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Te. μοῦ 8.233
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Theologiſche
Quartalſchrift.
In Verbindung mit mehreren Gelehrten
herausgegeben
um
D. v. Drey, Ὁ. v. Auhn, D. Hefele, Ὁ. Welte,
D. Bukrigl und Ὁ. Aberle,
Brofefloren der fat$. Theologie an der X. Univerfität Tübingen.
Fünfunddreißigfter Jahrgang.
Erſtes Quartalheft.
QTübingen, 1853.
Berlag der H. Laupp’fien Buchhandlung.
(Saupp & Sichel.)
Deut von ὅ. Sap. ^
1.
Abhandlungen.
Beiträge zur Geſchichte der deutſchen Liturgie.
1. Ordo baptisterii
der Kirche von fixiren aus dem 12. oder 13. Zahrhundert,
verglichen mil dem alten €aufritus der römifhen uns
deutſchen Kirche.
Der ordo baptisterii, welder nun als ein ehrwuͤr⸗
diges Denfmal der Vorzeit veröffentlicht wird, ift entnoms
men aus einem alten handſchriftlichen Miffale,
welches in ber Bibliothef des f. 5. Priefterfeminars zu
Briren aufbewahrt wird. Daffelbe diente zum Gebraude
zweier febr alten Silialficchen der Pfarre St. Andre auf
dem naͤchſt Briren gelegenen Mittelgebirge, námlid) den
Kichen zum hl. Johannes in €ornol unb zum heil.
Leonhard im Orte gl. N. Es enthält nad) der Alter
fen Ginrijtung in drei abgefonberten Theilen
- das Antiphonarium mit ben Neumen, das Sacra—
mentarium und das Lectionarium. Die Präfe-
tion von ber fefigfen Jungfrau, melde Papft
Urban Il. (1088—1099) eingeführt hat, ift mit fpäterer
Hand hinzugeſchrieben. Im Canon findet man nod) dt. .
Tu
4 Ordo baptisterii
(illius illorum) ftatt des fpäteren N— Tauter Kennzeichen,
daß das Alter biefe& Miffals nicht über das 11. Sabre
hundert heraufgerüdt werden darf. Damit flimmt aud) -
überein bie ſchoͤne Schrift zum Theil mit Iongobarr
bifden Sudftaben, unb daß im vorausgehenden Galen»
darium mit fpäterer Hand bie Namen der gleidjseiti»
gen Bifhöfe von Brixen Hardwig (1020—1039), Bopo
(1039—1048), Altwin (1049—1091) und des Biſchofs
von Trient Gebhard (1106—1118), welder im Jahr
1113 das St. Johannis-Kirchlein zu Eornol eingeweiht
hat, eingetragen find h). Diefer [egte Umftand beweist much,
daß das Miffale wirflid ber Diöcefe Briren
angehörte. Das nämliche Refultat ergiebt ſich aud,
wenn das oben genannte alte Galenbarium mit den fpätern
für die Kirche von Brixen beftimmten und nod) vorhan⸗
denen Kirchenfalendern bis zur Zeit des Fuͤrſt⸗Biſchofs
Chriſtoph Andre von Spaur, welder das τόπι [ὦ ε
Miffale und Brevier im Jahr 1604 eingeführt hat,
1) Das Antiphonarium ſchließt bekanntlich jene Theile ber
BL Meſſe in Rd), welche gefungen wurden, nämlich bem Introitus, ,
das Grabuale, Offertorium, bie Communio unb die Se
quenzen. Neumen find die alten Tonzeichen in bem ihuglfdjen
Büchern, welche aus Puncten, Haͤckchen und Schnörkeln beſtehen, umb
über den Zeilen bes Textes in verfdjiebener Höhe gefegt wurden. Das
Sacramentarium enthielt ben. Ganon, bie Präfationen unb
bit Gebete während ber BL Mefle. Bei der Opferung und zur
Communion des Prieſters waren efebem Feine beftimmten Gebetöformeln
vorgefehrieben, daher fie im bem alten liturgifdjen Büchern mangeln.
Das sl. deutet auf den Gebrauch der Dyptychen und findet fid)
zegelmäßig mur in Handfepriften vor bem 10. Jahrhundert. Bis
' afin wurden nämlich im Abenblande bie Dyptychen vorgelefen,
wenn gleich dieſer Gebrauch bei einigen Kirchen Deutſchlands fich länger
erhalten Hat. Im £ectionarium waren bie Epifleln und Evangelien,
wie fie bei der Liturgie gelefen werben follten, aufgezeichnet.
der Kirche von Brixen. 5
verglihen werden. Am Ende des oben befchriebenen
Miffale if ein Ordo Baptisterii beigefügt, für welchen
aber ein fo hohes Alter nicht angefproden werben kann.
Offenbar ftammt er von einer andern unb fpätern Hand,
welde auch am Ende eine Mefie de s. Leonhardo
geſchrieben hat. Da. nun bie Kirche zum hl. Leonhard,
welcher, wie ſchon gemeldet wurde, dies Miffale anges
hörte, erft am Ende des 12. Jahrhunderts geweiht und
die Mefle de s. Leonhardo wahrfgeinli zur Verehrung
dieſes Heiligen als des Kirchenpatrons um biefelbe Zeit
angeſchloſſen worden ig; fo wird aud) das Ende bes
12. ober der Anfang des 13. Jahrhunderts als bie Zeit
bezeichnet werben müflen, in welcher unfer ordo baptisterii
geſchrieben worben if. Damit ftimmen die Eigenthümlich-
feiten und Fehler in ber Orthographie fowie aud) bie
SBudjftaben überein.
Eine genaue Unterfuhung unb Vergleihung des oben
beſchriebenen Mifiale, des vorangehenden Galenbarium und
des am Ende beigefügten ordo baptisterii dürfte nicht un»
bebeutende Beiträge zur Gefhiähte ber deutſchen Liturgif
liefetn. Für Nieberdeutfchland haben Radulph be Rivo,
Dedant zu Sungern, und Cornelius Schulting,
Eanonicus zu Köln, jener am Ende des vierzehnten, dieſer
am Ende des fechsgehnten Jahrhunderts [djágbare Samm- .
lungen und Arbeiten geliefert ἢ. In ber neuen Zeit
1) Rabulph verfaßte ein Calendarium ecclesiasticum" (auch
de canonum observantia genannt) , worin er Vieles über bie liturgie
fügen Gebrauche feines Zeitalter einfließen ließ. Ed. Bibl. patrum
T. IV. Paris. 1575; T. XIV. Colon. 1618; T. XXVI. Lugdun. 1677.
€dulting made Auszüge aus vorgefundenen alten Handſchriften
befonders der Archive und Bibliotheken zu Köln, mafm bie in feiner
Zeit gebraͤuchlichen Ritual» und Meßbücher zu Hülfe und bearbeitete
6 Ordo baptisterü
Bat der berühmte Abt von St. Blafien Martin Ger»
Bert die kirchlichen Gebräuche und Eeremonien, wie biefe
in Alemannien oder in der Kirchenprovinz Mainz fid) vor»
gefunden haben, von ben erften Zeiten an unterfucht unb
erſchoͤpfend bargeftellt 9. Aber für Bajoarien ober bie
alte Kirchenprovinz Salzburg ift meines Wiffens nur febr
Weniges geleiftet worden. Daher mögen bie Beiträge,
welche id) in mehresen Abfägen zu liefern gebenfe, ben
Freunden kirchlicher Wiffenfhaft nicht unwillfommen fein.
Für dies Mal begnüge id) mid) das Stefu(tat, welches fidj
aus ber Unterfudjung und SBergleldung unfers Coder et»
geben hat, fury anzuführen und fobanm bie genauere Bes
ſchreibung bed oben genannten ordo baptisterii aus bem
12. oder 13. Jahrhundert folgen zu lagen.
Die biſchoͤfliche Kirche von Säben (am Ende des
10. Jahrhunderts nad Briren übertragen) bildete in
den erfien Jahrhunderten ihres Beftandes einen Theil ber
weitgebehnten Kirchenprovinz Aquileja, und ward nad
dem Wunfhe Carl b. ©. von Papſt Leo IM. mit ben
andern bifhöflihen Kirchen Baipariens der neu gegründe-
ten Metropole Salzburg untergeordnet (798). Unfer
liturgiſcher Gober giebt demnach ein Zeugniß für bie Ber
ſchaffenheit ber Liturgie in ber Kirchenprovinz Salzburg
oder in ben Kirchen Bajoariens. Die nähere Unterſuchung
zeigt uns darin ben gregorianifhen Ritus, welder
das für ben Liturgen und Dogmatifer wichtige Werk: Bibliotheca ec-
elesiastica sive commenlariorum sacrorum de exposilione missulis
et Breviarii. T. 4. Coloniae Agripp. typis Stephani Hemmerden.
1599— 1602.
1) Martin Gerbert gab heraus: Vetus. Liturgia Alemannica
St. Blafien 17765 dann Monumenta veleris Liturgiae Alemann. ex
aliquis MS. codicibus. 2 Be. Gt. Blaſien 1777-1779.
der Kirche von Brizen. : 1
von Sarl b. G. und Papft Hadrian L in Deutſchland
allgemein eingeführt worben ift, aber aud) bie Eigenthüns
lichleiten ber deutſchen Liturgie, wie fie fid) insbeſondere
in ben Befren und Sequenzen ausgebildet haben. Die
Bergleihung mit andern liturgiſchen Eodices führt uns aud)
in bie Heimath, welcher unfer Codex entfproffen ift, nämlich
in das ſüdliche Alemannien. Hier blühten bie berühms
ten Benebietiner» Abteien Reihenau, Rheinau, Bes
tershaufen, St. Blafien; vor allen aber €t. Ballen,
wo fid) Romanus niebergelaffen hatte, welder auf Gr»
fuden Karl t. ©. vom Papſt Hadrian mit einem autens
tifhen Antiphonar nad) Deutſchland gefehiet worden war
(190), wo 9t otfer ber Stammler bie berühmten Hym⸗
nen und Lieber verfafte; wo ber römifhe fitdjengefang
und ohne Zweifel aud) die roͤmiſche Liturgie am reinften
fib erhielt; wohin aud Meginbert, der Biſchof von
Säben, im 3. 908 zum Feſte des hl. Gallus wallfahrtete,
vieleicht um mit dem damals nod) lebenden Notfer über
liturgijde Gegenflände fij zu befpreden oder um Ab⸗
ſchriften für feine Kirche zu erhalten ). Im Borbeigehen
1) Welche Berbienfte fid) die Klöfter in ber Zeit des Mittelalters
für Erhaltung und Förderung der Wiſſenſchaft und des Firdlichen Lchens
erworben Haben, darf id) fier nicht weiter erörtern. Nur in Bezichung
auf St. Gallen mögen einige Stellen aus der Vita Notkeri Balbuli
von Effehard dem Jüngern angeführt werben. Fuit in maximo
desiderio Praelatis coenobii S. Galli et B. Notkero aliisque magistris
ibi degentibus, ut cantum secundum autenticum antiphonarium re-
gerent et melodias romano more tenerent, Qualiter autem ista pro-
secuti sint, intimare curabimus posteris. Mittens denuo imperator
Carolus Romam ad Adrianum Papam rogat, ut iterum ei mittat duos
Romanos cantuum gnaros in Franciam, Tunc papa regis precibus
annuens juxta petitionem suam secundo duos mitlit cum aulenticie
antiphonariis... Vocabatur autom unus eorum Peirus et alter
8 Ordo baptisterii
mache ich auf eine Eigenthümlichfeit unſers Calendars auf-
merffam, welde für fid allein ſchon ben ſtaͤrkſten Beweis
für meine Behauptung bildet. Es finden fid) darin weder
der HI. Ingenuin, der Biſchof von Güben und Schutz⸗
patron des Bisthums Briren, mod der bi. Rupert,
Biſchof und Schugpatren ber Kirche von Salzburg; wohl
aber bie eigenthämlidhen Heiligen, wie fie in ben
alten Ealendarien von St. Gallen, Petershaufen, Solo»
thurn und Straßburg aufgezeichnet find, 2. 99. bie heil.
Wiborata Klausnerin bei St. Gallen, ber BI. &intan
Romamus... Melensem ecclesiam adibant, qui cum im Septimo
(Septimer»&ebirge) lacuque Cumano aere Romanis centrario qua-
terentur; Romanus febre correptus vix ad nos usque (nad €t. Ὁ al^
fen) pervenire pótuit; antiphonarium vero secum... cum duos ha-
berent, unum S. Gallo obtulit. In brevi autem tempore Domino se
juvante conveluit Romanus de febre... Imperator comperto de
Romano mittit celerem nuntium, qui eum si convalesceret nobiscum
stare nosque instruere juberet... Dein uterque (Petrus et Romanus)
Tama volante, studium alter alterius cum audisset; aemulabantur pro
laude et gloria naturali gentis suae more, uter alterum transscenderet.
Memoria dignum est, quantum bac aemulatione uterque locus
(St. Gallen und 3Re&) profecerit et mon solum in cantu sed et
in caeteris docirinis excreverit.... Erat Romae instrumentum
quoddam et theca ad antiphon: tentici publicam omnibus ad-
ventantibus inspectionem repositorium, quod a cantu dicebatur
cantarium. Tale nempe ipse apud nos ad instar illius circa aram
Apostolorum cum autentico locari fecit, quem ipse attulit, exem-
plato antiphonario, in quo nsque hodie in cantu, si quid dissentitur,
in speculo error ejusmodi universis pervidetur atque corrigitur.
. Abinde sumsit exordium tola fere Europa ei mazime [ere
'ermania sive Teulomia secundum modum et formam, sicut im
monasterio S. Galli viri peritissimi: ediderunt, B. Notkerus. Bal-
bulus et Romanus caeterique magistri correxerunt, juxta exemplum
autentici Antiphonarii Gregorii. elegit. cantare et hunc. rilum mo-
dulandi servare, quem etiam omnes Usum appellaverunt. Aus bem
Chronicum Gottwicense T. 1. f. 56 sq.
qua:
der Kirche von Brixen. 9
Einfiebler zu RhHeinau, bie 5.5. Synefius und Theo-
pompus, deren Reliquien vom SBeronefer Bifchof Rat-
hold im 9. Jahrhundert nad) Reichenau gefchenkt wurden;
der bl. Arbogaft und die hl. Dtbilia, beide berühmt
und hochverehrt in der Straßburger Diöcefe. Wenn das
erftere darin feine Erklaͤrung findet, daß jur Zeit als das
Ealendarium abgefaßt wurde, bie Verehrung des δ. In«
genuin und Rupert nod) nicht von Rom aus angeorbnet
ober beftätigt fondern nur auf bie Eathebralficdhen bes
ſchraͤnkt war, fo beweifet das Leßtere genugfam, daß unfer
Eoder den alemannifhen nadgebilbet worden ift. Wir
dürfen bemnad) annehmen, daß die Diöcefe Briren, wenige
ſtens nachdem fie zur Metropole Salzburg gezogen worden
ift, ihre Liturgie nad) bem Mufter der alemannifchen Kits
den, welche früher [don georbnet waren als bie in Ba-
joarien, gebildet habe. Dürfte man das 9tàmlide nicht
von den übrigen Suffragankirchen ber Salyburger Provinz
fagen? Vielleicht liege e8 fid) aud) ermeijen, wenn nod
alte Galenbarien ober Meßbuͤcher vorhanden wären.
Zum Behufe eines genauen Verſtaͤndniſſes und all
feitiger Beurtheilung felle id) zuerft den alten Taufritus
in feinen Theilen mit befonberer Berüdfihtigung ber
tómijden unb deutſchen Kirche in moͤglichſter Kürze bar,
und vergleiche fobann unfern ordo baptisterii mit andern
tömifhen und alemannijden Handſchriften, welde Mu-
tatori und Gerbert herausgegeben haben 3).
In ber Taufe, wie bie alte Kirche feierlich fie
1) Liturgia Romana velus, iria sacramentaria complectens,
Leouianum scilicet, Gelasianum et Gregorianum ed. Ludov. Ant.
Muratorio. Tomi duo. Venet. 1748. Die oben genannten Monumenta
veleris Liturgiae alemann. von Mart. Gerbert.
10 Ordo bsplisterii
gefpenbet hat, find brei Theile zu unterſcheiden: 1. das
Gatedumenat; 2. die Scrutinien; 3. bie Sauf»
handlung.
1. Das Eatehumenat.
Diejenigen melde von bem Heiden- ober Judenthum
in die Kirche Ehrifti eintreten wollten, mußten beim SBifdjof
oder von dem dazu beftimmten Priefter die Aufnahme fid)
erbitten, und biefe gefhah, um jeder unbebadjtfamen Eile
vorzubeugen und bie Wichtigkeit des Schrittes recht ans
ſchaulich vorzuftellen, mit feierlichen Geremonien. Deßr
wegen wurde a. ber Aufzunehmende befragt, ob er bem
Satan entfagen und ernften Sinnes die chriſtliche Lehre
annehmen wolle, und nachdem er bieó verfprodjen fatte,
hauchte ihm b. ber Priefter oder Biſchof bem belebenden
Odem Ehrifti ein, bezeichnete ihn mit bem Zeichen des
hl. Kreuzes und legte ihm unter inbrünftigem Gebet bie
Hände auf. Der ganze Ritus wurde außerhalb der
Kirche, und zwar bei den Lateinern als Eine, bei den
Grieden aber in drei abgefonderten Handlungen gefeiert.
In mehreren Kirchen wurde den Aufzunehmenden Salz in
den Mund geftreut und ihre Ohren unb Nafe mit Spei-
chel berührt ). Die Aufgenommenen wurden Katehus
1) Das Sarramentarium bes Papſtes Gelaſius, welder 492
—496 auf dem Stuhle Petri regiert hat, —— den Ritus zur Auf⸗
nahme ganz kurz mit folgenden Worten: „Gentilem bominem cum
susceperis; imprimis catechisas eum divinis sermonibus, et dus ei
monita, quemadmodum post cognitam veritatem vivere debeat. Post
haec facis eum calechumenum: exufflas in faciem ejus et faeie
ei crucem in fronte: imponis manus super caput ejus his verbis:
Accipe signum crucis tam in fronte quam in corde etc. Inde vero
postquam gustaverit medicinam salis et ipse se signaverit; bene-
dicis eum his verbis: Domine sancte, Pater omnipotens, aeterne
J der Kirche von Briten, 11
menen b. ἢ. Lehrlinge (von κατηχέω) genannt, weil fie
nun in der Lehre des Heiles vollfommen unterrichtet und
zu einem bußfertigen und hriftlichen eben angeleitet wet»
ben mußten, che fie bie heil. Taufe empfangen fonnten.
Eine nähere Befchreibung des Unterrichtes, welden fie
genofen, der fcommen Uebungen und Obliegenheiten, denen
fie fid zu unterziehen hatten, ber verſchiedenen Glaffen,
in welche fie je nad) bem Grabe ihres Fortſchreitens ges
theift wurden, gehört nicht in das Bereich der gegenwärs
tigen Abhandlung. Für bie Dauer des Katechumenats
gab εὖ feine allgemeine Vorſchrift, zumal biefelbe von
bem Berhalten der fatedjumenen unb oft aud) andern
Umftänden abhängig war. Der Bifchof allein hatte bat«
über zu entſcheiden. In ber Alteften Zeit drang man ges
woͤhnlich auf eine lange, mehrere Jahre Binburd) an—
dauernde Vorbereitung; aber biefe großartige Beier des
Satedjumenaté fam in Abnahme, je mehr bie Zahl ber
erwachfenen Täuflinge fid verringert und bie der Kinder-
taufen fid) vermehrt hatte. Gegen das Ende des 7. Jahr⸗
hunderts war das alte Katechumenat in der lateinifchen
Kirche beinahe ganz verfhwunden. Für ben erwachfenen
Täufling blieb nod) ber nothwendige Unterricht; bie Gebete ^
und Geremonien aber, weldje bei ber Aufnahme ber Kates
dumenen verrichtet wurden, find jur Erinnerung an bie
Deus etc.“ (Liturgia Rom. vet. ed. Murator. T. 1. 593). Das L
allgemeine Concil von Konftantinopel gibt im 7. Kanon über bie Aufs
nahme der Katechumenen folgende Vorſchrift: Τὴν πρώτην ἡμέραν
ποιοῦμεν αὐτοὺς χριστιανοὺς, τὴν δὲ δευτέραν κατηχουμένους, εἶτα
τὴν τρίτην ἐξορκίζομεν αὐτοὺς μετὰ τοῦ ἐμφυσᾶν τρίτον εἷς τὸ πρόσ--
«πον καὶ εἷς τὰ ὦτα αὐτῶν" καὶ οὕτως κατηχοῦμεν αὐτοὺς, καὶ ποι-
οὖμεν αὐτοὺς χρονίζειν eis τὴν ἐκκλησίαν καὶ ἀκροᾶσϑαι τῶν γραφῶν" καὶ
τότε αὐτοὺς βαπτίζομεν. Ed. Herm. Theod. Bruns. Berol. 1839.
12 Ordo beplisterii .
alte Zeit in ben Taufformeln erhalten worden. So finden
wir es in unferm ordo baptisterii; fo finden wir e auch
in den älteften nod) vorhandenen Taufordines ber deuts
ſchen Kirche, welche erft im Verlauf des 8. Jahrhunderts
nachdem das feierliche ftatedjumenat (don aufgehört hat,
georbnet worden ift und ben roͤmiſchen Ritus allgemein
angenommen bat. Das Nämliche berichtet aud) Amas
larius, Erzbifhof von Trier (810—814 oder 822), an
Earl b. G., welcher von allen Metropoliten feines Reiches
Berichte über ben üblichen Taufritus abgefordest hatte 5.
2) Die Scerutinien.
Die Katehumenen der höhern Ordnung
oder ber dritten Glaffe, b. ἢ. diejenigen, welde bald zum
Sacrament der Taufe zugelaffen werben follten und daher
competentes ober electi genannt wurden, mußten fid) nod)
firengen Prüfungen unterwerfen unb erhielten baburd) bie
legte Vorbereitung zur hl. Taufe. Diefe Prüfungen nannte
man Serutinien, melde, nadbem ber Taufritus fid)
mehr auégebilbet hatte, in ber römifhen Kirche an vier
1) „Qui desiderat renovari secundum novum hominem, necesse
est, ut instruatur a doctoribus ecclesiae, qualis ante baptismum sit,
qualis post baptismum futurus sit per gratiam Dei, ut de tenebris
peccatorum in lucem veritatis convertatur. Relicto nomine falsorum
Deorum colat unum Deum vivum et verum, et postquam haec per-
cipit a doctore catholico, catecuminus dicitur i. e. instructus (in-
struendus?) sive auditor*.... Die Gebete, fagt Amaralius weiter,
werden aud) über bie Kinder geſprochen, „ut caecitas cordis ab eis
expellatur, disrumpantur laquei satanae , quibus fuerant conligati et
idonei efficiantur per incrementum et ministrationem membrorum ea
cognoscere, quae dimitenda sunt et quae tenenda", Monum. vet.
Liturg. alemann. von Gerbert, weldjer bafelbft das ganze Antworte
fchreiben des Amalarius aus einer Handſchrift des 9. oder 10. Iahıh-
mitgetfeilt fot. T. IL p. 264 sqq.
der Kirche von Brixen. 13
in ziemlich gleichen Abſchnitten aufeinander folgenden Tagen
gefeiert wurden, fo daß das erfte am Montag ber
dritten Faſte nwoche und das letzte am Tage der
Taufhandlung ſelbſt gehalten wurde. An dieſen Tagen
ſtanden die Katechumenen in der Kirche auf dem ihnen
angewieſenen Platz, Geſchlecht bei Geſchlecht; das maͤnn⸗
liche zur rechten, das weibliche zur linken Seite, nur mit
dem Unterkleide angethan, bedeckten Hauptes und vere
ſchleierten Angeſichts, damit ihr Inneres nicht zerſtreut
werde. Mit den bloßen Füßen betraten fie das ausge⸗
breitete Bußfleid. Die vorzuͤglichſten Gcremonien des Scru⸗
tiniumó waren a. dad sacramentum salis, b. die Grote
eismen unb c. bie traditio und redditio symboli ei
orationis dominicae. Ich laffe eine furje Beſchreibung
derfelben nad) bem Sacramentarium des Papfles Ge⸗
laſius folgen.
Am dritten Sonntage in ber Faſten wurde das erfte
Serutinium angefündet, welches folgenden Tages um bie
fedéte Stunde (nad) unferer Zeitrechnung 12 Uhr) bes
ginnen follte. Ein Alolythus ſchrieb bie Namen ber aue»
erwählten fatedjumenen auf. Nachdem fid biefe je nad
dem Geſchlechte abgefonbert, zur redjten und linfen Seite
aufgeftellt hatten, fprad) über fic ber Prieſter bie vors
gefchriebenen Gebcte'). — G8 unterliegt wohl feinem Zweifel,
1) „Denuntiatio pro scrutinio, quod tertia hebdomada in Qua-
dragesima secunda [eria initiatur“, „Scrutinii diem, dilectissimi
fratres, quo Electi nostri divinitus instruantur, imminere cognoscite.
ideoque solicita devotione, succedente sequente iMa feria circa
horam diei sextam convenire dignemini etc.“
οὔτ autem. venerint ad ecclesiam, scribuntur. nomina in-
fantum ab Acolytho, ei vocantur in ecclesia per nomina sicut
scripti sunt. Et. statuuntur masculi in dexteram parlem, foeminae
in sinistram, et dat orationem. Presbyler super eos“:
14 Ordo baptisterii
baf auf diefe Weife jedes ber folgenden Serutinien mit
Ausnahme des legten angefangen worben fei. Darauf
folgte bie Weihe des Salzes, welches ben Katechumenen
in ben Mund geftreut wurde. Diefe Geremonie nannte man
wegen ihrer myftifchen Bedeutung sacramentum salis —
das OG ebeimnif des Salzes).
Die Eroreismen beftanden in verfhiedenen Ger
beten und Beſchwoͤrungen, weldje von brei Akolythen
unter Auflegung der Hänbe über bie Katechumenen ge»
fprodyen wurden. Jeder der Afolyihen ſprach einen Erors
tismus über bie Täuflinge des männlichen und bann einen
andern über bie Täuflinge des weiblichen Geſchlechtes.
Das Schlußgebet über beide verrichtete. der Priefter ?).
Aud bie Exoreismen wurden bei allen Scrutinien mit
Ausnahme beó legten vorgenommen.
Mit bem dritten Serutinium begann bie traditio
und redditio symboli et orationis dominicae. Diefer
Nitus, welder aud) apertio aurium. genannt wurbe, ent
‘hielt einen kurzen Unterricht über bie wefentliden
Oratio:
„Omnipotens sempiterne Deus, pater Domini nostri J. Christi,
respicere dignare etc.“
Preces nostras, quaesumus Domine, clementer exaudi etc.
„Deus, qui humani -generis ita es conditor sic etiam refor-
mator eic.^ Liturgia Hom. vet. ed. Muratori. T. 1. 533 sq.
1) Im Gelafianum findet fid) folgende Stubrifz
„Benedictio salis dandi catechumenis."
„Exorcizo te creatura salis in nomine Dei patris etc.“
„Et post hanc. orat. pones δαὶ in ore infantis et dices: Accipe
ill. sal sapientiae propitiatus in vitam aeternam.
s Benedictio post datum salem.
„Deus patrum nostrorum, Deus universae conditor veritatis eto.“
1. c. 584 sq.
2) Aus bem. Gelaflanım 1. c. 535—537.
ber Kirche von Brixen. 15
Lehren des Ehriftenthums, aus welchem bie Statedjumenen
dann geprüft wurden. Die Extheilung des Unterrichtes
(traditio) gefhah im dritten und bie Prüfung (red-
ditio) im vierten, oder legten Serutinium. Den Gegen»
fand des Unterrihtes bildete eine kurze Belehrung über
die vier Evangelien, bie Erflärung des Glaubenóbefennte
niſſes, endlich bie Auslegung des „DBater unfer." Ein
Priefter, vier Diakonen imb einige Afolythen beforgten
denfelben, Ὁοῷ fo, Daß bie Erflärungen alle vom
Briefter gegeben wurden !). Beinahe die nämlichen
Geremonien find für bie Serutinien aud) im Sacramen-
tarium des Papſtes Gregor vorgefchrieben 9.
Die Serutinien haben fid) Tänger erhalten als das
Katehumenat. Wir finden bigfelben nod) im 13. Jahr⸗
hundert bei einigen Kirchen Deutſchlands und Frankreichs.
Daher erſcheinen fie in den aͤlteſten Taufordines der deut⸗
ſchen Kirche und ihrer erwähnen aud bie deutfchen litur-
gif$en Schriftfteller jener Zeit. In Beziehung auf Ale
mannien hat®erbert viele Belege gefammelt 3). Nachdem
1) Aus dem Gelaſianum 1. c. 537 —545.
2) Liturgia Rom. vet. ed. Murator. T. II. 152 sq. sq.
3) Berg. u. a. das Sacramentarium von Mheinau aus
dem 8. Jahrhundert, das Capitulare ecelesiastici ordinis von St. Bla⸗
fien ans dem 9. Jahrhundert, bie Abhandlung de totius anni offene
ac ministeriis in der falf. Bibliothek zu Wien aus bem 12. Jahrhum-⸗
dert, das Antwortfchreiben des Amalarins, Erzbiſchofs von Trier, an
Karl b. ©. „Monumenta veteris Liturgiae Alemann. T. I. 248— 252;
T. IL 171 sq. 195. 265. Mehrere liturgifdje Schriftſteller dieſer Beit
Tébem von fieben Grutinien. So [ὠτείδε Amalarins a, a. D.:
„In scrutinio quippe facimus signum crucis super pueros, sicut in-
venimus scriptum in Ordine Romano; οἱ genuflexionem et adjuratio-
nem et docemus orationem dominicam patrinos et matrinas, ut et
ipsi similiter faciant, quos suscepturi sunt a sacro baptismate... . Simili-
ter docemus symbolum ... Scrutinium fit ante pasca septies. Sep-
16 Ordo baptisterii
die Serutinien verſchwunden waren, haben fid) in ben Sauf»
orbines unb Ritualen nod) die Gebete, Erorcismen unb
tenario enim numero saepe universitas designanur ... Seplies per-
scrutantur, i. e. perfecte perscrutemtur.* Man ficht aus biefer Stelle
audj, wie bie weife Borficht unferer Bäter die Serutinien zur Belehrung
und Aneiferung ber Taufpathen benügte, ba biefelben fonft bei ber immer
fich mindernden Zahl der erwachfenen Täuflinge fonft völlig zwedlos ger
toefen wären. Muh das eapitulare ordina ecclesiastici bejeidnet
fieben Serutinien. „Quarta vero hebdomada ante pascha (b. i. bie
dritte Woche in der Baflen) incipiunt scrutinium facere ad infantes, qui
in Sabbato sancto babtizandi erunt. Secunda vero fería in ipsa heb-
domada veniunt hora fertig ad ecclesiam matres cum infantibus eo-
rum, et facit eos presbyter primum catechumenos, id est imposit«
manu super capita singulorum dicit orationem his verbis: Ompe
sempiterne Deus, Pator Dni nri. Dicia ipsa oratione accipit salem
exorcisatum et ponit in os infantum dicendo: Accipe tali& salem
sapientiae propitiatus in vitam- aeternam." Tunc scribuntur nomina
eorum ab accolitho tam infanium quam et eorum, qui eos suscep-
turi sunt, idem masculi seorsum, et feminae seorsum, et ita exeunt
foras ecclesiam, exspectantes quando revocentur; tunc primum in-
cipiunt antiphonam ad introitum: dum sanctificatus fuero in vobis.
Inde presbyter vadit retro altare in sede sus, ut vocaniur per no-
sina, ei per ordinem, sicut scripi suni; idem primum masculi,
et ordinantur ad dexiris, deinde feminae a sinistris, ei intrat
primum acolitu faciens signum crucis in frontibus singulorum δὲ
imponit eis manus. et exorcisat eos his verbis: „Deus Abraham,
Deus Isaac, Deus Jacob et relique. Completa ipsa oratione super
masculos, vertit se ad feminae , et facit similiter; et iterum sequi-
tur alius acolitus, et facit similiter; inde tertius, et facit similiter.
Postea vero intrat presbyler, et imponit eis manum, et benedicit
eos his verbis; aeternam ac justissimam pietatem tuam. Ista com-
pleta iterum incipiunt psallere antiphonam ad introitum, inde dicta
a presbytero oratione de ipsa ordine pertinente, lectio legitur, et
inde sequitur responsorium, et admonentur a diacono, ut exeant foras
ita: catecumeni recedant : si quis calecumenus est, recedat: omnee.
Catecumeni exeant foras: et sic egredientur infantes exspectantes
pro foribus usque dum completa fuerint missarum solemnia.“ „Lecto
utem evangelium offerunt matres eorum pro ipsis oblationes, et
finitas missas communicant ipsae matres, vel clerus; et admunciet
der Kirche von SSriren. 17
bie übrigen Eeremonien mehr ober weniger erhalten. Rur
bat die neuere Zeit in vielen Kirchen biefelben aus bem
presbyter. qualem diem voluerit, ut revertantur, et facit similiter
(zweites Srrutinium). Sequente vero hebdomada iterum wma die,
qualem bresbyter adnunciaverit, similiter facit (drities Gccntinium).
Tercía vero hebdomada similiter die, quam elegerit presbyter, facit
aures apertionem (vielmehr: apertionem aurium); id est, veniunt
ad ecclesiam , sicut prius, et vocant infantes in ecclesiam, sicut
scripli sunt, ef statuuntur, sicut diximus, masculi ed dezieram,
feminae a sinistris, et imponunt acoliti tres sicut dictum est, manus
super eos, et inde similiter presbyter hoc facto accedit ante altare;
et canent antiphonam ad Introitum, et inde leguntur lectiones duae,
quas in capitulare commememorat, et secuntur responsoria. lude
leguntur initia quatuor evangeliorum cum expositionibus suis et
inde tradit presbyler orationem. dominicam et symbolum. ...;
Hoc finito admonentur a diacono, iterum hoc modo: Catecumeni rece-
dant: si quis catecumenus est, recedat. Omnes catecumeni exeant, et
recedant; etexeunt foras de ecclesia exspectantes pro foribus donec
consumentur missarum solemnia, et tunc offerunt matres eorum oblatio-
nes pro ipsis, ot finitas missas communicant ipsae matres, vel qui ipsos
infantes suscepturi sunt^ (viertes Grrutinium). Iterum adnunciat eis
presbyter, qualem diem ipse judicaverit, ut revertantur in scrutinium.
Tta tamen pensandum est, uf a primo ecrutinio usque in sabbato sencto
septem vicibus hoc fiat: id est in prima hebdomada duabus vici-
bus, in secunda. unà, inde in tertia dusbus, in quinta vero, quae
est ullima, sterum, duabus. In ipsa. autem novissima, quod est
in Sabbelo sco, quando ad fontes debent accedere, -catacísat eos
presbyter his verbis: Nec te latet satanas. Inde tangit ipse presby-
ter de oleo benedicto pectus infantum, facions bis.crucem in eorum
pectus dicendo: Abrenuncias tu falis salans, et omnibus operibus |
tjus? Respondent circumstantes: Abrenunciat: et inde tertiam cru-
cem inter scapulas similiter dicendo: et omnibus pompis ejust
etiterum respondent: Abrenunciat. Inde tangit de saliba ori, sin-
gulorum nares et aures; et dicit secrele in aures ipsorum: Effela,
4uod. est aperire et iterum ambulat decantandö super capita ipsorum:
Credo in unum Deum. Sicque intrant ad benedicendum fontes, et
baptizantur per ordinem, idem .masculi prius, et feminae posterius,
Inde postea tenent missas ipsi infantes, et offerunt ipsi infantea-oh«
lationes, et commaunicant omnes, vel parentes, atque patri Bäp»
Sco. Ouartalſchrift. 1853. I. Heft- 2
18 Ordo baptisterii
Zufammengehang geriffen unb willkuͤhrlich oft aud) völlig
ohne Sinn an einander gereift. Was unfern alten ordo
baptisterii betrifft, fo enthält er noch alle Gebete, Exor⸗
cismen und Geremonien, welche oben nad) bem Gelafianum
befchrieben worden find, mit Ausnafme des einzigen Unter-
richte.
3. Die SaufBanblung.
Am Tage, welcher zur Taufe beſtimmt war, mußten
die Täuflinge das letzte Scrutinium beftehen. Nur
zwei Male im Jahre pflegte die Tateinifhe Kirche nad)
uraltem Gebraud) bie heil. Taufe zu ertheilen, wenn nicht
brüngenbe Roth eine Ausnahme erforderte. Diefe feier
lien Taufzelten waren bie Borabende des DOfter-
und Pfingfifeftes". Um die neunte Stunde Vormit⸗
tags mußten bie Täuflinge in ber Kirche erſcheinen unb
ber Reihe nad), wie ihre Namen beim erſten Serutinium
gefärieben waren, fih aufftellen — bie des männlichen
tizati autem infantes, si ad praesens possunt episcopum habere, con-
firmari cum crisma debent. Quod si ipsa die minime episcopum.
invenire potuerint, in quantum celerius possunt invenire, hoc sine
dilatione efficiant, et in ipsis diebus octo paschae, quamdiu in albis
eynt, cottidie debent offerre oblationes fpsi infantes, et missas tenere,
et communicare." 1. c. pag. 171 “4.
1) Unter ben liturgifjen Denfmälern, welche Gerbert gefammelt
Bat, meldet das oben genannte Capitulare ordinis ecclesiastici unb
zwar mur biefes allein, daß aud) am Vorabend bet Epiphania Domini
die h. Taufe feierlich ertheilt worben ſel. Damit ſtimmt aud) eiu Brief
Karls b. ©. an Garibalb Jf. von Lüttich (am ber Maas)
überein, woraus @erbert bie betreffende Stelle mitgetheilt Bat (Vet. Li-
turgia' Alemann. Disquis. V. cap. 1. Nr. XVIIL). Die Exthellung ber
5. Taufe am fBotabenbe ver Epiphanie war bemnad) audy in Deut ſch⸗
land mehr ober weniger üblich, bie im 8. und 9. Jahrhundert mit ber
allgemeinen Verbreitung der roͤmiſchen Liturgie fid) bie feierliche Taufzeit
auf die Vigillen des Ὅβετ und Pfingfifeftes ſich beſcheaͤnkte.
der Kirche von Brirxen. 49
Geſchlechtes zur rechten, bie des weiblichen zur linken Seite.
Dann trat ein Priefter hinzu, bezeichnete jeden einzeln mit
dem Zeichen des ἢ. Kreuzes und fprad) mit aufgelegten
Hänven über alle bie Oration: Nec te latet salanss eic.
Hierauf folgte die apertio aurium, dann bie Gal«
bung mit bem Dele, enbli bie Abfhwärung bes
Satans unb bie Abbetung des Blaubensbefennt«-
niffes oder die redditio symboli. Die Katechumenen
wurden nun aus ber Kirche entlaffen.
Um die dritte Stunde Nachmittags begann wieder bie
Siturgie. Auf bie feierlihe Weihe der Oſterkerze
folgten bie Lefungen aus ber B. Schrift mit ben baju
gehörigen Gebeten, nad) deren Vollendung fid ber Biſchof
von zwei Diafonen geftügt zum Taufbrunnen begab, wo
die ftatedjumenen bereits verfammelt waren unb nad) ge»
füchener Wafferweihe getauft wurden. Der Taufe
ging ein kurzes Befenntniß des deifiliden Glau—
bens voran. Nach derſelben geſchah in ber lateiniſchen
Kirche bie Salbung des Scheitels burd ben Pries
fer. Das Haupt des Gefalbten wurde mit einem Fleinen
S$üppden bebedt; ein weißes Kleid hüllte den Neuges
bornen ein, weldher dann in biefem Feiergewande bie B.
Communion und vom anwefenben Bifhof bie f. Sire
mung empfing ). Im Verlaufe des 11. Jahrhunderts
ift bie Gepflogenheit der feierlichen Taufzeiten und, mit
derſelben aud) bie feierliche Taufe der alten Kite
verſchwunden, bie Geremonien und Gebete jebod) find in
ben Taufordines gamz ober zum Theil erhalten worden.
1) Nach dem Gelafianum, Gregorianum und ordo roma-
wus I. in bet Liturgia rom. vet. ed. Murator. T. I. 563 — 57,
T. HW. 61 —65, 155 — 158, 996 oq.
2*
20 Ordo baptisterii
Der nadfolgenbe ordo baptisterii flammt, wie id
Thon im Eingang bemerkt habe, aus bem 12. oder 13. Jahre
hundert und war im ber Diöcefe Briren gebraͤuchlich bis
zum Beginn des 17. Jahrhunderts, um welche Zeit er
einem Fürgern, aber eben nicht gluͤcklich zufammengefeßten,
flag machte. Der Inhalt und bie Zufammenftellung unfers
ordo baptisterü, in welchem, mit wenigen Ausnahmen,
alle Gebete unb Geremonien, und zwar in der
námliden Ordnung, wie fie im Gelafianum und
Gregorianum erſcheinen, einfad) an einander gereiht
find, führen in jene Zeit zurüd, da nicht lange vorher bie
feierliche Taufe verſchwunden war. Die nähere Unterfus
dung zeigt bie Uebereinſtimmung mit ber cómi»
fden und afemanni[den Liturgie. Die Gobiceó,
mit welchen id) unfern ordo baptisterii verglichen habe, find:
1. Das Gacramentarium bes Papſtes Gela»
fius nad) ber Ausgabe des Muratori: Liturgia Rom.
vet. T. 1. 533. sq. 563 sq.
2. Das Sarramentarium des Papftes Gre»
gorius unb mar fowohl nach ber Recenfion des codez
Vaticanus als aud) nad) der des codes Othobonianus.
Beide ftammen aus ber erften Zeit des 9. Jahrhunderts
und find von Muratori herausgegeben worben : Litur-
gia Rom. vet. T. II. 60 sq. 152 sq.
3. Das alte Sacramentarium von Rheinau
aus bem 8. Jahrhundert, welhes Gerbert veröffentlicht
hat: Monum. vet. Liturgiae Alemann. Tom. I. 249—255.
4. Ein Taufordo vom 10. Jahrhundert in der
faif. Bibliothek zu Wien, herausgegeben von Gerbert:
Monum. vet. Liturgiae Alemann. T. II. 5 sq.
Der Kürze wegen bezeichne ih das Gelafianum
der Kirche von Briren. 2
mit L; das Gregorianum mit IL und zwar nad) ber
Recenfion des cod. Vatic. mit Ilv. und nad ber Recens
fion des cod. Othobon. mit Πο.; ba$ Sarramentarium von
Rheinau mit IM. und ben Sauforbo aus bem 10. Jahr
hundert mit IV. Diefe Ziffern brüden aut) bie Weberein-
ſtimmung unfers ordo baptisterii mit den betreffenden co-
dices aus. Unbedeutende Varianten wurben nicht beachtet.
Incipit ordo baptisterii In nomine domini ἢ).
Abrenuncias sathane. Abrenuncio. IV.
Et omnibus operibus ejus. Abrenuncio. IV.
Et omnibus pompis ejus. Abrenuncio. IV.
Credis in deum patrem omnipotentem creatorem coeli et
terre. Credo.
Credis et in jesum christum, filium ejus unicum dominum
nostrum natum et passum. Credo. .
Credis et in spiritum sanctum sanctam ecclesiam catholi-
cam sanctorum comunionem remissionem peccatorum
carnis resurrectionem et vitam aeternam post mortem.
Credo.
Tunc sufflet in eum dicens. IV.?).
Exi sathanas da honorem deo vivo et vero. redde hono-
rem jesu christo filio ejus et spiritui sancto paraclito 3).
1) IV. Hat die Rubrif: Primum vero ante jenuas ecclesiae pres-
byler incipiat sacramentum beplismatis ia dicendo: Abrenuntias
satane etc.
2) Mit bem Beifap: tribus vicibus in faciem ejus.
3) IV. gebraucht Hier eine ben Worten nach abweichende Formel:
Recede diabole ab hac imagine dei increpalus ab eo et da locum
epiritui Sancto.
2 Ordo baplisterii
Tunc cum pollice faciat crucem in frontem
ejus. IV.
Signum sancle crucis domini nostri jesu in frontem tuam
pono. IV. ᾿
In pectore faciat crucem. IV.
Signum salvatoris domini nostri jesu christi in pectus tuum
: pono. IV. ]
Oratio ").
Accipe signum crucis domini nostri jesu christi tam in
corde quam in fronte sume fidem celestium preceptorum
talis esto moribus ut templum dei jam esse possi
ingressus- (a-) que ecclesiam dei. evasisse te laqueos
morlis letus (a) agnosce. horresce ydola respue symu-
lachra. cole deum patrem omnipotentem. et in jesum
christum filium ejus qui in trinitate perfecta vivit et
regnat deus. p. o. s. I. III. IV. ?).
Oratio 3).
Omnipotens sempiterne deus pater domini nostri jesu christi.
1) I, II. n. IV. ſchreiben fiet bie Auflegung ber Hände vor.
2) lu. HL haben mod bie Oration: Te deprecor Domine,
sancte pater, omnipotens aeterne Deus, ut huic famulo tuo etc. dann
bie Darreihung bes Salzes mit ber Oration: Domine sancte
pater omnipotens aeterne Deus, qui es et eras etc. IV. hat ebenfalls
eine zweite Oration: Te deprecor Domine sancte Pater, etc. und nod)
eine britte: Preces nostras quaesumus Domine clementer exaudi etc.
Daß übrigens mit unferm ordo baptisterii das Gelaftanum unb folge
lich aud) das aus biefem entlehnte alte Gacramentar von Rheinan
im BWefentlichen übereinftimme, zeigen bie oben (S. 10, tote 1) angeführten
Auszüge. Her endet der erſte Haupttheil des alten Taufritus, nämlich
vie Aufnahme in das Katehumenat.
3) L. u. II. fügen bei: super electos. Mit diefer Dration begine
der Kirche von Brixen. 23
respicere dignare super hunc famulum tuum (hanc
famulam iuam) quem (quam) ad rudimenta fidei vocare
dignatus es. et omnem cecilatem cordis ab eo (ea),
repelle. dirumpe omnes laqueos sathane -quibus fuerat
alligatus (alligata) aperi ei domine januam tue pieta-
tis. ut signo sapientie tue imbutus (imbuta) omnium
cupiditatum fetoribus careat. e ad suavem odorem
preceptorum tuorum letus (leta). tibi in ecclesia tua
deserviat. et proficiat de die in diem. ut ydoneus
(ydonea) efficiatur accedere ad graciam baptismi tui
percepta medicina. P. 1. Ilv. Ilo. IL IV. !).
Oratio.
Preces nostras quesumus domine clementer exaudi. et
hunc electum tuum (hanc electam tuam) crucis domi-
mice cujus impressione eum (eam) signamus. virtule
custodi. ut magnitudinis glorie tue rudimenta ser-
vans per custodiam mandatorum tuorum ad regenera-
cionis gloriam pervenire mereatur. Per. 1. IIo. IV. ?).
Incipit exorcismus salis dandi catecuminis ?).
Exorcizo te ereatura salis in nomine patris omnipotentis.
nen ble Scrutinien, ober ber zweite Haupttheil des alten Taufe
ritus. Die feierliche Anfündigung derfelben, wie fie im Gelaflanum vore
^ fommt, Babe ich ſchon oben (S. 13, Note 1) angeführt. Ganz die nám«
lide Stubrif wirb audj in II. vorgeſchrieben.
1) lv. fat am Ende bie Bariamte: de die in diem signatus pro-
missis gratiae tuae. Per D. N. J. Chr. filium tuum, qui venturus est
judicare etc.
2) IV. Hat biefe Oration im erften Tfeile (f. €. 22, 91.2) und in I.
1. Ilo. findet ſich nod) eine dritte Dration: Deus qui humani generis ita
es conditor etc. Abet adj Ilo. ifi die 2. unb 3. Dratiom ad libitum,
3) Hier beginnt dad sacramentum salis.
24 Ordo bsplisterii
et im caritate domini nostri jesu christi et in virtute
spiritus sancti. Exorcizo te per deum vivum. per deum
sanctum. per deum verum. qui te ad tutelam humani
generis procreavit et populo venienti ad credulitatem
per servos consecrari precepit. (ut in nomine sancte
trinitatis efficiaris salutare sacramentum ad effugandum
inimicum '). proinde rogamus te dómine deus noster ?).
ut hec creatura salis in nomine sancte trinitatis efficia-
tur salutare sacramentum ad effugandum inimicum. quem
tu domine sanctificando sanctifices (1) et benedicendo
benedicas (i). ut fiat omnibus sumentibus perfecta
medicina permanens in visceribus eorum in nómine
domini nostri jesu christi. Qui venturus est judicare
vivos et mortuos. I. IIo. 11. IV. 5).
Benedic (4) domine deus creaturam hanc salis tua bene-
diccione celesti in nomine domini nostri jesu christi.
et in virtute spiritus sancti ad effugandum inimicum.
Quem tu domine sanctificando sanctificas (1). et benedi-
cendo benedicas (+). ut fiat omnibus sumentibus per-
fecla medicina permanens in visceribus eorum. per
eum qui venturus. lv.
Post ea de ipso sale det infanti.
Accipe salem sapientie ut habeas vitam eternam. Pax
tecum. I. Hv. Ilo. III. IV. *).
1) Die eingeflammerte Stelle fehlt in I. u. TI.
2) Der Gobrr Ilo. liest: deus noster, ut hanc creaturam salis
sanctificando sanctifices, benedicendo benedicas, ut fiat omnibus ac-
cipientibus perfecta medicina etc.
3) Ilv. hat anftatt des exorcismus salis nur ble folgende Dration,
welche fid) aber in bem andern verglichenen Codices I, Ilo, II. u. IV.
mist findet.
4) Alle fünf verglichenen Gobite& Haben bie Variante: Accipe illo
der Kirche von Brixen. 25
Oratio!)
Deus patrum nostrorum deus universe condilor veritatis
te supplices exoramus. ut hunc famulum tuum (ut
hanc famulam tuam) respicere digneris propicius. et
'hoc primum pabulum salis gustantem. non diucius esu-
rire permittas quominus repleatur cibo celesli. qua-
lenus sit spiritu domini fervens spe gaudens. tuo no-
mini semper serviens. perduc eum (eam) domine ad
move regeneracionis lavacrum. ut cum fidelibus tuis
promissionum tuarum elerna premia consequi merea-
tur. Per. L Iv. Ho. IIL IV. - ^
Oratio Ὁ.
Deus abraham. deus ysaac. deus jacob. deus qui Moysi
famulo tuo in monte syna apparuisti et filios israel de
sal sapientiae propitiatus in vitam aeternam; in IIv. fehlt bae Wort
propitiatus ; IV. hat aud: Pax tecum. _
1) L I. Ho. u. IV. fegen beit poat salem datum.
2) Mit diefem Gebete beginnen bie Grorciómen. In I. feft bie
Rubrif: Item eworcismi super electos, quos Acolythi imposita manu
super eos dicere debent. Das Nähere ift ſchon oben über blefen Ris
tus, insbeſonders aus bem capitulare eccles. ordinis v. Gt. Blaſien
(6. 15 Not. 3) gemeldet worden. Da von jedem der brei Aolpthen ein Grote
dému& über die Täuflinge des männlichen Geſchlechtes und ein anderer
über bie des weiblichen Geſchlechtes geſprochen wurde, fo folgten in beu
alten Taufordines fedjó Grorciómen πα einander, am welche fid)
das Schlußgebet super ambos, b. h. über alle Täuflinge beiberlei Gt»
tes rete. Ich mache auf einen wichtigen Unterſchied des codez vatic.
und bes codex othobon. aufmerffam. Der erfte hat, wie bie Verglei⸗
jung zeigen wirb, eigentlich nur einen Grorciómue, ber legte aber mit
LM IV. und unferm ordo baptisterii alle ſechs Erorcismen. Der
Codex vatic. gehörte wahrſcheinlich zu einer Kirche in Bom, ber otho-
bon. aber diente einer Kirche in Paris nod) zu Seiten Karl b. ©. ober
Ludwig b. Frommen und kann infoferne al verwanbt mit ber beutfdjen
Kirche augeſehen werben. Vielleicht wird gerabe durch biefen Umftand
26 Ordo baplisterii
lerra egypti eduxisti. depulans eis angelum pietalis
tue qui custodiret eos die ac nocte te quesumus do-
mine. ul mittere digneris angelum sanctum tuum ut
Similiter custodiat et hunc famulum tuum (hanc famu-
lam tuam). et perducas eum (eam) ad gratiam bap-
tismi tui. Per. I. Ilv. Ilo. IIL IV.
Oratio !).
Ergo maledicte diabole recognosce sentenciam tuam et da
honorem deo vivo et vero da honorem jesu christo
filio ejus et spiritui sancto paraclyto et recede ab hoc
famulo tuo (hac famula tua) *) quia istum (istam) sibi
deus et dominus noster jesus christus ad suam sanc-
tam graciam et benediccionem fontemque baptismatis
vocare dignatus est. et hoc signum sancte crucis, quod
nos damus in fronti ejus tu maledicte nunquam audeas
violare. Per. I. Ilv. IIo. ΠΙ. IV.
ber zwifchen bem zwei Codicis obwaltende Unterfchieb einerfeits und bie
Uchereinftimmung mit ben beutfchen Tauforbines anberfeits erklärt. Hier
ifi aud) noch ju bemerfen, baf I. u. II. in ben folgenden Erorcismen
durchaus in ber dielfachen Zahl: hos famulos tuos has famulas tuas etc. ;
Ilv, Ilo. unb IV. aber in ber einfachen Zahl reden, unb bie Grorciemen
in Hv, Ho. umb IV., wie in unferm ordo baptisterii vom taufenben
Briefter aefproden werben. Der folgende Grovcióému& wurde über bie
Täuflinge männlichen Geſchlechtes gefprodhen. Hier trägt unfer ordo
baptisterii, wie an andern Stellen, feine gramatifalifchen Unrichtigfeiten
zur Schau, indem er, neben hunc famulum tuum nodj hanc famulam
tuam fet. Auch mit ber Zahl wechfelt er nach Belieben.
1) Konnte nur von einem umwiffenben Abſchreiber hieher gefebt
werben, ba das Folgende ber Schluß des erften Grotciómué ift.
2) Sollte fiehen: ab hoc famulo Dei. Πν. hat die Variante: fa-
mulo Dei, quem Deus et dominus noster ad suam gratiam et bene-
dictionem vocare $e
der Kirche von Briren. 22
Super feminas. Oratio.
Deus celi et terre deus angelorum deus archangelorum.
deus prophetarum. deus apostolorum, deus martyrum.
deus confessorum. deus virginum !). deus omnium bene
vivencium. deus cui omnis lingua confiteatur. celes-
tium. terrestium et infernorum. te invoco domine super
hanc famulam tuam ?) perducere digneris ad graciam
baptismi tui. Per. Ergo maledicte. I. Ilo. III. IV.
Super masculos.
Deus inmortale presidium omnium postulancium. liberacio
supplicum pax rogancium. vita credencium resurreccio
mortuorum. te invoco super hunc famulum tuum (hos
famulos tuos) qui baptismi tui donum petens. eterna
consequi graciam spiritali regeneracione desiderat. ac-
cipe eum domine quia dignatus es dicere petite et ac-
cipietis querite et invenietis pulsate et aperietur vobis.
petenti ilaque premium porrige et januam pulsanti pande.
ut eternam benediccionem lavacri celestis (consecutus
promissa tui muneris regna) percipiant. Per. Ergo
maledicte Ilv. IIo. 3).
1) Deus apostolorum, Deus confessorum fehlt in I, Io. u. IL;
chenfails Deus virginum in I.
2) ut eam vom Abſchreiber weggelaffen.
3) Die Gobices TIv. und Ilo. Haben beu eingeflammerten Tert nicht.
Diefe ganze Oration fammt bem roreism.: Ergo maledicte fehlt in
Lu. HL, welche dafür ben Erorcismus; Audi maledicte sathanas etc.
haben. Diefer námlide Groreismus findet fich aud) in Io. nad} ber
Oration: Deus immortale praesidium folgend anfatt des gewöhnlichen:
Ergo maledicte. 3m Gober Ilv. folgt gar fein Grozciém,
mehr. IV. hat die Oration: Deus immortale praesidium nicht, wohl
aber dafür ble zwei Erorrismen: Audi maledicte und Ergo maledicte.
28 Ordo baplisterii
Super feminas.
Deus abraham. deus ysaac. deus jaéob. deus qui tribus
israel (de egypcia servitute liberasti per moysen famu-
lum tuum de custodia mandatorum tuorum in deserto) ')
monuisti. et susannam de falso crimine liberasti. te
supplex deprecor domine. ut liberes has famulas tuas.
et perducere digneris ad graciam baptismi tui. Per.
Ergo maledicte. I. Ilo. III. IV. τ
Super masculos.
Exorciso te inmunde spiritus. in nomine patris et filii et
Spiritus sancli. ut recedas ab hiis famulis dei. ipse
enim tibi imperat maledicte dampnate qui pedibus super
le?) ambulavit et petro mergente dexteram porrexit.
Ergo maledicte. I. IIo. II. IV.
Super feminas.
Exorcizo te inmunde spiritus. per patrem. et filium. et
Spiritum sanctum. ut exeas et recedas ab hiis famu—
labus dei. ipse enim tibi imperat maledicte dampnate.
qui ceco nato oculos aperuit. et quatriduanum lazarum
de monumento suscitavit. Per. Ergo maledicte. I. Ilo.
I. I.
Super ambos ?).
Eternam ac justissimam pietatem tuam deprecor domine
sancte pater ommipotens eterne deus luminis et veri-
latis super hunc famulum el famulam tuam ut digneris
eos illuminare lumine intelligencie tie munda et sanc-
1) Der eingeflammerte Tert fehlt in 1. u. III.
2) Sollte fein: super mare.
3) I. fat: Sequitur oratio, quam sacerdos dicere debet.
der Kirche von Brixen. 29
tifica. da eis scienciam veram. ut digni efficiantur ac-
cedere ad graciam baptismi tui. teneantque firmam
spem. consilium rectum. doctrinam sanctam. ut apti
sint ad percipiendam graciam tuam. Per christum. I.
Ilv. Ilo. Ill. IV. 1).
Hic introducantur pueriin ecclesiam et ponat
presbyter manus super capita infantum et dicat
symbolum et dominicam orationem. Sequi-
tur Oratio 3).
Nec te lateat sathanas iminere tibi penas iminere tibi tor-
menta. diem judicii diem supplicii. diem qui venturus
est velut clybanus ardens in quo tibi alque universis
angelis tuis preparatus sempiternus eri interitus. et
ideo pro tua nequicia dampnate atque dampnande. da
1) Ilv. und Ho. Iefen: ad percipiendam gratiam baptismi tui,
Nach den Grotciómen, welche hier enbeu, folgte bie traditio symboli et
orationis dominicae. In L liest man folgende Rubriken: Incipit ex-
pesitione evangeliorum in aurium apertionem ad electos. — Incipit
praefatio symboli ad electos. — Item praefatio orationis dominicae. .
Bon diefem Ritus findet fid) in unferm ordo baptisterii noch eim Ueber⸗
bleibfel, ba bie mun folgende Rubrik die Aobetung des Symbolum
„und Bater unfer“ anorbnet.
2) Mit dieſer Dration begann’ das legte Gcrutinium (red-
ditio symboli) am Vorabende des Ofterfefles. Das Gelafianum unb
mit biefem übereinftimmend ber Codex othobon. unb ba6 alte Sacra⸗
mentat vonStfeinau melben: Sabbatorum die mane reddunt in-
fantes symbolum. .Prius catechizas eos, imposita super capita eorum.
manu, his verbis: Nec te latet etc. Der Tauforbo IV. enthält nadj
den Grorciómen eine Perifope ans bem Evangelium des h. Matthäus. —
In illo tempore oblati sunt Jesu parvuli etc., bann bie Mbbetung bes
Glaubensbefenntniffes unb bes Bater unfer unter Sufíee
gung ber Hände, endlich: Neo te latet; aber bic Ginführung ἐπ
bie icd e wird ετῇ nach bet apertio aurium unmittelbar vor
der Waffermweihe angeorbnet.
30 Ordo haptisterüi
honorem deo vivo ei vero. da honorem jesu christo
filio ejus et spiritui sancto paraclyto. in cujus nomine
aique virtute precipio tibi quicunque es inmunde spi-
ritus. ut exeas et recedas ab hoc famulo (ab hac
famula) dei quem (quam) hodie dominus noster jesus
christus ad suam sanctam graciam el benediccionem
fontemque baptismatis vocare dignatus est, ut fiat ejus
templum per aquam regeneracionis in remissionem pec-
atorum omnium in nomine domini nostri jesu christi.
Qui venturus est judicare. I. IIv. IIo. III. IV.
Deinde tangat aurem dextram de sputo IV.
Effeta quod est adaperire. I. Ilv. IIo. III. IV.
Ad nares IV.
In odorem suavitatis. I. Iv. Io. III. IV.
Ad aurem sinistram. IV.
Tu autem effugere dyabole appropinquat enim judicium
dei 1. Ilv. IIo. II. IV.
Deinde dicat abrenunciant,
Abrenuncias sathane? Abrenuncio.
Et omnibus operibus ejus? Abrenuncio.) L Ilv. Ilo. III.
Et omnibus pompis ejus? Abrenuncio.
Deinde tangat ei pectus de oleo sancto et fa-
ciat crucem cum pollice dicens. I. Ilv. IIo. IV.
Fuge inmunde spirilus da honorem deo vivo et vero.
Inter scapulas.
Exi inmunde spiritus. da locum spiritui sancto.
der Kirche von Brixen. 3
In pectore.
Et ego te lineo oleo salutis. IM. IV.
Inter scapulas.
In christo jesu domino nostro. HL. IV.!).
Benediccio fontis.
Dominus vobiscum. Et cum spiritu tuo. -
Oratio.
Ümnipotens sempiterne deus. adestó magne pielatis tue
misteriis. adesto sacramentis οἱ ad creandos novos po-
pulos quos tibi fons baptismatis parturit. spiritum ad-
opcionis emitte. ut quod nostre humilitatis gerendum
est. ministerio tuo virtutis impleatur effectu. Per. I.
Ilv. Ilo. III. IV.
Dominus vobiscum. Et cum.
Sursum corda. Habemus ad.
Gratias agamus. Dignum et.justum est'equum et salutare
Nos tibi semper .et ubique graciss agere domine sancte
pater omnipotens. eterne deüs. Qui invisibili potencia
sacramentorum tuorum operaris effectum et licet nos
1) Die Eobices I, Tlv. u. Ho. Haben bie Rubrik: Inde vero tan-
get ei nares et aures. de sputo ei dicat ed aurem: Epheta quod
est adaperire in odorem suavitatis. Tu autem effugare etc. Eben
fo werben in allen Dreien bie Abſchwörungen und bie Gal»
bung ber ruf unb bes Nadens vorgeſchrieben, aber fein Ges
bet mit biefer verbunden. Eine fpätere Hand Hat in Mo. das Gebet
jut Salbung beigefügt und darauf die Abbetung des Glau—
bensbekenntniffes angemerkt, welche Iegtere aud) in I. u. ΠῚ. an
diefe Stelle verfept ift. IV. Hat erft nach ber Waſſerweihe unmittele
bar vor bet Taufe die Galbung mit bem betreffenden Gebet.
32 Ordo baptisterii
iantis misteriis exequendis simus indigni. tu tamen
gracie tue dona non deserens. eciam ad nostras preces
aures tue pietatis inclinas. Deus cujus spiritus super
aquas inter ipsa mundi primordia ferebatur ut virtu-
iem sanctificacionis aquarum natura conciperet. Deus
qui nocentis mundi (crimina) per aquas abluens.
regeneracionis species (m) in ipsa diluvii effusione
signasti. ut unius ejusdemque elementi misterio. et
finis esset viciis. et origo virtutibus. Respice domine
in faciem ecclesie tue. et multiplica in ea regenera-
= ciones tuas. Qui gracie tue affluentis. impetu lelificas
civitatem tuam. fontemque baptismatis aperis toto orbe
terrarum gentibus innovandis. ul tue majestatis imperig
summat unigeniti tui graciam de spiritu sancto. Hic
aquam manu tangat. Qui hanc aquam regenerandis
hominibus preparatam. archana sui luminis admixcione
fecundet. ut sanctificacione concepta ab inmaculato di-
luvii 1) fontis utero in novam creaturam regenerata
progenies celestis emergat. Et quos aut sexus in cor-
pore. aut etas discernit in tempore. omnes in unam
pariat graciam mater infanciam. I. Hv. Ilo. III. IV.
Procul ergo hinc jubente (te) domine. omnis spiritus in-
mundus abscedat. procul tota nequicia diabolice frau-
dis absistat, nichil hic loci habeat contrarie virtutis ad-
mixcio. non insidiando circumvolet. non latendo subripiat.
non inficiendo corrumpat. Sit hec (i) sancta (iterum
aquam manu tangat) el innocens crealura. libera ab
omni inpugnatoris incursu. εἰ tocius nequicie purgata
discessu. Sit fons (+) vivus. aqua (1) regenerans.
1) Sollte wohl heißen: divini fonts,
der Kirche von Briren. 83
uuda (T) purificans ut omnes hoc lavaoro salulifero
diluendi operandi (te) in eis spiritu sancto. perfecte
purgacionis indulgenciam consequanter. Unde et be-
nedico te creatura aque per deum vivum. per deum
verum. per deum sanctum. per deum qui te in prin-
cipio verbo separavit ab arida. (oujus spiritus super
te ferebatur. qui te de paradyso manare (Hic dividat
aquam 1) ') et in quatuor flumiriibus totam terram rigare
precepit. qui te in deserto amaram suavitate indita fecit
esse potabilem. et siclenti populo mel de petra produxit.
Benedico (1) te per jesum christum filium ejus unicum
dominum nostrum. qui te in chana galilee signo ad-
mirabili sua potencia convertit in vinum. qui pedibus
suis super te ambulavit. et a johanne in jordane bap-
tizatus est, qui te una cum sanguine suo de lalere pro-
duxit, et discipulis suis jussit, ut credentes baptizarentur
in te dicens. Ite docete omnes gentes. baptizantes eos
in nomine patris et filii et spiritus sancti (Hic muta
vocem quasi leccionem legens). Haec nobis precepta
servanlibus tu deus omnipotens clemens adesto. tu
benignus aspira. tu has simplices aquas: tuo ore benedi-
cito. ut preter naturalem emundacionem quam lavandis
possint adhibere corporibus sint eciam purificandis men-
libus efficaces. Per. (Hic mittantur cerei in fontem).
Descendat in hanc plenitudinem fontis virtus spiritus
sancti. (Et sufflet in fontem tribus vicibus 1). Totam-
que hujus aque substantiam regenerandi fecundet effectu.
1) Der eingeklammerte Text fehlt in L. m. EIL unb der Gober IV.
lest: separavit ab arida, qui fa de paradiso. manare et in quatuor
luminibus etc.
Tbeol. Duartalfrift. 1959. I. Heft. 3
84 Ordo baptisterii
Hic omnium pecoatoram macule deleantur. Hic natura
ad ymaginem tuam condita et ad honorem suí refor-
mata princip cunctis vetustatis squaloribus emunde-
tur. ut omnís bome hoo sacramentum regeneracionis in
gressus in vere innocencie infencíam renasostur. Per
dominum. I. liv. Ho. II. IV. !).
Tunc baptizat infantem, primum voóato nomine.
Quis vocaris? Hv. Ilo.
Abrenuncias sathanae. Abrenuncio.
Et omnibus operibus ejus? Abrenuncio.
Ei omnibus pompis ejus? (Abrenunéio).
Credis in deum patrem omnipotentem creétorem celi et
terre? Credo. I. Ilv. Ilo, IV.
Credis et in jesum christum filium ejus unicum dommum
nostrum natum et passum ? Credo I. Ilv. llo. IV.
Credis et in spiritum sanotum. sanctam ecclesiam eatholi-
cam. (sanctorum oomunionem.) remissionem peocato-
„ram, camis resurreccionem (et vitam eternam) Amen.
Credo. I. Ilv. Ho. IV. ἢ.
Quis vocaris? ut supra. ᾿
Iterum interroget infantem,
Vis baptizari? Volo. IV.
1) Das alte Sacramentar vont Beina u hat nichts weiter
mehr als bie Rubrik; In ordine suo inde benedicto fonte baptisas
unumquemque, worin jedoch alles in ben andern codices noch Bolgende
enthalten iſt. In IV. ift am Schluß ber Wafferweige die Mifgung mit
bem Ehrisma (infusio chrismatis) vorgefchrieben. Diefe findet fid auch
im ordo Roman. L bei Muratoril. c. IL 999, obwohl weber das
Gelafianum nod bad Öregorianum etwas bayon melden.
2) Die eingeflammerten Stellen fehlen in L IIv. u. Io.
der Kirche von Briren. 35
Tribus vicibus dicat. Tunc baptizat infantem.
Ego baptizo te in nomine patris et filii et spiritus sancti.
Ilv. Ho. IV. -
Hic linit infantem in frontem cum chrismate.
L Ilv. Ilo. IV. 1).
Oratio.
Deus omnipotens. pater domini nostri jesu christi qui te
regeneravit ex aqua et spirilu sancto. quique dedit
libi remissionem omnium peccatorum, ipse te liniet
chrismate salutis in vitam eternam. 1. Ilv. IIo. III IV. 5).
Hic imponat et ei mitram dicens IV.
Accipe vestem candidam sanctam. quam inmaculatam per-
feras ante tribunal christi. ut habeas v vitam eternam,
Amen. Pax tecum. IV. ?
©. Sintfaufet, Regens der“ * " Domſchule
wm D. Caſſian in Brixen.
1) Die Taufformel ift als befaunt in einigen ber. ergligenen Gor
Bis nit angegeben, die Calbung mit ten Gira sic In allen won
ſchrieben.
2) 1, Hi. u. IV. Haben: hrimate εοϊαιί in Christo Jam D...
in vitam aeternam,
3) Mit der Variante: sanctam et immaculatam , quam praeferas
ante tribunal Christi in nomine s. Trinitatis. Amen. Darauf folgt in
Vy, Hio. x. TV. Sie ehemals gebräuchliche Darreichung ber * tonii
en bie Getauften.
2.
gur Apologie und Geſchichte des Gebetes.
Das Innere des Einzelnen, wie ganzer Voͤlker hat
von jeher das Gebet gegen die Anfechtungen Zweifelnder
vertheidigt.
Der Menſch ift abhängig nicht blos von zweiten lire
ſachen, ſondern aud) von, Gott, ber erſten und legten
Urſache. Dies ward, wenn nicht Har unb richtig erfannt,
bod) gefühlt. Was ig natürlicher, als daß diefe Ab»
hängigfeit, das Tiefgefühlte in Worte ausbriht? Und
was ift bie Aeußerung biefer Abhängigfeit als Gebet?
SBebürfnif und Mangelhaftigkeit Iaften auf allen Bes
firebungen. Alles ift Mahnung an unfere Unvollfommen-
heit. Und doch if ber menſchlichen Bruft bie Sehnſucht
mitgegeben nad) leiblicher wie geiftiger Volllommenheit.
Diefer Drang ift die Quelle aller Mühen, aller Hoffnuns
gen, aller Schmerzen und damit ber Lehrer des Gebetes.
Denn wer foll ben Mangel beden, das SBebürfnif bes
friedigen, das Unvollfommene vollfommen maden? Das
Gebet ift, um mit Ehryfoftomus zu fprechen, das Werkzeug
der Werkzeuge des geiftigen Lebens, bie Hand des Geiftes.
Aber eben biefer Drang nad Bollfommenheit mahnte
daran, daß im Menfchen etwas über das unvollfommene
Irdiſche Hinausreichendes [ebt, erinnerte an die Verwandt⸗
Zur Apologte und Geſchichte des Gebete. 37
ſchaft mit bem Höchften, bie Gottaͤhnlichleit. Und wie das
Beduͤrfniß, fo wird aud) biefe Berwanbifhaft, al$ Zug
der Liebe, von: {εἶδ zum Gebete.
So if ber Menſch zu feinem Schöpfer, feinem Gr»
gänzer, feinem Bater in Bezug gefebt. Sein Gefühl, fein
Inneres wird zum Worte, zum Gebet won {εἶδ und bie
Golgen, welche er davon fieht, bie zum Theil nod) unten
befprochen werben, fónnen ihn nur beflärfen. Der im
Gebete geftillte Drang erfuͤllt mit Beruhigung, Frieden
und Erhebung, mit Froͤhlichleit und Srof. Gleichfalls
fubjectiper Gewinn ift eó, baf. das unabweishare Ber-
haͤltniß zur Gottheit mit jebem neuen. Gebete flarer unb
inniger für den Beter felbft wird. Aber das Beifpiel ber
Anketung, beó Vertrauens, der Demuth, der Liebe 1c.,
weldes ber Betende Andern giebt, ift aud) von objectibem
Erfolge, fördert aud) die Klarheit und Smnigfeit Anderer
und erhält-die Weberlieferung der Gotteserfenntniß, Got⸗
tesfurcht ıc. Das Gebet it tägliches Zeugniß der Religion.
Eine lange Reihe von Völkern unb Denfern hat feit
Anfang alles bie&. gefühlt. Stäublin (Geſchichte ber Vor⸗
ſtellungen unb Lehren von bem Gebete, Göttingen 1824. 8)
bat viele Anſichten aus bem Beibnijfen unb chriſtlichen
Alterthume, wie aus ber fpäteren Zeit zufammengeftellt.
Sofrates betete, nad) Zenophon, blos um das Gute. Die
Gottheit, meinte der Weife, müßte fon, was gut fei;
wer um Gold, Silber, Macht bete, bete um Unſicheres,
Ungewiffes. Platon bemerft von den Spartanern, fie
hätten bie Götter blos angefleht, bie guten Handlungen
iu fegnen und zu belohnen. Er erzählt, ein alter Dichter
babe das Gebet gelehrt: „Zeus, (dente uns das Befte,
τοῖς mögen barum bitten ober nicht! Das Meble aber
38 . . Bur. Apologie
laß ferne fein, wenn wir aud) barum bitten!® Nur Weife,
glaubte diefer, koͤnnten beftimmt beten, weil fte ‚allein eins
fähen, was wahrhaft nüglid) fei. Derfelbe Philofoph laßt
feinen Lehrer Sofrates beten um Schönheit im Innern und
um Befreundung alles Aeußern mit.biefem Innern. Herodot
erzählt von ben Perfern, baf Feiner für fld) allein betete,
fondern jeder zugleich für Alle. Zenophon laͤßt in ber
Eyropädie den Perferkönig Eambyfes fagen: „Wir müflen
erſt felbft Hand anlegen und bann Gott um gute Gaben
anflehen.” Dies find Ausfprühe aus ber Blüthezeit der
griechiſchen Philofophie (407 bi8 340 vor Chriftus). 3n
fpäterer Zeit finden wir bie Stoiker und Reuplatonifer.
Arrian, der Gefhhichtfähreiber, führt als Gebet der Stoifer
folgende Worte an: „Verfahre mit mir, o Gett, nath
deinem Wohlgefalen! Ich flimme bir bei, ἰῷ bin bein!“
Kaifer Antoninus bemerkte, man folle nicht um Abwendung
des Verluſtes beten, fondern darum, daß man feinen
Berluft fürchte. Seneca lehrte, man folle nicht um Dinge
beten, um bie zu beten man fid) vor Menſchen fijeue.
Apollonius von Tyana, Jever folle um dasjenige beten,
was {hm gebübte.
Ein breiter Strom von Lehren und Anfichten biefer
Art zieht fi) fo durch das heidniſche Alterthum bis zu
bem Punkte, wo der Zorn über den Verfall des Beſſern
fid) in bie Satyre rettet (Juvenalis, Sat. 10. 346. Persius,
Satyr. 2. 5). Allen liegt bie Ueberzeugung ber Naturs
gemäßheit und Siotfwenbigfeit des Gebetes zu Grunde.
Und auf der andern Geite belehren uns außerordentlich
viele Bibelftellen von ber Gebetsdurchdrungenheit bes iſrae⸗
litiſchen Volles. .
Aber jener Meberzeugung gegenüber zeigen fid aud)
und Geſchichte des Gebete, 39
Thon bei Marimus Tyrius, weder unter ben beiden
Antoninen und Commodus, um 200 nad) Chriſtus, lebte,
die Einwürfe gegen das Gebet, welche fid) feifbem bei
Chubb, Kant und Andern öfter wiederholt haben. Soll
Gott. feine Beihlüfle, feinen Willen ändern, wenn ihn
der Sterbliche barum bittet? Wie kann er fi ändern,
da jede Veränderung einen llebergang vom Guten zum
Böfen, ober umgekehrt einſchließt, während Gott ſteta beim
Guten: fiehen bleibt, ob der Menfch betet, oder nicht betet?
Und was foll das Gebet bei Gott, dem Gerechten, bem
Wohlthaͤtigen erreichen? Was der Menſch verdient, muß
ihm Gott, vermöge feiner Gerechtigkeit ungebeten geben;
was jener night verdient, Tann ber Gerechte nicht geben.
Sol Gott das Wohl des Ganzen auf Koſten des Einzela
nen fehmälern? Zu was braucht Gott unfte Anerkennung
in Bortgebeten? Zu was follen wir. bem Allwiſſenden
vorbeten, ber umfre Bepuͤrfuiſſe fennt? Zu. was follen
wir ibn gfeichfam mahnen, als ob ihm Aufmerffamteit
und Willen fehlten? Soll Gott jeden. Yugenblid ben
Zufommenhang ber Dinge auf unfer. Gebet burd) ein
Wunder unterbreihen? Warum erhört er das Gebet fo
oft nicht 1c. ?
Diefe und ähnliche Fragen und Zweifel oben ſeit⸗
bem die Denkenden beſchaͤftigt und beunruhigt. Die Per
riode des Gefuͤhles iſt geſchloſſen und die Religionslehrer
wie Philoſophen haben die Aufgabe, das Gefuͤhlte wiſſen⸗
ſchaftlich zu rechtfertigen und begreiflich zu machen. Es
iR hiebei ein doppelter Standpunkt möglich: ber bes poſi⸗
tiven Glaubens und ber ber Vernunft. Der erftere ift
mit Fleiß und Geſchick von mehreren Theologen, juͤdiſchen
wie chriſtlichen, eingenommen worden. Dom lepteren
40 Zur Apologie
Standpunkte aus i aber biß jet bie Apologie des Gies
betes mit weniger Grfolg verfud)t worden.
Wer dies legtere verfuchen will, muß offenbar auf
bie ganze S3efdjaffenfeit des Lebens Gottes im Menfchen
zurüdgehen unb bie legten Urſachen der Andacht auffudjen.
Denn Gefühld » oder Gedanken» ober Wortandacht 'ift
jedes Gebet. Dies heißt aber nad) dem Zuſammenwirken
göttlicher und menſchlicher Urſachen, nad) ihrer Stärfe und
Priorität, oder Nachfolge, und mad) ihrer Mobiftcation
burd) bie Individuation forfhen, wie das Folgende ans
deuten mag, wobei id) im Voraus auf Bonaventura (2. dist.
37. art. 1. quaest, 1), Bellarmin, das reichhaltige Buch
von Raynaubus (Examen novae theologiae etc.), Alvarez
(Disp. 22. lib. 3. de auxiliis) und auf bie befannte, vom
thomiftifhen Standpunfte ausgehende Stelle des Cate-
chismus romanus vermeife: Non solum autem Deus uni-
versa quae sunt providentia sua tuetur, atque administrat,
verum eliam quae moventur et agunt aliquid intima vir-
tute ad motum alque aclionem ita impellit, ut, quamvis
causgrum secundarum efficientiam nón impediat, prae-
veniat tamen, cum ejus occullissima vis ad singula per-
lingat etc.
Wenn wir bie Andacht näher erforfhen, fo fpringt
ung vor Allem in bie Migen, baf hier blefe geheime, von
den Angeführten fo fehr betonte, vorausgehende göttliche
Kraft weit mehr ift, als bie menſchliche Seele felbft. Die
Andacht fommt bem Menfchen, er wird andädhtig, fie ift
feine willfürlide Selbftbeftimmung. Denn wozu fonft das
Gebet um Andacht, ober um eine andere Art von Gebet,
um bie Subrunft, um bie Befreiung von der Trodenheit,
vom Gefühle des Verlaffenfeins? Die Taufhung, ale
und Geſchichte bed Gebetes. 4
ob ber Stenjd bei bem wahren Gebete der Gingebung
baar und ledig, als ob er activ wäre, rührt aus zwei
Urſachen her. Entweder hat man ben erften Anſtoß und
göttlichen Einfluß vergefien, bie erfle verurfachende Wirs
fung ift in ben Hintergrund getreten. Ober man nimmt
die Begrenzung, welche aus ber Individuation des Mens
ſchen entfebt, bie Modification, welche der göttliche all⸗
gemeine Einfluß burd) das Einzelmefen erleidet, welches
gleihfam wie ein Gefäß nur Begrenztes aus bem göttlis
den Ocean faffen kann, für Aetivität. Hiegegen fpricht
die Berpflihtung zum Gebete nicht, denn dieſe geht auf
Unterhaltung der Flämme, bezwedt Grfenntnif (In oratione
cognosce, unde accipies. August.) Philipp. 2, 13; Roͤm.
8, 26; 2. Br. a. b. Kor. 3, 5; Joh. 15, 5.
Auf biefe Art if Gott Factor des Gebete& — wir
innen ihn mit altphilofophifhem Ausdrude ble orm ber
betenden Seele nennen — der Menſch dagegen ift bie
materiale lirfadje. Borm nannte man nämlich dasjenige,
wodurch etwas eben das if, was εὖ ift; Materie bad»
jenige, ‘woraus etwas wird. Des Menfhen Thätigkeit
verhäft fid) zur Thätigfeit Gottes beim Gebete, wie, um
ariftotelifche Ausprüde zu brauchen, die Möglichkeit zur
Wirklichkeit. Damit ift das Gebet als eigentliche Wirs
tung Gottes hingefellt. Denn wenn es etwas Zufam-
mengefeptes ift, wenn ihm zwei Urſachen zu Grunde liegen,
fo liegt folgender metaphyfifcher Beweis vor. Wirfung
der form ift, was von ber Form verurfaht wird; das
Sufammengefegte wird aber von ber Form verurfacht in
feiner Art, weil bie Form e& if, moburd) das Zufammens
geſehte ift, was. εὖ ift; alfo ift das Zufammengefegte Wir⸗
fung ber orm.
42 Zur Apologie
Nimmt man hiezu nod; am, daß das Verhaͤltniß
wiſchen Gott und dem Menfchen fein zufälliges if, ſon⸗
dern eine wefentlihe Harmonie, daß ber Menſch nad
feiner ganzen Totalität ‚zum Tempel und Gefäß gebaut
und gemeffen ift von Anbeginn, fo kann man nun das
Gebet ein Innewerden ‚göttlicher Berborgenheit, ein Bes
wußtwerben bes Goͤttlichunbewußten, ein finnliches Heraus⸗
treten göttlicher Unfinnlichkeit, ein Ausblühen des Keimes
des BVerhältnifjes zwifchen Gott unb bem Menſchen, eine
Sinbipibualifation des Goͤttlichununterſchiedenen, eine Wort⸗
werbung des Göttlichlautlofen nennen.: Das Gebet, auf
ber niebrigfien und hoͤchſten Stufe Gefühlsverlehr, auf der
mittleren. Zweigeſpraͤch, Hört auf, eine willlürliche Erklaͤ⸗
zung, eine abgerifiene Erfheinung zu fein. Es i ein
neihwendiges Ausbluͤhen am goͤttlichmenſchlichen Organis-
mus; fefigefugt in bie Ordnung, vorausgefehen unb vor»
ausangelegt in der Seele, wie der Halm im Korn, wie
bie Bluͤthe im. SBaume. Daher waͤchst das Gebet mit
dem Alter.
In bem Gegen ig bereite auf Grobe, ober Stufen
Hingewiefen. Die Urſache berfefbem liegt in ber Indivi⸗
duation und ber aller Vereinzelung anklebenden Unvoll⸗
Tommenfeit. Auf ber hoͤchſten Stufe, von welcher bie
Rebe war, gelingt ein Meberwinden des Inbivipuellen; auf
ber niebrigfien hat das Individuum nicht Kraft genug,
das Böttlihe gleichſam einzurahmen. Gleichwie nämlich,
um vom erſten Salle zuerſt zu ſprechen, alles leibliche
Wachsthum aud) während des wachen Zuftandes nur felten
ins Bewußtfein fommt umb bod) feinen geregelten und
feften Gang geht, alfo über dem Bewußtſein ftebt, nicht
blos ald bem Bewußtſein Vorausgehendes und vom Ges
und Geſchichte des Gebete. 43
danfen Unabhängiges, fonbern auch als burd) feine Weis-
heit allen Gebanfen Ueberfteigendes — fo geht auch alles
innere Wahsthum, wobei Unvolllommenes gefät wird,
Bollfommenes auferftebt,. feinen feRen Gang. Tief auf
bem Grunde webt bie Gottheit an der Seele, alà Bors
ausgehendes und durch Liebe und Herrlichkeit Alles Ueber⸗
fleigendes. Nur felten fommt bie volle Grfenntnif in
Augenbliden göttlicher Begeifterung. Und dann- zeigt ft
ein umgefehrtes Verhältnig. Wenn das Selbftbewußtfein
beim Außerlihen Wachsthume in Reflerion, Gedanken bes
fet, fo beflebt dort bie SBemuftwerbung nicht blos im
Reflertiven und Denken an Gott, fondern in Seelenerfüts
lung, ‚deren ſchwache Vorläufer Gedanken find. Die menfe
Tie Seele vollendet ihren Kreislauf vom aͤußerlich, ot»
ganiſch Unbewußten burd) das Reich der bewußten Intele
ligeng zur göttlichen Bewußtloſigkeit der Ekſtaſe. So weit
aber bie nicht ins Bewußtſein fommenbe SHeilfcaft- ber
Statur über jeder bemuften Arzneianwendung fteht, fo
weit fieht diefes Hervorbrechen des göttlichen Grundes im
hoͤchſten Gebete über aller dewußten, fomit' individuellen
Religiofität. Kein Auge hat e$ gefehen, fein Ohr hat
es gehört unb in feines Menfchen Herz ift es gefommen.
An biefe Stufe grenzt aud) ein wortloſes Gebet, das
höherer Art ift, als das der niedrigen und mittleren Stufe,
wie aus den Worten Pauli erhellt: ber Geift felbft bes
gehrt für uns mit unausfprehlihen Seufzern.
Und diefe überaus tiefe unb ſchwierige Stelle kann zugleich
als Prüfftein des. Gefagten. bienen. (6. erhebt fld) hier
bie frage: wie, ober warum feufst der Geift (Gottes) im
Menſchen zu Gott und welche Rolle bat. der Menſch das
Pe? Nach bem Bisherigen’ it im Gebete, wie in ber
Ss
4 Zur Apologie
Religion (im Allgemeinen genommen) etwas Mögliches zu
Wirklihem, etwas Unvollfommenes zu Bollflommenem zu
erheben. Dabei ift nun eine boppelte göttliche Erſchei⸗
nung ſchlechterdings nothwendig. Denn indem Gott ben
Menſchen ſchuf, fat er ihm nicht ohne feinen (Gottes)
Gedanken (Gbenbilb, Mitgift) fdjaffen Fönnen. Diefer
Gedanke aber — bei den Alerandrinern al. Aoyog σπερ-
ματιχος gefaßt — if im Verhaͤltniß zum Menfchen das ,
Bormgebenbe, im Berhältnig zum Ziele der Schöpfung
(aller Individuen) Gebanfe, bet von der Möglichkeit zur
Wirflicgkeit erhoben werben foll, ein Verlangendes unb
Seufsendes, weldes den Menſchen (al Paffives, als
Materie) ans Ziel gebracht wuͤnſcht, für ihn begehrt. Bei
genauerer Unterſcheidung zeigt ſich alfo bei einem folden
Gebete Gott der Schöpfer als erfte Urſache ober als be-
wirfende (causa efficiens) und berfelbe als Endurſache
(causa finalis), der Aoyoc- als causa formalis, der Menſch
als eausa materialis.
Auf ber niebrigfen Stufe find das Gefühl und das
SBerftánbni zu gering, um ber ſchwach durchſchimmernden
göttlichen Anregung Worte zu leihen. Das Gefühl ift zu
fau, ober zu ſchwankend, b. h. von weltlichen Dingen frem⸗
ber Art zu fehr beftimmt, um andaͤchtig zu verlangen; ber
Geiſt, oder fBerftanb, zu ſchwach zur Erflärung. uf ber
mittleren dagegen find Geiſt und Gefühl, ober wenigftens
Eines ber Beiden, gehörig disponirt zum individuellen
SBitt» ober Danfgebet, zum Gelöbnig ober Gegen, zur
Anbetung oder Seldfterforfhung ac.
Nach biefer Auseinanderfegung läßt fj nun feit
das Gebet gegen bie oben berührten Zweifel vertheidigen.
Senn. die Stage aufgeworfen wird, zu was man bem All⸗
unb Geſchichte des Gebetes. 45
wiſſenden etwas fage, wenn fomit bie Worte angefediten
werben, das Wortgebet, fo ift zu entgegnen, daß Gott
ſelbſt Beweger und Former des wahren Gebetes ift, daß
auf ber mittleren, b. b. faft allen Menſchen auf Erden
gemeinfamen Stufe, das Ausbluͤhen des Gefühlten unb
Göttlichsautlofen in Worte feine Sache der Willfür, ſon⸗
dern Stadium eines goͤttlich⸗menſchlichen Proceſſes ift, ber
biefelbe organische Nothwendigleit hat, wie das leibliche
Bahsthum.
Bird ferner das Wortgebet im Gegenfape zum Lebens⸗
gebete bintangejebt, oder gar verworfen — was ſchon bei
den älteften griechifchen Philofophen, in ber chriſtlichen
Zeit aber. bei ben Pelagianern, Wicleff, bann bei Kant und
Anderen der Fall geweſen (Bellarmin, de bonis operibus I. 3),
weil gute Thaten das [hönfte und ebelfte Gebet, das Gebet
ohne Unterlaß feien — fo iſt daran zu erinnern, ba bie
Gefinnung, welche in das Wortgebet ausblüht, aud) ber
nothwendige Vorläufer aller guten. Werke ift.
Verſucht man drittens die Nuplofigkeit und Zwed⸗
widrigkeit be& Gebetes aus den Eigenfchaften Gottes und
feinem Rathſchluſſe herzuleiten, aus dem Zufammenhange
der Dinge, der Defonomie und Ueberweltlichkeit Gottes —
fo verräth fdon das Widerfpreihende blefer Einwürfe bie
Schwäche berfelben. Hier nimmt mar an, Gott unters
bredje den Zufammenhang ber Dinge wegen des Gebetes
nicht, wirfe feine Wunder ıc. befchränkt feine Macht, indem
man ihn und feine Werke nad) den Begriffen menfchlicher
Ordnung, Geredtigfeit, Beftimmung mift, verweltlicht ihr
fomit — dort will man alles Weltliche, bie befonbere, ftets
flüffige Borfehung 1c. befeitigen, unb ihn als rein Uebers
weltlihes, Unbewegliches hinſtellen. Sodann fehlt εὖ
46 Zur Apologie
gegen biefe Einwürfe weber an poſitiv⸗theologiſchen Bes
weifen (Epbef. 1, 11 2c), nod) an philoſophiſchen, bag ber
Rathſchluß ein allgemeiner fein mug, fo daß Gott Alles
was geſchieht mit allen Umſtaͤnden, alo aud) das Gebet
mit der Erhörung, vorherbeftimmt hat — infofern nämlich
biefe gerecht find und gut. Justa voluntas hominis est
ea tantum, quae vult id, quod deus vult eam velle; in-
justa vero e contrerjo est ea, quae vult id, quod deus
non vult eam velle (Anselmus, de libero arbitrio, cap. 8).
Analog wird bie Unveraͤnderlichkeit Gottes darin beftefen,
daß er fid) unveränderlid ändern wird, nad) ber Unermeßs
lichkeit feiner möglichen Pläne, fowie gerechter Grund da
ift in feiner Lebe. Der zum Gebete Treibende, baffelbe
Einformende,. in ihm Seuſzende will das Individuell⸗Un⸗
vollfommene zum Teuchtenden Ziele fuͤhren, den göttlichen
Gedanken zur Wirklichkeit, das Mögliche zum Wirklichen
bringen... Da aber, wo er. felbft ift, und gmar mit unmittel⸗
bate Mitwirfung (Alvarez, lib. 3. de anxillis, disp. 22.),
lann Ihm feine verneinende Stellung gegeben werben.
: Der von ben Fällen ber Nichterhdrung abgeleitete
Beweis hat endlich nur Kraft, wenn der auf benfelben
fi Berufende in den fpegiellen Faͤllen nachweist, daß das
Gebet wirklich von Gott gegeben und eingeformt, nicht
von Individuell⸗Vergaͤnglichem und: Werthlofem, oder. gar
zu Mebertoinbenbem und zu Befeitigendem verurſacht und
abgenöthigt. war. Jeder fan. fid) babel an bie forgfältige
Aufzählung der Bedingungen ber Gebetserhoͤrung Halten,
welche von verſchiedenen Theologen, gegeben worben, 4. B.
Bellarmin (De bonis operibus lib. 1. cap. 9), ober an
die Aufjählung ber Urſachen ber Nichterhörung, welche,
wie wis fefen werden, unter Andern Saadja verſuchte:
und Geſchichte des Gebetes. a
Der erfiere zählt, bem bí. Thomas von Aquin folgend
(2. 2. quaest. 83. art. 15; 4. semtent. diet. 15. quaest. 4.
art. ul); deren adt auf: Glauben, Hoffnung und Bers
trauen, Liebe ober Geredjtigleit, Demuth, Andacht, Bes
harrlichkeit, endlich ba& Beten für bie eigene Perfon und
um Rothwenbiges, ober zum Heile Dienliches. Die Er-
börung bifbet bei ihm Eime der δτώφις des Gebetes, deren
ec zehn .aufsählt (1. c. cap. 3): bie Rechtfertigung, das
SBerbienft, in zweiter. Reihe die Erleuchtung, bie Rährung
der Hoffnung und des Vertrauens, die Entflammung mit
Liebe und. Befähigung zur Aufnahme größerer Gaben, bie
Mehrung ber Demuth unb Gottesfurcht, bie Erzeugung
der Weltverachtung, ben Anfang der Verkoſtung ber Süßig-
keit des Herrn, die Verleihung der Würde, melde aus
benllmgange mit Gott entfpringt. Dieſe, ſowie bie Mehr⸗
zahl ber oben angeführten, find ;fubiectiver Met; objectiver
Art dagegen ift der Erfolg des Gebetes als. Finformung
im obigen Sinne. Und wenn bei den fubjectiven Früchten,
à. B. dem Trofte, der Beruhigung, ein Unterfchied gemacht
werden fann zwiſchen Hörung umb Grbóvung, ſo ift das
Gebet als Ginformung ohne Exhörung undenkbar. Der
Segen der Hoͤrung im Trofte, in der Erleichterung ac.
gleicht dem jeder Mittheilung von Leid unb Freud an
Dritte. Die fogenannte. pſychologiſche Wirkung des Ge⸗
betes, der Genuß ber Selbſterhebung 1c., ἐβ aur Ateidens
der Erhörung unb fann auch ohne Erhoͤrung bleiben... '
Sid) habe oben bemerkt, daß bie Darfellung und Apos
Ingie beó Gebetes mit größerem Erfolge bisher von poſitiv
theologifher Seite, als von philoſophiſcher Seite unters
nommen worden ig. Die Gefihichte liefert den Beweis.
Ich will Hier zum Schluſſe ſolche Belege wählen, melde
48 Zur Apologie
von Stäudlin entweder unbeachtet blieben, ober unbeachtet
bleiben mußten und welche in irgend einer Berichung das
Weſen und bie Natur des Gebetes von einer beachtens⸗
werthen Seite faffen, oder durch Entſchiedenheit hervor⸗
ragen.
In der perſiſchen Literatur begegnet uns unter Andern
Dſchelaleddin Rumi, der in Balch geboren wurde und zu
Konia 1252 ſtarb (Tholuck, Blüthenſammlung aus ber
morgenlaͤndiſchen Myſtik, Berl. 1825). Wie er ſich das
Verhältnig zwiſchen Gott unb Menſch gedacht, zeigen
folgende Verſe feines Mesnevi (Tholuck (5. 64. 66):
Sandeswell' iſt Sinn, Verſtand und der Gedank',
Waſſerwell iſt Rauſch in Gott und Untergang.
Lauten find wir, Schläger bu, der durch fie tönt;
Biſt e8 bu nicht, ber aus unferm Gtöhnen ftöhnt?
Lebensfull' Haft du in's tobte Nichts geftellt,
Haft das Nichts bir zur Geliebten auserwaͤhlt.
Bon diefem Standpunkte aus kommt er nun wieder⸗
holt auf das Gebet (a. a. D. ©. 160. 161. 189). Gott
fagt:
Bil ὁ Mofe! ſchuldig find bie Lippen nicht,
Drauf ohn' Unterraß Gebet um Gnade Liegt.
Deine Gluth und Seufzer Gottes Boten ſind.
Deine Lieb’ ein Gürtel meiner Liebe-ift.
In dem „Herr fomml^ ſtets ein „.Hie Sohn!“
ſchlummernd it.
Er fagt (€. 189), daß das wahre Thränengebet von
Gott felbft geſprochen werde.
In der jübifdjen fpäteren Literatur findet fid) bie über-
lieferte ungemeine Hochhaltung des Gebeteó, wie eine Stelle
aus bem babylonifhen Talmud zeigen wird. Zugleich
hält bie theologifche Schule, bie altteſtamentliche Zucht von
bem, was dem Pantheismus gleichficht, bie Bedeutendſten
und Geſchichte des Gebetes. 49"
wenigſtens, ab, regelt umb orbnet dasjenige, was über
das Gebet gefagt wird. Die mittelalterliche jüdiſche Sites
tatur ftebt, wenn wir von ber fabbala abfehen, bem
modernen Rationalismus, kauſtiſcher Verſtandesſchaͤrfe weit
näher, al8 dem Pantheismus und großer Gemüths- und
Gefühlstiefe. Als Repräfentanten laſſen fid) Saadja und
Maimonides vorführen.
Der erftere, geboren in Fajoum in Aegypten 892,
927 Lehrer ber Afademie zu Gora, wo er wahrſcheinlich
942 geftorben, hat übrigens mit bem Ießtern, ber befannt»
lid ben 30. März 1135 zu Cordova geboren wurde und
am 13. Dezember 1204 ftarb, das gemein, daß beide,
τοῦ bem Feſthalten am der Bibel und tto ber Gods
e$tmg und fBertfeibigung jüdifher Ueberlieferung, ber
Verfolgung und Anklage der Heteroborie nicht haben ent»
gehen können. .
Sn Saadjas Emunot We⸗Deot (Abſchn. 5. Nr. 21)
wird ald Mittel, ben Gebanfen an Wiederholung ber Sünde
au befeitigen, bie Erwägung der Zerbrechlichkeit, ber. Nier
drigfeit, be8 Todes, der Rechenſchaft, Strafe 1t. im Gebete
empfohlen. „Wir finden deßhalb, fagt ber. Religions-
philoſoph, daß unfere uralten, weifen Ahnen, gewiß nur
iu biefem Zwede die Sitte eingeführt, am Sühnetage
Süufgébete, wie bie ,,bu verfichft bie Gedanken meines
Hergens" ^, ober „„Fuͤhre uns nidt in Strafgerichte““,
oder „„Herr alles Gefdjaffenen^" u. dgl. zu beten".
Im weiteren Berlaufe fommt er bann (Str. 23) auf
die Dinge, welche bie Gebeterhörung verhindern.
Dergleihen Hemmniffe, fagt et, giebt e8 ſieben.
Erſtens wenn ber Menſch erf dann zum Gebete fif
wendet, wenn das Gottesurtheil bereits über Ihn entſchie⸗
Weol. Duartalfeprift. 4853. I. Heft. 4
4s But. Apologte
son Stäublin entweder unbeachtet blieben, ober unbeachtet
bleiben mußten und welche in irgend einer Beriehung das
Weſen und bie Natur des Gebetes von einer beachtens⸗
werthen Seite faffen, ober durch Entſchiedenheit hervor⸗
Tagen. :
In ber perfifdjen Literatur begegnet-uns unter 9fribern.
Dſchelaleddin Rumi, der in Balch geboren wurde und zu
Konia 1252 farb (Tholuck, Blüthenfammlung aus ber
morgenländifhen Myftif, Berl. 1825). Wie er fid) das
Verhaͤltniß zwiſchen Gott und Menſch gedacht, zeigen
folgende Berfe feines Mesnevi (Solud G. 64. 66): ΄
Sandeswell' iſt Sinn, Verſtand und der Gedank',
Waſſerwell iſt Rauſch in Gott und Untergang.
Lauten find wir, Schläger bu, ber durch fle tönt;
Biſt e8 bu nicht, der aus unferm Stöhnen ftöhnt?
Lebensfull' Haft du in's tobte Nichts geftelít,
Haft das Nicht bir zur Geliebten auserwählt.
Bon diefem Standpunkte aus kommt er nun wieder:
holt auf das Gebet (a. a. Ὁ. €. 160. 161. 189). Gott
fagt:
Wiſſ' 0 SXofe! ſchuldig find bie Lippen nicht,
Drauf ohn' Untersaß Gebet um Gnabe liegt.
Deine Gluth und Geufjr Gottes Boten find.
Deine Lieb’ ein Gürtel meiner Liebe-ift.
In dem „Herr kommi“ ſtets ein , ie Sohn!“
ſchlummernd if.
Er fagt (€. 189), daß das wahre Thränengebet von
Gott felbft geſprochen werde.
In der jübifchen fpäteren Literatur findet fid) bie über-
lieferte ungemeine Hochhaltung des Gebeteó, wie eine Stelle
aus bem babylonifhen Talmud zeigen wird. Zugleih
hält bie theologiſche Schule, bie altteſtamentliche Zucht. von
bem, was bem Pantheismus gleichficht, bie Bedeutendſten
und Geſchichte des Gebetes. 49
wenigſtens, ab, regelt unb orbnet dasjenige, was über
das Gebet gefagt wird. Die mittelalterliche jübifdje gites
tatur flet, wenn wir von ber Kabbala abfehen, bem
modernen Rationalismus, kauſtiſcher Verftandesfchärfe weit
näher, afó dem Pantheismus und großer Gemüths- und
Gefühlötiefe. Als Repräfentanten laſſen fid) Saadja und
Raimonides vorführen.
Der erftere, geboren in Fajoum in Aegypten 892,
927 Lehrer der Afademie zu Gora, wo er wahrſcheinlich
942 geftorben, hat übrigens mit bem Ieptern, ber befannts
lij den 30. März 1135 zu Cordova geboren wurde und
am 13. Dezember 1204 ftarb, das gemein, ba beide,
top dem Feſthalten an der Bibel unb trog. der od:
tung unb Bertheivigung jüdifcher Weberlieferung,. ber
Verfolgung und Anklage der Heterodoxie nicht haben ent»
tm können. .
In Saadjas Emunot WerDeot (Abſchn. 5. Ar. 21)
wird als Mittel, ben Gebanfen an Wiederholung ber Sünde
du befeitigen, bie Erwägung der Zerbrechlichkeit, der. Nie—
drigfeit, be& Todes, der Rechenſchaft, Strafe ar. im Gebete
empfohlen. „Wir finden deßhalb, fagt der. Religions-
Philofoph, daß unfere uralten, weiſen Ahnen, gewiß nur
im diefem Zwede die Sitte eingeführt, am Sühnetage
Bußgebete, wie bie ,,bu verfiehft bie Gedanken meines
Hergeng“ ^, oder „„Fuͤhre uns nidt in Gtrafgerichte" ",
oder „Herr alles Gefdjaffenen^" u, dgl. zu. beten“.
Im weiteren Verlaufe kommt er bann (tr. 23) auf
die Dinge, welche die Gebetserhörung verhindern.
Dergleihen Hemmniffe, fagt et, giebt es fieben.
Erfens wenn der Menſch erf dann zum Gebete fij
wendet, wenn das Gottesurtheil bereits über ihn entſchie⸗
Seil, Duartaligeift. 4853. I. He. 4
48 Zur Mpologte
von Stäublin entweder unbeachtet blieben, ober unbeachtet
bieiben mußten und welde in irgenb einer Beziehung das
Weſen und die Natur des Gebetes von einer beachtens⸗
werthen Seite faffen, ober durch Entſchiedenheit hervor⸗
Tagen.
In ber. perfifchen Literatur begegnet-und unter Arivern
Dſchelaleddin Rumi, ber in Balch geboren wurde und zu
Sonia 1252 farb (Tholud, Blüthenfammlung aus bet
morgenländifhen Myſtik, Berl. 1825). Wie er fi das
Verhaͤltniß zwifchen Gott und Menſch gedacht, zeigen
folgende Verſe feines Mesnevi (Tholuck ©. 64. 66):
Sandeswel iſt Sinn, Verſtand und der Gedank',
Waſſerwell if Rauſch in Gott und Untergang.
Lauten find wir, Schläger bu, ber durch fle tönt;
Biſt εὖ bu nicht, der aus unferm Stöhnen ftöhnt?
Lebensfull' Haft du in's tobte Nichts geftelít,
Haft das Nichts bir zur Geliebten auserwählt.
Bon biefem Stanbpunfte aus fonimt er nun wieder-
holt auf das Gebet (a. a. Ὁ. ©. 160. 161. 189). Gott
fagt:
- Sj o SXofe! ſchuldig find bie Lippen nicht,
Drauf ohn' Unterraß Gebet um Gnabe Περί,
Deine Gluth unb Seufzer Gotted Boten find.
Deine Lieb’ ein Gürtel meiner Liebe-ift,
Sn dem „Herr kommt“ ſtets ein „Hie Sohn!“
ſchlummernd ift.
Er fagt (Θ. 189), daß das wahre Thränengebet von
Gott felbft geſprochen werbe.
Im ber jünifchen fpäteren Literatur findet fid) bie über-
lieferte ungemeine Hochhaltung des Gebete, wie eine Stelle
aus bem babylonifhen Salmub zeigen wird. Zugleich
hält bie theologifhe Schule, die altteftamentliche Zucht. von
dem, was dem Pantheismus gleichfieht, bie Bedeutendſten
und Geſchichte des Gebetes. 9
wenigſtens, ab, vegelt und orbnet dasjenige, was über
das Gebet gefagt wird. Die mittelalterliche fübifdye Liter
tatur flet, wenn wir von ber Kabbala abfehen, bem
modernen Rationalismus, kauſtiſcher SBerftanbeefdárfe welt
näher, ald dem Bantheismus und großer Gemuͤths⸗ unb
Gefühlstiefe. Als Repräfentanten laffen ſich Gaabja unb
Raimonives vorführen.
Der erfiere,' geboren in Fajoum in Aegypten 892,
927 Lehrer ber Afademie zu Gora, wo er wahrſcheinlich
942 geftorben, hat übrigens mit bem lehtern, der befannts
lif den 30. März 1135 zu Cordova geboren wurde unb
am 13. Dezember 1204 ftarb, das gemein, daß beide,
top dem Feſthalten an ber Bibel unb tro. ber Hochs
tung und SBertfeibigung jüdiſcher Weberlieferung,. ber
Berfolgung und Anklage ber Heterodoxie nicht haben ent»
gehen können. B
In Saadjas Gmunot WerDeot (Abſchn. 5. Ar. 21)
wird als Mittel, ben Gevanfen an Wiederholung der Sünde
iM befeitigen, die Erwägung ber Zerbrechlichkeit, ber. Nier
brigfeit, be& Todes, der Rechenſchaft, Strafe ar. im Gebete
empfohlen. „Wir finden beffalb; fagt ber. Religions-
Yhilofoph, bag unfere uralten, weifen Ahnen, gewiß nur
zu diefem Zwede die Sitte eingeführt, am. Sühnetage
Yußgebete, wie bie ,,bu verfiehft die Gebanfen meines
Hergens" ^, ober „„Fuͤhre uns nicht in Strafgerichte““,
oder „herr alles Gefdjaffenen^" u. dgl. zu beten“.
Im weiteren Verlaufe fommt er dann (tr. 23) auf
die Dinge, welche die Gebetserhörung verhindern.
Dergleihen Hemmniffe, fagt et, giebt es ſieben.
Erſtens wenn der Menſch erf dann zum Gebete fij
wendet, wenn das Gottesurtheil bereits über ihn entfchier
Sie, Ouartalſchriſt. 4953. 1. Het. 4
50 Bur Apologle
ben, wie an Mofes erhellt (Deut. 3, 23. 26). Zweitens
wenn ber Menſch ohne Gedanken des Herzen betet (Bf. 78,
35—37). Drittens wenn Jemand betet, ohne auf das
Geſetz zu achten (Spr. 28, 9). Vierten wenn Jemand
auf ben Hilferuf der Armen nit hört (Spr. 21, 13).
Fünftens wenn Jemand fid) verbotenes Vermögen erfaubt
Micha 3, 3—4). Sechstens wenn Jemand ohne Geiſtes⸗
zeinigung betet Cyef. 1, 15—16). Siebentens werben bie
Gebete nicht erhört, wenn bie Vergehen des Büßenden
zahlreich find und er nicht buffertig betet (Sad. 7, 13).
Hiemit kann man vergleihen, wie Maimonides, bet
Zweitgroͤßte unter den juͤdiſchen Religionsphilofophen, in
feinem More Nevochim bie Rothwenbigfeit ber Anrufung
Gottes Ichrt (Pars II. cap. 36), das Gebet über bie
Opfer ftellt (Pars II. cap. 32) und das beftändige unb
file Gebet, die Gottesverehrung derjenigen ſchildert,
welche bie Wahrheit erfaffen, alle ihre Gedanken auf Gott.
richten und ihm allein, foweit es möglich ift, anhängen 1c.
(Pars II. cap. 51).
Im Tractat SBeradjot des babylonifhen Talmud
Cherausgeg. v. Pinner Berl. 1842. fol. (5, 32 b) lejen
wir: „Es fagte R. Elafar: Groß ift das Gebet, mehr als
gute Thaten. Denn Niemand war größer in guten Thaten
ele Moſcheh, unfer Lehrer, und gleichwohl if er nicht
anders erhört worden, als nur burd) das Gebet (5. Mof.
3, 5—27). — Berner fagte R. Elafar: Groß ift das
Gebet, mehr ale Opfer (ef. 1, 11. 15). — Es ſagte
9t. Chanin im Namen 9t. Chaninas: Jeder, ber fi
lange aufhält mit feinem Gebete, beffen Gebet fommt nicht
Teer zurüd (5. Mof. 9, 265 10, 10). — G6 fagte 9t. Ehama,
Gon 9t Cfaninas: Wenn ein SRenff) fibt, ba er
und Geſchichte be& Gebete. , 51
gebetet hat und nicht erhört wurde, fo fol er zurüdfehren
und beten (Pf. 27, 14). — Bier Dinge erfordern Stärke
und biefe find: die Schrift und gute Thaten, das Gebet
und die Sitte des Landes. — Einem Frommen, welcher
auf bem Wege betete, begegnete ein SBornebmer unb ber
grüfte ibn, ohne daß ihm ber Fromme dankte Da
wartete der Vornehme, His biefer fein Gebet geenbigt und
ſprach: „„Leichtfinniger, eà ftebt gefhrieben (5. Mof. 4, 9):
hüte bid) und deine Seele! Warum haft: bu den ‚Gruß
nit erwiedert? Wenn id) bit den Kopf abgefehlagen, |
wer würbe fordern bein Blut von meiner Hand?““ Da
fprach ber Fromme: „„warte, bis id) bif) verfófmt mit
Sorten. Wenn bu geftmden vor einem Könige aus
dleiſch und Blut und e8 wäre bein Freund gefommen unb
hätte bid) gegrüßt, wuͤrdeſt bu ihm ermiebert haben ?“⸗
Der Bornehme ſprach: Nein. „„Und wenn du erwiebert
hätteft, was wuͤrden fie dir gethan haben?““ „„Sie wür-
ben meinen Kopf abgefdlagen Baben"", Da ſprach ber
Fromme: „„Laͤßt fij nicht vom Kleinen auf das Große
fliegen? Wenn bu vor einem Könige aus eid) und
Blut, ber heute hier und morgen im Grabe ift, fo große
Scheu Haft, wie follte ih nicht Scheu tragen vor dem
König der Könige, dem Heiligen? - Gepriefen-fei er, wel⸗
her lebt und emig in alle Ewigkeit Bleibt} . Da war
der Vornehme verföhnt und bet Fromme gieng Im Frieden
nad Haufe."
- Der Betende darf nicht erwiedern, aud) wenn ein
König ihn grüßt, barf nicht innehalten, auch wenn eine
Schlange feine Ferfe ummwunden. So Iehrt der Talmud.
Sehen wir hier überall das unerfchütterliche Feſt⸗
halten an altteftamentlicher Gebetsfhägung und Gebetss
4
52 Bur. Apologle
gluth, fo laſſen fid ju biefen Lichtbildern des Orients,
gleihfam als Schatten, Ausſprüche arabifdjer Religions-
philofophen fügen. Ein Sfusfprud) des Kabol 9idbar,
welcher 32 Heg. (652 nach Chriſtus) geftorben, lautete,
daß ber wiffende Gläubige mehr Kraft wider den Satan
habe, als Dunbetttaufenb Gläubige, die blos beteten
(Hammer, Arabiſche Literaturgefh. IL. Bb. S. 161), Und
Orwet Ion Sobeir, welcher eg. 99 (717 nad) Ehriftus)
farb, Außerte: „Die Andacht bec Herzen beftebt nuc im
Danke gegen Gott und weber in Furcht, nod) Bitte, Der
Zorn bringt den Zornigen am nächften bem Zorne Gottes.
Einige dienen Gott aus Furt; die find Knechte. Einige
aus Vortheil mit Bitten; die find Kaufleute. Einige mit
Dank; bie find bie Freien’ (Hammer a a. Ὁ. II. Bo.
©. 172).
Jahrhunderte find nad) Ion Sobeir verfloffen bis auf
Kant und Hegel. Aber wenn ber Ießtere fagt, Denken
{εἰ Beten, ober wenn Kant bie Bitte ablehnt, fo fehen
wir, daß ber menſchliche Geiſt von feiner Zeit abhängig
ift, weil ſtets biefelben, ober ähnliche Gedanken wiebere
Tefren, ohne daß aud) nur entfernt ein äußerer Zufammen«
hang nachgewiefen werben fann. Hier ift es bie Betos
mung des Wiſſens, des Denkens, welche Kabol mit Hegel
verbindet, dort der Hintergrund ber Unbeweglichfeit Gottes
und ber völligen Grgebung, welde Kant mit Ihn Sobeir
verfettet. ᾿
‚Wir wollen Biemit auf bie neuefte Zeit übergehend
fehen, wie die deutfhen Philofophen, bem Abenden Worte
des Königsberger Philofophen gegenüber, das Gebet in
Schutz genommen und aufgefaßt. Es gefhah dies auf
katholiſcher wie proteftantifcher Seite. Auf der einen Seite
und Geſchichte des Θεδείεϑ. 33
wollen wir Baader hören, auf der andern Drobiſch. Der
erftere, beffen Werke nun eine Gefammtausgabe erleben,
iR bereits 1841 geſtorben; ber Ießtere, ein Schüler Her⸗
barts, lebrt nod) gegenwärtig in Leipzig.
Franz v. Baader, der frühe viele unb verſchiedenartige
Bücher las, unb, bei feinem Wiffensdurfte und feiner Leb⸗
haftigkeit be& Geiſtes, von polariſch Entgegengefegtem um
fo mehr angefproden wurde, hat an mehreren Stellen
fif fragmentariſch über das Gebet auegelaffen.
Elaudius hatte mit der Gewalt feines Gemüthes aud)
das Gebetsproblem befeitigt. Indem er (Werke 1829,
ML Thl. S. 104) auf bie Frage ftàft, wie denn das Gebet
f zum Sufammenfange der Dinge, der fubjective Wunſch,
die Bitte des Einzelnen zur Ordnung des Ganzen ftelle,
äußert er Furzweg, baf er diefen nexus rerum ober Zur
fammenhang ber Dinge nicht fenne, wohl aber wifle, daß
Simfon ben nexus der Thorflügel unbefchädigt gelaffen
und das ganze Thor auf ben Berg getragen.
Diefe Stelle fowie bie Angriffe Kants befchäftigen
Baader in feinen Sagebüdjern. Ein oratoriſch gefhmüdter
Grguf dafelbft (Werfe XL ©. 134 f.) läuft darauf Bin»
aus, daß der Zufammenhang ber Dinge fein blos Außer-
lider fei, daß Gedanken und Triebe des Geiftes zu ben
Berfnüpfungen der Dinge gehörten, daß ein Wechſel⸗
verfehr zwiſchen Iebendigem Geifte (Gott) und [ebenbigem
Geifte (bem Menfchen) ftattfinden müffe, eine Offenbarung
Gottes im Geifte, im menſchlichen Leben, daß feine Macht⸗
beſchraͤnkung Gottes ftatthaft [εἰ und das Wohl des Ganzen
nur in dem des Einzelnen fid) zeige.
Wir fehen hier bie oben gegebenen von ber Einwoh-
mung, Delonomie und Weberweltlichkeit bergenommenen
54 Zur Apologle
Bewweife durchſcheinen, bie aber zu feiner Prärifion ge»
langen.
An einer andern Stelle (Werke XL ©. 328) geht ex
von einer Eraltation, oder Graberhöhung bes SBernunfte
vermögens aus mittelft eines activer. Nehmens, nicht bes
paffiven Empfangens mittel einer Emanation (Gottes).
‚Das Gebet ift der [ete Act der Selbſtthaͤtigleit der Ber»
munft, wenn fie an ber Grenze ihres Bermögens ange
langt if. Das Gebet ift Wunſch, in bem Wunſche (on
embryonifh enthalten, wenn er reiner Vernunftwunſch ift.
Es kann fonad) nie etwas Sinnliches jum Objecie haben,
fondern mur intellectuelle Subjertserhöhung. Es vermag
etwas, weil alle Willensäußerungen verurſachende Kraft
haben, wie bie Vorſtellung bei willfüclihen Musfelbe-
wegungen Urſachlichkeit hat — hier bie Borflelung ber
erfannten Rothwenbigfeit unb des Beduͤrfniſſes mehrerer
intellectueller Kraft. Bedingung ber Eraltation, des Aufs
ſchwunges ift hier bie Gotteserfenntnig, weil bie Bernunft
beim Kraftnehmen fehen, b. b. das SBermunftibeal ihr
denkbar, oder möglih fein muß. Die Wahrnehmung
diefer Urſachlichkeit if ſittliche Thatſache. Das Gebets-
vermögen ift ebenfo einfache Thatſache als das Fingers
bewegen, ober das Athemholen.
Das Ganze dieſer Anſchauung beruht auf bem bereits
am Eingange angebeuteten Bevürftigfeits «, Mangelhaftig-
teitögefühle, welches zur Ergänzung aud) in intellectueller
Beziehung, b. 5. zum Gebete, treibt. Cine treffende Ana»
logie mit bem Athemholen, welche uns an die naturaliſtiſche
Richtung Baaders erinnert, muß übrigens für Bermißtes
entfdübigen. Ich nehme hier, wie überall, den Ausdruck
naturaliftifch in bem Sinne, bag Baader nicht blos bie
und Geſchichte bed Gebetes. 55
Mittel feiner Speculation (Gleichniſſe, Analoglen 1c.) der
Ratur entlehnte, fondern aud) den (ete Ausgang feiner
Speculation im Begriffe einer Natur, bec Ratur in Gott,
fand, was Fr. Hoffmann (Werke I. 356. I. 18) bei mehr
Ueberlegung und ethiſcher Haltung leicht finden fonnte.
An was εὖ in Baader Stelle fehlt, zeigte er fpäter ſelbſt.
Bir lefen in feinen Werfen L' &. 20 Anm.: „Beten iR
leineswegs bloße Wünfchen, wenn es gleich ben Wunfch
ber Erhörung enthält. Denn derjenige, welcher wirklich
bittet, wendet fid) an einen pofitiven Geber unb er könnte
nicht bitten, ohne biefen inne zu werben und zu berühren.
Im Gebete zu Gott ift der Geber ſelbſt fehon der Geber
ber Bitte, ober des Gebets, welches und aufgegeben wurde.“
Andere Stellen in Baaber ſprechen fit über Begriff unb
Art, über Quelle, Auferlegtheit und Wirkung, über Berechti⸗
gung und SBegreiflidjfeit des Gebetes in folgender Art aus.
Das Gebet if ein Eingehen mit dem Odem ber
Seele in die liebende Eentraffeele, ober: eine Offenhaltung
des Einganges in biefe, welche beftändig biefer Deffnung
harrt (Offenb. 3, 20), welche im Innerften jedes Menfchen
befüünbig gegenwärtig ift (als das Licht, jedem Menſchen
leuchtend, der in biefe Welt fommt) unb welde in allen
iR, weil alle in ihr find, fowie fie aud) beſtaͤndig aufer
den Menfhen und um fie ift, wie die Figur unb ber
Schatten der Subflanz immer um bieje find (Werke II.
©. 512); das Gebet ift eine vitale Function des Ge»
müthes (Werke IL &. 500); es ift eine Emporrichtung
zu Gott, eine Gonfrontation jeder partiellen, beſchraͤnkten
Willensrichtung, ober Action mit ber centralen unb unis
verfellen, eine priefterliche Vermittlung zwiſchen Gott unb
der Welt (Werke II. ©. 35).
56 Zur Applogie
Die Quelle und Verbindlichkeit des Gebetes ift. von
Gott gegeben, „Baco fagt, daß jeder phyſilaliſche Verfuch
eine Frage am jenes Naturwefen ift, von bem wir Aufs
ſchluß verlangen. Aber Fragen ift in das gefragt wet»
benbe Wefen eingehen und falls letzteres über mir ftebt,
ἰῷ folglich ein Stieberfeigen zu mit und in mid) erwar-
ten muß, ift die Frage (interrogatio) eine Bitte (rogatio).
Alles Suhen unb Verſuchen, Forſchen und Speculicen,
welches von der Gigenbeit als folder ausgeht, findet darum
nichts als biefe Eigenheit unb was in ihrem Bereiche Liegt,
wogegen nur das von einem Höhern ausgehende Suchen,
bem id) mein Suchen eingebe, ald meinem Zührer, biefeó
Höhere in mir findet. Hegel hat zur Erfenntniß biefer
Sundamental- Wahrheit für bie Religionswiſſenſchaft ben
Weg mit. der Behauptung gebahnt, bap Gott nicht das
Object meines Erkennens waͤre, falla Er nicht zugleich das
Subjeet meines erfennenden Subjects wäre: Das wahre
Gebet ift mir darum von Gott gegeben und aufgegeben,
wie mir ber Odem gegeben unb fein Auswirken und Wie⸗
berauóatfmen, b. i. SiBiebereinatfmen in den Odemgeben-
den, mir aufgegeben ift (Genefls 2, 7.), unb ber in mir
fBittenbe und Rufende ift aud) ber im mir Hörende und
Erhörende. Wie nämlich (gemäß ber Genefis) von allem,
was hienieden Odem hat (spiritus a respiratione) ber
Menſch allein diefen unmittelbar von Gott felber empfing,
fo hat aud) er allein das Vermögen unb bie Verbindlich«
keit, biefen Dbem eben fo unmittelbar (nur ausgewirkt)
wieber Gott zuruͤck zu geben, b. D. wie er allein aus Gott
athmet, fo foll er allein in Gott atfmen unb fi in un—
gehemmter Συμπνοία (conspiratio oder Eingeiftung) mit
Gott, der der Geift ift, erhalten (Werke IL. S. 514 An—⸗
und Geſchichte des Gebetes. 57
merk)" Bgl. L 20, wo er fagt, der Keim des Gebetes
fei von der moralifchen Natur abgenöthigt.
In Anfehung der Art oder Beſchaffenheit des Gebe»
tes fordert er wiederholt den activen und effetiven Ga»
after, den Willen und das Wort, das legtere jebod) in
der höchften Bedeutung. „Als intelligent, fagt er (Werke 1.
©. 294), ift der Menſch allerdings 'ein aud im Annehmen
ober Empfangen, fo wie im Auswirken ber Gabe freis
thätiges Wefen und er fann darum nur thuend (fpre-
ch en d) empfangen. Keine Infpiration, fagt Marheineke,
geht ohne eine von Seite des Infpirirten mitwirfende Ad⸗
fpiration vor fid), fo wie biefe nicht ohne eine Grfpiration.
Folglich Tann ein Object, welches feine Functionen gegen
den Menſchen verrichtet, ohne daß diefer auf fole Weife
felhfthätig gegenwärtig ift, oder zu demſelben fpricht, Fein
Object feines Eultus fein, weil der Menfch hiebei in feinen
acliven Rapport mit ihm tritt. Wenn es barum heißt:
„Bittet, fo wird eud) gegeben“, fo heißt diefes mur: e8
kann euch, vermöge eurer intelligenten Ratur, nicht geges
ben werben, falls ihr nicht bittet, b. D. falls ifr nicht,
wollend unb anerfennend bert Geber, ſelbſtbewußt unb mit»
wirfend ihm gegenwärtig feid.“ Und am einer andern
Stelle (Werke I. ©. 514) fagt er: „Begreift man das
Wort ober bie Rede in ihrer höchften Bedeutung, nämlich
als Gebet, fo muß man aud) einfehen, daß das Gebet
vom Willen untrennbar ift, indem ber Wille irgend einer
Baſis feines Wirkens fid) zufehrend, um in biefelbe ein«
zugehen, biefe Bafis eigentlich bittend und gläubig anfpricht,
woraus benn folgt, daß jeder Menſch, er mag fid befjen
mun Har bewußt werben, ober nicht, in jeder feiner Wils
lensbeſtimmungen entweber zum Chriſt als Welterloͤſer,
58 Zur Apologie
ober zum großen Weltthier, ober enblif zum Verderber
ſein Gebet richtet und daß, da der Menſch vermoͤge ſeiner
Natur, nämlich als wollend, ein religiöfes, betendes Weſen
ift, b. f. ein Wefen, weldjeó mittelft des Odems feiner
Seele, fid) einem jener drei univerfellen Wefen gelobt und
verlobt, bie Frage nur bie fein Tann, zu welcher biefer drei
Regionen ex fid) befennt unb wohin er fein Gebet wendet.“
In Betreff der Erhörung bemerkt er (Werke I. 294),
daß in den Augen Gottes die Deffnung oder Herſtellung
der freien Gemeinfdjaft der Creatur mit Ihm der eigent-
lide 3tved jedes Gebetes fei, in weldem Sinne folglich
jedes Gebet feine Erhörung ſchon mit fi) bringe, eines⸗
ijeiló, indem bie Gabe hier von dem Geber nift trenns
‚bar fei, anderntheils, indem alle uns im Zeitleben befals
lenben Röthen, weil fie uns zu Gott (aus biefer Zeit
hinaus) treiben, uns bod) nur die Eine gemeinjame und
Radicalnoth biefer unſrer Entfremdung von Gott fühlbar
und .erfennbar machen follten, fo daß alfo die äußere
(einzelne) Roth nur als leitend und helfend zur Erweckung
diefer innern Noth fid) auf gleiche Weife verhält, ober
verhalten foll, wie das äußere Muͤſſen (ber äußere Zwang)
zum innern Sollen.” Hiemit ift bie Stelle im 2. 8. ber.
Werke I. 346 zu vergleichen.
In Anfehung der Begreiflichkeit verwahrt ex fi gegen
die Gleichſtellung des primitiven Verkehrs unb Rapportes
des Gefchöpfes und des Schöpfers mit jenem des Gefchöpfes
und Geſchoͤpfes, und ein Begreiflichmachenmollen des extern
aus bem lehtern (Werke 1. 293, vgl. 1. 20).
Die Stedjtfertigung des Gebetes und feine Bertheis
digung liegt fehon in bem Angeführten. „Der Menſch,
fagt ες (Werke I. 20), wird des Gebetes (als einer Vers
und Geſchichte des Gebetes. LJ
ſtandesſchwachheit) fih fo wenig gu ſchaͤmen brauchen, als
et fij jedes andern wahren Gemüthsafects zu ſchaͤmen
braucht, unb nod) weniger wird er es für nöthig finden,
bei bem Philofophen, (ber denn doch aud) nur ein armer
Sünder unb Schelm if, wie er) über bie Befriebigung
ober Richtbefriedigung biefe in ihm lebenbig gewordenen
Beduͤrfniſſes erft anzufragen. Und follte gegterem etwa
die Einfachheit des Mittels bedenklich feinen, oder bie
Unbegreiflichfeit feiner SBirfungmeife (melde freilich bei
aller Willenscaufalität biefelbe ift, deren Magie eben Mas
gie bleibt) ibn vom Gebrauche abhalten, fo möchte er nad)
demfelben Raifonnement nur aud) das Athınen einftellen,
an welche eben fo einfache und in ihrer Wirkung myflifche
und unbegreiflihe Function. bie Natur die Erhaltung des
animaliſchen Lebens Debungen hat.“ Unter Bezugnahme
auf eine Stelle St. Martins (Tableau naturel des Rap-
poris, qui existent entre dieu, l'homme et l'univers L 179)
von ber Nothiwendigfeit, daß alle Wefen bem Princip des
Lebens Huldigung barbringen müßten, um Hilfe unb Wohl⸗
that zu erlangen, fagt er, daß von Seite des Menſchen
zur Herftellung der Gemein(daft mit Gott ein Thun des
Menfhen, ein.die particufare Intelligenz mit der abfolus
ten reliirender Act (religio a religando), fomit Gebet
nothwendig fei. Es ift Gefeh der Mittheilung, aber Gr»
teilung ber Grfenntni von einer höheren ober fráftigeren
Intelligenz am eine niebrigere ober fdymüdjere, fagt er
Werke 1. 293), εὖ ift das allgemeine Gefeg der Erleuch⸗
tung jeber Intelligenz, für ben Fall-nämlich, in welchem
diefe Erleuchtung (ober SBerfinfterung) nicht ohne Mitwir⸗
fen ihver als zu erleuchtender flattfindet, daß biefe Intels
ligeng ihrerſeits nur burd) ein Bitten jenen ihre Erleuch⸗
. 60 Zur Apologie
tung bebingenden Rapport zu öffnen unb für fij) effectio
ju machen vermag." IR εὖ fo, dann fann wohl über
die Nothwendigkeit des Gebete& fein. Zweifel mehr walten.
Schließlich lont es fij bec Mühe, auf eine von
Baader (Werke II. 513) berührte, mit ber Aufflärung des
Gebetes im Zufammenhange ftehende Schattenfeite aufmert-
fam zu machen. „Wer, fagt er, die jeden Augenblid erfahr⸗
bare Wirkfamfeit und alfo Wirklichkeit eines feindlichen
und giftigen Wefens (welches in der Schrift der Menfchen-
mörber heißt) nod) bezweifeln wollte, bem geben wir mur
zu bemerken, daß er mit jeder inneren Berührung biefeó
vergiftenden Willens bie Anftedung der Stummheit deſ⸗
felben in fid) erfahren wird, nämlich die Schwaͤchung feines
eigenen Vermoͤgens der Rebe oder des Gebetes. Ich fage
Stummheit, weil der Verderber als felbfithätiges Weſen
zwar immer fprieht, fein Wort aber, anftatt ihm ben Ein-
gang des Liebewillens und Liebeodems Gottes zu Öffnen,
gegen biefen ihn nur verfehließt, fo daß man Recht hatte,
zu behaupten, daß biefet Verberber nichts thut, als fein
qum coagulivenden Gifte gewordenes Wort beftändig in
fi auszugießen und wieder zu verfchlingen, b. B. daß
feine Blasphemie immer nur in ihn zurüdftürzt, wie Mil-
ton von ber Sündenbrut fagt, deren ihre Mutter nie [o6
werben fann."
In der That beweist das Nichtbetenkönnen des Böfen,
oder vielmehr bei bem ungefühnten Böfen, deutlich, baf
Gott das Ginformenbe des Gebetes ift, der Sinn des Ger
betes und feine Gluth. Dies haben aud bie Dichter heraus:
gefühlt. Shakspeare laͤßt den König im Hamlet fagen:
Die Worte fliegen auf, der Sinn Hat feine Schwingen
Bort ohne Sinn kann nit zum Himmel bringen.
und Geſchlchte des Gebetes. 61
Vergebens bemüht er fid) nad) dem Bruderblute, bie ſtar⸗
ren Kniee zu beugen, das geſtaͤhlte Herz weich zu machen,
wie Sehnen neugeborner Kinder.
Wie Baader, ſo nimmt auch Moriz Wilhelm Drobiſch,
in den Grundlehren der Religionsphiloſophie (Leipz. 1840),
in feinem Abſchnitte von der SBerfófnung zwiſchen der Phi⸗
loſophie und ber Religion, ben. Kampf gegen Kant wieder
auf. Der Geift Gottes, fagt er ©. 265 f., ift nicht ber
bloße Begriff, fonbern ber, als wirklich geglaubte Gegen»
Rand diefes Begriffs. Wie nun aber wird denn Gott
wahrhaft geglaubt? Auf doppelte Weife: verborgener, oft
unbewußt, im zuverſichtlichen fittlihen Thun, das nicht
blos an feinen Werth, fondern aud) an feinen endlichen
Erfolg glaubt und offenfunbiger, Mar bewußt, im Gebet.
das Beten, als ein innerer förmlicher Gotteóbienft —
fagt Stant — und barum als Gnademittel gedacht, ift
ein abergläubifher Wahn (ein Fetiſchmachen). Denn es
if ein blos erflärtes Wünfhen gegen ein Wefen, das
feiner Erflärung der innern Gefinnung des Wuͤnſchenden
bebarf, wodurch alo nichts gethan und alfo Feine von
ben Pflichten, bie uns als Gebote Gottes obliegen, aus⸗
geübt, mithin Gott wirklich nidt gedient wird. Ein Berg
lider Wunſch, Gott in allem unferen Thun unb Laflen
wohlgefällig zu fein, b. i. die alle unfre Handlungen · be⸗
gleitende Gefinnungen, fle, als ob fie im Dienfte Gottes
geſchehen, zu betreiben, ift der Geiſt des Gebets, ber ohne
Unterlaß in uns flattfinden kann und folL"^ Grläuternd
fügt er in einer Anmerkung mod Hinzu: „„In jenem
Wunſch, ald bem Θείβε des Gebets, fucht ber Senf)
mur auf fid ſelbſt (au Belebung feiner Gefinnungen vet»
mittel der Idee von Gott), in biefem aber, ba er fid)
v Zur Apologie
bad) Worte, mithin äußerlich erlärt, auf Gott zu miren.
Im erſtern Sinne kann ein Gebet mit voller Aufeichtigfeit
flattfinden, wenn gleich ber Menſch fij) nicht anmaßt,
fefbft das Dafein Gottes als völlig gewiß betheuern zu
fónnen; in ber zweiten Form, als Anrede, nimmt er biefen
höchften Gegenftand als perſoͤnlich gegenwärtig an, ober
ſtellt ſich wenigſtens (felbft innerlich) fo, als ob er von
feiner Gegenwart überführt fei, in ber Meinung, daß,
wenn e& aud) nicht fo wäre, εὖ wenigftens nicht ſchaden,
vielmehr ihm Gumft verfhaffen fónne 2." Die Härte
Diefer SBeurtfeifung mildert fi zwar ‚etwas, wenn man
bemerkt, baf fie eigentlich nicht gegen das Gebet. überhaupt
gerichtet ift — denn das Danfgebet, als Erfüllung ber
Pflicht der Dankbarkeit, müßte bod) jedenfalls Gott wohl-
gefallen — fondern nur auf bie eigentliche Bitte geht,
febann wiederum am meiften ben förmlichen mörtlichen
Wusdrud betrifft, enblid) hauptſaͤchlich gegen das Gebet als
Berpflihtung für Jedermann protefliren foll, um es viel»
mehr bem SBebürfnif des Einzelnen anfeim zu geben. Auf
Worte und Formeln fommt’s freilich nicht an; ber Wunſch,
die Sehnfucht Tann fid) aud) in bloße Bilder und Gefühle
kleiden. Aber ble Bitte läßt fld religionsphilofophifcy recht⸗
fertigen und fein Menſch ift fo ſtark und fo vollfommen,
daß et fid ihrer gänylich zu überheben berechtigt wäre. '
Bor- allen Dingen brüdt fij im Gebet, welder Art εὖ
immer fei, noch beftimmter, als im zuverfichtlichen moralis
fen Handeln, bet Glaube an Gott aus. An Gott ben»
Ten, von ihm reden, über fein Wefen "unb feine Eigen
haften reflectiven heißt nod) nicht an ihn glauben. Der
wahre Glaube felt Gott eben nur gerade fo vor, wie
ber inbrünftig Betende. Im Gebete. werben. aber aud) bie
unb Geſchichte bes’ Gebetes. 63
zeligiöfen Verpflichtungen des Vertrauens, der Demuth und
ber Grgebenfeit am vollfommenften ausgeübt unb zwar
tritt bei ber eigentlichen Bitte, bie. Kant eben verſchmaͤht,
bie Demuth als hauptfähhliches Erforderniß hervor. Es
ift wahr: Vertrauen, Ergebung forie Dank läßt fi) Gott
wohl aud) in der bloßen Gefütnung barbringen, bie, wenn
fie an ihn denkt, gleichfam in dritter Perfon von ihm rebet.
Um aber an Gott in ber zweiten grammatifhen Perfon
benfen zu fünnen, wo bie Rebe in Anrede übergeht, bes
darf es allerdings ber Demuth. Wer dies nicht Tann,
der gleicht bem verftodten Kinde, bem die Bitte zu ſchwer
wird, um fie zu wagen; ober er belügtfid) fe[bft Hinfichts
Tid feines Glaubens, er glaubt gar nicht feft und innig^
« Gott, denn er fritt, fd) feines Glaubens ſchaͤmend,
pud, wenn er. bamit Grnft maden und fif an Gott,
glei als einen wirklich Gr[dyeinenben, wenden fol. Der
Bittende erklärt allerdings feine Abhängigkeit, feine Ohn⸗
madt. Darum firäubt fid) ber Hochmuth der fogenannten
ſtarken Geiſter gegen das Bittgebet. Und bod) ifté mur
Bettelftolg: ihre Ohnmacht und Befchränktheit geftehen fie
theoretifch ein, fie wollen fie nur nicht praftifch zugeben.
Der Betende ftellt fid) nit, als ob er von ber Gegen«
wart Gottes überführt wäre — bann wäre ja all fein
Thun nur Heuchelei, fondern er glaubt wirklich, daß Gott
nicht mur (ft, fondern aud) feine Wünfche unb feine Ges
löbniffe vernimmt, Das Gebet fordert nicht unbebingt
Worte. Denn wie oft mißlingt es uns ganz, in Worten
auszufprechen, was wir fühlen und wünfchen. Noch wenie
ger bebarf es ber lauten Rede unb ber äußern Geberbe
(bie jedoch im öffentlichen Gottesbienft, i ber zur allge⸗
meinen Sitte gewordenen Form auch nit vernachläßigt
“ Zur Φροίοριε
werden Nu Θὰ iR aber nur das Zeichen eines Zeit-
Que, Mw die Religien abhanden gefommen if, wenn
der rin Van Arterrajihte Ure haben fell, Ró zu
erde WP MON viebeatht datauf Sxipcud) hat, Gegen-
BAR quo cbe Achtang ya rre Se größer der
St, dex rot, Wa je rüber um erhbebember der
WE We guarde deicheankt amd Xeweer dex
MMC, huj cc Aut ἄχαρος enbsuéts fe eft er Dem Somer
Gories Qudipcudy dat cow Gürmürbuped, umb Der axe
τας hA Ac Hip awftubug set Pec Demnibigr, erídemt
lead πὰς um 0 größer Tag Out mehr uners Ge
is Wut, welehe fü in ive Begehung aem, vex
(Gb, daß dr uc unite "npud Fre meiigerailer
md eub i cux üitOuupM cuj awe XEurmge gerickter
«ἂρ RR DAI CudM zu Qnmufenn — Vemm se Ceire et
Nie sua Nrut ium auem juidymuütn; ober jar em
ἥδνι τὼ nurdNuiec? Zap am dett ended D τας Dr
Jar Sag zu Nindatjen ceuefebugr, ome aum Cilide
gie G3Eeng, cuu Ne CUtgeousg cree cartina
dgeduwud cop eure, NB mi? Ἀϊειξαπὸ cenceem mis
e» OQ Dis Sor iup Seu umor Camm, c eme
Füge, De wur QNetnessir istp vmenipbtemem blieben
Mu, TW 49 ἃ Dig Iesteiine ter ibemmi o sernisü
Sup, cda αἷς cac Joumuüug meg; ἅ, Ce mrd
Ses Wii, Ge Beauty inp TR ung owe ub
Oda IENIQEME, sagten ἐξ
Gan S90 0 IMMaeguué up ud
dies oen cepüHaa Decdei ut, Corm irent,
Yan. D Stillen ile Dub, Auf cwaüerstyer Here
Ceeanogtee dA Mh LE Ines cue τες Herpyidp
cag an FREE ee SE, 5 ὲ o μα
und Geſchichte des Gebetes. 65
durchaus nothwendig, an die Wirkfamfeit beffelben, an die
im Zufammenhang damit ftefenbe göttliche Hülfe zu glaus
ben, dieſe nicht für eine blos fcheinbare, als eine nur
ſubjective, pſychologiſch zu erflärende Grfdeinung zu bes
taten. Denn eine nur ſcheinbare Hülfe annehrhen, hieße
ja eben nicht wahrhaft glauben, daß, fondern fid) nur fo
fellen, al8 ob Gott uns zum Guten beiftehe. Ein Beten,
das nur auf bie pſychiſche Wirkung fpeculirte, im Hinter
grund des Gemuͤths aber an ber Realität des ganzen
Borganges zweifelte, würde, wenn, es anders möglich wäre,
das unwürbigfte Gaufelfpiel, der nichtswürbigfte Selbftbe-
ing fein. Wer fo betet, der fünbigt betend, denn er ente
weiht das. Heilige. Wie bie Hülfe, welde das Gebet
bringen fol, geſchehen mag, erforfchen zu wollen, ift eine
ganz wᷣerthloſe und unfruchtbare Grübelei: denn alles Theo⸗
tíftm if hier meber am Plage nod) von Erfolg. Auch
bier ruht der Glaube nicht auf ber theoretifhen Einſicht
der Möglichkeit, fonbetn auf der moralpractiſchen Nothwen⸗
digleit. Am beften alfo, εὖ bleibt ganz balingeftellt, ob
bie Hülfe Gottes burd) eine fupranaturaliftifche, ober ratios
naliſtiſche Hypotheſe erflärt werben fol. Der Rationaligs
mus führt leiht zu einem rohen an Fatalismus ſtreifen⸗
den Determinismus. „„Es geht und gehe, wie es gehen
lam, nachdem Gott Alles vorherbeftimmt hat!““ Diefe
. Ieuferung drüdt zwar religiófe Grgebung aus, aber in _
einer einfeitigen Höhe, bie an heidniſche SBerftodtbeit grenzt.
Der Supernaturalismus andrerfeits hat fid) vor Schwär«
merei zu hüten, bie in der Gnadenwahl aud) ein Ziel er-
tft, das mit fittlichen Ueberzeugungen unvereinbar ift.
Im Nebrigen aber muß in Beziehung auf fupernaturali«
file Vorftellungsweife bedacht werben, daß zwifchen bem
Theol. Duartalfrift. 1853. I. Hefte 5
66 Zur Apologie
Wollen und Vollbringen des Guten ein großer Unterſchied
if; daß wer nur das Wollen hat, zwar gut in ber Ges
finnung, aber ſchwach in ber Kraft ifl, unb fi, im Gefühl
folder Schwäche, wohl Beiftand von Oben erfleen fann.
Wird ihm nun biefer zu Theil, fo ift fein fittliher Wan⸗
del allerdings nicht blos fein Werk, allein aud) nicht bloß
Gottes Werk (wodurch εὖ aufhören würde, fittlihen Werth
zu haben), fonbern beides zugleich. Unſer Begriff von
Freiheit ſchließt niemals Motive des bewußten Handelns
aus; Motive aber find nicht Zwangsveranftaltungen, fon»
dern werben immer nur erft durch den Willen wirkſam.
Motive für ben menfhlihen Willen koͤnnen alfo aud) von
Gott ausgehen, ohne daß baburd) ber Menfch geswungen,
ohne daß er unfrei, eim blindes Werkzeug ber höheren
Macht wird. Das flärkfte, natürlihfte und klarſte Motiv
zum fittlihen Vollbringen ift. aber ber Glaube an die Ger
genwart Gottes, an fein allfeenbeó Auge, ber fid) eben
am lebenbigften im Gebet ausſpricht. Darum ift das glaͤu⸗
bige Gebet um Kraft zum Guten nie vergeblih. Dies ift
aber das Myfterium ber Andacht, daß fij zwar einerfeits
ihre Wirkung burd) die Herrſchaft des Gottesgedankens
und des Glaubens an feine Gegenfünblidfeit als eine
pſychologiſch begreifliche barftellt, anbrerfeitó aber biefer
lebenbige Glaube ſelbſt unaufhörli darauf bringt, über
biefe blos ſubjective ExrHärung hinauszugehen und ein
feiner nähern Befchaffenheit nad) verborgen bleibenbes,
objectives Geſchehen, einen wirklichen Verkehr mit Bott
für wahr zu Halten; und ohne biefen Glauben giebt εὖ
wieberum feine religiöfe Beruhigung, feine moraliſche Er⸗
febung für den Schwachen.
Wenn aud) fier der Deismus, ober Theismus, ohne
und Gefchichte des Gebetes. 67
fonderliche Tiefe gum Vorſchein kommt, wenn der Einwurf
bed Determinirtfeins burd) die Unterfcheivung zwiſchen Mo⸗
tiv und Zwang keineswegs befriedigende Löfung findet,
wenn das Berlaffenfein von Theoretifhem, das Verwer⸗
fen theoretiſcher Einfiht, das Zurüdweifen angeblicher
Grübelei unb bie Betonung des Moralpraftifhen nicht
entfpricht, wenn bie ganze Darftellung fhwerlic eine Vers
pflißtung aum Gebete beweist unb zu den harten Nuss
drüden von Bettelſtolz, Verftodtheit, Selbftbelügen, Hoch⸗
muth auf der andern Seite nicht berechtigt, weil nur der
alfeitig und ſtreng Beweifende ritten mag — fo erfreut
bof das religiöfe, lebhafte Gefühl, bie Friſche ber Ueber⸗
xugung des adjtungémirbigen Philofophen, welcher hier,
über Herbarts Anſchauuůng der Religion hinausgehend, bie
Zahl derjenigen verfürft, welche für das Gebet gefpror
dem und, für diejenigen, welche den gleidjen Standpunkt
einnehmen, ober auf derfelben Stufe teen, nicht ohne
erweckende und flärfende Bedeutung find. Ich ſchließe mit
den Worten des Avicenna, welder in feiner Schrift de
philosophia prima, sive scientia divina X. 1. (Avicennae
Logica, Sufficientia etc. castigata et emendata per canoni-
cos regulares S. Augustini in monasterio divi Joannis de
viridario Commorantes; s. 1. et a. fol. p. 1089) gleichfalls
vom Nugen unb bet Urſache des Rutzens des Gebetes
handelnd fagt: Ut timeas reddere malum pro malo et
studeas reddere bonum pro bono, cujus rei certitudo faciet
le fugere malum.
Dr. Gumpo[d.
5*
8.
Die hriftliche Lehre von der göttlichen Gnade nad
ihrem innern Zufammenhang.
In nachſtehender Abhandlung wird beabſichtigt, bie
chriſtliche Gnabenlete von ihrem einfachften Anfang bie
zu ihrer hoͤchſten Concentration in dem Lehrftüd von bet
SBorferbeftimmung und Gnadenwahl burd) alle Mittelglier
ber hindurch zu verfolgen unb fie fo aus ihrem innern
Zufammenhange zu begreifen.
Die Function, der wir uns unterziehen, ift daher
hauptſaͤchlich eine bialectifde. Die bogmatifde Bes
grünbung liegt aufer unferm Zwede; man findet
fie in allen, namentlich ben ältern bogmatijjen Werfen,
in ausreichender Seife vollzogen, wogegen jene Function
amar in ben einzelnen Lehrpuncten angeftrebt, für das
Ganze ber Lehre aber wenigftens in der fpätern Scholaftif
fo gut wie ganz. vernacjläßigt ift; daher überall mehr
SBertvidelung als Entwidelung unb Auflöfung. In Folge
der Streitigkeiten nämlich, weldhe durch bie neuen Auf-
ftellungen einerfeit des Leffius unb Molina, andrers
feit& des Bajus und Janſenius herbeigeführt wurden,
ſchwoll das Detail der Lehre auferorbentid) an, unb ba
bei dem gänzlihen Mangel einer innerlihen Methode !)
1) Man vergleiche meine Ginteitung in bie Dogmatif ©. 284 ff.
Die chriſtliche Lehre von ber göftlichen Gnade. 69
bie Ueberſicht und Klarheit in demſelben Maaße abnahm;
fo entftand ein Chaos, das zulegt Niemand mehr entwir«
ten Fonnte. Die Streitigkeiten blieben unentſchieden, fte
wurden aus Grmübung abgebrodjen und wir haben bie
Rechnungen ohne das Facit überfommen. "Die Refultate
müffen erft gezogen, ber Gewinn für bie Wiffenfchaft,
wenn fte einen foldhen liefern, ετῇ noch erhoben werben.
Die Theologen der fpätern Zeit, feit der Mitte des 18. Sabre
hunderts haben bie Sache nur äußerlich vereinfacht, indem
fe ſich von ben bifficilern Materien auf die anerfannten
Allgemeinheiten zurüdzogen; unb wiffenfchaftlich nicht ge»
fördert, ba fie zugleich- Begriffe herbeizogen, bie ihre wahre
Bedeutung mur innerhalb biefer Materien finden. Auch
die Vorliebe für bie leichtern, bem gemeinen Sinn näher
liegenden Auffaffungen 3. 38. in ber Praͤdeſtinationslehre
bient nicht zu ihrer Empfehlung meber aus dem Gefichts-
punfte der Wiffenfchaft, noch aus bem ber Gade, des
tiefen Ernſtes der chriſtlichen Grundanfhauung von ber
göttlichen Gnade. Da bie ftreitenben Partheien von ben»
felben kirchlichen Lehrfägen ausgingen, wie fle aud) alle
bie entſcheidende Autorität des HE Auguftin, nur πίε
gerade in ber einfeitigen, erclufiven Weife des Janſen
anerfannten, fomit nur in den Folgerungen, bie fie aus
jenen zogen, unb in ber Auslegung der Auguftinifchen
Lehre von einander abwichen; fo- folgt von felbft, daß nur
eine der Sache felber fid) anfdjfieBenbe, bem Fortgang
ihrer innern Entwidlung folgende Methode den Ariadne⸗
{hen Faden aus jenem Labyrinthe an die Hand zu geben
im Stande fein wird. Und dies ift denn aud) ber nádjfte
Sed, ben wir mit unfrer Entwidlung der Gnadenlehre
aus ihrem innern Zufammenhange vor Augen haben. —
10 Die chrifiliche Lehre
. Si quid novisti rectius istis Candidus imperti; si non,
his utere mecum. Horat. ep. 1. 7, 67.
1. Der Begriff ber Onabe.
Bor allem muß man ben Gtanbpunct zu gewinnen
fuden, auf bem bie Hriftlihe Gnabenlefre Fuß faft.
Zu diefem Gtanbpuncte erheben wir uns auf zwei
Stufen, bie wir zunächft zu befchreiben haben.
Die rationalififihe Betrachtung des Berhältnifs
ſes Gottes zum Menfchen und ber Menfchen zu einander
ift das Erfte.
Hier erbliden wir Gott zwar als ben Schöpfer aller
Greatur, alfo aud) ber vernünftigen, als denjenigen, der
biefe mit allem ausgerüftet, was zu ihrem Wefen gehört,
insbefondere mit Vernunft und Freiheit, und in biefer
Ausrüftung oder in ben Naturgaben ifr bie einzigen
Mittel zur Erreihung ihrer Beſtimmungen dargeboten hat.
Das Gute überhaupt und das Endziel deffelben — die
Seligkeit — ift lebiglid) in den Willen des Menſchen ges
ftellt, bem nichts zur Geite ftebt, als einerfeits bie Ders
nunft, bie ihn daſſelbe fennen lehrt, anbrerfeitó das Ges
wiffen, das ihn beftändig dazu ermahnt. Gott ift hier
dem Menſchen nur allein in der Natur und ihrem Laufe
präfent, unb die göttliche Providenz erftredt fid) nicht über
bie Anwendung und Herbeifhaffung der äußern Mittel
zur Grreidjung feiner Aufgabe, in allem übrigen fteht ihm
Gott gleihfem als bloßer Zufhauer gegenüber unb erft
qulegt tritt ev wieder ein als Richter, als der geredjte
Bergelter beffen, was ber Menſch aus und burd) fid allein
gethan hat, als der Herr, welcher Rechenſchaft fordert über
bie Anwendung beó von ihm einem jeden extheilten Talentes.
von ber göttlichen Gnabr. 71
Hinfitlich des Verhältnifies der Menfchen zu einan⸗
ber geht bie rationaliftiffe Betrachtung nicht über das
Einzelleben al foldhes hinaus. Sie weiß nichts von einer
fittliden Einheit und Gemeinfamfeit aller Menfchen,
von einem reellen fittlihen Einfluß eines Einzelnen auf
alle übrigen; vielmehr fteht nad ihr jeber für fih und
unabhängig von allen andern ba, jeber ift in fittliher Bes
tiehung eben nur das, wozu er fid) felbft durch feine eigene
Thätigkeit gemacht hat.
Sft nun diefe rationaliſtiſche Betrachtungsweife falſch,
ober objecti ausgebrüdt, ift die tein natürliche Ord⸗
nung nicht wirklich?
Der driftilide Glaube felit einen ganz andern,
den fuprarationaliftifchen Gefihtspunet auf und bie drift»
li$e Heilsordnung ift eine übernatürliche in beis
berlei Beziehung, (in Berug auf das Verhältnig Gottes
jum Menfchen und des einzelnen Menſchen zu allen); aber
wiewohl wir jenen als ben Dódften unb wahrften und
biefe als die realſte und vollenbetfie betrachten, fo werben -
wir bod) jene Frage nicht bejahen koͤnnen.
Sjene rein natürliche Ordnung ift nicht nur wirklich,
fondern aud) bleibend; Vernunft, Freiheit und Gemiffen
find nie und nirgends aufgehoben, fie bleiben ihrem Weſen
nad und befarten in ben Beziehungen zu einander unb
in den Functionen, wie wir fie oben ausgehoben haben.
Auch ber Einzelne, als folder, geht nie im Ganzen auf
und fein perfönliher Werth muß immer gemeffen wet»
ben nad) dem, was er aus und burd) fid) felber ift.
Nur in ihrer Ausſchließlichkeit iſt bie rationaliſtiſche
Betrachtung [αἰ ὦ, nur wenn fie für bie Höchfte abſchließende
genommen wird, unwahr. Die natürliche Heilsordnung
12 Die chriſtliche Lehre
ift in ber uͤbernatuͤrlichen aufgehoben — in bem bekannten
Doppelfinne diefes Wortes — alfo zunaͤchſt bewahrt, unb
infofern jene Betrachtung berechtigt felbft auf dem Stand»
puncte der höhern, pofitio chriſtlichen Anfiht; jene Ord⸗
nung ift fodann in biefer überfchritten, alfo negirt, und
infofern muß fd) bie rationaliftifche Betrachtung gefallen
lafien, nicht blos als untergeorbnet, fondern felbft als
bloße Vorausfegung zu gelten gegenüber ber pofitio drift»
lichen.
Zweitens. Wir betreten die nächft höhere Stufe der
Betrachtung, wenn wir erfennen, wie Gott bie beftünbige
Urſache ift nicht blos davon, daß ber menfdjide Wille ift
was er ift, fondern aud) daven, daß er ein guter ift unb
bief lettere unbefdjabet des erfteren, b. 5. unbeſchadet ber
Natur des Willens als eines freien. G6 ift eine durch⸗
aus: mangelhafte, weſentlich unfromme 3Borftellung, ben
Menſchen in feinem freien Willen allein, bem Bermö-
gen des Guten und Böfen, von Gott abfangen zu laffen,
folglich anzunehmen, daß darin bie Urfächlichkeit Gottes
auf ben Menſchen erfhöpft ober abgefchloffen fei. Gott,
den abfolut Bollfommenen und Guten, fónnen wir und
gar nicht benfen, wenn wir babei ftehen bleiben. Diefer
Gott muß, fo zu fagen — denn bie Stotfienbigteit, von
ber wir reben, trifft nict ihn, fondern unfer Denken —
das Vermögen des Guten und Böfen infofern negiren,
. als er ben Willen — unbeſchadet feiner Freiheit — über
biefe Potentialität erhebt und zum ſittlich en madt burd)
Einflößung des Guten. Diefes göttliche Thun heißt, ba
ihm fein SBerbienft von Seite des Menſchen zu Grund
liegt, Onade, unb.ift wohl zu unterfheiden von der
SBerurfadjung der Natur überhaupt und des Willens ind»
.
von ber göttlichen Gnade. 73
beſondere. In Gott felbft ift freilich fein gnädiger Wille
identiſch mit feinem allmächtigen, aber fo gewiß wir bie
natürliche Welt als weſentlich verſchieden von ber fittlihen
erkennen, fo nothwendig müffen wir das Princip ber erftern
ber bie Mad von bem Princip ber leßtern ober ber
Gnade ſcharf unterfdeiben.
Der gnábige Wille Gottes &ufert fid alfo burd) Gin»
pflanzung des Guten in bem an fid) ober von Natur uns
entſchiedenen Willen des Menfchen, und zwar nicht diefes
ober jenes Menſchen, nod) des einen nur und des andern
nicht, fonbern aller Menſchen, des Senden überhaupt,
b. ἢ. des erfien Menfchen als des Stammvaters aller,
folglich vermittelt des natürlichen Nerus aller Einzelnen
wit die ſem erſten Menſchen ?).
Man ſieht, wie ſich hier, wo wir zuerſt den Boden
der rein rationalen Betrachtung verlaſſen, auch ſchon die
beiden oben hervorgehobenen Momente der Betrachtung
zugleich einſtellen, mit bem bet übernatürlihen Abhaͤngig⸗
keit des Menſchen von Gott, das ber Abhängigkeit des
Einzelnen vom Ganzen oder Aller von Einem.
So gewiß man bie SBerurfadjung des menfchlichen
Willens als eines guten infofern eine übernatürlihe Gna»
dengabe Gottes nennen muß, al8 damit etwas über bie
Natur biefeó Willens hinausliegendes, fie überholendes
und ber eigenen Kraftanftrengung zur Grreidjung feiner
Beſtimmund vorauseilendes bewirkt ift, fo fanm man fie
bod in einer andern Beziehung aud) natürlid) nennen.
Einmal nämlich, infofern als fie fid) über alle ohne Aus-
nahme erftedt, und zweitens, infofern als ihre Vermitt⸗
1) Die nähere Gntwidlung diefes Sages gehört in bie bd von
ver utfptüngliden Gereditigtelt.
a" Die chriſtliche Lehre
fung bei jedem Einzelnen, ihr Uebergang von dem Einen
auf Alle etwas rein Natuͤrliches ift; in&befonbere wird man
fle fo nennen müffen im Vergleich mit der Gnade in Gbrifto.
Auf bie angegebene Weife alfo ift ber Menſch mit
feinem freien Willen in bie göttliche Gnabenordnung am
Anfange erhoben worden. Es war an ihm, bur bie
eigene freie That unter bem Beiftande der Gnade fid) in
ihr zu erhalten und zu befeftigen, von Tugend zu Tugend
fortzuſchreiten und fo nad) und πα eine foldje Fertigkeit
und Stetigfeit im Guten zu erringen, daß die Gefahr
des Falles immer ferner rüdte und bie beata necessitas
boni, nad Auguftins Ausdrud, für ihn eintreten fonnte.
Statt beffen widerfegte fid) ber Menſch ber göttlichen Gna⸗
benorbmung, er fünbigte. Mit ber Sünde fiel bie Gnade,
fiel ber gute Wille Hinweg, und zwar ebenfo für Alle
burd den Einen, wie fie in bem Einen Allen gegeben
war. Der menfchlihe Wille, ber durch ben Fall zunaͤchſt
blos in ben Zuftand der natürlichen Unentſchiedenheit zuruͤd⸗
fiel, aber aud) [dom burd) bie eine Sünde angefangen
hatte, ein böfer Wille gu . fein, geriet, fld) felbft überlafr
fen und der göttlichen Gnade beraubt, immer tiefer in das
Böfe hinein.
Der Abfall von Gott macht den Menſchen verdamms
lich vor Gott; ber freventlich gerftörten Ginabenorbrumg
folgt bie gerechte Straforbnung auf bem Fuße: Erbfünde,
Erbſchuld. Dieß ift das Eine. Sodann ift ber menfch-
liche Wille in bem Zuftande ber Abfehrung von Gott ber
Welt, bem Böfen zugewendet: er ift böfe, unb will und
thut nur das Böfe. Dieß ift das Andere. '
Zur Wieverherftelung des Menfcyen, wenn fie εἶν
gen foll, ift alfo erforderlich:
on ber göttlichen Gnade. 75
1) bie Nachlaffung ber Sünde, befonders ber Erb⸗
fünde, b. h. die Aufhebung ber in ihrem Gefolge eintre⸗
tenden ewigen Verdammung.
2) Die $erftellung des guten Willens und zwar bet
guten Willensrichtung und Befchaffenheit (habitus) unb
des guten Willens unb Thuns (actus, virtus, bona opera).
Aus diefen Elementen fet fij ber Begriff ber Gnade
Chriſti als gratia medicinalis im Unterſchiede von bet
urfprünglichen Gnade, gratia sanitatis, gr. conditoris jus
fammen. Mit ber Stadíaffung der Erbfünde unb ber
damit beginnenden Wiederanknuͤpfung Gottes tritt bie auf
den Willen wirkende und ihn zum guten Willen umſchaf⸗
fende göttliche Gnade wieder ein. Jenes gefchieht per
inputationem justitiae Christi, dieſes per infusionem habi-
tw justitiae propriae; beide ftefen in Wechſelwirkung zu
einander, und ebenfo find fie theils Bebingt, theils gefolgt
durch actuelle Grioedungen ber Gnade und Bethätigungen
be Willens im Guten. Diefe Verhältniffe, wie fie fi
im Proceffe der Wiedergeburt geltend machen, gehören aber
nicht weiter hieher, fonbern in bie Lehre von ber ϑὲ ε ὦ ἐ-
fertigung.
2) Die Nothwendig leit der Gnade.
Die Nothwendigkeit der Gnade zur Wiederherſtellung
des Menfchen leuchtet im Allgemeinen aus dem kurz zuvor
Angegebenen von felbft. ein.
Aber wie ift biefe Nothwendigfeit namentlich nad der
weiten pofitiven Seite — alfo abgefefen von ber Rad)»
leffung der Sünde — näherhin zu befimmen? Ihre
Borausfegung und ijr Gorrelat ift bie Unzulänglichkeit
«u^ Die chriſtliche Leht e
lung bei jedem Einzelnen, ihr Uebergang von dem Einen
auf Alle etwas rein Ratürliches ift; insbeſondere wird man
fie fo nennen müffen im Vergleich mit ber Gnade in Chriſto.
Auf bie angegebene Weife alfo ift ber Menſch mit
feinem freien Willen in bie góttlide Gnabenordnung am
Anfange erhoben worden. G8 war an ihm, buch bie
eigene freie That unter dem Beiftande der Gnade fij) in
ihr zu erhalten und zu befefigen, von Tugend zu Tugend
fortzuſchreiten und fo nad) und nad) eine ſolche Wertigkeit
und Stetigfeit im Guten zu erringen, daß die Gefahr
des Falles immer ferner rüdte und bie beata necessitas
boni, nad) Auguſtins 9fuébrud, für ihn eintreten Eonnte,
Statt beffen widerfegte fld) ber Menſch ber göttlichen Gna⸗
benorbmung, er fünbigte. Mit ber Sünde fiel bie Gnade,
fiel ber gute Wille hinweg, und zwar ebenfo für Alle
durch ben Einen, wie fie in bem Einen Allen gegeben
war. Der menfhlihe Wille, ber duch ben Fall zunächft
blos in ben Zuftand ber natürlichen Unentfdhiedenheit zurüd-
fiel, aber auch ſchon burd) bie eine Sünde angefangen
hatte, ein böfer Wille zu . fein, gerieth, fid) felbft überlafe
fen und der göttlichen Gnade beraubt, immer tiefer in das
Böfe hinein.
Der Abfall von Gott madjt den Menfhen verdamms
lid vor Gott; ber freventlich zerftörten Gnadenordnung
folgt bie gerechte Straforbnung auf bem Fuße: Grbfünbe,
Erbſchuld. Die ift das Eine. Sodann ift ber menſch⸗
lide Wille in bem Zuftande ber Abfehrung von Gott ber
Welt, bem Böfen zugewendet: er ift böfe, und will und
ijut nur das Boͤſe. Die ift das Anbere.
Zur Wieverherftellung des Menfchen, wenn fie edol⸗
gen ſoll, iſt alſo erforderlich:
von ber göttlichen Gnade. 75
1) bie Nachlaffung der Sünde, befonders ber Erb⸗
fünde, b. h. die Aufhebung ber in ihrem Gefolge eintre-
tenden ewigen SBerbammumg.
2) Die Herftellung des guten Willens und zwar ber
guten Willensrichtung und Befchaffenheit (habitus) unb
des guten Willens unb Thuns (actus, virtus, bona opera).
Aus diefen Elementen fegt fld der Begriff der Gnade
Chriſti als gratia medicinalis im Unterſchiede von ber
urfprünglidjen Gnade, gratia sanitatis, gr. conditoris zus
faommen. Mit ber Nachlaſſung der Grbfünbe unb ber
damit beginnenden Wiederanknuͤpfung Gottes tritt bie auf
den Willen wirkende und ihn zum guten Willen umfchafe
fende göttliche Gnade wieder ein. Jenes gefchieht per
imputationem justitiae Christi, biejeó per infusionem habi-
tus justitiae propriae; beide ftejen in Wechſelwirkung zu
einander, unb ebenfo find fie theils bedingt, theild gefolgt
burd) actuelle Erwedungen der Gnade und Bethätigungen
des Willens im Guten. Diefe Berhältnifie, wie fie fid)
im SBroceffe der Wiedergeburt geltend machen, gehören aber
nicht weiter hieher, fondern in die Lehre von ber Rechts
fertigung.
2) Die Nothwendigkeit der Gnade.
Die Nothwendigkeit der Gnade zur Wiederherftellung
des Menſchen leuchtet im Allgemeinen aus bem Furz zuvor
Angegebenen von felbft ein.
Aber wie ift biefe Nothwendigkeit namentlich nad) ber
zwejten pofitiven Seite — alfo abgefefen von ber 9tadj»
lafjung der Sünde — näherhin zu beflimmen? Ihre
Borausfegung und ifr Eorrelat iR bie Unzulänglihfeit
76 Die Griflliche Lehre
oder Unfähigkeit des menſchlichen Willens zum Guten !).
Infoweit daher bem menfdliden Wille die
fe8 Unvermögen einwohnt, infoweit ift ibm
der Beiftand ber góttliden Gnade notfmenbig.
Diefes Unvermögen fommt aber nad zwei Seiten in
Betracht. 9tad) der materiellen Seite ift εὖ das Gute,
das der Wille vermirfliden fol, das des ewigen Les
bens woürbige (übernatürliche) Gute, in Anfehung beffen
die Frage enifteht: o6 er ſich defielden zu bemädhtigen
vermöge. Hierüber ſprechen fi bie in ber Anmerkung
angeführten kirchlichen Beftimmungen unbeſchraͤnkt ver-
neinend aus. Die Tragweite diefer Befimmungen wird
aus dem Gegenfage Har, ben fie zurückweiſen. Die
Synode von Orange fpriht fid gegen den Pelagia—
nismus und Semipelagianismus, zwifdhen welchen
der Belag. Iulian einen Mittelweg fudjte, in der an-
geführten Weife aus. Diefe Gegenfäge find aber folgende:
1. der pelagianifche: der Menſch aud) in feinem gegen»
würtigen Zuftand vermag das Gute aus eigener Kraft und
bebarf der innern Gnadenwirkung nicht unbebingt, fonbern
mur um mit größerer Leichtigfeit baffefbe zu vollbringen.
2. der julianifche: ber Menſch bedarf ber Gnade zur
Bollbringung des guten Werkes, er bedarf ihrer aber
1) Conc. Arausic. (IL) can. 25: Hoc praedicare debemus et
credere, quod per peccatum primi hominis inclinatum et attenuatum
fuerit liberum arbitrium, ut nullus postea aut diligere Deum, sicut
oportuit, aut credere in Deum, aut operari propter Deum quod
bonum est possit, nisi eum gratia misericordiae divinae praevenerit.
Conc. Trid. sess. 6. can. 3: Si quis dixerit sine praeveniente Spiri-
tus S. inspiratione atque ejus adjutorio hominem credere, sperare,
diligere aut poenitere posse sicut oportet, ut ei justificationis gratia
conferatur, anath. sit. Cf. can. 4. 2 u. cap. 1.
von ber göttlichen Gnade. 77
nicht zum Suchen, Bitten, Glauben (August. ad Bonif.
lib. IL cap. 8).
3. der ſemipelagianiſche: ber Menfch bedarf ber götts
lichen Gnade zu jedem guten Werke fhlechthin, zum Bes
ginne wie zur Vollendung defielben, alfo aud) zum Glau⸗
ben; nur bie Hinneigung zum Glauben, bie Glaubenss
geneigtheit (fides inchoata, initium fidei) vermag er aus
eigener Kraft in fij zu erzeugen h.
Bermag der Wille das Gute aus eigener Kraft
ſchlechthin weber zu wollen nod) zu vollbringen, fo [εἰπε
ihm damit bie fittlihe Freiheit abgefproden; und ift εὖ
die göttliche Gnade, bie baffelbe burd) ben Willen bes
wirft, fo ſcheint fie in biefer Action der Gnade auf ben
Villen aufgehoben zu fein: wenigftens waren dies für
den Belagianismus in allen feinen Schattirungen bie ent«
fheidenden Momente, um beren willen er das Vermögen
des Guten. theils ſchlechthin theils bis auf einen gewiffen
Punct bem Willen vindieirt unb in derſelben Weife und
demfelben Maße bie Nothwendigkeit des göttlichen Gnaden-
beiſtandes beftreitet.
Die Firhliche Lehre gibt biefe Folgerungen nicht zu:
fie behauptet das Vorhandenfein des liberum arbitrium
auch nad) bem Günbenfalle, und räumt nur eine Schwaͤ—
dung beffelben als Folge diefes Falles ein 5); ebenfo läßt
1) Der oben cititte Canon des Trident. it wur bie Wiederholung
der araufic. Beftimmung und fat defhalb auch nur diefe Gegenfäge im
Auge. Die nach ber entgegengefeßten Seite ausfchreitenben Lehren ber
Reformatoren find in den folgenden Ganonen berüdfichtigt.
2) Concil. Trident. sess. 6. cap. 1 — usque adeo servi erant
peccati et sub potestate diaboli ac mortis, ut non modo gentes per
viam naturae, sed ne Judaei quidem per ipsam etiam litteram legis
Moysi inde liberari aut surgere possent, (awmetei in eis liberum ar-
28 Die chriſtliche Lehre
ſie daſſelbe unter der Einwirkung der Gnade in ſeiner
Weſenheit fortbeſtehen und den von ber Gnade getrage⸗
nen Willen als wahrhaft frei ſich erweiſen ). Aus bem
Gefihtspunct des liberum arbitrium alfo ober nad ber
formellen Seite wird ein Unvermögen des Willens in
Bezug auf das Gute nicht ſchlechthin ftatuirt; e8 wird
das Vermögen des Guten infotelt als e8 zugleich mit
dem Vermögen des Böfen (als Wahlvermögen, nad)
bem Ausdruck der Schule das aequilibrium potentiae seu
facultatis, ober bie indifferentia activa) das Wefen feiner
freien Bewegung conftituirt, ihm vielmehr zus, und nur
die lebendige in entfpredenbem Thun fij) bemährende
bitrium minime extincium essel, viribus licet aitenuaium el in—
clinatum. Augustin. de spiritu et litera c. 28: Verumtamen quia
non usque adeo in anima humana imago Dei terrenorum affec-
tuum labe detrita est, ut nulla in ea velut lineamenta extrema re-
manserint; unde merito dici possit etiam in ipsa impietate vitae
suae facere aliqua legis vel sapere... Und furz vorher m. 48: si
autem hi qui naturaliter quae legis sunt faciunt, nondum sunt
habendi in numero eorum quos Christi justificat gratia; sed in
eorum potius, quorum etiam impiorum, nec Deum verum veraciter
justeque colentium, quaedam tamen facta vel legimus, vel novimus,
vel audimus, quae secundum justitiae regulam non solum vituperare
mon possumus, verum etiam merito recteque laudamus: quamquam
si discutiantur quo fine flant, vix inveniuntur quae justitiae debitam.
laudem defensionemve mereantur. Vergl. Eetius.in 2 lib. sent.
dist. 41. 6. 2.
1) Concil. Trident. sess. 6. can. 5: Si quis liberum hominis
arbitrium post Adae peccatum amissum et extinctum esse dixerit,
aut rem esse de solo titulo, imo titulum sine re, figmentum deni-
que a Satana invectum in Ecclesiam, anath. sit. Can. 4: Si quis
dixerit liberum hominis arbitrium a Deo motum et excitatum nihil
eooperari assentiendo Deo excitanti atquo vocanti, quo ad obtinen-
dam justiücationis gratiam se disponat ac praeparet; neque posse
dissentire si velit, sed velati inanime quoddam nihil omnino agere,
mereque passive se habere, aneth. sit.
von der gottlichen Gnade. 79
actuelle Kraft des Guten abgeſprochen. Es if fein
sequilibrium inclinationis seu propensionis vorhanden, fo
daß ber Wille mit derfelben Leichtigkeit für das Gute fid)
beftimmte, mit ber er auf baó Böfe verfällt; er inclinizt
wm Böfen, und in bem Maße als biefe Inclination
müdtig geworben, if das ihm (als einem freien) gleich
weſentliche Vermögen des Guten geſchwaͤcht (attenuatum
lib arbit.). Das geftörte Gleichgewicht, bie SRadt auf
jener und bie Unmacht auf biefer Seite ift aber bem Obis
gen zufolge in folhem Maße vorhanden, bof der Wille,
um irgend etwas wahrhaft Gutes zu wollen unb zu voll
büngen, ſchlechthin ber göttlichen Gnade bedarf. Gleich
wohl it bie fittliche Kraft in ihm nicht auegetilgt; fie ift
— nad) einem in ber alten Kirche vielfach gebrauchten
Audrud — erftorben, aber nicht vernichtet, bem im
Vinterſchlaf rufenben Auge des Baumes zu vergleichen,
das mit bem Eintritt der Frühlingsfonne erwacht, Blätter,
Blüthen und Früchte bringt. Die ΠΗ ὥς Freiheit ift Fein
bloßer Name, Fein leerer Titel, feine fatanifhe Sáufdung
wie das Triventinum in Uebereinftimmung mit ber ganzen
alten Kirche gegen bie ausſchweifenden Affertionen der
Reformatoren aufs Unzweideutigſte ausgeſprochen hat
(f. Anmerk.).
‚Hier liegt eine fehr reelle Differenz vor. Nach einer
Seite zwar fommt e$ auf baffelbe Hinaus, ob id) (age:
der Menſch fanm das Gute nicht wollen unb vollbringen,
es fehlt ihm die fittliche Freiheit in jedem Betracht; ober:
der Menfch will und thut das Gute nicht, weil bie
fittliche Freiheit als actuelle lebendige Kraft des Guten
in ihm gelähmt, erſtorben ift — in beiden Fällen kommt
es eben nicht zum Guten. In den Bolgerungen für bie
80 Die SGeiftliche Lehre
Art des nothwendigen Gnabenbeiftanbes zeigt fif erft bie
Differenz, bie in principiell verſchiedenen Grundanſchauun⸗
gen ihre Gehurtsflätte hat. Wäre die fittlihe Freiheit
burd bie Sünde ſchlechthin vernichtet, fo müßte fie burdj
bie göttlihe Gnade erft neu geídjaffen und bem Willen
wieder eingepflanzt werben — bie Gnade wäre alfo in
erſter Linie eine ſchoͤpferiſche Kraft gleich der göttlichen
Macht, eine völlig unjuláfige Vermifhung ganz verfchie-
dener Begriffe —; ift fie aber nur gelähmt, erfiorben, fo
braucht fie nur aus ihren Banden befreit, zu frifchem
Leben erwedt zu werben. Da erſcheint bie Gnade vor
Allem als die Einwirkung auf ben in feinem Wefen fort»
dauernden freien Willen, burd) welche biefer a potentia
ad actum bonum überzugehen angetrieben wird. Weiter⸗
hin geht aus ber DVergleihung beider. Anfhauungen un^
aweifelhaft hervor, daß bie Nothivendigfeit der Gnade
war eine andere aber feine geringere ift bei der letztern
Auffaflung als bei ber erftern, und bof mithin, wenn
"fonft feine Gründe vorliegen, bie zweite zu der Schärfe
ber erften zu fleigern, die mildere Auffaffung als bie
wahre, auch dem [ebenbigften SBemuftfein des tiefen Gün»
denelends und ber fhlechthinigen Nothwendigfeit der Gnade
vollfommen genügenbe anerfannt werden muß. Solche
Gründe find aber nirgends zu finden, dagegen Gründe
genug, welche vor jener-fhroffen, finftern Anfhauung zus
ruͤckſchrecken. Die fttliche Freiheit, bie biefe Auffaffung
gänzlih unb in jedem SBetradjt verloren gibt, damit bie
Nothwendigkeit der Gnabe befto dringender empfohlen
und ihre Wirffamfeit defto lauter gepriefen fei, fie muß
aud) unter der Herrfchaft der Sünde nod) anerkannt wer»
ben, um bie Schuld berjelben, bie nur bem Menfchen
von der göttlichen Gnade. 81
gebührt, nicht auf Gott zu wälzen, wie nicht minder unter
bem Einfluß der Gnade, damit das Werk der Gnade bem
Menſchen zu gut fomme, ifm perfónlid) eigen fei. Halt
der chriſtliche Glaube an beidem feft, an dem Dafein der
fttlihen Breiheit mit bem[elben Nachdrucke wie an der
Siotfyoenbigfeit der Gnade, fo darf man ber einen Border
mung nicht Yo genügen, daß die andere darüber befeitigt
wird, fondern beide Anfprücde find mit einander ju vere
fühnen. Die pelagianifche Lehre, in ber bie Gnade
feine Stelle findet neben der Freiheit, hat zu ihrem Gegen .
theile die prädeftinatianifche Lehre, melde die Freis
heit fáugnef, um bie Gnade ‚allein zu verherrlicen, wähs
. Wüb das kirchliche Dogma fid) in ber Mitte biefer fib
entgegenftehenden Lehren bewegt. Wir berufen ung ftatt
Aer auf ben heil. Auguftin, ben von ber Mii ge
feiertfien Vertheidiger ber Gnade 1).
1) ©. oben ©. 78. Nur einige Hauptflellen. De peccat. merit.
εἰ remiss. II, c. 18 n. 28: ne sic defendamus gratiam, ut liberum
arbitrium auferre videamur; rursus, ne liberum sic asseramus
arbitrium, ut superba impietate ingrati Dei gratiae judicemur. In
feiner Schrift de gratin et libero arbitrio fagt er im Eingang: „gegen
diejenigen Babe er fdjon Vieles gefchrieben, melde bie Breiheit mit Bes
einträchtigung der Gnade vertfeibigen (die Pelagianer); aber mum gebe
t$ aud) foldye, welche die Gnade aufKoflen der Freiheit vertheidigen
und behaupten, man fónne die Gnade nur vertfelbigen, indem man bie
Freiheit laͤugne“ (er meint bie Mönche von Sforumet, welche femipelas
gianifch gefinnt, die ſtrenge Gnabenlehre für präbeftinatianifch hielten).
Man vergleiche übrigens die ganze Schrift. — In dem Brief an ten
Abt diefer Mönche, Valentin (epist. 215) gibt er als Inhalt der fides
quae (fides catholica) neque liberum arbitrium negat,
m malam, sive in bonam, neque| tantum ei tribuit, ut.
sine gratia Dei valeat aliquid, sive ut ex malo convertatur in bonum,
sive ut in bono perseveranter proficiat, sive ut ad bonum sempi-
lernum perveniat, ubi jam non timeat, ne deficiat. Cfr. epist. 214.
beol. Duartaljdrift. 4959. 1. Heft.
a
82 Die chriſlliche Lehre
Hier geht und nur die praͤdeſtinatianiſche Lehre näher
an; um ihren Gegenfag zur kirchlichen in bet vorliegen»
ben frage uns fíar zu maden, gehen wir von bem res
formatorifhen Eyfteme aus, in bem fie wieder aufgewärmt
ift. „Nach dem Syſtem aud) der lutheriſchen Kirche, fagt
Schleiermacher !), hebt die moralifhe Freiheit bes
Menſchen erft an in dem Zuftande der Begnadigung und
der Wiedergeburt, bie eben eine Geburt in biefe Freiheit
ift; dem natürlichen Menſchen aber geftattet biefe& Syftem
nur in weltliden Dingen bie freiheit, daß er bie
Begierde überwinden koͤnne durch bie Einfiht, und ben
felbftfüchtigen Trieb durch ben gefelligen, aber weber jene
Einfiht nod) biefer Trieb vermögen an fid) das göttliche
Geſetz zu erfüllen." „Gehen wir von ber (beiden pro
teftant. Bekenntniſſen) gemeinſchaftlichen Lehre aus, fagt
Schleiermacher ferner (a. a. Ὁ. ©. 80), daß in bem
Zuftande ber Günbfaftigfeit nad) bem alle der Menſch
nicht vermöge, aus eigner Kraft Gott zu erkennen, zu
lieben und ihm zu vertrauen, oder wie εὖ auch ausge
brüdt wird, daß, unbefdabet er übrigens einen freien
Willen habe, hiezu ihm ber freie Wille fehle (Aug. Conk IL
XVIIL): fo liegt ja darin offenbar biefe&, daß, da e8 bet
freie Wille ift, burd) ben jemand eine Perfon ift, der
fünbige Menſch zwar in jeder andern Hinſicht eine Perfon
fei, in religiófer aber nit.“ Deßhalb bezeichnet aud)
Schleiermacher bie Wiedergeburt als einen auf unbegreifr
liche Weife entfiehenden neuen Lebensanfang (©. 84).
