚codice 
quem nuncupant de Advocatis, accurate editi. 
Accedunt Preces missae adjunclo precationum de- 
lectu in usum confitentium et cummunicantium. 
Curavit JOANNES HRABIETA, 

Presbyter eccles., examinator synodalis, professor et director 
progymnasii cathol Dresdensis. 

Tertia editio stereotypa ornamentis illustrata priore 
emendatior ei auctior. 

Cum approbatione RRmi Consistorii cathol. in regno Saxouise. 


Prachtausgabe auf {εἰπῇ ἐπὶ mitdweifem Belinpapier 
mit 6 rof en Sliufirationen von *. Gtraehuber in 








X in {εἶ a 
den mfem Holzfguitt. Elegant eene. Preis 


Diefeibe in feinem engl. Leinwandband mit Gold» 
fonitt und reiher Goldverzierung. Breis 1 fi. 15 ἔτ. 
Billige Ausgabe anf fhönem Belinpapier illufrirt, geheftet. 
. Preis 10 Stgr. 
Anftatt (gener Lobeserhebung führe ih hier das competente 
Urtheil des Herrn Profeflor Dr. Scheiner in Wien in ber Zeit. 
férift f. b. gef. Tat. Tpeologie 4ter Ἔν. 3te$ Left an; e$ lautet: 
„Die vorliegende Ausgabe λείώπει fid mirtlid 
auf cine eminente Seife aus, und ter goldene Kern 
wird uns hier in ver That in cinem edlen und würbigen 
Befäse vargereiht. Die Auegabe if boppelgenaltig, 
nãmiich als Pramteremplar und alé wohlfeilere Nuf- 
gabe. Grftere láft gar nichts zu wünfchen übrig, fomoM 
in format als fplendivder äußerer 9udflatung und 
legtere empfieblt fib jedem Sreunbe fhöner Formen 
und guten Geftmades Gine wahre Zierde ver ec 
fieren find Die beigegebenen Aunftblätter bilvlider Dar: 
fieffungen. 


Berlag von Serb. Keffelring in Hffoburghaufen 
und Yeipzig. 











Bei Franz Kirchheim in Mainı ift forben erfbienen unb 
in allen "udjanelungen Deutfhlands, Defterreios 
und der $ d eig zu haben: 


. Predigten 
auf verfchiedne Fefttage, 


nebft 
einigen Saflen- und Gelegenheitsreden 


von Dr. Caspar Riffel. 


(Der gefammten „Predigten auf alle Sonn» und Fefttage 
des Jahres” dritter Band.) 

XVI. u. 494 Θ6. gr. 8. geb. Preis 2 fl. 42 fr. oder 1 Thlr. 18 Ser. 

Den zwei Bänden, „Predigten auf alle Sonn» und δεβίαρε 
des Jahres“ enthaltend, bie nächſte ns in dritter vermebrter Auf⸗ 
lage bei und erfdjeínen werben, fügt der als Kanzeiredner unb 
KXirhenhiforiter in ben mweitehen Kreifen gleih How gefeierte Herr 
SBerfaffer hiermit einen weiteren Band bei, in welhem eine Reihe 
von Kef- und Raflenprebigten, nebft mehreren Giefegenbeitéreben 
aufgenommen find, fo zwar. daß viefer dritte Band nit nur bit 
beiden vorhergehenden vervollfändigt und ergänzt. fonbern aud 
für fif ein abgefchloflenes Ganzes bildet und beffalb von und 








13 

aud allein und unter befonberem Titel abgegeben wird. — 
Aller weiteren Anpreifung ber her angefünbigten Ranzelvorträge 
des fodiürbigen Predigers un$ entpaltend, erlauben wir uns 
mur zu bemerten, daß biefelben nicht etwa blos für Meinere Kreife 
sehalten wurden, fontern als „Beiträge jur Gefdidte 
unferer Zeit“ — wie ver Herr Berfaffer feine Predigten 
{ε|δῆ bezeichnet — gleich ben früher von ihm erfhienenen Kans 
jelvorträgen, ve höchfte Aufmerkfamleit aller gebilbetenunb ents 
piedenen Ratfolifen verdienen. 


In der Unterzeihneten iſt erfhienen und burdj alle folibe 
Bushandlungen zu beziehen (in Tübingen in der Laupp'ſchen 
Buchhandlung vorräthig): 


Tegel nnd Luther, 


oder 


Sebensgefhichte und Wedtfertigung 
des 


Ablaßpredigers und Inquiſitors 
Dr. Johann Tegel 
aus bem Fredigerorben, 
von 
Balentin Gröne, 

Doctor der Theologie. 