In bem allgemeinen Gage: ba ber fünbfaftt
1) Sammlung jerſtreuter tóeolog. Suffáge. Reutl. 1830. L che
die ere von ber Crwaͤhlung. ©. 42.
von der göttlichen Gnabe. 83
Menſch vor und aufer der göttlichen SBegnabigung unfähig
fei, aus eigener Kraft das göttliche Gefeg zu erfüllen,
fimmt das Fatholifhe Dogma mit jener Lehre zufammen.
Aber die nähere Beftimmung, der Sinn des Sapes ift
auf unfeter Seite ein anderer. Die moralifhe Freiheit
acu, das wirkliche Wollen und Thun des Guten fehlt
bem aufer der Gnade ftehenden Menfchen; er ift feine
moralifh gute Perfon; aber al8 moralifche Perfon er-
weist fid) ber Menſch aud vor und aufer der Gnade.
Die moralifhe Freiheit potentia, das Bermögen des Guten, ἡ
biefe natürliche, burd? bie Geburt ihm eigene und unver
lierbare, daher aud) burd) die Sünde nicht verlorene Wil-
lensbeſchaffenheit fehlt ihm nicht, und braucht ihm alfo
«uf nicht erft durch die Gnade wieder eingepflanzt zu
werden. Die Gnade fnüpft an dies natürliche Vermögen
an, das, burd) bie Sünde geſchwaͤcht, durch ihre Einwir-
tung actualifitt, gum wirflihen Wollen und Thun des
Guten. angetrieben und in baffelbe eingeführt wird. Man
fónnte einwenden, ein Vermögen bed Guten, das nichts
vermag, ein Wille, der das Gute wollen fann, aber in
Wirklichkeit nicht will und thut, {εἰ eine bloße Abftraction,
ein leerer Rame, etwas fhlechthin Todtes; allein man
darf nicht vergeffen, daß dies Vermögen fid) [don darin
als ein wirkliches, reelled erweist, daß ohne fein Vor—
handenfein das Böfe, welches ber Menſch will, Fein frei
gewolltes wäre, was e in ber That bod) ift. Vielmehr
if jene prädeftinatianifche Trennung der Potenz des Guten
von bem Actus des Böfen, das gänzlihe Sallenfaffen jener
Seite des Willens eine unwahre Abftraction. Es erweist
fid aber aud) bie Potenz des Guten als eine überall
vorhandene und lebendige in den großen fittlihen Untere
6*
84 Die chriftliche Lehre
ſchieden, welche unter den Menſchen, ungeachtet fie allzu⸗
mal Sünder find und des Nuhmes vor Gott ermangeln,
ftattfinden, aud) wenn man fie nur negativ als ein Mehr
oder Weniger der Verdorbenheit auffaßt ").
Hier ift nun vor allem nod) eines Mittelglieves Gt»
mwähnung zu thun. Die bem freien Willen natürliche
Indifferenz zwiſchen Gut und Boͤs ift nicht bie ausſchließ⸗
liche Grundlage feiner Gelbftent(djeibungen, feines wirkli⸗
den Wollens und Thuns; er?) fommt aus ifr für fid)
allein nidt unmittelbar zur guten ober böfen That; viel-
mehr ift bie Richtung und Neigung nad) einer Seite (eine
delectatio nad) Auguftins Ausdrud) bie unmittelbare
1) €. oben ©. 78 Anm. Im Sufammenfang des dort Angeführten
bemerkt Auguflin: sicut enim non impediunt a vita aeterna justum.
quaedam peccata venialia, sine quibus haec vita non ducitur: sic
ad salutem aeternam nihil prosunt impio aliqua bona opera, sine
quibus difficillime vita cujuslibet pessimi hominis invenitur. Verum-
tamen sicut in regno Dei velut stella ab stella in gloria differunt
sancii (I. Gor. 15, 41); sic et in damnatione poenae sempiteruae
tollerabilius erit Sodomae quam alteri civitati (Luc. 10, 12), et erunt
quidam duplo amplius quibusdam gehennae flii (Matt. 23, 15): ita
mec illud in judieio Dei vacabit quod in ipsa impietate dammabili
magis allus alio. minusve peccaverit. In feiner Präbeftinationsichte
jedoch hat er diefe concrete Auffaffung nidjt in Rechnung genommen.
2) Der Wille, nicht der Menſch. Wir wollen nämlich nidt fagen,
daß der Süenfd nur entweder durch bie Grwedung ber göttlichen Gnade
oder bie Verführung der Schlange, nicht aber auch durch fid) auf dem
motürlichen Wege aus der Impifferenz feines Willens zur Willensents
ſcheidung, guten ober böfen Willensthat fomme; fondern mut dieſes, bof
der Wille für fij allein aus feiner Imbifferenz nicht unmittelbar here
austrete. Der Wille des Menfchen, ob er gleich frei i, muß, um Fein
willlürlicher und grunblofer zu fein, einen Beweg» unb Entfeldunges
grunb haben, fomme biefer nun als natürlicher aus feinem überlegen
den Verſtand unb bewegendem Gewiſſen, oder als übernatürliher bon
außen (oben ober unten) ijm gu.
von ber göttlichen Gnade. 8
Grundlage feiner freien Selbſtentſcheidung, fonft wäre
diefe eine grundlofe, willfürlide. Das Aufgehobenfein
der natürlichen Unentfchievenheit des Willens burd) bie
ihm einwohnende Hinneigung, ift die Thüre ober Schwelle,
über welche der Wille von dem natürlichen Gebiet in das
fittliche eintritt, in das Gebiet der fittlihen Entfheidungen
ger Thaten. Zur moralifhen Perſon alfo gehört zu-
nàdf dieß, daß ber Wille fittlih beſtimmt fei, gut ober
bis Y. Die Wiedergeburt, mit welcher die gute Willens»
richtung anhebt, ift daher nicht eine Geburt in bie mora»
liſche Freiheit überhaupt, oder in die geiftige Perſoͤnlich-
feit überhaupt, fonbern in bie wahrhafte Freiheit und
1) Die Pelagianer waren es und bie Rationaliften find e$ noch
heute, welche jenen ſchlechten Begriff der Willensfreiheit im Sinne eines
dotem ¶ Indeterminiomus auffellen und vertheibigen. Pelagius
flit ben Sah auf: Habemus possibilitatem utriusque partis a Deo
insitam velut quamdam ut ita dicam radicem fructiferam atque fe-
cundam, quae ex voluntate hominis diversa gignat et pariat, et
quae possit ad proprii cultoris arbitrium vel nitere flore virtutum
vel sentibus horrere vitiorum. Augustin. de gratia Christi c. 18.
Diefe Behauptung, entgeguet der Hl. Auguftin, reite mit ber evanges
lidem Wahrheit und ber apoſtoüſchen Lehre. Denn ber Herr lehre
(Elauf. 7, 18), ein guter Baum fönne feine ſchlimmen und eim böfer
feine guten Früchte bringen; unb wenn ber Apoftel (1. Tim. 6, 10)
bie Begierlichfeit (cupiditas) als die Wurzel aller Uebel bezeichne, fo
wolle er bie Liebe (charitas) als bie Wurzel alles Guten verftanden
wiſſen. Nachdem er dies weiter entwickelt, fließt et (I. c. cap. 20):
llla ergo possibilitas, non-ut iste opinatur, una eademque radiz est
bonorum et malorum. Aliud est enim charitas radix bonorum,
aliud cupiditas radix malorum; tantum inter se differunt, quantum
virtus et vitium. Sed plane illa possibilitas utriusque radicis est
espaz; quis non solum potest homo habere charitatem, qua sit
arbor bona, sed potest etiam cupiditatem, qua sit arbor mala. Sed
cupiditas hominis quae vitium est, hominem habet auctorem vel
hominis deceptorem, non hominis creatorem (1. Joann. 2, 16).
Bergl. cap. 19 und de Spiritu et litera cap. 33 n. 58.
86 Die chriftliche Lehre
Geifigfeit, i e. in bie gottähnliche Sperfóntifeit.
Auch der Sünder ift Perfon, denn er ift frei, umb eine
moralifhe und geiftige Perſon, aber freilid) eine ſchlechte,
eine irreligiöfe, und aud) biefeó nicht in der abftracten
Seife der präbeftinatianifchen Auffaffung, in welder bie
perſoͤnlichen Unterſchiede aufgehoben find (wie fie denn
"die fittliche SBerfónfidfeit überhaupt nicht auffommen läßt),
fonbern fo, daß ber eine mehr der andere weniger der
wahrhaften Perſoͤnlichkeit ermangelt.
3. Die Berurfahung des Guten burd bie
göttlihe Gnade und ben men(dliden Willen.
Unterſchied biefer Urſächlichkeiten.
Die Sphäre des menſchlichen Willens, die ſittliche
Welt ift eine in fid) felbft geichloffene, in ähnlicher Weife
wie «8 bie Äußere Welt, die Natur ift. Sie hat ihr
eigenes Prinzip, ben freien, b. b. ben fid) {εἶδ aus unb
duch fid) beftimmenben Willen; bie einzelnen Dinge in
ihr find theils eben die einzelnen Gelbftbeftimmungen biefe&
Willens, theild bie baburd) gefeßten Willensbefchaffenheiten,
welche hinwiederum auf den Willen unb feine Selbſtbe—
flimmungen einwirken, alfo, wie biefe, Urſache und Wirkung
zugleich find. Ueber diefen in fid) jurüdfaufenben Kreis von
Gelbfibeftimmungen unb Beftimmtheiten des Willens fommen
wir bei empirifdjer Betrachtung nirgends hinaus, gerade fo
wie wir, von meldjem Punkte in der Natur aud) ausgegangen
werben mag, nie über ben Zufammenhang von Urſache unb
Wirkung hinausfommen zu etwas, was nur Urſache unb
nicht zugleich aud? Wirkung, und al& biefe reine Urſache der
legte Grund alles andern wäre. Aber wie wir deſſen⸗
ungeachtet zu dem in fi freifenben Naturzufammenhang,
von der göttlichen Gnd, 587
zu ber unendlichen Reihe von Dingen, bie fid) gegenfeitig
bedingen, halten und tragen, eine abfolute Urſache fordern
als Grund des Ganzen und als das alles Urſaͤchliche in
ihm Verurſachende, die göttliche Macht, ebenfo poftuliten
wir aud) zu ber fittlichen Welt eine abfolute Urfadje, auf
welcher fie a[8 eine gute ruht und melde das bewegende
Prinzip alles guten Willens ifl, nämlich bie göttliche Gnade.
Alſo nicht blo8 darin ift ber Menſch abhängig von Gott,
daß er will unb frei will, infofern ihm ja Gott biefen
freien Willen gegeben, anerfhaffen hat, fonbern aud)
darin, daß er das Gute will, infofern ihm Gott tiefen
Willen fortwährend einflößt. Der göttlihe Wille will
ben menſchlichen Willen und fo ift biefer; ber göttliche
Wille wirft aber aud) in dem enblidjen Willen nad) der
ihm eingepflangten Richtung auf das Gute fort, das Ber»
mögen des Böfen bem Menfchen allein überlaffend. Eben
deßhalb fanm von einer Beeinträchtigung der Freiheit nicht
die Rede fein; diefe wäre vielmehr nur dann vorhanden,
wenn bie Einwirfung Gottes auf das bem Willen anerfchaffene
Bermögen des Guten mit gleichzeitiger Unterbrüdung des
Bermögens des Böfen verbunden wäre. Dann würde Gott
dur feine Gnabe dasjenige wieder zerftören, was er
durch feine Macht gepflanzt hat. Wir ‚find aber durch
niji berechtigt die göttliche Gnade in Gegenfag aur goͤtt⸗
lichen Macht zu fielen, fondern ſchlechthin zum Gegentheil
aufgeforbert. Was heißt es alfo: Gott wirft im menſch⸗
lichen Willen das Gute, das für benfelben als einen
freien nur ift neben der Möglichkeit des Böfen, oder was
daffelbe fagen will nur baburd) i, daß ber Wille felbft
fib frei für das Gute beftimmt? Dffenbar nichts anderes,
als daß bie göttliche Gnabenmirfung eine Bewirfung
88 . 9c hhriſtliche Lehre
des Willens zur freien Selbſtbeſtimmung für
das Gute fei.
Der Grundirrthum aller von ber kirchlichen Lehre ab⸗
weichenden Anſichten uͤber unſern Gegenſtand liegt in der
falſchen Vorausfegung, als ob der Wille, um als ein
freier zu gelten, ſchlechthin unabhängig nidt bíoó von
allen enbliden Urſachen außer ihm, fonberm aud) felbft
von ber abfoluten !) gedacht werden müfle, als ein folder,
ber fij [ebigfid) aus und burd) fid felbft zu allem
beftimme, wozu er fid) beflimmt. Damit hat man nidt
blos bie moralifche Abhängigkeit des Willens von ber
göttlichen Gnabe, fondern aud) jede ſolche Abhängigfeit
des Einzelnen von dem Ganzen oder bem Gtamm»ater,
b. f. bie durch den Mißbrauch des Willens entflandene
natürlihe Verfhlimmerung befielben gänzlic) geláugnet.
Go bie Pelagianer. Es ift diefelbe irrige Vorausfegung
mur in umgefefrter Anwendung, wenn man bie Freiheit
des Willens aufopfert, weil man mit ihr die diftfide
Gnabenlehre, an der man üm jeden Preis fefthalten will,
nicht vereinbarlih hält. So bie Präveftinatianer. In
der That flimmen biefe mit ben Pelagianern in biefem —
dem einzigen — Puncte vollfommen überein; ber Affect
1) Auf dem Concil von Trient berief fid) 8. Aloiſius von
Gatane, um die Meinung zu widerlegen, als ob die göttliche Giu»
wirkung auf ben Willen diefen feiner freien Selbſtbeſtimmung beraube
und ihm Zwang anlege, auf ben Ausſpruch des δ΄. Thomas: ea
moveri violenter, quae. moventur a causa contraria, a sua autem
causa nihil per violentiam moveri — eine treffende Bemerkung, nur
darf man fid) micht zu bem Schluſſe fortreißen offen, bem jener daraus
zieht: cum autem Deus voluntatis sit causa, perinde'esse aliquem
a Deo, atque a se moveri — was burdjaué unrichtig ijt. Die Erzaͤh—⸗
lung ijt aus Sarpi hist. Conc. Trident, II. p. 163. ed. 5. Gorinch. 1658.
von ber göttlichen Gnade. . 89
für die Gnade aber, wie er ihnen aus bem lebendigſten
Bewußtfein der menſchlichen Sündhaftigfeit entfpringt,
treibt fie auf ba6 andere Extrem, wogegen die Pelagianer,
denen biefes Bewußtfein fehlt, einfach bei ihrem Freiheits⸗
begriffe fteben bleiben unb ber göttlichen Gnade ben Eins
tritt in Das Innere des Willens verfchließen.
Als die alfgemeinfte Vorausjegung der kirchlichen
Ongdenlehre ftet der Satz feft: daß göttliche und menſch⸗
lihe Tpätigfeit in der Bewirfung des Guten mit einander
concurriren und beide fid als Urfahen deſſelben vet«
halten. Auf diefelbe Weife nun fónnen fie nidt
Urſache des Guten fein, fdjon deßhalb, weil bann immer
eine überflüffig wäre neben ber andern. Es ift daher
tit Art ber göttlichen fowohl als der menfdliden Urfädh-
liffit näher zu beſtimmen. Schon von vorne herein ift
far, bag bie göttliche ihrem allgemeinen Charakter gemäß
als die abfolute, vorhergehende, und bie menſchliche ebenfo
als die bedingte, nachfolgende Urſache gefaßt werben muß.
Es liegt bie aber aud) (don im bem oben gefundenen
Ausdrude: daß bie Gnabentoirfung eine Bewirfung be8
Willens zur freien Selbftbeftimmung fei. n. diefer Sormel
liegt jedoch nod) mehr unb εὖ it jet unfere Aufgabe, fte
féárfer in’8.Auge zu faflen, um zu neuen, concretern
Beſtimmungen zu gelangen. .
Es gibt feine Bewirfung des Guten burd) bie Gnade
außerhalb „des Willens unb ohne feine Selbfithätigfeit;
denn die Gnade wirft ja eben burd) den Willen unb bes
wirft die Selbftthätigfeit des Willens im Guten; e& gibt
aber aud) feine Bewirkung des Guten burd) ben menſch⸗
lien Willen allein ohne bie Gnabe aus bemfelben Grunde.
Eollen diefe beiden Säge fid) näher gebracht und bie
90 Die chriſtliche Lehre
darin enthaltene Wahrheit ſchaͤrfer beflimmt werben, fo
muͤſſen wir bie Urſaͤchlichkeit des menſchlichen Willens,
obgleich ſie an ſich eine und ungetheilt iſt, in zwei Momente
gleichſam zerſpalten. Wir betrachten zu dieſem Behufe
die menſchliche Willensthaͤtigkeit zunaͤchſt als eine blos
fpontane, fein Wollen als bloßes Wollen, und fo fónnen
wir fagen, baf diefes Wollen durch bie göttliche Gnade
bewirkt, und daß mithin biefe bie Urſache fei, fraft wel-
her ber menſchliche Wille das Gute will. Sofort haben
wir aber bie Thätigfeit des menfdjlidjen Willens aud ald
eine freie, fein Wollen als ein freies, auf Ueberlegumg
und Wahl beruhendes, furj als ein fid) felbft aus und
burd) fid) zum Guten befiimmendes zu faffen. Wäre der
Wille nur diefes, wäre er abfolut frei, wie der Wille
des abfoluten Geiftes, wäre er nit auf Natur gepfroyft,
und infofern nad) einer Seite paſſiv, fo fónntem wir in
Bezug auf ihn gar feine Urſache außer ihm annehmen.
Aber aud) fefbft wenn wir ihn als bebingt erfennen, fo
vermögen wir bod) infofern als wir ihn an dem Momente
feines Erhabenfeins über bie Natürlichkeit und Paffivität
in feiner fi ſelbſt beſtimmenden Thätigfeit erfaffen, nicht
zu benfen, daß er burd) ein ambercó, wie bie göttlihe
Gnade, bewirkt werde, fondern hoͤchſtens, daß er nidt
ohne diefes anbere wirfe; und aud) das läßt fij nur
infoweit flatuiren, als wir biefe& Moment feines Wefens
zurüdbeziehen auf das erftere unb an daſſelbe gebunden
denken; denn ohne bieje Gebunbenfeit würden wir von
aller Urfächlichkeit außer ihm ſchweigen, weil wir nichts
Bedingtes vor uns hätten.
Damit haben wir nun ein wichtiges Refultat ger
wonnen in Bezug auf bie Urfächlichfeit der göttlichen
von ber göttlichen Gnabe. ?t
Gnade. Auch bie Gnade können wir in ihrer Einwirkung
auf den menfhlihen Willen nicht unter dem einfachen
Geſichtspunct der abfoluten fittfihen Urſache deſſelben
faffen, was fie an fid allerdings ift, fondern ihr Begriff
ift ein zufammengefeßter, fie erſcheint einerfeits als causa
qua, andererſeits als conditio sine qua non ober nad
Auguftins Ausdruck als auxilium quo unb auxilium sine
quo non sc. fit bonum.
Diefes Verhaͤltniß der göttlichen Gnade zu der menfch«
lihen Freiheit ift das allgemeine, fowohl für den Willen
in feiner urfprüngliden Unverdorbenheit als in feinem
fpütern Verderbniß geltende. Es ift nicht wie Auguftin !)
einmal diefe Momente des Gnadenbegriffs in zwei
Onadenarten auflöst unb dadurd Anlaß zu der Jans
fenififchen Lehre gegeben hat, daß bie urfprünglide
Gnade fid) lediglich als auxilium sine quo non, bie Önade
des Erlöfers dagegen aí8 auxilium quo verhalte ?);
der Begriff der Gnade fhließt vielmehr flet biefe beiden
Momente in fid. Denn wenn man fie ausſchließlich nur
unter jenem Gefihtspuncte faßt, fo vermag man fie gar
nicht eigentfid) feftzuhalten und finft auf den einfeitigen
tationaliftifdjen Standpunft der Pelagianer zurüd; faft
man fie dagegen ausſchließlich unter biefem Geſichtspunkt,
fo läßt fid) bie Freiheit des menſchlichen Willens nicht
1) De corrept. et grat. c. 11 u. 12, fiehe unten das Nähere.
2) Diefen Unterſchied kann man als das Fundament des ganzen
Sanfenififdjen Syſtems betrachten. Bergl. Aguire Theologia Anselmi
Tom. III. tract. 6. disp. 116. sect. 4. n. 28 und bie Abhandlung de
Janseniano systemate am Schluß des Eftius’fhen Comment. zum
2. ud der Sentenzen in Ed. 3. Neapoli 1722, Die Abhandlung ift
von den Herausgebern des Gommentaw.
92 Die chriflliche Lehre
damit vereinigen und man verfällt bem präbeftinatianifchen
Jirthume.
Die chriſtliche Gnade in ihrem Unterſchied von der
urſpruͤnglichen beſteht vielmehr zunaͤchſt darin, baf fie
nidt an bie Natur geknüpft und durch die natürliche Fort⸗
pflanzung vermittelt, ebenbarum aud) nicht fehlehthin all»
gemein if, wie biefe; zweitens darin, daß die chriſtliche
Gnade auf der Stellvertretung Chrifti beruht unb daher
mad) einer Seite als Imputation erfdjeint, was bei ber
urfprüngliden nicht ber (all ift; enblid) darin, daß Gott,
während er in ber urfprünglichen Gnabe auf bie Seite
des Guten im menfhlihen Willen tritt und baburd) ihm
ben Sieg verfhafft über das in feiner Unmacht zurüds
gelaffene Böfe, in ber erlöfenden Gnade zunaͤchſt bem
Böfen am menfhlihen Willen entgegentritt und dadurch
ben Weg zur SBieberermedung des Guten babnt. Hier
nimmt die Rechtfertigung ihren Weg durch die Belehrung
und wird vermittelt burd) ben äußern Anſchluß an bie
chriſtliche Gemeinfhaft und den Gebrauch ihrer Gnaden⸗
mittel, dort geht fie birefte vor fid) in der allgemeinen
Gemeinfhaft aller Menſchen unb ift vermittelt burd) die
allgemeinen Mittel der göttlichen Weltordnung.
4. Eintheilungen der Gnade, ober bie ver
fdiebenen Gnabenmirfungen. Sureidenbe
unb wirffame Gnabe, oder bie abfolute Wirk
famfeit der Gnade unbefdabet ber freien
Selbftbeffimmung des Willens.
Gewöhnlich theilen die Theologen die Gnade zuerſt
ein in bie gratia increata et aeterna und bie creata el
temporalis. Dies ift.aber nicht eigentlid) eine divisio
son bet göttlichen Gnade. 9
gratiae wie bie übrigen, fondern bie allgemeine Bezeich⸗
nung des doppelten’ Geſichtspunctes, aus welchem, wie
das Abfolute überhaupt, fo in&befonbere Djer bie göttliche
Gnade in Betracht fommt. Man fann fie nämlich auffaffen,
theils wie fle an fid) felber ift, wo fie mit bem göttlichen
Weſen ivdentifh ober ald Gigenfdjaft beffelben, eine
biefem Wefen gemäße, daher ewige, unerídjaffene, ungetheilte,
ſchlechthin einfadje, überhaupt abfolute Wirffamfeit
Gottes nad) außen ift, theild wie fie in ihren Wirfungen
auf bie Welt unb den Menſchen insbefondere et»
ſcheint. Dort fann von einer Theilung nicht die Rede
fein; bie Differentiirung -beginnt erft bier, woo bie gótt»
liche Gnade bie Endlichfeit trifft. Daß bie Gnadenlehre
in ihrer SBolltünbigfeit beide Wege, ben ber abfoluten unb
den ber endlichen Betrachtung, betreten müffe, fann feinem
Zweifel unterliegen; mur das fann in Frage geftellt fein,
οὗ beides an einem Orte zu gefchehen habe, ober ob
für bie Onadenlehre im engern Sinne nur bie enblide
Betrachtung fid) eigne, unb bie Prädeftinationglehre, worin
fih die abfolute; Betrachtung concentrirt, etwa in ben
erften Theil der Dogmatik, in die Lehre nämlich von bem
Weſen und den Eigenfhaften Gottes gehöre, wohin fie
auch von vielen Theologen geftellt wird. Diefen Punct
wollten wir übrigens nur im Vorbeigehen berühren, weil
aud) über ihn bie volle Klarheit bei den Theologen vers
mit wird.
Geht bie göttliche Gnade in ihren Wirkungen auf
den Menſchen in ein Mannigfaltiges und Verſchiedenes
auseinander, fo ift biefe Mannigfaltigfeit bod) eine ges
ordnete und läßt fid) daher aud) ſyſtematiſch beſchreiben.
"ien Eintheilungen voraus‘ geht bie Unterfeidung ber
9 Die chriflliche Lehre
äußern unb innern Gnate, indem burd) fie bec Begriff
ber letztern, auf welche fid) fámmtlide Eintheilungen bes
defen, objectib begrenzt wird. Im berfelben Richtung
liegt die Bedeutung der Unterſcheidung zwiſchen gratia
gratis data und gratia gratum faciens; fie begrenzt ben
Begriff ber innern Gnade fubjectin, denn bie innere Gnabe,
auf welde fid) bie Eintheilungen beziehen unb von der
bie Gnadenlehre allein handelt, wirb hier als bie Gabe
befiimmt, welche auf das eigene Heil des Empfängers
abzwedt, im Unterſchiede von der gratia gratis dala
melde der Menfh zu 9tu& und Frommen Anderer em-
pfängt 1 Gor. 12, 8 ff. Die Eintheilungen der innern
Gnade find nun folgende. Bezogen auf bie Menfchheit
im Ganzen, unterſcheiden wir bie gratia conditoris ober
sanitatis und bie gratia Salvatoris (Christi) ober medicinalis,
von denen furj zuvor bie Rede war. Der gefhicht-
liden Entwidlung der göttlichen Heilsmittheilung in ber
SRenfdbeit entfpriht der fucceffive Verlauf des
Heils im einzelnen SRenfden, weßhalb bie hierauf
fid) beziehenden Gnabenwirfungen junádjft burd) das Merk-
mal ber zeitlich en Verſchiedenheit fid) gegen einander
abgrenzen gralia praeveniens — gr. concomitans — gr.
subsequens !).
Der fucceffive Verlauf des Heils ift erft bie Außer-
fide Seite feiner Entwidlung und Verwirflihung im
1) Conc. Trid, sess. 6. cap. 16: Cum enim ille ipse Christus
Jesus tanquam caput in membra, et tanquam vitis in palmites, in
ipsos justificatos jugiter virtutem influat; quae virtus bona eorum
Opera semper antecedit et comitatur, et subsequitur, et sine qua
mullo pacto Deo grata et meritoria esse possent, nihil ipsis justifi-
catis amplius deesse credendum est etc. Vgl. Thomas summa 1. 2.
"qu. 111. art. 3. Auguetin. de nat. οἱ grat, c. 31.
von ber göftlicden Gnade. 59
Sienffen. Die weitern intheifungen fnüpfen fij an
bie innern, wefentlihen Momente dieſes Proceſſes. Und
war zunaͤchſt daran, daß das Sittlihe überhaupt und
alfo auch das fittlih Gute fid) theild als Willensrichtung
und Befchaffenheit, theils als Willensthat, als bleibenden
Suftanb und vorübergehende Handlung darftellt. Hierauf
beruht bie Unterfcheidung einer gratia habitualis und einer
gralia aclualis 1). Hinſichtlich diefer Einwirfung der Gnade
auf die menfhlihe Handlung (gr. actualis) wird nod)
genauer unterfchieven bie von Gott ausgehende Anregung
des Willens, gratia operans, und bie mit der Bewegung,
des Willens, nachdem fie burd) jenen Anftoß eingetreten
iR, fortgehende und in ihr thätige göttliche Kraft, gratia
woperans ?). Im Wefentlichen daffelbe befagt bie Gin»
1) Thomas summa 1. 2. qu. iii. art. 2. Bellarmin. de grat.
alib. arbit. L 2. Der Hl. Augufin faßt beide zufammen in ber
Stelle de grat. Christi c. 19. n. 20: facit autem homo arborem
bonam (Watth. 7, 18), quando Dei accipit gratiam. Non enim se
ex malo bonum per se ipsum facit; sed ex illo et per illum et in
illo qui semper est bonus: nec tantum ut arbor sit bona, sed etiam
Wt faciat fractus bonos, eadem gratia necessarium est ut adjuvetur,
sine qua boni aliquid facere non potest. Cf, de natur. et. grat.
c 26. n. 29 unb de grat. Christi c. 12. n. 13, wo von ber gr. actualis
ein die Rede ift. ᾿
2) Conc. Arausic. (II) c. 9: Quoties bona agimus, Deus in
Tobis et nobiscum ut operemur operatur; c. Multa Deus facit
in hominibus bona, quae non facit homo; nulla vero facit homo
bom, quae non praestet Deus ut faciat homo. Οἵ, Augustin. contr.
dum Epp. Pelag. lib. II. c. 8. de grat. et lib. arbit. c. 17: Quis
istam etsi parvam dare coeperat charitatem, nisi ille, qui praeparat
voluntatem, et cooperando perficit, quod operando it? Quoniam
ipse ut velimus operatur incipiens, qui volentibus cooperatur per-
fiens, Cf. Thomas summa 1. 2. qu. 111. art. 2.
96 Die chriſtliche Lehre
theilung der actuellen Gnade in gr. excitans und adjuvans,
praeveniens unb subsequens ').
Diefen Eintheilungen der actuellen Gnade liegt ber —
Gedanke zu Grund, daß bie göttliche Thätigfeit den menich-
lichen Willen nicht blos zur Selbftthätigfeit im Guten
anrege, um ihn im Weitern fid) felbft zu übsrlaffen, jon
dern daß fie im Willensacte felbft nod) wirffam fei. Sie
beftimmen alfo ben allgemeinen Gebanfen von ber Urfäd:
lidfeit der Gnabe im Guten zu bem beftimmtern fort,
daß bie Gnade bie Durhgängige Urſache des
guten Willens fei: Diefer Gebanfe ift in ihnen in
feine Momente zerlegt und zugleich finnlich gefaßt. Weil
aber der Wille nicht blos in feinem Thun, fondern aud
in feiner Richtung und bleibenden Befchaffenheit als einen
guten fid) erweist, fo ift nicht nur aud) nad) diefer Seite
bie göttliche Gnade al8 bie abfolute Urſache deffelben zu
begreifen, fondern es find aud) alle die Momente, in
welchen fid ber gute Wille in biefer Richtung realiſirt,
auf fte zurüdzuführen; weßhalb denn aud) einige Theo
Togen Ὁ nicht vergeffen anzuführen, daß die Eintheilungen
der actuellen Gnade in einem gemiffen Sinne zugleich
auf bie gratia habitualis anwendbar feien.
Endlich theilt man bie gr. actualis in gratia sufficiens,
quae dat posse operari, und efficax, quae cerlissime dat
bonum operari (Tournely) ober: quae cum operatione
quam infallibiliter infert, semper conjungitur (Gonet),
1) Die obige Eintheilung: gr. praeveniens, concomitans, sub-
sequens ijt aus bem Geſichtspunct des Mechtfertigungsproceffes ente
worfen, unb infofern von ber obigen, bie fid fpeciefl nur auf ben guten
Willensact bezieht, wohl zu unterſcheiden.
2) 8. 8. Gonet manuale Thomist. Colon. 1707. U. p. 146.
von ber göttlichen Gnade. 9t:
eine Unterſcheidung, für mele man fif) auf Cyril von
Merandrien und Augirftin beruft, bie aber nicht einmal
von Thomas direct ausgeſprochen if. Sie if ετῇ in
der fpätern Scholaftif aufgefommen und als ein Mittel
aufgeftellt worben, bie ſchwierigſte Frage ber Gnadenlehre
im engern Sinne zu löfen; ſie hat aber biefe Abſicht fo
wenig geredjtfertigt, ba gerade burd) fie erft der Streit
faf umheilbar geworben if. Cyrill fagt an ber Stelle,
auf bie man fidj beruft 5, nidjté weiter, als daß bie
innerid) auf ben Willen wirkende Gabe viel fráftiger
fti als bie dufere burd) Ermahnung, SBerfünbigung des
Evangeliums u. dgl. Der BI. Thomas bemerkt (summa
1.2. qu. 112 art. 2 ad 2): contingit quandoque, quod Deus
wovet hominem ad aliquod bonum, non tamen perfectum, et
lis praeparatio praecedit gratiam; sed quandoque statim
perfecte movet ipsum ad bonum et subito gratiam homo
accipit. Aus diefen Worten fann man jene Unterſchei⸗
bung nicht unmittelbar herleiten; der Gebanfe, ben fte
ausſprechen, ift vielmehr zunächft ein anderer, daß nämlich
die Gnade theils graduell fortſchreitend, theils aber aud)
wie mit einem Schlag ihr Ziel erreiche, wie bei bec Bes
fehrung Pauli. Auch der BT. Suguftin gibt jene Unter
ſcheidung nicht direct an die Hand. Während fie bei ben
frätern Scholaſtilern fih auf bie Gnade Chriſti unb
war fpeciell auf bie aetuelle Gnade bezieht, beabſich⸗
tigt bie Unterſcheidung, bie Auguftin aufftellt, unb bie aller⸗
dings bie Begriffe der zureichenden unb wirffamen Gnade
m Grunde legt, das Verhältniß berurfprüngliden
guber jrifliden Gnade mittelft derfelben aufzuflären.
- 1) Genet L c. p. 146.
ies, Duartaligrift. 4859. 1. Get. 7
98: Die chriſtliche Lehre
Es find dieß die ſchon oben ausgehobenen Begriffe des adju-
torium sine quo non unb des adjutorium quo fit bonum. Aus
guftin unter[djeibet ") zwiſchen ber Gnabe, bie bie Ausdauer
1) De corrept. et grat. c. 11. n. 29: Quid ergo? Adam non
habuit Dei gratiam? Imo vero habuit magnam, sed disparem. Ille
im bonis erat, quae de bonitate sui Conditoris acceperat... in qui-
bus prorsus nullum patiebatur malum, Sancti vero in hac vita, ad
quos pertinet liberationis haec gratia, in malis sunt, ex quibus cla-
mant ad Deum, Libera nos a malo (Mattb. 6, 13). llle in illis bonis
Christi morte non eguit: istos a reatu et haereditario et proprio il-
lius Agui sanguis absolvit. Ille non opus habebat eo adjutorio, quod
implorant isti, cum dicunt: video aliam legem io membris meis etc.
(Rom. 7, 23 — 25). Quoniam in eis caro concupiscit adversus spi-
ritum, et spiritus adversus carnem (Galat, 5, 17), atque in tali cer-
temine laborantes ac periclitantes dari sibi pugnandi vincendique
virtutem per Christi graliam poseumt. Ile vero nolle tali rixa de so
ipso adversus se ipsum tentatus etque turbatus, in illo beatitudinis
loco sua secum pace fruebatur... Nr. 31; Istam gri non ha-
buit homo primus, qua nunquam vellet esse malus: sed sane habuit,
in qua si permanere vellet, nunquam melus esset, et sine qua etiam
cum libero arbitrio bonus esse non posset, sed eam tamen per li-
berum arbitrium deserere posset. Nec ipsum ergo Deus esse voluit
sine sua gratia, quam reliquit in ejus libero arbitrio... Haec prima
est gratia, quae data est primo Adam: sed hac potentior est in se-
cundo Adam, Prima est enim qua fit ut hahoat homo justitiam si
velit: secunda ergo ples potest, qua etiam ft, αἱ velit, et tantum
velit, tantoque ardore diligat, ut carnis voluntatem contraria concu-
piscentem voluntate spiritus vincat.
jutezin Alstinguende sunt. Aliud est
fit, et aliud eat adjutorium, quo- aliquid ft, Nam sine alimentis non
possumus vivere, nec tamen cum adfuerint alimenta, fit ut. vivat
qui mori voluerit, Ergo adjutorium alimenlorum est, sine quo nom
fif, iom que fit ut vivamus. At vero-bestitudo quam non habet homo,
cum data fuerit continpo: fit beatus, Adjwtoríum est enim non solum
sine quo non fit, verum etiam quo fit propter quod datur. Quaprop-
ter hoc adjutorium et quo fit est, et sine quo non fit: quia et si
data fuerit homini beatitudo, continuo fit beatus; et si data nunquam
fuerit, nunquam erit... Primo itaque hortini . . .. datum «st-adjuto-
D u
von · der gotilichen Gnade. Φ
im Guten ivt Lid, und derjenigen, bie nur baó Ausdauern⸗
können verleiht. Die Ietere, baó adj. sine quo non, fei
Adam verlieben worben, nicht aber bie erftere, das adj. quo;
denn wenn ihm jenes nicht verliehen worden, fo wäre er
ohne feine Schuld gefallen, ba ihm bie Unterftügung ges
fehlt Hätte, ohne welche er, bloß geftüt auf feine Natur,
nit hätte ausharren fónnen. Die erflere dagegen erbe
den Heiligen (Glaͤubigen und Gerechtfertigten) verliehen,
bie zum Reiche Gottes durch bie Gnade prädeftinirt
feien. In biefen Worten liegt der Schlüffel für bie
tihtige Auslegung der dem Mißverſtaͤndniß flarf ausge⸗
ſehten Auguftinifpen Stelle. Auguftin faßt die Kriftliche
Gnade unter bem Gefihtspunet der Vorherbeſtimmung,
alfo unter bem abfoluten Geſichtspuncte. So erfheint ber
game fittliche Proceß, in welchem fid das Gute zeitlich
tealifirt, lebiglid) in bem legten Effect der Befeligung; bie
Mittelgliever des Glaubens, ber Rechtfertigung und Ber
obachtung ber Gebote, fo wie bie fid) felbft beſtimmende
SRifivirfung des freien Willens find nicht mit in Rechnung
genommen, fondern lediglich vorausgefegt. Nicht darin
liegt ber Mangel biefet Darftellung, daß Auguftin bie
rium perseverantiae, non quo fleret ut perseveraret, sed sine quo
per liberum arbitrium perseverare non posset. Nunc vero Sanctis in
regnum Dei per gratiam praedestinatis non tale adjutorium perge-
verantiae datur, sed tale, ut eis perseverantia ipsa donetur... Nr. 37.
Vt ergo non acciperet hoc donum Dei, i. e. in bono perseverantiam
primus homo, sed perseverare vel non perseverare in ejus relinque-
retur arbitrio, tales vires habebat ejus voluntas, quae sine ullo fue-
rat institota peccato, et nihil illi ex se ipso concupiscentialiter re-
sütebat... Nuno vero posíea quam est illa magna peccati merito
amissa libertas, eti&m mejoribus donis adjuvanda remansit infirmi-
Ws... Subventum est igitur infirmitati volantatis humanae, ut di-
vina gratia indeclinabiliter et instperabiliter ageretar. '
1 *
100 Die qriftliche Lehre
chriſtliche Gnabe lediglich als wirkſam, unb bie urfpränge
lide lediglich als zureichend begreift, fonbern darin, baf
er jene aus bem abfoluten, biefe aus bem endlichen Ge
fihtspuncte faßt und fo fie einander gegenüber ftellt: eine
ungleiche Vergleihung, die nothwendig zu ſchiefen Refuls
Taten führt, fo bald man fie urgirt, ohne biefen Umftand
in Anſchlag zu bringen. Das hat Janfen !) getfan und
fo aus jener Stelle den Gat abgeleitet: gerade barür
unterſcheide fld bie Hriftliche Gnabe von ber urfprüng-
lichen, bag unter bem Ginffuffe ber erſtern bie freie
Selbſtentſcheidung des Willens, auf bie bei der letztern
gerechnet fei, wegfalle: eine irrige, von ber Kirche mit
Stedjt vermorfene, unb bem HI. Auguftin mit Unrecht (von
jenem und Andern) imputirte Lehre. Janſen beftreis
tet die Gnabe als eine zureichende; bie Ermoͤglichung
bes Guten ift nad ihm weder eine Defonbere Art, nod
ein Merkmal des Begriffs der chriſtlichen Gnade, fondern
biefe befteht lediglich in ber Verwirklichung beffelben 5;
womit er nur bie im jener und fo vielen andern Stellen
deutlich vorgetragene Lehre Auguſtins 5) zu wiederholen
behauptet. Mit Unrecht. Man fee alle dergleichen Stel
1) Augustinus Tom. 3. lib. IL c. 3 u. 4; Jib. ΠῚ, c. 1.
2) Augustinus Tom. 3. lib. II. c. 25: Nulla omnino medicinalis
Christi gratia effectu suo caret, sed ommis efficit, ut voluntas velit
et aliquid operetur. Lib. II. cap. 3.: Sufficientem illam grati
quam Scholastici multi in Theologiam velut adjutorium Salvatoı
tulerunt, ab Augustino destructam funditusque eversam esse libens
lateor etc. Vocamus antem illam sufficientem gratiam seu suffici
adjutorium, praeter quod nihil aliud ex parte Dei per modum prin-
eipii necessarium est, ut homo velit aut operetur.
3) 8. 9. de corrept. et grat. c. 14; ad Bonifac. II, 9; de grat.
Christi c. 13. 14; de grat. et lib, arbit. c. 15.
von ber göttlichen Onabe. 101
len nadj, unb man wird finden, daß darin Gebanfen über
bie Wirkſamkeit der Gnade auégefprodjen find, bie bie
freie Seldftbeftimmung des Willens nicht ausfchließen, weder
birecte nod) folgeweiſe. Es fehlägt nicht gegen bie Freis
heit aus, wenn der Bf. Auguftin lehrt: bie göttliche Gnade
vermöge aud) das harte Herz zu erweichen; fte wirfe das
Gute, wo fie gegeben werde, wo fie aber fehle, fomme
beffelbe nicht ju Stande. Diefe und ähnliche Säge lau⸗
fen alle auf den einfachen, von den Pelagianern gänzlich)
befittenen, von ben. Semipelagianern eingefhränften Bes
gif der aus und burd fid felber wirffamen,
ud) bie Einftimmung des Willens verutfadjenben Gnade
hinaus, ober fie beruhen auf der Auffaſſung der Gnade
sub specie aetermitetis.
Was nun jenen Unterfchied felbft betrifft, fo ift zu⸗
naͤchſt in Bezug auf den Ausdruck gratia sufficiens von
entgegengefeßten Seiten, von ben Sefuiten und ben Janſe⸗
aiften bemerft worden, daß berfelbe unpaffend ſei. Denn
da παῷ der Lehre der Thomiften felbft bie gratia efficax
erfordert werde, damit der Wille wirklich das Gute wolle,
fo könne man bie davon verſchiedene gratia sufficiens, bie
blos das Wollenfönnen verleiht, nicht zureichend nennen,
weil fie es zum wirklichen Wollen nicht fei. Indeſſen
lónnen wir biefe Einwendung, fofern fie blos ſprachlicher
Art ift, ganz auf fid) beruhen faffen; denn es Handelt fid
mur um bie Gade, niht um ben Ausdrud, ben man
ſchonend beurtheilen muß, wenn jene ftihhaltig if. In
Bezug auf biefe nun haben bie Thomiften darauf hinger
tiefen, daß zunädhft fehon bie gratia habitualis als gratia
sufficiens betrachtet werben könne, infofern außer ihr fein
anderer habitus infusus, alfo fein weiteres auxilium gratiae
102 Die qriftuche Lehro
derſelben Art, wohl aber ein auxilium gratiae secandum
alium modum, ut scilicet voluntas a Deo moveatur ad
recle agendum, b. f. bie fogenannte gratia actualig noths
wendig fei. Aber ſchon hier müffen wir nachdrüdlich darauf
binweifen, fürs erſte, daß biefe gratia habitualis und aetua-
lis nur fehr uneigentlid) verfdjiebene göttliche Gnaben ge«
nannt werben; es find bie vielmehr mur verſchledene im
menſchlichen Willen durch biefelbe göttliche Gnade und bie
gleiche (nämlich blos moralifche) Wirkſamleit derſelben her⸗
vorgebrachte Wirkun gen; fürs zweite, daß dieſe Wir⸗
kungen zwar wohl unterſchieden, aber nift von ein⸗
ander getrennt werden duͤrfen, als ob naͤmlich jede nur
fuͤr ſich hervorgebracht werde, nicht aber beide in Wechſel⸗
wirkung auf einander; denn indem Gott den guten habi-
tus fegt, wirkt er zugleih auf ben actus ein, und indem
ex diefen bewirkt, wirft er zugleich auf jenen zurüd. Drit⸗
tens ift ja zugeſtandenermaaßen nicht eigentlich bie gratia
habitualis gemeint, wenn von ber gratia sufficiens im
Unterſchied von ber efficax die Rebe ift, fondern ausdruͤd⸗
fid) wird diefer Unterfhied in Bezug auf bie gratia actua-
lis gemadjt: bie gratia sufficiens foll nämlich nichts andere
fein, als was fonft gratia excitans genannt wird, während
bie von biefer als gratia adjuvans unterſchiedene Gnaden⸗
wirfung nun näher als gratia efflcax beftimmt wird !).
Es ift nicht ſchwer zu zeigen, ba ein folder tren⸗
nender Unterſchied, wie ihn bie Scholaftifer aufftellen, wenn
1) So aushrüdlih J. Gonsales de Leon controversiae de ausi-
ls div. gratise. Leodii 1708. 4. p. 41. cf, p. 324 seqq. Gonst
l c. p. 148 seqq. Statt sufficiens u. efficax fegen Suarez, Vaſ⸗
quez u, A. incongrua u. congrua, eine Differenz, worhber fid Gouet
a. a D. fur und gut aueſpricht.
voti der gorillchen Snade. 'eo3
fie unter ber zureichenven und wirkſamen Gnobe verſchie⸗
bene Arten oder Wirfungen ber Guabe verſtehen,
unzuläßig, und nift einmal auf die gratia interna über»
haupt, geſchweige auf bie gr. interna hetualis anwenbbar
ig. Um mit bem letziern zu beginnen, fo ift eine nur das
Können verleihende, das Wollen aber in den Willen des
Menichen ftellende Gnade für fid), als eigene Art ober
Wirfung ber Gnade, gar feine innere, fonbeen bie Außere
Gnade. Die’ innere: Gnade ſtellt ja das Wollen des
Guten infofern nit in ben Willen des Menfchen, ober
ted) nicht allein und aud) nicht principaliter i feinen
Willen, als fie «uf bie Bewirkung biefes Wollens nicht
bío8 abzielt, fondern daffelbe aud) mitbewirkt, unb zwar
principaliter, ald Grundurſache, es bewirft. Diefes Ber
wirfen des guten Wollens hat allerdings fo zu fagen feine
Stufen oder Grade, indem es auf bie eigenthüämliche Art
des endlichen menſchlichen Willens eingeht. Es erſcheint,
fo angefehen, nicht als ein einfadhes, fonbern als ein
mannigfaltiges und fortfpreitendes Wirken; und man fann
in dieſer infit nad) rein empirifcher Auffaffung wohl
fagen, bie Gnade [εἰ evi dann vollfommen wirkſam,
wenn fte alle bie Stufen, in welchen der menſchliche Wille
bis zum vollendeten Act vordringt, durchſchreitend, mit der
Bewirkung des wirflihen Wollens ihren Sieg feiert, fie
{εἰ dies aber nidjt, wein fle etwa bei der Bewirkung ber
guten Willensrichtung ober Del ber Ereitation des Actus
fiehen bleibe. Aber daraus folgt bennod) nicht, daß fle
im letztern Galle mur zureichend und nicht wirfam, und
im erfteen mur wirkſam umb nidyt zureichend fei; venn es
it ja in jenem Falle die Gnade auf bie Bewirkung des
Artus berechnet und auf ihn infuirend, und in biefem
- 4104 Die βόε Lehre
Balle iſt der Actus nicht geradezu bewirkt, ſondern vermit-
telſt bec freien Selbfibeftimmung des Willens im Fort⸗
gange. ber Momente, burd) welche er fid) bewegt. Mit
einem Worte alſo: bie Gnade die bloß zureichend ift, ift Feine
innere; bie Gnabe aber, die blos wirkfam ift, ſchließt die
freie Selbftbefimmung des Willens aus.
Haben alfo bie Moliniften Recht, wenn fie behaupten,
biefelbe!) Gnabe werde zureichend oder wirlſam genannt,
-je nadbem ber menfhlihe Wille fij zu ihr verhalte;
wenn er nicht einftimme, fo erweife fie ih als unwirkſam
aber zureichend, in wiefern der menfchliche Wille Hätte eins
fimmen förmen, wenn er aber einflimme, erweife fie fif)
als wirffam (und zureichend, in wiefern bie Einftimmung
niet von ber Gnade bewirkt if)? Keineswegs. Diefe
Anfiht ift das gerade Gegentheil der thomiſtiſchen; if
biefe materiell richtig, aber formell verfehlt, fo ift fie ums
getebrt mit der Gnabenlebre, inhaltlich ober materiell ges
nommen, im Widerſpruch, formell dagegen, b. D. in ber
Stuffaffung der gureidenben und wirffamen Gnabe als bloße
Momente oder Merkmale des Gnabenbegriffó, im Reit.
Nach ihr ift bie Cinftimmung gerade fo wie bie Nichtein-
fimmung die unabhängige alleinige That des menſchlichen
1) Diefe Auffaſſung, der erſte Schritt zur Löfung der Verwirrung
in den Gontroverfen de gratiae auxiliis, findet fid aud) bei Petavius
S. feinem berühmten Werke de theolog. dogmat. Tom. 1. lib. X. c. 16.
m. 2 fagt er: Ea (gratime divisio in aufficientem et efficacem) non
generis est in species, sed ejusdem speciei secundum accidens di-
stnctio. Non enim alia est sufficientis natura sive essentia, quam
efficacia, cum una eademque sit’sufficiens ex sese, et efficax. Quippe
omnis efficax eadem et sufficiens est; οἱ quae efücax non est, ac
tantum suflciens est, ex accidenti non habei effectum, quem per se
cuique sua (scil. parte) potest et parata est exprimere, nisi libera
"consensio voluntatis obstaret,
von bet gbitlichen Gnade. 105
Willens, und man ἔδηπίε alfo — was doch bogmatifd)
unzweifelhaft feftftebt — in Wahrheit nicht fagen, daß bie
göttlihe Gnade auch das Wollen des Guten bewirkte;
dies Wollen wäre ſtets nur in den Willen des Menſchen
geſtellt, und bie göttliche Gnade würde baffebe nur präs
pariren, aͤußerlich und innerlich begünftigen, unterftüpen.
Indem man nun aufhört, von gratia sufficiens und
efücax im Sinne ber Thomiften als von verſchiedenen
Arten oder Wirkungen ber actuellen Gnade zu reden, und
flatt beffen vielmehr anerkennt, daß bie eine unb felbe
innere Gnade immer beides zugleich (ei, und bag durch
die Zulänglichfeit unb Wirkfamfeit nur ble unzertrennlich
verbundenen Merkmale ihrer Eaufalität überhaupt in ber
Art ausgebrüdt werben, baf damit fo wohl der Strenge der
Ontbeníebre, beziehungsweife ihrer Nothwendigkeit zum
Bollen des Guten, als auch ber unveräußerlihen For⸗
derung ber freien Mitwirkung des menfhlichen Willens,
befonders feiner freien Zu» und Einflimmung Genuͤge ger
ſchieht; fo ift damit bod) ετῇ eine abſtracte Wahrheit aud»
gefprochen, unb bie Seite des Problems nod nicht
berührt, von melder bie Einführung jener
Unterfheidunggunähftausgegangenund haupt-
fachlich gefordert zu fein [deint. Es war näms
lich nicht blos bie zur verftändigen Erkenntniß zu erhe⸗
ben, daß bie göttliche Gnabe nidjt nur das Können fondern
ganz eigentlich aud) das Wollen des Guten bewirfe, fons
bern, indem man als Subject der Gnade nicht mehr abftract
ben Menfchen überhaupt, vielmehr bie Menfhen unb
den Einen im Unterfhied vom Andern ins Auge
fafte, aud die erfahrungsmäßige Wahrheit zu begreifen,
daß die Gnade nur einige Menfchen bis zum wirklichen
406 Die qriſtliche ibo
Wollan des Guten. führe, waͤhrend andere, abmohl fe
ſich auch an ihnen thaͤtig erweiſe, nicht dahin kaͤmen.
Dieſer Sah ift fen von Auguſtin in folgender Weiſe
ſpecialiſirt werden. Unter Mehrern, die alle zum Olau⸗
ben innerlich erregt werben, werden nur Einige zum
Acte des Glaubens und ben ihm entfprechenden Werken
gebradt, unb fo gerechtfertigt. Bon biefen Gerecht⸗
fertigten find Alle bur bie Gnabe in den Stand ae
febt, die. Gebote zu beobachten und auszuharren ,bi and
Ende in der Gerechtigkeit, (omit das ewige Leben zu er
lenge; aber nur Einigen wird. bie woirffame Gnabe
zu beidem, namentlid) ba& donum perseveramtiae zu Theil,
und nur biefe werben wirklich felig. Die zunächft liegende
Frage, woher εὖ fomme, bag Gott dem Einen bie durch⸗
greifenb wirffame Gnade verleiht und bem Andern nicht,
gehört nicht hieher, foubrrn in bem folgenden F., ber von
der Vorherbeſtimmung und Onadenwahl handelt. Gor.
bern bie Frage ift hier zu erörtern, ob wicht unter Bor-
ausfegung ſolchen Sadjverhalts (ber bogmati[d) feftgebD
die thomiſtiſche Unterſcheidung einer zureihenben unb wirl⸗
famen Gnabe zum Berftänbniß beffefben unumgänglich ers
fordert werde. Die Antwort hierauf fann, wenn bad
Borausgegangene wohl in Erwägung genommen wird, nicht
ameifetpaft fein: jene Unterſcheidung erfcheint auch Bier
überflüffig und anftatthaft. δάπδε bie Thatſache, daß Eini⸗
gen ble. Gnade Gottes bis zum endlichen Siege, zur Aus
batter. in ber empfangenen Gerechtigkeit bis and Ende vet
hilft, während Andere nidjt ausbamern, ihre Begründung
lediglich in der Guabenmittfeilung; fo waͤre die tho⸗
miſtiſche Unterſcheidung zuläßig, ja nothwendig; liegt aber
‚ber Grund hievon zugleich in bes menſchlichen Fteithaͤ⸗
ton der gottlichen Gnade. “467
tigfeit, wenn aud) nicht principaliter, fe (ft derſelbe uns
nöthig unb ungeeignet. IR bie Gnade, welche ben Einen
pur Seligfeit führt, ausſchließlich ober fo wirffam, baf
fie das Merkmal der Sufficienz von fi abweist, bann
verhäft fid) der Menſch zu biefer Gnadenmittheilung nicht
frei, und das Argument, bad ber abfoluten Prävefination
entgegengefept zu werben pflegt: entweber bin id) praͤde⸗
finiet, dann wird mir nichts ſchaden, ij mag thun was
id will, ober id) bin nicht präbefliniet, dann wirb mir
nichts nügen, und ἰῷ fann folglich Hinfichtlich meines
eigenen Verhaltens ganz forglos fein — hat feine volle Be-
rechtigung, und verbleibt (bm biefe fo lange ganz unges
(ömälert, als das Merkmal ber Zulänglickeit nicht in
den Begriff des donum perseverantiae ober ber präbeftinis
tenden Gnade aufgenommen ift. Und umgefehrt, ift die
wreihende Gnade, welche dem Andern zu Theil wird,
nicht zugleich wirffam, fo ift fle entweber gar feine innere
Gnade, oder fie ift diefes nicht wahrhaft, e8 fehlt ihr
das wefentlihe Merkmal ihres Begriffs. Dies war, daß
diefe gureidjenbe Gnabe bie Einflimmung des Willens niet
bewirkt, ift allerdings als etwas Bactifches feſtzuhalten —
fonft würde der angenommene thatfächliche Unterfchieb, und
fomit bie Vorausfegung, von der wir hier ausgehen, weg⸗
fallen; aber wie die Einwilligung im erſtern Falle prin»
cipaliter von der Gnade herrührt, unb nift deſtoweniger
eine freiwillige ift, fo rührt bie Nichteinwilligung im andern
falle principaliter von bem Verhalten des Willens her,
ohne baf die Gnade aufhörte, eine auf ble Einwilligung
einwirfende zu fein 9.
1) Die Molinifien, denen zufolge bie Einwilligung gerade fo wie
die Nichteinwilligung lediglich (m ber Willenbentſcheldung begründet if,
108 Die chriliche Lehre
Aus allem geht gleichwohl hervor, daß das zuerſt
behandelte einfachere wie das eben beſprochene complicir⸗
tere Problem durch die thomiſtiſche Unterſcheidung einer
zureichenden und wirkſamen Gnade auf eine ganz falſche
Bahn geleitet ift, auf ber feine Löfung nicht herbeigeführt
werben fanm. Auf bem Wege dagegen, den wir gezeigt
haben, ftoft man allerdings auf eine Graͤnze, über welde
die verftändige Grfenntni$ nicht hinausfommt, auf ein
Geheimniß, das fie nicht bewältigt. Die Frage, wie
ber Wille, beffen Einwilligung bie wirffame Gnade bes
wirft, bennod) frei einwillige, unb wie bie Gnade, in bie
der Wille nicht einmilligt, bennod) eine wirffame fei: biefe
frage ift und bleibt unauflöslih. Aber fo foll es fein;
das Geheimniß der Offenbarungslehre, auf welche der Geift
benfenb eingeht, foll nicht aufgelöst — wie von den Mor
liniften geftiebt — und ebenfo wenig verfefligt werden
burd) hineingelegte, ſelbſtgeſchaffene Unbegreiflichfeiten —
wie ſolches bie präbeftinatianifche Gnadenlehre fid) zu Schul
den kommen läßt — fondern wenn das Nachdenken in
Durchforſchung des Geheimniffes an jener Gränze ange
Tommen ift, wendet fid) der menſchliche Geift zum Glauben
qurüd, mit bem er baffelbe von vorneherein umfaßt hat.
Bas fhließlih noch die Frage betrifft, woher bie
fommem auch über die vorliegende Frage ohne Schwierigkeit hinweg.
Die auf den göttlichen Willen zurüdgeführte Gnadenaustheilung ſtellen
fie nämlich auf das göttliche Borherwiffen bes durch ben freien Willen
eintretenden Verhaltens, ber Ginfiimmung ober Nichteinfimmung: es
verleiht @ott das donum perseverantine nur benen, von melden er
vorher weiß, daß fie einftimmen werben, benen dagegen, von benen et
das Gegentheil vorher weiß, verleiht er baffelbe nicht; wogegen bie to»
miften mit Recht diefe Bräfeienz als Vorausfepung des göttlichen Derrets
‚ zurüchweifen und bie Prädeftination als eine unberingte behaupten,
ton ber göttlichen Gnade. 109
Wirkſamkeit ber Gnade zu leiten fei — denn was wir
vorausſetzen, daß fie aus fid) (ex se, ab intrinseco) titt»
fum fei, kann als bogmatifd) fefiftebenb angenommen wer»
den, wiewohl mande Theologen dies als ein Theologu-
menon behandeln möchten 1); fo ift es gewiß eine verfehlte
Vorftellungsweife , wenn bie Thomiften von einer physica
determinatio ober praedeterminatio — nad) Bannes’ «Bor»
gange — reden unb fomit auf bie göttliche Allmacht bin»
weifen; denn biefe ift gerade als das Princip ber goͤttli⸗
hen Nat u rwirkungen von bem Sprincip ber moralifden
BVirfungen Gottes wohl zu unterfdjeiben (vgl. oben S. 1
X. 3). Daß der Wille als das natürliche Vermoͤgen des
Guten unb Böfen ift, das ἐξ auf bie göttlihe Macht
wrüdzuführen; daß er aber gut ift fowohl habituell als
actuell, das ift etwas übernatürliches ſchon infofern als
ber Menſch, wenn er felbft feinen Willen dazu beſtimmt,
fió damit über die Natur feines Willens erhebt, nod)
mehr aber infofern, ald Gott biefen guten Willen verur«
fat, und muß dies aus’ ber von ber göttlichen Macht
verſchiedenen göttlichen Gnade abgeleitet werden. Zwar
iR aud) bie Gnade abfolut wirfjam zu benfen wie bie
Macht; aber während das, was ber ollmádjige Wille
Gottes will, naturnothwendig geſchieht, erfolgt das, was
der gnädige Wille Gottes will nicht naturnothwendig, fone
den zwar unfehlbar aber in moralifch freier Weile. Wenn
die Thomiften ferner auf Gottes dominium supremum über
den menſchlichen Willen hinweiſen, fo ift baffelbe freilich
nicht zu laͤugnen, aber anderſeits aud) nicht zu verfennen,
1) 3.8. Tournely praelect. theolog. Tom. III. P. II. pag. 647 seqq.
Venet. 1736. 4. und nach ihm Liebermann instit. theolog. Tom. IV.
p. 85 seqq. ed. 5. Mogunt, 1840 u. 9. .
uo DR qhriſiliche Seite
daß Gott die Herrſchaft über das von ihm Geſchaffene
in Grmäßheit ber Ratur beffelben ausübt, fonft feßten wir
den weltregierenden Willen Gottes in Widerſpruch mit
feinem weltfepöpferifchen, b. b. Gott mit fid) ſelber. Die
Greatur, bie er frei geſchaffen hat, regiert er nicht will
türlif, fondern in Gemäßheit ihrer Natur, alfo unbe
ſchadet ihres freien Willen.
Obwohl wir aber bie thomiftifche Vorſtellungsweiſe
in den angegebenen beiden Punkten unangemeffen. finden,
weil fle der Freiheit des menfhlihen Willens nicht bie
gehörige Rechnung trägt und ftrenge genommen, biefelbe
ausſchließt, (mas fie felbft aufs Entſchiedenſte beſtrit⸗
ten); fo dürfen wir uns bod nicht auf die Geite ber
Gougruiften unb nod) viel weniger auf bie ber Moliniften
fhlagen. Denn wenn bie leßteren den guten Willen nur
infofern burd) bie göttliche Gnade bebingt fein Iaffen, als
dieſe εὖ in feine Macht ftellt, gut zu fein, fo ſchließen fie
bie Eoncurrenz der Gnade im Moment des Willensactes
ſelbſt gänzlich aus und laͤugnen, daß fie aud) bie Einſtim⸗
mung beó Willens, das Wollen betoirfe, eine dogmatiſche
Irzung, wogegen bie der Thomiften eine boctrinelle ift.
Ihren zufolge ift e nicht bie eigentfümlide Natur unb
Kraft der Gnade, ihre abfolute Wirkfamfeit, wodurch bet
menſchliche Wille zum Wollen des Guten beftimmt wird,
ſondern der Wille beftimmt fü) lebiglid felbft dazu. Es
fent, populär geſprochen, biefelbe Gnade zweien geges
ben werben, aber fie erreicht ihre Wirfang nur in Einem,
weil nur dieſer ihr folgen will; oder bei einem unb dem⸗
felben Subjecte erreicht fie jegt ihre Wirkung, weil er
jegt will, im einem andern Momente erreicht fie biefelbe
nicht, weil er nicht will. Diefe Lehre, nad) welcher bit,
"von ber gHillden Gfobe . ff
Selbſtentſcheidigung des menſchlichen Willens im Momente
derſelben (in actu secundo) unabhängig von ber Ginabe er»
folgt, haben bie Gongruiften zu mildern gefuht ἢ". Zu
diefem Behufe dachten fie ft den menſchlichen Willen ganz
toneret, wie er in irgend einem Momente unter biefen bes
fünmten Verhaͤltniſſen oder Umftänden eben aufgelegt ift.
Diefes Aufgelegtfein entjd)eibet; wenn der rechte Moment
gefommen ift, erteidt bie Gnabe ihren 3med, in einem
andern Momente erreicht biefelbe Gnade ihn nicht. Diefe
Vorftellung hat darin Recht, daß fle die Wirffamfeit der
Gnade ald eine bem Willen gemäße darftellt und fo ben
Gedanken einer phyſiſchen Determination, einer gegen bie
moralifche Natur oder SBefdjaffenfeit des Willens laufen-
den Einwirkung Gottes befeitigt; ihr fommt ferner zu
Ratten, daß fie bie abfolute Wirffamfeit der Gnade infos
fen nod juláft, als man fij unter ben unenblid)
mannigfaltigen Stimmungen des Willens immer eine ben»
fen kann, bie ber göttlichen Abſicht mit diefem Willen fo
iu fagen entgegenfommt. Aber indem fie bod) im Momente
der Selbftentfheidung die göttlihe Gnade birefte nicht
wirfen läßt, fondern biefe allein dem Willen felbft zus
fhiebt, fo erfhöpft fie ben in ber chriftlihen Lehre ente
haltenen und allein confequenten Gedanken nicht, ben
nämlich, daß bie göttlihe Gnade burdgángige Urſache
des guten Willens fei.
Aus dem Angegebenen leuchtet klar hervor, in wels
Ger Richtung die Wahrheit zu fuchen ift, unb vor melden
1) Witasse tractat. theolog. Venet. 1738. Tom. 1. p. 714 seqd.
wo über die Syfteme ber Gongruiflen, ber Molinifen und Thomiften
das Rothige beigebracht if.
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Wecenfionen.
1.
Spicilegium Solesmense complectens Sanctorum Patrum scrip-
lorumque ecclesiasticorum anecdota hactenus opera selecta e
graecis orientalibusque et latinis codicibus publici juris facta
curante Domno J. B. Pitra O. S. B. monacho e congregatione
gallica, nonnullis ex abbatia Solesmensi opem conferentibus.
Tomus primus in quo praecipue auctores saeculo V antiquio-
res proferuntur et illustrantur. Parisiis, prostat apud Firmin
Didot fratres institui Franciae typographos 1852.
Das Jahr 1852, fowie das ihm junádft voranges
gangene Jahr 1851 find außerordentlih reid) am neuen
Cntbedungen unb Mittheilungen auf bem Gebiete ber. alten
chriſtlichen Literatur gewefen. Werke, bie man längft unb
für alle Zeit verloren wähnte ober von deren einfligem
Vorhandenfeyn man kaum eine dunkle Ahnung hatte, haben
in ben verfloffenen zwei Jahren zum erftenmale das Licht
der Welt mit Hilfe der Prefie erblidt, ober ſtehen eben
in dem Begriffe, an das Tageslicht zu treten. Nach fo
viden. Stürmen und Revolutionen, παῷ fo vielen Jahr⸗
hunderten, in denen „die ungezählte Reihe der Jahre und
die Flucht ber Zeiten“ die unjerftórbaren Denkmale aus
Metall und Quaderfteinen zerbrödelt und in Staub zer⸗
3 εοῖ. Duartalfgrift. 1853. I. Heft- 8
114 Pitra
rieben hat, finden fih in bem Staube ber Bibliotheten, in
verborgenen Winkeln, in bie nie ober lange nicht ein Strahl
des Tageslichts gefallen, alte vergilbte, von Motten und
anberm Ungeziefer turdfteffene Manufcripte, deren Ent
afferung und Enträthfelung das Privilegium einiger be
vorzugten Geifter if. Dagegen gehalten ift es ein Caf,
kaliforniſches oder auftralifhes Gold zu graben und au&
zuwafchen, welchen mitzumachen Taufende und Zehntaus
fenbe, ja bie Bevölferung ganzer Landftrihe Kraft und
Eifer genug in fid) finden. — Zu denjenigen nun, welde
in dem abgelaufenen Jahre 1852 die Hriftlihe Litteratur mit
neuen foftbaren Schägen bereichert Haben, bie man längft
und für alle Zeit in dem Meere der Vergänglichfeit unters
gegangen glaubte, gehört vor allen ber franzöfifche Bene
diftiner von Solesmes, Dom Pitra, der den erften Band
eines neuen Spicilegium erſcheinen läßt, welchem nod eine
Anzahl weiterer Bände folgen werden, worin ber gelehrt
SBenebiftiner „um zu ſchweigen von vielen Mittheilungen
geringern Umfangs und Werthes, bie Werfe von mehr
als hundertfünfgig Schriftftellern mittheilen wird, welde,
fo viel man weiß, bis jept nod) nie herausgegeben wor
den find.“ Auch der gelehrte und fromme Abt der neuen
Benebiktinerftiftung von Solesmes, bie fo würbig in bie
Bußftapfen der alten Mauriner eingetreten, denen unfer
feliger Lehrer, Dr. Herbſt, in biefer Zeitſchrift (1833 —1834)
ein ſchoͤnes Denkmal geftiftet hat, ift bem theologiſchen
Publikum burd) mehrere verdienftvolle Werke befannt ge-
worben. Der SBenebiftiner Pitra aber, ber eben ben erften
* Band eined neuen Spieilegium hat erfcheinen laffen, gilt
mit Recht als einer der verdienftvollften Gelehrten ber Ge⸗
genmart. Es find bis jet 6 „Spieilegia”, b. b. Samm⸗
Spicilegium Solesmense. 115
lungen neuer bis dahin nicht erſchienener Werke von Kirs
chenſchriftſtellern erfdjienen; das des Dom Pitra ift bae
fiebente. Merkwürbig genug find alle diefe „Spicilegia“
von Benebiktinern herausgegeben worben, welche dadurch
der mehr als taufenbjáfrigen Aufgabe ihres Ordens, bie
Erde unb die diriftfice Wiſſenſchaft zu eultibiren, im emi»
nenten Sinne treu gewefen find. Zuerft erfhien das,
„Spieilegium Dacherianum", von bem Benebiftiner d'Achery
(1655 bis 1677) in 13 Quartbänden, nad Dupins Urs
theil bie wichtigfte Sammlung bis auf jene Zeit. Das
weite Spieilegium waren des berühmten Mauriners Mas
bilon „Analecta vetera“, er(djienen in ben I. 1675—1689
in 4BändenFol. Daran ſchloſſen fid) die , Analecta Graeca
sive varia opuscula graeca hactenus inedita, herausgege⸗
ben in Verbindung mit SBuget und Lopin von bem ebenfo
berühmten Mauriner Montfaucon, Paris 1688. Die vierte
derartige Sammlung ift der „Thesaurus novus Anecdoto-
rum, Paris 1717, 5 Bde. Fol, von ben beiden Benebiftir
nern Durand und SXartene. Bon benfelben Gelehrten
erſchien einige Jahre nachher das fünfte Spieilegium unter
dem Titel: „Veterum scriptorum et monumentorum histo-
ficorum, dogmaticorum et moralium amplissima Collectio.“
Paris 1724 — 1733, 9 Bde in Fol. Das fehste Spiciles
gium erſchien von unferm Landsmann, bem Beneiktiner
Bernhard Bey von Melk unter bem Titel: Thesaurus anec-
dolorum novissimus®, 1721 — 1729, 6 Bde in Fol. Der
hohe Werth der Iegtern Sammlung, befonders für mittel-
alterliche Theologie unb Philofophie wird in ber neuern
Sit immer mehr anerfannt, und die berühmten „Monu-
menta Germaniae*, von Perg, fowie bie großartige Patros
logie des Abbe Migne, beffen unfterblihen Berbienften
8*
116 Pitra
befonberó Dom Pitra bie wärmfte Anerkennung zu Theil
werden Iäßt, haben für ihre jeweiligen Zwede in bem
„Thesaurus novissimus“ des Bernhard Pez reihe Aus—
beute gefunden. Endlich als bie flebente Sammlung von
»Anecdota^ erſcheint das „Spicilegium Solesmense^ des
Dom Pitra, auf beffen unermüblide Thätigfeit bie Worte
Montalembertd in feiner neueften Schrift befonders fid
zu beziehen feinen: „auch bie SBenebiftiner find wieder
erſchienen, demüthig fid neigenb über ben unaustilgbaren
Surden, welche ihr Orden in allen Wiſſenſchaften, und in
jeder Art des Ruhmes gezogen hat.“ — Der vorliegende
Band des Spicilegium, in groß Quart, beftebt aus 78 Sei⸗
ten Prolegomena, und zerfällt in 2 Theile, wovon ber
erfte „opera autorum singularia“; ber zweite „Collectanea
quaedam anecdota^ enthält. Es wäre intereffant zu hören,
auf welchen feltfamen, oft wunderbaren Wegen Dom Pitra
in den Θε[ feiner Anecdota gefommen; aber der Raum
geftattet ung nicht, auf biefen Gegenftanb Hier einzugehen.
Wir müffen und mit der Bemerfung begnügen, baf er
befonder8 auf feinen wiſſenſchaftlichen Reifen burd) bie vers
fhiedenen Theile von Frankreich, nad) Belgien, den Nie
betfanben und England, fobann aus Italien feine foft
baren Schäße gefammelt habe. In der Mittheilung berfefben
hält er fadgemág bie chronologiſche Ordnung ein. Zuerft
kommt Papins, Bifchof von Hierapolis, ber SBerfaffer des
in neuerer Zeit fo viel befprodjenen Werkes: Explanatio
ober interpretatio sermonum domini, λογίων κυρειακῶν Hr
γησις, auf beffen von Eufebius bezeugten Einfältigfeit
(σφόδρα γάρ τοι σμιχρὸς ὧν τὸν νοῦν, Euseb. H. e. IIl, 39)
unfere modernen Kritifer al8 auf einem gar lieben Steden-
pferde nad) Herzensluft herumtummeln. Das vielgenannte
Spicilegium Solesmense. t 17
unb vielvermißte Bud) des Papias war nod) im 12. abre
funbert vorhanden, benn εὖ fagt ber gelehrte Menardus
in feiner Gefchihte von Nismes, er habe ein Inventar
der gut Kirche von Nismes gehörenden Güter gelefen,
worin bie Worte ftanden: „gleichfalls habe ich in bem
Klofter vorgefunden das Buch des Papias, das Buch ber
Reden des Herrn, librum Papiae, librum de verbis Do-
mini.“ Ja aus der Aeußerung des Trithemius über das
Bart des Papias fónnte man vermutfen, daß baffefbe
nof zu jener Zeit, am Ende des fehszehnten Jahrhun⸗
derts, vorhanden gewefen fei. Seit bem herben Urtheile
des Eufebius über Papias gilt berfelbe allgemein als der
Urheber des Chiliasmus, ober ber Lehre von bem fite
baren taufenbjüfrigen Reiche, unb er foll aud) feinen Schüͤ—
ler, ben b. Irenaͤus von Lyon in bie Gemeinfdaft feines
Srtgumé verwickelt haben. Ueber ben Chilinsmus des
Bapias vergleiche man befonders ben Auffap des Dr. Reiſchl
„der Chiliasmus in ben erften drei Jahrhunderten“ in ber
Hildesheimer Theologifchen Monatfhrift" von 1850, Seps
temberheft. Anderer Anſicht darüber ift Dom Pitra. Er
meint, ber ganze Chiliasmus des Bapias rebujire fid) auf
Miverftändniffe des Eufebiug, ber dem Papias ohnebem
"ijt gewogen gewefen, aud) benfelben mehr als gering»
fhägig behandelt habe. Das Ganze beruhe auf dem my⸗
ſtiſchen Gebrauch gewiffer Ausdrücke ber heiligen Schrift
bei Papias. Dann müßte man aber aud) faft alle gleich—
zeitigen Schriftfteller der Kirche, befonders den berühmten
"lito von Sardes, des Chiliasmus beihuldigen, von
dem bod) Polyfrates von Ephefus bezeugt, daß er alles
in dem heiligen Geifte getan habe. In ber befannten,
big jet verlorenen, Schrift des Melito, „der Schlüffel“
118 Pitre
genannt, finden fif genau biefelben myſtiſchen Ausbrüde
mit derfelben Grflárung. Zum erftenmale fat uns Dom
Pitra in den „Prolegomena“ zu feinem erften Bande [αν
teinifche Bruchſtuͤcke aus der erwähnten Schrift des Melito
mitgetheilt, wornach biefelbe eine Art Erklaͤrung bildlicher
Ausbrüde der heiligen Schrift war. Dom Pitra will biefe
nod) nit erfchienene Schrift in einem fpätern Bande {εἰσ
ned Spicilegium mittheilen. Man vergleiche -inbeg über
die Aechtheit biefer Schrift den Schluß bes Artikels „Mes
lito" in dem Freiburger Kirdjenlerifon von Dr. Hefele.
Mas if es nun aber, was uns Pitra aus den 5 Büchern
des Papias Neues mittheilt? Es if eine neue armeniſche
und eine neue lateiniſche Meberfegung ber längern Stelle
aus Papias, welche von Srenáué adv. haer. lib. V. cp. 33
mitgetheilt wird, und worin mit ben bilblihen Ausbriiden
der Worte: vinea, palmes, botrus, vinum, triticum, spica,
granum — ber zufünftige Zuftand der Kirche Chriſti gefchil-
dert wird. Nach diefem Fragmente des Papias hat und
fBitra 3 neue Fragmente aus Irenuaͤs mitgetheilt. Durch
das freundliche Cntgegenfommen der Beamten des britis
fen Mufeums, befonders des gelehrten Eureton erhielt
Pitra aus einem febr alten fyrifchen Gober aus bem 6. Jahr⸗
hundert zwei biß jet unbefannte Bruchftüde des Irenäus.
Kerner erhielt ev burd) bie Güte des gelehrten Mechitari⸗
fen P. Gabriel Aizarousfi aus einem armenifhen Gober
ein drittes bis jetzt ungebrudtes Fragment: bes Irenäus.
Ein ganz merfmürbiger Zufall hatte εὖ gefügt, daß das
“eine der beiden fyrifhen Fragmente feinem Inhalte nad
zuſammenfiel mit dem armenifchen Fragmente des Irenaͤus.
Das armenifhe Fragment hat die Meberfchrift „de Resur-
reclione Domini“; es handelt von bem Ehriftus, als bem
Spicilegium Solesmense. 119
Träger und bem Herrn des Alten unb des Neuen Teſta⸗
menteó, ber von ben Propheten umb ben Evangeliften
gleichmaͤßig bezeugt werde. Nur ift ba& armenifhe Frag⸗
ment größer, als das ſyriſche, obgleich das erflere wahr⸗
ſcheinlich aus dem legtern überfegt ifl. Das zweite fyrifche
Fragment Handelt von der Hohheit, fowie von der goͤttli⸗
de und menfhlihen Natur in Chriſtus. Der Schluß
dieſes fragmenta lautet: „berfelbe, welcher hinabgeftiegen
iR in die Unterwelt, ift aud) emporgeftiegen über die Hims
mel, denfelben umfchloß bie Krippe, welcher alles mit feiner
Gottheit erfüllt; ber tobt war, und fiche, er lebt in Ewig⸗
feit, Amen." Berner theilt uns Dom Pitra eine wahrfdein«
li$ von bem Magifter Florus verfaßte SBorrebe zu ben
5 Büchern bes Irenaͤus gegen bie Irrlehren mit. Bei
biefer Gelegenheit verſpricht Pitra aud), er werde fpäter
den Commentar des Magifter Florus zu den paulinifchen
Briefen, foweit berfelbe bis jegt nod) micht erfchienen ift,
herausgeben. In ber zweiten Abtheilung des Spicilegium
finden wir nod) eine Homilie über bie Söhne des Zeber
bius mit folgender Meberfchrift: „S. Jrenaeo ascripta ho-
milia sive commentarius valde dubiae auctoritatis ex ho-
miliario 'secundo.* Diefe Homilie ift einem armenifden
ober ber Wiener Medhitariften entnommen, unb von bem
erwähnten Gabriel Aizarousfi ins Lateinifche überfeßt wor⸗
den. Der Berfaffer biefer Homilie befämpft bie Arianer.
Der dritte Schriftfleller, von welchem uns itta Neues
mittheift, ift ein Anomymus mit feiner Schrift: „de so-
lemnitatibus, sabbatis et neomeniis.* Pitra meint, biefet
Anonymus habe gegen den römifchen Presbyter unb nad»
maligen Häretifer Blaftus gefhrieben, an ben aud) Irenäus
einen Brief „über bie Kirchenſpaltung“ ridtete. In biefer
120 Pitra
Schrift des Anonymus über bie Ofterfeier findet fid) [οἷν
gende für ben Primat geugenbe Stelle: „quod nunc maxime
ecclesia, auctoritatem sedis apostolicae sequens, observat.
Auch eine Stelle von bem wahren Saframente des Leibes
und Blutes des Germ findet fid) in biefer Schrift, welde
nur in ber fateinijdjen Weberfegung eines urfprünglich grie⸗
chiſchen Textes vorhanden zu fen. (djeint. Sie beftebt aus
14 kurzen Kapiteln. Der vierte Schriftfteller des Epiciler
gium if Murinus von Alerandrien, SBijdjof, von feinem
der Alten, mit Ausnahme Alcuins, erwähnt, ber ihn aber
Maurinus nennt. Pitra hat vergebens in den Katalogen
der orientalifchen Biſchoͤfe nachgeſucht, welchen Bifchofefg
Murinus eingenommen habe. — SBielleict, meint Pitra, fei
er, nad) der Gewohnheit ber Patriarchen von Alerandrien
mehrere Bifhöfe als Gehilfen um fid zu haben, einer
biefer Nebenbifchöfe eines Patriarchen gewefen. Das von
Murinus Mitgetheilte ift ein SBrudjftüd einer omifie über
das Ofterfefl. Als der fünfte Schriftfteller in dem Spici-
legium folgt ber große und heilige Dionyfius, Patriarch
von Alerandrien, in deſſen Lobe Eufebius von Cäfarea
unerſchoͤpflich ift. Nach Eufebius und ben Spätern vers
faßte biefer Dionyfius eine Schrift: „de poenitentia ad
Cononem.* Der Bifhof von Hermopolis, Ariftenius, ein
griechiſcher Ganonift, welcher fury vor Balfamon im zehen⸗
ten Jahrhundert blühte, hat einen furjen Auszug gemadt
aus dem Fragmente, welches Pitra von ber erwähnten
bis jet verlorenen Schrift des Dionyfius mittheilt. Das
erwähnte Fragment des Dionyfius aber ift aus einem Ox⸗
forber Eoder. „In demfelben wird Jedermann, fagt Pitra,
bie faft goldene SBerebtfamfeit des beften Zeitalters, bie
φυτῷ bie Zierlicpfeit der Sprache nod) koſtbarere unb reir
Spicilegium Solesmense. 12
nere Lehre des fanftmüthigen Martyrers, übereinftimmend
mit all dem, was fonft nod) von ihm vorhanden ift, bes
wundern.“ Das Fragment handelt von ber Behandlung
ber in Todesgefahr ſchwebenden Büßer, und if im grier
chiſchen Urterte mitgetheilt. Ein zweites kürzeres lateini⸗
ſches Fragment fhließt fi) daran an, das (don griechiſch
von bem Kardinal N. Mai mitgetheilt (Class. auct. T. X,
pP. 484); und zugleich einem Briefe des Dionyfius Areos
pagita von febr bezweifelter Aechtheit entnommen ift. Dio»
nyfius von Alerandrien hat aud) eine Erklärung in Eccle-
siastem verfaßt, bie aber ſchon zu Zeiten des Eufebius
ijt mehr befannt war (Eus. VIL 26). Ein gewiffer
Anonymus nun, bei welhem Pitra an Theodor von Mops⸗
tee denkt, von beffen Gommentar über den Prediger uns
Pitra ein Bruhftüd mittheilt, hatte nod) ben Commentar
des alerandeinifhen Dionyfius jur Hand, und führt, zum
Behufe ber Widerlegung, eine Stelle aus bem Commen-
tar des Dionyfius an. Inbeß findet fid) aud) dieſes Bruch⸗
fü (don in ber römifhen Ausgabe des Dionyflus von
Merandrien vom Jahre 1796. Wir gehen nun zu dem
fehsten Schriftfteller bei Pitra, zu bem chriſtlichen Dich⸗
ter Commodianus über. Ueber das, was Pitra von Com⸗
mobian unb von Juvencus Neues gegeben u. f. m. haben
wir fon gefproden in bem Sreiburger SKirchenlerifon
unter ben 9f. ,Gebuliu&" und „Severus“, der Kürze
wegen wollen mir aud) bie Lefer auf das dort über das
Zeitalter, das Vaterland "ς., des Gommobian Gefagte ver⸗
weiſen. Gommodian war wahrſcheinlich ein -afrifanifcher
Biſchof, und wird zuerft von Gennadius erwähnt, der fid)
über feine ſchriftſtelleriſche Thätigfeit fehr geringfhägig
ausſpricht. Pitra macht εὖ wahrſcheinlich, daß Gommobian
122 : Pitra
zu Zeiten des Kaiſers Decius geblüht habe, obgfeid) man,
ba in feinem Gedichte von Cäfarn ober Unterfaifern bie
Rede ift, auch an die Zeiten bes Diocletian denken
fanm. Bis jegt δείαβ man von Gommobian ein Werf mit
dem Titel: Instructiones adversus gentium deos, beftehend
aus 80 fleinen Abfehnitten, und im Ganzen aus 1258
Verfen (bei Signe Patr. Band V.). Pitra fand in Enge
land neue Gedichte, denen zwar ber Name des Commor
dian nicht beigefegt ift, bie aber nad? Sprache und Inhalt
kaum einen andern Verfaffer haben fónnen, als ben Eom-
mobian. Diefes neue Gedicht des Gommobian befteht aus
1021 Verfen, und Pitra hat bemfelben bie Ueberſchrift
gegeben: Commod. ep. africani, Carmen apologeticum ad-
versus Judaeos et gentes. (ὅτ meint, während die früher
befannten Verſe befonders gegen die Heiden gerichtet ger
weſen, beziehen fid) bie neu entbedten befonders auf die
Juden, beren es in Afrifa eine fehr große Zahl gegeben
habe. Wir erlauben uns hier eine andere Vermuthung
auszufprechen: wir glauben, bie neu entbedten Verſe feien
nur eine andere, vielleicht frühere, vieleicht fpätere Bear
beitung eines unb befjelben Inhaltes.
An biefe Verſe des Gommobian [djiefen fij) reich:
lide neue Mittheilungen aus bem verloren gegangenen
Schriften des Bifhofs unb feit 1851 „Kirchenlehrers“
Hilarius von Poitiers. Unfere géfer werden ohne Zwei⸗
fel mit uns in dem Gedanfen zufammentreffen, bag Faum
etwas mehr zur Erhebung unb zum Ruhme des neuen
„Kirchenlehrers“ Hilarius beitragen fonnte, als bie Ent
bedung neuer foftbarer Schriften beffelben. | Darüber fpricht
fid) Pitra eben fo fhön als wahr aus (p. XXVL bet
Prolegomena). „Ein glüdlihes oo hat εὖ gefügt, daß
Spicilegium Solesmense. 123
m berfelben Zeit, in welcher 'auf bie Bitte des Concils
von SBorbeaur, dad Defret SBabft Pius IX. dem chriſtlichen
Erdkreis verkuͤndete, daß der heilige Hilarius von Poitiers,
in Folge Beſchluſſes des apoſtoliſchen Stuhles, in der
ganzen Kirche die Ehre eines Kirchenlehrers genießen ſollte,
zu dieſer Zeit alſo, durch die Gnade Gottes, ein herrliches
Bar eines fo großen Lehrers fid) in meinen Händen bes
fand, yäamlicy defien Gommentar über bie vierzehn Briefe
des Apoſtels Paulus, ber jept, foweit derfelbe noch nicht
befannt ift, an bie Deffentlichfeit treten fol." Den Gom»
mentar des Hilarius fennt nod) das zweite Concil von
Sevilla, das unter dem berühmten Sflbor von Sevilla ger
halten wurde; ja nod) Johannes Veccus ober Beccus,
SBatriard) von Eonftantinopel, und flandhafter SBertfjeibis
ger der Union mit ben Lateinern — blühte um 1275 —
hat eine Stelle aus dem Kommentar bes Hilarius citirt.
In der öffentlichen SBibliotbe von Amiens fand fid) ein
aus ber Bibliothef von Alt» Corvei dahin gefommener
Eoder mit ber Meberfehrift: Incipit tractatus sancti Ámbrosii
in epistolis beati Pauli ap., beftehend aus 2 Bänden. Der
erſte Band enthält ben Gommentar des fogenannten Ambro⸗
fafter über die drei erften pauliniſchen Briefe. Der Inhalt
diefer Gommentare fhien bem Dom Pitra im Ganzen
übereinguftimmen mit den unter dem Namen des Ambros
fiafter gebrudten Gommentaren über bie erwähnten 3 Briefe.
In bem zweiten Bande des Gober von Amiens fanden
bie Gommentare zu ben übrigen pauliniſchen Briefen, mit
. Ausnahme des an bie Hebräer. Der Inhalt biefer Gom»
mentare nun ift total verjdjieben von bem befannten bes
Awmbroſtaſter über biefelden übrigen pauliniſchen Briefe.
Der gelehrte Motel glaubte in dem Afrikaner Tichonius
124 Pitra
ben Berfaffer ber in Rebe fichenden Gommentare gefuns
ben zu haben, und ein Mauriner in der Literaturgefehichte
von Frankreich (Bd. ΧΙ. Avert. VI) glaubte fo feft daran,
daß er fagte: „Endlich ift der Achte SBerfaffet des Com⸗
mentaré entbedt worben, welder unter bem unterfhobenen
Namen des Ambrofius herumgetragen wird." Die über
geugenden Gründe nun, aus denen Pitra zu beweiſen
fudt, daß Hilarius ber gefuchte Verfaffer jener 10 pau-
linifchen Briefe des Gober von Amiens fei, muß man in
feinen Prolegomena felbft nadjfefen; denn eines gebräng-
ten Auszuges find fie faum fähig (1, c. €. XXVL bie
XXXV). In dem gegenwärtigen 1. Bande hat uns Pitra
aus dem Gober von Amiens den Gommentar zu bem
Galater » und Epheferbriefe vollftändig mitgetheilt, fowie
den Gommentar zu bem paulinifchen Briefe an Philemon.
In legterm Commentar hat Hilarius befonders eine vors
treffliche Auseinanderfegung des Berhältniffes zwiſchen Herrn
und Sklaven gegeben. Seine Worte pafjen, nad Pitra,
aud) heute nad) 15 Jahrhunderten fo, als ob fie aus unb
über die Gegenwart gefehrieben wären. Von ben Gom»
mentarien zu ben übrigen 7 paulinifdjen Briefen hat Pitra
„lectiones quaedam et loca edilis addenda* herausgege-
ben. Wie fij der ſchon im 9. Jahrhundert in boppelter
Verfion vorhandene fogenannte Ambrofiafter zu ben Bries
fen des Hilarius verhalte, hat Pitra in ben Proleg. einis
germaßen ausgeführt. Doc ift ect von der Zufunft eine
vollfommene Ausfheidung ber Beftandtheile der verſchiede⸗
nen Gommentare zu erwarten, welche unter bem Namen
des Ambrofiafter vorhanden find. Ueber bie Mittheilung
ber oben angeführten Gommentare von Hilarius in bem
vorliegenden Spieilegium ſpricht fid) SBitra alfo aus: „An
Spicilegium Solesmense. 125
bie erfte Stelle haben wir bie vollftändigen Abhandlungen
zu den Briefen an die Galater und Ephefier gefebt, welche,
foviel wir wiffen, bis jet Niemand herausgegeben hat;
mit Ausnahme weniger Fragmente bei anfranc (in beffen
paulinifhen Briefen), welche wir jevesmals in den Noten
angezeigt haben. Dann haben wir in Betreff der 7 uͤbri⸗
gen Briefe dasjenige ausgezogen und mitgetheilt, was
Slabanué Maurus ausgelaffen hatte. Was wir aber in ben
Werken des Rabanus (biefe Werke find gleichfalls im
Jahre 1852 in 6 Boden als Fortfegung ber Patrologie
des Abbe Migne erfhienen) als Auszüge ‚des Ambrofius
gefunden haben, ift alles fo entftellt und verborben, daß wir
(ὁ für unfere Pflicht gehalten haben, biefen Tert nad)
Kräften zu verbeffern, indem wir bie vorzüglichen Lesarten
des Eoder von Eorvei ausgewählt haben: fo fam εὖ, daß
beinahe bie Hälfte ber Abhandlung über Titus ans Licht
getreten ift. Zuletzt haben wir bie Erflärung des Briefes
an Philemon ganz mitgetheilt, welde eine Vergleichung
mit der Erklärung beffelben Briefes durch Hieronymus
nicht zu [deuen hat. Den Verluſt der Erklärung des
Brieſes an bie Hebräer, weldje Hilarius gleihfalls Hinter
laffen hat, werden wir einigermaßen verſchmerzen fönnen
durch ben SBefi des Auszuges, den Primafius davon ges
macht hat." An biefe Werke des Hilarius fließen fid)
2 weitere exegetiſche Mittheilungen an, von denen bie erfte
überfehrieben ift: „Ejusdem Hilarii fragmentum commentarii
cuiusdam in prima geneseos capita; εὖ ift eine Erflärung
von. Geneſis III, 6. Sod hat. Pitra über bie 9fedtbeit
diefes Fragmentes fein fiheres Urtheil. Es folgt ein zwei ·
tes Fragment aus einem dem Hilarius mit Unrecht zuge⸗
ſchriebenen Gommentare über bie Palmen; denn bet Ver⸗
128 Pim ^|
faſſer erwähnt bie Schriften des Areopagiten. Sodann
folgt eine Anzahl von (114) Verfen „über das Evangelium“,
welche „vemfelben oder einem andern Hilarius“ zugefährier
ben find. Der adte Schriftfteller unfers Spicilegium ift
Biſchof Rheticius vom Autun, ber aber mur mit einem
gang Keinen Bragmente vertreten if. Rheticius war in
dem Donatiftenftreite einer ber Vertrauensmänner der Katho⸗
lifen, und wird von Auguftin und Hieronymus mehrfach
erwähnt. Er fehrieb einen Commentar zu bem hohen Liebe,
auf welden Hieronymus fehr übel zu fpredyen if. Ein
Bruchftüd von einigen Zeilen, das und hier Pitra mittheilt,
und ein Bruchſtück, das und Auguſtin erhalten hat, ift
alles, was bis jebt von Rheticius das Tageslicht erblict hat.
„Möchte bod, fagt Pitra, diefes hinreichend feyn, daß
unter ben zahlreichen handfehriftlichen Gommentaren zu bem
hohen iebe, die ohne Namen unbeachtet daliegen, „aliquis
emunctae naris homo Rheticii nostri^ grande volumen
„tandem inveniat ^ Der 9. Schriftfleller des Spicilegium,
und zugleich ber legte ber erften Abtheilung dieſes Ban
des ift der chriſtliche Dichter Gaju& Vectius Aquilinus Ju⸗
vencus. Bon biefem fpanifhen Priefter und Dichter beſaß
man bis jegt „4 Bücher evangelifdje Geſchichte“ z und bit
befte Ausgabe ift von p. Arevalo, Rom 1792, dem Freunde
und Gehilfen des großen Kardinals oremjani, Sodann
befaß man von bemfefben eine bichterifhe Umſchreibung
des I. Buches Mofis von beftrittener Aechtheit, beſtehend
aus 1441 Herametern, wozu Pitra nod) 54 weitere Berfe
gefunden hat. Sodann fand Pitra des Metrum in Exodum —
b. B. eine dichteriſche Umſchreibung des II. Buches Moſis,
welche jebod) bedeutende Lüden hat, unb, fo wie fie gr
brudt it, 1392 Verfe enthält. Weiter theilt Pitra 586 Verſe
Spicilegium Solesmense. 121
der Umfchreibung des Buches Joſua mit. Sodann: in
Leviticum, Numeros, et Deuteronomium selecta fragmenta,
im. Ganzen 1204 Berfe umjaffenb. Pitra vermuthet, Ju⸗
vencus habe feine „Metra in Heptateuchum* zur Zeit des
Kaifers Julian verfaßt, als ben Ehriften ber Gebraud)
der heidnifchen Schriftfteller verboten war. Er fagt ferner:
(prol. p. 41). „Juvencus ift wohl ber einzige von allen
chriſtlichen Dichtern, welcher fomobl das alte, ald das
neue Teftament (denn ich glaube, daß er die ganze heilige
Schrift behandelt hat) mit gleicher Sorgfalt bearbeitet Dat."
9lad den ,selecta fragmenta“ des. Juvencus folgen nod)
3 Seiten p. 259— 261 altdeutfche Gloffen zu ber evan-
geliſchen Gefhichte des Juvencus. Und damit fehließt bie
erſte Abtheilung diefes Bandes.
Der zweite Theil geht in fortlaufenden Seitenzahlen
von ©. 205 bis 595. Er enthält Golleftaneen, oder Aus-
füge und Sammlungen, welche fpätere Schriftfleller aus
frühern Schriften zu gewiflen Zweden gemacht haben.
Diefe Eolleftaneen entftanden zuerft zu dem Zwede, um
Ipätere Härctifer burd) bie Zeugniffe früherer Väter zu
widerlegen. Das erfte Beifpiel einer folhen Sammlung
von Eitaten tritt uns im ber erften Sigung ber Synode
von Ephefus 431 entgegen (Mansi conc. T. IV. 690).
Daffelbe that Leo I. in feinem erften Schreiben an Flavian,
und in feinem zweiten an ben Kaifer eo. Damit ftebt
in Zufammenhang das fogenannte Decretum Gelasianum,
welches bie fird)lid) zu billigenden, und nicht zu billigen»
den Bücher aufführt. Die Sitte wurde bald eine allges
meine, maffenhafte Eitate ber Väter über einen beſtimmten
Gegenftand neben einander zu ftellen. Don ben erwähn«
ten Golleftionen oder Sammelwerfen hat uns Pitra in
128 * Pte
feinem 2. Theile 3 Sammlungen miigetheilt: bie Scholien
des Victor von Gapua; eine Sammlung des Johannes
Diafonus und eine dritte Sammlung von bem B. Nice
phorus. Viktor, Bifhof von Gapua, war ein Zeitgenofie
des Caſſtodor. Er. verfaßte nad) Trithemius 5 Werke:
bie Evangelienharmonie des Ammonius von Alexandrien
überfegte er in das Lateinifche, und gab einen Oſtercyklus
heraus, ben er bem von Bictorinus von Marfeille ange
fertigten Cyklus entgegenflellte. Berner ſchrieb er, nad
Pitra, „Scholia in Genesim*, nad ber Weife der Scho⸗
lien des Origenes, bie er aus frühern Vätern jufammene
ftellte. Seine Quellen, aus denen er auszog, waren qu
ετῇ Polykarp, aus beffen Buche: Liber responsorum, über
deffen Aechtheit natürlich ftatfe Zweifel obmalten, SBiftor
2 Fragmente mittheilt, die bei Pitra in erfter Linie fteben.
Es folgen fobann aus Drigenes 6 Heine Fragmente, wie
überhaupt die folgenden des Viktor unb Johannes in las
teinifeher Ueberſetzung; bie Bragmente beziehen ftd) auf Stel:
len im I. und IL Buche Moſis und find aus verlorenen
Schriften des Origenes entnommen; aus einem Buche deffel»
ben περὶ φύσεων, einem Buche: de Pascha; einem Briefe „ad
Gobarum“, unb zwar brei von biefen 6 Fragmenten, end»
lid) einem Briefe an Girmilian von Gáfarea. Ein kurzes
fragment ift aus einer verlorenen Schrift des Baſilius
von Cäfarea entnommen, ein anderes aus ben befannten
Homilien des Severian von Gabala zu bem Gedétage
werk, das aber, wie wir wenigftend vermuthen, in bem
griechiſchen Urtert noch vorhanden ift, unb Hier nur in
freier Weberfegung vorliegt; folgt fobann ein Feines Bruch⸗
füd aus bem Buche: Sermones seniorum. Dagegen
werden uns 322 Sragmente aus den Scholien des Diodor
Spicilegium Solesmense. 129
von Tarfus in Exodum mitgetheift. — An bie Sammlung
des Viktor von Gapua fehließt fid) die des römifhen Dia«
lon Johannes, nad) einigen bes fpätern Papſtes Johan⸗
nes II. Sie trägt ben Titel: Expositum Johannis — in
Heptateuchum — ift alfo gleichfalls eregetifchen Inhalts.
Ber aber ift biefer Sofanneó unter 9 Männern dieſes
Namens? Nach Pitra Johannes IM, römifher Papſt von
560 — 573. Die Auswahl der von ihm angeführten Aus⸗
zuͤge früherer Väter ift reichhaltiger, als bie des Viktor
von Gapua; er bringt größere ober geringere Auszüge aus
Clemens von Rom, aus dem vorhandenen erften Briefe
an die Corinther, und aus einer Anzahl anderer Kirchen«
väter; zum Theil ganz neue Stellen, zum Theil (djon vor«
handene Stellen in einer alten Ueberfegung. Aus bem
Oftercyklus des Viktor von Gapua giebt Johannes einen
größern Auszug. Bolgt fobann der f. Nicephorus, Patriarch
von Gonftantinopel 806 unb Hauptgegner ber Bilderſtuͤr⸗
mer, von befjen Werfen bis jet feine vollftändige Aus-
gabe vorhanden war. Diefe Ausgabe aber erſcheint in
biefen und in ben folgenden Bänden des Spicilegium.
Durch ein eigenes Schidfal wurden die Schriften unfers
Nicephorus von ben fpätern Griechen bem Theodor Grape
tus zugeſchrieben. Pitra hat einen vortrefflihen Eoder
des Nicephorus in der Parifer, jebt Faiferlichen Bibliothek
gefunden, welcher die ‚Grundlage feiner neuen Ausgabe
geworben. Die Schriften des Nicephorus aber find: 1) „de
immaculata christianorum fide", 2) „antirrhetici libri tres“,
gegen ben Kaifer Eonftantinus Copronymus, ober „Widers
legung und Vernichtung der leeren Einbildungen, welde
der gottlofe Mamonas (fo nennt er ben Kaifer) gegen
die Heilbringende Menſchwerdung des Wortes Gottes ein»
eol. Duartalfrift. 1858. I. Heft. 9
130 Pitra
fältig und gottlo8 ausgefprodhen hat.“ An blefe 3 Bücher
fließen ſich „achtzig Seugniffe der Väter", welche in dies
fem erfen Bande des Spicilegium ſtehen. Theilweife find
diefe Zeugniffe in ben Lect. ant. von Basnage lateiniſch
erſchienen. Die dritte Schrift des Nicephorus ift ber
„Antirrheticus duplex contra Eusebium et Epiphanium‘,
beffen erfter Theil, ber Antirrhetifus gegen Eufebius, gleiche
falls in biefem erften Bande des Pitra fteht. Es ift eine fehr
weitläufige Widerlegung eines Briefes des Eufebius von Caͤ—
farea an die Gonftantia, bie Schwefter des Kaifers Conſtan⸗
tin. Die vierte Schrift des Sticepforue ift: Antirrheticus liber
de Magnetis testimoniis, welche fid) gleichfalls in unferm erften
Bande befindet. Die fünfte Schrift. trägt ben Titel: „Ein
Bud) gegen bie Gott[ofen, welche e8 gewagt haben, das Bild
Gottes ein Goͤtzenbild zu nennen" u. ſ. w. Man ftebt, daß
diefes Werk gegen bie Bilderftürmer gerichtet ift. Das ſechste
Werk des Nicephorus ift gleichfalls gegen bie Bilderſtuͤr⸗
mer, unb zwar gegen bie von Kaifer Leo bem Armenier
berufene Aſterſynode gerichtet; Beftandtheile daraus hat
Eombefis mitgetheilt. 7) Gedichte von Nicephorus, mit
der Meberfchrift „de jejunio monachorum^ find nur durch
das Zeugniß eines einzigen oder beglaubigt. 8) Auch
bie von Nicephorus erfchienene Sammlung von Ganoneé
bedarf mod) einer neuen beridtigten Ausgabe. 9) Zwei
Briefe von Nicephorus; leider find fehr viele Briefe deſ⸗
fefben verloren gegangen. 10) Die Hiftorifhen Werke des
Nicephorus wurden zwar öfter gebrudt; bod) ermangeln
fie bis jeßt einer genauen und vollftändigen Ausgabe. Die:
Chronologia brevis nebft ber Stichometria, ift fiebenmal
griechiſch ober lateiniſch gebrudt morben, wovon breimal
im Gefolge ber Byzantiner, unb neulich durch Dindorf,
Spicilegium Solesmense. 181
deſſen Ausgabe indeß Grebner in Gießen febr mangelhaft
nannte. — Dieſes Geſchichtswerk des Nicephorus reicht
von Erfhaffung der Welt bis zum Jahr 828. Ein ans
deres Geſchichtswerk it: 11) Breviarium historicum, geht
vom Jahr 602, oder von bem Kaifer Phofas bis zum
Jahr 770, und wird den meiften andern Byzantinern vor⸗
geyogen, nur eine allzu gebrängte Kürze an demfelben
ausgefegt. Es ift herausgegeben worden burd) Petavius
1616; mit den byzantinischen Geſchichtsſchreibern — Paris
1648 und Venedig — 1729; endlich in ber neuen Bonner
Ausgabe der Byzantiner burd) SBeffer 1837. — In Ber
ziehung auf das Leben des Nicephorus befigen wir von
einem feiner Schüler, Ignatius, das Werk: Acta sancti
' Patriarchae, in welchem widiige Aktenftüde enthalten find,
+ 9. eine Collatio de sanctis imaginibus, melde der Pas
triarch oͤffentlich mit dem Kaifer hielt, welche Collatio fid)
«ud bei den Bollandiften in dem Leben dieſes Heiligen
findet — 13. März. — Diefe verfdiedenen Werke des
Ricephorus follen mun zum erfen Male in einer Ge-
fammtausgabe von Pitra erfheinen, natürlich mit Beifügung
tinet — befonders ſchwierigen — lateiniſchen Ueberfegung.
Damit hat er bereits in biefem Bande ben Anfang ger
macht durch. bie Herausgabe der oben genannten 3 Werke,
Bor diefer Thätigfeit des Dom Pitra wird man um fo
mehr Refpelt befommen, wenn man von ihm vernimmt
(Prol. p. 76) daß er bei ber Herausgabe ber Patrologie
bé Abbe Migne vorzugsweife betheiligt, daß er bie Ausr
wahl der Ausgaben und die Reihenfolge der einzelnen
Berke (fowie, wo εὖ nöthig war, bie neuen Ausgaben)
beſorgt Habe. Als et biefe Zeilen fd)rieb, waren von der
Patrologie. 115 Bände erſchienen, heute befipen wir deren
9*
192 Pim. 7^
fon 124, welche bis zum Ende des 9. Jahrhunderts
reichen. Weiter fügt Pitra hinzu: „Neque etiam is ego
sim, his laboribus exantlatis, qui audacter asseverem me,
aut dum nova profero, non decipi, quod eruditissimis
antecessoribus meis plus semel accidit, aut in edendis
hisce anecdotis optimum semper codicem ac omnium
semper integerrimum adinvenisse.^ Den erwähnten neuen
Mittheilungen des Pitra in biefem feinem erften Bande,
welche mit bem reichften gelehrten Apparate verfehen find,
fliegen fij am Ende des Bandes nod 6 appendices
und 6 indices an. Der erfte Appendir enthält eine (don
erwähnte bem Irenaͤus zugefehriebene Homilie. Der zweite
fehr werthuolle Appendir enthält bie „Fragmenta versionis
coplicae libri synodici de I. concilio oecumenico nicaeno,
welche Fragmente zum erften Male von Georgius Zoega
aus dem borgianifhen Mufeum herausgegeben wurden,
jet zum zweiten Male erfcheinen — cum emendationibus
et notis et versione latina plane nova — herausgegeben
von Carl Lenormant, Mitglied des Inſtituts. Diefe neue
Mittheilung und Weberfegung der koptiſchen Fragmente
des alten Nicäner Goncilà ift um fo wertpooller, als bie
Ausgabe des Zoega beinahe verſchwunden, und faum mehr
ein Exemplar derfelben aufzutreiben if. Der Akademiker
Senormant hat in ben Verhandlungen ber Afademie das
Toptijde Bragment des Nicäner Eoncils [don ausführlich
bearbeitet, und theilt uns Bier mur einen Auszug aus
feiner größern Arbeit mit. Das Foptifhe Fragment ber
ftebt aus 4 Seien. Für unfere Lefer wird befonders
ein Verzeichniß der in Nicka anmwefenden- Bifhöfe inters
effant feyn, das fid) in diefem koptiſchen Fragmente findet.
Aus Aegypten waren 15 Bifchöfe anwefend, welde mit
Spicilegium Solesmense. 138
ihren Sigen angeführt werben, darunter ber nachher ver^
bannte Secundus aus Ptolemais. Aus beiden Lybien
waren 6 Bifhöfe anmefenb. Wir finden aber weder
unter biefen nod) unter ben voranftehenden Biſchoͤfen ben
Namen des Arianers Theonas von Marmarica. Aus
Spaláftina waren 19 Bifhöfe antvefenb, darunter Asclepias
von Gaza und Eufebius von Cäfarea; aus Phönizien
12 Bifhöfe. Aus bem untern Syrien fanden fij 14,
aus dem obern.9 Bifchöfe ein; aus Arabien 6 Bifchöfe,
nämlih von SBofita, Philadelphia, Jabruda, Goboma,
Batanen und Dionyfias. Aus Mefopotamien waren 5
von Gbeffa, Nifibis, Rhefana, wohl bem Rheſee der Bibel,
Süacebonopolió und (Perfis) Bifhöfe; aus Eilicien eilf;
aus Gapabocien adjt anwefend. Aus Großarmenien werden
sir, aus Kleinarmenien zwei; aus Pontus drei; aus bem
Bontus Polemoniacus drei; aus Paphlagonien drei; aus
Galatien fünf; aus ber Provinz Afien ſechs; aus Lydien
acht; aus Phrygien fieben; aus Pifidien zwölf; aus Lycien
wei Bifchöfe angeführt. Noch ftebt Pamphylien mit 7
Biihöfen; hier aber ift das Verzeichniß leider abgebrochen,
fei e$, wie ber Herausgeber fagt: „injuria temporis, vel
potius christianae pacis inimicorum.* Die Angeführten
maden zufammen 166; und es fehlen zu ben 318 nod
152, deren Sige wir befonderd in Europa, unb zwar in
den europäifhen Provinzen des morgenländifchen Reiches
zu fuden haben. Daß Hoftus von Gorbuba bem Goncil
präfidirte, ift befannt. — Das Alter diefer Foptifchen Ueber⸗
fegung feßt Lenormant theilmeife nod) in bie Zeit Gonftantin
des Großen, theilweife in bie feines Sohnes Eonftantius. —
Der dritte 9lppenbir in unferm Spicilegium ift ein Excursus
in Commodiani carmen apologeticum novis curis emendatum ;
434 Pitra Spicilegium Bolesmense.
der vierte Appendir enthält eine Ueberſicht und Auszüge der
SDiffertationen des Magnus Erufius über den myfleriöfen
Hriftlihen Schriftfteller Magnes, mit Zufägen bed Dom
Pitra. Der fünfte Appendir enthält eine Sammlung von
Erflärungen der berühmten griechiſchen Inſchrift von 9futun,
woran fid) aud) zwei deutfhe Gelehrte, Windiſchmann in
Münden, und Franz in Berlin, verfuht haben. Der
ſechste Appendir des Pitra enthält Zufäge unb Verbeſſe⸗
rungen zum erften unb zum zweiten Theile. Diefen Appens
dices folgen bie vortrefflihen ſechs Indices, in deren Ans
fertigung, wie befannt, die alten Mauriner eine fo große
Ausdauer und Sertigfeit Defafen. Man benfe nur an die
vortrefflihen Indices zu den Schriften des 51. Auguſtin.
Der erfte Inder des Dom Pitra ift eine Angabe der in
feinem Spicilegium vorfommenden Stellen ber 5f. &drift.
Es folgt fobann ber Index auctorum, quorum opera vel
loca insignia in hoc tomo novam ad lucem, proferuntur
aut illustrantur. Daran [djieft fid) 3) ber Index rerum
et sententiarum. Es folgen 4) ein Index glossarum;
5) ein Conspectus rerum praecipuarum, quae in pro-
legomenis, notis et appendicibus exiguntur; enblid) 6) ein
Elenchus rerum, quae in tomo 1. Spicilegii Solesmensis
continentur. Dom Pitra fehließt feine Prolegomena zu
diefem Bande mit ben Worten: „Möge diefes ber einzige
Kohn meiner "Arbeit feyn, daß biefelbe, fo gering fie aud)
ſeyn möge, ber Kirche, ber Säule und Grundfefte ber
Wahrheit, gefalle; freudig unterwerfe id) ihrem Urteile
alles, was je von mir herausgegeben worben ift, bereit
alles dasjenige zu verbeffern unb zu widerrufen, was fie
mid) verbeffern unb widerrufen heißt." Wir aber fließen
dieſe Anzeige mit dem lebhaften Gefühle der Bewunderung
Ficker, Reinald v. Daffel, Meichöfanzler von Köln. 135
und bed Dankes gegen biefen Mann und biefem Orben,
ber burd) alle Jahrhunderte folhe Männer in feinem
Schooße genährt unb gepflegt hat. —
38. Game.
2.
Heinald von Daſſel, Reichskanzler und Erzbiſchof von Köln
1156—1167. Nach ben Quellen dargeftellt von Iulius
Siker. Köln 1850, VIL 152 €, 8, Pr. 45 fr.
Der Kirhenfürft, befen quellenmäßige Darftellung
fi 9. Ficker zum Gegenftanbe feiner Unterfuhung ger
mat hat, ift fo innig mit der erften Regierungsepodhe
Friedrichs 1. verflochten, daß biefelbe ohne bie genauere
Kenntniß des Charakters unb ber Thätigfeit jenes nicht
tihtig gewürdigt werden fann. Von bem an bem rechten
Ufer der Wefer reich begüterten Gefchlechte der Grafen
don Daffel abftammend unb auf der Stiftöfchule zu Hils
desheim gebildet, befleidete Reinald feit bem Jahre 1149
die Stelle eines Dompropſts an ber genannten Kirche,
mit welcher er bald noch mehrere andere Würden vers
einigte. Nachdem er (don vorher von Friedrich L zu
Stantsgefchäften verwendet worden zu fein ſcheint, wurde
er von bemfelben wahrfheinlih im Jahr 1156 zu bem
wichtigen Amte eines Reichskanzlers befördert. Von welcher
ÜBebeutung biefe Wahl für Reich unb Kirche jener Zeit
war, dürfte ſchon von vorneherein aus ber Hinweifung
auf den Charakter diefer Perfönlihfeit erhellen, welchen
der H. Verf. ©. 12 f. alfo fdilbert: „Durchdringender
Verftand, großer Scharffinn, Gewandtheit, Schlauheit und
Vorfiht, verbunden einerfeits mit glängender Berebfamfeit
136 Wider, Reinald v. Daffel,
und wiſſenſchaftlicher Bildung, andererſeits mit einer aus
dauernden und unermüdlichen Thätigfeit, machten ihn zur
Leitung der Stantögefhäfte geſchickt, und wie bie Beber
wußte er aud) das Schwert zu handhaben; an ritterlichem
Sinne, an Unerfchrodenheit und perfönlicher Tapferkeit,
an Abhärtung gegen bie Mühen und Befchwerden bes
Kriegslebens gab er feinem feiner Genoffen etwas nad.
Laſſen fid) Härte gegen Beſiegte, verlegender Stolz gegen
Gleichgeſtellte nicht làugnen, fo wußte er andererfeits durch
Milde und Leutfeligfeit und burd) eine unbegrenzte Frei⸗
gebigfeit bie Untergebenen zu gewinnen. Seine Enthalt-
famfeit wird gerühmt in einer Zeit, wo ein ausſchweifen⸗
ber Lebenswandel bei weltlichen wie geiftlihen Großen
feine Seltenheit war; felbft feine Beinde, bie ben Schis—
matifer aufs Heftigfte angreifen, wagen es nicht, fein
Privatleben anzutaften. Die Hauptleidenfchaft aber, bic
ihn beftürmte, fdeint vor Allem ein ungemeffener Ehrgeiz
gemefen zu fein, beffen höchfte Befriedigung er im Siege
feiner Parteianſichten fuchte; bie weitere Darftellung wird
zeigen, wie er fein Mittel fdjeute, das zu biefem Ziele
führen fonnte, wie fein ftofjer und unbeugfamer Geift ihn
vor Feiner Confequenz bes einmal gethanen Schrittes zur
ruͤchſchrecken ließ. Wenige feiner Zeitgenofien waren mit
größeren Mitteln ausgeftattet; er war eine Perfönlichkeit,
die ihres Einfluffes auf ben Gang der Begebenheiten
fiber fein mußte, zumal in einer Zeit, wo bie Vermittlung
ihr Ende erreicht zu haben, und Alles auf Löfung durch
offenen Kampf hinzudeuten [dien." So war fer Mann
beſchaffen, welcher ‚nit blos mit aller Energie in ben
Plan Friedrichs L, den antifen Abfolutismus mit ber Idee
des chriſtlich⸗ germaniſchen Kaiſerthums zu vermiſchen, eine
Reichskanzler von Köln, 4137
gieng, fondern benfelben aud) bis in das Auferfte Extrem
gu verfolgen fid) beftrebte. Eine Gelegenheit, feine ſtaats⸗
maͤnniſchen Kräfte zu erproben, bot Reinald bereit ber
Streit Hadrian IV. mit dem Kaifer bar D. Auf bem
Reihstage zu SBefangon (1157) war er εὖ, welder ben
beut[den Fürften das Echreiben des Papſtes und zwar
in fo gehäffiger Weife verdeutfchte, daß bie Bifhöfe εὖ
nit wagten, für Hadrian das Wort zu ergreifen. Daß
der genannte Papft in dem Kanzler feinen gefährlichften
Gegner erkannte, davon liegen zahlreiche Anzeihen vor
(5. 17 f). Sa, ε find fogar mehrere Aftenftüde vot»
handen, melde ben von Seiten der Faiferlichen Partei ge»
faßten Plan bloß fegen, damals (1158) bie deutſche Kirche
von Rom loszureißen und in dem Erzbifhofe Hillin von
Trier einen deutfhen Papſt aufjuftelen. Schon lange
habe man, fehreibt der Kaifer an den genannten Erzbifchof,
gelacht über die Einfalt ber Deutfchen, bie fid) ben Aus-
Íprüdyen eines fremden Papftes unterwürfen, während ber
Ürbfrei ber Gewalt ihrer Rechten nicht widerftehen Fönne.
Er aber, ber Erzbiſchof fei Primas bieffeité der Alpen
und das Herz des Reichs; feine Metropole, das berühmte
Trier, {εἰ ausgezeichnet vor allen Städten duch ben Beſitz
des ungenähten Kleidves des Herrn, während ber Papft
1) 3n bem Borwort ©. VIII bemerkt der H. 8e: „Ob ein
anderes neues Werk: „„Pope Adrian IV. an historical Sketch by
Richard Raby. London 18494* für Reinalds Geſchichte bisher Uns
belanntes enthält, weiß ich nicht zu fagen, da es mir mod) nicht zu
Gefichte gefommen iſt“ Stef. geſteht, mit großer Begierde nach biefem
Jude gegriffen zu haben, mad) beffen Durchlefung er jebodj leider das
Urteil ablegen muß, daß εὖ bie Gefchichte des genannten Papftes, des
txjgem Englanders welcher den römifcen Stuhl befieg, in feinem
einigen Punkte weiter geförbert Hat,
138 der, Reinald v. Daffel,
das Kleid des Herrn, die Kirche, zerrifien habe. Es werde
bem Papſte genommen werben; er folle an beffen Stelle
treten; er ber Erſte fein unter allen nad) bem hl. Petrus,
der ihm nicht ohme Bedeutung feinen Stab. hinterlaffen
babe, während ber Papft nod) immer ohne Stab einher
freite; daher verfüge er fraft Kaiferlicher Machtvollkom⸗
menfeit, daß Jeder aus bem Reiche bieffeitó ber Alpen
fid nicht mehr nad SBiterbo zum neuen, fondern nad
Trier zum zweiten Rom wenden folle. Er, ber wahre
Nachfolger des HI. Petrus, möge fid) daher erheben gegen
ben, ber fid faͤlſchlich „Statthalter Petri“ nenne, und
feine Sufftagane zur Beiftimmung bewegen (8.19). Wenn
aud) diefer Plan aus verfdjiebenen Gründen nicht aus
geführt werden fonnte, fo wurde er bod) fpäter in anderer
Form wieder aufgenommen, infofern ber ihm zu Grunde
liegende Gedanke einer Territorialfiche nad) Hadrian’s IV.
Tode durch bie Wahl ber Gegenpäpfte zur Verwirklichung
fam. Hadrian aber flete fid) feinerfeits auf das ente
gegengefegte Ertrem, fpra Friedrich gegenüber davon,
daß bie beut(djen Könige durch päpftliche Verleihung Kaifer
feien, unb daß ganz Italien bis an bie Alpen dem Papfte
als Gigentfum gehöre, in welchem der Kaifer Feine andere
Gewalt habe, al& bie Rechte des Papftes zu fügen, und
drohte mit ber llebertragung des Saifertbumé an bie
Griechen: — Als Reinald im Anfange des 3. 1159 auf
SBerlangen Sriebridjó I. zum Erzbiſchof von Köln erwählt
wurde (©. 49 f.), wurde die Wahl, wie vorauszufehen
war, von $abrian IV. verworfen.
Nah bem fury darauf erfolgten Tode des genannten
Bapftes hatte Reinald, welcher von nun an in der Doppels
ftelung eines tirdpenfürften und hohen Staatsbeamten
Weichelanzlet von Köln, 189
aufteitt, während fein Zeitgenofie, Thomas SBedet, fogleich
παῷ feiner Wahl zum Erzbiſchof von Canterbury das
Siegel an Heinrich IL in die Normandie ſchickte — ben
hauptſaͤchlichſten Antheil. Auch fiel ihm die ſchwierige
Aufgabe zu, bem kaiſerlichen Papſte, Victor IV., bie An⸗
erlennung der Könige von Frankreich und England zu vers
ſchaffen, forie bie firengen Edicte der Verfammlung von
Pavia in bem beutídjen Reiche in Vollziehung zu bringen.
Außerdem ftand er in Italien bem Kaifer in feinen Maps
tegeln gegen bie Lombarden jur Seite. Er war e, wels
der feinen Haß gegen Mailand fo weit trieb, daß er ben
Kaifer zur Zerftörung der herrlichen Stadt beftimmte, und
dann ‚Die Streitfräfte der italienifchen Seeftäbte zum Kriege
gegen die 9tormannen in Neapel und Gicilien, an denen
Aerander MI. feine hauptfächlichfte Stüge hatte, an fid)
m ziehen fuchte.
Bon großer Wichtigkeit für die Kenntniffe der kirchlich⸗
politifchen Plane der Faiferlichen Partei, welche in Reinald
ihren Fühnften und meitgreifenbften Träger hatte, ift beffen
Auftreten zu Sean de Losne und zu Dole. An dem erftern
Orte erklärte er gegenüber bem Könige von Brankreich,
nie werde der Kaifer eine Einmifhung Fremder in bie
Angelegenheiten der römifchen Kirche, bie zu feinem Reiche
gehöre, und deren Schugpropft er fei, dulden. Das Urtheil
über bie Papſtwahl gebühre nur den Bifchöfen des Reihe;
von Rechtswegen müffe der König mit feiner Geiftlichkeit
ber Entſcheidung jener beipflichten. Mit Recht erwiderte
Ludwig, ob denn ber Kaifer nicht wiffe, daß ber Sohn
Gottes bem DI. Petrus und damit ben Nachfolgern des⸗
feben alle feine Schafe zu weiden übergeben habe?
Ob er dabei etwa die Könige von Frankreich und bie
440 Fider, ϑιάποῖο v. Sof,
franzoͤſiſchen Bifchöfe ausgenommen habe (€. 46 ()? Zu
Dole aber äußerte er fd) vor ben geiſtlichen und weltlis
hen Reihsfürften, welche zur abermaligen Anerkennung
fBictoró IV. zufammenberufen worden waren, die Einmis
fung biejer Provinzialfönige in bie Angelegenheiten ber
Kirche {εἰ eine Bermefienheit und eine Beleidigung des
Kaifers. Denn wenn in einer ihrer Städte eine flreitige
Biihofswahl flattgejunben hätte, und der Kaifer wollte
darüber entſcheiden, fo würben fie das ohne Zweifel für
eine arge Beleidigung anjeben, während fie baffelóe zu
Rom, einer ihnen fremden Stadt zu thun wagten. Treff⸗
lid) würdigt ber Verfaſſer (S. 48 f.) diefe ber ganzen
chriſtlich⸗ germaniſchen Anfhauung von bem Berhältnifle
des Saifertbumó zu bem Papſtthume Hohn ſprechende
Theorie, indem er feinem Greurfe (E. 50) folgende Ber
merfungen beifügt: „Und fo tritt uns hier wieder, wie
fhon im Jahr 1158, ber Gedanke der Territorialfiche
entgegen. Damals, wo man faum hoffen fonnte, Gabrian'é
Einfluß in Italien zu brechen, verſuchte man die Herſtel⸗
fung einer deutfchen Kirche burd) Losreifung von Rom;
Reinald's jetzige Pläne würden umgefehrt burd) Aus
ſchließung der fremden Staaten von Rom zur Reichskirche
geführt haben, wenn anders folhe Pläne im 12. Saft.
hundert überhaupt ausführbar geweſen wären, bann aber
wäre mit dem Papfithume audj das Kaiferthum in feiner
bisherigen Bedeutung, in ber es ebenfowohl wie jeneó
in ber Einheit der Ehriftenheit wurzelte, zu Grabe ge
tragen; ber beiden Schwerter Glanz wäre erblichen, und
ſchwerlich Hätten die Lehren ber Gefegbücher Juftinians
hinreichenden Erſatz gewährt.”
Victors IV. Tod bot dem Kaiſer die geeignetſte Ge⸗
Relchekanzler von Köln. 441
legenheit bat, dem Schisma, burd) Ausföhnung mit Ale⸗
rander HL, welcher die Anerkennung des größten Theile
der Eatholifhen Welt erhalten hatte, ein Ziel zu ſetzen.
Aber während Friedrich unfdjlü[fig Din» und herſchwankte,
und vieleicht mehr zu Gunften Aleranders IN. fij bins
quneigen fehien, orbnete Reinald zu Rom eigenmädtig,
wie ber Hr. Verfaſſer (S. 55 f. u. ©. 122 ἢ.) gegen
Reuter („Geſch. Aleranders IM. und feiner Zeit 1. 80.
Berlin 1845." ©. 392 ff.) überzeugend nachweist, bie
ſchon hinſichtlich der orm allem Herkommen zuwiderlaufende
Wahl Paſchalis III. an, durch welche die Lage des Kaiſers
nicht wenig erſchwert wurde. Reinald mußte nun von
Reuem dahin arbeiten, die Könige von Frankreich und
England von Alerander IN. abzuziehen. Wenn Dinfidytlid)
des Grfteren in biefer Beziehung wenig Erfolg ju erwarten
war, fo (dien bei Heinrich IL. deffen Streit mit Thomas
Bedet der Faiferlihen Sache eine günftige Wendung geben
m wollen. Wirflic ließ fid) aud) der König von England
bewegen, ben befannten Reichstag von Würzburg burdj
feine Gefanbten zu beſchicken, welche fid) in feinem Namen
bereit erflärten, Alexander II. abzuſchwoͤren. Die Seele
der dortigen Verhandlungen war wieder Reinald, welder
dem Kaifer einen Plan vorlegte, ber offenbar ein permanen-
i$ Schisma bezwedte (S. 79 ff). Uebrigens trat hier,
wie auch bei andern Gelegenheiten, bie zweideutige Natur
des Kanzlers offen an ben Tag. Als ber Erzbiſchof Wich-
mann von Magdeburg auf des Kaifers Verlangen, einen
auf die Anerkennung Paſchalis II. fid) beriehenden Gib
idu ſchwoͤren, erflärte, er werde biefes erft bann thun,
wenn fid) ber Erzbiſchof von Köln zuvor zum Priefter und
Biſchofe habe weihen laſſen, ba erft dann er und bic
142 Eier, Reinald v. Daſſel,
übrigen Biſchoͤfe überzeugt ſeien, daß Reinald ehrlich zu
Werke gehe, weigerte ſich derſelbe, dieſer Forderung zu
entſprechen, offenbar aus dem Grunde, weil er nicht ſein
Schickſal mit dem Paſchalis IIL, deſſen nahen Sturz er
befürchtete, unauflöglih verknüpfen wollte. Bon bem
Kaifer wegen feiner SBerfibie Dart getadelt, mußte er zuerſt
ben Schwur Teiften und das Verſprechen ablegen, in aller
Bälde die Weihen zu empfangen. Daß er jebod) vor
figtig genug war, feine Zufunft fiher zu fielen, geht
daraus hervor, baf unter ben von Friedrich 1. beſchwor⸗
nen Punkten aud) der fiherlih auf jenen ſich beziehende
fid) befand: er werde nie zulaffen, daß bie Ermählten,
die unter fpafdjali ober den von ber Partei beffelben
gewählten Nachfolgern bie Weihe empfangen würden ober
fhon empfangen hätten, wegen ihres Gehorfams gegen
denfelben ihrer Aemter oder geiftlichen Würden entfeht
würden (6. 84). Zwar entzogen (ij) mehrere bedeutende
geiftliche und weltliche Sürften, welche Alerander II. an^
hiengen, bem Reichstage und leifteten paffiven Wiberftand;
bie übrigen fügten fid) jebod) in die Nothwendigkeit und
leiſteten den ſchmaͤhlichen Eidſchwur. „Wie tief mußte
ſchon“ bemerkt der H. Verfaffer bei diefer Gelegenheit
(5. 87), „die unumſchraͤnkte Herrfhergewalt Wurzel ger
faßt haben, wie tief das Selbftbewußtfein der Reiche
fürften gefunfen fein, wenn faiferfide Machtſpruͤche mur
mod) auf leidenden SBiberflanb fließen, wenn ein großer
Theil der Fürften, fel e$ aus Furt oder Zwang, fei εὖ
aus Eigennug ober knechtiſchem Gehorſam, fid) ihnen fügte,
wenn ber Kaifer und ber, beffen Ginfluffe er fid) blind
bingegeben hatte, e8 wagen konnten, fo bie Nation in bet
Berfon ihrer Sürften mit Fuͤßen zu treten. Kaum bietet
Rriäktangler von Köln, 449
bie deutſche Geſchichte ein klaͤglicheres Bild; zeigte Heinrich
vor Ganofja, was von einem völligen Siege der geiftlichen
Gewalt zu erwarten, fo giebt der Würzburger Reichstag
die Kehrfeite. Biel das Gegengewicht der Kirche, fo
triumphirte der Grunbía& ber Imperatoren — „„quod
principi placuit, legis habet vigorem““ — über bie
Satzungen und Gewohnheiten des Reiches.”
Reinald wiederholte nun abermals feine Bemühungen
gegenüber ben Königen von Branfreih und England, unb
da er nicht zu feinem Ziele gelangte, fo fuchte er wenigftens
beide Könige mit einander zu entzweien (5. 91 f). Nach⸗
dem er fid) dann im Det. 1165 hatte zum Bifhofe weihen
laffen, vollzog er im Einverftändnig mit Paſchalis HL. zu
Aachen bie Heiligfprehung Karls b. Gr., welder ohne
Zweifel eine politifche Abſicht zu Grunde fag, infofern auf
der einen Seite babutd) das Kaiferthum, beffen Idee nad)
ber Anſchauung Friedrichs 1. in Karl b. Gr. am voll
fommenften verwirklicht worden war, mit neuem Glange
umgeben; auf der andern Seite aber Pafchalis III. duch
ben auf ihn zurüdgeführten Act ber Verehrung ber deut⸗
[hen Völfer näher gebracht werden follte. Einige Jahre
feüher (1162) hatte Reinald aus bem gerftórten Mailand
bie Reliquien ber hl. Dreifönige unter großen Gefahren
mad) Köln gebracht und burd) bie an biefelben fid) an»
fließenden großartigen Wallfahrten nicht wenig zu ber
lurz darauf ſchnell emporblühenden Größe feines erzbis
fáoflifen Sihes beigetragen (S. 61 f. 127 ff) Webers
haupt war derfelbe ungeachtet feiner mit der wahren
Kirchlichleit durchaus im Widerſpruch flehenden Haltung
tiftig für die Reinerhaltung des Glaubens, ber Sitten⸗
Wujt und der Bewahrung des Kirchenvermögens feinee,
144 Bilder, Reinald v. Daffel,
erzbifpöfligen Sprengels bedacht (C. 93 f). Während
einer lebensgefaͤhrlichen Krankheit feheint Reinald gegen
bie Einwirkungen der Anhänger Alexanders IIL, welche
ihn als Haupt.der Schismatifer auf ihre Seite zu ziehen
ſuchten, fid nicht gleichgültig verhalten zu haben. Kaum
hatte er jebod) mit der Gefundheit das volle Lebensgefühl
wieder erhalten, als er mit Kraft wieder auf ber alten
Bahn fortwandelte. Er zog dem Kaifer auf fein Ver
langen mit einer Gdjaar Ritter nad) Italien voraus.
Soeben hatte er mit einer unbebeutenben Anzahl Deutſcher,
von ben auf ihn eiferfüchtigen und ihm übelmollenden
Fürften (S. 59 f.) im Stiche gelaffen, über eine unver
+ hältnigmäßige Uebermacht der auf ihn einftürmenben Römer
einen glänzenden Sieg erfochten (S. 109 f), als er im
Jahr 1167 in Folge des in Rom auébredjenben Fiebers
mitten aus feiner Laufbahn gleich vielen andern geiftlihen
und weltlichen Fürſten burd) ben Sob geriffen wurde.
„Mit Reinalds Tode", jo [diet der H. Verfaſſer
feine Darftelung, „war ein Haupthindernig ber Verföhr
nung mit bem Papfte geſchwunden; [don in ber πάζβε
folgenden Zeit that der Kaifer, wenn aud) fürerft erfolg⸗
los, vermittelnde Schritte. Keiner ber Nachfolger Reinalde
hat bie Durchführung feiner Entwürfe in ihrer ganzen
Schroffheit wieder aufgenommen; in ihm war ber Oppor
fition gegen die Unabhängigfeit der Kirche die Spige ab^
gebrochen. Wohl haben mod) lange Reich und Kirche an
den Folgen feines Wirfens gelitten, hat es nod) mandet
Prüfung beburft, ehe ber Kaifer von den ſchwindelnden
Pfaden, auf denen ihn Reinald fortgegogen, dauernd ein
Tenfte auf bie Bahn der Vermittlung; aber auf langjährigen
Kampf folgte bod) enblid bie Verföhnung, fand mit ihr
Neichslanzler von Köln. Ὁ 145
die Faiferliche Gewalt ihren natürlichen Boden wieder und
zeigte fid) in der That wirffamer auf biefem, als fie εὖ
je in ber Zeit gemefen war, wo man fte burd) Gewalt
und Gewiſſenszwang zu einer Fünftlihen Höhe Dinaufjus
fürauben fudjte. Wer möchte beftimmen, in meldet Art
Reinald bei längerem Leben auf bie Verhältniffe einger
wirft haben würde! Das aber [djeint unzweifelhaft, daß
er mit feinem unbeugfamen Charakter, feinen außerorbents
lihen Geiftesgaben, feinem Alles überwiegenden Einfluffe
bei dem Kaifer fort und fort einer Ausgleihung unüber-
ſteigliche Hinderniffe hätte in den Weg legen fónnen, daß
bei einem weiteren Fortfchreiten auf der früheren Bahn
ter verhängnißvolle Name „„ruina mundi4* !) vielleicht
{πε traurige Wahrheit gewonnen hätte. Denn das Ver-
Plgen einer jeden Richtung, welche fo auf bie Cpipe ges
trisben wird, daß fie feine Wurzeln mehr findet im Boden
der Zeit, fann nur zerfegend und jerftórenb. wirfen.”
Im Bisherigen haben wir unfern eferm bie haupt—
fählichften Refultate diefer intereffanten und Iehrreichen
von einem fowohl firdjfid) als politifch gefunden Stand»
punlte aus verfaßten Schrift mitgetheilt, durch welche fid)
der 9. Berfaffer kein geringes Verdienſt um die Aufhels
lung der Geſchichte Friedrichs L, woelde burd) bie Ber
arbeitungen SS8ünau'é, Kortüms unb 9taumer' bei weitem
nicht erfhöpft worden ift, erworben Dat. Wir fügen
unferer Anzeige ben Wunſch bei, daß das Beifpiel des
1) Als Reinald mod) am ber Stiftsfchule zu Hildesheim lebte, ſoll
τ einſt plóglid) im Schlafe ausgerufen haben: „Ich bin" und bem
Seer, der in fragte, wer er denn fei, geantwortet Haben: „Ich bin
das Berberben der Welt.“ Seitdem foll er von feinen Altersgenoſſen
„ruina mundi“ genannt worben fein.
Ael. Duartalfgrift. 4859. 1. Heft. 10
146 Die neuaufgefundenen Ofterbriefe
Verfaſſers mehrere Rahahmer finden möge. Das Zeit
alter δτίευτί 61. — von andern Jahrhunderten ganz abs
gefehen — ift febr reich an ausgezeichneten Perfönlichkeiten,
welche in die deutſche Geſchichte eingreifen. Wir erinnern
nur am bie beiden Aebte Wibald von Stablo unb orbes
und Gerfod von Reichersperg, an Reinalds Nachfolger
Philipp, an Chriftian von Buch, die beiden Conrad von
Wittelsbah und Babenberg u. 9L, welche theils Feine,
theils feine erfhöpfende Darftellung bis jet gefunden
haben, und durd deren Bearbeitung befonderd jüngere
Kräfte den Aufbau der allgemeinen Kirchen» unb Profans
geſchichte nicht wenig erleichtern würden.
Dr. Briſchar.
3
Die (neuentbedten) Sehbriefe des Heiligen Athanafius Bi-
ſchoſs von Alerandrien. Aus bem Sprifchen überfegt
und durch Anmerkungen erläutert von 4. farfom, Dr.
der Philoſophie, Licentiat ber Theologie, Profeffor am
Grauen Klofter zu Berlin, orbentl. Mitglied der deutſch.
morgen!. Geſellſchaft. Nebft drei Karten, Aegypten mit
"feinen Bisthumern und Alexandria mit feinen Kirchen
darftellend. Leipzig u. Göttingen 1852. VIIL u, 156 ©.
groß 8. Preis 1 fl. 34 fr.
Das vorliegende Buch enthält eine Reihe new
aufgefunbener Briefe des HI. Athanafius. Wir
mußten, daß Athanafus faft jahrjährlih während feines
langen Pontififates einenOfterfeftbrief an feine eigene
ded HI. Athanaftas. 147
Dioͤceſe und an die andern Gemeinden Aegyptens erließ;
aber von biefen vielen Feftbriefen waren nur wenige unb
faf durchaus ganz Fleine Fragmente auf und gefommen.
Das einzige größere gehört bem 39fen Ofterbriefe an,
und findet fid) abgebrudt in Tom. L P. IL p. 767 sqq.
der verbefferten Mauriner Ausgabe ber Werfe des heil.
Athanafius (edit. Patavina a. 1771.) Die 12 andern
Heineren Fragmente aber hat uns Cosmas Invicopleuftes,
ein ägyptifcher Moͤnch unb Schriftfteller des 6. Jahrhunderts,
im gehnten Buche feiner topographia christiana aufbewahrt,
und es find biefelben in ber ebenerwähnten Pataviner
Ausgabe Tom. Il. p. 78 sqq. zufammengeftellt.
Wie fehr man fid) nad) 9Bieberauffinbung ber Athanas
fianiſchen Dfterbriefe gefehnt habe, mag ber berühmte
Bernhard von Montfaucon beweifen, welder in ber Vor⸗
tbe zum erften Bande ber Mauriner Ausgabe fehreibt:
»Sed nulla, opinamur, jactura major, quam epistolarum
ἑορταστικῶν aut festivalium ... hoi, hei, quam pungit
dolor amissi thesauri! quantum ad historiam, ad Consue-
tudines ecclesiarum, ad morum praecepta hinc lucis ac-
cederet (edit. Patav. p. XXIV. n. 3). Gleichſam pros
phetiſch fügt er aber bei: Et.fortassis adhuc alicubi latent
in Oriente! Gr hatte richtig vermuthet, denn eine bes
traͤchtliche Anzahl diefer Seflbriefe wurde Fürzlih in einer
alten ſyriſchen Ueberfegung in einem Klofter Aegyptens
aufgefunden, und ift jet Gemeingut ber gelehrten Welt
geworden. Es ging damit alfo:
In ber Nähe des Nil-Delta’s, etwas weſtlich von
deſſen Spige, liegt die fogenannte Nitrifche oder Ske—
tiſche Wüfte, welde ihren erften Namen von ben dortigen
Ritrons ober Natron-Seen, ben andern aber wegen
10%
148 Die nenaufgefundenen Oferbriefe
der Afceten erhalten hat, bie fi [don in den erften
Sahrhunderten des Chriſtenthums daſelbſt anſtedelten. Als
ſofort mit dem Beginne des vierten Seculums das Ana⸗
choretenthum in das ftoinobitentfum ober eigentliche Moͤnch⸗
thum überging, führte ber heil. Ammon unb nad ihm
St. Mafarius b. à. letzteres aud) in der Nitrifchen Wüfte
ein, welche einige Zeit lang von wenigſtens 70,000 Möns
hen in verſchiedenen Klöftern bewohnt war. Gegenwärtig
eriftiren davon blos nod vier Kloͤſter: das Klofter des
BI. Biſchoi, das des HI. Mafarius, das von Syrern bewohnte
Marienflofter (Deiparae) und das Klofter Baramus (ber
Griedem; jedes von ihnen zählt jebod) nur mehr ſehr
wenige unwifiende Mönche unb vermag faum fein Dafein
au friften. Ehemals aber war εὖ ganz anders, und mehr
tere Aebte legten. große Bibliotheken in biefen Klöfern an,
namentlich im Marienflofter Abt Mofes aus 9tifibie im
zehnten Jahrhundert. Um in ben S3efü biefer fofibaren
durch bie Indolenz der fpäteren Mönche eigentlich ver-
ſchuͤtteten &djüge zu gelangen, fhidte Rom im Anfange
des 18. Jahrhunderts zwei gelehrte Drientaliften nad
Aegypten, zuerft 1706 den Gabriel eva (Eva), Abt
zu St. Maura auf dem Libanon, unb im S. 1715 ben
berühmten Maroniten Joſeph Simon Affemani,
Beiden gelang εὖ, ben Nitrifchen Mönden einige alte
Handſchriften abzufaufen, bie nun al Codices Nitriensis
ber Vatikaniſchen Bibliothek einverleibt wurden. Einen
neuen SBerfud) biefer Art machte-i. 3. 1839 der anglis
kaniſche Geiftlihe Dr. Henry Tattam, jet Archidiakonus
zu Bedford. Er reiste nad) Aegypten und erfaufte von
den Mönchen des Marienkloſters 49 fyrifhe Handfchriften,
welche jet das Britiſche Nationalmufeum befigt.. Mit
des HI. Athanaſius. 149
vielen Staatögeldern ausgerüftet reiste fodann Dr. Tattam
im Jahre 1842 zum zweitenmale in bie Nitrifhe Wuͤſte
und ſchloß mit ben Moͤnchen des Marienklofters einen
Vertrag, voornad) fte im alle ihre Handſchriften zu über-
liefern verſprachen. In der Meinung, ben ganzen Schat
gehoben zu haben, fehrte er im Sabre 1843 nad) England
zurück. Aber die Mönde hatten ihm getüuffjt und bie
Hälfte ihres Gobice& zurüdbehalten. Dieß erfuhr Herr
Auguft Pacho während feines Aufenthaltes in Aegypten
in den Jahren 1845—1847, und εὖ gelang ihm, audj bie
Tod zurüdbehaltenen 200 Bände von den Mönchen bes
Marienkloſters zu erfaufen, die nun ebenfalls nad) Eng⸗
land gebracht unb bem Britifhen Mufeum einverleibt wur⸗
den. Im biefen Nitriſchen Eodicibus nun, theils in denen,
die Tattam brachte, theils in denen, welche Pacho erwarb,
fand Gureton eine Anzahl Ofterfeftbriefe des HI. Athas
nafius in forifcher Ueberfegung. Daß diefelben von Athar
naſius Derrübren, if aufer allem Zweifel, denn wenn
«u$ nicht ihre Ueberſchrift fie diefem Kirchenvaler zus
ſpraͤche, fo würden (don bie, wie gefagt, nod) voran»
denen griechifhen Fragmente, bie fid) aud) in den betreffen»
den neugefunbenen Briefen wieder finden, über ben Autor
entſcheiden. Dazu fommen aber nod) zahlreide Hinweis
fungen auf Athanafius in unfern Briefen felbft, Hin«
weiſungen auf fein Schidfal, auf Alerandrien, und
dor Allem ganz genaue Zeitangaben, bie nur auf ihn
Wffen. Sofort gab Eureton biefelben im Jahr 1848 zu
London unter dem Titel heraus: The Festal Leiters of
Alhanasius, discovered in an ancient Syriac version, and
edited by William Cureton, M. A. F. R. S. Chaplain in
ordinary io the Queen, assistant Keeper of manuscripts
150 Die neuaufgefundenen Oferbriefe
in the British Museum. ine deutſche Meberfegung biefer
ſyriſchen Feſtbriefe endlich beforgte 8. Larfow, Prof.
am Grauen Klofter zu Berlin, und ließ diefelbe mit Ans
merfungen und andern Beigaben im I. 1852 im Drude
erſcheinen.
Die erſte dieſer Beigaben iſt eine Abhandlung uͤber
die Kloͤſter der RNitriſchen Wuͤſte; die zweite eine kurze
allgemeine Erörterung über bie Ofterfeftbriefe der Alerans
driniſchen Bifhöfe überhaupt. Darauf folgt der aus bem
Syriſchen überfegte hoͤchſt intereffante, chronologiſch⸗hiſto⸗
riſche Vorbericht zu den Feſtbriefen des hl. Athanaſius,
der urſpruͤnglich einer andern, jetzt verlornen Sammlung
der letztern angehoͤrte, von einem ſpaͤteren Abſchreiber aber
der vorliegenden Sammlung beigegeben und vorangeſtellt
wurde. Er beginnt mit Angabe des Jahres und Tages
der Erhebung des Athanaſtus auf den Stuhl von Ale
xanbrien, und gibt fobann in 45 furgem Nummern fleine
Notizen über alle einzelnen Feſtbriefe des 51. Athanafius
und bie ihn betreffenden wichtigften Greigniffe jedes Jahres.
Eine ähnliche chronologiſch-hiſtoriſche Arbeit, ba& Frag
ment einer Art Gfronif ber alerandrinifhen Kirche im
4. Jahrhundert, hat (don im vorigen Jahrhundert Seipio
Maffei zu Verona in fateini[fer Weberfegung gefunden
und im Jahre 1738 im britten Bande ber Osservazioni
leiterarie veröffentlicht 1).
Sehr zweckmaͤßig hat nun Larſow viele Stellen diefer
historia acephala (denn biefen Titel gab man jener ans
fangslofen Chronik) den einzelnen correfpondirenden
Nummern jenes Vorberichtes beigefügt: Weil aber
1) Auch abgebrudt in der Bataviner Ausgabe ber Opp. S. Atha-
πουλί, T. IIL p. 89 seqq.
des HL. Arhanaflus. 15
in dem Vorberichte alle djronofogifden Data, namentlich
über das Ofterfeft jedes Jahres, auf Agyptifhe Weife,
mit Agypptifcher Monatsnennung und zudem an einzelnen
Stellen ungenau angegeben find, fo hat ein Freund Lars
ſo w's, Prof. Galle in Breslau, Direftor der dortigen
Sternwarte, das vorliegende Buch durch eine befondere
Abhandlung: „Verwandlung der chronologiſchen Angaben
des ägyptifchen Kalenders in bie gewöhnlichen des julias
nifhen Kalenders“ Dereidert, und eine DOftertabelle
bet Jahre von 328 bis 373, b. δ. ber bifhöflichen Amts⸗
idit des hl. Athanaflus beigefügt. Damit fehließt fid) bie
einfeitende Partie des Bus, und es folgt mun bie
deutfhe Ueberfepung ber Feſtbriefe ſelbſt.
Dieſelben find
1) ein langer Ofterbrief für das Jahr 329, ber erfte
von Athanaſius, (5. 55—63;
2) ein gleicher für das Jahr 330, 6. 64-70; ebenfo
3) für das Jahr 331, €. 70-76;
4) für d. 3. 332, €. 77—80;
5) für b. 3. 333, €. 81—86;
6) für b. 3. 334, ©. 86—94;
7) für d. 3. 335, €. 95—104.
Stad) biefen 7 erſten Ofterbriefen des hi. Athas
nafius folgt ſogleich
8) der fogenannte zehnte v. I. 338 (6. 104—113),
indem fid) Athanaflus in den Jahren 336—338 zu Trier
im Exil befand und deßhalb feinem derartigen Hirtenbrief
erlaſſen konnte ( Vorbericht S. 28 u. 29 — daß er aber
bed aud) von Trier aus an feine Landsleute ſchrieb, wenn
gleid feinem. Oſterbrief, erhellt aus S. 105).
9) Sofort erſchien für das Jahr 339 ber eiffte unb
152 Die nenaufgefundenen Ofterbriefe
ausführlichſte Ofterbrief, von €. 114—126; dagegen fehlt
uns der zwölfte, ber vielleicht, weil Athanafius damals
aus Alerandrien fliehen mußte, gar nicht erlaffen worden
ift; dagegen haben wir als Nummer
10) u. 11) zwei von Rom aus batitte Schreiben,
nämlid einen Brief an Biſchof Serapion von Thmuis,
ohne Datum, ©. 126—128, unb ben dreigehnten Ofterbrief
für das Jahr 341, €. 129—134.
12) Die zwölfte Stelle nimmt der vierzehnte Beftbrief
für das Jahr 342 ein; ber 15te und 16te aber fehlen
ganz, und flatt des i7ten und 18ten erließ Athanafius
(m feinem zweiten Gri) nur zwei ganz furje Schreiben
an ben Clerus der Stadt Alerandrien, für Oftern 345
und 346, welche in unferer Sammlung al6 Nr.
13) und 14) erſcheinen. Im Jahre 347. dagegen
befand fid) Athanafius wieder in Alerandrien und erließ
für diefes Jahr
15) den ausführlichen neungehnten Feſtbrief, S. 141
—150, bem er aud) noch eine Nachfehrift in Betreff mehr
rerer neubeftellten Bifchöfe beigab.
16) Nicht mehr ganz vollüünbig ift der 20fe Feſt⸗
brief für das Jahr 348, ©. 152—154 erhalten; von ben
fpäteren aber fanden fid) im fyrifchen Gober nur nod
4 Fragmente, welde Larſow ©. 154— 156 mittheilt.
Eine zwedmäßige Zugabe bilden endlich nod) 3 Kärt⸗
den. Das erfte flellt das Nilvelta, mit den beiden ans
grengenden Gegenden Augufamnifa (öſtlich) und Nitrifche
Wuͤſte (weftlih) dar. Namentlich find die Bisthümer und
Klöfter diefer Diftrifte hier angegeben. Das zweite Kärt-
hen zeigt bie Bisthümer der Thebais im 4. Jahrhundert;
dag dritte endlich ift ein Stadtplan Alexandriens unb
des 9L. Athanaſtus. 158
feiner Kirchen im vierten umb fünften Jahrhundert nad
Chriſtus.
Faſſen wir den Inhalt der neuaufgefundenen Atha⸗
naſianiſchen Feſtbriefe naͤher ins Auge, ſo iſt nicht zu ver⸗
fennen, daß dieſelben wichtige Punkte darbieten, nament⸗
lich a) für die Biographie des bI. Athanaftus ſelbſt; 4) für
die Geſchichte des Arianismus; y) für bie nähere Kenntniß
der altfirchlichen Ofterfeier und Ofterpraris, unb 2) für
die chriſtliche Dogmengeſchichte. Bei alle dem find jedoch
diefe Feſtbriefe, wie fhon ihr Zweck verlangt, vorherrſchend
yaränetifher Natur, Ermahnungen zum Baften, zur
Enthaltfamfeit aller Art, zum leiblichen unb geiftigen Faſten,
Bergleihung der Außerlichen jüdifhen und ber ἱππεῖ
li$en chriſtlichen Ofterfeier u. dgl. Der Styl iſt vielfach
bibliſch, und namentlich ift von zahlreichen Stellen des 91.3.
met in febr glüdlicher, öfter in wahrhaft überrafchender
Beife Gebraud) gemacht. Weniger günftigen Ginbrud
macht εὖ dagegen, daß mandje Gedanken, Wendungen und
Bilder mehreren diefer Feſtbriefe gemeinfam find und
fi$ in ihnen zu häufig wiederholen, aud) haben wir weit
wenigere Anfpielungen auf bie kirchlichen Streitigs
leiten jener Zeit gefunden, als wir vermutheten. Doc)
iR wenigftens ba und dort ber Arianer und Meletianer
und ihres Treibens gebadjt unb an Erfteren ihre Vers
unglimpfung bes Logos getabelt, von Lepteren das
gegen gefagt, daß fie ben untrennbaren Rod Ehrifti
gerriffen hätten. ©. 83. 90. 111. Wiederholt werden
bie Arianer Chriftusbefrittler (Brief X, ©. 118.
Brief XL ©. 122. Brief XIII, ©. 129), Chriftusbes
Rreiter (Brief X, ©. 110. 111. 112), unb Arius—
tolle (Brief X, S. 110, Brief XI, S. 122) genannt,
158 Die nenaufgefundenen Dfecbriefe
ab vom ihmen behauptet: tof fie „ven Logos ἐδ ει
Brief VI, €. 90), „ven untrennbaren Sohn vom
Slater trennen? (Brief X, ©. 112), daß „fie ben Sohn
Gettes jhmähen und fagen, er [εἰ Geſchöpf unb
ans Rihts hervorgebraht* (Brief XI, ©. 122,
tef fic behaupten, „er [εἰ nidt ber Schöpfer, fon
Perm das Geſchöpf“ (Brief XI, ©. 125), unb tof
fic Rd „mit gig die Riht-Gottheit anzueignen fte
ben* (Brief XIX, €. 146).
Mit Bezug auf bie Arianer ruft Athanaſius weiter
Hin in Brief ΧΙ, ©. 124 aus: „Richt wollen wir gottlos
handeln wie die Arinstollen, bie da fagen: du feieft
aus Riäts, Logos; was aber ewig beim Bater
if, das ig aud von ihm.” Und ebenvafelbft etwas
fpäter: „wir begehen das Oſterfeſt, indem wir nicht auf
den Trug der Juden, geſchweige auf bie Lehre der Arianer
Stüdfibt nehmen, welde von der Gottheit ben
Sohn trennt und ihn zu ben Geſchöpfen zählt.“
— Die fhönfte Stelle in biejer Beziehung ift aber bie in
Brief X, ©. 110 u. 111, wo Athanaſius zuerft befchreißt,
wie fij Chriſtus um unferes Heiles willen verbemüthiget
habe, unb bann gegenüberftellt, wie bie Arianer juerft
wegen biefer SBerbemuütbigung ihn Berabgefebt unb ges
ſchmaͤht Hätten. Sie lautet: „Er Litt, bamit er bem
Menſchen, ber in ifm litt, bielnempfinblidteit
gegen baé Leiden bereite; er flieg herab, um
uns heraufauführen; er unterzog fid) bem Ber
fud des Geborenwerdens, damit wir ihn ben
Sidtgebornen lieben; er flieg zur Verwes—
lidfeit herab, bamit das Verwesliche anziehen
foltte die Unſterblichkeitz er ward fdmad um
bet hl. Athanaſtus. 455
unfertwillen, damit wir uns in Kraft erhes
ben; et lieg qum Tode herab, um ung die line
ſterblichkeit zu ſchenken und die Todten lebens,
dig zu maden; futi, er warb Menfd, damit
wir, bie wir als Menfhen todt waren, wieder
leben unb der Tod nit mehr über uns ferte
{hen follte; denn der Tod hat feine Macht über ung,
verfündigt ber apoftolifche Ausſpruch. Weil nun bief hier
die Ariustollen, bie Chriftusbeftreiter und Keter nicht vers
Randen, fo greifen fie mit ihrer Zunge den Retter
an, [ὦ τὸ ἁ ὦ ἐπ᾿ ben, der da befreite, unb erfinnen ganz
und gar das Gegenteil gegen den Erloͤſer. Wegen
feines Herabfteigens námlid, was ber Mens,
ſhen wegen gefhah, leugnen fie feine Gott
beit; ba fie ihn aus ber Jungfrau hervors
gehen fehen, zweifeln fie, ba er wahrhaft der
Sohn Gottes fei; ba fie ihn in ber Zeit Menſch
geworden feben, leugnen fie feine Gmigleit;
da fie ibn betradten, daß er unfertwegen Litt,
fo glauben fie nidt, daß ber unverwesliche
Sohn vom unverweslihen Bater fei; unb über:
haupt, weil er unfertwegen bulbete, leugnen
fie das, was feiner mirfliden Ewigkeit ange
hört. Da fie nun aud) ben Lohn ihrer Undankbarkeit tragen,
fit bie ben Retter verachten, unb flatt der Gnade dankbar
iu fein, ihm vielmehr Schmach barbringen, fo muß man
ud) gerechter Weife von ihnen fagen: o Undankbarer!
Ehriftusbeftreiter! über Alles Gottlofer! der feinen Herrn
töbtet, am Auge ber Seele Blinder unb Jude in deiner
Gefinnung! wenn bu bie Schrift verftanben unb auf bie
Heiligen gehört haͤtteſt ... fo hätte bu exfannt, daß
455 Ze sexsffunsemr Dice
er ξετι 1-81 jerclmcier, urlecr παΐετν
werex Serafkieg. mrl rx üı πεῖς Pici fu
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fer uxó mit kinem Baier veriefzıe, εἰῶϊ für
einen Sremten gebalten“
Ueber ten Bene wer €zcx wer rex Reletianern
aber st er (Brei X, E. 111 i): „ie beraten ſich
wie Oritur, kx Batex ἃ 2 mir einander verbunden,
und weil &c gelernt haben, teu untrennbaren Rod
Gottes zu trennen, io halten ἅς εὖ aub nicht für
unpafiend, ben mutbeilfarem €obn rom Bater
in theilen“
Ehen in ber vorletzten langen Etelle deutete Atha-⸗
nafius tarani bin, ta tie eger, zunäd bie Arianer,
bie Heilige Schriit nicht na& te Tradition auslegen,
„wicht anf Die Heiligen hören.“ Ausführlicher, und für
die fatholiihe Lehre (efr ſchlagend, äußert er fd) darüber
«πῶ im 2. Beftbrief, ©. 67 f. aljo: „Eie [εἴτα zwar in
den Heiligen Schriften, adhten aber nicht darauf, wie
fie die Heiligen überliefert haben, fondern weil
fe dieſelben als menſchliche Ueberlieferungen
annehmen, irren fie, zumal fie biefelben in ber That nid!
lennen, geſchweige denn ihre Kraft. Daher lobt auf
be) ΒΓ. Athanaſius. 157
Paulus, wie billig, bie Corinther als ſolche, bie feine
Ueberlieferung beachten.“ —
Eine febr (dne Stelle über bem Logos und feine
SBirffamfeit finden wir in Brief XIV, ©. 137: „Da er
das Leben war, farb er, damit er uns lebendig
made, und da er bad Wort (A0yog) ift, ward er Fleiſch,
damit er das Fleiſch (bie Menſchen) durch das Wort
belehrte; ba er bie Quelle des Lebens ift, fo will er
unfern Durft füllen unb deßhalb aud) uns zum Feſte aufe
fordern, indem er fpricht: wen ba bürflet, ber fomme zu
mir und trinfe.^
Gewiß würde nod mande andere Stelle bejonberé
ausgehoben zu werben verdienen, aber id) will mir nur
πῷ zwei anzuführen erlauben, eine zu ber Onabens
Ihre, und eine bie zur Lehre von der Kirche gehört,
Im fünften Feſtbrief S. 83 fagt Athanaflus: „wir wer⸗
den den Heiligen ähnlih, wenn wir... bem Herrn bie
Wohlthaten vergelten. Wenn wir nun vergelten, fo
geben wir Nichts von bem Unfrigen, fonbern
das, was wir vorher von ibm empfangen has
ben; wie ja aud) das namentlich ein Beweis feiner
Gnade ift, daß er feine Gabe gleihfam von uns forbert.
Und dieß bezeugt er, indem er fpricht: „„meine Opfer
find meine Gaben", b. f. was ihr mir gebet, das ge«
bört euch nur infofern, als ihr's von mir empfangen
habt." In Brief XI, ©. 123 aber lefen wir: „Wenn fo
auf gleiche Weife, von Allen, bie überall find, obs
gefang unb Gebet zu ihm, dem barmherzigen und gütigen
Vater emporfteigt, wenn bie ganze fatfoli(de
Site, bie ba überall ifl, unter Breube und Jubel,
WMgleid unb in ein unb berfelben Weife bie
188 Die neuaufgefundenen Ofterbriefe
Anbetung Gottes vollbringt ..., welche Ofüdfeligfeit wirb
dann nit fein, meine Brüder!"
Am Ende der einzelnen Feftbriefe wird jedesmal bie
Zeit für das nàádfte Ofterfeft angegeben, unb zwar fo,
tef bald [don ber erfüe Tag der Duadragefima,
‚bald mit deren Hinweglaſſung blos ber erfle Tag ber
Charwoche notirt wird. Außerdem wird dann jebes-
mal auch der Charfamftag und Oferfonntag nebft bem
folgenden Pfingften bezeichnet. Als Beifpiel mag die Ans
kündigung des Ofterfeftes für das Jahr 338 im zehnten
Beftbrief €. 113 dienen. Es heißt hier: „Wir beginnen
nun das vierzigtägige Baften am 19. des Monats Medir
(13. Februar), das heilige Ofterfaften aber am 24. des
Monats Phamenoth (20. März, Mondtag in ber Char⸗
10066); wir hören auf gu. faften am 29. beffelben Monats
Phamenoth (25. März) am tiefen Abend bed Sonnabende,
feiern fo den Sonntag, der am 30. deffelben Phamenoth
(26. März) aufgeht, und begeben von ba an bie ganzen
7 Wochen des Pfingfifeftes feierlich nad) ber Reihe.“
Wir (efen hier, daß a) zwiſchen ben Quabragefimals
Baften und den Sfterfaften unterſchieden wurbe.
b) Die legten begannen am Mondtage in ber Ehar-
woche unb waren im Unterfiede von ben vorausgegans
genen Baften jejunia plena.
€) Sie wurden (don am Charfamftage Abends ges
ſchloſſen, wahrfcheinlih mit einer feigrlihen Agape. In
Betreff diefes Faſtenſchluſſes heißt es nod) deutlicher im
eifften Ofterbriefe &. 126: „wir dehnen das δαβεπ aus
bi6 zum Sonnabend und erquiden und (bann) am
fpäten Abend.” Faſt bie ganz gleihen Worte, namentlich
ben Ausdrud „erquiden“ finden wir aud im erften
da HL. ehanafins. 150
Feſtbrief &. 62, im zweiten (5. 69, im britten ©. 76;
im vierten ©. 79; im fünften ©. 85; im fechsten ©. 94;
im neunjefnten ©. 150, furz, beinahe in allen.
d) Mitunter wird im unfern Feſtbriefen die ganze
Charwoche Ofterfeft genannt, fo im eilften Feſtbriefe,
€. 126, wo εὖ heißt: „wir beginnen das 5l. Dfierfeft
am 14. Pharmuthi, und dehnen bann die Saften aus bis
jum Sonnabend.“ Richtiger aber wird die Gfarmode in
andern Feſtbriefen „die Bl. Woche des großen Oſterfeſtes“
(Brief III, ©. 76), aud „die heiligen Tage des Ofter-
fees“ (Brief VI, ©. 94), auch „bie große Leidenswoche“
genannt (Brief XIX, ©. 150).
e) Eine febr wichtige Notiz über die Faſten finden
wit im festen Briefe ©. 94, wo εὖ heißt: „wir bes
ginnen das vierzigtägige Faften zu Anfang des Monats
Phamenoth (25. Februar), unb indem wir e8 bis zum
fünften Pharmuthi (1. April) ausdehnen, mögen wir an
ihm (diefem Tage, b. i. Palmfonntag) Erholung finden
von ben vorhergehenden Sonntagen und Sonnabenden.
Dann aber beginnen wir bie heiligen Tage des Ofterfeftes
am 6. Pharmuthi und erquiden uns am eilften beffelben
Monats am tiefen Abend.” Wir fehen hieraus a) bie
Quadragefima begann am 25. Februar; von ba an bie
um 4. April, wo Balmfonntag einfiel, waren e& 35 Tage,
die Sonntage miteingerednet. Zur Duadragefima ges
hörten aber aud) nod) bie Tage der Charwoche bis zum
Samftage, fo daß baburd) bie Zahl 40 voll wurde. 8) Nicht
ein Faſttag, fondern ein Erquidungstag war der Palm-
fonntag , an ben übrigen Sonntagen ber Ouabragefima
aber wurde gefaftet, ebenfo am den Samftagen, (obgleid)
[πῇ im Jahre am Sonntage und bei den Griechen aud) am
460 Die nenaufgefunvenen Ofterbriefe
Samftage nicht gefaftet werden durfte) 1); beffalb heißt
τὸ: „wir mögen an ihm (bem Palmfonntage) Erholung
finden von den vorhergehenden Sonntagen. — Es if
bief bie einzige Stelle meines Wifjens, welche über diefen
Punkt der alten Faftendifeiplin Aufſchluß gibt, und die |
bisherigen Zweifel hebt, ob aud an ben Sonntagen
der Quadrageſima gefaftet worden fei.
f) Daß bie ganze Zeit miden dem Ofter« unb
Pfingffefte Bentelofte=Pfingften genannt worden
fe, ift fonft ſchon befannt, und erhellt aud) faf aus
jedem unferer Beftbriefe.
Wie ſchon angedeutet, bieten uns diefelben weiterhin
mande für bie kirchliche Geſchichte und Ehronolo
gie wichtige Anhaltspunkte, und aud) darauf haben wir
nod) ins Nähere einzugehen. Vor Allem ift hier der Tert
der Feftbriefe wohl zu unterfheiden von bem Vorbericht,
welcher, wie gefagt, urfprünglid) zu einer andern Samm-
lung der Athanaſianiſchen Feſtbriefe gehörte. Diefer Vor⸗
bericht enthält fehr viele Hiforifhe und chronologiſche No
tigen, aber auch manche zweifelhafte, ja fogar entfchieden
untidtige; bie Feſtbriefe felbft dagegen geben zwar viel
wenigere derartige Notizen, aber ganz fidere.
Aus dem Ofterbriefe für das Jahr 331, bem britten
ber Reihe nad), S. 70, welcher wohl bald nad) Reujaht
1) 9i erordnei der 65. apoſtoliſche Cauon, ſowie Canon 35 ber
Trullaner Synode bei Harduin Collectio Concil. T. I. p. 26. u. T. II.
p. 1682. Bergl. bie darauf bezügliche Aeußerung des Papftes Nicolaus I,
ibid. T. V. p. 310. Beveridge vermuthet, ble Griechen Hätten am
Samftag deßhalb zu faſten verboten, weilMarcion an den Samflagen
qu Unehren des Jubengottes, alfo aus antinomiftifdjen Gründen, zu faßen
vorſchreiben wollte (Bevereg. lib. Il. Codic. Canon. vindicat. c. 7. n.6.
Binterim, Denkwürbigkeiten, Bo. V. Thl. IL ©. 125 f.).
des hl. Athanaſtus. 161
331 geſchrieben wurde, erhellt, daß Athanaſius damals
von feinen Unterbrüdern gefangen gehalten worben fei.
Wie die Jahrzahl anbeutet, ereignete fid bie, ale
Eonfantin b. Gr. auf eingegangene Klagen der Mer
Ietianer hin den b. Athanaſius an fein Hoflager berufen
hatte, wovon biefer felbft in feiner Apologia contra Aria-
nos n. 60 berichtet. Bisher glaubte man jebodj, Conftan-
fin habe bie Unhaltbarfeit ber Klage gegen Athanaflus .
ſogleich eingefehen und biefen durchaus freundlich bes
handelt; unfer britter Feſtbrief dagegen belehrt ung fegt,
daß Athanaſtus damals einige Zeit lang in Haft. figen
aufte. Aus bem vierten Geftbriefe aber, für das Jahr 332,
fm wir, daß bie Feinde des Athanaflus bereits befchämt
turen, er fefbft aber fid) nod immer, und zwar Frank,
an faiferlichen Hoflager aufhielt, €. 77 u. 80. Der zehnte
Brief fofort für das Jahr 338, zeigt, daß Athanaflus,
als er ihn ſchrieb, mod) nicht von feinem erſten Gri[ zu
{πεν nad) Alerandrien zurüdgefehtt war, denn er ſchrieb
ihn nob in ber Ferne, ©. 104. 105; hatte jebod) (don
Hoffnung zur Rüdfehr, ©. 106. 108 u. 112.
tod) wichtiger ift der 12te Brief, welcher beweist,
daß Athanaſius [don im SBeginne des Jahres 341 aus
Aerandrien entflohen war unb fij zu Rom aufhielt
(δ. 129). Sonach muß denn aud) der Arianer Gregor
von Gappabocien ſchon minbeftené an Oftern 340 fid) des
alexandriniſchen Stuhls bemächtigt haben, und nicht erft
an Dferm 341 9. Daraus folgt aber wiederum weiter,
daß derſelbe nicht erft burd) bie Antiochener - Synode in
encaeniis im Jahre 341 zum Bifchofe für Alerandrien
1) Der Vorbericht zu unfern Feſtbriefen, Nr. XL S. 30 verfeht
de Anfunft Gregors in Alerxandrien fogar in das Jahr 339.
Siesl. Duartalfgrift. 1859. I. Heft. 11
162 Die neuaufgefundenen Ofterbriefe
beftellt worben fei, wie man bisher auf Grund ber An
gaben bed Sokrates (hist. eccl. II, 9. 10.) und Sozome⸗
nus (I, 6), und burd) Mißverſtaͤndniß einer Stelle des
Papſtes Julius (bei Athanas. Apolog. cont. Arian. m. 29
u. 30) faft ganz allgemein angenommen hat. Diefes neue
Stefultat ift aber aud) für eine Reihe weiterer Punkte in
der Biographie des b. Athanafius, fowie in ber Chrono
logie des Arianiſchen Streites beftimmenb und maßgebend.
Nicht minder wichtig find der 18te u. 19te Feftbrief.
Erſterer, für das Jahr 346 beftimmt, ift nod) in ber Ferne
gefchrieben, ber andere aber, für 347, bereitd ἐπ Alerandrien
abgefaßt (S. 140. 141.). Wir fefen daraus, baf Athar
naſius ſchon um Neujahr 347 aus feinem zweiten Gril
mad) Alerandrien zurüdgelommen fein muß; ba nun aber
biefe Stüdfefr erft ungefähr zwei Jahre nad) der Synode
von Gatbifa erfolgte, fo fann ſonach aud) biefe nicht erf
i. 3. 347 ſtattgehabt haben, obgleich bief bie zwei alten
griechiſchen Kichenhiftorifer Sokrates (II, c. 20) und €»
zomenus (II 12) auóbrüdíid) verfihern ). Der Bor
bericht zu unferen Feftbriefen, Nr. XV. ©. 31, verlegt bit
Synode von Garbifa fogar in das Jahr 343; aber es
erheben fid gegen biefe Angabe, wie wir ein andermal
zeigen wollen, allerlei SBebenfen, unb es find biefe um fo
flärker, ba jener Vorbericht nebft mandem Trefflichen
auch mehrere zweifellofe Unrichtigkeiten enthält. Betrach⸗
ten wir ihn näher.
1) Gleich in feiner Einleitung ©. 26 gibt er bit
1) Lehteren folgend habe aud) id) in ber Abhandlung: . , Gontrobete
fen über die Synode von Sardifa” ἐπὶ vorigen Jahrgange ber fuot"
talſchrift, Heft 3, bie Synode von Gatbifa in das Jahr 347 verlegt
was hienach zu berichtigen wäre.
des 9. Athanaflus. 163
wihtige Notiz, bag Bifhof Alerander, der Vorfahrer des
h. Athanafius, am 22. Pharmuthi (17. April) 328 ges
ſtorben, Athanaftus feldft aber am 17. Payni (8. Juni)
jenes Jahres zum Bifhof geweiht worden {εἰ Hienach
wird bie gewöhnliche, auf Theodoret (hist. eccl. I, 26)
fi früßende Annahme, bie auf das Jahr 326 geht, bes
tihtigt !); unb es fat biefe Berichtigung alle Wahrfchein«
lichkeit deßhalb für fid), weil Athanaftus i. 3. 329 feinen
erſten Ofterbrief erließ. Daß diefer aber in ber That
fein erfter.gewefen, erhellt daraus, daß aud) jenes grie⸗
difde Fragment, weldes Cosmas Indicopleuftes aus
dem zweiten Befbriefe genommen haben will, gerade aud)
unferem zweiten (pri[den Briefe v. 3. 330 ange«
Wrt, unb ebenfo bie griehifhen Bragmente bes
ὅκα und bten Feſtbriefes, wieder aud) im ſyriſchen
öten und bten Seftbriefe ihr Analogon finden.
2) Den Sob des hi. Athanafius verlegt der Borber
tiht auf den 7. Pachon, b. i. 2. Mai des Jahres 373,
und es wird baburd) die Vermuthung Pagis, Silfemont'é
unb Montfaucon’s beflätigt, während Sofrates (IV, 20)
denfelben unrichtig in das Jahr 371 verfept.
3) Defter find in diefem Vorberichte bie Confuln un»
genau angegeben, fo zu den Jahren 335, 340, 352.
4) Gbenfo ift das Datum des Oftertäges hit immer
richtig bezeichnet, à. B. i. I. 335, 340 u. a.
5) In Nr. VIIL des Vorberichtes wird bie Synode
von Tyrus in das Jahr 336 verlegt. Dieß ift unrichtig,
denn diefelbe hatte vor ben Tricennalien Gonftantiná, in
1) Larfow zeigt ©. 26 ganz richtig, daß Theodoret Hier wahre
ſcheinlich eine Aeußerung des h. Mthanafius (Apolog. c. Arianos.
€ 59) mifserflanben Habe.
11*
464 Die neuaufgefundenen Ofterbriefe
deſſen dreißigſtem Regierungsjahre ſtatt, wie Euſebius
(vita Const. lib. IV.-c. 40 u. 41) und Sokrates (1; 28)
bezeugen. Noch ſicherer aber erhellt dieß aus bem währ
rend biefer Synode gefertigten Proteftationsfchreiben des
mareotifhen Clerus bei Athanaflus Apolog. c. Arian.
C. 75, welches vom 10ten des Monats Thoth (7. Septbr.)
' unter den Gonfuln Conftantius unb Albinus, b. i. 335,
datirt it). Daß bem fo fel, und bie Synode von Tyrus
nit in das Jahr 336 verlegt werden dürfe, (a aud
Herr Galle in feiner erwähnten, dem vorliegenden Buche
beigegebenen Abhandlung auf €. 49 Rr. VII; um aber
bod) den Vorbericht zu reiten, bemerkt er: „der Ausprud
in biefem Jahre geht daher auf den Zeitraum von
Dftern 335 bis Oftern 336."
Bon biefem freilich fer wilführlihen Ausfunftsmittel
machen er und 9. Larfow nod) àftern Gebrauch, um augen»
fällige Unrichtigkeiten des Vorberichtes verfdyminben zu faffen.
6) Dieß gefhieht 3. B. in Betreff der Nr. X. des
Vorberichts, wo biefer ad annum 338 fagt: „Als Eon
flantin in biefem Jahre am 27. Pachon (22. Mai) das
eben verlaffen hatte." Gonftantin wäre bienad) am 22. Mai
338 geftorben; abet fein Tod fällt gerade ein Jahr früher.
7) In derfelden Nummer be Vorberichts ift aud) bie
Anwefenheit des Möndspatriachen Antonius b. Gr., in
Alerandrien auf das Jahr 338 angefegt; H. Larſow vere
legt aber aud) diefe Begebenheit burd) Anwendung ber
obengenannten Hypotheſe in das Jahr 337.
8) Das Gleiche geſchieht dann natürlich aud) mit ber
in der nämlihen Nummer des Vorberichts erwähnten 9tüd»
lehr bei des » Athanaſius, welche am 27. Athyr = 23. Novbr.
N) Bg. Tüllemont, Mémoires T. VIIL p. 15 ed Brux. 1732.
des h. Aehanaftıe. 165
erfolgt ſei. Hoͤchſt wahrſcheinlich gehört fle bem Jahre 338
an ἢ) wie bicámal der Vorbericht richtig fagt. Larſow aber
und fein Freund Galle verlegen aud) fie ins Jahr 337.
9) In Rr, XVII. erzählt der Vorbericht, ad ann. 346,
bef in biefem Jahre am 2. Epiphi — 26. Juni der aria»
nifhe Bifhof Gregor von Alerandrien, ber ben Athana-
fus vertrieben hatte, geftorben, unb nun Athanaflus am
24. Phaophi — 21. Oktober jurüdgefebrt fei. Larfow und
Galle (&. 32 u. 50) verfegen aud) biefe beiden Ereigniffe
dur) Anwendung jenes Ausfunftsmittels (Nr. 5.) in das
Jahr 345. Hierin liegt nun aber eine doppelte Unrich-
figfeit. Fürs Erſte Fönnen der Tod Gregors unb bie Rüd-
fjr des 5. Athanaftus unmöglich fo nahe zuſammenge⸗
Tüft werden, indem zwifchen beiden Greigniffen mehr als
dn Jahr Zwifchenfeift ftatthatte, wie wir aus Athanas.
hist. Arian. ad monachos c. 21. erfehen. Fuͤrs zweite
aber war Athanafius im Dftober 345 nod) nicht in Ale⸗
sandrien, wie aus feinem 18. Feſtbriefe (S. 140 f.) er»
heilt. Ex fünbigt darin ben Glerifern in Alerandrien bie
Dfterzeit für das Jahr 346 an, und beauftragt fie, davon
die Bifhöfe Aegyptens in Kenntnig zu fepen. Er fefóft
iR, als εὐ biefen Brief im Spätjahre 345 ſchrieb (S. 140),
mod) ferne von Alerandrien; ja er läßt aud) nicht einmal
die Hoffnung auf baldige Stüdfefr durchbliden. — Dazu
Tommt nod) Folgendes. H. Larfor behauptet in der Note
3 zu Seite 32, aud) bie von Maffei aufgefundene historia
acephala (f. oben ©. 150) beftimme ben 21. Oftober 345 ale
Sag der Ruͤckkehr des δ. Athanaſius. Dem ift jebod) nicht
1) Bol. darüber Tillemont, Mémoires εἰς. T. VIIL p. 30 unb
deſen histoire des Empereurs, T. IV. p. 667; aud) Pagi, Critica in
tunales Baronii ad ann. 338. n. 3.
166 Die ueuaufgefunbenen Ofterbriefe
fo. Sie fagt vielmehr ausbrüdlih: ingressus est Ale-
xandriam Phaophi XXIV. Consulibus Constantio IV. et Con-
stante III; damit ift aber ba abr 346 nicht 345 bezeich⸗
net. Ale Schwierigfeiten aber heben fih, wenn wir bie
SRüdfefr des b. Arhanafius, wie der Borbericht will, in
das Jahr 346 verlegen, dabei aber annehmen, Gregor
fei fhon Jahre zuvor geftorben, unb ber Berfafier bes
Vorberichts habe mur ungehöriger Weife dieſes Greignig
bei bem Jahre 346 erwähnt, [εἰ εὖ, weil ihm daſſelbe
ετῇ beifiel, αἵδ᾽ er bie damit zufammenhängende tüdfebr
des Athanafius notiren wollte, ober [εἰ es, daß er fid
wirklich in einem chronologifchen Irrthume hierüber befand.
10) Haben wir ſchon im Bisherigen auf mehrere
Unricptigfeiten des SBorberidteó hingewiefen, fo wollen wir
nod) eine weitere ganz ef(atante bemerklich machen, welche
fif in 3t. II. ©. 27 findet. Die dort angebrachte Bes
merfung, Athanafius habe biefen Feftbrief für das Jahr 331
auf feiner t ü d febr vom faiferlichen Hoflager gefchrieben,
ift hier völlig am unrechten Plage und gehört zu Nr. IV. und
zum Jahre 332, wie aus bem Feftbriefe des Jahres 332,
©. 77 unb befonders S. 80 deutlich erhellt.
11) Gbenfo unridjtig fagt ber Vorbericht in Nr. XIII.
u. XIV, Athanafius habe in biefen Jahren (341 u. 342)
feinen Beftbrief geſchtieben, weil (fein Gegenbiſchof) Gre
gor in Alerandrien franf war. Vor Allem ift hier gar nicht
abzufehen, wie bie Krankheit Gregors für Athanafius
ein Grund hätte fein follen, feinen Dfterbrief zu ſchrei⸗
ben; aber aud) abgefehen davon, hat Athanaflus in
der That in biefen 2 Jahren Ofterbriefe gefchrieben, feinen
13ten und 14ten, und wir befigen diefelben gerade ja
in der vorliegenden Sammlung €. 129 ἢ. und 135 ff.
des h. Athanaſtus. 167
12) Endlich will ἰῷ ποῷ auf einen Fehler ber zu
€. 47 mitgeteilten, von H. Galle berebneten Oftertabelle
aufmerffam machen. Das Ofterfeft für das Jahr 346 ift
bier auf den 27. Pharmuthi angefept. Es wäre bief
der 22. April. Herr Galle wollte aber ohne Zweifel
ben 27. Phamenoth färeiben, b. i. der 23. März, wie
er denn auf ©. 50. Rr. XVII. angibt, i. I. 346 hätte
Dfern am 23. März gefeiert werden follen. Allein in bet
That wurde e8 um eine Woche fpäter, am 30. März oder
Atm Pharmuthi begangen, wie Ahanafius in feinem
18. Feſtbrief (S. 141) verorbiret, und aud) der Vorbericht
€. 32 bemerkt.
Hefele.
4.
Schandlung der Ehefahen im Sisthum Nottenburg in
pfarramtlicher und feelforgerlicher Hinficht, dargeftellt von
Ichann faptift Hafen, Pfarrer in Gattnau. Rottenburg,
Berlag der Gack'ſchen Buchhandlung 1853. 8, 90 ©.
Preis 36 ἔτ.
Das vorliegende Schriften enthält eine fpftemati[d)
georbnete Zufammenftellung fämmtlicher im Bisthum Not
tenburg geltenden Verordnungen in Betreff der Ehe, wie
fie von ber firhlihen und weltlichen Gefeggebung erlaffen
wurden; ber Hr. SBerfaffer will damit denjenigen jungen
Geiſtlichen, welchen die Führung eines Pfarramtes über»
tragen wurbe, eine Anleitung an bie Hand geben, wie fie
die vielen und oft fo verwidelten Eheangelegenheiten nad
den bei uns beftehenden Einrichtungen zu behandeln haben.
Die Gefeggebung in Eheſachen ift (don an fid) eine ber
ſchwierigſten Materien der practifhen Seelforge unb biefe
168 Safe,
Schwierigkeit wird in unferer Diöcefe nod) baburd) erhöht,
daß bie einzelnen Gefege in den verfhiedenen Sammlungen
wngeorbnet umherliegen und e8 für ben Anfänger große
Mühe foftet, diefelben in ihrer Gefammtheit ausfindig zu
maden; zudem find bie Quellen diefer Gefeggebung bei
uns fo reichlich gefloffen, daß einer Menge von frühern
Verordnungen burd) neuere Beftimmungen derogirt wurde,
ein Umftand, ber im einzelnen Falle die Löfung ber Trage,
was jett rechtliche Gültigkeit Habe, oft febr erſchwert und
eine gewiffe Unficyerheit in Behandlung biefer Angelegen-
ten zur nothwendigen Folge hat. Es wird befbalb nicht
in Abrede gezogen werben fönnen, baf der Gedanke, eine
georbnete Zufammenftellung (ámmtlider jett gelten-
der Ehegefege zu geben, ein fehr practifher fei und einem
wirklichen SBebürfniffe entgegenfomme. Stellen wir uns
fodann auf den Standpunkt des Hrn. Verfaffers, wornad)
ex feine gelehrte Arbeit geben, fondern lebiglid) prac-
tifden Zweden dienen will, fo müffen wir aud) bie Yus-
führung dieſes Gedankens eine gelungene nennen: bie
Gefege find mit wenigen Ausnahmen febr vollftánbig
aufgeführt, fo daß wohl felten ein (all vorfommen wird,
für welden das Schriftchen nicht bie nöthigen Auffchlüffe
barbóte; ber ausgedehnte Stoff ift nad) einer febr ὁ Ὁ ed»
mäßigen GCintbeilung georbnet, bie, abgefehen von
bem beigegebenen alphabetifhen Sadhregifter, das ϑὲα
lagen febr erleichtert. Der erfte Abſchnitt behandelt
bie Stage, was hat zu geſchehen vor der Schließung ber
Ehe und befpricht die verſchiedenen bürgerlichen unb kirch⸗
lichen Ehehinderniffe; der zweite gibt bie Verordnungen,
bie bei ber Schliefung der Ehe zu beobachten find, fan»
delt alfp von den Sponfalien, bem Brauteramen und den
Behandlung der Ehefachen. 169
damit zu verbindenden SBelefrungen, von ben Prorlamas
tionen, der Trauung, bem Eintragen berfelben in's Bamis
lien» und Eheregifter, fomie von ber weltlichen Hochzeit⸗
feier. Der dritte Abſchnitt beſchaͤftigt ſich mit der
pfarrlichen Thätigkeit nach bem Abſchluß der Ehe, alfo
mit der Behandlung ber Ehediſſidien, mit ben Klagen
auf Trennung ber Ehe, mit den Difpenfationen u. f. tv.
Der Anhang gibt einige Mufter von auszuftellenden Scheis
nen, Bittgefuhen und Stammbäumen, bie eine dankens⸗
werthe und namentlich für Anfänger febr zweckmaͤßige Zus
Babe find. Jedem wichtigern Punkte der Ehegefeggebung
geht zur Orientirung bes Lefers eine furge Darlegung bes
gemeinen canonifchen Rechts voran und bann erft folgen
die particularrechtlichen Beftimmungen unferer Diöcefe;
tenfo zwedmaͤßig hat ber Verfaffer bei jedem einzelnen
Salle bie Behörden genannt, bie bei der Behandlung
deffelben thätig find, unb an melde ber Pfarrer fi) zu
wenden hat. Defgleichen müffen wir e8 als einen Bors
dug ber Arbeit bezeichnen, daß bei allen Difpenfationsfäl-
lm zugleich bemerkt ift, ob unb welde Sporteln an bie
difpenfizende Behörde zu entrichten feien, worin befannts
lid bie neueften Beftimmungen von ben Altern merklich
abweichen, endlich find überall, wo es als nöthig erfcheint,
mit großer Genauigfeit bie Abweichungen bemerflid ges
madt, bie in ben ehemaligen Defterreihifhen Orten, in
welchen nod) heute bie Sofepbinijde Ehegefeßgebung Gil»
tigkeit hat, beachtet werben müffen, ein SBunft, der gleich“
ſalls geeignet ift, dem nod) Ungeübten Schwierigkeiten zu
bereiten und Mißgriffe zu veranlaffen. — Wenn wir nad
ΑἹ bem Gefagten feinen Anftand nehmen, das in Rebe
Rehende Schriftchen ala ein fer zwedmaͤßiges allfeitig au
170 Hafen,
empfehlen und bemfelben bie verdiente Anerkennung zu
wünfchen, fo müffen wir und bod) aud) erlauben, auf einige
Berftöße und Unvolftänbigfeiten, bie fid) in bemfelben ἔπε
den, aufmerfíam zu machen. In Betreff der Ehehinders !
niffe fagt der SBerfaffer ©. 16: „das allgemeine Kirchen
redjt weiß nichts von einer Trauerzeit bei Verwittweten,
nichts von ber Altersungleichheit, nichts von ber Minders
jährigfeit in unferm Sinn und nichts von bem Qinbernig
des Mangels an elterlihem Conſens.“ Die erſtere biefer
Behauptungen (daß das gemeine Recht von einer Trauer
zeit der Wittwe nichts wiffe) ift in der Beftimmtheit, mit
welcher fie hier aufgeftellt wird, nicht ganz richtig. Die
Eanoniften find in ber Beantwortung ber Frage, ob die
Tirdjide Gefeßgebung der Wittwe- ein Trauerjahr vor.
ſchreibe, allerdings uneinig, aber bie bejahende Antwort
verdient ohne allen Zweifel ben Vorzug. Das römifhe
Recht nämlich hatte beftimmt, daß bie Wittwe erft nad
Ablauf eines Jahres feit bem Tode ihres Gatten zur |
zweiten Ehe fihreiten dürfe (fr, 9. 10. 11. Dig. de his,
qui notantur infamia 3. 2.) und zwar will das Gefeg mit
diefer Vorſchrift bie turbatio sanguinis sive seminis vet«
hindern: würde ber Wittwe fogleich nad) bem Tode ihres
Gatten voieber zu heirathen geftattet fein, fo koͤnnten fij
in Betreff des erften Kindes dieſer zweiten Ehe febr leicht |
Zweifel erheben, wer beffen Vater {εἰ — ob der erfte ober
weite Gatte; biefe Unficherheit zu vermeiden war ber Zwed
der Trauerjahrs. Auf der andern Seite follte daffelbe bem
Verdachte vorbeugen, als habe fij die Gattin [don wäh
rend bes Lebens ihres Ehemannes nad; einer andern Ver⸗
bindung gefehnt ober gar bie efefidje Treue gebrochen,
und wolle nun bie Bolgen biefed Verbrechens vor den Augen
Behandlung der Ehefachen. m
ber Welt durch alsbaldige Verheirathung verbergen (No-
vell. XXXIX. c. 2). Der Wichtigkeit diefer Gründe ganz
entfpred)enb, waren aud) bie Strafen ber Verlegung des
Trauerjahres fehr bedeutend: bie Wittwe ſowohl als ihr
weiter Gatte verfielen der Infamie (fr. 11. Φ. 4, fr. 12.
Dig. de his, qui not. infamia 3. 2), die Wittwe verlor
alles dasjenige, was fle der Liberalität ihres erften Dans
nes verbanfte (c. 1. 2 Cod, de secundis nuptiis 5. 9),
fie fonnte von Niemand teftamentarifh bedacht werben und !
ab intestato von jenen Perfonen nicht erben, bie mit ifr
entfernter, .a[8 im dritten Grab verwandt waren (No-
vel. XXIL c. 22). Dieß find bie Berimmungen des τὸν
nifhen Rechts und es fragt fid) jet, ob fle vom cas
voni f d) en Rechte aufgehoben, abgeändert ober vollfommen
beibehalten worden fepen? Die einzigen hieher gehörigen
Stellen find c. 4. 5. X. de secundis nuptiis 4. 21. Die
erſtere berfelben, bem Sinne nad) ganz übereinftimmenb
mit c. 5, lautet: „super illa quaestione, qua quaesitum
est, an mulier possit sine infamia nubere intra tempus
luctus secundum leges definitum, respondemus, quod, cum
apostolus dicat: mulier, viro suo mortuo, soluta est a lege
viri sui et in Domino nubat, cui voluerit: per licentiam"
εἰ auctoritatem apostoli ejus infamia aboletur.* Daß zur
Seit Urbans II, von weldem biefe SBerorbnung erlafien
wurde, bie roͤmiſche Gefeggebung über das Trauerjahr
noch allgemeine Rechtskraft hatte, geht aus ben Worten
hervor: an mulier possit sine infamia nubere intra tempus
letus secundum leges definitum; an biejen Gefegen will
der Babft im Hinblid auf das cititte Wort des Apoftels
nur das ändern, baf die Wittwe, wenn fie vor "Anlauf
des Trauerjahres zur zweiten Ehe fügreite, nicht mehr
172 Hafen,
wie bisher ber Snfamie verfallen fein folle:
nur über biefen Punkt war, wie ber flare Wortlaut zeigt,
die Entſcheidung des Papftes nachgefuht unb feine Ents
ſcheidung fann fij bemnad mur auf ihn beziehen, — ob
durch biefelbe neben ber Infamie aud; bie andern Strafen
des roͤmiſchen Rechts aufgehoben worden feien, ift. zweifel⸗
haft, für bie Behauptung aber, baf Urban mit dieſer Decres
tale bie Trauerzeit überhaupt habe aufheben wollen,
findet fid nift ber geringfte Anhaltspunft. Die letztere
Abſicht, die bem Papfle von einigen Ganoniften unterlegt
wird, würde bem Geifte der Kirche und ihrer Gefeßgebung
durchaus wiber[prodjen Haben: überall, wo von ber zwei⸗
ten Ehe die Rede ift, wird bie Eingehung berfelben, mag
fie früher ober fpäter erfolgen, immer als ein Beweis
von Unenthaltfamfeit angefehen, fle war, wenn aud ge
duldet, bod) ftets mifbilligt: würde nun das Oberhaupt
der Kirche durch gänzliche Aufhebung ber Trauerzeit nicht
den Witten Gelegenheit gegeben haben, gleichſam über
dem Grabe ihres verforbenen Gatten einem zweiten bie
Hand zu reichen und baburd), begünftigt burd) das Gefeh,
eine Unenthaltfamfeit an ven Tag zu legen, bie felbft bem
heibnifchen Gefühle zuwider war? Endlich wäre nicht zu
begreifen, wie ba8 kirchliche Recht, das. in allen andern
Punkten die Ehe mit fo tiefem Grnfte und faft aͤngſtlicher
. Oewiffenhaftigfeit behandelte, die Gefahr der turbatio san-
guinis und bie großen daraus entftefenben Nachtheile durch
Aufhebung des Trauerjahrs fo ganz follte aufer Augen
gelaffen haben. — Durch diefe Erwägungen halten wir
uns zu der Anficht berechtigt, das canonifche Recht habe
mur bie Strafe der Infamie für bie Verlegung bed
Trauerjahres, nicht aber dieſes [elbft aufheben wollen,
Behandlung der Ehefachen. 173
eine Anſicht, bie auch nod unter ben neueſten Ganoniften
angefehene SBertfeibiger hat; fo fagt 3. 8. Richter (Kir
chenrecht, $. 270): „die Beftimmung des römifchen Rechts,
daß bie Wittwe innerhalb des Trauerjahres fid) nicht wie
der verheirathen dürfe, ift im canonifchen Rechte, jebod)
unter auébrüdlider Aufhebung der Strafe ber Infamie,
als auffchiebendes Hinderniß anerfannt." Ebenſo Ban»
gerom, Leitfaden für Bandecten-Borlefungen, L &. 348. —
Wenn wir mit den bisherigen Bemerkungen nicht gerade
auf eine Unrichtigkeit, fondern nur auf eine Unger
nauigfeit des vorliegenden Schriftchens aufmerkſam ma«
hen wollten, fo verhält eà ſich ganz in berfelben Weife
mit folgendem Punkte. ©. 35 fagt der SBerfaffer: „Ber
wr dft bic Ehe nichtig, menn bei ber Eingehung ein
Jribum über wichtige, das Wefen der Ehe nahe anger
bende Berhältniffe beſtand. Welches biefe feien, ift aber
niht genau beftimmt und daher bem richterlichen Grmeffen
überlaffen. Man rechnet dahin: bie Shwangerfhaft
der Braut von einem Dritten, ein vor der Ehe
begangenes peinlihes Verbrechen, bleibende,
fóon vorher dagewefene, Gemüthskrankheit.“
Auch diefes hätte nicht mit ber categorifhen SBeftimmte
heit ausgeſprochen werben follen, wie hier geſchehen ift.
Zwar enthält bie Gefeßgebung über biefe Punkte Feine
nähern Beftimmungen und bie moderne Doctrin unb
Praris hat fie bisweilen wirklih unter bie trennen⸗
den Ehehinderniffe geredjnet, aber ob bie im Geifte des
firchlichen Rechtes begründet fei, láft fid febr bezwei⸗
fen. Adgefehen von ben Altern Ganoniften, die biefe in»
derniffe nicht Eennen, hat, was wenigftens bie Schwangers
{Haft bez Braut betrifft, nod in ben neuern Zeiten Stapf
174 Safen,
Waſtoralunterricht über die Che, S. 105 ff.) die Gründe
für und wider fo einleudhtend dargelegt, daß man ihm
mur beiftimmen fann, wenn er fid) für die Anſicht entſchei⸗
det, daß fie fein trennendes Ehehinderniß begründe. Außer
bem aber liegt über diefen wichtigen Gegenftanb aud) eine
ausbrüdliche Entſcheidung ber Congregatio Concilii vor,
die jeden weitern Zweifel unmöglich madjt. Diefelbe fuv
bet fid) nad ihrem ganzen Wortlaute bei Knopp, Sar
ſtellung der firchlichen Lehre von den Ehehinderniffen, I.
€. 59 f. — In Betreff ber revalidatio matrimonii heißt
es ©. 64: „Wenn das inbernig nur einem Theil bes
fannt und von biefem geoffenbart worben ift, unb wenn
man befürchten muß, der andere Ehetheil würde Die Ehe
nicht fortfegen, wenn er davon wüßte: bann ift große Klug
heit nöthig. — Man beruft bem andern Ehetheil, ftellt
ihm bie Gadje vor und. ſucht ihn dahin zu bringen, taf
er zur Einholung ber nadhträglihen Difpens einwilligt.“
Es ift hier von bem ſchwierigen Falle bie Rede, wo bie
unter einem trennenben. Hinderniffe, alfo ungültig einger
gangene Ehe vevalidirt werden muß, der des Hinderniſſes
unfunbige Gatte aber befürdten läßt, er werde, falls er
von dem Stand ber Cade Kenntniß befomme, nicht die
Dispens unb bie Wieverherftellung feiner Ehe, fonbern die
Trennung berfelben verlangen. Er muß zum Zwed ber
Revalidation von ber Ungültigfeit feiner Ehe in Kenntniß
gefept werben unb eben das ifl bie Frage, wie bief zu
bewerfftelligen {εἰ Wenn ber Herr SBerfaffet fagt: „man
' beruft den andern Ehetheil, ftellt ihm die Gadje vor und
fudt ihn dahin zu bringen, baf er jur Einholung
der nachträglichen Dispens einwilligt”, fo müffen wir biefe
Anweiſung als ungenügend bezeichnen. In einzelnen guͤn⸗
Behandlung ber Cheſachen 475
fügen Fällen mag fie zum Ziele führen, aber in.vielen ift
fie geradezu unanwendbar z. B. wenn ber Pfarrer bloß
in der Beicht Kenntniß von ber Ungültigkeit der Ehe et»
hielt — und in andern wird dieſes raſche Vorfchreiten
gerade die Gefahr nahelegen, burd) unummundene Aufs
flárung des unfundigen Gatten bie Revalivation zu ver»
hindern unb ihm Gelegenheit zu geben, auf völlige Auflöfung
der putativen Ehe anzutragen. Wir hätten bafer gewünfcht,
daß in biejer wichtigen Materie genauere Aufſchlüſſe ge»
geben ober bod) auf Autoren vermiefen worden wäre, bei
welchen der Geiftlihe in einem fofdjen Falle ausführliche
Belehrung finden fanm. Dergleihen Schriftfteller find
4. 98. Van-Espen, J. E. P. IL tit. XIV. c. 5. 7; Reiffen-
siuel, J. C. Lib. IV. Appendix, de dispensatione $. XIII;
Held, Jurisprud. univers. L. IV. D. V. c. 3. $. 2. und
bie vortreffliche Inftruftion von 38 en eb i c t XIV. Institut. ec-
desiast. instit. 87. — (5, 26. werden bie causae dispensandi
aufgeführt, aber fle find nicht in ihrer Vollftändigfeit an»
gegeben: es fehlt das periculum haeresis, bie excellentia
merilorum unb bie impraegnatio sponsae. Wir bemerfen
dieß deßhalb, weil bie fenntni aller Dispenfationd«
gründe für den. Geiftlihen von großem Intereſſe ift, um
in jedem einzelnen Falle ſogleich beftimmt zu woiffen, ob
für ihm ein vom Rechte anerfannter Unterflügungsgrund
dorliege oder nicht, b. b. ob Dispens überhaupt erwartet
werben bürfe ober nicht. Ebenfo hätten bie Fälle, in
welchen nach bem gemeinen Rechte der Papft biópenfizt,
von ben biſchoͤflich en genauer auseinanbergehalten
werben follen, denn das Dispensgeſuch ift je nad) ber
Behörde, der εὖ vorgelegt wird, vom Pfarrer verſchieden
iu behandeln; wenn ©. 73 gefagt wird: „in ben Hinder⸗
176 Syg. Loyola, Vergmahr, Hirſcher u. A.
niſſen bec Weihe, des feierlichen und einfachen Geluͤbdes
der Keuſchheit u. ſ. f. entſcheidet die paͤpſtliche Curie“, ſo
ift dieſe Aufzählung der paͤpſtlichen Dispensfälle offenbar
ſehr mangelhaft. — S. 33 f. handelt der Verfaſſer von
der Geſetzgebung in Sachen der gemiſchten Ehen mit der
erforderlichen Ausführlichkeit, nur hätte auch die Verord⸗
nung vom 16. Nov. 1831, welche bie geſetzlichen Beftim-
mungen über bie Erziehung der Kinder aus gemifchten
Ehen enthält, berührt werben follen; ebenfo it in bem
Abſchnitte, ber von ben Eheftreitigfeiten handelt (&.58 fi.)
bie Verordnung vom 18. Mai 1818, welche die Behand»
Tung ber Streitigfeiten in gemiſchten Ehen enthält, uner-
wähnt geblieben. . Auch wurde ©. 20 bei der gefehloffenen
Zeit al& auffdicbenbem Hinderniffe die Verordnung vom
2. Aug. 1825 weder eitirt nod) ihr Inhalt vollftändig ange
geben. — Mebrigens mag εὖ an biefem wenigen Bemers
kungen genügen: wie Jedermann fieht, betreffen fie nur
minder erhebliche Mängel, welche die praftifhe Brauch⸗
barfeit des Schriftchens nicht wefentlih beeinträchtigen,
weßhalb wir unfer obiges Urtheil über daſſelbe wiederholen
und es ald Rathgeber jedem jungen Geiftlichen angelegents
lid empfehlen.
$ober.
5.
1. Exercitia spiritualia juxta methodum S. Ignati Loyolae
a Sacerdole Societatis Jesu jam pridem exarata et edits.
Nova editio sub auspiciis excellenlissimi et reverendissimi
Archiepiscopi Carthaginiensis nuntii apostolici Viennae.
Viennse typis congreg. mechelarist. 1851. p. 394.
Praktifche Schriften. 177
3, Manrefa oder die geifllichen Webungen des heiligen
Ignatius in’ neuer Teichtfaßlicer Darſtellung zum Ge⸗
brauche aller Gläubigen. Aus bem Branzöflichen,
Zum Beſten der armen Schulfchweftern in Nordamerika
herausgegeben von ber Verwaltung be8 Lubwig-Mifflond-
Vereins. Siegenóburg. ὅτ. Puftet. 1848. -
3. Des chrwürdigen Paters 30b. Pergmayr, Priefters ber
Geſellſchaft Sefu, Betrachtungen in ber geiftlichen Einfamfeit
beſonders für Orbensleute. Neu herausgegeben von fi.
Singel. Zweite Auflage der neuen Ueberarbeitung.
Augsburg 1851. Kollmann'ſche Buchh. — S. 280.
Preis 1 fl. 12 fr.
i Anleitung zur chriſtlichen Vollkommenheit nach ben
heiligſten Muftern Iefus und Maria. Aus dem Branzö-
ſiſchen überfept. Wien 1851. Drud und Verlag ber
Mechitariſten ⸗ Congregationsbuchhandlung. Erfter Theil.
€. 332. Zweiter Theil. ©. 296. Pr. 1 fl. 45 fr.
Die Religion in Betrachtungen zum Gebrauche Alter,
die mit aufrichtigem Herzen Gott fuchen, beſonders für
diejenigen, welche fid) mit ber Kindererziehung befchäftigen,
nah Abbe Nohrbacher, von Abbe Müller im Mutter»
Haufe der chriſtlichen Schulbrüber. Wien 1852. Θεοὶ,
tariften - Gongregationsbuchandlun. Erfter Band,
vom Advent bis Himmelfahrt des Herrn. ©. 268, Zmwei«
ter Band, von Góriftt Himmelfahrt His Advent. ©. 304.
6. Liber precum ad usum sacerdotum, continens preces quo-
lidianas, praeparalionis ad missam et gratiarum actionis,
ad consolandos infirmos, necnon ritus in administratione
sacramentorum variisque «caeremoniis adhibendos. Cum
permissu superiorum. Moguntii, Kirchheim et Schott. 1852.
6.224, Pr. — ἢ, 54 f.
Derl. Daartal(érift. 1889. I. Geh. 12
178 Ig. Loyola, Pergmahr, Hirfeher u. A.
7. Die Nachfolge der allerheiligfen 3ungfrau tn vir
Büchern, Aus dem Franjzoſiſchen. Neue Ueberſetzung
Dritte Auflage. Wien, Mechitariften-Gongregationd-
buchhandlung. 1852, 12. ©. 392, Pr. 30 fr.
Katechismus der katholifchen Glaubens- und Sitten-
lehre. Zunächft ald Handbuch für Lehrer und Katecheten
von Heinrich Güngel, Verfaffer des Leitfadens für den
Belt - und Communtonunterricht ic. Mit Erlaubniß
geiflicher Obrigkeit. Gtriegau 1851. Verlag von X. Hof
mann. — 8. ©. 259. Pr. 1 ([ 20 fr.
9. Ratholiſcher Aatechismus für ble mittlere und ober
RKlaſſe. Eine gefrönte Preisſchtift von Jak. Sit
und Ich. R. Schmitz, Pfarrern. Mit mehreren biſchoſ⸗
lichen Approbationen. Zweite Auflage. Köln unb Neuf.
Schwann'ſche Verlagehandlung. 1851. 12. ©. 296.
10. Hiftorifcher fatedjismus ober geſchichtliche unb grünblide
Erklärung des katholiſchen Glaubens unb Lebens In fragen
und Antworten, von fanbpfarrer Wilhelmus. Mit bi-
ſchoͤflicher Approbation. Erefeld 1851. Verlag v. Gh
rich und Comp. 12. ©. 156. Pr. 21 fr.
11. fritfaben für den Beicht- und Eommunionunterridt.
Bon einem Geiftlichen ber Diöcefe Breslau. Zweite, der
befferte Auflage. Mit Genehmigung eines Hochw. Fürf-
bifchöfl. Generalvikariats Breslau. Striegau, Verlag v.
A. Hofmann. 1848. ©. 68. Br. 15 fr.
12. Buße und BSeichte oder Anleitung zum würbigen Em,
pfange des HI. Sacraments ber Buße, insbeſondere zur
Verrichtung einer Generalbeichte. Nebſt einem Anhang
enthaltend Sorgen und Abend, Beichte, Communlons |
und Mefgebete. Bon Gafpar Ant. θεῖε, Paſtor zu
8.
Praktiſche Schriften. - 419
Rahrbach. Mit Gutheißung des Hochw. Biſchöfl. Orbina-
tlat8 Paderborn: Zum Beſten einer armen Kirche. Zweite
vermehrte unb verbejferte Auflage. Soeſt u. Olpe Verlag
der Naffefchen Buchhandlung. 1851. 12. ©. 125.
Preis 18 fr.
Aurze und vertrauliche Antworten auf bie am meiften
verbreiteten Einwurfe gegen ble Religlon von Abbe v.
Segur. Ind Deutfche überfegt v. €. 3. Cümmerer.
Der Ertrag ift zum Beſten ber deutſchen Miſſton in
Paris.) Mainz, Verlag v. Kirchheim und Schott. 1852.
©. 140. Pr. 18 fr.
14. patriſtiſche Rundſ chau, ober paffmbe Stellen für bie
dvorzüglicäften Glaubens- unb Sittenlehren ber katholiſchen
Erblehre aus ben Schriften ber HI. Kirchenväter. Bon
Anton Gundinger, Weltpriefter. Wien 1851. Drud
und Verlag von A.-Pichlers Wittwe. ©. 353.
. Goldgrube für Prediger und flatedjeten, v. Dr. Kich-
ter, Pfarrer. Grfter Band. Wim 1852. Drud und
Verlag der Medjitariften-Eongregationsbuchhanblung. ©.
420. Br. 2 fl. 24 fr.
16. Beiträge zur Homiletik und Aatechetik. Bon Dr. 3.
8. Hirfher, Tübingen 1852. Verlag ber Q. Laupp'-
fen Buchhandlung. ©. 118. Pr. 30 fr.
Es unterliegt feinem Zweifel, daß zur Hebung eines
innern geiftigen und religiöfen Lebens die Betrachtung unb
das innerliche Gebet unerlaͤßlich ift. Eine beſſere Anwei—⸗
fung hiezu dürfte aber nicht leicht gefunden werben, als
fe in den geiftliden Uebungen „(exercilia spiritua-
la)* des heit. Ignatius gegeben ift. Diefelben haben fid)
frt drei Jahrhunderten bewährt; und wenn man fie aud)
12*
1
*
180 834. Loyola, Pergmahr, Hirſcher u. A.
auf einige Zeit verlaffen unb bei Seite legen follte, fo
wird man bod immer wieder darnach greifen. An ihrer
Hand fann man am leichteften und einbringlichften jene
Uebungen des Geiftes machen, ,fraft welcher ein Indivi⸗
buum in ftiller Abgeſchiedenheit vor Gott bie ewigen Wahr⸗
heiten fi zu Gemüthe führt und im Lichte berfelben feinen
Seelenzuftand prüft in ter Abfiht, am fid) zu verbeffern,
was fehlerhaft ift, unb fobann feinem Leben eine ſolche
Stiftung zu geben, welde Gott bie wohlgefälligfte und
feiner Seele die évfprieflidfte iſt h.“
Die ganze Einrichtung biefer Uebungen, bie fid) durch
ben dreifachen Weg, den Weg ber Reinigung (sc. v. ben
Sünden), der Erleuchtung (bud) Betrachtung des Beifpiels
Jeſu ChHrifti und burd) Entſchließung zu feiner Nachfolge),
und ber Vereinigung mit Gott in reiner Liebe hindurch
bewegen, ift eine fo zwedmäßige, ihres Erfolges fo fidere,
dag man fid zur Annahme berechtigt glaubte, Ignatius
habe biefe geiftigen Uebungen unter Eingebung des heil.
Geiftes abgefaßt, was deßhalb um fo glaubhafter wird,
weil Ignatius biefe& bewunderungswürdige Büchlein zu
einer Zeit ſchrieb, wo er nod) aller wiſſenſchaftlichen, ins⸗
befonbere theologifhen Bildung entbehrte, und in gaͤnzli⸗
her Abgefchieenheit in ber Höhle von Manrefa lebte.
Wegen diefer großen Bedeutſamkeit fand das genannte
Büchlein des heil. Ignatius verſchiedene Bearbeitungen
von Mitgliedern der Geſellſchaft Sefu und von andern Geis
ftesmännern, daher bie exercitia spiritualia juxta metho-
dum St. Ignatii fer vielfältig verbreitet find. Diefe Erer-
eitien des BL. Ignatius befommen aber in ber gegenwaͤr⸗
1) Genelll, Leben des Heil. Ignatius v. Loyola, &. 111.
Praktiſche Schriften. 181
tigen Zeit durch bie Wiederaufnahme der Volfsmiffionen
unb ber Priefterexereitien wieder eine befondere Bedeu⸗
tung; denn fowohl bie Miffionen als bie Erereitien wer»
den nad ber Methode ber geiftlichen llebungen des heil.
Ignatius abgehalten. Es ift wohl nicht zu viel gefagt,
wenn ber obenangeführte Genelli weiter bemerkt: „Hins
fibtlid) beffen, wie fid) biefe Wirfung nah aufenbin fund
gab, ift bemerf(id) zu machen, daß bie Gefellfhaft Sefu
ſelbſt ihr Gntfeben, ihre Grfaltung und Fortpflanzung,
fo wie ihre organifche Eintihtung ben Grercitien verdankt“
(&. 123). Da biefe Erercitien das völlige Eigenthum
jedes Mitgliedes des Ordens bei feinem Eintritte werben
wüffm und fij fobanm in ber täglichen Mebitationsftunde
fmtfegen, fo begreift man, warum bie Mitglieder dieſes
Ordens zur Abhaltung von Miffionen und Grercitien ganz
befonber geeignet find 4.
1) Es liegen drei Bearbeitungen der Geiftesübungen
des hl. Ignatius vor und; bie erfte (Mr. 1.) ift vorzugs⸗
weife auf Klerifer berechnet, bie zweite (Nr. 2.) auf Layen,
die dritte (Nr. 3.) auf Orbensleute. Die erfte ift. ein
wörtficher SBieberabbrud einer Bearbeitung, bie im Jahre
1765 auctore J. M. K. ss. theol doctore et professore
emerito ín Freiburg im Breisgau bei Wagner erfchien.
Daß es eine Ältere Bearbeitung fep, ift auf dem Titel
bemerkt, aber nirgends näher gefagt, daß gerade jene Aus»
gabe abgebrudt worden fep! Es wäre zweckmaͤßig gewe⸗
fen, aus ber alten Ausgabe den Beifag ad usum cleri-
torum accomodata bem Titel beizufügen, da εὖ natürlich
1) Auch die Liguorianer werben (n ihrem Noviziate mad) ber gleis
Gen Methode geſchult.
182 "3g. Lohola, Pergmahr, Hirſcher u. A.
ein Unterſchied ift, ob bie Geiftesübungen für Ordensleute
ober für Klerifer überhaupt bearbeitet find. Diefe neu»
abgevrudte Ausgabe ift für Weltklerifer beftimmt, und
fann als eine fehr gute und zwedmäßige bezeichnet wer⸗
ben. Hat ein Priefter Erereitien unter ber Leitung eines
Meifters mitgemacht, fo hat er an biefem Buche ein be»
quemes Mittel, in feiner Abgefehiedenheit bie. gehabten
Ginbrüde wieder aufzufrifchen; hat er feine Gelegenheit
gehabt. öffentliche Erereitien mitzumachen, fo hat er hier
einen zuverläßigen Führer, an beffen Hand er in einer
etwaigen achttägigen Zurüdgezogenheit die wichtigften emis
gen Wahrheiten betrachten fann, um biejen in feinem
Innern zur fegensreihen Ausübung feines Berufes wieder
rechtes Leben unb Kraft zu verídjaffen. Diefe neuaufges
legte Bearbeitung ber Geiftesübungen des 5. Ignatius
fann daher allen Klerifern empfohlen werben. —
2) Mit befonderm Vergnügen bringt Referent Nr. 2
jur Anzeige, ein Bud), das in recht vieler Hände zu wün-
fen if. Die Betracptungsgrundfäge des 5. Ignatius find
einfach zur Anwendung gebracht; die Betrachtungen feldft
in leijtfaglider Borm durchgeführt, und mit fo vielen
Meditationspuncten und Andeutungen untermifcht, daß es
nicht viel Uebung in der Meditation braucht, um biefes
Buch mit 9tugen anzuwenden. Wenn ein Laye, der nur
wenig befähigt ift für geiftige SBetradjtungen, die hohen
und ewigen Wahrheiten unferer heil. Religion zur Bele⸗
bung unb Auffriſchung feines innern religiöfen Lebens eins
bringlid betrachten will, findet er in biefem Buche eine
ausreichende 9Infeitung und zugleich Verarbeitung des Stofr
fes. Auch Priefter können diefes Buch mit Beifügung
deffen, was für ihren Stand befonders in bie Erwägung
Vrabtiſche Schriften. 183
und Beherzigung aufgenommen werben muß, unzweifelhaft
mit großem Vortheile benügen, felbft aud) in bem falle,
wenn fie darin nicht blos Anleitung und Stoff zu Medi⸗
tationen, fondern aud) zu Predigten fuchten. —
3) Nr. 3, vorzugsweife für Ordensleute, ift, wie es
fh von bem SBerfaffer Pergmayer nidjt anders erwarten
läßt, eine ihrem Zwecke ganz entſprechende Bearbeitung
der Exercitien. Die Betrachtungen find fehr zweckmaͤßig
angelegt unb grünblid und faft volfftánbig ausgeführt, fo
daß deren SBenügung febr leicht unb bequem gemadit ift.
Es ift für adttágige Erercitien eingerichtet, und muß,
wenn es innerhalb ber genannten Zeit nicht blos durchgele⸗
fen, fondern burchmebitirt wird, einen tiefen Ginbrud
nrüdlaffen. Auch Weltleute können das Buch zu Betrach⸗
tungen und Geiftesübungen benügen. —
4) Die Nr. 4 verzeichnete Anleitung zur chriſtlichen
Vollkommenheit ift bie Bearbeitung eines franzöfifchen Wer⸗
les mit dem Titel: l'interieur de Jesus et de Marie. G6
fehlt ung nicht an verſchiedenen asretifhen Schriften, welche
es fid zur Aufgabe geftellt haben, bie gläubigen Seelen
wur chriſtlichen Vollkommenheit zu leiten und darin zu [ὅτε
dern. Diefes Werk verfolgt aber einen eigenen Gang,
infofern es ganz in das Leben Jeſu Chriſti und der felig-
fen Jungfrau Maria einzubringen fudit, um dort bie fihern
Wege zur Bollfommenheit aufzuzeigen. Und zwar geht
der Verfaffer von ber gewiß richtigen 9Infit aus, daß
man nicht blos bie aͤußerlich in bie Augen „fallenden Puncte
des Lebens Jeſu und Mariä betrachten, fonbern in ihre
innere Gefinnung ſich verfenfen muͤſſe. Es if unläugbar,
daß εὖ gegenwärtig viel blos Außerlihes Ehriftenthum gibt,
die Verinnerlichung beffelben aber weſentlich duch bie ges
184 Sig. Lohola, Pergmayr, Hirſcher u. A,
nannte Weife ber Betrachtung des Lebens Jeſu bis in bit
einzelnften Züge hinein geförbert werben fann. Die Ans
Tage biefer Betrachtungen ift wumfaffenb, und wohl fein
eud) irgendwie bemerfbarer Punct in bem Leben 3efu
übergangen. €8 ift bie chronologiſche Ordnung eingehal-
ten, durch ein befonderes Regifter aber ber ganze Gompler
der Betrachtungen fo abgetheilt, bag auf jede Woche mit
befonberer Berüdfihtigung ber Bedeutung des Kirchenjah⸗
res ein Betrachtungsftüd angewiefen ift. Daß bie Be
tradjtungen über das Leben Jefu wohl drei Viertheile ber
zwei Bände einnehmen, wirb nicht befremben.
Die Betrachtungen felbft unterſcheiden fid in der Borm
ziemlich ſtark von vielen derartigen Werfen, melde vor
zugsweiſe auf Erregung des Gemüths unb Beftimmung
des Willens ausgehen. Sie halten fid) nit an Aeußer⸗
lichkeiten, ſondern find gründlich theologiſch durchgeführt,
und bieten durchaus gefunbe Raifonnements. Ref. fuͤrch⸗
tet aber, fie möchten zu wenig lebendig unb anregend feyn,
da fid der Verf. zu fehr aller Bilder, Gleichniſſe, Bei
fpiele u. drgl. enthalten hat, ein Mangel, der bei Werfen
der Art immer [der empfunden wird. Der Betrad:
tungsftoff in biefem Buche ift jebod) reichhaltig.
5) „Die Religion in Betrachtungen von Abbe Mül
Ter (Sir. 5.) hat in ber äußern Einrichtung infofern Achı-
licjfeit mit den vorausgenannten Betrachtungen, als das
Religionsgange in Betrachtungen auf jeden Tag des Jah
res vorgelegt ift und zwar unter Berüdfichtigung ber fid»
liden Zeiten. Es find SBetradjtungen über bie Religion
in ihrem Zufammenhange; vom erſten Abventfonntage bis
Weihnachten über die Hauptereigniffe unb vorpüglidften
Perfonen des alten Teftaments, von Weihnachten bis Eprifi
Brote Säfte. 185
Himmelfahrt über die Hauptwahrheiten und Lehren ber
Kirche, über Leben, Leiden und Sterben Jeſuz von ba
bis Pfingften über bie Verheißung, bie Chriftus feiner
fide gegeben hat, nad) Pfingften über bie Trinität,
Altarſacrament, und fofort nad) ber Octav des δτοπίεί
namsfeftes bis zum lehten Sonntage nad Pfingſten über
bie merfwürbigften Heiligen eines jeben Jahrhunderts. Der
Gedanke, bie ganze Religion von ihren erften Anfängen
im Paradiefe bis herab auf das Leben und Wirken δεῖν
felben in der Kirche und den Heiligen burd) bie Jahrhun⸗
bete. Binburd in täglichen Betrachtungen fid) zu vers
gegenwärtigen und in feinem Herzen aufzuwärmen, ift
gewiß groß unb glüdlid) zu nennen. —
Die einzelnen Betrachtungen find an fid) Hein, unb
nehmen in der Regel nur eine Seite und etwas dazu ein,
aber fie find einfach, herzlich und dabei bod) früftig. Sie
eignen fi fer gut zu einer Heinen Abendvorlefung in
einer Familie, ober aud) in Anftalten für Kinder. Ob
fie für Schulamtszöglinge, für die fie verfaßt worden zu
ſeyn feinen, nidt etwas zu einfach unb fury feyen als
Abendbetrachtungen, möchte Ref. faft bezweifeln. Uebrigens
werben fie doch demjenigen, ber an folden Anftalten bie
Betrachtungen und Lejungen zu leiten hat, gute Dienfte
leiſten. —
6) Es fehlt nicht an kleinen Gebetsſammlungen, wie
fie ber Prieſter am Morgen und Abend, vor und nad
der hl. Meffe u. f. w. bedarf. Deſſen ungeachtet fann
man bod) das liber precum (Nr. 6.) willkommen heißen.
Es enthält außer ben täglich notwendigen Gebeten For⸗
mularien für bie Verwaltung ber HI. Saframente, Gebete
beim franfenbefude, bie ziemlich weit ausreichen und fehr
186 Ig. Loyola, Pergmahr, Hirſcher u. A.
paffenb gewählt find, Ritus zur SBeerbigung, einige Bene
bictionéformularien, die Professio fidei nad) Vorſchrift des
Triventinums; enblid) in einem Anhange einige Ehorals
gefänge, darunter eine missa pro defunctis, bie Marianis
fen Antiphonen und Anderes. Wenn ein Seelforgpriefter
biefeó Büchlein immer bei fij trägt, fo ift er für alle
Bälle gerüftet. Die Gebetsftüde und rituellen Formularien
find durchgängig als recht gut zu bezeichnen. —
7) Die Nachfolge Mariens (Nr. 7.) ift ein Betrach⸗
tungébüdjein , das von einem ungenannten Verfaffer ber
befannten Nachfolge Sefu von Thomas von Kempis nad ^
gebildet ift. Diefe Nachbildung erftredt fid) aud) auf Gin»
theilung und orm. Es wurde fdon öfters aus bem
Franzoͤſiſchen, feiner Urfprache, ins Deutfche überfept 3. 98.
von Grfen (Aachen 1838). Wenn das Büchlein feinem
Vorbilde auch nicht gleidjfómmt, fo enthält e& bod) eine
Menge heilfamer und weifer Ermahnungen, bie Maria
αἵδ᾽ unfrer zärtlich beforgten Mutter in ben Mund gelegt
find; εὖ nährt bie Andacht, unb ehrt auf eine einfache
und anfpredjenbe Weife alle Verhältniffe des Lebens nad)
dem göttlichen Wohlgefallen orbnen, unb ift barum empfehr
lenswerth. —
8) Unter den oben verzeichneten practifhen Schriften
find Nr. 8. 9 u. 10 SKatechismen. Ref. hat es immer
ungerne gefehen, wenn in einer Diöcefe an verfchiebenen
Seiten Katechismen gefertigt wurben mit ber beftimmten
Abficht des SBerfafferó unb Berlegers, benfelben einen fo
ausgedehnten Eingang in die Schulen zu verfhaffen, als
es immer möglich fein folle. Diefe Katehismusfabrir
Tation war in mandjen Diöcefen ein wahres Unglüd. Da
durch, daß in ber neuen und neuften Zeit in ben meiſten
Praktiſche Schriften, 181
Diseefen Deutfhlands burd) bie Biſchoͤfe Dioͤceſankatechis⸗
men eingeführt wurden, ift bie Sachlage eine andere ge«
worden. So wenig man wünfchen fann, baf nah Eins
führung eines beftimmten Katechismus in einer Diöcefe
bier Zweig ber practifch theologifhen Literatur als für
alle 3ufunft abgeſchloſſen angefehen werde, ebenfo wenig
lann zugegeben werben, baf ein Geiſtlicher ohne allen
höhern Auftrag ober Ermächtigung einen von bem Diös
ceſankatechismus abgehenden Katechismus fertige, unb ben»
felben in feiner und in andern Pfarreien einzuführen
fude. Ein Diöcefanfatehismus fann ohne Verlegung
des fanoni(djen Gehorfams nicht umgangen werden. Wenn
daher neben bem beftehenden Diöcefanfatehismus neue
and Tageslicht gefördert werben, fo fónnen die Verf. nur
die Abficht Haben, durch ihre Arbeit einerfeit& bie Kater
Hismusliteratur zu fördern und für bie Zufunft tüchtigere
Diöcefanfatechismen vorbereiten zu helfen, anbrerfeitó ben
Satedeten zu veranlaffen, burd) Studium von andern
Katechismen als beffen, ben er täglich in Händen hat, fid
in der Bertigfeit und Tüchtigfeit des Katechiſirens fortzur
biben, und fid) in fteter Regfamfeit auf biefem Gebiete zu
erhalten, indem er burdj tüdjtige Katechismen gewiß immer
neue Winfe erhält, bie er in feiner katechetiſchen Wirkſam⸗
keit mit Vortheil benügen fann. —
Bon letzterer Anficht ſcheint Güngel (Nr. 8) aus-
gegangen zu fein, wie er es auf bem Titel feines Kates
chismus anbeutet und in ber Vorrede beftimmt ausfpricht.
Es if deßhalb ein etwas erweiterter Katechismus, ohne
dag Volumen eines Handbuches zu haben. Der Verf.
hat mit Recht bie alte caniſiſche Eintheifung, zu der man
ſo ziemlich allgemein zurüdzugreifen (eint, zu Grunde
188 Sg. Loyola, Pergmapr, Hirſcher w A
gelegt. Die Form fanm im Ganzen als eine durchaus
gelungene betrachtet werben; bie Sprache ift einfach, praͤcis
und befiimmt. Den Stoff hat der Verf. recht vollftánbig
in furgen Antworten zufammenzufafien gewußt, unb an
vielen Orten, wie es bem Ref. ſcheint, ben catechismus
Romanus mit Gfüd benügt. (δ᾽ liegen fid) freilich im
Einzelnen einige Ausftellungen madjen, bie aber zu weit
führen würden. Ih made nur auf ben Einen Punft
aufmerffam, bag ἰῷ bie [pecielle Zuwendung der Erloͤſungs⸗
gnade burd) den hi. Geift an ben Einzelnen beftimmter und
betailliter hervorgehoben gewünfcht hätte. Im Uebrigen
werben Katecheten diefe Schrift mit Nupen lefen und ges
brauchen fónnen.
9. Im Unterſchiede von Güngel ſuchten bie beiben
€d mit einen Katechismus für ben Gebraud) der Kinder
in der Schule zu verfaffen. Die Bezeichnung: eine ger
Erönte Breisfhrift, muß zum Voraus für feine Cm:
pfehlung ſprechen. Auch fie haben bie Eintheilung des
Ganifius vollftánbig beibehalten, unb alle Hriftlihen Lehren
in ben befannten Rahmen einzufaflen gefucht. Die Sprache
in biefem Katechismus ift fehr einfach, und ſichtlich ber
Baffungsfraft der Kinder nahe zu bringen geſucht worden.
für ben ftatedjeten find den Antworten kurze Andeutungen
in kleinerer Schrift beigefügt. Angehängt if mod) ein
Heiner Katehismus. für die niebrigfte Klaffe, und eine
Sammlung der nothwendigſten Gebete. —
10. Weniger aló bie beiden Angeführten hat bem
Ref. der Katechismus von Wilhelmus gefallen. Er
charakteriſirt fid) felbft als “einen hiſtoriſchen Kate⸗
chismus. Da die Offenbarung Gottes als eine ge
ſchichtliche Thatſache in die Welt eingetreten ift, fo hat εὖ
Vraktiſche Sqhriften. 189
allerdings etwas für ſich, biefelbe in der Katechefe fo zu
behandeln, wie fie fid) dargeftellt hat. Allein Ref. ift der
Anfiht, daß diefes in ausreichender Weife in der biblifhen
Geſchichte geſchehen Fönne und geſchehen folle, daß Dagegen
im eigentlichen Fatedhetifchen Unterrichte, der ben Inhalt
ber Dffenbarung zum Gegenftanbe hat, ein anderer
Weg einzufhlagen fei. Der vorliegende Katechismus hat
ben Ref. wieder aufs Neue in diefer feiner Anficht bes
färkt. Im den erften zwei Hauptftüden, bie von den Offen«
barungen Gottes des Vaters und des Sohnes handeln,
geht e8 an, aber in bem britten Hauptflüde: von bem
hi. Geife und beffen Wirken in der Kirche, wo ein uns
verhältnigmäßig großer Theil des Unterrihtsfloffes unters -
gebracht werden fol, ift ein großer Durcheinander zu
treffen; und fomeit der Verf. aud) mit allerdings aner⸗
fennenswerther Mühe Ordnung hineinzubringen — fudjte,
erſcheint fie jufebr als eine erzwungene. — 9tud) waren bei
diefer Anordnung Wiederholungen faft unvermeidlich; 3. B.
iR von ben Geboten Gottes: ©. 10. &. 36 unb bann
weitläufig €. 93 ff. bie 9tebe. Es wird überhaupt jebe
theologifch » fpflemati[de Eintheilung eines Katechismus
unendliche Schwierigkeiten darbieten und am Ende immer
ſcheitern und fid) als unpractijf) und unjmedmáfig εἴν
weiſen. Theologifhe Syſteme find immer entweder zu
künftlich,, ober zu fubjectio unb wechfelnd, als daß fie zu
dem einfachen fatedjeti[djen Unterrichte bienlid) fein koͤnn⸗
im. Die Eintheilung des Ganifiuó, bie von äußern Ans
haltspuneten ausgeht, wird fid) für bie ftatedjiómen wie
als bie leichteſte, fo aud) als bie vortheilhaftefte erweiſen. —
Auch im Einzelnen böte biefer Katechismus manchen
Anlaß zu Ausftellungen. 3. 99. Frage 103: „Wäre εὖ
190 Sg. Lohola, Pergmahr, Sirſcher u. A.
darum nicht beffer getoefen, taf die Menfchen nie geboren
wären?" erſcheint an ihrem Plage als ganz unnöthig; bie
rage 566: „Da der Leib zum Dienfte ber Seele und zur
ewigen Verherrlihung beftimmt ift, dürfen wir ihn wohl
au umreinen Gelüften mißbrauchen?“ — faft als ungefchidt.
Auf die ὅταρε 167: wie haben wir barum das Leiden
und Sterben Sefu zu betrachten?“ ift bie Antwort: „als
das freiwilligfte Opfer des vollfommenften Gehorſams aur
Genugthuung für unfere Sünden und zu unferer Verſoͤh⸗
nung mit Gott" wegen ber vielen abftracten Worte gewiß
nicht Tatehismusmäßig. Aehnlich bie Antwort auf Frage
169. — Im’Uebrigen anerkennt Ref. gerne, daß ben Verf.
ein aufrichtiges Streben geleitet, bie Fatechetifche Aufgabe
von einer eigenen Seite, ber eine Berechtigung nicht ab»
geſprochen werben fann, zu löfen, und daß er mande
Partieen mit Geſchick behandelt hat. —
11. Der Unterricht über den Empfang des hl. Safras
mentes ber Buße und des Altares bei ben Kindern ift
von der größten Wichtigkeit; denn biefe beiden Gaframente
madjen bei einem großen Theile der Gläubigen ben größs
ten wenn nicht ausfchließlichen Theil ihrer practifchen Res
ligion aus. Jeder Beitrag zur Förderung dieſes Unter-
richtes muß daher mit Dank aufgenommen werben. Als
ein folder fhägenswerther Beitrag fann der oben Nr. 11
“angezeigte Leitfaden betrachtet werden; er hat benfelben
Verf., wie ber Katehismus Nr. 8. — Die Behandlung
ift nad) der gewöhnlichen Weife ber Katehismen in Fragen
und Antworten, aber fefr einläßlih und gut geordnet;
dabei die Sprache einfach und die Faffung aud) für Kinder
leicht verfländlih. Der Katechet findet an biefem Büchlein
Braktiſche Schriften. 191
einen tüdjtigen Wegweifer bei Ertheilung des Unterrichtes
qur erfimaligen Beiht und Gommunion. —
12. Nr. 12 hat einen ähnlichen Stoff, aber nur das
Bußſacrament, zu feinem Gegenftande; behandelt aber
denfelben nicht fatedjetifd), fondern mehr didaktiſch⸗adhor⸗
tatorifch. Das Büchlein ift zur Lectüre beftimmt, um die
Refer zu bußfertiger Gefinnung zu bringen, unb fie bei
Uebung der Buße zu leiten. Zu biefem Zwede fann εὖ
als brauchbar bezeichnet werden, und vermag das zu
leiften, was e8 zu leiſten verſpricht. Es if aud eine
vaffenbe Abhandlung über bie Generalbeiht nad) Porto
Nauritio und ein Beichtſpiegel angehängt, deßgleichen bie
nöthigen Gebete beim Gmpfange bes hi. Saframentes
der Buße. ᾿
13. Ein redt practiſches zeitgemäßes Büchlein ift
unter Nr. 13 verzeichnet. Dreiundfünfzig der gewoͤhnli⸗
Gen teivialen Einwürfe gegen bie Religion wie z. B. „Es
gibt feinen Gott." „Mit bem Tode ift Alles aus” u. dgl.
werden auf eine gründliche und babei anziehende und
leichtfaßliche Weife widerlegt. Wo man an allen Eden
derartige leichtfertige Bemerfungen gegen Religion umb
teligiöfes Leben hören fann, unb fhon bie zarteften Blüthen
der Religion in den Herzen ber Jugend welf gemacht wer⸗
den, ift es febr zu wün[den, daß. diefes Büchlein bie
größtmögliche Verbreitung finde und ber Jugend in bie
Hände gegeben werbe. Der Erlös ift für bie deutſche
Miſſion in Paris beftimmt, die und auch gewiß am Herzen
liegen muß, unb bie wir eben damit fördern helfen fönnen,
daß wir unfer eigenes Heil bebenfen. — ᾿ ᾿
14. Unter dem Titel „patriftifhe 9unb[dau^
Gi. 14) hat Gunbinger zum Gebraude für Prediger
192 Ss. tola, SBergmayr, Girfher u U
wnb Kateibeten eine Menge ven Büterellen geiantmelt,
tie er zum bequemern Gebraucbe unter vie in alphabe-
wer Ordnung aufeinteric'genten begmariihen unb mo.
ταῖς δια SBabrbeiten rubricrt bat. Sui einen verhältniß-
nüft gar großen Raum bat ter Beri. einen recht
Jiénem umb reihhaltigen Ete# prummenzmitellen gewußt.
Auf eine antere als relante Relüintigfeit famm jebod)
en derattiges Serk bei ter uneriteriiihen Reihhaltigkeit
ver Bärer nıtı Aniprud madex Ta εὖ jchr zu wünſchen
. Wt, Tab die Pretiger ten ın ten Kirchenväiern nieberge-
legien Schat nift ganz uabenuͤdt bei Exue lafen, Biele
terielben aber mubr in ver aac Wap, unmittelbar {εἰδῇ
«mb ven Duclen zu ihöpien, ic deuten terartige Werke,
wie We ütrıgend früher When τὰ arisenem und fleinerem
Umiange aunsgearbeuet wurdea, fr gute Dienſte, unb
fann icmui dicie Sammlung Frer:gern empichlen werben.
45. Sue gende WS ubi Bane Xudrer, πατ in fpe
Gelerer Stiprung ici Zuiammemüclung ες Goltgrube
für Preriger mar Katedetren (Rr. 151. Bon ber
Tubngex απ δε audgchent, daß Nr Gebranib ven Gleich⸗
nen Wr τοὶ zur Belebung eme Predigtvorttages bei⸗
trage, nt Taf gerade ri ὅπ ἄσπετα md Kirchenſchrift⸗
πος xn Sh knbuna un Anmwentung ron Gleuhnifien debt
φημ geweſea down, hat cr gmicrnemwmen, über bie
wihngüen Glaubens · un? &uncnlehzem Die wem bem ger
namen Bären mr Sunrjrüclern gebraudten Gleichniſſe
winmemenzufielen, inbem cr ri und Sleubniſſe aufzu⸗
bellenden Borıe alphahernib aniemanveriolgen Lt Der
vor ims liegenhe ετῆς Band ach zum Abendeaahl bi
Iungtrauibait: ein gener dol das Ganze abſchließen.
Das Bud enthäh ziel Schones amr Bramihhaves; indefien
Vraltiſche Schriften, : 193
will e& bem Stef. bod) bebünfen, ber Sammler hätte bei
Ausfuhung ber Gleichniſſe mehr mwählerifh fein, und
ebenbamit aud) bie Arbeit auf einen Fürzern Raum zus
fammenfaffen fónnen. —
16. Die neuefte Heine Schrift von Dr. 3. 8. Hirſcher,
Beiträge zur Homiletif unb Katechetik (Rr. 16)
gibt febr beachtenswerthe Winke. Der SBerf. hat ganz
Recht, wenn er fagt, daß man, wenn man jet aud) bie
große Wichtigkeit des Vortrags ber Glaubenswahrheiten
seinfehe, bod) beim wirklichen 9Bortrage nicht immer ganz
glüdlid fei. Es if unläugbar, daß ein grünblider und
zugleich mugbringenber dogmatifcher Previgtvortrag große
Schwierigkeiten darbietet. Entweber fällt man in trodenes
und unfruchtbares Theologificen, ober in hohles ungründs
liches Raifonnement gefpidt mit Erelamationen u. dgl. —
Sirfder Dat wohl bie zwei Puncte richtig angegeben, auf
welche bei dogmatiſchen Predigten vor Allem gefehen were
den muß. Er fagt: „Man beabfichtigt bei folder Predigt
entweder, bie fittlich erwedende und heiligende Kraft,
welche in ber betreffenden Wahrheit ober Thatſache liegt,
hervorzuheben und für das Lehen fruchtbar zu machen.
Dbe man beabfijtigt zunaͤchſt mur, ſolche Lehren ober
Thatſachen deutlich zu erflären, wohl zu begründen, und
gegen Zweifel und Ginreben zu fügen." —
Die Ausführung diefer Puncte ift fehr gründlich unb
tinfeudjtenb; unb εὖ wird fein Prediger biefe Heine Schrift
len, ohne, wenn er es nod) nicht ift, von der Nothwendig⸗
feit überzeugt zu werben, daß dogmatifche Predigten ges
halten werden müffen, unb ohne febr nugbare Winke für
Abhaltung von Prebigten genannter Art zu empfangen.
Der zweite Heinere Theil unferes Schriftcheng weist
Sol. Ouartalfärift. 1959. 1, Heft. 13
194 Sg. Lohola, Pergmahr, Hirſcher u. A.
auf bie Nothwendigkeit hin, daß ber Katechet feinen Reli-
giongunterricht ganz an ben Katechismus anſchließe. Ref.
theilt- hierin ganz bie 9Infidjt des Heren SBerf., daß von
den Katecheten viel gefehlt wird, indem fle von bem
Katechismus zu fehr Abfehen nehmen, und daß der fate
chetiſche Unterricht nur dann tüchtig ertheilt werde, wenn
er fi) ganz an ben Katechismus anſchließt, bie Worte
beffelben gleichfam zum Terte und zur firieten Grundlage
feiner weitern Ausführungen madt. In ben Schulfates
cheſen foll diefes unnachſichtlich geſchehen; in ben Kirchen⸗
fatedjefen bem größern Theile nad. Wenn aber H. Hirſcher
meint, εὖ Fönnten alle Säge des Katechismus in ber Weile
und Ausführlichkeit erflärt werben, wie er an Einem Gate
die Probe gegeben hat, fo fann Ref. nicht einverflanden
fein. Eine [olde Grünblidfeit läßt fid) weder anftreben
nod) erreihen. Man fann bie Katechismus Säge und
Worte erklären unb fo zu feinem Ziele fommen, ohne daß
man fo weitläufig und einläßlih wird. Leßteres if in
fo fern nicht möglih, als man fonft ben ganzen Kater
chismus in ber entfpredjenben Zeit nicht ganz durchgehen
Könnte. Uebrigens glaubt Ref. gerne, Hirſcher habe mehr
ein Mufter einer Katechefe (was feine Statedjefe in ber
That iff) geben als damit verlangen wollen, baf alle
Säge des Katechismus mit der gleichen Gründlichfeit und
Ausführlichkeit behandelt werben follen.
Wegen ber wightigen practifchen Winfe, bie im biefem
Schriftchen H.'s enthalten find, empfehlen wir fie Predi⸗
gern und Katecheten. —
Bendel.
Theologiſche
Quartalſchrift.
In Verbindung mit mehreren Gelehrten
herausgegeben
D. v. Auhn, D. Hefele, D. Welte, D. Bukrigl
und D. Aberle,
|
| von
|
| Brofefforen ber fath. Tpeologie an ber X. Univerfitär Tübingen.
Fünfunddreißigſter Jahrgang,
Zweites Quartalheft.
Tübingen, 1853.
Verlag der H. Laupp' [ὅκα Buchhandlung.
(Rauyp Siebec.)
Dead von δ. Laupp je.
- .
Abhandlungen.
1
Die Hriftliche Lehre von der göttlichen Gnade nad
ihrem Innern Zufammenhang.
TI. Artikel.
' Die Vorherbeſtimmung.
Die Vorherbeftimmung, wie fle hier genommen wird,
bezieht fid) auf das Endziel des Menſchen, die Geligfeit,
und läßt fij) als Lehrfah gefaßt fo auóbrüden: Gott
befimmt ben Menſchen zur Geligfeit vorher
und führt biefen Rathf [uf burd Verleihung
feiner Gnade aus !).
1) Augustin. de praedest. SS. c. 10, n. 19.: Inter gratiam et
praedestinationem hoc tentum interest, quod praedestinatio est
gratiae praeparatio, gratia vero jam ipsa donatio; unb gleich darauf:
praedestinatio Dei gratiae est praeparatio, gratia vero est ipsius
praedestinationis effectus. Das abfolute Moment ber Prädeflination,
das fier nicht ausbrüdlich berüßet if, macht Auguſtin an einer andern
Stelle durch Herbeiziehung der göttlichen Praͤſcienz bemerklih, de dono
persev. c. 14. n. 35: Praedestinatio mibil est alind, quam prae-
scientia et praeparatio beneficiorum Dei, quibus certissime liberan-
fur, quicunque liberantur. I
14*
198 Die crriftliche Gnadenlehre.
Dis Menſchen Seligkeit ift bedingt durch ten Glauben
und das ihm gemäße Leben, dadurch, daß fein Wille in
den Willen Gottes eingeht und in der Glaubené» oder
Gottesgerechtigkeit bis an'& Ende befattt: qui perseverat
usque ad finém, salvabitur Matth. 24, 13; andererfeits
ift fie eine Gnabengabe Gottes: gratia Dei vita aeterna
Röm. 6, 23.
Die Frage nun, wie fid) der ewige göttliche Rath
ſchluß zu unferer eigenen zeitlichen Entſchließung verhalte,
weist zunächft auf bie einfachere zurüd: wie fid) bie gött-
fide Gnade ju unferm eigenen Thun verhalte? deren
Erörterung in dem vorausgegangenen Artifel gegeben if.
Die hieher gehörigen Ergebniffe des legtern find: 1) Unfer
Wille ift außer und ohne die Gnade nicht gut, fondern
wird es erft burd) fie; 2) bie Gnade ift abfolut wirkſam,
b. f. fie madjt den böfen Willen zu einem guten, wenn
Gott will, jebod) unbefchadet feiner freien Selbftbeffimmung.
Aus diefer legten Beftimmung folgt unmittelbar, daß bet»
jenige, ben Gott felig wiffen will, unfehlbar felig wird
(nit: felig werden muß, denn dies wäre, ba bie abfolute
Wirkſamkeit bec Onade unbeſchadet der Freiheit des Willens
gedacht werben foll, eine contradictio in terminis). Aber
aud) in jener Baffung verbirgt diefer Schluß einen fehroffen,
vielleicht unüberwindlihen Gegenfag, der fid) zum Wider⸗
ſpruch verfeſtigt, wenn es nicht gelingt, in einem Mittelr
begriff feine höhere Einheit nachzuweiſen; denn ber andere
Ausweg, burd) Aufgeben eines der beiden Glieder in ihrer
weſentlichen Beftimmtheit, alfo entweder ber. abfoluten
Wirkſamkeit der Gnabe, ober der freien Selbftbefimmung
des Willens, wäre eine Beeinträchtigung ber Wahrheit des
Glaubensfages. Auf der einen Seite alfo der göttliche Rath⸗
Vor herbeſtimmung. 199 .
ſchluß vor aller Zeit gefaßt unb im fo fern abfolut vor»
greifend, feinem Wefen nad) unabünberlid) und unwider⸗
tuflich, in feiner Ausführung jedes Hinderniß beflegend;
auf der andern ber menfchlihe Wille feiner Natur nad)
frei und nur in fo fern fittfich "gut, al& er in freier Selbſt⸗
beſtimmung für das Gute fid entfcheidet, frei daſſelbe durch⸗
führt und behauptet bis an'á Ende! Dazu fommt, daß
das fittliche Leben des Menfchen fein ftetiges, von Tugend
Mm Tugend fortfehreitendes ift, daß εὖ vielmehr in einer
tien. Mannigfaltigfeit fittliher Zuftände fid) entfaltet,
bis e& gulegt feinem Totalwerthe nad) in ber Wagſchaale
des ewigen Richters abgemogen wird. Einen ſchaͤrfern
Contraſt kann es nicht geben als denjenigen, in welchem
die Unveraͤnderlichkeit und Beharrlichkeit des goͤttlichen
Rathſchluſſes mit ber Veraͤnderlichleit und Wandelbarkeit
des menſchlichen Freiheitsgebrauches ſteht.
Der Verſuch, in das Geheimniß ber goͤttlichen Bore
herbeſtimmung einzudringen, iſt unbedenklich, wenn er den
vollen und lautern Glaubensinhalt zur Richtſchnur nimmt
und das Geheimniß des Glaubens bewahrt, wogegen auch
die formellſte Loͤſung werthlos und verwerflich wäre, wenn
fie durch Verlümmerung dieſes Inhaltes gewonnen würde.
Wenn die Gnade Gottes bie wirkſame Urſache des guten
Willens if, fo ift bie Vorherbeftimmung ſchlechthin unbe
dingt, abfolut; und umgekehrt. Diefen ^ ungertrennlichen
Zufammenhang 1) muß man im Auge behalten und nicht
1) Dies ift es auch, was Schleiermach er in feiner Abhandlung
über die Gnadenwahl Hauptfächlich zu erweifen gefudt fat. Das
latheriſche Bekenntniß begeht mad ibm eine unfatthafte Bolgewidrige
fit, wenn es von bem abfoluten Unvermögen des Menfchen zu allem
Guten und ber ſchlechthinigen Notäwendigfeit ber Gnade ausgeht und
200 Die hrifliche Guadenlchre.
vergeſſen, daß die Annahme eines bedingten, auf das
Vorherwiſſen des menſchlichen Verhaltens begründeten
Rathſchluſſes die Wurzel der Gnadenlehre zerſtoͤrt, gerade
Das, was der hl. Auguſtin 20 Jahre hindurch unter
bem Beifall unb ber förmlihen Zuſtimmung der Kirche
feiner und der fpätern Zeit gegen Pelagius als bie diri
liche Lehre verfochten hat.
Der ewige göttliche Rathſchluß und bie Freiheit des
menfhlihen Willens fliehen, wenn fie getrennt unb aufer
einander gehalten werden, widerſprechend fid) entgegen.
Auf biefem Standpunkte (ber bloßen Vorſtellung) Tann
man fagen: wenn εὖ eine über mein Heil entfcheidende
unabänderlihe Borherbefiimmung gibt, fo werde id) das
Heil erlangen (ober verfehlen), id) mag thun unb faffen,
was id) will; umgefehrt, wenn mein eigenes Thun in
mit der Aufftellung einer bedingten Präbefination unter Berwerfung der — |
teformirten Lehre endigt. Auf feinem Boden ift ferner unzweifel- |
Haft gewiß, was er (S. 7) fagt: „Go erſcheint εὖ demnach als eine |
Gud bet Wahl, ob einer bie Unentbehrlichteit der göttlichen Gnade
jut Heiligung anerfennen, aber fid dann aud bie frenge Calviniſche
Ermälungeformel will gefallen laſſen, ober ob er biefer mit ihren
Bolgen durch die Lutherifche Formel aus bem Wege gehe, aber babel
auch fid von der Unentbefrlichfeit ber göttlichen Gnade Iosfagen umb
auf feinen eigenen Süßen (velagianifch) ftehen wil.“ Wir unferes Orts
befennen und weder zu der Galvinifdjen Präbeftinationslehre noch zu der
au bem lutheriſchen fBefenütniffe eigenen Gnadenlehre. Die nente
Behrlichfeit ber göttlichen Gnade zum wahrhaft Guten iſt wie bie abfolute
Brävefination in einem doppelten Sinne benffar: Im bem Sinne Gab |
vine mit Ausfchluß der fittlichen Freiheit, im dem Sinne Auguftins
mit Ginfáfug derſeiben. Es it zwar befannt, wie die proteRantifcen
Theologen mad) bem Vorgange der Reformatoren den BL. Auguflin clé
ihren Gewährsmann in biefer Lehre anrufen und ihn der Kirche ent⸗
fremden, bie feine Lehre fanctionirt Hat. Dieſe geſchichtliche Unwahrkeit
beruht auf einer Gonfufion, deren Duelle wir in ver kaum angegebenen
Difinction zu ſuchen haben.
παν
Vorherbeſtimmung. 201
Abſicht auf meine ewige Beſtimmung nicht gleichguͤltig, bie
Erreichung derſelben vielmehr weſentlich davon abhängig
it, bag ἰῷ das Gute erſtrebe und das Böſe meibe, fo
gibt e& für mich feinem unabänderlihen, über mein Heil
abfolut entſcheidenden göttlichen Rathſchluß. Dber in
formeller Faſſung: wenn Gott mein Heil vorausbeftimmt,
fo muß ἰῷ diefer Beftimmung gemäß handeln und bin
nicht frei; wenn ἰῷ aber frei bin in meinem ſittlichen
Handeln, fo beftimmt Gott mein Heil nicht voraus. In
allgemeinerer Geftalt zeigt fid) derfelbe zum 9Biberfprud) fid)
fleigernde Gegenfat, wenn das göttliche Vorherwiffen und
bie Eontingeng ber Welt, bie freien Bewegungen des
menſchlichen Willens eingefchloffen, Tebiglih neben eins
ander geftellt werden. Denn wenn Gott. alles vorhermweiß
in untrüglicher Weife — wie er ed jedenfalls weiß, wenn
er ein Vorherwiſſen ber zeitlichen Dinge hat — fo muß
alles fo gefchehen, wie er es vorfermeif, und e8 gibt fein
tontingentermeife in der Welt Gefchehendes, fein freies
Sun; umgelehrt, wenn es ein ſolches Geſchehen und
Thun gibt, fo fann fein untrügliches Vorherwiffen des⸗
felben bei Gott ftattfinden.
Was fol man hiezu fagen? ift feines von beidem,
oder eines ohne das andere anzunehmen? Das [εἰ ferne!
Der Hl. Auguftin, dem der. ausgehobene Widerfpruch
don den abrumetini(djen Mönchen in der Form entgegen»
gebracht wurde, daß bei der Annahme einer unbebingten
Süvübeftination bie fittlihe Ermahnung und SBefirafung
(correptio) Recht und Bedeutung verliere '), gibt zwar
1) Augustin. de corrept. οἱ grat. n. 4 seqq. n. 11. de dono
persev. n. 34, 38.
202 Die chriſtliche Gnadenlehre.
keine vollſtaͤndige Loͤſung der Schwierigkeit, aber doch die⸗
jenigen Winke, deren Verfolgung auf das Richtige leitet
unb zum befriedigenden Ziele führt. So ſcheinbar bie
Unverträgligfeit der Vorherbeftimmung Gottes mit ber
freien Gelbftbeftimmung des Menfhen aud) fein möge, an
beidem müffe man bennod) unverbrüd)lid) feſthalten. „Sollte
beffalb geläugnet werben, was offenbar if (nad) difti
her Lehre), weil es nit begriffen werden Tann?
Sollten wir beffalb fagen, es ift nicht fo, wovon wir
einfehen, daß εὖ fo ift, weil wir nicht begreifen, warum
7 (oder wie) e8 fo RD? So müßte man aud? aufhören
bie Praͤſcienz Gottes zu glauben, denn man fónnte fagen:,
ob id) nun recht lebe oder nicht, gilt gleichviel, denn id
werde eben fo fein, wie mid) Gott vorherweiß. Aber das,
daß ich nicht begreife, wie meine Freiheit mit der göftlir
hen Präfrieng zufammenftimmt, gibt mir feinen. Grund,
diefe zu läugnen" 9. Alſo nicht an bem ift es, daß ber
1) De dono persev. n. 37.: Numquid ideo negandum est quod
apertum est, quia comprehendi non potest quod occultum est? Num-
quid, inquam, propterea dicturi sumus quod ita esse perspicimus,
mon ita esse, quoniam cur ita sit non possumus invenire?
2) Ibid. n. 38, 3m feiner Schrift de civitate Dei verfolgt Au⸗
gufin dieſen Gegenftand weiter. Alles Gein und Geſchehen in der
Welt beruht auf einer gemiffen Orbnung und Aufeinanderfolge ber Dinge
mad) bem Gefege ver Gaufalitát. Wenn daher Gott alles vorherweiß, fo
fönnen wir Nies nur fo benfen, daß er bie Ordnung unb Aufeinanderfolge
der Dinge, und folglich auch die Orbnung der Urfachen vorherweiß. IR
‚aber bie Aufeinanderfolge der Dinge unb bie Ordnung ber Urfachen vermoͤge
des unfehlbaren’ göttlichen Wiſſens gewiß und feitgeftellt, fo erfolgt alles
moijwenbig. Allein in ber Reihe ber Dinge und Urfachen, bemerit
Auguftin (de civit. Dei lib. V. c. 9. n. 3), find auch unfere Willen
beftimmungen als Urfachen, welche ihre Wirkungen frei fervorbringen.
Weiß Gott aud) fle vorher, fo weiß er fie ale bie freien Urfaden
unferer Handlungen. und Werfe vorher. — Quapropter et voluntates
BVorberbefttimmung. 203
Olaube.an bem Begriff eine Schranke finden follte, fondern
umgefehrt bilvet bie Wahrheit eine Graͤnze, bie bem Fort⸗
gange ber Grfenntnif gefegt if. — Ueberall, aud) in ber
+ Ratur, fehen wir uns von Gefeimniffen umgeben. Wollten
wir nur das zugeben was wir begreifen, ober nur in
foweit annehmen, als wir e8 mit bem Verſtande erfaffen
finnen, bann würben alle die Ueberzeugungen, bie uns
im Leben und Handeln beftimmen, wanfend unb biefeó
felber der Häglichften Unſicherheit preiógegeben. Unums
wunden und mit religiöfer Demüthigung vor bem Ge»
heimniß ber göttlichen Weisheit geftebt der bI. Auguftin,
fo.oft er an einem folden Puncte angefommen zu fein
glaubt , fein Nichtwiflen. Non enim-arroganter, sed
nostrae tantum valent, quantum Deus eas valere voluit atque prae-
sivit: et ideo quidquid valent, certissime valent, et quod facturae
sut, ipsae omnino facturae sunt, quia valituras atque facturas ille
praescivit, cujus praescientia falli non potest (l. c. n. 4). Wie immer
t ober mit ber Cinheit des göttlichen Vorherwiſſens umb ber menfchlis
chen Freigeit fi verhalten mag, wir befennen einen fàdjften unb wahren
Gott (dem daher aud) das Vorherwiſſen nicht abzufprechen), unb fürch-
tem nicht, daß wir deßhalb ohne unfern Willen thun was wir mit unferm
Billen tfm, weil ber, deſſen Wiffen untrüglid ift, vorherweiß, was wir
aus freiem Willen tun (Le. n. 1). Das ftomme Gemüth nimmt
beides an, befennt beides und beflätigt beides im frommen Glauben
(Lc n. 2. ef. n. 3). Might darum find wir nicht frei, weil Gott vor»
herwußte, was wir ftei thun würden; denn nicht hat Der, welcher dies
vorherweiß, nichts vorhergewußt; fat er aber nicht nichts, fondern etwas
vorhergewußt, fo iR offenbar unfer Wille frei, den er als ſolchen vorher»
weiß. Daher zwingt uns nichts, unter Morausfegung des göttlichen
Vorherwiſſens bie Freiheit des Willens preíójugeben, oder unter Vor⸗
ausfegung des freien Willens das göttliche Borherwiflen zu läugnen,
u$ unftomm wäre; fondern beides befennen wir gläubig
und wahrhaft, jenes auf baf wir recht glauben, diefes
iuf daß wir gut leben (I. c. cap. 10. n. 2).
1) Die Grünje der Erfenntniß des Glaubens ift zwar eine abfolute,
204 Die chriſtliche Gnadenlehre.
agnoscens modulum meum, audio dicentem Apostolum:
O homo, tu quis es qui respondeas Deo (Rom. IX, 20)?
et, O altitudo divitiarum sapientiae et scientiae Dei! quam
inscrutabilia sunt judicia ejus, et investigabiles viae ejus
(θά. XI, 33)! ) Gerade an der Stelle aber, wo er
das SBefenntni des Nichtwiſſens ablegt, gibt er einen
Fingerzeig, bem man nur zu folgen braucht, um das Pro
blem einer tieferen Löfung entgegen zu führen. Die Frei⸗
heit des Menfchen, fagt er (l. o.), ift nidt gegen die
παῦε zu febren, fonbern secundum gratiam zu vertheis
digen. Der menídlide Wille erlangt die Gnade nicht
durch feine Freiheit, fondern umgekehrt wird er burd) die
Gnabe frei. Quando rogavit ergo (Christus pro Petro
Luc. XXII, 32) ne fides ejus deficeret, quid aliud rogavit,
nisi ut haberet in fide liberrimam, fortissimam, invictissimam,
perseverantissimam voluntatem? Wie bie Abhängigkeit de
Willens von Gott im Acte der Schöpfung unb Erhaltung
— daß ift der Grunbgebante — feine Selbſtſtaͤndigkeit, feine
Breiheit (im. formellen Sinne = Vermögen des Guten
und Böfen) nicht gefährdet, vielmehr als bie Quelle {εἰπε
Seins und Beftchens in diefer feiner Eigenfchaft zu er
Tennen ift, fo hebt bie Abhängigkeit des Willens von bet
Gnade bie wahrhafte Freiheit (das Freifein von ber
Knechtſchaft der irdiſchen Begierde, das freie, ungehemmte,
fertige Wollen des Guten), ben guten Willen nicht auf,
infofern bie völlige Auflöfung feines Inhalts ín die Form bes Willens
nicht mágli fe ift aber infoferm aud) eine blos fubjertive, als man
nicht fagen fanm, daß ba wo Giner biefelbe für fid) gefunden, ein weitere
Vorbringen ſchlechterdings unmöglich fei. Wie weit Hat Wuguflin hierin
feine Vorgänger nicht Hinter fi gelaffen?
, 1) De corrept. et grat. c, 8. n. 7.
Borherbeftimmung. 205
bit fie vielmehr bewirkt (praeparatur voluntas a Domino,
Proverb. ὙΠ]. sec. LXX) ').
So weit führt uns der hl. Augufin, beffen Auffaflung
wie nur deßhalb hier Furz erwähnen wollten, weil fie
und zugleich die Schärfe der dogmatifhen Befimmung
vergegenwaͤrtigt.
Sinfnüpfenb an bie vorausgeſchickte Darlegung des
Gegenſatzes, ſuchen wir nun in methodiſcher Entwicklung
den ihm anklebenden Widerſpruch aufzuloͤſen und ihn ſelbſt
zur Einheit fortzubeſtimmen.
Im unmittelbaren Glaubensbewußtſein findet er fid)
nift; biefeó if eben darum ein unmittelbares, weil in
ihm ber göttliche Rathſchluß und bie menſchliche Freiheit
in unaufgefhloffener, unvermittelter Einheit erfaßt und
fehgehalten find. — Grft wenn auf beffen Inhalt reflectiet
wird, auf dem Gtanbpunct der SBorftellung, tritt er ins
Bewußtfein. Diefeg reflectirte, vorfiellende Bewußtſein
zuht nad) der einen Seite auf dem unmittelbaren Bewußt⸗
fein und trennt fomit ben Gegeníag, ben es auſſchließt,
nit von feiner Einheit [08, παῷ der andern Seite drängt
τὸ über fid) felbft und damit über ben Gegenfag hinaus; ber
entwidelte Gegenſatz fordert bie vermittelte Einheit.
Zu diefer erhebt fid) ber benfenbe Geift auf ber dritten
Stufe, auf der des begreifenden Erkennens. Das ift es,
was man bie Dialectit des Bewußtfeins, ober vielmehr
des zur wiffenden Einfiht fortfchreitenden Erkennens zu
nennen pflegt. Der dialectifhe Verſtand unterfcheidet,
1) Possumus ei volumus, sed non volumus (bonum), misi
praeparetur voluntas a Deo. August. retract. lib. I. c. 10. n. 2. —
das df das Geheimniß ber Auguſtiniſchen Gnadenlehre. Bergl. de
spirit, e& litera c. 91. n. 53 u. 54. Op. imperf. c. Julian. lib. VI. c. 10.
206 Die chriſtliche Ginabenlefre.
fonbert; er zerlegt das Ganze in feine Theile, Töst die
Einheit in die Mannigfaltigfeit und Gegenfágtidfeit auf,
nicht um fle zu zerſtoͤren, fonbern ihrer in einer andern
Form habhaft zu werden. Urfprünglih if die Einheit
und das Ganze; dad Mannigfaltige, Verſchiedene, Ent:
"gegengefeßte gebt aus ihnen hervor, nicht um in biefem
fi zu verlieren oder gu gerrinnen wie die Quelle im
Sande, fondern auf ibm und aus ihm fid) wieberherzu-
ſtellen als concrete Einheit und Ganzheit. Dies ift die
dialectiſche Technif, welche in allen fperulativen Erkennt
niffen zur Anwendung fommt ἢ) unb aud) ber folgenden
Entwidlung, bie wir num in freierer Weife fortführen,
zu Grunbe liegt.
Die Begriffe der göttlichen Praͤſcienz und Praͤdeſti⸗
nation find in unferm religidfen Bewußtfein eben fo feft
begründet, als der Begriff der Gigenmadot in unferm Selbſt⸗
bewußtfein und ber ber fittliden Freiheit in unferm ſitt⸗
lichen Bewußtfein (Gemifen). Hat fi) nun ergeben, baf
göttliche SBrábefination und menſchliche Freiheit nicht bes
ſtehen fónnen lediglih außer» und neben einander,
fo folgt daß wir fie ans und ineinanber benfen müffen,
jebod) unbefchadet des wefentlihen Gehaltes ihres gegen
fágliden Verhaltens. Wollten wir dieſes ſchlechthin nes
giten, fo würben wir freilich des aufgebedten Widerſpruchs
der menfihlichen Breiheit mit der göttlichen Vorherbeſtim⸗
mung gründlich los, aber aud) auf eine Weltanficht Hin
ausgetrieben, ber ber menſchliche Geift von Haus aus
widerſtrebt, weil fie feinen religiöfen und fittlihen Grunds
Überzeugungen unb Intereſſen den Krieg erklärt. Denn
1) Vergl. meine Ginfeltung in die Dogmatik €. 45 ἢ.
Vorher beſtimmung. 207
ob man, was als nothwendige folge einträte, bie menſch⸗
lie Selbfiftändigfeit und Freiheit in bem abfoluten gótt«
liden Wefen vernichte (Syſtem des afosmifhen Pantheis⸗
mud)!y, ober umgefehrt bad Abfolute in die Endlichkeit
hereingiehe und darin auflöfe (Syſtem des, atheiftifhen
Bantheismus) 2): beides ftebt in gleich unheilbarem Wider⸗
fprude mit jenen Ueberzeugungen und Intereffen.
An folhem Vorſchreiten hindert uns bie wefentlide
Wahrheit; daſſelbe kann daher aud) fein Bebürfniß unferer
Erfenntniß fein. Zwar hat man fid allerdings über ben
Oegenfag der göttlichen Vorherbeſtimmung mit ber
menſchlichen Gelbfibeftimmung zu erheben, aber babei fann
Tit bie Abſicht fein, benfefben aufzulöfen, als unwahr
du vermerfen; er if im unmittelbaren Bewußtfein, im
Glauben begründet und muß in feiner wefentlichen Wahr⸗
beit erhalten werben.
Die Einheit daher, auf welde bie Grfenntnig bins
fibt, kann nicht bie Identität fein, in ber bet Gegen»
ín völlig untergegangen ift; c6 muß bie Einheit im
Unterfäiede fein, b. B. bie Unterordnung ber
menſchlichen Eigenmacht unter bie göttliche Allmacht, ber
freien Selbſtbeſtimmung unter bie Vorherbeftimmung. Der
menſchliche Wille ift gar Princip feiner Handlungen, ba
tt ohnedies nicht frei wäre, aber er ift nicht unbedingtes
Prineip wie ber göttliche Wille; er ift war ſelbſtmaͤchtig,
aber nicht allmaͤchtig; vielmehr beruht feine Selbfiftändig«
fit auf Abhängigkeit, wie in phyſiſcher fo in fittlicher
Beiichung.
1) De Bräbeflinationiomus Hat, wie wohl unbewußt, im biefem
Spfteme feine Wurzel.
2) Bergl. Hegel, Enchflopäble der fit. DB. 3te Ausg. 5.573
M. €. 592, begreiſſich mur hinſichtlich des obigen Sprachgebrauch.
"doe Die chriftliche Gnadenlehre.
Dieſes allgemeine Ergebniß iſt nun theils näher zu
entwideln, theils weiter zu begründen.
Säelling, in feinen ,pbilofopbifden Unterfuchungen
über das Wefen der menſchlichen Freiheit“ 1) und mit im
Alle, woelde eine reine Grfenntnig, ein das Gebeimnif
befeitigendes, ben Glauben überflüffig madendes Wiſſen
anftreben, halten bie Art ber Löfung fpeculativer Kragen,
wie fle in bem Bisherigen in Betreff der göttlichen Vor⸗
herbeftimmung und menſchlichen Selbfibeffimmung verfudt '
worden, für unvollftändig und ungenügend. Schelling be
merkt (a. a. DO. ©. 403): „Die meiften, wenn fte auf
richtig wären, würden geflehen, daß wie ihre Borftellungen
beſchaffen find, die individuelle Freiheit ihnen faft mit allen
Gigenfdjaften eines hoͤchſten Wefens im 9Biberfprud) fdjeine,
% Ὁ. ber Allmacht. Durch bie Freiheit wird eine bem
Princip nad) unbebingte (?) Macht aufer und neben ber
goͤttlichen behauptet, welche jenen Begriffen zufolge un
denkbar if. Wie die Sonne am Firmament alle Himmels⸗
liter auslöfht, fo unb nod) viel mehr bie unendliche
Macht jede endliche (I). Abſolute Gaufalitàt in Einem
Weſen läßt allen andern nur unbebingte Paffvität übrig ?).
Hiezu kommt die Dependenz aller Weltwefen von Gott,
und daß felbft ihre Kortdauer nur eine flets erneute Schoͤ⸗
pfung ift, in welder das enblidje Wefen bod) nicht als
ein unbeftimmtes Allgemeines, fondern al biefes beftimmte,
1) Philoſophiſche Schriften 1. 80. Landshut 1809. ©. 399 ἢ.
Gine höchn Lefrreiche Abhandlung: non verum docendo quod nesciunt
philosophi, sed ad verum quaerendum theologos excitando — wenn
es erlaubt if, das Wort Auguſtins Ge vera relig. c. 8) in biefer
ffüeife umzubeuten.
2) Diefer Gedanke iR ble außgefprodene Grundlage der Galvinis
fen Praͤdeſtinationslehre.
Vorherbeſtimmung. 200
einzelne, mit ſolchen und feinen andern Gedanken, Bette
bungen und Handlungen produeirt wird. Sagen, Gott
halte feine Allmacht zurüd, damit ber Menſch handeln
fönne, ober er.laffe die Freiheit zu, erklärt nichts: zoͤge
Gott feine Macht einen Augenblid zurüd, fo hörte ber
Menf auf zu fein. Gibt es gegen biefe Argumentation
einen andern Ausweg, als den Menſchen mit feiner Breis
heit, ba fie im Gegenfag der Allmacht undenkbar if, in
das göttliche Wefen felbft zu retten, zu fagen,
baf ber Menſch nidt außer Gott, fondern in
Gott fei unb daß feine Thätigfeit felbft mit
jum Leben Gotteó gehöre?“
If dies ber einzige Ausweg, bann ift aud) der Ban»
theismu8 vie einzige, bie allein wahre Philofophie. Und
wenn Dies, was folgt weiter? Da beginnt ein neuer,
gewiſſermaßen exoterifcher Streit über Wirfung und Werth
dieſes philofophifchen Syſtems. Während feine Anhänger
daſſelbe im Einklang wiffen mit ben unmittelbaren Ueber
zeugungen, mit den religiöfen und fittlihen Intereffen des
menſchlichen Geiftes, ja felbft behaupten, daß, diefe für ben
denfenden Geift nur in ihm eine ſichere Stätte finden,
glauben anberé, εὖ fei gerade biefe Denfweife das Grab
jener Ueberzeugungen, fte [εἰ fataliftifh und atheiſtiſch '),
womit wir übereinftimmen. Hier ift, wie fonft nirgends,
ein gemeinfamer Boden, auf bem fid) bie fonft toto coelo
verſchiedenen Cyfteme begegnen, ein Punct, wo wir ben
Hebel anfepen koͤnnen. Auch Schelling anerfennt, was
fein Philoſoph läugnen follte: „ein Syftem, das ben heilige
fen Gefühlen, dad dem Gemüth und fittlihen Bewußtſein
1) Jacobi über die Lehre des Cpinogs. 9868. IV. 1. ©. 216.
210 Die chriſtliche Gnadenlehre.
widerſpricht, Fönne, in dieſer Eigenſchaſt wenigſtens, nie
ein Syſtem der Vernunft, ſondern nur der Unvernunft
heißen" (S. 507). Läugnen, daß die Philoſophie von
den wefentlihen Grunbübergeugungen des Geiftes, davon
eine das Bewußtfein der fittlihen Freiheit des Willens
ift, auszugehen habe, hieße in ber That fid) den Boden
unter den Füßen felbft wegziehen; und fo weit hat fif
unſers 9Biffen fein Syftem verirrt, aud) fein pantheiftifches,
obgleich biefe durchaus in centvifugaler Richtung verlaufen
und nie wieder zu biefem ihrem Anfangspunct zurüdfehren.
Dennoch ift jene 9feuferung nicht fo ernſtlich gemeint als
fie lautet. Denn wenn bie moniftifhe Philofophie von
jenen Ueberzeugungen der Vernunft ihren Ausgangspunct
nimmt, fo ift fie bod) nit gemeint, fie als binbenbe,
bleibende Bafis, als das Gentrum um das fie zu roticen,
als bie Sonne von der fie ihr Licht zu empfangen habe,
anzuerkennen. Unter der Hand verändert fid) ihr die Aufr
gabe, wandeln fid) die Grundbegriffe der Vernunft in ihr
Gegentheil um, weil nur fo fie zu ihrem Ziele, jenem
reinen Wiſſen gelangt, aus bem ber Gegenfag und übers
haupt alles Incommenfurable verbannt ift.
Diefe abfolute Grfenntnifart, in ber man fid) über
die Orundwahrheiten ber Vernunft hinwegfest, fo zu fagen
auf feine eignen Schultern fleigt um eine weitere Ausfiht
ju gewinnen, ift. fein Bebürfniß für ben menfchlichen Gift
und fann niemals allgemeine Anerkennung fid) verfdaffen.
Sie erbaut nidjt das Syſtem der Vernunft, fondern ber
Unvernunft in dem Sinne, daß fle bie Grängen der Wahr
heit überfd)veitet. Das ift der Wall in ber vorliegenden
frage, wenn .bie Freiheit des menſchlichen Willens,
‚indem fie ald Moment in das göttliche Wefen hineinger
Vorherbeſtimm ung. 211
nommen, mit ber Nothwendigfeit des göttlichen Seins
identificirt wird.
Wäre die Freiheit eine dem grind nad) unbebingte
Stadt, fo fónnte fie freilich aufer Gott für fid) feiend nit
gedacht werden; bie abfolute Macht Gottes ſchließt alles
in fid was in biefer Eigenfchaft eriftirt, daher man noths
wendig ber menfchlichen Freiheit entweder biefe Eigenfchaft
abfprechen oder aufhören muß, fie als etwas für fid,
als eine felbftftändige Eriftenz aufer Gott zu betrachten.
Das fegtere ift unvollgiehbar; jeder derartige SBerfud)
fheitert an dem menſchlichen Selbſtbewußtſein. Wir find
aber nicht in biefe Alternative eingezwängt: bie menfchs
fife Freiheit ift feine bem Princip mad) unbebingte
Naht; fte ift eine Macht von fi) aus zu handeln, einen
Zuſtand anzufangen; fie ift ein reelles Princip, aber bes
dingt und abhängig, und abhängige Selbftftändigfeit ift,
tie wir bald fehen werben, fein widerſprechender Begriff.
Sud; von ber andern Seite betrachtet, tritt ung Fein Wider
Íprud) entgegen. Die abfolute Gaufalitát Gottes hebt fo
wenig bie Selbftftändigfeit des Endlichen auf, baf fie vicl»
mehr Grund und Quelle berfelben ift. Eben weil. bie
Dinge von Gott dependiren, von ihm gefdaffen unb ers
halten find, fo find fie ihres Dafeins und ihrer Selbſt⸗
fünbigfeit fiher. Eine Gaufalitát, die lauter Baffivitäten
ſeht, ift feine abfolute, eine Macht, bie nur Unmächtiges
ſchafft, Feine Allmacht, von ber göttlichen Liebe gar nicht
u reden, ber ein ſolches Verhaͤltniß der Creatur, zu reiner
Paſſivitaͤt beſtimmt zu fein, widerſpricht. Wie die irdiſche
Sonne die Himmelslichter nicht auslöſcht, ſondern nur
uͤberſtrahlt, wie fte vielmehr ben Weltkoͤrpern ihres Syſtems
Grund und Duelle des Lichtes ijt, alfo loͤſcht aud) bie
Ses. Quartalſqhriſt. 1859. 11, Hefte 15
212 Die qhriſtliche Gnadenl⸗hre.
goͤttliche Sonne die irdiſchen Lichter nicht aus, die gerade
in ihrem Lichte leuchten, ohne daß ſie ſelber dadurch an
Glanz verloͤre.
Das iſt wahr, wenn man das Endliche begreifen
will, fo darf man es nicht im Gegenſatze gegen das
Unendliche betrachten. Denn begriffen !) wird etwas nur,
wenn es auf feinen Grund zurüdgeführt und aus ihm
erkannt wird. Das ift das Verhaͤltniß der@inheit über
dem Gegenfag, zu der man fid) erheben muß, der Unter
orbnung bes einen Gliebeó befjelben unter das andere,
der Abhängigkeit des einen vom andern. Ihm ſteht
entgegen das Verhaͤltniß ber Ipentität, das bie pam
theiftifche Speculation als das wahre aufftellt. Um bie
menſchliche Freiheit, bie im Gegenſat gegen bie göttliche
Allmacht nicht beſtehen fann, ungefährdet zu erhalten,
müffe man fte, meint Schelling, in das goͤttliche Wefen
tetten. Und allerdings, was in dem göttlichen Weſen
feine Stelle findet, ift unvergängli und fann nicht nicht⸗
fein; es ift nothwendig, wie biefe& felber. Allein folie
Rettung fommt bem Verberben, der Vernichtung gleich.
Endliches verträgt die göttliche Herrlichkeit nift. Was
im göttlichen Wefen ift und weflen Thätigfeit mit zum
Leben Gottes gehört, Tann ſchlechthin nicht außer unb vers
ſchieden von Gott, in fid felbft und für fid) feienb bes
griffen werden. Diefes Bürfichfein ift e aber, was das
Selbftbewußtfein des Menſchen für feine eigene Grifteny
und das fittlihe Bewußtfein für bie Freiheit des Willens
in Sinfprud) nimmt, und was feine Speculation angu
1) Das Begriffenfein ift der Inhalt des Begriffs, von bem
et feinen Namen fot. Das nämlich if begriffen, deſſen Begriffenfein
in einem andern erfannt wird.
Borherbeflimmung. 213
taſten berechtigt if. Wie ber Menſch überhaupt nicht
aus dem göttlichen Wefen emanirt, fondern burd) einen
freien Act des góttliden Willens ift, fo aud
fein Wille, feine Freiheit. IA e& alfo für den fpeculativen
Begriff, für bie Erflärung des Endlichen ſchlechthin ge»
fordert, fein außer Gott Sein (extra et praeter Deum)
auf ein Sein in Gott, feine Selbfiftändigfeit auf bie Abs
hängigfeit von Gott zurüdzuführen; fo muß ber göttliche
Billensact und nicht das göttliche Wefen als deren
Quelle und Grund erfannt werden. Unter Zugrundles
gung ber Ipentität, des Subftantialitätsverhält-
niffe& zwiſchen Gott und Welt wird ed, von allem andern
abgefehen, niemals gelingen, das felbfiftünbige Dafein
Individualität) der weltlichen Dinge, unb am allerwenigs
fen die Freiheit des menſchlichen Willens zu begreifen 1).
3n das göttlihe Wefen und Leben verflodten, verhalten
fe fid) nur als Momente beffefben; das göttliche Weſen
ſelbſt aber hört auf eim perfónlidjed, unabhängig von ber
Belt für fd feiendes und in fid) abgeſchloſſenes zu fein,
(ὁ if in bem Begriffe der abfoluten Subftanz, des all
gemeinen @eiftes feiner Selbſtheit entkleidet. Das find
die Klippen am denen ber Pantheismus ſcheitert, bie
Sylla der Selbftlofigfeit des Endlichen unb bie Charybdis
.1) Belaunt i bas Wort des größten beutffjen Philoſophen,
keibnig: „Wenn fene Monaben wären, fo hätte Cpinoja redit"
(Leibmiteii opp. ed. Dutens, Tom. IL p. 327). Das Princiy ber
Invividmation, das durch die ganze endliche Welt herrſcht, flieht
den Bantheiemus aus. Sft man dieſes Princip fallen, wie es ber
Pausheisnus ia allen feinen Bormen tun muß, wm ben Gingang ju
f ſelber μὲ finden, fo iMt fid) alles außer Bott in bloße Aeccidenzen
und Modiſicatlonen ber allgemeinen, einen gottlichen Gubflang auf. Bol
Leitaite. Opp. Tom. IL P. IL 452 sed.
15*
214 Die qhriſtliche Gnadenlehre.
der Unperſoͤnlichleit des Abſoluten. Auch ſind die beſon⸗
ders von Schelling gemachten mannigfaltigen Verſuche ven
dem Princip der Identitaͤt aus das Problem der Specu⸗
lation zu loͤſen vollſtaͤndig mißlungen !), bis er zuleht
ſelbſt fi ju der Einſicht bekannte; daß das MWentitaͤts⸗
ſyſtem einſeitig und negativ, durch ein zweites, die Tran⸗
ſcendenz Gottes unb das Cauſalitaͤtsverhaͤltniß zwiſchen
ihm unb ber Welt zur Vorausſehung nehmendes poſitives
Cyftem zu ergänzen fei, — was freilich wieberum nicht
zum Ziele führte 9.
„Abhängigkeit hebt Selbfiftändigfeit, hebt fogar Frei⸗
heit nicht auf" 5): das ift bie Wahrheit, mit deren An
erfennung das Gebiet der Sperulation betreten und
namentlich unfere in fpeciell beftimmter Weife vorliegende
Trage ihrer Löfung entgegengeführt wird. Die Abhängig
trit vom abfoluten Willen nämlich, in feiner Dreifachheit
als fhöpferifcher, erhaltender und regierender (vor » und
verfehender) Wille, im Unterfhieve von bem abfoluten
Wefen und feiner Dreiperfönligkeit, folglich, da ber
göttliche Wile am fij ibentiff ift mit bem göttlichen
Weſen, bie Abhängigkeit Bon ber göttlichen Willens be
fimmung, bem göttlichen Willensa c t— fie ift bie Lebens⸗
quelle alles Endlichen unb fo aud des freien menfchlichen
Willens. Weit entfernt alfo, bag die Individualität unb
eigene freie Bewegung ber enblidjen “Dinge, insbefondere
1) Bergl, meine Schrift: Jacobi unb die Philoſophie {ἐν
ner Zeit. Mainz 1834. ©. 534 ff.
2) Vergl. meine Abhandlungen über Schellings nego
tive, pofitive und Dffenbarungsphilofopgie, in der Quarts
Sqhrif Sag. 1844. €. 57 ἢ. 179 ῇ. Jahıg 1845. ©. 1 ἢ.
3) Selling a. α, Ὁ. €. 418.
Vorherbeſtimmung. 215
eine freie Bewegung des menſchlichen Willens in Wider⸗
ſpruch treten ſollten mit der abſoluten Willensbeftimmung }),
etlennen wir in dieſer vielmehr ihren Erflärungsgrund,
die höhere Einheit, zu welcher der Gegenfag ber blos vors
fellenden Grfenntni in ber begreifenden fid) fortbeftimmt,
und in biefem Fortgang des Widerfpruches [o8 wird, wos
mit er dort behaftet ift.
Indem wir aber folhermaßen den enblihen Willen
in fhlechthiniger Abhängigkeit von bem abfoluten benfen,
fo entftehen uns neue und ganz eigenthümliche Schwierig⸗
keiten, bie in der bisherigen allgemeinen Betrachtung nod)
nit einmal ausdruͤcklich angezeigt, viel weniger wirklich
gelöst find. In ber $Borferbeftimmung unb bet ihr
gemäßen abfoluten Wirffamfeit der göttliben Gnade ift
lediglich eine Abhängigfeit des guten Willens von Gott
gefeßt; und erft baburd), bag wir von ber Vorherbeftimr
. mung gu bem allgemeinern Problem des göttlichen Vorher⸗
wiſſens übergingen, haben wir ben menfchlihen Willen
überhaupt, alfo den guten wie ben böfen, wenn aud)
nit direct abhängig don Gott, b. 5. von ihm verurfacht,
1) Bon Duns Scotus wird erzählt (Döllinger in bem Preis
burger Kicchenlerifon s. v.): Auf einer feiner Reifen in England Babe
an einen mit Gen. be[djáftigten Bauer Worte religiöfer Mahnung
gerichtet. „Wozu mahnft du mich“? fagte ber Bauer; „wenn Gott
voransgefehen Hat, bof ich felig werde, fo werbe ich es unfehlbar, ich
mag Gutes oder Böfes thun, hat er aber meine Verdammniß voraute
gefehen, fo kann mich nichts von berfelben erretten.“ Scotus erwiderte:
u Benn das Wiffen Bottes, wie du meinft, Alles unabänderlich nothe
wendig macht, wozu fáeft du? Hat Gott vorausgefehen, daß hier Ges
trade wachfen wird, fo wird εὖ wachfen bu magft fäen ober nicht fäenz
und fo umgefehrt, alfo ift deine Arbeit vergeblich". So alfo führte
Scotus den Bauer ad absurdum und damit zur Anerkennung obiger
Wahrheit.
216 Die chriſtliche Gnadenlehre.
fo bod) in folder Weiſe in feiner freien Bewegung ber
gránjt gedacht, daß berfelbe Gegenfag, ber in Anfehung
des guten Willens auf jener Seite fid) aufthat, in Ans
fehung des freien Willens überhaupt auf biefer Seite
zum Vorſchein fam. Während nun in ber Frage ber gótt
lichen Präfeienz die Schwierigfeit birect auftritt, wie ber
freie Wille als Vermögen des Guten und des Böfen von
Gott abhängig gedacht werben Fönne, fo flellt fid) biefelbt
Schwierigkeit in der fpeciellen Stage von ber göttlichen
SBrübeftination indirect ein, baburd) nämlich, daß wir, um
bie Abhängigkeit des guten Willens von Gott unbefchabet
feiner Freiheit begreifen zu können, den menſchlichen Willen
überhaupt ober den freien Willen auf den göttlichen
als feine Quelle und feinen Grund zurüdzuführen hatten.
Das alfo ift, wenn wir in der Löfung des Problems ber
Praͤdeſtination nicht bei jenem allgemeinen Ergebniffe flehen
bleiben dürfen, bie num auftretende neue Schwierigkeit:
wie ber freie Wille des Menſchen, ba er als folder δα
Vermögen des Guten und des Böfen, von Gott, defien
Wille ald der abfolut lautete und heilige allem Böfen
fremd ifi, abhängig gedacht werben koͤnne.
Das Vermögen des Guten und Böfen, welches der
freie Wille ift, wird nicht in feiner wefentlihen Wahrheit
erfannt, wenn εὖ als reine Indifferenz, als unlebendiges
Bahlvermögen gefaßt wird, fo bag das Wefen des freien
Willens eben darin beftände, fij ſchlechthin gleichgültig
gum Guten und Böfen zu verhaften, und erft anderswoher
Antrieb und Kraft empfangen müßte, um eine lebendige
Wurzel des fittlihen Gegenfages zu werben. Der freie
Wille ift diefe Ichendige Wurzel 1), feine blos paffive,
1) Der 8L Auguftin ſcheint (de grat. Christi c. 16 seq.) biet
Vorherbeſtimmung. 217
ſondern bie active Caparität für das Gute unb Boͤſe;
und wenn gleich der Wille auf fij allein geſtellt nicht
über den Zuftand ber Potentialität hinausfommt (borig.
beſt S. 84), fo ift das, was ihn darüber hinaus» und
in das Gute ober Böfe hineinbringt, fomme es nun von
dem Menſchen felber oder von außenher, bod) mur eine
fole Bewirkung des Guten ober Böfen in ihm, der er
widerſtehen fann und bie er durch freie Selbſtentſcheidung
(activ) fid gu eigen madt. Indem man aber fo im
Intereffe der Freiheit des menfchlihen Willens jeber Auf⸗
feffung entgegentritt, wodurch das ihm einwohnende fitt»
li$e Vermögen auf eine unlebendige, inbifferente oder
yaffive Kraft Derabgebrüdt würde; fo erheben fid) dagegen
af der andern Geite Bedenken von fo hohem Belange,
deß kaum abzufehen ift, wie jener Forderung eine Genüge
Begriffe der Freiheit entgegenjutreten; (m ber That ifl e& aber mur bie
belagtanifche Anwendung beflelben, ber er, und mit vollem echt,
wöerfpricht. Pelagius behauptete nämlich (I. c.), bit possibilitas boni
δἰ mali fomme von Gott, bem wir bie Staturgabe ber Freiheit verbaufen,
das Gute und Böfe aber als ein Wirkliches vom Menfchen, unb {εἰ
Vjüglid bes Guten wie des Böfen Lediglich das Θτρεθπίβ
W$ Gebrauche, den er von feiner Freiheit made. Die vom Menfchen
xehandhabte Freiheit alfo ift nach Belagius ble eine und gemeinfame
Burzel des Guten und Böfen. Diefen Begriff der Freiheit verwirft
Auguſtin ale der evangelifchen und apoftolifchen Lehre widerfprechend.
Bon dem Guten und Böfen fat mad) ihm jebes feine eigene Wurzel,
Tub beide Fommen nicht in gleicher Weife vom Menſchen. Die von
Gott gepflanzte charitas if die Wurzel des Guten, bie ans ber
Gelönfucht des Denfhen kommende cupiditas die Wurzel des
Büfen. Mber der Wille ift fähig, beide Wurzeln in fi aufzunehmen,
mb im Ginne viefer capacitas utriusque radicis gibt Muguflin bem
Begriff der Freiheit als possibilitas boni et mali zu. Diefe Gapacitát
a8 eine bloße Paffivität zu verſtehen, wiberfpräde dem ganzen
anguftinifchen Syſteme. Vergl. voriges Heft ©. 85.
218. Die riftliche Gnadenlehre.
geſchehen koͤnne. Sft es nämlich auf bem Boden des
Hriftlihen Glaubens ſchlechthin unzuläffig, für die Freiheit
des menfhlihen Willens einen aufergóttIiden Ur
fprung anzunehmen, fo ift, indem diefelbe auf Gott zurüds
geführt wird, eben damit das in ifr enthaltene Vermögen
des Böfen als eine göttliche Gabe betrachtet, unb. dies
ſcheint mit ber Heiligfeit Gottes völlig unverträglic zu
fein. Denn eine Theilung in der Art, daß, gleidjmie
bie gute That der göttlichen Gnade, bie böfe dagegen
bem menſchlichen Gigenmillen zuzuſchreiben ift, alfo aud
das Vermögen des Böfen [ebiglid) vom Menfchen und
nur das des Guten von Gott herzuleiten wäre, fann
offenbar nicht verfuht werden, ba das Vermoͤgen des
Böfen von dem des Guten unjertrennfid, und der: menfe
lichen Freiheit weſentlich ift, in Einem beides zu beſihen,
dies zweiſchneidige Schwerbt zu fein. Sind nun bie
gnoftifden Ausflücte, wie faum bemerft, von vorne
herein abgefdnitten, — auf die ohnehin Heutzutage nicht
leicht Jemand zurüdfommen möchte, wiewohl es Dualiften
gibt, bie bei ungehemmter Confequenz darauf hinausge
führt werben — fo fann man verfucht fein, bie Realität des
Böfen abzuſchwächen und es als etwas blos Negatives zu
faffen, um auf ſolche Weife der Verlegenheit zu begegnen,
welde aus ber Zurüdführung ber Freiheit auf Gott ent.
-fpringt. Allein aud) biefer Verſuch ift mit Schwierigkeiten
verbunden, bie faum leichter wiegen αἵδ᾽ diejenigen, zu
deren Befeitigung fie gemacht find. Denn je mehr man
die Realität des Böfen abſchwaͤcht und baffebe auf einen
blos negativen Werth herabſetzt, befto ſchwerer wird e$,
ben Begriff der fittlihen Freiheit und einer fittlichen Welt
ordnung aufrecht zu erhalten, Auch fommt man, abge
SBorferbefimmung. 219
hen von biefer unb ben damit zufammenhängenden Schwies
tiftiten auf bem eingefdjlagenen Wege nicht zu bem vot»
gritdten Ziele. Denn wie weit man aud) das Richtfein
ae das blos negative Sein des Böfen fleigern mag,
immer muß etwas zurüdbleiben, beffen Pofition und Reas
Int auf Gott zurüdgeführt das lautere Wefen Gottes,
wenn auch in minderem Grade als bei bem vollen Bes
gif des Böfen, zu trüben droht. Nur wenn man bes
tchtigt wäre, den reellen Gegenfag zwifhen Gut und Bös
gu aufzuheben unb einen von bem gewöhnlichen gänz«
Ih verſchiedenen Begriff des Iegtern, eben damit aber
t$ des erſtern aufzuftellen 4), könnte auf bem einges
ſtlagenen Wege hie Löfung des Problems ermöglicht
vnden.
Wenn demnach weder ein außergöttliher Urfprung
fir den endlichen Willen angenommen, nod) bie in ihm
figende Potenz des Böfen unter ihrem wahren Werthe
angeſchlagen werben darf, fo ift e& zwar nur bie Mögr
ligfeit des Böfen, bie auf Gott zurüdfällt, während bie
Verwirklichung beffelben des Menſchen freie That ift;
"en man fann nicht Iäugnen, was Auguftin fagt, daß
io das Böfe, wenn aud) aus großer Entfernung, von
Üott herfommt (non parvo intervallo peccata referuntur
in Deum) 9. Offenbar fann ferner, wenn [ebiglid) bie
1) Wie dies im Spinozismus gefchieht und im Pantheiemus übers
[πυρὶ unvermeidlich if. Das Böfe ift ihm zufolge von bem Guten. nicht
T fondern mut grobuell verfdjieben; es ijt eine Poſition, eine Boll
lenmenfeit wie dieſes umb alfo am fid) gut, aber alß eine geringere
Berfection erfcheint es im Vergleich mit der größern, bie man bos
Gate zu nennen pflegt, mangelhaft und infofern nicht gut, alfo böfe.
Seg. Shelling c. o. Ὁ. ©. 424,
2) De liber. arbit. L n. 4: Credimus ex uno Deo omnia esse
Tue suni; et tamen non esse peccatorum auctorem Deum. Movet
212 Die qriſtliche Gnabenlchre.
göttliche Sonne bie irdiſchen Lichter nicht aus, bie gerade
in ihrem Lichte Teuchten, ohne bag fie felber dadurch an
Glanz verlöre,
Das if wahr, wenn man das Gnblije begreifen
will, fo darf man εὖ nicht im Gegenfage gegen das
Unendliche betrachten. Denn begriffen !) wird etwas nur,
wenn εὖ auf feinen Grund zurüdgeführt und aus ibm
erfannt wird. Das ift das Verhältniß der@inheit über
bem Gegenfag, au der man fid) erheben muß, der Unt er⸗
ordnung beó einen Gliedes befjelben unter das andere,
der Abhängigkeit des einen vom andern. Ihm ftebt
entgegen das Verhaͤltniß der Identität, das bie pan»
theiftifhe Speculation al$ das wahre aufftelit. Um bie
menſchliche Breiheit, bie im Gegenfag gegen bie göttliche
Allmacht nicht beſtehen fann, ungefährbet zu erhalten,
müffe man fte, meint Schelling, in das göttliheWefen
retten. Und allerdings, was in bem göttlichen Weſen
feine Stelle findet, ift unvergänglih und fann nicht nichts
fein; e8 ift nothwendig, wie diefes felber. Allein folche
Rettung fommt bem SBerberben, ber Vernichtung gleich.
Endliches verträgt die göttliche Herrlichkeit nift. Was
im göttlichen Wefen ift unb weſſen Thätigfeit mit zum
Leben Gottes gehört, fann ſchlechthin nicht außer unb vers
ſchieden von Gott, in fid) felbft unb für fld feiend bes
griffen werben. Diefes Bürfichfein ift εὖ aber, was bas
Selbſtbewußtſein des Menfchen für feine eigene Exiſtenz,
und das fittlihe Bewußtfein für bie Freiheit des Willens
in Anſpruch nimmt, und was feine Speculation anzus
1) Das Begriffenfein if der Inhalt des Begriffe, von bem
er feinen Namen hat. Das nämlich ift begriffen, beffen Begriffenfein
in einem andern erfannt wird.
Borherbeſtimmung. 213
taſten berechtigt iſt. Wie ber Menſch überhaupt nicht
aus dem goͤttlichen Weſen emanirt, ſondern durch einen
freien Wet des göttlichen Willens ift, fo auch
fein Wille, feine Freiheit... If es alfo für ben fpeculativen
Begriff, für bie Erklaͤrung des Endlichen ſchlechthin ger
fordert, fein außer Gott Sein (extra et praeter Deum)
auf ein Sein in Gott, feine Celbfiftünbigfeit auf bie Abs
hängigfeit von Gott zurüdzuführen; fo muß ber göttliche
Billensact und nicht das göttlihe Wefen als deren
Quelle und Grund erfannt werden. Unter Zugrundfes
gung der Sbentitüt, des Subftantialitätsverhält-
niffe& zwifchen Gott und Welt wird es, von allem andern
abgefehen, niemals gelingen, das felbftftändige Dafein
(Snbipibualitát) ber weltlichen Dinge, und am allerwenigs
fen die Freiheit des menfchlichen Willens zu begreifen ἢ).
In das göttlihe Wefen und Leben verflodten, verhalten
fe fif nur al& Momente beffeben; das göttliche Wefen
ſelbſt aber Hört auf ein perfönliches, unabhängig von ber
Belt für ſich feiendes und im fld) abgefchloffenes zu fein,
es ift in bem Begriffe der abfoluten Subſtanz, des all»
gemeinen @eiftes feiner Selbfiheit entfleibet, Das find
die Klippen an benen ber Pantheismus feheitert, bie
Seplla der Selbflofigkeit des Gnbliden und bie Charybdis
.1) Belaunt i& das Wort des größten deutfchen Philoſophen,
Leibnitz: „Wenn feine Monaden wären, fo hätte Cpinoja recht“
(Leibnitsii opp. ed. Dutens, Tom. II. p. 327). Das Princip ber
Individuation, das bur bie gamze enbliche Welt herrſcht, ſchließt
den Bantheismus aus. Laßt man biefes Princip fallen, wie es ber
Pantgeismns in allen feinen Formen thun muß, um ben Gingang zu
fi fdber μι finden, fo löst βάν alles aufer Gott in bloße Meribenzen
ud SRobifitattonex ber allgemeinen, einen göttlidgen Subſtanz auf. MgL
Leieite. Opp. Tom. II. P. IL zu 52 sed
15*
214 Die Grifilige Gnadenlehre.
ber Unperfönlicpfeit des Abfoluten. Auch find bie befon«
ders von Selling gemachten mannigfaltigen Verſuche von
bem Princip ber Ipentität aus das Problem der Specu⸗
lation zu löfen vollſtaͤndig miffungen 1), bis er zuleht
ſelbſt βῷ μι der Einſicht befannte, baf das Mentitaͤts⸗
foftem einfeitig und negativ, burd) ein zweites, die Trans
feendenz Gottes und das Gaufalitätsverhältnig zwifchen
ihm unb ber Welt zur Vorausfegung nehmendes pofitives
Cyftem zu ergänzen fei, — was freilich wiederum nicht
zum Ziele führte 9.
nAbhängigkeit hebt Selbfiftánbigfeit, hebt fogar Frei⸗
heit nicht auf“ 5): das ift bie Wahrheit, mit deren An-
erfennung das Gebiet der Sperulation betreten unb
namentlich unfere in fpeciell beftimmter Weife vorliegende
Stage ihrer Löfung entgegengefüfrt wird. Die Abhängig
feit vom abfoluten Willen nämlich, in feiner Dreifachheit
als fhöpferifäper, erhaltender und tegierenber (vor » unb
verfehender) Wille, im Unterſchiede von dem abfoluten
Weſen und feiner Dreiperfönligkeit, folglif, ba ber
göttliche Wille an fij ibentifh ift mit bem göttlichen
Wefen, bie Abhängigfeit Bon ber göttlichen Willens be
fimmung, dem göttlichen Wilensa c t— fte ift bie Lebens⸗
quelle alles Endlichen und fo aud) des freien menſchlichen
Willens. Weit entfernt alfo, daß die Individualität und
eigene freie Bewegung der enbliden “Dinge, insbeſondere
1) Vergl. meine Schrift: Jacobi unb ble Philoſophie fri»
met Zeit. Mainz 1834. ©. 534 ff.
2) Berg. meine Abhandlungen über Schellings nego
tive, pofitive unb Offenbarungsphilofopie, tn der Quart⸗
Schrift Jahrg. 1844. €. 57 ἢ. 179 f. Jahrg. 1845. €. 1 ff.
3) Selling a. a. Ὁ. €. 418. J
Vorherbeſtimmung. 215
eine freie Bewegung des menfchlihen Willens in Widers
fprud) treten follten mit der abfoluten Willensbeftimmung 5,
efennen wir in diefer vielmehr ihren Erflärungsgrund,
die höhere Einheit, zu welcher ber Gegeníag ber blos vor⸗
fellenden Grfenntnif in ber begreifenden fid) fortbeimmt,
und in biefem Fortgang des Widerfprudes [o8 wird, mo»
mit er dort behaftet ift.
Indem wir aber folhermaßen den endlichen Willen
in ſchlechthiniger Abhängigkeit von bem abfoluten benfen,
fo entfliehen und neue und ganz eigenthümlihe €dwierigs
keiten, bie in ber bisherigen allgemeinen Betrachtung noch
nit einmal ausdruͤcklich angezeigt, viel weniger wirklich
gelöst find. Im der SBorferbeftümmung und ber ihr
gemäßen abfoluten Wirffamfeit der göttlihen Gnade ift
lebigfid) eine Abhängigkeit des guten Willens von Gott
gefet; unb erft baburd), daß wir von ber Vorherbeftim-
. mung zu bem allgemeinern Problem bes göttlichen Vorher
wiſſens übergingen, haben wir den menfchlihen Willen
überhaupt, alfo ben guten wie ben böfen, wenn aud
nit direct abhängig von Gott, b. h. von ihm verurfacht,
1) Bon Duns Gcotue wird erzählt (Döllinger in bem Freie
burger Kirchenlerikon s v.): Auf einer feiner Reifen in England habe
won einen mit Gäen befchäftigten Bauer Worte religiöfer Mahnung
geriet. „Wozu mahnf du mic“? fagte der Bauer; „wenn Gott
voransgefehen hat, daß ich felig werde, fo werde id) es unfehlbar, idj
mag Gutes oder Böfes thun, hat er aber meine Verdammniß voraute
geiehen, fo Tann mic; nichts von berfelben erretten.“ Scotus erwiderte:
nBenn das Wiſſen Gottes, wie bu meinft, Alles unabánberlid) nothe
wendig macht, wozu fäe du? Hat Gott vorausgefehen, daß hier Gee
trade wachfen wird, fo wird es wachfen bu magft füen ober nicht fäenz
und fo umgefehrt, olfo ift deine Arbeit vergeblich". So alfo führte
Erotus den Bauer ad absurdum und damit jur Anerkennung obiger
Bafrheit.
216 Die chriſtliche Gnadenlehre.
fo bod in folder Weiſe in feiner freien Bewegung be
grängt gedacht, daß berfelbe Gegenfag, ber in Anfehung
des guten Willens auf jener Seite fid aufthat, in An
fehung des freien Willens überhaupt auf biefer Seite
zum Vorſchein fam. Während nun in der Frage der gàtt
licen Praͤſcienz die Schwierigkeit dirert auftritt, wie ber
freie Wille als Vermögen des Guten und des Böfen von
Gott abhängig gedacht werden Fönne, fo ſtellt fid) biefelbe
Schwierigkeit in ber fperiellen rage von ber göttlichen
Präveftination indirert ein, baburd) nämlich, bag wir, um
die Abhängigkeit des guten Willens von Gott unbefdjabet
feiner Freiheit begreifen zu fönnen, den menfchlihen Willen
überhaupt ober ben freien Willen auf ben göttlichen
als feine Duelle und feinen Grund zurüdzuführen hatten.
Das alfo ift, wenn wir in ber Löfung des Problems ber
Praͤdeſtination nicht bei jenem allgemeinen Ergebniffe fteben
bleiben dürfen, bie nun auftretende neue Schwierigkeit:
wie ber freie Wille des Menſchen, ba er als folder das
Vermögen des Guten und des Böfen, von Gott, beffen
Wille ald ber abfolut fautere und Heilige allem Böfen
fremd ift, abhängig gedacht werben koͤnne.
Das Vermögen des Guten und Böfen, welches ber
freie Wille ift, wird nicht in feiner wefentlichen Wahrheit
erfannt, wenn es als reine Indifferenz, al unlebendiges
Bahlvermögen gefaßt wird, fo daß das SBefen des freien
Willens eben darin beftände, fij ſchlechthin gleichgültig
gum Guten und Böfen zu verhalten, und erſt anderswoher
Antrieb und Kraft empfangen müßte, um eine Iebenbige
Wurzel des fittlihen Gegenfages zu werben. Der freie
Wille ift diefe Ichendige Wurzel 1), feine blos paffive,
1) Der HL Auguſtin feheint (de grat. Christi c. 16 seq.) birfem
Vorherbeſtimmung. 217
ſondern die active Capatitát für das Gute und Böfe;
und wenn gleih ber Wille auf fid) allein geftellt nicht
über den Zuftand ber Potentialität hinausfommt (vorig.
Heft €. 84), fo ift das, was ihn darüber hinaus» unb
' im das Gute oder Böfe hineinbringt, fomme es nun von
bem Menfchen felber ober von außenher, bod) nur eine
fele Bewirtung des Guten oder Böfen in ihm, ber er
widerſtehen kann und bie er durch freie Selbſtentſcheidung
Cactiv) fih gu eigen macht. Indem man aber fo im
Intereffe der Freiheit des menfchlihen Willens jeder Auf⸗
faffung entgegentritt, wmoburd) das ihm einwohnende fitt
life Vermögen auf eine unlebenbige, inbifferente ober
paſſive Kraft berabgebrüdt würde; fo erheben fid bagegen
auf der andern Seite Bebenfen von fo hohem Belange,
daß kaum abzufehen ift, wie jener Forderung eine Genüge
Begriffe der Freihelt entgegenzutreten; in ber That if e& aber nur die
belagtanifche Anwendung befielben, ber er, unb mit vollem Recht,
wiberfpricht. Pelagius behauptete nämlich (l. c.), bie possibilitas boni
ei mali fomme von Gott, bem wir bie Naturgabe ber Freiheit verbanfen,
das Gute und Böfe aber als ein Wirkliches vom Menfchen, unb {εἰ
bezüglich des Guten wie bee Böfen Lediglich das Ergebniß
des Gebrauchs, ben er von feiner Breiheit mache. Die vom Menfchen
gefanbgabte Breißeit alfo IR nach Pelagius bie eine unb gemeinfame
Wurzel des Guten und Böfen. Diefen Begriff der Freiheit verwirft
Auguſtin ale ber evangellſchen und apoſtoliſchen Lehre widerfprechend,
Bon bem Guten und Böfen hat nach ihm jedes feine eigene Wurzel,
und beide Fommen nicht im gleicher Weife vom Menſchen. Die von
Gott gepflanzte charitas ift die Wurzel des Guten, bie ans der
Selöhfucht des Menſchen kommende cupiditas die Wurzel des
Boſen. δες ber Wille it fähig, beide Wurzeln in fi aufzunehmen,
und im Ginne virfer capacitas utriusque radicis gibt Muguftin ben
Begriff der Freiheit als possibilitas boni et mali zu. Diefe Gapasität
|. als eine bloße Paffivität zu verfüeben, widerfpräce dem ganzen
auguftiniſchen Syſteme. Bergl, voriges Heft ©. 85.
218 Die chriſtliche Gnadenlehre.
geſchehen koͤnne. Iſt es naͤmlich auf dem Boden des
chriſtlichen Glaubens ſchlechthin unzulaͤſſig, fuͤr die Freiheit
des menſchlichen Willens einen aufergóttliden Ur—
ſprung anzunehmen, ſo iſt, indem dieſelbe auf Gott gurüd»
geführt wird, eben damit das in ihr enthaltene SBermógen
des Böfen als eine göttliche Gabe betrachtet, unb. dies
ſcheint mit ber Heiligkeit Gottes völlig unvertráglid) zu
fein. Denn eine Theilung in der Art, daß, gleichwie
bie gute That der göttlichen Gnabe, die böfe dagegen
dem menſchlichen Eigenwillen zuzuſchreiben ift, alfo aud
das Vermögen des Böfen lebiglid) vom Menfchen und
nur das bes Guten vom Gott herzuleiten wäre, fann
offenbar nicht verfucht werden, ba das Vermögen bes
Böfen von dem des Guten unzertrennlich, und ber- menfdr
lichen Freiheit wefentlid) ift, in Einem beides zu befigen,
dies zweifchneidige Schwerdt zu fein. Sind mum die
gnoftifden Ausflüchte, wie faum bemerft, von vorne
herein abgefgnitten, — auf die ohnehin heutzutage nicht
leicht Jemand zurüdfommen möchte, wiewohl es Dualiften
gibt, bie bei ungehemmter Confequenz darauf hinausge
führt werden — fo fann man verfucht fein, bie Realität des
Böfen abzuſchwaͤchen und es als etwas blos Negatives zu
faſſen, um auf ſolche Weife der Verlegenheit zu begegnen,
welde aus ber Zurüdführung ber Freiheit auf Gott ent
-feringt. Allein aud) biefer Verſuch ift mit Schwierigfeiten
verbunden, bie faum leichter wiegen als biejenigen, zu
deren Befeitigung fte gemadht find. Denn je mehr man
die Realität des Boͤſen abſchwaͤcht und baffelbe auf einen
6108 negativen Werth herabſetzt, befto ſchwerer wird e$,
den Begriff ber fittlihen Freiheit und einer fittlihen Welt⸗
ordnung aufrecht zu erhalten, Auch fommt man, abge
Vorherbeftimmung. 219
fehen von dieſer und ben damit zufammenhängenden Schwie⸗
tigfeiten auf dem eingefchlagenen Wege nicht zu bem vor»
geftedten ‚Ziele. Denn wie weit man aud) das Richtfein
oder das blos negative Sein des Böfen fteigern mag,
immer muß etwas zurüdbleiben, beffen Pofition und Rea⸗
lität auf Gott zurüdgeführt das lautere Wefen Gottes,
wenn aud) in minderem Grade als bei bem vollen Bes
griff des Böfen, zu trüben droht. Nur wenn man bes
tehtigt wäre, ben reellen Gegenfaß zwiſchen Gut unb Bös
ganz aufzuheben und einen von bem gewöhnlichen gänz«
. lid verfchiedenen Begriff des Iegterm, eben damit aber
«ud des erſtern aufzuftellen 4), fünnte auf bem einges
ſchlagenen Wege die jung des Problems ermöglicht
erden.
Wenn bemnad weder ein außergöttliher Urfprung
für den endlichen Willen angenommen, nod) bie in ihm
liegende Potenz des Böfen unter ihrem wahren Werthe
angefhlagen werden darf, fo ift es zwar nur bie Mög-
lichkeit des Böfen, bie auf Gott zurüdfällt, während bie
Verwirklichung beffelben des Menfchen freie That ift;
allein man fann nid läugnen, was Auguftin fagt, baf
fo das Böfe, wenn aud) aus großer Entfernung, von
Gott herfommt (non parvo intervallo peccata referuntur
in Deum) ἢ. Offenbar fann ferner, wenn [ebiglid) bie
1) Wie dies im Spinozismus gefhieht unb (m Pantheismus über⸗
haupt unvermeidlich if. Das Böfe ift ihm zufolge von bem Guten nicht
tell fondern mur graduell verfchieden; εὖ ift eine Pofition, eine Volle
Temmenfeit wie dieſes und alfo am fich gut, aber als eine geringere
Berfestion erſcheint e$ im Vergleich mit der größern, bie man das
Snte zu nennen pflegt, mangelhaft und infofern nicht gut, alfo bäfe.
Beg. Selling a. a. Ὁ. ©. 424.
2) De liber. arbit, I. n. 4: Credimus ex uno Deo omnia esse
Que sunt; δὲ tamen non esse peccatorum auctorem Deum. Movet
220 Die Griffe Gnadenlere
ſchöpferiſche Begabung des Menfchen mit dem freien
Willen ins Auge gefaßt wird, nicht gefagt werden, Gott
babe ben Menfchen gut geſchaffen; denn das Boͤſe i
ihm ebenfo nahe gelegt ald das Gute; ja das Verlangen
nad den ihm umgebenden irdiſchen Gütern und Genüſſen,
worin, wenn es mit der Abwendung der Seele von Gott,
bem unveränderlichen Gute, verbunden ift, bie Sünde ber
ftebt, tritt um fo unmittelbarer und flärfer hervor, je mehr
wir und ben Menſchen von Gott verlafien, oder was hier
baffelbe if, ihn nur in feinen fhöpferifhen Gaben bem
Menſchen präfent denken. So fpringt εὖ in bie Mugen,
in welder Richtung die Befeitigung be& Anftoßes, ber aus
der Zurüdführung des freien Willens auf bie ſchoͤpferiſche
Eaufalität Gottes hervorgeht, zu fuden if. Er entficht
eben nur daraus, baf wir Gott nad) der Schöpfung des
Menfhen von biefem fi zurüdjiehen, daß wir ben
Menſchen mit bem zweiſchneidigen Schwerdte der Freiheit
in der Hand ſeine Wanderſchaft durch die Welt allein an⸗
treten laſſen: eine einſeitige, abſtracte Betrachtung, von
ber εὖ klar ift, daß fie ein befriedigendes Reſultat nicht
gewaͤhren kann. Wir haben von der ſchoͤpferiſchen Cau⸗
ſalitaͤt Gottes (und der erhaltenden, welches nur die fort⸗
antem animum, si peccata ex iis animabus sunt, quas Dens creavit,
illae autem animse ex Deo, quomodo non parvo intervallo peccata
referantur in Deum. N. 35: Et illud simul mihi videre jam videor
absolutum atque compertum , quod post illam quaestionem, quid sii
male facere, deinceps quaerere institaeramus, unde mals faciemus"
Nisi enim fallor, ut ratio tractata monstravit, id facimus ea libero
voluntatis arbitrio. Sed quaero utrum ipsum liberum arbitrium,
quo peccandi facultatem habere convincimur, oportuerit nobis dari
ab eo qui nos fecit. Videmur enim non fuisse peccaturi, si isto
careremus; δὲ meluendum est na hoc modo Deus etiam malefacto-
vum nostrorum auctor ecisiimetur.
Borherbeftimmung. 221
gefehte ſchoͤpferiſche if) qu ber regierenden (vote umb vers
fehenden) fortzuſchreiten, bie in ihm eins find, unb in ihrer
Einheit und unzertrennlihen Verbindung erft das Ver⸗
haͤltniß Gottes zum Menfchen in feiner Totalität unb
Wahrheit befimmen. Und biefes nur erft nad feiner
natürlichen Seite. In Erweiterung und tieferer Verinner⸗
lichung ber ordentlichen Vorfehung begründet fid jene
übernatürlihe Offenbarung unb Heilsordnung Gottes, bie
als baé legte unb hoͤchſte Moment bet göttlichen Eaus
faität zugleich ba& entſcheidende Gewicht in bie Wagſchaale
unferer Deliberation legt und das fchwierige Problem ber
Theodicee allein einer beftiedigenden Loͤſung gufüfrt. Wenn
turf die ſchoͤpferiſche Thätigkeit Gottes wie bie Natur
gaben überhaupt fo aud) die Freiheit des Menfchen als
das Bermögen des Guten und Böfen verurfacht find, fo
iR es die Vorſehung, im welcher Gott lediglich auf bie
Seite des Guten treten baffelbe burd) alle Mittel feiner
natürlichen Weltregierung zu fördern und zur Herrichaft
m bringen bedacht ift. An diefe Thärtgkeit Gottes auf
den menſchlichen Willen, um benfelben für das Gute zu
fimmen und zu gewinnen (mas man fonft bie äußere
Gnade nennt), ſchließt fid) bie uͤbernatuͤrliche Einwirkung
auf die innern Willendbewegungen felbft, wodurch ber
Ville für das Gute beffimmt und aus einem inbifferenten
ein zum Guten. geneigter, ein guter Wille witb. So erf
if bie wahre Freiheit verwirklicht, ba& Erhobenfein
des Willens über bie Begierde. Bliden wir von
bier hoͤchſten Manifeftation, im ber fid) bie Abficht und
die Wirffamfeit Gottes auf ben Menfchen abſchließt 5,
1) Und zwar nid fucceffive, fonbern wie mit einem Male fdjon
beim even Denfcen Was wit im Dbigen vorgeisagen haben, fab
222 Die Hrifliche Gnadenlehre.
‚auf das efte Moment, die fehöpferiihe Gaufalitàt zurüd,
fo ift man berechtigt zu fagen: der Schoͤpfer des Menſchen
mur bie tiefern Gebanfen der fere von bem. urfprüngliden Zw
ftanbe. ᾿
Der Breipeitöbegriff ber SBelaglamer (oben €. 85 u. 217), das
ratlonaliſtiſche Princip ihrer Anthropologie, brachte es mit fih, bie un
fprüngliche Bolltommenfeit, wie alles Uebernatürliche in
der Entwicklung der Menfchheit zu beſtreiten. Deßhalb waren fie nicht
im Stande, über den Urfprung bes Böfen auf befriedigende Weile
fif zu erflären. Julian, ber ſcharffinnigſte umter ihnen, kommt (bei
Augustin. Opp. imperf. V, 55) auf bie rage: unde illa prima vo-
'luntas mala in homine fuerit exorta; umb antwortet: a motu animi
cogente nullo, b. f. von bem freien Willen bes Menfchen. Alſo aus
bem Werte Gottes? Sa: quia in opere Dei a possibili existit pec-
catum istud, non a necessario. Der freie Wille ale That, als
motus animi cogente nullo, fährt Julian (c. 58) fort, gehört bn
Denfchen, als Natur Gott dem Schöpfer an, unb ift als folche gut.
Die Möglicptelt des Guten (c. 57) zwingt den Willen nicht, fonen
laßt ihn aus fid entfiehen; ebenfo im Böfen. Keiner if} daher deßhalb
gut, weil er einen freien Willen hat, denn ben haben audj die ſchlechteſten,
und feiner deßhalb 688, teil er im ihm bie Möglichfeit des Böfen ber
fipt, denn ten Haben aud) die beften. Bon bem guten wie von dem
böfen Willen fann feine ürſache oder Xtotámenbigfeit amgegehn
werben; bie Freiheit als Gapacitüt des Guten unb Böfen Hat bed
fo in fid, daß fie zu feinem zwingt, und biefe nothwendige Ginfeit ente
gegengefeßter Dinge fann fo wenig getheilt werben, als eine geometriſche
finie. So lange fie als diefe unjertrennlidje Einheit beſteht, behält fie
die Bedeutung (vim) ihrer Natur (iR nothwendig), fo wie fie aber in
den Gegenſatz auseinandergeht, fo hört die Nothwendigkeit, bie zu Ihrer
Natur gehört, auf, b. h. ber gute Gott hat ben Menſchen gut geſchafen.
Bir Haben (c. 58) nothwendig die Möglichteit des Guten umb Böfen,
aber wir gebrauchen fie nicht notwendig, weder gut noch 6386, fonbern
frel. So groß, heißt es weiter (c. 59), ber Unterfepieb in zwifchen bem
BVollen und Leeren, fo groß ift er aud) zwifhen bem Möglichen und
Nothwendigen. Die Möglichkeit als Bählgfeit eines Dinge ift das Ding
mod) nicht und hat εὖ noch nicht, ift deſſelben Baar. Man kann alfo
jene Möglichkeit des Guten unb Böfen weber gut noch 586 nennen,
weil fie bie susceptio repugnantium ift; mur infoweit ift fie noth⸗
wendig gut zu nennen, ober ein natürliches Gut, als bie Ehre
Vorherbeſtimmung. 255
und feiner Freiheit ift in feinem Sinne Urheber des Böfen.
Denn erſtens erfpeint das Vermögen des Böfen von ihm
aus nad) feiner Abſicht und feiner Thätigfeit nicht an und
für fi, fonbern um des Guten willen gewollt unb
gefegt, damit nämlich ber Menſch als moralifhes Wefen
des Schöpfers εὖ erfordert; benn fie ift Mufchulb, mit feinem
lUehel verbunden unb empkinglic für das Böfe und Ente als eigenes
Berl. So Julian.
Auguftin erwiebert Hierauf (c. 57 ff.) im Weſentlichen:
1) Hat Gott ben Menfchen weder gut noch 586 Yefchaffen, fon»
dern nur zu beibem fähig, ihm ſelbſt überlaffend bem einen ober andern
f zuzuwenden; fo Tönne Julian nicht fagen: bonus Deus bonum fecit
hominem; fo fönnte die fl. Schrift (Eccl. 7, 30) nicht fagen: fecit
Deus hominem rectum. War er rectus, wenn er feinen guten
"Bier Hatte, fondern mur die Möglichkeit beffelben ? Mit bemfelben
Rechte Könnte man fagen: er war pravus, non habens malam volun-
tatem, sed ejus possibilitatem.
2) Benn bie Freiheit nichts anderes ift als die formelle Freiheit,
jene zweiſeitige (im Gleichgewicht der entgegenfeßten fittlichen Potenzen
f haltende) Möglichkeit, fo begreifen wir bem Sufamb ber feligen
Geißer und Engel nicht, den Zuſtand ber Fähigleit b[o8 für das Gute,
be Noth wen digkeit des Guten, jener desideranda necessitas,
jener certa. securitas , sine qua non potest esse illa, cui non est
aligquid addendum felicitas (c. 61), b. 5. bet Suflanb des un oame
belbar auf das Gute gerichteten Willens, bem die Möglichkeit bes
Böfen mut als eine abſtracte jur Geile ſteht, wo bie formelle Freiheit
war nicht aus bem Willen verbannt aber durch feine fittliche Kraft
and Stetigfeit im Guten in den Suflanb des Verſchwindens gebracht ift.
3) Gott hat den Menſchen von Anfang nid einfadjjin des
Guten und Böfen fähig, fondern er hat ihn gut geſchaffen, aber frei ;
er zwang (ju nicht im Guten zu bleiben, wie er e& ja aud nicht ger
then Katz fuu er gab im bie Wirklichkeit des Guten und
die Möglichkeit bee Bafen (vergl. c. 62). Aber aud in jener
iR die Möglichkeit mitgegeben. Auedrücklich fagt Augaftin (c. 58):
ideo fuisse naturam (rationalem) et doni δὲ mali capacem primitus
factam, ut, horum alterum diligendo, meritum compararet, quo boni
solius vel mali solius capax postmodum flerei. .
224 Die chrimche Enadenlohre.
(frei) in ben Beſih des Guten. fi zu ſetzen und in per
foͤnlicher Weife es fij anjueignen vermöge. In dieſer
Beziehung ift ba& Vermögen des, Böfen etwas Gutes,
das Moment nämlih, ohne welches das Gute im
moralifchen Sinne nicht zu verwirklichen wäre. Zweitens.
Während das Vermögen des Böfen in biefer feiner παν
türlichen Gigenfdjaft weil in feiner bloßen Potentialität
von Gott belaffen ift, wird dagegen das Vermögen des
Guten über feine Natur erhoben Außerlih und innerlich
gefördert und jum wirflihen Wollen des Guten excitizt.
Drittens. Das vom Menſchen eigenmächtig, burd) eine
bem göttlichen Willen widerfirebende That, hervorgerufene
Böfe wird von Gott negirt burd) Anordnung ber Erlöfung,
und in deren Zuwendung (Heiligung) bem Menſchen bit
Kraft verlieben, baffelbe zu überwinden unb un[djábfid zu
maden.
Nunmehr ſtellt fi) uns ber Begriff der Abhängigkeit
des menídjlidjen Willens von bem göttlichen in feiner Boll
ftánbigfeit dar. Diefe Abhängigfeit ift eine zweifache. Al
SBermógen des Guten und Böfen ift ber menſchliche
Wide in ver ſchoͤpferiſchen Gaufalitàt Gottes begründet;
und biefes Vermögen, das aequilibrium potentise, if
das natürliche Element des Willens, das eben fo wenig
von ber burd) Gottes Gnade gepflanzten wahrhaften reis
heit verfhlungen, als durch bie aus dem Gigentillen ent
fprungene Süuͤndenknechtſchaft vernichtet ift 5.
1) Bon bien. ſpricht der Here bei Joh. B, 34. 36: „er bie
Gne tut, iſt der Sünde Knecht z wenn eud) ber Sohn frei macht"
(ben die Sundenlnechtſchaft int Unfreiheit) „fo {εἰν ihr wahrhaft
frei" Jenes nennt der δ΄. Auguflin arbitrium liberum .jusitiae
(charitatis), poccati autem (cupiditatis, cencupiscentiae) servum
(Ad Bonif. 1, 2. 3. de.corsept, ot grat, c. 15. de aet. di στε). οἱ 55
Sereni, . 385
als guter Wille if er burd die Gnabe Gottes;
ie Werk ift die wahrhafte Freiheit, das Exhabenfein
kb. I. op. imperf. contr. Julian. wieberhoft); ihr Gegentheil if das
arbitrium peccati liberum, bie wahrhafte Freiheit, nicht bie fore
uelle Breifeit. Die Sündenknechtſchaft wie die wahrhafte Freiheit find
vielmehr fittliche Zuflände, bie die formelle Freiheit zut Vorausſetzung
ταῦ Grundlage haben. Es it in ihmen das aequilibrium inclinationis
aufgehoben, fofern der Wille auf eine Seite geneigt, für das Gute
der Böfe entfchieden if, während das aequilibrium potentiae fort
leet als Bermögen des Guten und füfem. Wie die Waage dadurch,
ΜΡ auf eine Seite ein Gewicht gelegt ift, ihre wefentliche Eigenſchaft
alt verliert, die Bähigfeit madj ber anbern Geite ju ziehen und den
Ausfäleg zu geben, fo auch bie Freiheit. Wenn ber HI. Auguſtin
von einem Verluſte ber Freiheit in Bolge der Sünde fpricht, fo iR
nicht die formelle, fonbern bie wahrhafte Freiheit gemeint; bie servitus
peccati, necessitas peccandi, servum arbitriam und alle hieher ge»
herigen Anabrüdte, deren er fid bebient, find durchweg im @egenfag nicht
des formellen, fonberu ber wahrhaften Freiheit gebraucht. Das untere
ſcheidet feine Lehre von der Luther's und Galvin’s, bie die Freiheit
in jedem Betracht verloren geben, wie denn Luther das servum
arbitrrum zugleich im Gegenfag ber formellen Freiheit behauptet. Nicht
im Musbrug fiegt des Unterfhied (wie man fermi) gemeint hat, daß
bei ugufiu bet legere gar nicht, vorfomme), fondern im Gedanken, ber
bei ifm ein ganz auberer iſt als bei jenen. Wir wollen Hiefür einige
Stge aus Augußin liefern. Ep. 107 ad Vitalem fagt er: Liberum
wberium ed diligendum Deum pzimi peccati granditate perdidimue ;
Enckirid. c. 30: Libere arbürio mae utens bomo, et se perdidit
S ipsum; Bo perfect. justitise c. 4: Vict vitio in quod cecidit
volastate:, carwi$ libertate natura. Man [eje dieſe Stellen im Zu⸗
fnmengang, und man witb überall ben Gedaulen bahin beftimmt finden,
wie wir fuum ancegeben Haben, Den. guten Willen haben wir burd)
We Saude verloren nicht: den freien Willen; wir fónnen has Gute
wollen, abes wis wollen o8 nidjt wirklich, fonbern bae Gegentheil
(0.6. S. 205. %). Tune effeirsur eere liberi, cum Deus nos fingit,
i.e format et creat, non ub homineo, guod. jam feci sod ut boni.
komines sinms, quod nuno gratia sua facit (Enchirid. c. 31). Wuguflin
erflärt fü aber auch gan beſtimmt über bem Berluf ber Freiheit ad
Benifac, (contr. duas Epist, Pelagian,) lib. I, c. 2: Quia autem nostrum
dicat, quod prismi- feminis paccato. pariarit: barum. arbitrium. de
226: Die qriſtliche Onadenlehre.
über bie irbifhe Begierde (cupiditas) in ber thätigen Liebe
(charitas) Gotte& des himmliſchen unveränderlichen Gutes.
Die Abhängigkeit des Willens von biefer göttlichen
Eaufalität beruht auf der erftern und ift deren Vollendung;
fie verhält fid) fomit gegen biefe nicht negativ und je
flörend. Was daſſelbe ift: bie formelle Freiheit, bie Naturs
gabe des Schöpfers ift e, bie ber Menſch gebraucht,
bethätigt, indem er von Gottes Gnade bie wahrhafte
Breiheit, das Wollen des Guten empfängt: fo wenig kann
von einem aufhebenden, hemmenden ober ftórenben Einfluße
ber Gnabenmirfung auf die formelle Freiheit, auf bie
Gelbfibeftimmung des Willens für das Gute bie Rebe fein.
Nicht als ob bie göttliche Gnabenmirtung, moburd) der
Wille ein guter wird, vermittelt wäre burd) bie freie
Gelbfibeftimmung des Willens; bie Abhängigfeit von ber
göttlichen Gnade ſchließt fi ganz unmittelbar an bie von
ber göttlihen SRad an und nichts tritt zwiſchen beide
als Bindeglied. Die Gnade iſt ebenſo unbedingter Grund
des guten Willens, wie bie ſchoöͤpferiſche Macht abſoluter
humeno genere? Libertas quidem periit per peccatum, sed illa quat
in paradiso uit, habendi plenem cum immoriolitete justitiem;
propter quod natura humana divina indiget gratia, dicente Domino:
Si vos Filius liberaverit, tunc vere liberi eritis, utique liberi ad
bene justeque vivendum et cet. Lib. IL c. 5: Peccato Adse arbi-
trium liberum de hominum natura periisse non dicimwe: sed ad
peccandum valere in hominibus subditis diabolo; ad bene autem
pieque vivendum non valere, nisi ipsa voluntas hominis Dei graa
fuerit liberata et ad omue bonum actionis, sermonis, cogitationis
adjuta. So verhält εὖ fih auch · mit dem servum arbitrium, wovon
Auguftin lib. IL. contr. Julian. c. 8 fpridht: «6 IR das Gingegebenfein
des Willens an die fBegletbe auf bem Grunde feiner natürlichen
(formellen) Freiheit — und mit bem übrigen bie Freiheit ſcheinbar ver
legenben Ausbrüden. Vgl. de corrept. et grat. c. 12. 13. ep. 89, de
lib. arbit. III, 18. de nat. et grat. c. 43, Betract. L c. 9. de civil.
Dei XIV, 11.
Vorherbeſtimmung. 227
Grund des freien Willens ift. Aber taf bie Gnade,
wodurch unfer Wille gut wird, fij auf bie ſchoͤpferiſche
Macht, wodurch er frei ift, fügt, daß die SBemirfung des
guten Willens nicht als fhöpferifcher Act Gottes in uns
gefaßt wird: barin und darin allein liegt die Buͤrgſchaft
für die Erhaltung und Schonung unferer Freiheit unter
dem Einfluß der Gnade unb die Möglihfeit, biefe Gin»
wirkung als eine ber Freiheit gemäße zu denken, menn
wir aud) nicht zu begreifen vermögen, wie Gnade und
Breifeit, Abhängigfeit und Selbſtſtaͤndigkeit in ber Ber
wirfung be8 guten Willensactes eins find.
Soweit mußten wir jurüdgreifen, um, in ben Grund»
linen wenigftens, ben Beweis zu führen, daß bie Ahr
hängigfeit des menſchlichen Willens von Gott, wie fle in
dem Lehrfage von ber Gnabe und Vorherbeftimmung —
diefe noch ganz allgemein gefaßt — auögefprochen ift, bie
Freiheit beffelben nicht gefährbe, daß vielmehr biefe Ab⸗
hängigfeit ber Begriff fei, durch deffen Anwendung ber
Widerſpruch fid) fließt, der zwiſchen goͤttlicher Vorher⸗
beſtimmung und menſchlicher Selbſtbeſtimmung für das
teflectirende (vorſtellende) Denken fid aufthut.
Um nun den Faden unferer directen Entwicklung wieder
aufzunehmen, haben wir als Grgebnif aus bem Bisherigen
feflguhalten: daß bie in ber Prädeftination liegende Ber
fimmung (Abhängigkeit) des menſchlichen Willens beffen
freie Selbſtbeſtimmung nicht aus fondern einfhließe. Da
die Gnade nichts anderes ift al8 bie Ausführung des in
der Präbeftination vorgefehenen Heils (od. ©. 197 9Inm.), fo
läßt fii das gewonnene Stefultat aud) fo ousfpreden: ber
tige Rathſchluß Gottes vollzieht fij burd die Gnade
in der zeitlichen Gelbfibeftimmung des Menfhen für das
ϑ μοί, Ouartalſqhrift. 4859. 11. Heft. 16
228 Die qhriſtliche Gnadenlhre.
ihm vorherbeſtimmte Heil; ſo daß ſich das Geheimniß der
Praͤdeſtination in ihrer Allgemeinheit betrachtet auf das
früher (S. 108) hervorgehobene ber wirkſamen göttlichen
Gnade zurüdführt.
In das Sperielle unferes Gegenſtandes treten wir
mit ber frage ein: ob bie Praͤdeſtination eine unbedingte
(abfofute), „oder eine bedingte fei. Diefer Frage geht aber, ἡ
toenigftená nah ber Behandlung fpäterer Scholaſtiker
die andere vorher: ob bie Prädeftination zum ewigen Leben
(ad gloriam) eine unmittelbare, ober ob fie durch bie
praedestinatio ad gratiam vermittelt fei. Dieſe Unter»
ſcheidung, an und für fih unhaltbar, verdankt ihren Urs
fprung dem Beſtreben, den Härten der unbebingten Prä-
beflination zu begegnen. Verſteht man mámlid) unter
praedestinatio ad gratiam bie Vor» unb Verfehung (prae-
paratio) mit bem Mittel, durch weldes das Endziel
erreicht wird, unb unter ber praedestinatio ad gloriam
die Vorherbeftimmung zu dieſem Endziele felbft, fo fann
man blefe als eine bedingte auf bie praevisa merita ez
gratia comparata begründete begreifen, während jene eine
unbebingte ift, fofern aus ber Gnade alles gute und vers
dienftliche Wollen und Wirken hervorgeht und durch fie
prineipaliter bedingt ift. Der Gewinn, ben man bamit
beswedt, ift aber nur ein (deinbarer; denn ble praedes-
tinatio ad gratiam, deren abfoluter Eharafter zugeftanden
wird, bringt, ba bie Gnade das burdlaufenbe Princip
des mwahrhaften Lebens ift, durch bie ganze Reihe ihrer
Wirkungen bis zu der fegten und abfehließenden, bem eiwigen
eben vor, unb [δ fomít bie Debingte praedestinatio ad
gloriam in fi auf, fo daß nur eine praedestinatio und
dieſe als eine unbebingte ftehen bleibt. Die Unterſcheidung
Vorherbeſtimmung. 229
in dem angeführten, hinſichtlich jenes Zwedes aber, wie
bemerft, illuforifden Sinne, fommt denn aud) teber bei
bem 81. Auguftin nod) bei den ältern unb bebeutenbften
Scäholaftifern vor. Zwar faffen fie nicht felten unter bet
Prädeftination als deren Wirkung und Ziel auébrüdlid)
beides zufammen, bie Gnabe und. das ewige geben, aber
fle betrachten aud) beide aus bemfelben Geſichtspunkte ber
Abfolutheit ober Unbebingtheit; jene Unterfcheivung fennen
fie nicht, bei ber, wenn fie nicht den befagten illuforifchen
Sinn haben fol, unter ber gratia etwas ganz anderes
als unter ber gloria, nämlid) bie göttliche Willensthätigfeit
felber, und nid, was bie gloria ift, eine Wirkung bet
präbeftinivenden Gnade verftanben werben muß. Verſteht
man fie aber fo, dann erſcheint fie ganz unzuläffig wegen
ber völligen Ungleichartigkeit ihrer Glieder; bann befagt
fie, daß bie göttliche Gnabentbátigfeit eine abfolute, uns
bedingte, ihre Wirfung dagegen, bie gloria, durch fie
bebingt fei, was eine Binfenwahrheit iR. Es ift ganz
im Auguftinifhen Sinne, was Fulgentius ) fagt:
Sanctos suos praedestinavit et ad gratiam vitae bonae et
ad graliam vitae aeternae *); bie beneficia Dei, beren
ewige Zubereitung bie SBrübeftination ift (ob. 6. 197 9Inm.),
wmfaffen nad) Auguftin alles, was wahrhaft Gutes durch
die Gnade im Menfchen bewirkt wird, fowohl bie vita
bona temporalis, ben Glauben, die Rechtfertigung unb
die Ausdauer in ber Geredjtigfeit, al8 bie vita aeterna
(vgl. de praedest. SS. c. 10. δεῖ. de corrept. et grat. c. 7).
1) De verit. praedest. lib. III. c. 5.
2) Sm Wefentlihen ebenfo Thomas (P. 1. qu. 23. art. 2 in
corp.) : Praedestinatio est ratio ordinis aliquorum in salutem aeternam,
and Scotus (in 1. dist. 40. qu. unic.): Praedestinatio est praeparatio
gratise in praesenti et gloriae in futuro. 16%
230 Die chriſtliche Onabenlchre,
SBebenft man, baf vom abfoluten Standpunkte aus, auf
bem bie ganze Stage der Präpeftination fid bewegt, der
Φείίδτα 6 {ὦ [uf — ben man im engern Sinne als eine
Action des göttlihen Verſtandes zu faffen. pflegt 5,
nicht zu trennen ift von ber ihm gemáfen Willens
beftimmung und Wirffamfeit der Gnabe, fo fann von
ber Präbeftination zum ewigen Leben als einer blos mittels
baren Handlung Gottes fidjerlid) nicht bie Rebe fein. Aus
bem abfoluten Geſichtspunkte erfcheint das ewige Leben
als alleiniges Objekt der Betrachtung; das Leben in ber
Zeit faßt fi in.ihm als feinem Iegten Ziele und feiner
Krone zufammen, fofern es nämlih wahrhaftes Leben,
ein Leben aus unb in ber Gnabe if. Eben batum laͤßt
ſich aud bie weitere Unterſcheidung der praedestinatio
. adaequata ober completa (totalis) und inadaequata ober
incompleta, wovon jene ble praedest ad gloriam und ad
gratiam, bieje aber nur eine von beiden in ſich ſchließt,
nicht rechtfertigen. Die praedestinatio ad gloriam umfaßt
das Ganze, fie erfhöpft ben Begriff der Präbeftination
unb ift zugleich ihr abäquater 9tu&brud.
Um jebem Mißperftänpnig zu begegnen und zugleich
die legte Unflarheit, bie der bisherigen Ableitung mod)
anhaften fónnte, zu befeitigen, ift es nothwendig mod)
einmal ausbrüdlic darauf Hinzumeifen, bag der Begriff
ber Praͤdeſtination aus ber Betrachtung ber Gnade sub
specie aeternitatis hervorgeht und tein innerhalb biefer
erhalten und vol(jogen werden muß. Den von uns bes
fämpften Unterfeidungen liegt aber eine Vermiſchung
diefer abfoluten S8etrad)tung mit ber endlichen au Grund.
Das [elige Leben, der burd) bie göttliche Gnade zu reali»
1) Tournely praelect. theolog. I. p. 577.
Vorherbeſtimmung. 231
fitenbe Endawed des Menfchen, macht fid) für ben Menfchen
nicht mit einemmal, fondern fuccefive; aud) realifttt es
fib nicht in fletiger Progreffton, in ununterbrochener fitte
lider Perfektion während des Exdenlebens, fondern es
findet ein Steigen und Fallen ber fittlichen Suftánbe ver»
möge der Veränderlichfeit des Freiheitsgebrauches unb bet
bald geringern bald flärfern fittlihen Energie des Willens
Ratt. So erfdjeint das ewige Leben als der nad) einem
wechſelvollen Kampfe des menfdliden Willens gegen bie
irbifdje Begierde, unter bem SBeiftanb ber göttlichen Gnade,
ſchließlich errungene Sieg über biefelbe. Das ift bie
enblidje Betrachtung des ewigen Lebens aus bem Θεβ δε
punte des unter bem Gnabenbeiftanbe Gottes felbftthätigen
Willens, bei welcher wir bie Wirffamfeit der Gnade nur
unter dem Begriffe bed auxilium sine quo non in Rechnung
nehmen fónnen (ob. €. 90 f.). Ein anderes ift bie ab«
folute SBetradjtung. Rah ihr erfcheint das ewige Leben
als bie abfofute Wirkung ber goͤttlichen Gnade, in weldher
die freie Selbftbeftimmung des menſchlichen Willens auf»
genommen ift als causa sine qua non, während bie Gnade
die unmittelbare, direkte Urfache, bie causa quá des ewigen
Lebens iſt. Die Berufung qum Glauben, bie Rechtfertigung,
die Ausdauer in ber Gerechtigkeit Tiegen hier nicht zeitlich
auseinander, noch außerhalb ber ewigen Befeligung, fon»
dern find in biefer als Momente einbegriffen. Diefe beiden
Betrachtungen aber ftehen fid) nicht ausſchließend entgegen,
fie find beide Deredjtigt unb mur formell verſchieden; erft
in der ausſchließlichen Saffung verfallen fle bem Irrthum,
jme dem’ pelagianiſchen, biefe bem präbeftinatianifchen.
Indem man fie aber beide fefthält und mit einander ver»
bindet, fo gibt eine blos Außerliche Gombination berfelben
232 Die chriſtliche Gnadenlehre.
immer ein unreines und inadaͤquates Reſultat, wie uns
ein ſolches in ber obigen Unterfcheidung ber praedestinatio
ad gratiam als abfoluter unb ber praedestinatio ad gloriam
als mittelbarer und bedingter SBorberbeftimmung vor Augen
liegt. Ein reines und zugleih wahres, ber chriſtlichen
Lehre von ber abfolut wirkfamen Gnade entfpredjenbeó
Ergebniß wird mur erzielt burd) Ein» unb Unterorbnung
der endlichen Betrachtung unter bie abfolute. Wenn fij
das felige Lehen für ben Menfchen, fofern e nämlich durch
feinen Freiheitsgebrauch beftimmt ift, nicht mit einemmale
verwirklicht, wenn baffelbe vielmehr nad) Maafgabe diefes
Gebrauchs bald im Kommen bald im Verſchwinden, bald
im Wachen bald im Abnehmen begriffen ift, fo ift zwar
dem göttlichen Auge, der Präfrienz Gottes diefes Außer
einander, biefe Succeffion und Fluctuation der fittlichen
Momente vollfommen präfent, aus bem Gefihtspunft des
„göttlichen Rathſchluſſes aber, unb ber auf bie Bewirkung
bes feligen Lebens gerichteten Onabenthätigfeit Gottes
findet ein unvermittelter, ununterbrodener, fletiger Sorte -
ſchritt burd) bie pofitiben Momente, in melden fid) dieſes
eben begründet, aufbaut und vollendet, alfo aud) nur
eine Präveftination ftat, die unmittelbar auf das Ziel
gerichtet, eben barum eine unbebingte if. Wie das wahrs
hafie Leben des Menſchen in feinem Anfang zugeftandener«
maßen ohne ein vorhergehendes SBerbienft durch bie freie
unverbiente Gnade Gottes hervorgerufen ift, fo ift aud)
die Fortführung und Vollendung deſſelben in bem ewigen
eben. (gloria), ungeadjtet ber freien SBetpátigung des
Menſchen, an welche bie Realiftrung des Anfanges unb
dortganges gefnüpft ift, eine unbebingte Gnabengabe
Gottes. Denn wie wohl das butd) ble Gnade ertoedte,
Vorherbeſtimmung. 233
vom Menfhen frei ergriffene wahrhafte Leben von ſolchem
Werthe in den Augen Gottes fein mag, daß er es nicht
will unvollendet liegen [affen, wie es fih bann aud) als
bie unerläßlihe Bedingung, (conditio sine qua non, nicht
causa qua) als bie fubjertive Difpoftion für bie nàdjft
höhere Stufe verhält; fo ift bod) die Förderung und Bolls
enbung deſſelben nicht bie verdiente Belohnung des menfchs
lichen Verbienftes, indem ein ſolches, abfolut genommen,
gat nicht vorhanden, unb bie Gnade überall nicht secundum
merita fondern gratis ertheilt wird — fondern ein Fort
bauen ber Onabe auf ihrem eigenen Werke. Das Verdienſt
des Menfchen, durch freies Eingehen auf die Gnade ers
worben, ift fecunbürer Art, ein bebingtes, nicht ein bes
dingenbes. Concret zu reden: wenn ber Menfch duch
Gottes Gnade glaubt, fo ift er bifponizt gum Empfange
der rechtfertigenden Gnade; aber wenn nun Gott wirklich
den Gläubigen rechtfertigt, fo frónt er bod nur fein
eigenes Werk, und nicht das SBerbienft des Menfchen.
Und menn der Geredjtfertigte bie Gabe der Ausdauer
von ihm empfängt, unb ber in ber Gerechtigkeit bis an's
Ende Ausdauernde ídiieglid) das ewige Leben erlangt:
fo verhält e& fid) aud) hier auf bie gleiche Weife'). Wäre
εὖ anders, würde ber Glaube bie Rechtfertigung verdienen,
fo wäre biefe fein Act der Gnade (onbern ber Gerechtigkeit
Gottes, fo würde immer derjenige Gläubige aud) zur
Rechtfertigung wirklich gelangen, ber dahin gelangen will
und weil er es will, b. D. es würde die wirffame Gnade
als durchgängige Urfache des menfchlichen Heiles geläugnet
(ob. S. 104). Wenn nun, um dies vorgreifenb zu bes
1) Bg. die ſchone Ausführung bei Augustin Epist, 194 ad Sixtum
m. 15 seqq. und damit de grat. οἱ lib. erbit. n. 12. 13.
234 Die chriſtliche Gnadenlehre.
ruͤhren, nicht alle wirkſam (zum Glauben) berufen, unter
den wirkſam Beruſenen nicht alle gerechtfertigt und unter
den Gereditfertigten nicht alle mit ber Gabe ber Ausdauer
beſchenkt werden, wie dies ber Begriff ber wirkſamen,
näher prübeflinitenben Gnabe im eigentlidjen unb engern
Sinne mit fih bringt (ob. €. 105 f.); fo fann man aud
fier zwar eine relative Würbigfeit, ein beziehungsweifes
Verdienſt auf Seite des Menfchen fowohl auf der erften
Stufe ber Berufung al8 aud) auf den folgenden, dort in
der geringern fittlichen Unmürbigfeit, hier in ber größern
fütliden Energie, womit Einer vor bem Andern auf bie
empfangene Gnade eingeht, anerfennen, aber bie Ver—⸗
leihung ber Gnade verhält fid nicht αἵδ᾽ bie dem Geſetze
der Gerechtigkeit gemäße Folge diefer Difpofition, nicht
als bie Belohnung der biefer zufommenden Verdienftlichkeit,
mod ift das. Maaß und bie Kraft der Gnadenwirfung
durch fle bedingt, fondern die Gnade ftebt als unbebingte
unb freie Urſache wie ber Erwedung zum Glauben, fo
der Rechtfertigung und Ausdauer in ber Gerechtigkeit ba.
Da nun alles, was außer bem Begriff der Präveftination
Hegt, in bem Begriffe der Gnade, deren Zubereitung jene
ift (o5. S. 197 Anm.), b. fj. in der Gnadenwirkung fid)
aufammenfaft, unb unter ben Gnadenwirkungen in Bezug
auf ihre Abfolutheit fein wefentliher Unterſchied | ftatt
findet, infofern allen eine gewiße Difpofition im Menfchen
vorausgehen mag, aber nirgends eine ber Gnabenertheilung
adäquate ihre Verleihung und Wirkſamkeit bebingenbe
Beſchaffenheit ober Thätigfeit des Willens angenommen
werben darf ohne ben Begriff der Gnade zu deftruiren;
fo folgt daraus unwiderſprechlich zweierlei: erftens, daß
«6 nur eine Prädeftination gibt, nämlich bie Präbeftis
füorferbeflimmung. 235
nation zur Gnabe i. e. zu fämmtlihen Gnadenwirfungen
(Glaube, Reihtfertigung und Ausdauer), fomit zum ewigen
- Reben; zweitens, baf biefe Praͤdeſtination eine abfolute if.
Das ift bie einzig vollftünbige und adäquate Betrachtung
ber Praͤdeſtination. Es ift in ihr das enblihe Moment
der freien Gelbfibeftimmung des Willens. nicht aud« fondern
in bem abfoluten Decret, in ber göttlichen Gnabenbes
flimmung und Zubereitung, wie aud) in ber Wirfung ber
Gnabe felbft eingeſchloſſen (ob. €. 87 f), aber fowohl
jenem Secret als diefer feiner Ausführung untergeordnet.
Nicht nur vermag ber Menfch diefer Ginabenwirfung zu
widerſtehen (c8 gibt feine unwiderſtehliche, feine gratia
irresistibilis, ſondern nur eine gratia cui non resistitur) ;
fondern er ſtimmt ihr aud), wiewohl es burd) bie Gnade
gefchieht, frei gu, menn wir gleich nicht begreifen, wie biefe
Zuftimmung ihres freien Charakters unbefchadet von ber
Gnade felbf bewirkt ift. Verhaͤlt fi aber ber Menſch
zur Gnabenmirfung frei, fo ift aud) bie Präbeftination,
* bie fid) in jener vollzieht, feine den freien Willen beein«
trächtigende göttliche Action ). Stellt man fij dagegen
auf den endlichen Standpunct, fo ift bie von ihm aus
reſultirende Betrachtung ber Praͤdeſtination nothwendig eine
unangemeffene und unzureichende. Auf diefem Ctanbpuncte
fallen zeitlihes unb ewiges Leben nidjt blo8 zeitlich aud»
einander fondern aud) caufal. Jenes εὐ εἰπε als bie
Ausfaat, biefe& als bie Grnbte. Notwendig wird daher,
1) Wir fimmen darin und infoweit Leſſius ganz zu, wenn er
(de gratia efüicaci sect. 6) fagt: Non decebat, ut vires naturae
a crealore acceptae essent otiosae et quasi passive se ad gratiae
vires haberent, earum impulsum tantummodo exspectantes et sinentes
se ab illis moveri, et sic totum a gratiae motione penderet.
236 Die chriſtliche Onadenlehre.
indem von dieſer Unterſcheidung aus zur goͤttlichen Prädes
ftination aufgeftiegen wird, biefe felber in eine doppelte
serfallen, in bie praedestinatio ad bongm vitam seu ad
justitiam unb in die praedestinatio ad gloriam, und jene
als eine unbebingte, biefe aber als durch das Vorherwiſſen
der auf Grund der Gnade erworbenen Verbienfte bedingt
qu faffen fein. Da aber jede höhere Stufe des ſittlichen
Lebens zu ber vorausgehenden (die Rechtfertigung zum
Glauben, die Ausdauer in der Gerechtigkeit zur Recht:
fertigung) in ähnlicher Weife fl verhält, wie das ewige
aum zeitlichen Leben, fo erſcheint feng genommen nur bie
praedestinatio ad (primam, sc. excitantem) gratiam als
eine unbebingte, unb bie folgenden, bie fif) in der Prä-
deftination zum ervigen Leben concentriten, durch das vor»
ausgefehene Verdienſt ber Suftimmung zur Gnadenerweckung
bedingt. Diefe Unterfheidung ließe fid) fefthalten, wenn
das fittlihe Verhalten des Menſchen vor unb aufer ber
Gnade, wie es allerdings ein wefentlih von bem durch
die Gnabe erwedten Leben verſchiedenes ift, aud) bezüglich
auf den Gnabenempfang fij biefem als ein weſentlich
anderes gegenüberftellte. Das ift aber gerade nicht ber
Fall. Denn da die Suftimmung zur Gnabe, das Eingehen
auf fle, wie wohl es ein freies ift, doch zugleich von
diefer ſelbſt bewirkt wird, fo (ft nad) Abzug diefer Gnaden⸗
wirkung das Verhaͤltniß der menſchlichen Zuftändlichfeit
auf beiden Seiten daſſelbe. Und nidjt anders fónnen wir
urtheilen, wenn wir innerhalb des burd) bie Gnade ber
gründeten fittlihen Lebens irgend eine vorhergehende mit
ber nachfolgenden höhern Stufe vergleiden. Iſt dieſes
aber fo, dann [ὁδὲ fid) jene Unterſcheidung einer doppelten
Präpeftination, wie ſchon gezeigt, in fld) felber auf, unb
Vorherbeftimmung. 237
es bleibt nur bie Prädeftination zum ewigen Leben übrig,
in beffen gnädiger Verleihung fid) alle bie febiglid) auf
fid felber fortbauenben, durch fein eigenes ober ſelbſt⸗
fünbigeó Verdienft erworbenen, fonbern rein unverbienten
Gnabenerweifungen Gottes fummiren und concentriren.
Sene wiffenfhaftlih (wie wir glauben gezeigt
su haben) unhaltbare Unterfjeidung, die, wenn man etwas
Rechtes aus ihr machen wollte, ben reinen Gnadenbegriff
trüben, fa gerflören müßte, unb die deshalb aud) bei bem
hl. 9tuguftin, dem eiferfüchtigen DVertheidiger ber Gnade,
in dem Sinne der fpätern Aufftellung nidt vorkommt,
verdankt ihre Cntftebung dem Intereſſe des practifchen
Chriſtenthums. Don den Belagianern und Semipelas
gianern ift es befannt, wie fie hauptfächlih von biefem
Grund aus die Gnade gänzlich beftritten ober ihre Wirk⸗
famfeit bod) wefentlich befd)ránften; auf denſelben Grund
hin behauptete man fpäter und behauptet nod) heute 1) bie
Vorherbeſtimmung zum ewigen Leben als eine bedingte.
1) Liebermann instit. theol. Tom. IV. p. 125: Quamvis pro-
posita controversia (de praedestinatione ad gloriam, absolutane sit
an post praevisa merita ex gratia comparata fiat) ex scripturae et
traditionis auctoritate dijudicanda sit (was auf eregetifchem Wege
jedoch faum möglich if, denn es fommen beide Lehrformeln vor,
Matth. 25, 34 f. 2. Timoth. 2, 20. 2. Petr. 1, 10. die bebingte,
Qyj. 1, 4. Bm. 8, 28 ἢ. 9, 11 ff. u. a. bie umbebingte; unb. nicht
anders verhält es fid) auch mit bem Trabitionsbeweis), semotis rationis
humanae inventis: non deest tamen et hoc argumentorum genus,
quod ex rationibus theologicis petitur. Dicunt v. g., quando gloria
lanquam praemium proponitur ab aliquo obtinendum, rectam rationem
exigere, ut gloria non decernatur, nisi praevideatur meritum : elec-
tionem post merita magis convenire divinae sapientiae, justitiae et
bonitati, tum et hominis liberae voluntati: ita enimos ad opera
bona vehementius accendi, et plenius. removeri desperationis peri-
culum etc.
238 Die qhrriſtliche Gnadenlehre.
Das Intereſſe des practiſchen Chriſtenthums ſteht aber der
unbedingten Vorherbeſtimmung nicht im Wege; die von
hier aus gegen ſie erhobene Inſtanz beruht auf einem
Mißverſtaͤndniß, vielmehr auf dem Mangel des Verſtaͤnd⸗
niſſes dieſer Lehre. Daß die wirkſame Gnade die
Freiheit des menſchlichen Willens nicht duffebe, darauf
haben wir wiederholt aufmetfíam gemadt. Iſt dies nun
bet fall, fo fann bie Lehre von ber aus ὦ — und nicht
erſt durch die Einftimmung. des Willens — wirffamen
Gnade aud) den Forderungen bes practifhen Ehriftenthums,
fowie den Ermahnungen zu ihrer Erfüllung nicht wider⸗
fprehen. Denn daraus, daß wir nicht begreifen, wie
bie SBemirfung des guten Willen durch bie Gnade und
die freie Selbfibeffimmung zugleich jebod) in Abhängigfeit
ber legtern von ber erflern erfolgt, fann oder darf bod)
nicht gefolgert werben, daß e8 nicht fo fei, wenn es ung
im Glauben gewiß ift, daß εὖ fo ift (0b. ©. 202). Sträubt
man fid, das Recht, bie Forderung ber Freiheit auf dies
Geheimniß zu baftren, will man e ins Klare, Begreiflihe
herausfegen, fo ift ber erfte Schritt dazu bie moliniftifdje
Behauptung, daß bie Gnade wirffam fei weil ber Wille
wolle, ein Schritt, mit welchem der Auflöfungsproceß der
ganzen Gnabenlefre beginnt und unaufhaltfam bis jum
erubeften Pelagianismus fortfähreitet. IR e& aber fo, wie
wir es im Glauben unter Bewahrung des Geheimniffes
toiffen, daß die Abhängigkeit von der Gnade die (formelle)
Breiheit des Willens nicht aufhebt, diefelbe vielmehr voraus»
febt, fo ijt aud) bie Forderung an ben Menſchen, zu thun
was in feinen Kräften liegt, nicht ausgefchloffen; und ift
es zugleich gewiß, daß bie göttlihe Gnade bie wahrhafte
Breiheit wolle und bewirfe, fo fann darin nur ein Antrieb
BVorherbeflimmung. 239
liegen, jener Forderung um fo mehr zu genügen. Infofern
nun aber das felbfteigene Thun des Menfhen bie Gr»
Tangung ber Gnabe nicht bewirkt, weil biefe nicht secundum
merita ertheilt wird, vielmehr bie Gnade bie zuvorfommende,
bebingenbe Urſache alles wahrhaft Guten ift; fo läßt fid)
das über biefem Verhältnig von Gnade und Sreiheit
ſchwebende Gefeimnif practifch fo überfegen. Da ber
Menſch bie Gnabe Gottes nicht in feiner Gewalt hat, fo
thue er was in feinen Kräften liegt für feine höhere
Beftimmung; aber al’ fein moralifches Thun trage,’ ba er
bie Gnabe Gottes nicht entbehren fann, ben religiöfen
Eharakter ber Bitte um Gottes Beiftand 1). Das Augu-
ſtiniſche Wort: da Domine quod jubes, et jube quod vis
— woran Pelagius fo großen Anftoß genommen, ift ber
rechte Ausdruck, bie wahre Formel des unferm fittlichen
Thun wefentlihen und principalen refigiófen Charakters,
das feinem Inhalte nad) ein befländiges Beten und Streben
nad) ber diriftliden Vollfommenheit fein foll: „Ora et la-
bora!* „Wachet und bete! Zu ber Bitte gefellt ſich
ber Dank gegen Gott, fo oft wir uns in unferm Streben
mad) ber fittlihen Vollkommenheit gefördert fühlen. Da
aber das rechte Bitten und Blehen, wie überhaupt alles
wahrhaft gute Thun burd) bie Wirffamfeit der göttlichen
Gnade bedingt ift ?), fo fommen wir über ben Eirkel,
1) Die pofitive Baflung in bem befannten ſcholaſtiſchen Gag: Fa-
cienti quod in se est, Deus non denegat (largitur) gratiam, {ft
unzuläffig, weil batin liegt, daß ber Menſch aus eigener Kraft auf bie
Gnade fid) vorbereiten, biefelbe verdienen Fönne; aber die Tendenz des
Satzes ſcheint unverwerflich unb feine anbere zu fein, als bie Berechtigung
des fittlichen Imperativs neben bem Dogma von bet Nothwendigkeit unb
abfofuten SBirffamfeit ver Gnade zu behaupten. Vgl. Estius in 2 sentt.
dist. 26. Φ. 35.
2) Augustin Epist. 194. n. 18.
΄ 240 Die dirifilie Gnadenlehre.
über die Wechſelwirkung zwifchen Freiheit und Gnabe auf
biefer Seite nicht anders hinaus auf einen von der goͤtt⸗
lichen Gnade unabhängigen Standort für die Freiheit des
Willens, als durch Surüdgang auf bie formelle Freiheit,
das Vermögen des Guten und Böfen, weldhes nicht burd)
die Onade bedingt, fonbern von ifr vorausgefegt if. In -
ihm haben wir für den fittlihen Standpunct eine reine
vorausfegungslofe Grundlage; denn obwohl das Vermögen
des Guten in dem Suftanbe der Suͤndenknechtſchaft, ber
Unfceiheit im emphatifhen Sinne, eine vis impedita, ein
ſchwaches, fraftlofes Vermögen ift, fo ift εὖ bod) ein
Vermögen, unb der Sag, ber Menfh fann das Gute
wollen, eine unantafibare Wahrheit; zwar infofern eine
blos abftracte, als wir erfennen, daß er aus fid das
Gute. nift wirklich will, infofern aber zugleich eine
concrete Wahrheit, ald er das Böfe, das er will, frei
will, indem er es auch nit wollen fünnte. Kurz, biefer
Rüdgang auf bie formelle Freiheit, bie bem Menfchen
aud im Zuftand ber Sünde verbleibt, wenn er aud) nicht
hinreicht, das geheimnißvolle Dunkel des einheitlihen Zus
fammentoitfen8 von Gnade und Breiheit gänzlich zu zer⸗
fireuen, if bod) vollfommen geeignet, bie Bedenken zu
befeitigen, welche vom fittlichspractifchen Standpunkte aus
gegen bie Lehre von ber aus fid wirffamen Gnabe erhoben
werben. Dazu fommt nod) ein anderes Moment, das
wir wenigftens fur nod) berühren wollen. Der unter der
Saft der Sünde und fünbbaften Begierde ſeufzende Menſch,
beffen Heil nur aus bem Grbarmen Gottes burd) bie Gnade
des Erlöfers entfpringen fann Röm. 7, 24. 25., ftebt
nad der göttlichen Heilsordnung nit in einem rein inner
lien, unmittelbar geifligen 9tapport mit ber göttlichen
Borherbefitmmung. 24
Gnade, fonbern biefer ift vermittelt durch bie dufere Ger
meinſchaft mit bem Erlöfer in ber Erlöfungsanftalt ober
Kirche Chriſti, und wird eingeleitet und vollzogen durch
die Anhörung des Wortes Gottes unb ben Gebraud) ber
Sacramente. Der Zutritt zu beidem ift in unferer Gewalt,
fofern uns das Evangelium verfündigt wird (vgl.
unt.), wir verhalten und dazu frei. Hier alfo ift gegen»
über der innern Gnade Gotteó ein reiner von ihr unab⸗
hängiger Standpunct für den menſchlichen Willen gegeben,
und fomit bie von bem Sntereffe des practifchen Ehriftens
thums aus erhobene Inftanz gegen die abfolute Noth⸗
wendigkeit und Wirffamfeit der Gnade vollftändig befeitigt.
Haben wir nun wiederholt nadjgetoiefen, was bei einigem
Stadjbenfen Jeder felbft finden wird, daß bie wefentlidjen
Schwierigkeiten der Präbeftination (in ihrer allgemeinen
Faſſung) feine andere find als bie ber abfolut wirffamen
Gnade, fo enthält bie eben vollzogene gófung der [egtern ^
zugleich bie Antwort auf bie Bedenken gegen bie unbebingte
Vorherbeftiimmung aus bem fittlich» practifhen Geſichts⸗
puncte. Eine fpecielle Beleuchtung diefer Schwierigkeiten
erſcheint deshalb vollfommen überflüffig; nur einen Spunct
glauben wir nicht ganz mit Stillſchweigen übergehen zu
dürfen, daß nàmlid) bie unbebingte Vorherbeftiimmung zum
ewigen eben bie Betrachtung beffelben als bie Krone
ber Gereihtigleit, bie der Herr, der gerechte Richter allen
verleiht, weldhe feiner Erſcheinung fid) freuen 2 Timoth. 4. 8,
als Preis des guten Kampfes, als Lohn ber guten Werke
und Verdienſte, weldjen Gott feiner SBerbeifung getreu
denen ertheilt, bie bis an'8 Ende in feiner Gnade unb
der aus ihr fließenden Gerechtigkeit beharren, nidjt aus⸗
fondern einſchließe (Conc. Trid. sess. 6. cap. 16.).
242 Die chriftliche Gnadenlehre.
An der Graͤnze des uns hier verſtatteten Raumes
angekommen, müffen wir uns nunmehr darauf beſchraͤnken,
bie übrigen Lehrſätze unb Probleme, wie fie fid) bem von
uns eingefdjlagenen fonthetifhen Gange vom Allgemeinen
zum Befondern gemäß an einander reihen, aufzuführen
und mit ben nöthigften Erläuterungen zu begleiten.