15'/, Bogen gr. 8. Preis geb. 24 Ser. 


Die Wahrheit 


des 


fatbolifcben Glaubens, 
bewiefen 
durd eine einzige biftorifde Thatfade, 
oder fritiiche Prüfung des Wunders von Tipafa ober bem 
heutigen Tefeffed in Algier. 
Nach dem Sranzöfifgen 
von 
Vietor de Bud, 
Prieier ber. Geſellſchaft Jeſu. 
2 Bogen 8, Preis geh. 334 Ser. 
Spef und Olpe. . 8affe'ióe Buchhandlung, 
———— . 





44 


n ber Krüll'ſchen Univerfitäte-Buchhandlung in Lands 
but IR foeben erſchienen und durch ale foliven Budbantlungen 
au beziehen: 

Vermander, Dr. Mich. Univerfitäts-Profeffor Hand- 
bud) des katbolifden Airchenrechts mit bejonberer 
Rüdfiht auf Deutſchland. Zweite, gänzlich umges 
arbeitete und verbefferte Auflage in einem Bande 
Bogen gr. 8%. Bel. Pap. Rthir. 4. 3 Sgr. fl. 7. 12 fr. 

Der Ruf, ben fid der Verfafler diefes Werkes ſowohl durch 
bie erfie Auflage, fo wie aud) durch mehrere andere Werke bereits 
begründet hat, überhebt und jeder Anpreifung diefer neuen Aufs 
lage; wir glauben nur nod) bemerken au müffen, daß dieſes Wert 

janj befonders als Danbbud bei Borlefungen an Univerfitäten 

[" eignet unb aud) die erfie Auflage fbon als folhes allenthals 

ben empfohlen wurde; ebenfo wird es ben Herren Seelforggeift« 

lien, wie ven Herren Suriften eine willtommene Erfpeinung fein. 


Im Berlage von Earl Nümpler in Hannover ift erſchienen 
unb durch alle Buchhandlungen zu beziehen: 


SAGE VON DER HEILIGEN URSULA 


und den 
Elftausend Jungfrauen. 


Ein Beitrag zur Sagenforschung 
von 


OSKAR SCHADE. 


gr. 8. 1854. Eleg. geh. 22!/ Ngr. 


GEISTLICHE GEDICHTE 
BEEN 


Herausgegeben 
von 


OSKAR SCHADE. 






8. Anselmus. boich. 
9. Sibillen boich, 
Ursula. 10. Van dem begingin van Paris. 
Marien clage. 11. Dat liden der hilger Machabeen. 


τ 





ΓΝ 


15 


Michael Vehe's Geſangbüchlin 
vom Jahre 1537. 
Nach dem Exemplar der Königlichen Bibliothek zu Hannover 
herausgegeben von 
Hoffmann von Falleröleben, 
(IV. 138 Seiten.) Eleg. geb. "2 Rihlr. 


Kirchenfried und Kirchenlied 
\ Von 
G. C. H. Stip. 
(Anhang: Die Sünger im unverfülschten Liedersegen.) 
gr. 8. Eleg. geh. '/ Rthlr. 


BEITRAEGE 


HYMNOLOGIE 


für Lehrer beider Confessionen 
in Kirchen und hóhern Schulen. 
Von 
€. €f. $. Stip. 
Erstes Heft. gr. 8. Eleg. broch. 1 Rthlr. 
A. u. d. T.: Hymnologische Reisebriefe IL Bd. 4. Heft. 








$n der Hurter’fhen Buchhandlung in Schaffhauſen erfgien 
fo eben: 
Der . 


fatbolifcbe Gottesdienft. 


(in Schr- unb Gebetbud), worin ber ganze katholiſche 
Gottesdienſt gemeinfaglid) beſchrieben umb erfárt wird 
und die firdliden Andachten unb Gebete enthalten find. 
Bon Nikolaus Nothmiller, Weltpriefer ber Dioͤceſe 
Briren. Mit Gutpeígung des f. b. Srbinariaté zu 
Brixen. ff. 2. 48 tr. Rthlr. 1. 20 ngr. 