G6 gibt nur eine Prädeftination, bie Präbeftination
zum ewigen geben, und fie ift eine unbebingte: bies
hat fid) uns aus bem Bisherigen ergeben. Das Gegen
theil der Prädeftination zum Leben wäre bie SBrábeftination
qum SBerberben, die Reprobation. Gibt es eine folde,
und voie ift fle beſchaffen? In Bezug auf das eine und
felbe Subject, alfo in Bezug auf ben Menſchen überhaupt
fat Gott defien Heil (ewiges Leben) beſchloſſen, ober nicht bes
ſchloſſen. Im fegtecn falle — denn ber erfte geht ung hier nicht
mehr an — hat Gott entweder eben nur dieſes, b. f. nichts
beſchloſſen Hinftchtlich des ewigen Looſes des Menfchen, ober
et hat (poſitiv) das Gegentheil, das Verderben beffen ber
ſchloſſen, beffen Leben er nicht beſchloſſen. Das legtere ber
haupten biejenigen, welche eine gemina praedestinatio lehren,
3. 9. G ott(djalT in ver Mitte des 9. Jahrhunderts unb Gal
vin. Diefe Pebre, wofür man fid) aufYuguftin!) mit Recht
nicht berufen ann, wiewohl dahin bezügliche Aeußerungen bei
ihm vorkommen, unb welche bie (2.) Synode von Orange‘),
1) Contr. Julian. lib. II. c. 18: Bonus est Deus, justus esi
Deus: potest aliquos sine bonis méritis liberare, quia bonus; non
potest quemquam sine malis meritis damnare quia justus est — das
df der Kern feiner Präbeftinationslefre. Ueber dem Unterſchied zwiſchen
Präbefination und Reprobation vgl. Epist. 194 ad Sixt. n. 12. βοᾷ.
de grat. et lib. arbit. n. 43. 44.
2) Cap. XXV. ober vielmeht im Epilog: Aliquos vero ad malum
divina potestate praedestinatos esse, non solum non credimus, sed
Vorherbeſtimmung. 243
obwohl fle ben Fußtapfen Auguftins unverwandten Blides
folgt, mit Abfcheu von fid) weist, ja ſogar ihr Dafein
besweifelt, ift verwerflih. Da Gott binfiditlid) bc Böfen,
worin das SBerberben befteht unb das zum Ververben führt,
infofern fid) paffiv verhält, als er der in bem freien Willen
begründeten Möglichkeit beffelben nicht nur feinen Vorſchub
leitet, fondern aud) ihrem llebergang in die Wirklichkeit
entgegentritt burd) bie DVerwirflihung des Guten vere
mittelft feiner ur(prüngliden Gnabe; fo gibt e& von diefem
(fuprafapfarifden) Gtanbpuntte aus Feine Prädes
flination zum SBerberben, fondern nur ein Vorherwiſſen
des Sündenfalles Adams und in ihm des ganzen Geſchlechts.
Aber aud) feine SBrübeftination zum eben, wenigftens nicht
in Bezug auf Adam als den Stammvater und Repräs
fentanten des Menſchengeſchlechts; wie denn überhaupt eine
allgemeine Präveftination nidt benfbar if, weil mit
einer folden bie Freiheit des menfhlihen Willens unver-
einbarlih wäre. Es wäre ein falfher Schluß: wenn
Gott einen oder einige salva libertate jum ewigen geben
präbeftiniren fann, fo kann er ebenfo aud) alle dazu
präbeftiniren.
Eine Präbeftination Adams in eigener Perfon
aber, bie allerdings denkbar, fält nicht mehr unter ben
fupralapfarifhen Geſichtspunct, fonbern unter ben infra»
lapfarifden, unter weldem Adam als Einzelner in der
Reihe ber übrigen, durch feine umb ihre eigene Schuld
dem SBerberben Anheimgefallenen, als ein Glied ber all-
gemeinen Maffe erſcheint. Stellen wir und auf biefen
Standpunet, unb fegen alfo ben Ball des erften Menjchen
etiam ei sunt, qui tantum malum credere velint, cim omni detes-
tatione illis anathema dicimus, Cf. Cono. Trid. sess. 6. can, 17.
Stel. Ouartaligrift. 1889. 11. Heft. 17
244 Die chriſtliche Gnadenlehre.
und in ihm der ganzen Menſchheit als einen lediglich durch
ſeine freie That vollbrachten voraus, ſo hat Gott denſelben
und das mit ihm uͤber die Menſchheit gekommene Verderben
vorhergewußt, aber nicht vorherbeſtimmt. Die Praͤdeſti⸗
nation wie die Reprobation ſind Begriffe, Beſtimmungen,
die erſt mit dieſem Standpuncte entſtehen und im Sinne
Auguſtins und der ſtrengſten Auguſtinianer nicht uͤber den⸗
ſelben hinausgreifen; dadurch unterſcheiden ſie ſich von
den eigentlichen Praͤdeſtinatianern, welche, indem ſie ſich
über dieſe Beſchraͤnkung hinwegſetzen, zugleich bie gemina
praedestinatio behaupten. Die Auguftinianer lehren nun,
daß Gott, wie er Einige in ber verborbenen Maffe aus
freiem Erbarmen zu erretten und zum ewigen Leben zu
führen befchloffen, ebenfo bie Andern dem ewigen Tode
geweiht habe vermöge feiner Gerechtigkeit zu ihrer
wohlverdienten Strafe. Was in biefer Lehre das Schwies
tigfte ift, bie ungleiche Behandlung ber in gleicher
Lage fid befindlichen Menſchen, geht uns hier nod) nichts
an; wir haben lebiglid) zu unterſuchen, von welder Art
biefe Reprobation fei. Da leudjtet num vor allem ein,
daß, ba ber abamiti[fe Fall ein völlig freier und von
Gott in Feiner Weiſe verurſacht ift, bie Reprobation der
Gefallenen nad Maßgabe ihrer fittlihen 8e
tbeiligung an bemfelben als ein Act ber ſtrafen⸗
den Gereditigfeit Gottes muß angefehen werben, baf folg«
fid) nur infofern von einer Prädeftination gum Tode bie
Rede fein Tann, als Gott diefen Fall vorherwiffend bes
ſchloſſen hat, nicht alle aus ihm zu erretten (was ja auch,
wie [don bemerft, ohne Beeinträchtigung der Freiheit nicht
1) Augustin. de dono persev. n. 25.
Vorherbeſtimmung. 245
denkbar wäre), fonbern einige darin fteden zu laſſen. Die
Reprobation ift daher weder eine unbebingte, denn fte
beruht auf bem Vorherwiffen des menfhlichen Verhaltens,
mod) eine pofitine Einwirkung zur Verfhlimmerung des
Menſchen, denn fie ift nur mit Vorenthaltung der Gnade
verbunden; ja fie ſchließt nicht alle, nicht einmal (um in
ber hergebrachten Weife zu reden) alle wirffame Gnade
aus, fondern nur baó donum perseverantiae, b. f. eben
bie Präbeftination zum Leben. Die Verurtheilung aber
tichter fij, wie bemerkt, gänzlich nad der Art und bem
Maaße der Schuld, welche dem Menfhen zur Laft fällt:
denn fie ift ein Act der abfoluten Gerechtigkeit. Sofern
daher ganz abftract, wie es von Seiten der Auguftinianer
geſchieht, febiglid) auf die Erbfünde, die Verwidelung in
den Eündenfall Adams bei Feftftellung des Begriffs der
Steprobation hingefehen ift, muß man einräumen, daß fie
ben Nachkommen des erften Menſchen, ba fie bei beffen
Falle nicht perſoͤnlich, durch freie, wiffentfide unb gefliffent-
lide Mitübertretung des göttlichen Gebotes, fondern nur
unperfönlich betheiligt find, aud) nur nad) biefer Maaß—⸗
gabe treffen fann 5). ]
Haben wir im Bisherigen Sprübeftination unb Repror
1) Worin die nicht durch perfönliche, fondern blos mitgetheilte
Schuld bedingte Unfeligfeit befiche, kann hier nicht náfer nachgewiefen
werben; wir erinnern mur an ben bekannten Unterfchied zwifchen poena
sensus und poena damni, welden bie Theologen bei ber Brage madj
dem jenfeitigen Looſe ber ungetauft abflerbenden Kinder ju wentiliren
pflegen.- Gerade diefer Fall legt bei ber obigen abſtrocten Betrachtung
vor; ber Menfch ohne "perfönliche Gittüidfeit sive in malam sive in
bonam partem ift das Kind.
Die Vervolltändigung obiger fBetradjtung durch Herbeiziehung bee
perfönlichen Moments gibt das unmittelbar Golgenbe.
17*
246 Dle chriſtliche Gnadenlehre.
bation jede fuͤr ſich und die letztere im Unterſchiede von
der erſtern betrachtet, fo müflen wir fie fet auf einander
beziehen und von der Vorherbeftimmung eines Menſchen
mit Ausfhluß des andern ober von ber Gnadenwahl
(Borherbeftimmung in concreto) handeln.
Diefe concrete Betrachtung geht von bem Dualismus
aus, ben die Erfahrung lehrt, von bem Gegenfage zwiſchen
Guten und Böfen, der, bei allem Wechſel der Subjecte in
Bezug auf ihn, als ein bleibender er[djeint, unb aud nad)
der Lehre des Glaubens niemals verfhmwindet, in Feiner
ἀποκατάστασις πάντων endet.
Worin liegt der Grund dieſes Gegenfages? Rad
allem Bisherigen in beidem zugleich, in ber göttlichen Vor⸗
herbeftimmung und in ber menſchlichen Selbfibeftimmung.
Aber wie? das ift jegt zu unterfuchen und an ber Hand
der hriftlichen Lehre zu entfcheiden.
Der Gegenfat führt fi) zurüd auf die ungleiche Aus-
theilung ber Gnabe, welche wiederum „in bem freien Wohl⸗
gefallen“ Gottes begründet if. Wer zum ewigen Leben
präbeftinirt ift, wird felig, wer nicht prábeftinirt ift, wird
nicht felig. Zwar ift von ber Nichtbefeligung das Ver⸗
derbniß zu unterſcheiden; jene verhält fij als etwas tein
Negatives, und erft das Verberben ift das eigentliche Gegen»
theil der Geligfeit; aud) ift der Nichtempfang ber wirt»
famen Gnabe unb weiter zurüd das Nichtpräbeftinirtfein
Urſache lediglich der Nichtfeligfeit unb das pofttive Ver⸗
berben, bie SBerbammnif allein dem böfen Willen zuzu⸗
fhreiben. Allein trog alles deſſen liegt eine ganz ungleiche
Behandlung der Menfchen von Seiten’Gottes vor, bie fo
wie fie hier vorgeftelIt ift, mit ber Gerechtigkeit, ber
ſtrengen Unpartheilicfeit Gottes ſchwer vereinbarlih zu
BVorherbeftimmung. 247
fein fdeint. Sehen wir aud) ein, bag bem Nichtpräs
deftinirten fein Unrecht gefchieht, fofern er vermóge feiner
ererbten und perfönlihen Unwürbigfeit und Verdammlich⸗
keit auf SBegnabigung feinen Anſpruch hat, fo ift bod) bem
Rechte, das hier in Anwendung fommt, fein Lauf nicht
gelaffen, fondern daſſelbe zu Gunften eines andern gleichſam
fufpendirt, fofern an biefem Gnade vor Recht ergeht. Fra⸗
gen wir, worin der Grund biefer ungleihen Behandlung
liege, fo betreten wir ben Weg, bad Geheimniß ber Gnaden⸗
wahl zu begreifen, auf bem τοῖς einige Schritte vorzu-
bringen hoffen fónnen. Der Bf. Auguftin ſchloß mit ber
Grfenntnif, bag ber Nichtpräveftinirte für fid) feine Ur»
fade zur Klage habe, ba er fid) ber eigenen Schuld als
Urfache feiner Verdammung bewußt fein müffe, und unters
warf fi im übrigen der Tiefe und Unergrünblichfeit des
göttlichen Geheimniſſes. Liegt jene ungleiche Behandlung
etwa in bem vorauégebenben, beziehungsweiſe vorausge⸗
fehenen ungfeidjen Verhalten der Menfchen? Keineswegs!
Denn vor und aufer der Gnade find alle Stadjfommen
Adams verwerflih vor Gott. Aber find fie εὖ vielleicht
in ungleider Weife? Sieht man lebigli auf die aba»
mitiſche Sündhaftigfeit, fo muß aud) biefe frage verneint
werben, ba bie Erbſchuld in allen ganz unb gar biefelbe
if. Allein gerade diefe abftracte Betrachtung (ber Augu-
finianer und Thomiften), bie nur das unperſoͤnliche fitt»
lide Verhalten des Menfhen im Auge hat unb ihn auf
dem Standpuncte des Kindes firirt, ift. eine untergeorbnete,
mangelhafte, über bie wir uns erheben Können unb follen
zu ber Betrachtung des perfónlid) fittlihen Verhaltens,
welches bem Ermachfenen eignet. Hier erft ift der Begriff
des Menfchen in feiner Totalität gegeben; und biefer Bes
248 Die Hriftliche Gnadenlehre.
griff muß ben Anfangspunet bifben. Nehmen wir alfo
ben Menfhen als moralifhe Perfon, fo erfcheint zwar
aud aus biefem Geſtchtspuncte vor und außer der Gnade
feiner gut, „auch nicht einer" ; und wenn babet Gott Einen
erwählt unb zum Leben beftimmt, fo ift dies ein Act feines
freien Wohlgefallens. Allein wenn jener allgemeinen Suͤnd⸗
haftigfeit unbefhabet bie Menfchen als fittlihe Perfonen
fid) doch reell von einander unterfheiden und eine fo
große Mannigfaltigkeit fittliher Zuſtaͤndlichkeit barftellen
als es Perfonen gibt; fo ftellen fte eine Reihe vor, in
welcher von ber tieffrem Tiefe moralifcher Verfunfenheit
an immer einer über ben andern fij erhebt, eine Reihe
mithin, die ſich bis an die Graͤnze ber Wiedergeburt aus
Gott und des baburd) bedingten wahrhaft guten unb gott»
wohlgefälligen Seins und Lebens erftreden fann. Dürfen
τοῖς nun den Grund der Erwählung in biefer Abftufung
gleichwohl nicht fuden; denn aud ber Befte unter ben
der Eünde Verfallenen ift ein „Kind des göttlichen Zornes“,
und ob Gott diefen ober einen andern begnabige, in allen
Faͤllen ift und bleibt feine Erwählung freies unverbientes
Erbarmen — fo erfheint fle bod) a[& das Moment, von
bem aus die Härte ber Verwerfung und ber Anfloß ber
ungleihen Behandlung gemilvert, wo nicht befeitiget wer⸗
den fann.
Die Berufung auf die Gott in feinen Gnadenerwei⸗
fungen aufteenbe Freiheit hat ihre Berechtigung; diefe
Freiheit ift ungertrennlich von Gott αἵδ᾽ einem perfönlihen
Wefen, und von ihr fehen wir aud) Anwendung gemacht
in ber befannten evangeliſchen Parabel von ben Arbeitern,
bie qu verfhiedenen Stunden an bie Arbeit berufen
Borherbeftimmung. 249
werden. unb fhlieglih denfelben Lohn empfangen 5.
Allein man muß fij vor bem Anthropomorphismus hüten,
ber in ber vollen unb unvermitteltin Anwendung biefeó
Gedankens liegt; erft dann möge er herbeigezogen werben,
wenn bie zur Erklärung jener ungleihen Behandlung
tauglihen Momente erfhöpft find, und nur infoweit zur
Anwendung fommen, als diefe ihm nod) Raum und feine
Bermittlung als Bedürfniß erſcheinen laffen. Wenn er
dagegen, wie εὖ von ben Auguftinianern unb Thomiften
geſchieht, jener abftracten Betrachtung als Schlußftein auf»
gefegt wird, fo heißt das ben Denfproceß zu frühe abs
brechen und gerade das Moment unbeadjtet zur Geite
liegen faffen, mit beffen SBenügung ber angeftrebte Zweck
allein auf befriedigende Weife erreicht werben Kann.
In diefer formellen Beziehung haben aud) hier (vgl.
oben (5. 104) die Moliniften ihnen den Rang abgelaufen.
Die Moliniften berufen fid) auf bie scientia media Gottes,
jenes Wiffen, welches gleihfam die Mitte hält zwiſchen
der scientia visionis (dem Wiffen des Wirflihen, alles
beffen, mas war if unb fein wird) und ber scientia
simplicis intelligentiae (9Biffen des abftract Moͤglichen)
und als 9Biffen des concret Möglichen erſcheint, b. h. des»
jenigen, was fif verwirklihen würde, wenn eine bes
ftimmte Vorausfegung einträte. So weiß Gott vorher,
taf Tyrus und Sivon Buße gethan hätten, wenn fie die
Wunder gefehen, die Chorazim und SBetbfaiba erfahren
haben. Diefen Hilfsbegriff wenden fte hier fo an. Gott weiß
die Wirkungen feiner Gnade auf die Herzen der Menfchen
vorher, nicht blos bevor er fie extheilt, fonbern auch bevor
1) Augustin. de dono persev. n. 17.
250 Die qhriſtliche Gnadenlehre.
er ſie zu ertheilen beſchließt; wenn er daher dem einen
die Gnade (der Berufung, Rechtfertigung, Ausdauer, die
durchlaufenden Momente der Vorherbeſtimmung) zu er⸗
theilen beſchließt (ibn prübefinitt) , dem andern aber fie
nicht zu ertheilen, ſo geſchieht dieß bei jenem auf dem
Grunde des Vorherwiſſens, daß er ihr zuſtimmen wird
(scientia visionis), bei dieſem auf bem Grunde ber scientia
media, des Vorherwiſſens, daß wenn er fle ihm ertheilen
würde, er ihr doch nicht folgen, fonbetn toiberfireben
würde. Denft man fid aber Gott nod) gleihfam in ber
Wahl oder Erwägung begriffen, welchen er feine Gnade
extheilen, welchen fie vorenthalten wolle, fo it die scientia
media das Mittel, burd) welches er in Anfehung beider
Theile zu feinem Entſchluſſe fommt. Und biefe Stellung
ift e& (nicht jene), welche bie Moliniften dem gedachten
Hilfsbegriffe anweiſen, wenn fle auf Grunblage ihrer Lehre
von ber wirffamen Gnade (ob. (5. 104) bem göttlichen
Praͤdeſtinationsdecret bie scientia media vorausgehen faffen
und ben Thomiften, bie bie Bebingtheit deſſelben butdj
was immer für ein SBorfermiffen des menſchlichen Vers
haltens beftreiten, entgegentreten. — Wie aber ihre Lehre
von ber wirffamen Gnade auf einen materiellen Itrthum
hinausläuft, fo aud) diefe ihre Prädeftinationslehre. Es
ift unzuläßig, bie Gnadenwahl, Präveftination und Repros
bation in Einem Acte zufammengefaßt, auf bie scientia
media als auf ihren Grund zurüdzuführen; denn jene hat
in ihrem Gefolge eine pofitive Einwirfung Gottes auf ben
menſchlichen Willen, die, wenn fte durch ein Vorherwiſſen
bedingt wäre, jedenfalls nid)t burd) bie scientia media
bebingt fein fónnte, wogegen biefe bie Negation einer
ſolchen Einwirfung ift, und fomit allein die Anwendung
BVorherbeftimmung. 251
biefcó Begriffes zuläßt. Erfolgt die Einfimmung bes
Willens (übrigens unbefdjabet feiner Freiheit) Durch bie
in ber Präbeftination zum Leben präparirte Gnadenmit⸗
theilung, fomit nicht unabhängig von ber Gnadeneinwir⸗
Tung, fo fann das Vorherwiſſen biefer Wirkung fein Bes
fimmungsgrund für bie Extheilung derfelben fein, jeden⸗
falls aber würde biefed Vorherwiflen, wenn man es bod
dem göttlichen Decret unterftellen wollte, nidt unter ben
Begriff ber scientia media fallen; benn e$ handelt ſich
bier nicht von einer Möglichkeit, weder einer ſchlechthinigen,
mod) einer hypothetiſchen, fondern von einem zufünftig
Wirklichen. Die Steprobation bagegen in ihrem Unter»
fbiebe von ber Prädeftination fann auf bie scientia media
begründet werben; unb indem wir es thun unb biefen
Hilfsbegriff hier zur Anwendung bringen, fihreiten wir
in ber Grfenntnif des Geheimniffes der Vorherbeftimmung
um einen erheblichen Schritt vor im Vergleich mit ber
abftraeten Behandlung des Problems von Seiten ber
Auguftinianer und Thomiften, in welder das perfönlich
ſittliche Moment gar nicht in Rechnung genommen ift.
Indem Gott, dem nichts verborgen und beffen Blid fo
wenig in die Graͤnzen des Wirklihen eingefchloflen, als
feine Macht burd) das Wirfliche erſchoͤpft ift, voraueftebt,
was ber Menſch unter allen Umftänden will unb tut,
alfo aud) vorauéflebt, was er thun würde, wenn er
ihm bie Gnade des ewigen Lebens zuwenden wollte,
mug ihm bie Vorausfiht ber Nichtannahme, ber Ver⸗
féümung und SSeruntreuung feiner. Gnade ein Beftim-
mungégrunb (ein, diefelbe dem böfen menfdjfiden Willen
vorzuenthalten. Verhaͤlt es fid) fo, fo wiffen wir alfo,
warum Gott bem einen bie Gnade nicht ertheilt; warum
252 Die hriftliche Gnadenlehre.
et fie aber dem andern ertheilt, das wiffen wir nicht,
weil wir feinen Grund dafür (auf Seite des SRenfden)
wiffen. Beides gufammenfaffenb, fónnen wir nun fagen:
„Bott "mill alle Menfchen retten und zur Grfenntnif der
Wahrheit führen“ ; 1 Tim. 2, 4., unb biefen feinen- gnädigen
Willen führt er nur an denen nicht aus, melde ihm eigen»
willig widerfireben. Zwar fdyeint ein ſolches Widerſtreben,
das wir nad) bem Bisherigen nur al ein hypothetiſches
Tennen, feinen wirklichen fittlihen Unterfhied zum Nach⸗
theil des Nichterwählten zu begründen, und bie scientia
media, durch deren Herbeiziehung wir darauf geführt
wurden, eine logifche Fiction, ein imaginárer Begriff zu
fein, durch den wir nur (djeinbar über bie abftracte Ber
trachtung ber Thomiften binausgefommen wären. Auch
müffen wir daran erinnern, mit welder Hartnädigfeit bie
entſchiedenen Thomiften diefem Begriffe an fif unb in
feiner Anwendung auf bie Präbeftination widerſtanden.
Und bod, behaupten wir, hat er feine Berechtigung.
Wenn das perfónfid) fittlihe Verhalten nichts Gleihgüls
tiges ift in Bezug auf das ewige Loos bes Menfchen,
wenn vielmehr, wie bie Freiheit des Willens überhaupt
in ber göttlihen Gnadenwirkſamkeit, fo aud) biefes Vers
halten in ber göttlichen Gnadenwahl eingeſchloſſen if,
wenn, um eó concret auszubrüden, ber Menfch nicht befs
halb fhlecht und das emige Verberben fein Loos ift, weil
er nicht prübeftinirt, weil er reprobirt ift, fonbern ums
gefefrt deßhalb reprobirt, weil er ſchlecht ift, ber Präs
deftinixte dagegen zwar deßhalb gut unb des ewigen Lebens
gewiß, weil er durch bie göttliche Gnade dazu erwedt ift,
aber bod auch nicht allein unb ausſchließlich deßhalb,
fonbern zugleich fraft feiner freien Selbfibefimmung für
Vorherbeſtimmung. 253
das Gute: wenn biefe Sprámiffen fefftehen — und Nies
manb, bie Präveftinatianer Gottfhalt unb Calvin auó«
genommen läugnet fie —; fo ijt bie scientia media fein
imaginärer Begriff, umb jenes blos hypothetiſche Wider⸗
fireben, das wir als Grund der Nichtermählung mittelft
dieſes Begriffs gefunden, beruht auf einer im Vergleich
(alfo blos relativ) mit bem Erwählten wirklich vorhan-
denen fittlichen Inferiorität des Nichterwählten. Wir fagen
alfo nicht: Gott will Alle retten und rettet aud) Alle,
welche gerettet fein wollen: darin läge, daß ber Rathſchluß
ber Erwählung lediglich aus dem Vorherwiſſen des menfdj-
liden Verhaltens hervorgehe, in bem Gott diejenigen zu
befeligen befchließe, von denen er vorherweiß, daß fie feiner
Gnade zuftimmen, wie er Diejenigen nicht zu erretten bes
fhließt, von denen er baó Gegentheil vorfermeif. Dann
wäre εὖ nicht die göttliche Gnade, Durch welche wir das
ewige Leben erlangen, fonbern unfer Wille, wiewohl nicht
ohne bie Gnabe; dann wäre bie Gnade nicht aus fid
wirkſam, fondern in Kraft des Willens; wir erlangten,
was uns Gottes gnädiger Wille ſchenken will, nicht deß—
halb, weil Gr εὖ will, fonbern weil wir wollen, und außer
feinem allgemeinen Willen Alle zu retten, gäbe εὖ
nicht blos rüdfidtlid) ber Intention fondern aud) des
Effects feinen befondern, alfo aud feine Gnadenwahl
im eigentlichen Sinne: lauter Lehren, bie im entfchiedenften
Widerſpruche mit dem Worte Gottes unb bem Dogma ber
Kirche ftehen. Unfere Formel lautet vielmehr: Gott will
Ale reiten und rettet nur diejenigen nicht, welche ihm
eigenwillig wiberfireben. Die fittlihe Selbftunterfheidung
der Menfchen, welde von bem Freiheitsgebrauche unzer⸗
trennlich ig und uns aud) überall da entgegentritt, wo
254 Die chriſtllche Gnadenlehre.
wir ſittliche Perſonen vor uns haben, zur directen Vor⸗
ausſetzung und Unterlage der Erwaͤhlung zu machen, iſt
ſchlechthin unzulaͤßig; denn fte beſteht nicht unabhängig
von dieſer, etwa wie der freie Wille als Vermoͤgen des
Guten und Boͤſen unabhaͤngig von der Gnade da und von
dieſer ſchlechthin vorausgeſetzt iſt, ſondern iſt theil weiſe
ihr Product: fie wäre ganz das Product der Erwaͤhlung,
wenn es eine gemina praedestinatio gäbe, wenn ber Menſch
zu beidem, bem Guten und Böfen von Gott befimmt
wäre. Und theilweifes Product ber Erwählung ift fie in
„ungleicher Weife; ber böfe, zum SBerberben führende
Wille ift fein Werf der Prädeftination, fondern das Werf
des Menfhen unb die Folge ber Nihterwähr
fung, ber gute zum ewigen Leben führende "Wille aber
it das Werk ber Prädeftination (Gnade) und
die Folge ber freien Selbfibefimmung bes
SRenfden. Hierin liegt ein verſchiedenes Verhalten des
Menſchen zu dem Zweck und Endziel feines Dafeins, und
zwar von Seiten des Böfen aus in feiner Be
siehung zum Guten ein ber Gnade vorausgehendes,
burd fie nidt bebingtes Verhalten in ähnlicher Weife,
tie ber natürliche Wille vor und unabhängig von ber Gnade
ein Vermögen des Guten und Böfen ift. In diefem
relativen und negativen Sinne erfcheint bie lediglich
auf bem freien Willensgebrauch beruhende fittlihe Selbſt⸗
unterfheidung des einen vom andern als bie Vorauss
fe&ung ber Erwählung; unb biefe von ber Ermählung
unabhängige perfönliche Selbſtunterſcheidung verhält fij
als das Außerfte Glied, als bie tieffte Unterlage des {εἴθ
fländigen fittlichen Lebens, auf welche die Berechtigung
aur fittlihen Ermahnung und Beftrafung gebaut werben
Vorherbeſtimmung. 255
Tann; wogegen ber bf. Auguftin Ὁ von feinem abſtrac⸗
ten Standpuncte aus für biefe Berechtigung auf nichts
fif berufen Fonnte als auf das fubjective Geheimniß ber
S)rübeftination, darauf, daß fein Sterbliher weiß unb
wiſſen fann, ob er in die Zahl der Erwählten von Gott
aufgenommen fei ober nicht. Der πάζβε Schritt über
jene fittliche Selbftunterfheidung hinaus führt uns in das
Verhältniß des gum Leben Vorherbeftimmten zu diefer Vor⸗
herbeftimmung hinein, ein Berhältniß, von bem wir oben
ausführlich gezeigt haben, daß in bemfelben bie Forderung
der fittlichen Freiheit, der Standpunct des practifchen Chris
ſtenthums vollfommen gewahrt fei.
Stadj.ber bisherigen Betrachtung ftellt die Praͤdem̃⸗
nation ein inneres unmittelbares Verhältnig Gottes
jum Menfchen dar. Sie hat aber aud) eine äußere
Seite, bie fif al8 bie finnfide Vermittlung zu
jenen rein geiftigen Bezügen der göttlichen Heilsbereitſchaft
verhält. Wir find nämlich von Ewigkeit her in Chrifto
wählt, daß wir burdj feine Gnade das ewige geben
erlangen (Ephef. 1, 4. 5. vgl. 9tóm. 6, 23); die Gnade
Gottes in Chriſto aber ift gefmüpft an den Eintritt in
feine Gemeinfdaft ober Kirhe, an bie Auf» unb
Annahme des Wortes Gottes und ben Gebraud) ber Sacra⸗
mente (Gnadenmittel), bie er in ihr hinterlegt hat. „Wer
glaubt und getauft ift, wird gerettet, wer aber nicht
glaubt, wird verurtheilt werben." Mark. 16, 16. vergl.
305.3, 36." Die Schwierigfeit, bie aus diefer Auffaſſung
der Praͤdeſtination erwaͤchst, [dft fi fur fo zuſammen⸗
faffen. Daß einige im Chriftenthum geboren werden und
1) De corrept. et grat. n. 20. 25.
256 Die chriſtliche Gnadenlehre.
durch die Taufe Antheil an Chriſtus gewinnen, andere
aber nicht, daß überhaupt einem Theil der Menſchheit das
Evangelium verfündigt wird, einem andern nicht, if
lebiglid) von Gott fo verordnet, unb biefe Verordnung be
wegt unb effectuirt fid) nad) ihrer äußern Geite nicht wie
bie bisher betrachtete innerhalb, fondern außerhalb ber
Sphäre der menschlichen Freiheit und Gelbftbeftimmung
auf bem Gebiete der äußern Umftände und SBerbáltniffe,
in bie wir ohne unfer Zuthun gefeßt find, bie wir mit
dem beften Willen nicht beherrfchen und zu unfern Gunſten
Tenfen Fönnen. „Wer den Namen des Heren anruft, fagt
der Apoftel, wird gerettet werden. Wie können fie nun
ben anrufen, an ben fie nicht glauben? wie Fönnen fie
aber an ben glauben, von bem fie nicht gehört haben?
wie fönnen fie aber von ihm hören, ohne einen Verkuͤn⸗
biger" ? Röm. 10, 13. 14. Wie làft fi) über biefe
Schwierigfeit Hinwegfommen, ober befcheidener gefproden:
in welcher Richtung liegt ihre Löfung? In Anfehung ders
jenigen, bie im Chriſtenthum geboren find, fowie beret,
denen es im Verlaufe ihres Lebens befannt wird burd)
die Boten des Evangeliums, fat die früher entwidelte
Betrachtung ihre volle Geltung; auf diejenigen aber findet
fie feine Anwendung, bie zwar im Ehriftenthume geboren,
aber durch vorzeitigen Tod ober durch Nachlaͤſſigkeit ans
derer an ber Wiedergeburt burd) die Taufe verhindert
werden; forie auf diejenigen, denen burd) ihr ganzes Leben
das Evangelium völlig unbefannt und fremd bleibt. Don
jenen reden wir hier nicht weiter, unb zwar deßhalb nicht,
weil biefe Betrachtung eine particuläre und abftracte, von
dem vollen Begriff des Menfchen, von bem Menſchen als
SBerfon abftrahirende ift, bie nie zu einem wiſſenſchaftlich
Vorherbeſtimmung. 257
genügenden Ergebniffe führen kann. Sie verhält fi als
Moment zu der Betrachtung des zuletzt erwähnten 8er»
haͤlmiſſes und muß von diefer aus, zu ber wir ieht übers
gehen, gewürdigt werben. Diejenigen alfo, benen ohne
ihre perfönliche Schuld !) bic chriſtliche Heilsanftalt ver⸗
ſchloſſen bleibt, find entweder im Zuſtande ber Vorbe⸗
teitung auf Chriſtus, alfo ſolche, denen durch Gottes
Gnade die Ausſicht und Hoffnung auf ben Erloͤſer eröffnet
iR, und bie fofglid) mit bem Judenthume das antieipirte
Chriſte nthum tepräfentiren. In Anfehung aller diefer
gilt ganz die frühere Betrachtung; fie find, wie bie Ehriften,
äußerlich in den Stand gefet zu glauben an ben (kuͤnf⸗
tigen) Erloͤſer und in dieſem Glauben und das ihm
gemaͤße Leben bie Seligkeit zu erlangen 9. Oder ſolche,
bei denen dies nicht ber Fall if — das Deibentfum
im eigentlichen umb engern Sinne. Diefes Heidenthum,
welches als vorriftliches bem Judenthum ober ber chriſt⸗
lichen Borbereitungsanftalt zur Seite geht, und als
nachchriſtliches der in Wirklichkeit getretenen chriſtlichen
Heilsanftalt parallel lauft, kommt hier allein in Betradt; ,
1) Dürfte man fidj auf den Standpunct der allgemeinen Sünd⸗
fefüigfeit befehränfen, fo würde man hier wie oben mit Auguftin
fügen: Keiner kann fih beklagen, bem die Gnade ber Verkündigung
ds göttlichen Wortes vorenthalten wird, εὖ geſchieht Ihnen Fein Unrecht. ἡ
2) Die bogmengefdjidotlide und’ theifweife aud) bogmoti[dje Aus
führung dieſes Sahes gibt ganz gut Natal. Alexander hist, eccles.
Tom, III. dissert. V. p. 124 seq. p. 370. 373. ed. Venet. 1771. —
Bas insbeſondere bie chriflliche Taufe, ben Schlüffel zum Reiche Gottes,
betrifft, fo ift fie eim poſitives Geſetz und verpflichtet deßhalb erft von
der Zeit feiner Promulgation an Die, denen es promulgirt itj Estiue
in 4. dist. 3. $. 13. dist. 4. $. 16. Daher fagt aud das Goncil
von Trient sens, 6. cap. 4, bof bie Rechtfertigung nad) gefcheh e⸗
att Berfündigung nicht ohne die Taufe ober deren Botum erfolge.
258 Die Griflige Gnadenlehre -
es erſcheint al8 ber Auferlich reprobirte Theil ber
Menschheit im Vergleich mit ben übrigen, bie als áufetlid)
präbeftinirt zu benfen find. Diefe Berwerfung if eine
viel härtere als bie innerliche, weil fie fid) der Einwirfung
des freien Willens gänzlich entzieht; unb man fann, abs
. gefehen von ber allgemeinen Schuld, bie Betroffenen in
keiner Weife für ben daraus erwachſenden Schaden per-
fönlich verantwortlich erflären. Trifft alfo Gott bie
Schuld? Keineswegs! Und zwar vor allem ſchon deßhalb
nicht, weil die SBeranftaftung ber Erlöfung für den durch
eigene Schuld gefallenen Menfchen, ben er von Anfang
in den Stand ber Gerechtigkeit und Geborgenheit gefebt
hatte, eine reine unverbiente Gnabe ift, und folglich bie
Abirrung von bem Ziele lebiglid) auf Rechnung des
Menſchen felbft fommt, ber nit nur auf unperfönlide
Weiſe in ben Fall Adams verwidelt, fondern aud) durd
eigene perfönlihe Schuld bem Böfen verfallen if. Gegen
wir aber bie Gnade der Erlöfung voraus und fragen
und, warum er nicht allen biefefbe zugänglich gemadt,
nicht von Anfang an und fortlaufend fie zur Kenntniß
aller gebracht habe: fo ift hierauf in ähnlicher Weife zu
antworten, wie auf bie rage, warum Gott nicht alle
burd) feine wirffame (innere) Gnade zur Seligfeit führe.
Wie die Effectuieung feines allgemeinen Willens alle zu
' retten. ohne Beeinträchtigung der Freiheit des Menden
nicht möglich ift, fo if bie gleichzeitige allgemeine Aus
dehnung feiner äußern Heilsanftalt über alle nicht möglid
ohne Störung des ordentlichen, natürlihen Weltlaufes.
Sind wir in jener Beziehung berechtigt zu fagen, daß
Gott alle rette welche ihm nidt eigenwillig widerſtreben,
alle alfo bie er retten Fann ohne bie Freiheit, womit er
Vorherbeſtimmung. 259
fie am Anfange ausgeruͤſtet und welches die Baſis alles
fittlichen Dafeins ift, zu beeinträchtigen; fo dürfen mir in
diefer Beziehung behaupten, daß unter feiner Leitung bie
Vorbereitungsanftalt fowohl als aud) das Chriſtenthum
ſelber fo ſchnell und fo weit fid) audbreiteten, als es der
natürliche Lauf ber Dinge, an den bie übernatürlidje Ord⸗
nung fid) anſchließt (mie bie Gnabe an die Freiheit), ver»
Rattete. Dazu kommt nod) daß, wenn Gott feine in
Chriſto den Menfchen erworbene Gnade beníelben tegels
mäßig und orbentlicherweife nur in ber Gemeinfchaft feines
Sohnes (ber vorbereitenben ober wirklichen) zuwendet, in
biefer Ordnung und Regel Fein ausſchließliches Gefe& und
feine abfolute Schranke für ihn in Erfüllung feiner ewigen
Nathfhlüffe liegen. fann. Ober wie möchte ber Menſch
ohne Vermeffenheit foldhes behaupten? Hier gilt es mit
dem Apoftel auszurufen: „DO Tiefe des Gnadenreichthums,
der Weisheit und Ginfidt Gottes! Wie unerforídilid) find
feine Gerichte, und unergründlich feine Wege! Denn wer
hat des Herrn Sinn erfannt oder wer ift fein Rathgeber
gewefen ?“ Röm. 11, 33—35. Wenn e8 aber fo ijt, daß
wir in jener Regel unb Ordnung feine Schranfe für bie
göttliche Barmherzigfeit erbliden dürfen, bann haben wir
von ber Betrachtung der äußern Gemeinſchaft mit Chriftus,
unbeſchadet ihrer Nothivendigfeit zum Seelenheile, ben
Rückgang gewonnen auf bie frühere, nad welder Gott
dem freien Willen des Menfchen mit feiner Barmherzigfeit
und Gnade unmittelbar zur Seite fiet Y. Und biefe
1) Auf pofitivere Weife den Echwierigfeiten gu begegnen, bie "
füh beiden Betrachtungen , befonders aber der zulegt aufgeſteilten in den
Bag legen, if ohne Trübung des Dogmas kaum möglich. Wenn daher
2eibnig, auf beffen theologifche Ginfichten wir übrigens keinen geringern
Abedl. Svartalfärift. 4959. 1. Heft. 18
260 Die dieifilitje Guadenlehre.
innere Gnabenorbnung verhält fid) ju der Außern in aͤhn⸗
licher Weife, wie bie Gnabenorbnung an fid) zu der Raturs
ordnung und die befondere Vorfehung zu der allgemeinen,
nümfid) als bie vollenbenbe und infofern höhere.
Werth legen als auf feine philofophifcken, in feinem systema theologi-
cum (p. 20. ed. Lacroix. Paris. 1845) fagt: Porro omnibus hominibus
gratiam dat Deus sufficientem , hactenus ut posita modo ipsorum
voluntate seria, nibil amplius ad salutem eorum desideretur quod
non sit in potestate, Et proinde muli viri pii persuasi sunt omnem
hominem venientem in hunc mundum a luce illa mentum, Filio
Dei aeterno, ejusque Sancto Spiritu ita illuminari, ut saltem ante
morlem, sive per exíermam praedicationem, sive per internem
mentis illustrationem , ad nolitiem perveniat, quantum haberi satis
ek neceise erat, ut salutem obtinere posset, si modo ipse vellet, eo
fine scilicet, ut saltem, si obstinate resistit vocanti Deo, inexcum-
bilis constituatur; id enim divina justiiia omnino exigit. Quonam
autem ratione id praestet Deus, etiam in illis ad quos nulla suspicio
Evangelii Christi per aliquam externi verbi praedicationem pervenit,
non iemere definiendum est a nobis, sed sapientiae ejus «c miseri-
cordiae relinquendum est — fo find wir mit bem legten ganz tin
verftanden, aber eben barum nicht mit bem erflen, wenn uns barin
poſitive Aufftellungen geboten fein follen.
Kuhn.
Beriätigung. ©. 200 am Schlufſe der Anmerkung muß ger
defen werben: deren Duelle wir in bem Mangel oder ber Möläuguung
der foum angegebenen Difinction zu fuchen Haben.
2.
SPapft Liberius, fein Verhältnig zum Arianismus
und zum nicänifhen Symbolum.
Der frühzeitige Tod des Kaifers Gonftan (350 nad)
Chr.) übte febr nachtheiligen Einfluß auf bie Gefdide
der nicänifhen Lehre und ihrer SBertfeibiger. Hatten bie
Eufebianer fon vorher, gleich nad) ber Rüdberufung des
Bi. Athanafius aus feinem zweiten Exil, ihre Sntriguen
gegen ihn erneuert, wie Sokrates (historia eccles. II, 26)
verfichert, fo febten fie jeßt biefelben befto ungefcheuter fort,
namentlich) weil Athanaflus bie nicht nicänifh gefinnten
Geiſtlichen abfegte und andere beftellte, auch, wie fle mein«
ten, fogar in fremde Diöcefen (deren Obermetropolit er
übrigens war) Uebergriffe machte '). Vor ber Hand blies
ben ihre Bemühungen zwar ohne Erfolg, denn wir haben
noch jet einen Brief des Kaifers Eonftantius an Athanafius,
worin ihn biefer nad) dem Tode feines Bruders Eonftans
feines fortwährenden Schutzes verfihert ?), vieleicht, wie
die Mauriner meinten 3), nur aus Politif, um ftd in ben
damals Feitifhen Umftänden und Kriegsgeiten (im Abends
1) Soerates, historia eccles. IL 26.
2) Bei Athanas. Apolog. ad imperat. Constantium c. 23 umb
histor. Arianorum ad monachos c. 24.
3) In ihrer Vita S. Athanasii im erfien Bande p. LIL bet
Bataviner Ausgabe der Opp. S. Athanas.
18*
262 Bapft Aberius
Tanbe hatte fih Magnentius, in Pannonien Vetra—⸗
nion zum Gegenfaifer ausrufen laffen) die Neigung des
einflußreihen Mannes und des ihm fo anhänglichen
Aegyptens zu erhalten.
Ein aud) für bie Kirchengeſchichte nicht unwichtiges
Ereigniß war der große Sieg des Conftantius bei Murfa
über den Ufurpator Magnentius am 28, Sept. 351. Biſchof
Valens von Murfa war damals im Gefolge des Kaifers,
und ba er das Refultat der fehredlihen Schlacht, welcher
Eonfantiug nicht unmittelbar ſelbſt beiwohnte, früher als
diefer erfuhr, verkündete er e8 ihm mit bem Vorgeben,
durch einen Engel davon benachrichtet worden zu fein,
und flanb von nun an in hoher Gunft bei dem Kaifer H.
F Um biefe Zeit traten der genannte Valens und fein
Freund Bifhof Urſacius von Singidunum wieder zur anti-
nicaͤniſchen oder arianifirenden Richtung zurüd, deren Ver⸗
theidiger fle ſchon fo lange gewefen und weíde fle nur
einige Zeit fang aus Furcht vor Kaifer Eonftans zum
Scheine verlaffen hatten. Mit ihnen verbanben fid) Leons
tius von Antiochien, Georg von Laodicen, Acacius von
Caͤſarea Palaͤſtina, Theodor von Heraflea und Nareiffus
von Neronias, und beftimmten gemeinfhaftlih ben Kaifer,
aufs Neue das Patronat ber antinicänifhen Lehre zu über-
nehmen. Conſtantius verftanb fid aud) in ber That hiezu
i. 3. 352, unb beauftragte nun die Genannten, bie öffent»
lide Stimmung in biefer Richtung zu bearbeiten 9.
Gerade damals brad) aud) eine der fráftigften Stügen
des HI. Athanaflus und des nicänifhen Glaubens, denn
1) So erjäflt Sulpitius Severus histor, sacra; lib. II. p. 345 seq.
tm VL Bande ber Biblioth. max. Patrum. Lugdun. 1577.
2) Athanas. histor. Arian. ad monachos. c. 30) 31.
und das nicänifche Symbolum. 263
es flarb Papft Julius I. am 12. April 352 und am 22. °
Mai Ὁ. I. folgte ibm Liberius, welder (dion unter ben
nächftvorausgegangenen Päpften mehrere Kirchenaͤmter mit
Ruhm verwaltet hatte und ein großer Afcet war. Und
gerade er wird beüchtigt, bie kirchliche Rechtglaͤubigkeit
aus Menſchenfurcht Herrathen zu haben, und aus Beighelt
unb Selbſtſucht auf Seite der Keber getreten zu fein.
Mehrere wollen fogar behaupten, daß er ſchon gleich beim
Antritte feines Pontififats fid) als heftigen Gegner des
bf. Athanafius gezeigt habe, und berufen fid) deßhalb auf
ein Bragment bei Ct. Hilarius von Spoitieré. Daffelbe
enthält einen angeblichen Brief des Liberius, wornad bie
morgenländifhen Bifchöfe mod) bei Lebzeiten des Papftes
Julius neue Klagen gegen Athanaſius vorgebradjt haben
follen, weßhalb Liberius gleich nad) feinem Amtsantritte
Geſandte nad) Alerandrien gefehiet habe, um ben 9Itfa»
nafius zur Verantwortung über bie ihm vorgemorfenen
Vergehen mad) Rom vorzufordern, wibrigenfalls er von
der Kirche ausgefchloffen würde. Da nun Athanafius fih
du erſcheinen geweigert, fo erfläre ‚Liberius jept — in
diefem Briefe —, daß er fortan nicht mehr mit ibm, wohl
aber mit den Morgenländern (b. i. ben arianifirenben
Eufebianern) Kirhengemeinfhaft unterhalten wolle !).
Allein nicht nur Baronius und andere alte Gelehrte
haben bie Aechtheit biefe& Briefes beftritten, fondern es
haben aud) die Mauriner Herausgeber ber Werke des HI.
Hilarius (p. 1327) deffen Unaͤchtheit deutlich gezeigt, unb
vat aus folgenden Gründen: ΄
1) Qe iſt dieß der Brief des Liberius „Studens paci^ bei Hilar.
fragm. IV. p. 1327; aud) bei Mansi, Collect. Concil. T. III. p. 208.
und Baronius ad ann. 352. n. 12.
264 Slayft Liberlus
a) Schon in ben erfien Zeiten feines Pontififats
legte Liberius, wie wir fehen werben, einen großen Eifer
für Athanaſius unb die nicaͤniſche Sache an den Tag.
b) Athanafius ſelbſt deutet nirgends im Geringften
an, daß Liberius (don vor feinem Eril irgend einmal
die Gemeinfhaft mit ihm aufgehoben habe; ja er fagt
c) direkte, daß er erft nad) feinem Gri durch Dros
hungen fid habe verleiten laſſen, unb vorher ganz ſtand⸗
haft gemefen fei, aud) bem faiferfiden Eunuchen Eufebius,
der an ihn abgefanbt war um ihn zu verleiten, fefe ſchoͤne
Antworten gegeben habe !).
d) Kiberius erklärte diefem kaiſerlichen Gefandten
insbefondere: er fónne ben Athanafius, den ſchon zwei
Cynoben für unfhuldig erflärt und ben bie roͤmiſche Kirche
im Srieden entlaffen habe, den er uͤberdieß bei defien Ans
weſenheit in Rom geliebt und in die Gemeinfhaft aufge⸗
nommen babe (b. ἢ. als Glerifer unter SBapft Julius an
der Aufnahme mitgewirkt habe), unmöglich verwerfen ). —
Das aber hätte Liberius ficher nicht fagen fónnen, wenn
er felbft (don einmal bem Athanafius bie Kirchengemein⸗
ſchaft aufgefündet gehabt hätte.
e) Liberius wurde ferner von ben Gegnern bes
Athanaſius befhuldigt, er Babe Klagſchreiben gegen bens
felben, bie bei ihm im Anfange feines Pontififate
eingelaufen feien (voie aus dem Zufammenhange erhellt),
fogar unterbrüdt; fei fonad) eher für Athanaflus pars
teiiſch gemefen, als gegen ihn.
f) Auf diefe Beſchuldigung erwiderte Liberius: er
1) Berg. ble ganze Erzählung des hl. Athanafins in feiner historia
Arianorum ad monachos c. 35 seqq.
2) Athanas. 1. c. c. 36,
und das nieänifche Symbolum. 265
habe jene Klagſchreiben wohl gelefen und feiner Synode
mitgetheilt, aber es hätten fid viel mehr Bifhöfe für
als gegen Athanaflus erflärt ). Auch hierin liegt, baf
er {εἰδῇ damals, beim Anfange feines Pontififats, ben
Athanaſius feineswegs verwarf.
g) Gnbíid) haben bie Arianer in jener Zeit überhaupt
mehrere falfche Briefe in Umlauf gefeht, wie fon Atha⸗
naſius felbft zeigte 3); und aud auf ber Synode von
Sarbifa war ein folder vorgelefen worden 3).
So iff bemnad) der erfte Vorwurf, der dem Papfle
Liherius über fein Verhältnig zur antinicänifhen Partei
gemacht wurde, für grunbíoó zu eradjten; im Gegentbeile
zeigte fid derfelbe von Anfang an als entſchiedener Freund
des Rechts unb ber Orthodorie, wie aud) jeder Schritt
feiner ferneren Betheiligung an den arianifhen Kämpfen
beweist. .
Im Sommer 353 wurde Conftantius burd) bie volle
fBefiegung und ben Tod des Ufurpator Magnentius Allein»
herrſcher des großen roͤmiſch⸗griechiſchen Reiches, unb von
ba an tritt feine Abficht, ben arianifirenden Glauben, bem
er βείδ felbft angehört hatte, zum herrſchenden zu machen
und bie homoufiaftifche, vermeintlich fabellianifirende Rich⸗
tung zu unterbrüden, immer beutlicher hervor. Damit
war die Rothwendigkeit gegeben, den Athanaflus aufs
Neue zu ftürgen, und ein eigenthuͤmlich unehrlicher Plan
wurde dazu erfonnen. Wahrſcheinlich mit Wiffen des
Kaifers uͤberreichte man biejem ein angebfid) von Atha⸗
naflus herrührendes aber unächtes Schreiben, worin biefer
1) Hiler. fragm. V. n. 2. p. 1330 ed. Bened.
2) Athenas. Apologia ad Constantium imper. c. 6. 11. 19.
8) gl. Hilar. fragm. IL n. 3. p. 1285.
266 Bapft Aberius
um die Erlaubnig bat, an das Hoflager Tommen zu dürfen.
Man hoffte natürlich, dort über ihn eher Meifler werben
zu fónnen, als in Alerandrien, wo er fo großen Anhang
beſaß. Eonftantius genehmigte fofort bie vorgebtide Bitte
und fdidte fein bejahendes Antwortfhreiben burd) einen
befonberen SBalafibebienten, Montanus, gegen Ende des
Jahres 353 nad) Alerandrien. Athanafius erkannte fo»
gleih den Betrug und erflärte: „wenn ber Kaifer auss
brüdlid) befehle, werde er erfcheinen, aber darum ger
beten habe er nicht." Er blieb fonad in Alerandrien und
feine Feinde fäumten nicht, dieß für ein Eapitalverbrechen
au erflären 1), Zugleich zeigte fij) Gelegenheit zu nod)
weiteren Angriffen. Die Kirchen zu Alerandrien waren
feit längerer Zeit zu Mein, unb deßhalb hatte (don ber
arianifhe Afterbifchof Gregor vor etwa gehn Jahren ben
Tempel Hadrians in eine Kirche umpugeftalten begonnen.
Der Bau war nod nicht ganz fertig, die Kirche nod)
nicht eingeweiht unb bod) hielt Athanaſius am Ofterfefte
auf Bitten des Volkes darin Gotteödienft,. weil an ben
vorausgegangenen Tagen bie eigentliche Kathedrale fo
überfüllt war, daß viele Menfchen gequet(ót wurden.
Doch fam glüdlicherweife Niemand dabei ums Reben, Die
Arianer aber fpielten jet bie religiöfen Rigoriften und
flagten bei dem Kaifer über ben großen Frevel, in einer
nichtgeweihten Kirche Gottesdienft gehalten zu haben ?).
Mit den beiden eben berührten Klagepunften vers
banden fie nod) bie zwei weitern: Athanaſius habe ben
Kaifer Gonftanó ftetà gegen feinen Bruder Eonftantius
1) Athenas, Apolog. ad imper. Constant, c. 19 seqq.
2) lbid. c. 14 seqq. .
und das nichnifche Symbolum. 267
aufgezeigt D, unb aud) an Magnentius beim Beginne feiner
Ujurpation eine ehrerbietige Zuſchrift gefdjidt, um feine
Gunft zu gewinnen ?).
Diefe neuen Angriffe auf Athanafius wurden wie dem
Kaifer fo aud) bem 9Bapfte Liberius mitgetheilt; aber aud)
bie Freunde des HI. Athanafius traten wieder auf und
ſchickten, achtzig Bifhöfe an der Zahl, eine Vertheidigungs-
férift für ihn nad Rom 3). Liberius fand barum bie
Berufung eines großen Concils für nöthig 9), und bat
den Kaifer, ein ſolches nad) 9Iquileja auszufchreiben. Con⸗
flantiu& wählte jedoch Arles in Gallien, wo er fid) eben
aufhielt, zum Orte der Synode, unb ließ ben nun hier vers
fammelten Bifhöfen ein fhon zum Voraus von Valens und
Urfacius gefertigtes Verbannungsdefret über Athanafius
vorlefen 5. Die päpftlihen Gefanbten, Biſchof SBincentiu&
von Gapua und Marcellus Bifchof in Gampanien, fowie
andere orthodore Bifchöfe ftellten das. Anfinnen, man folle
bod), ehe man fie zur Unterfprift zwingen wolle, zuvor
über ben Glauben bdifeutiren, und dann erft über bie
SBerfon aburtheilen. Aber Biſchof SBalené und feine
Freunde ließen fid) auf eine neue dogmatiſche Unterfuchung
gar nicht ein). Sofort machten bie päpftlihen Legaten,
wie fie fagten, des Friedens willen, nod) ben meitern
Vorſchlag, fie wollten das Urtheil über Athanafius unter
reiben, wenn zugleich aud) ein Anathema über die
1) Ibid, c. 2 seqq.
2) Ibid. c. 6 seqq.
3) Hiler. frogm. V. n, 2. p. 1380,
4) Ibid. fragm. V. n. 1. p. 1930.
5) Sulpit. Sever. hist, sacra, lib. II, p. 346 1. c.
6) Sulpit. Sever. l. c.
266 ffayft Liberlus
um bie Grlaubnif bat, an das Hoflager Ln can verſprach
Man hoffte natürlich, dort über ihn ἡ ., aber Valens
zu koͤnnen, als in Alerandrien, mo —— npe Mehrheit, er
ba. Conſtantius genehmigte f^ —— ‚nmwilligen zu können
und (djidte fein bejahendes Ar ag des Athanaſius »,
en a allgemeine Unterfärift
glei, den Betrug umh geringe Gewalt. Selbſt die
nang Befehle, - Aerzeichneten ſo das Urtheil gegen
beten Hab i jlaulinué von Trier blieb ftanbbaft,
feine Binde fi = zit dem Cril beftraft 2. rapit Liberius
zu erflären Ὁ dm Abfall feiner Legaten fo fehr betrübt,
weiteren 9f 97d qe förteb: duplici affectus moerore, mihi
feit Täne ws aspis pro Deo decrevi, ne viderer novissimus
arian’ w^ sententiis contra Evangelium commodare con-
Sn ΤΩΝ Und damit ja Niemand glauben fónne, er
T PO Scritt feiner Gefanbten, ſchrieb er nicht bios
us, fondern. aud) an andere Bifhöfe des Abend»
ind ahnliche Briefe 9. .
Die Lage namentlich ber italiſchen Bifhöfe war bo
mals eine gefährliche, denn ber Kaifer verlangte jegt von
ignen Alen, daß fie ber Gemeinfhaft mit Athanaflus
entfagen follten. Viele waren muthlos; ba fand Aueifer
9. von Ealaris in Sarbinien auf und zeigte, baf ber
Angriff auf Athanafius nichts Anderes {εἰ als eine 8er
folgung ber niränifchen Lehre, und erbot fid als paͤpf⸗
lider Gefanbter an das Hoflager zu gehen, um ben
1) Hilar. fragm. V. n. 5. p. 1832.
2) Athanas. Apolog. ad imper. Constant. o. 27. Hilar. conm
Constantium p. 1246.
3) Hilar. fragm. Vl. n. 3. p. 1835.
4) Mansi , collectio Concil. T. III. p. 201.
und das nicäntfche Shmbolum. 269
"qlid) auf beffere Wege zu bringen. Liberius
"ieten. feeubigft an, gab ifm ben Priefter
» 7 Diafon Hilarius zu SBegleitern und
‚em fehr freimüthigen und würdigen
a , worin er fein bisheriged Bes
x auch zeigt, warum er nicht mit ben
‚wengemeinf&haft unterhalten fónne, das
eſchehene fein und zugleich ernſt Feitifirt und
4b um Abhaltung einer neuen €ynobe bittet ). —
ougleich fehrieb Liberius aud) an ben hochangeſehenen Bir
ſchof Eufebius von Vercelli, unb bat ihn, aud) feinerfeité
der Geſandtſchaft fid) anzuſchließen 9. Zu dem Gleichen
forderte er auch ben Bifchof Fortunatian von Aquileja au[ 3).
— Kaiſer Conftantius berief fofort allerdings wie ber
Papſt verlangte, für das Jahr 355 eine Synode nad
Nailand, aber Liberius follte bald bitter enttäufcht
werden, denn Conftantius brachte es auf diefer Synode,
die in feinem eigenen Palafte abgehalten werben mußte,
durch Drohungen und Gemwaltthätigfeiten dahin, daß alle
Anwefenden bie Verurtheilung des Athanaſius unterfchrieben
und mit ben Eufebianern und ber arianifirenden Partei
in Kirchengemeinſchaft traten. Nur wenige, wie Eufebius
von Vercelli, Dionys von Mailand, Lucifer von Calaris
und die wei andern pápfifiden Gefanbten blieben ftandhaft
und wurden dafür mit Verbannung beftraft. Unter denen
aber, bie fid) ſchwach gezeigt, befand fid) aud) ber ſchon
genannte Bifhof Hortunatian von Aquileja, auf welden,
wie wir fahen, Liberius fo große Hoffnung gefebt hatte,
1) Hilar. fragm. V. p. 13291333.
2) Massi, 1. c. T. ΠΙ. p. 204 u. 205.
3) Mensi, 1. c. p. 205 x. 206.
268 Bapft Liberius
arianiſche Härefle ausgeſprochen werde. Man verſprach
bie. Sept verfammelte fid) die Synode, aber Valens
und feine Anhänger, b. f. bie arianifirende Mehrheit, ers
Härte nun, in biefen Punkt unmöglich einwilligen zu Fönnen,
beftand dagegen auf der Verurtheilung des Athanaflus !),
und Conſtantius erpreßte deren allgemeine Unterfchrift
durch Drohungen und nicht geringe Gewalt. Selbſt bie
püpfiliden Gefandten unterzeichneten fo das Urtheil gegen
Athanaftus, und nur Paulinus von Stier blieb ftanbbaft,
und wurde dafür mit bem Eril beftraft ἢ. Papft Liberius
aber war über ben Abfall feiner Legaten fo febr betrübt,
daß er an Oflus ſchrieb: „duplici affectus moerore, mihi
moriendum magis pro Deo decrevi, ne viderer novissimus
delator, aut senientiis contra Evangelium commodare con-
sensum* 3). Und damit ja Niemand glauben fónne, er
billige den Schritt feiner Gefanbten, ſchrieb er nicht blos
an Oſius, fondern aud) an andere Biſchoͤfe des Abend⸗
landes ähnliche Briefe 9.
Die Lage namentíid) der itali(den Bilhöfe war dar
mals eine gefährliche, denn ber Kaiſer verlangte jet von
ihnen Allen, daß fle der Gemeinffaft mit Athanaflus
entfagen follten. Viele waren muthlos; da flanb ucifer
2. von Calaris in Sardinien auf und zeigte, baf ber
Angriff auf Athanaftus nichts Anderes [εἰ als eine Ber-
folgung ber nicánifden Lehre, unb erbot fid als pápft
lider Gefanbter an das Hoflager zu gehen, um ben
1) Hilar. fragm. V. n. 5. p. 1332.
2) Athenas. Apolog. ad imper. Constant. c. 27. Hiler. conta
Constantium p. 1246.
3) Hilar. fragm. VI. n. 8, p. 1335.
4) Mansi , collectio Concil. T. II, p. 201.
und das nieänifche Symbolum. 269
Kaifer wo möglich auf beffere Wege zu bringen. Liberius
nahm fein Anerbieten freubigft an, gab ihm ben Priefter
Bancratius unb ben Diafon Hilarius zu Begleitern unb
ſchickte fie nun mit einem febr freimäthigen und würdigen
Schreiben an den Kaifer, worin er fein biöheriges Ber
nehmen rechtfertigt, aud) zeigt, warum er nicht mit den
Eufebianern Kirchengemeinfhaft unterhalten fönne, das
zu Arles Gefhehene fein und zugleich ernft kritifirt unb
dringend um Abhaltung einer neuen Synode bittet). —
Zugleich fhrieb giberiu& aud) an den hochangefehenen Bir
ſchof Eufebius von Vercelli, und bat ihn, auch feinerfeits
der Geſandtſchaft ſich anzufchliegen 9. Zu dem leihen
forderte er aud) ben Biſchof Fortunatian von 9fquifeja auf ®).
— Kaifer Eonftantius berief fofort allerdings wie ber
Papft verlangte, für das Jahr 355 eine Synode nal
Mailand, aber Liberius follte bald, bitter enttäufcht
erben, denn Conftantius brachte e8 auf diefer Synode,
die in feinem eigenen Palafte abgehalten werben mußte,
burd) Drohungen und Gewaltthätigfeiten bain, daß alle
Sinvoefenben die Berurtheilung des Athanaftus unterfehrieben
und mit ben Eufebianern und ber arianifirenden Partei
in Kirchengemeinfhaft traten. Nur wenige, wie Eufebius
von Vercelli, Dionys von Mailand, Lucifer von Calaris
unb bie zwei andern pápfifidjen Gefanbten blieben ſtandhaft
und wurden dafür mit Verbannung beftraft. Unter denen
aber, bie fid) ſchwach gezeigt, befand fid) aud) ber [don
genannte Bifhof Gortunatian von Aquileja, auf welchen,
wie wir fahen, Liberius fo große Hoffnung gefeht hatte,
1) Hilar. fragm. V. p. 1329-1333.
2) Mansi, 1. c. T. IIL p. 204 u. 205.
3) Mansi , 1. c. p. 305 u. 206.
268 Spopft Liberius
atianifdje Härefie ausgefprohen werbe., H 4
dieß. Jetzt verfammelte fif) bie ey £ bes
und feine Anhänger, b. h. die ariav z f s;
? 7 nder |
1 d ent·
und Conſtantius erpreßte Vi ; δ.
burd) Drohungen und nidt , » fe mit
päpftlichen Gefanbten unte / αὶ 5 ἢ Bartei
Athanafius, und mic T- x 2, jagte er, im
„uchen Ginigteit,
„Hpeit in ber Kirche an,
unb wurde bafür mi
aber war über ber / 5
daß er an Oſiu⸗ d arianiſchen Principien. Leider
moriendum m». woͤfe burd) Furcht verleiten, wenige
delator, aut zum Scheine, den Athanaſtus zu ve»
sensum* Y „it der Gegenpartei in Gemeinfchaft zu treten;
billige d aders aber war es von Anfang an auf ben Sap
an D und ben berühmten Biſchof Oſius abgefehen in |
Ian“ ML wenn mam biefe geminne, habe man über |
WT Eonftantius ſchickte jegt ben Gunuden Eufer |
j, εἴπει feiner vertrauteften Räthe unb eifrigen Arianer, |
nó om ju Papſt Siberiuó, damit er zwei Dinge von |
jjm verlange: bie Unterfhrift gegen Athanafius und die |
Gemeinfhaft mit bem arianifirenden Biſchoͤfen. Erſteres
wünfche, Lehteres befehle der Kaifer. Geſchenke und Dro
jungen zugleich angewendet, follten ben Papft nachgiebig
machen 9. Liberius entgegnete, daß er ben Athanaſtus
unmöglich verwerfen fónne; man folle aber eine freie
Synode, nit in einem Faiferlichen Palafte und nicht duch
des Kaiſers perfönliche Anweſenheit beherrſcht, abhalten,
1) Hieron. de viris illustr. c. 97.
2) Athenas. histor. Arian. ad monachos c. 35.
bi
DAS nieinifge SHmbolum. ?n
"Sun en darin erneuern, bie Arianer davon
ST Tagen gegen Athanafius unterfudjen !).
>rzürnt, palte die Gefchenfe, bie er
* unb welche Liberius nidt an—
*in unb entfernte fi mit Dros
er darauf in ber St. Peters»
^ab bem Kirhenhüter einen
ἃ »-habe unb fandte bie
«em aber Eufebius bem
erhielt der Präfeft von Rom
„ı Liberius ans Hoflager zu fdaffen
zen ihn anzuwenden ?). Eine allgemeine
ächtigte fid) der Stadt Rom, bie Anhänger
‚aberius wurben verfolgt unb Biele zu beftehen ges
fubt, damit fie gegen ihn auftreten follten. Die Biſchoͤfe,
bie eben in Rom anweſend waren, verbargen fij, viele
ee Frauen entflohen, viele Geiftlihe wurden vertrieben,
und burdj aufgeftellte Wachen Niemanden geftattet, ben
Papſt zu befuchen 5). Er wurde nun an das Hoflager
gebradyt unb vor ben Kaifer geftellt; fprad) aber aud)
diefem gegenüber mit ebler Freimuͤthigkeit *). Er wurbe
dafür mit bem Eril beftraft umb nad) SBeróa in Thrazien
verwieſen 5), an einen Ort, wo fid) feiner feiner Freunde
und Unglüdsgenofien befand; denn burd) folhe Trennung
wollte der Kaifer bie Strafe vergrößern 5), vielleicht aud)
hoffend, ben Vereingelten Teichter jur Schwäche verleiten
1) Ibid. c. 36.
2) Ibid. c. 37.
3) IbH. c. 38.
4) Ibid. c. 39 und Theodoret, hist, eccles. II, 16.
5) Theodoret, 1. c.
6) Athenas. hist, Arian. ad mon, c. 40.
270 Papſt Libertus
Und er fiel nicht nur felbft, fondern wurbe fpäter aud)
für Liberius bie Urfache des Falles, wie Hieronymus bes
zeugt ").
Nach den Refultaten der Arelatenfer und Mailänder
Synode ging das Streben des Kaifers dahin, bie ents
ſchiedenſten Vertheidiger des nicänifhen Homouſios qu
flürgen, unb e$ dahin zu bringen, daß alle Bifhöfe mit
der antinicaͤniſchen, im Grunde arianiſch gefinnten Partei
in firdjengemeinfdjaft treten. Ex thue bief, fagte er, im
Sintezeffe des Kirchenſtiedens und der kirchlichen Einigkeit,
und allerdings ſtrebte er eine Einheit in ber Kirche an,
aber auf ber Grundlage ber arianifchen Prineipien. Leider
liefen fid) gar viele Biſchoͤfe durch Furcht verleiten, wenige
ſtens Außerlih und zum Scheine, den Athanaflus zu vers
werfen und mit ber Gegenpartei in Gemein(djaft zu treten;
ganz befonders aber war εὖ von Anfang an auf ben Papft
Liberius und den berühmten SBifdjof Oſius abgefeben in
der Hoffnung, wenn man biefe gewinne, habe man über
Alle gefiegt. Eonftantius ſchickte jegt ben Gunuden Eufes
bius, einen feiner vertrauteften Räthe unb eifrigen Arianer,
mad Rom zu Papſt Liberius, damit er zwei Dinge von
ihm verlange: bie Unterfehrift gegen Athanafius und bie
Gemeinſchaft mit den arianifirenden Bifchöfen. Erſteres
wünfche, Letzteres befehle ber Kaiſer. Gefchenfe und Dro⸗
hungen zugleich angewendet, follten ben Papft nadjgiebig
maden ?) Liberius entgegnete, daß er den Athanaflus
unmoͤglich vermerfen fónne; man folle aber eine freie
Synode, nicht in einem faiferlichen Palafte und nicht durch
des Kaiſers perfönlihe Anwefenheit beherrſcht, abhalten,
1) Hieron. de viris illustr. c. 97.
2) Athanas. histor. Arian. ad monachos c. 35.
und das nicaniſche Symbolum. ?"
den nieänifchen Glauben darin erneuern, bie Arianer bavon
ausſchließen unb bie Klagen gegen Athanaflus unterfuden 9).
Eufebius, darüber erzürnt, pafte die Ge[denfe, bie er
vom Kaifer mitgebracht unb welche Liberius nicht ans
genommen hatte, wieder ein und entfernte fif) mit Dro-
hungen. Die Gefchenfe legte er darauf in der St. Peters:
fire nieder; allein der Papſt gab bem Kirchenhüter einen
Verweis, daß er dies zugelaſſen Babe und fanbte bie
Gelenke wieder jurüd. — Nachdem aber Eufebius bem
Kaiſer Bericht abgeftattet, erhielt der Präfeft von Rom
den Auftrag, den Papft Liberius ans Hoflager zu ſchaffen
oder Gewalt gegen ihn anzuwenden ἢ. Eine allgemeine
Furht bemádtigte fid) der Gtabt Rom, die Anhänger
des Liberius wurden verfolgt und Viele zu beftechen ges
ſucht, damit fie gegen ihn auftreten follten. Die Bifchöfe,
die eben in Rom anweſend waren, verbargen ſich, viele
edle Frauen entflohen, viele Geiſtliche wurden vertrieben,
und durch aufgeftellte Wachen Niemanden geftattet, ben
Bapft zu befuchen 9. Er wurde nun an das Hoflager
gebracht unb vor den Kaifer geflellt; fprad) aber aud)
diefem gegenüber mit ebler Freimuͤthigkeit *). Er wurde
dafür mit dem Exil beftraft und nad Berda in Thrazien
verwiefen 5), an einen Drt, wo fid) feiner feiner Freunde
und Unglüdsgenoffen befand; denn butd) foldje Trennung
wollte der Kaifer die Strafe vergrößern 5), vielleicht aud)
hoffend, ben Vereinzelten Teichter zur Schwäche verleiten
1) Ibid. c. 36.
2) Did. c. 87.
3) Ibid. c. 38.
4) Ibid. c. 39 unb Theodoret, bist. eccles. IL, 16.
5) Theodoret l.c.
6) Athanas. hist. Arian. ad mon. c. 40.
212 Vapſt Libertus
zu füónnen, Den bifhöflihen Stuhl von Rom aber erhielt
jet nad dem Willen des Kaiferd der bisherige Diakon
Felix bafelbft, mit bem jebod) Niemand in Gemeinfdaft
treten wollte, fo daß feine Kirchen völlig leer ftanben !).
Wie Liberius fo wurde jet aud) Oſius erilirt, in
bem gleihen Jahre, obgleid ein Greió von faft hundert
Jahren, ber ſchon feit mehr als ſechzig Jahre Biſchof
war. Athanafius aber fam in Alerandrien in die größte
Rebensgefahr, und mußte fidj in die MWüfte flüchten, um
feinen Verfolgern zu entgehen. Aehnliches bulbeten andere
ſtreng⸗nicaͤniſch gefinnte Bifhöfe und Priefter faft in allen
Theilen des Reiches, fle wurden verdrängt, vertrieben,
mißhandelt, und ihre Stühle an Arianer vergeben, ober
bod) an ſolche, welche mit biefen Kirchen⸗Gemeinſchaft zu
pflegen bereit waren.
Diefer temporäre. Sieg ber antinicänifhen Partei
diente Dazu, bie inmern Gegenfáge in berfelben, melde
fi bisher im Kampfe gegen den gemeinfamen Feind, bie
Drthodorie, gegenfeitig tolerirten, zur Cntmidlung und
Entfaltung zu bringen. Um aber biefe innere Spaltung
zu heben, und in bie Reihen ber arianiſch Gefinnten wieder
1) Sosom. hist, eccl. IV, 11. Athanae. l. c, c. 75, — Roncaglia
im f. Animabverfionen zu Natalie Alex. histor. eccles. Sec. IV. Dis-
sert XXXII, Artic. 1Π. will behaupten, delir {εἰ τε ἐπι ἀ βίρετ
Vapſt gewefen, indem Liberius tefignirt habe. Das Gleiche meinte [don
Pagi, critica in Annales Bfronii ad ann. 355, n. 3 und 357, n. 16
seqq; wie denn aud) geli im ben Kirchenbüchern nicht mut ald redi
mäßiger Papfl, fondern fogar als Heiliger aufgeführt if; lehteres deß⸗
als, weil ihn Gonflantius, ba er denfelben einen eger genannt, habe
hinrichten laſſen. Sein Andenfen wird am 29. Juli gefeiert, Gewiß
ift, baf Mbanafius fagt: Beli {εἰ durch antichrifliche Bosheit auf ben
biſchoflichen Stuhl erhoben worden. Athenas. hist. Arian. ad monach.
e. 75. T
und das nicänifche Symbolum. 273
Eintracht zu bringen, urbe, freilich vergebens, im Jahre 357
eine neue Synobe, bie zweite zu Sirmium veranftaltet, unb
der Kaifer felbft wollte ihr anwohnen. Als mun aber
Eonfantius auf der Reife dahin aud) nad Rom fam,
bat die dortige Gemeinde dringend um SBiebereinfegung
des rechtmaͤßigen Bifchofs Liberius, unb bie ebelften Frauen
übernahmen es, biefe Bitte dem Kaifer vorzutragen, weil
bie Männer ben Zorn beffeben fuͤrchteten. Conftantius
wies fie Anfangs geradezu ab und auf den Gegenpapft
fir hin, welcher völlig genüge. Als er aber hörte, baf —
deſſen Gottesdienft (aft von Niemand befucht werde, wollte
α den Liberius in ber Weife gurüdrufen, daß fortan
Einer neben dem Andern fiehen und Jeder bie Leitung
ſeiner (pegiellen Anhänger führen follte. Das 3Bolf höhnte,
als dies Edikt im Cirkus verlefen wurde, unb rief: „Das
fei ja paffenb, aud) im Cirkus gebe es zwei Parteien,
und da fónne bann jede einen Biſchof zu ihrem Vor⸗
Rande haben.“ Soſort riefen fie nod) ftürfer und wie
einfimmig: „ein Gott, ein Ehriftus, ein Bischof,“ unb
die Gährung drohte fid) bis zu groben Exceſſen zu fleigern,
fo daß Conftantius bie Stüdberufung des Liberius ger
nehmigte ). Es dauerte jebod) ziemli lange, nahezu an
Jahresfrift, bi Liberius wirklich nad) Rom kommen burfte,
und εὖ wurbe ihm dieß nur unter Bedingungen geftattet,
die feinem 9fnbenfen in der Gefchichte eine Mafel angehängt
haben. Wie groß biefelbe fei, namentlid) ob Liberius eit
arianifhes Glaubensbekenntniß unterzeichnet
habe, um damit die Erlaubniß zur S9tüdfefr zu erfaufen,
1) Theodoret, hist. eccl. I, 17. Socrat. II, 37. p. 141 ed.
Nog.; Sonom. IV, 11. 15. Sulpit. Sever. l. c. IL, 39. in ber Biblioth.
max. P. P. Lugd. T. VI. p. 346.
274 Bapft Liberius
ift ſtrittig, und es hat biefe Frage felten eine ganz un»
partheiiſche Beantwortung erfahren. Im Intereffe der
perfönlichen Unfehlbarkeit des Papſtes fuchten nämlich bie
Einen, fo nod in neuerer Zeit Profeffor Palma in
Rom !), früher aber befonders der Sefuit Stilting im
Bollandiftenwerfe ?), unb ber gelehrte Staliener Franz
Anton Zaccaria?), den Papſt Liberius reiner dar
zuſtellen, als er war; während ihre Gegner gerade aus
DOppofttion gegen jene Unfehlbarkeit unb gegen Rom übers
haupt ben ehler jenes alten Papftes möglich zu ver⸗
größeren gefudit haben. Es ift barum nöthig, ble Zeugniffe
des Hriftlichen Alterthums ohne alle Vorauseingenommen⸗
heit aufs Neue zu vernehmen, um fo zu einem fichern,
wenigftens zu einem wahrſcheinlichen und ungetrübten
Refultate zu gelangen.
Theoboret, Sofrates und Sulpitius Severus (Il. cc.)
berichten bie Stüdfebr des giberiu& ohne irgend einer Ber
bingung, bie ihm geftellt worden fei, ober irgend einer
Schwaͤche, die er dabei gezeigt habe, zu gebenferr*); bod
ber flatfe Aecent, den Stilting, Palma u. 9L. hierauf
legen, um den Liberius vóllig zu purificiren, ift ganz unb
gar unbefugt 5. Wie fie aber hier einerfeits zu viel ex
silentio argumentiren, fo fehen fie fidj anbererfeit zu
1) Palma, praelectiones histor. eccles, T. I. P. II. Romae 1838.
p. 94 sqq...
2) Acta Sanctorum, T. VL. Septembris (23 Sept.) p. 577 sqq.
beſonders p. 598 seqq.
3) Zaccaria, Dissert. de commentio Liberii lapsu.
4) Solrates (1. c.) irrt übrigens darin, daß er bie Erillrung bes
Liberius ετῇ in bie Zeit mach ber Doppelfpnobe von Gelencla » Rimini
verlegt. x
l^ Acla SS. 1. c. 604.» unb Palma 1, c. p. 97 seqq.
und das nicaniſche Symbolum. 275
der heftigften critica mordax gezwungen und müffen eine
Reihe Zeugniffe des chriſtl. Alterthums entfräften, um zu
ihrem Ziele zu gelangen. Daß ihnen hiebei mitunter recht
günftige Umftände zu ftatten famen, ift unläugbar, und
fhon gegen ben erften Zeugen, ben wir aufführen wollen,
gegen Athanafius, fonnte namentlich Stilting gewichtige
inreben vorbringen. In der athanafianifchen historia Aria-
norum ad monachos c. 41 [efen wir: „Liberius wurde
verbannt, hernach nad) zwei Jahren wurde er ſchwach
(ὥκλασε) und unterfhrieb aus Furcht vor bem Tode,
den man ihm anbrobte. So lange er frei war, zeigte
tt Haß gegen bie arianifhe Härefie und flimmte für
Athanaſtus; was aber der frühern Ueberzeugung zuwider
durch Gewalt- entlodt wird, das find Ausſpruͤche nicht
dee in Furcht Geſezten felbft, fondern ihrer Duäler."
Gegen dieß Seugnif nun erhebt ber Bollandift Stilting
bie Ginrebe, bie historia Arianorum ad monachos [εἰ nad)
€. 4 nod) bei Lebzeiten des Bifhofs Leontius Eaftratus
von Antiochien, alfo vor bem angeblichen Falle des gie
berius und vor bem Tode des Oſius verfaßt und folglich
die von beiden Punkten handelnde Stellen eine SInters
velation ἢ). Die Mauriner Editoren. ber Werke des hi.
Athanaſius mollten zwar behaupten, jener Leontius fei
fpäter geftorben, als Sofrates I, 37 angebe 2); allein
wir fönnen ihnen hierin nicht beiftimmen, müffen vielmehr
dem Bollandiften einräumen, daß Leontius zur Zeit, wo
Liberius fid) ſchwach gezeigt haben fol, entſchieden ſchon
geftorben, und Eudorius bereits fein Nachfolger war,
1) Aeta SS., 1. c. p. 601 seqq.
2) Bol. die Admonitio ber Mauriner in epist. ad Serapionem
etc. n. XI. T. I. P. L p. 269, ed. Patav.
Seil. Ouartaffgrift. 1859. U. Heft. 19
276 Bapft Liberius
wie Sojomenus (IV, 15 verglichen wit c. 13 und 14)
ganz auébrüdlid) erzählt. If aber bem fo, fo muß bie
historia Arian. ad monachos motfwenbig vor bem Falle
des Liberius gefhrieben fein, woelder ja erft einige Zeit
nad der fhon von Eudorius zu Antiochten abgebaltenen
Synode ftatt hatte (vgl. Sozom. IV, 15).
Daraus geht ‘aber wiederum mit nothwendiger Gon»
fequenz hervor, ba bie Stelle in der historia Arien,
welche von bem Halle des Liderius handelt, ein fpäterer
Zufag fe. So weit hat Stilting unbeftreitbar Recht;
aber feine weitere Behauptung, diefer Sufag {εἰ nicht von
Athanafius felbft, fondern von einer fremden Hand, if
tein aus ber Luft gegriffen, und lediglich feiner Hypothefe
zu lieb aufgeflellt Y. Wie fid) bie Sache wirklich verhalte,
erfahren wir von Athanaſtus ſelbſt. Er fehrieb zwar die
historia Arianorum ad monachos nod) bei Lebzeiten des
B. Leontius von Antiochien, alfo vor bem Falle des
Liberius; aber er forderte von ben Moͤnchen fein Manu-
feript wieder jurüd 9. Einige Zeit fpäter, nadjbem Atha⸗
naflus fein Manufcript bereit wieder zurüderhalten hatte,
ferieb ihm Biſchof Serapion (von Tmuis), er möge ihm
bod) über bie arianifhe Φάτεβε und über feine eigenen
Schickſale, fo wie über ben Tod des Arius Nachricht geben.
Um ben beiden erften Punkten zu entfpredjen, ſchickte er
bem Freunde feine historia Arian. ad monach. zu, während
er gut Erfüllung des britten Wunfches das Büchlein de
morte Arii verfaßte). So war denn zwiſchen ber urfprünge
1) Acta 88. p. 604.
2) Er fagt dieß autbrüdlid) in bein Briefe an dieſelben c. 3., welche
der historia Arian. ad monach. vorangeftellt i, Opp. T. L P. L p. 272
ed. Patav.
3) Auch dieß fagt er in f. Epist. ad Serep. c. 1. I. c. p. 269.
und das nicaniſche Symbolum 277
lien Abfaffung ber historia Arian. unb ihrer Abfendung
an Cerapion eine geraume Zeit vergangen, innerhalb
welcher das Ereigniß mit Liberius und wohl aud) ber
Sob des Oſius eintrat, was ben hf. Athanaflus zu einem
Heinen Zufage veranfafte. Daß bem fo fei, hat aud)
ſchon der ältere College Stilting’s, der berühmte Papebroch
in feiner Abhandlung über Athanaflus im Bollandiften»
werke anerfannt und ausgeſprochen !).
Die zweite Stelle in ben Werfen des hl. Athanafius,
worin der Schwaͤche des Papftes Liberius Erwähnung
geihieht, ift c. 89 ber Apologia contra Arianos, worin
Athanafius in erfter Perfon, was er nicht immer thut,
von fid fagt, daß hochangeſehene Bifchöfe ihn vertfeibigt
hätten, namentlich Liberius von Rom und Oſtus. Von
Erſterem insbefondere fagt er: „wenn er aud) bie Mühfale
des Exils nicht bi8 zu Ende ertrug, fo blieb er bod) zwei
Jahre in ber Verbannung, ba ihm bie Verſchwoͤrung gegen
mid) befannt war.” Auch gegen diefes Zeugnig machte
Stilting wieder geltend, bie Apologia contra Arianos fei
ſchon ums S. 349, alfo lange vor bem Falle des Liberius
abgefaft worden, unb bie beiden legten Kapitel 89 und 90
feien blos ein fpäterer Anhang 9. Auch bieB ift richtig
und [don die Mauriner Herausgeber haben eà anerfannt 3).
Allein abermal behauptet Stilting (I. c.) mit ganz uns
gerechter Willführ, auch biefer Zufag rühre nicht von
Athanaſtus her, während abermals fein College Papebroch
1) Acts Sanct. T. 1. Maji (2. Mai) Prolog. p. 186. 187. und
Cap. XXV. n. 296. p. 232. ed. Venet.
2) Acta SS. T. VI. Sept. p. 599 ^.
3) Admonitio in apolog. c. Arian. n. I. p. 94. und Not. 4 zu
c. 88, p. 161. T. 1. P. I. ed. Patav. -
19*
278 * Bapft Serius
auf unferer Seite ftebt, mit der Behauptung, diefe Apo-
logia, eine Gylloge von Aktenftüden, fei allerdings (don
ums Jahr 350 angelegt, aber i. J. 357 nebft ber historia
Arian, ad monachos den dgpptijdjen Mönchen zur Einficht
unb 2eftüre mitgetheilt, unb einige Zeit fpäter (358) audj
bem Serapion, in Berbindung mit ben fdjon oben genannten
weitern Schriften, zugeſchidt worden. Bei biefer lehtern
Zufendung aber habe Athanaflus zugleid) nod) einen Nach⸗
trag gemacht, unb zwar bie zwei legten Kapitel angehängt ").
Zur Belräftigung diefer Anfiht führt Papebroch mit
Recht an, daß Athanaſius anerkannter Maßen aud) in
feine Schrift de Synodis v. 3. 359 (nicht 358, wie Bapebrod)
angibt) nod fpätere Zufäge über das Goncil von Eon-
flantinopel und ben Sob des Kaifers Gonftantiu& (die
c. 30 und 31) eingefdjaltet habe. Das Gleiche behaupten
aud) bie Mauriner?) und es ift dieß überhaupt eine ganz
allgemein zugeftandene Cade. Somit liegt denn ſichtlich
fein hinreihender Gtund vor, bie beiden gegen Liberius
ſprechenden Zeugniffe bei Athanaflus, wie Stilting gethan,
für nichtig zu erflären; im Gegentheil beweifen fie ung,
daß Liberius ber Gewalt weihend, die Verbindung mit
Athanaflus gebrochen und dieß burd) eine Unterfährift an
ven Sag gelegt habe. Was er unterzeichnete, ift in ben
beiden angeführten Stellen nicht gefagt; dagegen erfahren
wir in c. 35 ber historia Arian., daß Conftantius zwei
1) Acta SS. T. I. Mai. Prolog. n. 11—16 p. 187 sq. u. cap.
XIX. n. 220. p. 221*. Dabei ift ju beachten, baf fij im Prolog.
n, 15 p. 188 ein Drudfehler eingeſchlichen Hat unb ftat CCCXLIL. zu
Tefen tk CCCXLIX, wie fon Stilting bemerkt, T. VL. Sept. p. 599.
n. 119, .
2) Admonitio in epist, de Synodis, n, IL T. L P. IL p. 571
ed Patav.
und das niciniffje Symbolum. 219
Punkte von Liberius verlangte: 1, er folle die zu Mais
land becretizte Ausfchließung des Athanaflus unterzeichnen
(ὑπογράψαι κατὰ ᾿Αϑανασίθ) und 2, mit den Gegnern
des ὁμοόσιος in Kirchengemeinſchaft treten. Hienach will
denn Athanafius fiher aud) im ben zwei obigen Stellen
fagen, daß Liberius jetzt diefen zwei Forderungen be&
Kaifers entſprochen habe.
Unfer zweiter Zeuge foll ber BL. Hilarius fein.
In feiner Schrift contra Constantium imperatorem c. 11
fagt er: „er wiffe nicht, ob ber Kaifer ben Liberius mit
größerem Frevel erilirt ober wieder nah Rom zuruͤck⸗
geſchickt habe“ 1). Hierin fiegt angebeutet, daß εὖ bei ber
9tüdfebr des Liberius nicht völlig tadellos zuging, unb
Eonftantius fle nur unter fehr befehtwerenden Bedingungen ^
geftattete. Ich weiß, Zaccaria und Palma ?) wollen bie
Worte des Hilarius fo deuten: Conſtantius habe ben .
SBapft allerdings bei feiner Rüdfehr auf verſchiedene Weife
beläftigt, aber daß er ihm eine ungehörige und nicht zu
billigende Unterſchrift abgepreßt habe, [εἰ nicht gefagt. —
Die ift infofern wahr, als lehteres nicht mit platten
Worten bei Hilarius auégebrüdt ift; aber es liegt bod)
unverfennbar in feiner emphatifhen Rebe, als Hinweifung
auf eine damals allbefannte Thatfache.
Als dritter Zeuge mag Sozomenus auftreten. In
feiner Kirchengeſchichte Buch IV. Kap. 11 fagt er: „Con⸗
Rantius habe bem Liberius bie Rüdfehr nad Rom ger
ftattet, unter der SBebinguag, daß er mit ben
im Gefolge des faifera befinbfiden Bifdófen
1) „0 te miserm, qui nescio utrum majore impietate relegaveris,
quam remiseris“ p. 1247 ed Bened.
2) Bei Palma 1. c. p. 102.
280 Papſt Liherius
(Balens, Urfacius, lautes Gegner des ὁμοάσιος und des
bl. Athanafius) Kirhengemeinfhaft unterhalte.“
Nehmen wir dieß mit ber obigen Aeußerung des bL. Hilarius
zuſammen, fo wird nicht mehr zweifelhaft fein, was bie
Worte nescio utrum majore impietate (eum) relegaveris
quam remiseris bebeuten follen.
Noch weiter erzählt Cojyomenud (IV, 15): „während
fein ‘8 Aufenthaltes in Sirmium habe ber Katfer ben Liberius
von Beröa her zu fid berufen, um ibn zu bewegen, daß
er von Öuosorog ablaffe. Zu diefem Ende habe Eonftantius
bie vom Driente her eingetroffenen Abgeorbneten ber Synobe
von Ancyra mit ben am Hoflager ohnehin anmefenben
Bifhöfen zu einer neuen Eynobe, ber dritten firmifchen
vereinigt, und [εἰ in Betreff des Liberius hauptſaͤchlich
von ben drei Semiarianern Bafllius von Ancyra, Euftas
thius' von Sebafte und Eleufius von Cyzikus unterftüßt
worden. Cie ftellten all das, τοαϑ gegen Paul von Samos
fata und gegen Photinus von Sirmium befhloffen worden
war, fammt bem Symbolum der Antiochener Synode v.
3. 341 ") in ein Buch jufammen (alfo dónlid) wie c&
bie ebenabgehaltene Synode von Ancyra gemacht, welde
aud) die Altern Defrete erneuert und b[o8 genauere Gr»
Örterungen beigefügt hat), verficherte den Liberius, baf
das ὁμοάσιος mur der Dedmantel für häretifhe Ans
fihten fei (mie Dies in ber That bei Photinus der Fall
war), und brachten ihn fo endlich dahin, daß er fammt
vier aftifanifdjen Bifhöfen diefer Schrift beiftimmte. Ans
1) Die fragliche Synode flete vier Symbole auf, welche Athana⸗
πο de Synodis c. 22 seqq. mittheilt, Wahrſcheinlich iR abet hier das
Ate antioch. Eymbolum gemeint, welches aud) zu Philippopolis und auf
ber Iten firmifcgen Synode i. J. 351 wiederholt worben war.
und das nicaͤniſche Symbolum. 381
dererſeits erflärte aber Liberius aud): „wer nicht zugebe,
daß ber Sohn dem Wefen nad und in Allem bem
Vater ähnlich fei, folle aus der Kirche ausgefählofien fein,"
und glaubte, biefen Beiſatz maden zu müflen, „weil
Eudoxius von Antiodien das Gerücht verbreitete, Liberius
und Oſius hätten das ὁμοιόσεος verworfen und das a»ó-
μοιος angenommen."
In alle dem ift deutlich gefagt:
1. Daß Liberius zur dritten firmifchen Synode berufen
wurde; |
Daß auf biefer bie femiarianifhe Richtung wieder
über bie anomöifche fiegte unb bie zweite (ganz ano»
möifche) firmifche Formel wieber verbrängt wurbe;
daß übrigens
3. auf ber dritten firm. Synode fein neues Glaubens—
befenntniß aufgeftellt, ſondern nur bie Altern euſe⸗
bianifhen Glaubenóbecrete, namentlich) ein antioches
niſches v. 9. 341, erneuert und unterfchrieben worden
feien, und zwar aud) von Liberius.
4. Daß diefer damit zwar bie Formel ὁμούσιος aufs
gab, aber. nicht weil er etwa von ber ortfoboren
Lehre abgefallen wäre, fonbern weil ihm glauben
gemacht wurde, diefe Formel fei der Dedmantel von
Sabellianismus und Photinianismus;
5. Daß er aber andererfeits um fo energifher auf das
Befenntniß drang, der Sohn fei in Allem, aud
in bem Wefen, dem Bater ähnlich, womit er in
Anbetraht des in Nr. 4 Gefagten wohl nur im
Worte, aber nicht bem wahren Glaubensinhalte
nad) von ber ortfoboren Formel ahmid, was aud
2
283 Spapft Liberlus
durch fein nachheriges Auftreten. für die Orthodoxie
beftätiget wird (Socrat. IV, 12); endlich
6. Daß Liberius fortan mit jenen Bifhöfen, welde,
wie er, bie dritte firmifche Formel unterfhrieben hatten,
Kirchengemeinſchaft unterhielt; alfo aud) mit manchen
Arianern, melde aber (eit diefer Unterſchrift, und
duch fie, fif vom frengen Arianismus entfernten.
Vierter Zeuge ift der eunomianifhe Hiftorifer Philos
ſtorgius, welder in feiner Kirchengeſchichte (lib. IV, c. 3)
mad) dem Berichte des Photius, erzählte: „während ber
Kaifer fif zu Sirmium aufhielt, fei dort eine Synode
abgehalten worden, und auf biefer hätten Oflus unb
Liberius die Verwerfung des ὁμούσιος und bie Abfegung
des Athanafius unterſchrieben ).“ Man fieht, Philoftorgius
hat hier bie zweite und britte firmifche Synode nicht unter-
ſchieden, was fij um fo leichter erflären läßt, als beibe
in berfelben Stadt, unmittelbar nad) einander, und während
der Kaifer feinen Aufenthalt bafelbft gar nicht änderte,
ftattgehabt haben. Zudem lag e8 natürlih in bem pole«
mifhen Zivede des Philoftorgius, ben Liberius cher eine
eunomianifhe als femiarianifhe Formel unterfehreiben zu
Taffen, und wenn wir barum fein Zeugnig nur mit Modis
fifationen annehmen, fo find wir bod) nicht berechtigt,
glei Gtilting (1. c. p. 605), baffelbe völlig über den
Haufen zu werfen.
Auf den Keher Philoftorgius foll als fünfter Zeuge
ein Kirchenvater erften Ranges, der hl. Hieronymus
folgen. Derfelbe fagt in feiner Ehronif: Liberius taedio
victus exilii, in haereticam pravitatem subscribens Romam
quasi viclor intravit, unb in feinem Catalogus scriptorum
1) Philostorg. fragm. eccles, hist. lib. IV, c. 3.
und das nicänifche Symbolum. 283
eceles. c. 97: „Biſchof Fortunatius von Aquileja fei vers
werflich, quod Liberium, Romanae urbis episcopum, pro
fde ad exilium pergentem, primus sollicitavit ac fregit,
εἰ ad subscriptionem haereseos compulit^ $ienad) hätte
Fortunatius bem Papfte giberiu8, ſchon als er in'8 Exil
reiste, zur Schwaͤche geratben (sollicitavit) unb fpäter,
nad) ber Ruͤckkehr aus bem Gril, zu Siemium, ihn wirklich
mr Schwäche verleitet (fregit) ). — Daß Hieronymus
von einer $áretifden Formel fpridt, welde Liberius
unterzeichnet habe, darf uns hier nicht befremben; denn
wenn aud) bie auf ber dritten firmifchen Synode zufammens
geftellten Bormeln nidté poſitiv Häretifches enthielten,
fo follten fie bod) bem Semiarianismus dienen, und waren
in antinicánijdjer Abfiht aufgeftellt worden. Die Worte
des hl. Hieronymus nöthigen ung deßhalb keineswegs, den
&berius eines härtern Vergehens, nämlich der Zuftimmung
jur zweiten firmifchen Bormel zu bezüdtigen; aber wir
lónnen es anbererfeitd aud) nicht billigen, wenn Palma
und Stilting biefe Ausfprücde des bL Hieronymus ganz
und gar als wahrheitslos barzuftellen ſuchten ). Was
würben fie gefagt haben, wenn Jemand, um bie Schuld
des giberiuó zu vergrößern, zwei Zeugniffe des hl.
Hieronymus umguftoßen fij erfühnt hätte?!
Go leicht fih nun alle bisher angeführten Momente
und alten Zeugniffe in ein Ganzes conftruiren ließen, fo
ſcheint nun all dieß auf einmal wieder umgeftürgt zu werben
unb zwar durch feinen Geringeren, als ben Bapft Liberius
1) Bg. Salomo Gyprian'é Bemerkung zu tiefer Stelle in Fabricii
Biblioth, eccles. p. 185.
2) Sting in den Acta Sanct. T. VI. Septembris p. 605 seqq.
Peima, 1. c. p. 102 sq.
284 Bapft Liberius -
felbft, b. b. durch drei Briefe von ihm, und duch Hi⸗
larius, ber biefe Drei Briefe in fein fechötes Fragment
aufnahm und mit einigen Bemerkungen begleitete !). Der
erfte biefer Briefe des Liberius, mit ben Worten pro
deifico timore beginnend, ift an bie orientali(djen (ariani⸗
‚firenden) Bifchöfe gerichtet und befagt: „euer bf. Glaube
ift Gott und der Welt befannt. Ich vertheidige ben Atha⸗
naſtus nicht, aber weil mein Vorfahre Julius ihn aufs
genommen hatte, handelte aud) id) ebenfo. Als ich aber
zur Einfiht fam, daß ihr ihn mit Recht verurtheilt habt,
habe ich alsbald biefer eurer Sentenz beigeftimmt, unb
ein Schreiben über biefen Punkt durch Bifhof Fortunatius
won Aquileja af den Kaifer Eonftantius ge[djidt. Nach⸗
bem nun Athanafius von uns Allen aus der Gemeinfchaft
ausgeſchloſſen ift, fo: erfläre id), baf id mit euch Allen
und mit allen morgenländifchen Bifhöfen in allen Pros
singen Frieden und Einigkeit habe. Biſchof Demophilus
von Berda hat mir euren, ben Fatholifchen Glauben, welcher
zu Sirmium von mehreren Brüdern und Mitbifchöfen
auseinandergefeßt und angenommen worben ift, erklaͤrt,
unb ἰῷ habe ihn freiwillig angenommen und ohne Wider
fpru ihm beigefiimmt. Ih Bitte euch nun, wirfet ges
meinfam dahin, bag ἰῷ aus bem Grif entlaffen werde
wnb auf ben mir von Gott anvertrauten Stuhl zurädtehren
Tann."
Der zweite Brief ift an Urſacius, Balens und Ger
minius gerichtet unb enthält: „aus Liebe zum Frieden,
ben er bem Martyrthum vorziehe, fhreibe er, daß er den
Athanaſius (don vorher verurtheilt Habe, bevor er nod
1) 8. Hilarii Opp. Frag. VI. p. 1385, n. 4.
und das wichmifdhe Θυιπδοΐυπι. 285
die Briefe der orientalifhen Bifhöfe (wohl bie Antwort
auf ba6 vorige Schreiben) an den Kaifer abfandte. Athar
nafius [εἰ auch von ber römifchen Kirche vermorfen, wie
das ganze Presbyterium daſelbſt beweifen fónne. Er habe
den Bortunatius an den Kaifer gejdidt, um bie Erlaub⸗
nif zur Rüdfehr zu erbitten (mas wir bereits wiffen),
tt habe mit Urfacius, Valens 1c., Frieden und Einigkeit;
fie follen mm aud) der römifchen Kirche den Frieden wieder
verſchaffen, überdieß dem Epictet und Aurentius (von
Mailand) fagen, daß er auch mit ihnen Kirchengemeinſchaft
habe."
Der legte ber drei Briefe enblid) ift an Vincenz von
Capua. gerichtet (f. oben ©. 267), und ift ebenfo auffallend,
als er fur ift: Ex lautet: „ich belehre nicht, fondern ich
ermahne nur deine bl. Seele, weil ſchlechte Unterredungen
gute Sitten verderben. Die Hinterlift des Böfen ift bir
befannt, beffaló bin id) in bie Elend gefommen. Bete
zu Gott, daß er εὖ mir ertragen hilft. Ich habe ben
Streit über Athanafius aufgegeben und habe bief ben
Drientalen in einem Briefe fundgethan. Gage bief ben
Biihöfen Gampanien8; fie follen an den Kaifer ſchreiben
und meinen Brief beilegen, damit idj aus der Traurigkeit
befreit werde. Daß ἰῷ von Gott abfolvirt werde, möget
ijr qufehen; wenn ibr mid) im Exil umfommen laffet,
wird Gott der Richter zwifchen euch unb mir fein."
Diefe Briefe leitet das genannte bem hl. Hilarius
iuge[djriebene Fragment mit den Worten ein: „Liberius
babe all feine frühere Trefflichfeit wieder zu nichte gemacht,
indem er an bie fünbigen haͤretiſchen Arianer fehrieb, weldhe
gegen den heiligen Athanaſius ein ungerechtes Urtheil
gefällt haben,” Weiterhin umterbricht der Autor des Frag⸗
286 Bapft Eiberius
menteà ben erſten fraglichen Brief durch drei Erclamation
worin er bie firmifhe Formel, bie Liherius unterzeich
haben (oll, eine perfidia Ariana, ben Liberius ſelbſt αἱ
apostata unb praevaricator nennt unb ifm breimalig
Anathema zuruft. Das Gleiche gefchieht am Ende 1
zweiten Briefe. Endlich fügt ber Fragmentiſt nod)
Bemerkung bei: ,biefe ſirmiſche Formel fei von 9taxciff
Theodorus, Baftlius, Eudorius, Demophilus, Gecropü
Silvanus, Urfacius, Valens, Evagrius, Hyrenäus, G
perantius, Terentianus, Baffus, Gaudentius, Maceboni
Marthus (oder Marcus), Acticus, Julius, Surin
Gimpliciuá und Junior abgefaßt worden 1."
Hienach wäre
1. Liberius nicht erft in Sirmium i. 3. 358, fonbi
ſchon zu SBeróa, während er nod im Eril war, v
ber Gemeinfhaft mit Athanaftus zurüd- unb in
der Semiarianer eingetreten; hätte
2. ſchon zu Beröa eine firmiſche Formel (bie ite ot
216) unterzeichnet, welche
3. der Bifhof Demophilus von Berda, ein in der €
f&hichte des Arianismus befannter Mann, ihm ai
einanbergefegt habe.
4. Diefer Formel habe Liherius freiwillig und oh
Widerſpruch zugeflimmt; habe
5. ein Schreiben über feine Losfagung von Athanafi
durch Bifhof Fortunatius von Aquileja an ben i|
geſchickt, fei aber
6. bennod) im Eril zurüdbehalten worden, unb bi
barum
1) Hilar. Opp. Frag. VL n. 7. p. 1897.
und das nicänifche Symbolum. 207
7. um Berwenbung beim Kaifer. Zubem ift endlich
8. im zweiten Briefe nod) gefagt: nid) blos Liberius,
fonbern bie gefammte roͤmiſche Kirche habe bie Ges
meinſchaft mit Athanaſius aufgegeben.
Daß Bier SBiberfprüdje gegen unfere oben gewonnenen
Refultate vorliegen, ift unverfennbar; aber zugleich drängen
fi$ uns faft mit Gewalt allerlei Zweifel gegen bie Aechtheit
jener drei Briefe und des Hilarfhen Fragmentes auf.
1. Daß auf foften des Papſtes Liberius Lügen in
Umlauf gefegt worden find, namentli in ber Richtung,
daß er bie anomdifhe Lehre gebilligt habe, fagt ojo"
menus (IV, 15). Eben fo unläugbar ift, daß ibm wie
dem HI. Athanaſius unächte Briefe unterídoben wurden.
Seer gehört vor Allem der ganz unbedingt als unädht
anerkannte Briefwechſel zwiſchen Liberius unb Athanaftus !),
und was für und nod) wichtiger ift, ein im benfelben
Sragmenten des Hilarius enthaltener Brief des Liberius
an die orientaliſchen Bifchöfe, mit ben Worten Studens paci
beginnend. Daß biefer notkwendig falſch fei, haben wir
bereits oben erwähnt, unb [don Baronius erkannte bief *),
bie Mauriner Herausgeber des Hilarius aber und der Bol-
lenbi P. Stifting haben εὖ ausführlich dargethan 3).
Mit diefem entſchieden falſchen Stüde nun haben bie
drei andern angeblich von Liberius herrührenden Briefe,
die ung hier angehen, eine ganz unverfennbare, auffallende
1) Bei Mansi, T. IM. p. 219 aqq. (vfeuboifiborijdy) unb p. 225 sqq.
[alte Falſchung) val. aud) Bolland. Acta SS. Sept. T. VI. p. 625 sqq.
in der Mbhandlung des P. Joannes Gtilting über Liberius.
2) Baron. in append. T. III. ad.ann. 352.
3) Hiler. Opp. ed. Bened. p. 1327 Not. a. Acta SS. 1. c. p. 580
seqq. Nur Tillemont wagt es nicht, biefen Brief ganz zu verwerfen,
lc. T. VII. vie de S. Athanas. Art, 64 u. Note 68.
888 Bapft Llberins
Aehnlichkeit; alle vier find fichtlich von einem Autor, wie
man fagt, über eine Schablone gearbeitet. Sprache,
Styl, Manier unb Anlage find in allen vieren gleich,
und zwar gleid) fhleht. Die Sprache ift fo barbariſch
Tatein, und zeigt nicht blos Mangel an aller Feinheit und
Eleganz, fondern eine fo große Unbeholfenheit und παν
mentlih aud) Armuth im Ausdrud, (diefelben mitunter
halbbarbariſchen Termini und Phrafen wiederholen fij)
immer), daß biefe Briefe unmöglich von einem gebildeten
Manne, defien Mutterſprache bie lateinifche war, her
rühren fónnen.
Nicht beſſer ald bie Sprache i ber Styl. Die
einzelnen Glieder ber Rebe ftehen abgerifien nebeneinander,
ohne Verbindung und llebergang, und hängen nur áuferlid)
auf dem Papiere zufammen ἢ). Am allergrößten aber ift
bie Armuth an Gedanken und man flieht beutlid),
der Autor weiß nur zwei ober drei Säge, bie er jegt in
aller Nadtheit hinftellt, ganz in ber Manier jener, bie
etwa nur alle Jahre einmal notfbürftig einen Brief zu
reiben haben. Daher bie Plattheit und Mattheit biefet
Briefe, die Feine Spur von Empfindung und geifiger
Erregtheit verrathen, vielmehr gang falt, troden unb lahm
find, während bod) befanntlih das Unglüd — und in
foldem war ja Liberius, bem Redner Wärme und Bered⸗
famteit gibt. Wer aus bem Eril Briefe ſchreiben fann,
fo fat, matt und mager, wie jene drei, ber fann aud
das Unglüd der Verbannung unmöglich gefühlt haben.
1) Mit Recht fogt Gtilting, L c. p. 580 b: „siylus-est ado-
loscentis slicnjus linguam latinam discentis, qui prima praeoapta nec-
dum satis intelligit, et certe nom satis novit, cogitationes suas nitide
et claro utcumque sermone exprimere,
und das nicaniſche Symbolum. 209
Einen ganz anderen Charakter aber tragen andere
Briefe, bie aud) bem Papfte Liberius zugeſchrieben werben,
und bie Bermuthung der Aechtheit für fid) haben, fo 4. B.
fein Brief an Eonftantius 1); ebenfo fein berebter Dialog
mit bem Kaifer ?*) und jene Rede bes Liberius, welche
und Ambroftus im dritten Buche de virginibus c. 1—3
aufbewahrt hat 3).
2. Die drei fraglichen Briefe des giberiu& bieten ung
aber nod) weitere Zweifelögründe gegen ihre Nechtheit bar.
a) Ge ift darin gefagt, Liberius habe ben Biſchoſ Bortu-
natius von Aquileja mit feinem ben Athanafius v. bes
treffenden Schreiben an ben Kaifer abgefanbt. War Con⸗
fantius damals (don in Sirmium, fo war Aquilefa um
das Doppelte weiter von SBeróa (mo Liberius wohnte)
entfernt, als Sirmium felbft, und der Weg nad) Aquileja
hätte über Girmium geführt, nicht umgekehrt. Ebenſo⸗
wenig wäre, falls der Kaifer fij damals nod zu Rom
aufgehalten hätte, Aquileja bie Mittelfation zwiſchen Berda
und Rom gewefen.
Nach bem Wortlaute unferer drei Briefe müßte man
meinen, Fortunatius habe fid) fortwährend in Geſellſchaft
des Liberius zu SBeróa befunden, und biefer ihn nun quasi
a latere an den Kaifer gefhidt, was gewiß unrichtig ig.
Es i aber aud) unſchwer zu erkennen, daß ber Falſarius
Ober Pfeudoliberius den Biſchof Fortunatius in unferen
Briefen deßhalb aufführte, weil er bei Hieronymus las,
berfelbe habe dem giberiu& zur Schwäche und Unterfchrift
einer arianifhen Formel geratfen. Aber Hieronymus
1) δεῖ Hilar. Fragm. V. p. 1330.
2) bei Theodoret, II, 16.
3) vergl. Stilting in ben Acta SS, 1. c. p. 582b unb p. 6304.
290 Papft Libertns -
macht den Fortunatius feineswegs zum Kammerheren und
Boten des giberiu& , voie unfer Fälfcher.
b. Nach ben drei Briefen hätte Liberius, aud) nad»
bem er alles Mögliche gethan, ben Athanafius anather
matiſirt, eine arianifche Formel unterfährieben hatte und
mit ben Arianern be» und tebmütbigft in Kirchengemein«
{haft getreten war, bennod) bie Grlaubnif zur 9tüdfefr
nod) lange nidjt erhalten. Die ift unwahrſcheinlich, und
nad bem, was zu Rom gefehehen war unb was ber
Kaifer dort verfproden fatte, geradezu unglaublich.
€. Die drei Briefe enthalten allerlei Ungereimtheiten;
fo ſagt z. B. ber zweite: bie ganze römifche Kirche habe
den Athanafius verdammt, wie alle römifchen Priefter ber
zeugen Fönnten, und zwar fei biefe Verbammung [don
vor fángerer Zeit erfolgt. Das ift gewiß unrictig,
benn erft mit ber Rüdkehr des Liberius trat ein anderes
Berhältnig Roms ju Athanaſius ein, ba8 aber nicht in
Verdammung beffelben, fondern nur in vorübergehen-
der Unterbrehung ber Gemeinfdaft mit ihm bes
ftand. Sa, nad der Fritifh mehr beglaubigten Lefeart:
prius quam ad comitatum sancti imperatoris pervenissem !)
wäre Athanafius von ber römifhen Kirche fon anathe⸗
matiftet worden, bevor giberiu& (i. 3. 355) ans faifer«
Tide Hoflager berufen wurde. Dieß ift offenbate Unwahr⸗
heit und zwar bie nämliche Lüge, melde wir in bem falſchen
Briefe Studens paci bereit fennen gelernt haben, fo
1) Der Monriner Herausgeber des Hilarius Hat blefe Seftart nur
in die Noten aufgenommen, p. 1338 Nota h, unb bagegen feinen Tert:
prius quam ad comitatem s. imperatoris literas orientelium destina-
rem episcoporum nur aus einem von ihm micht ſelbſt eingefehenen
Eoder Sirmond’s entnommen. Vgl. Stilting 1. c. p. 584a m. 43 u. 44.
und das nicini[fe Symbolum, 291
daß ſchon Baronius bie Unädhtheit aud) biefe8 Briefes
anerfannte '). Weiterhin ift berfelbe zweite Brief in feiner
erften Hälfte fo unfíar, bag namentlih bie Stelle von
sola haec causa fuit an, wenn fie je einen guten Sinn
hatte und in den Zufammenhang paßte, fie bod) jet nicht
mehr recht verftanben werben fann.
Am allerungereimteften aber ift ber Inhalt des legten
Briefes. Gleich ber erſte Sat non doceo, sed admoneo
fat hier feinen Sinn, denn in ber That ift ber Brief aud)
feine Etmahnung, fondern eine Bitte; von einer
Belehrung aber ift weit und breit Feine Rede. — Daran
fließt fid) ganz unvermittelt das Gitat aus 1 Gor. 15, 33:
„ſchlimme Gefprüde verderben gute Sitten", was ganz
und gar nicht in den Zufammenhang paßt und hier feinen
Sinn gibt. Cbenfo unvernünftig ift aber aud) der Schluß
diefes Briefes: me ad Deum absolvi, vos videritis; si
volueritis me in exilio deficere, erit Deus judex inter
me et vos. \
d. Endlich aber find biefe drei Briefe fo weiner-
Tid, und faffen ben Liberius felbft bei feinen Feinden fo
bettelhaft um Bürfprade beim Kaifer fleben, baf fte
mit dem ganzen ‚Charakter biefed Mannes, mit feinem
bisher gezeigten Betragen, feiner bemiefenen Sreimüthigfeit
dem ftaifer gegenüber unb aud) feinem nach mals, nas
mentlich nad) der Synode von Seleucia-Rimini an ben
Tag gelegten Benehmen und Verhalten unvereinbar find.
Ich zweifle barum, wegen all des Gefagten und wegen
der Unvereinbarfeit diefer Briefe mit ber beglaubigten
Geſchichte (b. f. ben oben angeführten Refultaten) fowenig
1) Baron. Append. T. IM. p. 25.
Theol. Duartalfgrift. 1859. U. Heft 20
292 Spayft Libertus
als Baronius, Stilting, Petrus Balerini, Maffari, Balın
u. 9. an ihrer Unächtheit, und vermutfe, daß fie in a
möifchem Interefie von einem Gráculuó, ber ber latei
fhen Cprade fehr wenig funbig mar, herrühren. €
folge Faͤlſchung und Unterfhiebung darf. uns aber
fo weniger auffallend erſcheinen, als ja, wie wir tif
auch falfche Briefe des Athanafius eben von ber ar
nifhen Partei in Umlauf gefeßt wurden und So
menus (IV, 15) auébrüdlid) berichtet, bie Anomder
Aften hätten falſche Nachrichten über Liberius verbrei
als ob er felbft ihren Anfichten beigetreten wäre und
firhliche Lehre verworfen hätte. Sollten nun bie 1
Briefe nicht eben das Mittel gewefen fein, jene falfe
Nachrichten zu verbreiten!
3) Nicht minder verbád)tig als bie Briefe erfcheit
uns aber aud) die Anmerkungen und Zufäge des ὅτ
mentiften, in welchem wir ben hl. Hilarius nicht erfen
zu dürfen glauben. Befanntlih hat Hilarius von Poiti
ein Werk gegen Urſacius und Balens, eine Gefchichte
Synode von Rimini enthaltend, verfaßt ?), mweldes n
auf ung gefommen ift, wovon aber nad) ber Meinung
Mauriner bie 15 Fragmente, bie zuerft Nicolaus Ya
herausgab, Bruchſtücke und Ueberrefte fein follen. Da
paar diefer Fragmente den Namen des Hilarius an
Stine oder ad marginem beigeſchrieben tragen, fo (d
1) Palma, 1. c. p. 170. Ballerin., de vi ac ratione Prima
cap. 15, 8. p. 298 od. August. 1770. Ueber Maffaris €xjrift i
die Synode von Rimini, worin biefe drei Briefe fanımt bem (τά!
studens paci fämmtlich für unächt erflärt werden, geben bie literatiſ
Ephemeriven von Rom vom 17. April 1779 und Fuchs in ſ. Bibli
b. Kirchenverf. 900. II. ©. 187 Nachricht.
2) Hieron. Catalog. seu de viris illust. c. 100,
und das nieaniſche Symbolum. . 293
daraus Eouftant, ber Mauriner Herausgeber der Werke
des hl. Hilarius, daß dieſe fämmtlichen Wragmente von
legerem herrühren. Daß folder Schluß Außerft gewagt
und wohl untichtig (ei, hat fhon ber Jeſuit Stilting in
dem Bollandiftenwerfe (1. c. p. 574 seqq.) ausführlich
dargethan. Das fechste Fragment insbefondere aber, wels
ches bie fo oft befprochenen.drei Briefe des Pfeudoliberius
enthält, hat für feine Abftammung von Hilarius nicht das
geringfte andere Merkmal aufjutoeifen, ald daß einmal am
Rande des Gober, worin es fid) fand, bie Worte ftanden:
sanctus Hilarius anathema illi (Liberio) dicit Dieß ganz
ſchwache Seugnif wird jebod) durch andere Gegenbeweis—
gründe weitaus übertvogen. a) Bor allem find bie heftis
gen unb [eibenfdjafttiden Erclamationen, worin der Frag⸗
mentift ben giberiuó {ὦ πιά δὲ und anathematifirt,
eines Hilarius durchaus unwürdig, und verrathen viel
eher einen zelotiſchen Ruciferianer; ja fie fónnen b) unmóge
lif von Hilarius herrühren, ba biefer jene Schrift, wovon
bie Sragmente ftammen follen, erft nad) ber Synode von
Seleugia-Rimini, alfo zu einer Zeit verfaßte, wo Liberius
feine theilmeife Schwäche bereit wieder gut gemacht und
ſich als einen Hort der Orthodorie gezeigt hatte. Dazu
fommt c).baf Liberius damals ganz allgemein als ber
wahre Papſt anerfannt wurde, Hilarius alfo mit ihm in
Kirhengemeinfhaft fand, und gewiß nicht unchriſtlich
ungerecht den Stab über ihn gebroden hätte. d) Wie
man aber ortfoborer Seits über Liberius dachte unb fpradj,
deigen bie bereitö oben (G. 275 u. 277) angeführten Stellen
bei Athanafius, wo in ben gelinbeften und entſchuldigendſten
Ausprüden von feiner Schwähe geredet wird, obgleich
Athanaſius — wegen ber aufgefündigten Kirchengemein⸗
20"
294 Spapft Liberius
ſchaft — weit mehr Recht und Veranlaffung zur Heftig
gehabt hätte, als Hilarius.
4) Die drei Briefe des Pfeudoliberius fagen ni
melde firmifche Formel der Papft unterfehrieben ha
der Bragmentift aber fügt bei, εὖ fei jene gewefen,
von ben Biſchoͤfen Narciffus, Theodorus, Baftlius, Cui
xius ic. (f. oben ©. 286) verfaßt worden fei. iem
kann Liberius unmöglich bie zweite firmifhe Formel unt
ſchrieben haben, denn
8) zur Zeit der zweiten firmifchen Synode lebte Th
dor von Heraflea nicht mehr, ber hier, wie fonft oft, ἃ
fammen mit Narciſſus von Neroniad oder Irenopolig |
nannt wird. Zeuge davon ift Papft Liberius felbft in fei
Unterredung mit Kaifer Gonftantiu& bei Theodoret (II, 1
b) Weiterhin beftand bie zweite Synode von ©
mium, wie aus Sozomenus (IV, 12) erhellt, aus lau
Abendländern, bier aber vom Fragmentiſten werben |
lauter Morgenländer als Urheber der fraglichen ori
genannt.
€) Unter biefen zählt er gleich tertio loco ben Bgfil
von Ancyra auf; wir wiſſen aber, daß biefer bere
fdjiebenfte Gegner, und feineswegs ein Miturheber |
weiten ſirmiſchen Bormel gewefen ift.
d) Außerdem fann man nod) anführen, daß Hiları
in feinen ächten Werfen niemals die Schwäche des Liber!
mit ber des Oſtus auf eine Linie ftellt, namentlid)
Synodis c. 87 dem Oſius allein wegen feines lapsus εἰ
ganz finguläre Stellung anweist, und daß anbererfe
aud) bie eigentlidjen Arianer, wie Phäbadius zeigt, |
nur auf Ofius und feineswegs aud) auf Liberius beriefen
1) vgl. Stilting in Acta SS, 1. o. p. 611 n. 170, Palma, l.c. p.
und das nicänifche Eymbolum. 205
* Aber will der Fragmemiſt mit Aufführung jener Biſchoſs⸗
namen nicht anbeuten, Liberius habe bie erfte firmifche
Formel unterzeichnet, vom Jahre 351, wo Theoborus noch
lebte, und möglicher Weife alle die aufgeführten Bifchöfe
an ber Abfaffung Theil genommen haben fónnten? —
Wir würden biefe Vermutung gemi ſchleunigſt unb
fteubigf ergreifen, aber wer uns daran hindert, ift gerade
Hilarius. Er urtheilt nämlich in feinen Achten Werken
über bie erſte firmifche Formel (unb bie ihr verwandte
antiochenifhe vom Jahr 341) fo milde, und eregefirt fie
in fo ortfoborem Sinne !), daß gar nicht baran zu fenfen
if, er habe fie an einem andern Orte (angenommen, er
fei der Verfaffer des Gten Bragments) eine perfidia Ariana
und denjenigen einen Apoftaten genannt umb mit bem
Anathema belegt, ber fte unterzeichnete. Hilarius felbft
Rand ja lange, während feines Erils, in freundlichen Ber
dehungen zu den Semiarianern.
An bie dritte firmifche Formel endlich fanm ber
Fragmentiſt nod) viel weniger als an bie zweite gedacht
haben, denn nit nur war a) Theodorus von Heraflea
jur Zeit ber britten wie ber zweiten firmifdjen Synode
bereits verftorben; fondern e8 war aud A) Euborius,
diefer Freund ber Aetianer, fowenig Mitglied ber dritten
ſitmiſchen Synode, daß biefe vielmehr gegen ihn unb feine
antiohenifhe Verfammlung gerichtet war; was aber y) den
Ausſchlag allein [don gäbe, ift, daß bie fraglichen pfeubos
liberiſchen Briefe bie Sache fo barftellen, als ob Liberius
10d während feines Erils, nod zu Berda, eine
firmifche Formel unterzeichnet habe, alfo (fon vor Abr
haltung ber dritten firmifhen Synode.
2) Hilar. de Synodis c. 29 seqq. u. c. 38 seqq.
296 ' Spayft Liherius
Wenn wir oben das Refultat geroonnen haben, Liberi
habe die dritte firmifche Formel unterzeichnet, fo fónr
uns in biefer Anfiht bie Ginreben Ctifting'à und Palm
nidt irte machen 1). Beide gehen von ber Meinung αἱ
bie dritte firmijche Synode habe gar fein Symbolum
fondern nur 12 Anathematismen aufgeftellt, nämlich a
ben 18 ancyraniſchen Anathematismen jene 12, wel
Hilarius (de Synodis c. 12) aufführt, und wobei de
gerade die bebentliden Säge der Synode von Ancy
namentlid) ber Ießte, welcher das Öuosorog direfte amati
matiflrt, weggelaffen worden. feien. Allein Gojomen
(IV, 15) fagt ausdrücklich, Liberius fei babim gebre
worden, der von den Gemiarianern verfaßten Sufamm
ftelung der Ceufebianifden) Glaubensdefrete gegen Pe
von Samofata, Photinus von Girmium unb ber Syn:
von Antiochien v. 3. 341 beiguftimmen (f. oben ©. 28
Und eben biefe Zufammenftellung fammt den 12 ancy
nifhen auf der dritten firmifhen Synode recipirten 9tr
thematismen find wir bie britte firmifche Formel zu nenn
berechtigt.
Stoff zu einer weiten Einrede muß der Bf. Hilari
darbieten. Wie befannt hat berjelbe über mehrere fen
arinifhe Formeln febr milde geurtheilt, hat aud) währe
feines Grilà in Phrygien mit ben Semiarianern in freur
lidem Verkehre geftanden. Wie fonnte er nun, me
fiberiuó nur eine femiarianifde Formel unterfdri
in Betreff feiner an Kaifer Eonftantius (dyreiben : nesc
1) Stilting in Acta SS. 1. c. p. 612 seqq. Palma, 1. c. p. 1
2) Was fie die dritte firmifche Formel nennen, vom Sal
359, if allerdings fpäter, als bie 9tádfefr des Liberius; aber |
und ift bif die vierke ſirmiſche Formel, , .
und das nieänifche Symbolum. 297
ulrum mejore impietate (eum) relegaveris quam re-
miseris? !). Weist nicht der hierin liegende Tadel bar»
auf hin, daß Liberius eine wirklich ατί απ [ὦ ε Kormel
[4 auferingen ließ? — Ich glaube nicht; denn fürs Erſte
hat aud) Hilarius eine völlige Gemeinfdaft mit ben Semi»
arianern nie gebilligt, namentlid) bie Theilnahme an
ihrem Abendmahle nicht geftattet *), und die übrige com-
munio mit ihnen mehr nur durch bie Seitumftünbe ente
quldigt αἵδ᾽ gebilligt; fürs Zweite ſodann tadelt Hilarius
in jenen orten weit mehr den Raifer als ben Liberius,
md völlig mit Recht; denn Conſtantius hat in ber That
der beffern Ueberzeugung des Liberius Gewalt angethan
und barum an ihm einen neuen Frevel geübt. Indem
Aber drittens Liberius jenes Symbolum nicht völlig bona
ide, als enthalte e8 durchaus nur bie Fatholifhe Lehre,
unterſchrieb (wie es etwa Cyrill von Serufalem thun
fonnte), fondern indem ihm bie femiarianifche Tendenz
tier und ähnlicher Formeln befannt war; unb er fif
dennoch ju ihrer Unterfhrift verleiten ließ, fo fonnte
Hilarius aud) den Liberius fefbft mit Recht tabefn. Obs
gleich nämlich Hilarius überzeugt war, bag mande andere
SBifófe fold)e Formeln optima fide ohne ihr Schlimmes
a fennen annahmen, fo war er bod) gewiß, daß bief
bei Liberius nicht Statt hatte, unb es ift fomit feine Ins
sonfequenz, wenn Hilarius bie Einen entfhuldigt, ben
&berius aber tadelt, denn duo si faciunt idem, non
est idem.
Als Refultat halten wir bemnad) feft, daß Liberius,
der Gewalt weihend und durch mehrjährige Haft unb
1) Contra Constantium n. 11. p. 1247.
2) Contra Constantium n. 2. p. 1239.
298 Papft Liberius unb das nicänifhe Symbolum.
Verbannung gebeugt, bie fogenannte dritte ſirmiſche $j
mel, b. h. bie auf ber dritten firmifchen Synode i. 3. 3
acceptirte Sammlung älterer femiarianifcher Dec
unterzeichnet habe. Er that bie nid)t ohne Bedenk
denn der femiarianiffe Gfarafter und Urfprung bie
Formulare war ihm befannt; ba fie jebod) feine biret
und ausdrüdliche Verwerfung des orthodoren Ole
bens enthielten, unb da ihm anbererfeité vorgeftellt τοὶ
* ben war, das nicänifhe ὁμοόσιος bilde ben Dedman
für Sabellianismus und Photinanismus, fo ließ er |
bereden, das nicänifhe Eymbolum faktiſch fallen zu faf
und mit dem dritten firmifden zu vertauſchen. Dar
fat er aber nur das nicänifhe Wort, nicht ben otf
boren Glauben aufgegeben, wie nicht nur fein gan;
früheres, fonbern aud) fein fpätercs Auftreten gegen |
Irrlehre fomie der (€. 281) angeführte Sufag bewei
ben er bei feiner Unterfehrift der ſirmiſchen Formel b
fügte. Daß cr weiterhin die Kirchengemeinſchaft ı
Arhanafius auífob, war eine Folge ber gegen b
letztern erhobenen Klagen, denen Liberius einigermaf
Glauben fdenfte; daß aber Liberius enbfid) mit Valen
Urfacius und andern Arianern, melde ihr biöherig
Befenntnig abfehrwächend bie dritte firmifhe Formel a
nahmen, in Kirchengemeinſchaft trat, verftand fid) eo ips
fotalb er felbft dieſe Formel unterzeichnet hatte,
Hefele
In.
Wecenfionen.
1.
1. Gefchichte der Bifhöfe zu Speyer, von Franz Zaver
Remling, Pfarrer und Diſtriktsſchulinſpektor zu Hambach,
gewahltem Domfapitular zu Speyer, Mitglied mehrerer ge
ſchichtlicher Vereine. Mainz bei Kirchheim und Schott.
1852. Erſter Band, VIII und 683 Seiten groß Octav.
Preis 4 fl,
Sammt: Urkundenbud zur Gefchichte der Biſchofe zu
Speyer. Aeltere Urkunden (den erfien Theil des Urkunden«
buchs bildend). VI unb 722 ©, gr. Octa. Preis 4 fl.
2. Geſchichte des Stiftes Säckingen und feines Begründers
des heil. Fridolin. Bon Clemens Tchaubinger, Dekan
unb Gtabtpfarrer bei St. Stephan in Konflanz. Einſiedeln
1852. 99εἰ Gebr. Venziger. VIund 183 S. gr. Octav.
3. Wrkunbio. Beiträge zur vaterländifchen Geſchichtforſchung,
vornaͤmlich aus ber norbmeftlichen Schweiz. Herausgegeben
von einigen Geſchichtsfteunden. L Band, 1{εὖ Heft. Goo»
thurn, Verlag der Scherer'ſchen Buchhandlung. 1851.
Vreis 1 fl. 12 fr.
1. Das Bisthum Speyer ift eines der üfteflen, ber
Dom gu Speyer einer der größten und intereffanteften
300 Nemling,
Deutſchland.. Das Bisthum Speyer beftand unzweifel
haft fhon zu ben Zeiten Conftantins b. Gr., als ber fj
Athanafius nad) Trier erilirt wurde (S. 335 n. Chr.) un
mit dem damaligen Bifhofe Jeffe von Epeyer in freunt
lide Beziehungen trat. Der majeftätifhe Dom vo
Speyer aber ift das größte Bauwerk des romanifchen (fe
genannten byzantinifhen) Styles in Deutfchland, überhauf
die größte aller vollendeten deutſchen Kirchen, größe
als die Münfter von Ulm und Straßburg, um fo meh
größer ald die Dome von Mainz unb Ct. Stephan i
Wien, und wird nur von bem Dome in Cöln an Θτὸβ
übertroffen. Außerhalb Deutſchlands aber find “größer
Gt. Peter zu Rom, der Dom in Mailand, St. Paul i
Rom, die Sophienfiche zu Eonftantinopel, ber Dom vo
Florenz und St. Paul in London. Es find bief überhaup
bie 8 größten Kirchen der Welt nad) ber Reihenfolge ihre
Größe locit, größer nod) ald der Eölner Dom in feine
Vollendung. Ja die SBeteréfirdje foll fogar dreimal meh
Flaͤcheninhalt haben, al& biefer. — Ungefähr gleid) gro
mit bem Epeyerer Dom aber ift der zu Antwerpen, etwa
Heiner bie Gatfebrafe Notre Dame zu Paris. — De
Speyerer Dom ift aud) zugleich bie fhönfte Stiftung be
deutſchen Kaifer fränfifchen Stammes, deßhalb der Kaifer
bom genannt, begonnen von Conrad IL ober ben
Salier i. 3. 1030, von feinem Sohne Heinrich IM. fort
gefebt und vollendet durch feinen Enfel Heinrich IV. in
Jahr 1061. Zwei große Brandunglüdsfälle in den Jah
ven 1137 und 1159 machten nod Neu» unb Umbauter
nöthig, und veranlaßten ben befannten Kunſthiſtonike
Kugler zu der Behauptung, der Speyerer Dom gehört
in feiner jehigen Geftalt nicht (don bem 1iten, fondern
die Biſchdfe zu Speyer, 301
erft dem 12ten Jahrhunderte an, intem jene Umbauten
eine totale Veränderung hervorgerufen hätten (Kugler,
Kunſtgeſchichte, 2te Aufl. 1848, €. 483). Der nicht min-
ber berühmte Kunftfenner und Kunſthiſtoriker Schnaafe
dagegen fat bargetfan, baf bem nicht fo fei, daß viel
mehr aud ber jegige Dom in feinen Haupttheilen aus
dem 11ten Jahrhundert Ramme unb das urfpringlide Baus
werk geblieben {εἰ (Kunftblatt, Jahrg. 1845. Nr. 63—66).
Ueberdieß ift der Speyerer Dom aud) die Ruheftätte
von 8 deutfhen Kaifern und Königen (Conrad IL, ein»
tid) IIL, Heinrich IV., Heinrich V., Philipp von Schwaben,
Rudolph von Habsburg, Arolf von Naffau und Albrecht
von Deftreih) welde fammt mehreren ihrer Frauen unb
Kinder im fogenannten Koͤnigschore begraben liegen (ein
topographiſches Schema biefer Königsgräber gibt unfer
Verfaſſer auf 6. 271).
Schon im Jahre 1828 hat diefer Dom einen würbigen
Hiforiographen gefunden an bem jegigen Garbinale unb
Erzbifhofe von Eöln, ber al er nod) Domherr zu Speyer
war, das ungemein fhäßbare Werf: „der Kaiferdom zu
Speyer, eine topographifch -hiftorifche Monographie" in
drei Octanbänden zu Mainz bei Simon Müller heraus-
gab (jet im Verlage von Kirchheim und Echott in Mainz,
Preis 5 fl. 24 kr.). — Dagegen fehlte c6 bem Bisthume
Speyer nod; immer an einem tüchtigen Geſchichtſchreiber,
Tenn gíeid) mehrere ältere und einige mod) jeßt lebende
Gelebrte (3. B. Mone, Geiffel 1.0) febr. gute Einzels
abhandlungen u. dgl. geliefert haben. Es war barum in
hohem Grabe verdienftlih, daß Herr 9temling, ber fid)
ſchon durch feine Geſchichte ber Klöfter und 9fóteien in
Rheinbayern als tüdjigen unb gründlichen Forſcher ause
302 Renling,
gemiefen hatte, bie Ausarbeitung einer umfaffenben und
durchaus quellenmáfigen Gefdhichte des Bisthums Speyer
übernahm. Dieß Werk, das den anerkannten Arbeiten
von Srubpert Neugart: Episcopatus Constantiensis,
von Uſſermann: Episcopus Wirceburgensis u. dgl. ebens
bürtig an bie Seite treten darf, wird im Ganzen 4 Bände
umfaffn, 2 Bände Tert und 2 Bände Urkunden.
Gegenwärtig liegt. der erſte Band des Tertes und ber
erfte des Urkundenbuchs vor uns, unb εὖ reicht jeber ber»
felben bis nahezu zum Sabre 1400 herab. Die vier unb
ein halb fpäteren Jahrhunderte des Speyerer Bisthums,
vom Jahr 1400 bis zur Gegenwart, wird in bem zweiten
Bande des Tertes nadjfofgen, und dazu der zweite Band
des Urkundenbuchs bie ardjivalifdjen Belege barbieten.
Es ift dieß ein Werk Acht deutſchen Fleißes, gebaut
auf taufende von Urfunden, von denen fehr viele bisher
nod) von feinem Hiftorifer benügt worben waren. Diefe
Urkunden fanden fih theild im Kreisarhive zu Speyer,
theils im reihen Archive ber Stadt Speyer, tbeiló, unb
am zahlreihften im General⸗Landes⸗Archive zu Carlsruhe,
Einiges αὐῷ im Staatsarchive zu Stuttgart und ander
wärts. Einzelne diefer Urkunden find zwar, bie eine ba,
die andere dort, bereits früher [don gebrudt geweſen,
6. Remling hat aber bennod, und zwar ganz mit Reit,
aud) biefe in fein Urkundenbuch wieder aufgenommen,
toenigftenó bie älteften von ihnen, um bemfelben bie nöthige
Vollſtaͤndigkeit zu verſchaffen. Dagegen werden es bie
Sprachforfher in hohem Grade bedauern, daß er ſowohl
bie fateinifden als deutſchen alten Urkunden nicht
mit diplomatiſcher Genauigfeit wiedergegeben hat. Auch
der vorliegende erfte Band des Urkundenbuchs enthält
ble Biſchbfe zu Epeper. 808.
unter feinen 619 Urkunden bereits mandje beutfdje, deren
erfte, Nr. 486 von dem Speyerer Biſchofe Gigibobo IL,
dem Anfange des 14ten Jahrhunderts, Jahr 1308, ans
gehört (S. 459).
Betrachten wir jet den erften Band des Tertes
etwas genauer. Derfelbe beginnt mit einer febr ſchaͤtz⸗
baren unb banfenswerthen Aufzählung unb Beſchreibung
der vom Berfaffer gebrauchten ungebrudten und gebrudten
Speyerer» Gefhihtöwerke. Bei den Autoren der Ießteren
fügt er ftetó eine bald größere bald Meinere Biographie
bei, fo daß wir δ. 9. hier ©. 21— 26 eine Lebensges
fdidte des jegigen Cardinals von Eöln, ©. 19—21
eine ähnliche des um Wiffenfhaft und Kirche hochverdien⸗
ten Archivdirectors Mone in Garlórufe „S. At f. aber
die des berühmten alten Speyerer Hiftoriferd Georg
Gbriftopb Lehmann antreffen.
Daran fließt fld) eine ungefähr 150 Seiten füllenbe
Abhandlung über bie Gefchichte der Speyerer Gegend in
der vorchriſtlichen Zeit und in ben erften chriſtlichen Sabre
hunderten, fammt Unterfuhungen über den Anfang des
Chriſtenthums im Speyerer Gau, über Seffe, den erften
befannten Biſchof von Speyer, über bie angeblihe Synode
von Eöln gegen Euphrates i. I. 346, über bie erften
Miffionäre diefer Gegenden, über Stiftung und ehemaligen
Umfang des Bisthums Speyer. — Es iſt hier febr viel
Intereffantes, jebod) unter dem unpaffenben Titel „Rüds
bfid^ zufammengeftellt. Theilweiſe hätte das hier Ge»
fagte eine allgemeine Einleitung zur Gefdidte des
Bisthums Speyer, theils aber das erfte Eapitel biefer
Geſchichte ſelbſt bilden follen, zumal ja gerade ber erfte
befannte Biſchof Jeſſe, und bie Wiebererrihtung des
04 Remling,
Bisthums unter fraͤnliſcher Herrſchaft ums Jahr 600 hie
eſprochen wird. ine Unterfuhung über biefe Anfäng
«ὁ Bisthums Speyer ift aber bod fein „Rüdblid“
ondern ber wirflihe Beginn der Speyerifhen Kirchen
eſchichte.
Wichtiger als dieſe gewiſſermaßen allgemein einlei
ende Abtheilung ift die darauf folgende fpecielle Ge
dide der Speyerer Bifchöfe, welche unfer SBerfaffer mi
Kthanafius, bem zweiten uns befannten Biſchof
son Speyer (610—650 n. Ehr.) eröffnet, und im vor
iegenden Bande bis zu Nikolaus L, bem 58ten Bifchofi
vt a. 1396 flarb, fortfüfjrt. Das Auffallende, baf bie
pecielle Gefdidte der Bifhöfe von Speyer mit ber
weiten, und nicht mit bem erften Biſchofe beginn
var mur bie nothwendige Bolge jener unpaffenden Be
jandlung ber allgemein einleitenben Abtheilung. Es fan
ibrigens feinem Zweifel unterliegen, daß bie fpecielle Ge
chichte unferem H. SBerfaffer nod) beffer gelungen ift, al
ener allgemeine Theil, ja daß fie εὖ ift, welche biefen
Buche feinen bleibenden Werth fihern wird. Es ift hierin
im es fury zu fagen, eine Menge fonft vielfad) unbcfann
πὸ, höchſt wichtiges Detail für bie Reichs- unb Kir
hen geſchichte Deutſchlands, namentlid aud) für bi
deutfhe Synodalgeſchichte mitgetheilt, und unfere vater
ländifch = hiſtoriſche Siteratur woefentlid) bereichert. Jede
Unbefangene, aud) wenn anderem religiöfen Befenntnifl
angehörend, muß dieß anerfennen, umb bie wahrer
Männer vom Sade werden εὖ aud gerne zugeflehen
während gemiffe DuobegsGremplare von LiteratursReferen
ten bie Werke katholiſcher Verfaſſer entweder ganz ignoriten,
oder ohne eigenes Urtheil geben zu wollen, fi einfad
die Biſchofe zu Speher. 305
unb bequem, aber aud) malitióó genug, auf befangene
Beurtheilungen anderer Proteftanten berufen. Ih [age
bief nicht, weil etwa mir felbft derartiges in neuer Zeit
widerfahren wäre; bem ift nicht fo; aber andern katho—
liſchen Hiftorifern ift erft Fürzlich wieder (olde Unbill an»
getan woorben, welche öffentlich gerügt zu werben vers
dient. Ich hielt e8 barum für Pflicht, bei biefer Gelegen»
heit auf jene [hmähliche Praxis Hinzumeifen, welche jeden
Wiſch von befreundeter Seite als epochemachende Schrift
lobhudelnd begrüßt, ber katho liſchen Kiteratur dagegen
ijr gutes Recht tüdifh entzieht. Gurio8 — daß biefe
„Bibelchriſten“ fid) nicht an das Wort V Mof. 25, 13 ff.
erinnern: „du follft nit zweierlei Gewicht haben, ...
denn ber Herr verabſcheut ben, ber foldes thut.“
Doch Fehren wir wieder zu dem vorliegenden Werke
jurüd. Die Gerechtigkeit fordert, daß id) nad) dem bisher
gefpendeten Fräftigen Lobe andererſeits einzelne Mängel
und minder gelungene Partien ebenfalls zur Sprache
bringe, unb es finden fid) deren entfchieven mehr im all-
gemeinen einleitenden, ald im fpeciellen oder Haupttheile.
Diefes ift (don in Betreff des Styles der Fall. Auf
Seite VII der Vorrede zum erften Tertesbande erklärt
der Verfaffer, von allem Wortſchwalle fid) ferne halten zu
wollen, und es ift bie aud) in ber fpeciellen Geſchichte
meiftend gefhehen; in bem allgemeinen. Theile dagegen
gibt mande Seite, 3. 98. ©. 47. 48. 52 in biefer Ber
siehung Stoff zu gerechtem Tadel. Ober wozu foll denn
auf €. 47 bie, wortreihe Erpofition über das Chriften«
thum dienen? Hier war ganz einfad) der Gebanfe: „die
Anfänge des Chriftenthums in unferen Gegenden fennt
man nit", ausjubrüden; aber eine rhetoriſche Des
306 Nemling,
finition vom Chriſtenthum war gewiß nicht am Plat
Der hiſtoriſche Styl verfhmäht ſolche Schminke.
Das Zweite, was wir nicht billigen fónnen, ift, b
der Herr Verfaffer über mehrere hiſtoriſche Punkte in ein
Art fpridjt, als ob hier völlige Gewißheit vorhand
wäre. Ja mehrmals deutet er nicht einmal (eife an, b
eine Streitfrage vorliege, unb ſtellt feine Anfict π
Verſchweigung ber entgegenftefenben fo hin, als ob
einzig unb allein eriftitte.. So machte er es 3.2. in Betr
des hl. Fridolin (G. 90 f.) Er weiß bie Zeit fein
Auftretens, Jahr und Tag feines Todes ganz gena
und fpricht davon in einer Weife, als ob gar nie eine ande
Meinung hierüber aufgetaucht wäre; und bod) bifferir
hier bie hronologifhen Annahmen um mehr als hunde
Jahre, wie bem H. Verfaffer felbft gewiß fehr gut befan
if. — In ähnlicher Weife macht er ben hl. Pirminiı
(€. 197) gang unbebingt zum Chorbiſchofe von Medel
heim in ber Pfalz, wiederum ohne anzubeuten, b
andere Gelehrte unb zwar deren Mehrzahl, das Melt
wo er ben Quellen zufolge wohnte, bald auf Meaı
γεἰ Paris, bald auf Mels im Canton St. Gallen 5
jiehen. Mit der nämlichen Decibirtheit fpricht H. Ren
ing €. 91 f. von bem Miffionär St. Goar am Rhei
velcher um bie Mitte des fechsten Jahrhunderts unt
Bifdof Ruſticus von Trier, in der Gegend von Gobla
jeprebigt unb von Ruſticus ungerecht verfolgt worde
εἰ. Er ſchweigt aber völlig darüber, daß e& um je
Zeit durchaus feinen Bifhof Ruſticus in Trier gab, ur
'af befbalb bie ganze Nachricht über €t. Goar vo
nehreren Gelehrten, neuerdings aud) von Stettbergi
einer Kirchengeſchichte Deutſchlands (8b. 1. (6. 465. 481
die Biſchdfe zu Speher. 307
in das Reich der Fabeln, freilich mit Unrecht, habe vet
tiefen werden wollen.
Unrichtig ift weiterhin, wenn ©. 195 und 196 Eöfn
fhon zur Zeit des Apofteld ber Deutfhen, Bonifacius,
für eine Metropole erklärt wird, indem biefe Kirche erft
wiſchen 794 und 799, als ber Arhicaplan Carls Ὁ. Gr.
Hildebald auf diefem Stuhle faf, durch bie Gunft des
Kaifers unb Papftes zur Metropolitanmwürde erhoben unb
ijt bie Suffraganftühle von Utrecht, Luͤttich, Münfter,
Minden, Osnabrüd und Bremen unterftelt wurden. —
Für ebenfo unrichtig halte id) bie Behauptung auf ©. 120,
daß in Trier bie Weihbifhöfe aud) Chorbiſchöfe genannt
worden feien. Schon Holzer (jegt Dompropft in Trier)
Wnertt in feiner Schrift de Proepiscopis Trevirensibus p. 2,
daß bie Chorepiscopi von Trier, nad) der Synode von
Sardifa, nur Jurisdictions rechte, Feineswegs aber
Sontififalred)te gehabt hätten. Sie waren fomit
eher Generafoifare, als Weihbifhöfe Außerdem ift
befannt, daß nod im vorigen Jahrhunderte unter ben
Domherrn von Trier fij fogenannte Gp orbifdiófe
fanden, aber biefe waren durchaus feine Weihbiſchöfe,
überhaupt feine Biſchoͤfe, fondern nur Capitelsdigni⸗
larien von mehr untergeorbnetem Stange.
Wiederum nicht beiftimmen fónnen wir bem, was
©. 113 f. über bie praepositi in ben alten Ganonifater
und ifr Verhältniß zu ben Eanonifern und bem Dechante
geſagt ift, noch weniger aber ber auf €. 110 gegebenen
Auslegung von sacerdos plebanus unb ecclesia plebana.
Herr Remling flellt ben geutpriefter unb bie plebana
ecclesia unter ben Pfarrer unb bie Pfarrkirche, waͤh⸗
tenb das "Berfáltnif gerade umgefehrt ift, unb ber Leute
Sie, Ouartaligrift. 1958. 1. Heft 21
308 Nemling, die Biſchofe zu Speher.
priefter eher mit einem Dekane oder Archipresbyter ve
glihen, bie plebana ecclesia aber als Mutterkirche ander
Parochien bezeichnet werden muß (Thomassin, de nova
veleri ecclesiae disciplina, Pars I. Lib. IL c. 5. m. |
€. 6. n. 1. unb Binterim, Denfwürbigfeiten Bd. L SI.
©. 517 unb 555).
Das Sete, was wir nod) heruorheben wollen, b
trifft wiederum bie Gefdichte des bL Fridolin. A
©. 90 if nad Angabe des alten Ehroniften Balthen
exzaͤhlt, daß ber Bi. Sribolin, nadjbem er Poitiers ur
das ihm fo teure Grab des bí. Hilarius verlaffen Bat
an bie Mofel gekommen [εἰ und an bezen Ufern ein be
heit. Hilarius von Poitierd geweihtes Klofter gegrünb
habe. In ber Note hiezu wird angegeben, daß na
Galmet (histoire de Loraine T. I. p. 302) damit b
Kloſter Hilariacum zu St. Avold gemeint fei, xoeld)
jebod) nidt an ber Mofel, fondern in deren Rähe au be
Fluͤßchen Rofalle liege, das fid) junddjft in die Saar, ur
burd) biefe in bie Mofel ergieft. Weit wahrſcheinlich
ift jebod) die Vermuthung Holzer's in feiner oben c
mwähnten Schrift de Proepiscopis Trevirensibus p. 38 seq
daß an ben Ort Eller an ber Mofel, ungefähr in b
Mitte zwiſchen Trier und Goblenj, oberhalb ber Sta
Cochem gelegen, zu benfen fei, wo zwar nit mehr εἰ
HilariusKlofter, wohl aber eine Kirche zu Ehren br
HI. Hilarius mit Reliquien beffelben verfehen, beftebt. D
hauptſaͤchlichſte Stiftung des HI. Fridolin aber war ba
Kloſter und bie Kiche zu Sädingen am Rheine, um
von diefem Stifte handelt bie
2te und eben vorliegende Schrift von Herrn Dela—
Schaubing er in Gonfany Den Grund zu biefer hiſtori
Schaubinger, das Stift Sädingen. 309
fen Monographie legte don im vorigen Jahrhunderte
der Ganonifuó zu Rheinau, Moriz obenbaum Van
der Meer, welcher nad dem Wunſche ber legten ger
fürfteten Yebtiffin von Cüdingen, Maria Anna von
bornſtein-Goffingen eine Geſchichte dieſes Stiftes zu
ſchreiben unternahm und zu biefem Zwecke in bem Archive
du Sädingen, fowie in ben Bibliotheken zu St. Gallen,
Züri, Einſtedeln und anderwärts forfchte und fammelte.
Die franzöftfche Revolution verhinderte jebod) die Heraus-
gabe diefes Werkes, ja das Stift Cüdingen felbft wurde
aufgehoben und Dan ber Meer's Papiere famen nun
— mittelbar — in bie Hand des H. Schaubinger, welcher
als gebotner Sädinger deren völlige Üeberarbeitung und das
mit bie Herausgabe des vorliegenden Werkchens befchloß.
Daffelbe ruht auf Hundert zwanzig Urfunden unb Dofus
menten und zeugt, bei aller Anfpruchslofigfeit und populá»
ten Darftellung, von fehr vielem Fleiße und beträdhtlicher
hiſtoriſcher Gelchrfamfeit des H. Verfaſſers. Das Ganze
terfällt im drei Bücher, deren erſtes die Geſchichte des
Bi. Fridolin unb feiner Stiftung von deren Anfange bis
pum Einfalle der Hunnen (Ungarn) unb ber Zerftörung
bes Stiftes durch fle im Jahre 917 enthält. Das gzweite
führt bie Geſchichte diefes Stiftes vom Jahre 900 bis
1400 fort, während das britte ben fegten vier Jahrhunders
ten Cüdingené bis zu beffen Aufhebung i. I. 1806 ger
widmet $t, aber aud) zugleich bie Geſchichte ber Städte
Sädingen und Laufenburg, bie (don im zweiten Buche
begonnen tworben war, bis auf bie neuen Zeiten fortfegt.
Sechs Beilagen endlich handeln 1) von ben Biographen
des hl. Fridolin, 2) von feiner Doppelfiftung im Allges
meinen. Srivolin gründete nämlich ein Manns» und ein
21*
310 Urfunbio.
Brauenffofter neben einanber, allein (djon unter ber Caro
lingern wurde fegtereó bie Hauptfache, erhielt oft Aebtif
finnen aus fóniglidjem Geſchlechte und wurde fo nad) un
aach zu einem fürflliden Stifte umgewandelt, in das nu
Wbefide aufgenommen werben fonnten, während das che
malige Mannsklofter immer mehr einfhrumpfte, und frühe
yeitig nur mehr eine Heine Anzahl von Geiftlihen, canonic
und Gapläne aufgeftellt wurden, fo viel beren nämlid
die Beforgung des Gottesdienſtes erheiſchte. 3) Die britt
Beilage fpricht von einer wunderbaren Todienermedun;
»urd) Fridolin (in Glarus); 4) von ber Verehrung bei
jl. Fridolin, 5) von den Etatuten der Stiftsdamen un!
mblid 6) von den Sädinger Urkunden in chronologiſche
Ordnung. .
3) Auch die dritte der vorliegenden Schriften ift wefent
ich kirchenhiſtoriſchen Inhaltes, und führt uns theilweife fo
jar bis in bie erften Zeiten des Chriftenthums in Helvetiei
jurüd. Den etwas curiofen Titel erklärt uns einer be
Mitherausgeber, H. Pfarrer Fiala in Herbetswil (Eantoı
Solothurn), einer meiner tüdjtigften ehemaligen Zuhörer
?abin, daß ber Solothurner Bibliothefar Dr. Bete:
Sgnay Scherer (t 1833) wegen feiner ungemeinen
Hebe zu ben Urkunden, unb feiner großen SBerbienfte um
veren Sammlung gewöhnli nur Dr. Urfundio genannt
vorben fei. Als nun im Jahre 1851 einige Freunde ber
Befhichte zu Solothurn zufammentraten, um das vor
tegende Urkundenwerk ins Leben zu rufen, habe man
'affelbe Urfundio betitelt, theild um jenen Verſtorbenen
adurch zu ehren, theild aber auch um damit in kuͤrzeſter
Beife den Charakter bed Werkes felbft zu bezeichnen:
Die fed in biefem erften Hefte enthaltenen 96»
urkundio. 311
theilungen find: 1. Doktor Urfundio, eine biograpfifde
Sfüge (de genannten Dr. Scherer), von Bf. &iata;
2. ναὸ Chriſtenthum in Helvetien zur Römerzeit.
Eine firhenhiftorifch » antiquare Sfige von SBrofeffor 3.
B. Brofi, in ber That eine ſehr gelehrte und intereffante
Abhandlung, für Männer vom $jad wie für Gebildete
überhaupt in hohem Grade anjiefenb, doppelt anziehend
aber für beh Unterzeichneten, welcher bie Refultate ähnlicher
Studien ſchon, vor 16 Jahren in feiner €drift „die Gin»
führung des Chriſtenthums im fünmweftlihen Deutſchland“
niedergelegt hat. G8 war für ihm erfreulich, zu bemerken,
bof wie Prof. Brofi in bicfer Abhandlung, fo aud) bie
Berfaffer der beiden Gbriften unter Nr. 1 und 2, 6.
Remling und H. Schaubinger auf diefe Einführungss
geſchichte vielfach freundlich, meift beiflimmend, mitunter
auch beridtigenb, Rüdficht genommen haben. Herr Prof.
Brofi inébefonbere hat Manches bisher in weiteren
Kreiſen unbefannt Gebliebene über wieberaufgefundene
Denkfteine chriſtlichen Lebens in Helvetien während ber
Römerzeit, in dem vorliegenden Auffage und mitgetheilt.
— Die dritte Nummer dieſes Heftes bilden fofort 29 von
P. Anfelm Dietler in Mariaftein und von Sof. Ign.
Amiet mitgetheilte, theils deutſche theils Tateinifhe Ur⸗
funben über Schenkungen an Kirchen, Streitigkeiten zwiſchen
Kloͤſtern u. bgL, bie in verſchiedenen ſchweizeriſchen Archiven
gefunden wurden unb bem 12ten bis 15ten Jahrhunderte
angehören. Wir vermiffen bei jeder berfelben eine furje
Angabe ihres Inhalts. — Das vierte Stüd ift das Jahr⸗
zeit buch des Collegiatftijt& Schönenwerth im Ganton
Solothurn aus ber erften Hälfte des 15ten Jahrhunderts,
duch H. Propft Vogelſang mitgetheilt. Es ift dies
312 Verhoe ven · Heufer
ein Verzeichniß der geſtifteten auf jeden Tag und Mona
fallenden Safrtáge nebſt manchen hiſtoriſchen und chrono
logiſchen kurzen Notizen. Das gegenwärtige Heft enthäl
hievon etwa bie Hälfte. — Die fünfte Sektion bilde
vier bisher ungebrudte Briefe an Johannes vo
Müller unb zwei von feinem Bruder, mitgetheilt vo
6. Piarrer Fiala. Daran -fhließt fid) als fehätes Si
eine Fleine Urkunde, ben Reformationsfturm in Güns
berg, in Eolothurn, betreffend; viel wijtiger aber ἢ
Nr. 7 eine chronologifhe von Fiala verfaßte Ueberfid
und Inhaltsangabe über 160 alte meift kirchenhiſtoriſch
Urfunden, vom Sten bis 13ten Jahrhundert, welde i
ungefähr 30 Jahrgängen ſchweizetiſcher Zeitfchriften, nämlid
des εἰπῇ fo berühmt gewefenen Solothurner Wochenblatt
won Glup-Blogheim, Lüthi und Peter Schere
z Dr: Urfundio) und beffen ortfegung in den Jahre
1845—47 zerſtreut veröffentlicht und abgebrudt worden fint
In der Ankündigung ift gefagt, der vorliegende U:
Tunbio werde in zwangloſen Heften erfheinen, von bene
Drei oder vier einen Band bilden follen. Bis jeht i|
mir aber fein weiteres Heft zugefommen, und εὖ wär
ehr zu bedauern, wenn das Unternehmen nicht Fortgang
gemánne. Hefele
2.
Die Verpflichtung der Pfarrer für die Gemeinde zu app-
lieiren. Eine kirchenrechtliche Abhandlung nad) zwei Differ
tationen bed Prof. Dr. Verhoeven mit befonberer Kückſich
auf Deutfehland bearbeitet von A. Heufer, Kaplan Ir
BR, Düffeldorf 1850, Verlag der Schaub'ſchen Buch—
Handlung. (8. H. Scheller.) — ©. 106. Preis 36 ἔτ, —
Verpflichtung der Pfarrer xc. 913
Vorliegendes Schriftchen beſchaͤftigt fl mit einem
Gegenftande von fo großer practifher Wichtigkeit, daß
ἐπε wenn aud) verfrätete Beſprechung beffelben gerechte
fertigt erfheint. Es gibt bezüglich der Verpflichtung zur
Rekapplication für die Gemeinde einige Puncte, bie den
Barren, deren Gewiſſen εὖ bod) fo nahe berührt, nicht
ganz Mar find. Hierüber fudt mun unfer Schriithen bee
fimmte und fidere Auffhlüfle zu geben. Daſſelbe ift
anähf nur bie Zufammenftellung und deutſche Bearbeitung
gweier Abhandlungen, welche Berhoeven, Prof. be8 canos
niſchen Rechts an der Univerfität Löwen, über ben gleichen
Otgenftanb im Jahre 1842 und 1849 in lat. Sprache
erſcheinen lief. Sie erregten in Belgien und zum Theile
in Frankreich großes Aufſehen, weil fie der Verpflichtung
ur Meßapplication eine Ausdehnung zu geben fuchten,
die in Prari nirgends zur Geltung gefommen war. Bers
hoeven wollte nachweiſen, daß alle Pfarrer unb. alle Seels
forgsgeiftlihen, welche einer Gemeinde principaliter et
immediate vorgefeßt find (Pfarrverweſer, Rectoren von
Filiale und Annerichen, Bifhöfe, Prälaten etc.), nicht
bloß an ben Conn» unb jet nod) gebotenen fondern aud
an allen abgefdjafften unb verlegten Beiertagen zur Applis
sation der Meffe pro populo verpflichtet feien und zwar
perſoͤnlich, wenn fie nicht geſetzlich verhindert find.
Berhoeven hatte bei feiner Debuction vorzüglich bie Vers
hältniffe Belgiens und Branfreihs im Auge. In Betreff
Deutſchlands glaubt er fónne bie Anfiht aufgeftcllt werden,
dag an ben durch Clemens XIV. abbeftellten Beiertagen
die Verpflichtung ber Application der Meffe für bie Ge»
meinde erfoffjen fei. Diefes ift der. einzige Punct, in
welchem ber deutſche Bearbeiter von feinem Original abs
314 Verhoeven⸗ Heuſer
weicht, indem er bie Anſicht aufftellen und feſthalten 3
müffen glaubt, in ben deutſchen Diöcefen feien bie Pfarr:
‚gu den beſprochenen Mefapplicationen aud) an ben bur
Clemens XIV. aufgehobenen Feiertagen verpflichtet. Letztere
hat auch der rühmlic befannte Kichenrechtsfchriftftell
Seiß in einer Kritik der erften Abhandlung von Verhoeve
zu beweifen gefudt (Seitz, Zeitſchrift für Kirchenrecht un
Paſtoralwiſſenſchaft 98». IL. ©. 105 fg); das Gegentfe
bihauptete ein Recenfent der genannten Abhandlung íi
Sitündyener Archiv für theologifche Literatur Jahrg. 184
©. 696. Wir werben auf biefen Punct nod) befonber
‚zurüdfommen, da er entichieden von der größten Bebeutun
und das Gewiſſen Mancher zu beläftigen geeignet ift.
Außer bem eben angeregten Punkte erſtreckt fid) bi
Unterfuhung unferer Abhandlung auf die Perfonen
welche zum Appliciren der Meffe für die Gemeinde vet
pflichtet find. Das Triventinum fprict eine Verpflichtung
das bl. Meßopfer für bie Gläubigen darzubringen, bene
zu, quibus animarum cura commissa est. Dieſe Bezeichnun
paßt im kirchenrechtlichen Sinne jebod) nicht auf alle die
jenigen, welche in irgend einer Weife feelforgliche Bunctione
ausüben, fondern mur auf jene, welde bie volltändig
Seelſorge cura primaria über einen beflimmten Kreis vo
Gläubigen entweder vorübergehend oder auf bauernd
Zeiten haben. Es find fomit befonders die Pfarrer uri
Pfarrverwalter, welpen biefe Verpflihtung zufällt. Dief
Verpflihtung wird in einem weitern Kapitel als ein
feng perfönliche nachgewieſen. Diefen Nachweis führ
der Verf. aus Entfeidungen der Congregatio Interpre
concilii Tridentini; unb nad) den angeführten Beweigftüde
ift der zur Application ber Meſſe für die Gemeinde Ber
Verpflichtung der Pfarrer xc. 315
pflichtete verbunden, biefe feine Pfliht in eigener Perſon
du erfüllen, wenn ihn nicht ein geſetzliches Hinderniß von
der Erfüllung feiner Pflicht freifpricht (nisi in casu neces-
sitatis et concurrente causa canonica). Diefe causae cano-
nicae fhränft ber Verf. aber dergeftalten ein p. 50 ffg.,
daß ein SBjarrer nur fchr felten an feiner Statt einen
andern appliciren faffen türfte. Auch foll bie Meffe an
ben vorgefhriebenen Tagen (Sonn⸗ und Feiertagen) appe
lieirt, und die Application nicht auf einen beliebigen Tag
verſchoben werten. Der Pfarrer foll aud) die Hauptmeffe
bet Sonn⸗ und Feiertage halten, nur Fönne er durch leichtere
Bründe von dieſer Verpflichtung fid) frei erachten als von
be der perfönlichen Application, bie aud vom Piarrer
in einer andern Meſſe gefihehen Tann, al& bem fog. Hoch⸗
«nte (Inhalt v. Kapitel 3—8).
Ref. fann nicht Täugnen, daß ihn bie Strenge bes
Verf. ‚in der Auffaffung der genannten Bunfte, worin bie
Praxis fo vielfältig abgewichen ift, etwas bebenflid gemacht
hat, fo wenig er in Abrede ziehen will, daß berfelbe den
Buchſtaben ber lirchlichen Entſcheidungen und Vorſchriften für
fi habe. Wenn man aber in Erwägung zieht, baf mande
Pfarrer entweder um einem empfangenen Stipendium zu
genügen, ober wegen leidjifinniger Abwefenheit von ber
Gemeinde ober aus Bequemlichkeit ihre Verpflichtung zur
Mebapplication unerfüllt Taffen fónnten, fo fann man
begreiflich finden, daß bie kirchlichen Stellen, welde bie
Geſetzeswaͤchter und Gefepeóinterpreten find, an bem Buch⸗
flaben des Geſetzes fefthalten, und in unferm Falle immer
auf der Entſcheidung beharren, der Pfarrer fei in eigener
Berfon zu der fraglichen Application verpflichtet, und habe
diefelbe in ber zu beftimmter Stunde ju lefenden Meffe
316 Verhoeven · Heuſer
zu geſchehen. In einem concreten Falle dürfte aber bó
diefe Strenge einer Milderung fähig fein; zu biefer Mi
derung ift die Thüre offen gelaffen durch bie der ftrer
ausgefprohenen Forderung angehängte Klaufel misi |
casu necessitalis et concurrente causa canonica. Liter:
wird aud) auégebrüdt, wenn ein justum et legitimu
impedimentum vorhanden fei. Man wird daher nicht gege
den Einn ber oberften firhlichen Oefchgebungsgewalt ve
flogen, wenn man für unfern Sall annimmt, der Pfarr
genüge der Meßfalfigen Appficationspflicht, wenn er d
pplication burd) einen andern Priefter vornehmen laͤß
im Falle dieſes nicht aus fträflicher Gorglofigfeit um fei
Heerde, nicht aus Eigennuß, nicht aus Reifeluft u. bg
geſchieht. Der Pfarrer wird hie und da ohne SBerlegur
ber kirchlichen Vorſchriften bie Application burd) eine
andern Priefter vornehmen faffen fónnen, wenn er eine
vor Gott und der Kirche zu rechtfertigenden Grund für fi
hat. Ref. glaubt nicht, daß ber concurrens causa canonic
ein gar fo enger Kreis zugewiefen werden muß, als e
vom Verf. Kap. 4 gefchehen. Wir glauben für unfer
Auffaffung die Entfheidungen der Congregatio Rituur
vom 27. Febr. 1827 und 22. Juli 1848 1) in Anfpruc
nehmen zu türfen. Letztere Entſcheidung hält fid) milde
als bie gewöhnlichen Entſcheidungen ber congregatio con-
cilii tridentini, welche nicht ba6 Gefeg in feiner Anwendun;
auf den einzelnen Sall zu bezeichnen, fondern ji
erläutern hat, wie es an und für fid zu verfehen [εἰ
fie fagt námfid: „nam propius ad casum non obstantibu:
alias decretis et in facto declaralis rescribere fala esl
1) Cf. sacrorum rituum Congregationis decreta authentica etc.
Leodii, Lardinois 1851. p. 154.
Verpflichtung ber Pfarrer sc. si"
poste quemlibet parockum, accedente jusía et legitima
causa, adimplementum missae pro populo applicandae alii
sacerdoti commitlere.seu per alium sacerdotem hanc missam
telebrare facere. Demnach kann es ald gerechtfertigt ev»
feinen, wenn ein Pfarrer bisweilen einen andern Θείβν
lien für feine Verpflichtung fubfituirt, wenn er mur
einen angemeffenen Grund hat, vermöge deſſen ex fid) der
perſoͤnlichen Erfüllung feiner Verpflichtung überhoben benfen
fann. Unter biefen hinreichenden Gründen dürfte aud)
der fein, daß der Pfarrer am einem Orte, wo mehrere
Briefter find, nicht immer ſelbſt das Amt halten fanm
féon aus Rüdfichten des Anftandes, und bod) bie App⸗
fication pro popylo vorzugsweife im Amte gefchehen fofite,
da aud) die Glüubigen biefem anzuwohnen angehalten find.
Zieht man einerfeit6 die Grengen, innerhalb welcher fid)
bit legitimae causae zür Uebertragung ber fraglichen Ver⸗
Wüi&tung an einen Andern bewegen müffen, gar zu enge,
und fagt man andererfeitö bie perſoͤnliche Verpflich⸗
tung des Pfarrers als eine fo ftrenge und unausweichliche,
als e8 von unferm Verf. geſchieht, bann if nicht recht
einzuſehen, warum überhaupt nur bie Subflitution eines
Andern nothwendig ober zuläßig fei. Bin id) ganz ftreng
verbunden, in eigener Perſon unter allen Umftänden
qu applieien, außer ich {εἰ ſchlechterdings daran gehindert,
fo fitt mit ber Unmoͤglichkeit der perfónliden Erfüllung
der Verpflichtung die Berpflihtung überhaupt, und braucht
fein Anderer fubftituirt zu werben. Umgefehrt aber, if
bie Verpflichtung nit eine ſchlechthin formal perfänliche,
fondern eine ſachliche mit der Bedeutung, daß baburd) vom
Pfarrer Andern námtid) ben Griftgláubigen etwas Gutes
zugewendet werben foll, fo fann er biefeó Gute aud). durch
318 fBerforben » enfer.
‚einen Andern, ber in gleider Weife dazu befähigt i
"mittbeilen laflen. Das Tridentinum ift midjt mur nic
‚gegen diefe 9fuffaffung, fondern begünftigt fle nod), wer
«8 fagt: „quum praecepto divino mandatum sit omnibu
quibus cura animarum commissa est, oves suas agnoscer
pro his sacrificium offerre, verbique divini praedication
*Sacramentorum administratione ac bonorum omnium operu
exemplo pascere“ elc. (sess. 24 cp. 1 de ref.) Φ
Pfliht des Seelforgpriefters, für feine Schaafe das Opf
darzubringen, wird Bier mit feiner Pfliht, das Mo
Gottes zu verfünden, und bie Gacramente zu fpenden,
Eine Linie gebradit; nun ift aber allgemeine, und vi
der Kirche ohne alle SBiberrebe gebulbete Praxis, daf.d
Biarrer an feiner Etelle aud) andere Priefter, Vikari
und ftapláne das Wort Gottes verfünden, unb bie €
framente fpenden läßt. Es fanm daher wohl bie Ve
pflihtung des Pfarrers zur Meßapplication an beftimmt
Tagen nicht eine fo ftreng perfönliche fein, daß bie just:
et legitimae causae, die ihm bie Subftitution eines Andeı
geftatten, fo gar eng begrenzt werben müßten.
Ueber ben eben befprochenen Punct follte es jebo
nicht fo ſchwer fein fid) zu verftändigen, ba es hauptfägli
darauf anfömmt, wie man bie causa canonica ober legitim
faßt; dagegen wird aber die Gontroverfe, ob die Pfarr:
in den deutſchen Diöcefen nur an ben jegt noch beftehend:
Beiertagen, ober aud) an ben im S. 1771 von Gfemenó ΧΙ
abbeſtellten für bie Gemeinde zu appficiren verpflichtet (eie
nicht fo leicht zu heben fein. — Qeufer, ber Bearbeiter b:
Verhoeven'ſchen Differtationen hat gegen des Lepter
Anficht auszuführen unternommen, daß die deutfchen Piarrı
an allen mann immer aufgehobenen wie an den rod) gel
Verpflichtung ver Pfarter x. 818
tenben Beiertägen für die Gemeinde bie Meffe zu appliciren
verbunden feien. Wir anerfennen gerne das Gewicht ber
Beweiſe, welde von ihm und früher von Geig an oben
angeführter Stelle für bie bieffalfige Anſicht vorgebracht
worben find, müffen aber dennoch geſtehen, daß wir von
der behaupteten Verpflichtung nicht überzeugt worden find,
und erlauben uns beffalb unfere Gründe furj entgegen«
halten, ohne baf wir jebod) beftimmt zu behaupten wagen,
εὖ {εἰ eine foldje Verpflihtung durchaus nicht vorhanden.
Fuͤr's erfte bringt bez Berf. zur Grfártung feiner
Behauptung lauter Cntfdjeibungen vor, welde fij auf
außerbeutfche Diöcefen beziehen, welche nicht bloß vom
der Reduction ber Beiertage im S. 1771 fondern aud
von ber im S. 1802 betroffen wurden. Diefe zwei Beier«
tagsrebuctionen [deinen uns bei ber Beurtheilung unferes
Gegenftandes genau auseinanbergehalten werben zu müflen;
Auf vieles Zudringen der Bifhöfe und weltlichen Fürften
fete Papſt Elemens XIV. bie in bem Kataloge Urband
VIL verzeichneten gebotenen Feiertage in aufeinanders
folgenden Breven vom 3. 1771—72 für bie Diöcefen des
oͤſtreichiſchen Staates und andere deutſche Didcefen um
SBebeutenbeó herab, indem er meift nur fünfzehn Befttage
als fernerhin nod) zu feiernde bezeichnete nämlich :. nativitas
D. N., circumcisio, epiphania, feria secunda post resur-
reclionem et pentecosten, ascensio, corpus Christi, quinque
dies dicati B. V. M., festa sanctorum apostolorum Petri
et Pauli, S. Stephani protomartyris, et unius tantum princi-
palioris patroni, wornach von ben früher durch Urban VIII.
autorifitten Feſten ungefähr einundzwanzig auéfielen. Die
Aufpebung biefer Feiertage war eine vollfiändige, indem
der Rapft ben Oläubigen Grlaubnif ertheilte, an denſelben
gewölmfichen weltlichen Gefchäften nachzugehen, ur
1 bet Pflicht entband, bie heil. Meſſe zu höre
eduction in Franfreih unb in ben im 3. 1802 |
eich gehörigen Didcefen gefchah unter ganz eige
hen Verhältniffen. Es handelte fid) zunächft barur
akreich den chriſtlichen Kult wieder einzuführen, wn
46 ben Gingangémorten des püpfliden Inbult
Apr. 1802 hervorgeht, wurde bem Papſte infinuü
da bie Feiertage ſchon vorher nicht febr erbauli
m worben feien, es gut fein bürfte, wenn fie πὶ
Meiner Zahl anbefohlen würden. Der Papft gi
ein, unb Bob alle Beiertage auf, ausgenomm:
nis, corpus Christi, fest. Petri et Pauli, nativita
0, assumptio M. V., fest. sanclorum omnium, st
aber nur bie bier [eter an ben Tagen, wo |
) eintreffen, zu feiern, bie etften drei aber wie bi
atroni auf den naͤchſtfolgenden Sonntag zu verleg
Vie Belgifden Bifhöfe und ber Biſchof von Tri
bisher vorzugsweife über bie Berpflichtung b
t an ben aufgehobenen Feiertagen zu applicit
en nad Rom gelangen ließen, hatten hauptfädjli
3. 1802 theils aufgehobenen theils auf ben Son
tlegten Feiertage im Auge; umb bie Antwort, d
196 durchgehende bie Verpflichtung bejaht, holt au
iche nicht weiter aus, als bie Anfrage fie gegebe
Benn εὖ aud) in ben Antworten Allgemeinhin heiß
an ben abgefdafften Beiertagen zu appliciren, |
ie Entſcheidung bod nur gunádjft auf bem 3nfa
ifrage zu beziehen, und biefe hatte mur bie im £
aufgehobenen Feiertage gu ihrem Ausgangspunkt
Verpfllchtung bee Pfarrer oc. 3t
Bir haben fogar eine Entſcheidung für und. Der Biſchof
von Namur nämlich nimmt in feine nad) Rom gerichtete
Anfrage als einen abgefonderten Punct auf: an sit nune
applicanda etiam diebus festig, qui anno 1771 fuerunt
per Clementem XIV. suppressi, id est omnibus festis in
catalogo Urbani VIII. recensitig? ier wäre εὖ ber Gon»
gregatio Interpr. Concilii tridentini fehr nahe gelegen, ftf)
über die fragliche Verpflichtung Har unb beftimmt auszus
ſprechen, fie hat aber biefen Fragepunct des Biſchoſes mit
Stillſchweigen übergangen, und die andern fo beantwortet,
daß das Stillſchweigen faft unwiderfireitbar als ein Zus
geſtaͤndniß angefehen werden famn, daß fie für bie von
Clemens XIV. unterbrüdten Feiertage eine Verpflichtung
ber Meßapplication ber Pfarrer nicht auszufprehen wage,
Sie fagt nämlich in bec Antwort v. 27. Jan. 1842: „jussit
(sc. Sanctitas sua) eidem notificari juxta resolutiones alias
editas a S. congregatione, missam pro populo esse a
parochis suae dioecesis applicandam omnibus diebus festis
liam a S. Mem. Clemente XIV. retentis et deinceps a
S. Mem. Pio VIL. die 9. aprilis 1802 swppressis.^ Halt
"uan dieſe Antwort gegen bie fo beftimmt formulirte Frage,
fo mug man fij wundern, daß bie Gongregation, wenn
Re der Anſicht ift, bof aud an bem pon Clemens XIV.
abbeftellten Feiertagen von ben Pfarrern applieiet werden
wäfle, nicht vor das Woͤrtchen retentis dad andere sup-
pressis febie. Wie bie Antwort vorliegt, thut man bere
felden gewiß feinen Zwang an, wenn man aus ifc folgert,
bie Congregatio Interpretum concilii trident. [εἰ ber Ans
fit ober widerſpreche wenigſtens derſelben nicht, daß an
den von Clemens XIV. unterbrüdten Seiertagen von ben
Viarrern nicht applicist werden mäfle, dagegen erfirede
322 WVrerhoeven s Heuſer
fi dieſe Verpflichtung auf alle von Clemens XIV. noch
in Kraft erhaltenen Feiertage, mögen biefelben fpäter noch
abgeſchafft ober verlegt worben fein.
Sft unfere Sfuffaffung von der eben angeführten Cnt»
ſcheidung ber Congregation (interpr. conc. trident.) richtig,
fo fann man annehmen, taf die Pfarrer in den deutſchen
Diöcefen, wo nur bie Reduction der Feiertage unter
Clemens XIV. ftattgefunden hat, an dem durch ihn unters
drüdten Beiertagen nicht für die Gemeinde zu appliciren
verpflichtet feien. Eine das Gegentheil ausſprechende Ent⸗
ſcheidung für die betreffenden Diöcefen Hat: Heufer nicht
beizubringen gewußt.” Er fagt zwar in ber Einleitung
©. V. auf Anfragen, die er in Köln, Münfter, Trier,
Mainz, Paderborn, Freiburg geftellt, {εἰ ihm auf bie
bereitwilligfte Weife Antwort zu Theil geworben. Allein
abgefehen davon, daß biefe Diöcefen alle, Freiburg aus⸗
genommen, an ber Befttagsreduction von 1802 aud Theil
genommen haben, bringt er aus benfelben nichts bei, was
aud) nur entfernt bie Gontroperfe zur Entſcheidung führen
Könnte. Nur aus ber Diöcefe Münfter werden Notizen
beigebracht S. 35 u. 36, welde für bie Anſicht zu ſprechen
feinen, daß die Pfarrer an den im S. 1771 abbeftellten
Beiertagen pro populo zu appliciren hätten. Allein wenn
man bie Sache genauer arfiebt, laͤßt fid auf bie für bie
Diöcefe Münfter im 3. 1844 und am 23. Jan. unb 25.
Septbr. 1846 zu Rom gegebenen Entfcheidungen ein Bes
weis für jene Anfiht nit gründen. Es wird allerdings
in einer Entſcheidung geftattet, daß des Biſchof Armere
Pfarrer von ber bewußten Verpflihtung an den aufge
hobenen Feiertagen bifpenfiren tónne, und in einer arbern,
daß ber Biſchof vier Tage beftimme, an benen die Pfarrer
Verpflichtung ber Pfarrer sc. 323
flat aller abgeſchafften Feiertage applicirten, ober daß er
fie nach Umftänden auch ganz difpenfire. Hieraus erhellt,
daß man in Rom eine Applicationspflicht anerfennt, ba
man entweder eine Difpens oder Gompenfation verlangt;
allein- e& ift. wohl au beachten, einmal bag in Münfter
die Feiertage nicht von Papft Clemens fonbern fdon am
3. März 1770 vom Bilhofe Graf Marimilian v. Königs-
egg-Rottenfels aufgehoben wurden 1), ferner daß berfelbe
Biſchof nad) Aufhebung der Feiertage im S. 1771 am
14. October eine beftimmte Vorſchrift gab, daß bie
Pfarrer an den von ibm abgefdafften Beiertagen
(quum gravissimis permoti rationibus diminuendum in
dioecesi nostra dierum festorum numerum censuimus)
jur Application für bie Gemeinde verpflichtet feien, enblid)
dag Münfter ju den Diöcefen gehört, wo aud bie Res
duction vom 9. Apr. 1802 ihre Anwendung fand. Die
Didcefe Münfter verhäft fih alfo zu der Aufhebung der
Feiertage ganz anders, als diejenigen Diöcefen, welde
ehedem zu den oͤſtreichiſchen Landen gehörten, und wo bie
Beiertage von Elemens XIV. in aller &orm Rechtens aufs
gehoben wurben, umb als jene Diöcefen Deutſchlands,
welche gleich ben ebengenannten nadjeinanber eine Reduction
der Feiertage burd) Clemens erlitten. Die SBeftimmungen,
welche für Münfter gegeben find, können daher nicht ohne
Weiteres als normgebend für bie lehtgenannten Dioͤceſen
betrachtet werden.
Wir haben fobann zweitens gegen bie Beweis—
führung Heuſers nod) weitere Bedenken, bie fld) uns aus
der Gadje felbft erhoben. Als das Sribentimum für bie
1) Heufer widerfpricht fid) offenbar über biefen Punct in ben Anm.
€. 25 u. 26.
Test. Duartalfigrift. 1958. IL. Heft. 22
324 Verhoeven · Heuſer
Seelſorgsgeiſtlichen die Verpflichtung ausſprach, daß
fuͤr ihre Schaafe das Opfer darbringen ſollten, hat
keine Tage beſtimmt; dieſes bat erſt bie Kirche getha
und fonnte es thun. Dan kann auch ohne Wiberre
zugeben, daß εὖ ber ausdrückliche Wille der Kirche wi
es follten die Pfarrer an allen Sonn» unb δείετίαρ
für ihre Gemeinde appliciren. Run aber ift befannt, x
febr fid) die Feiertage häuften '), und εὖ fonnte we
nidt im Sinne der Kirche liegen, daß jene Berpflichtu
auf alle etwa zufällig auffommenben Feiertage fij) αἵ
dehne, fondern nur auf diejenigen, welche de praeceq
find. Als folde find aber nur diejenigen anzufehen, wel
Urban VIIL als „dies pro festis ex. praecepto colendc
erflärte. Wie aber Papft Urban aus ber Menge !
Feiertage eine beftimmte Anzahl herausgrifj, unb fte «
für die ganze Kirche giltige Feiertage erflärte, fo fom
aud) ein Nachfolger jene von Urban feftgefebte Zahl |
Feiertage rechtslraͤftig herabfegen, unb eine Πείπετε 8.
als ex praecepto ju feiernde anorbnen, wie εὖ Gleme
XIV. wirklich gethan hat. Und wie bie Pfarrer an t
von Urban bezeichneten Feiertagen, fo lange fie in |
Kirche als fórmlid) autorifirte anzufehen waren, für |
Gemeinde zu appliciten verpflichtet waren, fo blieb bi
Berpflihtung fpäter aud) nur nod) für diejenigen δείετία
fteben , welde mit lirchlicher Auctorität aufrecht erhalt
wurden, während fie für diejenigen auffórte, welche ı
firdjlidjer Auctorität befeitigt wurden. Wir glauben bie
behaupten zu fónnen, wenn gleid) unbefizeitbar. (efft
daß an den burd) das päpftliche Indult vom 9. Apr. 18
1) Man leſe die Schrift Gerberts „de festorum dierum nume
minnendo*, und Sóenebicté XIV. über denfelben Gegenftanb.
Verpflichtung der Pfarrer x. 825
abbeftelften und verlegten Beiertagen bie Application für
die Gemeinde gefordert wird, denn bie letztere Reduction
der Feiertage bis auf vier ift nur aus Indulgenz geſchehen,
um ber Wiederbelebung des hriftlihen Kultus nicht etwa
ein Hinderniß in den Weg zu legen, während bie Reduction
‚von Elemens XIV. als eine felbft von ber Kirche nicht
bloß vorübergehende, fondern überhaupt nothwendige er»
achtet und als foldje vollgiltig vollzogen wurbe.
Da εὖ aud) als Vorfhrift der Kirche zu betrachten
ift, daß bie fraglide Verpflichtung für die Pfarrer nur
an ben ex praeceplo zu feiernden Wefttagen vorhanden
fei 5, fo hätte ausbrüdlich hervorgehoben werben follen,
daß troß ber Befeitigung einiger Beiertage jene Ber»
pflihtung in ber gleichen Ausdehnung auch für bie bes
feitigten Feiertage fortbeftehe. Das ift aber dortmals
nicht geſchehen unb ift wenigftens bezüglich ber von Clemens
XIV. aufgehobenen δείετίαρε bis jegt nicht mit Beftimmtheit
geſchehen. Die Pfarrer (deinen daher in ihrem Rechte
du fein, wenn fe an ben im S. 1771 abbeftellten Feier⸗
tagen bie Application pro populo nicht mehr als eine
ihnen pflihtmäßig obliegende anfehen, wie denn aud) fein
Biſchof je nachher biefe Verpflichtung infinuirte. Damit
foll aber nicht gefagt fein, daß, wenn je bie Verpflichtung
fortbeftanden haben follte, biefelbe durch bie faft hundert»
jährige Unterlaffung per ‚consuetudinem tedjtéfráftig er»
loſchen fei, wie einige behaupten wollen, ba wohl einer
folgen Verpflichtung gegenüber eine Verjährung burd)
Gewohnheit nicht Platz greifen kann.
Man fann aber fiherlid in unferer Gontroverfe aud)
1) CL. Bulle Benedicto XIV. v. 3..1744. Quum semper. $. 5.
22*
326 ¶Verhoeven » Heufer
darauf aufmerffam machen, baf bie Pflicht des Pfarrers
ür feine Gemeinde bie Meſſe zu applieiren in einer Eorres
pondenz ftebt mit ber Pfliht der Gläubigen, bie Mefie
u befuhen. Hört nun bie leßtere rechtmaͤßig auf, fo if
vie Vermuthung dafür, baf aud) bie erfte aufgehört Habe,
venn nicht ber audbrüdlid)e Wille ber Kirche anders be:
timmt. Daß ein foldhes correlatived Verhaͤltniß απ’
jenommen werden bürfe, geht aus ber Bulle Benebicte
XIV. Quum semper v. S. 1744 $. 7. hervor. Diefe
Bapft hatte nämlich geftattet, daß bie Gläubigen an einigen
Feiertagen, bie fpäter von Clemens XIV. vollfünbig ab.
jeſchafft wurden, arbeiten dürften, aber guerft eine Meſſe
vefuchen müßten, unb hier begründet er bie Verpflichtung
ver Pfarrer, die Mefle für das Volk zu appliciren, aus
γεν Verpflichtung der Gläubigen fie zu befuchen: Nos, fag!
t, ut obortae jam dubitationes circa onus applicationis
nissae parochialis in hujusmodi diebus festis penitus eli-
ninentur, statuimus et declaramus, quod etiam iisdem
eslis diebus, quibus populus missae interesse debet et
'rvilibus operibus vacare polest, omnes animarum curam
ferentes missam pro populo celebrare et applicare tene-
mtur. Diefelbe Anſicht theilt aud) iguori, indem er fij
wif bie ebenangeführte Stelle SBenebicté beruft und fagt:
cum hae obligationes sint correlativae, in quibus enim
iebus tenetur populus audire missam, tenetur parochus
lam celebrare ').“ Es daͤucht uns daher, εὖ hätte bei
fuffebung ber Verpflichtung des Volkes zur Anhörung
et hl. Meſſe an getoiffen Tagen auebrüdlid) hervorgehoben
verden follen, daß bie entfpredhende Berpflihtung ber
1) Theol. Moral. lib. VL tract. III. nr. 314.
Verpflichtung ber Pfarrer sc. 327
Pfarrer zu appliciren nicht aufhöre. Denn daß die Kirche
diefe Beftimmung geben fónne, bezweifeln wir nicht, das
aber, daß fie diefelbe wirklich gegeben habe, und baf fle
ſchon bei der erfimaligen Aufhebung einer Zahl von Feier⸗
tagen in ihrer Intention gelegen habe.
Wir haben enblid) drittens gegen bie Beweis—
führung Heuſers noch Bedenken, bie fih auf Theologen
von anerfanntem Anfehen fügen. Unter den ältern ers
wähnen wir ben vorhin genannten iguori, ber lib. VI.
tract. II. nr. 324 fg. von ber Verpflichtung des Piarrers
zur Mefapplication handelt. Unter Bezugnahme auf bie
mehrerwähnte Bulle Benedicts XIV. „Quum semper* et»
Hört er fid) dahin, daß ber Piarrer an Eonn- und ger
botenen #efltagen (festis diebus de praecepto) für bie
Gemeinde zu appliciren unter allen Umftänden verbunten
fel, ob er wenig ober viel Einfommen beziehe. Hält man
diefes zufammen mit bem, was er L c. nr. 314 über die
Verpflihtung der Pfarrer zum Celebriren überhaupt fagt:
„communiter et verius dicunt alii teneri (sc. parochum)
ad celebrandum tantum diebus festis, in quibus tenentur
parochiani missam audire*, fo macht man gewiß mit Recht
den Schluß, es liege ganz im Sinne Liguori's, daß, wenn
die Glaͤubigen durch die rechtmaͤßige kirchliche Auctorität
von der Pflicht entbunden ſind, an fruͤher beſtimmten
Tagen die Meſſe zu hoͤren, ebendamit auch der Pfarrer
entbunden fei, für feine Gemeinde zu appliciren. Dieſen
Schluß hat freilich Liguori nicht ſelbſt gemacht, da er
noch keinen Bezug auf abbeſtellte Feiertage nimmt, aber
er liegt in Folge der Prämiffen, wie fie ſich in feiner
Moral finden,.auf ber Hand.
Gouffet, Erzbiſchof und Garbinal von Rheims, ben
328 DVerhoeven » Heufer
gewiß Niemand eines zu großen Laxismus befdufbiget
wird, fennt eine Verpflihtung des Pfarrers zur Meß
application für bie Gemeinbe nur an den Sonn» umi
gebotenen Feiertagen (tous les dimanches et fétes di
commandement), obgleich zur Zeit der Herausgabe feine
Moral bie von Verhoeven und Heufer benügten Entſchei
dungen von Rom [don befannt waren. „Durch gótt
idee Recht, fagt er weiter über biefen Grgenfland !)
find die Bifhöfe, Pfarrer ac. verpflichtet, von Zeit zu Zei
für diejenigen Seelen, welche ihrer Obhut anvertraut find
bie hi. Meſſe zu arplieiren Ctrident. sess. XXII. cap. 1
de ref); vermöge firhlihen Rechts aber find fi
diefes zu thun verpflichtet an den Conn» und gebotener
Beiertagen felbft in dem Balle, wenn ihre Einfünfte zum
Unterhalte nicht hinreihen follten. Nur fann im lepterr
falle der Biſchof erlauben, baf der Pfarrer die Application
wenn er auf den Eonntag ein Etipendium hat, auf einen
andern Tag verfdjiebe. Gouffet glaubt fogar, der Bilde!
fönne einen armen Pfarrer auf eine gemife Zeit gan;
bifpenfiten. —
Wenn nun nad) angefehenen Moraliften bie Verpflich—
tung ber Pfarrer zur MeBapplication pro populo nur an
ben Conn» und denjenigen Beiertagen befteht, bie de
praecepto zu feiern find, und Papft Glemené XIV. ex
spostolica aucloritate beftimmte, daß nur bie Feiertage
de praecepto zu feiern fein follen, welde wir jegt nod)
in Deutſchland zu feiern pflegen, fo find gewiß Bedenfen
gegen eine weiter auszubehnende Verpflichtung gerecht»
fertigt.
1) Theologie morale etc. par Gousset. Tom. IL p. 125.
Verpflichtung der Pfarrer γε. 329
' Bir glaubten feinen Anſtand nehmen zu dürfen, bie
Bedenken, wie fie fid) uns bei Durchleſung des beſproche⸗
nen Schriftchens aufbrängten, auéjufpreben, ohne daß
wir darauf Anſpruch madıen wollten, die Unrichtigfeit der
dort aufgeftellten Anficht bewiefen zu haben. Wir glauben
überhaupt, daß fid biefe Gontroverfe auf dem bloßen Ge⸗
biete der Wiffenfhaft bis zur vollen Evidenz ſchwer heben
laffen wird. uf der andern Eeite fann nidt entgehen,
daß eine Gontroverfe in einem Gegenftanbe, ber von fo
großer practifdjer Bedeutung if, und das Gewiſſen des
größten Theils des Seelforgelerus unmittelbar berührt,
je länger fie dauert um fo bedenflicher werden muß. Der
einfachfte und fiherftie Weg zur Hebung derfelben dürfte
wohl ber fein, wenn bie deutſchen Biſchoͤfe, ſoweit ihre
Diöcefen nur von der Feiertagsreduction Clemens des XIV.
betroffen. wurden, entweder insgefammt oder nad) Rändern,
begiehungsweife Provinzen abgetheilt, eine Deftimmte
Erflärung der Congregatio interpr. concil. trid. oder ber
C.ngregatio sacr. rituum über biefen Punct veranlaßten,
und in Folge beffen ihrem Seelforgselerus flat [autenbe
Vorſchriften gäben. —
Bendel, Gonbictóbirector k.
* Nachtrag. Inzwiſchen ift ein Graf. des Bifchöfl.
Drbinariats in Rottenburg erſchienen, worin tie gefammte
Piarrgeiſtlichkeit zur gewiflenhaften Beantwortung folgens
der Fragen aufgefordert wird: 1) Haben bie Piarrgeifte
lijen an ben abgewürdigten Beiertagen das heilige Meß⸗
epfer pro populo applicitt? —
2) IR, fo lange und fo oft eine bießfällige Unter»
lafung fast fatte, biefelbe in bem guten Glauben, ald
330 Verhoefen⸗Heuſer, Verpflichtung der Pfarrer sc.
wäre mit der Verbindlichkeit des Volles zur Anhörung ber
heit. Meſſe aud) die Verbindlichkeit der Pfarrer zur Apr
plication aufgehoben, geſchehen? — Diefe Bragen werben,
wie in bemfelben Exlaffe angebeutet ift, mur deßwegen
geftellt, um biefe practifch fo wichtige Angelegenheit burd)
die hoͤchſte kirchliche Auctorität normiren zu laffen, eine
Abſicht, bie gewiß von jedem gewiflenhaften Geiſtlichen
gebilligt werben wird. Indeſſen dürfte bie hoͤchſte Cnt»
ſcheidung in biefer Angelegenheit zum Voraus ziemlich
fiyer fein, denn c8 fommt ung eben ein Decret der Congreg.
interpr. concil. trid. in dem Salzburger Kirchenblatt Ar. 4
1853 zu Gefihte, worin die angeregte rage für bie
Diöcefe Olmüg entídieben wird. Wir glauben diefes
Derret um fo mehr wörtlich beifegen zu follen, als unfere
in obiger Anzeige aufgeftellte und vertfeibigte Anſicht darin
vollftánbig beftátigt wird, und baffelbe geeignet ift, mande
beunruhigten Gemiffen zu beruhigen, weil dasjenige, was
für die Diöcefe Olmüg Hinfichtlich der durch Clemens XIV.
abbeftellten Feiertage gilt, aud) als für bie andern deut⸗
ſchen Diöcefen giltig angefehen werden fann. Diefes
Decret lautet: Perillustris ac reverendissime Domine uti
frater. — Relatio sanctissimo Domino nostro per infra-
scriptum secretarium S. Congregationis Concilii adjunctis
precibus datis nomine Amplitudinis tuae, Sanctissimus
mandavit praesentem ad Amplitudinem tuam scribendam
esse eum in finem, ut Eidem nolificetur non teneri pa-
rochos ad applicationem missae pro populo enuntiatis
diebus festis, quibus permissum fuit eidem populo vacare
operibus servilibus et sublata fuit obligatio missam
audiendi, cum non comprehendantur in declarationibus
facis a summis pontificibus Pio VI et Pio VII quoad festos
Müller, Jahrbuch ber kathol. Kirche, 331
dies ab iisdem derogatos. Haec sanctitatis Suae mandata
dum per praesentes exequimur, eidem Amplitudini tuae
fausta omnia precamur a Domino. Amplitudinis tuae,
vti frater stud.
Romse, 28. September 1852.
C. Card. Patricius.
A. Quaglia, Secretarius.
3.
Jahrbuch der römifch-katholifchen Kirche, Herausgegeben
von Iofeph Heinrich Müller. Zweite Ausgabe. Berlin
1852, Verlag von Th, Grieben. 8. 314 ©. Pr. 36 ἔτ,
Ein Jahrbuch der römifch-Fatholifchen Kirche, in feinen
Angaben verläjfig, in den ſtatiſtiſchen Notigen richtig, in
den hiſtoriſchen Aufzeihnungen genau und bündig, in ben
Ueberfihten Mar, ἐξ gewiß eine willfommene Grídeinung
für alle Freunde der Gefdjid)te und eine Bundgrube von
Daten, tamen. und Thatfahen für fpätere Zeiten. Allein
jum Voraus leuchtet ein, daß ein foldes Unternehmen
eine Kenntniß von ben Einzelnheiten des perfönlichen und
ſaktiſchen Beftandes in der ganzen Fatholifhen Welt vor»
ausfeßt, wie fie von einem Privatmann faum erwartet
werden kann. Wenn daher das vorliegende Yuch, welches
als erfter Verſuch diefer Art auftritt, viel Unvollftändiges
enthält, fo liegt bie in der Natur der Sache und darf
man eó ben guten Willen des Verf. nicht entgelten laſſen,
im Gegenteil man wird das Sud) als eine erfreuliche
332 SRüfler,
Grídeinung begrüßen bütfen, wie e& im benn zur Gav
pfehlung gereidjt und als ein Seugni für das vorhans
- bene Bebürfnig angefehen werden muß, daß bereits bit
2te Ausgabe veranftaltet wurde.
Betrachten τοῖς näher, was und ber Verf. dargebo⸗
ten hat.
Suerft fommt das Fatholifhe Kirhenjahr mit
feinen Feſten und Heiligentagen, mit einer Tafel für die
beweglichen Befte bi zum Sabr 1883. Die Aufzählung
der auf bie einzelnen Monatstage vertheilten Heiligen,
bei denen jedesmal ihr Eterbetag, was wir billigen, ans
gegeben ift, wie aud, in welden Etädten fle als Patrone
verehrt werben, geht bis (5. 30 und fönnte für bie Zur
Tunft in biefer Ausdehnung wegbleiben ober in eine flereos
type tabellarifche Form gebradjt werben, wogegen natuͤrlich
neu erigirte Gefttage von Heiligen befonbere Erwähnung
im Jahrbuch zu finden haben.
Das Gleife gilt von den Epifteln und Evan
gelien auf die Conn» und efttage, welde bis G. 39
zeihen. Nun folgt: ber heilige Vater und bie
Eardinäle Die Namen und Daten der Geburt, bet
Titel und Würden und ber Ernennung find angegeben.
Es find 6 Cardinalbiſchoͤfe, 47 Garbinalpricftet, 11 Gars
dinaldiafonen, zufammen —:- 64 aufgezählt. (Der Ber
fand hat fi) feither wieder verändert). Zur Bequemliche
keit des Leſers dürfte εὖ gereichen (und biefe ift bei ſolchen
Büchern ganz befonders hoch anzufhlagen), bie Zahl ber
Garbináfe αἰεἰῷ zum Voraus in Ziffern anzugeben, wie
aud) das Alter des Papftes unb ber übrigen hohen Wuͤr⸗
denträger ber Kirche. Die Lefer wollen nicht lange rechnen
und zufammenzählen, fondern nachſchlagen und fehen:
Jahrbuch ber kathol. Kirche. 333
dieſer oder jener SBifibof ift fo unt fo aft. ' Nun werben
die höheren Beamten des päpfllihen Staates und Hofes
aufgezählt, der Minifterraty, Staatsrath, Penitenzieria
apostolica (unvollfändig), apoftolifhe Kanzlei, Dateria
apostolica, Sacra Rota romana (unvolftändig), apoſtoliſche
Kammer, Hausprälaten. Die SBefegung der gegatens unb
Delegatenftellen war αἵδ᾽ jur rein politifchen Eintheilung
des Kirchenftantes gehörig nicht gerade notbmenbig. Der
Kirhenftaat umfaßt 748 DM. mit 2,900,000 Einwohnern
(ungeredbmet ungefähr 10,000 Juden). SBapft Pius IX.
if 61 Jahre alt, ber gegenwärtige Proftantsfecretär ift
der Carbinalbiafon Giacomo Antonelli, 47 Jahr alt.
€. 53—57 if das diplomatifhe Corps zu
Rom und bie Confuln verzeichnet. Hieran hätte fi) natur
gemäß gereiht oder nod) beffer hätte ihm vorangehen koͤn⸗
nen bie Aufzählung ber päpftliben Nuntiaturen in
andern Ländern, welde im Buch bei den einzelnen Ländern
nad den geiftlihen Würdenträgern zerſtreut ſtehen. G6
wäre nicht blog bie Ueberſicht erleichtert worden, fondern
aud mehr in die Augen gefprungen, bei welden Staaten
der päpftlihe Stuhl nicht vertreten ift.
Run folgen die fatfoliíden Stegenten und Präfis
benten (gehört hieher nicht aud ber Kaifer δαμβίπ 1.
von Hayti Y), und andere Fatholifhe Fuͤrſten, Herzoge
unb ebenbürtige Grafen (jebod auf Deutſchland ber
féránft). ©. 72 eine „Zufammenftellung derjenigen Mit
glieder vormals reihsftändifher Familien, welche feit bem
Ende des 16ten Jahrhunderts zur Fatholifhen Kirche qu»
tüdgefebrt find.” Es find deren 80 aufgeführt von 1516
bis 1825. Der regierende Herzog Friedrich Ferdinand von
Anhalt⸗Koͤthen ift als der legte genannt. Dieſes Vers
334 Müller,
zeichniß befchränkt fij gleichfalls auf deutſche Haufe
Wir entnehmen daraus, daß Gonverfionen flattgefunde
haben vom Haufe Baden 5, Naffau 3, Sachſen 11, Bran
benburg 1, Anhalt 2, Hefien 8, Braunſchweig 2, Holftein €
Würtemberg 3, Meklenburg 2, Pfalz 7. Diefes Verjzeichni
mwünfchten wir fortgefegt und ausgedehnt auf auferbeut[d
Fürftenhäufer, aber aud) auf andere durch Stellung un
Gelehrſamkeit hervorragende Perfonen, befonberé neuer
Zeit.
Einen wichtigen unb danfenswerthen SBeftanbtbeil de
Jahrbuchs macht bie Perſonalſtatiſtik ber fatbol
fhen Kirche in Preußen, wie aud) ber Etat für be
katholiſchen Eultus in Preußen auf das Jahr 1852. Prer
fen zählt unter 16,346,625 Einwohnern 6,046,292 Kath
Iifen in 2 Erzbisthümern und 6 Bisthümern. Die fta
lichen Rechte wahren 4 Perfonen, der Eultminifter (gegenn
v. Raumer) und bie Abtheilung für bie kathol. Kirchen
angelegenheiten unter Direktion des Geb. Ober-Reg.-Ratt
Aulife der vortragende Rath Dr. Brüggemann und al
Hilfsarbeiter ber Geb. Juſtizrath von Gllerté. Hierau
Taffen fid) praftifche Folgerungen ziehen für andere Länder
Wir finden nun nicht blos bie namentliche Anführung de
Biſchoͤfe, Prälaten und Domherrn, fondern aud) bie De
fanate unb die Namen ber Defane verzeichnet. Lehtere
ſcheint uns in einem Jahrbuch ber roͤmiſch-katholiſche
Kirche überflüffig und dürfte die Angabe ber Defanat
und Archipresbyterate genügen.
Sodann ift zu tadeln, daß bei ben Bifchöfen Preußens
wo bod) die Quellen für ben Verf. am ergiebigften flofen
nicht bie Daten ihrer Geburt und Ernennung nebft Furzem
Sebenéabri angegeben find. Da bie Biſchoͤfe hiſtoriſch
^ — Jahrbuch ber fato, Kirche. - $35
Perſonen find, fo follte bie in einem ſolchen Jahrbuch
nicht fehlen. Belehrend für unfere Verhaͤltniſſe ift bie
Drganifation der preufifdjen Orbinariate. Jedesmal find
angegeben bie Mitglieder 1) des Domkapitels mit Doms
propft unb Sombefan, 2) des Bifhöfl. Generalvifariats
unb Offizialats, 3) des Biſchoͤfl. geiftlihen Gerichts in
3 Inftangen, wobei aud) ein weltliher Syndikus ober
Juſtitiar aufgeführt if. Unter ben Diöcefaninftituten
findet fid) nebft bem Priefterfeminar aud) ein domus Eme-
ritorum unb domus Demeritorum, welche jedoch theilweife
„ihre Ginridtung erwarten“, wofür aber im Etat nam»
bafte Summen auégefegt find. Aus bem Etat ergiebt
fi, daß bie Ausfattung der Bisthümer unb bet bazu
gehörigen Inſtitute beträgt
für das Bisthum Ermland zu ᾿
Srouenbutg . . . . 42,789 Sfr. 16 Sgr. 6 Pf.
» » m Gulm ju Belplin 43,761 „ 27 , 4,
» « Crubietum Onefen
unb Son. . . . 82576 , 19 ,
» »ν Bisthum Münfter — 56415 , — ,
"Em " Paderborn 47,639 , 6 ,
„„Erzbisthum &óln — 87841 „
» Bisthum Trier . 54535 „
Zuffe für Geiſtliche und
Kihen ..... 974345 u — , — u
Zur Bortfegung des Doms
baus in Köln . . . 5000 ,— un — u
"u δε Reubaues
einer zweiten fath. Kirche
in Bein ....100 n — ,— ,
Zur Errichtung einer Emeris
"|[oc-.
203 o5 xo
336 Miller,
tenanftalt im Kloſter Bin»
nenberg für das Bisthum
Münfer.. . . . . 10,000 Thle. — €gr.— 9
Demeritenhaus für das Erz⸗
bisthum Köln im Kloſter
Marienthal . . .. 7000, — ,—,
Demeritenhaus für Trier 9,00 , — u —
Jeder Biſchof hat 8000 Thlr. jährliches Einfomme
bie 2 Erzbifhöfe von Köln und SBofen und der Füuͤrſtbiſch
von Breslau je 12,000 Str. .
Die hohenzollern'ſchen Pürftenthümer find im obig
Zufammenftellung nidjt berüdfichtigt und ift ihre τώ!
Statiſtik febr mangelhaft aufgeführt, da blos ber Det
Emele zu Sraudjenmieó genannt ift.
So ausfuͤhrlich die Mittheilung über ben Beftand d
fatholifhen Kirche in Preußen ift, fo dürftig find a
übrigen Länder ber Chriftenheit davon gefommen. (
find blog bie Namen ber Biſchöfe angeführt, von Nor
amerifa b[o8 6, während bie Zahl ber Bisthümer 40 übe
fliegen hat. (€. 260 u. ff. gibt ber: Verf. eine fpezielle
Schilderung der fatf. Kirche in Nordamerifa, an wel
fib eine Charakteriſtik der verſchiedenen hauptfächlichft
Selten bafelbft anfnüpft. . Was Defterreid) betrifft,
bringt der Verf. für diesmal nachträͤglich S. 234 ff. t
Perfonalftatiftif ber Erzdiöcefe Wien nebft einem Be
zeichniß der Klöfter in ihr, unb verfpricht weitere Mi
theilungen für. fpäter.)
Die Statiftif ber Fath, δ τῷ ε im Allgeme
nen (6. 160—172) gibt zuerft eine Ueberſicht ber fat
Miſſionsthaͤtigkeit. Auch hierin ift für nachfolgende Banl
reicher Stoff übrig. Es ift z. B. des äfterreichifchen Le:
Jahrbuch der kathol. Kirche. BT:
poldinenvereins nicht erwähnt, aud) bag in Bayern ein
befonberer Verein, ber Rudwigsverein, für bie auswärs
tigen Mifftonen befteht, bem fid) aud) bie Diöcefe Rotten⸗
burg angefchloffen hat. Auch ber Verein von ber Kinds
heit Sefu, wie aud) ber Bonifaciusverein für Deutſch⸗
land follte nothwenbig fpäter eine Erwähnung finden, wie
aud) bie verfdjiebenen veligiöfen Gongregationen, bie fid
befonder8 bem Miffionswerf unter ben Heiden widmen,
und bie Propaganda in Rom als oberſtes leitendes Organ
der Kirche. Die weitern Nachrichten über bie Zahl ber
latholiſchen Einwohner in ben verfchiedenen Ländern, ven
Beftand der Geiftlichkeit, der Klöfter, Pfarreien, aud) der
lirchlichen Ginfünfte bieten manches Sntereffante bat, aber
fie ermangeln vielfach der erwünfchten Grünblidfeit.
Nehmen wir 2, B. Franfreih (S. 16%. Da heißt
t6, e$ habe 33,600,000 Katholifen. Beftand ber Geiſt⸗
lichkeit 40,240 Perfonen. „In mehr als 4000 Klöftern
lóten 1847 24,000 Kloftergeiftlidhe, wovon inbef
etwa drei Viertheile weiblihen Geſchlecht s fif bem
Kranfendienft unb ber Erziehung gemibmet haben.“ Da
war bie Beber denn bod) zu flüchtig! Bei der Zahl ber
Kirchen und Kapellen ift bud) einen Drudfehler eine Null
viel: 51,3000 ftatt 51,300.
Bei England ift die neue Diöcefaneintheilung mod)
wit berüdfichtigt, obgleih Hr. Wifemann vornen ſchon
als Erzbiſchof von Weftminfter unter den Kardinälen fommt.
Die Zahl der Katholifen in Großbritannien ift nod) bie
von 1844, während gewiß neuere Quellen zu Gebot ſtehen.
G6enfo bei Defterreih, wo auf das Jahr 1842 zurüds
gegriffen ift.
Die Zahl der ftloftergeiftiden in Preußen wird auf
.
988 ΄ Miller,
2000, die der Nonnen auf 1000 gefhägt. Da der Verf.
die ‚Perfonalftatiftit von Preußen fo fpeziell behandelte,
marum Dat er nicht aud) bie Ordensgefellfchaften und ihren
Beftand fpeziell erwähnt? Wir möchten die Richtigfeit
biefer Ziffern bezweifeln.
Das katholiſche Belgien, das fo reichen Stoff für ein
Sabrbud) ber Fatholifhen Kirche liefert, ift faft gar nid
berüdfichtigt.
Bon €. 173—197 gibt der Verf. eine „hronologifd
Ueberfiht der Geſchichte von Religion und Kirche in Frank—
reich während des Schredensjahres ber Revolution vom
Juli 1793 — Juli 1794" ig orm eines Diariums; unt
von G. 198— 233 bie „Chronologie der Päpfte, bis au
Honorius IIL" (1216). Diefe Einrichtung ift lobenswertt
und zwedmäßig. Wir finden naͤmlich bie Jahrzahl ber Gr.
Bebung eines jeben Papftes auf ben bL. Stuhl, Namen
Heimath, bei ben fpätern bie familie und einige biogr
Daten, Todesjahr unb Tag. Unter jedem Papft ftefer
die während feines Pontififats ftattgehabten wichtiger
kirchlichen Exeigniffe mit Angabe der Jahreszahlen.
Hierauf folgt eine Ueberficht der „Fatholifchstheologi
fen Lehranftalten in Deutfchland“, ein dürres Verzeichnif
von tamen. Hier wäre wieder ein weites Feld für ber
Ehroniften; er koͤnnte Notizen bringen über bie alten Fath
Univerfitäten, über bie bermalige Stellung der katholiſcher
Bafultäten unb theologifchen Lehranftalten; nähere Daten
über bie Profefforen, Geburt, Anflellung unb befonderd
aud) die Fächer, welche fie vortragen. Warum find einige
Bayern und Deftreicher als Dr. bezeichnet, alle übrigen
aber, bie Doktoren find, nicht? Bei Hildesheim if
die katholiſch⸗ theologiſche Lehranftalt gar nicht erwähnt,
*
Jahrb uch der kathol. Kirche. 889
aud bie in Mainz fommt nicht vor; bei vielen öfters
teichiſchen und bayerifchen theologifchen Rehranftalten ifi
mrt ber Rektor angeführt. Diefe Partie läßt alfo Vieles
m wuͤnſchen übrig.
Die Nachrichten über bie katholiſche Kirche in Nord⸗
amerifa unb über bie verfhiedenen Sekten daſelbſt haben
τοῖς (djon erwähnt. Solche Mittheilungen find willfommen.
Zum Schluß verzeichnet der Verf. die kath. Literatur
Deutſchlands und Frankreichs im Jahre 1851; die frans
zͤſiſche Literatur befchränkt fid) aber auf bie Haupterſchei⸗
nungen ber [eten Monate. J
Rachdem wir den Inhalt des Jahrbuches durchge⸗
gangen, haben wir noch einige allgemeine Bemerkungen
wu maden.
Wir vermiffen bei bem Jahrbuche einen befimmten
m Grund liegenden Plan; der Verf. hat fid in feinem
Borwort darüber ausgefprohen und aus dem Bud) felbft
if er nicht zu erfennen. Ein Jahrbuch) der roͤmiſch⸗katho⸗
liſchen Kirche follte fid) aber nothwendig einen feften Plan
dorzeichnen, und große Klarheit und Ueberfichtlichkeit an»
freben, weil fonft das große Gebiet nicht zu überfchauen ift.
Bor Allem follte unfrer Anfiht nad) die Jahrzahl,
für welche das Jahrbuch gefchrieben ift, durchweg als ber
terminus a quo feftgehalten fein, der Titel follte das (don
ausbrüden; Jahrbuch ber r. f. Kirche für das Jahr 185.
uf. w. Sonſt fat man feinen Anhaltspunft; ein Jahr⸗
buch, das Dezennien umfaßt, ift Fein Jahrbuch. Sodann
if Vieles in ber kathol. Kirche ftabil, was nicht jebes
Jahr παῷ feiner ganzen Ausdehnung wieder gebracht
werden kann. Das follte tabellarifitt, und nur bie ein»
gelretenen Veränderungen follten im Gontert befonderd
Siesl. Ouartalſariſt. 1858. 11. Seft- 23
340 Müller, Jahrbuch ber kathol. Kirche,
bemerkt werben, ober e8 fann auf den früheren Jahrgang
sertoiejen werben, wenn feine Veränderung eintrat.
Es ift nicht móglid, von allen Ländern in jeden
Jahrgang alle einfdjágige kirchlich- fatiftifche Notizen zu
liefern; dagegen ift e8 nicht zu tadeln, wenn biefelben
1adeinanber fpeziell aufgeführt werden. So fónnt
|. 9. zunaͤchſt Defterreich, Bayern, bie oberrheiniſche Kit
henprovinz jur Darftellung kommen, worauf in ben fpäter
Jahrgängen nur bie Veränderungen nadjgutragen wären
Diefe Darftellungen follten aber bann genau und um
faffenb fein. .
Bei einem kirchlichen Jahrbuch dürfte bann ftatt b:
Raatlihen Eintheilung beffer die Firhliche Eintheilun
bet Welt zu Grund gelegt werben und bie ftaatliche neben
her laufen, denn die Kirche fennt feine Landesgrenzen.
Auf das Drdenswefen dürfte größere Rüdfid
genommen werden, umb bie einzelnen Orden. mit ihre
Beneralen, ihren Provinzen, bem Beftand ihrer Klöfte
nacheinander jur Darftellung kommen.
Dann wären die kirchlichen wichtigen Ereigniffe be
Jahrgangs aufzuzeichnen, unb an bief ετῇ andere hiſtoriſch
Üeberfidjten und Zufammenftelungen zu reihen.
Wir verfennen bie Schwierigfeiten, bie zu übertoinbe
inb, allerdings nicht, ſprechen all bie aud) nidjt als Sabe
jegen den. Verf. aus, fondern möchten mur durch bief
Bemerfungen etwas dazu beitragen, das aud) (don ü
einer gegenwärtigen Geſtalt viel Brauchbares und Be
ehrendes enthaltende Buch für bie Fünftigen Iahrgäng
no braudjbarer und bedeutender zu machen.
Eduard Vogt,
Stabtpfarrer zu Ludwigsburg
Netrolog.
Profeflor Dr. von Drey wurde zu Killingen, einem
dilialorte der Pfarrei Röhlingen bei Ellwangen am 16. Det.
1777 geboren und am folgenden Tage zur hl. Taufe ger
bracht, wo er ben Namen Johann Sebaftian erhielt,
Seine Eltern waren in hohem Grabe bürftig; fein Vater
ein Hirte. Während der Knabe die Elementarſchule in
Röhlingen befuchte, bemerkte der dortige Pfarrer, P. Martin
Siegfer, ein Grjefuite, von welchem Drey ſtets mit hoher
"tung fprad), feine hervorragenden Talente, begann ihn
in den Anfangsgründen der lateinifchen Sprache zu unters
täten, und beflimmte bie Eitern, benfelben tret ihrer
Armuth im Herbſte 1787 dem Gymnafium zu Ellwangen
iu übergeben. Der wohlthätige Sinn ber Einwohner Ell⸗
wangens machte, wie vielen andern armen Knaben und
Jünglingen, aud) bem jungen Sebaftian das Betreten der
wiſſenſchaftlichen Laufbahn möglich, zumal ihn P. Ziegler
an feine alten Freunde und Orbensbrüber in Ellwangen,
die aud) nad) Fürzlich erfolgter Aufhebung des Jefuitens
ordens nod) Profefforen am Gymnaſium geblieben, empfob»
lm und durch fie feinem &djüglinge fogenannte Kofttage‘
23 *
342 Nekrolog.
und Wochengelder verſchafft hatte. Fuͤr bie noͤthige
Schulbuͤcher aber wurde dadurch geſorgt, daß vermögli
dre Gymnafiſten höherer Klaſſen ihre entbehrlich gewor
denen Exemplare zum Gebrauche uͤberließen. Drey macht
ſolche Fortſchritte, daß er ſchon nach wenigen Jahre
anderen Schuͤlern als Privatinſtrultor dienen und fo fein
äußere Lage einigermäßen verbeffern fonnte. Unter be
Lehrgegenftänden zogen ihn jegt beſonders bie lateiniſche
Hiftorifer an, und bem Schulgange vorauseilend la6 «
fie privatim mit allem Eifer, lernte die eingefloctene
Reden, namentlid) von Livius, auswendig, und beclamir!
fe auf δεῖν und lur. Ein Marfftein oder Holafı
mußte als Rebnerbühne dienen. Etwas fpäter lernte «
aud) Horaz liebgewinnen, unb εὖ blieb biefer neben Liviu
fein Lieblingsfehriftfieller, fo daß er in fpäten Jahren no
in beiden mit Vergnügen las, ober aud) von Andern, ;.2
dem Schreiber dieſer Zeilen, fi daraus vorlefen lief. -
tad) bem Studienplane ber Jefuiten zerfiel ihre Lehranſta
in Ellwangen in bie eigentlichen Gymnaſial⸗ und die hoͤht
ven Lycealklaſſen. In den erfteren. flanb bie Philologi
in ben fegtern Phyſik und Philofophie im SBotbergrunt
des Unterrichts. Als mun Drey in biefe höhern Klaſſe
überging, wurde er auf bie Empfehlung feiner Lehre
Inftruftor in dem Haufe des fürftlich ellwangifchen Kanzler
von Baur, und that fi aud) jept wieber in feinen Stu
bien mit großer. Auszeichnung hervor. Mit ihm wei
eiferten feine theilweife gleih talentvollen Mitfcyüle
Diemer, Werfer und Weinſchenk, trog der Rivali
tät ihm innig befteunbet und fortwährend von ihm auf
richtig geliebt. Der erſtere flarh frühzeitig als JOberamb
mann in Reresheim; die beiden andern wurben SPrieftr,
Nekrolog. 343
und wie wir fehen werden, fpäter mehrere Jahre lang
Drey's Eollegen in Rottweil. Die bebeutenbften. Lehrer
aber, deren Unterricht Drey in Ellwangen genoß, waren
die drei Erjefuiten P. Reb, P. Wagner und P. Gmer;
bei dem Letztern, dem tüdtigften unter ihnen, hörte er
insbefondere Mathematif und Phyſik, und erhielt vurch
ihn eine Liebe zu dieſen Diſciplinen, welche nie mehr ver⸗
ſchwand. — Rah AOjährigem Aufenthalte in Elwangen
begab fid Drey im Herbie 1797 nad) Augsburg, um
dort unter Hohenbuͤchler, Feind! unb Stofe bie Theologie,
und unter dem damals berühmten Zallinger das Kit
chenrecht zu ſtudieren. Um fid) bie hiezu nöthigften äußern
Mittel zu verfchaffen, übernahm er zugleich die Stelle
eines Imftruftors im Haufe des Zollverwalter8 an der
Berta »Brüde, eines Stalieneró, durch beffen Umgang
er fi in der italienifchen und franzoͤſiſchen Sprache ſeht
übte. Unter feinen Mitſchuͤlern aus dieſer Zeit ſtand ihm
beonberé ber jeßige Domdefan von Saumann in Rote
tenburg febr nahe, unb beide blieben von ba an 56 Sabre
hindurch enge verbunden. Auch Drey’s freundſchaftliches
Verhaͤltniß zu dem hochw. Bifchofe Peter Mirer von
Gt. Ballen datirt fid) aus biefer Zeit. — Nach zweijäh«
tigem Aufenthalte in Wugsburg trat Drey mit Jaumann
und Andern am 4ten Rov. 1799 in das Priefterfeminar
der augéburger Diöcefe zu Pfaffenhauſen (Landgerichts
Mindelheim) ein, wo der geiftl. Rath Roͤſle damals
Regens, der fpäter berühmt gewordene augsburger Doms
befan Egger aber Stepetent war. — Schon in Augsburg,
nod mehr im Seminar begann jenes Leiden fi zu ent
wideln, weldes gerade bie beſten Mannesjahre Drey’s
vielfach tnibte — bie Oypochondrie; angeſtrengte Studien
344 : Nekrolog.
und gebrüdte finanzielle Verhaͤltniſſe ſteigerten das Uebel
ſchon im Entſtehen, und mitunter in Folge bavon zeigte
Drey bem jugendlichen Frohſinn feiner 70 Coalumnen
gegenüber bereits ein fo gefeptcó Welen, daß fie ibn
deßhalb, fowie wegen feiner großen Kenntniffe ſcherzhaft
ben „Profeſſor“ nannten. Aber aud) bie ſtaͤrkſten Leiden
fonnten fein freundliches, fanfte& und wohlwollendes Weſen
midt unterbrüden. — Im Mai 1800 drangen die Bram
gofen in Schwaben vor und ſchlugen fid bei Mindelheim
fo daß man ben Kanonendonner in Pfaffenhaufen hört
und die Seminariften entließ, ben 11. Mai 1800. Mi
mehreren Freunden flüchtete jegt Drey mitten unter ber
retirirenden Deftteihern nad) feiner Heimath, fonnte je
bod) (don im Herbfle beffelben Jahres nad) Pfaffenhaufer
zurückkehren, erhielt bald nah Neujahr 1801 die Sub
biafonató» und Diafonatsweihe burd) den emigrirten fran
söfihen Biſchof Iuigny von Paris (im Auftrage be
Biſchofs von Augsburg), übte fid) jegt praftifh im Pre
digen ſowohl zu Pfaffenhaufen fefbft als in ber Umgegend
und wurde am 30. Mai 1801 im Dome zu Augsbur;
von bem Ehurfürften von Trier, Clemens Wenceslaus
ber zugleich Bifhof von Augsburg und gefürfleter Propf
von Ellwangen (fomil Drey’s Landesherr) war, zum
Briefter geweiht. Auf feinen eigenen Wunſch und be
des ehrwuͤrdigen P. Ziegler wurde er jegt biefem αἱ
Vifar zugewiefen, feierte am 14. Juni 1801 in der Pfarr
fide au Röhlingen feine etfte DL. Meffe und verblieb vor
da beinahe 5 Jahre in dem gleichen Poſten als Seelforg:
gehülfe fowohl bei P. Ziegler als bei beffen Nachfolge
Iahann Repomuf Berlin, welcher fpüier Drey's Golleg:
als. Profeflor ber Theologie in Elwangen werben follte
Nekrolog. 345
Reben ber Geelforge zogen ben jungen Priefter beſonders
die neuen Erſcheinungen auf bem Gebiete der deutſchen
Bhilofophie an, bie Schriften von Kant, Fichte unb
Schelling, und mit ber ihm eigenen geiftigen Energie unb
Gewandtheit drang er aud) in biefes Gebiet des Wiflens
auf eine fo tüdjtige Weife ein, daß alle feine fpätern
Arbeiten, Vorträge und Schriften das Gepräge einer gründs
lichen philofophifhen Durchbildung an fid) trugen. Ein
größerer Wirfungsfreis eröffnete fid) bem ftrebenben Manne
im Sabre 1806, und die Prophezeiung feiner Goafumnen
in Pfaffenhaufen begann in Erfüllung zu geben. Mit
Werfer und Weinſchenk gemeinfam wurde er im Februar
1806 als Profeffor an die höhere Fatholifhe Lehranftalt
zu Rottweil berufen, um hier Religionsphilofophie, Mas
thematit und Phyſik zu Ichren, und bie an fij fo vete
fhiedenen Faͤcher fanden in dem reichen Geifte des jungen
Lehrers ihre fhöne und würbige Vereinigung. Von da
begann er unter anberm feine fleißigen meteorologifchen
Beobachtungen, bie er bis in bie [egten Tage feines Lebens
fortfegte und bie ifm fefbft in ſchmerzvollen Stunden ber
Krankheit eine angenehme Beſchaͤftigung gewährten. Die
andere Seite feines combinirten Lehramts aber bildete für
ihn eine tüchtige Vorbereitung für feinen künftigen höheren
Beruf ald Profeſſor ber Dogmatif, und befähigte ihn zu
jener fpefulativen Behandlung ber Theologie, woburd er
fid in Bälde fo rübmlid) hervorthat. Bei Errichtung der
Friedrichsuniverſitaͤt in Ellwangen, welche bie fatfolijde
Sandesuniverfität Württembergs fein follte, wurde Drey
im Jahre 1812 als ordentlicher SBrofeffor der Dogmatik,
Dogmengefchichte, Apologetif und theologifhen Encyklopaͤdie
m diefelbe berufen, und damit auf jenen Leuchter geſtellt,
ns Nekrolog.
wo er fo lange und fo rübmlid glänzen ſollte. Seine Col⸗
legen waren Spegele, Beftlin, Wachter und Graf, unb mit
ihnen gemeinfam erhielt er im Jahre 1813 bie theologiſche
Doctorwürde von der Univerfität Freiburg. Später, im
Sabre 1814 trat, nad) Spegele's Abgang auf bie Pfarrei
Ziegelbah bei SBafbfee, Herbft ald Profefior ber alte
teftamentlihen Gregefe in Ellwangen ein; Drey aber
{ὠτίεδ. jegt in den Jahren 1814 unb 1815 feine erften
Abhandlungen, zwei lateiniſche Differtationen über bie Lehre
Juſtin's vom taufendjährigen Reihe’), wnb über das
Bußweſen ber alten Kiche?). Ueber Iegtere wurden von
gewißer Eeite her, wie εὖ [dint aus perfönlicher Miß⸗
gunft, übelwollende Berichte nad) Rom erftattet, ohne daß
jedoch dem Verfaſſer Unannehmlicpfeiten daraus erwachfen
wären. — Nach dem Tode des Königs Friedrich und bem
Regierungsantritte des jepigen Königs wurbe bie Ellwanger
Univerfität im Jahre 1817 wieder aufgehoben und in bet
Eigenſchaft einer katholiſch⸗theologiſchen Bacultät der Unis
verfität Tübingen einverleibt. Wachter und Beftlin traten
in bie Baftoration gurüd, Drey Dagegen überflebelte mit
Beibehaltung feiner bisherigen Bäder, in Gemeinſchaft
mit Grag und Herbft nad) Tübingen, erhielt einen neuen
Eoflegen an Hirfher, und gründete mit biefen breien
gemeinfam i. 3. 1819 die Tübinger theologiſche Quartals
ſchrift, welche von ba in umunterbrodhener Reihe fortges
führt wird und gegenwärtig ihren 35ften Jahrgang zählt.
1) Observata quaedam ad illustrandam Justíni martyris de
regno millenario sententiam. Gamundiae 1814.
2) Dissertatio historico - theologica originem et vicissitudinem
exomologeseos in ecclesia catholica ex documentis ecclesiasticis
ilasrans. Elvaci 1815. .
Sufrilog. set
Ganz befonberó thätig für fle war Prof. Drey, unb eine
Reihe von Auffägen und Recenfionen in berfefben, durch
Alarheit, Prärifion unb Styl ausgezeichnet, find ἀπό feiner
gewanbten Feder geflofien. Schon im Jahre 1819 publi
vite er Überdieß die „Kurze Einleitung in das Stubium
der Theologie, mit. Rüdfiht auf den woiffenfdaftliden
Gtandpunft und das fatbolifde Syſtem“, ein Buch, wel»
es unftreitig alle ähnlichen Grídjeinungen ber damaligen
Siteratur an lichtvoller Auffaffung und geiftvoller Behand⸗
fung des Stoffes weit überragt. Im Jahre 1823 wurde
er von Sr. Majeſtaͤt unferem Könige mit bem Ritterkreuze
des Kronordens beehrt und einige Zeit fpäter, ohne alles
eigene Zuthun, als erfter Biſchof für Rottenburg in Aus⸗
Ächt genommen. Lepteres Projekt zerſchlug fh jedoch
wieder, zum Theil weil das oben berührte Schriftchen
Drey's zu feinen Ungunften wieder in Erinnerung gebracht
wurde, nod) mehr aber, weil es unthunlich fhien, ben
Heren v. Keller, der bereits Weihbifhof und apoftolifcher
ÜBifar war, wieder zu befeitigen, umd auf Drey wurde
nun in ber Weife Rüdfiht genommen, daß bie erſte Doms
herenftelle ihm vorbehalten. blieb und aus deren Einkünften
theils fein Profefforengehalt erhöht, theils ein befonderer
Hütfslehrer für ihm belohnt wurde. In die Domherrn⸗
flee felbft aber wurde er πίε eingefet. Im Jahre
1832 veröffentlichte er feine „Neue Unterfuhungen über
die Gonfitutiones unb Canones ber Apoftel”, wodurch eine
ftit Jahrhunderten fhwebende Stage auf fo befriedigende
Weiſe und mit folfem Scharffinn und folder kirchlich⸗
archaͤologiſcher Gelehrfamfeit gelöst wurde, daß bie gelebte
ten Kritifer auófpradjen: „die Akten darüber feien jet
gídiofen." — Rad einer überanbenen ſeht ſchweren
848 Netrolog
Krankheit, bie ihn im ‚Jahre 1837 an ben Rand des
Grabes bradjte, wurde Drey auf feinen Wunſch von bem
ausgedehnten Lehrfach ber Dogmatik enthoben, behielt das
gegen Apologetif und Encyflopädie, unb gab jet in ben
Jahren 1838 bis 1847 fein treffliches Werk über dift,
lide Apologetit in 3 Bänden heraus. Vom wiffenfhafte
lihen wie vom kirchlich⸗ orthodoren Standpunfte gleich
anerkennenswerth ift es ein fhönes Denkmal feines feinen
Geiſtes ſowohl wie feiner aufrichtig kirchlichen Geſinnung.
Ueberhaupt hat Drey ſelbſt damals, wo das Feſthalten
an der Orthodorie in manchen Gegenden Deutſchlands bem
Zeitgeifte unterlag, fid) bod) ſtets als einen treuen Ans
hänger feiner Kirche und ihres Glaubens bewiefen, und
wie bei vielen Andern hat fld) aud) bei im unter guͤnſti⸗
geren äußeren Einflüffen durch fortfchreitende Studien
diefe Richtung nod) verftärkt und gehoben. — Mit vollem
Recht wurde ihm überall. große Verehrung und Hochachtung
als Menſch, als Lehrer unb Schriftfieller zu Theil; taufenbe
von Schülern aus allen Gegenden Deutſchlands und ber
deutſchen Schweiz find zu feinen Büßen gefefien und bes
wahren ihm bis Beute ein banfbareó Andenken. Insbe⸗
fondere gehört der weitaus größte Theil der katholiſchen
Geiſtlichleit Württembergs zu feinen Schülern, vom hoch⸗
würbigften Biſchofe herab bis zu ben Hülfsgeiftlichen.
So wirkte er volle 40 Jahre im Lehramt rüfmlid) und
fegensreih, — da wurde er im Jahre 1846 in den Stufe
fand verfegt und zugleich mit dem Commenthurkreuz des
Kron⸗ Ordens beehrt. Aber aud) im Penfionsftande blieb
er fortwährend geiftig, ja ſogar ſchriftſtelleriſch thätig und
fertigte nod) eine beträchtliche Anzahl von Arbeiten theils
für das Freiburger Kirchenlexikon, theils für bie Tübinger
Nekrolog. 349
theologiſche Ouartalfchrift, deren Mitherausgeber er bie
an feinen Tod geblieben ift. Am 15. Juni 1851 feierte
er fein Priefterjubiläum, nod) rüftig an Geift unb Körper;
ja gerade in feinen fpätern Jahren erfreute er fi einer
beſſern Gefundheit al früher, unb nur das Gehör hatte
merid) abgenommen. Seit etma zwei Monaten durfte
er wegen Rheumatismen, bie übrigens feine heitere Stim»
mung nur auf 9fugenblide trübten, das Haus nicht mehr
verlaffen; dazu fam in den [egten zwei Tagen eine Heine
Unpäßlichkeit, anfcheinend eine Indigeftion, die Niemand
für gefährlich erachtete, unb nod) wenige Sekunden vor
feinem Tode redete er friff) und früftig (im Bette) mit
den Umftehenden. Ploͤtzlich fanf er zurüd, unb war ohne
Todeskampf verſchieden, am 19. Februar 1853 Vormittags
{12 Uhr. Ein Hirnſchlag fatte feinem langen und ſegens⸗
reichen Leben im 76ten Jahre beffelben ein Ende gemadht.
Sein Name ift ruhmvoll eingefehrieben in die Gefchichte
der latholiſchen Wiſſenſchaften.
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—MM — —
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birenbe Yünglinge. Gehalten in ber Studien,
Kirche zu Dillingen. Herausgeg. von S. G. Boll.
L Jahrg. 16 w.26 Sem. 8. br. 532 ©. fl. 1. 36 ἔτ.
. ob. Sir. 1.
Wallfahrt, heilige, oder anbácbtige Befuchung
des fehmerzhaften Kreuzwegs unferé Herrn Sefue Chris
Rus. Abgetheilt in fünfzehn Stationen ober Betrach⸗
tungéorte, mit Gebeten und Gefángen. Mit Appro⸗
bation des hochwürd. biſchoͤſt. Drbinariaté Augsburg.
Bmrite Auflage. Mit Vignetten. 12. 48 ©. r
4 fr. ob. 1'/4 Nor.
Bantmäller, 8. 3., Spiegel der Heiligen.
Gin Eatholifches δεῦτε, Gebets unb Beiradr
tungsbuch nebft einer kurzen Legende auf jeden
Tag des Jahres. Bweite Auflage. Mit vier Stahls
fihen. 12. 532 6. fl. 1. 12 fr. ob. 22!/ Nor.
Eine Empfehlung dieſes trefflichen Buces Seitens ber Ber
Tagspanblung erfeint überflüffig; man bittet nur das Bud zur
dand zu nehmen, die vorgebrudten Beurtheilungen ber erfiea
Auflage werden am befen Zeugniß für den wirkligen Werth
diefes Gebet» unb Regendenbuces geben; bie fehöne Aus
flattuug unb ber Sujet billige Preis verdienen gewiß alle An
ertennung. t
Theologiſche
Quartalſchrift.
In Verbindung mit mehreren Gelehrten
herausgegeben
von
D. ». finn, D. Hefele, D. Welte, Ὁ. Bukrigl
unb D. Aberle,
Vrofeſſoren ber lath. Tpeologie an ber K. Univerfät Tübingen.
Fünfunddreißigfter Jahrgang.
Drittes Quartalpeft.
Tübingen, 1853.
Verlag der H. Baupp’fcen Buchhandlung.
(Saupp & Giched.)
Drad von 6. Saupp jr.
I.
Abhandlungen.
4“
Die ruſſiſche Kirche.
Die hohen Anſpruͤche, welche der Kaifer von Rußland
gerade in unferen Tagen im Angefihte von ganz Europa
erhebt, Ienfen wie billig unfere Aufmerkfamfeit auf die
Kirche bin, als deren geharnifchter Sprecher er mit fo
vieler Entfhiedenheit auftritt, und für bie er eine glän«
sende Zufunft burd) diplomatifche Künfte oder burd) mille
taͤriſche Macht herbeizuführen trachtet. Sobald wir aber
der griehifhen Kirche gebenfen, müffen wir uns auch
ihrer Scheidung in zwei große Hälften erinnern, nämlich:
in die griechiſch-griechiſche und in bie ruffifche
gtiedifde fitde, und gerade bie legtere, griechiſch
der Religion, ruffifch ber Nationalität nad, wollen wir
näher ins Auge faflen, theils weil ihre Geſchichte in weis
teren Kreifen weniger befannt, 15eil6 weil gerade fie bier
jenige ift, die, ohnehin ſchon viel größer al8 bie eigentlich
griechiſche, burd) das beanfpruchte Proteftorat des Ezaren
aud über letztere Kirche, zur unbeftrittenen Hegemonie im
Drient gebracht werben fol.
24"
354 Die ruſſiſche Kirche.
Die Anfänge dieſer Kirche fallen gerade in bie Zeit
der erften Trennung Griedjenlanbé von Rom unter Pho-
tius. Allerdings behaupten ruſſiſche Quellen, wie bet
Mönd Neftor aus dem Höhlenflofter zu Kiew, der Bater
der ruffifchen Kirchengeſchichte (im 11ten Jahrhundert), und
der Verfaſſer des berühmten ruffifhen Stufenbuds
aus bem 16ten Jahrhundert, daß ſchon ber Apoftel An-
dreas in Rußland das Evangelium gepredigt und auf
einem Berge bei Kiew das heilige Kreuz aufgepflanzt
habe 1); aber biefe Tradition ift mehr als unſicher, zumal
1) Bgl. Karamfin (ruff. Staaterath und Reichshiftoriograph +
1826), Geſchichte des ruſſſchen Weide. Nach der 2tem Driginalonte
gabe überfegt. 1820. 80. L ©. 26. 27. 236. Q4 ift bief das Haupt:
werk über bie ruſſiſche Gefchichte, in 11 Bäuden bis 1612 reichend.
Der gelehrte Schafarif, der größte Kenner der flawifchen Geſchichte und
Sütertbümer, fagt: „Raramfin, auf bem Felde des Altflawiemus unzu-
verläffig, wirb, fobalb er bem rein ruſſiſchen Boden betritt, ein Geſchicht⸗
föreiber, der feines Gleichen im Rupland nicht Hat, noch fogleich wicher
Haben wird, wenn man bie gegenwärtigen Arbeiten feiner undanlbaren
Sonbéleute ind Auge faßt, bie, auf feine Schultern tretend unb von feinen
Schaͤtzen zehrend, ohne alle Sorge um Erweiterung und tiefere Ergrüns
dung der Quellen, die unfchägbaren Berbienfte biefe& Mannes zu νεῖν
Meinen befirebt find.” Meben Raramfim verdient befondere Beachtung
Strahl (+ Prof. b. Geſch. in Bonn, früher längere Zeit in Rußland).
Bon ihm Haben wir 1) eine Geſchichte des ruſſiſchen Staats, 2 Bänbe.
Sambg. 1832 ff. , einen britten Band beforgte mad) Strahl's Tode Dr.
Eruſt Herrmann, bié zum 3. 1682 reichen. 2) Geſchichte ber
ruſſiſchen Kirche, ifer Band, Halle 1830, bis Ende des 16ten Jahr⸗
hunderts gehend. 3) Beiträge zur ruſſiſchen Kirchengeſch. Halle 1827.
4) Gelehries Rußland, Leipzig 1828. 5) Mehrere Aöhandlumgen in der
Tübinger theol. Quartalſchrift 1823.
Außer diefen Benüpten wir beſonders :
King, anglit. Geifl. in Petersburg, die Gebräuche und Geremonien ber
griech. Kirche im Rußland. Aus bem Engl. überfegt, Riga 1773.
Quart.
Schmitt, Hermann Joſeph, Harmonie der morgenl. und abeundl. Kirche,
Die ruſſiſche Kirche. 355
febft Reftor fie nur als Sage aufführt; unb bie beglaus
bigte Gefchichte fennt vor der zweiten Hälfte des neunten
Jahrhunderts Feine hriftliche Miffton in ben weiten Lands
frichen ber ruſſiſchen Slawen. Beachtenswerth ift es, daß
bei diefen die Gtaatenbilbung und das driftlie Kirche
tum zu gleicher Zeit fid anfegten. Lange Jahre Bin»
dur hatten bie in Rußland gelagerten Slawen fld) ge»
genfeitig befämpft und geſchwaͤcht, ba ſchickten um bie Mitte
des neunten Jahrhunderts (862) bie um Stomgorob an«
fähigen unb einige andere flawifchen und finnifhen Stämme
eine Geſandtſchaft an bie Fürften ber Waräger !) in Skan⸗
dinavien, um fid) von ihnen Herrſcher zu erbitten. So
famen jet drei Warägifche Brüder aus dem Gtamme
Ruß (woher Rußland abgeleitet wird) mit anderen
ffandinavifhen Eveln zu den fraglichen Slawen, unb der
Baräger Rurif gründete nad) dem Tode feiner beiden
Brüder bie große ruffifche Monarchie 864 3).
Doch zwei andere warägifhe Häuptlinge, Aſtol unb
Wien 1824, und fritiffge Geſch. der neugriechiſchen und ruſſiſchen
Kirche, Mainz 1840.
(Theiner), bie neueften Buftánbe ber katholiſchen Kirche beider Ritus
in Polen und Rußland feit Katharina IL. bis auf unfere Tage. Mit
einem Stüdélid auf die ruffifche Kirche und ihre Stellung zum Hl.
Stuhle feit ihrem Gnifefen bis auf Katharina IL Bon einem
Prieſter aus ber Gongtegation des Oratoriums des h. Philippus Neri.
. 1841.
+ Säloffer, Sob. Friedrich Heine., bie morgenländifche orthobore
Αἰτάε Stufíanbé und das europäifche Abendland. Heidelberg 1845.
Weitere von und benüßte Hülfsmittel toerben je am einfchlägigen
Plage genannt werben.
1) Die Waräger find fein Stamm, fonbern bie Rriegevtafte
Slandinaviens.
2) Karamſin, a. a. O. S. 37. 94. Schafarik, ſlawiſche
Aluerthumer, deutſch von@chrenfeld. Leipz. 1844, 90. II. ©. 68 ἢ. 77.
356 Die ruſſiſche Kirche
Dir, wollten ſich unabhängig von Rurik ein eigenes Reid)
grünben und eroberten zu dem Ende bie ſlawiſche Stadt
Kiew, damals von den Kofaren beherrfcht ), fo daß jetzt
unter warägifchen Fürften ein noͤrdlicher (Rowgorod) und
ein füblidjer ruſſiſcher Staat (Kiew, Kleinrußland) feine
Entftehung erhielt.
Kurze Zeit nachher, um's Jahr 866, wagten Affold
und Dir aud) einen Kriegszug gegen Gonftantinopel, und
gerade diefer gab die erfte Veranlaffung zur Einführung
ber chriſtlichen Kirche in Rußland. Um bimmlifhe Hülfe
gegen bie wilden Θάβε zu erhalten, foll ber griechiſche
SBatriard) das Gewand der heiligen Jungfrau in feierlicher
Progeffion nad) dem Geftabe des Meeres getragen und in
die Wellen getaucht haben, worauf ein ſchrecklicher Sturm
die Schiffe der Ruffen ergriff und fle feber zum Frieden
mit dem Kaifer zwang. Staunend über baó wunderbare
Ereigniß hätten fie fid) jebt dem Chriftengotte unterworfen,
der feine Verehrer fo mächtig befdyüge. So erzählen Ne
ſtor und einige byzantiniſche Hiftorifer; der griechiſche Kaifer
Eonftantin Porphyrogenetos aber, ber von diefem Ereig⸗
niffe nicht hundert Jahre abfland, und andere Geſchicht⸗
ſchreiber feiner Ration, fhweigen von bem genannten Wunder
und berichten, bie Ruſſen feien burd) reichliche Geſchenle
sum Frieden beftimmt worden. Diefem fügt Porphyros
genetoó bie Nachricht von einem andern Wunder bei,
welches die Ruffen zur Annahme der chriſtlichen Religion
geführt haben fol. Laͤngere Zeit gegen die ihnen vorge⸗
tragenen chriſtlichen Lehren ungläubig, ſprachen fie enblidj
zu bem griechifchen Bifchof: „wirf diefes Buch (bie
Bibel) in'6 Feuer, und wenn es nicht verbrennt,
1) Schafarit, Slawiſche Aterthämer, fb. IL ©. 64. 77.
Die zufflfige itv. 857
[ὁ wollen wir an beffen Heiligkeit glauben.“
Der Biſchof Habe ihrem Verlangen willfahrt, das Evans
gelium {εἰ unerfehrt geblieben, unb nun der Sürft und
Adel der Ruſſen gläubig geworben h.
Wie man aud immer über diefe Nachrichten urs
teilen mag, Dasjenige, was für und Bedeutung hat,
flt unbedenklich feft, bag nämlich burd) jenen Krieger
ag das Chriſtenthum zu ben 9tufjen von Kiew, ober ben
Gübrufjen gekommen fei. &o ficher bief ift, fo freitig ift
die genaue Beflimmung der Chronologie. Nah Neſtor
nämlich und Andern wäre ber fraglihe Patriarch von
Eonftantinopel der berüiptigte Photius gewefen unb ibm
wuͤrde der Ruhm gebühren, bie erften Ruſſen im Jahre
866 getauft und bie erfte Miffton in ihr Land geſchickt zu
haben, fo daß die Stuffen [don mit bem Augenblide ihrer
Belehrung in das Schisma verwidelt worben wären.
Eonftantin Porphyrogenetos dagegen berichtet, bie Beleh⸗
tung der 9tuffen habe erft ein Jahr fpäter (867) flattger
babt, nachdem ber neue Kaifer Baſilius Macedo ben
ſchismatiſchen Photius vertrieben und ben rechtmäßigen
Patriarchen Ignatius wieder eingefegt hatte. Dieſemnach
wären bie Ruflen nicht ſchon von Anfang an ſchismatiſch
gewefen; und biefe Meinung hat früher an Affemanni, in
der neueren Zeit insbefondere an Theiner Ὁ ihren Ver
theidiger gefunden, während Strahl unb ber Rufe Kar
tamfin 3) die entgegengefegte Richtung vertreten, und
1) Karamfin, a. a. D. €. 95— 97 u. €. 302. 308. Θ΄ a⸗
farit a. a. D. ©. 78. Strahl, Seſch. *. tuf. fife S. 43 ἢ.
2) (Theiner), Die neueften Buftände ber fatf. Kirche beider Ritus
ἐκ Bolen und Rußland. 1841. ©, 2.
3) &atamfin, a. a. D. €. 97. Strahl, a. a. Ὁ. ©. 47.
Beide fügen fid Insbefondere anf eim eigenes Schreiben bes Photius,
358 Die ruſſiſche ire,
bem Ignatius erft bie zweite Miſſion unter ben Ruſſen
zuſchreiben, um durch dieſe Annahme bie Verſchiedenheit
der alten Nachrichten auszugleichen.
Karamſin und Schafarik, welche in der Geſchichte der
Slawen und Ruſſen die größten Autoritäten der neueſten
Zeit ſind, finden es wahrſcheinlich, daß die griechiſchen
Miſſionaͤre eben damals ſchon die von dem hl. Cyrill er⸗
fundene ſlawiſche Schrift auch in Rußland eingeführt has
ben 5), um dem Chriſtenthum wie der Cultur eine feſtere
Grundlage zu verſchaffen; aber deßungeachtet konnte der
ausgeſtreute chriſtliche Same politiſcher Stuͤrme halber
bei den Ruſſen lange Zeit nicht reichlich unb freudig aufe
fproffen. Schon um’s Jahr 882 wurden Affold und Dir
von Ruriks Nachfolger Dleg, dem Vormünder Sgor',
burd) Lift überwältigt und ermordet, ihre Herrſchaft mit
Stotogorob vereinigt und Kiew zur Hauptflabt des ganzen
großen Reiches erhoben. Theiner macht Affold unb Dir
zu ben erften Mariyrern Rußlands 2); aber das waren
fie in feiner Weife, denn ifr Tod floß aus rein politifben
Gründen und aus ber Herrſchſucht Oleg's hervor. Oleg
aber unb. fein Pflegling Igor, ber bis zum Jahre 945
regierte, waren Heiden. So fam e, daß fie das Ehriften-
thum zwar bulbeten, aber nicht fórbertem , unb biefeó nur
ſehr fangfame Fortſchritte unter ben Ruſſen zu made
vermochte. Die Mehrheit berfelben war nod) immer heids
niſch, barum werden in einem SBertrage mit Conftantinopel
worin biefer fid) ſelbſt die Belehrung ber Muffen zuſchreibt. Ge ift οἷν
getrudt bei Baronius ad ann. 863. n. 41; aber ber Verdacht liegt, wie
Theiner meint, nahe, Photius habe mur prahlerifch gefprocen.
1) faramfin, a. à. D. S. 97. Schafatik, α. a. Ὁ. 6. 18.
2) Theiner, a. a. D. €. 8.
Die ruſſiſche Kirche. 359
(. 3. 911) Ruffen und Ehriften (b. i. Griechen) tviebere
holt als Gegenfäge aufgeführt h.
Ein paar Dezennien fpäter muß die Zahl der Ehriften
unter den Ruffen einigermaßen gewachſen fein, denn in
einem neuen Vertrage mit Griechenland vom Jahre 945
werden unter ben Ruffen felbft getaufte und unges
taufte ausdruͤcklich unterſchieden 2.
Ein großer Gewinn für bie ruſſiſche Kirche war- die
Belehrung der ruffiihen Helena, ber berühmten Sürftin
Dlga, welde nad) dem Tode ihres Gemahls Igor, im
Jahre 955 fid) zu Eonftantinopel taufen lief, aber weder
ihren Sohn, den Fürften Swaͤtos law, nod) defien Ge«
folge zu befehren vermochte 3). Dagegen war εὖ ihrem
Enkel Wladimir aufbehalten, nad) einer wüften, duch
Ausfhweifung, Ehriftenverfolgung unb Menfchenopfer gc»
ſchaͤndeten Jugend, im veiferen Alter der Beglüder feines
Volkes, hauptſaͤchlich durch allgemeine Einführung des
chriſtlichen Glaubens zu werden. Erfennend, daß eine
theiftifhe Religion ihm und feinem Volke noththue, ſchickte
er bei ben Lateinern, Griechen unb Mahomebanern unters
tihtete Männer zur Erſorſchung ihrer heiligen Lehren unb
Gebraͤuche umher, und entfdjieb fid) enblid) im Jahre 988
für ben Anſchluß an bie griediifdje Kirche, weil deren
Eultus als der impofantefte erfjien. Der Gropfürft ließ
nun die Gógenbilber zerftsren, den Hauptgögen feines
Volles, Perun, an den Schweif eines Pferdes binden,
mit Keulen ſchlagen und enblid) in den. Dnjeper werfen;
1) Raramfin,a. a. Ὁ. G. 111 ff.
2) Raramfin, a. a. Ὁ. ©. 123. 124, 127. Strahl a. a.
D. €. 49.
3) &acamfin, a. a. D. €. 136. 139.
800 Die ruſſiſche Kirche.
fein Volk aber empfieng nun in Mafle in bemfelben Fluſſe
ftebenb die Taufe, von Prieitern, bie in Kähnen umher⸗
fuhren, um das Gaframent zu fpenben, während Wladi⸗
mir am Ufer betete. Sofort erbaute er in Kiew eine
Kirche zu Ehren des HI. Baſilius, an berfelben Stelle,
wo früher Perun ftanb, errichtete hriftliche Schulen 1), und
fibidte Miffionäre in feinem großen Lande umher, ohne
indeß feine Unterthanen zum neuen Glauben zu zwingen,
fo daß noch im zwölften Jahrhunderte B εἰν πὶ [ὦ ε Ruffen
fid vorfanden 3).
Nah al’ bem verftand εὖ fld) von felbft, baf bie
neugegrünbete ruffifche Kirche zum Patriarhate von Eon»
ftantinopel gehörte, und in der That wurde fie im zehnten
Jahrhundert bald als die 60te bald als bie 76te
Provinz diefes Patriarchalſprengels gezählt 9. Weil aber
die Kirche von Conftantinopel nah der DVertreibung
des Photius vom SBatriardjenftubl unter Kaifer Leo bem
Weiſen (feit 886) das Schisma wieder aufgehoben unb
bie Einheit mit dem Mittelpunkte ber Kirche wieder Bere
geſtellt hatte, fo partieipirten hieran matürlid) aud bie
ruſſiſchen Ehriften, unb barum müffen wir fie zur Zeit
Olga's und Wladimir's nothwendig als Unirte betrachten.
Als jebod) um bie Mitte des eilften Jahrhunderts
die griechiſche Kirche unter dem Patriarchen Michael Ge«
tularius fid) von ber lateiniſchen bleibend trennte, wurde
auch Rußland dur feine hierarchiſche Verbindung mit
1) Ihre Einführung fand ungeheure Schwierigkeiten, namentlich
fürchteten viele Ruffen das Schreiben, denn bie Schrift fchien ihnen eine
Sauberei.
2) &aramfíin, a. a. D. ©. 168—178,
3) Strahl, a. a. D. €. 48 f.
Die ruſſiſche Kirche. 361
jener in das Schisma Hineingezogen. Sie zählte bamala
12 Diözefen oder Gpardjen: 1) Kiew, bie Metropole
des ganzen Reiches, 2) Nowgorod (Grofnomgorot),
3)8oftow, 4) Tſchernigow, 5) Jurjiew, 6) Biel-
gorod, 7) BWlabimir, 8) Berejaslam, 9) Pos
lotst, 10) Ehelm, 11) Turomw, 12) Tmutura—
fan, unb alle biefe ftanben unter bem Patriarchen von
Gonftantinopel, als ihrem höchften geiftlihen Obern. Ueber»
haupt war unb ift die τι πε Kirche nur ein integriren«
der Theil ber griehifhen, weder in Dogma, mod in
Disciplin, überhaupt in feinem andern Bunfte von ihr
verſchieden al darin, daß fie fid) beim Cultus ber alt
flamonifden Gprade bediente. Uebrigenó war bei
ben Ruffen ihre Scheidung von Rom im Anfange weit
weniger ſcharf und bitter, als bei ben Griechen, und fo
lam es, daß noch bié heute bie ruffifhen Ritualbücher
eine Reihe von Stellen enthalten, in melden Roms unb
feines Primats in hoͤchſt naiver Weife erwähnt it). Nur
1) Auf den Gedachtnißtag des 5. Papftes Gilvefler z. B., der zur
Bit der erften Nicaͤner Synode lebte, hat das ruffifche Ritual folgendes
&bet: „Du bif das Haupt der geheiligten Berfamme
lung; bu verherrligteft ben Thron bee Apoftelfür
Ren; göttlihes Oberhaupt ber heiligen Bifchöfe“ Und
auf den Papft Leo J. heißt e$: „w elchen Namen [011 [ὦ heute
Dir geben? Goll id Did nennen den wunderbaren
Herold unb die fefe Stüge der Wahrheit, bat eu
würdige Haupt bee oberfien Gonciliume, ben Rad»
folger auf bem bàdfien Throne bes BL. Petrus, ben
Erben des unbefiegbaren Belfen und benWtadfolger
in feinem Reiche.“ Den Papft Martin aus bem 7ten Jahrhundert
preist bie ruſſiſche Kirche mit ben Worten: „Du zierte den
göttlihen Thron des Petrus, und indem Du die
Kirche auf diefem unerfhätterlichen Belfen auf
seht erhielten, vexberelidteft Du Deinen Namen,
362 Die ruſſiſche Rice.
von außen, durch ihre hierarchiſche Verbindung mit Eons
ftantinopel in bie Trennung von Rom hineingezogen, fühlten
die Ruffen nod) nicht jenen eigenthümlichen fhismatifchen
Haß, ber alle Spuren früherer Freundſchaft ángflid) zu
tilgen bemüht ift; und als biefer nad einiger Zeit audj
bei ihnen zu feimen begann, hatte fi bie Form ber litur⸗
giſchen Bücher für bie ſchismatiſch⸗rufſiſche Kirche bereits
burd) Verjährung befeftigt. Die angebeutete Veränderung
aber begann in ber erften. Hälfte des zwölften Jahrhun⸗
bertó, und eó wat ber aus Eonftantinopel gefommene
neue Metropolit Nicephorus von ftiem, ber bit
Ruſſen mit Acht griechiſcher Feindſchaſt gegen bie Lateiner
und Rom insbefondere zu inficiren und biefen gehäffigen
Sinn aud) bem Großfürften Wladimir Monomachos
(feit 1113) einzupflangen wußte. Diefer Fürft trat mm
in nähere Verbindung mit Eonftantinopel und wurde auf
Befehl des byzantinifhen Kaifers Alerius Comnenus von
dem Erzbiſchofe Neophit von Ephefus i. S. 1116 zu Kiew
gekrönt und mit dem Titel Czar (ſlavoniſch = Ὁ δεῖν
tönig) beehrt, ohne daß jebod) aud) feine nächften Rad
glorreigfter Meier aller rehtgläubigen Lehre,
Wahrheit verfündender Mund ber HL. Gebote, um
meiden baé gefammte Prieſterthum unb bie ge
fammte 8edtgláubigteit fid) vereinigten, um bie
Härefie qu verdammen.“ Bon Gregor II. im 8ten Jahrhundert
heißt es: „Bott berief Did, daß Du der oberfie Bi[dof
feiner Kirche fele und der Nachfolger Betri, des
δάτῇεπ ber Spoftel;^ unb von Leo IIL (um's Sar 800): ,O
Duſoberſter Hirte ber Kirche, vertritt Du die Stelle
Sefu EHrifti.“ Noch viele andere Beifpiele diefer Art Bat ber felige
5.08. Fried. Schloffer gefammelt in feiner oben erwähnten Schrift:
mDie morgeulandiſche ortfobore Kirche Rußlands“ sc. xc. Bol. Tübinger
icol. Ouartalfäft,, Jahrg. 1846, €. 104 ἢ.
Die ruſſiſche Kirche. 363
folger fid) alfo benannt hätten. Vielmehr wurde biefer
Titel erſt feit der Mitte des 16ten Jahrhunderts der ge»
wöhnliche. — Die eigenthümliche alte politifhe Einrichtung
Rußlands, ber des deutfchen Reiches ähnlich, bie theilweife
Unabhängigfeit ber Fürften vom Groffürften (u Kiew),
und die gegenfeitigen Uneinigfeiten 1), wobei ber Metros
polit häufig den Schiedsrichter machte, erhöhten das An-
fehen des Erzbiſchofs von Kiew, beffem Stadt reih an
Kirchen, bie gebilbetfte und damals aud) bie bürgerliche
Hauptftabt von Rußland war. Den nádjften Rang ber
fauptete Rowgorod, beffen Bifhof Elias i. S. 1166
von bem Metropoliten zu Kiew ben Titel Erzbiſchof erhielt,
tie denn in ber ruffifichen Kirche (ode Ehrenbenennungen
nit felten und barum Erzbifhöfe und Metropolis
ten wohl von einander zu unter(djeiben find.
Auch nad) dem Tode des Metropoliten Nicephorus
von Kiew (t 1121) wurde jener Stuhl nacheinander wies
derholt mit Eonftantinopolitanern befeßt, welche die Sen»
mung von Rom befefigten. Zugleich entftanben neue Did-
sefen, 3. B. im 3. 1137 Smolenst, der griedifche
Kirchengefang wurde in Rußland eingeführt und das erfte
Interdikt in biefem Reiche von bem Metropoliten 9t i d) a e (II.
über bie vebellifche Stadt Nowgorod ausgeſprochen i. 3.
1135 9. Zehn Jahre fpäter entftanb unter bem ruſſiſchen
Episcopat heftiger Streit, ob der nicht von Conftantinopel
geſchickte und nicht bafelbft ordinirte, fondern auf des Groß⸗
fürften Befehl erhobene und mit bem votgebliden Kopfe bes
1) Die Oberhertlichteit bes Großfürften ſchwand Immer mejr, vide
Streitigfeiten um diefe Würde entflanben, und manche Tpeilfürften ufur-
pirten ebenfalls den Titel Grogfürf.
2) Bol. Strahl, Geſch. der cuff. Kirche, Bd. I. 130. ©. 140 f.
364 Die ruſſiſche Kirche,
f. Clemens Romanus zu Kiew eingeweihte neue Metro⸗
polit Kliment (= Elemens) rechtmaͤßig [εἰ ober nicht.
Seine Gegner, namentlid) B. Niphon von 9tomgorob, ein
Heiliger ber ruſſiſchen fire, flegten, unb Kiew erhielt
wieber griechiſche Metropoliten. Unter ben folgenben Bürgers
friegen litt aud) bie ruſſiſche Kiche manchen materiellen
Verkuft, bod) erwachte zugleich unter allen Ständen großer
Eifer für Kirchenbauten und Stiftungen, zahlreiche Klöfter
Yourben gegründet, wovon bie berühmteften den alten Nas
men Lawren (Lauren) führten, 3. B. das berühmte
Höhlenflofter zu Kiew, unb Güter und leibeigene
Bauern in großer Zahl wurden an biefe Klöfter vergeben !).
Namentlich fliftete Fürft Andreas Bogolubsfi das
berühmte f. 6. ephefinifhe Muttergottesbild, das
von dem DI. Evangeliften Lufas gemalt fein follte, damals
aus Griechenland gefommen war, und jebt noch im Dome
au Mosfau gezeigt wird. Dagegen wurde bie rufflfche
Kirche jept um. bie Mitte des zwölften Jahrhunderts durch
einige heftige und lange Streitigfeiten, namentlich des
Moͤnches Martin heimgefucht, unb zwar über einige
feiten, 4. B. über bie Art unb Weife, das Kreuzzeichen zu
machen. Ein ruffifhes Generalconeil mußte zufammens
fommen i, 3. 1157, um barüber zu entfcheiden. Bald
darauf treffen wir ben Metropoliten Johann IH. (feit
1164) in Briefwechfel mit Papft Alerander II. — gegtetet
wuͤnſchte eine firdjid)e Union, aber ber Metropolit von
Kiew wies ihn an ben Patriarchen von Gonftantinopel,
als an feinen Obern, und repetitte bie alten griechiſchen
Anſchuldigungen gegen bie lateinifhe Kirche 9. Um dies
1) € traf, a. a. Ὁ. €. 148.
2) Strahl, a. a. D. €. 166.
Die ruſſiſche Kirche. 365
felbe Zeit verlor Kiew bie groffürflidge Würde an bie
Stadt Wladimir, blieb aber bennod) der Metropolitans
fuhl des Reichs. Für Schulen der Geiffifen forgten
jet mehrere fromme Fürften, namentlih Roman Ros-
tiélamit(d von Smolensf (t 1181) unb fein Zeit
genofe Fuͤrft Jar o la w von Galisien ober alic.
Ewas fpäter, gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts,
ſchidte Papft Clemens IL aud; nad Rußland Gefanbte,
um zum britten großen Kreuzzuge aufzurufen. Der Groß⸗
fürft und ber Metropolit hörten jebod) nicht auf feine
Stimme, und blos einige nod) nicht orbinirte Moͤnche
[bloßen fi dem Zuge an ἢ).
Im Jahre 1204, gleid) nad) Errichtung des lateini
ſchen Kaiſerthums zu Conflantinopel, und abermals im
Jahre 1209 erfchienen Legaten des Bapftes Snnocen III.
bei dem Groffürften Roman und der ruffifhen Geift-
lichkeit, um fie für bie Union mit ber lateinifhen Kirche
δι gewinnen. Aber umfonft. Die Einnahme Eonftantinopels
burd) bie Lateiner hatte wie ben Haß der Griechen fo
aud) ben der Ruſſen gegen jene erhöht, unb fle ſchloßen
fib jegt nur nod) enger an ben nun in Nizäa refidirenden
Patriarchen von Conftantinopel an. Nur das fühlihe
ruſſiſche Fuͤrſtenthum Galizien (alic, welches bem ka⸗
tholiſchen ungariſchen Prinzen (δ ὁ [Ὁ man zugefallen war,
wurde, wohl unter Beibehaltung des ſlavoniſchen Ritus 2),
unter Papſt Honorius IH. mit Rom verbunden und ber
ſchismatiſch⸗ruſſiſche Biſchof daraus vertrieben. In andern
Theilen Rußlands, namentlich zu Kiew und 9tomgorob,
erhielten um diefe Zeit die Sateiner, zumal bie lateis
1) Theiner, a. a. Ὁ. ©. 34.
2) Bel. Strahl, a. a. Ὁ. €. 209 f.
366 Die sufflfche Kirche.
nifhen Kaufleute, bie fij dort aufhielten, das Recht
öffentliben Gottespienftes, wurden aber bod) nicht für
wahre Ehriften erachtet und bei etwaigem llebertritte zur
ruſſiſchen Kirche nod) einmal getauft.
Gelegenheit zu neuen Unionsverfuchen boten bie Pſko—
wer, ein an das Deutſchordens⸗Gebiet ftoßender Stamm
der Ruffen, welche damals, in großer politifcher Noth, ihre
Geneigtheit zur Einigung erflärten. Die Paͤpſte Hono—
rius IM. und Gregor IX. beauftragten darum in ben
Jahren 1227—1231 ihren Legaten am Hofe des Deutſch⸗
orbenó, für diefe Zwede zu wirken, und es ift nicht uns
wahrſcheinlich, bod) nicht gang fiher, daß Bürft Jaros-
law von Pifow (gleidj den andern ruſſiſchen Theilfürften
unter bem Großfürften ftehend) damals katholiſch geworben
fei !); auf jeden Fall aber hatte biefe Union bod) feinen
Bortgang. Kirche und Staat von Rußland litten übrigens
in biefer Zeit unendlich große Zerftörungen durch bie «tons
golen, melde wiederholt ba und dort einbradjen, und
Städte, Kirchen und Klöfter gerftörten und plünderten.
Auch Kiew und das HöhlenFlofter wurden 1240 verwuͤſtet,
viele Ruffen um des Glaubens willen getóbtet unb viele
der alten ruſſiſchen Heiligthümer zerbrochen ober ver⸗
ſchleudert. Noch jet verehrt bie rufflfhe Kirche viele
Heilige unb Martyrer aus diefer Periode, darunter aud
ben hi. Mercurius, ber feinen eigenen abgeſchlagenen
Kopf in der Hand tragenb, ein zweiter Dionyfius, aus
ber Schlacht gegen bie Mongolen nod) Smolenst gurüd»
gegangen fei ἢ. Mebrigens fiegten bie Mongolen unter
Batu, dem (drediiden Großneffen Dſchingiskhans, und
1) Theiner, a. a. D. ©. 36. mE a. α. Ὁ. €. 221.
2) Strahl, a. a. Ὁ, δ. 238.
Die ruſſſche Kirche. 367
15.3. 1238—1240, wurden fie die Oberherrn von ganz
Rußland mit einziger Ausnahme des Fürftenthums Now⸗
φτοῦ. Die ruffiihen Fuͤrſten und Großfürften mußten
jegt ihre Herrfchaft von den Mongolen zu Lehen tragen,
und zum Zeichen ihrer Unterwürfigfeit häufig brüdenbe
Steuern entrichten. Im diefer Noth blidten fie wieder nad
Rom, um burd) Hülfe des Abendlandes bie aftatifchen Qorben
u befämpfen. Der kräftige Papſt Innocenz IV. fanbte
darum hen berühmten Sranzisfaner Johann de Plano
Carpino als feinen Legaten nad Rußland, um die Ruffen
jur Union und die Mongolen zur Annahme des Chriſten⸗
thums zu beftimmen, i.3. 1244 1. Die erftere Aufgabe ver»
folgte drei Jahre nachher aud) der Erzbifhof € d b ev t, früher
Bisthumsverwefer zu Lübed, welchen Snnocen IV. zu feinem
Legaten im Norden und zum Erzbifhof von Preußen,
fiflanb und Efihland erhoben hatte 2. — In ber That
trat auch ber ruſſiſche Fürft Daniel von Kiew und
Halicz (das die Ungarn unterbeffen wieder verloren hatten)
in die katholiſche Kirche ein; weil aber bie erfehnte mili
taͤriſche Hülfe ber unter fid felbft uneinigen Lateiner aus⸗
blieb, fiel er nachmals von der Union wieder ab, und aud)
der Verſuch defielben Papftes, den berühmten Groffürften
unb ruſſiſchen Heiligen Alexander Newski zu gewin«
nen, ſchlug gänzlich fehl i. 3. 1250.
Ein wichtiges und folgenreihes Ereigniß war bie
Verlegung des Metropolitanftuhls. Die Mon-
golen hatten im Jahre 1240 bie Metropole Kiew fammt
1) Strahl, a. a. D. ©. 241.
2) Näheres über ihn unb feine Stellung findet fi) im Freibunr⸗
ger firdenlerifon, 5. VIIL u. b. 9. Preußen, Einführung des
Shrifentfums ©. 674 f.
Neel. Ouartalſqhrift. 1859. II. eft. 25
368 Die ruffiſche δικά.
bet Kathedrale und ben Heiligthümern zerftört ἢ, Dieß
beftimmte den Metropoliten Cyrill IL, feinen Wohnſitz
fortan im nórblidjen Rußland zu nehmen, ohne jebod) ben
Stuhl förmli zu verlegen. Letzteres geſchah erft i. 3.
1299, wo die Stadt Wladimir, und i. 3. 1328, wo
9Rosfau, jebt aud) bürgerlihe Hauptftadt, unter dem
Metropoliten Theognoft zum bleibenden Sig ermábit,
aber ber alte Titel: „Metropolit von Kiew und ganz Ruß⸗
lanb nod) immer beibehalten wurde. Für Kiew felbft
und das fünmweftlihe Rußland beftellten bie Metropoliten
fortan nur befonbere Vifare, und gerade das geringere
Anfehen diefer, und bie Abweſenheit des allgemeinen Obers
hauptes ber ruſſiſchen Kirche erleichterte bie Union der
fühweftlihen Provinzen mit der lateinifhen Kirche. Um
biefe Union, ja fogar vieljad) einen völligen Webertritt
in bie lateiniſche Kirche herbeizuführen, waren bie politis
ſchen Begebnifle des 14ten Jahrhunderts befonders ges
eignet. Durch den Drud der Mongolen, welche über
zweihundert Jahre lang (1238—1462) die Oberherrlichkeit
über Rußland übten, geſchwaͤcht, konnten bie Ruffen ihren
weftlihen Nachbarn, ben Lithauern und Polen fo wenig
widerſtehen, daß diefe im 14ten Jahrhunderte die ſuͤdweſt⸗
lichen ruſſiſchen Provinzen, darunter Kiew, eroberten. Schon
im 3. 1319 τίβ der Fühne Herzog Gedimin von Lithauen
ijeilé burd Waffengewalt, tfeiló durch Heirath feiner
Söhne mit ruffifjen Pringeffinnen, Witebst, Weiße
rußland unb Kiew nebft Tſchnernigow an fij.
Selbſt nod) ein Heide zeigte er gegen alle chriſtlichen Culte
billige Dufdung; aber bie Ruffen verfäumten lethargiſch
burd) Mifftonen unter ben heidniſchen Lithauern zu wirken,
1) Strahl, a. a. Ὁ. €. 236 f.
Die ruſſiſche Kirche. 360
während aus bem Abendlande Dominikaner und Franzis⸗
Taner zahlreich herbeifamen, Lithauen in allen Richtungen
durchzogen unb mit großem Erfolge bafefbft wirkten. Diefe
Mifftonen ber Lateiner wie bie Kriege ber Lithauer gegen
Rußland dauerten unter Gedimin’s Söhnen unb 9tad^
folgern (von denen die Einen dyiftfid) , die Andern heids
niſch waren), nod) fort, fo daß in Lithauen bie katholiſche
Kirche immer mehr Boden gewann. Sm ben unterworfenen
ruſſiſchen Provinzen verblieb amar bie ruffiffje Religion,
aber fie hatte jegt eine uͤbermaͤchtige 9tadjbarin in ber Far
tholifchen Kirche Lithauens erhalten. Während beffen er-
9berte ber polnifhe König Gafimir b. Gr. Rothrußland
9ber Galizien um'é Jahr 1340, überließ aber einen Theil
davon, námlid) Volhynien, wieder an Lithauen. Etwas
mehr als ein Menfchenalter fpäter vermählte fid) bie Erbin
von Polen, Hedwig, mit bem Herzog Jagello von
fitjauen i. S. 1386. Er trat vom Heidenthum in bie
kathol iſche Kirche über unter dem Namen Wladis laus,
und Lithauen wurde nun in Abhängigfeit von bem ftónigreide
Polen und als Theil beffelben, von befonderen Herzogen
aus dem Haufe Jagello's verwaltet. Die nádffte Bolge
hievon war bie völlige Chriftianifirung bed Landes. Auf
bem Reichstage zu Wilna, der litjauifden Hauptftadt,
im S. 1387 erhob Jagello bie roͤmiſche Religion zur Staats⸗
teligion unb ganz Lithauen mit Ausnahme ber urfprüng«
Tid vuffiffen (rutheniſchen) Provinzen befannte fi zur
Tateini(den Kirche. In Jagello's Namen und Auftrag
herrſchte fofort fein Vetter Witold (ober Witomt) über
Lithauen, ein Fräftiger nnd friegeriffjer, aber aud) grau⸗
famer unb unreblidjer Fürft, der fateinifdjen Kirche ange
hoͤrig, ber das litfauifde Reich erweiterte, bie Abhaͤngig⸗
25"
370 Die ruſſtſche Kirche.
keit von Polen beſchraͤnkte, neue Stüde von Rußland abriß
und bie Verbindung feiner Ruthener mit dem ausländis
ſchen Metropoliten von Moskau febr ungerne faf. Schon
im Sabre 1350 hatte der Patriarch von Eonftantinopel
aus $abfudt zwei Metropoliten für Rußland geweiht,
von denen der Eine, Aleris, zu Moskau, der Andere,
Roman, zu Kiew refivirte. Nachmals waren zwar bie
Metropolen wieder vereinigt worden; doch gab jene Tren-
nung einen Vorgang für bie meue, melde Witold beab-
fichtigte. Nach feinem Willen verfammelten fid) im Jahre
1414 die fübruffifden Bifhöfe von Tſchernigow, Spolotef,
fuif, Wladimir, Smolensk, Gfelm unb Turow, fagten fid
von der Metropole Moskau 106, unb wählten einen eigenen
Metropoliten von Kiew, Gregor Zamblak . Diefer
bemühte fid) vergebens, ben Fatholifchen Herzog zum Meber-
tritte in die griechiſch⸗ruſſiſche Kirche zu bewegen, unb ber
gab fij aud auf das große Goncilium zu Conſtanz,
wahrſcheinlich um aud) hier die ſchismatiſchen Interefien
zu vertreten. Strahl meint (a. a. D. ©. 438), er habe
gar ben Papft befehren zu Fönnen geglaubt. Sein Nach⸗
folger Geraffim ftarb i. 3. 1435 ale Hochverräther,
und die Kiew’fhe Metropole blieb mehrere Jahre lang
erledigt. Da ward in Mosfau ein gewiffer Ifidor auf
den Metropolitanftuhl erhoben 9, vom conftantinopolitanis
ſchen Patriarchen gefandt und geweiht, ein gelehrter Grieche
aus Theſſalonich, geſchmeidig, ſchlau und berebt, jugleid)
ein Freund Roms, welcher einfah, daß nur in bem Ans
ſchluß an diefes bie griechiſche Kirche wieder Leben, baó
1) Strahl, a.a. Ὁ. €. 434 f. Karamfin, Thl. V. Θ. 185.
Theiner, ©. 44.
2) Raramfin, 29. V. €. 224 ἢ.
Die ruſſiſche Kirche. 3n
griechiſche Reich wieder eine Garantie ber Fortdauer ge»
winnen fónne. Als nun ber griehifhe Kaifer Johann
Paläologus IL eine Union mit Rom wünfhte, um
durch abenbländifche Hülfe fid ber Türken zu erwehren,
und mit dem Patriarchen Joaſaph von Gonftantinopel,
und vielen Bifhöfen und Großen nad Italien auf die
Unionsfynode zu Ferrara⸗Florenz gereist war, ba
erklärte der Metropolit Ifidor von Rußland, ber [don
früher einmal zu Rom gewefen, es für feine Pflicht, an
diefer Synode ebenfalls Theil zu nehmen, unb. führte bief
aud aus (1438), obgleich ber ruffifche Groffürft dagegen,
und einer Union nicht geneigt war ). Iſidor fam mit
dem Biſchofe von Susbal (bei Wladimir in 9tuflanb, im
i3ten Jahrhundert errichtet) und anderem großen Gefolge
qu Ferrara an, begleitete dann die Synode nad) Florenz,
mar einer ber Hauptrebner der Griechen, zugleih Stell-
vertreter des Patriarchen von Antiochien, und neben Erz⸗
bifjof Beffarion von Nicka am meiften für die Union
thätig, weßhalb ihn Eugen IV. nachmals zum Carbinal
der roͤmiſchen Kirche und zum apoftolifden Regaten für
den Norden ernannte). Nachdem die Union im Jahre
1439 glüdlid) zu Stande gefommen und Iſidor bie Urfunde
unterzeichnet hatte, begab er fid zuerſt mad) Kiew und
wurde hier auf den, wie wir fehen, feit einigen Jahren
erledigten Metropolitanftuhl ber zu Lithauen und Polen
gehörigen rutheniſchen Provinzen gefet, welde nun in
die Union eintraten. Sofort Fehrte er nad) Moskau zus
τὰ, publieitte aud) hier die Union, wurde aber von dem
1) Raramfin, TH. V. ©. 225. 227 f.
2) Bol. meine Abhandlung über die Union der griechifchen Kirche
in ber Quartalſchr. 1847. S. 195. 205. 236 ἢ. u. 1848. ©. 183.
372 “Die uffifge Kirche.
Groffürften Waſſili IL, ber fammt bem ruſſiſchen Epis⸗
copate bie Union nicht anerfannte, in ein Kloſter gefpertt
(1441); entfam nad) 2 Jahren wieder durch Flucht, begab
fib nad Rom, erhielt Hier hohe Würden, wurde zulept
Garbinalbefan und Iateinifcher Patriarch für Gonftantinopel
und ftarb i. 3. 1463. .
So war nun bie Mosfauer oder nördliche Metro⸗
pole griechiſch⸗ſchismatiſch, bie füblide oder Kiewer das
gegen unirt, unb mit ihr bie Cuffraganbiétbümer Brjansf,
Smolensf, Peremyſchl, Surom, Luzf, Wladis
mir, Polotsk, Chelm und £alica ἢ. Weil aber
aud ber Patriarch von Gonftantinopel bie Union anges
nommen hatte, beffjalb trennte fid) jet bie ruſſiſche Mer
tropole Mosfau temporär von ihm [o8, und εὖ war jene
Union Eonfantinopeld mit Rom bem Groffürften Waf-
fili eine erwünfchte Gelegenheit, die ruſſiſche Kirche von
Eonftantinopel unabhängiger zu maden, was [don viele
feiner Vorgänger gewünfcht, aber herbeizuführen nicht ges
wagt hatten. Und wenn aud nad bem Falle von Gon»
fantinopel i. 3. 1453 unb der SBieberauflófung ber Flo⸗
rentiner Union die Verbindung Mosfau’8 mit bem
Patriarchate Eonftantinopel einigermaßen wiederhergeßellt
wurde, fo war bod) unterbeffen der Einfluß des Gjaren
auf bie ruſſiſche Kirche beträchtlich gewachfen und er fing
bereits an, fid) al& beren Oberhaupt zu betrachten und zu
benehmen 2). Dabei ermangelte Rußland Flugerweile
nie, bie unter türfifher Herrſchaft verarmten Griechen
reichlich zu unterftügen und viele der Flüchtlinge freundlich
aufzunehmen. Es gewann dadurch bie Sympathie ber
1) Raramfin, Thl. V. €. 241.
2) Strahl, a. a. Ὁ. ©, 477. 909. 554. 559. 861. 599.
Die ruſſiſche Kirche, 373
eigentlichen Griechen, lief fie fo die Emancipationsgelüfte
der ſtolz gewordenen Tochter vergeffen, und beteidjerte zus
gleich das eigene Reich burd) eine gute Anzahl wiſſen⸗
ſchaftlich gebilbeter Männer.
Mehrere SBerfude, aud) das eigentliche Rußland für
die Union zu gewinnen, blieben erfolglos, namentlich jene,
die unter Papft Sirtus IV. im 3. 1472, unter Leo X. im
3. 1513 und unter Clemens VI. im 3. 1525. unternoms
men worden find ἢ. Volk, Geiftlichfeit und Regierung
waren Dagegen, umb ein ftarfer Haß gegen bie Iateinifche
und die unirte griechifche Kirche trat ganz unverfchleiert
m Tage. Auch gewann die ſchismatiſch- ruſſiſche Kirche
vielfachen Zuwachs. Von dem Mongolenjoche befreit
(eit 1462) eroberten die Ruſſen im Norden und Oſten
eine Reihe großer Provinzen, Perm, Kaſan, Aſtrachan,
Georgien, Lappland, Sibirien unb bergL, fanbten überall
Niffionäre bin, und gewannen alle biefe Länder für die
ruſſiſche Kirche. Nahezu ganz unabhängig von bem Pa-
triarchen zu Conftantinopel leitete biefe der Metropolit.
Seine Weihe in Eonftantinopel war faft das einzige Band,
das ihn nod) an ben alten Patriarchenſtuhl Enüpfte. Seine
Wahl geſchah auf ben Vorſchlag des Großfürften, im
Uebrigen war er jebod) von biefem ganz unabhängig und
frei in feiner Amtsführung; ja bis ins 15. Jahrhundert
hinein wagte felten ein Großfürft, dem Metropoliten zu
twiberftehen, und das Anfehen bes gegterem war aud) in
den weltlichen Dingen des Staates von fer hohem Ges
wichte. Unter ihm fanden in fehr tiefer Gubjeftion bie
ÜBorftefer der einzelnen Diöcefen oder Epardien, bie
gewöhnlichen Biſchoͤfe und Titularerzbifchöfe. Bei ihrer
1) Strahl, a. a. Ὁ. ©. 483 fj. 548 ff. u. 556.
374 Die ruſſiſche irche.
Wahl hatten Fürſt und Bolt, Metropolit und Clerus
Antheil 1), und bei der Eitelleit und Rangfucht der ruſſi⸗
ſchen Geiſftlichen gab εὖ nicht felten zwielpältige Wahlen,
bie bann gewöhnlich burd) das oos ent(djieben zu werden
pflegen. Zum Unterhalt des Clerus diente der Zehnten,
den fhon Wladimir anwies. Im ihren Ländereien hatten
bie Bifhöfe aud) bie bürgerliche Gerichtsbarkeit, und ihre
geiſtliche Surióbiftion dehnte fij über Bieles aus, in
ähnlicher Weile wie bei der der fateini[den Bifchöfe
des Mittelalters *). Der ruffiihe Episcopat, aud ben
Klöftern, nicht aus der Weltgeiftlichfeit genommen, zeich⸗
mete fid) in der Regel vor diefer burd) Wiſſenſchaftlichkeit
und firengere Ascefe aus unb genof zugleich zweier ſchoͤ⸗
nen Vorrechte im bürgerlichen Leben. Gleich ben alten
Bifhöfen feit Gonftantin dem Gr. ftanb aud) ben τιν
[fen das Recht zu, für SBerurtbeifte bei ben Fürften zu
intercebiren, unb es war bie um fo wohlthätiger, je un
gerechter einerjeit die rohen Fürften öfters beftraften,
und je weniger fie andererfeits bei dem hohen Anfehen
des Episcopats folie Interceffionen gering achten durf⸗
ten. Auch unter ber mongolifhen Oberherrſchaft haben
die ruffiihen Bifhöfe dieſes Recht fegenóreid) geübt, ben
Zorn ber Khane befänftigt und find vielfach bie wahren
Retter ihrer Diöcefen geworben 3). Grft im 16. Jahrhun⸗
dert zwang Car Iwan IV. ben Elerus, auf dieſes
ſchoͤne Vorrecht gu verzichten *).
1) Schmitt, kritiſche Geſch. der neugtiech. u. rufffgen rdv,
©. 152.
2) Sämitt, a. à. Ὁ. €. 152. 153.
3) Karamfin, a. a. D. Thl V. 6. 305.
4) tra, o. o. D. €. 597.
Die ruſſiſche Kirche, 375
Durch ein anderes Recht haben bie zuffifhen Biſchöfe
manden blutigen und ungercdjten Krieg verhindert. Kein
tuſſiſcher Sürft konnte nämlich in den Krieg ziehen, ohne
daß ihn zuvor ein Biſchof dazu eingefegnet hätte. Ein
ungefegneter Feldhert hätte Feine Soldaten gefunden, und
in der That ſcheiterte mancher Kriegsplan an ber beharrs
lien Segensverweigerung fämmtlicher ruſſiſchen Bifchöfe 1).
Lehtere fprachen überbieß aud) Interdifte über rebellis
fhe Städte, um fle fo zum Frieden unb zur Unterwerfung
ju nöthigen; aber nicht immer wurbe biefe Waffe in
wuͤrdiger, mitunter fogar in ſichtlich ſerviler Weife ge»
braucht 9. — Manchmal, bod) felten, "trat ber ruſſiſche
Episcopat zu Synoden zufammen, um ben Suftanb ber
Kiche zu verbeffern; aber oͤfters waren εὖ bie Heinften
Aeußerlihfeiten, welche biefe Synoden befchäftigten und
die Gemütfer auf eine faft unbegreiflie Weife erhigten.
Wie à. B. das Kreuzeszeichen zu machen fei, ob bie Pros
aefftonen von SBefen nad Dften ober umgefehrt gehen
müßten 3), — über ſolche Dinge ftritten fij) die Väter
ber ruffifchen Kirche oft Jahre [ang mit ber bitterften
Heftigfeit. Eine Sache ber Bódften Importanz (dien es
aud), ob bie Bifchofsmüge weiß ober ſchwarz fein müffe,
unb wem bas Ehrenrecht zuftche, eine weiße Müge mit
Cngelébilbern zu tragen. Aehnliche Streitigkeiten über
Kleider herrſchten auch unter bem Elerus zweiten Ranges.
Nicht minder fleinfid find bie meiften Borwürfe,
welche bie ruffifchen Biſchoͤfe theils einzeln theils in Sys
noden verfammelt, der Iateinifhen Kirche machten. Daß
1) Strahl, a. a. Ὁ. ©. 290.
2) Schmitt, a. a. D. ©. 154.
3) Strahl, a. a. Ὁ. €. 490. 578,
376 Die ruſſiſche Rice,
die Lateiner durch Begießung mit Wafler, nicht durch
Untertaudung tauften, (dien ben Ruſſen ein gräus
lider Abfall vom Chriſtenthum. Die allerfchredlichfte
Keperei aber fand die Synode von Moskau im 3. 1551
darin, daß die lateinifdjen Priefter ben Bart (deren laſſen,
fo fhrediih, baf dieß Vergehen nicht einmal durch das
Martyrium gefühnt werben fónne ). Das Allerbefte
jedoh enthält die Kormezaia Kniga, b. b. „das
gottgehauchte Steuerbuch.“ Es foll dies, proſaiſcher aud»
gebrüdt, eine Anleitung fein, das Schiff der Kirche zu
regieten, und fann gewiſſermaßen das ruffiffe corpus
juris canonici genannt werben. Darin ift nun in lon-
gum et latum ausgeführt, ber Bifchof von Rom {εἰ von
Anfang an ber Primas in ber Kirche gemefen, aber burd)
ben Frjagifhen Riga Karul (b. h. ben Frankenkoͤnig Earl
ben Gr.) fei das Abendland und damit der roͤmiſche Stuhl
häretifch geworben, und einer der Päpfte Petrus gombarbu&
(Befanntlid) nicht Papft, fondern Biſchof von Paris) habe
den lateiniſchen Geiftlihen befohlen, fieben Frauen zu
nehmen! Vielleicht hörte der Ruſſe davon, daß Petrus
Sombatbué bie fieben Sakramente zuerft vollftánbig aufe
zählte, und bie Ehe septimo loco fete. — Einen Aus-
jug aus biefem „gottgehauchten Gieuerbudje" gab uns
der gelehrte Wiener Bibliothefar Kopitar (Wiener
Jahrbücher in ben 3. 1823—26) unb παῷ ihm Schlofs
fer in feiner oben eitirten Schrift über bie ruffifche
Kirche.
Neben ben Biſchoͤfen nahmen und nehmen bie Ar»
dimanbriten (Aebte) unb Sgumenen (Prioren) ber
1) Strahl, a. a. ©. S. 579.
Die ruſſiſche Kicche, 377
Klöfter den hoͤchſten Rang in ber ruſſiſchen Kirche ein,
duch Stellung und Bildung. Die Klöfter felbft, nad
der Regel des hi. Baftlius b. Gr., mehrten fij) ins Uns
geheure an Zahl, Reichthum und Anfehen. Einzelne, wie
bie von bem berühmten Mönche St. Sergius um bie
Mitte des 14. Jahrhunderts geftiftete Troitza Lawra, zeichnes
ten fid) burd) Prachtbauten, vergoldete Kuppeln, Gemälde,
viele und ungemein große Gloden, die ber Ruffe insbes
fonbere liebt, fowie burd) hohe Zahl Teibeigener Bauern
aus, deren bie Troiger Lawra über hunderttaufend befaß D). _
Manche traten fon in jungen Jahren, andere erft fpäter
in bie Klöfter, um bie Sünden ihres Lebens zu büßen,
monde wurden aber auch, felbft Bifhöfe und Fürften, zur
Strafe ald Moͤnche gefhoren und in Klöfter gefperrt.
Aehnliches fand aud) bei Frauen aus ben höchſten Staͤn⸗
den ftatt; ganz allgemein aber legte man einen hohen
Werth darauf, wenigftens im Kloftergewande zu flerben,
und nicht blos hohe Geiftliche, aud) Fürften und Fuͤrſtin—⸗
nen unb andere weltlihe Große liefen fid) beffalb am
Ende ihres Lebens das fogenannte große Engelskleid
anziehen 9. — Außer den eigentlihen Moͤnchen treffen
wir in Rußland mod) tief im Mittelalter fogenannte
Styliten, wie 3. B. der flavonifche Chryſoſtomus, Bir
hof Eyril IL von Turow im zwölften Jahrhundert, vor
feiner Erhebung auf ben bifhöflihen Stuhl Tängere Zeit
in eine Säule unter Faſten und Beten eingefhloffen,
1) Eine feft ſchoͤne und ausführliche Beſchrelbung ber Troitza
Laura gibt Qr. v. Harthaufen in feinem trefflichen Werke: „Stubieu
über die innern Zuftände Rußlande. Qannov. 1847. Thl. J. S. 80—91,
2) Raramfin, 80. V. €. 305.
378 Die ruſſiſche ird.
hohen Ruhm erfangt hattet). Im Ganzen fand ber
zuffifhe Weltelerus, Protopopen, Popen und Diafonen,
an Sitten und Kenntniffen tief unter der Kloſtergeiſtlich⸗
feit. Biele waren unmiffenb bis zum Nichtlefenkönnen,
unftttlich nad) verfchiedenen Seiten, bem Sxunfe ergeben
und fo träge, daß fie oft, namentlich zwiſchen Oftern und
Allerheiligen, fehr felten Gotteóbienft hielten. Selbft abers
glaͤubiſch nährten fie den Aberglauben unter dem Volke,
und dieſer war überhaupt in Rußland fo heimiſch, daß nicht
blos allerlei fehr unverbürgte Mirafel geglaubt wurden, daß
vielmehr fogar hohe Prälaten, die als Lichter galten, wie
der Metropolit Mafar im 16. Jahrhundert, ben Ster-
benben hohen Ranges, gegen gutes Geld, Schreiben an
den heiligen Petrus mitgaben, damit diefer bem gnábigen
Herrn alébalb bie Himmelsthüre öffne ?).
Gegen Ende des Mittelalters nahm bie Achtung ber
Weltleute namentlih der Würften vor der Geiſtlichkeit
merklich ‘ab. Die Czaren betrachteten fij) immer mehr
aud als das firdjlide Oberhaupt des Reihe, erhoben
„Ihre Greaturen auf bie bifhöflihen Stühle, ftießen fi
eben fo eigenmächtig wieder von benfelben herab, erlaubten
fid oft die vohefte Behandlung und graufamfte Mißr
handlung ber immer mehr gefnechteten Prälaten, und je
mehr ber τι πε Cäfareopapismus fid) entwidelte, befto
häufiger fonnte die ſchmaͤhliche Sitte ftattfinden, aud
Geiftlihe im Angefichte ihrer Gemeinde mit der Knute zu
peitſchen.
Fuͤr Cultivirung und beſſeren Unterricht des
Elerus ſorgten nur wenige Fuͤrſten; das Meiſte thaten
1) Strahl, a. a. O. S. 188.
2) Strahl, a. a. D. ©. 587.
Die zuffifche Kirche. 379
Biefür bie Klöfter, unb wenn aud) bie τε Kirche
des Mittelalters einige in ihr hochberühmte Schriftfteller
zählte, fo find bod) ihre Werfe und ihre Weisheit meiftens
von wenig Belang. Griehifhe Einwanderer brachten
einiges Licht; aber wenn fte, wie im Anfange des 16. Jahr⸗
bundert6 der 9Rónd) Marimin auf Fehler in ber flas
vonifhen SBibelüberfegung und in ben Kirchenbuͤchern
aufmerffam machten, wurden fie mit Gefángnif belohnt !).
Die S8udbruderfunft fand bamaló nod gar feinen
Eingang in Rußland, unb als hundert Jahre nad) ihrer Gr»
findung Gjar Iwan IV. auf den Wunſch des Metror
politen Mafar im 3. 1553 fie wirklich einfüfrte, wurde
fie für Zauberei erklärt und fonnte lange feinen rechten
Fortfchritt gewinnen 9. Um bie Orthoborie zu überwachen,
wurde im Anfange des 16. Jahrhunderts bie Predigt
cenfur eingeführt, unb nur zuvor revidirte Ausarbeitungen
zum Bortrage zugelaffen 5). Doc konnie felbft biefe
hoͤchſte Aengftlichfeit für Orthodoxie bie Entftehung
von Härefien nidt hindern. Namentlih waren εὖ
wei zahlreiche und gefährliche Sekten, woelde feit bem
14. und 15. Jahrhundert die ruffifche Kirche zu beläftigen
begannen, bie Strigohniks's und bie Judenfecte
Erſtere erhielt ihren Namen nad) einem gewifen Karp
Strigolnif, der im 3. 1375 zu Groß⸗Nowgorod mit
der Behauptung auftrat, bie Sitte ber ruſſiſchen Biſchoͤfe,
von ben zu Drbinirenden eine Tare einzuziehen, fei Gi»
monie, unb εὖ müffe fid) Jedermann von Prieftern fern
halten, welde ihre Weihen um Geld erhalten hätten.
1) Strahl, a. a. D. ©. 545.
2) Strahl, a. a. Ὁ. ©. 587.
8) Strahl, a. a. D. ©. 561. .
$80 — . Die ruffiſche Kirche
Zugleich erflärte er bie Beicht für überflüffig, denn ber
Menſch werde aud) ohne fie der göttlihen Verzeihung
theilhaftig.
So unrecht er aud) in bem einen wie in bem ande
ten Punfte hatte, fo zündeten bod) feine Worte in vielen
Gemüthern, mande Kirhen der Popen blieben jet Teer
und der Streit erhißte fid) in bem Grade, daß Gitrigolnif,
fein Diafon Nifita und einige andere Häupter der Gefte
in den Wolchowſtrom geftürzt wurben im S. 1375. Sie
galten jet als Martyrer und die Gefte breitete fid) nur
um fo mehr aus. Sofort beauftragte ber Patriarch von
Eonftantinopel im S. 1382 ten Biſchof Dionys von
Susdal mit SBeferung ber Irrenden, und wenn biefer
wirklich kluge Biſchof in ber That auch Viele zurüdführte,
fo hörte die Gefte bod) nod nicht auf unb verzieigte
fib Hundert Jahre nad) ihrer Cntftebung, am Ende des
15. Jahrhunderts, durch Auswanderung aud) nad) Polen,
Kurland und Ingermanland, wo ihre 9tadjfommen nod)
bis heute unter dem Namen Raskolnif’s leben, wie
auch im eigentlichen Rußland nod) jet die Eeften ber
Bespopowtschschina unb Njetowschtschina ihre Ueberbleibs
fef. find 9.
Noch weit wichtiger war bie Subenfefte, Schi-
dowskaja-eress, aud in S9owgorob gegen Ende bes
15. Jahrhunderts entfanben. Der Sube Zacharias in
Nowgorod gewann wahrſcheinlich durch die geheimnißvolle
Tiefe ber Kabbala die Popen Dionys unb Aleris
für feine aͤchtjüdiſche Meinung, das alte Geſetz [εἰ
mod) in voller Kraft, denn ber Meffins [εἰ nod nicht
1) Strahl, Beiträge qur ruſſiſchen Kirchengeſch. 1827. & 259
bis 263, u. Brelburger Kirchenler. £8». IX. €. 186.
Die ruſſiſche Kirche, 884
erſchienen. Daraus leitete er zunächft das Verbot bet
Bilderverehrung ab, und feine Anhänger follen fogar das
Kreuzbild angefpieen haben und berg. Aeußerlich als
Chriſten fid) gerirend wirkten nun bie genannten Popen
insgeheim für das Judenthum, gewannen mande Andere,
fogar den Protopopen Gabriel an der berühmten
Sophienkiche zu Nowgorod, ben Arhimandriten Zofima
und andere höhere Geiftlihe und Laien, und breiteten ihre
Lehre aud) in Moskau aus. Durch erheuchelte afcetifhe
Strenge dedten fie bie Härefte fo glüdlich, daß jener Pope
Meris ein Liebling des Czaren Iwan IIL oder des
Großen wurde und ihn beftimmte, ben Genoffen Zofima
auf den Metropolitanftuhl zu erheben im S. 1490. Selbft
die Sürfin Helena wurde für die Sekte gewonnen. Dies
felde hatte βῷ bereits längere Zeit insgeheim verbreitet,
da wurde fie im S. 1488 durch Erzbifhof Gennadius
von Nomgorod theilweife entbedt und beim Großfürften
Iwan IM. benuncitt, der num im 9. 1490 darüber ein
Eoncil nad) Moskau berief. Es prüflbirte dabei der Mes
tropolit Zofima, befien Antheil an der Keherei nodj
verborgen war. Diefelbe wurde anathematifirt und bie
Angeflagten eingeferfert, wobei εὖ Gennabius weder an
Graufamfeit nod) an Spektakel fehlen ließ. Die Verur⸗
theilten wurden umgefehrt auf Pferde gefebt, die Kleider
verkehrt angezogen, unb jedem eine fpipige Müte von
Baumrinde mit Strohkraͤnzen aufgeftülpt, worauf mit
großen Buchftaben fand: „Kriegsſchaar Satans." So
mußten fie durd alle Straßen reiten, wurden vom Pöbel
angefpieen, dann die Kappen auf ihren Köpfen verbrannt,
unb fie fefbft eingeferfert. Aber die Sekte wucherte fort,
und Sofima mißbrauchte beharrlich feine Stellung, um
382 Die ruſſiſche Kirche.
da und dort den Glauben an Chriſtus zu untergraben,
und diejenigen Geiſtlichen, welche der Haͤreſie beſonders
kraͤftig entgegentraten, von ihren Stellen zu entfernen.
Nach einiger Zeit entbedte zwar unb benuncirte der Mönd)
Joſeph, der uns aud) bie Geſchichte ber Sekte beichrieben,
bie Irrlehre des Metropoliten; aber der Ezar war nidt
geneigt, Strenge anzuwenden und großes Auffehen zu
machen, Zofima wurde barum nicht eigentlich geftraft, fon»
dern mußte b[o8 vefigniren und fid) in ein Klofter zurüds
siehen, wo er unfdjáblid) war. Ob bie heutige Sefte ber
Szelesnewschtschina in Polen, Rußland unb der Türkei
eine Abart der alten Judenfelte fei, if ungemif aber
nicht unwahrſcheinlich 1).
Wie wir oben gefehen haben, war im 15. Jahrhuns
bert bie Metropole Kiew und bie zu ihr gehörigen rufs
fiffen Provinzen von Polen und Lithauen in Union mit
Rom getreten, aber da biefe nur eigentlich vom Metropos
liten ausgegangen war und nidjt im Volke unb Gleruó
wurzelte, fo fonnte fie gegenüber ben Lockungen ber disunirten
Nachbarn in der Moskauer Metropole unmöglih auf
langen Beftand rechnen. Der Metropolit Joſe ph von
Kiew, aus bem lithauifhen Haufe der Grafen von Sul
tan obe Soltan, trat zwar am Ende bes 15. unb
im Anfange des 16. Jahrhunderts als ihr energiſcher
Vertheidiger auf; aber er mußte fe[bft (fon den Abfall
von breien feiner untergebenen Biſchoͤfe erleben, unb kurze Zeit
nad feinem Tode löste fid) bie Union vollends gänzlich) auf?).
1) Strahl, Beiträge, L €. 263 f. 938 f.
2) Strahl, Gel: der ruſſiſchen Kite, Bo. L €. 498. 508.
Theiner, a. a. Ὁ. €. 64. .
Die ruſſiſche Kirche, 383
König Alexander I. von Polen (1492—1506) war
mit der ruſſiſchen Prinzeſſin Helene vermählt, und dieſe
glaubte in ber Vernichtung ber Union das politifche Mittel
gefunden zu haben, um ben Einfluß ihres ruſſiſchen Bas
terlandes auf Polen in hohem Grade zu vermehren. Es
' gelang ifr, in bie hoͤchſten Staatsämter Polens Nicht⸗
unirte einzuſchieben, die Privilegien ber Mnirten zu zerftd«
ten, ihre bifchöflihen Stühle mit Unionsfeinden zu befegen
und die Unirten auf folde Weife ihrer Hirten zu beraus
ben. Als der ſchwache polnifhe König fid) diefem Plane
zu widerfegen wagte, rief fie den Vater gegen ben Θὲ
mahl zu den Waffen, unb ein ruſſiſches Heer, welches
Smolensf und andere Grenzfeftungen nahm, zwang ben
König von Polen, die ,ortfobore Religion,” wie Rußland
fi ausbrüdte, b. h. die ſchismatiſche Kirche, nicht mehr
au beläftigen. So wurde burd) treulofe Politik der Koͤ⸗
nigin bie Union im Anfange des 16. Jahrhunderts [aft
ganz zerftört, und viele Ruthener traten aus der griechiſch⸗
unirten förmlih jur Tateinifhen Kirche (im engern
Sinn) über, um nidt bem Gdjióma wieder zugetrieben zu
werben. Unter der ſchwachen Regierung ber zwei folgen-
ben polnifhen Könige Sigismund 1. (1506 — 1548)
und Sigismund Auguft I. (1548-1572) erftarfte
das Schisma nod) mehr, dagegen vertraten König Stephan
Bathori (1577—86) und fein Nachfolger Sigis-
mund II. (1587—1632) wieder mit Grnft und Eifer bie
fatholifhe Sache, Unionsfreunde famen wieder auf bie
biſchoͤflichen Stühle, bie Sefuiten waren erfolgreich thätig
und erzeugten durch ihre Schulen in ber ruthenifhen
Jugend eine Fatholifhe Gefinnung. Im gleihen Sinn
wirkten viele geiſtliche Bücher in flavonifher Sprache,
Sol, Ouartalſqriſt. 4868. LI. Geft.. 26
384 Die ruſſiſche Kirche.
von ben damals pofniffen Städten Lemberg und Oſtrog
ausgegangen, unb unter ben Ruthenern verbreitet 1).
Während fidj fo bie Wieberherftellung ber Union in
ben ruffifden Provinzen des pofnifchen Reiches vorbereis
tete, hatten fij in Rußland fefbft febr wichtige kirch⸗
liche Ereigniffe zugetragen. Ich meine vor Allem bie
Verbreitung des Chriſtenthums burd) bie 9tuffen
nad €applanb, Kafan, Aſtrachan und Sibirien, fowie bie
ffüiebererneuerung beffelben in Georgien und Sberien 2).
Diefem glüdlihen Ereigniffe gegenüber aber wurde ber
ruſſiſchen Kirche im 16. Jahrhundert burd) die Regierung
des graufamen und fchredlihen Iwan IV. (1533—84)
mande tiefe Wunde gefchlagen. Bei feiner Thronbefteis
gung zwar hatte fid) die fehönfte Einigkeit der geiſtlichen
und weltlihen Gewalt gezeigt, und erflere bei ber rà»
nung des Czars durch ben Metropoliten im 3. 1547 eine
bisher nie genoffene Ehre und Auszeichnung erlangt.
Die Metropolitanwürbe war ber Czarenwuͤrde gleich ge»
flellt, unb Metropolit und Czar nebeneinander auf -gleid)
hohe herrliche Throne gefegt worden 3). Auch berief Iwan
im 3. 1551 die Bifchöfe feines Reichs zu einem Eoncil nad
Moskau wegen DVerbefferung ber ruffifhen Kirche und
Ehriftianifirung der neueroberten Provinzen; und es hat
aud) biefe Synode unter dem Namen Stoglawnik, b. b.
das hundertfägige Goncil, einen bedeutenden Namen in
der Geſchichte der ruſſiſchen Kirche fid erworben ^). Aber
bald follte Ießtere aud) ben Drud des furchtbaren Herr⸗
1) Strahl, Geſch. b. ruf. 8. b. L ©. 609. 611.
2) Strahl, a. a. D. €. 541. 557, 583 (f. 613. 617.
3) Strahl, a. a. D. €. 572.
4) Strahl, a. α. O. €. 576.
Die rufſiſche Kirche. 385
ſchers empfinden, ber fih, nachdem er münbig geworben,
als abfolutes Oberhaupt ber Kirche gerirte, bie Biſchoͤfe
und Metropoliten mit ber willführlihften Grauſamkeit
behandelte, einfeßte, abfete unb fogar morbete, einen
großen Theil des Kirchenguts einzog, im SBiberfprud)
gegen das canoniſche Recht der griehifhen Kirche bie
Brälaten zwang, feine vierte Verehelichung zu beftätigen,
und feinen willführlihen Eheſcheidungen, ja Schließung
einer fünften, festen und fiebenten Ehe ruhig zuzufehen,
Obgleid) foldhes in bem Augen aller Grieden ein Gräuel
war ἢ). Stebfibem begünftigte Iwan den in Rußland eindrin-
genden Proteftantismus und Socinianismus, hatte einen fur
therifchen Liefländer, Namens Elberfeld, zu feinem Günfts
Ting, zeigte felbft Steigung bie Augsburgifche Eonfeffion anzu
nehmen, und erlaubte in feiner eigenen Qauptftabt Mosfau den
Bau einer proteftantifchen Kiched. Dagegen ließ er, ale
tt bie Stadt Polotsk ben Polen abgenommen, alle fathos
liſchen Kirchen derfelben von Grund aus zerflören, unb
ſchlug eine milbere Richtung erft dann ein, als er von
dem Helden Stephan Bathory in große Noth gebracht,
Roms Vermittlung anfprehen mußte. Auf bem h. Stuhle
fof eben Gregor XIIL, ber fon früher fein Auge auf
Rußland gerichtet und wenigftens abnenb erfannt hatte,
wie wichtig εἰπῇ für bie Univerfalität der Kirche bie Union
des damals freilich mod) micht fo foloffalen ruſſiſchen
Reiches fein müßte. Er fandte nun ben berühmten Sez
fuiten Anton Poſſevin zur Verföhnung ber Streiten-
ben an 8. Bathory von Polen unb an Iwan ben
1) Raramfin, 2b. VIIL. ©. 157. 219. 220, 348. Strahl,
a. a. Ὁ. 592. 599. 602 ff. 606 ff.
2) Strahl, a. a. D. €. 580 f.
26*
: 386 Die ruſſiſche Kirche.
Schrecklichen von Rußland im S. 1581 5. Der Car
behandelte ihn mit fo hohen Ehren, wie nod) nie einen an»
dern Gefanbten; bei Nennung des päpftlihen Namens
erhob er fij fammt bem Czarewitſch, und empfing mit
Achtung die päpftlihen Gefdjenfe und Schreiben, worin
unter ber Bedingung Firchlicher Union bie Vermittlung zu
einem günftigen Stieben mit Polen und fráftige Unter
ftügung gegen bie Türken zugefihert wurde. Der Czar
antwortete politiſch, geftattete aber [don bie erfle Bitte
des Legaten nicht, nämlich bie Grfaubnif zum Bau einiger
katholiſchen Kirchen für bie Fatholifhen Kaufleute un d
Einwohner Rußlands. Auf feinen Wunfh begab fid)
Poſſevin bald wieder in das Lager Bathorys, um biefen
zum Frieden zu bewegen. Die Unterhandlungen begannen
in einer Zeit, wo bie Belagerung von Pſtow ohne zu
gelingen, bem polnifchen Helden viele Taufende raubte
und fein Heer ihm entfremdete. Einigermaßen baburd)
entmuthigt, gab Bathory bem Gzaren mande von bem
- Eroberten gurüd, und Poſſevin vermittelte in ber That
ben Frieden. Nachdem er dies vollbracht, begab er fid)
im Sanuar 1582 wieder nah Moskau, um nun aud
bie Union zu bewirken, und erbat fi zu diefem Zwecke
eine befondere Unterrevung mit dem Gjaren. Sie wurde
ifm am 21. Februar 1582 gewährt. Der Gjar. erklärte
glei Anfangs entfhieden feine Ungeneigtheit zur Union,
ließ fid aber doch in eine Art Disputation mit bem ge»
gaten ein, bie nur zu heftigen Redensarten gegen bie
lateiniſche Kirche führte. „Drei Tage fpäter hatte Poſſe⸗
vin abermals Audienz unb wuͤnſchte, daß ber Czar junge
1) Karamfin, a. a. Ὁ. b. VIIL ©. 260 ff.
Die ruſſiſche Kirche. 387
unterrichtete Ruffen nah Rom ſchicken möge, damit fie
fib dort mit ben Dogmen ber alten griehifhen Kirche
und mit ber lateinijdjen Sprache befannt machen unb fo
au fünftigen Vermittlern dienen fónnten. Nicht minder
möge et „die giftigen Tutherifhen Magifter" aus bem ^
Lande treiben. Die zweite Bitte wurde abgefehlagen, zur
Erfüllung ber erfleren [eere Hoffnung gemacht. Auch von
einem Kriege gegen bie Türfen wollte der Gjar nichts
mehr wiffen, fuchte dagegen den Poſſevin durch fft dahin
ju bringen, daß er einem ſchismatiſchen Gottesbienfte bei
wohne und bem ruffifhen Metropoliten die Hand Füffe.
Der Legat klagte über Falſchheit, und obgleich mit äußern
Ehren umringt, fonnte er bod) für eine Union nicht das
Geringfte bezwecken, ja nicht einmal die Gr[aubni zum
Bau einer Fatholifhen Kirche erlangen. Nur die Freige⸗
bung von 18 zu Sflaven gemachten Spaniern unb mil»
dere Behandlung ber Friegsgefangenen Katholifen aus
Deutfchland und Lithauen wurde ihm zugefihert ). Mit
Geſchenken entlaffen reifte Poffevin im Mär; 1582 wieder
ab, und fliftete auf bem Rüdwege nad) Rom ein Iefuiten-
collegium zu Braunsberg und ein anderes zu Olmüg
zur Erziehung ſchwediſcher Jünglinge im ber Fatholifchen
Religion, denn aud) Schweden hatte er der Kirche wieder
einzuverleiben geſucht und theilweife felbft den König
Johann II. temporär dafür gewonnen ?).
Nah Swan herrfähte über feinen ſchwachen Sohn
und Nachfolger Feodor Iwanowitſch (1584-89)
defien Günftling und Schwager, Fürft Boris G obunow,
1) KRaramfim, a. a. Ὁ. 5. VIIL. ©. 288 ῇ. Theiner,
a. a. D. ©. 67 f.
2) Schroͤchh, Kirchengeſch. feit ber Reform. 80. IV. ©. 360.
388 Die ruſſiſche iris.
Staat und Kirche tyrannifirend. Ihm gelang εὖ, das
zu erreichen, was bie vorausgegangenen Herrfcher ange⸗
firebt hatten, bie Lostrennung vom Patriarchen in Gon»
fantinopel und die Gründung einer ruſſiſchen Nationals
fite, bie bei hohem Namen wenig Freiheit haben follte.
Bor allem vertrieb er den Mugen Metropoliten Dionys
und erhob den Hiob auf den Stuhl, feinen gehorfamen
Diener ). Als nun im I. 1588 ber Patriarch Jeremias IL
von Eonftantinopel in Moskau erſchien, um Almofen für
bie unter den Türken verarmte griechiſche Kirche und zum
Bau einer neuen Kathedrale in Conftantinopel zu fams
meln, ftellte ihm Boris Godunow das durch große Ges
ſchenke und SBerfpredjungen unterftüßte Anfinnen, ben
Metropoliten Hiob zum Patriarhen von Rußland zu ers
heben. Er that es und weihete am 26. Januar 1589
den Hiob mit vielem Pompe zum Patriarchen von Moss
fau, bem zugleich der britte Rang in der gefammten
griehifhen Kirche, nad) ben Patriarchen von Gonftanti
nopel unb Alerandrien und vor denen von Antiodhien
und Jerufalem zugewiefen wurde. Auch wurden vier rufe
fife Biihöfe zu Metropofiten, ſechs andere zu (Titular)
Grubifdófen erhoben unb nur acht verblieben als gewoͤhn⸗
liche Bifhöfe 2. Die Ehrentitel waren geſtiegen, aber
die Selbſtſtaͤndigkeit ber Bifhöfe nahm immer mehr ab.
In derfelben Zeit, wo Rußland fid) von Eonflanti»
nopel trennte, unirten fid) bie zuffifchen Provinzen in Polen
wieder mit ber Fatholiihen Kirche. Zur leichten Herbei⸗
1) Strahl, o. a. D. & 618.
2) Karamfin, a. a. Ὁ, 990. IX. ©. 186. Nah Schmitt
(itifäpe Gef. x. ©. 155) wäre der Rang des neuen Patriarchen ger
tinger gewefen unb er felbft bem Patriarchen von Serufalem nachgeſtanden.
Die ruſſiſche Kirche, 389.
führung einer Union hatte Poſſevin zu Wilna eine Sefuiten»
ſchule und ein Seminar für junge Ruthener gebildet,
welde zur Union übertreten würden unb zu Shrieftern
ihrer Nation hier gebilbet werden folltenY. Sowohl
Stephan Bathory als Sigismund IIL von Polen , beide
ſelber katholiſch, gingen freudig in feine Plane ein, weil
teligiöfe Einigung ber Einwohner das Königreih Polen
nur flärfer machen fonnte. Der Papft und ΕΣ Sigis⸗
mund ſtellten darum den Ruthenern die Vortheile bet
Union vor, und begünftigten die Unirten, ohne jedoch, wie
felbft ber eifrige Rufe Karamfin (Bd. IX. ©. 318) ge
feht, mit Gewalt ober Verfolgung zu drohen. Wohl
aber unterftügten fie bie Unionsfreunde auf alle Weife,
während dagegen ber Czar bie Gegner ber Union mit
ruſſiſchem Golde verfah ?). — Wider feinen Willen half
ber Patriarch von Gonftantinopel ben Unionsplan aus»
führen. Bon Moskau Deimfefrenb vifititte der genannte
Jeremias IL aud) die Metropole Kiew, fegte ben Metro»
politen Oniffiphor ab, weihete an feine Stelle den
Michael Rahofa (1589), ftrafte mande Biſchöfe unb
Arhimandriten, machte willführlihe Einrichtungen und
brandſchatzte bie Diöcefen. Dieß machte ihn verhaßt; zum
Metropoliten von Kiew aber hatte er einen Mann erhos
ben, ber fid) bald als ben entfchiedenften Freund ber Union
zeigte. Im December 1594 berief er alle Bifchöfe feiner
Metropole zu einem Concil nah Breft (ὅτε, um
Über die Frage zu entſcheiden, ob Hiob von Rußland ober
der. Bapft als Oberhaupt anerfannt werben folle. Der
Spruch fiel beinahe einftimmig zu Gunften Roms aus;
1) Theiner, a. a. Ὁ. ©. 69.
2) Raramfin, 90. IX. ©. 319.
390 Die ruſſiſche Kirche.
nur wei Biſchoͤfe von Lemberg unb Peremyſchl waren
anderer Anficht, aber aud) fie traten nahmals dem Sys
nodal⸗Beſchluſſe bei. Sofort wurden bie Bilhöfe Hypar
tion Phocias von Wladimir und Eyrill Terledi
von Luzk als Gefandte nad) Rom gefhidt im I. 1595,
um bem Papfte auf bie Bedingungen der Slorentiner
Synode hin bie Union anzubieten. Clemens VIIL nahm
die Deputirten mit allen Ehren auf, unb in das Gonfiftorium
eingeführt (23. Decbr. 1595), legten fte das für unirte
Griechen übliche Glaubensbekenntniß (das nisänifche fammt
filioque und ben Erflärungen von Florenz über ben Bf.
Gif) für fid und ihre Gommittenten feierlich ab. Zus
gleih wurde Alles, was bie Plorentiner Synobe ben
Griechen einräumte, namentlich bie Beibehaltung ber alten
Kirchengebraͤuche, Kirchenſprache, Diſciplinareinrichtungen
und dergl. auch ihnen geſtattet, und Clemens ließ wegen
Abſchluſſes diefer Union eine Feſtmuͤnze prägen, mit bem
Bilde des Papftes, bem fij ein Stuffe zu Füßen
wirft, und mit ber Umfchrift: Ruthenis receptis unb
der Jahreszahl 1596 3). Meberbieß publicirte er das
1) Im lorem, Hatten ble Griechen bie bogmatifdje Richtigkeit des
Zufoges flioque auebrüdlid anerfannt, bod) fatte map bamale nicht
von ihnen verlangt, daß fie audj das Wort filioque in ihr Symbol aufe
nehmen müßten. Vrgl. meine Abhandlung über bie Union der Griechen,
Artifel IL. ©. 252 f. der Quartalfchr. 1847.
2) Die Gefcyichte fammt dem fraglichen Glaubensbefenntnig unb
andern Dofumenten biefer Union unsliefertent
1. Eaefar Baronius in feiner Abhandlung: De Ruthenis ad
communionem Sedis apost. receptis, bem 7. Bande feiner Annales
angehängt. Am Gxluffe derſelben giebt er aud) eine Gopie ber
oben befprochenen Münze.
2. Theiner, a. a. Ὁ, ©. 96. und die dazu gehörigen Dokumente
9t. 2. 8, 4. u. 5.
3. Auch handelt Karamfin, a. a. D. 85. IX. €. 317 f. v. dieſer Sache.
Die ruſſiſche Kirche. 301
Geſchehene der ganzen Welt durch die Bulle: Magnus
Dominus et laudabilis. — Die ruthenifhen Bifchöfe bes
ſtaͤtigten fofort feierlich, was ihre zwei Deputirten getfan,
unb die ruthenifche Kicche wurde von nun an wie eine
SRifflon betrachtet unb ber Congregatio de propaganda
fide unterſtellt. Durch ihre Vermittlung erhielt jeder
neue Metropolit bie päftlihe Gonfirmation , während ihm
felder das Recht blieb, feine Suffraganen zu confirmiren
und zu confeciten. Gewählt aber follte er werden von
den SBifdjófen und Archimandriten.
Auf die Nachricht hievon fhleuderte der neue Pas
irat $iob von Moskau ben Fluch auf ben unitten
Elerus, und bie Bifhöfe von Lemberg unb Peremyſchl,
welde, wie wir fahen, fhon auf jener ruthenifchen Syr
nobe ber Union nicht geneigt waren, fielen jeßt wieder
völlig von ihr ab. Unter bem berühmten Könige Johann .
Sobieski febrten jebod auch ihre Digcefen zur Ein-
heit gurüd. Große Verdienfte um Ausbreitung der Union
erwarb fid) der Metropolit Iofeph 8elamin 9tubeti
(1613—1635), welcher von Papft Urban VII. ter Atha-
nafius Rußlands unb ber Atlas ber Union genannt wor⸗
ben ift, und buch ben bie unirte Kirche einen neuen
Katechismus in Heinruffifcher und polnifher Sprade (im
3. 1632) erhielt. Baft hundert Jahre fpäter (1720) orb»
mele die berühmte polnifhe Synode zu Zam oisk unter
dem Metropoliten Leo δὲ ἰδέα und unter bem Borfige
des päftlichen Legaten Hieronymus Grimalbi wieder
eine Reihe SBerbefferungen in ber unirten Kirche an 5;
1) Theiner, a. a. Ὁ. ©. 347 ff.
392 Die ruſſiſche Klirche.
aber aus zu großer Rigoroſitaͤt hob fle manche ber von
Clemens VII. concedirten griechiſchen Gebräuche wieder
auf, und näherte fid) aud) im Ritus ben Lateinern. Der
hf. Stuhl wollte beffalb die Synode Anfangs nicht bes
flätigen, denn mit Hoher Weisheit erfannte er, daß bie
Lateinifirung bie wahre Union in necessariis leichtlich
finbere, und hatte barum aud) ben Uebertritt der Unirten
zum Iateinifher Ritus verboten. — Grft auf wieberholtes
Gefud) des gefammten unirten ruthenifhen Episcopate
ertheilte Benedikt XII. endlich jener Synode bie páftlide
Beftätigung!), und der frog des Verbots unter bem ruthes
niſchen Adel häufig vorgefommene Uebergang von ber unirten
zur lateiniſchen Kirche zeigte wirklich in Bälde feine ſchaͤd⸗
lihen Folgen, indem bie unirten Stutfener, als fle unter
ruífiffe Herrſchaft famen, jet ihres natürlichen Bes
ſchuͤzers, eines fráftigen unirten Adels entbehrten, und
deßhalb viel leichter bie Beute ber ruſſiſchen Disunions-
Tendenzen geworben find. Am meiften haben bie ruther
niſchen Bafllianermönde durch ihre gatinomanie gefchabet,
mit welcher fie zugleich das Streben παῷ Gmancipation
vom unirten Metropoliten verbanden, und S8enebift XIV.
fand barum für nótfig, mehrere Bullen gegen bie Ans
mafungen ber Bafllianer zu erlaffen ?). Nah ihm hat
nod) einmal Clemens XIV. (1769—1774) der unirten
Kirche burd) ein neues Verbot des Üebertrittd zum lateis
nifhen Ritus aufzuhelfen gefudjt; allein er felbft mußte
nod) den Anfang jener politifchen Greigniffe erleben, in
deren Bolge bie (don geſchwaͤchte unirte Kirche faft gänze
lid zerftört wurde. Auf welche Weife und durch welde
1) Theiner, a a. D. S. 279.
2) Theiner, a. a. Ὁ. ©. 2721.
Die ruſſiſche Kirche. 393
Mittel dieß unter Katharina IL und dem jegigen fai»
(τ Nikolaus L geſchehen fei, darzuftellen liegt für jegt
ijt in unferer Aufgabe; dagegen müffen wir anführen,
daß jene Union aud) in ben polnifhruffifhen Provinzen
nie vollkommen durchgeführt werben fonnte, daß vielmehr
noch immer viele disunirte Gemeinden verblieben und εὖ
neben dem unirten Metropoliten von Kiew aud) einen
disunirten gab, ber fünf weitere ſchismatiſche Biſchoöͤfe
unter fid hatte unb dem Patriarchen von Mosfau unters
fand. Seit bem 3. 1635 hatten biefe Disunirten fogar
eine eigene Univerfität zu Kiew, Academia orthodoxa
Kiovo-Mogiloena, von bem disunirten Metropoliten Beter
Mogila geftiftet, aus ber viele Schmaͤhſchriften gegen
die Union hervorgegangen find h.
Sod bliden wir wieder nad) bem eigentlichen
Rußland. Als bie polnifchsrufflfhen Provinzen in bie
Union eintraten, regierte über Rußland fafti[) Boris
Godunow flatt feines Schwager Feodor J. Nah
des Letztern Tod im 3. 1598 ſchwang fij Boris burd
Ermordung des Cjaremitj Demetrius, unter Mitwir-
fung eines großen Theils der fervilen hohen Geiſtlichkeit,
namentlich feiner Greatur des Patriarchen Hiob, felbft auf
den Thron im Sabre 1598. Doch ein Diakon unb Mönd,
Gregor Jakob Otrepiew, beigenannt Raftriga,
d. h. entlaufener Mönd, trat im S. 1604 in Polen unb
Sifauen als SBfeubobemetriue auf, und erhielt
großen Anhang. Selbſt ber König Sigismund IM. von
Polen, der päpftlihe Nuntius 9tangoni und viele pols
nifhe Große wurden von bem Betrüger gewonnen und
1) Theiner, a. a. Ὁ. ©. 109.
394 Die ruſſiſche Kirche.
unterftüßten ihn. Dafür machte er ihnen, befonberó bem
Nuntius die feierlichften Zufiherungen, fobald er auf ben
Thron fáme, bie Union aud) in Rußland durdzuführen,
und trat felbft ſchon insgeheim im Sefuitenkolegium zu
Krakau der Fatholifhen Kirche beit. Auch SBapft Ele
mens VIIL, mit bem er in Brieſwechſel trat, intereffirte
fid für ihm, und verfiderte ihn feines Schußes. Der
Woiwode θὲ πὶ {ὦ εἴ von Sendomir (in Polen) verfobte
dem Spfeubobemetriuó feine fhöne Tochter Marina und
trat an bie Spiße der pofniffen Unterftügung des cuffie
fen Prätendenten. Es half nicht, daß Boris Globunom
unb ber Patriach Hiob das Ganze für einen Betrug ere
Härten; bie doniſchen Koſaken fpradjen fid) für Demetrius
aus, ebenfo bie τι πε Ukraine, und bald fammelte fih
ein Heer, an befien Cpige Demetrius, wie ein muthiger
Ritter nah Rußland jog. Seine Manifefte wirkten
auf das Volk, überall fiel es ihm fammt den Obrig«
keiten zu und ohne Schwertfireih gingen bie Grenz⸗
feftungen zu ihm über. Gobunom, ſchlechten Getviffene,
verlor feine fonftige Klugheit, und die Liebe der Ruffen
hatte er ſchon früher eingebüßt. Sein Heer wurde am
18. Decbr. 1604 von Demetrius gefdjlagen ; dagegen uns
terlag diefer in einer andern &djfadjt im Januar 1605,
galt aud) bereits felbft a[8 tobt, fammelte jebod) wieder
neuen Anhang, und zwar mit folhem Erfolge, daß die
Partei Godunow’s immer Heiner und immer lauer wurde,
Da ftarb Lepterer plóglid (wahrſcheinlich burd) Gift) im
3. 1605 und Hinterließ feinen 15jährigen Sohn Feodor I.
als Gjaten. Sein oberfter Selbberr Basmanow, bie
1) Karamfin, a. a. Ὁ, $5. X. ©. 111,
Die ruſſiſche Kirche. 305
her ber δεβε Kämpfer gegen den Praͤtendenten, ging nun
fammt bem Heere zu biefem über, unb in vollem SBompe,
überall anerfannt, jog Demetrius gegen Moskau. Bevor
er nod ankam, wurde ber junge Feodor I. von bem
empörten Bolfe vom Throne geftofen umb gefangen ger
fest, bald darauf fammt feiner Mutter Maria erwürgt,
ber Patriach Hiob feines Amtes beraubt und eingefperrt.
Darauf hielt Demetrius am 20. Juni 1605 feinen feiers
Tien Einzug in Mosfau, und regierte mit Kraft und
Weisheit, als wäre er zum Throne geboren gewefen. Des
ehemaligen Czaren Iwan des Schredlichen fiebente Frau,
die angebliche Mutter des Demetrius, wurde aus bem
Klofter, in das fie gefperrt war, herbeigeholt, und erklärte
mahrfcheinlih aus Haß gegen das Haus Gobunom in
bie Sáufdung eingehend, ben Betrüger öffentlich für ihren
Sohn, und umarmte ihn vor bem verfammelten SBolfe.
Doch das Glüd hatte ben Demetrius übermüthig gemacht,
et zeigte den Bojaren Verachtung, zog überall die Polen
und andere Ausländer ben 9tuffen vor, verſchwendete viel,
lebte in Ausſchweifungen, vernachläßigte mande heilige
Gebräuche, fhäßte die ruſſiſchen Geiftlihen und Mönde
gering, hatte dagegen zum größten Aergerniß der Ruffen
vielſach Sefuiten um fij, gab ihnen eines ber fhönften
Häufer der Reſidenz und geftattete ihnen fogar im Kreml
lateinifdjen Gottesdienſt. Auch feine Verheirathung. mit
der Fatholifchen Polin war ben Ruffen ein Verbrechen gegen
Religion und Nationalität. Nebenbei machte jedoch Des
metrius aud) nicht bie geringfte Anftalt, fein Verfprechen
in Betreff der Union zu erfüllen, und ber Papſt ſchickte
ganz umfonft den Grafen Alerander Rangoni, einen
396 Die ruffifche Klrche.
Neffen des Nuntius in Polen, an ihn ab Y. — Nicht
Tange, fo verbreiteten fid) aud) Geruͤchte über feine wahre
Sibftammung, von feinen eignen Verwandten, ja felbft von
feiner eigenen wahren Mutter ausgehend. Fürft Wafr
ſily Schuisky trat an bie Spige ber Ungufriebenen,
und während noch die fofoffalen Feſtlichkeiten der Hochzeit
mit Marina dauerten, brad) ber Aufftand aus am 17. Mai
1606. Demetrius, faft von Allen verfaffen, entfprang
burd) ein Fenſter, wurde aber umringt, aud) von Iwan's
Wittwe, bie jet widerrief, für einen Betrüger erklärt,
von zwei Evelleuten erfhoffen, vom Volfe zerriffen. Mas
tina unb ihr Vater wurden von ben Bojaren gerettet,
einige andere Polen umb mehrere Sefuiten, auf Anſtache⸗
fung einiger Popen, vom Pöbel ermordet. Fürft Waffily
Bafilius) Schuisky wurde nun zum Czaren erwählt
im 3. 1606, drei neue Pfeudo-Demetrii und ein Pſeudo⸗Peter
Cangebliher Sohn Feodor's) traten auf, und fhredliche
Anarchie und Thronftreitigkeiten entftanden, bis enblid)
hauptfählih burd) ben Clerus das dem rechtmäßigen
Gzarengefjledhte verwandte Haus 9tomanow in Wir
dae Romanow Fedorowitſch (1613—1646) auf
ben Thron erhoben wurde. Gegen ben Elerus dankbar
räumte er biefem wieder mehrere Vorrechte ein und ber
ſchism atiſche Metropolit Mogila von Kiew verfaßte jebt
(1632) das berühmte griehifhe Glaubensbekenntniß
(ὀρϑόδοξος πίστις πάντων τῶν Γραϊκῶν), Me wir
weiter unten näher gebenfen werben.
Unter Michaels Sohn und Nachfolger Meris (1646
bis 1676) entftanb die Gefte ber Ras kolniks ober
1) Karamfin, a. a. Ὁ, 80. X. €. 197.
ID zuffifche Kirche. 397
Atgläubigen aus SBeranfaffung einer Berbefferung ber
Kichenbücher. Schon im Anfange des 16. Iahrhunderts
fatte, wie wir oben bemerften, der griechiſche Moͤnch
Marimin angefangen, bie ruffifen Kirchenbücher mit
ihren griehifhen Originalen zu vergleihen und bie in
bie alten ſlavoniſchen SBerflonen eingefchlihenen Fehler zu
verbeflern. Allein aus Verdacht, ald made er die Bücher
ketzeriſch, wurde er in ein Klofter gefperrt und feine Ars
beit blieb ohne Erfolg. Auch mehrere fpätere Verſuche
führten zu feinem Refultate, bis unter bem berühmten
Batriorhen Nicon 1654 und feinem Nachfolger Jo—
ſeph ein großes aud von ben morgenländifhen Pa—
triarchen und ihren Gefandten befuchtes Goncil. eine folde
Verbeſſerung ſelbſt vornahm. Doch aud) damit waren
manche Fanatiker aͤußerſt unzufrieden und traten mit Hef⸗
tigkeit gegen die Niconianer (wie ſie die übrige ruſſiſche
Kirche nannten) und für die alten Kirchenbuͤcher auf,
weßhalb fie jelbft die Starowierzi (b. i. die Alt
gläubigen) und Raskolniki (v. L bie Getrenn-
ten) genannt wurden !)., Durch Verfolgung vermehrte
fi bie Zahl und die Erbitterung ber Geftiter, bedeutende
Emeuten bradjen aus, Ginridjtungen gaben ben Banatifern
Martyrer, wer zu ihnen übertrat und nad ben neuen
Kirchenbuͤchern getauft worden war, ben tauften fie nod)
einmal, trennten fid) aber aud) felbft wieder unter einan-
der. Seit Katharina II. | gefhahen wiederholt SBerfudje,
fie unter Belaffung mancher Gigentfümlidjfeiten wieder
mit der Kirche zu uniren, aber ohne großen, Erfolg. Die
Unirten heißen feither Jedinomwerzi, (v. i. die Gleiche
1) Strahl, Beiträge x. €. 290. Theiner, a. a. Ὁ. 6.110.
Serthaufen, a. o. D. Br. L €. 3485. 8. IL ©. 69.
398 Die ruſſiſche Me.
släubigen. Bald wurde der tame Raskolnik's ges
neralifirt und aud) auf verfchiedene andere Sektirer über-
tragen, bie jet in Rußland in nift geringer Zahl bald
mit bald ohne Prieſter entftanben. Erftere heißen Po-
pom[dt(dina, legtere Bespowfchtihina. Darunter
mar bie des Pfeudopriefters Lepichin befonders in Gibi»
tien (bie Morelfepifi) fanatifch bis zur fogenannten „Feuers
taufe," fo daß Taufende von ihnen freiwillig ins Wafler
fprangen, andere fid) lebenbig begraben ließen 3). Biele
diefer Selten, deren mande wie bie Duchaborzi
Eichtkaͤmpfer) faft gar nichts Chriſtliches mehr fefthalten,
haben fid) bis auf ben heutigen Tag erhalten, vorzugs⸗
weife in Grofruflanb, bei den Kofafen unb im Norden,
während die Kleinruſſen durchaus nicht zur Seftirerei ge»
neigt find. Seit Peter b. Gr. hat die Regierung wieder⸗
holt, aud nod) in ben Jahren 1841, 1842 und 1843
burd) Grilirung in großem Maßſtab nad) Sibirien und
in den Gaucafué bie Sekten zu erſticken gefud)t, ohne jebod)
gum Ziele gu gelangen 2).
Eine wichtige Epoche madt in der ruſſiſchen Profan«
und Kirhengefichte die Regierung Peter’s b. Gr.
Während Peter noch mit feinem Altern aber unfähigen
Bruder Iwan das Reich theilte (1682—89), in Wahrheit
aber feine ältere Schwefter, bie Huge Sophia, regierte,
machte der gelehrte und angefehene Grjbiffof Simeon
von Polotsf den Vorſchlag, der ruffüjfen Kirche einen
SBapft, vier Patriarchen und zwölf Meiropoliten zu geben,
1) Strahl, a. a. D. €. 301 u. 307. Harthaufen, a.a. D.
59». L €. 337 ἢ.
3) Ausland, Jahrg. 1842. Mr. 318. Harthaufen, a. a. Ὁ.
100. L Ὁ. 361. 409 jj.
Die sufflfche Kirche. 399
in der geheimen Abſicht, durch biefe neue ‚Einrichtung bie
Union mit ber lateiniſchen Kirche, der er fehr gewogen
mar, anzubahnen. Auch überfeßte er zu biefem Zwede
verfhiedene lateiniſche Hauptſchriften, y. B. bie Paftorals
Regel Gregors b. Gr. ins Ruſſiſche 1). Aber fein Tods
find, der Patriarch Soadjim, zerflörte dieſen Plan,
wie den des deutſchen Kaiſers Leopold I., welcher im
3. 1686 feinem Gefandten zu Moskau ben berühmten
Jfuiten Johann Bota beigab, um für bie Union
thätig zu fein. Er fonnte jebod) nit mehr erreichen, ale
daß in ber Geſandtſchaftskapelle Fatholifcher Gottesdienſt
frei gehalten werben durfte 7).
Bald nad) dem Antritte ber Alleinregierung im 3. 1702
gefattete Peter b. Gr. allen Eonfeffionen freien öffent-
lichen Gottesdienſt in feinem ganzen Reiche, genehmigte
den Kapuzinern und Jeſuiten ungehindert Miffionen in
Rußland, fdágte lehtere als Erzieher und überttug ihnen
den Unterrricht des jungen ruffifyen Adels. Als ihm ber
Patriarch) Adrian und die Bifhöfe dagegen Vorftellungen
machten, erwiberte er jornig: „ihr Büffel verftebt bod) nicht
die Jugend zu unterrichten“ 8). Mit bem hl. Stuhle unters
bielt er bie freunbfdjaftlid)fte Verbindung, unb mande
Aeußerungen ließen vermuthen, daß er eine Vereinigung
beider Kirchen ernſtlich gemünfdt habe. Dahin deutete
man aud) bie lange Nichtbeſetung des Patriarhenftuhles
Gatriarch Adrian ftarb ben 16. Nov. 1700 unb man
wartete 20 Jahre auf einen Nachfolger), und mehrere
1) Theiner, a. a. Ὁ. €. 111. Strahl, Beiträge €. 235.
Derf. gelehrtes Rufland, €. 252 fi.
2) Theiner, a. a. D. €. 113. Strahl, Beiträge ©. 236.
8) Theiner, a. a. Ὁ. ©. 114.
Siesl. Dxaztalfgrift, 4868. I. Seft- 21
400 Die ruſſiſche Klrche.
ber von ihm bevorzugteſten ruſſiſchen Bifhöfe waren ber
Tateinif pen Kirche febr geneigt, namentlih Erzbiſchof
Theophylakt Lopatinsfi von Twer und Stephan
Jaworski, Metropolit von Räfan und Sibminiftrator
des erledigten Patriarhats, mit dem Titel Grard.
Wegen feines nad) Bellarmin bearbeiteten Werfes „Petra
fidei^ gegen Zutheraner und Ealviniften, nannte man ihn
feloft den ruſſiſchen Bellarmin 1).
Die Geneigtheit Peter’s für bie Union vorausfegend
machte ihm die Sorbonne bei feiner Anwefenheit zu Paris
im 3. 1717 Vorſchlaͤge in diefer Richtung. Gr legte fle
feiner Geiftlichfeit vor; biefe aber verftanb durch allerlei
Aus fluͤchte Alles zu vereiteln 9. Ueberfaupt. (djeint Peter
Ὁ. Gr. in den legten Jahren feiner Regierung weniger
freundlich gegen bie katholiſche Kirche gefinnt gewefen zu
fein; wenigftens opferte er im 3. 1719 die Syefuiten bem
Haffe der ruffifchen Geiftlichfeit und verbannte fie, gebot
aud) in demfelben Jahre, daß alle Kinder aus gemifchten
Ehen in der ruſſiſchen Religion erzogen werden mußten 9).
Unwahr dagegen ift, daß Peter bei einer Hofmasferade
im 3. 1702 den Papft und die Fatholifche Kirche laͤcher⸗
lid gemadt habe. Er perfiflirte vielmehr ben ruſſiſchen
Patriarchen und Elerus, wie Theiner aus bet Be
fhreibung eines Augenzeugen darthut 9.
Uebrigens ift bie Hoffnung einer Union wohl nicht
ber Hauptgrund ber vieljährigen Erledigung des Patriar⸗
chalſtuhls gewefen. In vielen Punkten war Peter, von
1) Theiner, a. α. Ὁ. ©. 115. 119.
2) Särödh, Kirchengeſch. feit ber Ref. 85, TX. €. 158 f.
3) Theiner, a. a. D. ©. 129. Strahl, Beiträge €. 240 f.
4) Theiner, a. a. D. €. 125. Särödh, a. c. S 283.
Die ruſſiſche Kirche. 401
abendländifcher Bildung ergriffen, mit ber ruſſiſchen Kirche
namentlih dem Aberglauben, Bilverdienft, Ceremoniens
weſen, Unduldfamfeit und Unwiſſenheit hoͤchſt unzufrieden.
Um folche Mängel zu heben hatte er [don mehrere Goitte,
insbefondere über Errichtung von Schulen an ben Biſchofs⸗
fiten (im 3. 1700) erlaffen ). — 9tod) mehr durfte er zu
erreichen hoffen, wenn er größeren Einfluß auf bie Kirche
gewann. Zugleih mochte er caͤſareopapiſtiſche Anfichten
fiebgewonnen haben ?. Dem hiezu entworfenen Plane,
bie Patriarchalwuͤrde ganz aufzuheben, follte bie 20jährige
Sevisvafanz als Einleitung und Vorbereitung dienen.
Der Grard) fief zwar Anminiftrator des Patriarchats,
allein feine Gewalt war von bet des Patriarchen Bim»
melweit verfd)ieben, und mur bie laufenden und minder
wichtigen Angelegenheiten ihm unterftellt. Die etwas
twichtigeren wurden einer Art Synode vorgelegt, bie fid)
unter dem VBorfige des Grardjen auf Befehl des Kaifers
von Zeit zu Zeit in Moskau verfammelte; bie allerwidh-
ligften aber behielt fid) ber Czar felbft zur Entſcheidung
vor, fo daß man ihn nicht mit Unrecht mit Delai-Lama
verglich 3). In ber That benahm fid) Peter während ber
Sedisvakanz bereits faltiſch als geiftliher Diktator, unb
erließ feit Anfang des 18. Jahrhunderts eine Reihe von
Defreten und Gefegen, bie in das kirchliche Gebiet eigen»
mädjtig eingreifen, und über bie Befugniffe eines weltlichen
Regenten weit hinausliegen, wenn fie aud) wohlgemeint
und theilweife wirklich geeignet waren, in ben Klöftern
und unter dem Weltelerus beffere Ordnung zu ſchaffen
1) Strap, Beiträge x. S. 238. . t
2) Schroͤchh, a. a. D. €. 171. Sämitt, a. a. D. €. 163 f.
3) Schmitt, a. a. Ὁ. €. 164.
s 21 *.
402 Die ruſſiſche Kirche.
und namentlich bie wiſſenſchaftliche Bildung zu Deben.
Selbſt bie Laienbrüber in ben Klöftern, und bie Zellen
der Moͤnche und Nonnen entgingen ber Faiferlihen Res
formirluft nicht, unb in ben 26 von Peter felbft verfaßten
Zufapartifeln zur geiftlichen Regulation (— das neue Ὅτε
ganifationsftatut) gab er den Geiftlihen eine völlige Pa—
ftoralinftruftion, und fehrieb 4. 3B. vor, wie fie das Ga»
frament der Buße verwalten, unb wo fie dabei fitenge,
τοῦ milde fein müßten). Um recht fider zu gehen, drohete
et. feinen Bifhöfen mit Anflug an Rom, falls fie feine
Kirchenreformen nicht billigen würden. Zugleich wurde er
dabei von manden hohen Geiftlihen Fräftigft unterftügt,
und zwar war es neben bem genannten Erarchen befons
ders Theophanes, von Peter zum Titularerzbifchof von
Pleskow, fpäter von Nowgorod ernannt, ein gelehrter
und feiner Hofmann, der das Vertrauen des Kaifers in
hohem Grade befaß, und in feinem Auftrage das Statut
für bie neue Kirchenverfaffung entwarf. Nachdem Peter
Alles gehörig vorbereitet glaubte, erflärte er den um ihn
verfammelten hohen Prälaten, „daß ein SBatriard) weder
gut Regierung der Kirche nöthig, nod) dem Gtaate nüpr
lid) fei. Er habe fij barum entſchloſſen, eine andere
Borm des Kirchenregiments einzuführen, welche bie Mitte
hielte zwifchen der Regierung einer Perfon unb ber duch
allgemeine Eoncilien, denn beide [egtere Regierungsweifen
feien wegen des großen Umfangs des Reichs unpaflend.
Die erftere führe zum Defpotismus (des Patriarchen), bie
andere {εἰ zu fofifpielig, langíam und unbequem. Es
folle deßhalb eine Meine, ausgefuchte, befländige Synode
1) Sämitt, a. a Ὁ. €. 168.
Die ruſſiſche Kirche. 403
ertichtet werben, welcher bie SBeforgung ber geiftlichen
Angelegenheiten obfiege." — Einzelne Gegenvorftellungen,
die laut werden wollten, unterbrüdte ber Gjat burd) den
Machtſpruch: „hier (auf fid) feldft beutenb) ift euer Pas
triarch,“ unb verfammelte nun im Januar 1720 das legte
ruſſiſche Concil zu Moskau, auf welchem alle Bifchöfe und
die Achimandriten und Igumenen ber vornehmften Klöfter
etſchienen und im Vereine mit ben ebenfalls berufenen
weltlihen Großen, zufammen 95 Perfonen, das neue
Kichenftatut, bie geiftlihe Regulation genannt,
unterzeichneten ). An die Stelle des Patriarchen trat
mm die permanente „heilige gefeggebende Gy»
n0be," bie am 25. Februar 1724 feierlich) eröffnet wurbe,
und im Ganzen aus zwölf Mitgliedern, nämlid einem
Präfidenten (dem bisherigen Exarchen Stephan), zwei
Vicepräfidenten (darunter Theophanes), vier Räthen, vier
Aſſeſſoren und einem Kanzleidireftor beftehen follte. Schon
im folgenden Jahre wurden jedoch zwei weitere Mitglieder
beigefügt. Sämmtlihe Mitglieder müffen Geiſtliche fein,
Erzbiſchoͤfe, Bifchöfe, ober fonft angefehene Priefter, Ars
dümanbriten ober Protopopen; und Peter wählte hiezu
in ber That ausgezeichnete Männer. Zugleich aber be»
ſchraͤnkte er bie Befugniffe diefer „heiligen Synode” auf
eine ben neuen europäifchen Staatstheorien ganz verwandte
Weiſe auf das fogenannte „rein geiftliche" Gebiet. In
Beziehung auf diefes follte fie bie nämlihe Macht haben,
1) Am ausführlicften wird die lirchliche Reform Peters b. Or.
beſchtieben von King (onglif. Geifl. in Petersburg) in f. Werke: „Die
Gebrauche und Geremonien ber griech. Kirche in Rußland. Aus bem
Englifgen überfegt, mit Rupfern. Riga 1773. S. 407 f. Daraus
ſchopfte Schmitt, a. a. D. ©. 169 ff.
404 Die ruſſiſche ird.
wie ber Faiferlihe Senat in den weltlichen Angelegenheis
ten, bei gemifchten Gegenftünben aber follten Senat und
Synode gemeinfdjaftlid) berathen und ihren Beſchluß bem
Monarchen zur Genehmigung vorlegen. 3a noch mehr,
das große Gebiet des geiſtlichen Gerichtes, das bisher
bem Patriarchen juftanb, wurde ber Synode gänzlich ent⸗
zogen und ben weltlichen Gerichten zugewiefen, und εὖ
blieb ihr als Hauptgefhäft nurmehr bie Aufficht über ben
Gottesdienſt unb ben Religionsunterricht, fowie das Recht,
für jedes erlebigte Bisthum dem Kaifer zwei Ganbibaten
zu präfenticen, welcher dann daraus einem erwählt. Sie
heißt zwar officiell - ,bie gefeßgebende,* aber ihre Gbifte
und Gefee bedürfen der Faiferlihen Genehmigung, und
damit fie ja, auch im Kleinen, nichts befchließe, was
diefem mißfällig wäre, ift ijr ein hoher Staatsbeamter
als DOberprofurator beigegeben, dem das Vetorecht
gegen jeglichen Beſchluß eingeräumt if. Wie biefer, fo
werden aud) bie geiftlihen Mitglieder ber HI. Synode
vom Kaifer ernannt und ſchwoͤren, daß fie aud) in geiſt⸗
lichen Dingen fein anderes Oberhaupt als ben Monarchen
erfennen. Die Autonomie der ruffifhen Kirche war damit zu
Grabe getragen umb ber Eäfareopapismus dafür ins Leben
gerufen '). Der Kaifer regiert theils felbft, theils durch
feine Synode, aud) in der Kirche, er ift ihr Haupt, wenn
et fid glei nur ihren Befchüger nennt, ja er regiert
feine Kirche in vieler infit mit nod) größerer Macht⸗
vollfommenheit, als ver Papft die latholiſche. Und bod)
iR ein wefentlicher Unterſchied zwifchen beiden, indem bie
1) Sämitt, a. a. D. ©. 173. 174. 214. Dal. auch den Ar
tif: „Dirigiren de Synode“ von Kerker, im Freiburg. Kir⸗
enler. B. X. ©. 614.
Die ruſſiſche Kirche. 405
Kaiſer niemals in dogmatiſchen ragen entſcheiden.
Das Urtheil hierüber flet ber birigirenben Synode allein
ju, welche fid) in wichtigen Faͤllen mit den übrigen mor»
genländifchen Patriarchen in's Einvernehmen fegt h.
Diefer HI. Synode find alle ruſſiſchen Bifchöfe gleiche
mäßig unterftellt, und es hat zu biefem Zwecke Peter b. Or.
ſchon vor Grriótung ber Synode bie Metropolitanwürbe
und bie verſchiedenen Titular- und Rangunterfchiede unter
den Bifchöfen mit wenigen Titularausnahmen völlig aufs
gehoben, ftatt der vielen Erzbifhöfe nur einfache Biſchoͤfe
ernannt und fie alle auf eine und dieſelbe hierachiſche
finie geftellt. Nur wer befonberé geehrt werben foll, er»
hält von dem SKaifer den Titel eines Erzbiſchofs 9.
Beter fand übrigens für gut, von bem Patriarchen
Jeremias zu Eonftantinopel, und durch biefen aud) von’
den übrigen morgenländifchen Patriarchen die 3uftimmung
qu diefer neuen Einrichtung zu erbitten, und erhielt fle in
der That im Septbr. 1723. Die conftantinopolitanifhen
Patriarchen betrachteten unb betrachten dabei bie fragliche
Synode immer ald Stellvertreterin des (ehemaligen) rufs
fien Patriarchen und haben fie nun ftetó mit bem Namen -
der „patriarchaliſchen“ beehrt 3).
Diefe von Peter ausgegangene Einrihtung ber rufs
fiffen Kirche dauert nicht nur bis auf den heutigen Tag
in Rußland fort, fondern wurde aud) bei der neuen kirch⸗
lichen Organifation des Königreihe Griechenland von
der Regentſchaft (während der Minderjährigfeit Otto's L)
namentlich von bem bayerifhen Staatsrathe v. Maurer
1) Harthaufen, a. a. Ὁ. 90. III. ©. 91.
2) € $mitt, a. a. D. ©. 165.
3) € mitt, a. a. D. €. 201.
406 Die ruſſiſche Kirche.
nachgeahmt und der Haupiſache nach eingeführt, um auch
in Griechenland bie Kirche in dieſelbe Abhängigkeit von
ber Krone zu bringen wie in Rußland.
Werfen wir mum nod) einen Blid in das Innere der
ruſſiſchen Kirche, fo finden wir fie im Dogma, wenig:
Rens grunbgejeblid) und nad) Borfchrift ihrer ſymboliſchen
Bücher, in völliger Harmonie mit ber gefammten disunirten
morgenländifchen (griechiſchen) Kirche, fo daß fie ron ber
Tatholifchen nur in zwei wefentlichen Punkten, in der Lehre
vom bL Geifte (defien Ausgehen αὐ ὦ aus bem Sohne
fie läugnet), unb burd) Richtanerfennung des römiſchen
Primates differirt. In ber Lehre vom δερίεπει
Dagegen, welche häufig aud) als Differenzpunft angeführt
wird, if fein weſentlicher Unterſchied zwifhen uns und
ben Stufen (überhaupt den Griechen) vorhanden, wie fij
dieß bei ben SBerbanblungen auf ber florentiner Synode
im 3. 1439 beutlid herausſtellte unb von uns bereits
anderwaͤrts gezeigt worben iR ἢ. Das Gleiche bezeugt
auch ber neueſte Schriftfieller über Rußland, der Freiherr
von Harthaufen in feinem trejflien Werke: „Stubien
über bie innern Zuflände x. Xuflanbé* (Hannover 1847,
S5.L €. 86) mit dem Bemerken, die ganze Dien]
{εἰ hier nur ein SBertfreit, indem bie Rufen wohl ein
Burgatorium aber fein Fegfeuer anerlennen. Das
Genauere barüber wird uns unten €. 410 begegnen.
Eine weitere beträchtliche aber nicht eigentlich dogmatiſche
Differenz findet in Betreff der Ehejheidung fat, in
dem bie Rufjen wie alle Griechen im Falle des Ehebruchs
bie Eheſcheidung imb Wiererverheiratfung geſtatten. Dech
1) Duertelfárift 1847. €. 199.
Die ruſſiſche Kirche. 407
ſchon bie genannte florentiner Synode hat biefen Punft
niht für einen grundwefentlihen erachtet und das Aufs
geben biefer Praxis von Seite ber unirten Grieden zwar
gewuͤnſcht, aber es nicht jur conditio sine qua non ber
Union gemadjt Y. Ale übrigen Differenzen zwifchen der
tuſſiſchen und fatfoli[den Kirche beziehen fi mur auf
ben Ritus (4. B. Laienfelh) und bie Disciplin (y. 38.
Priefterehe), im Dogma aber verharret bie τι πῶς Kirche,
die angeführten Punkte ausgenommen, nod) immer, wenn
auch nicht alle Dogmen bei ihr vollftändig ausgebilvet
find, in jener Uebereinftimmung mit dem Stamme ber
allgemeinen Kirche, wie fie fdjon vor ber Lostrennung
unter Photius und Michael Eerularius flatt hatte. Sie
verehrt mit ung biefelben alten Glaubensbekenntniſſe (jedoch
ohne filioque) , verwirft mit uns alle alten Härefien, bie
Krianer, Pneumatomachen, Apolinariften, Steftorianer,
Monophyfiten und Monotheleten, und anerfennt wie wir
bie acht erften allgemeinen Goncilien, bie ja fámmtlid im
Bereiche der griechiſchen Kirche abgehalten wurden, und
denen fie nod das von uns weniger hochgeſchätzte Quini-
sextum ober Trullanum vom Jahre 692 beizählt. Die
fpäteren, im Bereiche der Iateinifchen Kirche abgehaltenen
tilf allgemeinen Synoden dagegen, von bet erften lates
ranenſiſchen bis tribentiniffen, werden, wie von ben Gries
hen überhaupt, fo aud) von den Ruffen nidjt ancrfannt,
Die wichtigſte ſymboliſche Schrift der Ruſſen, bie fid) bem
Anfehen nad) ben alten Symbolen und ben Aften der adt
erften allgemeinen Goncilien unmittelbar anſchließt, ift bie
von bem bidunitten Metropoliten Mogila von Kiew (f. o.
1) Duartalfgrift 1847. ©. 257.
408 Die ruſſiſche Kirche.
S. 396) im Vereine mit ſeinen Suffraganen zwiſchen den
Jahren 1630—40 entworfene ἔχϑεσις τῆς τῶν Ῥώσων
πίστεως (Erklärung des Glaubens der Ruffen).
Um ijr größere Auftorität zu geben, legte Mogila
diefelbe dem Patriarchen von Eonftantinopel zur Beftär
tigung vor, unb auf beffen Verlangen trat mum in der
Moldau eine Commiſſion aus Abgeorbneten von Gonftan-
tinopel und von Kiew zufammen, um jene Arbeit aufs
Grünblidfte zu prüfen. Nach diefer neuen Durchſicht fand
die Commiffion diefelde für würdig, ein fymbolifches Buch
der gefammten morgenländifchen Kirhe zu werben, gab
ihr barum den Titel ὀρϑόδοξος ὁμολογία τῆς πίστεως
τῆς καϑολικῆς καὶ ἀποστολικῆς ἐκκλησίας τῆς ἀνατολικῆς,
und überídidte fle ben vier apoftolifchen Stühlen bes
Morgenlandes (wie fid) bie Griechen auóbrüden) zur Bes
flátigung. Diefe erfolgte am 11. März 1643 burd) feier
lide Unterfprift der Patriarhen Parthenius von Eons
ftantinopel, Joannicius von Alerandrien, Mafarius
von Antiohien unb Paifius von Jerufalem. Sofort
wurde biefe ſymboliſche Schrift von der Synode zu enu
falem unter Dofitheus im 3. 1672 aufs Neue approbirt !),
aud) überall amtlich gebrudt und verbreitet, in Rußland
im 3. 1685 mit Exlaubniß des Patriarchen Joachim von
Moskau in die flavonifhe Sprache überfet, unb öfter,
namentlih im S. 1722 auf Befehl Peter’s Ὁ. Gr. unter
Aufficht feiner „heiligen Synode" zu Petersburg gebrudt.
Schon früher im 3. 1695 war eine Ausgabe des gries
difden Driginaltertes mit lateinifher lleberfegung von
bem Prof. Normann in Upfula beforgt, in Leipzig er
1) Bol. Quartalſchrift 1843. ©. 592.
Die ruſſiſche Kirche, 409
ſchienen, ebenbafefbf Tie δ τί [ὦ feine deutſche lieber»
fegung aus bem flavonifhen Terte unter bem Titel: „Der
größere Catechismus ber Ruffen“ erfdjeinen; nod) andere
Ausgaben folgten, bis endlich Licentiat Kimmel, felbft
ein Ruthene, im I. 1843 zu Jena bie neuefte griechifdh-
lateiniſche Gbition in feinem Sammelwerfe Libri symbolici
ecclesiae orientalis p. 56—324 beforgte. Diefe ſymboliſche
Schrift wurde in der geiftlichen Regulation Peter's Ὁ. Gir.
auébrüdlid) als bie Norm und als das wahre Bekenntniß
der ruſſiſchen Kirche deflarirt, unb der auf Befehl Peters
herausgefommene kleine Catechismus ift nichts al8 cin
Auszug daraus !).
Gleich in feinem Eingange erflärt das fragliche ſym⸗
boliſche Buch ber Ruffen ganz ausprüdlih, daß beides:
Glauben und gute Werke nöthig fein, um felig
zu werden. Der erfte Theil des Ganzen handelt nun
vom Glauben und es wird biefer unter Sugrunblegung
der zwölf Artikel des nicänifhen Symbolums in 126 ta»
gen und Antworten erörtert, vor Allem aber erklärt, daß
ber Glaube aus zwei Quellen: Schrift und Trabi»
tion zu fehöpfen {εἰ (quaest. 4). Im Einzelnen wird
mun die Trinitätslehre erörtert, ba6 Ausgehen des heil.
Geiftes aus dem Vater allein gelehrt, und bie Eriftenz
der Engel, ihre Obhut über die Völker, die Städte unb
Menſchen, unb bie Nüplichfeit des Gebetes zu ihnen aue»
gefprohen. Darauf folgt bie Lehre vom Sündenfalle,
und ganz richtig wird Diebei gefagt: obgleich ber freie
Wille des Menfchen durch bie erfte Sünde viel gelitten
1) Bergl. die Dissert. de ecclesia ruthenica ». Jerem. Frid.
Reiss (Kanzler in Tübingen) 1762, p. 21 seqq. Schmitt, a. a. D.
€.228. Schroͤckh, Kirchengeſch. feit ber Reform. B. V. S. 407.
40 Die ruſſiſche Kirche.
hat, ſo komme es doch noch auf den Vorſatz eines Jeden
an, ob er gut ober gottlos fein wolle; zu erſterem bebürfe
ex jebod) des göttlihen Onadenbeiftandles (quaest. 27).
Weiterhin wird das dreifahe Amt Chriſti auseinan«
dergefegt, die Verehrung ber f. Jungfrau fammt bem
englifden Grufe unb bem Kreuzeszeichen eme
pfohlen. Vom Abenpmahle ift gefagt, daß Chriſtus
auf eine faframentale Art darin gegenwärtig {εἰν
nämli durch bie wefentlihe Verwandlung des Brodes
und Weines (uersolworg, b. i. Veränderung der Subſtanz,
dolo); von ben Andachten, Gebeten unb Almofen,
befonberó bem Meßopfer wird gelehrt, daß burd) fle
aud ben Seelen ber Verftorbenen Hülfe geleitet werde
(quaest. 45 et 46). Dagegen wird behauptet: bavon,
daß bie SBerftorbenen für begangene Sünden mod) ſatis⸗
faciren fönnten durch Straferduldung, befonders durch
Beuer, wiffe bie Kiche nichts, unb es [εἰ beffalb bie
febre des Drigenes auf der zweiten allgemeinen Synode
verworfen worden. Ein Berftorbener fönne bod) fein
Gaframent ber Kirche mehr empfangen, eine Satisfaftion
wäre aber ein Theil des Bußfaframents. — Die Kirche
bete für bie Verftorbenen, damit Gott ihnen verzeihe,
aber fatisfaciren fönnten biefelben nicht mehr (quaest.
16). — Eine Reinigung duch wirkliches Feuer aber
wird als origeniftifh verworfen. Später wird bei bem
adten Glaubendartifel der Punkt von bem Ausgange des
hf. Geiſtes abermals erörtert;i und im neunten fehr aus⸗
fübrlid) von ber Kirche gehandelt. Neun Kirchengebote
werben hier aufgeführt: 1) an allen Sonn» unb Feſt⸗
tagen muß ber Ehrift ben horis matutinis, der Liturgie
Meſſe), Veſper und Predigt anwohnen, 2) jährli vier
Die ruſſiſche ird. 411
Faſten halten (a) vom 15. Nov. bis Weihnachten, b) die
Quadrageſima, c) vom Ende ber Pfingſtwoche bis Peter
und Paul, d) vom 1. Auguft bis Mariä Himmelfahrt.
3) Jeder Chriſt [oll die Geiftlihen achten, 4) im Jahre
viermal beiten, 5) feine häretifhe Bücher Iefen, 6) für
feine Rebenmenfhen, befonders geiftlihe und weltliche
Vorgeſetzte beten, 7) foll alle Faſten unb Bitttage halten,
welche der Bifhof anordnet, 8) fol das Kirchengut nicht
antaften ἢ) und 9) in der geſchloſſenen Zeit Feine Hochzeit
halten (quaest. 87—95). Bei dem zehnten Glaubens»
artifel (confiteor unum baptisma) wird von ben fieben
Saframenten gehandelt unb das Abendmahl unter beiden
Geſtalten verlangt, bei dem eilften und zwölften Artikel
endlich bie Lehre von den vier legten Dingen entwidelt. —
Der zweite Theil des Ganzen handelt von der off»
nung, von bem Gebete des Herrn (fammt Schlußs
borofogie) und ben neun Geligfeiten (bie Ruffen rechnen
auch Matth. 5, 11: „felig feib ihr, wenn man eud um
meinetwillen befhimpft" mod) als eine Seligfeit); der
dritte endlich von ben göttlichen Geboten und riftlihen
Tugenden, wobei befonberó a) von Glaube, Hoffs
nung und Liebe, b) von Gebet, Faften unb Almo—⸗
fen, o) von ben Garbinaltugenben Klugheit, Θ τε
tigfeit, Tapferfeit und Mäßigkeit, und enblid)
von den gehn Geboten gehandelt wird; ein weiterer
Auszug aus biefen beiden letzteren Theilen aber ift barum
nicht nöthig, weil ihr Inhalt nicht dogmatifcher Natur ift.
Man fiebt, die Anlage des Ganzen ift mit der uns
ferer Katechismen, befonders des rómiffen, in hohem
1) Dofungeachtet hat Katharina IL das Kirchengut aufgehoben.