Zebensbilder ans ber ον ἐν" Jefu. Bon 
Gr. &h. v. Scherer, . 48 fr. Rihl. 1. 
Die Sakramente der heiligen Ketboifäen Kirche. 
Zum Gebraude bei afademifchen SBorfejungen, fomie zum 
Selbſtunterrichte für gebildete Epriften. Bon $8. ©. 
Terlago. fl. 1. 45 ἔτ. Rihlr. 1. 
Die chriſtkatholiſche fere in Frühpredigten. Bon 
18. Schels. Zweiter Band. A. u. b. T.: Gebote, 
die Alle halten müffen, oder: Pie febre. von den 
Geboten, abgehandelt in Frühpredigten. 
fl. 2. Stübir. 1. 6 ngr. 
Auswahl alter Marianiſcher Predigten, Homilien 
und Unterweifnngen für Stadt und Sand. Heraus 
gegeben von Lanz, Pfarrer. Zweiter Tbeil, enthal- 
tend: Prebinten auf bie Feſte ber unbefleckten 
Gmpfángnif und Bermäblung ER arid. 
hir. 1. 6 ngr. 
Flores patrum latinorum et Hymni ecclesiastici. 
Ad optimarum editionum fidem recognovit et brevibus 
nolis illustravit Dr. W. REITHMEYER. 
f. 1. 48 fr. Rihl. 1 
Vir apostolicus, sive Doctrina methodica de utili 
et facili praxi fenctionum sacerdotalium. Auctore 
P. T. Neumayr. S. J. Editio nova cura M. de AUER. 
fl. 4. 21 fr. 24 ngr. 
Vademecum piorum sacerdotum, in usum cleri secu- 
laris denuo editum, emendatum, amplissime auelum a 
sacerdole seculari. ff. 1. — 18 ngr. 


Reuer fpeologiider Verlag 


der 
&. Laupp'ſchen Buchhandlung (Laupp ἃ Siebe) in Tübingen. 


fBeltené, 8r, Der deutſche Ghorafgefang, br ber tatbolifden 
Rirde, feine gefbichtlige Gntwidtung, igifd Bedeutung 
und fein Werbáltni$ zum proteftantifhen oe, ren: 
tettung beffelben wider bie Bebauptung, dab tuther der Gründer 
des deutſchen ^d fei. 12 Bog. gr. 8. broch. 
f. 4. 20 tr. — 25 9 


1? 


Bonaventurae Breviloquium. Textum recognovit Dr. C. J. Hefele. Editio 
altera passim emendata et aucta. 12. broch. A. 1. 20 kr. — 25 Ngr. 

ChryfoftomussPoftille. Gine Unswapl des Cdónfien aus 
den Predigten bed pi. Go rpfoftomud. Für Prediger und 
zur Privaterbauung. Ausgewählt unb aus bem Grundtert 
überfegt von Prof. Dr. J. C. Hefele. Zweite, mit Regifter 
verfehene Ausgabe. 33/2 Mog. gr. 8. brod. fi. 2. 24 tr. 
Rthir. 1. 15 Nor. 

Gollet, P. Dr., Theotimus, ober: Ueber bie Pflichten eines 3üng« 
lings, ber feine Studien zu heiligen münfdt. Aus bem Italienſſchen. 
18,2 Bogen Tafpenformat. — brog. fl. — 48 fr. 3itplr. — 15 Nar. 

Durſch, Dr. G M., Pädagogik, ober Wiflenfhaft der grifligen 
Erziehung auf tem ótanbpuntte des Fatholifhen Glaubens 
dargeftellt. 47/2 Dog. gr. 8. broch. ἢ. 4. 24 fr. Hthir. 2. 22 Ngr. 

- --  Ratholifdedogmatifche Predigten auf alle Sonn 
tage und Seftiage des Kirdenjaprs. 2 Bde. gr. 8. brog. ἢ. 5. 24 ἔτ. 
Kıpfr. 3. 10 Ngr. 

Halder, Sof., Ausgewählter Nachlaß. Mit Halder’s Portrait. 
38 Peg. gr 8. brod) ἢ. 3. 48 fr. Rıpfr. 2 8 Nor. 

Hefele, Brof. Dr. €. 3., Der Garbinal Kimenes und die firhlihen 
Zufände Spaniens am Ende ves i5tem. und Anfange des iGten 
Yahrhunvdertd. Insbefondere ein Beitrag zur Gefhihte und Wür⸗ 
bigung der Inquifition. Zweite verbeflerte Auflage. 36% Dog. 
gr. 8. elegant brod. fl. 4 — Sir. 2. 18 Nr. 