42 Die ruſſiſche Kirche.
Grade verwandt; aber ebenfo gut fiet man aud, wie
unwahr es ift, wenn einige proteftantifche Gelehrte bie
Dogmatik der Rufen bald femilutherifd bald ſemicalviniſch
haben finden wollen. Wahr hievon ift nur das, daß feit
bem vorigen Jahrhunderte mehrere angefehene ruſſiſche
Praͤlaten und Lehrer ſich faftiff) zum Proteftantismus
finneigten, und im ent(djiebenften Widerſpruche gegen die
herrſchende Kirchenlehre ihre neologiſchen Anfihten durch
Schrift und Wort zu verbreiten geſucht haben. Obenan
ſteht Bier ber berühmte Erzbifhof Platon von Moskau,
früher Profeſſor an der Alademie zu Petersburg und
unter Katharina IL Lehrer des Großfürften, des nachma⸗
ligen Kaiſers Paul L Der von ifm verfaßte Katechis⸗
mus weicht in wefentfiden Stüden, namentlid) in Betreff
der Gnadenwirfungen unb der Saframente, beſonders deö
Abendmahls fihtlih von dem Werke des Mogila und bem
orthoboren Lehrbegriffe ab Y. In ähnlicher Richtung [die
und wirkte fein Zeitgenoffe, der Archimandrit Theophy
lakt, Rektor der Moskau'ſchen Afademie, beffen dogmata
Christianae orthodoxae religionis im 3. 1773 zu Moskau
erſchienen. Diefe proteftantifirenbe Richtung ift im gegen
wärtigen Jahrhunderte noch nicht erlofhen, unb nament:
lid gab Erzbifhof Methodius von Twer im 3. 1805
in Iateinifher Sprade ein Werk heraus über bie vier
erften Jahrhunderte der chriſtlichen Kirche, wobei Bing
ham fein Gauptgemáfrómann unb feine Hinneigung zum
Ealvinismus unverkennbar if. Und diefe Schrift erfgien
mit Genehmigung der „heiligen Synode“ und in beren
1) Sämitt, a. α. D. €. 229. Schrödh, Kircchengeſch. ſeit
der Reform. 8. IX. €. 212 f. Bacmeifter, ruſſiſche Wibliothel,
58. IV. €. 68 u. 88. VOL €. 53 .
Die ruſſiſche Kirche. 413
eigener Druckerei !). Noch mehr vom altruffiſchen Dogma
wich der ruſſiſche Staatsrath von Stourdza ab in
feinem Werke „über bie Lehre und ben Geiſt der orthos
boren Kirche," welches im Jahre 1816 zu Stuttgart in
franzöfifher Sprache (Considérations sur la doctrine et
lésprit de l'église orthodoxe) erfhien, und bie Dogmen
theils rationaliftiff verfladt, theild geradezu mit Still
ſchweigen übergeht, namentlid) jene Punkte, welche bie
ruſſiſche Kirche mit der Fatholifhen, weil mit der alt»
SHriftliden, gemein hat. Dagegen wird bei jeder Geles
genheit der Unterſchied zwiſchen der ruffijfen unb
Tatholifhen Kirche aufs Schärffte accentuirt.
Der neuefte Hauptträger dieſer proteflantificenden
Richtung ift endlih Philareth, der gegenwärtige Metro-
polit von Mosfau, der während feiner frühern Stellung
als Profeffor an ber Akademie eine ganze theologiſche
Säule in diefer Richtung gezogen, und durch eigene
Schriften wie durch Herausgabe der proteftantifirenden
Predigten Anderer für deren Verbreitung gewirkt hat.
Befonders berühmt wurden fein Katechismus ?) und feine
vergleichende Meberfiht der Controverslehren der mors
genlánbifden und abendländifhen Kirche, und fefbf bie
Berliner evangelifhe Kirchenzeitung nahm feinen Ans
fand, hierin einen Abfall von der alten Orthodoxie zu
exbliden 9. Die Quelle diefer Richtung ift bie feit ber
weiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts bei Vielen
1) Schmitt, aa. D. ©. 231.
2) Derfelbe wurde im 3. 1840 von bem Brofeffor Foödor Aleran
drowitſch Golubinsfy im ber Troitza Lara auch ins Deutfche überfegt,
BVeteröburg bei Prag. Bol. Harthaufen, a. a. Ὁ. Br. I. ©. 83.
3) Bel. Sämitt, a. a. D. ©. 282, 284 ἢ. 239 ff.
44 Die ruffiſche Kirche.
entſtandene Vorliebe für abendlaͤndiſche theologiſche und
philofophifche, beſonders deutſche proteſtantiſche Litera⸗
tur. Namentlich haben Schleiermacher und Neander in
neuer Zeit einen großen Einfluß auf die ruſſiſchen Theo⸗
logen geübt, während bie Werke katholiſcher 88er
faffer, felbft Boffuet’s, Fenelon's, Stolberg's und aller
andern Coryphaͤen Angflih vermieden, ja mit blindem
Haffe abgemiefen werben. — Einen andern Weg fchlägt
die fungruffijdje Partei der Geiffidfeit ein, unb man
fann ihre Richtung ber proteftantiflrenben gegenüber bie
patriftifde nennen. Die alten griehifhen &irdjenváter
find für fie Hauptbefhäftigung und Hauptbildungsmittel,
unb fie fhöpfen daraus wieder warme Liebe und Anhängs
lidjfeit an bie alten Dogmen und Einrichtungen. Ein
Kampf beider Richtungen fteht nothwendig bevor, wenn
er auch nod) nicht vorhanden ift 5.
Wie den Glauben fo haben bie Ruffen aud ihren
Eultus von ben Grieden, namentlich von Gonftantinopel
her erhalten. Schon das Aeußere ihrer Kirchengebäude
zeigt dieß, namentlich jener eigenthümlich byzantiniſche
Styl des Kuppelbaues über dem griechiſchen Kreuze ober
Viereck; nur haben bie Ruffen bie Zahl der Kuppeln nod)
vermehrt, fo bag fünf an einer Kirche bie Regel, aber
auch dreizehn nicht felten find, die bann durch ihre grüne
glänzende Dedung einen prachtvollen Anblid gewähren.
Diefen Typus tragen die meiften ruffifchen Kirchen, na⸗
mentlid) die älteren, und erft feit dem vorigen Jahrhun⸗
dert Bat aud) der italienifhe und Jeſuitenbauſtyl in
Rußland Verbreitung: gefunden. So if j B. bei ber
1) Harthaufen, 8b. IL ©. 98 u. 208.
Die ruſſiſche Kirche. 45
Iaatsfiche und ber Kaſan'ſchen Kirche in Petersburg bie
St. Betersficche in Rom, und bei der St. Andreaskirche in
fit der Jeſuitenſtyl nachgeahmt, während bie fofoffale
noch nicht vollendete Kathedrale zum Erlöfer in Moskau, vom
Irhiteften Toon aufgeführt, fid) wieder bem altruſſiſchen
Style nähert Y. Viele Ortſchaften haben zwei Kirchen,
eine Altere größere für den Sommer, umb eine jüngere,
fleinere und heizbare für ben Winter Ὁ).
Im Innern find bie ruſſiſchen Kirchen ganz wie bie
morgenländifchen überhaupt burd) bie Sfonoftafíó ober
Bilderwand in zwei ungleiche Hälften getheilt, deren oͤſt⸗
li$e das Ganftuarium fammt dem Altare enthält, bie
weftliche aber bem Publifum angemwiefen ift, dem nad
allgemein orientalifcher Weife nur an beftimmten Stellen
des Gottesdienſtes butd) Deffnung ber Bilderwand ber
Blick auf den Altar geftattet ift. Der Altar ift von vier
Säulen umgeben und mit einem Baldachine bebedt, nad)
Art des alten Ciboriums, und aufer ihm findet fid) nod)
in dem heiligen Raume (Sanctuarium) bie Brothefis,
d. i. eine Art Nebengemady mit dem Rüftaltare = Gres
denztifche, und das Bema, b. i. der Thron für ben
Bifhof, wenn biefer felbft pontificirt. Nebenan find bie
Stühle für ben aſſiſtirenden Elerus; alle Geiftlihen aber,
welche nicht felbft zu funftioniven haben, alfo auch ber
nicht celebrivende Biſchof, haben ihren Platz nicht im
Sanctuarium, fondern im Schiffe der Kirche, wo an ber
1) Harthaufen, Studien über die innern Suftánbe Rußlande,
Hamsver 1847. 90. L ©. 51. Sehr Viele Abbildungen ruffifcher
Kirchen giót Blafins in feinem trefflidjen Werke: „Beife im euros
paiſchen Rußland im ben Jahten 184041.
2) Harthaufen, a. a. Ὁ. 90. L €. 230. 303. 314. 484.
Tel. Duartallarift. 4858. IIL. Gef. 28
416 Die ruſſiſche Kirche.
Süd- und Nordwand befondere Stühle für fie bereitet
find. Ebendaſelbſt befinden fid) aud) die Stühle für bit
kaiſerliche Familie; andere Bänke unb Betftühle dagegen
find nicht vorhanden, und alle Anwefenden ftehen ober
fnieen auf bem Boden, ohne allen Rangunterfhieb unter
einander gemifdjt 1). Wiederum, wie überall im Morgen:
fanbe, duldet aud) bie ruſſiſche Kirche feine Orgel, ba
gegen erfreut fle fid) eines fehr erfebenben, weichen unb
feierlichen Gefanges. Der alte ruffifhe Kirchengefang
war härter unb burdjaué unisono, er findet fi aber mur
nod) bei den Starowierzen ober Altgläubigen, während bie
neue Gefangsweife erft feit Katharina II. eingeführt wurde.
Man fete jet die alten Melodieen mebrftimmig und
féidte nah Rom, um bie in der Sirtiniſchen Kapelle
üblichen alten Gefánge zu fammeln. Damit wurden nod)
einige neue Gompofttionen, namentlich von dem ruífiden
Gomponiften Bartniausfi verbunden unb überall Sänger:
ſchulen errichtet. Das natürlich muſikaliſche Talent ber
Ruſſen machte die (djnelle Durchführung ber neuen Weile
möglich, fo daß fie in furzer Zeit felbft in bie entfegenen
Dorffichen fam ?).
Das Benehmen ber Ruffen bei ihrem Gottesdienſte
ift Außerft devot, wie fie denn überhaupt im Ganzen und
Großen ein ungemein religiöfes und glaubensfräftiges,
ihrer Kiche febr warm ergebenes Volk find. Me
Stände find voll Verehrung gegen das Heilige, bie hei⸗
ligen Orte und Bilder. Bon Iepteren gebrauchen die
1) Hartgaufen, a. a. D. ©. 102 f.
2) o. Harthaufen, a. o. D. fBb I. S. 4 u. 5, α. 9». TIL
©. 107 f. Mn Icpterer telle if aud) die Abhandlung eines rufffgen
Gelehrten, Hr. v. Nadeſchdin, über ben ruf. Kirchengefang mitgeteilt.
Die ruſſiſche Kirche. 47
Stufen blos die gemalten, mit ftrengec Ausſchließung ber
Skulpturen (als heidniſch), unb halten bei- ihren Sfonen
jenen altbyzantiniſchen, ernften, fteifen und hohlen Typus
ff, der gar feine Gemüthöbewegung und Fein eigentliches
Leben auébrüdt, Die Vorlagen zu diefen Bildern geben
ihnen die angeblichen verae efligies Ehrifti und Mariens,
namentfid) aud) bie εἰκόνες ἀχειροποιηταὶ, i. B. das Abgar-
und das Beronifabild ). Im neueren Zeiten find zwar
'auf) fteiere und ibeafere Darftellungen Ehrifti und ber
Heiligen eingedrungen, befonberé in die Kirchen der Haupts
Räbte; aber die jungeuffifche eifrige Partei unter dem
Clerus hat fid) entſchieden dagegen und für Beibehaltung
des alten Typus erflärt Ὁ. — Diefe heiligen Bilder füft
der Ruffe febr häufig, wirft fid) vor ihnen auf ben Boden
nieder, berührt dieſen mit ber Stirne, fchlägt febr oft das
Kreuz u. dgl., und fefbft Sole, welde innerlich wenig
Religion haben, unb von franzöfifcher Freigeifterei ange
fedt find, entziehen fid) diefen Ceremonien nicht im Ger
tingften 5).
Die gottesdienftlihen Gewänder, Mef- und
Évangelienbüd er find Außerft prachtvoll, letztere öfters
mit goldenen Deden verziert unb mit Perlen und be^
feinen befezt. Gang befonders reich an folhen Koftbar-
leiten ift die berühmte Troiga Lawra (b. i. Dreieinigs
keitökfofter) bei Moskau, welches faft von allen Kaifern
1) Bgl. meine Abhandlung über Ehriftusbilder im Brelburger fit»
Senlerifon Bb. IT. ©. 522 f.
2) 9961. Gartfaufen, a. a. D. 8. ΠΙ. ©. 101 f., wo cud
ein intereffanter Auffag über die Bildmalerei in der ruffifchen Kirche aus
dem ruſſiſchen Journal für Dolfsaufflärung (Ian, 1845) mitgetheilt if.
3) Harthanfen, a. a. Ὁ. 80. L ©. 101 f. 00. III €. 84 ff.
28"
48 Die ruſſiſche Kirche.
und Kaiferinnen in langer Reihe reichlich beſchenkt wurbe ^).
Die Berwandtfhaft der ruſſiſchen Kirchenkleider mit
ben unftigen ift unverfennbar, und fie find in allem Wes
fentlihen nod) diefelben, wie fie ſchon in ben erften Sabre
hunderten der griechiſchen Kirche üblid) waren. Der fun
tionirenbe Priefter beffeibet fi juerft mit bem C tia:
tion, das unferer Albe entfpricht, aber meift aus Seiden⸗
βοῇ mit Goldſtickerei befteht. Nah diefem fommt das
Epitradelion, oder Drarium — Stola, das wie bei und
vom Diafon nur auf einer Schulter getragen wird.
Zufammengehalten werden Stiharion und Gpitradjelion
durch den Gürtel, Zona, an der Hüfte aber hängt gleich
einem Schwerbte das ben Griechen eigenthümliche Epir
gonation, zum Zeichen des geiftlichen Kampfes. Dasfelbe
fat bie Form einer an einer Schnur hängenden Tafche, ganz
ähnlich ber Säbeltafche ber Hufaren. Als Oberkleid trägt
der Presbpter das Phelonion von ber Form ber alten
lateiniſchen Caſula, der Biſchof dagegen ben weniger aͤſthe⸗
tifhen Sakkos mit kurzen Aermeln, im Ganzen unferer
Dalmatifa verwandt. Außerdem trägt der Bifchof nod
das Omophorion oder Gdulterfleib, dem erzbifdhöf
lien Ballium ähnlich, und die Mitra, welche weniger
hoch als unfere Inful unb oben abgerundet ift 5).
Die Predigt als Beftandtheil des Eultus war [ange
Zeit im eigentlichen Rußland gaͤnzlich vernadjáfigt (wer
1) $artbaufen, a. a. Ὁ. 385. L Θ΄. 80 ἢ.
2) Abbilbungen eines ruffifcgen Diafons, Prieflers unb Biſchofs in
Amtstracht finden fid) im Anhange zum Lerivion ber morgenl. Kirche von
Dr. ἄν. v. Muralt, Leipzig 1838, nnb bei Joh. Glen fing
bie Gebrándje und Geremonien ber griech. Kirche in Rußland. Aus bem
Eugliſchen überfept. Siga 1773.
Die ruffifche Kirche. 419
niger in ber Metropole Kiew); feit einigen Menſchenaltern
dagegen wird bei der fleigenben Bildung ber Geiftlichen
wieder häufig geprebigt, bod) meift mur von ben hohen
Geiftlihen und Mönden. Bei ben gewöhnlichen Popen
dagegen wird der Vortrag felbfigefertigter Predigten nicht
gerne geftattet, aus Furcht, fle möchten Irrthuͤmer vors
bringen, unb fie predigen barum entweder gar nicht, ober
tagen mur gebrudte unb approbirte Predigten unb Hos
milien Anderer vor !).
Die ganze Art und Weife des Gotteóbienftes,
ale heiligen Geremonien unb ben Inhalt aller Gebete
haben bie Ruffen von bet alten griechiſchen Kirche entlefnt,
und bie fegtere nur in bie altflanonifche Sprache überfeht,
welche zur Zeit ber Abfaffung der ruffifchen Kirchenbücher
noch Volksſprache war, jet aber allen Nichgelehrten völlig
unverſtaͤndlich ifl. Dabei wurden jebod) bie griedifchen
und einige lateiniſchen termini technici für bie Gebete und
Culttheile unverändert au& ber alten Kirche beibehalten.
Den Haupttheil des ganzen Cultus bildet bie i»
turgie, b. h. ber Gottesdienſt λειτουργία κατ᾽ ἐξοχὴν,
worunter bie Ruffen wie bie Griechen ausſchließlich bie
hi. Meffe verftehen. Außerdem haben fie aber aud) nod)
die alten canoniſchen Tagzeiten: bie Matina (Matutin),
die Prima, Tertia, Serta, 9tona unb bie Veſper,
fammt Rahvefper oder Gompletorium. In ben
Klöfern fommt dazu mod) das Mefonyftion ober
Mitternachtsgebet. In den gewöhnlichen Pfarr
lirchen werben biefe Horen nur an Conn» unb Befttagen
in ber Kirche verrichtet, ebenfo an bem Vorabende ber
Sft, unb biefer Vigilgottesdienſt heißt παννυχὶς, b. b.
1) Harthaufen, a. a. D. Br. UL S 98. 99.
4» Die efle Siri.
nádtlidet Sch, cin Sintérud, ber fd) fion δεὶ δίκη»
fefemaó dc sacerdotio lt D c 17 findet Die Panıy
disjeier bricht aus Beiper, Metine umb ετβες ὥστε; unb
wie wir unter Bigilia auch einen Theil des Geticänienfes
für tie Torien verfichen, jo unierjgeiren aud vie Rufen
δε’ καὶ Torien-Panuydim. Ocmélnlid) werben vie
Batine und tie Prima jwiammen verrichtet, jewemm vic
Tertia und Seria mit der Liturgie sder Reſſe verbunden
wm ticier wmmittelher νοταπρεβεῖι, τε Roma und Beyer
aber auf ten Stedpminag verkheten. ud die Eompe
Ftien tiejer einzelnen Eulttheile aus Pielmen, Untiphonen
aber fie fab weit ceremenicnteicher als υἱεῖς. Eine Be
Üdreibung unt licherichung terielben gab uns King),
we €. 51 ἢ. ron ter epa, €. 68 5. vom Gomylas
vum ete ter Ἀάνεημεε, €. 81 E rom SRejonyhisn,
€. 35 ἢ. ron tex Metinc, €. 110 £ von der Pıims
geipreden ik. Die übrigen erm hat er wegen ihrer
Achal:chleit mu ber Prima nice im Demi befchrieben;
tagegen emıhält dicies Wert and Üebericpungen des Sinus
bei Epextung per reritietenen Caframente, bei Susie
mung der Wöchncriunen, Geniecration der SBijdjéje, bei
Derrbigungen u jo i Eine fingere Gchilderung liefen
tue „Briefe über den GleucstienR ter morgenlánbijden
Kirdie*, απὸ tem Ruin'cen überiegt von Erw. ». Mu
ταῖν (Lapjig 1833).
Die πα ρεβεάϊεπ Stenzen nötbigen und in Set
der einzelnen ruigidjem Kulafıe auj tieje Schrift zu wv
NM Ich Glen Ling, tie διτεωνείει Ir
Sod. fée V Was bcm Engl ἀδειίεμ. Siga 1773.
| Die ruffidje Kirde. en
| weiien, und wir erlauben und mur mod, eine ganz fune
| Ueberſicht tex rujjden SR εἴ je ober Liturgie beiqufügen.
| In älteher Zeit hatte jaſt jede Provinz des Morgen
| μηνεδ ifr eigenes Formular für tie eucharifihe Beier,
; bi6 im ber zweiten φάϊιε des vierten Jahrhunderts der
HL Bafilius b. Or. eine verbefierte Lirurgie einführte,
welche nad) umb nad, jctod) nicht ohne Widerſpruch all-
gemein von ben Griechen und tem übrigen Morgenländern
angenommen wurde. Rad) rer Erzählung des Patriarchen
Proffus von Gonjgantinopel, der hundert Jahre fpäter als
Baflius lebte, foll Ichterer nad) einiger Zeit jein Formular
als etwas zu lange erfannt unb barum nod) ein fürzeres
entworfen haben, unb in ber That befigen wir unter tem
Samen des δ. Bafilius zwei Liturgieen, eine längere unb
tine etwas lũtzere, von denen jebod) feine ihre urfprüngs
li$e Gefalt unverjehrt bewahrt, vielmehr jebe im Laufe
der Zeit einzelne Beränderungen unb Zufäße erfahren hat.
Ein Menfhenalter fpäter als Bafılius verfürzte und
veränderte ber bL. Chryſoſtomus befjen Liturgie auf's
Reue, um's Jahr 400 n. Ehr., unb aud fein Sormular
lom, mande fpätere Beränderungen nod) erfeibenb, nad)
und nad) in ber ganzen griechiſchen Kirche in allgemeinen
Gebrauch in der SBeije, daß bie Griechen bi$ auf ben
heutigen Tag fid) beider Liturgieen, ber des BI. Bafılius
und Chryſoſtomus neben einander bedienen. Diefe Praxis
fanden die Ruſſen bei ihrer Belehrung vor und nahmen
fe in ihre Kirche mit hinuüber. Sie überjeßten ſonach
die Liturgie des DL. Bafilius, wie die des Chryſoſtomus
in die altjlavonifhe Sprache, unb bedienen fid) ber legs
teren für gewöhnlich), der des hi. Baſilius aber nur an
gewiſſen Tagen, nämlich am Feſte des Hl. Bafilius felbft,
τ
422 Die ruſſifche Kirche.
am Steujabr, an den Sonntagen in ber Faflenzeit (mit
Ausnahme des Palmfonntage), am grünen Donnerfage
und am ben Pigilin von Weihnachten, Epiphanie und
Dftern ). Uebrigens beficht zwiſchen biefen beiden gitur
gieen fein τὸ ε[επττ ὦ ετ Unterſchied, indem fie ben glei
hen Charakter und Typus an fi tragen umb mm in
einzelnen Gebeten und Rebendingen verjdjieben find. Den
griechiſchen Sext Diefer beiden Liturgieen finden wir bei
Goar, Euchologion sive Rituale Graecorum (Paris 1647)
p. 58 sqq. unb p. 158 sqq.; eine beutíde Ueberfegung
des ruſſiſchen Tertes ber Liturgie des bL Gfryjoftomue
aber gibt uns King, a. a. D. €. 120 ff. Diefelbe ber
ginnt mit Gebeten , welche der Diakon unb ber Priefer
beim Anziehen ber Kirchenfleider recititen. Rad bem
griedjifden und ruſſiſchen Ritus foll naͤmlich bei jedem
Gottesdienſte ein Diakon levitiren unb nur ausnahmsweiſe
und in fehr armen Kirchen funftionirt der Presbyter ohne
Diakon. — Beide begeben fid) bann zur Prothefis (Rüf-
altar, Credenztiſch) und waſchen bie Hände unter Abbetung
des Pf. 25: Lavabo eic. Der Diakon flellt jetzt ben
Discus (b. i. bie SBatene, melde aber viel tiefer ift und
mehr Schüffelgeftalt hat) zur Linfen, ben Kelch (gam
ähnlich dem unfrigen) zur Rechten des SBriefteró, unb νεῖν
richtet gemeinfam mit biejem ein Gebet. Hierauf nimmt
der Priefter das Brod (gefäuertes in Form eines Laib⸗
chens) in bie infe Hand, in bie Rechte aber bie heilige
Lanze (ein lanzenförmiges Mefferchen) macht damit dreis
mal das Kreuz über baó dem Brode (προσφορὰ — Dir
fate) eingebrüdte Kreuzbild, Siegel (σφραγές) genannt,
fidt mit ber bf. Lanze in bie verfdiedenen Seiten des
1) King, a. a. D. €. 117. Muralt, Lerivion €. 10.
Die ruſfſſche Kirche. 423
Hoftienbildes, unter den Worten: „zum Andenfen des
Heren und Gottes und Heiland I. Gfr., ber wie ein
Schaſ zum Schlachtbank geführt wurde” u. f. f. unb
fáneibet aus dem runden SBrobe das vieredige obere Stüd
aus ἢ. Diefes Stüd heißt Lamm, unb ift burd) ein
Kreuz in vier Meinere Theile getheilt, von denen jeder
einige auf Chriſtus bezügliche Buchftaben (1H C, X C,
NI, K A, b. i. ἰησοῦς χριστὸς νικᾷ) burd) einen Model
tingeprágt trägt. Der Priefter Iegt nun dieſes vieredige
Ctüd zuerft umgekehrt auf den Diskus (wie ein Schaf
umgefehrt gelegt wird), dreht es aber, nachdem er ein
Gebet gefprodjen, wieder um und durchſticht c& auf bet
tehten Seite mit der b. Lanze, recitienb: „ein Kriegs⸗
inecht öffnete mit ber Lanze feine Seite“ u. f. f. Der
Diakon (denft Wein unb Wafler zugleih in ben Kelch
tin, nachdem er zuvor ben Priefter um ben Gegen ges
beten. — Der Priefter nimmt fobanm ein zweites Brod
(tà werden immer davon 5 auf ben Rüftaltar gelegt), opfert
(ὁ Gott zur Ehre unb zum Gedaͤchtniß ber bl. Jungfrau,
hebt es mit ber hi. Lanze in die Höhe, ſchneidet ein dreis
ediges Stüd, wie eine Feine Pyramide, davon ab, unb
flt e& unter Gebet auf ben Diskus neben das 61. Lamm
techts. Hierauf ergreift er das dritte Brod, ſchneidet bate
aus 9 Feine Pyramiden, opfert fie Gott, Nr. 1 zu Ehren
des Johannes Baptifta, Nr. 2 der Propheten des A. T.,
Rr.3 der Apoflel, Nr. 4 der Kirhenväter Bafilius, Gregor
von Razianz, Chryfoftomus, Athanafius, Eyrill ıc., Nr. 5
des hl. Stephanus und der übrigen Martyrer, Nr. 6 der
V. Mönche und Nonnen, Rr. 7 des bf. Cosmas unb $a»
1) Das Uebrige wird zu Eulogien verwendet. Vgl. Goar, Eu-
cholog. p. 155 a.
424 Die ruſſtſche Kirche,
mian 2c. 26, Nr. 8 Anna's, Soadimé und des Heiligen,
beffen Gedaͤchtnißtag eben gefeiert wird, Nr. 9 des 5. Chry⸗
foftomus oder Bafilius, beffen Liturgie eben gehalten wird,
unb ftelt alle diefe 9 Stüde wie Feine Pyramiden auf
ben Disfus in einiger Entfernung von bem Lamme in
drei Reihen auf. — In ähnlicher Weife ſchneidet er aus
bem vierten Brode eine Anzahl Stüde aus, unb opfat
das erfte unter Fürbitte für alle vechtgläubigen Biſchoöͤfe,
bie hl. gefebgebenbe Synode, ben Diöcefanbifchof, bie Prie⸗
fter, Mönche unb ben gefammten Clerus; das zweite unb
dritte für ben Kaifer und feine Familie, unb bie folgenden
Stüde für alle jene Lebenden, deren er befonders in der
Meſſe gedenken will Für jeden Einzelnen ber Genannten
wird ein befonbere& Stüddhen auf den Diskus geftellt.
Ebenſo geſchieht e& bei bem fünften SBrobe, deſſen einzelne
€tüdden unter Fürbitten für bie Verſtorbenen, befonders
für den Bifhof, ber ben Priefter orbinirt hat, und fir
den Stifter der betreffenden Kirche geopfert und aufgeftelt
werden. Darauf folgt Räucherung und Gebet. Der Dies
fon ruft: „lafiet und beten“ und ber Priefter ftellt den
Afterisfus (ein Meines flernförmiges metallenes Gefell)
über das δ. Brod, damit bie drei Tuͤcher (das größte
davon heißt Asr — Luft), womit Brod unb eld) zuge
bedt werden, das erftere nicht unmittelbar berühren. Auch
dieß gefchieht unter fortwährenden Räucherungen (der
Deden und des Credenztifhes) und Gebeten. Darauf
verrihtet der Priefter das Opferungsgebet, ruft den gött
liden Segen auf die Opfergaben herab und bie vorbe⸗
reitende Handlung, bie an bem Credengtiſche ftatt hatte,
wird unter Gebet und Raäucherungen beſchloſſen. Rad
mehreren Gefängen öffnen fid die Thüren des Θέοποβαβόν
Die sufflfche Kirche, 435
und Priefter und Diakon gehen in Progeffton, von Kerzens
trügern begleitet, mit bem Goangelienbudje burd) bie nördliche
Thüre der Ilonoſtaſis (auf ber Evangelienfeite) aus dem Press
byterium heraus in das Schiff, und machen hier mit der Bro»
irífton einen Halbfreis, bis fie vor bie Fönigliche oder Mittel»
thüre ber ϑίοποβαβδ zu fteben fommen. Das Evangeliens
bud) wird jegt von bem vornehmften antvefenben Geiſtlichen
ber feinen Gig auf ber Epiftelfeite des Schiffes hat),
oder in beffen Abmangelung vom Priefter felbft eingefegnet.
Priefter und Diakon fefren durch bie große Thüre in's
Merheiligfte zuruͤk, und der Diakon legt ba& Buch auf
den Altar. Neue Gebete und Gefänge folgen, bann ver⸗
liest der Lektor bie Leftion, unb der Diafon, vom Priefter
zuvor eingefegnet, dad Evangelium. Er ift zu biejcm
Iwede von Wachskerzen begleitet aus der Mittelthüre
heraus» unb auf ben Ambo getreten. Der Priefter bleibt
während ber Verlefung des Evangeliums am Altare ftehen,
wendet fid) nad) Weften und ruft: „Weisheit (wird vers
leſen), ftebet auf; laffet ung hören das Evangelium. Friede
fei mit euch allen.“ Der Chor antwortet: „und mit Deis
nem Geifte." Dann ruft der Diakon: „die Lefung aus
dem Bí. Evangeliften N. N.“, und der Chor: „Ehre fei
dir o Herr!“ Nach beendigter Leſung fpridt ter Priefter:
„Friede fei mit dir, ber bu das Evangelium gezeiget haft.“
Die Mitteltyüre wird wieder gefdoloffen, der Priefter (im
Presbyterium), der Diakon auf bem Ambo und ber Gfor
verrichten Titaneiartige Gebete für ben Monarchen, für
die SBerftorbenen und die Katechumenen. Diefelben find
uit Gospodi oder Hospodi (εὖ ift ein Mittelton zwi—
ſchen g und h) pomilui unterbrochen, wie denn überhaupt
diefer Ruf, „Here erbarme Dich unfer", im ruſſiſchen
426 Die ruſſiſche Kirche.
Culte ſich unendlich oft wiederholt. Der Prieſter deckt
darauf einen Teppich uͤber den h. Altar, und betet fuͤr
die Lebendigen unb für ſich ſelbſt um Reinigung, damit er
das heil. Opfer würdig vollziehen fónne. Der Diakon ift
unterbefien burd) bie nördliche Thuͤre wieder in'8 Heilige
thum getreten, und nachdem bie große Thüre wieder geöffnet,
incenfirt er unter Abbetung des Pfalm miserere und ans
derer Bußgefänge ben Altar und Priefter und bie Oblaten
auf bem Grevenztifhe. Der Priefter legt den Diskus
fammt ben bf. Broden auf das Haupt des Diafon, ber
ein 9taudjfaf in feiner Hand trägt, den feld) aber nimmt
et felbft und beide vollziehen nun, bie hl. Gefäße tragenb,
bie f. g. große Prozeſſion unter litaneiartigen Gebeten
für ben Kaifer, für die Mitglieder feiner Familie (bie
namentlich) aufgeführt werben), für bie hl. Synode unb
bie gefammte Chriftenheit, bis fte wieder burd) bie Haupts
thüre in'& &anftuarium zurüdgefehrt find. Unter weiteren
Gebeten ftellen fie Diefus unb feld auf den Altar, und
der Priefter bebedt fie wieder mit ber Aör, alles ine
eenfirend. Die Mittelthüre wird wieder verfchloffen.
Spriefter und Diakon beten für einander, letzterer füft bie
Hand des erfteren, gehet wieder durch bie nörbliche Thüre
in das Schiff der Kirche hinaus, ficit fid) an feinen ger
woͤhnlichen Pla und betet und fingt abwechſelnd mit bem
Ehore. Der Priefter füffet den Diskus, ben feld) und
Altar, gibt, wenn andere Geiftlihe ihm afftftiren, dieſen
ben Friedenslkuß, hält bie Asr über bie DL. Gaben, recitirt
das nicänifhe Symbolum, und fingt darauf bie Präfation,
welche der unfrigen ähnlich ift, mit den Verfifeln sursum corda
und gratias agamus Domino Deo nostro eingeleitet wird
und mit dem Trisagion endigt. linterbeffen ift der Dia⸗
Die ruſſiſche Kirche. 427
Ion in das Heiligthum hineingetreten, er nimmt jegt ben
Aerisfus von ben bl. Gaben hinweg, unb ſchwingt über
lehtere den hl. Fächer, um liegen ıc. davon abzuhalten.
Darauf folgt bie Gonfecration mit ben Worten: „in der
Nacht, da er überliefert wurde zc., nahm er das S8rob in
feine heiligen, veinen und unbefledten Hände, dankte, brad)
t$ und gab εὖ feinen Jüngern unb Mpofteln, fpredend:
nehmet, efjet, das ift mein Leib, ber für eud) gebroden
wird zur Vergebung der Sünden." Bei bem Kelche ſpricht
der Prieſter: „dieß ift mein Blut, des neuen Teftaments,
das für euch und für Viele vergoffen wird zur Vergebung
der Sünden.“ Auch das unmittelbar auf die Wandlung
folgende Gebet hat mit unferem Unde et memores etc.
die größte Aehnlichkeit und lautet: „zum Gebächtniffe ba»
Wr dieſes Gebotes unſeres Heilandes, feines Kreuzes,
feines Begräbniffes, feiner Auferftehung am dritten Tage,
feiner Himmelfahrt“ 1c. 2. Eigenthuͤmlich griechiſch ift,
daß der Priefter noch nad) ber Gonfefration um Herabs
fendung des hl. Geiftes bittet und ausruft: „mache bie
Brod zum tfeuren Leib deines Chriſtus, und das, was
im Becher ift, zum theuren Blute deines Chriſtus; vers
wandle fie (bie bí. Gaben) burd) deinen hl. Geift, damit
fie gereiden mögen denen, bie daran Theil nehmen, zur
Vergebung der Sünden“ ıc. ıc. Hiernach fónnte e8 [deis
nen, als ob nad) ruffifcher, überhaupt griechifcher Anficht
die Wandlung erft jet. eintrete; aber [djon Chryfoftomus
fagt in feiner Rede de proditione Judae, baf bie Worte
hoc est corpus etc. bie Elemente umwandeln. In Uebers
einfiimmung hiemit erflärten bie Griechen auf der Unions-
ipmode zu Florenz: quoniam sb omnibus sanctis doctori-
bus ecclesiae, praesertim ab illo beatissimo Joanne Chry-
428 Die ruſſtſche Kirche,
sostomo, qui nobis notissimus est, audivimus, verba Do-
minica esse illa, quae mutant et transsubstantiant panem
et vinum in corpus verum Christi et sanguinem; et quod
illa verba divina salvatoris omnem virtutem transsubstan-
tiationis habent!). Daß fie aber nod) nad) ber Conſe⸗
fration ben hl. Geift zur Umwandlung herabrufen, damit,
erklaͤrten fle, {εἰ nichts anderes gemeint, „als daß der Hl.
Gift auf uns herabfommen, unb in uns das Brod zum
Tofibaren Leibe Chriſti madjen und ummandeln möge, dar
mit e& den Gommunicirenben zur Reinigung der Seele
gereiche. In ähnlicher Weife hätten ja aud) bie Rateiner
nod nah ber Wandlung das Gebet: jube haec perferri
per manus sencti angeli tui“ etc. ?).
Nach ber Wandlung folgt bie Verlefung ber Dipty
Gen (ber Sobten und Lebenden) und εὖ werben hier Maria,
Johannes Baptifta, bie Apoftel 2c. 1€. genannt, nicht ale
ob man bei Gott Fürbitte aud) für fle einlege, fonbern
„damit Gott burd) ihr Gebet auf uns herabſehe.“ Daran
ſchließen fid) Fuͤrbitten für jene Todten, die unferes Gebetes
nod) bebürfen, foie für bie nod) Lebenden, namentlich ben
Kaifer und alle einzelnen Glieder der Faiferlihen &amilie,
für bie hl. Synode, bie betreffende Stadt, für bie Reifen
ben unb alle Menſchen. Nach einigen weiteren Gebeten
folgt das Pater noster, und bann bie Elevation des Β΄.
1) Mansi, Collect. Concil. T. XXXL p. 1045 aq. gl. meine
Stbfblg. fiber ble Union ber griedj. Kirche In der Duartalfcht. 1847. €. 256.
Harthaufen berichtet in feinen Studien über Rußland iB. L ©. 364,
daß gerade die Starowierzen ober Altgläubigen in Rußland in Serbie
dung mit ber theologiſchen Schule von Kiew ganz entfchieden behaupten,
die Wandlung trete (don mit Ausfprejung der Eonfekrationsformel ein.
Das Gegentheil wolle die Schule von Mosfau behaupten.
2) Bel. Quartalſchr. a. o. Ὁ. ©. 246.
Die ruſſiſche Kirch⸗. 420
Brodes, wobei ber Diakon ruft: „das Heilige den Oeil»
gen." Während eines Communionliedes bricht der Priefter
unter Gebet das hl. Brod in bie vier mit befondern Buchs
ftaben (f. o. ©. 423) bezeichneten Stüde, legt das Stüdchen
IHO in ben feld, bricht das zweite mit X C für fid) und
ben Diakon, das dritte unb vierte aber für das 9Boff (in
viele Theilden). Die anderen Stüdchen, bie zu Ehren ber
B. Jungfrau sc. 20. geopfert worden waren, werden nicht zur
Gommunion gebraucht. Sodann wird ber feld) für bie
Gommunifanten zurechtgerichtet, indem in benfelben heißes
SiBaffer (Symbol ber Wärme des Glaubens) aufgeídüttet
wird, bis ein für bie Zahl ber Gommunifanten hinreichen⸗
des Quantum vorhanden ift. Sept beginnt bie wirkliche
Eommunion. Zuerft reicht der Priefter dem Diakon das
hl. Brod, bann erft empfängt er εὖ ſelbſt. Aus bem HI.
Kelche dagegen trinkt er ſelbſt zuerſt dreimal und reicht
ihn dann bem Diafon. Darauf werden die Thüren zum
Sanftuarium wieder geöffnet, und bie Gommunifanten
treten, die Hände freuzweis auf bie Bruft legend, an die
Hauptthüre heran. Jeder wird mit feinem Namen aufs
gerufen unb empfängt nun bie beiden Geflalten auf ein»
mal, indem das ff. Brod in ben hl. Wein getaucht unb
fo dem Einzelnen mittelft eines Löffelhens gereicht wird.
Nach vollzogener Gommunion tragen Priefter und Diafon
den Disfus und Kelch wieder auf ben Grebengtifd, flellen
fid) dann beim Ambo auf und fprehen Danffagungsgebete,
ber Priefter (bei den Giriedyen ber Diakon) entläßt dann
das Volk mit bem Rufe: procedamus in pace (ἐν εἰρήνῃ
προέλϑωμεν) und mit bem Segen. — Spriefter und Diafon
fehren in die Prothefls zurüd unb ber Diakon ift hier
das, was von ben hl. Sachen noch übrig ijt, der Priefter
430 Die ruſſiſche Kirche,
aber tritt wieder zum Volke heraus und reicht unter Ger
bet und Gejüngen denen, welche nicht communieirt haben,
die Eulogien (τὸ αντίδωρον). Zum Schluß werben bie
geiftlihen Gewänder wieder unter Gebeten abgelegt unb
die Hände gewafchen.
In der Saftenjeit hat nur am Samftag und Sonn
tag eine ganze Liturgie, am Montag, Dienftag und Don-
nerftage gar feine, am Mittwoch und Preitage aber eine
Liturgia praesanctificatorum (τῶν προηγιασμένων) flat,
ähnlih wie bei und am Eharfreitage. Diefelbe befteht
hauptfählih aus ben Horen fammt SBefper, welde an
biefen Tagen länger find. Gegen Ende des SBefpergefange
nimmt ber Priefter nad) vorauégegangener Räucherung
aus bem Eiborium, das auf bem Altare ftebt, das am
Sonntage zuvor confefrirte, bereit6 in das hl. Blut ger
tauchte Brod heraus, [egt es auf den Diskus, incenfirt
es, gießt 9Baffer und Wein in ben fed) (jebod) ohne
ale Eonfecration); verſchiedene Gebete und Geremonien
folgen, ájnlid) wie bei ber ganzen Liturgie, aud) bie Ele
vation hat Statt, und am Schluffe communiciren Priefter,
Diafon und Bolf in ber nàmliden Weife, wie bei ber
vollfändigen Meſſe 5.
Diefer ausgedehnte, ceremonienteidje Eult forbert eint
zahlreiche Geiftlichfeit. Diefelbe ſcheidet fid) in Kloſter.
und Weltclerus, ober ſchwarze und weiße Geiftlichfeit.
Aus erfterer, welche bie gebilbetere und höher verehrte if,
werden alle Bifhöfe und die fonfigen hohen Geiſtlichen
gewählt, und ihnen ift bie Ehe verboten, während bie |
Weltgeiftlichkeit, bie Priefter unb alle anderen Gleiftt |
ur |
1) Bel. Goar, Eucholog. p. 190 seqq. SRuralt, Briefe x.
€. 48 f. fing, a: a. D. ©. 169 f.
Die ruſſiſche Kirche. 431
fid einmal verehelichen fónnen, vor Empfang der Diafo-
natsweihe. Da faft ausſchließlich bie Söhne von Popen
wieder Bopen werben, und es für unanftünbig gälte, wenn
ein SBopenfobn eine andere als eine Popentochter heira-
then würbe, fo bildet bie Weltgeiftlichkeit in Rußland einen
fa faftenartig gefehloffenen Stand. In die Klöfter das
gegen fannS ebermann aus jedem Stande eintreten, nur
Tann der eibeigene dabei nicht Pater, fondern nur Laienbruder
werden. Faſt alle Klöfter ber ruffiihen Kirche gehören
dem Drden des f. Bafilius an, und man zählt im Ganzen
462 Manns» unb 118 Nonnenflöfter, mit ungefähr 9000
Mönchen (Patres und Fratres) und 2250 Nonnen, denen
wieder 5000 dienende Schweftern zur Geite ftehen. Ale
öfter haben ihre Befigungen feit Catharina II. verloren,
und werben jet theild durch Stantsbeiträge, theild burd)
milde Gaben erhalten. Mit vielen find zugleih aud)
Schulen und Afademien verbunden !).
Der hierarchiſchen Eintheilung nad) zerfällt Rußland
in 52 Bisthümer oder Eparchien mit einem Perfonale von
ungefähr 120,000 Glerifern ?). An jeder bifhöflichen
fite findet fld) aufer bem Biſchofe ein Protopope, zwei
Schagmeifter, fünf Popen, ein Protodiaconus, vier Diar
Ionen, zwei Leftoren, zwei Oftiarier und 33 Sänger;
andere bedeutende Kirchen haben einen Protopopen, zwei
Bopen, zwei Diafone, zwei Sänger umb zwei Oftiarier,
und Pfarreien, die nur aus zwei bis breihundert Häufern
beftehen, follen mehrere Priefter und Diakone xc. 1c. haben ®).
Ale diefe Geiftlihe find feit der großen Gecularifation
1) Saxthaufen, a. a. D. b. IL €. 93 f.
2) HSarthaufen, a. a. D. b. IL ©. 92 f.
3) € $mitt, a. α. Ὁ. ©. 168 f.
Speol, Duartalſqhrift. 1858. III. Gef. 29
432 Die ruſſſſche Kirche.
unter Katharina IL nur auf ſtaatliche Beſoldungen ange
wiefen und biefe für bie meiften fehr Färglich berechnet,
Aber trot diefer Dürftigfeit und trog ber nod) viel (diim:
mern Unfelbftftändigfeit des Gleru& bem Staate gegenüber
ftebt der geiftliche Stand in Rußland nod) immer in ausr
gezeichneter Verehrung ἢ. Das Bewußtfein, daß fie „Or
falbte Gottes“ und daß bie bL. Ordination feine bloße
Eeremonie jei, ift fefbftoerftünblid) bie Urfache biefer für
ben Beftand einer Kirche nöthigen Erſcheinung; unb bie
ruſſiſche insbefondere müßte es mit ihrem eigenen Sob
büßen, wenn fie fij von bem einfchleichenden SBroteftantits
mus ben Glauben an das heilige Saframent be
Priefterweihe je rauben faffen würde,
1) Bol. Harthaufen, a. a. D. Bb. I. €. 86 fagt hieräbe:
„Dan Hört felbft in Rußland Häufig die Vehauptung, der gemeine Rufe
Habe nicht die mindefte Liebe und Achtung vor feiner Geiftlichkeit, m
Habe fogar den Mberglauben, wenn er am Morgen früh quer einm
Bopen begegne, fo bringe ihm das Unglüd, er fpei banm bei folder
Gelegenheit aus. Auf der andern Seite fict man fiete, wenn ein Rufe
einem Popen begegnet, daß et ijm bemáüifig die Hand Hát. Man wil
daraus fchließen, daß er ben Popen mur als Träger und Spender ber
Sakramente äußerlich ere, aber innerlich verachte ober gar affe. Das
dft eine der halben Wahrheiten, die flets zu falfchen Schlüfen führen.
Der Ruffe fat die größte veligiöfe Ehrfurcht vor bem Amt umb ber
Weihe des Geiſtlichen. If nun ber Geiftliche zugleich eim würbiger
Mann 1c. ıc., fo wird er mit unbegrenzter Liebe und Ehrfurcht behan⸗
beit :.. Aber ausgezeichnete Geiftliche find allerdings auf bem Lande
felten. Die Mehrzahl der älteren Popen iſt àuferft τοῦ, ofne alle Bil
bung, umeiffend, nur auf ihren Bortheil bedacht .... Daß folge Sepe
perfönlich nicht geliebt, gelobt unb geachtet werben, daß man nur ihre
Würde und Prieſterweihe in ihnen ehrt, (ft durchaus natürlich. Seit 15
Jahren Hat fid) das abet ſchon mächtig geändert, bie jüngere Geiflicteit
fat mehr Bildung, mehr Streben und mehr Gifer in ihrem Ante.“
Hefele
2.
Der vorgebliche Pelagianismus ber vorauguftinifchen
Väter,
Ein Beitrag zur Dogmengefgihte
Hatten die älteren Väter, namentlich ber griedhifchen
Kiche, die menſchliche Willensfreiheit mit großem Nach»
drud vertheibigt, und ihr Verhaͤltniß zur göttlichen Gna⸗
denthätigfeit faft ausfchließlich vom empirifchen unb ethiſch⸗
praktiſchen Standpunfte dahin beftimmt, daß ber Menſch
anfange und Gott feinem guten Willen zu Hülfe fomme,
laf ber Menſch nad) beften Kräften ringen unb fireben
fole, damit ihm Gottes Gnade das Wachsthum und bie
Vollendung im Guten verleihe 1: Gor. 3, 6. 7. Röm. 7,
18.; fo glaubte man in ihnen Vorläufer des Pelagius
und Gegner des DI. Auguftin zu erfennen, wie man in
ähnlicher Weife bie Trinitaͤtslehre der vornicänifchen Väter
mit dem Arianismus zufammen- und ber nicänifchen Lehre
entgegengeftellt hat.
Daß bie alten Häreflarchen felbft fld) auf bie ältern
Lehrer und Väter als ihre Vorgänger beriefen, ift erflär-
lij. Abgeſehen von dem natürlichen Verlangen, gegen
ihre lirchlichen Gegner bei anerfannten und verehrten Nas
men Schup zu finden, war nad) ihrer eigenen innerften
29*
434 Der vorgebliche Pelagtanismus
Meberzeugung jede Lehre verwerflich, bie mit bem Merkmal
der Neuheit auftrat und in dem Glauben der früheren
Zeit feine Stüge fand. Die Berufung auf bie hl. Schrift
allein galt damals noch feinerfeité für ausreichend zur
Herftellung des Beweiſes der Chriſtlichkeit einer Lehre;
und wenn man aud) nicht der Εἰτ ὦ Τἰ ὦ ἐπ Meberlieferung
vertraute, wie die Gnoftifer 1), fo glaubte man den Aus:
fall durch Aufftellung einer eigenen, geheimen Weberliefer
rung beden zu müffen. Auch bie Betrachtung ber bog:
mengefdichtlichen Gntmidfung, womit fid) ber moberne
Rationalismus trägt, das hiftorifche, bewegliche unb ver-
änderliche Moment nicht allein in der Lehrweife, fonbern
in ber Lehre felber zu fuchen, war der alten Kirche und
ſelbſt ben Häretifern ganz fremd. Nur darin unterfdjieben
fid) diefe von ben firdjlidjen Lehrern, daß fie ihrer Lehre
die Stellung zu bem Glauben und ber Lehre der früheren
- Väter vinbicirten , welche nad) ber llebergeugung jener
vielmehr bem gegen bie Irrlehre firittem Dogma allein
in Wahrheit gufommt.
Die alten kirchlichen Gegner ber Härefle fuchten zwar
gerne deren Spuren in ber hriftlichen Vorzeit auf, mit
befonderem Eifer namentlich ber bl. Hieronymus hin
fidtlid) des Pelagianismus; aber fle zeihen immer nur
einzelne Lehrer und ſolche Männer, deren kirchliche
Drthoborie theils verdächtig — theils geradezu befritten
war, ber Ausfireuung des Samens, ben bie fpätere, offen
hervortretende Φάτεβε jur Reife gebracht und finden
bie Härefle fomit lebiglid) auf ihrem eigenen Gebiete
heimiſch, auf dem kirchlichen aber nur als ſporadiſche
1) Tertullian. de pracsc. c. 25. Iremae. adv. haeres. I, 25. 3.
der vorauguſtiniſchen Väter. 435
und vorübergehende Erſcheinung. Die proteftantifchen
Dogmenhiftoriter der frühern Zeit verfahren nod) ganz in
bier Weiſe; erft die neuere, buch Semler unter ben
proteftantifchen Theologen allgemein 1) verbreitete Auffaſſung
des dogmengeſchichtlichen Prozeſſes hob ben Gegenfag amis
ſchen ortboborer und heterodorer Lehrentwidlung völlig
auf; und indem fie bie häretifchen Sondermeinungen bem
firhlichen Glauben und beffen dogmatiſchen Beftimmungen
ebenbürtig zur Seite ftellt (mas nidt ohne egoiftifchen
Beigeſchmad ift), läßt fie begreiflich aud) feinen Unterſchied
gelten hinſichtlich ber Rechtmäßigkeit des 9Infprudjó, ben
beide Theile auf Mrfprünglichkeit und traditionelle Beglaus
bigung machen. Es ift nach diefer Auffaffung bie Ger
ſchichte des Dogmas ganz ebenfo zu beurtheilen, wie 3. 3B.
die Geſchichte der Philofophie, die, wie (aut aud) bie τε
heber ber einzelnen Syfteme εὕρηκα vufen, bod) nur pate
tielle und einfeitige 9teflere ber Wahrheit aufzumeifen hat.
Bie bem Nationalismus ſchon bie diftlidje Wahrheit an
fij, die Offenbarung, nichts Abfolutes, fonbern wie jedes
enbliche Geiftesproduft ber SBerbefferung fähig unb ber
dürftig ift, fo amerfennt er aud) in ber Art und 9Beife
wie diefer Inhalt bem kirchlichen Geifte fid) präfentirt, in
dem kirchlichen Bewußtfein und feiner Entwidlung nicht
die Stetigfeit und Unveränderlichfeit, welded bie Merks
male feiner unverrüdten Uebereinfiimmung mit ber ur⸗
fprünglidjen Wahrheit find. Bon folhen Anfihten aus
füllt es freilich nicht ſchwer, Dogmengeſchichte zu ſchreiben;
daher auch bie Reihhaltigkeit der rationaliſtiſchen Literatur
4) Mit cüjmlidjen Musnafmen, wie wir eine foldje 3. B. in der
Ronographie des Origenes von Thomafius (Nürnberg 1837) gerne
aueilennen.
458 Der sonare Pelegienitunt
im bieiem Fweige. Erideinungen jammein, mat fie cimcm
vorantgejaften akfrafirn €vieme anpajicn, ih ungleich
leiter, ald ven Gruxb ber Wahrheit erjerichen umb δε
Giejcie, welche tie Gridcimungen erklären, aufinden.
Bi mam, um nun fperich auf unjern Gegenfan
su fommen, bic verauguiiniiden Bäter geredjt beurteilen,
je tarj man mit bei bem Wertlamte ihrer Darfellungen
fichen bleiben, und fc kon Darauf hin des Pelagianisuns
xihen. Offenbar madıt c6 einen wefentlichen Unterfähiee, οὐ
ἰώ tem Cap: ber SRenid) jel das Gute, weil er εὖ fann,
ober ten: ber Sienid) fann tes Gute, weil er e$ fol, auch,
olwobl beitcmal chen bie ftıliche Freiheit als Bermögen des
Guten behauptet wirt. Es ij enses anderes, vie fttfide
Freiheit im Gegeniape des gueftichen Sualtóumé oder te$
heit nijchen Fatalisaus, erwas anbere$, ic im Gcgenjah gegen
den Pelagianismus, gegen εἰς Retkiwendigfet ter Gnade
zu behaupten. Wan tarf weiter tie Schwierigleit nic
überichen, tie im der Cade iclbit liegt, das Zufammcr
wirfen von Freihen unt Gmate im Heilswerfe auf au
yräciie, nad) allen Eeiten ten möglichen Irrthhum abſchnei⸗
vente Weile zu beitimmen. emer t εὖ eine allgemeine,
ebenie natũtliche als leicht erflärlhe Ericgeimung, bof jo
lange ein vie Wahrheit gefährtender Srrtfum nicht auſ⸗
getandı iR und zur SBerüót im Austruf des allgemein
Slaubensinhalis mótbigt, ticicr in umbeiangener und forg
Iojer Weije ausgeiprechen wirt ἢ): ba greift man imma
zu terjenigen Borfiellung ter Sache, weldje dem gemein
Cum un Berkäntnis am πἀώβεν Περί. Gublij und
7 ἢ) Aeguatin. conis. Jekum. I, 2: Disputes im cathelic ec
diesia mea se alher imtelbgi acburabembur; ial quacstisme —
der vorauguſtiniſchen Väter, 491
hauptfächlich darf nicht überfehen werden, daß das Bers
haͤltniß von Sreiheit und Gnade nad) zwei Seiten ber
Bahrheit gemäß dargeftellt werden Fann, nad) ber em»
piriſchen ober ethifchspraftifchen unb nad) der fpefulativen
oder religiös-theologifhen, und daß εὖ nad) jener Geite
dargeftellt werben muß, wo es fid) um bie SBertbeibigung
der Wahrheit gegen den freiheitsläugnerifchen Dualismus
und Fatalismus, nad) biefer Seite aber, wo es fid) um
ijre Vertheidigung gegen den gnabenfeinblidjen Pelagias
nismus fanbelt.
Bas wir hier ausfprehhen in Abfiht auf bie richtige
Beurtheilung der ältern Kirchenlehre, ift nicht eine erft
von und angeftellte Erwägung; wir finden die Hauptger
danfen [dom von Auguftin hervorgehoben. Die Pelas
gianer beriefen fid) zum Schuß ihrer Lehre gegen ben
Borwurf der Härefie auf die frühern Väter 1), befonders
die ber griechiſchen Kirche. Auguftin entgegnet, es {εἰ
dieß ohne Grund; denn der riftlihe Glaube fei Einer
und die Vorfteher der orientalifhen Kirche bekennen feinen
andern ?). Wie eifrig aud), will er fagen, bie Griechen .
bie Vertheidigung der menſchlichen Willensfreiheit gegen
ihre Laͤugner führen, und wie auffallend fte hiebei mit ben
Pelagianern übereinftimmen, die Gnade, die Nothwendig⸗
frt der göttlichen Unterftügung für ben Menſchen Täugnen
fie nicht, weil beides das chriſtliche Glaubensbekenntniß
1) Sogar auf Ambrofins (Augustin, de grat. Christi c. 47.
1.52) und auf Nuguftin felber (Augustin, de nat. et grat. c. 61.
2.71. c. 63—67. Retract, I, 9).
2) Non est ergo, cur provoces ad Orientis Antistites, quia et
i uique Christiani sunt et utriusque partis (terrarum) fides ista
waa est, quia et fides ista christiona est, cont. Julian. lib. I. c. 4.
8, 14. cf. lib. IL c. ult.
438 Der vorgebliche Pelaglaniemus
fordert ), das aud) das ihrige war. Die verfdjfungenen
und bunfeln Gänge des BVerhältniffes von Freiheit und
Gnade kommen freilich, bemerkt er weiter?), den Pelagianern
{εὖτ zu ftatten, wenn fie bie frühern Väter für ſich an-
führen; denn biefeó Verhältniß fei fo geartet, baf mit ber
Vertheidigung ber Freiheit bie (Stotfroenbigfeit ber) Gnade
aufgehoben zu werben fdeine, unb umgefebrt. Bezüglich
der Prädeftination insbefondere, welche von ihm als eine
unbedingte gelehrt, von ben frühern Vätern aber einftims
mig auf das Vorherwiſſen des menſchlichen Verhaltens
begründet wird, macht Auguftin darauf aufmerkſam, bof
biefe Stage früher mur furz und vorübergehend behandelt
worben fei, und fo habe behandelt werben fónnen, weil
fle nicht controberé gewefen, daß aber die frühern Väter ohne
Zweifel forgfältiger und genauer fle gelöst hätten, wenn
fle, wie er jegt, veranlaßt geweſen wären, den Pelagianern
zu antworten 5). Cie waren aber gerade in bem ent
gegengefebten Halle; fie hatten den chriftlihen Glauben
1) Ep. 215. n. 4.
2) De grat. Christi c. 47: Sed quia ista quaestio, ubi de arbi-
trio voluntatis et Dei gratia disputatur, ita est ad discernendum dif-
ficilis, ut quando defenditur liberum arbitrium , negari Dei gratia
videatur; quando autem asseritur Dei gratia, liberum arbitrium pu-
tetur auferri: potest Pelagius ita se latebris obscuritatis hujus invol-
vere, ut etiam iis, quae a sancto Ambrosio conscripta posuimus,
consentire se dicat etc.
3) De praedest. SS. c. 14. n. 27: Quid opus est, ut eorum
scrutemur opuscula, qui priusquam ista haeresis (pelag.) oriretur,
non babuerunt necessitatem in bac diffcili ad solvendum quaestione
(de praedest.) versari? Quod procol dubio facerent, si respondere
talibus cogerentur. "Unde factum est, ut de gratia Dei quid senti-
rent, breviter quibusdam scriptorum suorum locis et transeunter
attingerent, immorarentur vero in eis, quae adversus inimicos Ec-
clesiae disputabant,
der vorauguftinifchen Väter. 439
gegen folde zu vertheidigen, bie keineswegs die Gnabe
Gottes Täugneten, fondern etwas ihr Analoges lehrten,
nämlih daß der Menſch vor und unabhängig von feinem
eigenen Freiheitsgebrauch burd) feine Natur boͤs fei, oter
bof er einem Verhängniß unterliege, unter welchem fein
αὐτεξούσιον auffomme. Sie hatten alfo vor allem dieſes
qu retten, und fo fonnte es bei bem Gegenfage, in welchem
Gnade und Freiheit fliehen, ben Anfchein gewinnen, als
vertheidigten fte die Freiheit ausſchließlich, als für fid) all«
ein zureichend um das verlorne Heil wieder zu gewinnen,
fomit gegen die Gnabe Gottes. Es [εἰ eine ganz andere
Frage (welche die frühern Väter und ihn fefbft in feinen
Schriften gegen die Manichder, worauf fid) Pelagius ber
tief, befdjüftigt habe), woher das Böfe fomme (ob von
tatur oder aus bem freien Willen des Menfchen), und
eine andere Frage, wie zu bem verlornen Gute (zum Heil)
wieder zu gelangen fei. Dort müffe man ben freien Willen
geltend machen, der ja in ber That fündige oder das Gute
thue — obwohl es zu leßterem nicht fomme, bevor ber
"Hie aus ben Umftridungen der Sünde befreit {εἰ —
bier Dagegen bie Gnade, die aber felbft aud) nur durch
den freien Willen wirfe 1).
Es ift jedoch nicht fo fafl die Verſchiedenheit des
1) Retract. I, 9. 2 u. 3: Aliud est enim quaerere, unde sit
malum, et aliud quaerere, unde redeatur ad pristinum, vel ad majus
perveniatur bonum. Quapropter novi haeretici Pelagiani — — non
se extollant, quasi eorum egerim causam, quia multa in his libris
(de lib. arbi.) dixi pro libero arbitrio, quae ilius disputationis
(contr. Manich.) causa poscebat. Was von Auguflins eigenem Ders
fahren gilt, läßt fid) unmittelbar auf das ber griechiſchen Väter amens
dem, fofern biefe gegen die Ginoftifer ſtritten. M. vgl. ferner Retract. I,
9. 4, überhaupt das ganze Gap.
440 Der vorgebliche Pelaglanismus
Gegenſtandes in den beiden Fragen, woher das Böfe
fomme unb wie ba6 Heil wieder erlangt werde, worauf
die verfdiedene Behandlung des Verhältniffes der eigenen
Thätigkeit des Menfhen und des aufer ihm liegenden
Einflufjes — ſei's der Gnade, nad) riftlicher Lchre,fei’s
der Ratur oder des Batums, nad) gnoftifcher unb heidni⸗
fer Lehre — beruht; beide Fragen laufen julegt auf
bie eine hinaus, wie das Gittlidje überhaupt vom Mens
ſchen und burd) ihm verwirklicht werde. Bedingt ift fie
vielmehr blos relatio, durch bie Gegenfäge, mit denen
man es zu thun hatte, und wovon bet eine die Freiheit
läugnet unb an ihre Stelle bie Natur oder das Berhäng-
nig fegt — ftatt jene in ihrem Rechte zu befaffen unb
mur ihre Unzulaͤnglichleit hinſichtlich des zu realiſirenden
ſitilichen Ideals duch den Beiftand der göttlichen Gnade
ju ergänzen, — ber andere aber die Freiheit mit Aus
ſchluß der Gnade für allein zureihend und ent[djeibenb
erflärt. Hatten die Väter der frühern Zeit gegen bie
Gnoftifer zu fämpfen, (unb Auguſtin {εἰδῇ anfänglich
gegen die SRanidjder), fo flanb offenbar in erfter Linie
die Vertheidigung ber Freiheit; diefe fonnten fie aber mit
Stadbrud nicht führen, wenn fie mit aͤngſtlicher Sorgfalt
flet& an die Schwaͤchung des fütliden Vermögens durch
bie Sünde und bie daher rührende Nothwenbigfeit des
göttlichen Gnadenbeiſtandes erinnert hätten. Sie brauch⸗
ten aud) nicht darauf einzugehen; bie hriftlihe Wahrheit
gefattete ihnen, bie Breiheit ſchlechtweg ju behaupten
gegen ben moralifhen Dualismus der Gnoftifer, ba bie
felbe ihr zufolge weder unter bem Drude der Sünde
mod) unter dem Defebenben und helfenden Einfluß ber
Gnade aufgehoben oder unwirffam ift. — Die eigentlichen
dee vorauguſtinifchen Väter. 441
Antipoden der Gnoftifer imb. Manichaͤer waren die Pela-
gianer. Sie längneten ben. zerfegenden Einfluß der Sünde
auf das fittliche Vermögen und bie abfolute Notwendige
frt der Exlöfung und Gnade Gottes; fie behaupteten
die menschliche Willensfreiheit als ungeſchwaͤcht und als
die ausreichende Kraft zur Erreichung des fittlihen Ideals.
Gegen fie mußte von demfelden Glauben, von berfelben
Bahrheit aus, bie die Väter in jenem Kampfe leiteten,
das entgegengefeßte Verfahren eingefchlagen, und das Mor
ment der Wahrheit, welches dort jurüdtrat, hier in bem
Vordergrund gezogen werden — baher ber fcheinbare
"üiberfprud) zwiſchen ber frühern und fpätern Lehre ber
Väter. Es mußte, unter ausbrüdlider Hinweis
fung auf das fittlide Verderbniß, bie unbe
dingte otbmenbigfeit ber Erlöfung und des
göttlihen Gnabenbeiftanbeó bis zur Lehre
von ber abfoluten Prädeftination in bie ans
dere Wagfhale geworfen werden, wobei, um
der chriſtlichen Wahrheit feinen Eintrag zu tfun, mehr
wit nöthig war, alá ber allgemeine Borbehalt
ber Freiheit unb Freithätigfeit des Menſchen.
Naͤchſt den Stellen, worin die Väter die Willens:
freiheit gegen den gnoftifhen Dualismus und heidnifchen
datalismus vertheidigen, fommen diejenigen Aeußerungen
in Betracht, worin fie biefelbe ohne Rüdfiht auf entges
genftehende Lehren thetifch behaupten. Es geſchieht dies
tells im Zufammenhang mit jener Vertheidigung, wenn
fie nämlich die Gründe für bie Willensfreiheit {εἰ es aus
der Schrift, fei ed aus ben moralijfen unb politis
ſchen Gefeggebungen, oder aus ber Vernunft erörtern,
theilz abgefonbert bei Behandlung ber ethifhen Lehe
442 Der vorgebliche Pelagianismus
ven bes Chriſtenthums. ine ausprüdliche Beriehung
auf das fittliche Verderbnig und den durch Chriſtus er-
wirften göttlichen Gnabenbeiftanb finden aud) wir, in diefer
Caffe von Stellen entmeber gar nicht, ober δῶ ſel⸗
ten; eó wird bie Willengfreiheit des Menfchen, das
Vermögen des Guten und Böfen nur ganz im Allgemeis
nen behauptet und über ben Umfang und die Bedingungen
ihres wirklichen Gebrauchs nichts ausgefagt. Daraus
zu Schließen, daß bie Väter das ſittliche Vermögen als
ungeſchwaͤcht und unbedingt in feinem wirklichen Gebrauch
angefehen haben, wäre ein offenbarer Fehlſchluß; das
bloße Schweigen über bie Grünje des Vermögens berech⸗
tigt nicht zu ber Annahme, daß bafielbe ihnen als unbe
gränzt gegolten habe, um fo weniger, je deutlicher man
fieht, bag fie fi nur ganz im Allgemeinen auébrüden
wollten. Was fie über die Kraft und Tragweite ber
fttlichen Freiheit des Menſchen gedacht haben, biefe com
crete Frage läßt fid erſt entfdjeiben, wenn wir ihre Lehre
von den Folgen des Sündenfalls, von der Grlófung durch
Ehriftus und ber von hier aus uns zufließenden götts
lichen Gnabe geprüft haben. Endlich kommen diejenigen
Stellen in Betracht, worin bie Väter von ber Freiheit
und Gnade handeln und ihr Verhältniß zu einander im
Heilswerk, b. D. ben beiderfeitigen Antheil an demfelben
beflimmen. Auf diefe dritte Gfaffe von Stellen fommt es
hauptfählid an bei Beurtheilung des eigentfümliden
Charakters ihrer Lehre und ihres Verhältniffes zum Per
lagianismus. Hier muß es fid entſcheiden, wie weit bie
Väter in Einrechnung bes fittlihen Verderbens einerfeits
die Kraft und Wirkfamfeit des menfhlihen Willens,
der vorauguſtiniſchen Väter. 443
andrerfeits bie Nothwendigfeit und Kraft der göttlichen
Gnade ausgebehnt haben.
An biefe Elaffe von Stellen wollen wir uns nun
halten. Bekannt ift, daß bie voraugufiinifhen Väter —
und Auguſtin ſelbſt in feinen Schriften gegen bie Ma-
nihäer — ganz einfellig vom ethiſch praftifhen Stand»
punkte aus bie menfchliche Thätigfeit ba& Heilswerk bes
ginnen, bie göttliche Gnade aber das menfhlihe Thun
unterftügen, mit Erfolg fegnen und vollenden laffen. Den
Menfhen, fein Thun und Sein fo genommen, wie e8 fid)
der unmittelbaren Wahrnehmung barbietet, läßt fl) an»
ders auch gar nicht verfahren; das gleiche Verfahren ift
geboten, wenn man ihn al8 Subject des Gittengefegeó
betrachtet. Davon verſchieden ift der fpeculative Geſichts⸗
punft, bie religiös theologifche Betrachtung, welche bie
Gnade als ben abfoluten Grund unb als Bedingung
jeder wahrhaft guten Willensthätigkeit aufſtellt. Ein
Widerſpruch zwifchen beiden Betrachtungen befteht an und
für fü$ nicht, vielmehr ordnet fid) bie erftere der legtern
unter; nur wenn fle ausſchließlich bie eine gegen bie
andere geltend gemadjt werben toollten, wuͤrden beide
ihren Anfprud auf Wahrheit verlieren.
Was juerf die Iateinifhen Väter betrifft, fo
lann gegen fie aud nicht der Verdacht pelagianificender
Lehre auffommen. Sie find fo wenig im Balle, bie
ethiſch⸗ practiſche Auffaffung in ausſchließlichem Sinne
geltend zu machen, baß fie vielmehr bie andre ihr zur
Seite gehen laſſen. Nur die Vermittlung fehlt, und das
Geſchick, von ber Betrachtung ber göttlihen Gnade als
der abfoluten Urſache alles guten Willens aus bie Wils
Ienöfreiheit zu ihrer wahren Geltung zu bringen.
444 Der vorgebliche Prlagtanisums
Führen wir nur einiges zum Belege unferer Behaup⸗
tung an.
Tertullian befämpft die Gnofifer, welde zur 8e
gründung ihrer Lehre von zwei Naturen im Menfchen,
einer guten und einer böfen, fid auf die Schriftſtellen
beriefen: „Ein guter Baum kann feine fdfedten Früchte
bringen, nnb ein ſchlechter Feine guten;^ „Riemand ärndet
von Dornen Feigen, unb von Difteln Trauben.” Die in
biefen Ausfprüchen liegende moralifche Beftimmtheit bed
Willens, feine der einzelnen That vorausgehende Geneigt-
heit für das Gute ober Böfe lüugnet Tertullian nidt;
er anerkennt vielmehr diefe Wahrheit, wie es fpäter Au
gufin auf Grund derſelben Schriftftellen gethan δα ").
Gr führt den Gnoftifern ſolche Schriftftellen zu Gemüthe,
worin zwar gleichfalls bie fittlihe Berfunfenheit bd
Menfchen bezeugt, aber zugleich aud) die Möͤg lich keit
ihrer Heilung oder biefe {εἶδες al& wirtlide That
fad e ausgeſprochen ift, eine Heilung die nicht auf phy
fiſchem Wege durch Austreibung der boͤſen Natur, fondern
auf bem moralifhen durch Umſtimmung des Willens in
Kraft der göttlichen Gnade vor fid) gegangen. Gr ant
wortet ben Gnoftifern: „Wenn εὖ fo wäre, wie ihr leheet,
‘fo Könnte Gott ni$t aus Steinen Söhne Abrahams
erweden, fo fönnie bie Dtternbrutfeine Früchte der Buße
bringen; fo hätte ber Apoftel geiert, wenn er fagt: „„Auch
ihr waret εἰπῇ Sinflerni$^^ (unb feib jet Licht); ferner:
„„Auch wir waren εἰπῇ von Ratur Kinder des Jor
ne65"" „„Auch ihr waret in diefen Laſtern befangen, unb
feib jet abgema[den."" So fände Schrift gegen Schrift;
1) 8. B. de grat. Christ. c. 18
der vorauguſtiniſchen Väter. 445
aber bie Schrift widerſpricht ſich nicht. Denn allerdings
bringt der fehlechte Baum (aus fidj) niemals gute Früchte,
wenn er nicht veredelt wird (burd) bie göttliche Gnade);
und der gute Baum bringt ſchlechte Früchte, wenn
er nicht gepflegt wird. -Die - Steine werden Kinder
Abrahams, wenn fie zum Glauben Abrahams bekehrt
werben, und das Diterngezücht bringt Brüchte der Buße,
wenn eó das Gift der Bosheit ausgefpieen. Das ger
ſchieht durch die Kraft der göttlichen Gnade, welche maͤch⸗
tiger iR als bie Natur (die natürliche Willensneigung),
und ber bie Freiheit in uns, das αὐτεξούσιον unters
worfen if. Da nun biefe Freiheit felbft natürlich und
veränderlich ift (nad) entgegengefegten Seiten beweglich),
fo wird bie Natur mit verändert (umgewenbet, befehtt),
wohin fle gewendet wird )." Der Ausdrud ijt etwas
unbeholfen und ſchroff, ber Gedanfe aber rein unb Fräf-
tig, und fein anderer als berjenige, auf welchen Auguftin
feine ganze Gnadenlehre gebaut hat.
Derfelben Auffafjung begegnen wir bei Eyprian,
dem Zeitgenoffen des Drigenes. Auf ibn beruft fid) aud)
Auguſtin ?) fehr gerne, und befennt erft buch ihn darauf
geommen zu fein, bag [don ber Glaube ein Werk ber
Gnade Gottes fei. „Wir fügen bei unb fagen — bemerkt
Eyprian — „„Dein Wille gefhehe wie im Himmel fo auf
Erden,““ nidt damit Gott thue was er will, fondern
1) De anima c. 21: Haec erit vis divinae potentior
Wiquo natura, habens in nobis subjacentem sibi liberi arbitrii
polestatem, quod αὐτεξούσιον dicitur, quae cum sit et ipsa naturalis,
quoquo vertitur, natura convertitur.
2) Contr. duas epp. Pelag. c. 9. Ep. 47. de praedest, 88, c. 3.
de dono persever. c. 2. al.
446 Der vorgebliche Pelagianiömns
damit wir ju thun vermögen, was Gott will. Denn
feinem Willen kann Niemand eine Schranke fegen, fondern
weil uns der Teufel hindert, Gott in allweg gehorfam zu
fein, fo bitten wir, bamit ber Wille Gottes in ung ger
ſchehe, wozu der Wille Gottes erforderlich ift, b. D. feine
Hüffe und fein Schug, weil Niemand burd) eigene Kraft
Fark, fondern nur burd) Gottes Nachſicht und Gnade ficher
iſt· i)j. „Gottes ift alles, was wir vermögen; von babet
kommt unfer Leben, von daher unfere Kraft, von daher
bie innere Erregung, wodurch wir nod) Dienieben die
Zeichen des Zufünftigen voraus wahrnehmen; nur [εἰ
man ‚Ängftli für bie Reinheit des Herzens beforgt, damit
der Herr, ber in unfer Inneres mit feiner Gnade fid
herabgelaffen, in der Wohnung ver beglüdten Seele
burd) gebührende Wirkfamfeit feftgehalten werde 9.
Ambrofius, auf ben Augufin am häufigften zus
rüdfommt, ben jebod) aud) Pelagius für fij anführt
(ob. ©. 437 %.), wendet die Schriftſtelle: A Deo praepa-
ratur voluntas hominum (Proverb. VII, 35. sec. LXX.)
1) De orat. Domin. p. 491. ed. Venet: Addimus quoque et
dicimus, fiat voluntas tua sicut in coelo et in terra, non ut Deus
faciat, quod vult, sed ut nos facere possimus, quod Deus vult. Nam
Deo, quis obsistit, quominus quod velit faciat? Sed quia nobis a
diabolo obsistitur, quominus per omnia noster animus atque actus
Deo obsequatur, oramus et petimus, ut flat in nobis voluntas Dei,
quae (Dei voluntas) ut flat in nobis, opus est voluntate Dei, i. e.
ope ejus et protectione, quia nemo suis viribus fortis est, sed Dei
indulgentia et misericordia tutus est.
2) Ad Donat. de grat. pag. 9.: Dei est, inquam, Dei omne,
quod possumus: inde vivim le pollemus, inde sumpto et con-
cepto vigore hic adhuc positi futurorum indicía praenoscimus etc.
Weitere Stellen hat Lumper (Hist. theol. crit. PP. pars IX.
p. 494. seq. 9. p. 539 seq.) gefammelt.
der vorauguftinifchen Väter. 447
auf die Gnadenwirkſamkeit Gottes an .). Er will damit
fagen, ber Wille, der nad) feiner formellen Seite als Wahl⸗
vermögen in ber Hand des Menfchen liegt, gehe als ein
guter aus ber Hand Gottes hervor, Gott pflange in ihm das
Gute — unbefchadet feiner freien Wahl. Denfelben Ger
banfen in ber gleichen Form wiederholt Auguftin unzähs
ligemat, er liegt als leitende Idee feiner ganzen Gnaden-
lejre zu Grund. G6 fann aud nicht zweifelhaft fein,
daß Ambrofius jener Stelle den eben bezeichneten Sinn
wirklich beilegt, wenn er anderwärts Ichrt ?), bie göttliche
Gnade [εἰ nicht allein zur Bewahrung und Fortführung,
fondern fhon zum Anfange des Guten erforderlich 5).
Deſſenungeachtet läßt Ambrofius — ganz wie feine Bors
gänger — den menídfiden Willen das Heilswerf begins
men unb bie göttliche Gnade darauf gleihfam warten, an
ben nach ihr verlangenden Willen anknüpfen zu fónnen ἢ).
Will man hierin einen SBiberfprud), in ben Ambrofius
mit fid) feldft getreten, annehmen, fo ift dies freilich bie
1) Exposit. in Luc. I, 10. (Augustin. de nat. et grat. c. 63.
n. 75.) Cf. de fuga sec. c. 1. al.
2) Exposit. in Luc. II, 84.
3) Shánfder, der die Stelle anführt (Handb. b. Dogmengefih.
ΤΥ, 162), bezeichnet Ambrofius als ben erften, weder der Gnade
gleich) bei bem Anfange des Glaubens eine Ginwirfung, Hiedoch mit ber
Tfätigfeit des freien Willens verbunden“ zugeflche. Ms ob Auguflin
die gratia praeveniens anberé verſtanden hättel Diefe Meinung fet
auf gleicher inte mit ber [dom von Andern (j. B. Thomafins
Dig. ©. 76) gerügten Annahme Mäünfchers, als ob bie Lehre ber
Väter von der Grófünbe bie Freiheit ausfchließe. Aber auch bie erſte
Behauptung it unhiſtoriſch.
4) Comment. in psalm. 118. n. 30: Vult se praeveniri sol
justitiae (Christus) et ut praevenistur, expectat. Audi, quemad-
modum exspectet et cupiat praeveniri. Dicit angelo Pergami ec-
Clesiae ... age poenitentiam etc.
Stjest, Duartelſritt. 1858. II. Heft. 30
448 Der vorgebliche Velaglanismus
leichteſte, aber aud) bie feichtefte Exflärung ber Schwierigfeit,
Da, wie wir fogleid) zeigen werben, beide Vorftellungen
an fid) nicht im Widerſpruch ftefen, fo wird e& wohl ταν
tioneller fein, aud den Df. Ambroſtus davon freizuſprechen,
und ihn folglich zu Denjenigen zu redjnen, bie, wenn bie
erftere, wornad bie göttlihe Gnabe bem menfchlichen
Willen zuvorfommt, beftritten, unb ber entgegenftebenben
ausſchließliche Wahrheit beigelegt wurde, eine folde Auf⸗
faffung als vom kirchlichen Glauben abweichend verwarfen.
Hieronymus befindet fid wirklich in bem Falle,
ben wir fo eben blos vorausgefegt haben; er verabſcheut
ben Pelagianismus und beftreitet ihn nad) allen Seiten
energiſch, unb bod) befchreibt er das Verhaͤltniß von
Beeiheit und Gnade unbebenflid) in ber hergebrachten
empirifchen Weife nad) feiner ethifch-practifhen Seite.
„Unſere Sache ift εὖ," fagt er, „zu beten, Gottes Sache,
zu geben, um was er gebeten wirb; wir haben anzufans
gen, Er zu vollenden, wir haben darzubringen, was wir
vermögen, Er zu erfüllen, was wir nicht vermögen“ 1).
„Durch das Gebet rufen wir das Erbarmen des Schöpfers
hervor, damit wir, bie wir aus eigener Kraft nicht ges
rettet werben Fönnen, burd) feine Barmherzigkeit erhalten
werden. Wo aber Barmherzigkeit (Verzeihung, Gnade)
ift, ba fällt der freie Wille (SBerbienf, eigenes Werh)
theilweife hinweg; er bewährt fif mur darin, daß
wir wollen und wuͤnſchen, unb dem was ihm gefällt
unfre Zuftimmung geben 3)."
Sm folder Weife alfo äußern fid bie fateinifden
1) Dialog adv. Pelagisn. lib. IIL n. 1. p. 781.
2) Dialog. adv. Pelagian. lib. TI. n. 10, p. 793.
der vorauguftinifchen Vater. 449
Väter. Sie anerkennen das fittliche Verberbniß, ohne ben
Untergang ber fittlihen Freiheit zu behaupten; fie lehren
bie ſchlechthinige Nothwendigfeit des göttlichen Gnaden-
beiftandes zu unfrer Rettung, ohne uníte eigene felbftthär
tige unb freie Mitwirfung zu lüugnen. Das Wefen ber
Erlöfung fegen fie nicht in bie Lehre und das Beifpiel
Ehrifti, fondern in bie von ihm dargebrachte Sühnung
der Sünde und in bie Verföhnung Gottes, in deren
Kraft und Folge nun das Wohlgefallen, die Gnade Gottes
bem Menfchen zufließt, wenn er mit Chrifto burd ben
Glauben in Verbindung tritt und ihm im Gehorfame
gegen ben göttlichen Willen nadjfofgt. Wir finden bei
ihnen ſonach fämmtlihe Momente hervorgehoben, erfannt
unb anerfannt, welde ben Inhalt des riftlihen Glau—
bens ausmachen, und in feinem PBunfte eine Anſicht aus»
geſprochen, wie fie nahmals von Pelagius und feinen
Schülern auf allen Punkten diefes Lehrgebietes aufgeftellt
wurde. Etwas anderes ift bie Art und Weife, wie
fie bie fid) entgegenftebenben Momente ihrer unmittelbas
ven Meberzeugung vereinigen, wie fie ben Antheil ber
göttlichen und menſchlichen Thätigkeit im Heilswerke ber
fimmen, biefe& alfo in bie Vorſtellung unb den Begriff
erheben. Diefes doctrinelle Verfahren ſteht mit ihrem
Glaubensbekenntniß nicht in einem unabtrennbaren Zus
fammenhang; es fann mangelhaft, einfeitig, ja verfehlt
fein, während ihr Glaubensbewußtſein rein und vollſtän⸗
big ift.
Aber aud) in jener Beziehung fällt eine nähere Uns
terſuchung ganz zu ihren Gunften aus. Ihr boctrinelles
Verfahren läßt fij in feinem alle als verfehlt, nicht
einmal als einfeitig im engern Sinne bezeichnen. Die
30 *
450 Der vorgebliche VPelagianismus
lateiniſchen Väter faffen Gnade und Freiheit in das Werk
der menfchlichen Rettung fi) theilen, und indem fie die
beiberfeitigen Antheile und Beiträge zufammennehmen, das '
Heilswerf in feiner Ganzheit zu Stande fommen. In
der That fonnte man aud) nicht weiter fommen unb nicht
anders verfahren, wenn man das Problem von der em«
piriſchen Seite anfafte, wo die menſchliche Thätigfeit als
das Naͤchſte und Grfte erſcheint; ober von ber ethiſch
practifhen, wo das Gittengefeb , ber göttlihe Wille ben
Menfchen zu feiner Vollziehung auffordert; bie menſchliche
Thätigkeit it aud) hier das Anfangende.
Diefe Auffaffung ift ganz wahr, aber fte ift bie un»
tergeorbnete; das Wahre gibt erft bie höhere, zu ber fif
Auguftin im Kampfe gegen bie Pelagianer erhoben hat,
indem er bie göttlihe Gnade als das Anfangende, als
den abfoluten, ben menfchlihen Willen durchweg präver
nirenden (actor im Heilswerke erkannte. Beide fteben in
einem blos formellen Gegenfage zu einander. Denn
aud) bie fegtere fann, fo lange fle, wie es von Auguſtin
immer gefhah, an ber menfchlihen Selbft- unb Freithä-
tigkeit als reellem, wefentlihem Mitfactor des Heilswerkes
feſthaͤlt, nicht tein, nidt adäquat vollzogen werden; fie
muß, wie bie erftere, zur Theilung einer an fid uns
theilbaren Sache ihre Zuflucht nehmen. Aber fie läßt —
und darin beftebt ihr Vorzug unb ihr Fortſchritt im Ver⸗
gleid) mit jener — das Heilswerk nicht in zwei Stüde
zerfallen, wovon das eine bie Wirfung ber menſchlichen,
das andere bie der göttlichen Thätigfeit ober ber Gnade
ift, fondern das ganze Heilswerk wird von beiden, nur
nicht in derfelben Weife gewirkt, von ber Gnade Gottes
nämlich als abfoluter Urſache und von bem menſchlichen
der vorauguſtiniſchen Väter. 451
Willen al& bedingter, von jener in ihrer Wirkfamfeit ab»
haͤngigen Urſache. In ber letztern Beftimmung offenbart
fih zwar, wenn wir fle mit der vorauguftiniffen Dar-
ftellung vergleichen, aud) ein fachlicher Gegenfag, fofern
nad) biefet ber das Heilswerf anfangenbe menſchliche
Wille infoweit fefbfüfánbig auftritt, wogegen er nad) bet
auguftinifhen Auffaffung durchweg, alfo aud) ſchon vornes
herein durch bie göttliche Gnabe bedingt, unb nur infoweit
ein guter, zum Heildwerfe wirkfam beitragender ift, als
et von ber göttlichen Gnade ermedt if. Aber biefer Ges
genfag ift nur partiell, und ftreng genommen gar feiner,
Gr if nur partiell, fofern bie vorauguftinijjen Väter bem
menfhlihen Willen nur für ben Anfang des Heilswerkes
(den Glauben) eine felbftftánbige Thätigfeit beimeffen, in
der Fortführung und Vollendung beffelben aber ihn von
ber Einwirfung der göttlichen Gnade abhängen laffen; er
if mur fdeinbar, fofern fie das Anfangende, bie Anfähe
des menfhlihen Willens als unvollfommene Verſuche,
als Etwas, was in diefer Gigenfdjaft nod) fein vollftäns
diges, abgefchloffenes Moment des Heilswerkes ift, bate
fellen, mit einem Wort, den Glauben, fowie er vom
menfchlihen Willen ausgeht, nicht als vechtfertigend be»
traten. Es ift daher Feine „Künftelei” 1), wenn ber
hl. Auguftin biefe Auffaffung, bie früher aud) bie feinige
war, als wahr, aber nod) nicht bis zum Wahren vorge
ſchritten bezeichnet 9, und ganz in der Wahrheit begrüns
1) Go nennt Münfcher bie SBerfudje Auguftind, ben einheitlichen
Zuſammenhang feiner Lehre mit ber ber frühern Bäter, ſowie bie dufere
lich formellen Differenzen zwifchen beiden zu erklären. Handb. ber Dogs
mengeſch. IV. ©. 146 Anm. und öfters.
2) Retract. I, 23. 3: Quod dixi vor Nusbruc des pelagian.
"4
x
450 Der vorgebliche Pelaglantan"*
lateiniſchen Väter faffen Gnade unb ^ gam anberé bene
: ; ie Außerlich genommen
der menſchlichen Rettung fid) tb ei^
opui ; ;, igianer geltend gemachten
beiverfeitigen Antheile unb Beit ^
; i» foi κα Denn bie ältern Bäter
Heilswerk in feiner Ganzh/ πον πα .
* erhalten fuͤr die hoͤhere, die
ber That fonnte man auc ^. ΒΑ
‚ie ihrige gegen biejelbe abgeſperrt
anders verfahren, wer belit geftempelt,
" i pA .
Pen Seite —7 Praͤdeſtinationslehre betrifft, ſo
das i dte uri "pt ganz ebenfo. Die vorauguftinifcen
practifhen, τοῦ κα din früher {εἰδῇ — lehrlen einfimnig
FAM MA f bat Vorherwiſſen des menſchlichen Bri
Thatig εἰ E Prädefiination; gegen bie Pelagianer,
Die , jc Semipelagianer aber ſtellt Auguftin fie als
terger —* von dem Vorherwiſſen des menſchlichen
Au ou ‚mas unabhängige hin; jebod mur bie Präbefina-
ir B^ engern Sinne, bie zum Guten, jur Gnade und
D nigen Leben, denn bie Reprobation ift nad) ifa
^ ber göttlichen Geredjtigfeit, bie ben Menſchen
»" feinen Werfen richtet, fein abfoluter Act wie jene,
fine praedestinatio ad peccatum et poenam peccati, fon
pm lediglich das [egtere, und beruht auf bem Vorher
wiffen ber men(dfiden (frei und unabhängig vollbrad
ten) Sünde. Sofern nun die Prädeftination nicht ifolitt,
lediglich für fid) betrachtet wird, fofern mit ber Erwäh
lung Einiger die Nichterwählung der Andern immer
Streits): nostrum est enim credere et velle, illius (Dei) autem
. dare credentibus et volentibus facultatem bene operandi per Spiri-
tum $., per quem charitas diffunditur in cordibus nostris — verum
est quidem, sed eadem regula el utrumque ipsius est quia ipe
praeparat voluntatem, δὲ utrumque mostrum, quia non fi wii
volentibus nobis.
ber vorauguſtiniſchen Väter. 453
ift, fo trifft Die auguftinifche Lehre über ihr
hinaus, indem zwar nicht die Reprobas
» Act — aber bod die Nichtpraͤdeſti⸗
„bfolute göttliche Decret hineingezogen
«t, wenn bie Berwerfung Giniger bie
‚ng ber Andern vorauéfet, fo geht aud) bie
. der bedingten, auf das Vorherwiſſen des menſch⸗
. Verhaltens begründeten Vorherbeftimmung, bie ihr
„nmittelbares Fundament in bem Begriffe ber Reproba-
tion hat, über ihr Ziel hinaus, indem fie nicht nur bie
Nichtverwerfung gleichfalls unter das bedingte göttliche Des
tet fallen [áft, dem es nicht angehört, fondern fogar ben
poſitiven Act der Erwählung in feinen Kreis zieht, uns
geachtet er ein abfoluter ifl. Das leptere abgerechnet,
bildet biefe Auffaffung das reine Geitenfüd zu ber augus
finifhen, und ift fo nothwendig und wahr a(& bicfe felber,
wiewohl ihr untergeordnet. Sie ift unvermeiblih, wenn
die Selbſt⸗ und Freithätigkeit des Menfchen aud) gegen»
über ber Praͤdeſtination — ganz allgemein genommen —
in ihrem Rechte und wefentlihen Werthe beftcht — was
«ud von Auguftin nicht geläugnet wird; unb gerade
don bem Intereffe der Freiheit, überhaupt der Sittlichfeit
aus if fie von ben vorauguftinifhen Vätern aufgeftellt.
&f dann verliert fie ihre Berechtigung, ihren Anſpruch
auf Wahrheit, wenn fie als allein gültig aufs unb gegen
die andere feftgefellt werden will. Das thaten bie Semis
pelagianer; bie vorauguftiniihen Väter, aud) Auguftin,
Va er nod) an ihr fefthielt, waren fid) eines ſolchen exclus
fiven Sinnes gar nicht bewußt, unb nod) weniger war
er von ihnen beabſichtigt. Daher fonnte Auguftin in
Wahrheit, „ohne Künftelei" fagen: wenn er früher ger
452 Der vorgebliche Pelagianismus
bet, wenn er fie günftiger, überhaupt ganz anders beur⸗
theift, als bie femipelagianifdje — die äußerlich genommen
von feiner eigenen, gegen die Pelagianer geltend gemachten
nidt einmal fo weit abflebt. Denn bie ältern Väter
hatten ihre Auffaffung offen erhalten für die höhere, die
Semipelagianer dagegen die ihrige gegen biefelbe abgefpertt
und fie dadurch zur Unwahrheit geftempelt.
Was aber fpeciell bie Praͤdeſtinationslehre betrifft, fo
verhält e8 fid hier ganz ebenfo. Die vorauguſtiniſchen
fBáter — und Auguftin früher felbft — lehrten einftimmig
eine bedingte, auf das Vorherwiffen des menſchlichen Vers
haltens begründete Prädeftination; gegen bie Pelagianer,
befonder8 die Cemipelagianer aber ftellt Auguftin fie als
eine unbedingte, von dem Vorherwiſſen des menſchlichen
Verhaltens unabhängige hin; jedod nur bie Prädefina
tion im engern Sinne, bie zum Guten, jur Gnade und
jum ewigen Leben, denn bie Reprobation ift nach ihm
ein Act ber göttlichen Gerechtigkeit, bie ben Menſchen
nad feinen Werfen richtet, Fein abfoluter Act wie jene,
feine praedestinatio ad peccatum et poenam peccati, (on
dern [ebiglid) das [egtere, unb beruht auf bem Vorher
wiffen ber menfdfiden (frei und unabhängig vollbradj
ten) Sünde. Sofern nun bie Prädeftination nicht ifolitt,
lediglich für fid) betrachtet wird, fofern mit ber Erwähr
lung Einiger die Nichterwählung der Andern immer
Streit): nostrum est enim credere et velle, illius (Dei) autem
dere credentibus et volentibus facultatem bene operandi per Spiri-
tum $., per quem charitas diffunditur in cordibus nostris — verum
est quidem, sed eadem regula el utrumque ipsius est quia ipie
praeparat voluntatem, ef wírumque mostrum, quia non fit nisi
volentibus nobis.
ber. vorauguftinifchen Väter. 453
zugleich gefegt ift, fo trifft bie auguſtiniſche Lehre über ihr
eigentliches Ziel hinaus, indem zwar nicht Die Reprobas
tion — ber pofltive Act — aber bod) bie Nichtpraͤdeſti⸗
nation mit in bae abfolute göttliche Decret hineingezogen
wird. Umgefehrt, wenn die Berwerfung Einiger bie
Nichtverwerfung der Andern vorausfegt, fo geht aud) bie
Lehre von der bedingten, auf das Vorherwiſſen des πιεπί
lien Verhaltens begründeten 98orferbeftimmung, bie ihr
unmittelbares Fundament in bem Begriffe der Reprobas
tion hat, über ihr Ziel hinaus, indem fie nicht nur bie
Nichtverwerfung gleichfalls unter das bedingte göttliche Des
eret fallen [áft, dem es nicht angehört, fondern fogar ben
pofitiven Act der Erwählung in feinen Kreis zieht, uns
geachtet er ein abfoluter ift. Das letztere abgerechnet,
bildet Diefe Auffaffung das reine Geitenftüd zu ber augus
ſtiniſchen, unb ift fo nothwendig und wahr al biefe felber,
wiewohl ihr untergeorbnet. Sie ift unvermeidlih, wenn
die Selbft- und Freithätigfeit des Menfchen aud) gegens
. über ber Prädeftination — ganz allgemein genommen —
in ihrem Rechte und wefentlihen Werthe beftcht — was
eud von Auguftin nicht geläugnet wird; und gerade
von bem Intereffe der Freiheit, überhaupt der Sittlichkeit
aus if fie von ben vorauguftinifhen Vätern aufgeftellt.
Grf bann verliert fie ihre Berechtigung, ihren Anſpruch
auf Wahrheit, wenn fie als allein gültig auf- und gegen
die andere feftgeftellt werden will. Das thaten bie Semi»
Pelagianer; bie vorauguftinifchen Väter, aud) 9fuguftin,
ba ec nod) an ihr fefthielt, waren fid) eines folden exclus
fiven Sinnes gar nicht bewußt, unb nod) weniger war
er von ihnen beabfichtigt. Daher fonnte Auguftin in
Wahrheit, „ohne Künftelei” fagen: wenn er früher ger
454 Der vorgebliche Pelagianismus
lehrt habe, daß gleihwie bie Erwählten nicht wegen ihrer
guten Werfe — die ja von Gott fommen — fondern
wegen des Glaubens erwaͤhlt feien, ebenfo aud) bie Berwors
fenen nicht erwählt feien wegen ihres Unglaubens, vielmehr
zur Strafe für ihre ſchlechten Werke verworfen — fo [εἰ
bief ganz wahr, aber daß (nicht blos bie guten Werke,
fondern) aud) das SBerbienft des Glaubens felhft ein Ger
ſchenk Gottes (die Erwählung folglich ein abfoluter gött
licher Act) fei, daran habe er nicht gedacht und das habe
er darum aud nicht gelehrt 1).
Die griehifhen Väter, um von biefen mm nod) ber
fonberó zu reden, verfahren genau wie bie lateiniſchen:
fie theilen das Heilswerk zwiſchen bem Menfchen und Gott,
bem fie das Meifte und Borzüglichfte daran zufchreiben.
Go namentfid) aud; Chryfoftomus, der neben Origenes
αἴ Begünftiger ber pelagianifchen Anfhauung von Reuem
vorzugsweife genannt wird. Nicht ‘in biefer Verhältnif
beftimmung von Gnabe umb Freiheit, fondern darin, daf
die Auffaffung der Gnade als der abfoluten Bebingung
und lirfade alles guten Willens nur in ganz unbeftimmter
Weife aus der Art, wie fie bie Nothwendigfeit des goͤtt⸗
lichen Beiftandes vertfeibigen, hervorzugehen ſcheint, währ
rend fie andrerfeits die Freiheit und Kraft des menſchlichen
1) Retract. I, 23. 3: Quod paulo post (nämlich nad; jenm
Aueſpruch, der Glaube fei unfer Wert — in ber Schrift Exposito
quarundam proposit. ex ep. ad. Rom. n. 61) dixi: sicut enim in is,
quos eligit Deus, non opera sed fides inchoat meritum, ut per
munus Dei bene operentur, sic in iis, quos damnat infidelitas, et
impietas inchoat poenae meritum, ut per ipsam poenam eliam
male operentur - verissime dixi; sed fidei meritum etiam ipsum
esse donum. Dei, nec putavi quaerendum esse, nec dizi.
der vorauguftintfchen Väter. 455
Willens fet ftarf betonen, liegt das Gigentfümlide ter
Lehrweiſe der griedjifden Väter im Vergleich mit ben
Sateinetn.
Wie biefe madjen aud) fte bie empirifhe unb ethiſch
practifche Betrachtung des Heilswerkes geltend: ob aus⸗
ſchließlich und in bewußter Gegenfäglichfeit gegen bie fpes
sulative, religiös theologifche Auffaffung, ober aber nur
εἰπία fo, daß ihnen diefe Weife das Verhaͤltniß von
Gnade und Freiheit zu firiren gar nicht in den Sinn fam,
oder aus rein theoretifchen Gründen, beren -Unhaltbarfeit
aber bei fortgefchrittener Ginfdt in bie Augen fallen
mußte — das ift bie entſcheidende Frage.
Scheint ja felbft, was das Ießtere betrifft, Hier on y⸗
mus nod) ber Meinung gewefen zu fein (f. oben ©. 448),
eine burdjgángige Bedingtheit ber menfdliden Willens⸗
thätigfeit im Guten [εἰ unvereinbar mit ber Freiheit, und
auch deßhalb biefe Bedingtheit nur theilweife, nämlich
für die Fortführung und Vollendung (nad Umfang und
Intenfität) zugelaffen, für den Anfang (in gleichem Dop⸗
pelfinn) aber das felbfifländige, von der Gnade unabs
haͤngige Eingreifen des Menfchen ftatuirt zu haben. Gir
lidjerfid) waren bie früheren, befonders griechiſchen Väter
in ihrer Beſorgniß für das menſchliche αὐτεξούσιον in
diefem Falle, und dürfen wir uns darüber gar nicht
wundern, wenn wir das flarfe Auftreten ber dualiftifchen,
freiheitsläugnerifchen Gnofis in Anſchlag bringen. Sind
bod) in ben legten Jahrhunderten viele und nod) heutzur
tage mande Theologen aus feinem andern Grunde ber
firengen auguftinifhen Gnabenlebre weniger zugethan, als
weil fie in der burdjgángigen und unbebingten Abhängig«
fit des menſchlichen Willens von ber göttlichen] Gnade
456 Der vorgebliche VPelagianismus
eine der Freiheit Gefahr drohende Lehre erblicken. Von
den Semipelagianern gar nicht zu reden, deren wiſſen⸗
ſchaftliches Fundament einzig in dieſem Bedenken, ober
vielmehr in der Behauptung ber Unverträglichkeit jener
Auffaffung mit der Freiheit des Willens beſteht. Sofern
jebed) allein aus foldjem Grunde eine Abneigung gegen
die augufinifhe Auffaffung beftebt, ober, was bei ben
Altern Väter der Fall war, biejer Grund zu ber andern
Auffaflung Hintrieb und zu ihrer Feſthaltung ermunterte,
fann von einer dogmatiſchen Srrung nicht die Rebe fein,
fondern nur von einer wifienfchaftlichen.
Die Beantwortung jener Borfrage fann febr ſchwierig
ja unlösbar fcheinen, unb fie wäre εὖ aud) in ben meiften
Fällen, wenn lediglich bie Auslegung, der Wortlaut und
Zufammenhang der betreffenden Acußerungen die Entſchei⸗
dung liefern ſollte. Es gibt aber ποῷ einen andern Weg,
der leichter und fiherer zum Ziele jührt. In unmittd
barem Zujammenhang mit ber Lchre vom Heilswerk
und feinen Faltoren (Freiheit und Gnade), ftebt bie Lehre
von rem Eüntenfalle und ron ter Erlöfung; bieje Lehren
beftimmen fid) gegenfeitig, und aus ihrem Zufammenpalt
ergibt fi) ver Stantpunft, auf bem man flieht, mit voll
Sicherheit. Die Fragen, wie vie griechiſchen Bäter dad
Heilswerk angejehen, wie fie insbefondere über tie goͤn⸗
lide Gnade getadjt, unb ob fie hierin — bei aller for
mellen Differenz — materiell auf Seite Auguſtins obe
auf ter des Pelagius, oder meldem von beiten fie näher
Reben — fie alle finden ihre fidere Entſcheidung, wenn
wir barauj achten, wie dieſe Bäter den ſittlichen Zuſtand
des SReniden außer ter Erlöjung und unabhängig von
bet Gnade, ben Zufland aljo des natürliden Men
der vorauguſtiniſchen Väter. 457
ſchen, ber Nachkommen Adams anfehen: ob als uns
verfehrt und ungeſchwaͤcht durch beffen und bie eigene
Sünde, oder aber als herabgefommen, verborben unb im
Vergleich mit bem der Sünde vorhergegangenen, urfprüng»
lihen Zuftande wefentlid) verfchlimmert. Je nachdem fie
ba eine oder andere annehmen), beftimmte fid) ihr reis
heitsbegriff wefentlid) anders, und nad) biefem wiederum
der Onadenbegriff, bie Art und das Maaß ber Nothwen-
bigfeit des göttlichen Beiftandes zur Wieverherftellung bes
Menfhen. Läugnet man bie Erbfünde aud) nur in bem
Sinne, daß der urfprünglide Gnabenftanb, der von Adam
auf alle Menfchen übertragen werben follte, durch beffen
Sünde für alle verloren ging und biefem nun mangelt
(mas er nit follte), fo fteht man fdon auf bem rein
natürlichen Boden. Indem man aber den ur[prüngliden
Zuftand als einen übernatürlichen oder foldjen, in welchem
die fittliche Freiheit des Menfchen über ihr natürliches
Gleichgewicht des Guten und Böfen burd Gottes
Gnadenmittheilung erhoben war, unb bie Erbfünde felbft
im Sinne des bloßen Mangels diefer übernatürlichen
Ünabe läugnet, fo wird man nur um fo mehr bem fitt»
lichen Zuftand des jepigen Menfchen, feine Hinneigung zur
Sünde, fein Hingegebenfein an das Böfe und den Böfen
als etwas rein natürliches von bem Begriffe des Sünds
haften ausfchließen, ja diefen Zuftand geradezu in Abrede
ſtellen 1) und behaupten, daß aud) jet nod) der menfchliche
Wille von Haus aus in jenem natürlihen Gleichgewicht
fi befinde und mur erft bur) langes Sündigen darin
1) Dber behaupten, daß er das natürliche Produft Aller, ber
von Anfang an fündigenden Menfchheit (Menfchen) fei; in weichem
Sinne Reuere bie Grbfünbe als Geſammtthat des Geſchiechtes faffen,
458 Der vorgebliche Pelagianismus
geftórt werde ). Auf biefem abftraften (unb in abstrado,
aber aud nur fo wahren) Standpunkte ift das eigen
thümlic Chriſtliche, bie übernatürliche Wahrheit völlig
befeitigt; es ift dieß der Standpunkt ber f. g. reinen Bev
nunft, ber pure Rationalismus. Das Sitilihe erſcheint
hier als etwas tein und blos Perfönliches; jeder innere
Einfluß auf den Menfchen, der göttliche wie ber gefammt-
menſchliche ober abamitifche ift ſchlechthin ausgeſchloſſen.
Was am Menfhen gut oder 558 ift, ift in ganz gleicher
SfBeije das Werk des eigenen Thuns jedes Einzelnen. Wie
urfprünglidj, fo empfängt nod) jet der Menſch aud der
Hand des Schöpfers den freien Willen, und fohald er ihn
bat, ift er fein. Er beweist ihn als fein eigen, fofern «
alles was er will, febiglid) fraft feiner Selbſtentſcheidung
will, unb als frei, fofern er beides (Gutes und Böfed)
vermag und gleich gut vermag. ine Neigung ber Wage
mad) einer Seite burd) einen andern Einfluß aufer m
teinen Selbftbeffimmung wäre eine Verlegung, eine Ber
nichtung feiner Freiheit. Diefer pure Nationalismus iR
der Belagianismus. (δ6 fpringt in die Augen, buf
auf diefem Gtanbpunft, wo von Grbfünbe unb einer um
bedingten Nothwendigkeit des göttlichen Beiftandes zum
Guten nicht nur feine Rede, wo beide bireft geläugnet
find, bie hriftlihe, bem fuprasnaturaliftifhen Boden ent
wachſene Erlöfungslehre Feine Stelle finden fanm. Die
fünbentilgenbe (fübnenbe) unb verföhnende Kraft des Werkes
1) Sene moderne Auffaffung Täugnet die phyſiſchen umb fütlijen
Solgen ber erfln Sünde nicht, aber fie nimmt fie blos ale folde,
oder auch ald auf ung laftende Strafe, unb läugnet mur, bof fie
dem Charakter der Sünde anhaften, So ſcheinbar Clemens Am
Chryſoſtomus.
der vorauguſtiniſchen Väter. 459
Chriſti und ihre reale Bedeutung für bie ganze Menfchheit
fült fier ganz weg; wenn wir Chrifto etwas zu verbanfen
haben — und das fann unter Ehriften bod) nicht geläugnet
werben, auch wenn man nur ben Namen tragen will, und
iR aud) von ben Pelagianern nicht geläugnet worden, und
wird e$ von unfern Rationaliften nit — fo Fann bie
Wohlthat nur in feiner Lehre und feinem Beifpiele bes
Reben, darin alfo, daß Er uns burd) Wort unb That ben
Weg des Heiles gezeigt und zur Nachfolge eingeladen und
aufgemuntert hat.
In diefem innern Zufammenhange ftehen bie Lehren,
um bie εὖ fi hier handelt; fie beftimmen fid) nicht ein»
iin, fondern in ihrer Gefammtheit ganz verfehieden, je
nachdem bie blos rationale oder bie fupernaturale Auffafs
fung ber fütlidjen Ordnung gewählt wird. Der Pelagia-
nismus, welcher vom Begriffe ber Freiheit aus jenen Stand»
punkt betreten, entlebigt fid) all ber Lehren, welche ber
driffide Glaube als das Gigentümlije ber Offenda-
tungswahrheit erfaßt und in Erweiterung unb tieferer
Rerinnerlihung der bloßen Vernunftwahrheit, bie er als
abftraftes, allgemeines Moment zu feiner Vorausſetzung
nimmt, feftbált; er [áugnet den urfprüngliden Gnabenftanb,
den Suͤndenfall, bie Erloͤſung in ihrer eigentlichen Bedeu⸗
tung und die fehlechthinige Nothwendigkeit der innern
Gnadenwirkung Gottes zur Wiederherftellung, zur Rechte
fertigung und Heiligung des Menfchen.
Wie verhalten fid) nun hiezu die griechiſchen Väter?
Rehmen fte den Standpunkt des Pelagius ein, ober fiehen
fie vielmehr auf bem des hriftlichen Supernaturalismus
im Ganzen und Einzelnen? — Wer fie fennt und fid)
nit an den einzelnen Sleuferungen und ben bloßen Worte
460 Der vorgebliche SBelaglanióurue.
laut hält, wer vielmehr das Ganze umb ben Geift ihrer
Lehre ins Auge fat, muß jene Stage ebenfo entſchieden
verneinen als biefe bejahen. Gerade Das, was bem yes
lagianifhen Begriff der Freiheit fein eigenthümliches Ger
präge, feine Schärfe und feinen au&fdliefenben, haͤretiſchen
Charakter aufbrüdt, findet fid) bei ben griechiſchen Vätern
nit, wenn fie aud) biefelbe Formel gebrauchen. Der
ethiſch⸗praktiſche Standpunkt, von bem aus fie Freiheit unb
Gnade nad) ihrem Bezug auf das Heilswerf beftimmen,
ruht auf ganz andern Vorausfegungen, unb'ift von ganz
andern Folgen begleitet, ald wir fie bei Pelagius und
feinen Anhängern finden. Auch nit einmal femipelagiar
niſch fann man fie nennen; denn was als (oldje& im ber
Geſchichte erfdeint, hat feine Geftalt und Wefenheit ledig⸗
Tid) im Gegenfage gegen ben Auguftinismus, bem ftd) bie
Semipelagianer bewußt und abfihtlih verfdloffen, woo»
gegen die Lehre der griechifhen Väter nad) diefer Seite
offen ift, unb als bie unmittelbare unb fo nod) untergeorb
nete. Entwidlungsftufe des Verhaͤltniſſes von reifeit und
Gnade er(deint.
Hieronymus fat ben Drigenes ber Urheber
ſchaft des Pelagianismus beſchuldigt ^); doctrina tua (fo
redet er an ber erſtern Stelle den Pelagianer an, —
er nennt feinen Namen —) Origenis ramusculus est. Sn
Wahrheit aber fommt ber Pelagianismus nicht von Orb
genes, fondern vom Drigenismus. Dem Glauben und
ber Denkweife dieſes Lehrers fieht er ferne; aber feine
Schüler, welche das großartige Syſtem des Mannes aut
einander geriffen und nad verſchiedenen Richtungen ein,
1) Ep. 43 ad Ctesiphont. Tom. IV. p. 477 ed, Martian, Dislog-
adv. Pelag. p. 484. 496.
der vorauguftinif gen Väter. 401
feitig verfolgten, kann man von biefem Irrthum fo wenig,
als von vielen andern freifprechen, wozu der Meifter nur
in einem ganz allgemeinen, nicht näher qualificirbaren
Sinne burd) die Freiheit feiner Spekulation und das Aus—
ſchweifende feiner Hypothefen Anlaß gegeben. Drigenes
anerfennt mit ber Kirchenlehre den tief gehenden Unter
ſchied zwiſchen bem urfprüngliden und nadhmaligen Zus
fand des Menſchen in geiftiger und phyſtſcher Beziehung;
er läugnet ben Günbenfall der ganzen Menſchheit nicht 5).
Wenn aber die Kirhenlehre ben Fall von der Sünde
des crften Menfchen herleitet, fo genügt ihm diefer zeitliche
und einzelne Aft Eines Menſchen zur Grffürung der Gor»
Tuption des ganzen Geſchlechtes nicht; er geht darüber
hinaus und nimmt einen vorzeitlihen Sall ber menſch⸗
lichen Seele an; dasjenige aber, was bie hl. Schrift
1. Mof. 3 in Anfehung Adams ald eines Einzelnen
und des Menſchen fhlehthin erzählt, verſteht er εἶπε
feitig nur von biefem, indem ihm Adam nur als Typus
der ganzen Menfchheit gilt ). So verwerflih biefe (δ τα
Härung des Sündenfalles ift, wie fie denn aud) fpäter
befanntlic) verworfen wurde, fo übt fie doch feinen alterie
tenden Einfluß auf das 9[nerfenntnif des fittlihen 9Ber»
derbniffes ber adamitifhen Menſchheit, das ifr vielmehr
jut Borausfegung und Grundlage dient. Es fann daher
aud) nicht angenommen werben, daß nad) Drigenes bie
fittliche Freiheit unberührt geblieben {εἰ von bem Suͤnden⸗
fall, unb unbeſchädigt, wie fle urfprünglid war, bem zeit⸗
1) Coment. in Joann. XXXII, 11. XIII, 34. homil. in Levit, IX,
11. VIII, 3. 4. XITI, 4. hom. in Luc. XIV. contr. Cels. VII, 50, III,
92. in Matth. XV, 23.
2) Contr. Cels. I, 32.
462 Der vorgebliche Pelagianismus
lichen Menſchen einwohne. Nach Drigenes ift außer Ehris
Rus Keiner vom Böfen unberührt geblieben, nicht einmal
bie hl. Patriarchen, die Propheten und Apoftel ἢ). Die
Neigung zur Sünde ift Allen von Haus aus eigen 5; in
der erften Kindheit ruht fie ſchlummernd in ber Seel,
mit bem ermadjenben Bewußtfein lebt fie auf unb ent-
faltet nun in dem einen mehr, in bem anbern weniger
ihre Herrſchaft 9; bod) geht ihre Gewalt nicht in eigents
Tide Natur über, fonbern bie freie Gelbftbeftimmung bleibt,
und bie Befferungsfähigfeit, wenn aud) tief herabgebrüdt,
ift burd fie nicht vernichtet %. Go ift ber Menfch der
Erlöfung unb Wieverherftellung benöthigt, wozu er in fib
nur das Bebürfniß, nicht aber aud) bie Yähigfeit unb
bie Kraft findet. Diefe Grlófung, welde ber Gottmenſch
Jeſus Ehriftus für Alle vollzog unb allein vollziehen fonnte,
beftebt nad) ihm weſentlich in der Befreiung des Menſchen
aus ben Banden ber Sünde (ber Gewalt des Teufel)
und in der Verföhnung, woburd fowohl die Schuld ber
Sünde getilgt, als aud) das Wohlgefallen Gottes, die
Gnabe (ber SBieberferftellung, der Rechtfertigung unb Heis
ligung) erworben ift 5).
Auf diefen Sprámiffen ruht bie Lehre von ber Freiheit
und Gnade bei Origenes. Wäre diefe Lehre wirklich bie
1) Contr. Cels. III, 66; mehrere Stellen bei Thomafius, Orr
genes ©. 197 f. Bol. ferner überhaupt Huet. Origenian. lib. II. qu 7.
2) Comment, in Matth. XV, 23. Die Kindertaufe, welde na
Origenes auf apoſtoliſcher Ueberlieferung beruft, Hat darin iren Grund,
bof die Menfchen mit Unreinigfeit und Schuld belaftet in biefe Welt treten.
In Rom. p. 565. Hom. in Luc. XV. in Levit. VIII, 3. 4. Thoma
.fiue Θ. 261.
3) Contr. Cels. III, 62. 66.
4) Contr. Cels. III, 66—69,. Bgl. t$ omafius ©. 198.
5) Die Belege bei Thomafius €. 222.
ber vorauguflinifchen Väter. 463
pelagianiſche, fo fónnte fte dieſes offenbar nur fein duch
einen förmfichen Bruch mit jenen SBrámiffen, nur dadurch,
daß Drigenes mit einem Mal in bem Lehrftüd von ber
Gnade feinen bisherigen fupranaturalen Gtanbpunft ver»
laffen, unb ben abftraft philoſophiſchen oder rationaliftifchen
betreten hätte,
Dieß ift nicht anzunehmen; um fo weniger, ald Dri»
gene bie innere Gnade Gottes und ihre Stotfwenbigteit
ausbrüdlich behauptet. Alle Anfhuldigung yelagianifder
oder pelagianifirender Lehre kann fid) alfo einzig auf bie
nahdrüdfihe Hervorhebung ber Willengfreiheit und auf
bie prinjipale Stellung, bie er ihr im Heilswerke anweist,
berufen. Hier findet im Ausdruck eine volle Mebereins
fimmung nicht nur mit ber femipelagianiffen und ber
pelagianiſchen Lehre nad) Suliané Auffaffung, fondern aud)
mit ber ftreng pelagiani[djen Lehre ganz unbeftreitbar ftatt.
Die letztere ift auégefproden 3. B. im Gommentar zum
Römerbrief (III. 6. p. 509): Si requiratur, quid Deus ho-
mini — contulerit, et quid homo ex his, quae a Deo
accepit, operatus sit — invenietur quidem Deum dedisse
homini omnes affectus omnesque motus, quibus ad virtutem
niti possit et progredi, insuper etiam vim retionis inseruisse,
qua agnosceret, quid deberet agere, quid cavere. Haec
ergo invenitur Deus communiter omnibus hominibus
praestitisse. Sed si his acceptis homo neglexerit iter
virtutis. incedere, cui a Deo nihil defuit, invenitur ipge
defuisse iis, quae a Deo data sunt sibi, — Noch fchärfer
teitt fle heraus in ber Unterſcheidung, daß von Gott
das Können des Guten fomme, das er und gegeben
in bem freien Willen, das wirkliche Wollen und Thun
aber von uns ausgehen müffe, indem. wir biefen Willen
Stel, Quartalſqhrift. 1859. III. Heft. 31
464 Der vorgebliche Pelaglantsmus
gebrauchen '). Drigenes geht aber gleid) einen Schritt
weiter und über bie rein rationalifiifhe Betrachtung hin
aus, wenn er Iehrt, ber menſchliche οτία 5 für fid ge
nüge nicht; nur burd) göttlichen 3Beiftanb werbe bie Boll
enbung des Guten, wie alles Vollfommene erreicht, fo
daß wir uns felbft mir ba8 Geringere, Gott aber das
Höhere unb Meifte zu banfen haben ?). Die Gnade Gottes,
ber wir Diegu bedürfen, werde uns nad) Maßgabe des
Glaubens, überhaupt nad) Maßgabe unferer Anftrengung
und unferes Wohlverhaltens, alfo nad unfrer größern
ober geringern Würbigfeit und Empfänglichfeit zu Theil 3).
Hiernähft kommt nun. alles darauf an, wie Origenes
ben Glauben, in weldem wir Gorifto uns anfdjliefen, an
ihm Theil gewinnen unb ber von ihm verdienten Gnade
Gottes empfänglih und würdig werden, auffaßt, ob als
bloßes Wert des Menfhen, ober ald Werf Gottes zugleich.
Schon oben wurde darauf Bingemiefen, bag nad empiti-
ſcher Betrahtung, wo der Ausgangspunft des Heilswerfes
in die menſchliche Willensthätigfeit gefegt wird, ber Glaube
oder bod) der Wille dazu (eredulitatis affectus) al8 das
ſubjektiv menſchliche Werk erſcheint, an welches bie goͤtt⸗
Tide Gnadenerweifungen anknüpfen, um baffelbe zu voll.
enden; eó wurde bemerft, daß biefe befonders audj von
Auguftin vor der Zeit feines Kampfes mit den Gegnern
der Gnabe angenommene Betrachtung keineswegs unwahr
{εἰν daß fle dieß vielmehr erft werde, wenn fle fid) gegen
die höhere, das abfolute Prinzip des Heilswerkes in bet
1) De princip. II, 1, 3 seqq.
2) De princip. II, 1. 18. 22; 2. 2. in Mauh. X, 19 seqq. in
Jerem, VIII, 1.
8) In Matth, XII, 40. Tract, 88, 69, in Rom, IX, 8,
der vorauguftintfchen Väter. 465
Gnade Gottes findende Auffaffung abſchließe unb fperre,
wie e8 von ben Semipelagianern gefhah — und wir et»
innern daran, um ben Origenes (und die griechifhen Väter
überhaupt) bei dem enticheidenden Punkte, an bem wir
angelangt find, gerecht zu beurtheilen.
Die Anklage, mit der Hieronymus gegen ihn auftritt,
Tónnten voir nicht begründet finden, aud) wenn Drigenes
ben Glauben febiglid) als Werk des Menſchen betrachtete;
aud) Auguftin war, wie gefagt, in biefem Falle, und bie
Erflärung, bie er desfalls in feinen Retraftationen vors
bringt, ift ganz genügend. Sie fommt aud) dem Drigenes
zu Statten. Sa Hieronymus felbft weiß nod) in bem Mo—
ment, ba er fid) des wahren Glaubens hinfichtlich ber
Gnade Eottes gegen die Pelagianer annimmt, das Zur
Randefommen des Heilswerks fid) nur auf jene empiriſche,
ethifhepraftifche Weife zu benfen; mit bem von Auguftin
fräter aufgeftellten Maaße gemeffen, if aud) feine Lehre
ungenügend. Beurtheilen wir bie griechiſchen Väter, Dri»
genes mit eingefähloffen, nicht frenger! Doch vermódjte
biefer in dem Punfte, um den es fid) bier handelt, felbft
eine firengere Probe wohl zu beftehen. Drigenes fennt
den Unterſchied zwiſchen ber fides, quae est in nobis und
ber fides, quae per gratiam datur, und ftellt beide in das
Verhältniß zu einander, welches im Heilswerke überhaupt
der menſchliche Antheil zum göttlichen einnimmt. Der
Glaube, den Gott wirft, [egt zwar den menfehlichen vor«
aus, aber erft die Gnade macht dieſen vollfommen, zu
einem wahrhaften, dieſes Namens würdigen Glauben.
Andrerfeits ift der menfchliche Anfang doch Fein abfofuter,
denn er ift überholt von dem mas Gott und was Chriſtus
gethan, nicht blos in bem allgemeinen Sinne, daß burd)
815
466 Der vorgebliche Pelagtanismus
fie erft das Objeft des wahren Glaubens gefdjaffen ift,
unb bie göttliche Offenbarung und die Erſcheinung Chrifti
unferm Glaubensvermögen fid) präfentiren, es erfüllen,
wie das Sonnenlicht unfer Auge, fondern in einem nod)
höheren und innerliern Sinne. Gott, ber Logos, der
Gottmenſch Ehriftus nehmen bie Dede von unferm Geifted-
auge, auf daß wir die Wahrheit fehen, fie rühren unfer
Herz und reinigen e, auf daß wir ihr vollen, ungetheilten,
unbebingten Beifall geben, b. b. glauben Y. Der Prozeß
ift ein lebendiger, auf Wechfelwirfung rufenber. Mag
man ihn firiren auf einen zeitlichen Anfang, fo geht aller-
dings bie Bewegung vom Menfhen aus, unb mas Gott
dagegen gibt, wird vom Menſchen erfaßt und regt feine
Thätigfeit auf's neue auf, unb hinwiederum befruchtet und
veredelt Gott dies Streben u. f. w.; anerfannt aber if
dabei immer bie göttliche Gnabe als bie eigentliche Quelle
des wahrhaft Guten, wie immer Vollfommenen, als dad
Anfih des in feiner Grfdeinung menſchlichen Werkes.
Warum follte nicht aud) der Achte, fruchtbare Keim des
beginnenden Werfes von Gottes Gnade gepflanzt fein,
wenn diefe doch ausgefprocdhenermaßen fein Wachsthum
und feine Reife bedingt? Bezeichnet Drigenes den Gau
ben fo nadbrüdlid) und feierlich al Ginabengabe, fo wäre
εὖ bod) feltfam, wenn er ihn erft in feinem Wachsthum, und
nicht ſchon in feinem Grund und Anfang aus der erleuchtens
ben und erwärmenden göttlichen Duelle entfpringen ließe.
Auf biefer Seite alfo wird man ſchwerlich etwas
Pelagianifhes an ihm entbeden Fönnen. Aber gerabe fie
ift es, bie ben Höhepunkt feiner chriftlihen Anſchauung
1) Origen. in Joh. XX, 26. Contr. Cels, III, 38. in Rom. IV, 5.
der vorauguftinifchen Väter, 467
bildet. Die verſchiedenen Momente feiner Lehre von Gnade
und Freiheit liegen nicht blos fo neben einander; fle find
organiſch verbunden unb bauen fid) vom Allgemeinen zum
Befondern, von bem Natürlihen (rationellen) zum Ueber»
natürlichen fortfchreitend pyramidenartig bis zu ber Spitze
auf, die wir fo eben in feiner Lehre vom Glauben berührt
haben). Wie bie 51. Schrift 3. B. in der Darftellung
des Berichtes (Matth. 25) das fünftige Loos des Mens
fen Tebiglich durch den Gebraud), ben ber Menfd von
feinen eignen Kräften zum Guten ober Böfen macht,
beftimmt fein läßt, unb bie Erwählung aus Gottes freiem
Erbarmen und bie Austheilung ber Gnade, in deren Kraft
das Gute begonnen und vollendet wird, gänzlich übergeht,
wogegen fie anderwärts mit Webergehung diefes allgemei-
nen und natürlichen Gefeges der fittlihen Ordnung ledig⸗
lich das göttliche übernatürfide Walten hervorhebt; fo
finden wir es aud) bei den Vätern der erften Jahrhuns
derte und befonberó bei den Griechen. Aber es braucht
nur eine geringe Aufmerffamfeit auf ben innern Zur
fammenhang biefer Darftellungen, um zu gewahren, baf
fh die eigenthuͤmlich chriſtliche Wahrheit über jener all
gemeinen Grundlage a8 bie concrete Wahrheit abfdlieft,
daß fie jener allgemeinen 3Betradjtung bie Wahrheit nicht
abfpriht, das Wahre aber erft in ihr felber, in der Abs
hängigfeit des guten Willens, des Guten überhaupt und
insbefondere der Seligfeit von Gottes Gnabe findet. Sene
allgemeinen Ausfprüdhe des Drigenes al[o, bag das Kön-
nen von Gott fomme, das Wollen aber und Wirken in
1) Der fonft trefflichen Darftellung von Thomafius fält zur
ofi, daß fie bie „Heilsorduung“ des Origenes (G. 233 ff.) nicht in
Biefem isrem Stnfengange aufzeigt.
468 Der vorgebliche Pelaglantsmus
unfrer Hand liege, und wie fle fonft nod) Tauten , fie
alle vechtfertigen den ihm gemachten Vorwurf pelagianis
fer Lehre nicht, denn fie find von ihm nicht al8 bie
concrete hriftliche Wahrheit geltend gemacht, vielmehr burdj
diefe, bie er nirgends verſchweigt, wefentlich modificirt.
Ein Verdacht pelagiani(der Lehre fällt auf ihn erft und
am meiften ba, wo er bie Schriftftellen 2. Mof. 4, 21.
Ezech. 11, 19. 20. Marc. 4, 12. 9tóm. 9, 16. Phi.
2, 13. worin die abfolute Wirffamfeit Gottes, insbeſon⸗
dere feiner Gnade geſchildert iR, im Vergleich mit ben
ihnen entgegenftehenden 5. Mof. 30, 19. Jeſ. 1, 19.
SRida 6, 8 zu verkürzen fcheint. Befchränfen wir uns
hinſichtlich jener auf bie zuletzt angeführten. Sie befagen,
daß εὖ nicht auf unfer Wollen und Ringen, fonbern auf
das Erbarmen Gottes anfomme; daß Gott in uns das
Wollen unb Vollbringen wirke nad) feinem Wohlgefallen.
Nicht vom Wollen und Vollbringen des Guten ober Böfen,
meint Drigenes, fondern vom Wollen unb Bollbringen
überhaupt fei Phil. 2. die Rede, und dies fomme aller
dings von Gott, während jenes unfer Werf fei, indem
wir das von Gott verliehene Vermögen recht oder ſchlecht
gebrauchen. An der Stelle Röm. 9. aber wolle ber
Apoftel nicht fagen, daß Gott alles wirfe am Heilswerke
und ber Menſch nichts, fonbern daß des Menfchen Ringen
und Streben midt genüge, um bae Ziel gu erreichen,
fondern daß Gott bae Meifte dazu beitrage. Es verhalte
fi Hier, wie παῷ 1. Kor. 3, 6. 7 beim Landbau. Wie εὖ
unfromm wäre, zu behaupten, das Zeitigen und Gebeifen
der Fruͤchte fel dns Werk des Landmannes, der da pflanzt
1) De princip. III, 1. 6. in Rom. I, 5. 5. VIIL, 16. contr.
Cels. III, 69.
bet vorauguftinifchen Väter. 469
und begießt, und nicht vielmehr Gottes, alfo erfolge aud)
unfere Vollendung nicht ohne unfer Zuthun, obwohl fie
nicht burd) ung zu Stande fomme, fondern Gott das Meifte
dabei wirfe 1).
Die fegtere Vorftelung, bie befonders bei GB ty»
ſoſtomus immer wieberfehrt, ift in biefer Form zu
äußerlich unb infofern mangelhaft, ihr mefentlider Gehalt
aber, unantaftbar (f. oben). Dagegen fann bie Aus-
legung der Stelle Phil. 2, 13. nur gezwungen genannt
werden, wie fle aud) im Princip und in ihrer Confequenz
der Wahrheit zu woiberfpred)en ſcheint. Allein bie Aus-
legung gibt fif, wie bie der andern Stelle, nicht als eine
birecte, fondern ift zur Abwehr einer andern aufgeftellt,
in ber Drigenes eine woefentlide SBeeintrüdjtigung ber
Wahrheit, nicht einer fpecififch chriſtlichen, fonbern einer
allgemein vernünftigen Wahrheit erblidt. Nicht gegen
folge ift jene Auslegung gerichtet, welche, wie y. B. fpäs
ter Auguftin, in ber Stelle eine Hauptftüge ber princi»
vielen Nothwendigfeit der Gnade erblicken, fondern gegen
bie häretifhe Gnoſis, gegen bie Beftreitung der fittlichen
Freiheit des Menſchen. Die Abſiicht des Drigenes ift alfo
aud) nicht, die Freiheit als hinlänglih zu Erreichung
des Cnbjieló gegen bie Gnade in Schuß zu nef»
men, fondern fie zu vertheidigen gegen die Behauptung
eines äußern Berhängniffes oder einer fittliden
— guten ober böfen — Natur. Hatten fi bie gnoſtiſchen
Häretifer, wie Origenes ausdrüͤcklich anführt, auf jene
Stellen für fid berufen, was fonnte er, was mußte er
tun, um fie ihnen zu entreißen? Was er aud gethan hat.
1) De princip. TIL. 1. 18.
470 Der vorgebliche Pelagtantsmus
Mit weit mehr Schein Tieße fid gegen Elemens
von Alerandrien, ben Lehrer des Drigenes, ber Bors
wurf pelagianifivender Lehre richten. Die Unbeftimmtheit
feiner Aeußerungen und die höhere Achtung, bie bie nad
folgende Zeit ihm bewahrte, mochten jebod) Hieronymus
bewogen haben, nicht auf ihn zurüdzugreifen. Das Ber
hältniß der Nachkommen zu Adam fdjeint nämlich Clemens
nur als ein äußeres Strafverhältniß aufgefaft zu haben !).
Du pin fagt von ihm: Adae lapsum agnoscit, et ejus
peccati poenam, in quam omnes incurrerunt. Verum origi-
nale peccatum non videtur probe novisse ἢ). Wäre «6
wahr, daß Clemens zwiſchen unfrer Sündhaftigfeit unb ber
Sünde Adams einen innen Zufammenhang geläugnet, bann
fiel für ihn nidt nur bie Wirfung des Erlöfungstodes
Chriſti in ihrer wahren Bedeutung, fondern auch bie
ſchlechthinige Nothwendigkeit der Gnade; bie Suͤndhaf⸗
tigfeit des jegigen Menſchen wäre ein natürliches Pros
buct feiner eigenen That, und fónnte deren SBefeitigung
hinwiederum von ihm felbft erwartet werden. Die durch⸗
gängige Allgemeinheit der Sünde fónnte ohnehin nidt
von ihm gngenommen fein. Auf biefem Standpunfte ftebt
aber Elemens nicht. Das Günbigen fagt er 5), ift allen
angeboren unb gemein, unb leitet daher bie 9totbmenbige
keit unferer Rettung burd) Ehriftus, bie Nothwendigfeit
der göttlichen Gnade, wiewohl er, und mit Recht, ben
Gnoſtikern gegenüber auf die Anerkennung der Wahrheit
bringt, daß Gott uns durch uns felbft, burd) unfte eigne
freie Selbftbeftimmung retten wolle 9. Aber fefthaltend
7.1) Stromat. III, 16.
2) ©. Thomafius a. a. D. ©. 76.
3) Paedag. II, 12: Τὸ ἁμαρτάνειν πᾶσιν ἔμφυτον καὶ κοινόν.
4) Stromat, VI, 12. p. 788: Ἡμᾶς R ἡμῶν αὐτῶν βούλεται σώζεσϑαι.
der vorauguftinifchen Vater. 4T
an bem Begriff ber Sünde im engern und eigentlichen
Sinn, fiel ihm der Begriff der Erbfünde infofern Dine
weg und trat an ihre Stelle ber Begriff einer ererbten
Strafe. In gleicher Weife verfährt aud Chryſoſto—
mué?!) Es unterliegt aud) feinem Zweifel, daß bie
Erbfünde etwas anderes al8 bie Thatfünde, etwas ander
res alfo, als die Sünde im eigentlihen unb engern Sinn
ift; unb biefe Väter waren fomit ganz im Recht, wenn
fie diefen Begriff nicht in Anwendung fommen ließen
auf das fittliche Verderbniß, das von Adam her auf uns
übergegangen ift. Nur darin bleiben fie hinter ber Wahr-
heit zurüd, daß fie das Strafverhältnig nicht ausbrüdlich
als ein fittliches bezeichnen. Es ift ihnen dies wohl feinem
Inhalte, der Materie nah, aber nicht zugleich formell.
An das Leptere erft fnüpt fid) der Begriff der Sünde im
wahren, wiewohl nicht im eigentlichen und engern Sinne,
unb nur jur Haren Grfenntnif diefes Moments haben fie
es nicht gebracht. Bei Chryſoſtomus tritt diefer Mans
gel ganz deutlich hervor. An der zuerft angeführten Stelle
fagt er zu Röm. 5, 12; „Daß weil Adam fündigte unb
farb Cleiblih unb geiftig ), aud) bie welche von ihm
abftammen, fünbigen und flerben, fat nichts Ungereimtes.
Daß Hingegen dur) feinen Ungehorfam ein Anderer (ohne
fein eigenes Thun) zum Sünder geworden wäre, was
wäre das für eine Solgerung? Auf foldje Weife fónnte
man ihn nicht einmal als ftraffällig anfehen, fofern von
1) Hom. X. in ep. ad Rom. Opp. tom. X. p. 125. In Psalm. L.
hom. 2. Opp. tom. III. p. 874 seq.
2) Un das legtere benft freilich Münfcher (Handb. b. Dogmens
geſch. IV. ©. 150) nift. Bergl. Thomafius a. a. Ὁ. ©. 76.
Anm. 1. der ihm deßhalb zurechtweiſt
472 Der vorgebl. Pelagtanismus b. vorauguſtin. Väter,
feinem eigenen Thun völlig abgefehen würde ἢ. Was
verſteht alfo der Apoftel unter Sündern? Strafbare, wie
ἰῷ glaube, unb gum Tode Verurtheilte." Alſo Sünder
im eigentlichen Sinne find wir durch Adam nicht gewor⸗
ben; das wird jeber nur burd) fid) felbft, burd) feine eigene
freie That; aber verdammlid find wir burd) ihn gewor⸗
ben, indem wir fo, wie wir von Haus aus find, (und
durch Adam geworden find), nämlich durch Leidenſchaften
beunruhigt und jur Sünde geneigt, Gott nicht gefallen
fónnen 2).
Weiter ins Einzelne zu gehen, müffen wir ung für
jest verfagen; wir hoffen fpäter auf den Gegenftand zus
rüdzufommen. ]
1) Diefen Satz fat Münfcher wie überhaupt bie ganze Stell
nicht verflanben.
2) Vergl. die zweite ber oben citirten Stellen.
Kuhn.
Wecenfionen.
1.
XPHZMOI ZIBYAALAKOI Oracula Sibyllina. Ad
fidem Codd. Mscr. quotquot exstant recensuit, praelextis
prolegomenis illustravit, versione Germanica instruxit, anno-
tationes criticas et rerum indicem adiecit Josephus Hen-
ricus Friedlieb. Lipsiae T. O. Weigel. MDCCCLU. LXXXV.
u 231 ©. — Sectio al CXXIV. ©. in 8. — Preis
4 ἢ. 12 fr.
Diefe wunderlihen Erzeugniffe des Orients gehören
theils einer vorchriftlichen Zeit, theils ben drei erften Sabre
hunderten n. Chr. am. Sie wurden meiftens von Juden
oder von jubaifirenden oder eigentlichen Chriften gegen
ihre Gegner, die Heiden, gerichtet. Mehrere find offenbar
Aegyptifhen Urfprunge. Im zweiten unb dritten Jahr»
hunderte wourben fie von ben Kirchenpätern nicht felten
qur Vertheidigung ber chriſtlichen Wahrheit als Beweis-
mittel gebraucht, bis fie in der Folge, ald man fid) all-
mählig von ber Unächtheit berfefben überzeugt hatte,
immer mehr an ihrem Anfehen verloren und zuletzt in
Vergefienheit famen.
474 Josephus Henricus Friedlieb
Zuerfi gab fie £ft. Botuleius aus einer Auge:
burger Handfchrift zu Bafel 1545. 4. heraus, und zehn
Sabre darauf ebendafelbft in Octav Schaft. Gaftalio
mit einer metrifchen fateinijden Ueberſetzung. Nach Ian
ger Zwiſchenzeit erſchien zu Paris 1599. 8. bie Opfo
poeifde und nod) weit fpäter bie Gallefche Ausgabe
(Amſterdam 1689. 4.) Es entfpann fid) ein langer Streit
für und wider bie Authentieität ber Sibyllen, bi man
fib dahin einigte, daß man fie für unterfdjoben erklaͤrte.
Seitdem [agen fie ganz unbeadjtet, bis 1815 unb 1816
- ber Däne Thorlacius die 9lufmerfjamfeit wieder auf
diefen Gegenftand Ienfte und im folgenden Jahre der ber
rühmte Angelo Mai in ber Ambroſianiſchen Bibliothef
zu Mailand ein vierzehntes Buch entbedte, welches mit
dem ſechsten und einem Theile des achten zu Mailand her:
ausfam. Später gab er in feiner veterum Scriptorum
nova Collectio (Tom. Il. Rom. 1828. 4.) aus zwei Bas
ticanifchen Handfchriften das XI—XIV. Bud) ganj, wovon
baé [eótere mit dem Ambrofianifhen Gober die größte
Verwandtſchaft hat.
Eine neue Feitifhe Ausgabe lieferte der framzoͤſiſche
Gelehrte Alexander zu Paris bei Firm. Didot. 184.
gr. 8. Davon erfäien aber big jegt nur der erfte Band,
welcher bloß bie erften acht Bücher enthält.
Während Alerander aufer den gebrudten Hülfsmit«
teln bie beiden Pariſer Handſchriften, die Oxforter unb
die Wiener, von welcher ihm ber veremigte Kopitar
eine Gollation mitgetheilt hatte, benugen fonnte, war ber
neuefte Herausgeber fo glüdlid?, das kritiſche Material
fo volftändig, als möglich zufammenzubringen, indem Dr.
Keil während feines Aufenthalts in Italien im 3. 1845
Oracula Sibyllina. 475
in Rom und Florenz für ihn Bergleihungen anftellte unb
Profeffor Gilbemeifter in Marburg ihm feine Eollas
tion der Parifer Handſchriften überließ. Dazu fam nod)
eine von ihm felbft gemachte Vergleihung des 9Ründner
Cod. 312, welcher die námliden Bücher unb Bragmente,
die im Mailänder unb in ben Vaticanifchen vorkommen,
enthält. .
Mit diefen Hülfsmitteln verfehen, ging er an bie
Bearbeitung der Sibyllinifhen Schriften. Ihm lag, wie
er in dem SBormorte bemerkt, zunaͤchſt daran, bem Publis
fum eine volltändige Sammlung derſelben und einen
moͤglichſt fehlerfreien Text gu liefern.
Sehr [hägbar ift die Einleitung über den Inhalt
der Sibyllinen, in welder der Herausgeber feine πῇ ὦ:
ten über bie verfdiebenen SBer[affer, und über bie Zeit
und ben Drt ber Abfaffung mittheilt und über bie Hands
ſchriften Bericht erftattet. |
Darauf folgt bie Inhaltsangabe eines jeden Buches;
bann ber griedji[de Srt mit gegenüberftehender deutſcher
Meberfegung.
Die fateini[d gefehriebene Sectio altera enthält bie
abweichenden Lesarten zu dem griechifchen Terte, woran
fi) ein Index rerum et personarum locupletissimus (djlieft.
Der Gleichfoͤrmigkeit wegen wäre allerdings zu wün-
fen gewefen, daß aud das Vorwort, bie Einlei—
tung unb bie Inhaltsangabe Sateinijd) gefehrieben worden
waͤre.
Was die Textrecenſion des Hrn. Friedlieb anlangt,
fo Tann fie Ref. keineswegs eine befriedigende nennen, in»
bem man an ifr nur zu fehr bie Εἰ ε Schärfe und Ge»
nauigfeit vermißt; denn man ftóft nicht felten auf metriſche
416 Josephus Henricus Friedlieb
Unrigptigfeiten und grammatifche Fehler, welche eit zu
befeitigen gewefen wären. Wir wollen nur einige Θ εἰς
fpiele anführen.
Fragm. I. B. 14 hätte ὕπαι τάξεν anftatt ὑπαίταξεν
geſchrieben werben follen, wie fdjon Boiffonabe z. Phie
Ioftrat. Briefen &. 200 rietf. Ebenfo Buch II. 98. 245:
᾿Αλλὰ πενιχρομένοισι, (ba6 Komma ift hier zu flreichen)
ϑέβους ἄπο (flat ἀπό) μοῖραν ἰάλλει.
Buch 1. 8.6 f: — — Σὺ δὲ, ποικίλε vmi,
πίφασκε Νουνεχέως, ἵνα μή ποτ᾽, ἐμῶν ἐφετμῶν, ἀμε-
λήσῃς, "Yıyızov βασιλῆα, ὃς ἔκτισε κόσμον ἅπαντα, Eine
Γεινάσϑω,, καὶ ἐγείνατο.
Die erfte Ausgabe und bie Wiener unb bie Bodleyſche
Handfärift haben εἶπας, weldes Alerander mit Recht in
εἴπας umänderte. Diefe Joniſche SBatticipalform des Aoriſis
hätte nidt mit εἶπε, wofür vielmehr elrev fteben müßte,
vertauſcht werben follen, ba fie ganz gut zu ἔκτισε paft.
— $8. 35 f.: Οὔτε γὰρ ἀκχρασίῃ νόον ἔσκεπτον, οὔτε
μὲν αἰδῶ,
άμφεχον, ἀλλ᾽ ἦσαν κραδίαις ἀπά-
νευϑὲ xdxou.
Für ἀχρασίῃ ſchlaͤgt Boiffonade zu Babrius
€. 255 ἀφραδίῃ (silentio) vor. Im folgenden Berfe
hätte Hrn. Srieblieb nicht ber Eonjectur des Alerander
folgen follen; denn da bie frühern Ausgaben und, wie
Mlerander bemerkt, aud) die Gobb. χραϑίης bieten (bei
unferm Herausgeber herrſcht hierüber Stillfpweigen), fo
lag bie SBerbefferung xgadins auf flacher anb.
— 8. 18: Kal πολέμους ἐποίουν" εἰς δ' αὐτοὺς ἤλυ-
εν ἄτη.
Hr. Brieblieb folgte bier, wie fein Vorgänger, be
Oracala Sibyllina. 4m
Eonjectur des Auratus. Allein die Augsburger, jegt
Münchner Handſchrift Nr. 351, aus welder bie Ed. pr.
fof, hat ἔσση (bie florentiner Handſchrift nebft den zwei
Barifern dor) δ᾽ αὐτοῖς. Demnach ſchrieb Goftalio Zoy
αὐτοῖς Ruder, mit leichterer 9Berfegung Boiffonade
i Babr. ©. 207 αὐτεῖς δ᾽ ἴση ἤλυϑεν. Das vorherges
Benbe ἐποίουν darf übrigens feinen Anſtoß verurfachen,
ba da vor οὐ verkürzt wird. ©. Boiffonade z. Babr.
€. 6. Anmerf. 17. t
— $8. 228 fe: — — ἔγεμεν δέ ye μύριον ἀφρὸν
Στείρα.
Was war leichter, αἵδ᾽ φείρᾳ zu verbeffern, wozu
aus B. 226 οἶκος ϑεσπέσιος als Nominativ zu ergänzen
iR? Denn ςείρα fann nicht als Nominativ genommen
werben, ba in diefem Falle ςεῖρα ftehen müßte. Vergl.
Boiffonade 3. Philoftrat. Briefen S. 209 unb z. Babr.
€. 256.
— B. 254 f.: Kol τότε δὴ μετέπειτ᾽ ἄλλον μελα-
γόπτερον ὄρνιν.
Tdxog ὑπεξέπεμψεν (nämlich Nos).
Tayog haben zwar bie Handſchriften und bie erfte
Ausgabe, fobann ὑπεξέπεμψεν der florentiner und bie
ioci parifer Codd., der Bodleyſche ὑπεξέπεμπεν, Opfor
poeus ἐξέπεμπεν, bie erfte und Gaftafio'6 Ausgabe ἐξέ-
πέμπε. Daß das aus zwei Kürgen beftchende τάχος
μι Anfang des Herameterd nicht gebilligt werden fónne,
if einfeuchtend. Daher conjicitte Turneb ὡς τάχος ἔξω
πέμπεεν, und Gaftalio λάρνακος ἔχπεμπεν. Daß aber ber
neuefte Herausgeber biefe Verbefferungsverfuche nicht bes
rüdfichtigte und bie offenbar falfche Lesart im Terte ftehen
lieg, if befrembenb. Boiffonade flug 3. Philoftrat.
418 Josephus Henricus Friedlieb
Briefen S. 200 αὐτίκ᾽ ober εὐθύς ὑπέκπεπεν wor. Ref.
würde ὡς τάχος ἔξω πέμψεν gewählt umb im bem fol.
genden Berfe γαίῃ δ᾽ ἐλϑων ἐπέμεινε, wie der Cod. Leon-
tarius liest, (ftat ἀπέμεινε) geſchrieben haben; benn ἐπὶ
und ἀπὸ find zu oft in ben Handſchriften verwechſelt
worden. -
Bud XIL V. 150 f.: — — πάντες ὅσοι πίνουσι
πάνιξον
᾿Αρμένιοι κρύςαλλον ἄγαν δείον-
τος ᾿Αράξεω.
Iléwigov ift offenbar burd) bie iotaciftifche Ausſprache
aus πάνηςον, t. i. perdulce periucundum, entftanden.
Go verbeflerte ganz richtig Boiffonade zu Herodiani
partitiones p. 53 mit Zuftimmung ber Beforger ber Dis
dotſchen Ausgabe des Stephaniſchen Thesaurus.
Aehnlicher und oft nod) tiefer liegender Verderbniſſe
gibt es in ben in febr jungen Handfchriften auf ung ges
fommenen und nod) wenig bearbeiteten Sibyllinifhen Bir
dern eine Unzahl. Viele hat der gelehtte Boiffonade
in ben Anmerkungen zu Philoftratus, Babrius und απ’
dern Schriftſtellern glüdlid) gehoben. Schade, baf bem
Hrn. Herausgeber die SBerbefferungen dieſes ausgezeich«
meten. Kritifers unbefannt geblieben find! Ueberhaupt
wäre fehr zu wuͤnſchen gewefen, daß er fowohl bie in
den Altern Ausgaben der Sibyllinen felbft, als aud) bie
bie unb da gelegentlich eingeftreuten Gmenbationen der
Gelehrten forgfältig gefammelt und genau angegeben hätte.
Die der Urſchrift gegenüberftehende deutſche Ueber
fegung ift leider fo gearbeitet, daß fie ben Anforderungen,
die man heut zu Tage an einen Ueberfeger zu maden
berechtigt ift, keineswegs entfpricht.
Pafſaglla, katholiſche Lehrvortraͤge. 479
. Mit biefer Beurtheilung verbindet Stef. die Anzeige
nahftehender, ihm gerade zur Hand gekommenen Abs
handlung :
De oraculis Sibyllinis dissertatio supplementum edi-
lionis a Friedliebio exhibitae. Scripsit Ricardus Volkmann.
Lipsiae T. O. Weigel 1853. S. 43. 8.
Da. ber neuefle Herausgeber der Sibyllinen das
ſprachliche und metrifhe Element nicht gehörig berüdfich-
tigt hatte, fo glaubte Hr. SBolfmann biefen Theil philor
logiſcher Forſchung zum Gegenftande einer genauen Unter
ſuchung maden zu müffen, unb wir fónnen ihm das rühms
fie Zeugniß geben, baf er feine Aufgabe trefflich gelöst
babe. Seine tief in das formelle ber Gibyllinifen Sid»
tungen eingehende Abhandlung zeugt von grünblider Ges
lehrſamkeit, kritiſchem Scharffinn und mufterhafter Akribie.
Der Herr SBerfaffer hat ὦ dadurch ein großes SBerbienft
um diefen Zweig ber antifen Litteratur erworben, welches
allenthalben gerechte Anerfennung finden wird.
I. ©. Krabinger.
2.
fatbolifd)e Schruorträge gehalten in der Kirche del Gesü
zu Rom während ber heiligen Faſtenzelt be8 Jahres 1851
von 9. Carl Yaffaglia, aus ber Gefellfchaft Sefu, pro»
fefor ber Theologie am zömifchen Golleglum ac. ıc. —
Aus dem Italieniſchen. Verlag von ©. S. Manz in Re
gen&burg. 8, VIIL und 249. ©. Preis 1 fl. 30 fr,
Der Herr Verfaſſer der vorliegenden Fatholifchen Lehr⸗
vorträge ift bereits berühmt burd) feine anderweitigen, bes
fonder8 dogmatiſchen Arbeiten, al$: Commentarius de
Ses. Duartalſqrift. 1869. II. Heft. 32
480 Vaſſaglia
Praerogativis beati Petri apostolorum principis, auctoritate
divinarum litterarum comprobetis. Ratisbonae 1850 (Manz);
Commentariorum theologicorum partes tres. Romae 1850.
1851. Dann: Del necessario a concedere alla ragione
toltane la regola dall’ analisi dela fede, Roma 1851,
fo wie burd) bie Herausgabe des Werkes: Enchiridion de
Fide, Spe et Caritate sancti Aurelii Augustini, episcopi
hippon., Johanne Bapt. Faure, theologo Soc. Jesu nolis
et assertionibus theologicis illustratum. — Neapoli 1847.
Eben fo trefflid), müffen wir geflehen, find aber aud) diefe |
Tatfoli(den Lehrvorträge, bie er im Jahre 1851 für Ge
bildete zu Rom gehalten hat. — Wir erfehen hieraus,
baf er die SBebürfniffe unferer Zeit in religiöfer infit
wohl erfaßt hat. Das Erſte, was Vielen in unferer Zeit
fehlt, ift ohne Zweifel der fefte Glaube an bie Wahrheit
und Göttlichfeit des Chriſtenthums, fo wie ble Ueberzeu⸗
gung, daß bie Fatholifche Kirche bie wahre (bie urſpruͤng⸗
fide und vollfommene) fel. Außerbem werden aber nod
befonder8 gewifie Olaubenswahrheiten von ben Natura
fiften und Rationaliften angefochten. Aud hierauf hat
der Verf. mit richtigem Scharfblid aufmerffam gemadit.
Daher enthalten die erften fechzehn Vorträge (zu denen
wir ned) ben zwanzigſten hinzufügen möchten) bie Apolo⸗
getif des Chriſtenthums und ber Kirche in populärer Form
für Gebibete, Die übrigen fünf Vorträge dagegen ber
ſprechen eben jene Glaubenswahrheiten, welche in unferer
Zeit von 9Randen bezweifelt und beftritten werden, als:
ob die Kirche Gewalt habe, Gefege zu geben (17. Bors
trag); ob das Gefe ber Kirche über bie Lefung ber heil.
Schrift nicht eine ungerechte Befchränktung der Stedte
ber Gläubigen {εἰ (18. Vortrag); ob bie Beichte burj
ratholiſche ehrvortrage. 481
ein menſchliches Geſetz auferlegt, ober burd) ben göttlichen
Willen geboten werde (19. Vortrag); ob bie Auferſtehung
des Menfgen mit Gewißheit zu hoffen (21. Vortrag).
Zum Schluffe ſchaͤrſt ec endlich nod) ein: daß das „fihere
Mittel, um die menſchliche Geſellſchaft aus einem fo aufe
geregten Suftanbe, wie wir ihn gegenwärtig ſchmerzlich
empfinden, zu einem georbneten und ruhigen Leben zu
führen," nur „in bem richtigen Begriffe der Menfchen
von ihrer eigenen Würde” beftehe (22. Vortrag).
Wir wollen nun nicht fo febr bie Durchführung ber
einzelnen Themate befprechen, ba bie uns zu weit führen
würde, fondern mehr aus ben erfien 16 Vorträgen jene
Bemerkungen des Verf. hervorheben, bie für bie Wiſſen⸗
{haft der Apologetif in unferer Seit von Wichtigkeit find.
Mit Recht beginnt der Verf. feinen erſten Vortrag mit
dem Thema: „Die Denkfreiheit.“ Denn Viele in uns
ferer Zeit fegen bie Denkfreiheit in religiöfer Beriehung
bloß in eine Zügellofigfeit, bie ba meint: man fönne im
Denken über göttliche Dinge und Gebote eine willfüfrlide
Herrſchaft üben, unb fie verwerfen, fobalb fie unfern Neir
gungen und gelbenfdjaften nicht zufagen. Allein fold) eine
Gefinnung muß nothwendig entweber zur Gleichgültigkeit
gegen die Religion ober gar zum vollen Unglauben führen.
Deshalb loͤst ber Verfaffer zuerft, bevor er mod) an bie
Begründung der Wahrheit unb Göttlichleit des Chriſten⸗
thums geht, die Frage (S. 4): „ob unfer SBerftanb, der
uns fo fer der Gottheit mabe bringt, für ergaben über
jedes Geſetz gelten wüfle, fo baß er ganz als eigener
Herr ſich ſelbſt Gefeg ἰῇ; ober ob er nicht vielmehr bes
ſtimmten Geſetzen unterworfen fei, welche feine Hands
lungen Ienten, und bafür maßgebend fein folen,^ Er zeigt
32*
483 Baffaglia,
nun, daß alle Dinge im Univerfum unter beftimmten Ges
feben ſtehen. ©. 4: „Geſetze beftimmen bie Zufammen-
fegungen unb Auflöfungen im Mineralreihe: Gefege tal»
ten über ber Entwicklung ber Pflanzen; unb feften Gefegen
gehorcht bie ganze Thierwelt. Wäre bief nicht ber gall,
bann würde alle jOrbmung fhwinden und bie Welt müßte
zu einem furdjtbaren Wirrwarr fid) geftalten.“ Der Berf.
fließt nun hieraus, daß aud) der Menſch unter Gejegen
werde (teen müffen, weil er „ein Theil der Schöpfung“
ift (S. 5), mithin, „daß auch die Vernunft, daß auch das
Denken feine eigenen Gefepe habe, bie εὖ beftimmen.“
Dieß beweist die Logi Und ebenfo hat aud (€. 6)
„feine Gefege der Wille, und daher — die Wiffenfchaft
der Glüdfeligfeitslehre; und es hat ebenfo das Freiheits⸗
vermögen feine Gefepe unb.baber bie Sitten» und Rechts
lehre.“ Scharffinnig bemerft der Verf. (5. 6): „Man
muß entweder behaupten, daß unfer Berfland von ber
Wahrheit abhängig fei, oder umgekehrt, daß bie Wahrs
heit von unferem Verftande bedingt werde. Wer ficht
aber nicht bie volle Ungereimtheit des zweiten Sapes?"
©. 7: „Angenommen nun, daß ber SBerflanb von jedem
Zügel frei fel; — in weldjem Verhältniffe wird fi dann
ber Wille befinden müffen? Auch ber Wille wird fein
Gefeg mehr anerkennen, alle Pflichten werden aufhören,
und das ganze Leben des Menſchen wird in Zerrättung
gebracht fein." Hiermit hat ber Verf. fid) einen herzlichen
Uebergang gebahnt zu bem Beweife, daß ber Geift im
Bereiche ber Religion keineswegs willkuͤrlich fi von ben
Dentgefegen losſagen fónne. Auch wir fagen: IR bie
vernünftige Notwendigkeit des Glaubens an bie Wahr,
heit unb Göttlicfeit des Chriſtenthums nachgewieſen, fo
tatholiſche Lehrvorttäge. 483
Tann der Geift fif vom Glauben nit losfagen, wenn
ex fonft nicht feinem eigenen Wefen (feiner innern Würde)
wiberfprechen will.
(6 if daher vor allem Andern nöthig, aufzuzeigen:
daß aud der Glaube „unter bie Geſetze des Denkens ges
δότε, daß es Pflicht des Berftandes fei, Glauben zu
ſchenken, unb fij im Vertrauen auf das Wort Anderer
zu beruhigen." Dieß thut der Verf. im 2. Vortrage.
Er beweist, daß der Glaube unumgänglich nöthig if,
weil fonft die häusliche und bürgerliche Geſellſchaft, und
ebenfo die Freundfchaft und die Gewißheit der Wahrnehs
mungen ber Sinne zerftört würden, nod) eine Erziehung
mehr möglich wäre. Der Verf. gibt hier ein treffendes
SBrincip, welches aud) auf bie Religion angewendet wet»
den fann. Er fagt ©. 16: daß jene thöricht handeln,
„welche entſchieden erflären, daß fie mur ber offenbaren
Gewißheit, unb ben inneren und notfmenbigen Bolgeruns
gen des Vernunftſchluſſes fid) fügen." Denn „wie bie
Augen des Koͤrpers nicht bloß bei dem gerabeftrahlenden,
fondern aud) bei dem widerſcheinenden Lichte fehen; fo
fiebt und ſchaut aud) das Auge des Geiftes nicht bloß bei
bem Lichte der innern Klarheit, fonbern eben ſowohl auch
bei bem Lichte des Glaubens und des Vertrauens auf
das Wort Anderer. — Rein, um das bir Vorgetragene
zurüdzuweifen, genügt es nicht, zu antworten, e8 fei
nit far unb einleuchtend, fondern bu mußt beifügen
Tónnen, baf εὖ aud) nicht einmal glaubbar if. Es reicht
nit bin, ju fagen: ich fehe nicht die inneren Gründe;
fondern man muß beifegen: id) fefe nicht einmal äußere
Anzeichen, und Äußere Zeugniffe, welche es mir annehm⸗
bar madjen. Wenn fowohl das eine, wie das andere
494 εὐ 8efagfa,
fidt fehlt, bann hat man vollfommen Stet, feine Zus
fimmung gu verfagen." — Diefe Bemerkung ift ungemein
wichtig in Betreff der Religion. Denn halten wir viele
Naturerfcheinungen, welche richtig wahrgenommen worden
find, für wahr, und bürfen wir fie für wahr halten,
aud ohne daß wir fie in ihrem innern Weſen begriffen
haben, fo muß biefer Grundſatz aud) in ber Religion
gelten, baf wir gleichfalls jene Wahrheiten und Thatſachen,
welche wir nicht begreifen, für wahr halten .müffen, fos
bald fie durch eine genügenbe Auctorität bezeugt werben.
Sft daher, burd) Außere hiſtoriſche Zeugniffe erwiefen, baf
Chriſtus Wunder gewirkt Bat, fo ift aud) erwiefen, bof
er göttlicher Gefanbter ift, um fo mehr, da feine Ausfage
über feine göttliche Sendung wegen feiner Heiligkeit [don
für wahr gehalten werben muß, mithin müffen wir alle
teligiófen Wahrheiten, bie er verkündet fat, für wahr
halten, alfo aud) jene, welche wir mit unferem Verſtande
nicht vollfommen begreifen. Die Geſchichte unb Erfah⸗
tung lehrt es, daß man von vielen Myferien anfangs
nur Äußerft geringe Vernunftgründe anzugeben wußte, daß
mande der Vernunft fogar zu widerfpechen (dienen, unb
daß diefe fpäterhin bod als vernunftgemäß erfannt und
bewiefen worden find. Es ift daher zum Glauben durch⸗
aus nicht, wie mand meinen, die Vernunfteinſicht in
die Dogmen abfolut nöthig. Gegen diefes Princip vers
ſtieß fid einſt aud) Abaͤlard durd den Satz: „Nec credi
posse aliquid, nisi prius intellectum^ 1).
Sym dritten SBortrage ftellt der Berf. (&. 19) bie
1) ©. KirjensLericon. Herausgegeben von Wetzer und Welte.
1847. 1. 8b. ©. 6.
katholiſche Lehrvbrtraͤge. 485
Frage: „ob Gott durch ein Zeugniß, verſchieden von bem,
das in ber Natur, in ben Ausfprüchen des Gewiſſens
ertönt, und in ben Lichtſtrahlen der Vernunft erglänzt, —
dem Menſchen e8 zur Obliegenheit machen fönne, gewiſſe
Wahrheiten zu befennen und getiffe Pflichten zu erfüllen:
und ob er von bem Willen eine gewiſſe Art der Vereh⸗
rung verlangen fónne.^ Die Antwort ift: Ja, weil Gott
unfer Bater (Schöpfer),. Herr und König ijt. — In dies
fem SBortrage ift eine Einwenbung der Rationaliften gegen
die Nothwendigkeit der übernatürlichen Offenbarung grünb«
lid) widerlegt. Diefe Einwendung lautet alfo (S. 22):
nWenn zu den religiöfen Pflihten, welche von der Vers
munft vorgefchrieben, unb in ihrer Gefammtfeit bie nas
türlid)e Religion bilden, nad) Gottes freiem Willen unb
Gutduͤnken andere hinzugefügt werben Fönnten; fo müßte
man zugeben, daß entweder Gott der Urheber unnüger
Pflichten fein fónne, oder daß bie Natur in bem höchſt
wichtigen Bereiche der Religion nicht das Nothivendige
und Gebüprenbe leifte.” (Lebteres behauptet aud) Strauß
in feiner Olaubensl. I, ©. 267.) — „Aber fowohl das
eine wie das andere ift im höchften Grade unverträglich
mit der Weisheit eines Gottes. Es ift unvertráglid) mit
ijr, anzunehmen, bag Gott, der unendlich weile SBifbner
der menſchlichen Natur, diefelbe nicht mit allem Lichte reich
verfehen habe, das erforderlich ift, um alle nothwendigen
and gebührenden Pflichten ber Religion Fennen zu lernen."
Der Verf. antwortet auf den erflen Theil bes Einwurfes
€. 22: „Kann man es für unnüg halten, wenn bem
Menfchen Anlaß zu Thaten der Tugend geboten, wenn
ihm Gelegenheit gegeben wird, fie häufiger zu üben; wenn
der religidfe Sinn gemedt und bewirkt wird, bag man
486 Raffaglie,
feine Abhängigfeit von Gott beſſer erfenne und fühle" ? —
Was den zweiten Theil ber Einwendung betrifft, fo bes
merkt er (6. 23): Wohl hat bie Natur das Nothwendige
empfangen, um ber Religion und Gottesverehrung Genüge
zu thunz aber fet er hinzu: „If das Gefhäft des Schd-
pfers erfüllt, fo wird baburd) nicht aufgehoben, daß Gott
aud) nod) das Geſchaͤft der Fuͤrſorge ἅδε." — Allerdings.
Denn war biefe Fürforge, b. i. bie Erziehung ber Urs
meníden burd) Gott (don nöthig bei der primitiven Offen⸗
barung ber Schöpfung, fo war fie gewiß um fo noth⸗
wendiger, ald bie normale Entwidlung berfelben durch
ihre Sreithätigfeit unterbrochen worben if. G6 fann daher
fonder Zweifel aufer der natürlihen Offenbarung auch
mod) eine übernatürliche geben.
Der Berfaffer zeigt nun im vierten SBortrage „bie
Wahrſcheinlichkeit der Thatſache der Offenbarung." Diefe
Wahrfcheinlichkeit beweist er daraus: 1) weil Gott in
der finnliden Ordnung der Natur fid) nicht blos auf das
Nothwendige befhränkt, fondern fih als freigebig auch
durch Vertheilung des Nüglichen und Angenehmen bekundet,
fo ift εὖ nicht wahrſcheinlich, daß er im überfinnlichen
Reihe der Religion fi bloß mit dem Nothwendigen bes
gnügt habe. 2) Um fo mehr läßt fid) dieſes Einſchreiten
ber Vorfehung vorausfeßen, wenn man erwäget, was bie
Erfahrung lehrt (S. 30): „Sie zeigt und, daß ber weite
aus größte Theil ber Menſchen fij faum zu dem lieber»
finntiden erſchwingt, und faum im Stande ift,. fid) deut⸗
lide Begriffe von der Gottheit und von feinen Pflichten
zu verſchaffen. Sie zeigt und, daß bie Allermeiften, von
ihren Lebenslagen und Umftänden mit Gewalt abgehalten,
fih mit ben vielfaden Forſchungen, welche zur Bildung
katholiſche Lehrvortraͤge. 487
einer geordneten Sammlung von religiöfen Wahrheiten un»
etlaͤßlich find, weder befehäftigen fónnen nod) wollen." —
6.31: „Wenn εὖ alfo wahr ift, daß bie dreifache Stimme
der Ratur, des Gemiffenó unb der Vernunft nothwendig
iR qur Religion: wenn es wahr if, daß man biefelbe
aud hinreichend nennen fann, fobald man die Vernunft
ihrem Hochbegriffe nad) betrachtet; fo ift εὖ bod) durchaus
falſch, daß biefelbe genügt, wenn man bie Vernunft bes
traditet , wie fie in der Wirklichkeit befehaffen if." — Im
fünften Vortrage ftellt fid) der Verf. die Aufgabe, birect
iu beweifen (€. 35), „daß Gott aud) mit einer von der
Stimme der tatur verfchiedenen Offenbarung zu dem Mens
ſchen gefproden" habe. Denn ©. 38 bemerft er treffend:
„daß das Menſchengeſchlecht feit feinem Urfprunge, zu
jeder Zeit und an allen Orten ſtets darin übereinfam, daß
es göttliche Offenbarungen annahm, die verfchieden waren
von benen, welche in bem großen Bude ber Natur glán»
imb verzeichnet fteben —." Diefe Thatſache ber allge
meinen Uebereinftimmung hat allerdings einen großen Werth
für unfere Meberzeugung von dem Dafein einer wahren
göttlichen Offenbarung. Jeder Srrtum ift gegründet auf
irgend eine Wahrheit, bie man mifbeutet, Alfo fagt
Boffuet. Wenn bemnad) viele faljde Offenbarungen, bie
fib für göttlide ausgeben, vorhanden find, fo muß εὖ
nothwendig aud) eine wahre "göttliche Dffenbarung geben,
weil fonft ohne biefe bie Menfhen nie auf den Einfall
gefommen, die falfchen Offenbarungen für wahre auszus
geben , nod) wäre jemand fo unbefonnen gewefen, daran
zu glauben, wenn nidt bereits ber Geiſt der Menſchen
eben durch bie Wahrheit von einer wirklichen göttlichen
488 Vaſſaglia,
Offenbarung dazu vorbereitet geweſen waͤre, ſich von den
falſchen Offenbarungen taͤuſchen zu laſſen.
Im ſechsten Vortrage ſucht der Verf. die Wahrheit
und Göttlichfeit des Chriſtenthums durch feine Wirkungen
darzuthun. Er geht (€. 44) von bem Grunbíage aus:
s Die Werke Gottes unterfcheiden ih unermeflid) von ben
Werken des Menſchen.“ Hat alfo Gott turd) Chriſtus
fi wirklich geoffenbart, „fo Können unb müffen wir als
ganz gewiß annehmen, daß bie Zeichen hievon Far und
vielfah in ben Wirkungen zu Tage treten werben." Das
leitende Prineip hierbei ift (E. 45): „daß bie Urſache der
Wirkung entfpredhen müffe;^ mithin ,fónne bie Urſache
mut übermenfhlih und göttlich fein, wenn bie Wirkung
uͤbermenſchlich umb göttlich if." Er betrachtet deßhalb
„die Welt vor dem Ehriftenthume in Bezug auf ihr Den⸗
Ten, ihre Wünfche, Sitten und Gefege, unb dann, nad-
bem fie Kriftlih geworben." Gut war e$ vom Berf,
daß er (S. 52) bemerkte, daß felbft Julian, obgleich ein
Feind und Abtrünmiger des Chriſtenthums, dennoch bit
ESittenreinheit der erſten Chriften belobt. — Unläugbar
war bie burd) das Chriſtenthum bewirkte fittliche Ums
-wandlung ein Geiftesiwunder, eine neue Schöpfung. Der
Berf. frágt (&. 53): „Woher εὖ denn fomme, bof
nicht Wenige in unferer Zeit das Ehriftenthum für eine
gegenwärtig nicht mehr ziemliche Einrichtung halten? Was
glauben wir, daß bie Duelle eines fo ungünftigen Urs
theiles fei? Vielleicht die größere Entwidlung der Ber
nunft, baé gereiftere Alter des Menfchengefchlechts ?“ Gewiß
nit. Denn ©. 54 fagt er: „Richt bem Berftande wer
ben wir fie zuſchreiben, fondern dem Herzen, nicht bem
vernünftigen Urtheile, fondern ber feiben[djaftfien Gin:
katholiſche Leßrborträge. 489
genommenheit.” Der Berf. findet bie Urſache hauptſaͤch⸗
lij darin: weil ba6 Chriſtenthum das Gefeg des Olaus
bens, welches „die Gelüfte des Geiſtes zuͤgelt unb ber
Unabhängigkeit im Denken Gdjranfen ſetzt,“ gebietet,
und außerdem mod) „die Abtödtung ber Sinne,“ welde
den Neigungen durchaus nicht gefällt, fordert. Diele
Urfahen finden allerdings Statt bei der Mehrzahl
ber Menfchen, bod) tritt bei den Gelehrten aud nod
eine andere Urfahe Hinzu, b. i. bie Falſchheit des
Standpunftes, den fie in ber Philofophie einnehmen.
Man glaubt vielfach, den monififchen Standpunkt bem
dualiftifchen, welcher bie wefentliche Verſchiedenheit ami»
ſchen Geift und Natur, fomie zwiſchen Gott und Welt
behauptet, vorziehen zu follem, deßhalb, weil man auf
dem moniftifchen Standpunkte die Schöpfung leichter unb
beſſer zu erklären und zu begreifen meint. Allein hält
man ben moniftifchen Standpunkt, nàmlid) ben ber Jm»
manenz in der Philofophie für ben wahren, fo muß man,
wie fid) von felbft verfteht, bie Mebernatürlichfeit ber po»
fitiven Offenbarung aufgeben, und bie Dogmen theils
ganz negiren, theils fie in einem anbern Sinne deuten,
als bie wahre Kirche fie auffaßt. Der moniftifhe Stand»
punkt der Tranfeendenz aber kann wohl mehr ein drift»
lies Golorit annehmen, jebod) nimmer ber Madel der
Inconfequenz entgehen. Denn, um nur Eines zu berühr
ten, ift der menſchliche Geift hier göttlichen Wefens, wie
fann da confequent πο eine Rede von bem Günben[alle
und fo von ber Nothwendigfeit der Erlöfung fein? —
Im flebenten Vortrag beweist ber Verf. die Wahrheit und
Göttlichfeit des Chriſtenthums burd) bie Mittel, melde
iu feiner Verbreitung in Anwendung gebracht wurden,
490 Baffaglia,
Er fügt feinen Beweis auf folgendes Princip (&. 55):
„In je größerem Mißverhäftniffe die Mittel zu bem
Zwecke ftehen, für befto ftärfer muß die Kraft und Macht
der handelnden Urfache gehalten iverbem." ©. 56: „Je
wngleider dieſes Verhältniß er[deint, defto mehr muß
das ganze Werf al über die Kraft der Natur hinaus⸗
sehend betrachtet werben." Deßhalb muß man fagen
(G. 56): „Das Werk des Chriftentyums gehe, in Anbes
tradjt ber zu beffen Durchführung angewendeten Mittel,
weit über die Natur hinaus, und gehöre einzig dem
Reiche der Wunder an." Denn, fährt ber Verf. fort
(&. 59), „die angewandten Mittel [affen fid) alle insge⸗
fammt auf ein einfaches, gewöhnliches, ungebilbete& Wort
zurüdführen, und zwar mitgetheilt von Menſchen, an
welchen Alles zu wünfeben übrig blieb." In biefem Bor
trage ift befonber bie bünbige Zufammenftellung der hiſto⸗
riſchen Seugniffe in Betreff ber Verbreitung des Ehriften-
thums, unb ber Hinderniffe derfelben beachtenswerth.
Im achten Vortrage zeigt ber Berf., daß bie Wuns
der und Weiffagungen wirklich den Werth eines Beweiſes
haben, und daß man mit Recht diefelben zur Bewährung
der Böttlichfeit des Chriſtenthums anführt (S. 70). Denn
dieß glaubte bie Menſchheit von jeher, ſowohl vor als
nad) Ehriftus (S. 72): „Bei den Heiden, Juden, Chriſten
unb SRufamebanern fand fid immer das gleiche Urtheil:
die Wunder unb Weiffagungen feien das Werk Gottes,
des hoͤchſten Herrn der Natur, und nicht des Menfchen,
der felbft ein Theil ber Schöpfung ift; rühren von Gott,
ber unendlichen Weisheit her, unb nicht vom Menfchen,
ber fogar für bie Gegenwart Furzfihtig if." In biefem
fBertrage findet fid) eine ſchoͤne originelle Bemerkung bed
katholiſche Lehrvortraͤge. 401
Berf. über den Unterfchied der Beweisführung für bie
Göttlihfeit des Chriftenthums in den verſchiedenen Zeits
perioden. Er fagt (€. 67 u. 68): „In den Evangelien
unb in ben Briefen der Apoftel fiet man allen und jeden
Beweis auf zwei Hauptpunfte zurüdgeführt: auf bie
Wunder, welche gewirft wurden, als auf eine göttliche
Stimme, bie im ‚vollften! Grade bie Macht befigt, bie
Geifter zu überzeugen, daß man Gott für ben hödhften
Urheber des Chriſtenthums anfehen müfle: und auf bie
Weiſſagungen und Prophezieen, welde- als vollgiltige
Zeichen gebraucht wurden, um zu beweifen, daß man nothe
wendig eine Lehre als himmliſch annehmen müffe, bie fo
viele Jahrhunderte vorher mit fo vielfach verſchiedenen
Farben vorgebildet, und burd) fo zahlreiche und überein»
fimmende Zeugniffe vorhergefagt war. Auf die Wunder,
bie er that, unb auf bie Weiffagungen, bie längft zum
Boraus feine Lehre angefünbet hatten, nahm der Stifter
des Chriſtenthums, Jeſus Chriftus, beftändig Berug; aus
den Wundern und aus den Prophezeiungen fhöpft er bes
ſtaͤndig den entſcheidendſten Grund für fein Stet, ſowohl
wann er von denen, bie ihn hörten, Glauben forderte,
als aud) wann er alle Sene tadelte und für ſchuldig er»
flárte, welche fid) weigerten, ihm Glauben zu leiften. In
ben Bußftapfen Jeſu hielten fid treu feine Apoſtel und
die erften Verfünder des Evangeliums. — Aber in ben
alten kirchlichen Schriftvenfmälern tritt uns ein viel größer
ver Aufwand von Beweifen vor Augen."
„Wohl ift e& wahr: aud) bie firchlihen Schriftfteller
wiederholen und bemugen früftig bie ben Wundern und
Weiffagungen entnommenen Beweiſe; aber e8 ift aud
wahr, ba fie mit ihnen viele andere verbinden, welde
403 Vaſſaglia
man vergebens in den Evangelien und in den Schriften
der Apoſtel ſuchen würde" ©. 69 u. 70: „Woraus
werben wir nun, der Wahrheit gemäß, biefen Unterſchied
der Beweisführung herleiten, deren fid) einerfeits Chriſtus
und die Apoftel, und anbernfeité bie Lehrer und Meifter
in ber Kirche bebienten? Man muß benfelben zweifels⸗
ohne aus ber Verſchiedenheit bez Zeiten herleiten. — In
feiner Kindheit fonnte bie Göttlichfeit des Chriſtenthums
febiglid) duch bie Wunder und Weiffagungen bewiefen
werben; aber in ben folgenden Entwidlungsfufen, in
feiner Jugend und in feinem männlichen Alter tragen zum
Nachweiſe diefer Göttlichfeit, gleich ben Blüthen und
Früchten (eines Baumes) aud) alle jene Zeichen bei,
deren fi die Vertheidiger beffelben fo ganz mit vollem
Rechte und mit Gewandtheit bebienten^ h.
1) Auch wir Hegen biefe infit , daß faft jedes Jahrhundert feine
eigentlichen Beweife für bie Wahrheit umb Göttlicheit ber dif
Offenbarung Hat, und ba bie Provivenz gerade jene Beweisarten (euge
miffe) im jeder Seitperiobe auftauchen Täßt, weiche eben bas Webirfnif
des Denlgeiſtes ber Menſchen zum Glauben erfordert. Dieß Bat auch
Ricolas in feinem berühmten unb geiftteichen apologetiſchen Werke : „Bru-
des philosopbiques sur le Christianisme.“ Paris, 1852, T. I. p. 348,
ausgefproden: „Ind6pendamment du développement, et de la pré-
cision ou ont été portées, de nos jours, toutes les sciences qui
étaient déjà en marche, des sciences toutes nouvelles ont surgi,
comme pour venir déposer en faveur de la parole de Dieu, à l'épo-
que précisément oü la foi se mourait dans tous les coeurs. Dans
ce nombre il faut compter, avant tout, la géologie, à la quelle nous
allons emprunter des témoignages dignes du plus vif intérét. Chose
admirable que cette variété et que cete proportion des preuves
dont se revét tour à tour la Religion, selon la diversité des phases
de l'esprit humain! Si le moyen-fge et les premiers siàcles de l'Eglise
avaient des preuves que nous n'avons pas; si le temps des miracles
οἱ des prodiges, de la sainieté des apótres, de la conversion de
Tatfolifje Lehrvortraͤge. 499
Im neunten Vortrage ſucht der Verf. „die Wahrheit
ber Wunder unb SBeiffagungen^ baburd) zu befräftigen,
daß er diefelben „als nothwendig anzunehmende Voraus⸗
ſetzungen“ Hinftellt und erweift, „und dann neuerdings
durch eine einzige Thatſache“ (b. i. die Vereitlung der
Wiederherftellung des Tempels zu Ierufalem burd Julian)
„ihre Gewißheit außer aller trage" ſetzt. (S. 81). Unter
die Greignifje, die man ohne Vorausfegung von Wundern
und Weiffagungen nicht erklären Fönne, zählt er folgende:
1. Die Bekehrung einer großen Zahl von Juden, von ben
Schriftgelehrten. 2. Die fittlihe Umwandlung des roͤmi⸗
fügen Reiches. 3. Die Belehrung der Länder außerhalb
Yanivers et du courage des martyrs, est passé, voici des preuves
toutes nouvelles. e$ non moins frappantes qui étonnent nos regards
et qui doivent satisfaire notre esprit, précisement par le cóté qui
lui convient le plus de nos jour, le cóté de la science et de l'exa-
men.“ — Es wollen zwar Manche aud in unfern Tagen nur ben
Bunders und Weiffogungsbewels angewendet wiflen, unb alle Bernunft-
Bere ausfegeiben, um nicht den Schein zu erweden, als fulbigten fie
einer vationalififchen Richtung. Allein Hat bie Wiſſenſchaft es Berause
geflelt, daß die Natur der Wahrheit ber pofitiven Offenbarung Seugnif
gibt, warum folite mun es alsdann ber Wiſſenſchaft vermehren, zu ber
weifen, daß auch ber Geif (bie Vernunft) berfelben Zeugniß gibt? Hält
nun unfere Zeit fo viel auf die Vernunfteinfiht, warum follte man bann
Feine Bernunftbeweife für die Dogmen führen, ba felbe bod) möglich find?
Anfelm fagt (Cur Deus homo 1. 1. c. 2.): „Negligentia mihi vide-
' tur, si postquam confirmati sumus in fide, non studemus, quod cre-
dimus, intelligere. Bleiben bemmadj aud) die Wunder umb Weiffagun«
gen immerhin ber Hauptbeweis: fo find bod) bie fBernunftbemeife für
die Dogmen nimmer überfläffig, ba fie ja eine Beflärkung im Glauben
erzeugen. Muguftin [ἀτείδε in f. 110 Briefe au Gonfentiut: „Wer
dahin gelangt ift, daß bie wahre Vernunft ijm das Veiſtandniß beffen
gibt, was er früher glaubte, ohne es zu verſtehen, befindet fid) bod) ger
wiß in einer befferen Sage, als derjenige, der noch das Verlangen trägt,
am verfichen, was er glaubt.“
494 . Spaffagita,
des römischen Reiches. 4, Die zahllofen Schaaren von
Zungfrauen, welche ben herrlichften Eheverbindungen ent»
fagten. 5. Der Sieg des Chriftenthums über das heid⸗
nifde Prieftertfum, und über den Trug der falfhen Phi—
Tofophie. 6. Die Ctanbbaftigfeit der Märtyrer. 7. Die
Civiliſtrung der barbarifhen Bölfer. — Wohl hätte ber
Berf. nad) diefem neunten S8ortrage den imanjigften. εἰπε
reihen koͤnnen: „die Auferſtehung des Gottmeníden."
Denn aud) der Glaube an die Gottheit Jeſu war nicht
móglid), wenn nicht das Wunder feiner Auferftehung ald
aweifellofe Thatfache vorauégefept wurde. — Treffend ift
in bem neunten Vortrage ber Nachweis der Glaubwür⸗
digkeit ber Thatfahe von der BVereitlung der Wiederhers
ftellung des Tempels zu Serufalem burd) Julian (S. 89),
fo mie bie philoſophiſche Kritif diefes Wunders. —
Im zehnten Vortrage beweift der Verf. aus ber
Goͤttlichkeit des Stifters vom Gfriftentjum, taf aud) Diefes
deßhalb göttlich fein müffe. Gr geht von bem Principe
aus: Man fann aud) von der Kenntniß der Urſache fif
Bahn breden zur Erfenntniß ber Wirfungen. Man fann
daher nicht bloß aus ben Mitteln und Wirfungen, fonbern
aud) aus der Urfahe — aus der Betrachtung des Urhe⸗
bers vom Chriſtenthum feinen göttlichen Urfprung nad:
weifen (€. 98). Denn if ber Stifter deſſelben göttlich
und himmliſch, fo muß das Gfriftentfum nothwendiget
Weiſe aud) göttlich und himmliſch fein. Er unterfucht zu
diefem Gnbjmed: Wer Chriſtus war? Die Antrort if
nad Sob. 1, 14: das fleijfjgemorbene Wort. — Er ift
daher nicht bloß Menſch, fonbern aud) Gott. Auch ald
Menſch ift er erhaben über das ganze Menfchengefchleht.
„Es erhöhen ihn über baffelbe fein Urfprung, feine Heir
katholiſche Lehrvorträge. 495
ligfeit und bie hehre Größe feiner Perſon“ (S. 100).
„Denn bie Perſon Chrifti ift eine, unb zwar eine göttliche“
(Θ. 102). —
Im eilften Vortrage betrachtet ber Verf. die Größe
Jeſu, infofern er Menfh war. Er erweift biefelbe aus
feiner erhabenen Abſicht, allen Menfchen Heil in bem Ber
reiche des Sittlichen und Religiöfen zu bringen (S. 106).
Er zeigt deßhalb, daß Chriſtus alle Heroen ber Menfchheit
weit übertrifft; denn fold einen nüßlihen und erfabe-
nen Rathſchluß findet man weder in ber Geſchichte, nod)
in ber Mythologie, nod) in ber Fabellehre. Er ift daher
„das edelfte Hochbild der Menſchheit“ (S. 115), unb ein
himmliſcher göttlicher Menſch. Schön ift in biefem Vor—⸗
trage befonders bief dargeftellt (S. 143 u. 114): warum
Chriſtus den großen Weltweifen Sofrates an ΠιΠ ες
Größe weit übertreffe.
Im zwölften Vortrage zeigt ber Verf, bafi bic Größe
Ehrifti nicht bloß in feiner erhabenen Abſicht beftehe, das
Heil in der religiöfen und fittlichen Beziehung der ganzen
Menſchheit zu bringen, fondern aud) in bem Werke ber
herrlichen Durchführung diefes edlen Rathſchluſſes (S. 118).
Den Anfang hiezu machte er mit ber Erleuchtung des
Berftandes, weil „das Wahre die Grundlage und bie
Gtüpe des Guten ig" (S. 119. „Deßhalb volführte
er zuerft das Amt eines allgemeinen Propheten." Er ift
auch der höchfte Prophet. Denn er war ein Freund,
Bertrauter Gottes, weil er ber eigene Sohn des Aller-
hoͤchſten ift: „er hat im Schooße des Vaters Alles ver»
nommen.“ — Bir fönnen nidjt umhin, hier eine Bemer⸗
fung beizufügen: Es befürchten heutzutage Einige, daß
Ehriftus als hoͤchſter Prophet negirt werde, wenn man
Stool. Quartalſchr. 1858. III. Heft. 33
496 Baffaglla,
‚ein fpeculatives Verſtaͤndniß der Dogmen anftrebt. Allein
dieß ift nicht und nimmer zu fürdten. Denn ber Glaube
bleibt ja immer die hoͤchſte Norm, wornach bie fpeculativen
Reconftructionen der Dogmen geprüft werden müffen, ob
fie wahr find ober nicht. Auch erkennt die wahre Philo⸗ |
fophie es felbft, daß die Auctorität Chrifti als göttliche
fiherer ift alà bie Auctorität des endlichen und nicht in-
falibfen Denfgeiftes. Die Vernunftbeweife für bie Do —
men find nur eine Beftätigung von bem (don gewiſſen |
Glauben, alfo gerade ein Seugnif für bie Wahrheit bof
Chriſtus eben ob feiner göttlichen Infallibilität ber höchfe
Prophet des Menſchengeſchlechtes if. — Im breigebnten
Bortrage geht der Verf. von dem Grundfage aus, daf
bem Menſchen theoretifhe oder fpeeulative Wahrheiten
nöthig find, „weil er mit Vernunft begabt ift, und ſonach
in bem höchften Theile feiner fefbft von ber Grfenntnif
des Wahren lebt,“ und daß er ebenfo aud) ber practifchen
Wahrheiten bebürfe, weil er frei ift, unb fid) felbftthätig
entwideln muß (S. 129). „If daher Chriſtus ber Prophet
ber Propheten, und wollte er mit feiner Lehre bie Men
ſchen in ber That neu umgeftalten; fo muß man nothe
wendiger Weife bie Ueberzeugung gewinnen, baf er be
felben ſowohl bie eine als bie andere Gattung von
Wahrheiten geoffenbaret, daß er nicht minder mit ben
fpeeulativen Wahrheiten erleuchtet, ald durch bie feſte
Richtſchnur ber practifhen zum Guten geleitet habe”
(S. 129 u. 130). Scharffinnig hat der Verf. hier be
merkt, daß bermalen bie natürliche Sittenlchre zur Gv
teihung ber Beflimmung nicht genüge. Denn man
fann nicht (agen, „es bebürfe feiner Seldftverläugnung,
bief alles werde durch bie Maͤßigkeit vollfommen und
tatholiſche Lehrvorträge. 497
reichlich erfegt." „Bei einer harmonifchen und wohlgeord⸗
neten Natur gelten die Gefebe des Gleichgewichtes, bie
Regeln der Mäßigfeit für notbmenbig unb vollfommen
hinreichend. Aber genügen biefe etma aud) für eine aus
der rechten Ordnung gerifjene unb verfehrte Natur? Sicher
reihen fie für eine [olde nicht bin" (S. 132). Aud wir
haben diefelbe Anficht in einer Broſchüre ἢ) ju beweifen
verfudjt, daß bie natürlihe Moral nicht ausreihe zur
Erfüllung ber Beftimmung nad bem falle des Urmen-
fen, und daß deßhalb eine pofitive Offenbarungsmoral
nothwendig fei. — Aber allerdings mußte Chriftus aud)
ſpeculative Wahrheiten (neue Glaubenslehren) offenbaren,
welde fid eben auf bie neuen Verhaͤltniſſe bezogen, in
bie Gott zu dem Menfchen durch bie That der Erlöfung
getreten.
Im vierzehnten Bortrage erhärtet ber Verf. baf Chriſtus
als allgemeiner Lehrer ber Welt ben Weg der Auctorität
und des Glaubens eingefhlagen habe (S. 142 — 146).
Denn bief bezeugen die Evangelien. Hierauf bemeift er
weiter, daß der Weg des Glaubens, der Auctorität nicht
bloß möglich, fondern aud) geziemend fei; daß er gefors
* bert ward, „durch bie richtigen Folgerungen, welche fid)
aus einer aufmerffamen Betrachtung ber fonftigen Hand⸗
Tungétoeife Gottes, aus vergleihenden Beobachtungen unb
aus der Erfahrung ergeben" (S. 148). 1. Der Weg
des Glaubens ift möglih. Denn, fagt der Verf. richtig,
if e ein Θείεθ des Geiftes, nad) der Vernunft fid) zu
richten, fo ift e& nicht minder ein demfelben Geifte inne»
wohnendes Gejeb, der erfannten Auctorität fid) zu fügen. —
1) „Die Nothwendigkeit der dicifil. Offenbarungsmoral und ifr phie
ſophiſcher Standpunkt.” Tübingen, 1850, S. 1-60.
83"
. 498 Baffaglia,
Iſt εὖ ein Gefeg des Beiftes, der Wiſſenſchaft fid) gefebrig
zu unterwerfen, fo ift es ebenfo ein Gefeh des Denkens,
bei bem Glauben fid) zu beruhigen" (G. 146). — 2. „Nicht
minder Mar und augenfheinlih muß aud das Gezie⸗
mende einer foldhen Erziehung eradhtet werden. Denn
wer ift denn Jeſus, ber allgemeine Lehrer des Menſchen⸗
geſchlechtes? Er ift das Wort Gottes, bie ewig erzeugte
Weisheit. Nun fagt, welche Art und Weiſe des Unterr-
richts geziemte fi für einen fo Doderfabenen Lehrer?
Etwa eine Art, wie fie den Menfchen eigen if, — ben
Philoſophen ? eine Belehrung burd) Vernunftſchluͤſſe. Nichts
weniger, als dies.” (6. 147). 3. Der Weg der Auctos
tität, des Glaubens war aber aud) burd) die Erfahrung
gerathen. „Sagt, was hatte man benn im Laufe von
dreißig Jahrhunderten durch bie Vernunft erreicht, und
durch bie Wiffenfhaft errungen? Einen Blid auf bie
Geſchichte der Philofophiel Was fehen wir ba? Wir
fehen ba, daß bie Gebnfudt des Sofrates, das feufzende
Verlangen des SBlato nad) einem Gefandten des Himmels,
der mit hoͤchſter Auctorität und Macht die Wahrheit ent»
huͤllen follte, — für ben Flarften 9fuébrud des Gefühle
erachtet werden muß, daß die SBernuft nicht genügt, umb
bie Wiffenfhaft der hohen unb ſchweren Aufgabe, bie
Menfchen bem fhmählichen Joche des Irrthums zu ent
reißen, keineswegs gewachſen fid) zeigt” (&. 149).
Das Mittel der Wiſſenſchaft war auch „ungeeignet
für die Wahrheiten, welche geoffenbart werben follten.
Denn εὖ gab darunter nit wenige, welde über ben
Blid der Vernunft erhaben waren. — Ungeeignet aber
außerdem für bie Menfchen, welden man jene Wahrheiten
offenbaren wollte" (S. 149). . Denn fle waren größten«
katholiſche Lehrvorträge. 499
theils nicht (eiit zu begreifen, bie meiften febr ſchwer zu
finden, unb bie Beweisführungen dafür nicht gemeinvers
ſtaͤndlich. Sie fordern eine höhere Bildung. Allein diefe
ift nicht allgemein, und wird aud) niemals allgemein erre
ſchend fein (S. 150). „Die allgemeine Unterweifung des
Menſcheng eſchlechtes kann daher mittelft ber Vernunft und
mittelft der Wiffenfhaft weder begonnen noch durchgeführt
werben” (S. 151). Es bleibt begfalb nur ber Weg des
Glaubens, der Auctorität als das allgemeine Mittel des
Unterrichtes für das Menfchengefhleht übrig. — Diefer
Vortrag ift vielleicht ber originellfte vor allen andern. —
Nicht viel minder ausgezeichnet ift aud) der folgende fünf»
zehnte Vortrag. Im biefem zeigt ber Berf. ba „der Weg,
um zur fihern Erkenntniß des Heiles und des Glaubens
zu gelangen, fteté der nämliche war und fein wird," unb
daß, „wie vom Anfange an das Hören, die Auctorität
und das unfehlbare Lehramt ald nothwendig galt; auch
bis zum legten Ende ber Tage das Hören, bie Auctorität
und das unfehlbare Lehramt nothwendig und feftbeftehend
fein werde" (5. 165). Der Weg der Auctorität ift bem
Chriſtenthume wefentlih. Sagt man aber dagegen, „daß
das Lefen und bie eigene Auslegung ber heil. Schriften“
(allein) „das von Jefus beftimmte Mittel fei, um zum
Beige der Wahrheit des Heiles zu gelangen," fo heißt
bief fo viel, als mit bem einhelligen Zeugniß der Kirchen⸗
väter in Widerfpruch fommen, und „die Einheit im Glau—⸗
ben“ (nod) fönnte hinzugefügt werben: unb ebenfo bie Voll⸗
ftánbigfeit im Glauben) „zur Unmöglichkeit machen" (©. 166).
Im fechszehnten Vortrage endlich beweift der Verf.
zum Schluffe nod, daß bie Fatholifche Kicche bie wahre
(bie vollfommene) fei, deßhalb weil fie bie Art und Weife
500 Baffaglia, katholiſche Schruorträge.
des Unterrichtes befigt, welche allein ber Kirche Chriſti,
des menſchgeworden Logos, geziemen fann, naͤhmlich: bie
Art des Unterrichtes burd) eine unfehldare Lehramtsauc-
torität, ba fle vom 81. Geifte geleitet wird. „Diefe Weife
allein," bemerkt der Verf. treffend, „ift geeignet, das ber
flánbige Wirken des Alerhöchften in der Kirche anſchaulich
zu machen“ (Θ. 178).
Wir hätten fonac die Grundgedanken des Verf. über
bie Apologetif fennen gelernt. Wir ftimmen benfelben
volfommen bei, und fónnen fie nur al6 tiefbegründete,
und für die Wiſſenſchaft als förberliche bezeichnen. — Was
bie nod) übrigen fünf Vorträge betrifft, welche einige von
unferer Zeit angefochtene Glaubenswahrheiten vertheidigen,
fo find fie gleichfalls lobenswerth. Beſonders bünft uns
unter denfelben der neunjefnte Vortrag (über das Gebot
der Beichte), meifterhaft bucchgeführt zu fein. Wir fónnen
biefe bogmati(den Eonferenzen bemnad) ben Geelforgern
mit Recht empfehlen, befonders folhen Predigern, welde
es viel mit gebildeten Ungläubigen zu thun haben, bei
welchen die durch Zweifelfucht zerftörten Grundlagen des
Glaubens neuerdings gelegt werben müffen. Diefe Vor⸗
träge haben befonders das Eigenthümliche, daß jeder ber»
felben fid auf ein Princip ftügt. Gibt man biefeó bem
Verf. zu, was man muß, weil feine Wahrheit evibent ift,
fo muß man hierauf aud) alle daraus gegogenen Folgerun⸗
gen augeftehen. Dadurch machen fle auf ben Verſtand
einen großen Cinbrud, um fo mehr, ba fle zugleich mit
hoher Begeifterung abgefaßt find. Wir Finnen deßhalb nicht
umhin, zuleht mod) unfern Dant gegen ben Ueberfeger
freundlichſt auszufprechen.
Zukrigl.
Bumiller u. Schufter, Leſebuch für kath. Volksſchulen. 501
8.
Sefebuch für katholifche Solhefdyulen. Bearbeltet von 3.
Sumiller und Dr. 3. Schufter. Erſte — fechfte Abthel⸗
lung. Freiburg im Breisgau. Herder'ſche Verlagsbuch-
handlung. 1852. Kl. 8. Erfte Abtheilung: 83 S., zweite:
108 ©,, dritte: 132 G., vierte: 132 G., fünfte: 167 G.,
fehle 129. Nebft Bemerkungen zu dem Gebrauche
des Leſebuchs für Fatholifche Volkeſchulen, bearbeitet von
3. Sumiller und Dr. 3. Sdjufter. Freiburg im Brels⸗
gau. Herder'ſche SMerlagébudjfanbfung. 1852. ©. 108.
Preis des Ganzen 1 fl. 30 fr.
Einem Lefebuh fann unbedingt diefelbe SBebeutung
für den Bolfsunterriht überhaupt zugefprochen werben,
ie bem Katehismus für den Religionsunterriht. Wie
t6 aber in ber Sache des Katechismus längere Zeit nicht
fehr erfreulich ausfah, ebenfo finden wir e8 auch hinſicht⸗
lid eines Lefebuches für Fatholifche Volksſchulen. Die
Katehismus-Angelegenheit hat ſich aber in ber Ieptern
Zeit in ben meiften deutſchen Diöcefen entſchieden zum
Beflern gewendet; daſſelbe läßt fid) weniger von den efe»
büchern in ben Volksſchulen ſagen. Es hat zwar in ber
legtern Zeit nicht an Verſuchen gefehlt, an bie Stelle ber
bisher gebrauchten theild ungenügenben theild durchaus
ungwedmäßigen Lefebücher in ben Fatholifhen Schulen
beſſere zu bringen, aber biefe Verſuche wollten bisher nicht
gelingen ; wenigftens hat fij Keines unter bem Chaos
von Schulbüchern zu einem ſolchen Anfehen emporzuſchwin⸗
gen gewußt, daß es bie Andern zu verbrängen vermocht
hätte. Das von Rendtſchmidt, das nicht zu verken⸗
502 Bumiller und Schuſter,
nende Vorzüge hat, nahm eine Zeit lang einen tüchtigen
Anlauf, fat es aber bod) nicht weit über Schleſten bin»
ausgebracht. Die meiften 9Inbern blieben auf einen mehr
Ober weniger engen Kreis befhränft, wenn ihnen nicht
etwa eine Oberfhulbehörde aus befonderer Gunft einen
weitern Wirkungsfreis anwies.
Es gebricht barum unmiderfprechlih an einem Fathor
liſchen Volksſchule⸗-Leſebuch, das billigen Anforderungen
entfpriht, unb bem Schulunterrichte in feinen nothwenbigen
Klaffenabftufungen ohne Bedenken zu Grunde gelegt were
ben Fönnte. Ein jeder aud) irgendwie glüdliche SBerfud)
in biefem Felde muß willfommen fein, bis ein Werk fif
Bahn bridjt unb bie Zuftimmung eines fo großen Theile
der Schulmänner findet, daß εὖ in ganzen Ländern als
obligates Schulbuch eingeführt werden fann. Letzteres wirb
freitih um fo (derer fein, je weiter bie Anforderungen
gerade ber Fachmaͤnner an fragliches Schulbuch auseinan«
bergefen. Ob das Sefebud) für katholiſche Volksſchulen,
das wit eben einer furgen SBefpredjung zu unterftellen im
Begriffe find, jenen durchgreifenden Erfolg haben werde,
Táft fid) nad) den bißherigen febr günftigen Beurtheilungen,
bie e8 innerhalb kurzer Zeit in nicht geringer Anzahl ger
funben, vermuthen. Sollte εὖ aber biefe& Glüdes, das
es unfers Erachtens feinem Werthe und Gehalte nad) in
der That verdienen würde, durch mas immer für eine
Ungunft nicht theilhaftig werden, fo wird ihm bod) das
Verdienft nicht ftreitig gemacht werden fónnen, bie Löfung
der Aufgabe hinſichtlich des Vollsſchul⸗Leſebuchs nambaft
gefördert und ;feinem Ziele um ein Bedeutendes näher
gerüdt zu haben.
Die SBerfaffer gingen von einer durchaus richtigen
Leſebuch für katholiſche Volksſchulen. 503
Anfiht aus, wenn fie glaubten, es follte den Kindern
während ihrer Schuljahre nidjt ein buntes Durcheinander
von Lefebüchern in bie Hände gegeben werben, von denen
Keines weder in Beziehung auf Inhalt, nod) in Beziehung
auf Form in einem genau berechneten Verhältniffe zum
Andern fteht. Sie wollten barum nicht ein gefebud) lies
fern, das blos für bie höhern Schulklaſſen ben nöthigen
Leſeſtoff enthielte, fondern ein Gdjulbud), das von bem
erften Jahre des Schulbefuches bis zu bem legten ale
Unterlage des Leſe⸗ und Sprachunterrichtes dienen fónnte.
Diefem gemäß fonnten fie eine fletige Fortentwicklung im
Ausdrud und in fpradlider Darftellung im Verhältnig
zu der Weiterbildung des Kindes genau einhalten, und
nad bem Alter, bem Berürfniffe unb den Fähigkeiten den
Lefeftoff auswählen. Ein ſolches wie aus Einem Guffe
hervorgegangenes, in Hinficht auf fpradjide Darftellung
und Stoffauswahl für bie aufeinanderfolgenden Schuljahre
genau beredjneteó Schulleſebuch ift in didaftifcher Beziehung
einem Gonglomerat von Lehrmitteln, bie den Kindern in
bie Hand gegeben werben, und bie bald aus diefen, bald
aus jenen Büchleins beftehen, oftmals wie fie gerade ber
Zufall zufammenwürfelt, gewiß weit vorzuziehen. Durch
bie für die Bildung eines jeden Schuljahres entfpredjenbe
ſprachliche Darftellung, von dem einfaden Sage für das
exfte Jahr bis zu bem zufammengefegten Sage und Satz⸗
gefüge u. f. w. für bie fpätern Schuljahre fortſchreitend,
bildet εὖ einen ganz zwedmäßigen Anhaltspunkt, ben Sprach⸗
unterricht mit ben gefeübungen in ber Schule zu verbin⸗
ben, was aud) in der Abficht ber Verf. liegt und als ber
allein vernünftige Sprachunterricht in den Elementarfchulen
angefehen werden fann.
504 Bumiller und Schuſter,
Auch darin ſcheinen die Verf. dem Referenten von
der richtigen Anſicht geleitet worden zu ſein, daß ſie ſich
bei der Stoffauswahl nicht an abftrafte theoretiſche Grund⸗
fäge hielten, ſondern immer bie geiſtige Entwicklung und
bie geiftigen SBebürfniffe der Kinder ber jeweiligen Alters
flafie auf den Grund von gemachten Erfahrungen berüd,
ſichtigten. Sie haben daher nidt für ben niebrigften
Jahrescurs etwa blos eine Furze Lehre von Gott (Gott
büdjlein), für ben zweiten unb britten nicht etwa blos
Geſchichtchen (bie verfehiedenen Geſchichtsbüͤchlein) aufge
nommen, und für bie fpäteren Jahre ben Stoff nidt
abgetheilt nach fyftematifhen Rubriten wie Gieelenlefre,
Naturlehre, Himmelsfunde ıc., fondern fie haben für bie
Jahrescurfe nebeneinander dasjenige ausgewählt, was ges
tabe für Weiterbildung der Kinder, ihre Bebürfniffe und Faſ⸗
fungsfräfte paffenb ſchien. Damit Fönnen fie den weitern
Bed. erreichen, den fie fid) votgeftedt haben, daß nämlich
„das Schulbudy dem Schüler ein liebes Bud) wird, das
ex in freien Augenbliden mit Luft ergreift, liest und wieder
liest, fo daß er baffebe endlich beinahe auswendig Tann,
‚und das Gelernte in Fleiſch und Blut übergeht. Nur fo,
fagen bie Verf., erreichen wir unfer Ziel, das ber Wahl
fprud) bezeichnet: wir lernen nidjt für bie Schule, fondern
für das Leben. Nur fo wird das Buch ein Vademecum
für bie Lebenszeit des Schülers, wozu wir ed machen
wollten, indem wir das Nügliche mit bem Angenehmen zu
verbinden beftrebt waren.”
Das gefebud) liegt nad) feiner gegenwärtigen Geftalt
in ſechs Abtheilungen vor und. Die erften vier find auf
bie vier erfen Jahrescurſe der Elementarſchule berechnet,
bie zwei leßtern, von denen Eine ausſchließlich ber Ges
Leſebuch für katholiſche Volksſchulen. 505
ſchichte gewidmet iſt, auf die letzten Schuljahre. Jede Ab⸗
theilung bildet fuͤr ſich ein Ganzes und kann als ſolches
den Kindern, je nachdem fte εὖ brauchen, in die Hände
gegeben werben.
Die erſte Abtheilung, welche dem Kinde bei feinem
erfjährigen Unterrichte in die Hand gegeben unb zur
Grundlage des Schreib» unb Lefeunterrichts gemacht werben
fll, geht von ben einfachften Vorübungen zum Schreiben
und ber Lautlehre fort bis zu Lefeftüden in ber einfachften
Redeform und von folhem Inhalte, wie er für Kinder
jenes Alters Tehrreich "unb zugleich angiefenb ift. Da ber
Säreiblefeunterricht in unfern Schulen fo einheimifch ge»
worden ift, daß ein vom Schreibunterrichte abgefonderter
fefeunterrid)t felten mehr üblich ift, und ba jene Unter»
richtsmethode entfchiedene Vorzüge vor ber [egtern hat, fo
haben bie Verf. mit Recht das Lefebüchlein für bie erfte
Kaffe für ben Schreiblefeunterricht eingerichtet. Der Gang
des Refebuches für ben genannten Unterricht muß als febr
grünblid) unb methodiſch bezeichnet werden. Eben wegen
der Grünblidfeit fehreitet er etwas Iangfam vorwärts,
wobei er freilich des Zieles um fo fiherer ift. Dem Ref.
hat bei der fraglichen Unterrihtsmethode immer ber Ums
fand einige Bedenken gemacht, daß man fid) fo [ange bei
ben bloßen Buchftabenzeihen aufhalten muß und nad)
Wochen ετῇ einige Buchftabenzufammenfegungen vornehmen
fann, und erft nad) Verlauf von faft einem halben Jahre
durch alle SBudjftaben fihreibend und lefenb fid) hindurch
gewunden hat unb in ber Regel erft nad) Verfluß von,
diefer Zeit finnbezeichnende Worte oder einfache Säge leſen
, laffen fann. Wenn der Lehrer nicht viel Lebendigkeit und
Intereſſe zeigt, fo tritt leicht bie Gefahr ein, baf bie tin«
506 Bumiller und Schufter,
ber ermüben und bie Eltern zu Haufe unbefriedigt find,
da fie bie Früchte des Schulbefuhes im Saplefen bälder
finden möchten, nichts davon zu fagen, bag bei bem
Schreiblefeunterricht in ber Regel zu Haufe wenig ober
gar nicht nadjgefolfen werden kann. Nach bem einfeitigen
Lefeunterrichte, fel e8 nad) ber Lautir» oder Buchſtabir⸗
methode, kommen bie Kinder viel bälder zum Wort» unb
Saplefen. Freilich tritt dann ein Stillſtand ein, wenn
nod der Schreibunterriht nachgeholt werben foll, der in
diefem Galle gewöhnlih nur ein gang mechaniſcher ift,
während bei dem Schreiblefeunterrichte, wenn bie erften
Schwierigkeiten überwunden find, bie Fortſchritte im Lefen
und Schreiben febr raſch und in bie Augen fallend find.
Ref. ift für Beibehaltung des Schreiblefeunterrihts, hätte
aber gewünfcht, daß ber Gang etwas raſcher und abge
fürzter wäre, denn es bünft ihm bod) etwas zu viel deut
ffe Gründlicgfeit, wenn Kinder im erften Halbjahre des
Schulbeſuches nur zur fenntnif der fleinen Buchftaben
und zum Lefen abgeriffener Worte ohne alle Sapverbins
bung fommen. Es follten meines Erachtens wenigftens
ſchon früher, fo bald den Kindern ein größerer Theil von
Buchftaben befannt ift, Heine Säge für bie Leſeübungen
aufgenommen fein, anftatt der aneinanbergereihten unver
bundenen Worte, deren Ablefen die Kinder fehr ermübet
und am Ende aud) febr langweilt. Hiemit wollen wir
dem Leſebüchlein, defien wohldurchdachten, gründlichen unb
methodifhen Gang wir gerne anerkennen, nicht zu nahe
„treten; τοῖν wollen nur auf bie ſchwache Seite diefer Mer
thode an fid) hinmeifen, unb unfere Meinung dahin auss
fpreden, daß das in der Methode naturgemäß liegende
Tangfame Vorwärtsfchreiten im Lefen nicht burd) eine
Leſebuch für Eatholifche Volkoſchulen. 507
Gründlickeit in ber Handhabung ber Methode erhöht
werben möchte, welche zwar anerfennenswerth ift, aber viel-
fad) nicht anerfannt werden wird. Die Behandlung ber
Methode zeugt übrigens von einem nicht blos Außerlichen,
fondern tief eingehenden S8erftünbniffe unb einer ſichern
Verfolgung und Handhabung berjelben. Bon großem
Werthe find bie Bemerkungen zu ber erften Abtheilung
des Lefebuches; diefelben Fönnen für jeben Schulfehrer,
der ſich an biefe Unterrichtsmethode hält, von febr großem
infteuftivem Nugen fein. Die Lefeftüde, welde (5. 50—83
für bie bezeichnete erfte (affe aufgenommen find, finden
wir ſehr gut. Sie find durhaus ber Erfahrung, Ans
ſchauung und, dem SBebürfniffe ber Kinder dieſes Alters
angepaßt. Sie dienen theils zu beffen Belehrung, theils
au beffen Anregung, tfeiló zu beffen Grbeiterung. Die
Sapform ift einfad) und durchaus der Bildung und δα
fungsfraft der Kinder entſprechend. Die erften Lefeftüde
enthalten lauter reine einfache Säge, welche fid) aber all
mählig erweitern. Die Stüde in gebunbener 9tebemeife
werben den Kindern willfommen fein, und eignen fid) ber
fonders zum Memoriren.
Die zweite Abtheilung unfers Leſebuches, für die
zweite Schulflaffe.beftimmt, enthält auf 108 Seiten und
in 112 2efeftüden größere und kleinere Befchreibungen
(aus der Naturgefhichte u. f. vo.) Erzählungen, Lieder,
Sprüche, Fabeln und Märchen. Obgleich biefe Lefeftüde
nicht nad) ihrem Inhalte rubricirt find, fondern ganz unter»
einander gemiſcht erfheinen, fo waren bod) bie Verf. bei
ihrer Auswahl von beftimmten Grundfägen geleitet, melde
in ben Bemerkungen ©. 37 fig. angegeben find. Eine
bedeutende Anzahl der gebrftüde foll die Kinder auf Gott
508 Bumiller und Schuſter,
hinleiten, und ihnen denſelben als Schoͤpfer und Erhalter
der Welt, als allgegenwärtig unb allwiſſend, als Freund ber
Kinder u. f. f. zeigen. Andere efeftüde zeigen ben fin.
bern, was fie ihren Eltern verbanfen, und wie fie fih
gegen biefelben zu benehmen haben; wieder Andere halten
ihnen die Gebreden des Kindesalters unb bie entgegen:
geſetzten guten Eigenſchaften beffelben vor Augen, belehren
fie über die Strafwürdigfeit der Thierquälerei, des Dich
ſtahls, der Lüge, verweifen fie auf die Stimme des Gr
wiſſens u. berg. G8 wird gewiß Jedermann mit bem
Stoffgebiete, welches in diefer Abtheilung Berüdfichtigung
fand, zufrieden und aus pädagogifchen Gründen ganz mit
ben Verf. einverftanden fein, wenn fte tje Lefeftüde in
bem Büchlein nit nad dem Stoffgebiete, bem fle ent
nommen find, zufammenorbneten.
Die formelle Behandlung des Lefeftoffs finden wir
der Bildungsftufe der betreffenden Altersflafje ganz ent
fpredjenb. Es Haben ziemlich viele gefeftüde in poetiſcher
form Aufnahme gefunden, weil, wie bie Bemerkungen
6. 37 mit Recht fagen, die Natur des Kindes in dieſer
Periode vorwiegend eine poetifche ift. Sonft ift bie Sprade
ganz εἰπία und finblid), bie Verbindungsmwörter, patti
fein u. f. f; find nod) wenig gebraucht.
Die Bemerkungen zu diefer Abtheilung find ben Leh⸗
tern febr zu empfehlen, insbefondere was ©. 53 ffg. über
den grammatifalijden Unterricht (Sprachlehre) in ber Ele
mentarſchule gefagt if. Die Befolgung der hier gegebenen
Winke würde Kindern unb Lehrern mandje Quaͤlereien
und unnüge Zeitvergeubungen erfparen.
In der dritten Abtheilung des Leſebuchs ift das eigents
lid) veligiöfe Gebiet wenig berückſichtigt worben, weil mar
Leſebuch für katholiſche Volksſchulen. 509
für biefe Alteröflaffe faft überall eine bibliſche Geſchichte
als zweites Leſebuch beigieht. Die gefeftüde, meiftens Er-
zaͤhlungen und Befchreibungen aus ber Naturgefchichte,
feinen dem Referenten durchaus gut unb zwedmäßig
ausgewählt. Auch bier Fann id nicht umbin, auf bie
Bemerkungen zu biefer Abtheilung ©. 62 fig. aufmerf(am
ju maden. 3d bin ganz mit bem Verf. einverftanden,
wenn berfelbe bie von ben Lehrern fo fehr vernachläffigte
Reproduktion des Gelefenen für bie befte Sprachuͤbung
erHlärt, und wiederholt darauf hinweist, daß den Kindern
das Verſtaͤndniß des Gelefenen zu erſchließen fei und daß
ihnen die Sprachformen, Wortflaflen u. f. w. an ber Hand
des Gelefenen nad) und nad) zum Bewußtfein zu bringen
feien, und wie dieſes zu geſchehen habe.
Die vierte Abteilung , die bem vierten Schuljahre
zufällt, enthält einige veligiöfe Lieder und Erzählungen,
einige Fabeln, einige Räthfel, Beſchreibungen aus ber
Naturgefhichte. Die Verf. waren von einem richtigen
Tafte geleitet, wenn fie in ben erflen Abtheilungen ber
Anfhauung der Kinder naheliegende Raturgegenftände,
Shiere und Pflanzen beſchrieben, jegt aber den Schüler
in ben Mittheilungen aus der Naturfunde etwas mehr in
die Ferne führen. — Auch mit biefer Stoffauswahl und
mit der Sprach- unb Darftellungsweife fónnen wir uns
vollftändig zufrieden erflären. Das Räthfel S.20 „Tabak“
erſcheint für Kinder nicht recht geeignet. Die Bemerkungen
für ben Sprachunterricht in biefer Abtheilung find aud)
{εὖτ beachtenswerth.
An die genannten vier Abtheilungen fließt fid) eine
fünfte an, welche als 2efemittel für die weitern Schul«
Hoffen dienen foll. Diefe if aber nicht fo ausgedehnt,
510 Bumiller und Schuſter,
wie εὖ bie Leſebuͤcher fuͤr dieſe Klaſſe gewöhnlich zu fein
pflegen. Sie enthaͤlt uͤbrigens doch auf einem Raume
von 167 Seiten einen ſehr reichhaltigen, mit kluger Be
tehnung und erfahrungsmäßiger Umfiht ausgewählten
Stof. Mit 9tedt nehmen die Verf. an, daß ein großer
Theil unferer Schulen nicht fo beftellt ift, daß jede Ab
theilung ihres Lefebuches Jahr für Jahr vollfändig ev
lebigt werden fónnte, unb fomit nod 3—4 Jahre be
fünften Abtheilung zufielen. Es wird nicht felten ber Fall
fein, daß in Schulen, insbefondere wenn man nod) die
biblifde Geſchichte und etwa ein Gefangbud) zu ben Lee
übungen benüßt, bie erflen vier Abtheilungen für fede
Schuljahre ausreichen. Für biefen Fall enthalten die fünf
Adtheilungen unferes Lefebuches Material genug; unb hat
ein Kind Alles, was darin vorkommt, in fid) aufgenom-
men, fo befigt e unftreitig eine für das gewöhnliche Leben
weitaus ausreichende Bildung. Ein weiterer Umfang det
Refebuches wäre für folche Schulen nur flärend und hin
bernb. Dagegen haben die Verf. auf diejenigen Schulen
Rüdfiht genommen, welche Zeit und Bebürfniß für einen
größern Umfang des Lefematerials haben. Diefes geídjiebt
burd) eigene Abtheilungen für bie fogenannten realiſtiſchen
Bücher, unter denen eine der Geſchichte, eine ber mathes
matifchen Geographie (Naturlehre, Himmelskunde), eine
ber Naturgefhichte zufällt; bie erſte biefer Abtheilungen,
bie Gefdidte, ift bereitó bem Lefebuch beigefügt, bie an»
dern zwei Abtheilungen find nod) ju erwarten. Ref. billigt
dieſes Verfahren vollftändig; denn bie ganbídjulen haben
weber bie Zeit nod) bie Aufgabe, wie fle gut organifirte
Stadtſchulen haben, deßhalb muß auch in bem widtigiten
Unterrichtsmittel, in bem Leſebuch, ein. Unterfchied fein.
Leſebuch Für. datholiſche Volkeſchulen. 51
Auf paffenbere Weife [àft fid) diefes wohl nicht bewerk⸗
ftelligen, als es von den Verf. des Leſebuchs gefchehen if.
Die weitere Abtheilung Aber Geſchichte fann in manden
Schulen nod) beigegogen werden, in denen man aber bie
mathematifhe Geographie und Naturgefhichte in specie
leicht entbehren fann, um fo mehr, ba das Nothwendigſte
aus biefen Wiflenszweigen in ben vorauégefenben Abtheis
lungen namentlich in der fünften aufgenommen ift.
Sn der Abtheilung für Geſchichte ift wohl der rechte
Weg in der Behandlung biefer Materie für ein Schuls
lefebud) eingefchlagen worden. Wollte man eine Gfüge
der gangen Weltgeſchichte geben, fo müßte biefe fo troden
und widerlich erfcheinen, daß man feinen Zwed in ber
Schule ganz verfehlte. Dagegen hat das gefebud) mit
Recht binfidtlid ber alten Völker je eine hervorſtechende
SBerfónlidjfeit ober Begebenheit hervorgehoben unb daran
Furz die Gefdichte des ganzen Volkes gefnüpft in einer
belebten und anfdauliden Sprache. Bon ben Zeiten nach
Chriſtus if in der Regel je in einem Jahrhundert bie
wichtigfte Berfon ober Begebenheit herausgegriffen und
das Andere auf der Seite gelafien worden, was bei bem
engbegrengten Raume, ipie er einem gefebud) jugemeffen
ifi, nicht wohl anders fein fann. Darüber hat fid) Stef.
^ gewundert, daß über bie Kirhentrennung im ſechszehnten
Jahrhunderte, bie auf der enigegefegten Seite fo febr zu
unferm 8Radjtbeile ausgebeutet wird, nicht mehr, unb von
dem Concil von Trient gar nichts gefagt if. Auch von
dem adıtzehnten Jahrhundert bis zur Hinrichtung Lub-
wigs XVI. ift nichts erwähnt.
Betrachten wir vorliegendes Leſebuch für katholiſche
Volloſchulen, fo finden wir es feiner ganzen Anlage nad)
«Sie. Duartaligrift. 4868. III. Gef. 34
$12 Bumiller und Giufter,
feinem Zwede volllommen entſprechend. Auch bie Ausfuͤh⸗
‚zung ift mad) Inhalt unb form als eine gelungene pu
bezeichnen. Es ift wohl bei einem Giegenftanbe, wie ber
fragliche ift, nicht leicht anzunehmen, daß bie Forderungen
unb Wünfche Aller in gleicher Weife befriedigt fein wer⸗
den, wenn ein gefebud) an fid) aud) nod fo gut if. Auch
unfer gefebud) fann wohl nicht bie Anfichten Aller getroffen
haben, unb mag im Einzelnen manche Ausftellungen ec»
leiden. Begibt man fid) aber feiner eigenen vielleicht nicht
gut begründeten perfönlichen Wuͤnſche und Anfihten, unb
ftellt man fid auf einen objektiven Standpunkt, welder
qut richtigen Beurtheilung eines folhen Buches unum⸗
günglid) nothwendig ik, und liest man mit Bedacht bie
Bemerkungen, welche zur Rechtfertigung begiehungsweife
Orientirung über das gewählte Material und bie Sprach⸗
form dienen, fo wird man bie Tüchtigkeit und Zweckmaͤßig⸗
feit dieſes Lefebuches nicht in Abrede ftellen Fönnen. Ref.
wenigftens nimmt feinen Anftand zu behaupten, baf am
bet Hand dieſes Lefebuches gewiß eine erfprießlichere Schul»
bildung erzielt werde als burd) Benägung irgend anderer
bisher vorhandener Schulleſebuͤcher. Derfelbe macht neben
dem Vielen, was bisher [don zu beffem Gunften gefagt
wurde, nod) auf ben Umftand aufmerkſam, daß baffelbe
in allen feinen Abtheilungen, ohne daß εὖ im entferntefen
gefünftelt oder gefucht erfcheint, wie es in derartigen Bi»
Gern nicht felten ber Sall ift, auf bie Erziehung einer
durchgaͤngigen chriſtlichen Anſchauung des Lebens und aller
Erfcheinungen ausgeht. Diefes Streben tritt wie im
Ganzen fo aud in den einzelnen Leſeſtücken wohlthuend
hervor. Sodann hat jeder Schullehrer in den Bemer⸗
ungen zu biefem Lefebuche einen Gommentaz, ber von ber
Leſebuch für fatfolifije Volksfegulen, 513
gediegenen Bildung und befonnenen Beobachtung eines
durhaus gewandten Schulmanns zeugt, und daher jedem
Lehrer bei ber Benügung des Leſebuches die trefflichſten
Dienfte zu leiſten im Stande ift.
Diefem gemäß ftehen wir nidjt an, unfern Wunſch
dahin auszufprechen, es möchten bie Oberbehörden unferer
Säulen diefem Buche ihre Aufmerkfamfeit zuwenden, und
daſſelbe ftatt der bisherigen in fo ungeregelter Weiſe ge^
brauchten Lefebücher in ben Schulen einführen. Nach ben
bisher gemachten Erfahrungen auf fatboli(der und protes
Rantifcher Seite ift es zweifelhaft, ob je einmal die Ar»
beit eines gewählten officiófen Ausfhufles gelingen werde.
Gelingt εὖ aber, fo ift fehr zu befürchten, daß man auf
biefem Wege bidleibige Bücher befomme, deren Anfhaffung
ſehr Foftfpielig und deren Gebraud in vielen Schulen
nicht möglich if. Das Lefebud von Bumiller und Schufter
vereinigt fo viele Vorzüge, daß die Schulbildung durch
Einführung beffeben nur gewinnen fónnte.
Man hat vielleiht Bedenken wegen des Koftenpunftes.
Mein abgefehen davon, daß bie einzelnen Abtheilungen
Hein find, unb bei großer Verbreitung fehr wohlfeil wer⸗
den fónnten, find die Lefemittel gegenwärtig aud) nicht gat
fo wohlfeil, ba ein Kind während feines Schulfurfes im»
merhin 3, 4 bis 5 Stüge von Lefebüchern (Handfibel oder
Gottbüdhlein, Spruchbuͤchlein, Geſchichtbuͤchlein, eigentliches
Refebuch) anſchaffen muß, unb jedenfalls ein neuzufertigendes
Leſebuch, das fi auf alle Schulflaffen erfiredt, gewiß
nicht wohlfeilee werden wird.
Dr. Bendel, Convictsdirektor.,
34*
514 Probſt,
4.
1. derwaltung der hochheiligen Euchariſtie von Serdinand
Probſt, Prieſter und Doctor ber Theologie. Mit Appro=
batton ber hochw. Biſchoͤflichen und Exzbtfhäfigien Ordi⸗
natlate Rottenburg unb Freiburg. Tübingen 1858, Verlag
der Laupp'ſchen Buchhandlung. — Raupp & Giebel. —
©. 718. Pr. 3 fi. 48 fr.
2. Institutiones Liturgicae, quas ad usum seminarii Romeni
digessit J. Fornici, Canonicus, ab apostolicis caeremoniis
magister, s. congregationis indulgentiarum et Ss. reliquiarum.
consultor, nec non in dicto Rom. seminario s. liturgiae.
professor. Editio nova, cui plurimae accesserunt notae
ex probatis auctoribus desumptse. Moguntiae, sumptibus
Kirchhemii et Schotti. 1852. — ©. 403. pr. 1 fl. 45 fr.
1. Bon ben angeführten Schriften hat bie Eine den
Gejammtumfang der Liturgif, die Andere nur einen ein»
zelnen Zweig derſelben zu ihrem Gegenftanbe. Beide
fónnen wir aber um fo mehr willfommen heißen, als
gerade dieſes Gebiet ber Fatholifhen Theologie, bie itur»
gif nämlich in neuerer Zeit nur fpärlih angebaut wurde. —
Dr. Propft hat ben wichtigften Punct aus berfelben her»
auégefoben und ihm eine einláffidje und allfeitige Dar»
ſtellung gewidmet. Er hat feiner Ausführung mit vollem
Stedjte bie Rubriken des Miſſale zu Grunde gelegt, babet
fid) aber weit mehr Freiheit erlaubt, und mehr Geſchmack
unb praftifhen Sinn bemiefen, als Bearbeiter ber ges
nannten Rubrifen vor ihm, wie Gavantus, Bauldry,
Quarti u. 9. Indem er nit bloß eine hiſtoriſche oder
Verwaltung ber hochhl. Gudjariftle. 515
myftiſche ober buchftäbliche ober ethiſche Auslegung der
Rubrifen barbieten, fondern bem Seelforger ein bei ber
Verwaltung der Euchariſtie unmittelbar nugbares Bud)
in die Hand geben wollte, mußte er mit Vermeidung ber
in ben Werfen ber Rubriciften nicht felten vorfommenden
Spigfindigkeiten und Kleinlichkeiten immer unmittelbar
auf feinen practifhen Zwed losgehen. Er mußte aud,
um die Verwaltung ber Euchariſtie volftändig und nad)
allen Seiten hin zu beſchreiben, Manches aufnehmen, was
fi in ben Rubrifen nicht findet. Der Verf. verdient
gewiß bie volle Billigung, wenn er dem Seelforger nicht
blog für bie Darbringung des Mefopfers fondern aud)
für bie Austheilung und bie 9[boration der heiligen Gudja«
riſtie bie kirchlichen Vorſchriften auseinanderfept.
Je bedeutungsvoller der euchariſtiſche Cult nad) feiner
dreifachen Beziehung in der katholiſchen Kirche iſt, deſto
größeres Gewicht ift darauf zu legen, daß derſelbe bis
ins Einzelnſte und ſcheinbar Unbedeutendfte mit genauer
Beobachtung der Firhlihen Normen und Vorfäriften von
Men und jedem Einzelnen gefeiert werde. Man hat
daher Unrecht, menn man glaubt, es fomme nicht viel
darauf an, ob man e8 bei ber Darbringung des hi. Meß⸗
Opfers in Dingen, bie man nicht für mefentlih in Bezug
auf ben Opfereult anfehen zu müfjen glaubt, fo ober an«
ders made, und man handelt ohne Widerrede fündhaft,
wenn man fid) über bie Rubrifen als etwas nur nad) Belie⸗
ben Bindendes Teichtfertig hinwegfegt ober fie gar veradjtet.
Eine große moͤglichſt erreichbare Einheit in ber äußern
Verwaltung der Euchariſtie trägt entfhieden viel zur
würbevollen und erhabenen Feier derfelben bei, unb ſchuͤtt
den celebrirenden Priefter vor einem nachlaͤſſigen Schlen—
316 Brodft,
drian, ohne ifm nothwendig einem Mechaniomus anheim-
gugeben. —
Ge fehlt zwar nicht an Werfen Altern theilweife auch
neuern Datums, welche durch Erklärung der Normen und
Vorſchriften für die Beier ber heiligen Meſſe bem naͤch⸗
ften practifchen Bebürfniffe entgegenzufommen fudjen, unter
jenen nennen wir vorzugsweiſe Lohner, (instructio prac-
lica de Ss. missae sacrificio), unter diefen Wiedemann,
Höflinger und Mohren. Probft macht fie aber burd) die
Vollſtaͤndigkeit der Darfiellung entbehrlich, und übertrifft
fie burd) flare und fidere Behandlung feines Stoffes. —
Die Rubriken des Miffale zerfallen, wie bekannt, in
allgemeine (rubricae generales) und befonbere;
bie erftern find in drei Theile gefondert jedem Miffale
vorgedrudt, die lehztern finden fid) zerſtreut in bem Miſſale,
und dienen als Normen, die im Ablaufe bes Jahres bei
den einzelnen Mefien und Mepformularien zu beobachten
find, je nad) bem man fie aus bem proprium de tempore,
ober de sanctis oder aus bem commune sanctorum ober
aus ben S8otip ^ unb Requiemsmeffen nimmt. Probft geht
bei ber Eintheilung feines Werkes aud) von biefen Rub⸗
zifen aus, fucht aber unter Zugrundlegung berfelben eine
ſelbſtſtaͤndige Eintheilung zu gewinnen; er muß biefeó um .
fo mehr, als er fid) aud) mit ſolchen Gegenftänden befaßt,
bie von ben Rubrifen nicht normirt und befmegen in ben
frühern eigentlich rubriciftifden Werfen nicht beruͤcſichtigt
werben, bie aber zur giltigen, erlaubten unb würbigen
Verwaltung der Euchariſtie gehören. Die Begründung
der befolgten Eintheilung (&. 31 fg.) finden wir durchaus
gerechtfertigt und dieſe felbft einfad) und fadjgemáf. Der
Verf. handelt nämlich in der ecften Abtheilung von
Verwaltung ber hochhl. Eucharlſtie. 517
ben zur giltigen und erlaubten Verwaltung der Gudjariftie
nothwendigen Grforberniffen. Diefe Grforberniffe werben
in fünf Kapiteln, nämlich hinſichtlich ber Materie, ber Form,
des Minifters, ber Zeit und des Ortes, und endlich bin»
ſichtlich der Geräthfchaften und ber Gewaͤnder unterfudjt. —
In diefer Abteilung ftóft man auf die Erörterung
vieler tagen, weldje fonft in Moraltheologieen aud) vot»
fommen. Wir find aber mit bem Verfaſſer ganz einver⸗
fanden, wenn er die ethifhen BVerhältniffe, welde in
unmittelbarem Bezuge zu priefterlihen Bunftionen ftehen,
in die Paftorialtheologie verweiſt. Indeſſen gehören bod)
Ausführungen wie ©. 144 fiherlich mehr in bie Moral⸗
als Paftoraliheologie, da es fid dort um eine ethifche
Materie Handelt, bie nicht ben Priefter, fonbern ben Laien
angeht.
Die Materien diefer Abtheilung haben wir faft durch⸗
gängig febr far unb durchſichtig abgehandelt gefunden.
Wir yerweifen befonberó auf bie $$., melde von bem
Brode für bie Gudjariftie, unb von ben theilweife febr
ſchwierigen fragen über bie Deferte bei der Darbringung
des heil. Meßopſers handeln. Der Verf. glaubt ben Gin»
wurf Quarti's gegen bie Stubrife P. ΠΠ. tit. III. nr. 6.
nicht Löfen zu fónnen, unb [egtere dennoch) als praͤceptiv
annehmen zu müffen S. 50. Mir bünft, wenn man bie
genannte Stubrif, welde für ben Fall, daß in einer 9Reffe
ein unconſecrirbares Brod aber ein conferrirbarer Wein
confecit. und genoffen wurden, vorfchreibt, daß ber
Prieſter nicht blos Brod fondern aud) Wein nadhconfes
criren müffe, als präceptiv fefthalten will, fo muß man
fagen: bie nur einfeitig giltige Gonfecration des Weines
hatte den mefentlihen Charakter des Opfers gar nicht,
518 s Probſt,
und es handelt fij daher nicht um Vervollſtän⸗
digung von dieſem, fondern.um Erneuerung. —
Ginfidtfid) der Meßapplicationen an abbeftellten Feier⸗
tagen ſcheint der Verf. bie in feiner Moraftheologie aus⸗
geſprochene Anſicht ohne Dinreidenben Grund geändert zu
haben ober wenigftens darin wankend geworben zu fein
(Betgl. 9Inm. €. 86 f.). Die von ihm angeführten Decrete
beweifen jebod) nichts für Deutfchland, unb Ref. ift trop
derfelben ber beftimmten Anfiht, daß bie Pfarrer an ben
duch Clemens XIV. aufgehobenen Feiertagen pro populo
zu appliciren nicht verpflichtet feien 5.
Die practiſche Frage, ob und von mem im Falle an
bauernber Kränflichfeit und Altersſchwaͤche eines Priefters
eine Dispenfation von bem jejunium ante celebrandam
missam eintreten fónne, hätte am angemefienen ‚Plage
nicht umgangen werben follen.
Die zweite-Abtheilung des Buches befpricht bie
Verwaltung der Gudariftie im Allgemeinen, unb
zwar in einem erften Kapitel bie Gebräuche und Ceremo⸗
nien, bie fid) über bie ganze SXeffe verbreiten, wie bie
Sprache, fBerbeugungen u. f. w., unb in einem zweiten
Kapitel bie rituelle Eigenthuͤmlichkeit ber verſchiedenen Ber
ftanbtfeife der Meſſe, und enbfid) in einem britten bie Bers
waltung ber Gudjariftie außer der Meffe.
Den rituellen und rubricalen Erörterungen über bie
einzelnen Meßtheile ift immer ein Paſſus vorausgefchidt,
im welchem die Stellung des betreffenden Theiles in bem
ganzen Organismus ber Meffe erklärt und feine Bezier
hung zum ganzen Opfer gedeutet wird. Hiebei folgt
1) Vergl. unfere Erörterung über dieſen Gegenfland. Quartalſcht.
1853. ©. 812 ῇᾳ.
Verwaltung ber hochhl. Euchariftte, 519
der Verf. theils Köffing theils andern Liturgikern, theils
bat er nicht ohne Gluͤck ſelbſtſtaͤndige Erklärungen vers
ſucht. Das Eeremonielle, Süituelle und Stubricale ift bei
den einzelnen Meßtheilen einfach und babel in fo ausges
behntem Maaße abgehandelt, bag man fij über Alles
Raths erholen fann, was auf die äußere lirchlich normirte
Beier ber HI. Meffe Bezug hat.
Meber den häufigen Empfang ber hl. Gommunion
lam man im Wefentlihen mit den Anfichten Liguori's,
denen der Verf. in dieſem Punkte gefolgt iſt, einverſtanden
fein, aber dabei doch wuͤnſchen, daß in einem Buche, wie
das Borliegende, baó für den Gebrauch ber Seelforger
beftimmt ift, einige practifche aus ber Erfahrung gefchöpfte
Binfe gegeben würden. Vom theoretifhen Standpunfte
aus wird man ben häufigen Empfang des Gaframenté
der Gudjariftie immer betonen müffen, von bem practifchen
erfahrungsmäßigen Standpunkte aus dagegen wird man
einigen Einſchraͤnkungen Raum geben müffen. Die Dars
fellung diefes SBuncte& in der Paſtoraltheologie von P.
Vogl (Bd. U. ©. 143), ber aud) bie Anfihten Liguori’s
zu Grunde [egt, hat uns beffer gefallen. Wir möchten
aud) ben vielen Erpofitionen der Gudjatiftie unb den vielen
theophorifchen Proceffionen mit dem SBerfaffer nicht fo
unbedingt baó Wort reben, ohne deßhalb ben hohen Werth
biefer gottesbienftlihen Acte zu verfennen. Eben weil fie
auf das Bolf einen fo wohlthuenden Eindrud machen, wuͤnſcht
Ref., daß diefer Eindrud nicht durch zu häufiges Vorkom⸗
men abgefhwächt oder faft ganz ausgemwifcht werde. —
Wenn der Verf. ben Seelforgern bie Verwaltung der
Eugariftie in ihrem ganzen Umfange darlegen wollte,
fo mußte er außer ber Meßfeier aud) die Spendung ber
520 - Sieobft,
bf. Gommunion unb ben Adorationscultus in ben Bereich
feiner Arbeit ziehen. Ref. will mit ihm nicht barüber
rechten, ob biefe Punkte nicht beffer in einem ſelbſtſtaͤn⸗
digen Theile des Buches jur Sprache gebracht worden
wären, als daß fie in bie Abtheilung eingereiht wurben,
bie von der Verwaltung der Euchariſtie (ber Meſſe) im
Allgemeinen handelt. —
In der dritten Abtheilung erübrigt bem Verf.
90d) zu fprechen von der Verwaltung der Euchariftie (Meß⸗
ritus) im Befondern. Das erfte Kapitel verbreitet fi)
über die Feſt- und Tagesmeffen, bas zweite über
bie Votiv- und Sequiemóme[fe. Wer nur einmal
einen flüchtigen Blick in ein rubriciſtiſches Werk gethan
fat, ber weiß, auf wie verwidelte unb dabei wenig an
siehende Materien Probft in dieſem Felde floßen mußte.
Wenn fid) aud) mitunter eine gemiffe Eile, mit ber bet
Verf. gearbeitet hat, befonders in biefem legten Theile
nicht verfennen läßt, fo vermißt man doch felten eine
wohlthuende Klarheit und einen fihern Gang, womit er
fid) aus oft widerwärtigen Widerfprüchen ber Rubriciſten
herausarbeitet, unb zu einem feſten annehmbaren Urteile
fommt. Diefes Urtheil zeugt immer von verftändigem
Takte und einem gefunden kirchlichen Sinne. Zu win
ſchen wäre geweſen, daß bem Berf. das liturgijdje Wert
von Cavalieri, ber in vielen Punften den Gavantus und
Merati, bie Probft meift zu Leitern hat, befämpft, zu
Gebote geftanden hätte. ἢ
Die Auffaffung des Beftcyelus als eine commemo:
tative Meffe G. 496 ſcheint und etwas ju über
ſchwenglich, Ref. wenigftens vermag biefem Fluge ber
Phantaſie nicht zu folgen. Wenn bemerft wird, bof am
Verwaltung der hochh. Gudjariftle. 521
Fronleichnamstage feine Lieder in ber Vollsſprache ges
fungen werben follen, und als Beleg Diefür ein Decret
der Congr. S. R. v. 1609 angeführt wird, (S. 583) fo
ſcheint uns dieſes zu weit gehend, und- hätte um fo wer
niger nadt hingeftellt werden follen, als das Buch vor«
zugsweife für Seelforger auf dem Lande gefchrieben ift
unb jenes Deeret gewiß nicht für ben ganzen Umfang ber
Kirche prüceptio fein will und fanm. Bei ber Erflärung
des Ritus für dns Fronleichnamsfeſt und beffen Proceffton
iR die. Bemerkung unterblieben, bag an Kathebralficchen
der SBiffjof, und im Falle bec SBerpinberung beffelben,
ber erfte Dignitär, unb an Stadt- umb Landkirchen bet
sacerdos dignior illius loci das Ganctiffimum bei ber
Broceffion zu tragen hat). Deßßgleichen ift bie Vorſchrift
übergangen, daß bie bei der Proceffion zu tragende Hoftie
in ber Mefle, welche ber Proceffion unmittelbar voraus«
geht, au conferriven ift, ba bie ganze Beierlichkeit gleichſam
Ein Ganzes bilvet ?). —
Im Uebrigen ift von bem Verf. eine Vollſtaͤndigkeit
angefrebt, die das praftifche Sntereffe der Seelforger über
biefen Bunft ihrer Anıtsthätigfeit zu befriedigen im Stande
ift, nur den Ritus einer feierlichen 9Reffe mit Affiftenz von
Diafonen vermiffen wir. Wenn aud) vorzugsweiſe Lands
geiſtliche im Auge behalten wurben, fo hätte doch biefer
Ritus in einem fo umfangreichen Buche Play finden follen.
Berner glauben wir, der SBerfaffer hätte feinen Gegenftanb,
fo weit er nicht bloß ind Gebiet der praktifchen Seelforge,
fondern aud) der Liturgif fällt, abhandeln follen. Es hätte
qu biefem Zwede nur nod Weniges aufgenommen qu
1) cf. Barnffaldo, ad rit. Rom. comment. tit, LXXX. nr. 34.
2) cf. Baruffaldo 1, c. nr. 35.
522 Breit,
werten gebraudt, das Qauptíád)fibfie wäre tos Ardäe
logiſche urb Hifteriide über tie Meßliturgien geweſen.
Der Beri. will freifid) neben bem Theile ber Pahtoral-
fbrelogie, ter ich mit bem Piturgifden ber prie
Rerlihen 9mtotbátigfeit befaßt, nod cine Liturs
gif als eigene tbeolegiide Disciplin befchen
lafem, und tverielben das Qiforiffe am bem Firchlidhen
Gulte zuweilen, wenn wir feine Acußerungen ©. 5. 13.
31 richtig verlanden haben. Rei. begreift eine isle 3er
fplitterung ver praftiichtkeologiichen Discipfinen nicht. Ber
Beri. will in feinem Werfe weder „ein liturgiſches,
me ein rubricifiiches, nod ein moraltheologi-
[Φεϑ, femen cim in tie Pafleralibeologie gehörentes
S)ud^ lieiern (cf. EinL X). Bir fragen aber, was füßt
er ber Siturgif un? Rubricikif über ven ven ihm behan-
reiten Segenſtand noch übrig? Senec böcdkens bie und
te cine Heime Erweiterung παν tem Radtrag bes Siſto⸗
riffem, tieier aber nichts, außer wenn man will, be
Shabriciif müffe eine wungeniefbare umb wmerquidlide
earfíentere fein. Uniers Grodiens fällt tie Pibrrod
wn Swbriciif wicht über ic SRoieralfbeelegie hinaus,
jemterm im fie hinein, un wir betrachten es als ein wer
jenuiches SBertienit des Beriaßers, daß er als Pafleral-
ibeelege Süurgif ππὶ Rubricikif fe glüdflich verbumten,
wmb tem Werth ter lehtern geltene gemacht Bat, ohne
γαδεῖ tie ετῆττε με igueriren Wir fchen taber tes SBaf
ShrebW'é aud) als cin puteraliicelegiihes am, aber in
ver Shafleraltbeelegie δαὶ c& ciem Theil jenes Sebietes
Ierautgegrißen, ta$ ten Sfricfier als Liturgem zu siga
bat. —
Taf tie Βίτατοι μὲς Paſteral⸗ eder praltijchen Ihe
Verwaltung bes hoch. Euchariſtie. 323
logie gehöre, und das Werf Sprobf'ó vermöge feines
Inhalts in das Gebiet der Liturgif falle, wird unſchwer
einufehen fein, wenn man fid) bie Aufgabe der Paſtoral⸗
theologie überhaupt, und bie ber Liturgik in&befonbere
Hat mad. Jene hat alle bie kirchlichen Thätigfeiten,
welche bie Priefter an der Stelle Chriſti zur Vermittlung
feines Heiles vornehmen, barzuftellen. Zu biejen Thätig«
feiten gehört aud) bie liturgiſche, b. D. diejenige, welche
fif in ber Verwaltung ber Firhlichen Liturgie, im engern
Sinne der Meffe, im weitern ber Gaframente, Sakra⸗
mentalien unb des Gebetes manifeftirt. Die Befchreibung
biefer Liturgie, beziehungsweiſe die 9Inmeifung zur Vers
waltung ber Liturgie bildet die Aufgabe der Siturgil.
Die Liturgie vollzieht fid) nun aber im Ritus und nad
demfelben, der Ritus aber wird normirt burd) bie Rus
beifen; folglich gehören Liturgie, Ritus und Stubrifen der
Sache nad) zufammen, und follen aud) in der Darſtellung
nit getrennt werben. Die Rubriken find als bie Aus«
laͤufer in ber Darftellung der liturgifhen Materie anzus
fehen. Die rein rubriciftifhen Werke wie von Gavantus,
Merati, Quarti u. 9. können daher nicht als felbftfläns
bige wiffenfchaftlihe Werke neben ber Siturgit, fonbern
mut als Gomplimente ber lehtern Wiſſenſchaft betrachtet
werben. —
Es wäre gewiß von Vortheil gemefen, wenn fij
Sürobft feine Aufgabe als eine Liturgifchs paftoraltheos
logiſche zum Bewußtſein gebracht hätte. Nach bem Aufriß
der Paftoraltheologie, ben er in ber Vorrede gibt, um
bem vorliegenden Werke die gebüfrenbe Stelle im ganzen
Gebiete anzuweifen, hätte es aud) gefchehen follen. Aber
Ref. ig fog verſucht zu vermutfen, bie bort gegebene
524 Fornici,
Schematiſtrung der Paftoraltheologie fei bem Verf. erf
im Verlaufe feiner Arbeit fertig geworben. Wenigſtens
fand Ref. eft S. 290. 307 und 322 f. ausdruͤckliche
Bezugnahme auf jene Eintheilung ber Paftoraltheologie.
An diefer Entheilung anerkennt Ref. die felbfftändige und
geiftreiche Auffaffung, glaubt aber um fo mehr, fid) feines
weitern Urtheils darüber enthalten zu duͤrfen, als ber
artige Entwürfe erft dann ins rechte Licht fommen, wenn
man ihnen bie Ausführung im Einzelnen entgegenhalten
Kann. Es ift faft nicht zu zweifeln, daß bei ber Rührig-
keit und bem unermüdlichen Zleiße des Verfaſſers auf ber
Grundlage des von ihm gemachten Entwurfes einer Par
ftoraltheologie Ausführungen ber einzelnen Theile folgen
werde —
Wenn biefe fo gründlich und tüdjtig ausfallen, als
bie vorliegende liturgiſche Monographie, fo Tann man fij
dazu Glüd wünſchen. Denn biefe fann jedem Seelforger,
ber bie hochheilige Gudjariftie genau nad) ben Vorſchriften
und Normen bet Kirche verwalten will, wie er aud) fell
ohne Anftand angelegentlid)ft empfohlen werden. Was man
fonft über biefen hoͤchſt wichtigen Gegenftanb mühfelig aus
Gavantus-Merati, aus Duarti, Bona, Lohner u. A. zufams
menſuchen muß, findet man hier wohlgeordnet und gefichtet
zufammengeftellt. Diefe Schrift zeugt wie von einem uns
verbrofienen Seife bei allen fid) entgegenftellenben Schwie
tigfeiten, fo aud) von einem großen Geſchicke, diefe Schwie⸗
tigfeiten zu überwinden, und bei allen Materien Ueber
ſichtlichkeit, Klarheit und Ordnung herzuftellen. —
2. Die zweite Schrift ift ein Handbuch ber
Liturgif, das im roͤmiſchen Seminarium zur Grundlage
des Unterrichts dient, und das aud) anderwärts zu gleichen
Institutiones Liturgicae. 595
Ehren zu fommen verdient. Obgleich fein an Umfang, enthält
«6 bod) febr viel. Die nach der gewöhnlichen Eintheilung
der Liturgik zufallenden Materien, bie hi. Meffe, die Car
framente, Gaframentalien und das Officium divinum, find
in ſolcher Ausdehnung und Einläßlichfeit behandelt, daß
man in Seminarien mit demfelben al8 Handbuch ohne
Widerrede ausreichen Fann. Wir heben an biefem Buche
als Vorzüge befonders hervor befjen flare, präcife und ber
fümmte Fafſung, bie vielen eingeftreuten archaͤologiſchen
und hiſtoriſchen Bemerkungen, bie nicht felten unter bem
Sete. gegebenen Tractate berühmter Archäologen unb gis
lurgifer über einzelne wichtige Punkte.
Es ift leicht begreiflich, daß die in Rede ſtehende Lir
turgit bei biefen ihren Vorzügen aud) außer Rom eine
gute Aufnahme findet. Ref. will nicht durch Hervorhebung
einzelner Heiner Ausftelungen, bie er, wie er glaubt, mas
den Könnte, einen meitern Raum in Anfpruch nehmen,
Diefes Buch wird in Seminarien unzweifelhaft gute Dienfte
tun, voie aud) das Werf von Probſt für ben fpeciellen
Zweig ber Liturgit, die Verwaltung der Euchariſtie, in
den SPriefterfeminarien gewiß febr willfommen (ft.
Dr. Bendel, Gonbiftóbireftor.
526 Befer,
5.
Sehen ausgezeichneter Aatholiken ber drei letzten Jahrhunderte.
Herauögegeben unter Mitwirkung Anderer von Albert Werfer.
Erſtes — viertes Bändchen. Schaffhaufen, Verlag ber ὅτ.
Hurter’fchen Buchhandlung. 1852. Preis pr. Bändchen 36 fr.
Das Unternehmen, beffen erfte Früchte wir zur 8e
ſprechung vor ung haben, verdient unfre volle Anerkennung.
Man hat die Fatholifhe Kirche Thon vor breihundert
Jahren alles höhern Lebens und aller geifligen Triebfraft
für unfähig erklärt, und bennod) hat fie gerabe feit jener |
Zeit Glieder in ihrem Schooße gebildet und genäht, |
welche an Reinheit der Gefinnung, an weitgreifender und |
grofartiger Thatkraft und an Heiligkeit des Lebens Hinter
Keinem aus den frühern Jahrhunderten zurüdbleiben. Die
großen Männer und Frauen, die gerade in ihrer Eigen
ſchaft als katholiſche Ehriften einen weithin Deilfamen und
bie lirchlichen und bürgerlichen Verhältniffe durchdringenden
Einfluß ausübten, ben fpätern Gefchlechtern wieder vor bie
Augen zu führen, ift gewiß ein banfenswerthes Unternehmen.
Abgefehen davon, daß man dadurch einen allgemeinen
tirchlich apologetifchen Zweck erreit, ba am Ende bit
Südtigfeit einer Veranftaltung am fiherfien an ihren
Fruͤchten erfannt wird, fo find derartige Biographien
ganz befonber geeignet, ein Gegengift zu bilden gegen bie
vielfachen verberblichen und Firchenfeindlichen Ideen, welde
fo häufig burd) bie Preffe verbreitet werben.
Die Verfaſſer haben mit Recht angenommen, daß das
Beduͤrfniß nad) Sectüre aud) bei bem Mittelfhlage be |
Bolfes, ber bie entſprechende Schulbildung genofen, groß
Leben ausgezeichneter Katholiken. 527
i und daß vorzugsweife Hiftorifche Lefeftüce unb unter
diefen Lebensbeſchreibungen mit befonderer Vorliebe wie
nicht minder mit bem größten Nußen gelefen werben,
wenn fie im rechten Geifte gefd)rieben find. Mit Rüdficht
auf diefen Leſerkreis wollten umb fonnten bie Verfaffer
feine wiffenſchaftlich ausgeführte und mit eigenen felbs
fünbigen Forſchungen bereicherte Biographien liefern.
Ihnen fag nur ob, mit forgfamer Benutzung des [don
vorhandenen gefchichtlihen Materials ihren Arbeiten einen
folhen Charakter zu geben, daß fle in den Kreifen, auf
die fie rechnen, Leſer finden, umb biefe durch bie Lectüre
nah ihrem Bedürfniße belehrt, erbaut und unterhalten
Werben.
Der Herausgeber fpricht fi in der SBortebe p. VI.
über den Charakter und ben Smed ber zu liefernden Bis
ographien folgendermaßen aus: „Es find biefe Lebens⸗
beſchreibungen feine Legenden, wollen aber aud) nicht ſtreng
wiffenfdaftfiden Anforderungen genügen, fonbern find fo
gehalten, daß fie als gefchichtliche Lebensbilder vorzugs⸗
heife den Gebildeten im Volke zur Belehrung, Erbauung
und zugleich zur nüglichen Unterhaltung dienen dürften.
Das Wefentlihfte, was bie oft febr umfangreichen unb
darum fehr Vielen gar nicht zugänglichen biogrophis
hen Werke enthalten, ift darin aufgenommen und in ein
moͤglichſt populäres Gewand eingeffeibet. Auf Vollſtaͤndig⸗
keit machen fte feinen Anſpruch, tod) ging das Beftreben
dahin, eim möglichft abgerundetes, in feinen Hauptzügen
twohlgetroffenes Bild von bem Leben und Wirken der hier
geſchilderten Katholifen auf rein hiftorifcher Grundlage zu
entwerfen. Inshefondere wurden die Lebensgefchichten
folder hervorragender Männer und frauen ausgehoben,
Tpeol. Duartalſqhrift. 1859. lII. Heft. 35
528 . fefe, E
bie bem deutſchen Baterlande angehören, ober welche bod)
in ber einen oder anbern Beziehung für uns Deutſche von
befonderem Intereffe find? —
Hiemit find die Gefichtspuncte angegeben, von denen
aus bie vor und liegenden Biographien beurtheilt werben
wollen. Mit bem Ziele, das fid) der Herausgeber geftedt,
fann man vollftändig einverftanden fein, und es unterliegt
feinem Zweifel, baf gerade Lebensbefchreibungen derjenigen
heiligen und überhaupt großen und hervorragenden Kas
tholifen, welche den legten drei Jahrhunderten angehören
und beffalb unfern Zeiten und Verhaͤltnißen nabegerüdt
find, als ganz beſonders geeignet erfheinen, eine nuͤtliche
Rectüre des [efenben Publifums abzugeben. Es ift jedoch
nicht bie Abficht des Herausgebers, einen Complex von
Biographien zu geben, bie als ein zufammengehöriges
Ganze zugleich ein Bild der ganzen Zeit, nämlich der drei
legten Jahthunderte, aus denen fie genommen find, bar
ftellen follen, fonbern jede Biographie fell das in fij ge
ſchloſſene Charakterbild einer SBerfónlidjfeit und feiner Zeit
fein. Darum Tann jede Lebensbefchreibung, ober jedes
Bändchen, von denen das einzelne zwei Biographien
entHält (daß erfte ausgenommen, das nur bie Lebendbes
ſchreibung des hl. Carl gibt), für fld) angefhafft und ger
braucht werden; aus bem gleichen Grunde ift aud) eine
ſtreng chronologiſche Ordnung in ber Abfolge nicht not»
wendig, obgleich e8 wünfchenswerth erfdjeinen muß, bie
Biographien, wenn immer thunlich, fo aneinander anzureifen,
daß bie dironologifdje Abfolge nicht ſtark verlegt wird. —
In den bisher erfehienenen vier Bändchen finden fid)
fieben Biographien, im erften bie des hl. Karl
Borromäus, im zweiten bie des hl. Ignatius unb be&
Reben ausgezelchneter Katholiken. 529
fel. Canifins, im dritten bie des HI. Vincenz von Paul
und des hl. ὅτ. von Sales, im vierten bie des Benelon
und des DL Fidelis. Mit Recht ift der hl. Karl Borros
maͤus an bie Spige diefer biographiſchen Sammlung ger
fielit worden, fo wie aud) bie Auswahl der übrigen Pers
fönlichleiten ganz paffenb if. Diefelben zeichnen fid) burd)
ihr reiches inneres Leben wie durch ihre äußere Wirkſam⸗
feit aus. Wenn ledteres bei dem bL. Fidelis aud) weniger
der Sall if, fo ift bod) feine Berufung zum Ordensſtande
und fein Mariyrtod fo merkwürdig, daß ihm mit vollem
Rechte ein Play in biefer Sammlung angetoiefen morben ift.
Gegen die eingehaltene Aufeinanderfolge ber genannten
Lebensbefchreibungen laͤßt fid etwas Erhebliches nicht
einwenden. Auf Karl Borromäus folgen nicht unpaffenb
in einem eigenen Baͤndchen Ignatius und Canifius.
Dagegen würde e8 uns beffer erfcheinen, wenn Vinzenz
son Paula mit fenelon, oder legerer mit Franz v. Sales
aujammengeftellt worden wäre; inbeffen laͤßt fid) aud bie
wirkliche Stellung rechtfertigen.
Auch in der Auswahl des gefhichtlihen Materials
ſcheint und das rechte Maß getroffen zu fein. Es ift fo
viel Detail in bie einzelnen Lebensbefchreibungen aufge
nommen, daß fie feine trodenen Gerippe bilden, ſondern
das nöthige Leben und wuͤnſchenswerthe Anfchaplichfeit
und Fülle haben. Diefes Detail ift aber nicht fo reich,
daß bie Biographien zu weitläufig würden.
Die Darftellung ift für ben beabfihtigten Zweck unb
Leferkreis im Ganzen gelungen. Die Anordnung ift Har
und durchſichtig, der Styl edel und populär. ie und ba
wäre bemfelben etwas mehr Slüffigfeit, Gefchmeidigfeit und
Abrundung zu wünfchen; aud) Fremdwörter wie Nepotis⸗
35*
536 ^ Werfe, '
mus L p. 12, Hofpitalität L p. 35 u. 9f. hätten unſchwer
vermieden werben fónnen.
In einigen Biographien, beſonders in benen bes Bes
nelon und des Fidelis ift ziemlich viel nicht unmittelbar
auf bie zu ſchildernde Perfönlichkeit bezügliches hiſtoriſches
Material aufgenommen worden. Ref. findet biefe Ein,
flebtung von bem einen und andern hiftorifchen Paſſus
mehr allgemeiner Natur in derartigen Biographien nicht
nur zuläffig, fonbern fogar zwedmäßig unb mitunter [aft
nothwendig. So war eine Schilderung des Hoflebens
Ludwigs XIV. unb eine Befchreibung ber quietiſtiſchen
Streitigkeiten notbmenbig, um das Leben Fenelons richtig
zu verftehen und darzuftellen. Deßgleihen wird man «6
gerne hinnehmen, wenn das Städtchen, wo Fidelis geboren
wurde (Sigmaringen) und bie Verhältniffe diefes Städt
chens zum fürftlichen Haufe, wenn ferner Freiburg, wo er
fi) länger aufhält, nad) feiner Lage und Bedeutung ges
fhildert wird, deßgleichen, wenn man über bie Proteftan-
tefirung Graubündtens Näheres erfährt, da unfer Heiliger
dort als Mifftonär war. (66 ift befannt, wie bie Fran
zofen durch ihre außerorbentlihe Gabe der Erzählung bie
Biographien duch Einmifhung von verfdiebenen allge
meinen hiftorifhen Notizen intereffant zu machen woiffen.
Wenn e8 alfo ohne Anftand gebilligt werben Fann,
daß der Biograph hie unb ba über die Grenzen, melde
ihm burd) bie zu ſchildernde Perfönlichkeit geftedt zu fein
ſcheinen, hinausgreift in das weite Gebiet der Geſchichte,
fo muß diefes bod) immer in einer Weife gefhehen, daß
εὖ der Einheit ber biographifhen Erzählung feinen Eins
trag tfut. Die Perſoͤnlichkeit darf nicht Hinter ben er
zaͤhlten anderweitigen Greigniffen zurüdtreten, fie muß das
Leben ausgezeichneter Katholiken. 531
Ganze beherrfhen. Wenn man alfo Zeiterefgniffe, bie
von der zu fhildernden Perſon etwas abfeitó zu liegen
fSeinen, in eine Biographie aufnehmen will, fo follten
diefelben immer in eine lebenbige und anfchauliche Vers
bindung und Beziehung mit ber Hauptperfon ber Erzähs
lung gebracht werden. Hiezu gehört eine große ftunft der
hiſtoriſchen Darftellung, und es ift barum ſchwierig, das
Richtige ganz zu treffen. Der SBerf. der betreffenden Bios
grapbien ſcheint uns gerade bie funftvolle Verflehtung
des allgemein Gefhichtlihen mit bem Perſoͤnlichen nicht
immer ganz richtig getroffen zu haben.
Auffallende Unrichtigfeiten find bem Ref. beim Durchs
leſen nicht aufgefallen. Als unbedeutend Debt er hervor:
8. IV. €. 110 wird zu Collegium Germanicum, zu beffen
Gründung ber hl. Ignatius ben Anftoß gab, bie Bemer-
lung gemacht: „es werben hier deutſche Jünglinge erzogen
und wiffenfhaftlich gebildet." Jene Anftalt hat aber ben
beſtimmten Zwed, ausfchlieglih nur G eiftlid)e und zwar
für Deutſchland zu bilden. ©. 130 beffelben Baͤndchens
wird aus Verſehen gefagt, der Kapuzinerorden hätte fid)
fon im fünfzehnten und Anfang des fechszehnten Sabre
hunderts in ranfreidj, Spanien u. f. τὸ. - ausgebreitet,
während kurz vorher richtig bemerkt wurde, daß ber ges
nannte Orden fid) im Jahr 1525 unter Vaschi als ein
Zweig des Branziöfaner-Drdene bildete unb im 3. 1536
beflätigt wurde.
Die befprodjenen Lebensbeſchreibungen find fo gehals
ten, daß Ref. denfelben viele Lefer, und bem Unternehmen
überhaupt einen guten Fortgang wuͤnſcht. Die Ausftattung
iR (dàn; bie Beigabe eines Bildes zu jedem Bänden
danfenswerth. Noch danfenswerther wäre es übrigens,
532 Berfer, Leben ausgezelchaeter Katholiken.
wenn bie Abbildung eines jeden gefdjilberten Heiligen bei»
gegeben worden wäre. Der Preis, das Bändchen von
150—200 ©. zu 36 fr., ift gerabe nicht zu Bod.
Dr. Bendel, Gonviltóbireftor.
Literarifcher Anzeiger
Nr. 3.
M —— ——jh —
Die Hier angezeigten Schriften findet man in ber H. Laupp'ſchen
Buchhandlung (Saupp & Fiebeh) in Tübingen vorräthig, fo
wie alle Erfpeinungen ber neueften Literatur.
In unferm Berlage erfihienen fo eben und find in allen
foliven Buchhandlungen Deuiſchlands, in Tübingen in ber Saupy'.
hen Buchhandlung vorräthig:
Gaillard, P. Georg. Sechs Reben über die unbefledte
Empfängniß der allerfeligften Jungfrau Maria. Aus
dem Lateinifchen vom Verfaffer des Wallfahrtsſpiegels.
5%, Bogen. gr. 8. Preis: geb. 12 Egr.
Goldhagen, Hermann, Priefter der Gefelfchaft Sefu.
Bolfändiges Gebet: und Grbauungébud) ald Andacht
zum Beiligften Herzen Jeſu Chrifti. Mit Gutheißung
und Genehmigung der Obern. 14 Bogen. gr. 12.
Breis: geb. 9 Ser.
Gröne, Balentin, Doctor der Theologie, Sacramentum
oder Begriff und Bedeutung von Sacrament ín ber
alten Kirche bis zur Scholaftif. — Gin Beitrag zur Dog-
mengeſchichte. 181,4 Bogen. gr. 8, Preis: geb. 25 Ser.
Gróne, Valentin, Doctor der Theologie. Tegel und
Luther oder Lebensgefchichte und Rechtfertigung des
Ablappredigers und Inquifitors Dr. Johann Tegel aus
ven Predigerorben. 15 Bogen. gr. 8. Preis: geb.
24 Ser.
Nolte, 3. δ. Lchrer zu Reiſte. Ehoralmelodieen zum
fathol. Gebet und Geſangbuche von S. A. Hüfer, Bar
for in Kirchveiſchede. In Tonziffern überfegt. Τὺ} Bos
gen. 8. Preis: geh. 8 gr.
Süfer, 3. 9L, Paſtor in Kirchveifchede. Vorbereitung
u einem feligen Tode. Gebet: und Betrachtungsbud
r fathol. Familien. Mit Bifchöflicher Approbation.
15 Bogen. 8. Preis: 9 Ser.
Soeft, und Olpe, im Mat 1853,
Raffe'fhe Buchhandlung.
2
Fiterarifche Anzeige.
Im Verlage ber Fr. Lintz'ſchen Buchhandlung in Trier ik
foeben erfihienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen:
Gefchichte
König Ludwigs
des Seiligen.
Aus bem Franzoͤſiſchen ins Deutſche übertragen
von
A. Drieſch.
Mit Portrait des Königs.
gr. 8. geh. 25 Sgr.
Die Berlagshandlung madt auf diefe neue Ueberſetzung des
für die Geſchichie des Mittelalters fo midtigen Werkes bed Herrn
dv. Joinville umfomebr aufmerfam, al diefelbe nad ber im
3. 1761 a Paris erfipienenen anerfannt beften Ausgabe
gefertigt (8. Auch bedient fi der Herr Weberfeger bei feiner
Arbeit durchgängig der Gypradje bes 16. Jahrhunderts, wodurch
ber Eindrud, ben die lebhafte und fdmungyolle Darftellung Join
ville's auf ben Leſer madt, nicht wenig erhöht wird.
Sn ver Ferber’fgen "niberfitátébudjfanblun, in Gießen
ift erfchienen durch alle Buchhandlungen zu beiiehen:
Der hatbolifibe Glaube
nebft den Grundzügen
einer Geſchichte und Speotie bet Offenbarung,
wiffenfdaftlid dargeftellt
von
Stanz Anton Scharpff,
Doktor der Theologie und Silofopfie, orbentl. Profeffor ber Tpeolsgie
an ber Univerfität Gießen.
Zweite Auflage.
8r. 8. geh. fl. 1.
Ueber gegenwärtiges Religionshandbuch hat fif das βοᾷ:
würdigfte διε πὶ e Porbindlat zu Mainz in einem po
fpreiben an bie Defanate zu Mainz, Worms, Darmfladt, Bent
heim und Gießen vom 25. Mai 1848 alfo audgefproden:
δ ἄποιος & gar Dat uns bat rs b in zusnat etellte δια,
8
τ breiten
— Üranhfge n o Ἐπεν cr Bern der DaB d lal Täler εἶεν,
Taf. bie Aubirenbe, Sagenb bel angemefiner Bebanblung unter Gori Eigen
barin ben vollfänbigfien, madfaltifen Gäu gegen bie Mat des Beutigen
Ungtaubens finde. Mir müffen daher in biefer Ueberzeugung winfgen , indem
Εἰς nem Lange gefühlten Sefberium enbreden, hab Bag tuir. δαπεύνά fir
den Keligionsuntsrigt im ben beibem obern Klaffen der Ghmnaſien eingeführt
Das Bu hat aud) bei fatholifhen Stubirenden auf Unis
verfitäten und in andern gebifbeten Kreifen die freunbtidjfte Auf⸗
nahme gefunden.
Bei Parthiebeftellungen treten noch befondere Begünſti⸗
gungen ein.
im ber Unterzeichneten if foeben erfjienen unb in allen
Buchhandlungen Deutſchlands zu haben:
Ein
katholifches
Bolkfsbuch
für die Großen und für bie Kleinen.
Sammlung von Erzählungen und Auffägen
von
Adolph Kolping,
SDomvifar und Präfes des fatfofifdjen Gefellen-Bereins.
Religion und Arbeit if ber golbene
Boden des Volkes.
X. Bändchen.
12 Bogen 8. Preis: geh. 10 Ser.
Der Name des Qodiwürbigen Herrn Berfaffers hat einen
folgen Klang durg ganz Deutfjlanb, bag εὖ feiner weiteren
Empfehlung bedarf, wir bebfalb das Publitum hiermit einfach
von beffen Erſcheinen in Kenntniß ſetzen.
Θοεῇ und Olpe.
Raflefge Buchhandlung.
Bet Eduard Anton in Halle tft foeben erfpienen und in
allen Buchhandlungen zu haben:
Serzog, Dr. 3. J., ordentl. Prof. b. Theologie in
ΕΣ die romanifd)en Waldenfer, ihre vorrejormatoriz
fchen Zuftände und Lehren, ihre Reformation im 16. Jahr⸗
hundert unb bie 9tüdwirfung berfelben, haupſachlich
nad) ihren eigenen Schriften bargeflellt. gr. 8. broch.
Preis 2 Rthir. 15 Ser.
4
In meinem Verlage ist soeben erschienen und dnrch alle Buch-
handlungen des In- und Auslandes zu beziehen:
CANONES ET DECRETA
CONCILII TRIDENTINI
EDITIONE ROMANA A. MDCCCXXXIV.
REPETITI.
ACCEDUNT
S. CONGR. CARD. CONC. TRID. INTERPRETUM
DECLARATIONES AC RESOLUTIONES
EX IPSO DECLABATIONUM THESAURO
BULLARIO ROMANO ET BENEDICTI XIV. 8. P. OPERIBUS
zT
CONSTITUTIONES PONTIFICIAE RECENTIORES
AD JUS COMMUNE SPECTANTES
E BULLARIO ROMANO SELECTAE.
ASSUMPTO SOCIO
FRIDERICO SCHULTE J. U. D.
GUESTPHALO
EDIDIT
AEMILIUS LUDOVICUS RICHTER
4, U. D. ET IN LIT. UNIV. BEROL. PROF. PUBL. ORD,
Imperial-Octav. brosch. 4*/ Thaler.
Leipzig, Oster-Messe 1853.
Bernhard Tauchnits.
Im Verlag der Akademischen Buchdruckerei — University-
Press — und in Commission bei 3. ΒΒ. Parker, Universitäts-
Buchhändler in Oxford ist soeben nachstehendes wichtige Werk
erschienen:
Socratis Scholastici Ecclesiastica Historia Edidit Ro-
bertus Hussey, S. T. B., Historiae Ecclesiasticae Pro-
fessor Regius. 3 Bde. 8. cart. Rthlr. 10. 15 Sgr.
Der erste und zweite Band enthalten den Griechischen Text
mit der Lateinischen Uebersetzung von Valesius nebst vielen Aa-
merkungen, und der dritte Band enthält auf 609 Seiten ,Annota-
ones“. Die typographische Ausstattung des Werkes, verbunden
mit stark geleimtem weissen Papier lässt nichts zu wünschen übrig.
5
ieh'schen Buchhandlung in Insbruck
le Buchhandlungen zu beziehen:
In der Felician RB:
ist erschienen und durch
INSTITUTIONES
PATROLOGIAE,
QUAS
AD FREQUENTIOREM, UTILIOREM ET
FACILIOREM SS. PATRUM LECTIONEM
PROMOVENDAM
CONCINNAVIT
J0S. FESSLER,
88. THEOLOGIAE DOCTOR, OONSILIARIUS ECOLES. BRIXIN., HISTORIAE
EOOLESIASTIOAE ET JURIS EOOLES. PROFEBSOR IN SEMINARIO
XPISCOPALI BRIXINENSI.
gr. 8. maj. Il. Vol. fl. 9. 24 kr.
‚Einem Jeden dem sein Beruf oder auch die Liebe zu seiner
Kirche und ihrem ersten Trüger das Studium der Patrologiae wichtig
macht, wird die Erscheinung eines Werkes willkommen sein, wel-
ches — die Frucht jabrelangen unermüdeten Forschens — ihm das
wichtige Verständnis jener kostbaren Schriften aufschliesst, welche
von den Uranfängen der Kirche an durch die folgenden Jahrhunderte
aus den Händen der weissesten und frömmsten Männer auf unsere
Zeit gekommen sind und in denen für alle künftigen Zeiten die
Bimeringo des Glaubens gesichert und aufbewahrt ist. In diesem
Werke findet der Theologe durch die umsichtigste Kritik das Echte
von dem Zweifelhaften und vom Unrechten geschieden, um in der
Wahl seiner Lectüre keinen Missgriff zu machen. Wir übergeben
ächer dieses ausgezeichnete Werk, dem sein gelehrter Verfasser den
ehrenvollen Ruf an die Universität Wien verdankte, mit der vollsten
Ueberzeugung damit den Wünschen sehr vieler Wissbegierigen ent-
gegen zu kommen.
Im Verlage von Firmin Bidot fröres à Paris it
kürslich erschienen und durch alle Buchhandlungen Deutschlands
und Oesterreichs zu beziehen:
Theiner, A., Geschichte des Ponti-
ficats Clemens XIV. 2 vol. 8. br. Rthlr. 4.
— nn a5 » —n 3r Bd
A. u. d. T. Clementis XIV pont. max.
epistolae et brevia selectiora ac non-
nulla alia acta. pontificatum ejus illu-
sirantia quae ex secretioribus tabu-
laris Vaticanis depromsit et nunc
primum edidit A. Theiner. 8. br. Rthlr. 1. 15 Sgr.
Früher erschien im gleichen Verlage:
"Theiner, A., Jean Henry de Franken-
berg, Archevéque de Malines Primat
de Belgique, et sa lutte pour la liberté
de l'église et pour les séminaires
épiscopaux sous l'empereur Joseph II.
traduit par Paul de Geslin. 8. br. Rthlr. 1. 7!/; Sgr.
Jäger, M., l'abbé, histoire de l'église
de France pendent la révolution.
3vd 8 ..... . Rthir. 5. 10 Sgr.
Der hochw. Geiflichkeit und allen HH. Theologie-
Studirenden.
€o eben ift bei uns erfhienen unb aud in allen gut aflor-
tirten Buchhandlungen be gefammten 3n« unb Auslandes zu haben:
Biblifche Neal-Eoncordanz.
Eine Zufammenftellung ber in den heiligen Schriften zer:
ftreut vorfommenden erte, Beifpiele und Gleichniffe über
die Glaubens» unb Gitten[ebren, fowie ber Stellen über
biblifche SBerfonen, Orte u. bergL, unter alphabetifh ger
ordnete Titel mit den nöthigen fachgemäßen Ab» und Unter:
abtheilungen. Ein nügliches und bequemes bibliſches
9tepertorium für Fatholifche Theologen, Res
Higionslehrer und GSeelforger. Bearbeitet und
herausgegeben von Sev. Lueg, weiland Priefter ber
Didcefe Paffau. Mit Approbation des Hochwürd. Bifcöfl.
Drdinariats Paffau. Zweite, burdjauó umgearbeitete,
berichtigte unb ſtark vermehrte Auflage burd) Fr. yof.
Seim, Domprediger in Augsburg, Herausgeber des
Predigt⸗Magazins. In zwei Bänden.
Diefe Lueg’fche biblifhe Neal: Goncotbang unter:
ſcheidet fid von allen bisherigen baburd, bab fie
nicht etwa bloßbei@laubens- und Sittenlehren burh
Citation berZerte auf die Schrift verweist, fondern
daß fie die einzelnen Texte wörtlich auffüprt, fie
nad ihren innern Momenten und Beziehungen orbuet
T
a mehr ober minder als ein Gange? erfeinen
à
Welche Ausdehnung inbef blefe Art von lleberarbeitung ver
Queg'íden Goncorban in biefem erften Bande erfuhr, möge daraus
hervorgehen, baf gegen früher um 661 Artikel mehr aufgenommen
wurden, von benen 246 ber Glaubens» unb Oittenlebre anges
hören, 415 Gegenftánbe entfalten, bie ín bie Geſchichte und Geos
ggapbie dinfatagen, fobann daß bon ben ältern 630 Artiteln nur
9, größtentpeils nicht dogmatifhe unb moralifhe, unverändert
ebfieben, während bie übrigen 271 mehr ober minder eine Bers
efferung oder Erweiterung erfahren haben.
Erſchienen ift mun ber 1. Band £n 3 Lieferungen. Preis für
alle diejenigen, welche dieſes Werk vor δ τῷ εἰ π ἐπ ber Schluß-
litftrung be8 zweiten Bandes im Juli b. 38. abnehmen, nur
3f. 30 fr. ober 2 Thle. 1!/, fgr. — Preis beider Bände von
ἄττα 65 Bogen für Subferißenten nur 6 fl. rf. ober 3'/, Soir.
yrf., alfo pro Drudbogen 6 fr. ober 13/4 Sgr. Anwiderruflicher
Sabenpreis nach Erſcheinen des II. Bandeö mindeftens 7 fl. 30 fr.
ober 4! 5 Thlr. — Es dürfte daher Seber, ber fid) bleed unente
behrliche Werk anzufchaffen gebenft, es in feinem Intereffe finden,
ſich noch bet Zeiten zur Abnahme zu melden.
Augsburg, 1. Mai 1853. '
$. Kollmann'ſche Buchhandlung.
Wener Verlag
von
Gebr. Earl δὲ Nicolaus Benziger in GinficbeIn.
Effinger, P. Conrad, Prior des aufgehobenen Kloſters
Gt. Urban, der Leidenskelch, des Chriften Staͤr⸗
fung in ben Prüfungen diefes Lebens. in Gebet
und Erbauungsbud. Belinpapier. Mit 4 lithogras
phirten Bildern. 8. 1853. (552 Seiten.)
15 Nor. oder 48 ft.
Sausmiffion, die Perle der. Oder Anleitung in
einer hriftlichen Lebensordnung bie Früchte ber apo-
ſtoliſchen Miffton zu bewahren. Bon Wilhelm Haus
fen, meiland Prieſter und mehr als breißigjährigem
Bußprediger. Neu herausgegeben unb mit einem voll
ftändigen Gebetbude vermehrt von Br. Anton Häd-
ler, Kaplan ad St. Jodocum zu Aulendorf, Rotten-
burger Bisthums. Mit 4 Bildern. 8. 1859. (456 ©.)
10 Ngr. ober 33 fr.
Hecht, P. Laurenz, Profeffor unb Kapitular des Stifts
Einfiedeln, Erzbrubderfchaft des heiligften und un-
befledten Herzens Mariä zur fBefebrung bet
Sünder. Deren Entftehung, Verbreitung unb Wir
fungen in ben merfmürbigflen, wunderbaren Belchs
rungen unb Heilungen. Mit 2 lithogr. Bildern. IGte,
mit Gebeten und Andachtsübungen vermehrte Aufl. 12.
1852. (360 Seiten.) 71 9tgr. oder 21 fr.
Herzensbund, ewiger, mit ben allerheil. Serzen
Set und Marid. Ein vollftändiges Unterrihtör
und Gebetbuch. Nebft allen gewöhnlichen Andachten.
Bearbeitet vom SBerfaffer des „Miſſionsbuches“ 1c.
Mit 5 Bildern. 8. 1853. (504 Geiten.)
. 15 Ngr. ober 48 fr.
Jahr, das beilige. Das ift das Leben ber fei
ligen Gottes, eingetheilt auf alle Tage des Jahres,
mit Anwendungen, Gebenffprüdjen unb Gebeten. Sammt
einem vollftänbdigen Gebetbuche aus den Schriften ber
Heiligen Gottes. Bon einem Fatholifhen Landgeifts
lien. Mit 16 lithographirten Bildern. 8. 1853.
(628 Seiten.) 23 Nor. ober fl. 1. 12 fr.
Paffions:Stapulier, das rotbe, dargeftellt in {εἰν
nem Urfprunge, in feinen Abläffen unb in feiner Bes
deutung von einem Priefter des Bisthums Chur. Mit
den gewöhnlichen Meß-, Beicht-, Gommunione ıc. Gt
beten und vielen dem Zwecke dieſes heiligen Skapuliers
angemefienen Andachten. Nebft 1 litbogr. Abbildung
diefes Sfapulierg. 12. 1853. (228 Seiten.)
] 5 Nor. ober 15 fr.
Genffótnlein, geiftliches._ Eine Auswahl father
lifder Gebete für alle Alter, Stände, Zeiten und Vers
hältniffe. (Mit neuen Lettern.) Mit 10 Bildern.
9te Aufl. 32. 1853. (478 Seiten.) 7 Ngr. ober 21 fr.
Wafer, P. G., Priefter aus der Gefellihaft Sefu, ber
treue Wegweifer in das Heimathland des wahren
Güde für Hriftlihe Jünglinge. 12. 1852
(934 Seiten.) 15 Nor. oder 48 fr.
8
Merk, P. Ant, des Epriften Pilgerſtab auf ber
Reife in bie Ewigkeit. Gerehngter Inhalt der
vorzüglichern Miffionspredigten, nebft Unterricht unb
Gebeten. — Mit 2 Bildern und gelbbronjittem Titel.
16te Aufl. 8. 1853. (504 Seiten.) 10 Ngr. oder 30 fr.
— Daffelbe, 1διε Aufl. Größerer Drud. 8. 1853.
(504 Seiten.) 10 Rgr. ober 30 fr.
Sees, Kaver, Pfarrer in Ballwyl, bie driftllide
aufunft auf bem Lande ober bie neue Kirche
in Ballwyl unb wie fle geworden. Mit 3 lithogr.
Beilagen. 18. 1852. (212 Seiten.) 12 Ngr. oder 36 fr.
Morel, Pater Gall, Gedichte. Mit bem SBilbnig des
Verfaſſers in Stahlſtich. Velinp. 12. 1852. (304 ©.)
24 Nor. ober fl. 1. 18 fr.
— Daffelbe, elegant in Leinwand mit Goldſchnitt ge«
bunden, Thlr. 1. 6 Nor. ober fl. 2.
Portrait von Pater Gall Morel in Stahlſtich. 4.
10 Nor. ober 30 fr.
en ne qi utens ἡ ra)
Verwaltung
der
bochheiligen Euchariftie
von
Ferdinand Wrobft,
Brieſter und Doktor der Tpeologie.
Mit Approbation ber hochw. Biſchöllichen und Erzbiſchöflichen
Ordinariate Rottenburg und Freiburg.
46 Bog. gr. 8. broch. Preis 3 fl. 48 fr. ober 2 Thlr.
15 Nor.
1o
Zaupp’fcher Verlag.
Die Tranerreden
von Boſſuet und Flechier
mit einigen andern 2ob- und Trauerreden
vn
Benrdalsue, Mlascaren, füanry, Fenelen. |
Aus rem Franöriden
του
Sofepb 22$,
Seri.
Ski pilerideiitheris t t äntigen Go
HR Büeriigeäkperriten Grossen δὲν riser welfkimrigra
Bar 8 Xces ἃ 4 24 ft SR 2 25 W-
F
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Η
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H
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1
IH
WPcmlclNT rif poiianrre- Fachfugg dar Ctrrer τε ὥὅκωξε xexr
τοὺς δενησστι porhe τς, Eier uolo δ: ἐδιετ᾽ Φ inum
Theologiſche
Quartalſchrift.
In Verbindung mit mehreren Gelehrten
herausgegeben
von
D. v. Auhn, D. ». Hefele, D. Welte, D. Bukrigl
und D. Aberle,
Brofeſſoren der kath. Theologie an ber f. Univerfität Tübingen.
Fünfunddreißigfter Jahrgang.
Viertes Quartalheft.
Tübingen, 1853.
Verlag der H. Laupp’fhen Buchhandlung.
- (Saupp & Giebel.)
Φιυᾶ von δ. 2aupp Ir.
1
Ueber den Urfprung und bie rechtliche Stellung ber
' Generalvicare,
Die erften Anfänge der hierarchiſchen Würde, von
welcher wir im Folgenden reden, feßen viele Kirchenhiftorifer
und chriſtliche Archäologen ſchon in's dritte unb vierte Sabre
hundert, indem fie auf jene großen Männer hinweifen, bie,
bevor fie felóft zum Episcopat gelangten, ihre Bifchöfe in
Ausübung ihres erhabenen Amtes unterftügten und einen
Theil jener ſchweren aft auf fid) nahmen. So mar ber
hl. Eyrill von Serufalem von feinem SBifdjofe beauftragt,
flatt feiner den katechetiſchen Unterricht -zu ertheilen und
das Predigtamt bleibend zu verwalten, weßhalb ihn ber
gelehrte Herausgeber feiner Werke, der Mauriner Souttée,
ohne weiteres ben „Generalvicar von Jerufalem“ nennt !).
Gregor, ber Theologe, unterftügte feinen Vater gleichen
Namens, den hochbetagten Biſchof von Nazianz, in Aus-
übung der bifhöflihen Bunctionen bis zu beffen Tode,
1) Dissertat. De S. Cyrilli Hierosol. Vita. c. III: „ex commissa
catecheseon et baptizandorum cura ad episcopum proprie pertinente,
nec facile aliis commendata, unacum frequenti et assiduo in synaxi-
bus concionendi munere, optime colligitur, Cyrillum a sancto Prae-
sole presbyterorum principem e quasi majorem ac generalem, uti
dicimus, Vicarium constitutum."
36*
⸗
4
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ἐκ: jeines Epyis⸗
εἶ $ „u bleibender Gehilſe
4 appo ben bf. Yugufinus,
4 ? ., ber Sanbeófprade als Grieche
D . maͤchtig, daß er feinem Predigtamte
κα genügen fónnen, zum Presbyter weihte
« Vollmacht betraute, in feiner Gegenwart dag
ottes zu verfündigen *). — Faſſen wir inbeffen die
‚ung biefer Männer zu ihren Bifchöfen näher ing
ptt fo wird fid) leicht ergeben, baf fle nur uneigentlich
"ad im weiteſten Sinne des Wortes Generalvicare
genannt werben fónnen — fle waren allerdings, wie biefe
nod) heute, Gefülfen unb Stellvertreter der Bifchöfe, abır
1) Denfwürbigfeiten, 1. 2. ©. 416 fi.
2) Vet. et nova Eccles, Disciplin. P. L L. IL c. 7, n. 5,
3) Thomassin. 1. c.
4) Poseidiwa, Vin Augustin, c. 4. 5. Migse, Parolag
Tom. XXXIL. ᾿ .
Ὁ
N
ber Generololeate, 537
"ii f dj e, was heutzutage den Generalvicar
Ὁ ei ihnen nod) nicht: biefer ift der
% in Ausübung ber Juris dict ion,
πε Stelle vorherſchend bei ben
nur nebenbei unb ausnahms⸗
bet Diöcefe; ber Generals
abgegrenzten Geſchaͤfts⸗
'& duch das öffent
net, während die
"m Willen des
niffen abhieng,
‚en bald jenen Theil
.ıtretend auóübten; enblid)
t „en bie Beftellung eines ſolchen
‚eine ‘regelmäßig wiederkehrende ger
4t bann erfolgt zu fein, wenn ein befonders
„ver Mann in ber Umgebung des Biſchofs fid)
‚ während fonft bie einzelnen Glieder des Presbyte⸗
“ums abwechfelnd bie nöthige Aushülfe unb Unterftägung
bé Biſchofs übernahmen. Das Inftitut der Beneralvicare
im Sinne ber gegenwärtigen Disciplin hat feinen Urfprung
erft im breigebnten Jahrhundert, fie waren hers
dorgerufen durch bie angemaßte, bis ins Ungebührliche
ausgedehnte Macht der Archidiacone, weldje bie bifchöfliche
Autorität völlig in den Hintergrund drängte unb gaͤnzlich
zu abforbiren drohte, fie follten gegen biefe als Stellvers
treter des Biſchofs ein Gegengewicht bilden und ihren Händen
die bifhöfliche Jurisdiction allmählig wieder entreißen. —
Wenn wir diefe Verhältniffe im Folgenden näher darlegen,
fo fann εὖ fid) nicht barum handeln, eine volftändige Ges
ſchichte der Archidiacone zu geben, fonbern nur jene Mos
536 Urfprung und rechtliche Stellung
Bafilius, der Große, nahm bei Eufebius, Biſchof von
Gáfarea, biefelbe Stellung ein und Ehryfoftomus wurde
nod) als Diacon von feinem Patriarchen Flavianus von
Antiochien beauftragt, während feiner Abwefenheit feine
Stelle zu vertreten und namentlih das Predigtamt zu
verwalten: alle drei werden von Thomaffin und Binterim!)
in bie Reihe ber Generalvicare geftellt. „Nemo inficiss
ibit, fagt der Erſtere *), quin Vicariorum Generalium in
Oriente tria haec fuerint exempla numeris omnibus abso-
lutissima.* Auch in ber abendländifchen Kirche finden bit
genannten Autoren um biefelóe Zeit’ bie Vorgänger unferer
Generalvicare: in Mailand ben Presbyter Simplician?),
den Papft Damafus von Rom aus dorthin gefandt hatte,
damit er ben hl. Ambrofius im Beginn feines Eyis
copates unterftüge — er wurde befien bleibender Gehilie
und fpäter fein Nachfolger; in Hippo ben BI. Auguftinus,
ben der Biſchof Valerius, ber Landesſprache ald τίει
nicht in bem Maaße mächtig, daß er feinem Predigtamte
hätte vollfommen genügen fónnen, jum Presbyter weihte
unb mit der Vollmacht betraute, in feiner Gegenwart bad
Wort Gottes zu verfünbigen *). — Faſſen wir indefien bie
Stellung diefer Männer zu ihren Biſchoͤfen näher ins
Auge, fo wird fid) leicht ergeben, baf fie mur uneigentlih
und im weiteften Sinne des Wortes Generalvicare
genannt werben fónnen — fie waren allerdings, wie biefe
nod) heute, Gehülfen und Stellvertreter der Bifchöfe, aber
1) Denfwärbigkeiten, I. 2. ©. 416 fi.
2) Vet. et nova Eccles, Disciplin. P. L L. IL c. 7. n. 5.
3) Thomasein. 1. c.
4) Possidius, Vita Augustini, c. 4. 5. Migwe, Patrolog.
Tom. XXXI
der Generalvicare. 537
tad Charafteriftifche, was heutzutage ben Generalvicar
ausmacht, findet fid) bei inen nod) nicht: biefer ift ber
Stellvertreter des Biſchofs in Ausübung ber Juris diction,
jene dagegen vertraten feine Stelle vorherſchend bei den
tir lid) en Sunctionen und nur nebenbei und ausnahms⸗
weiſe aud) in ber 9fominiftration der Diöcefe; ber Generals
dicar hat einen vom Geſetze genau abgegreniten Geſchaͤfts⸗
freis, fein Verhältnig zum Bifchofe it burd) das öffents
liche Recht der Kirche fpeciell vorgezeihnet, während bie
Stellung jener Altern Gehülfen lediglich vom Willen des
Biſchofs und ben jeweiligen äußern Verhältniffen abbieng,
fo daß fie ohme Unterſchied bald biefen bald jenen Theil
der biſchoͤflichen Befugniffe ftellvertretend ausübten; endlich
fheint in jenen Altern Zeiten bie Beftellung eines ſolchen
bifhöflichen Vicars feine ‘regelmäßig wieberfehrende ges
weſen, fondern nur bann erfolgt zu fein, wenn ein beſonders
hervorragender Mann in der Umgebung des Bilhofs fid)
befand, während fonft bie einzelnen Glieder des Presbytes
riums abwechſelnd bie nöthige Aushülfe und Unterftügung
des Biſchofs übernahmen. Das Inftitut ber Generalvicare
im Sinne der gegenwärtigen Diseiplin hat feinen Urfprung
erft im dreigehnten Jahrhundert, fie waren fer»
vorgerufen burd) die angemafte, bis ins lingebübrlide
ausgedehnte Macht ber Archidiacone, welche bie bifhöfliche
Autorität völlig in den Hintergrund drängte und gänzlich
zu abforbiren drohte, fie follten gegen biefe als Stellver⸗
treter des Biſchofs ein Gegengewicht bilden und ihren Händen
die biſchoͤfliche Syuri&biction almählig wieder entreifen. —
Wenn wir biefe VBerhältniffe im Folgenden näher darlegen,
fo fann εὖ fid) nicht barum handeln, eine vollftändige Ges
ſchichte ber Archidiacone zu geben, fondern nur jene Mos
538 Urfprung unb rechtliche Stellung
mente hervorzuheben, die ihre urſpruͤngliche Stellung zu
Biſchof und Diöcefe in der Weiſe verrüdten, daß dieſer
fib genöthigt fab, gegen fle durch Aufſtellung eigener
SBicare einguídreiten; zugleich fügen wir die Bemerkung
bei, daß die Amtögewalt ber Archidiacone nicht in allen
Diöcefen die gleiche war, vielmehr hatte das Gewohnheits⸗
ted)t den freieften und weiteften Spielraum, indem es hier
ihre Befugniffe in's Maaßlofe erweiterte, dort fte befchränfte
— wit find daher darauf angewieſen, nut die allgemeinen
Geſichtspunkte hervorzuheben, wie fie fid) überall vorfanden.
Die erfien Spuren der Archidiacone finden fih im
Anfange des vierten Jahrhunderts !), fle waren bie Vor⸗
geícbten der Diacone an der Kathebralfiche 2), vom
Bifhofe aus ben [egtern frei gewählt, wobei nicht, wie
beim Archipresbyter, das Alter, fondern perfönliche Tuͤchtig⸗
keit ben Ausſchlag gab. Sie hatten die Erziehung und
den Unterricht der jüngern Glerifer zu leiten, von welden
feiner ohne ihr Zeugniß und ihre Zuftimmung zur Dr
bination zugelaffen wurbe, — fie führten bie Aufſicht über
die niedern Kirchendiener, lciteten die Armenpflege und
unterftügten den Bijchof in ber, äußern 9lominiftration ber
Diöcefe 3), fomeit es biefer für nótfig erachtet. Im
fedften Jahrhundert hatte fid) der Kreis ihrer Befugnifle
bereit dahin ausgedehnt, daß fie aud) die Verwaltung
des Kirchenguts führten, für die Erhaltung und Wieders
herftellung der Kirchengebäude forgten, im Auitrag des
Biſchoſs ben Zuftand ber Pjarreien unterfuchten, bie Straſ⸗
1) Optatus Milev. De schismate Donatist. L. I.
2) Theodore! , H. E. L. 1. c. 26. ᾿
3) &eo der Grofe (Epist. 112, edit. Ballerin.) meint ben Archi-
diacon ecclesiasticis negotiis praepositus",
ber. Generalvleare. 539
gerichtsbarleit über bie Geiflihen und bie Jurisdictio con-
lentiosa über Laien und Glerifer in allen den Fällen aus- ἢ
übten, in welchen fie dem Biſchofe ſelbſt zuftand 1), fo zwar,
daß feltft das weltliche Gericht bei Streitigkeiten zwiſchen
Laien und Glerifern ohne Dazwiſchenkunft des Archidiacons
nit vorfchreiten fonnte unb ebenfowenig in Gaden ber
Wittwen und Walfen 9. — War hiedurch ihr Anfehen
bereitö foweit geftiegen, daß fie, obwohl nur Diacone,
bod) über allen Presbytern, felbft über bem Archipresbyter
fanden 3), fo erweiterte fih ihre Macht im neunten
Jahrhundert *) noch dadurch, daß fle die SBifitation der
Diöcefe und die Abhaltung der Sendgerichte, anfangs in
Begleitung des Biſchofs, fpüter aber als felbftändige, regel»
mäßig wiederkehrende Amtsfunction erhielten, wodurch in
natürlicher Weiterentwidlung der Verhältniffe die ganze
bipöfliche Jurisdiction, namentlich bie Strafgerichtsbarkeit
— bie Auferlegung öffentlicher Bußen, bie Verhängung
ber Ercommunication und der Suspenfion, die Ein» und
Abjegung der Glerifer in ihre Hände fam 5. Dieſe weit»
ausgedehnten Befugniffe, bie im gemeinen Rechte voll-
fünbig anerfannt waren‘), würden mit ber gehörigen
1) Eine volftändige Sufammenfteflung ihrer damaligen Rechte findet
φ bei Ifidor von Sevilla, Epist. ad Luidfred. — c. 1. $. 11.
Dis, XXV.
2) Thomaasin. 1, c. c. 18.
3) Ifivor von Gevilla 1. c. Archipresbyter se esse sub
Archidiacono ejusque praeceptis, sicut Episcopi sui, sciat obedire."
4) Concil. Cabilon. 11. a. 813, c. 15.
5) BDergl. die fchöne Infruction, wele Hincmar von Rheims
feinen beiden Archidiaconen für Abhaltung der Sendgerichte ertheilte, in
Opp. cur. Sirmondi, T. 1. p. 716 seqq.
6) Die Sfuífidt über bie Kirchengebäude unb das Kirchengut c. 1.
3. X. de offic. archidiac. 1. 23; tic Bifitation ber Diöcefe und das
'540 Urfprung und rechtliche Stellung
Energie ausgeuͤbt fhon für fid) hingereicht haben, bie bis
ſchoͤfliche Auctorität völlig in Schatten zu ftellen, aber es
traten noch zwei weitere Momente hinzu, welche bie Stadt
und das Anfehen ber Archidiacone ungeheuer erhöhten.
Bis in's achte Jahrhundert hatte die Diöcefe nur Einen
Archidiacon, aber fhon im 9. 773 theilte der Biſchof
Heddo von Straßburg feine Diöcefe in fteben Ardyidiaconate
ein, für das Bisthum Lüttich beftellte Papſt Leo im I. 799
adt Archidiacone, die meiften Bifhöfe ahmten biefe Ein-
richtung nad, fo daß im zwölften unb dreizehnten Jahr⸗
hundert beinahe alle Bisthümer Deutſchlands, Frankreichs
und Englants in Arhidiaconalfprengel eingetheift waren’,
Jedem derfelben ftand ein eigener Archidiacon vor, bie auf
bem Lande hießen archidiaconi rurales im Unterſchiede von
bem archidiaconus magnus an ber Kathedralfiche. Es
leuchtet ein, daß auf biefe Weife mehr Leben, Ordnung
und Einheit in das Archidiaconalweſen fommen und bie
Pünktlichkeit in Ausübung ber mit demfelben verbundenen
SBefugniffe in hohem Grade zunehmen mußte, zugleich aber
wird aud) nicht geläugnet werden fónnen, daß biefe Ein-
richtung febr geeignet war, bie Archidiacone, jet auf
fleinere Bezirke befchränkt, auf ihre Rechte eiferfüchtiger
zu maden, — fte anzutreiben, jedes felbftändige Eingreifen
des Biſchofs ſoviel ald möglich fern zu halten und falle
‚ex dergleichen verfuchen follte, Widerftand zu leiften, was
ihnen nunmehr vereint viel leichter werden mußte, al
Recht auf Brocurationen c. 6. 10. X. h t. 1. 23; c. 6. X. de censi.
3. 39; die Prüfung ber Ordinanden umb die Ginfeung ber Pfründner
c. 7. 9. X. h. t. 1. 23; die jurisdiet. contentiosa c. 7 X. h. τ; bit
Strafgerichtöbarfeit in "ben. Senpgerichten c. 3. X. de poenis. 5. 37.
1) Binterim, Denfwürpigfeiten, L 1. €. 395. 413 ff.
bet. Omeralolcare. 541
früher, wo ber Archidiacon bem Bifhofe mod allein
gegenüberftand. — Auf, ber andern Seite gelangten fle
mit bem Entfichen des gemeinfamen Lebens und bem
Aufblühen ber Ganonifate in den Befig der Präpofituren
diefer Stifte: der Archidiaconus magnus ward in der
Regel Domprobft der Kathedralkirche unb bie Archidiaconi
rurales. gewannen die Probfteien an den Eollegiatftiften
der Landftädte. Das Anfehen diefer einflußreichen Stellen
und die oft ungeheuren Einfünfte, die mit ihnen verbunden
waren, mußten die Würde, von der wir reden, mit neuem
Gange umgeben umb fie in ben Augen von Gleruó unb
Volk immer mehr erhöhen, fo daß bie angefehenften Männer
fle fuditen: Stephan von Garlanba, erfter Minifter rant»
reichs, verfchmähte es nicht, zugleich Archiviacon von Paris
zu werden ἢ), und Philipp, Bruder Ludwigs VIL, glaubte
feiner hohen Abfunft nichts zu vergeben, wenn er an bete
felden Kirche das Amt des Archiviacons befleidete *), mit
welcher Würde in Frankreich allgemein der fürftlidje
Titel verbunden ward). Aber biefe Berhältniffe mußten
die Archidiacone ihren Bifhöfen aud) immer ferner rüden
und ben leßtern, namentlid) feitbem die Kapitel nad) Auf⸗
löfung des gemeinfamen Lebens überhaupt unabhängiger
wurden, jeden Einfluß auf die Ausübung ihrer Jurisdiction
entziehen, fo daß die Bifchöfe an manchen Stiften nicht einmal
1) Der Hl. Bernhard brüdt feine Entrüſtung hierüber Epiat. 78
mit den Worten aus: sic sublimatum honoribus ecclesiasticis, ut nec
episcopis inferior videatur: sic implicatum militaribus officiis, ut prae-
feratur et ducibus, womit er zugleich ein Zeugniß ablegt von bem un»
geheuren Anfehen, in welchem damals bet Archidiaconat fand.
2) Thomassin. |. c. c. 20. n. 2.
3) Lambert, Histor. Metens. L. IV. c. 95.
542 Urfprung urb rechtliche Stellung
mehr das Befcgungsredht der Archidiaconate übten !) und
in Bolge ravon ihre Gerichtsbarkeit oft in Händen feben
mußten, welden fie bieíelbe bei freier Verleihung nie
würden anvertraut haben ?).
Waren die Archidiacone buch diefes glüdliche Zur
fammentreffen äußerer Umftände zu fo großem Anfehen
gelangt unb waren fie wenigftens factifch von ben Bifchöfen
unabhängig geworben, fo finden wir gleichzeitig das febr
natürliche Beftreben, ihre weit ausgedehnte Jurisdiction
ud principiell und begriffli von der bifhöflichen
Auctorität zu trennen: biefelbe war nad) ihrem Urfprunge
eine bloß übertragene, eine im Ramen unb Aufs
trage des Biſchoſs auszuübenve, alébalb aber beanſpruch⸗
ten fle ihre Inhaber als eine jurisdictio propria et or-
dinaria, die ihnen fraft eigenen Rechts zuſtehe. Die
erften Spuren biefer Anſpruͤche finden ſich ſchon in ben
fränfifhen Gapitufarien 3), mornad) bie Archidiacone bereits
einen förmlihen Gerichtshof — Audienlia propria — hatten,
ber in allen Angelegenheiten bie erfte Inftanz bilbete; —
durch bie häufige Abwefenheit ber Bifhöfe aus ihren Dio»
cefen, wobei bie Archidiacone ben fpeciellen Auftrag nicht
einholen fonnten, wurde bie eigene Gerichtöbarfeit ders
felben durch Gewohnheitsrecht allmählig zur Regel und im
zwoͤlften unb breigehnten Jahrhundert galt fie als eine ausge⸗
machte, burdj Goncilien und Päpfte anerfannte Thatfache.
Die Eynode von Gíarenbon im S. 1164 fchreibt c. 8
fórmlid) vor, bag vom (orum des Archidiacons bie Appels
Tation an ben Bifchof gebe und Innocenz IL nennt ben
1) c. 31. X. de elect, 1.6, c. 3. X. de supplend. neglig. praclat. 1. 10.
2) Schmidt, Geſchichte der Deutſchen, III. 6. c, 20.
3) L. V. c. 171.
der Generalvicare. 343
Exftern geradezu ordinarius judex !). Die Defretale Ores
gors IX. v. 3. 1229, vie fid) c. 16. X. de majorit. et
obedient. 1. 33 findet, berichtet Folgendes: ber Erzbiſchof
von Colocza ἐπ Ungarn hatte ein Klofter feiner Diöcefe
zur Satbebralfitdje erhoben und ifr einen Biſchof gegeben,
aber der Archidiacon, in defien Sprengel das Klofter lag,
widerfeßte fid) ber Gremption beffelben und beanfpruchte
die Suriébiction aud) über ben SBiffjof. Erſt ber Papft
vermochte feinem Gebabren ein Ziel ju fepen, indem er
ben Erzbifhof anwies, den Archidiacon anderwärts zu ente
ſchaͤdigen. Diefer Vorfall beweist offenbar, daß der Archi⸗
biacon eine jurisdictio propria hatte, denn im entgegen» .
geíebten Salle würde feine Jurisdietion in bem Augenblide
ipso jure aufgehört haben, in weldjem ber Erzbiſchof fefbft
auf feine Gerichtsbarkeit über das zur ftatfebrale erhobene
Klofter verzichtete. — Der Erzbifhof von Mainz hatte im
S. 1327 eine neuerrichtete Capelle einem Clerifer feiner
Diöcefe übertragen und ihm bie-admissio ad curam ani-
marum ertheilt: der Archiviacon an ter St. Mauritiuslirche
aber, in beffem Sprengel die Gapelle lag, hielt fid) für
berechtigt, bie bereitö gefhehene Verleihung des Erzbiſchofs
aud) feinerfeità zu beftätigen und bie Worte, womit er dieß
that, beweifen auf'8 Deutlichfte, daß er fi eine vom Erz⸗
bifhof unabhängige Jurisdiction beilegte: „Nos easdem
translationem et investituram, quantum in nobis est, tan-
quam loci Praepositus ratas habentes, ipsum N. admisi-
mus el his literis admittimus ad Capellam memoratam,
recepta ab eo obedientia manuali, ita quod omnino ejusdem
successores nobis et nostris successoribus obedientiam facere
1) Epist. 45. L. XIV. bei Baluz.
544 Mrfprung und rechtliche Stellung
et investituram a nobis et nostris successoribus recipere
perpetuo teneantur !). Hatten fid in biefer Weife bie
Archidiacone in den Beſitz einer jurisdictio propria gefeßt,
fo war εὖ davon mur eine natürliche folge, menn fie bies
felbe wieder fubdelegirten unb für bie verſchiedenen
Gegenden ihrer Sprengel eigene Ὁ fficiale auffellten 5,
welche, ihnen allein verantwortlich, mit bem Bifchofe, beffen
Rechte fie doch eigentlich ausübten, weber Hiftorifch nod
factifd) in irgend welher Verbindung ftanben unb daher
nur nod mehr dazu beitragen mußten 3), bie Diöcefan-
verwaltung des [eter zu ſchwaͤchen.
Wenn biefe völlige Unabhängigfeit der Archidiacone
ſchon an fi ein abnormer, der göttlich gugrunbgelegten
SBerfaffung der Kirche durchaus woiberfpredjenber Zuftand
war, fo fam nod) das weitere Uebel hinzu, daß fte von
ihren Rechten offen und ungefcheut ben willfürlichften und
gewiſſenloſeſten Gebrauch machten. Schon im neunten Jahr⸗
hundert erhoben fid) wieberholte Klagen über Erprefiungen,
bie fid) bie Archidiacone bei Gelegenheit ihrer 9Bifitationen
erlaubten %: fie führten ein überaus zahlreiches Gefolge
mit fid, beffen Unterhaltung den Geiftlihen große ftoften
verurfachte, weßhalb fid) eine Lütticher Synode im S. 1287
„zu ber Beftimmung veranlaßt fab, bie Archidiacone follen
fi) mit 5 ober 7 Pferden begnügen unb feine Jagbhunde
1) Bodmann, Stbringeniffje Alterhümer, &. 850,
2) c. 3. $. 1 de appellat, VI. 2. 15.
3) Wie ungemein groß die Gewalt diefer Officiale geweſen, beweist
eine Urkunde bei Würdtwein (Comment. T. I. p. 524), worin ber
Archiviacon von Afchaffenburg einem feiner Officiale bie Vollmacht ers
theilt. Vgl. Schmidt, Thesaurus, T. III p. 316.
4) Concil. Paris. a. 829. c. 25.
der GeneraToleate. 545
und Lodvögel mit fid führen Y; ble für tie Vifitation
beftimmte Zeit verwendeten fie mehr für bie Jagd unb
andere Vergnügungen als für die Erfüllung ihrer ernften
Pflichten, verlangten aber dennoch aud) von folden Ges
meinben bie SBrocurationen, bie fie gar nicht viſitirt hatten ?)
und wenn fie fid ben Mühen einer wirfliken Viſitation
aud unterzogen, fo gefchah bie bod) nur im Intereffe ihrer
Habfucht, indem fie, anftatt die Vergehen mit ben canonis
fen Strafen zu belegen, fid) biefe um Geld abfaufen
liefen 3); ben Ganonifaten, deren Vorſteher fie waren, in«
corporirten fie eine Menge von Pfarreien und bezogen das
Ginfommen derfelben, bie übrigen SBeneficien aber verkauften
fie an diejenigen, welche am meiften dafür bezahlten 5);
die Jurisdictio contentiosa übertrugen fle ihren Dificialen,
welche die Geredtigfeitépflege gleichfalls zum Gegenftanbe
fabfüdtiger Speculation machten, bie Proceffe in die Länge
zogen, um größere Summen zu erzielen 5). Fügen wir zu
al biefen Mißbraͤuchen nod) die perfönlichen Rüdfichtslofig«
feiten hinzu, welche fid) die Archidiacone gegen ihre Bifchöfe
erlaubten 5), fo haben wir ein ziemlich vollftändiges Bild
ihreg Treibens gewonnen und werden ben Unwillen begreis
fen, ben die Bilhöfe gegen fle hegten, in weldem z. 38.
Suibert von Ehartres von feinem Archidiacon fagt:
1) Binterim, a. o. ©. L 1. ©. 429,
il . 1212. P.L. c. 15; Concil. Rothomag. a. 1214.
. Lateran. IV. a. 1215. c.33; c.23. X. de censib.
3. 39.
3) Turk, De jurisdictionis civilis per medium aevum cum
ecclesiastica conjunctae origine et progressu. p. 52.
4) Turk, 1. c.
5) Concil, Salmur. a. 1294. c. 4.
6) Thomassin. 1. c. c. 20. n. 9.
546 Urfprung und rechtliche Stellung
„cum deberet esse oculus episcopi sui, dispensator pau-
perum, catechisator insipientium, apostavit ab omnibus et
factus est quasi clavus in oculum, praedo pauperibus, dux
erroris insipientibus, quin imo superba et contumeliosa
dicta in episcopum suum jaculatus est^ etc. !).
Die fide unterließ es nicht, biefen ungebührlihen
Anmafungen entgegenzutreten, bie ebenfo uncanonijden alà
verberblid)en Befugniffe ber Archiviacone zu befchränfen unb
ihre Macht auf bie urfprüngliche Bedeutung zurüdzuführen.
Alexander IH. verbot ihnen, ohne fpecielles Mandat des
Bifhofs bie Beneficien zu vergeben unb die admissio ad
curam animarum gu ertheilen ἢ). Die Diöcefe follen fie nur
im Namen des SBiffjofó — ad vicem sui episcopi —
vifttiren dürfen 9. :Derfelbe Papſt machte das Recht, die
Ercommunication zu verhängen, von ber jedesmaligen
biſchoͤflichen Erlaubniß abhängig unb unterfagte ben Ardi-
biaconen, bie Vergehen der Eferifer und Laien mit Gel
zu beftrafen und diefes für fid) zu behalten 9. Das Concil
von Saumur 5) entzog ihnen bie Befugniß, eigene Officiale
zu beftellen — nur am Sige des Bifhofs dürfen fie einen
Stellvertreter haben; namentlid) aber bie Causae majores,
bie Eheſachen, bie Unterfuhung wegen Gimonie, bie Ab
febung unb Degradation ber Glerifer waren es, welde die
Biſchoͤfe für ifr eigenes Forum zurüdverlangten ober bof)
1) Fulberti Epist. ad Clerum Paris. in Biblioth. maxim, Patrun,
T. XVIII. p. 14. .
2) c. 4. X. de οἵδε, archidiac. 1. 23, cfr. Concil. Lateran. IL
ann, 1179. Append. P. XXIV. c. 1.
3)c 1. X. h.t, 1. 23.
4) c. 5. X. 5.41. 23; c. 8. X. de poenis. 5. 37.
5) Concil Sslmur. a 1253. c. 8. cfr. Concil. Turonens. a. 1239.
« 8.
der Generafolcate, 547
die Entfgeidung biefer Angelegenheiten von ihrer fpeciellen
Ermächtigung abhängig madyten !). , Hatten fid enblid) nit
felten Minoriften und fogar Laien in bie Archidiaconate
eingeſchlichen lebiglid) in ber Abficht, fid im ben Beſitz
großer Macht unb vielen Ginfommené zu fegen unb waren
εὖ hauptſaͤchlich biefe Ginbringlinge, welche bie Surióbiction
des Biſchofs, zu bem fte nicht im entfernteften Verhaͤltniſſe
der Unterordnung ftanden, am rüdfihtslofeften zu Boden
traten, fo verordnete eine Reihe von Synoden, baf nur
Diacone zur Würde des Archidiaconats gelangen fónnen
und daß diejenigen, bie biefer Forderung nicht genügen, ihre
Stellen verlieren follen 9.
Alein fo wohlberechtigt und gutgemeint alle biefe
Beſchraͤnkungen waren, bie 9lrdjibiacone febrten fid) nicht
im Mindeften daran unb übten ihre angemafte Suriébiction
mit all ihren Mißbraͤuchen zum SBerberben ber Diöcefen
und zum Hohne der biſchoͤflichen Auctorität nad) wie vor 3),
denn Verhältniffe, bie einmal fo tief im Leben wurzeln,
bie bie Gefdjidte von Jahrhunderten für fid haben und
einen unvorbenflihen Befisftand anrufen fónnen, laſſen
fid) burd) bloße Gefege und einfache Reclamationen aus
demfelben nicht verdrängen. Sollte daher bie Gewalt ber
Bifhöfe nicht für immer das bleiben, was fie feit Jahr-
hunderten geworben war — ein leerer, wefenlofer Schatten,
follten die Gläubigen wieder von Denjenigen geleitet wer⸗
ben, bie der Herr zu Hirten gefeßt, bie Kirche Gottes zu
regieren, fo mußten bie Bılhöfe den Boden ber bloßen
Geſetzgebung verlaffen unb factifd) vorídreiten: das
1) Concil. ad Vallem Guidonis a. 1242, c. 4.
2) Thomassin. 1. c. c. 20. n. 4.
3) Binterim, a. a D. © 411 f.
548 Urfprung umb rechtliche Stellung
entfheidende Mittel zu diefem Zwede fanden fie in bet
Aufftellung eigener Bicare — Offciales, Vicarii
generales. — Der Zeitpunft, in welchem dieſes geichah,
ift bie Mitte des breigebnten Jahrhunderts:
in dem Decrete Gratians ſowie in der Decretalenſammlung
Gregor's IX., bie im 3. 1234 vollendet wurde, findet fid)
von diefen SBicarien nod) Feine Spur, der Titel (I. 28),
ber de officio vicarii überfchrieben ift, handelt von ben
Gehülfen der Pfarrer; aber fhon das Concil von
Rouen) im S. 1231 erwähnt des bifhöflihen Official,
Innocenz IV. fand fid) auf der Synode von Lyon 1245
bereit8 veranlaßt, der Jurisdiction der erzbifchöflichen Of⸗
fieiale Grenzen zu feßen 9, der Biſchof von Aurerre ber
ſtellte 1248 für bie Dauer feiner Abwefenheit ben Dom-
ſcholaſticus zum Generalvicar 3) — und von biefer Zeit
an werben biefe bifhöflichen Gehülfen immer häufiger,
fo daß der im 3. 1298 von Bonifaz VIIL publicitte Liber
Sextus einen eigenen Titel de officio vicarii enthält, ber
ausfhlieglih von ihnen handelt, woraus hervorgeht, baf
zur Zeit biefeó Papſtes das Inſtitut der Generalvicare
bereit6 allgemein eingeführt war. Was nun aber ihre
rechtliche Stellung zum Biſchofe betrifft, fo war biefe burd)
den Zwed, bem fie dienten, von felbft vorgezeichnet: fie
follten ein Gegengewicht bilden gegen bie Archidiacone, ihre
Jurisdiction befhränfen und diefelbe wieder in bie Hände
des Biſchofs jurüdbringen. Hatten daher die Archidiacone
ihre Amtögewalt ald eine eigene unb ordentliche
1) Concil. Rothomag. c. 13.
2) Der betreffende Ganon. findet fid) c. 1 de offic. ordinar. VL
1. 16, wird aber dort fälſchlich Innocenz TIL. zugeſchrieben.
8) Thomassin. 1. c. c. 8. n, 5.
der Generalvicare. 549
beanfprucht, fo fonnte bie ber neuen Vicarien nur eine
jwisdictio delegata vel vicaria fein; hatten jene ihre Rechte
ins Maaflofe ausgedehnt und allmählig alle bifhöflihen
Befugniffe ufurpiet, fo mußte bei biefen der Umfang ihrer
Rechte vom freien Willen des Biſchofs und feiner
jedesmaligen Uebertragung abhängig gemadt
werden — und wenn bie 9frdjibiacone eine Audientia
propria fi) anmaften, fo mußten bie neuen Gehülfen mit
dem Biſchofe Ein Forum bilden, von weldem die Aps
pellation nicht an den legtern, fonbern an ben Metropofiten
gelangt. In Mebereinflimmung mit viefen Forderungen
beftand daher, freilich mit manchen localen Mobdificationen,
gewöhnlich bie Einrichtung, daß für die einzelnen Dis
friete ber Dioͤceſe ſogenannte Officiales foranei beſtellt
wurden, bie an Ort und Stelle in Ausübung der ihnen
defegixten, minder wichtigen Rechte mit den Archidiaconen
concurriren und die Gerichtsbarkeit berfelben an ftd) ziehen
ſollten; am Cite des Biſchofs aber bildeten die Offi-
cales principales unb bie Vicarii generales 1) für bie vor
den Ardidiaconen und Officiales foranei verfanbelten
1) Die genannte Unterſcheldung be Officialis foraneus umb prin-
cipalis finden wir querft von Glemene V. beflimmt ausgeſprochen c. 2
de rescript. in Clement. 1. 2, wüfrenb bem Officialis principalis der.
Vicarius generalis don von Bonifaz VII. entgegengefteflt wurde c. 3
de temporib. ordinat. VI. 1.9. Uebrigens wurden beide Bezeichnungen
vielfach auch identiſch gebraucht (c. 3 de offic. vicar. VI. 1. 13), was nod
Beute ber Fall iſt. So bemerft Barbofa (De offic. et potest, Episcopi,
P. HI. Alleg. LIV. n. 53), daß bet Generalvicar nach ber conflanten
Praris der romiſchen Canzlei in ben Schreiben, bie für Italien, Ungarn,
Dalmatien, Eyyrus, Greta, den Orient, Sicilien, Sardinien und Gorfifa.
beftimmt find, Vicarius genannt werbe, während ihn bie Schreiben für
Arifa, Spanien, Frankreich, England, Deutfpland und Polen als
Officialis bezeichnen.
Sie. Dnartalfgeit 4868. IV. Heft. 37
550 Urfprung und rechtliche Stellung
Sachen die zweite Inftanz, während fie Diejenigen
Angelegenheiten in ezfter In ſtanz entſchieden, bie wegen
ihrer Wichtigkeit jenen entzogen waren — wie bie Causae
matrimoniales et criminales, bie Beftrafung der Simonie,
des Goncubinaté, ber Vergehen der Religiofen, bie Er
theilung von Dispenfationen und Privilegien, die Errichtung
und Sncorporation der Pfarreien 1c., wobei dann zwiſchen
Official unb Generalvicar fo geſchieden wurde, daß jenem
die ftreitige Gerichtsbarkeit, biefem bie Jurisdictio voluntaria
zugewieſen war !). — In biefer Stellung fämpften bit
Vicarien mit ben Archidiaconen um bie SBiebererfangung
ber bifhöflichen Jurisdiction bis in's ſechszehnte Jahr⸗
hundert — hier mit mehr, dort mit weniger Erfolg. Daß
fif bie Lepteren ihre hergebrachte Stadt, nicht fo ohne
Weiteres entwinden ließen, fle vielmehr eben fo fráftig und
ganz in derfelben Weife wie bisher handhabten, bemeifen
bie fdweren Klagen, bie au im 14ten und 15ten Jahr⸗
Hundert gegen ihre Willkuͤr, Habfucht unb ſchlechte Vers
waltung wiederholt erhoben wurden ?), aber für bie Dauer
mar fle nicht mehr aufrecht zu erhalten. Rachdem fon
Earl V. in ber vortrefffidjen Formula Reformationis 9),
bie er 1548 dem Reichstag zu Augsburg vorfegte, c. II
bie Archidiacone in ihre urſpruͤngliche Stellung zum Biſchofe,
wornad fie bloße Stellvertreter deffelben find, gurüdgemirien
hatte, war εὖ befonberá das Tridentinum, daß ihrem
Treiben das längf verdiente Ende brachte. Die Synode
entzog ihnen für alle Zufunft bie Causae matrimoniales εἰ
1) Cabassutius, Theoria et praxis Jur. Can. L. L c. 13. n.i;
Van-Espen, 1. E. P. L. tit. 12, c. 4. 5.
2) Turk, 1. c. p. 62 seqq.
3) Goldaet, Constitut. Imper. IL p. 325 — 339.
der Generalvicare. 551.
criminales 1) und bie Ausübung des Vifitationsrechtes
wurde von der Zufimmung des Biſchoſs abhängig gemacht,
bem fle im Balle einer Uebertragung innerhalb Monats⸗
friſt Bericht zu erflatten und Rechenschaft abzulegen haben 2);
die Verhängung der Crcommunication forie bie Beſtrafung
ber concubinarijd)en Glerifer follte für bie Folge nur mehr
vom Bifchofe ausgehen dürfen 5), deögleihen bie 9Ippro«
bation der Geiſtlichen, die Ertheilung ber institutio canonica
bei Patronatspfränden mit Ausſchluß des Archidiacons nur
dem Ordinarius zufiehen *), bie Gefbfirafen, welche bie
Archidiacone bisher verhängten und für fid) bezogen, wurs
den jebt zu frommen Zweden beftimmt, woburd) eine reiche
Quelle ihres Einfommens hinwegfiel 5), endlich verordnete
das Eoncit: „Archidiaconi, qui oculi dicuntur episcopi,
sint in omnibu$ ecclesiis, ubi fieri poterit, magistri in
iheologia seu doctores aut licentiati in jure canonico* 5).
Was burd) biefe Beflimmungen, bie ben Archidiaconen
den größten unb wichtigften Theil ihrer bisherigen Rechte
entzogen, beabfichtigt war, trat alsbald ein: in vielen
Diöcefen giengen fle gänzlich unter, fo daß nicht einmal
Ihr Name fid) erhielt, in andern bfieben fte zwar beftehen,
aber ifr Amt war weiter nichts, als ein Titel ohne Juris⸗
biction, unb wenn fle fid) an einzelnen Kirchen aud) einen
Heinen Kreis von Rechten nod) retteten, fo übten fte biefe
nit mehr jure proprio, fondern lediglich in Folge einer
1) Bess. XXIV. c. 20 de ref.
2) Sens. XXIV. c. 3 do ref.
3) Sess. XXV. c. 3. 14 de ref.
4) Sess. XIV. c. 12. 13; Sess. XXV. c. 9 de ref.
5) Sess. XXV. c. 3 de ref.
6) Sess. XXIV. c. 12 de ref.
815
559 Urfprung und rechtliche Stellung
Conceſſton des Biſchofs als jurisdictio delegata ). Diefe
neuen Berhältniffe hatten aber nod) eine weitere febr wichtige
Veränderung in ihrem Gefolge; ba bie Officiales foranei
den Zweck hatien, an Ort und Stelle mit ben Archidiaconen
gu concurriren und ihnen bie bifchöfliche Syurióbiction all-
mählig zu entziehen, fo hatten fie mit dem Aufhören der
Arhidiacone ihre Beftimmung erfüllt und fielen gleichfalls
hinweg, ja fefbft bie Officiales principales hatten feit bem
15ten Jahrhundert nad) unb nad aufgehört 9. So blieb
nur mehr der Generalvicar übrig als ber alleinige
- Stellvertreter des Bifhofs in Ausübung der gefammten
Zurisdietion und es wird jept unfere Aufgabe fein, bit
mod) heute geltende Gefeggebung darzulegen, bie fld) über
die rechtliche Stellung beffelben auf der Grundlage des
Deeretalenrehts, des Sxibentinumó unb Pauptfäctic, der
Entſcheidungen der römischen Eongregationen ausgebildet
bat. —
1) Bol. die Verorduung der Synode von Galjburg v. I. 1569 5d
Binterim, a. a. D. €. 425 f.
2) Auch das Tridentinum feunt feinen Official mehr im Gegenfag
jum Generalvicar, εὖ gebraucht beide Suébrüde ſynonym Sess. XXIV.
c. 16 de ref. unb überweist bie jurisdictio contentiosa , bie früher bem.
Dfficial zufland, am bem Generalvicar Sess. ΧΠῚ, c. 1 de ref. Ju
einzelnen ‚Diöcefen beſteht übrigens mod) heute bet Official neben bem
Generalvicar fort, jenem iR die Gognitlou und Entſcheldung ber Qe
ſachen zugewiefen und bildet mit ben ihm beigegebenen Domcapitularen
das Dfficialat, während ber Beneralvicar die ganze ordentliche Juris
dietion des Bifchofe ausübt und mit den ihm zur eite ſtehenden Räthen
das Generalvicariat conftituit: beide Golegien zufammen bilden
dann das bifhöflige Orbinariat,
der Generalvicare. 553
A. Beftellung des Generalvicare.
Senn einige Ganoniften. unter Berufung auf c. 14.
15. X. de offic. judic. ordinar. 1. 31 die Behauptung
auiftclten , jeder Biſchof habe bie Verpflichtung fid) einen
Generalvicar zu beftellen, fo muß biefe Anſicht als durch⸗
aus unbegründet bezeichnet werden, weil einerfeitd bie an»
geführten Stellen von einem eigentlichen Generalvicar gar
nicht teben und anderſeits weil eine folde Borderung
mit den Grundanſchauungen des canoniſchen Rechts im
volftändigften Widerſpruche ſtehen würde. Nah ben
Haren Beftimmungen defielben haben alle Diejenigen,
die ein kirchliches Amt wegen ihrer perfönlidhen
Eigenfhaften erhielten, baffelbe aub perſönlich
ju verwalten iN daß bie Würde des Episcopates gleichfalls
in die Reihe diefer Aemter gehöre, daß zu derfelben immer
derjenige erhoben werben follte, ber vermóge feiner pers
fónliden Eigenfhaften ber 9Bürbigfte unb
Saugli fte ift, fann nicht bem geringften Zweifel unters
liegen 3). Mithin wird ber Bifhof nicht nur das Recht,
fondern aud bie Verpflichtung haben, feines Amtes
perfónlid) zu warten und bie Heerde, bie Gott feiner
Obſorge anvertraute unb für welche er einftenó dem ewigen
Richter wird Rechenſchaft ablegen müffen, Trid, Sess. VI.
c. 1. de ref. felbft zu leiten. Die vom Geſetze ihm
gegebene Befugniß, einen Gehülfen in ber Perfon des
Generalvicars fid) zu beftellen, muß bemgemáf unter bem
Gefihtspunfte einer SBerwilligung, einer befondern
1) c. 3. X. de cleric. non resid. 3. 4.
2) Trident. Sess. XXIV. c. 1. de ref.; Ferraris, Prompt. biblioth,
s. v. eleciio, art, III. n. 13 seqq.
554 Urfprung und rechtliche Stellung
Eoneeffion, eines Privilegiums qufgefaßt werden,
von bem er je nad feinem Grmefjen Gebraud) maden
fann ober nicht: will er bie ſchwere Bürbe feiner Pflichten
allein tragen, fo wird diefes um fo vollfommener unb
für ihn um fo verbienftliher fein, hält er es aber für
die ypünftlibe und ſchnelle Beforgung der Geſchaͤfte für
swedmäßig, ὦ einen Gehülfen beizuordnen, fo fann er
Einen oder nad ben Umftänden aud) mehrere Generals
vicare beftellen ἢ". Diele Freiheit des Biſchoſs, bie aud)
von ber Rota Romana und ber Congregatio Concilii aus
brüdlid anerfannt vourbe?), bildet alfo die Regel,
en welder aud) bann. nod) feftgehalten werden muß, wenn
der Bifhof zwei Diöcefen unter feiner Jurisdiction ver
einigt, aber bie Adminiftration beider allein führen will 3) : eine
wirkliche und vom Geſetze beftimmte Ausnahme tritt nur
in den Fällen ein, mo ber Bifchof (ei. e wegen zu großer
Ausdehnung der Diöcefe oder wegen ber Menge der Ge
fhäfte oder aus irgend einem andern Grunde nicht im
Stande ἐξ, allein den Verpflichtungen feines Amtes
nachzukommen und gegründete Urſache für die Befürchtung
vorliegt, e8 möchte bie geordnete Verwaltung der Diörefe
Schaden nehmen. Unter foldjen Berhältniffen ift er, wie
in ber Natur der Sache liegt, verpflichtet, einen Generals
vicar zu beftellen und fann vom heiligen Stuhle zur An
nahme eines folhen in der Weife angehalten werben, bof
falls er den betreffenden Vorſtellungen nicht nadjfommen
1) S. Congregat. Concil. in Lancian. 24 Mart. 1599; in Gerunden.
et Cariat. 2 Octobr. 1706.
2) Rota in Calagurit. Fructuum 18 Mart. 1583; Oomgregel.
Concil. 11 Februar. 1696.
3) Ferraris, l. c. s. v. Vicarius generalis Episcopi, art, L n. 13.14.
der Generalvicare. 555
follte, ihm vom DOberhaupte der Kirhe ein Gehülfe und
Stellvertreter fpeciell gefegt wird !), ber alddann bie Voll
machten eines Vicarius Apostolicus übt und von Geiten
des Bifhois wunabícgbar ift ?).
Wie εὖ mit Ausnahme der zuletzt genannten Fälle
lebiglió von der Entiheidung des Bilhofs abhängt,
ob er einen Generalvicar beftellen wolle oder nicht, fo hat
er aud die vollüünbigüe Breiheit in der Wahl ber
SBeríon: er ift nur feinem Gewiſſen verantwortlich,
‚Niemand hat Bier mitzufprecben, [εἰδῇ das Kapitel nicht,
denn nad) der übereinftimmenden Anfiht der Ganoniften
und ber ununterbrodhenen Praris bedarf ex meber beffen
Rath nod Zuftimmung 9). Deſſenungeachtet aber wird
faum nöthig fein zu bemerken, daß er bei biefer Auswahl
bie größte Vorfiht anwenden und nur einen folhen Mann
mit bem wichtigen Amte, auf bem eine fo große Ders
antwortung ruht, betrauen folle, ber in jeder SBeife
würdig unb nad) allen Seiten hin fähig ift, — die größten
Biſchoͤfe find biefer natürlichen Verpflihtung gewifienhaft
nadjgefommen, von Carl Borromäus fchreibt fein Biograph :
„Vicarium Generalem in primis gravem, pietate religioneque
praestantem, doctrina spectatum, juris consultum, tum
praeterea disciplinae sacrae studio incensum , Sacerdotem
eligebat“ *). In biefem Sinne hat das canonifche Recht
eine Reihe von Eigenfhaften namhaft gemacht, bie zu ber
1) Nicolius, Floscul. s. v. Vicarius General. n. 39.
2) S. Congreg. Episcop. in una Civitatis Castell. 2 April. 1591;
in Mediolan. 8 Februar. 1594.
3) Ferraris, |. c. n. 3.
4) Pellegrinue , Praxis Vicariorum, p. 1. Baerbosa, De offic,
et potesta, Episcop. P. Ill. allog. 54. n. 3.
556 Urfprung und rechtliche Stellung
Würde des Generalvicars befähigen ober aber von berfelben
ausſchließen. Vor Allem wird der Elerifat gefordert,
denn bie Laien find zur Ausübung ber kirchlichen Jurisdiction,
bie gerade ben Geſchaͤftskreis des Generalvicaré bildet, durch⸗
aus unfähig ); zwar fann ein Laie in untergeorbneter.
Eigenſchaft als Beifiger ober Gonfultor einem geiflliden
Gerichte beigegeben werben, aber al Richter (elbft oder gar
als Präfident des Gerichtes fann er nie auftreten. Wenn
bemgemáf nur ein Cleriker Generalvicar werben fann,
fo fragt fib weiter, welcher Or do erforderlich fei? Daß
an fij (don bie Tonfur hinreihen würde, [eudjtet ein,
denn fie ertheilt mit dem Glerifat aud) das Recht, an der
Ausübung ber firdliden Suriébiction thätigen Antheil zu
nehmen, aber die pofitiven Beflimmungen des Rechts ber
gnügten fid) in ber Regel damit nicht: bie fpaniihe Synode
von Tortofa im Jahr 1419 verlangte c. 10 die höhern
Weihen und erflärte jede Handlung für null und nichtig,
bie ein Minorift als Generalvicar vornehmen würde; das
fechfte Concil von Mailand forderte jum Wenigften ben
Gubbiaconat, das von SBourbeaur 1583. c.,16 ausprüdlig
ben Presbyterat und in Spanien ift εὖ feſtſtehendes Geſeh,
dag nur ein Presbyter zum Generalvicar erhoben erden
füónne?) — und dieſes Leptere wird wohl das Gieeignetfit
fein, denn faffen wir bie Stellung des Generalvicard näher in's
Auge, wornad) er der Vorgeſetzte fämmtlicher Priefter der
Diöcefe ift, fo wird nicht geläugnet werden fónnen, daß
etwas Unangemefienes darin liegt, wenn er blos Diacon
ober Subdiafon ift — Die Trage, ob ein Regulare
1) c. 2. X. de judic. 2. 1.
2) Constitu, Urbani VIII: Decet Romanum.
der Generalvicare. 857
das Amt eines Beneralvicars befleiden fünne, ift von ber
Congregat. Episcop. !) wiederholt und mit Recht verneint
worden, denn einerfeitö ftebt tie Verpflichtung zur Gaufur ent»
gegen, andererfeits ift der geräufchvolle Wirkungskreis dieſes
Amtes mit der Beſtimmung bes flófterliden Lebens wenig vet»
einbar; mur in fehr dringenden Fällen ertheilt der apoſto⸗
liche Stuhl dießfals Diſpens *). Ebenfowenig fann ein
Pfarrer zum Generalvicar beftellt werden, denn beide
Aemter find unvereinbar 3) und es müßten entweder die
Pflichten des einen ober des andern vernad)láfigt werben 5,
nicht einmal bie Anſtellung eines Pfarrricars begründet
eine Ausnahme von biefem DVerkoted). Aus denfelben
Gründen find bie firhlichen Dignitäre und bie Canonici,
melde eine cura animarum haben, ausgeſchloſſen ὁ. Das
gegen find bie einfachen Domherrn nicht nur nicht aus⸗
geſchloſſen, fondern «6 ift fogar Regel, daß der Generalvicar
aus bem Gremium des Capitels gewählt wird, theil wegen
bet hohen Stellung, welche bie Mitglieder deſſelben [don
an fid) in der Diöcefe einnehmen, tbeiló wegen ihrer aus⸗
gebebnten Bekanntſchaſt mit den allgemeinen Diöcefanans
gelegenbeiten. Daher hat bie Ennode von Ealamanca im
3. 1335 c. 1. geradezu vorgeſchrieben: „Episcopi viros
providos de gremio ecclesiae cathedralis lilerarum scientia
praeditos, si reperire potuerint, ad exercendum eorumi
1) 8. Cong. Episcop. in Asculana 15 Januar 1597, in Motulana
8 Moji 1615.
2) Ead. Congreg. in Caputaquens, 17 Novembr, 1593.
3) S. Congreg. Episcop. in Messana 19 Januar. 1603.
4) Ead. Cong. in Sutrin. 16 Novembr. 1640,
5) Eed. Cong. in Albingan. 8 Junii 1621.
6) S. Congreg. ad Trid. Sess. XXIV. c. 12. de re, edid,
Richter n. 81. .
558 Urfprung und rechtliche Stellung
vices, eligere teneantur* unb aud) bie Congreg. Episcop.
fprad fid für bie Zwedmäßigfeit ter Wahl eines Dom:
tapitularen aus 1): daß aber ber Biſchof biegu verpflichtet
fei, davon fann feine Rebe fein, und erft neuerlich hat
der heilige Stuhl ausdruͤdlich erflärt, der Generalvicar
muͤſſe nit nothwendig Mitglied des Capitels fein *). —
Nach einer Verordnung des Tridentinums *) bat der Biſchof
aus der Mittedes Gapiteló einen Poenitentiariusan der Kather
dralfirche anzuftellen : biefer fann nicht Generalvicar werben,
damit jeder Schein ferne bleibe, als benüge ber Ocnerafvicar
in Ausübung ber Jurisdiction etmad von bem, was er
in feiner Etelung als Roenitentiarius in Erfahrung ges
bracht; nur dann ift eine Musnahme von diefem allgemeinen
Verbote geftattet, wenn bie anerkannte Rechtſchaffenheit
des Mannes jeden derartigen Verdacht ausichließt 3). —
Um ferner jeden Schein des Pepotismus und viele andere
Inconvenienzen zu vermeiden, verbieten die Gefepe aus
brüdlid), daß ber Bifhof einen Verwandten zum
Generalvicar beftelle 5); nur bei befonder6 hervorragenden
Eigenfhaften und bem Mangel an andern geeigneten
Männern wird bisweilen auf furze Zeit eine Ausnahme
geftattet 9. Ob der Biſchof feinen fünftigen Stellvertreter
aus der Zahlder Didcefangeiftlihen wählen müfle oder
aud einen Au 6 üáctigen dazu beftellen dürfe, Darüber hat
1) 8. Congreg. Episcop. in Trahun. 3 Septembr. 1601 *
Messan. 23 Julii 1603.
2) Darfiellung der Gefinnungen Geiner. Heiligkeit x. bei Münch,
Goncorbatt, TI. Όν. δ. 402.
3) Sess. XXIV. e. 8 de ref.
4) 8. Cong. Episcop. in Ariminens. 28 Janusr. 1611.
5) S. Congreg. Episcop. in Ariun. 1636.
6) 8. Congreg. in una Nullius Pisciae 1. Octbr. 1635.
der (θεπεταοίεατο, 550
{ὦ bie Praris ju verſchiedenen Zeiten verfdieben ausgeſpro⸗
jen: Carl Borromäus ließ nur Auswärtige ju !) unb aud) bie
mehrerwähnte Gongregation hat in biefem Sinne wieber-
holt entftbieben 2), weil fte bei Einheimifhen die allerdings
naheliegenden SBegünfigunger von Verwandten und Ber
fannten befürdjtete, allein fle felbft hat fid) febr häufig
veranlaßt gefehen, hierin zu dispenſiren 5) fogar für ita»
lien iſche SSifdófe — und wenn in andern Ländern diefe
Praris nie durchgeführt wurde, fo lag babei ohne Zweifel
bie ganz richtige Erwägung zu Grunbe, taf ein Ange
böriger ber Didcefe einerfeitö viel genauere Kennts
niffe ber fBerbáltniffe und Perfonen habe, was ihm fein
Amt ungemein erleichtert, unb andernfeitß bei feinen Unter»
gebenen mehr Liebe und Vertrauen finden werde, — etwaige
ungerechte Begüinftigungen aber burd) die energifche Perfön«
Tigfeit des Biſchofs leicht verhindert werden fünnen. —
Berner verlangt das Recht bei ber. hohen Stellung des
Generalvicars unb der Wichtigfeit feines Amtes, daß er
zum MWenigften 25 Jahre alt {εἰ *) und daß felbft bie
bifhöfliche Dispenfation nicht binreide, einen Jüngern zu
berufen 5). Daß diefe firenge Forderung vollftändig berechtigt
fet, geht aus anbermürtigen Beſtimmungen des Geſetzes
deutlich hervor, denn wenn das Sribentinum 5) für jede
Dignität mit Seelforge das 25. Jahr fordert, um wie
viel mehr wird bieß bei bem Generalvicar Platz greifen
1) Pellegrin. 1. c. p. 1. n. 2.
2) In Ostunens. 28 Julii 1587, in Spalatrens. 9 Mart. 1593,
in Senogall. 10 Februar. 1598.
8) Ferraris, 1. c. n. 35.
4) Nicolius, Floscul. n. 39. Barbose, |. c. n. 3.
5) Perreris, |. c. n. 37.
6) Sem. XXIV. c. 12. de ref,
360 Urfprung unb rechtliche Stellung
müffen, ber gleichſam bie Seelforge der ganzen Diöcefe
in fid vereinigt und als Vorgeſchter leitet? — Um endlich
eine hinreichende Garantie. für die wiſſenſchaftliche Befähi-
gung des Generalvicaró zu haben, fann mur ein Doctor
oder ficentiat des canoniſchen Rechts gewählt werben !)
und dicß ganz be(onberó bann, wenn ber Biſchof felbft
dieſer academiſchen Grade ermangelt ?), fo baf er von der
Congreg. Episcop. jur Annahme eines Graduirten fogar
genótbigt werden fann; bisweilen jebod) ertheilt die
-Éongregation Dispens 3), wenn ber. Gewählte nad) allen
andern Richtungen hin die canoniihen Eigenfhaften hat
und der Biſchof im Rechte der Kırche ſelbſt erfahren ift,
eine Radfiht, zu welcher fie um fo mehr berechtigt ift,
als das Tridentinum für die ungleich wichtigere Stellung
des Capitularvicars bie genannten acabemijden Würden
verlangt, bennod) aber beifügt: vel alias, quantum fieri
poterit, idoneus *). .
Hat ber SBifbof unter Beobachtung ber aufgeführten
Borberungen bie Wahl wirflid) getroffen 5), fo fof ez bem
1) S. Congreg Episcop. in Polignan. 28 August. 1582, in
Triventin. 6 Octobr. 1645. Der Doctorat in bet. Theologie reicht
an fid nicht hin und Reht bier jedenfalls bem im canoniſchen Recht nach,
weil der Wirkungskreis des Generalvicars wefentlid in der 9tueütung
der Suriébiction umb. der kirchlichen Rechtspflege beſteht. Das
Gefagte wird ausdrücklich befätigt von ber Congreg. Episcop. in
Surrentina 15 Novmbr. 1605.
2) Ead. Congreg. in Arben. 23 April. 1591.
3) Ead.-Congreg. in Tragurien. 15 Junii 1590, in Oritana 29
Mart. 1593.
4) Sens. XXIV. c. 16. de ref.
5) Hiezu IR ber Bifchof berechtigt, fobald er confirmirt if,
denn da er durch bie Befätigumg in ben vollen Befig der biſchoͤflichen
Surieébiction gelangt (c. 42 de elect. VL 1. 6), fo it er auf
befugt, dieſelbe durch Delegation einem Dritten zu übertragen.
der Generalvicare. 561.
Betreffenden die Crnennungéurfunbe, bie zugleich feine
fünftigen Rechtsbefugniſſe enthält, alsbald aushändigen.
Diefe Urkunde muß von Zeugen unterzeichnet fein und
überhaupt den Charakter eines öffentlichen Inftrumentes
an fij tragen 1), damit fid) der Generalvicar zu jeder
Zeit af& folder Iegitimiren könne unb ber Kreis feiner
Rechte ein⸗ für allemal fef und beftimmt abgegrenzt fei.
Gade des Gewählten ift εὖ fobann, biefe Urkunde im
Driginal bem verfammelten Gapitel vorzulegen und ihm
babutd) bie SBefignafme feines Amtes officiel zu notifis
tien. In ben Acten der bifhöflihen Eurie ift eine aus
thentiſche Abfchrift nieberjulegen ?). Die Beftätigung
des vom Biſchofe erwählten Generalvicars, welde in
neuern Zeiten einzelne Regierungen in Anſpruch genom«
men haben 3), ift eine ebenfo überflüffige als unmotivirte
Forderung. Der Generalvicar bildet mit dem Bifchofe
rechtlich eine unitas personae und Ein und baffelbe Forum:
er Fann nur diejenigen Rechte ausüben, bie bem Bifchofe
ſelbſt aufteberi, und wenn er je die bifchöflihen SBefugniffe
mißbrauchen oder überfchreiten follte, fo ift nicht er, fon»
dern ber Biſchof verantwortlih. Das Leptere folgt
einerfeitd aus bem allgemeinen Rechtsgrundſatze: qui facit
per alium, est perinde ac si faciat per se ipsum *), an«
bererfeit& liegt e& in der ganzen Stellung, bie ber Biſchof
fortwährend zu feinem ©eneralvicar einnimmt: er fol
1) Rebuffus, Praxis beneficiorum, de vicariis Episcop. n. 8, 13.
2) Pellegrinus, 1. c. p. 3. n. 1.
3) 3. 8. in Defterreich: Hufberret vom 23. Mai 1782 und
22. Zuni 1797, und in Bayern, Sn. Müller, Pericon des Kirchen»
rechts, Art. Beneralvicar.
4) c. 72 de regul. jur. VL 5. 12.
562 Urfprung umb rechtliche Stellung
diefen ununterbrodjen beauffitigen, ſich mit ifm über bie
verſchiedenen Angelegenheiten befpredhen, ihn ermahnen 1;
er kaun ihn, false er vom Wege des Rechts abweid)t,
jederzeit zur Rechenſchaft ziehen, ihn beftrafen und wenn'é
nöthig fein follte, jeden Augenblick entlaffen ἢ, Macht
der Biſchof ven diefen ausgedehnten Befugniffen feinen
Gebrauch, fe if er aud für den Schaden haftbar, ben
der Generalvicar anrichtet und für die Handlungen vers
antwortlich, bie biefer widerrehtlich vornimmt 3. Wenn
demgemäß der Generalvicar nur diejenigen Befugnifie
ausüben fann, zu welden der Biſchof felbft berechtigt iR
und im Falle einer Ueberfchreitung bie Verantwortlichkeit
bem Letzteren obliegt, fo involvirt bie Beſtellung des Ge⸗
neralvicars gar feine Veränderung in der 9lbminiftration
der Diöcefe, die Regierung fleht nad) wie vor lediglich
bem Biſchofe gegenüber und ebenbarum ift nicht einzu
feben, wozu bie beanfpruchte Beftätigung dienen unb worauf
fie fib gründen follte. Ueber bie Behauptung: „Es fónne
Niemand im &taate ein Amt befleiden, der nidjt von der
Regierung in demfelben beftätigt fel," vgl. bie Denk
fórift des Epyiscopats.ber oberrheinifhen Kirchen⸗
proviny vom 3. 1853, €. 39 f. —
Wie endlich der Generalvicar vom Bifhofe allein
unb zu befen perfónlider Unterftügung gewählt
wird, fo muß er aud? von biefem unterhalten mer-
den, felbft wenn bei ber Beftellung hierüber Nichts ſtipu⸗
lirt worden wäre %; flirht ber Bifhof, ohne bem Gene
1) Coneiliam Narbon. s. 1609 bei Thomass. 1. c. c. 9, m. 4.
3) Berbosa, 1. c. n. 184.
3) Rebuffus, |. c. in Forma Vicariatus, n. 188.
4) Borbosa, 1. c. n. 178.
dee Generaloicare. 563
ralvicar fein Einfommen verabreicht zu haben, fo ift biefer
berechtigt, e& vom Gapitel aus den Gefällen der vacanten
Kathebralfirche zu verlangen !). Die Größe des Gin»
fommené ift gemeinrechtlich nicht beftimmt, fie richtet fid)
nach Zeiten und S8erbá(tniffen, zum Wenigften aber muß
bem Grundfage Genüge geleiftet werben : ,Officialem sti-
pendio tam pingui donare, ut ne ulla ei ansa sit nundi-
mandi justitiem et impunitatem peccandi promercalem ha-
bendi* 2); weßhalb aud) bem Bifchofe auébrüdlid) unterfagt
ift, dem Generalvicar die Taxen ber Canzlei 9) oder einen
Theil der Strafgelder *) als Einfommen zuzuweifen. In
neueren Zeiten ift in vielen beut[den Diöcefen in folge
der Vereinbarungen mit Rom für bie Dotation des Ges
neralvicars von Seiten der Regierungen geforgt:
nad) dem Goncorbat Art. II find in Bayern den Dom-
herrn, weíde die Stelle eines Generalvicaró. befleiden,
jaͤhrlich 500 fl. ausgeworfen; für Preußen beftimmt bie
Bulle: De salute animarum: „singulis Archiepiscopis et
Episcopis ad satisfaciendum expensis Vicariorum Gene-
relium et Curiae eem redituum tribuat quantitatem, quae
a praelaudato Borussiae Rege juxta liberalem et providam
suam promissionem hisce titulis factam constituetur“; für
bie Diöcefe Rottenburg ftipulitt die Bulle: Provida
solersque und übereinftimmend mit ihr das K. Fundations⸗
infrument v. 14. Mai 1828, daß ber Sombefan, falls
er zum Oeneralvicar beftelt wird, 1100 fL, unb ein
1) Pellegrinus, 1. c. P. I. Sect. IL Subsect. I. n. 21.
2) Thomassin., 1. c. c. 9. n. 4.
3) Congreg. 'Episcop. in Senogall. 16. Octobr. 1604.
4) Barbosa, Bumma Apostol. Decision. verb. Vicar. General
Episcopi n. 8. . :
564 Urfprung ππὸ rechtliche Stellung
einfader Domeapitular 1700 fl. als Zulage erhalten
folle ). —
B. Bie Amtsgewalt des Generalvicars.
Da ber Generalvicar nad) Urfprung und Geſetz⸗
gebung feine jurisdictio propria hat, fondern [ebiglid) der
Gehülje und perfönlihe Stellvertreter des Biſchofs ift,
fo hängt ber Umfang feiner Jurisdiction vom freien Gr»
meflen des Biſchofs ab, b. b. er fann nur diejenigen
Rechte ausüben, bie ber Leptere ihm übertragen hat.
Daher entſcheidet fid) bie Brage nad) bem jeweiligen Um»
fange feiner Amtsgewalt genau nad) bem Inhalte des
Mandats, das der Bifchof ihm. bei feiner SBeftellung zus
wies ἢ. Sft in bemfelben der Geſchaͤftskreis zwiſchen Bir
fdof unb @eneralvicar genau abgegrenzt und find bie
Gegenflánbe, bie vor das Forum bes Lehteren gehören
follen, fpeciel aufgeführt, fo hat er fid) auf biefe zu bes
ſchraͤnken unb alles Uebrige bem Biſchofe zu überlafjen >).
Rautet aber das Mandat ganz allgemein — „Te
nostrum in Spiritualibus et Temporslibus vicarium gene-
relem constituimus, nominamus et deputamus* —, fo ftebt
ipm bie Ausübung der ganzen bifhdilihen Jurisdietion
zu 9, jebod) mit Ausnahme aller derjenigen Bälle, bie
1) Aus bier Beſtimmung geht zugleich hervor, ba ber SBifdjof,
wenn er den Generalvicat nicht aus bem Gremium des Gapitelé nimmt,
denfelben felb f unterhalten muß. MWgl. Darfiellung ber Gefinnungen
Geiner Heiligkeit, Nünd, a. a. D. €. 402.
2) Ferraris, 1. c. art, IL n. 84,
3) @ine foldje genaue Abgrenzung des gegenfeitigen Wirkungekreiſes
findet ſich im der fBerorbnumg v. 19. Sept. 1822 für das Erzbisthum
Bamberg, bei Sinbr. Müller, a. a. D. Srt. Generolojrar.
4) Garcias, De benefüc. P. V. c. 8. n. 65 seqq.
der Generalvicare, . 565
gemeinrechtlich ein mandatum speciale erfordern unb bief
felbft bann, wenn die Elaufel beigefügt fein follte: dantes
et concedentes tibi plenam et liberam potestatem '); find
dagegen im Anftellungsinftrument einzelne Bälle, bie fonft
das fpeeielle Mandat erfordern, auébrüdid) erwähnt unb
biefen bie allgemeine Glaufel beigefügt: „et omnia et sin-
gula faciendi οἱ committendi etiam si majora fuerint et
quae mandatum exigant speciale, prout ad ipsius Vica-
riatus et Officialatus ofücium noscitur quomodolibet per-
tinere etc.,“ fo fann bez Generalvicar Alles vornehmen,
was gemeinrechtlich ein fpecieles Mandat erfordert —
mit Ausnahme jener Fälle, die höherer Art find, als bie
in ber Urkunde ausdruͤcklich erwähnten ?).
Zur nähern Grflárung des Gefagten wird uns jept
obliegen, diejenigen Bälle nahmhaft zu madjen, für deren
Behandlung ber Generalvicar das fpecielle Mandat tt6
Biſchofs nothiwendig hat und ohne welded feine Entſchei⸗
dungen rechtlich null und nichtig find. Wir beginnen mit
der Aufzählung derjenigen, bie nah ben ausdrüdlis
Gen Beftimmungen des gemeinen Rechts hieher
ἂμ rechnen find.
1) Dem Generalvicar flet in Folge eines allgemeinen
Mandate die Ausübung ber ganzen biſchöflichen Eivilger
tidtébatfeit zu, dagegen bedarf er zur Unteriuhung und
Entſcheidung der Eriminalfahen, fowie zur Vers
bängung ber Strafen der fpeciellen Erlaubniß des Bir
ſchoſs 9.
1) Berkosa, I. c. n. 59.
2) c. 4 de procurator. VI. 1. 19. Zngel, Collegium U.J. C. L.
1. tit. XXVIIL n. 10. Qine Formel für derartige Bacultäten findet fif
bei Pellegrin. 1. c, P. L' Sect. H. Subsect, VI. in fin.
3) c. 2 de offic. vicar. VI. 1. 13.
Siesl. Ouarialiariſt. 1858. IV. Heft. 38
566 Urfprung unb rechtliche Stellung
2) Ebenfo verhält ed fid) bei der Vergebung derje⸗
nigen Pfründen, bie liberae collationis episcopi find, denn
biefe fallen unter ben Begriff ber Gnaden verleihungen ),
bie bem Apminiftrator. in δοίρε feines allgemeinen Mans
dats nie gufteben 2: daher der allgemeine Rechtsgrundſah:
ea, quae sunt voluntariae. jurisdictionis et sapiunt gra-
fiam, regulariter non censentur translata in generalem
Vicarium 3). Dagegen fann ber Generaloicar ohne fpe
eielle Erlaubniß ben von ben Patronen Praͤſentirten
bie SBeflátigung unb institutio canonica ertheilen 5), weil
εὖ fid bier nicht um eine Onadenverleifung, fonbern um
bie institutio necessaria handelt, bie ertheilt werden muß,
wenn der Präfentirte die canoniſchen Eigenſchaften befigt.
3) Ohne fpecielles Mandat kann der Generalvicar
feine Dimifforialien ausftellen 5), weßhalb er in ben
ſelben jedesmal beizufügen hat: ex speciali mandato elc.
Dagegen bedarf er zur Ausfertigung derſelben, wie bie
eben erwähnte Decretale beflimmt, dieſer fpeciellen Er
laubniß nicht, „episcopo in remotis agente.“ Welches aber
ber nähere Sinn der legtgenannten Worte fei, darüber,
find die Canoniften uneinig: die Gloffe (ad. cap. cit)
1) c. 9. X. de praebend. 3. 5; c. 7. X. de concessione prao-
bend. 3. 8. j
2) c. 3 de offic. vicar. VI. 1. 13.
3) Fagnani, Comment, ad c. 1. X. de instjt. 3. 7. n. 85. SB
aber der Viſchof die collatio benefic. nicht [elbft ausüben, fo fans
et die Vollmacht dazu Riemanden übertragen, als feinem Geno
talvicar. Glosse in c. 3 de offic. vicar. VI. 1. 18, verb. commisze.
4) Barbosa, l.c. n. 70. Benedict. XIV. de synodo dioeces.
1.1. c. 8. . Die entgegengefepte, aber von ben neuern Canonifen
allgemein aufgegebene Meinung vertheitigt Rebuffuz, Praxis bene.
additiones in Regul. Cancellar. Xlll. verb. -eus vicarios perpetuos
5) c. 3 de temporib, ordipat, VL 1. ὃ,
der Generalolcare. 567
bemerft, die Einen nehmen diefen Fall an, wenn ber Bie
hof fid) außerhalb ber Provinz befinde, bie Andern —
wenn er über zwei Tagreifen von feinem Biſchofsſitze ent»
fernt fei, fte ſelbſt entſcheidet fib dahin: hoc esse arbi-
trarium, scilicet pro majori vel minori difficultate con-
veniendi episcopum. Diefer Meinung [diet fid aud)
SBenebict XIV. an, wenn er l c. fagt: extra casum,
quo episcopus in remotis versatur, ita ut ab Ordinandis
sine magna. difficultate arbitrio prudentis viri metienda
conveniri non valeat.
4) Zu allen Dispenfationen von Sirregularitáten unb
Genfuren, bie auf einem delictum occultum beruhen, bes
darf der Generalvicar des fpeciellen Auftrags, denn das
Sribentinum !), das bie SBollmadjt zu biefen Dispenfas
tionen ben Bilhöfen einräumte, hat auébrüdlid) vorge⸗
förieben, daß bie Letztern fle ertheilen per se ipsos aut
vicarium ad id specialiter deputandum.
5) Endlich fann der Generalvicar bie SBifitation
der Diöceſe ohne auóbrüdlided Mandat des Biſchofs
nit vornehmen, ba dieſes Recht von der Gefeggebung
für fo wichtig erachtet wird, daß εὖ ber Bifhof immer
verfönlich auszuüben hat und baffelbe nur bann bem Ger
neralviear ober einem Andern übertragen fann, wenn er
durch ein gefehliches Hindernig abgehalten ἰβ 3). —
^ Wenn wir im Voranftchenden diejenigen Fälle auf»
geführt haben, bie nah den ausdrüdlihen Beftim-
mungen beó Rechts ein mandatum speciale erfordern, fo
bedarf der Generalpicat nad) ber übereinftimmenben Ans
1) Sess. XXIV. c. 6 de ref.
2) c. 6 de offic. ordinar. VL 1. 16 unb bie Gioffe bafelbft verb.
permittitur, ὦ
88*
568. Urfprung und rechtliche Stellung
fibt ber Canoniften mod) für viele andere Functionen,
bie ben vom Gefege bejeidneten an Wichtige
feit gleihfommen, nad ber befannten Rechtöregel:
»in generali concessione non veniunt ea, quae quis non
esset verisimiliter in specie concessurus* 1) — der [pt
ciellen Erlaubniß feines Bifhofs unb eim einfeitige& Vor⸗
freiten würde hier bie Nichtigkeit der Handlung ebenfo
zur folge haben, wie in ben oben genannten Fällen.
1) Sn ber langen Reihe der von ben Ganoniften
namhaft gemachten Verrichtungen behauptet bie erfte Stelle
bie Ausübung der jura ordinis episcopalis. Diefe ft
bem Generalvicar, aud) wenn er die Eonfecration em:
pfangen und wirklicher Bifhof ift, in Folge feines allg
meinen Mandats nicht ju, benm er ift principaliter nur
für bie Ausübung ber jura jurisdictionis, nidjt aber aud
für bie jura ordinis beftellt; ebenſowenig fann er bie Bors
nahme ber Pontificalien einem frembem Biſchofe übertras
gen ?). — Ob bie Befugniß des Biſchofs, Abläffe zu
ertheilen, unter bie jura ordinis zu rechnen feien, iR
eine noch unentfchiedene Frage, aber aud) wenn wir ft
als einen Act der bloßen Syuriébiction betrachten, fann fit
für den Generalvicar doch nicht in bem allgemeinen Mans
dat enthalten fein, denn nidt einmal der Gapitularvicar,
1) c. 81 de regal. jur. VI. 5. 12.
2) Benedict. XIV. 1. c. L. IL c. 8. n. 2. Wie bem Generaluker
tie Sfueübung der eigentlichen jura ordinis unterfagt in, fo fab (jm
auch gewiffe mit dem bifchöflichen Ordo in Verbindung flehende Gir
echte entzogen, 3. B. das Tragen eines Ringes bei Darbringung is
HI. Opfers, das Anziehen ber hl. Bewänber vor bem SWitare, der Eih
auf einem Thronſeſſel, die Beuediction des Prebigers, bevor er de
Kanzel befteigt, unb des Diacons vor bem Gyangelium sc. — Pellegris.
P. L Sect, jL. Subsect. IL n. 10 - 18, Ferraris. 1. c. n. HS.
der Generalvicare. 569
ber bod) sede vacante die volle bifhöflihe Surióbiction
ausübt, fann Abläffe ertfeilen 1), um wie viel mehr toirb
daher ber Generalvicar zur Ausübung diefes Rechtes
der Ermächtigung des SBifdjofó bebürfen? Ebenſo vers
langt die Abfolution von den bifhöflihen Refervatfällen ?)
und die Autorifation zur Verwaltung des Bußfacramens
tes 5) ein mandatum speciale episcopi.
2) Der Generalvicar fann ohne fpecielle Ermaͤchti—
gung alle jene Rechte nicht ausüben, bie bem Bifchofe
vermöge einer befondern Conceffion ober einer
päpflliden Delegation zuftehen. Hiebei aber find
folgende Fälle genau zu unterfcheiden:
a) IR der Bifhof durch einen fpeciellen Auftrag, ein
Privilegium oder ein allgemeines Gefeg zur Ausübung
eines ihm fonft nicht zuftehenden Rechtes mit der aue»
drüdlichen Bedingung ermädtigt, bag er es allein unb
perfónlid) ausübe, fo Fann er εὖ bem Generalvicar
nicht übertragen, ift vielmehr verpflichtet, ber Erledigung
perfönlih fif zu unterziehen, quia industria personae
censetur electa *).
b) Grmádjtigt das Gefeg, wie febr Häufig vom Sri»
1) S. Congreg. Concil. 13, Novembr. 1688 bei Benedict. XIV. 1.
€, L. Il. c. 9. n. 7.
2) Rebuffue, l c. Forma Vicariatus. n. 179. Barbosa, l.c.
n. 116.
3) Barbosa, l. c. n. 91.
4) Sieber gehört 3. ®. Trid. Sess. XIII. c. 5 de ref. unb Sess.
XXIV. c. 6 de ref. in Betreff der Abfolution vom Verbrechen der Ha⸗
tefle. — Trägt aber eine pápfil. Delegation die Auffcrift: „Venerabili
Fratri Episcopo N. sive dilecto Filio, Vicario ejus Generali,“ fo ift
eine Subdelegation am ben Generalvicar zuläffig. Zerela, Praxis
episcop. L verb. vicarius, 8. 21. M
50 Urfprung und rechtliche Stellung
dentinum gefchieht, den SBiffjof in biefer ober jener Ans
gelegenheit als apoftolifcher Delegat zu interbeniren und
Rand ihm die Vornahme ber betreffenden Cade vor dem
Tridentinum nicht zu, fo handelt ez als einfacher pápft
licher Delegat, er fann daher fubdelegiren, aber der Ges
neralvicar bedarf dabei jedesmal eines mandatum spe-
ciale !).
€) Stand ihm dagegen die Befugniß, zu welcher er
belegirt wird, fhon vor bem Sribentinum jure ordinario
su, handelt er alfo ald Ordinarius und als Delegat,
mas überall ber (yall if, wo das Sribentinum ?) ben
Ausdrud gebraudt: „etiam tamquam apostolicae sedis
delegalus,* fo wird bie betreffende Angelegenheit als zur
ordentlichen bifbàffiden Jurisdiction gehörig angefehen
und der Generalvicar fann ohne fpeeielles Mandat darin
vorfchreiten 3).
3) In Betreff ber ordentlihen Adminiftration
ber Diöcefe ift bem Beneralvicar ohne ſpecielles Dans
dat in erfter Linie entzogen die Berufung und Abs
haltung der. Diöcefanfynode: Alles, was er nad
diefer Ribtung bin ohne die ausdrüdlihe Ermächtigung
feines Biihojs vornimmt, ift ipso jure null und nichtig 5;
hat ihm aber der Bilhof, wozu biefer im alle gefcts
H Dergleichen Delegationen finden fih Trid. Sess. V. c. 1. 2 de
ref. Vl. c. 2. 3; XXV. c. 14 de ref. XXV. c. 5 de regular., foncit
fi die betreffenden Befimmungen auf Gremte bejichen. Außerdem ger
hören hiehert Seas. XXIV. c. 4; XXII c. 5, XXIV. c. 9; XXV. c. 9 ἀδ τοί,
2) Sess, XXI. c. 3. 4, Sess. XXII. c. 3. 8. 10 do ref.
3) Bol. die ausführliche Darleung dieſer Berhältnifle bei Fagneni,
Comment. ad c. 14. X. de offic. judic. delegat. 1. 29.
4) S. Congreg. Concil. 4. Decembr. 1655 bei Benedict. XIV.
le. ἵν ll e 8. n. 87 ι
ber. Generalvicare. 5n
licher Verhinderung immer berechtigt ἰβ 1), biefe Ermaͤch⸗
tigung ertheilt, fo übt er auf der Synode alle biſchoͤf—
lichen Befugnifie und Prärogative aus. Hält der Biſchof
bie Synode in eigener Perſon ab, fo ift der Generalvicar
gleihwohl verpflichtet, zur ſchnellern Erledigung ber Ge-
ſchaͤfte anmefenb zu fein und nimmt unmittelbar nad) bem
Bifhof vor ben Dignitären und Mitgliedern des Capitels
feine Stelle ein 3); regelmäßig wird er den vom Bifchofe
beftelten Judices Synodales beigegeben 9. Die auf ber
Synode erlaffenen Statuten leiten ihre Rechtsverbind⸗
lidfeit [ebiglid) aus ber bifhöflihen Jurisdietion ab, fie
können nux vom Biſcho fe wieder aufgehoben werden und
ebendarum bebarf der Generalvicar zu jeder Aenderung
berfelben der fpeciellen bifhöflihen Erlaubniß 3). —
Die €ebtere wird ferner erfordert für bie Unterfuchung
und Entfheidung ‚aller causae matrimoniales, für bie
Ausübung des Dispenfationsredtes in allen ben
Fällen, in welden es dem Bilhofe zufommt, felbft bie
fDiépeníen von der breimaligen Prorlamation nibt aus—
genommen 5); für die Aufhebung der kirchlichen
1) Fagneni. Comment. ad c. 25. X. de accusat. 5 1. n. 11.
2 Benedict. XIV., 1. c. L. II c. 3. n. 3; c. 10. n. 2. Ueber
die Kleidung, im welber ber Generalvicar anzuwohnen bat, vgl.