Hirſcher, Dr. 3. 8. v. Betradtungen über fämmtlihe Evangelien 
ber Faſten mit Ginfdlug der Leidensgeſchichte. Kür Seelforger 
und jeden driflien Veftr. ite Aufage. All/s Bogen gr. 8, 
f 1. 86 fr 3ttbtr. 1. 

— — Berragtungen über die fonntäglichen Evangelien des Kir⸗ 
ceniahrs. 2 SHcile. Fünfte Auflage. 95 Bog. gr. 8. Preis nur 
ἢ. 3. 21 fr. Nıpir. 2. 5 Nor. 

— — Die driftlihe Moral als Lehre von ber Sermirfíidung 
be górtliden Reiches in der Menfaheit. 3 Bde. Fünfte verb. 
Auflage. fl. 6. — Rihlt. 3. 25 Ngr. 

Homilien, bie,. des bl. Chryſoſtomus in einer Auswahl für 
Seelforger_und zur Privaseıbanung Aus bem Grundterte übers 
fest von Sof. fus. Zweite, wohlfeilere Ausgabe. 42 Bog. 
81. 8. bro. Preis nur fl. 2. 48 fr. Subs. 1. 25 Nor. 

facorbaite, P. Ὁ. Dom, Die Kanzelvorträge in der Notre 
DamesKirhe zu Paris Aus dem Kranzöffhen überſegt 
von Cyofepb Lug und Sy. U. Hitfelder. 4 Bünbe. brod. 
fl. 9. 54 fr. pir. 6. 6 9tgr. 

Seber Band wird aud einzeln abgegeben. 

ebner, Zob., Praktiſche Anleitung jum apototifnen 
Rranlenbefud e. Aus vem Lateinifgen von M. v. Auer 
15Y2 Bog. 8. brod. 3ttbir. — 20 Kar. fl. 1. — 

Mad, Dr. MR. 3., Hanspofilie für Katholiken. 9n zwei 
heilen. 8. brod. à ἢ. 4, 24 fr. Mipir. 2. 20 Nor. 


... 18 


SXReffillon'6é ausgewählte Predigten.. Herausneneben von Sof. 
Lutz. gr. 8. E^ f. 3 Pi Sir. 2. 18 Sr. 

Montalembert, Die tatpoliffen Intereffen im neunzepnten 
Jadrpunert Aus bem $ranzöffben von $t. JB. Neiching. 
10% Bog. gr. 8. brog. ἢ. — 48 Ir. — Rıplr. — 15 Nr. 

Steumavt, S. J., 9. 8n. Gefdidtéprebigten über ben Bußpfalm 
Miferere. LO berauégegeben von M. ». Auer, Priefler. gr. 8. 
bred. ἢ. 1. 12 fr. 3l. — 24 Eo 

vr Dr. en. Bermwa tung der bochheil. Eudhariftie. 46 Bog. 

δ. ἢ. 3. 48 fr. Rıhır. 2 15 Kar. i 

Quinte el, Chatles. Grnfie Stunden des jungen Weibes Nach der 
zweiten Auflage aus gem Sranjófiffen von 3. p. 181, Bog. 12. 
brod. fi. 1. 24 fr. 26 Nor. 

fees Albert, Gevidte. 17 PBog. Tafhenformat, efenant Brogirt. 

. 1. 12 fr. — 24 igr. gebunden Kıplr. 1. 3 Nor fl. 1. 48 ἔτ. 

— — Die barmherzige Shwefter. Eine Erzählung 16.809. 
8. Elegant brod. fl. — 54 fr. Rıpir. — 18 Nor. 

— — Sebenébifber aus dem Θοιΐε und für das Bolt. 
1215 Bog. 8. eleg. brod. 15 Yigr. fl. — 48 ἔτ, 

— — Seinrich, das Findellind. Cine Erzählung aus bem 
14. Zaprpunvert. Mit Titelbild. 16 Bog. Elegant bregirt. 

f. — 54 tr. 18 Nor. 

Wildt, S. X. von, Feſt⸗ und legen beit  Dredipten 
Herausgegeben von Dr. 88. Matted. gr. 8. bröch ἀᾷ 3. 
Spir. 1. 26 3tgr. 

Sutrigt, Prof. Dr. 3., Die Notpwendigfeit ber driffiden 

fenbarungsmoral und ihr pbilofopbifder Standpunkt. 
11 og. gr. 8. fl. 1. 20 tr. Ktpir. — - 35 Rar. 


Google 


== 








Baia Google