Gavantus , Praxis. Dioeces. Synodi c. 13. n. 11. 12.
3) Benedict. XIV., 1. c. L. IV. c. 2. n. 8.
4) S. Congreg. Rit. 25. Februar. 1606.
5) Pellegrin, I. c. n. 37. 38. ‘ Da jetod die Diepenſation vom
dreimaligen Aufgebot febr häufig nachaefucht wird und überhaupt zu ben
weniger wichtigen Diepensfällen gehört, fo gilt in der Braris ber
Grunbfag, daß fie der Generalvicar ohne befondere Erlaubniß ertheilen
Tónne, es müßte denn nur felt, daß ihm ber Biſchof diefe Vefugniß
ansvrüdlich entzog. Barbosa, l. c. P. Il. Allegat. 32. n. 28. 29.
572 Urfprung und rechtliche Stellung
Strafen, bie der Biſchof verhängt hat 5; für bie Er
bebung der Elerifalabgaben, des Cathedraticum,
Subsidium charitativum, ber Quarta funeralis unb der
Procuratio canonica ?). Endlich fann der Generalvicar
ohne fpecielles Mandat die bifhöflihe Grlaubnif zu Ex
bauung eines. Klofters nicht ertheilen 3) und eben fo wenig
bie vom Tridentinum Sess. XXV. c. 17 de regular. vors
geichriebene, vor ber Profeßleiftung anzuftellende Unters
fudung vornehmen 9.
4) Wie bem Generalvicar bie Collatio beneficiorum
ohne fpecielle Erlaubniß entzogen ift, ebenfo verhält εὖ
fib mit vielen andern causae beneficiales, bie wegen ihrer
Wichtigkeit mit der Gollation in gleiche Linie geftellt wers
ben. Nach einer Befimmung des Tridentinums 5) fol
einem Pfarrer, der wegen unzureichender Senntniffe für
die Verwaltung feines Amtes unfähig ift, vom Bifhofe
ein Hülfsgeiftlicher beftellt und demfelben aus den Cin
fünften des Beneficiums ober auf irgend eine andere Weiſe
bie portio congrua zugewiefen werden: für bie SBeftellung
eines folhen Hülispriefters, bie factifch ber Neubefegung
der Pfarrei ziemlich gleichfommt, bedarf der Generalvicar
bet ſpeciellen bifhöflihen Ermädtigung 9. Aus bemfelben
Umftande, daß der Generalvicar zur Vergebung ber 8e
neficien nicht berechtigt ift, folgt ferner, daß er bie Pirunds
ner ohne auébrüdlide Erlaubniß aud) nift abzufegen
1) Pellegrin, 1. c. n. 39. 65.
2) Pellegrin, 1. c. n. 48—51.
8) S. Congreg. Concil. 11. Juli 1620 bei Berbosa, Summa
Decis. Apostol. verb. vicar. general. n. 10.
4) Ferraris, 1. c. n. 71.
5) Sen. XXI. c. 6 de ref.
6) Barbosa, de offic, et potest, Episcop. P. III. Alleg. 54. n. T3.
der Generalvicare. 513
befugt ig 5, eben fo wenig fann er bie Refignationen
derfelben, mögen fie was immer für einer Art fein, an»
nehmen und wenn er aud zur Annahme derfelben ermaͤch⸗
tigt worden ift, fo bedarf er zur Wiederbefegung des
dadurch erledigten Beneficiums gleihwohl des fpeciellen
bifhöflichen Mandat *). Daffelbe ift ber Ball bei ber
Errichtung neuer Pfarreien und Beneficien 3), bei ber
Betätigung der Bundationsurfunden für Patronatsfirs
den *) unb bei ber nad) c. 8. X. de jure patronat 3. 38
tem Biſchofe zuftehenden Genehmigung der donatio juris
patronatus 5). Wie endlich ber Generalvicar als folder
nit befugt ift, SBeneficien zu errichten, fo fann er folge»
richtig bereits beftehende Pfründen aud) nicht unters
drüden 9.
5) Dem Generalvicar find ohne fpecielle Ermächtigung
alle diejenigen Handlungen entzogen, bie fij auf Ver⸗
äußerung des Kirchenguts unb auf Veränderung
oder Schmälerung ber Beneficien beziehen. Was
das Exftere betrifft, fo ift fogar der Biſchof wegen ber
"Bidtigleit ber Sache an verſchiedene befdjrünfenbe Ber
fimmungen gebunden unb e$ verftebt fid) daher von felóft,
daß der Generalvicar in allen denjenigen Fällen, in wels
den der Biſchof zur Veräußerung berechtigt ift, jedesmal
deſſen auébrüdlide Exlaubniß nótfig hat”), was um fo
1) Gloss ad c. unic, de capell. monach. VI. 3. 18, verb.
episcopis.
2) Rebuffus, 1. c. n. 104—106.
3) Rota Rom. in Segobien. Capellaniae 28. April, 1625.
4) Pellegrin, |. c. n. 17.
5) Barbosa, 1. c. n. 75.
6) Ferraris, 1. c. n. 80,
7) Pellegrin , 1. c. n. 29. 55.
574 Urfprung und rechtliche Stellung
mehr wird fefgehalten werben müffen, als nicht einmal
der Goabjutor, ber bod) bie ganze bifhöflihe Iurisdis
etion ausübt, aus eigener Machtvollkommenheit irgend
welche Veräußerung des titdjenguté vornehmen fann !). —
Die Vereinigung unb Theilung ber Beneficien, die
Auferlegung einer Benfion, die Translation einer
Baufülligen Kirche, zu deren SBieberferftellung die Mittel
fehlen, und ihre Bereinigung mit einer benachbarten
Kirche 3) erfordern gleichfalls ein befonderes Mandat 3).
6) Da endlih der Generalvicar feine Jurisdiclio
propria, fonbern bloß eine delegata hat, fo fann et dies
felbe ohne Suftimmung des Biihofs nift fubdelegi-
ten *.. Diefe Belhränfung gilt jedoch nur dann, wenn
es fid um bie Subdelegation der ganzen Jurisdietion,
ber universitas causarum handelt: zur vorübergehenden
Mebertragung biefer oder jener einzelnen Rechtsſache ift
ber Generalvicar aud) ohne bifhöflihe Grlaubnig immer
berechtigt 5).
Indem wir hiemit die Aufzählung derjenigen Fälle,
die ein ausdrückliches Mandat erfordern, beſchließen, für
gen wir bei, daß ie Ganonijten nod für folgende, in
der gegenwärtigen Praris entweber gar nid mehr orer
beb nur felten vorfommende Handlungen das mandatum
speciale episcopi verlangen: ſuͤr die Beitrarung eincé
Clerikers mit dem Eril unb die Zurüdrufung aus dems
1) c. unic. de cleric. aegrot. VI. 8. 5.
2) Trid. Sess. XXI. c. 7 de ref.
3) Pellegrin, 1. c. n. 15. 23. 27.
4) L. 5 Dig. de jurisdictione 2. 1. L. 1 Dig. de officio ejus,
cui mandata est jurisdict. 1. 21. a
5) L. 11 Dig. de judiciis 5. 1. Engel, 1, c. L XVIII. n. 6.
der Θεπεταϊοίεατε. 875
felben, für die Vollfiredung ber lehtwilligen Anordnun⸗
gen, bie Unterfuchung ber Bitten um restitutio in inte-
grum, für die Behandlung ber causae feudales, bie Bes
ftelung eine bifchöffichen Defonomen, für die Beglaubigung
der Abſchriften von Driginalurfunden, bie Vermoͤgenscon⸗
fiscation der Elerifer, für bie Umwandlung der Körpers
in Geldftrafen unb dergleichen. —
C. Die Appellation vom forum des Generalvicars.
Da der Generalvicar nad) feiner urfprünglicen Bes
flimmung wie nad) dem Wortlaut des Geſetzes mit bem
Biſchofe eine unitas personae unb Ein Forum bildet,
mithin feine Handlungen fo angefehen werben, als feien
fie vom Biſchofe felbft ausgegangen, fo fann vom
Generalvicar an den Bifhof nicht appellirt werden, denn
das Wefen ber Appellation befteht gerade barin, daß bie
Berufung vom niedern Richter an ben bóbern mit
der Bitte gebracht wird, bie von jenem erlaffene Sentenz
zu unterfuden und abzuändern !): eine Appellation vom
Generalvicar an ben Biihof wäre eine Appellation vom
Bifhof an den S9i[dof *), fie würde .ebendarum ihrem
eigenen Begriffe widerfprechen und jebe Entfcheidung ,. bie
der Biſchof im Falle einer ſolchen Appellation geben würde,
müßte null und nichtig fein, weil der Unterridhter die
von ihm einmal gefällte Definitivfentenz nicht mehr abs
ändern oder aufheben fann. Wil taber vom Generale
vicar appellirt werden, fo ift der Metropolit al& der un»
mittelbare SBorgefete des Biſchofs tie näcfte höhere 3n»
ftanz. — Diefe in den Prineipien des Rechts begründete
9) Glosen ad c. 2 de consuetud. VI. 1. 4, verb. officiali
2) c. 2 de consuetud, VI. 1. 4.
876 urſprung und reqhaiche Stellung
Regel leidet aud) dann feine Ausnahme, wem in einer
Didcefe die Appellation vom Generalvicar an ben Biſchof
bereit6 Gewohnheitsrecht geworben fein follte, benn eine
folhe Gewohnheit geht gegen ben Begriff der Appel
lation unb ift vom Rechte auébrüdlid) als eine consuetudo
irrationabilis bezeichnet 1); felbft wenn bie Parteien mit
einander fpeeiell übereingefommen wären, von ber Ent
ſcheidung des Generalvicars an ben Biſchof zu appelliren,
würde bie unzuläffig fein, eben weil es bem Begriffe
ber Appellation widerſpricht ). Auch die fogenannte ap-
pellatio extrajudicialis ift vechtlih ummóglid), denn ob.
wohl fie fij in einzelnen Punkten von ber eigentlihen
Appellation unterídjeibet, fo fällt fie bod) in der Haupt
fade unter ben Begriff derfelben und muß nad) den glei
hen Grundfägen behandelt werden 3). — Wenn hienach
die Unmöglichkeit der Appellation vom Generalvicar an
den Biſchof ald Regel feftgehalten werden muß, fo gibt
εὖ bod) aud) Fälle, in welchen fie geftattet ift.
4) Von einer sententia interlocutoria, bie der Ge
neralvicar erlafien hat, fann Derjenige, ber fid) dadurch
für beſchwert hält oder beſchwert zu werben fürdjtet, an
den SBifdjof provoriven, denn ba ber Unterrichter ein
von ibm erlafienes Interlocut jederzeit zurüdzunehmen und
abzuändern befugt iR , fo Fann aud) ber Bifchof, der
mit dem Generalvicar Eine Berfon ift, ein ſolches Ins
terloeut zurüdnehmen und abändern, fobald an ihn ap
pellict wird 5).
1) c. citat. de consuet, VI. 1. 4.
2) Pellegrin, 1. c. P. L Sect IT. Subsect. IV. n. 4.
3) Reiffonstuel, J. C. L. IL tit. 28. $. 1. n. 8 seqq.
4) L. 14 Dig. de re judic. 42. 1; c. 60. X. de appellat, 2. 25.
5) Peliegrin, 1. c. n. 6.
der Generalolcare. 577
b) Deßgleihen Tann gegen eine Cntfdeibung des
Generalvicars die Bitte um restitutio in integrum beim
SBifdjofe angebracht werden und biefer, falls hinreichende
Gründe vorliegen, fie annehmen und erfüllen, weil aud
der Generalvicar hiezu befugt ift, infoferm bie restitutio
in integrum immer vom Unterridhter, gegen beffen Sentenz
fie gerichtet ift, au&gefproden werden fann N).
c) Aus demfelben Grunde ?) ift gegen eine Entſchei⸗
bung des Generalvicaré bie querela nullitatis beim Bifchofe
zulaͤſſig 3).
d) Ob von der Entfheidung des Generalvicars eine
Supplicatio beim Biſchofe eingereicht werden Fönne, ift eine
beftrittene Frage, bod) [dint bie bejafenbe Antwort bie
richtigere zu fein, denn bie Supplicatio unterſcheidet ſich
wefentlid von ber Appellation: Derjenige, welcher fie ein«
veicht, bewegt fid) nicht mehr auf dem Boden des Rechts,
fondern er ruft in einem alle, wo eine Appellation gar
nicht mehr möglich ift, al8 legte Hülfe die &nabe des
oberften Richters an. Wenn das roͤmiſche Recht *) jedem
Unterthanen geftattete, beim Kaifer gegen bie Sentenz eines
Unterrichters, der bod) aud) im Namen des Erfteren Recht
fprad), von ber Supplicatio Gebraud) zu machen, fo wird
εὖ die Billigfeit verlangen, daß aud) ben Gläubigen ger
ſtattet fel, von der Entſcheidung des Generalvicars beim
oberften Richter der Diöcefe ein Gnabengefud) um Abs
änderung der Sentenz einzureichen 5).
1) Berkose, 1. c. n. 49.
2) Reiffenstuel, 1. c. n. 28 seqq.
3) Pellegrin, 1. c. n. 8.
4)«C. 5 Cod. de precibus Imperatori offerend. 1. 19.
5) Reiffenstwel, L. L tit. IV. $. 3. n. 77. 78.
518 Urfprung und rechtliche Stellung
€) Gnblid) if eine Appellation an ben Biſchof in
allen denjenigen Angelegenheiten geftattet, in welchen bet
Generalvicar nicht als folder und vermöge feines Amtes
handelt, fondern bie ihm abgefondert und in außer
srdentliher SBeife übertragen wurden: denn bier ift
ex als judex delegatus ad causam particularem thätig und
von biejem ift bie Appellation an ben Deleganten jederzeit
geftattet !).
D. Erlöfcen der Iurisdiction.
1) Wie bie Beſtellung des Generalvicars von ber
freien Entſchließung des Biſchofs abhängt unb alle Juris
dietion des Erſtern in ber Delegation des Leptern ihren
Grund hat, fo erliſcht bie Amtsgewalt des Generalvicaré,
fobald ber Bifhof fein Mandat zurüdnimmt?)
(revocatio, remotio). Dieß fann auébrüdlid ge
ſchehen oder illfhweigend. Die fillihweigende Re
vocation wird bann angenommen, wenn ber Biſchof einen
zweiten Generalvicar beflellt und den bisherigen hievon
in Kenntniß ſeht 5. Die δίοβε Thatſache der Beſtel⸗
Tung reicht zur Stevocation volftändig hin, der SBiidof
braucht daher bei der Intimation berjelben nicht auóbrüd«
lid) zu erflären, die Beſtellung des zweiten Generalvicars
{εἰ fpeciell in der Abficht gefebehen, bem frühern fein
Mandat zu entziehen *). — Wenn wir bemnad) als ober
fen Grundfag feftbalten müfjen, bie Abſetzung des Gene
1) c. 27. $. 1. X. de offic. judic. delega. 1. 29. Barbosa, |.
e. n. 52.
2) Omnis res per quascunque causas nascitur, per easdem di-
solvitur.“ c. 1. X. de regul. jur. 5. 41. .
3) c. 14. X. de procurat. 1. 38.
4) Rebuffus, l. c. Forma Vicariatus n. 206.
der Generalvicare. 579
ralvicars hänge vom freien Grmeffen des Biſchofs ab, fo
fann damit bod) keineswegs gemeint fein, die Revocation
fei ſchlechterdings in die Willfür des Biſchofs gelegt unb
der Generalvicar durchaus und allejeit der Laune feines
Germ. preisgegeben — dieß würde fid mit feiner Ehre
und der hohen Stellung, bie er einnimmt, fowie mit ben
Grundfägen über Abſehung der Kirchendiener in feiner
Weife vereinigen faffen: wie vielmehr bie Anftellung
von ber Seobadjtung gemiffer gefeglicher Beftimmungen
abhängt, fo aud) bie Abfegung — «6 muß für biefelbe
ein hinreihender Grund vorliegen, in beffen
Ermangelung der willfürlid) temovirte Generalvicar an
bie Congregatio Episcop. recurrirem unb von biefer woieber
in fein Amt eingefegt werben fann !). Als hinreichende
Gründe find anerfannt: fdedte Verwaltung der Diöcefe
und häufige Klagen gegen bie Amtsführung be& Generals
viears 2), Mängel der nótfigen Umfiht und Klugheit,
aud wenn er fonft vollfommen fähig ift 5), Unehrerbietig-
feit gegen bie roͤmiſchen Gongregationen unb Widerſetzlich—⸗
feit gegen ihre Beichle *), VBerhängung ber Grcommunis
cation über ben Generalvicar 5). Verlangt aus einem
ber angegebenen Gründe das Wohl ber Diöcefe bie Cnt»
femung des Generalvicare, fo ift der Biſchof dazu bes
redtigt , aud) wenn e ibm bei feiner Beftelung das eite
1) S. Congreg. Episcop. in Spalatr. 3. Julii 1601, in Tragur.
7. Septemb. et 8, Octobr. 1649.
2) S. Congreg. in Agrigent. 27. Octobr. 1601 et Spalatr. 5.
Februar. 1601.
3) S. Congreg. in Placentin. 11. Septemb. 1601.
4) S. Congreg. in Rietina 3. Septemb. 1601 et Parmens. 17.
August, 1645.
5) — in Placent. 18. luni 1649.
580 Urfprung und rechtliche Stellung
Tide SBerfpredjen gegeben haben follte, er werbe ihn
niemals abiegen, denn ein Veriprehungseid, deſſen Er⸗
fülung die Rechte Dritter verlegen. würde, ift an unb
für fi ungültig !); bod) muß der Bifhof durch den Bapft
vom Eide vorher entbunden worden fein *). Endlich if
als ein bei der Revocation weſentliches Moment nod bei»
zufügen, daß bie Jurisriction des Generalvicars erft von
bem Augenblide an aufhört, in weldem ihm ber betrefs
fende Beſchluß des Biſchoſs in authentifcher SBeife noti»
ficirt worden ift: vor bem (Eintreffen diefer 9totification
haben alle feine Handlungen rechtliche Guͤltigkeit 5).
2) Die Amtsgewalt des Generalvicaré erlifht, wenn
er felbft vefignitt 9, denn Seber, der frei entlaflen
werden fann, hat aud) das Recht, frei abgubanfen. Da
übrigens, wie wir eben bemerften, die Entlaffung an das
Vorhandenſein eines hinreichenden Grundes gebunden ift,
fo wird confequenter Weife aud bie Refignation
nit nad) SBillfür, fondern nur unter Anführung eines
teiftigen Grundes erfolgen Tónnen. Gie ift eine au&brüd»
lide ober ſtillſchweigende unb die legtere wird bann am
genommen, wenn ber Genetalvicar die Didcefe verläßt in
der offenbaren Abſicht, nicht mehr dahin zurückzukehren 5).
3) Die Suriébiction des Generalvicars hört auf mit
dem Tode des Bifhofs: denn ba zwiſchen Beiden
eine unitas personae beficht, Beide Ein Borum bilden
und der Generalvicar nur die bem Bifchofe gebührende
1) c. 27. 28. X. de jurejurand. 2, 24.
2) Rebufwe, 1. c. n. 199.
8) Peliegrin, P. 1, Sect. II. Sobsect. VL n. 8.
4) Reifonstuol, J. C. L. L tit, XXVIIL $. 4. n. 102.
5) Fagneni, Comment, in c. 50, X. de tesib. 2. 30.
der Generalvicare. 581
Syurióbiction ausübt, fo muß, wenn bie leßtere durch ben
Tod ihres Inhabers aufhört, nothwendig aud) bie des
Generalvicars erlöfhen '). Befindet fid) Diefer in ber uns
mittelbaren Nähe des fterbenden Biſchofs, fo erliſcht feine
Amtsgewalt mit bem Augenblid des Todes fo
war, daß er bie nod) bei Lebzeiten des Biſchofs begons
nenen Rechtögefhäfte nad) beffen Tode nicht mehr vols
lenden fann ?); ift dagegen der Generalvicar vom Biſchofe
weit entfernt, fo haben alle feine Handlungen fo lange
volle Rechtskraft, bis er von dem erfolgten Tode zuver⸗
láfige Kunde erhält 5). — Während der eingetretenen
Sedisvacanz devolvirt bie bifhöflihe Surióbiction an das
Eapitel, das zur Ausübung berfelben binnen 8 Tage einen
Eapitulervicar zu beftellen hat ); auf biefe Würde hat
der Generalvicar des verftorbenen Bifhofs feinen Ans
ſpruch, feine Befätigung als Capitularvicar hängt ledig⸗
fid) von ber freien Wahl des Gapitelá ab, nur in bem
einzigen Salle muß er gewählt werden —, wenn er bem
Gremium des Eapiteld angehört unb in diefem ber eins
age Doctor juris can. it 5). > n
4) Der natürlide Tod des Biſchofs ift der ger
wüóbnlidfte Fall, der ber Amtsgewalt des Generals
vicars ein Ziel fet: neben ibm gibt edvaber nad) ben
Grundfägen des tómifden wie bed canonifhen Rechts audj
1) „Accessorium naturam sequi congruit principalis c. 42 de
regul. jur. VL 5. 12. t
2) Glossa in c. 4 de procurat. in Clement. 1. 10, verb. con-
testata.
3) Barbosa, 1. c. n. 152.
4) Trid. Sess, XXIV. c. 16 de ref. .
5) Ritter, der Capitularvicar, Münfter 1842, ©. 60.
deol. Duartalfgrift. 1868. IV. eft. 39
582 Urfprung und rechtliche Gtellung
einen bürgerlichen Tod, ber rechtlich mit jenem ganz
biefelben Wirkungen hat, alfo wie jener der Surióbiction
des Generalvicars ein Ende macht. Hicher gehören fol»
gende Bälle:
2) Die Berfepung des Bifhofs. Sobald bec
Papſt die Genehmigung der nadgefuditen Translation im
Gonfiftorium publicirt, ift bad Band, welches bisher den
Biſchof an feine Kirche fnüpfte, gelöst") und er gilt in
Betreff der Adminiftration der Diöcefe für tobt. Die
Wirfungen der Berfegung, alfo namentlich das Erlöſchen
der Zurisdietion bed Generalvicars, treten aber erft dann
ein, wenn bie fiere Kunde von ber erfolgten Translation
an Drt und Stelle angelangt ift; daß die eigentliche Ber
fegungsbulle abgewartet werde, ift nicht nöthig, e& genügt
jedwede glaubwürdige Nachricht. Bon bem Augenblide
an, in weldem diefe Kunde eintrifft, hören bie Functionen
des Generalvicars auf und das Gapitel tritt in bie Ver⸗
waltung ber Diöcefe ein, felbft wenn ber Biſchof von
feinem neuen Bisthum noch nicht Befig genommen haben
follte 9. Ganz in berfelben Weife verhält «6 fi, wenn
ber Bifhof vom Oberhaupte ber Kirche feines Amtes
entfegt wird ®).
b) Der bürgerliche Tod des Biſchofs und damit das
Erlöfhen der Gewalt des Generalvicars tritt ferner ein,
wenn ber Grftere auf fein Bisthum refignirt und ber
SBapft die Refignation annimmt 5); ebenfo wenn er mit
1) Benedict. XIV., de synod. diooces. L. XII. c. 16. m. 13.
2) Die Beweife für das Gefagte bei Ferraris, 1. c. art. capi.
tulum, ΠῚ, n. 31.
3), Glossa in c. 3 de supplend, seglig. VL 4. 8. verb. meriem.
4) c. 9. X. de renmniiat. 1. 9.
der Generalvicare. 583
päpftlicher Genehmigung in einen geiftlihen Orden
tritt !).
c) Wie nad) ben Grundfägen des römiſchen Rechts
Derjenige, der in feindliche Gefangenfchaft gerathen war,
für bürgerlid) todt gehalten wurde *), fo gilt aud) nad
canonifchem Rechte ber Biſchof für tobt, wenn er von ben
Beinden der Kirche — a paganis aut schismaticis — aus
feiner Diöcefe gefangen hinweggefuͤhrt wird. In biefem
falle ift zwiſchen Hirt unb Heerde aller Verkehr abge
fdnitten und auf baldige Rüdfehr feine Hoffnung: daher
fagt Bonifaz ὙΠ]. 3), e& folle der biſchoͤfliche Stuhl an»
gefehen werben „ac si per mortem vacaret,^ das Ga»
pitel trete in bie interimiftifhe Verwaltung
ber Didcefe unb habe alsbald an ben hl. Stuhl zu
berichten und beffen Anordnungen zu erwarten. — Bon
bem in Rebe ftehenden alle, in welchem bie Jurisdietion
des Generalvicars offenbar aufhört, ift aber der andere
weſentlich verſchieden, wo ber Biſchof nicht von auswaͤr⸗
tigen Feinden, fondern von ber eigenen Regierung
in Gefangenfchaft abgeführt wird: hier fann im Sinne
des roͤmiſchen und canonifhen Rechts nicht im Entfern⸗
teften die Rede‘ fein vom bürgerlichen Tode beffelben —
weder an fid) nod in feinen Folgen, denn einerfeits
gilt als allgemeiner Grunbfag: mors civilis vel spiritualis
non aequiparatur morti naturali, nisi ubi in jure hoc
cauium invenitur *), ber Fall ber Wegführung durch bie
1) Glossa in c. 8°C. XVI. q. 1, verb. mortuus.
2) L. 10. 18 Dig. de captivis. 49. 15.
3) e. 3 de aupplend. neglig. VI. 1. 8. Benedict. XIV., l. c.
L. XIII. c. 16. n. 11.
4) Fagnani, Comment. ad c. 5. X. de coricessiohe. priobend,
8. 8. n. 28. 29. - . -
39* *
584 Urfbrung und rechtliche Stellung
eigene Regierung ift aber im Geſetze nicht vorgefehen,
andererfeitö ift nicht wie im obigen Falle ber Verkehr
zwiſchen Bifhof und Diöcefe abfolut aufgehoben und
eben fo wenig bie Hoffnung auf baldige Ruͤckehr gänzlich
verſchwunden, denn bie feindliche Regierung ftebt immerhin
mod auf bem Boden des Rechts und ift ben Recla—
mationen und Borftellungen des Papſtes, des Capitels ıc.
zugänglich: εὖ liegt alfo hier bei ber vorausfichtlih nur
vorübergehenden Entfernung des ordenklihen Oberhirten
fein Grund vor, baf das Eapitel die Verwaltung der
Didcefe übernimmt, fonbern der Generalvicar übt wie
fonft im Namen des abwefenden Bifhofs feine Jurisdietion
ungeftört aus !).
5) Wenn der Bifchof in bie Suspenflon, Ercommunis
cation oder das Interdiet verfällt, fo verliert er für die
Dauer diefer Strafen feine Jurisdiction in der Diöcefe *),
es erlifht mithin aud) das Mandat des Generals
vicars: ba aber biefe Strafen als poenae medicinales
vorausſichtlich nicht von langer Dauer fein werden, fo tritt
aud) hier das Kapitel nicht in bie Verwaltung der Diöcefe
ein, fondern ber Papſt trifft, gewöhnlich fdon in ber
Ereommunicationsbulle ſelbſt, außerordentliche Fuͤrſorge
durch Beſtellung eines Proviſors. Uebrigens haben dieſe
Cenſuren die genannten Wirkungen nur dann, wenn ſie
auóbrüdlid und feierlich verhängt murben:
als bloße censurae latae sententiae vermögen fie bie bi⸗
ſchoͤfliche Jurisdiction, alfo aud) die be& Generalvicaró,
nicht aufer SBitfjamfeit zu fegen, quia si episcopus est
1) Walter, Kirchenrecht, $. 143.
2) c. 24. X. de sentent. et re judic. 2. 27.
der Generalvleare. 585
toleratus vel occulle excommunicatus favore publici juris
cum communi opinione pro non ezcommunicato habetur ').
Wenn wir hiemit diejenigen Fälle namhaft gemacht
haben, in welchen die Surióbiction des Generalvicars et»
liſcht, ſo haben wir jegt nod) bie ὅταρε zu berühren, ob
et nad) Beendigung feiner Verwaltung über biefefbe 9t ed) en»
ſchaft abzulegen verpflichtet fei — etwa in der Weife,
wie ber Eapitularvicar tem neuen Bifchofe verantwortlich
ift 1 Daß bem Grftern eine derartige Pfliht nad) feiner
Richtung hin obliegen könne, folgt unmittelbar aus ber
Stellung, bie er während feiner ganzen Amtsführung εἰπε
nahm: er handelt nicht felbftftändig und unabhängig
wie dieß beim Gapitularvicat bem Kapitel gegenüber der Fall
ift, fondern er ftebt fortwährend unter ber Aufficht des Biſchofs
und hat defien Weifungen jederzeit zu berüdfichtigen, biefet
Fann ihn jeden Augenblid und für jede einzelne Handlung
zur Rechenſchaft zichen, ihn beftrafen und nöthigenfalls fogar
entlaffen ; thut ber Biſchof dieſes nicht, fo liegt in feinem
Schweigen bie SBilligung der Handlungen feines Generals
vicars unb ebentarum hat am Ente der Verwaltung nicht
diefer, fonbern, wenn überhaupt eine Rechenſchaft ges
fordert werben follte, der Biſchof fie abzulegen. Bon diefem
in der Natur der Sache begründeten Geſichtspunkte, more
mad) die Handlungen des Generalvicard am Ente feiner
Berwaltung al8 bereits gebilligt und beftätigt
anzufehen find, wurde bie Frage aud vom pofitiven
Rechte aufgefaßt. Der Elerus und bie Gommunitát ber
Stadt Taranto hatten ihrem Erzbiſchofe gegenüber bie
1) Barbosa, 1. c. n. 147.
2) Trid. Sess, XXIV. c. 16 de ref.
586 Urfprung und τος Stellung
Forderung geftellt und durchzuſeßen gefucht, daß fein
Generalvicar nad) Beendigung ber Amtsführung Rechen,
ſchaft abzulegen babe. Die Sache wurde vor ben bi.
Stuhl gebradt und in einer Bulle v. 3. 1578 antwortete
Gregor XII: „Statuimus et mandamus, quod Vicarii
et officiales sive generales sive particulares, etiam foranei
muncupati, per eundem Archiepiscopum sive ejus pro
lempore successores in dicta ecclesia Tarenlina sive ejus
dioecesi deputati vel deputandi, ad aliquem syndicatum
nullo modo teneantur aut eidem sub quovis praetextu
sint obnozii“ !).
Unfere bisherige Ausführung hat fij mit ber Dars
ſtellung der äußern rechtlichen Stellung des Generalvicars
befaßt: es übrige nod, das innere Wefen unb bie
innere Bedeutung feiner Amtögewalt zu berühren. Daß
bie leßtere feine Jurisdictio propria fei, bie der Generals
vicar fraft eigenen Rechtes übt, ift allgemein. an
erfannt, aber über bie Frage find die Ganoniften febr
getheilter Meinung, ob fie a8 bloße jurisdictio delegata
ober al ordinaria anzufehen fei?). Faſſen wir ben obſchwe⸗
benben Streit näher in's Auge, fo wird fid) alsbald ergeben,
daß feine Jurisdietion an biefem doppelten Charakter pars
ticipitt, alfo beide Behauptungen ihr Wahres haben, beide
aber in bem Maaße unmabr werben, als fie das Eine
ober Andere ausſchließlich feftbalten unb bie gegen«
überftehende Anficht abfolut negiren. Fuͤr bie bloße Juris-
dictio delegata ſpricht [don ihre Geſchichte unb urfprüngs
lide Beftimmung, wornach fle ihr Dafein lebiglid) bem
1) Bel Barbosa, 1. c. n. 183.
2) Berbosa, |. c. n. 26—45.. J. H. Boehmer, 1. E. Ῥ 1. 28. $. 1.
“ber Generalvlcare. 587
Mandate des Bifhofs verdankt und der angemaßten Juris-
dictio propria ber 9frdjibiacone gegenüber einen Theil der
bifhöflihen Gerechtſame ftellvertretend ausüben follte; es
ſprechen bafür bie verfhiedenen, glei von Anfang an
gebraͤuchlichen Benennungen !) des Generalvicars, die auf
eine bloße Stellvertretung hinweiſen: Deputatus, Commis-
sarius, Procurator, Cooperator Episcopi, locum tenens,
vices gerens, Vicedominus; εὖ (predjen dafür bie pofltiven
DBeftimmungen bes Rechts: die Gewalt des Generalvicars
Tann wie jebe andere jurisdictio delegata jeden Augenblid
vom Bifhofe als dem Mandanten jurüdgejogen werden,
fie erlifcht, wie jede Delegation, mit bem phyſiſchen oder
bürgerlichen Tode des Bilhofs, ber Umfang der Surió«
dietion hängt, voie bei jedem Delegaten, von der Conceſſion
des Biſchofs ab und menn biefer aud) ein ganz allgemeines
Mandat ertheilte, fo find bem Generalvicar, wie bem
Delegaten, bod) nod) viele Angelegenheiten entzogen, bie
eine fpecielle Eonceffton erfordern. — Bis hieher find Die-
jenigen, welche von einer bloßen Jurisdictio delegata reden,
vollftändig in ihrem Rechte, — wenn fie aber demgemäß
den Generalvicar lediglich unter dem Gefihtspunfte eines
Judex delegatus ad causam particularem auffaffen unb
damit das Wefen feiner Syurióbiction für erfchöpft halten,
fo ift bieg durchaus einfeitig: fein Mandat lautet nicht auf
biefe ober jene einzelne Rechtsſache, nad) deren Erledi—
gung es wieder aufhört, fondern er hat den ihm zuges
wiefenen Gefchäftsfreis bleibend zu verwalten, alle
in benfelben fallenden Angelegenheiten behandelt er fo oft
fie fi) barbieten, er ift, wie der Sprachgebraud) des Rechte
1) Pellegrinus, \. c. P. L Sect. I. subsect. II. Gibert, Corp.
jur. can. T. IL p. 111.
588 Urfprung umb rechtliche Stellung
fi ausdrüdt, Judex delegatus ad universitatem causarum
und gehört cbenbarum in bie Gategorie ber judices ordi-
narii). ener übt der Generalvicar feine Jurisdietion
nicht al b lof er Delegat, fonbern in Folge des Amtes —
ratione officii —, das ihm burd) bie bifchöfliche Beſtellung
übertragen wurde und bie mit biefem Amte verbundene
Gewalt hat ihren legten Grund in ber G efeggebung?)
— a lege seu canone —, nicht in der bloßen Conceffion
des Biſchofs. Daß aber eine derartige mit einem Amte
als folem und in Folge des Gefegeód verbundene Juriss
biction eine ordinaria fei, ijt allgemein anerfannt 3). End»
lid) gibt e& vom Generafoicar feine Appellation an ben
3Bifdyof, wie fonft überall vom Delegaten an ben eleganten,
vielmehr bilden beide Gin Forum und Eine Perfon, in
bem Generalvicar handelt der Bifhof — beide üben eine
und biefelbe Syuridbiction, nur in verfchiedener Weife —
der Biſchof principaliter, ber Generalvicar, wie bie Ca
noniften fid ausdrüden, ex commissione legis, aber tem
innern Wefen nad) ift e8 diefelbe Gewalt nämlich die
ordentliche bifhöflihe Jurisdiction und in eben biefem
Umftande, wornad der Generalvicar an ber bifchöflihen
Auctorität partieipirt, beruht bie eigentliche Bedeutung
feiner hohen Stellung und Würde. Diefe ift denn aud
im Gefege volftändig anerfannt: überall erfcheint ber
Generalvicar neben bem Biſchofe, er geht allen Dignitären
des apiteló und der Diöcefe voran) unb der Generals
1) Glossa ad c. 62. X. de appellat, 2. 28. verb. Delegatus.
Fagnani, Comment. in h. c. n. 4.
2) c. 2 de offic. vicar. VI. 1. 13.
3) Reiffenstuel, 1. C. J. tit. XXVIIL 6. 4. n. 92.
4) Benedict. XIV., de Synodo dioeces. L. IIL 6. 10. n. 2. und
IL. c. 3. n. 8.
bet. Generalvicare. 589
vicar des Erzbiſchofs ſteht als perfönlicher Repräfentant
des Mitropoliten über den Sufftaganbiſchoͤſen). Wenn
in biefer SBrücebeng des Generalvicars feine Identitaͤt mit
bem Bifhofe unb ebenbamit feine Jurisdictio ordinaria
Har unb deutlich ausgeſprochen ift, fo fónnen wir aller»
dings nicht unerwähnt laffen, daß fie factifd nicht übers
all flattfinde, daß vielmehr ber Grundſah gelte, ber Generals
viear habe diejenige Stelle einzunehmen, die ihm das
Gewohnheits recht an der betreffenden Kirche anweist ?).
So iſt es vielfach namentlich in Deutſchland der Fall
geweſen, daß der Generalvicar, wenn er Canonikus war,
im Kapitel bie ihm ald Mitglied deſſelben gebübrenbe
Stelle einnahm und falls er dem Kapitel gar nicht ans
gehörte, allen Gapitularen πα ὦ ἢ α π Ὁ 5), aber bief waren
bloße Ausnahmen, im Principe unb nad gemeinem
Rechte ift der Generalbicar mit bem Biſchofe Eine Perfon,
et partieipirt an feiner Jurisdiction, an feiner hohen Würde
wie an feinem Ehrenvorrange. Aus bem námlidjen Grunde if
berfelbe ein firhliher Dignitariu 6 und zwar ber erfte nad)
bem Bifchofe: denn wenn unter Dignitas ein Kirchenamt vers
fanden wird, mit welchem eine Jurisdiction in foro ex-
terno unb ein firhliher Vorrang verbunden ift, fo
wird dem Generalvicar eine foldje nicht abgefprodyen werden
fónnen, vielmehr wird er um fo höher fteben als alle
übrigen Dignitäre der Diöcefe, je au&gebebnter feine Juris⸗
diction im Vergleich mit der ihrigen unb je unbeftrittener
1) c. 26. Dist, 98,
2) S. Congreg. Rit. in Alexandrina 15. Mart. 1608 bel Barbosa,
Summa Apost. Decis. verb. Vicarius generalis Episcopi.
3) Vhillips, Kirchenrecht, S. 168.
4) Benedict. XIV. 1. c. Ill. c. 3. n. 1.
500 urſprung und reqhiliche Stellung der Generalvicare.
ſein Vorrang vor allen Andern iſt. Zwar haben einzelne
Ganeniften ") die Anſicht ju vertheidigen geſucht, ber General»
vicar koͤnne nicht in bie Reihe der Dignitäre geſtellt
werden, weil hiezu eine bleibende Uebertragung bes
Amtes erfordert. werde, fein Mandat aber vom Bifchofe
jeden Augenblid widerrufen werben könne unb jebenfalls
mit dem Tode beffelben aufhöre, allein biefer Umſtand
vermag bem Generalvicar, fo [ange er dieſes ift, bie
in Rede fiehende Würde nicht zu entziehen, denn bie zwei
Hauptmomente, welche den Begriff der Dignität conflituiren,
liegen vollfänbig vor, bie einzige Folge des berührten Ber»
hältniffes fann nur darin befichen, daß auch feine Dig
nität feine bleibende ift, fondern wieder erliſcht, ſobald
et aufhört, Generalvicar zu fein 5. Diefe Anficht ift aud)
durch bie Gefeggebung auébrüdlid) anerfannt. C. 11 de
tesoript. VI. 1. 3. verotbnet Bonifag VIIL, daß nur Digr
nitäreund Domherrn als paͤpſtliche judices delegati bes
ftellt werden dürfen, c. 2. de rescript. in Clement. 1. 2 wird
aber beftümmt, bag aud) ber Generalvicar des Biſchofs
mit einem derartigen Auftrage vom Pabſt betraut werben
koͤnne: da nun der Generalvicar nift notwendig Domherr
su fein braucht, die Stelle der Glementinen aber gam
allgemein jeden Generalvicar, alfo aud) denjenigen, ber
nit Domberr ift, zur Mebernahme eines ſolchen päpftlichen
Mandats für fähig erflärt, fo folgt, daß fic das Amt
deſſelben unter bie Dig nitäten gerechnet habe 3).
Prof. Kober.
1) Ven-Espen, 1. E. P. II, tit, 18. c. 2, n. 13,
2) Fagnani, Comment, ad c. 13.X. de pracbend. 3. 5. n. 25 seqq.
8) Glossa in h. c. verb. Delegalus.
————.
2.
Altteftamentlihe Studien,
- Δ) Ueber bie Bedeutung oou „Aſchera⸗ uw.
Johannes Ὁ. Gumpach hat in feinen ,aftteftamentf.
Studien“, Heidelberg bei Mohr 1852, unter andern
aud) eine neue Anſicht über bie „Aſchera“ (MW) ber
Bibel niedergelegt und diefelbe zu begründen gefudjt. Gr
weist vorerft. darauf hin, mie Spencer de legibus hebraeorum
ritualibus 1. 2. c. 27. p. 507 sqq., Gesenius im thesaurus
8. v., De Wette bibl. Archäologie $. 233, Greuger Sym⸗
bolit II, 55. fü) nad) Selden de diis Syris syntag. VI.
€. 1. p. 231 sqq. für bie phönififche Göttin Aftarte erklären;
Movers (bie Phönizier I. ©. 560 ff.) dagegen zu beweiſen
ſuchte, bie mw fei die fanaanitifdje der Beruth ober
Benus des Libanon, der Baaltis von Byblos und ber
babyloniſchen Mylitta gleichſtehende telluriſche Göttin Afchera,
bie in Geftalt einer aufgerichteten Säule, eines Phallus,
oder eines grünenben Baumes, ober Saumflammeó vers
ehrt worden wäre. [Die Anfiht Hugs fdeint der Ver⸗
faffer nicht gefannt zu haben. Diefer Gelehrte enſcheidet
fi für das Sternbild des Meinen Bären ober Wagens,
das bie Phoͤnizier, infoweit es ihnen ben Eompaß erfegte,
als ein Sluͤdsgeſtirn vergóttert und ihm ben Namen Aſchera
bie ‚gute Führerin) ‚gegeben Haben, vgl. Zeitfäprift für bie
592 Altteſtamentliche Studlen.
Geiſtlichkeit des Erzbisthums Freiburg 7. Heft. Freiburg
im Br. 1834. €. 82.] Nach dieſer kurzen Ueberficht gibt
v. Gumpad) feine Anſicht dahin ab, TWIN, das im A. T.
18mal im Singular, unb 21mal im Plural vorfomme,
babe a) im Singular 1. die Grunbbebeutung „Unter
bau“, 2. die übertragene Bedeutung „Hochaltar“,
3. die abftract Follective Bedeutung „Hohaltarthum“,
b) im Plural 1. im Mafeulin die Bedeutung „Hohals
tate", 2. im Feminin ,Qodaltatgógen". — Aber
fhon der Mangel an Einfachheit, der biefer Deutung zur
aft fält, fpeicht gegen fie. Ich bin bermal nod) nicht in
der Lage, mid) darüber ausſprechen zu fónnen, ob und
welche beflimmte Göttin unter Aſchera zu verfteben fei,
und die Beforgung welder Geſchaͤfte ihr obgelegen habe.
Es ift dieß aud junádft hier meine Abfiht nicht, (ong
würde id) mid) wohl dahin entídjeiben müffen, daß fid) die
oben au$gefprodenen Anfichten der Gelehrten über dieſe
Göttin dahin vereinigen, daß diefelbe in verfchiedenen
Zeiten und Ländern verídiiebene Namen, Geftaltungen,
Bedeutungen und Obliegenheiten angenommen habe. Rur
einige Bemerkungen will idj der Anficht des Verfaſſers
(Ὁ. Gumpach) entgegenfegen, um baburd) weitere Sor
ſchungen der Gelehrten anzubahnen.
Vergebliche Mühe wird e& fein, beweifen zu wollen,
daß unter „Aſcher a“ eine heidniſche Gottheit dieſes 9ta«
mens nicht verftanben werde. Die Stellen, worin biefer
Name in der Bibel vorfommt, fpreden zu laut für eine
. Göttin. Auch die nicht bibliſche Literatur hat ben Namen
nod) aufbewahrt und auébrüdlid) erklärt, daß darunter
eine heidniſche Gottheit und angedeutet, welche darunter
vesftanden werben folle, Strabo lib. 16, 785 fagt ia
Aluteſtamentliche Studien. 503
geradezu: „Arapyarıp de τὴν AIapav (MR, MANN),
depuerw δ᾽ αὐτὴν Κτησιας καλει.. Diefe Stelle, führt
Winer in feinem Reallerifon s. v. Astarte und (don lange
vor ihm Ealmet in feinen biblifden Unterfuhungen über
verſchiedene Stüde der δ΄. Schrift, deutfche Weberfegung
von Mosheim 4. Thl. ©. 52 an; und $efpdius bemerkt
aus Zanthus: „Arsapyasdr AIapr“ vergl. Selden de diis
Syris ©. 267. 268.
Unter den fateinifden Schriftftelern erwähnt derſelben
Justin. XXXVI, 2. - Er redet von einem bamascenifchen
König „in cujus honorem Syri sepulchrum Athares (h^nW)
uxoris pro templo coluere, Deamque exinde sanctissimae
Religionis habent*. Wenn nun gleichwohl Suftin bier über
ben Urfprung ber Göttin fi$ im Irthum befinden mag,
fo erfennen wir doch aus bet Stelle augenſcheinlich ben
Namen der „Aſchera“ und erfeben aud, baf die Syrer
fie für eine Göttin gehalten haben. — Die Etymologie
aber wird uns für bie Bebeutung bes Ramens WR
durch „illustris, excelsa*, entſcheiden laſſen, von A
I. praecelluit Il. magnificavit IV. elegit, honoravit, prae-
5
tulit 5 nobilitas. Im Zabiſchen heißen bie Genieen
lol codex Nasar. T. 1. ©. 6. 3. 8. — 3n foweit wirb
nun die Behauptung, welche der Anſicht des Heren v.
Gumpach entgegengeftellt wurbe, gerechtfertigt exfcheinen,
daß naͤmlich unter MAR eine heidnifche Böttin dieſes
Stamenó zu verfteen fei. In den biblifchen Stellen aber,
worin ber 9tame vorfommt, ift diefe Erklärung überall
zuläffig, mit der Befchränkung jedoch, ba ΓΖ aud für
das. Bildniß gebraud)t ift, wodurch bie Göttin vorgeftellt
594 Auuſtamenuliche Giabten.
wird, insbefondere, wenn ber Name im Pluralis fet.
Ich will mich in den Ausprüden des Kirchenvatets Augufin
iu Judic. 2, 13 faflen, ‚wenn er fid) über bie Aſtarte |
.(tine identifhe ober verwandte Göttin) dahin erklärt: |
„Nec movere debet, quod non dixit Astartae, id est Junoni,
sed ianquam multae sint-Junones pluraliter hoc nomen |
posuiL Ad simulacroram enim mullitudinem referri vo-
luit intellectum, quoniam unumquodque Junonis simulacrum
Juno vocabatur. Ac per hoc tot Junones quot sunt simul-
acra inlelligi voluit^. Vergl. Selden de diis Syris s. v.
Astaroth p. 259. — Die, Ueberfegungen ber bibliſchen
Stellen, worin diefer Name vorfommt, find bem Verfaſſer
(». Gumpach), al8 von irrigen Borausfegungen ausgehend,
fámmtlid) mißlungen.
Sid) will diefelben aud) hier furg durchgehen:
1. 2 Mof. 34, 13: „fondern gertrümmert ihre Altäre,
zerſchlaget ihre Opferfäulen, und fállet ihre 8 (dero
bilder“,
2; 5 Mof. 7, 5: „Ihre Altäre folt ihr zertruͤmmern,
ihre Säulen zerſchlagen, ihre Afcherabilder um
hauen, ihre Gößenbilver aber mit Feuer verbrennen",
3. 5-Mof. 12, 3: „Zertrümmert ihre Altäre, zerbrechet
ihre Säulen, ihre Aſcherabilder verbrennet mit
euer; ble Bilpniffe ihrer Götter aber hauet um und
- vertilget felbft ihre Namen von dieſer Stätte”.
4. 5 Mof. 16, 21: „Du [οἵ die nicht aufftellen eine
Aſcheta aus jeglidjem Holze neben bem Altare Jeho⸗
vas, ben bu dir erbauen magfl. Auch eine Säule, welde
Jehova bein. Gott haffet, follft bu dir nicht errichten".
5. Richt. 8,.7: „Sie. vergaßen Jehova's ihres Gottes,
und dienten ben Baals und Aſcherabildern“.
6.
1.
11.
Alueſtamentliche Studien. 595
Richt. 6, 25. 26: „Reife nieder ben Altar be& Baal,
welchen dein Vater errichtete, und bie Aſchera,
welche darauf ftebt baue um. Erbaue einen Altar
Jehova deinem Gott .... und made auffleigen ein
SBranbopfer mit bem Holge der Afchera, welde du
umgehauen haft". 28: ,flebe! es wurde zertruͤm⸗
wert der Altar des Baal und bie Aſchera, welde
darauf ftanb, wurde niebergehauen". 30: „weil er
den Altar Baald zertrümmert unb bie Aldera,
welche darauf ftanb, umgehauen fat", —
1 König 14, 15: „weil fle gemacht haben ihre
Aſcherabilder, melde ben Zorn Jehovas reigten".
23: „und fie erbauten fid) aud) Höhen und Säulen
und W(derabilber auf jedem hohen Hügel und
unter jebem grünen Baume“.
1 König. 15, 12—14: „Er fhaffte bie männlichen
Huren aus dem Lande, unb entfernte alle Götzen,
bie fein .Bater gemacht hatte. Auch feine Mutter
Maacha ließ er nicht mehr als Königin regieren, weil
fie gemacht Hatte ein Schandbild für bie Aſcher a;
εὖ Bieb um Afa ihr Schanpbild und verbrannte εὖ
im Thale Kidron. Aber die Höhen entfernte man
nicht“.
1 König. 16, 32—33: „Ex errichtete dem Baal einen
Altar im Baalstempel, den er in Samarien erbaute.
Und εὖ ließ Achab eine Afchera fertigen“.
4 König. 18, 19: „die 450 Propheten Baals und
Bropheten bet Afchera 400, melde von bem Tiſche
Iſebels effen".
2 König. 13, 6: „Auch bie Afchera fland in Sa-
matien^, —
596 Altteſtamentliche Gtublen.
12. 2 König. 17, 10: „Sie flellten ſich Säulen und
Aſcherabilder auf allen hohen Hügeln und unter
jebem grünen Baume auf”.
2 König. 17, 16: „Sie verfertigten eine Aſchera
und verehrten baó ganze Heer des Himmels und
dienten dem Baal“.
14. 2 König. 18, 4: „Ex entfernte die Höhen, zerbrach
15.
16.
17.
die Säulen; unb hieb um die Aſchera“.
2 König. 21, 3: „Er baute bie Höhen wieder auf,
die fein Vater Hisfta fortgefhafft hatte, unb errich⸗
tete Altäre dem Baal und machte eine Afchera,
wie foldje gemacht hatte Achab, der König von Iſtael,
und verehrte das ganze Heer des Himmels und diente
ihnen“. 7: „Und er errichtete das 3Bilbni der
Aſchera, das er gemacht, im Tempel*.
2 König. 23, 4: „Alles Geräth, welches gemacht
worden war für den Baal und für bie Aſchera und
für das ganze Heer des Himmels". 6. „Er lief die
Sidera aus dem Tempel Jehovas hinausfchafen
außerhalb Serufalem Hin zum Thale Kivron, und
verbrannte fie". .. 7: „Und aerftórte bie Buben der
männlichen Huren, melde am Tempel Jehovas waren,
weil die Weiber dort Tempel webten für bie Afchera‘.
2 König. 23, 13. 14. 15: „Auch die Höhen .....
welche erbaut hatte Salomo, König in Ifrael, der
Aftarte, dem Gräuel ber Gibonier, unb bem Kamod,
dem Gräuel Moabs, unb bem Milfom, bem Abſchen
der Söhne Ammons, die der König verunreinigte;
und zertrümmerte bie Säulen unb hieb um bie Aſchera⸗
bilder..... unb aud) den Altar, welder zu Bethel,
bie Höhe, melde Jerobeam gemacht hatte .... aud
18.
19.
25.
26.
Altieſtamentliche Studien. 597
biefen Altar und bie Höhe zerflörte er und verbrannte
bie Höhe, madte fle zu Staub und verbrannte bie
Aſcher a“.
2 Chron. 14, 2: „Er entfernte bie fremden Altäre
und die Höhen und zertrümmerte die Säulen und
Bieb die Afcherabilder um".
2 Ehron. 15, 16: Auch Maacha, die Mutter, ents
fetnte Afa, der König, ba fle nicht mehr Herrfcherin
mar, weil fie gemacht hatte der Afhera ein Schand-
bild*. Vergl. 1 König. 15, 13—14.
2 Ehron. 17, 6: „Und wieder entfernte er bie Höhen
und bie Afcherabilder aus Juda“.
2 Ehron. 19, 3: „daß bu vernichtet haft Die Aſche ra⸗
bilder.aus bem Lande hinweg“.
2 Ehron. 24, 18: „Sie dienten ben Afhera- und
Gögenbildern". —
2 Gron. 31, 1: „Sie zerträmmerten die Opferfäulen
und hieben um bie Afherabilder unb rien bie
Höhen und Altäre nieder aus ganz Suba".
. 2 Ehron. 33, 3: „Er baute wieder auf die Höhen,
welche fein Vater Hisfia niebergeriffen hatte, unb
errichtete Altäre den Baalen, unb machte Aſcher αν
bilder und betete an alles Heer des Himmels und
diente ihnen“.
2 Gron. 33,19: „DiePläge, auf denen er Höhen gebaut
und Afcherabilder und Böpenbilder aufgeftellt hat".
2 Ehron. 34, 3. 4.7: „Bon den Höhen unb ΒΓ {ὦ ετ αν
bildern und gehauenen unb gegoffenen Bildern fing
er an Juda und Serufalem zu reinigen. Und man
zertrümmerte vor feinem Angefichte die Altäre der
Baale, und die Hamonsbilder, welde oben drauf
Sigesl. Ouastalfr. 1858. IV. Oft. 40
598 Altteflamentliche Studien.
landen, hieb er nieder, unb bie Aſcherabilder unb
gehauenen und gegofienen Silber zertrümmerte er.
2... Er jertrümmerte die Altäre unb Afcherabilder
und bie Gógenbilber zermalmte er zu Staub und alle
Hamonsbilder Bieb er nieder im ganzen Lande Iſrael
und fchrte nad) Jerufalem zurüd“.
27. Jeſai. 17, 7—8: „Zu jener Zeit wird ber Menſch
zu feinem Schöpfer emporbliden und nicht mehr empor:
bliden zu ben Altären, feiner Hände Werf, und was
feine Finger gemacht, nicht mehr anfehen, bie 9t (dera
und Hamondbilder".
28. Sefai. 27, 9: „Indem er alle Steine des Altars
gefoßenen Kalkfteinen gleih madjt, daß nicht mehr
Aſchera- und Hamonsbilder bleiben".
29. Serem. 17, 2: „Ihre Altäre unb Afcherabilder,
bei den grünenden Bäumen auf den hohen Hügeln".
Micha 5, 12—13: „Ih will ausrotten deine ges
hauenen Bilder und Eäulen aus deiner Mitte ...
en unb zertrümmern deine Afcherabilder aus
deiner Mitte”.
Gelegenheitlih will id) bier nod) eine Bemerkung
über bie oben 2 Ehron. 34, 5. 7. Jeſai. 17, 8. 27,9
erwähnten Won maden, weil fie mit den DIR vers
bunden find, und damit eine Frage an die Gelehrten ver |
binden. Das Wort fommt in unferem dermaligen be
bräifhen Sprachſchate nur nod) im Plural vor; wohl aber
glaube id) es nod) in ber phönikifhen Sprache im Sin
gular zu finden. In ber karthaginenſiſchen Infchrift, wordber |
Hug in ber Zeitfärift für das Erzbisthum Freiburg
7. Heft &. 67 ff. eine Abhandlung geliefert, Tefe id) nämlih
wobn bya nijt yaın 5y3 wie Kopp nod) jan 59 wie
30.
Altteftamentliche Studien. 599
Hug will Was biefe Gelehrten für * halten, gehört mit
iut litera m, vergl. bie Inscriptio Melit. bei Ludwig Wihl,
Münden 1831. €. 18 wo das m im phönififhen in bem
Worte rw alfo gefchrieben i ΕΞ. Auf dem Steine
unfeter Infhrift if bie Zeichnung fdon etwas verwifcht.
Der won bya wäre eine heidniſche Gottheit unb bie
D'3on wären Bilder biefe& Gottes, wie DAWN Bilder ber
Aſchera. — Was für eine Gottheit e& fei, find wir aus
Mangel an Urkunden zu beftimmen aufer Stande. Was
fünde aber im Wege, ihn für dgpptifdjen Urfprungs und
zwar für den Jupiter Hamon zu halten? —
b) 9tabonaffar — Salmanaflar.
Ueber die Perfon Rabonaſſar's, mit bem nad) Syn-
cellus p. 390 edit. Dindorf bie καταριϑμησις των Χαλδαίων
βασιλεὼων begann, find bie Gelehrten, fo id) nidt irre, bis
jegt nod) fer im Ungewiſſen. Hävernid z. 9. in feiner
Einleitung ins 9. T. 2. Thl. 2. Abtheilung €. 89 macht
fiber ihn die Aeußerung: „Deffen Name (don feine
chaldäifhe Herkunft verbürgt“. Der Gelehrte
Bat fid übereilt. Die Behauptung ift ‚nicht weniger utw
richtig, als es unrichtig wäre, wenn Jemand alles Ernſtes
ben vielen Louis in unfern deutfhen Landen auf ble ein»
sige Grundlage ihres Namens hin franzoͤſiſche Abfunft
vinbiciren wollte. Dießmal ftehen obiger Behauptung die
Zeugniffe ber Geſchichte entgegen, welche fo Mare Auskunft
fiber bae Gegentheil und fo deutliche Hinweifungen auf
die richtige Kenntnißnahme ber Berfon 8abonaffat'é geben,
daß εὖ zu wundern ift, wie biefelben bisher haben übers
fehen werden fónnen.
40 *
600 Ateftamentfiche Studien.
Die babyloniſchen Könige hatten gleich den Königen
Iſraels und Judas wohl öfters verfucht, fid) gegenüber
ihren afiyrifchen Oberheren wieder unabhängig zu maden,
was mehrmalige Revolutionen gegen biefe zur Folge hatte.
Nabonaffar fuchte, beordert von ben afiprifhen Herrſchern,
folden Beftrebungen auf längere Zeit zu begegnen, indem
er die Babylonier ſchwer jüdjtigte, einen Theil der 8e
toobner transportirte (2 König. 17, 24), der Herrſchaft bet
angeftammten Königehaufes ein Ende machte und fogar
bie Thaten der früheren Könige, respect. bie Auffchreibungen
darüber, vertilgte, um bie Liebe und Anhänglichfeit an
daſſelbe gänzlich zu erfliden. — Ex felbft aber blieb als
Vizekoͤnig in Babel, fo daß mit ihm eine neue era der
chaldaͤiſchen Könige begann. Vom Jahr 747 bis Ende (f
733 v. Ehr. blieb er in dieſer Eigenfchaft dort.
Da farb fein Vater oder nächfter Verwandter Tiglath
Pileſar, König von Affyrien, in beffen Auftrag er biöher
gehandelt. Er fete einen Statthalter oder Bizekönig über
Babylonien in ber Perfon des Qabiue (Endet 73 |
v. Chr.) ein, und eilte nad) Haus, um die Herrſchaft über
Afiyrien unter dem Namen Salmanaflar in Empfang zu
nehmen. Bom Jahr 734 v. Ehr. treffen wir ihn barum |
als König von Afiyrien. Weber bie Sbentitát ber Perfon |
des Nabonaffar mit Salmanaffar famn gar fein Zweifel
ftatt haben, menn wir nur bie genaue Mebereinfim |
|
|
mung ber Chronologie berüdfidtigen. Damit flimmt
aber aud) das ausdruͤckliche Zeugniß des Syncellus über
ein, wenn er chronogreph. p. 206. B. edit. Goar fagt:
ἢ de Χαλδαίων (agyr) Asınerar oroıgsmIpasn, vig ono
Σαλμανασαρ, ον καὶ Naßovavap καλουσι, λαμβανεται παρα
]
τε Χαλδαιοις.
Altteftamentliche Stubien. 601
Sá wünfdte, taf diefe gewiß richtige 9Infit von
gelehrten Männern grünblider und ausfuͤhrlicher, als id)
e zu thun vermag, entwickelt würde, ba fle mir geeignet
fheint, über mehrere dunkle SBartfieen der Alteren Ges
ſchichte ein eigenes Licht zu werfen.
Prof. Zell in Heidelberg.
Becenfisnen.
1.
1. Seiträge zur Erklärung des alten Ceflementes. Drei
Abbandiungen. 1) Die Schwierigkeiten und Bin
forüche mandyer Zahlangaben im den Büchern des alten 3e
famenté und deren Entflehung und Löfung. 2) lieber bel
Recht der Jsraeliten an Ganaan und über bie Urfache feiner
Eroberung und ber Vertilgung feiner Gimvofner burd die
Ieraeliten und die verſchiedenen Grflärungdberfuche barüber.
3) Ueber dad Gelübbe Jephta's Richt. 11, 30 — 40. Bon
faur. Heinke, Doctor der Philofophie und Theologie, or-
bentfidem Profejjor der Theologie umb ber orientalifden
Sprachen an ber Königl. Akademie zu Rünfler in Bd
phalen. Münfter, 1851. Verlag der Goppenrath'fchen Bud-
und Kunfthandlung. Breis 2 Stir.
2. Beiträge x., enthaltend L Eine allgemeine Ginleitung in
die Weiffagungen, insbeſondere in die meſſianiſchen Ber-
heißungen und Beiffagungen und über bie vorgeblid) nicht
erfüllten Weiſſagungen be8 alten Teſtaments. IL Zwei au
getifch-hiftorijche Abhandlungen: 1) Ueber das Protenange
lium 1 Mof. 3, 15. 2) lieber die meffanifche Weiffagung
vom umbiutigen Opfer des neuen Bundes Salad. 1, 11.
UL Bemerkungen als Anhang jum erſten Bande ber Se
Beiträge zur Erflärung des U. Teſt. 603
träge. Bon Dr. faur. Reinke, Domcapitular und ordent-
Tider Profeſſor γον Zweiter Band. Münfter, 1853. Preis
2 Oti. 8 9r.
Hr. Domcapitular Dr. 9teinfe fügt bier zu feinen
verſchiedenen [don früher erſchienenen eregetifhen Monos
graphieen unb Abhandlungen einige weitere hinzu, bie fid)
mit fer wichtigen und bis jet immer nod) controverfen
SBunften ber altteftamentlihen Schriftauslegung befaffen.
Am umfafiendften und wichtigften ift im erften Bande
gleich die erfte berfelben, bie auch etwas über bie Hälfte
des ganzen Bandes einnimmt. Bevor aber Hr. R. die
Schwierigkeiten und Widerſpruͤche in den fraglichen Zahs
lenangaben zu Iöfen unternimmt, fudit er zu ermitteln,
auf welche Weife die altteffamentlihen Schriftfteller bie
Zahlen ausgebrüdt haben, und fommt auf das Ergebniß,
daß εὖ häufig geſchehen ſei
1) burd) bie als Zahlzeihen gebrauchten Buchſtaben
des hebräifhen Alphabets. Hr. 9t. zeigt, daß ber Ges
braud) der Buchſtaben als Zahlzeichen [dion bei ben alten
Sprern und Arabern üblid) gemefen fei, mithin als eine
herrſchende Sitte der alten Semiten erfcheine, und darum
aud) bei den Hebräcen (djon im Voraus angenommen wers
den müffe (©. 22. 34); [obann daß biefer Gebraud) ind«
befondere daraus erbelle, daß aud) auf den maccabaͤiſchen
Münzen die Buchſtaben als Zahlzeichen erſcheinen (&. 34),
daß Hieronymus auébrüdlid) bemerfe, baf z. B. das Jod
bei den Hebräern ebenfo wie bei den Griechen bie Zahl 10
bedeute (€. 35), daß bie alten Hebräer überhaupt aud)
abbrevirt zu fchreiben pflegten, und bafer biefe Schreibs
weife fier aud) bei den Zahlen in Anwendung btadjten
604 Biene,
(&. 37), taf fid endlich mande Zahlendifferenzen in alt
teftamentlihen Parallelſtellen, ſowie auch zwifchen bem Urs
terte unb ben alten Ueberfegungen nur unter Borausfegung
einer folden Schreibweife leicht und natürlich erklären
laffen (S. 27 f). Es wird fij gegen diefes, fo wie
aud) gegen bie beifpielsweifen Erläuterungen ber dieß⸗
fallfigen Nachweiſungen wenig Erhebliches einwenden laſ⸗
fen. Nur wenn εὖ 3. B. heißt, bie Verſchiedenheit ber
Zahlen 1. Kön. 5, 16 und 2. Gron. 2, 2 erkläre fih
aus der Verwechſelung von W unb C, und beigefügt wird:
nDie Verwechfelung diefer beiden Buchftaben war wegen ber
großen Achnlichkeit in der alten Schrift febr leicht" (S. 32);
fo ſcheint biefe& mit einer vorausgehenden leuferung Hrn.
Reinke's nicht redit zufammenzuftimmen. Denn unter der
alten Schrift fann bod) wohl nur bie vor der Quadrat⸗
ſchrift bei den Hebräern übliche phönigifhe ober fogenannte
Münzſchrift gemeint fein; "bon biefer aber fagt Hr. R.
fefbft, und zwar mit vollem Recht, daß fte Feine Finalbuch⸗
flaben gehabt habe (&. 23), womit fhon gefagt ift, baf
ein Mem finale als Zahlzeihen für 600 in ibt gar nicht
vorhanden geweſen fei.
2) Durch volles Schreiben der Zahlwörter. Der
Hauptbeweis dafür liegt in ben alten Ueberfegungen, ver
glihen mit dem Urterte. Wenn z. B. ny2uo Sprüdw.
26, 16 von ben LXX. mit τῷ ἐν πλησμονῇ überfeht wird,
fo ift Mar, tag in ihrem Original das Zahlwort felbft,
nicht etwa ber Zahlbuchſtabe 1, gefdhrieben war, baf fit
aber den unvocalifirten Srt unrichtig lafen, nämlid
nyaU ftatt nyaWrn; ebenfo wenn fie nND »Ὲ ny Pred.
8, 12 mit ἐποίησε τὸ πονηρὸν ἀπὸ τότε überfegen, haben
fie das Zahlwort rw, nicht etwa bloß ben Zahlbuchſta⸗
Weltsäge zur Etklarung des 9. Sd. 605
ben p, tn ihrem Originale gelefen, nur aber jeneó un
richtig ausgeſprochen.
3) Nicht aber duch Ziffern, wie einige Gelehrte
glauben. Sie fügen fid darauf, baf auf pbonüifden
Münzen und palmyrenifhen Inſchriften Ziffern vorkom⸗
men, und daß fid) unter Borausfegung ihres Gebrauches
von Seite der alten Hebräer manche Zahlendifferenzen im
altteftamentlihen Texte leicht erflären laffen. Hr. 9t. ber
merft dagegen nidjt mit Unrecht, bie berüfrten Münzen
und Inſchriften feien zu jung, als daß fte für eine entfpres
chende alte Sitte bei den Hebräern viel beweifen fónnten,
und die Zahlendifferenzen laſſen fid) großentheils auch durch
Verwechſelung der Zahlbuchſtaben erflären; dagegen finde
fi feine fihere Spur von dem Gebraude der Ziffern bei
ben alten Hebräern, unb fei aud) nicht recht glaublid),
daß fie, menn fie (οἵδε gehabt, biefefben fpäter wieder
follten aufgegeben haben. t
Nachdem Hr. 9t. fobann bie Buchſtaben namhaft ges
macht, bie häufig mit einander verwechfelt wutben, et»
lüutert er „bie wichtigeren Schwierigkeiten unb Wider
fprüde, welche fid) bei den Zahlangaben des hebräifchen
Textes, der famaritanifhen Recenfion des Pentateuchs
und des Jofephus und ber alten Meberfegungen, naments
lid) der aferanbrinifdjen, finden“. Er beginnt mit bet
Genefis, wo fogleih in den Genealogieen Adams unb
Noah's die Zahlen im Urterte und den ihn begleitenden
Documenten bedeutend bifferiren, hier aber mit Recht nicht
aus bloßer Buchftabenverwechfelung, fondern aus beſtimm⸗
ten Abfichten und Zweden erflärt werben, welche die Urs
Beber der vom Urtexte abweichenden Zahlen verfolgten.
Leſenswerth find bie aus Anlaß "biefer Genealogieen ger
606 Gin,
machten Bemerkungen über bie lange Lebensbauer ber
Menfcyen in der Urzeit und die Befeitigung ber in neuerer
Zeit darüber aufgeflellten unridtigen Snfiditen (6. 83—87).
Auch die Schwierigkeit, bie SRandje in den Angaben über
das Lebensalter Therah's gefunden haben, befeitigt Hr. X.
{εὖτ einfach und augenfállig richtig dadurch, daß er bie An⸗
gabe Θεπεί. 11, 32 al6 eine Prolepſis bezeichnet; nur if εὖ
nicht ganz richtig, wenn er fagt, daß „Ichon ber bI. Augufis
nus unb ber hl. Hieronymus jene vermeintliche Schwierig.
feit für unauflö6bar gehalten“ haben. Hieronymus bemerft
zwar zu der Angabe, daß Abraham bei feiner Auswande⸗
Tung ven Qaran 70 Jahre alt gewefen (ei: indissolubilis
nascitur quaestio etc., ſucht aber dann bod) bie Frage zu
lófen, unb gibt mehr als eine ihm möglich fdeinenbe Lör
fung (Quaest Hebr. in Genes.), freilich nicht bie rechte,
weil er von ber Vorausfepung ausgeht, Therah fei [don
iobt gewefen, als Abraham von Haran fortzog. Augur
flinus dagegen löst die Schwierigkeit durch bie Annahme,
Therah fei nad Abrahams Auswanderung von daran,
aber vor feiner Riederlaffung in Ganaan geftorben (Quaest.
in Genes. XXV). Die Angabe, daß bie Setaeliten 400
Jahre in Aegypten fein werden (Ben. 15, 13), gegen
über der anderen, daß fie 430 Jahre dort gewefen feien
(τοῦ. 12, 40), fonnte feine Schwierigfeit machen, da
400 nur eine fog. runde Zahl iR. Dagegen bie [dein
baren Widerfprühe, bie man bei ben Jahreszahlen in
der Geſchichte Joſephs hat finden wollen, find bebeuten:
ber, werden jebod) von Hrn. R. auf ganz befriedigende
Weiſe gelöst, und dabei namentlich bie Unrichtigkeit ber
Annahme dargethan, daß Jacob fogleih nad) Eſau's δὲν
rath mit canaanitifhen Weibern fid) nad) Mefopotamien
Beiträge zur Erklärusg des A. Teſt. 607
begeben babe, welche Annahme hauptſächlich ber Behaup⸗
tung von Widerfprüchen in den Zahlenangaben zur Grund»
lage dient. Sofort wird nod) über eine Reihe ſchwieriger,
fib ſcheinbar wmiberfpredenber Stellen Licht verbreitet und
παπιεπε viele Disharmonieen in ‘den Zahlenangaben,
unter bec Vorausfegung, daß bie Buchflaben von ben
Hebräern aud) als Zahlzeichen gebraucht worden feien,
meiftens gut befeitigt.
In ber zweiten Abhandlung: „Ueber dad fedt ber
Ieraeliten an Canaan x." ſchließt fij Hr. R. an bie
Kirchenväter namentlich Auguſtin an, und gewinnt in aue»
führlicher Erörterung das Ergebniß: „Die Israeliten has
ben fein menfchlihes Recht irgend .einer Art an Ganaan
gehabt, fonbern εὖ durch eine göttliche Schenfung erhalten.
Die Urfahe, warum die Ganaaniten nicht länger Beſitzer
des Landes bleiben follten, lag in ihrem tiefen fttlichen
Berberben, namentlich in bem Gógenbienft der abſcheu⸗
lichften Art, indem fie hierdurch ber Vertilgung würbig
geworben waren. Dur die Schenkung deſſelben gefchah
daher den Ganaanitern Fein Unrecht. Die Israeliten,
durch welche Gott, der Herr des Weltall, Ganaan et»
obern unb befjen Bewohner vertifgen ließ, waren Diener
der göttlichen Geredtigfeit und erfüllten burd) bie Grobe⸗
rung des Landes und bie Yusrottung ber Ganaanitet ein
ihmen gegebenes göttliches Gebot“. Dann zeigt er ned,
bafi bie verídiebenen anderartigen Verſuche, bie Eroberung
Ganaans burd) bie Sétaeliten zu rechtfertigen, unhaltbar
feien, wie 3. B. die Behauptung, ihr Recht auf €anaan
gründe fid auf eine von Noah's Söhnen angeftellte Vertheis
Tung ber ganzen Grbe, bei welcher Ganaan ben Nachkommen
Sems zugefallen fei, oder bie Joraeliten haben ben Aufe
es ka,
trag gehaft, ten Gansaniten ben friben auzmbirkn mh
erf im PBeigerungäialle βε ohne Eibenung zu tibia, he
Sinlef; pum Krige gegeben unb feiern icit Der amgeriienbe
Ipeil geweien Εεἰώε Halten haben die auf iex Gr
genßent bepislichen Edhrirrürkien zu angeuiälig gegen 9d,
αἷδ bej Mj xod εἴκει emxbübihüdcn Radiweriung bc
türfte, mmb beerben beber veu Den. 3b mit Shed mé
μα seni Far) aberherigt.
Sm ver Yemen Ῥδδαπείαπα: Ueber das Gier
ϑιφίμαδ, indt Dc R zu μία, raj; Scplta'8 Sedet
bem feb. ὅδ Uk über γαῖα θερευβιουὺ im alter umb neut
Jet [ὅσα fe vil νειδαπεεῖς werten, toj δῷ feum mk
em»eó über Hn jagen ijt, ead mut irc urgente qe
fagt wäre. Sm werte der Betrefene
Türerm m bem Ccrme axipraßı, ταῦ Sepe feine Sede
werfab ai Sorrrewéer τατρεύταδιε Babe, ie να rer
She Cerana mur Seba ecu werten femel Bec
scmieala sala veierikun emmiber fe (Jadces εἰ Esá |
exphuusi εἰς Morus 1619. p 391). uir von Gafurt: |
Cowvemmnt im hanc seuäreiisen veieres Hebraei, Pues
BEaxhexae εἰ cradüümumà quique verres receularesque
Interpreites (Dimsertsiiones im V. T. Wircch. 1789. L 470).
Cue mar tie wat
Ve ΒΩ wait Kingern, τοῦ ὅδ tür Hisfafune ter Bätrt |
Beträge zur Erklärung des A. Left. 600
von felbft nicht bloß nahe fegt, fondern fat unabweisbar
auforángt Selb Biele von Denjenigen, welde eine
wirkliche Toͤdtung ber Tochter Sepbta'6 nicht anzunehmen
vermögen, wiflen fid) bem Ginbrude der Tertesworte nicht
au entziehen und benfen entweder bei Mdyhr an etwas
anderes als bei nyvo my, nämlih an ein wirkliches
Opferthier, das Jephta als Brandopfer geſchlachtet, ober
nehmen das * bei ymmbym in ber Bedeutung „ober.
Da aber das Eine wie das Andere fihtlih nur ein uns
genügenber Nothbehelf ift, fo verfiehen Rande das Opfer
nur im bilbliden Sinne entweder fo, daß Jephta's Tochter
an einem einfamen Orte eingefchloffen worden fei, um
in Befünbiger Jungfraufhaft bur Gebet und Baften
Gott zu dienen (cf. Serar. 1. c. p. 321), ober fo, daß
fie bem Dienfte des Heiligthums geweiht worben {εἰ
Hengfenderg, Beiträge zur Einleitung ins 9. S. II.
128 f). Mein fo gewiß es if, daß „Opfer“ und
„Dpfern“ aud) bildlich gebraud)t wird, fo wenig fdeint
die bilblide Auffaffung im gegebenen Falle fi rechtfer⸗
tigen zu [affen, und Hengſtenbergs und Reinke's dießfall⸗
figer SBerfud) wird fid) nicht als gelungen bezeichnen laffen.
Sie berufen fid) nämlich auf Hof. 14, 3, we „von Stieren
der Lippen“ (nicht ganz richtig!) die Rede fei, welche Israel
bem Heren opfern werde; auf Pf. 40, 7—9, wo „der
Sänger fid felbft, die Hingabe feiner Perfönlickeit, als
das wahre von Gott verlangte Opfer“ bezeihne; auf
Bi. 50, 23, wonach, wer Danf opfere, den Herrn efte;
auf Pi. 51, 19, wonach bie Opfer Gottes ein zerknirſchter
Gift feien; auf Pf. 119, 108, wo Jehova an bem wil⸗
ligen Opfer des Mundes Gefallen haben foll; enblid) nod)
auf einige beuterofanoniffje unb neuteftamentlide Stellen,
910 Reinte,
wie Gir. 35, 1-3. Weish. 3, 6. Röm. 12, 1. 15, 16.
Phil. 4, 18. Hebr. 13, 15. 16, wo ebenfalls von Opfern
im bilblidjen Sinne bie Rebe if. Allein alle biefe Stellen
find in poetifhem ober bod) rhetoriſchem und exhestater
tidem Tone gehalten, wo Bilder und ?Bergleidjungen am
Plage find, und deßungeachtet ift doch nod) überall durch
irgend einen Beifag oder eine eigenthümliche Redewendung
ber bildliche Ausprud als folder fenntli) gemacht. Bei
of. 14, 3 4. 9. würde Niemand das C'op nipbg? von
Opfern im uneigentlihen Sinne verfteben, wenn nidi
np durch x»nplp erklärt würde, fobann Pf. 40, 7-9
bezeichnet der Pfalmift bie Hingabe feiner Perfönlichfeit fo
gat nicht burd) bie etwa bildlich gebrauchten Ausbrüde
mag ma] unb rpm hip, bef biefe Ausbrüde υἱεῖν
mehr gerade den Gegeníag zu jenem uneigentlichen Opfer
begeicpnen; ferner Pi. 50, 23 ift eben burd) myim (Lob,
Dank) angejeigt, dag ΠῚ bilblid) gemeint: fei, und ein
Gleiches gilt von pw) m, was Pf. 51, 19 auf ma
Dow folgt, unb won "B in p nt272 Pf. 119, 108. In
all biefen Stellen liegt alfo feine Berechtigung, das vv
mbty Richt. 14, 31 im bildlichen Sinne von ber Hingabe
zum Dienfte des Heiligthums zu verftehen, umb eben fo
Yoenig in den angeführten beuterofanonifhen und neutefla-
mentlihen Stellen. Es mag fofort nicht viel verfangen,
wenn Hengftenberg bemerft: — „Da von ben Befennern
ber Sebopabreligion nie und nirgends Menſchenopfer dar-
gebracht wurden, fo fiel jebe Siveibeutigfeit weg, und jeder
Zufag war unnöthig" (d. a. O. €. 139); denn irgend eine
Andeutung, daß das Opfer nur im bilbliden Sinne ge
meint fei, müßte man in einer ſchlichten Berichterflattung
HJ"
Beiträge zur Crklarung des A. Teſt. eu
um fo mehr erwarten, al6 foldhes ſelbſt in poetifhen
Darftellungen geſchieht, unb ein Leſer bem Jephta gar
leicht etwas Abnormes zutrauen fonnte, wie e8 ja im
Alterthum wirklich von jeher gefchehen if. Dazu fommt,
daß ny, vom Opfern gebraucht, immer nur vom eigent-
lichen Opfer, und zwar von ber ganz beflimmten Opfer
art, die wir Brandopfer nennen, vorfommt, und ber Aus⸗
druck nbi nbym immer mur von ber wirflihen Darbrins
gung eines SBranbopferé. Das Opfer Abrahams hätte
man zu Gunften einer uneigentlihen und bildlichen Opfer
rung der Tochter Jephta's nicht herbeiziehen follen, denn
aus bem dießiallfigen Berichte der Geneſis, für fid) be
tradet, laͤßt fid) nicht einmal mit Sicherheit folgern,
daß Jehova feine Menfchenopfer wolle, weil, was hier
dem.Abraham zu Lieb gefchehen ift, bie Erlaffung des
Opfers, ein anderes Mal aud) hätte unterbleiben fónnen.
Jedenfalls wird aber burd) nótyb mbym Genef. 22, 2 die
wirkliche Schlahtung und Opferung Hanks, bie fofort
zu unterbleiben hat, bezeichnet; und es ift fonberbar, wenn
Hengftenberg in Betreff der Worte: „bringe ihn dar als
Brandopfer“ bemerft: „Wären biefe Worte äußerlich zu
verftehen, fo hätte Gott, ber fdon παῷ - der Lehre des
A. S. fein Menſch ift, bag er füge, unb fein Menſchen⸗
fohn, daß ihn geteue, nicht nachher bie Ausführung vers
bieten Fönnen; was nad) feinem eigenen Giefege gottlos
ift, das kann Gott auch verſuchungsweiſe nicht gebieten 3
8. 12 erflärt, daß bem Befehle des Herrn nun, ba bie
geiftige Opferung vollbracht war, [don Genüge geleiftet
worden. Daraus erfehen wir, baf bie Verfuhung nur
in ber Zweibeutigfeit lag" (a. a. D.) Es ift gewiß
ſchwer, aus ben Worten: „Und bringe ihn dort zum
6123 ᾿ Reine,
Brandopfer bar auf einem bet Berge, ben ich bir fagen
werde“ eine Zweidentigkeit herauszubringen, wenn man
fe nicht vorher hineingelegt hat. Ein Hebräer fonnte
nad bem üblichen Sprachgebrauche bie betreffenden Worte
gar nicht anders als Außerlih von ber Darbringung eines
wirklichen Opfers verfteben, wie denn aud) Abraham fie
wirflich nicht anders verfunb. Nun wird man aber nicht
annehmen wollen, daß Gott bem Abraham etwas befohlen
babe mit Worten, bie er ganz anders verfeben mußte
und verftund, als fle gemeint waren, ohne ihn im Ge
τίπρβεπ auf das unridtige Verſtaͤndniß aufmerffam zu
maden. Warum aber Gott aud) nicht verſuchungsweiſe
eine ſonſt unerlaubte That, bie nicht zur Ausführung
Tommen fol, gebieten könne, weiß Ref. nicht einzufehen.
Sei aber bem wie ihm wolle, bem Abraham ift bie Schlach⸗
tung feines Sohnes wirflid geboten worben, denn weil er
bie Worte des Gebotes in biefem Sinne verftunb, eriftirte
für ihn aud) bae dießfallſige göttliche Gebot, unb wenn
ihm Gott die Schlachtung feines Sohnes nicht hatte ger
bieten wollen, fo würde er fij anders, als εὖ gefchehen
ift, ausgebrüdt haben. Auf eine Menge von Bedenken,
bie man gegen bie wirflihe Opferung der Tochter Jeph⸗
ta's vorgebrad)t hat und nod) vorbringt, ift lángft geant⸗
wortet toorben (cf. Serar. 1. c.), unb wir können bier
nicht weiter darauf eingehen. Wenn außerdem gegen eine
wirkliche Tödtung aud) nod) auf eregetifche Auctoritaͤt, b. ἢ.
auf die vielen ausgezeichneten Gelehrten, bie fid) gegen dies
felbe erflärt haben, Gewicht gelegt wird, fo ift zu bemerken,
daß diefe Gelehrten ber Mehrzahl nad) Proteflanten find
und fämmtli ber neueren Zeit angehören, daß von ben
Kirpenvätern ohne Ausnahme unb von ben alten Exegeten
Beiträge zur Erklarung des A. Teſt. 613
überhaupt bie betreffende Stelle immer von einer wirt
lichen Opferung und Tödtung der Tochter Jephta's ver»
fanden worden ift und biefeó Verfländnig als das tradis
tionelle und kirchliche erídeint. Wenn übrigens jenen Ge»
lebrten aud) Eftius beigezaͤhlt wird, fo geſchieht dieß nicht
mit vollem Recht. Denn zu der Bemerfung: Neque dici
posse videtur, eum instinctu divino illud fecisse, sicut
de Samsone occumbente cum Philistaeis quidam dicunt.
Nam legitur hic Jephte doluisse de tali voto (Annott. ad
Jud. 11, 39) fügt Eftius in ben Addit. et annott. bei: post
verb. volo adde: seu de necessitste immolandae filiae,
quam putabat contractam ex voto v. 35.
Der zweite Band enthält aufer den nachträglichen
Bemerkungen zum erften Bande wiederum drei ausjühr-
liche Abhandlungen. Die erfte ift mehr allgemeiner Art
und ftellt zunächft in kurzer Ueberfid)t den „Hauptinhalt der
meffianifchen Verheißungen und Weiffagungen des alten
Teftaments“ dar, bann die Wichtigfeit derfelben für Juden
und Ehriften, ihren Kortfchritt im Laufe der Zeit unb
ihre Beſchaffenheit. Hr. 9t. folgt fo ziemlich ber ent»
fpredenben Darftellung Hengſtenbergs im erften Bande
feiner Ehriftofogie, ift aber meiftens etwas ausführlicher.
Darauf zeigt er, wie man das Bildlihe und Sachliche
in ben Weiffagungen unterſcheiden, die Zeitfolge der vot»
herverfündigten Begebenheiten erfennen fönne, unb bei
dunklen Weiffagungen fih zu verhalten habe, beweist
bann, daß bie altteftamentlihe Idee vom Meffias unb
feinem Reihe nicht menſchlichen, fondern göttlichen Ur»
fprungeó fel, gibt bie Beweismittel an für die Meffanität
altteftamentliher Stellen, beipriht die Urfahen, warum
ber Heiland .erft 4000 Jahre. nad dem Sündenfalle ber
Stel. Duartaligrift. 1858. IV. Od. 4
614 Reine,
erſten Menſchen erfchienen (εἰ und verbreitet ſich nod
über einige vorgeblih nicht erfülte Weiflagungen des
alten Teftamentes. Auch hier richtet er fid) mit Ausnahme
des Iepten Punftes großentheils nad) bem Vorgange Henge
ftenbergs. Im Betreff der vorgeblid) nicht erfüllten Weiſ⸗
fagungen aber fucht er ſpeciell und ausführlich zu zeigen,
daß in den zahlreichen einzelnen Fällen, we man folde
hat finden wollen, in ber That feine ſolche vorliegen, und
bie Behauptung ber Stidjterjüllung nur auf unrichtigen
unb wilführlihen Auffaffungen und Deutungen berube.
Diefer Berfuh muß aud) wirklich als gelungen bezeichnet
werden, unb felbft wo ber Lefer fid) etwa mit ber geger
benen Deutung nidjt befreunden fann, wird er bod) im»
merbin anerkennen müffen, daß die Behauptung der Richt»
erfuͤllung entfráftet fei. Wir machen dießfalls befonders
auf bie gründliche Erörterung über Ced. 38 und 39
aufmerfjam (S. 141—161), aus ber fid wohl jeder Lefer
überzeugen wird, bag man jur Behauptung ber Richter
fühung ber betreffenden Weiffagung feinen Grund habe.
Wenn jebod) Qr. R. in Uebereinftimmung mit Galmet die
Weiſſagung auf einen feindlichen Einfall der Perfer unter
Cambyſes auf feinem Zuge nad) 9legppten und namentlid
auf feinem Rüdzuge deutet, fo vermag fid) Ref. mit biefer
Deutung nicht zu befreunden. Schon die Ezechiel'ſchen
Schilderungen, von Anderem abgefehen, enweden bie Vor⸗
ſtellung von etwas ungleid) Groͤßerem, als was durch den
Berferkönig Cambyſes in Palaͤſtina, einer perfiihen Pros
vinz, kann geſchehen fein.
Die zweite Abhandlung befaßt fid) mit dem „Prot⸗
evangelium". H. 9t. giebt zuerft „den hebraͤiſchen Text
nebR einer deutſchen und den alten Meberfegungen“, bat
Beiträge jut Grffórung des 9f. Teſt. 615
jebod) unter Teßtere die lateiniſche nicht aufgenommen,
Yoabrídeintid) nur aus Verfehen, denn obwohl fie alà bes
Tannt vorausgefegt werben kann, follte fie bod in einer
ausprüdlih angekündigten Zufammenftellung der alten
Meberfegungen nicht fehlen. Darauf werden die verſchie⸗
denen Auslegungsweiſen „von 1 Moſ. 3, insbeſondere von
38. 15", nämlich die buchſtaͤbliche, allegoriſche, hiſtoriſtrende
und mythologiſche angegeben und beurtheilt, unb ber erſten
mit 9tedt der Vorzug zuerfannt. Dann folgt ein Bers
zeichniß der Schriften, welche über Genef. 3, 15 handeln,
ein Gommentar über bie Stelle, Bemerkungen über bie
Bedeutung einzelner Worte, unb bie Beziehung beó Kin.
In lepterer Hinficht wird ganz treffend gezeigt, daß fid)
Wan nur auf ys] begiehen fönne, und baf baé ipsa der
Bulgata jedenfalls unrichtig, wahrſcheinlich aber eine Ent-
ſtellung fei, und ber Bierongmianifde Tert urfprünglid)
ohne Zweifel ipse flatt des jehigen ipsa gehabt habe.
Darauf wird der Beweis geführt, daß der Teufel durch
die Schlange bie erften Menſchen verführt habe, unb wer»
den bie Gründe widerlegt, bie für’ Gegentheil vorgebracht
worden find. Bei diefer Gelegenheit wird namentlich ges
zeigt, daß bie Lehre vom Satan bei ben Hebräern nicht
ετῇ feit dem babyloniſchen Exil Berrfibenb. geworden, fons
dern [don vor Mofes vorhanden gemefen fei. Wenn
übrigens als ein Grund, marum Mofes des Teufels mit
feinem Worte Erwähnung thue, angegeben wird: „Hätte
er des Teufels, als eines liftigen Geiftes, Erwähnung
getan, fo hätten bie alten mod) ungebildeten Hebräer
feiht in den gefährlichen Itrthum der Perfer, bie zwei
ewige Principien, ein Böfes und ein Gutes, annehmen,
fallen können“ (©. 273); fo [dint Hr. 9t. fpäter dieſen
41"
616 Sine,
Grund ſelbſt wieder zu entfräften, wenn er in Bezug auf
den Aſaſel fagt: „Wer in ber Erwähnung des Teufels
eine Gefahr für bie Israeliten findet, der fónnte biefelbe
aud in der Erwähnung der Engel finden, von denen oft
bie Rede if. Denn wenn bie Erwähnung des Teufels
bie Israeliten zu der Anfiht, daß derfelbe Jehova gleih
fd, führen fónnte, fo hätte baffelbe aud) in Betreff der
Engel geíd)eben können“ (304). Bei der rage, ob bloß
der Teufel, oder bloß das Werkzeug der Verführung, die
Schlange, oder beide beftraft worden feien, enticheidet fi
Hr. R. für's egtere, und hat unfiteitig bie Tertesworte
für fib, fofern V. 14 fiteng genommen nicht auf ben
Teufel unb 88. 15 ſtreng genommen nicht auf bie Schlange
paßt. Als Strafe ber Schlange nimmt er mit Hengſten⸗
berg eine Veränderung ihrer Natur in eine ſchlechtere und
häßliche an, ohne bie frühere näher beſtimmen zu wol.
len; als Strafe des Teufels aber feine Niederhaltung und
Demüthigung, und feinen enblihen völligen Sturz durd
ben Meffias. Sofort fuht Hr. R. den Sinn von Gene.
3, 15 nod genauer darzulegen, die meſſianiſche Auffaſ-
fung ber Stelle zu rechtfertigen, die gegen fie vorgebradhten
Gruͤnde zu widerlegen, unb bie von feiner Auffaflung ab
weichenden Exflärungen zu befeitigen.
Die dritte Abhandlung hat das reine Speisopfer
Mal. 1, 11 zum Gegenſtande. Hr. R. theilt wieder wie
im vorigen (alle zuerſt den Urtert und bie alten Webers
fegungen mit, ier aud) die hieronymianiſche in der [o
teinifhen Vulgata, und bann bie verſchiedenen Ausle⸗
gungen der Stelle. Darauf erflärt er einige Wörter be6
eilften Verſes und fudt enblid) zu bemeifen, daß Mal.
1, 11, von der chriſtlichen Gottesverehrung und nament,
Behrräge zur Erflärung des A. Teſt. 617
lid vom unblutigen Opfer des neuen Buntes weiflage,
und daß bie dagegen vorgehrachten Gründe unhaltbar
feien. Der legtere Bunft ift hier offenbar die Hauptſache,
und menn man fragt, ob bie oblatio munda yin nm»
vom eudariftifhen Opfer des neuen Bundes zu verſtehen
fei, fo Fann die Antwort nur bejahend ausfallen, unb ift
aud) von den meiften Kirdenvätern und Theologen, und
aud) von ber Trienter Synode mit vollem Rechte in dies
fem Sinne gegeben worden. Denn daß Maleachi von
einem reinen gottgefäligen Opfer redet, welches an bit
Stelle des gefeglihen Opfers treten, und zwar nicht etwa
bloß zu Ierufalem und in Paläftina, fondern unter allen
Völkern auf bem ganzen Erdkreis bargebradt werden fol,
ift febr deutlich; e8 ift aber an dirfe Stelle befannter
Maaßen fein anderes derartiges Opfer getreten ald das
euchariſtiſche, ober das hriftliche Meßopfer. Damit ift aber
ſchon angebeutet, daß bie Berechtigung zu jener bejahenden
Antwort weniger in den Worten des Propheten, die
ziemlich unbeftimmt find, ald in ber uns befannten That»
fade ihrer Erfüllung liegt. Daß Maleachi felbft und
feine gläubigen Leſer vor Gbriftus unter jenem reinen Opfer
gerade das euchariftifhe Opfer des neuen Bundes gedacht
haben, fdeint Hr. 9t. nicht behaupten zu wollen, wenige
fiens wird e6 dur bie von ihm vorgebradjten Gründe
nicht bewieſen; dagegen liegt in bem Umftande, daß felbft
im R. S. die Ginfepung dieſes Opfers durch Feinerlei
Andeutung als Erfülung ber Maleachi'ſchen Verheißung
bezeichnet wird, unb (don die vorläufige Ankündigung ders
felben für die Juden eine harte Rede war und ale etwas
ihnen völlig Bremdes und Unerhöries Viele im Glauben
wanfend madte (Joh. 6, 67), daß man unter dem reinen
618 Dieftel,
Opfer Maleachi's nicht das fid) dachte, was und bie bei
lige Euchariſtie ift, obgleich eben biefe gemeint war, zwar
nicht vom Propheten, wohl aber von bem durch ihn reden»
den heiligen Geifte. Der Prophet fündete alfo wohl ein
neues Opfer an, das an bie Stelle des alten treten würde,
aber das Wefen defielben war ihm nicht, wenigftens nicht
genau befannt, und wurde aud) 9tiemanben genau befannt,
bis enbíid) feine Anfündigung in Erfüllung gieng; unb
εὖ gilt von berfelben (omit die befannte petrinifhe Regel
2 Petr. 1, 20f. Gr felbft hätte feine Weiſſagung nidt
auslegen fónnen (— ἰδίας ἐπιλύσεως 8 γίνεται), wir abet
fónnen es, nadbem fie fid) erjüllt hat und fortwährend
fif erfüllt.
In ben nachträglichen Bemerkungen wird noch bit
erfte Abhandlung im erften Bande gegen einige Einwens
dungen unb ſchiefe 9fuifaffungen in Schu genommen,
melde im 3. Hefte der Fathol. Zeitſchrift, Münfter 1852,
veröffentlicht wurden, und zwar, wie uns fcyeint, mit
gutem Erfolge.
Welte
2.
Der Segen 3acob/'o in Genef. XLIX hiſtoriſch erflärt
don fubmig Dieſtel, Licentiaten und Privatbocenten der
Theologie an ber Univerfltät zu Bonn. Braunfdhweig,
G. A. Schwetſchte u. Sohn. 1853. Preis fl. 1. 20. f.
Die Gauptatfiót des Hrn. Verf. geht dahin, das
Zeitalter bed Gegend Jacob's zu befiimmen, welder von
den neueren Gelehrten häufig nicht bloß jür unächt erflärt,
fondern aud) in eine verpáltnigmáfig febr fpäte Zeit ver
Der Segen Jacob's. 619
legt voirb. Er bemerft daher, daß er flreng genommen
feiner Schrift den Titel: „Entftehungszeit des Segen
Jacob's“ hätte geben follen, und nur aus rein ſprachlichen
Gründen den jegigen etwas ungenaueren gewählt habe.
Zuerſt beſchaͤftigt fi Hr. D. mit „Vorfragen“
über das Haus Jacobs, über die Zwoͤlfzahl feiner Söhne,
über bie Situation, in der er ben Segen gefprodhen haben
fol, über bie Behältlichfeit unb den Eingang des Segens.
In erfterer Hinfiht widerlegt er bie ſchon ältere und bes
fonders wieder burd) Ewald ver(odtene Anfiht, daß Jacob
und feine Söhne nie als eingelne Individuen eriftirt haben,
fonbern nur als Namen von Stämmen, und zeigt nament«
lid), daß gerade bie Hauptfielle, bie dafür zu fprechen
ſcheint, indem fie Stämme Iſraels Oy? ww 49,
28) erwähnt, gegen bie Saffung ber Jacobsſoͤhne ald Sn«
dividuen nicht bemeifenb fei, daß vielmehr im Segen Jacob's
feine Söhne gleichzeitig als Individuen und als Vertreter
von Stämmen erídeinen. In Betreff der Zwoͤlfzahl ftellt
Hr. D. die nidt unmabrídeinlibe Vermuthung auf, daß
Jacob wohl mehr ald 12 Söhne gehabt, aber wegen
einer gewiffen Beveutfamfeit der Zwoͤlfzahl nur bie 12 „Erſt⸗
geborenen zu Häuptern und Führern ber Nachkommenſchaft
ermwählt“ habe. Die Behauptung, daß e& unerflärlih
fei, wie der 147jährige Greis, ber fury vorher völlig ent«
fráitet auf feinem Lager ruht und fofort nah dem Segen
verſcheidet, diefen hohen Auffhwung fönne genommen haben,
wird mit ganz treffenden Bemerkungen widerlegt. Die
leichte Behaͤltlichkeit des Segens, zumal von Seite der
Söhne Jacob's, Tieß fid) leicht nachweiſen gegenüber der
Behauptung, daß es undenkbar fci, daß jener Segen ſich
unverändert fortpflanzen konnte. Dagegen fcheint bie vers
620 φιεβεῖ,
fudte Nachweiſung, daß ber Anfang des Gegens, nim
lid) 49, 1°, nicht von Jacob felbft gefproden, fondern nur
vom Berfafier der Genefió ihm in den Mund gelegt fei,
ihre nicht geringen Bedenklichkeiten zu haben, fo febr aud)
Gründlichfeit und Umficht bei derfelben anzuerfennen fint.
Hr. D. ſchließt diefe „Borfragen" mit den Worten: „Aus
biefen Erörterungen, in denen wir die allgemeinen Gründe
beleuchteten, welde man ber Aechtheit des Segens ent
gegenftellt, ergiebt fid) fomit, bof biefelben nid tüdtig
genug find, um die Auffaflung der Urfunde (ſcheint etwas
iu fehlen) zu widerlegen. Hüten wir uns aber bieß Ex
gebniß zu überfhägen. Denn ben lebten Hauptgrund,
bie Unmöglichkeit oder bod: Suglofigfeit folder Eröffnungen
unb Borherfagungen betreffend, haben wir bier nur nah
feiner allgemeinen eite in'& Licht flellen dürfen: feine
Haupifraft liegt aber im Einzelnen. Within werben wir
gefteben müffen, im Ganjen nur febr wenig gewonnen
zu haben; unb bie Frage, ob der Segen in Jacobs Zeit
fällt, oder in eine fpätere, bleibt nod) immer offen“ (&. 28).
Sofort beginnt die „Ipecielle Unterfuhung* der ein
zelnen Ausiprüche Sacob'& über feine Söhne, um zu e
mitteln, ob diefelben wirflih aus der Zeit Jacob's unb
von Jacob [εἰδῇ herrühren fönnen, ober einer fräteren
Zeit angehören müflen. Dabei wird haupt'ächlich auf bie
neulid zu großer Geltung gefommene Anſicht, daß ber
ftaglide Segen aus dem Ende der Stidbterperiobe ſtamme,
Stüdfiót genommen, und fowohl bie von den Vertheidigern
diefer Anfiht al& aud) bie vom andern gegen bie Aecht⸗
heit des Eegens vorgebrahten Gründe und Schwierig⸗
keiten in gebührendem Grade gewürdigt, nirgends etwa
mur umgangen oder verdedt. Wir müffen'é uns indefien
Der Segen Yacob’s. 621
verſagen, dem Hrn. Verf. in bie Einzelnheiten zu folgen,
und nur im Allgemeinen bemerfen, daß er bei jedem ein»
zelnen Ausſpruche mit vieler Gründlichkeit zu zeigen fudit,
baf berfelbe entweder aus der nachmoſaiſchen, oder aud)
mur nachjacobitifhen Zeit gar nicht herrühren fónne, ober
daß feine Entftehung zur Zeit Jacobs wenigftens viel
wahrſcheinlicher fei, al zu jeder fpäteren. Am fürzeften
ift bie Behandlung des Spruches über Benjamin ausger
fallen und möge babet hier einen Pla erhalten als Feines
Beilpiel von dem Verfahren des Hrn. SBerfafferé. Er
fagt: „Der jüngfte der Brüder, der zweite Sohn ber Rahel,
ſchließt mit kurzem Eprude das Lied „Benjamin —
ein Wolf, ber zerreißt; am Morgen verzehrt
er Beute unb am Abend theilt er Raub“. Es
liegt darin, wie Bohlen nachweist, nichts Rachtheiliges,
fondern ift nur Bezeichnung eines unermüblidyen Friegerifchen
Charakters. — Es ift richtig, daß Benjamin in der fpás
teren Geſchichte biefen Eharafter zeigt; Ehud und Saul
find aus diefem Stamme; fein Kampf mit den übrigen
Stämmen wegen ber. Frevelthat in Gibea (Sub. 20 f.) if
befannt. — Allein eben bief, baf auf jene fpäteren Thaten
feine Rüdfiht genommen ift, flößt febr gerechte SBebenfen
ein, während bie große Allgemeinheit der Ausfage nirgend
ein Argument für fpätere Abfaffung, für bie Unächtheit
darbietet. Daß zu der Zeit des Spruches Jerufalem, das
in feinem Gebiete lag, noch nidt geheiligt war, geftebt
man ju; ebenfo daß audy der Stamm damals durch Saul
feine Berühmtheit erlangt haben fonnte. Allein damit
bfeiben wir nod) in ber Richterperiode. . Hier mußte nun
nothwendig jene große für den Stamm hoͤchſt wichtige
Kataftrophe (Sub. 20 f.) eine Erwähnung finden. JR bec
en Siete,
. Sprud) aus bem Ende der 9tijtergeit, fo mußte ja eben
fie nod) in der frifheften Erinnerung fein; ein rügendes
Wort fonnte nicht fehlen. So find wir höher hinauf zu
sehen genöthigt, oder vielmehr und der Tradition zu beugen,
da Gegengrünbe fehlen. Daß ſchon damals der Stamm
eine gewiffe fühne Wildheit entwidelte, läßt fld) fehr wohl
denfen, und diefe fonnte bie Zeit wohl nicht erbrüden, da
der Stamm als der jüngfle Mühe gehabt haben wird,
fib in Selbfifländigfeit unb Anfehen zu erhalten. Rur
infofern fönnen wir fagen, bie Geſchichte zeige biefe Bes
wahrung; von einer „Beftätigung” (Baumgarten) buch
diefelbe fann nicht die Nede fein, da feine Prophezeiung
vorliegt“ (&. 106 f.).
Auf die fpecielle Unterfucung folgen nod drei „Schlußs
fragen", in denen der Charakter des Liedes, fein bid
terifher Werth und fein SBerpáltnig zum Gegen Mofis
beſprochen werben. In Betreff des Charakters wird wieder⸗
holt hervorgehoben; daß ber Segen nicht Weiffagungen,
fonbern Willenserflärungen enthalte, wohei εὖ aber haupts
fählih auf die Eharafteriftif der einzelnen Söhne Jacobs
abgefeben fei, In Betreff des dichterifchen Werthes wendet
fi Hr. D. gegen die Beftreiter der Aechtheit, welde ber
haupten, „dad Gedicht verrathe eine fehr vollendete Dich⸗
tungégabt", und daraus eine fräte Cntftebung folgern.
Er bemerkt mit Recht: „Bon Kunft form fann bod wohl
bier nicht die Rede fein; denn einjaer und unfünftleriider
in formeller Beziehung kann wohl fein Lich fein. Der
fib in jeder gehobenen Sprache vollends des Drientalen
einftellende Parallclismus tritt gerade in unferem Liede
febr wenig hervor“. Dann vergleicht er das Deboraskied
mit dem Segen Jacobs unb lommt auf das Grgebnif: —
Der Segen Jacob’s. 623
„während das Deboralied einen viel complicirteren, feuris
eren, gewandteren Geift verräth, während es felbft fünft-
leriſche Formen durchſchimmern läßt — if der Gegen
Jacobs ganz und gar Achte Naturpoefie, aber der ebelften
Art". Beim Segen Moſe's fudt Hr. D. die Aechtheit
der einzelnen Segensfprüche nachzuweiſen, was ihm meiſtens
febr gut gelingt und einen neuen Grund für die Aechtheit
des Segens Jacob’8 abgibt, fofern diefer anerfannter
Maaßen älter ift al ber Segen Mofe’s. Diefer ift übrir
gens nad Hr. D. burd) eine fremde Hand gegangen,
wofür allerdings die Einleitung, namentlih 38. 4., und
das wiederholte MON fpricht, ift aber außerdem nod) theils
burd) Weglaffungen theild durch Einfhiebfel mehrfach ente
felt worden. In Betreff der lehteren fheint und jebod)
Hr. D. mitunter viel zu weit zu gehen, namentlid) beim
Segen über Joſeph; biefer würbe nad) der von ihm ges
machten Ausſcheidung fogar mit J nad) TON beginnen,
was an fid) unpaffenb unb neben ben andern Segensſpruͤchen
analogiemibrig wäre. Uebrigens if feine Schrift jeden»
falls, wenn ihm aud) nicht in allen Einzelnheiten 6eiges
fimmt werden fann, ein febr beadhtenswerther Beitrag
zur Beweisführung für bie Aechtheit des Pentateuchs,
obwohl er diefe felbft nicht anzuerfennen ſcheint (S. 27),
fojetn die Einwendungen gegen ben Gegen Jacobs meiftend
von der Art find, daß fie aud) diefe Aechtheit ausfchließen
würden.
Welte
634 Strauss,
3.
Nahumi de Nino vaticinium ezplicaeit ex Assyriis mo-
numentis illustravit Otto Strauss. A. MDCCCLIII. Prostat.
Berolini apud Wilhelmum Hertz libr, Besser. Londini spud
Williams et Norgste. Preis 2 fl. 42 fr.
Die Prolegomena handeln in 3 Kapiteln 1) von der
Berfon 9tagume, 2) von den jübifchen und aſſyriſchen Zus
fänden, auf bie fid feine Weiffagung bezieht und 3) von
Diefer Weiffagung ſelbſi.
Ob der Name des Propheten (ΟἿΠ) getröftet [Sxófter])
eine Beziehung auf das propbetifde Amt und insbefondere
auf die Untergangsbrohung gegen Rinive ausprüde, fofern
tiefe für Iſrael troftreid) war, läßt Hr. Str. mit Recht
dahin geftellt, da ja Eigennamen von DM) gebildet öfters
ohne dergleichen Nebenbegiehung vorkommen, wie 2 Kön.
15, 17. 25, 23. 1 Ehron. 4, 19. Reh. 7, 7. 3n Betreff
ber Heimath der Propheten, bie burd) das "wobwa ber
Ueberſchrift “angegeben ift, entfcheidet fif) Hr. Str. mit
guten Gründen für bie Anſicht derjenigen, bie ben Dit
Elkoſch in Palaͤſtina fuhen, und widerlegt diejenigen, die
dabei an das aſſyriſche Gifoíd im der Nähe von Moful
. benfen. In der That wird das aſſyriſche Elkoſch [don
viel zu fpät erwähnt (erſt gegen bie Mitte des 16. Jahrh.),
als daß εὖ bei ber Frage nad) der Heimath Nahums in
Betracht kommen fónnte, während bie alten Zeugnifle ohne
Ausnahme einen paläftinenfifhen Ort als foldye bezeichnen,
und aud im ganzen Buche Nahums der Verfaffer nicht
als ein in Afiyrien, fondern al ein in Paläflina lebender
Seéraelit erjdeint. Als Adfaffungszeit betrachtet Hr. Str.
Nahumi de Nino vaticinium. 625
bie Zeit der babyloniſchen Gefangenfdjaft Manaffe's, und
faßt bie Stelle 3, 8---10., bie von der Serftórung Thebens
in Oberägypten rebet, unb bie von Manchen zur Beftims
mung der Abfafjungsgeit benügt wird, als Vorherſagung
einer zufünftigen, nicht aber al8 Berüdfichtigung einer
vergangenen Thatfahe, fo daß fie zu jener Beflimmung
unbrauchbar wird. Die Gründe, bie er dafür vorbringt,
find allerdings fehr ber Beachtung werth; aber bie Aufr
faffung von 3, 8—10 als Vorherfagung fcheint- bod) nicht
ohne Bedenken zu fein. Denn wenn wir aud) die Präs
terita, was übrigens in biefem Zufammenhang einige
Ueberwindung foftet, namentlich bei non einfach als pro⸗
phetiſche faſſen, ſo ſcheint immer noch der Sinn nicht recht
paſſen zu wollen. Der Prophet will nach Hrn. Str's.
eigener Auslegung das Vertrauen der Aſſyrier auf die
Feſtigkeit ihrer Hauptſtadt und ihre große Kriegsmacht
durch Hinweifung auf ein factum erfhüttern, das eben
fo unglaublih ober nod) unglaublicher erfcheinen fonnte,
als Ninive's Untergang. Nun (dint aber eine folde
Hinweifung nur zwedvienlih zu fein, wenn es fid) um ein
befanntes vergangenes (actum. handelt; denn ein ger
weiſſagtes zufünftiges war nicht geeignet, dem Propheten
Glauben zu verſchaffen bei ſolchen, bie nicht an feine Worte
zu glauben geneigt waren. Wollte er ihre Behauptung,
daß Ninive's Zerfiörung unmóglid und unglaublich fei,.
durch Thatſachen widerlegen, fo mußten e$ vergangene
Thatſachen fein, wenn fie Beweiskraft haben follten, weil
die BVorherfagung zufünftiger von ihnen eben fo wenig
geglaubt morben wäre, al6 bie Vorherfagung von Riniv
ve's Zerſtoͤrung.
Im 2. Kap. wird zuvoͤrderſt die Lage der Juden
626 Strauss,
während ber Gefangenfdjaft SRanaff'8 unb fury vor und
nad) derfelben geſchildert, hauptſaͤchlich nad) Maaßgabe bet
biftorifhen Bücher des A. T., dabei aud) einzelne unrichs
tige Anſichten abgemiefen, 3. B. daß die Gefangenfchaft
Manaſſe's erbichtet fei, ober daß feine baldige Befreiung
in einem Wechſel der herrſchenden Partheien ihren Grund
gehabt haben möge x. Darauf wird ziemlih ausführlich
von ben affyrifchen Zuftänden in jener Zeit gehandelt, vom
Charakter des aſſyriſchen Reiches und feiner Beherrfcher,
von feiner wachſenden Größe und Ausdehnung, feinem
wngegügelten Streben nad) Weltherrfhaft unb befonberé
feinem Berhäftniffe zum jübifhen Volke. “Hr. Str. benügt
dabei forgfältig bie neueren Entvedungen, wobei freilid)
su wuͤnſchen wäre, daß bie Entzifferung der Infhriften
weiter gebiefen und ihr Ergebniß ein fichereres fein möchte,
ale es bermalen nod) der Fall if. Sene Entzifferung hat
πάπι ὦ eigenthuͤmliche und große Schwierigkeiten: — nam
secundum vv. dd. sententiam cunealorum titulorum expli-
catio gravissima difficultate premitur ea, quod non solum
lidem soni variis signis exprimuntur, verum etiam eaedem
figurae, ubi diversis modis cum aliis conjunciae et com-
positae exhibentur, longe diversos notare sonitus putantur,
sicuti omnino Assyrii in inscribendis cuneis satis arbi-
lrarie versali esse existimantur; accedit ingens signorum
multiludo, quam supra diximus; neo grammatices satis
firmas ratasque adhuc regulas investigaverunt. Unde re-
pelendum est, quod regum eliam nomina vel ejusdem
systematis patroni satis diversis modis legerint; veluti
palatii Khorsabadici conditorem Rawlins. antea docebat
appellari Arkot-sin, postea Sargina, quem eundem eliam
, Saimensssarem nominari contendit, de Sawcly autem Sardon
Nahumi de Nino vaticinium. 621
vel Assarbaddonem, Grotefend. Nabopolassarum, ne di-
cam Lussato interpretari Kyniladanum; porro rex ille,
qui celeberrimam statuam Nimrudensem inscripsit, a Ratolins.
ferebatur appellari Temen-bar; cui nuperrime praetulit
nomen Divanubara, a Grotef. autem legitur Sbalmaneser;
οἱ Israelitarum, ut videlur, principem, qui dona regi Assy-
riorum afferens imaginibus ibi expressis inducitur, Rawlins.
simul et Hinks. afürmant esse Jahua, filium Khumriya,
Grotef. autem. Juah, filium Ubri (2 Reg. XVIII, 18 ss.).
Im 8. Kap. wird juerft ber Inhalt fpeciell angegeben,
bann de indole vaticinii und de eventu vaticinii gehandelt,
unb enblih nod) ein interpretum conspectus beigefügt.
Hr. Str. hält ben Inhalt des Buches mit Recht für eine
einzige unb vollſtaͤndige prophetiihe Rede, die in 3 Ab⸗
ſchnitte jerfalle, welche durch die Kapitelabtheilung richtig
angegeben feien, und befeitigt Ewald's Anfiht, wonach
das ganze aus adt Abſchnitten von je fünf SBerfen ber
fteben fol. In Betreff des Styles ſtimmt er mit Lowth
überein, welcher fagt: ex omnibus minoribus prophelis
nemo videlur aequare sublimitatem, ardorem, et audaces
spiritus Nahumi. Die Gríüllung der Weiffagung findet er
in der Serjtórung Ninive's burd) Eyararcs, worüber aud)
nicht wohl ein Zweifel entftehen Tann, und in Betreff ber
Zeit derfelben ſchließt er fid) der bereitß ziemlich herrſchend
gewordenen Anſicht an, für bie aud) überwiegende Gründe
fprechen, daß fie in’8 Jahr 606 v. Ehr. falle. Beim inter-
prelum conspectus ijt εὖ nicht auf Vollitändigfeit abge»
fehen; Hr. Str. nennt nur bie bebeutenberen Ueberfegungen
und Gommentare, bie ibm zu Gebote flunben, und giebt
über einige beríelben ein kurzes Urtheil ab.
Die Erklärung felbft if meiſtens fehr eingänglid.
628 Strauss,
Gleich das erfte Wort (wii) erhält eine ſechs Seiten
füülenbe Erflärung. Hr. Str. bringt darauf, baf nn
immer nur Laft bedeute, und bie Bedeutung Ausſpruch
gar nicht Haben fönne, weil Niy3 nie in der Bedeutung
ausſprechen (pronuntiare) vorfomme. Allein sp wp dt
3 8. Richt. 9, 7 und Jeſ. 24, 14 bod) offenbar nicht ein
unarticulirtes Schreien, fonbern ein Erheben der Stimme
welches zugleih ein Ausfprehen von Worten ift, unb
daher ber Ausprud als etwas unbeftimmte Bezeichnung
für Ießteres gebraucht. Aehnliches gilt von bem Ausdruck
buo wig) Stum. 23, 7., indem Mig) nur das Ausfprechen
der Worte bes oes bezeichnen fann; bie tleberfegung
„anheben“ ift feineswegs genau (optime), und vorauds
geſeht fogar, fie fei es, fo fann dabei bod) nur wieder an
ein Ausfprehen von Worten gedacht fein, weil ohne fols
ches feine Rede anhebt. Auch Np'3 ohne un fann 3. Ὁ.
Syef. 42, 2. nicht ein unarticulirtes Schreien bezeichnen,
fondern nur ein lautes wungeftümeó Reden, etwa mit
fhreiender Stimme, alfo wieder ein Ausfpredhen von
Worten. Demgemaͤß muß aud das Subſt. ΝΨῸ nothr
wendig bie Bedeutung Auoſpruch wenigftens haben fónnen.
Daß εὖ aber wirflid) in berfelben gebraucht worden fei,
erhellt aus Jef. 21, 11., wo das Folgende nicht als Laft
oder Unglüdsdrohung erſcheint, und aus Spruͤchw. 31, 1.,
too bie Belehrungen und Gittenregefn, welche pie Mutter
dem Sohne erteilt, ebenfalls nicht ala eine aft erfcheinen.
Endlich wird fid) nicht laͤugnen lafjen, daß Ni überall,
wo es von prophetifhen Reden vorkommt, in ber Bedeu⸗
tung Ausfprud (etwa mit ſchlimmem Nebenbegriff) einen
paflenden Sinn giebt, unb von auégeíprodjenen oder au&«
Nehumi de Nino vaticinium. 629
zuſprechenden Worten jebenfallé, wenn aud) nur im bild⸗
lien Sinne gebraudjt iſt. Gegen bie Beſtreiter ber Aecht⸗
beit der Ueberſchrift bemerft Hr. Str. mit Recht: Jam
vero primam tituli partem spuriam esse Eichhornius,
Berthold, Ew. contenderunt, ideo praesertim quod prima
verba cum sequentibus nullo modo cohaereant. At vero
quaenam polest manifestior esse necessitudo, quam quae
inlercedit inter argumentum libri et auctorem? Accedit,
quod nisi mentio omnino in titulo facta Nini esset, usque
ad II, 9 nec universa oratio, nec suffixum illud opo
1, 8 quo tandem pertineret divinari posset. — Grimmius
contra defendit primam parliculam e consuetudine vatum,
tale quid inscribendi oraculis, alteram destituit; at si quae
est propheterum in hoc genere ratio, ea est, ut suum
praefigant nomen tenquam divini spiritus instrumentorum,
ne omne visum stare quodammodo in lubrico videretur. —
Große Sorgfalt wird auf bie ſprachliche Seite des Buches
verwendet, ohne daß jebod) darüber die fachliche vernach⸗
láfigt würde. Die Vorgänger find fleißig benügt und
abweichende Auslegungen fo weit fie der Berüdfihtigung
werth waren, gebührend in Betracht gegogen worden. Die
fhöne Stelle 1, 3b 4. B. wird fo erflärt: Dominus —
in turbine et procella via ejus, et nubes pulois pedum
ejus. MD\D a. τ. MD rapere, auferre, turbinem omnia
secum rapientem significat. LXX Arab. ἐν συντελείᾳ, in
excidio, nescio an MiD legerint pro MD, = yp + nt
Job IX, 17, "yv Jes. XXVIII, 2, aliis fere locis *yO
Am. 1, 14, mayo Jes. XXIX, 6, n2y9 2 Reg. Il, 1, pro-
cella est; LXX minus: iterum accurate ἐν συσσείσμῳ (vel
σείσμῳ cod. Alex.), sequente Arab. in terrae motu. Utra-
que vox sic legitur Ps. LXXXIII, 16; Jes. XXIX, 6. 1397
Kpesl. Ouartalfärift. 1858. IV. Heft. 42
630 Strauss, Nahumi de Nino vaticinium,
Hits. sein Wegmachen, inf. Pi., at nullum hujus verbi in
coni. Piel'usitati extat exemplum; viam pro ratione et
modo agendi dictam metaphorice, bene notat Vatablw.
Saepissime autem hac similitudine vehementia pingitur
poenarum et calamitatum, cfr. Job IX, 17; Jes. LXVI, 15;
Jer. XXXII, 22; XLIX, 36; Ez. 1, 4; Ps. L, 3; Job X,
17 (lebtere Stelle wohl nur aus Verſehen wiederholt). —
yon P2y 139), atras nubes excitat incedendo. Nube is-
volutus deus in montem Sinai descendit Exod. XIX, 16. 18;
legem promulgavit bpm ty vie no, in nube vic-
torem praeibet populi exercitum, habilabat super δὼ
foederis; nubes omnino comitantur deum ad judicium ve-
nientem et filium ejus Jes. XIX, 2; Ps. XCVH, 2; CIV, 3;
Dan. VII, 14; involvumt nubes laetum solis aspectum, ei
fulgura in se tonitruaque gerunt, quibus pereelluntur mele-
fici Ps. XVIII, v. 10. 12 s5.; similitadinem ergo praebent
atrocium Domini judiciorum Joel Il, 2 bon py EN, |
Zeph. I, 15; Ezech. XXXIV, 2. Quae cum tam aperi
sit imaginis ratio, nullo modo cum Kreenenio all meü-
phoram a duce bellico repetemus, agmina in aciem edu-
cente, quo insuper omnis exemplorum similium megligitur
analogia. Einer SBemerfung wäre etwa nod) werth geweſen,
warum das Gewölt gerade „Staub feiner Füße“ genannt
werde, was babei für eine Vorſtellung oder Vergleichung
zu Grunde liege.
Was übrigens biefer Erflärung Nahums zu befon
berer Empfehlung gereicht, ift bie forgfüttige Rüdfichmahm:
auf bie alte aſſyriſche Geſchichte, ſoweit fie durch bie neuefm
Entvedungen aufgehellt worben if.
Welte
Sir, Deutſchland im ber Revolutioneperiode. 634
4
Beutfchland in der Nevolutions- Periode von 1522 bis
1526, aus den diplomatifgen Gorrefpondenzen und Origis
nal-Akten baperifcher Archive dargeftellt von Iof. Edmund
- Jörg. Breiburg im Breisgau, Gerberfde Verlagshand⸗
Tung. 1851. XI. 746 €. gr. 80, Preis 4 fl.
Seit bie hiſtoriſchen Studien, nachdem die längere
Zeit in bem Bordergrunde befindlichen ſchoͤnwiſſenſchaftlichen
und pbifofepbi[den Befteebungen zurüdgetteten, in Deutſch⸗
land woiebe in Aufnahme famen und befonders das 16.
Jahrhundert ein Gegenſtand vielfeitiger, zum Theil (et
grünbtider umb eindringlicher Forſchungen wurde, ift bie
lange beinahe vergeffene Wahrheit wieber zum Bewußtfein
getommen, daß bie fog. Reformation ein kirchlich⸗politiſcher
Vroeeß war, mithin aus mehreren Gründen, zum Theil
mit Gewalt zum Stoden gebracht wurde, ehe es ibm
möglich wurde, fein Brimcip vollfommen auszumirken.
Ganz hefondere aber waren bie revolutionären Bewegun-
gen der letzwerfloſſenen Jahre geeignet, ben Blid in die
Vergangenheit unſeres Volkes zu (dürfen und aus ber
Wahrnehmung, daß bier wie in den erfien Decennien des
16. Sabrbunbrrté auffallenb ähnliche Erſcheinungen hervor⸗
traten, den Schluß, daß gemeinfame Urſachen werben zu
Grunde gelegen haben, zithen zu laflen. IA ed ja bod)
eine unbefrittene Thatſache, baf bie Geſchichte, biefe
„Lehrcmeifterin des Lebens“, wie aus ber Bergangenheit
Die Segenwart, fo aus biefer die Vergangenheit begreifen
lebrt, zum Beweife, wie innig in bem Gebiete der Menſch⸗
heit, deren Weſen in der Gedichte ſich aufſchließt, Ge⸗
femáfigfeit mit Freiheit pevbunbeu fei, t
42*
632 Jörg,
Aus diefem Grunde ift aud) anzunehmen, daß eine
abermalige Bearbeitung eines der unfrigen Zeit fo nahe
verwandten Abſchnittes ber deutfchen Gefchichte neue Rer
fultate liefern, reiche Lehren für Gegenwart und Zukunft
ju Tage fördern werde. Daher ift aud) die Mittheilung
von Quellen und Actenftüden, welche uns tiefer in bit
Geſchichte jener Zeit einführen, von großem Werthe. Be
fonder& gilt biefe& von dem vorliegenden Werke, welches,
das Refultat mühevoller ardivalifher Studien, einen fo
reihen Inhalt barbietet, daß es von feinem fünftigen
Geſchichtſchreiber des 16. Jahrhunderts bei Seite gelegt
werben fann. Gewiß wird e6 ben efern der Quartalſchrift
von Snterefje fein, wenn wir biefelben mit dem Inhalte
biefer Schrift infoweit vertraut madjen, als nothiwendig
ift, um fie in den Stand fegen, zwifchen Sept und Das.
mals fruchtbare Betrachtungen und Bergleihungen für
fib anzuſtellen.
Die von Hrn. Joͤr g nad) Urkunden bargeftellte Re
volutionsperiode von 1522 bis 1526 wird gewöhnlid
der große SBauernfrieg genannt, aber, wie der Hr. Bers
faffer bemerft, mit Unrecht, ba die Bauern als folde
und abgefeben von ihren fonftigen Qualitäten fid) zu dies
fem Kriege nicht anders verhielten, denn wie bie Schafe
zu bem Fluſſe, in melden der Wolf fie gejagt: weßhalb
bie gewaltige revolutionäre Bewegung des 3. 1522 mit
fug und Recht beftimmt werden follte: „als ber erfe
Losobruch der Umfturzpartei in Deutſchland mit ihrer zu
allen Zeiten gleiche Leibwache: als bie erfte große Schild⸗
erhebung des Radicalismus auf deutfchem Boden in feiner
boppelten Beziehung auf Kirche und Staat, vermöge beren
er vine politifhe Revolution nicht veranlaflen: kann,
Deutſchl and In der Mevolutionsperiobe. 633
ohne zugleich, oder vielmehr vorher, eine religiöfe zu
maden" (©. 1). ᾿
Mit Recht beginnt Hr. Joͤrg feine Darftelung mit
einer Charakteriſtik des Regiments im Reiche, gegen wel«
(có bamalé die radicale Partei mit Waffengewalt ans
ftürmte, fowie mit einer Echilderung der damaligen Zus
fände, welche eine fo gewaltjame Bewegung hervorriefen
und móglid) machten. Wie überall, giengen bie demo⸗
kratiſchen Beftrebungen von ben oberen Regionen aus und
theilten fid bann den unteren Schichten der Geſellſchaft
"mit. Allgemein war das Streben nad) einer einheitlichen
SBerfaffung in Deutſchland unb nad) einem taburd bes
bingten georbneten Rechtszuſtande; aber auf welche Weife
diefe Einheit herzuftellen fei, über bieje wichtige Frage
giengen damals wie heute bie Anfihten unb Wünfche weit
auseinander; jeder Stand fuchte dabei feine felbftfüchtigen
Abſichten in's Werk zu fegen: einer Anzahl divergivender,
wenn aud) an und für fid) nod) fo tüchtiger Kräfte, ift
es nod niemaló gelungen, ein gemeinfameó Refultat zu
erreihen. So fam εὖ, daß die verídiebenen Reforms
pläne, welde feit ben legten Decennien des 15. Jahrh.
bis zur Kaiferwahl Karls V. auftauchten, nicht zur Aus⸗
führung famen. — Die Gentratregierung bilvete das
Reichsregiment zu Nürnberg, welches fij) jedoch nicht in
die Lage verſehen fonnte, (id) gegenüber den Reichsſtaͤnden
Geltung zu verihaffen. Als es mit bem Vorſchlage eines
Reichsgrenzzolls zur Dedung der Koften der Erecutinger
walt hervortrat, fprad) man [don von welídem Gehor⸗
fam, ben der Kaifer bei den Deutfhen einführen wolle.
Mebrigens war aud) das Benehmen der Mehrzahl biefer
Reichsregenten nicht der Art, daß fie fid) bei der Nation
634 Borg,
Achtung verfhaffen konnten, ba fle für bie kirchliche und
politifche Neuerung Partei ergriffen und das pet Kurzem
zu Worms von den Reihöftänden verdammte Lutherthum
von Regimentswegen vertheidigten und fhügten (&. 17 f).
Unter foldjen Umftänden war der ſchwaͤbiſche Bund far
die einzige Macht im ſuͤdweſtlichen Deutſchland, von wel
her die Aufrehthaltung von Recht und Ordnung zu eis
warten war.
. Den Primat über biefen im 3. 1488 zuerſt unter
ben. 9teibéftábten und der Ritterfhaft Schwabeno ge
füfteten Verein vie Bayern an fid. Aber in bem Maße,
als ber Bund durch den Beitritt von weltlichen Fuͤrſten
fid) verftärkte, loderte fid) ba& innere Band, da die Städte
in ihrem alten Argwohne gegen bie Fürften immer mehr
beftärft wurben, beſonders nod) burd) das Benehmen de6
Marfgrafen Kaflmir von Brandenburg und des Herzogs
Ulrich von Würtemberg, welch' Letzterer die Bundesſtadt
Reutlingen mitten im Frieden überfiel und zu einer τοῦτ
tembergifhen Landftadt machte. — Bekannt ift, daß ger
rade damals der fhmwäbiiche Bund ben genannten Herzog
unter Anführung von beffen Schwager, bem Herzoge
Wilhelm von Bayern aus feinem Lande verjagte und
Würtemberg einftweilen für Bezahlung der Kriegskoſten,
freilid) unter Bedingungen, mit welchen die bayerifchen Her
doge burdjaué nicht zuirieden waren, an Deftreid) uͤberließ.
(S. 31 ff.) — Eine große Rolle fpielte unter den damaligen
Verhaͤltniſſen ble niedere Reihsariftofratie, deren Lage ©.
44—52 grídilbert wird. Der niedere Adel hatte burd)
die Einführung der Feuerwaffen und bie fieburd) bemirfte
limgeftaltung des Kriegsweſens feine frühere Bedeutung
und die Hauptquelle feincé Unterhaltes verloren. Auf bet
Deutſchland in der Revolutionsperiode. 635
anderen Seite ftellte er dem Etreben der Fuͤrſten nad
Entwidiung der Territorialhoheit große Hinverniffe ente
gegen, auf deren Hinwegräumung biefe fannen. Diefe
Umflände, verbunden mit den daraus entſtehenden mannige
faltigen Pladereien unb Verlegenheiten erzeugten in. dem
größten Theile der Reichsritterſchaft, mit. welder der von
ben Fürften immer mehr níebergebrüdte landjäßige Adel
zum Theile gleiches Loos theilte, große Unzufriedenheit.
Ihr Ziel gieng naturgemäß dahin, bie Uebermadht der
fürftlihen Macht zu breden und Eine gleichberechtigte
ariflofratiihe Ordnung im Reihe zwiſchen dem Kaifer
und ber großen Mafle des Volkes aufzuftellen. Aber
welche Mittel follten zu biefem Zwecke gewählt werden ?
SBelannt ift bie große Ritterverfhpwörung, an deren Spige
Uri von Hutten und Franz von Gidingen fanden.
(S. 52—65.) Ale bie gährenden Elemente der Zeit
wurden in ihren Plan hereingegogen: der gegen ben Scho⸗
laſticismus fid) erhebende Humanismus, bie von Luther
engeregte Firchliche Steuerung, die Unzufriedenheit vieler
Batrioten über die aus ihren Fugen weichende politiſche
Ordnung des Reiches. Während Hutten mit feinen Beſtre⸗
bungen fid) ebenjo fehr an die Maffen wendete, feßte Sickin⸗
gen feine Hoffnungen vorzüglich auf die hoͤchſten Regionen;
aud) war er [eft überzeugt, daß ber junge Kaifer fi an
bie Spige ber Adelsverſchwoͤrung ftellen ober biefelbe wer
nigftens gutheißen würde. (S. 65 f) In ber That
glaubten aud) die drei Churfürften, gegen melde &idingen
den Schild erhob, daß ber Kaifer in beffen Plan einges
weiht ſei. Weniger ald Karl V. gelang εὖ übrigens bem
Nürnberger ^ Reihsregiment, fij von ber Mitſchuld an
feinem Unternehmen weiß zu wachen. (€. 60 fi) „Das
636 À rg,
Reichsregiment hatte fib eventuell das Tobesurtheil ge«
fprodyen; mit ber Niederlage der revolutionären Parteien,
durd deren Unterftügung es factifh nod) fortbeftand,
mußte es felbft zu Grunde gehen. Auffallend ift die Stelr
lung, in welde dabei Erzherzog Ferdinand als Faiferliher
Statthalter gerathen war. Denn daß bie Regiments
Majorität, {εἰδῇ größtentheild aus rittermäßigen Rechts⸗
gelehrten beftchend, nicht dabei fteben blieb, bem Gidin
gen’ihen Unternehmen den beften Fortgang zu woüníden,
fann nit verwundern. Als Mitglieder des Adels trugen
fie gleichen Groll gegen bie Willführ fürftliher Uebermacht,
wie ihre mit Schwert und Lanze Broderwerb treibenden
Standesgenoffen, als ftunbige des römifhen Rechts fühlten
fie bereits jene Uniformirfucht, die fid) mehr und mehr zur
fpäteren Schreibſtuben ^ Tyrannei auswuchs, als Reihe
tegenten war ihnen die Demüthigung ber von ben Mäds
tigen behaupteten Selbftherrlichfeit Lebensfrage, als er
Härte Befchüger des Lutherthums brauchten fie den Boden
der Revolution nicht erft zu betreten, fondern nur uns
verzagt auf demfelben voranzufhreiten. Die Erklärung
der Acht über Sidingen follte, wie e& fheint, nur feiner
Partei zu Nutz und Frommen das Reichsregiment für
alle Fälle am Leben erhalten und nadjbem man dadurch
unb burd) bie vorauégegegangenen fdjeinbar feindfeligen
Acte ben Rüdzug gefidert glaubte, war bald eine Ber
enlaffung gefunden, fid) ben drei Kriegsfürkten hindernd
in den Weg zu legen, welche ohne Hülfe des Regiments
den erften Angriff des Gcächteten vereitelt hatten, unb nun
aud) ohne Rüdfiht auf die unthätig in Nürnberg fipenbe
Eentralregierung ihren Vortheil verfolgen zu müffen glaub»
ten. Wenn bie Majorität ver Reichsregenten auf ſo weiten
Deutſchland In der Revolutionäperiobe. 637
Umwegen zum Ziele firebte, fo fheint der Grund haupts
faͤchlich in ber noch fortbauernben Anwefenheit des Pialz⸗
grafen Friedrich, als ftelvertretenden Statthalter gelegen
zu haben; ber junge, energifhe und thatenfräftige Fer⸗
binanb war entweber felbft wirklich (weſſen man ben Kaifer
verpächtigte) den Planen der Reichsritterſchaft geneigt,
oder er wurde von ben Regimentsräthen getäufht und
als Werkzeug gebraucht“ ((6. 72 f.). Beſonders ſchaͤdlich
wirfte auf Berdinands beutíde Politik nad Hrn. Joͤrgs
Darftellung ber verdorbene „Markgraf Kafimir von Brans
benburg ein" (€. 76 ff), welcher mit bem tollkoͤpfiſchen
Ulrich von Würtemberg das fuͤrſtliche Proletariat jener
Zeit bildete und mit Johann von Schwarzenberg, dem eifrig
lutheriſch gefinnten Haupte der Reichisregiments-Majorität,
in ber innigften Verbindung lebte (6. 80 f.). Da bie
Tingufriebenbeit gegen die revolutionärgefinnte Mehrheit
des‘ Steibéregimenté zunahm, fo wurde baffelbe im 3.
1524 purificitt und aus dem aufgeregten Nürnberg nad)
Glingen verlegt (€. 83 ἢ). Doch fam es, da bie zu
feiner Unterhaltung beftimmten Gelber von allen Seiten
ſchlecht eingiengen, nod) in bemfelben Jahre feiner Aufs
loͤſung nahe. Zu einer politifchen Bedeutung gelangte es
ohnehin nidt mehr. — Geiährlih war ber im 3. 1524
geiaßte Beſchluß der Reihöftände über den Gegenftanb:
wie es hinſichtlich ber religiófen Frage inzwiſchen gehalten
werden fole? Dem Faiferlihen Gefandten felbft fam
diefer Beſchluß ganz unverfänglid vor; er ermahnte ben
Kaifer, darauf zu finnen, wie er von feiner Seite tüchtige
Leute und befonders einen den neuen Lehren gewachienen
Theologen nad) Speier fende — ein ſchlagender Beweis,
mit welcher Arg- und Harmlofigfeit bie Eatholifche Partei
829 - Ing,
von folhen in ihrer Tragweite gar nicht begriffenen revo»
Intionären fünften der Gegner fid) hinreigen ließ. Aller⸗
dings war aud) ta Verfahren neu! Es follte nun durch
parlamentariſche Majoritärs-Befchlüffe eine neue Religion
für Deutſchland gemacht werden; der Gturz der Reiches
verfafjung mit bem ber geiftlihen Sürften und bie allge
meine Plünderung des Gute& ber deutſchen Kirche. —
Diefe Erfolge wären den Babricanten ber deutſchen Rer
ligion dann von felbft in den Schooß gefallen (©. 93).
Der Legat Campeggi hatte daher den fatboliffen Fürſten
vorgeftellt, daß diefe Sammlung von Volfsftimmen jum
Aufruhr führen würde, und mit einigen berfelben en
Eonvent zu Regensburg zur Aufrehthaltung der katho⸗
liſchen Religion gehalten. Auch ber ftaifer erließ von
Spanien aus ein fharfes Schreiben zur Beſchuͤzung des
alten Glaubens.
Aber während in den höheren Kreifen der Weg des
Parlamentirens nod) eingehalten wurde, fam in den unteren
Schichten der Gefellihaft die Bewegung sum thatfädhlichen
Ausbrude. In den Städten, welche das bemofrati(de
Element des Reichslebens barftellten, herrſchte Zerflüftung
und gegenfeitige Befeindung, wie in bem Bereiche bet
hohen und niedern Reihsarikofratie. (6. 95—116 wird
die intere Rage der deutſchen Reichsſtädte auf interefjante
Weiſe geſchildert) Der Gegeníag zwiſchen „den Ehrbars
keiten” oder dem Patriciate und den „Gemeinen“ rief
mande Bitterkeit hervor. Dazu fam nod), baf bie Bes
nachtheiligung der Städte von Seite der Meichöftände
unter den dortigen Bevölferungen Unzufriedenheit erzeugte,
fe taf man vielfach den Ruf vernehmen konnte: wenn
die Gachen fo fortgehen, muͤſſen fe fij zu den Ginger
Deutſchland In det Revolutlonsperlode. δὲν
offen ſchlagen und Schweizet werden. „Das Jahr 1925
πκάϊε ble Wunde auf, an bet die Städte ſiechten. Uchera#
zeigte ſich derſelbe Zmielpalt zwiſchen den Gefdlebbtern
and gemeinen Buͤrgern, bie fet unter einem gemeinſamen
Banner, das alle Schattirungen rerolutionärer Elemmte
in den Städten um fid verfammelt hatte, durch ganz
Deutſchland ihren Obrigfeiten drohend, wenn nicht in
offenem Aufruhr, gegenüber flanben. Denn unter ihnen
hatten Huttens und Luthers Slugfdriften und die Brand»
briefe ihrer Gopiften juerft nad) bem Reichsadel, auf den
fie zuvörderft bered)net waren, fruchtbaren Boden gefuns
ben; ihre Schlagwörter: „„Evangelium"* und „„deutſche
Freiheit““ wurden freilich in ben Stäpten nicht in bem
Sinne der Ritter verftanden, fie waren aber biegfam,
damit jeder den Verftand hineinlege, der ihm behagte,
und zugleich mit ihnen thaten fi Prediger in großer Zahl
hervor, weld fie nad) bem Belieben der willigen Hörer
erklärten. Das „„Evangelium"* ward bald das einzige
Alles umfaflende Lofungswort; burd) daffelbe verlangten
jegt die Bürger, wie früher bie Ritter, jeder für fih bie
Abſchaffung feiner wirklichen oder vermeinten Beſchwerden,
die Realificung feiner billigen oder unbilligen Wuͤnſche.
Immer aber war die Auffaffung des „„Evangeliums“*
von Seiten des Obrigfeiten weit verſchieden von bem
Berkändniß, das bie Unterthanen fid) von demfelben ges
bifoet hatten; darum ftanben „„Ehrbarfeiten"“, die fid
feldſt des „„&vangeliums"* rühmten, ihren Gemeinden,
vie aud) nur jür das „„Evangelium“" ſchwaͤrmten, nichts⸗
deſtoweniger feindlic entgegen, unb man hörte jene nicht
felten dieſe verfihern: ba& Evangelium — das mollten
fie ja an um jeden Preis! wozu alfo bem Hader um
64 Borg
daffelbe? Die Lage der fäptifchen Obrigfeiten war denn
aud) fhon von bem erften Auftreten der neuen Lehre an
eine um fo fchwierigere, als jedes Einſchreiten gegen res
volutionäre Umtriebe ald ein Attentat gegen das „„Evans
gelium^^ gebránbmarft wurde. Daß aber ihre oft wies
derholten Verfiherungen von ber totalen Unmacht, in
welder f fid biefem gegenüber befänden, bloße Bors
wände geweſen feien, möchte um fo weniger angenommen
werden dürfen, als das neue Reichsregiment ſelbſt der
Meinung war, daß die „„Ehrbarkeiten““, aud) den beten
Willen vorausgefegt, nit im Stande feien, dem einbres
enden Uebel zu wehren" (S 98 f). Zur Begründung
des fo eben Angeführten wird auf die Zuftände mehrerer
Städte, wie Augsburg, Nördlingen, Regensburg, Gal
burg u. f. w. näher eingegangen. Bertraten die Ehrbars
keiten, um bie Termini ber neuften politifhen Sprade zu
gebrauchen, das confervative, und bie Gemeinen bab
liberale Element in den Staͤdten, fo bilvete fib neben
diefen beiden ein drittes, das Proletariat heraus, welches
entſchieden rabicafe und communiftifhe Tendenzen verfolgte
(δ. 110 fi). Den Entftehungsgrund diefer gefährlichen
Glaffe ber Städtebevölferung fuchte man vorzüglich in bem
unchriſtlichen Wucher der großen Handelsgeſellſchaften,
welche den Verſchluß der vielen ſchon damals zum Be⸗
duͤrfniß gewordenen Luxusartikel in ihrer Hand hatten
(8. 116 ff.). Je nadtem nun in einer Stadt das liberale
oder radicale Element übermog, erfolgte aud) mehr oder
weniger rafd) ber Anfchluß an bie aufrührerifchen Bauern,
wie ©. 119 ff. an vielen Beifpielen gezeigt wird. Im
Bauernlager zu Ried bei Laupheim rednete man z. 9.
„mit Zuverfiht auf ben δα ber Stadt Biberad; bie
Deutſchland in der Revolutionsperiobe. 64
Mehrheit aus der Gemeinde hatte ver(proden, che drei
Tage vergiengen, die Herren in Biberach über bie Mauer
zu werfen; und während es in der naͤchſten Umgebung
des Sitzes der Bundesverfammlung fo ausfah, drohte bie
radicale Partei aud) in Ulm felbft, wo den Bauern ihre
Faͤhnlein gemalt unb gefertigt wurden, das Regiment
vollends an fid) zu reißen" (S. 120). Wie in ben Jahr
ten 1848 und 49 zeigten fij damals bie Weiber am
entfchloffenften für ben Fortſchritt. „Wenn aud) bie τὰς
dicalen Städter allenthalben, burd) bie Ausficht auf Plün-
derung reicher Kirchen, Klöfter unb Schlöffer angelodt,
mehr oder minder flarf ben Bauernhaufen zuzogen, fo
blieben bod) bie Weiber als Befagung zurüd. Gerade
fie aber machten das „„Evangelium“* am enfdfoffenften,
vielfach fogar nid)t nur mitjber Zunge, fondern aud) mit
Spießen und Helebarden „„gegen bie widerhaarigen Ehr⸗
barfeiten"" geltend, unb an ihnen befaßen bie rebellifchen
Bauern ihre verläßigfien Verfechterinnen“ u. f. w. (S.
124). Bon bem großen Revolutionsbrande blieb faft als
fein in dem fünweftlihen Deutſchland verſchont bie Stadt
Meberlingen, welde mit großer Entſchiedenheit und Tas
pferfeit den Angriffen der Bauern widerftand. Zur An«
erfennung ihres ausgezeichneten Benchmens vermehrte
Karl V. im 3. 1528 das Stadtwappen der Ueberlinger,
gab ihnen zu ihrem Adler den Schild mit dem goldenen
und golbgefrónten, das bloße Schwert hoch ſchwingenden
Löwen unb ben titterfidjen Helm, den zuvor feine Reiches
ftabt außer Straßburg getragen“ (S. 130). Unter ſolchen
Berhältniffen ift fid) nicht zu vermunbern, menn (wie ©.
131 ἢ. nadgemiefen wird) der Urfprung ber Bauernres
volution von ben Städten ausgieng, unb zwar hat bie
e Sin,
Stadt Forchheim (im Gebiete des Bifhofs von Bamberg)
bie Ehre, in ber Revolution die Initiative ergriffen zu
haben. Wie fonnte εὖ auch anders fein, ba in dieſer
Stadt ein fo merfwürbiges Greigniß zu Gunflen ber
Fircplich » politiihen Bewegung geſchah? As in Gerd»
heim — fo wurde von Luther und andern Reformatoren
berichtet — ein papiftiicher Piaffe es gewagt habe, in
feiner Predigt bie evangelifche Lehre anzufechten, (ei er
fofort vor den Augen aller Zuhörer vom Teufel fihtbar
lid) burd) die Lüfte davon geführt worden" (&..144).
Merkwuͤrdig ift bie Neuerung des berühmten Humas
niften Mutianus über die Tendenzen der Städte: er habe
aus ſchriftlichen und mündlichen Aeußerungen der einſichts⸗
vollften Männer erfahren, daß bie Reicheftädte burd) geheime
Umtriebe und Stánfe die Bauern unter dem Scheine des
Evangeliums aufhegten und burd) ihre Wühlerfünfe mit
Hülfe ber Juden, bis jur Vernichtung der fürklichen
und fodjabeligen Häufer zu treiben verfuchten; εὖ fei
ihnen nidt etwa nur um die Abſchaffung der geiftlichen
Fürßenthümer unb der Bilhöfe, fondern um Befeitigung
der fürftlihen Würde überhaupt ju tun; denn ihre Abs
fibt fei, der republifanijden Gtaatéjerm und demokrati⸗
ſchen Herrſchaft der Venetianer und der alten Griechen
das Uebergewicht zu verſchaffen. Bollkswirthſchaft und
fürſtliches Regiment hätten fif ned) nie vertragen und
man erkläre den Glauben, die aufftändigen Bauern woll⸗
ten blos den Klerus vernichten, nicht umjong für einen
großen Irrthum; die tüdifchen Reichoſtaͤdter hätten «6
nicht weniger auf das SBerberben ber ganzen Reichsver ⸗
faſſung, weil den Reichsfuͤrſten gemuͤnzt, bie fie in ihm
Uebermuthe ſchlechtweg als Syrannen tüulizten" (&, 145):
Deutſchland in ber Revolutionsperiobe. 943
Hr. Jörg aboptirt diefe vielfach angegriffene Angabe des
Mutianus als ber Wahrheit vollfommen ent(predjenb und
ſchildert mit großer Ausfuͤhrlichkeit (6. 150 f.) das wegen
feiner Zweideutigfeit [ἀπά διε Benehmen der Majorität -
des Rathes von Nürnberg, ter erften unter den oberdeut⸗
ſchen Städten, melde von den dortigen bauern(reunbliden
Gemeinen zur fränfifhen Schweiz umgeftempelt wurde.
Wie an den Städten, hatten die Bauern aud) an Herzog
Ulrich von Würtemberg und an den geächteten Reichsrit⸗
teen Bundesgenofien, welche freilid) jene bloß für ihre
eigenen Zwede benügen wollten (5, 157 f). Befonders
war Wendelin Hippler, ehemals hohenlohiſcher Kanzler,
thätig geweſen für bie Verbindung des Adels mit ben
Bauern. Durch fein Bemühen fam im Lager zu Amors
bad) bie fog. Declaration. oder Erläuterung zu ben bes
fannten 12 Artifeln gu Stande, in welcher bie brennenden
ragen bi6 auf eine fünftige allgemeine Reichöreform vete
ſchoben unb einftweilen die Wünfche ber neugläubigen
Städte und der raubjüchtigen Reichsariftofratie zuſammenge⸗
tragen waren (€. 160 f.). In der That entwidelte aud)
bie legtere in SBerbinpumg mit bem Herzog rid), bem
es gleichgültig war, ob er burd) Gtiefel oder Schuh wie
ber in fein Sand fomme, große Thätigfeit und verzweigte
ihre Revolutionsplane fo weit, daß bie Fäden derſelben
ben wmeiften ihrer Zeitgenofien unbefount blieben. Beſon⸗
ders galt e die bayerifhen Herzoge, bie Häupter des
gefuͤrchteten fhwäbifhen Bundes, von allen Seiten anzu⸗
greifen. Dazu follte bie Verbindung Ulrichs mit verſchie⸗
denen friegéluftigen böhmifchen Rittern dienen, welche Hr.
Jörg qum erftenmale — Heyd hatte in feines Lebensbe⸗
ſchreibung Ulrichs bie Hieher bezüglihen Rachrichten nicht
644 She,
in's redte Licht zu fegen vermodit — aufgeftellt hat (S.
162 f). Eine Hauptrolle fpielte bei bem vertriebenen,
Ulrich Johann von Fuchsſtein, wie er fld) felbft nannte,
Ritter und Doctor, früher Afjeffor bei dem Nürnberger
Reihsregiment und Kanzler des Pialsgrafen Friedrich
(6. 172 f.), welcher von feinem Heren zu Sendungen an
den franzoͤſtſchen Hof, an die Böhmen, zu den fränfifchen
Rittern und zu den aufrührerifchen Bauern benügt wurde.
Als Bauernadvorat war Dr. Fuchsſtein, wie Hr. Joͤrg
nachweist, hoͤchſt wahrſcheinlich ber Verfafier ber 12 Ar
tifel, welche als Revolutionsprogramm in kuͤrzeſter Zeit
burd ganz Deutſchland bis nad) Eſthland und Liefland
fi verbreiteten (S. 180 ff). Später begab fi Fuchs⸗
ftein, nachdem er bei Ulrich wegen des unüberlegten
Heberfalls des bei Hohentwiel gelegenen öftreihifhen Le⸗
ben Staufen in Ungnabe gefallen unb bann für Ulrichs
Sohn Ehriftoph thätig gemefen war, zu dem Könige Jos
hann nad Ungarn, bem er als fein Bevollmächtigter
(1533) bei bem Gonvente der antiöftreichifhgefinnten Sürften
zu Nürnberg Dienfte leiftete. Man ftebt, wie weit vere
zweigt bie Verbindungen und Entwürfe der hervorragenden
Revolutionsmänner jener Zeit waren. — Die würtems
bergifche Angelegenheit war damals von großer Wichtig-
keit. Während bie Proteftanten rie 8Biebereinfegung Ulrichs
wuͤnſchten, ba fie von feiner Erhebung eine Verſtaͤrkung
ihrer Partei hofften, fafen bie bayerifhen Herzoge εὖ
fàdft ungerne, daß das [dine günbden fih in ben
Händen des Haufes Deftreih befand, auf das bie Wit
ielébader von jeher eiferfühtig waren. „Die politi»
ſchen Zuftände im Innern Deutſchlands hatten fid) burd)
bie traurige Religionsfpaltung und Deftreihe Ländergier
Deutfehland in der Revolutionsperlobe. 645
aufs Kläglichfte gefaltet; daß lehterer Einhalt gethan
und vor Allem Würtemberg reftituirt werden müffe, wurbe
täglich mehr Ueberzeugung unter den Ständen des Reiche.
Bayern, dur Oeſtreichs Umfichgreifen am meiften ge-
fübrbet, weigerte fij bod) flandhaft, einen Mann, wie
Utri wieder in fein Land einfegen zu helfen; biefelbe
Abneigung hegte Heſſen gegen Chriftoph, ber in bem Ber
dachte fand, Fatholifh zu fein" (&. 189). Unter bem
Texte führt Hr. Jörg ein Schreiben des bayerifhen Kanz⸗
leré Ed an Herzog Wilhelm an, worin berfefbe unver-
hohlen nicht bloß von franjófifder, fonbern felbft von zu
erlangender ungarifcher und türfifdec linterftügung
fpridjt. Wenn wir aud) nicht ju denen gehören, melde
Allem , was von dem Haufe Habsburg fommt, unbedingt
Lob fpreden, fo hätten wir bod) hier gewünfcht, bag Hr.
Jörg, welcher fonft in feinem Urtheile nicht befonders zus
rüdhaltend ift, aud) einige tadelnde Worte über dieſes
Benehmen des bayeriihen Staatsmannes (und Hofes),
welcher ſelbſt Türfenhülfe nicht verfhmähte, hätte ver-
Tauten faffen. — ©. 191 f. ſchildert ber Hr. Verf. bie
einzelnen Gfemente der BVolfsbewegung jener Zeit. Er
febt auseinander, welchen Antheil viele verfommene nie
dere Klerifer an der Revolution nahmen; wie bie Anz
führer der Bauern befhaffen waren; wie man zur Aus-
fprengung falfcher Gerüchte griff, um bie öffentliche Meis
nung zu berüden; in weld? fehwieriger Rage fld) bie
Gegner der Bauern befanden, da ihnen bie Unzuverläfs
figfeit ihrer Soldaten befannt war, während freilich bie
Aufrührer im Kampfe, wie in bem S. 1848 unb 49, ger
τίπρε Tapferfeit an ten Tag legten. Weiter unten zu
der Stellung der Iutherifhen Yürften gegenüber dem
φιμεῖ. Duartalfarift. 1838. IV. Geit. 43
646 Jörg,
„Evangelium“ unb zu bem Bauernkriege übergehend, (©.
259 ff.) hebt er mit Recht den Unteridied hervor, ben
man damals zwifhen bem Unterthanens und Fürftenevans
gelium machte, und wie die Bauern das als ihr Grunds
recht betrachteten, daß fie das Evangelium nad feinem
Verſtande auslegen bürjten. Luthers Stellung zu den
Aufrührern ift burd) bie neueften Unterfuhungen eines
Stiffef, und des geiftvollen, aber kirchlich- und poli
tifpradicalen K. Hagen u. f. vo. wieder an baé helle
fidt gezogen worden. ©. 276 ff. fpriht aud Hr. Jörg
von berfelben. Weniger befannt ift, daß felbft der Ehurs
fürft von Sachſen dem drohenden Triumphe der Rebellion
anfänglih — Aehnliches geihah von gemiffet Seite aud)
gegenüber ben revolutionären Bewegungen in einigen
deutihen Staaten während der legten Revolutionsjahre —
mit Bergnügen entgegengefehen zu haben (dint. (©.
280 f) Jedenfalls nahm derfelbe damals eine ziemlich
aweideutige Haltung an. — Da Hr. Jörg einen fo her
vorſtechend altbayerifhen Standpunkt in feiner Darftellung
unb Beurtheilung einnimmt, fo wollen wir an biefem
Drte über die anfänglihe Stellung ber bayerifhen Her⸗
zoge zu ber kirchlichen Neuerung Einiges beibringen. Die
bayerifchen Herzöge waren juerft ebenfalls für Luther ein»
genommen (&. 316 ff). Unter ben bewegenden Urſachen
war wohl aud) die Hoffnung, durch SXebiatifirung der
geiſtlichen Ehurfürftenthümer eine Churwuͤrde für ihr Land
zu erhalten, wornad) fie fo eifrig firebten. Allerdings
flug ber bayerifhe Hof um in feiner Anſicht, als bie
„Neuerer mehr in ihrer Nadtheit hervortraten (S. 318 ff).
Nichts beflo weniger verkiert ber Eifer der Herzoge für
die Erhaltung des alten Glaubens einiges an feinem
Deutfchland im ber Nevolutionspertobe. 647
Gewichte, wenn man erwägt, welde Privilegien diefelben
von bem römifhen Hofe hiefür gewannen. Auch ift nicht
zu vergeffen, daß Bayerns politifhe Bedeutung als fae
tholifher Rivale Oeſtreichs butd) fein Beharren. bei dem
alten Glauben fehr groß geblieben if. S. 330 weist
Hr. Jörg nad, wie bie bayerifhe Geiftlichkeit eine ber
reichſten in Deutfchland gewefen fei, und wie das Gebiet
der veihsunmittelbaren Bilhöfe das Herzogthum ganz
durchſchnitten habe, weld) großes Opfer daher bie bas
maligen Herzoge in politischer Beziehung gebracht hatten.
Deſſenungeachtet gibt Hr. Jörg zu, daß diefelben nicht
bloß auf das Bisthum Eichſtaͤdt eine zeitlang ihre Augen
geworfen, fondern fogar bem Plane Raum gegeben ha—
ben, burd) einen Vertrag mit ben Tyroler- und Sale
burger-Rebellen das Erzſtift (Salzburg) ober wenigftens
den gelegenften Theil beffelben an fid) zu bringen. Daher
erflärte fi) Gd — nidt zu verwechſeln mit bem Theo-
legen gleihen Namens! — mit allem Nachdrucke gegen
dieſes gefährliche Project. An diefem Gitaatémanne hatte
Bagern in jener fehwierigen Zeit einen ebenfo gewandten
als feinen Intereffen treu ergebenen Staatsmann, weßhalb
Hr. Jörg an berídiebenen Orten feines Buches fi ange⸗
legen fein läßt, beffen SBerbienfte um fein Vaterland und
um bie Fatholifche Kirche hervorzuheben. Da Ed allen ,
Eentvalifationsbeftrebungen, mochten fie son unten, ober
vom Haufe Habsburg fommen, ftetá energiſch entgegen.
wirkte, unb an dem Stanppunfte der Territorialhoheit
und des Particularismus fowohl als des Katholicismus
treu feßhielt, fo ift erflärlih, warum er nicht bloß von
ben Gegnern des egteren, fondern aud) von ben Anhän-
gern Deftzeihs und von ben politifhen Reformern aller
43*
648 ' dorg,
Schattirungen bitter gehaßt und angefeindet wurde. —
Wenn übrigens Bayern aud) die Kloͤſter und Kirchenguͤter
beftehen und bie Henne bei Leben ließ, welche goldene
Eier [egte, fo bürbete εὖ benfelben, fomie der Prieſter⸗
ſchaft wiederholt ſchwere Steuern auf und forderte ſelbſt
das Silbergeräthe von ihnen ab. (S. 354 f) Obwohl
die Klöfter große Hingebung an das bem alten Glauben
treu gebliebene bayerifhe Haus an den Tag legten, hielt
εὖ Herzog Wilhelm bod für nothwendig, den Eifer ber
mit Schatzung Belegten dadurch zu erhöhen, daß er bie
Angabe von ben Fortſchritten ber Revolutionäre bedeutend
übertrieb (S. 378). Freilich hatte Bayern aud) eine fehr
ſchwierige Stellung, ba der Plan der ſchwäbiſchen und
falzburgifhen Rebellen, das Herzogthum von beiden Seiten
zu überfallen, am Tage fag unb aud) auf der fränfifchen
Seite Gefahr drohte (S. 386 ff.). Zum Glüde bewies
das bayerifche Volk im Allgemeinen eine gute Haltung
(&. 394) und ſtellte fid) ben Aufrührern mannhaft ent
gegen (δ. 395 f.). Daher vermodte Bayern, als εὖ
fi) um den Gntídeibungéfampf handelte, an der Spige
des fhwäbifhen Bundes ein bedeutendes Gewicht in bie
Wagſchale zu werfen. (Siehe ben Abſchnitt: „Bayerns
Haltung — Deutfhlands Rettung“ S. 394 f) Bir
verwidelt und vermorren die damaligen Verhäftniffe war
ven, zeigt der Abfchnitt: „Zuftände im Bundesrathe; ber
Bund gegen Herzog Ulrich; der Waffenfillftand vom 25.
Merz 1525" (€. 402—425). Die bayerifhen Herzoge
waren mit biefem zu Ulm mit den Bauern abgefchloffenen
„Anftande* nicht zufrieden, ba ihre fhwierige Lage dar
burd) nicht erleichtert wurde. Während fle von einem
Meberfalle der Bauern bebrobt wurden, wuchs ihr Miß⸗
Deutfhland In ber. Mevolutiondperiobe. 649
trauen gegen ben Erzherzog Ferdinand, welcher bie bifchöfe
lid) Augeburgifhe Ctabt Füßen beſetzte (432 f), unb
von bem fie glaubten, daß ct mit ben Aufrührern in
geheimem Einverftäntniffe fiche. Auch gegen ben Truchfeß
von Walrburg, den fog. Bauernjörg, herrichte unter den
Mitgliedern des ſchwaͤbiſchen Bundes Verrat, er habe
den flüchtigen Ulrih von Würtemberg, welder von bet
Schweiz aus einen Einfall in fein Herzogthum gemacht
batte, abſichtlich entwi den laffen (&. 410 f.). Größere
Ungufricbenheit erregte e8, als ver Truchſeß ben 17. April
1525 ven Bauern bei Weingarten einen Vertrag bewils
ligte (&. 457 f), welder freilich bie Unficherheit ret
Verhaͤliniſſe nod) vergrößerte und von den Bauern alds
bald (εἰδῇ gebrodhen wurde (C. 463. 472 fi). Kurz
darauf vereinbarte ſich der Erzherzog Ferdinand burdj
feine Gommifiáte in Füßen mit dem Ausſchuſſe der
Dber + und Niederalgäuer über die Artikel, welche bie
Grundlage eines zwiſchen Deftreih und Bayern einerfeits
und mit den Algäuern andrerfeits abzufchließenden Fries
bené bilden follten (S. 485 [.). Die bayeriichen Herzoge
freitih waren mit biefem Vertrage, burd) welchen fid) bie
betreffenden Bürften „auf Gnabe und Ungnade an bie
Revolution ergeben hatten" (S. 486), nicht zufrieden;
dagegen giengen fie damit um, mit den Algäuern einen
Separatfrieden abzuſchließen (S. 489 f.), welder hin«
wiederum von den Ständen des ſchwaͤbiſchen Bundes als
für das allgemeine Befte febr gefährlich erachtet wurde
(S. 493 i). Bei diefee Gelegenheit trat die Zweideutig⸗
keit und der Argwohn der Fürjten gegen einander recht
Bell an's Tageslicht, und có ift ein befonderes Verdienſt
des Hrn. Verfaſſers, dieſe bunfíe Partei der Vorgänge
650 org,
jener Zeit burd) Herbeifchaffung von Metenfihdten aufges
flürt zu haben.
. Auffallend ift das verhältnißmäßig gute Einvernehmen
zwiſchen Ferdinand und den Algäuern, melde den Nit»
telpunft der Bauernrevolution bildeten, und einerjeitó mit
den Tyroler⸗, Salzburger» und Kärnthnerbauern, andrer⸗
feit8 mit den Hegauern, Schwarzwaldern, Unterſchwaben
und Franken zufammenhiengen. Da Ferdinand als Bers
ifeibiger der Algäuer auftrat (€. 496 ff.) unb mit gto»
fem Eifer fle zufriedenſtellen wollte, fo hatte ibm ber
ſchwaͤbiſche Bund im SBerbadjt, daß er im Sinne habe,
das ganze Algäu, beffen Grenzen fih nad) einer Aeuße⸗
rung des fhwäbiihen Bundes nicht angeben ließen (6.
501), an das Haus Deftreih zu bringen (S. 504): ein
Plan, ben man bei ber bebrängten gage, in der fid) δεῖ,
dinand ſelbſt befand, jedenfalls gewagt nennen muß. Auf
der andern Seite hatten bisher die bayerifhen Herzoge
nidt nur ber Entwidlung der Dinge in dem aufgewühlten
Tyrol im Gefühle der ihrem Lande drohenden Gefahr
ruhig zugefehen und gegen bie rebellifhen Unterthanen
Ferdinands, um fie nicht zu reizen, bie zartefte Schonung
eingehalten (&. 516), (onbern ἐδ wurde fogar am Münds
ner Hofe der Plan gefaßt, durch eine foͤrmliche Ueberein⸗
Tunít mit der revolutionären Tyroler Landſchaft fid) ſowohl
den Rüden zu beden, als aud) wenigſtens den gelegenften
Theil des ber Revolution völlig verfallenen Erzſtiftes
Salzburg für Bayırn abzureißen (&. 517). Sehr inter
teffant und [ebrreid) ift der ung eröffnete Ginblid in bie
Beziehungen der bayerifhen Hirzoge zu den Salgburger
Revolutionären (5. 548 f). Die Abfiht der Bayern
gieng dahin, daß der Cardinalerzbifhof Matth. Lang zur
Deutſchland In ber Mevolutionspertobe. 651
Abdankung zu Gunften des bayerifhen Haufes bewogen
werde (©. 574 f). Der Hauptbeftandtheil des Erz⸗
fiftes, fo weit dieſes nicht zu Bayern gefchlagen würde,
folte bem Bruder ber bayerifhen Herzoge, dem Biſchofe
Ernſt von Paffau als Entfhänigung in bie Hände ge»
fpielt werden. Doc war diefer felbft mit diefem Plane
nicht einverftanden. „Er verweigerte, wie einft aud) Hr.
Ludwig gethan, bem Primogenitur-Geſehe feines Vaters
die Anerfennung , und verlangte einen Theil des Bayerns
landes als eigenes Gürftentbum für [ὦ oder wenigſtens
eine fehr bedeutende Entfhädigung; die Bemühungen Wils
helms, ihn zu einem mächtigen geiftlihen Bürften zu ma»
den, wollte er als ben Weg billiger Abfindung nicht
gelten laffen, weil er überhaupt nicht Luft hatte, ein
Geiftliher zu werden, und im gegenwärtigen Streben
feiner Brüder, ihm zum vornehmften erzbifhöflihen Stuhle
im Deutſchland, ben er übrigens fpäter doch beftieg, zu
verhelfen, fah er nur einen neuen Beweis, daß diefe fif
ihrer SBerbinblidfeiten gegen ihn auf Koften der beutfden
Kirche — die gerade jet jeden Augenblid zahlungsuns
fähig ju werden brobte! — zu entledigen trachteten“ (©.
577). Uebrigens befürchteten bie bayeriſchen Herzoge, daß
aud) Deftreih mit demfelben Plane umgebe, Salzburg an
fih zu ziehen (©. 601 ff.).
Gin weiterer Zunder zur Eiferfucht gegen Deftreid)
war das Beftreben der bayerifchen Herzoge, bie Würde
eines roͤmiſchen Königs an das Haus Wittelsbach pfälzie
fer oder bayerischer Linie zu bringen (6. 610), während
damals Ferdinand mit der Bewerbung ym bie rómifde
Koͤnigskrone umgieng (&. 623 f.). Zwiſchen ben Piälgern
und Bayern fanden Berathungen wegen diefes Gegen?
652 Vrg,
Randes zu Münden, Heidelberg, wo fid) unter ber Dede
eines Armbruftfhießens gegen 26 Füͤrſten wegen politi
ſcher Angelegenheiten verfammelten, und Ellwangen Statt.
Als die Prälger bie tbeure Königewürde unter Vorſchü⸗
dung ihres Unvermögens ablehnten, erflärte Wilhelm fid
ſelbſt um fie bewerben zu wollen, verfprad) dem „Chur⸗
fürften, ber nicht gewohnt war, feine Stimme wohlfeil
du geben, 100,000 fl. und zweifelte aud) ber andern
Ehurfürften wegen gar nicht, daß er „„von denfelben
fein Suchen nidt erhalten follte^", Gelb, das bei ihnen
vor Alem nicht geípart werden durfte, wäre burd) ein
bedeutendes Anlehen vom Papfte beigefchafft worden, wel⸗
her bereit wieder an der Cpige eines Bündniffes ftand,
„„um ganz Stalien von ber fpanifhen Iyrannei zu ber
freien““ (&. 620).
Die bisherigen Qinmeijungen auf bie Refultate der
Yörg’ihen Forſchungen werden für unfere Lefer hinreichen,
um fid ein deutliches Bild von ber innern Auflöiung des
beutídyen Reiches, welche nicht einmal die Fortfegung des
ſchwaͤbiſchen Bundes möglih madte (S. 624 f), u
entwerfen. „Wenn aud) die treue Anhänglicfeit einiger
weltliber Reichsſtaͤnde an die alte Kirdje bie von ben
Neugläubigen verſuchte Spaltung ber deutſchen Fürſten
in zwei einander feinblid) gegenüberftebenbe Lager, das
geiftlihe und das weltliche, zwiſchen denen ber Vernich⸗
tungéfrieg unvermeidlich fofort hätte entbrennen müflen,
verhinderte; fo jagten tod) alle, einerfeit& durch bie telis
giöfe Trennung in eine aufs Höchfte geftiegene Zerklüfe
tung unter fid) gerathen, andererſeits in fortfchreitender
Arlöfung von bem Centralpunkte des Reichs begriffen,
nad Einem Ziele, dem vollen Maße jener „„deutſchen
Deutſchland In ber Revolutlonsperlode. 653
Freiheit““, durch welche endlich das Reich in ein wuͤſtes
Chaos obnmádtiger Staatenbildungen auseinanderfiel. Es
if fein Zweifel, je mehr jene „„Freiheit““ der Herren
wuchs, befto mehr fiel bie des Volkes; feine Widerſtands⸗
kraft war aber feit dem großen Aufruhre vom 3. 1525
gebroden" (€. 623). Wie auf cine große Fieberhige
ebenfo große Abipannung der Kräfte und Schwäche folgt,
fo enden revolutionäre Bewegungen, wenn fle mißlingen,
gewöhnlich mit um fo größerem Drude für die” unterler
genen Parteien. Daffelde widerfuhr ten gefchlagenen
Bauern. 100,000 blieben auf bem Schlachtfelde. tad)
der beim fhwäbifhen Bunde zu Augsburg im I. 1526
vorgelegten Zufammenftellung betrug die Summe der im
ganzen Bundesreiche Hingerichteten 10,000. Sehr viele
Aufrührer hatten fid ins Ausland, befonders in bie
Schweiz geflüchtet, um bem ftrafenden Arme der Gerech⸗
tigfeit zu entgehen. Unter der Maſſe erhielt fi eine
entfeglihe Stimmung. Die bumpfe Verzweiflung tradhtete
bie entfommenen Rävelsführer der alten Aujrührer —
unter ihnen waren, wie có zu gehen pflegt, die meiften-der
oberften Häupter — für einen neuen revolutionären Vers
ſuch zu benügen; wie denn aud) bald darauf im Salz⸗
burgiíden eine neue Bewegung losbrah (S. 637 f).
Eine intereffante unb febr werthvolle Beigabe zu dem vore
liegenden Werfe bilden die Abſchnitte über bad damalige
teligiófe und politifhe Gebaren der Wiedertäufer bie
zu bem Abzuge Solimans von Wien (S. 657—703),
fowie über bie SBerfolgung derfelben (5, 703—714).
Unter bem Ramen Wirdertäufer wurden alle jene verichier
denen neugläubigen Sceparatiften zufammengefaßt, welche,
wenn aud) in ben übrigen Punkten nod fo febr von
654 Ser,
einander abweichend, bod) in ber SBermerfung der Kin
bertaufe, bie fie in der heil. Schrift nicht begründet fane
den, gufammenftimmten. Mit Recht leitet Hr. Jörg (Θ.
651 f.) ihren Urfprung aus bem lutheriſchen Princip der
freien Forſchung ab, indem er gugleid) eine anſchauliche
Darſtellung ihres focialen Lebens, . befonberó hinſichtlich
der Güter» unb Weibergemeinfhaft gibt. Ein Theil ber
füddeutfchen Wiedertäufer fleuerte auf eine Art bemofras
tiſch⸗ſociale Republif hinaus. „Sie folte naͤmlich durch
eine nahe, mit einem ungeheuern alle „„Gottloſen““
hinwegſchwemmenden Blutbade verbundene, Kataftrophe
Raum gewinnen, unb nur bie allein übrig gebliebenen
„„wahren Goriften^" umfaflen; in biefem unter unmits
telbarer Beihülfe des „„Heren““ gegründeten Reiche hätte
es bann natürlich Feiner „Gewalt nod) Meifterfhaft“*
beburft. Daß der „„Geiſt““ der fhmärmerifhen Sepas
tatiften mit einer radicalen Umgeftaltung ber fociafen Zur
fände fld) viel und mit Vorliebe zu (djaffen machte, darf
bei ben ungeheuern Erfhütterungen bes politifhen und
ſocialen Lebens, bie in Deutfhland zugleich mit bem Aufr
treten der neuen Lehre fid) anmelbeten und vollzogen, und
ber in weiten Kreifen burd) bie Verfiherungen Luthers
und feiner Gehilfen erwedten Zuverficht, bag das „„Evans
gelium®* eine durchgängige Aenderung zum Befleven aud)
in politifcher und focialer Beziehung herbeiführen werde,
ebenfo wenig verwundern, als daß gerade jet ber alte
Glaube an bie Nähe des taufendjährigen Reiches ber
Gerechten mit neuer Stärke erwachte“ (&. 678). „Bor
Allem beſchaͤftigte aber natuͤrlich bie Frage über das Wie
und Wann jener ungeheuern Kataftrophe, weld bie
unwahren Chriſten““ dur ein Meer von Blut in das
Deutſchland in der Mevoluttonspertobe, 655
„„neue Reich““ einführen follte, bie Gemüther. Daß ber
Tag des Heren vorhanden fei, war unter den Wieder⸗
täufern gemeine Eröffnung, ,,unb"^ etlihe waren fo
freventtid), daß fle frei „„Zeit unb Tag beflimmten, warn
der Tag des Herrn füme^" (S. 682 f). Daher erwar⸗
teten bie allenthalben zahfreihen Anhänger mit Ungeduld
das Signal, um über alle Andersgläubigen herzufallen
und fie todtzufchlagen. Wenn nicht bloß ter König von
Frankreich, fonbern felbft bie bayeriſchen Herzoge εὖ nicht
verfhmähten,, die Verlegenheiten des Haufes Deftreih
wegen ber Türfen mittelbar und felbft unmittelbar zu
benügen, fo ift ὦ nicht zu vermunbern, baf aud) bie
Wiedertäufer auf „den Türken“, welcher bamaló mit bem
Ungeftümm einer Naturmacht auftrat, bie größte Hoffnung
febten (6. 688 f.). Auch die Juden zeigten fib. damals
als in bie politifch-religisen Umtriebe eingeweiht und
ſuchten daraus Nugen zu ziehen: „fte [deinen, wie ein
Theil der SBiebertáufer, [don im Bauernaufruhre jene
jum „„neuen Reiche““ führende Kataftrophe vermuthet
und wie biefe Schwärmer nod) mehr al& einmal in ihren
meſſtaniſchen Hoffnungen getäufcht worden zu fein“ (©.
692). — In großer Verlegenheit befanden fid) bie Luther
ramer gegenüber ben Beweisführungen ber Wiedertäufer,
befonders bann, als es fij um deren Beftrafung durch
den weltlihen Arm handelte. Allerdings war ber Abfall
von der alten Kirche und bie Widerfeglichkeit gegen Kaifer
und Reid aud) Auflehnung und Aufruhr. Deffenunger
achtet wurde ben Wiedertäufern gegenüber zu ber will
fommenen Ausfluht gegriffen, bag man fie als Aufrührer
zu behandeln habe (S. 708 f). Daher wurde in ben
proteftantifchen Territorien eine große Menge Wiedertäufer
656 Sbrg,
vom Leben jum Tode gebradjt, während ber Kaifer in
einem Mandate vom 4. Januar 1528 eine viel mildere
Behandlung berfelben vorídricb (&. 712). Eine auf ben
erſten Blick auffallende Grídeinung war, daß in ben fas
tholifhen Territorien fid) ftetó viel mehr Wiedertäufer bes
fanden, als in ben proteftantiiben. Den Grund bievon
gibt Hr. Jörg überzeugend in Solgenbem an: „Dir Ruf
von bem wiedergefundenen „„Evangelium““ rief. in allen
Theilen Deutihlands große Maſſen von ber alten, in
ihrer äußern Grideinung verrotteten Kırde ab, unb wen»
bete ihre Herzen der vielveriprechenden neuen Lchre zu.
In einem abgeſchloſſenen Eyitem trat biefe nicht auf,
vielmehr erzeugte fie ein buntes und verwirrtes Chaos
verſchiedenet und fid) wideriprehender Lchrmeinungen.
Mit bem Bauernfriege änderte fid) dieſes injofern, als
jeht alle neugläubigen Territorialhoheiten die Ordnnug
bet Sache in ihre eigene gewaltige Hand nahmen und
bem tobenben Strome der Evangeliums »Liebhaberei das
Rinnfal anmwiejen, in bem er verlaufen, nicht überlaus
fen durfte. Die Zahl derjenigen, welche fid in dieſe
Schranken nidt einzwängen ließen, ober ber bem vors
ausſichtlichen Gewaltthaten der Polizei « Dogmatiften tro
$enben Separatiften mußte um fo Heiner fein, als die
Begriffe von bem Weſen ber religiöfen Bewegung im
Allgemeinen hödft verwirrt, die Theilnahme an berfelben
meiftens "nit Sache innerer religiöfer Uebergeugung ger
wefen, bie zur Schau getragene und mit Plünderung des
Kirchenguts u. f. vo. tapfer erhärtete Trennung ber Ters
titorialhoheiten von der alten Kirche leicht überrebete, das
„„Evangelium““ fei jigt errungen, dem Oppoſitionsgeiſte
fo bie gejährlihe Spige abbrad), ganz befonders aber
Deutſchland In der Revolutionsperlode. 657
neben andern der eigenwilligen Sinnlichkeit ſchmeichelnden
Zugeſtaͤndniſſen ber neuen Lehre, ber Kern des fofort obrige
keitlich bemilligten Evangeliums, die Rechtfertigungslehre
Luthers nämlich, feinen in der Regel weit unterfchägten vers
lodenden Reiz übte.“ (6. 717 f) Am zahlreichften waren
bie Wiebertäufer in Tyrol, verhältnigmäßig viel weniger
fanden fid) in Bayern, wo freilich aud) eine ziemlich große
Anzahl hingerichtet wurde. „Man hört zwar bis auf
biefe Stunde von ganzen Schaaren neugläubiger Belenner,
bie für Luthers „„Evangelium"" mit ihrem Blute Zeugnig
gegeben hätten; welche Bewandtniß e8 aber in Wahrheit
mit diefen lutherifhen Martyrern gehabt haben mag, das
für bietet Bayern ein ſchlagendes Beifpiel. Iene zu
Landsberg, Münden, Burghaufen und an andern Orten
Bayerns hingerichteten Wiedertäufer figuriren feit. faft
hundert Jahren als „„evangelifhe Blutzeugen.“! Ihre
teligiöfe Richtung wäre in den Augen Luthers und vor
jeder neugläubigen Obrigkeit nicht weniger ein todes⸗
würbiges Verbrechen gewefen, als vor fatholifhen Sxis
Punalen; weil fle aber in bem Fatholifchen Bayern büßten,
mußte fie aus „„Teufeld-Martyrern“" eiligft in nnMartyrer
Chriſti““ umgeformt werden." (&. 721 f.)
Hiemit find wir mit unfern zum Theil wórtlidjen
Mittheilungen am Schluffe ber Joͤrg'ſchen Schrift ange»
langt. Diefelbe fließt fid) enge an bie hoͤchſt verdienft-
volle Reſormationsgeſchichte Döllingers an, da fie, wie
die feptere, uns auf urfunbfidem, authentifhem Wege
mit ben wirkenden Perfönlichfeiten und ben treibenden
Parteien jener bewegten Zeit genau befannt macht. Werke
diefer Art müffen bem Hiftorifer die Baufteine liefern, um
auf funftmáfige Weife ein moͤglichſt anfchaulihes unb
658 Sig,
getreues Bild einer Periode entwerfen zu fónnen. Wir
fprechen daher gegen Herrn Jörg ben Wunfch aus, derfelbe
möge in ven fo reichhaltigen Münchner Bibliothefen und
Archiven feine Quellenftudien eifrig fortfegen, um fo aud
fernerhin zu dem Aufſchwung ber fatboliíden Geſchicht⸗
ſchreibung beizutragen. So anerfennenówertb aud) bie
Bemühungen ber neueften Zeit find, bie Gedichte des
16ten und 17ten Jahrhunderts in ihrem rechten Lichte
darzuftellen, fo ift bod, wie jedem Kenner ber einfchlägigen
Kiteratur befannt fein wird, von fatholifher Seite nod)
viel zu wenig gefhehen, um ber befonberó in Beziehung
auf jene Zeitperiode fo viel verbreiteten Geſchichtsverfaͤl⸗
fung, zu welcher eine Zeit lang leider fogar katholiſche
Gelehrte mitgewirkt haben, unb welde mit ihren Elabo⸗
raten — man benfe z. B. an die Schiller’fhen Werfe —
beinahe ben ganzen gebildeten und halbgebildeten Theil
unferer Nation überfluthet hat, mit größerm Erfolge ent»
gegengumirfen. — Die Form der von Herrn Jörg ges
wählten Darftelung hat ihre Licht» und Schattenfeite.
Es fonnten zwei Wege eingefhlagen werben. Entweder
fate ber Herr SBerfaffer die Refultate feiner Studien in
Häre, überfichtlihe Säge zufammen und fegte bie Belege
theils unter den Tert, theild in,ben Anhang. Ge wäre
εὖ für den Lefer leichter gemefen, das umfangreiche, fehr
gehaltvolle Werk durchuarbeiten unb fidere Refultate zu
gewinnen. Oder aber das archivaliſche Material wurde,
wie hier gefhah, fo viel als möglich wortgetreu felbft in
bem Texte verarbeitet. Wenn aud) auf diefe Weife das
Werk für ben Forſcher und aud) für den Staatsmann,
für ben es {εὖτ Ichrreih fein kann, vielleit an Werth
gewann, fo wird doch ſicherlich durch bie fdrwerfällige
Deutſchland In ber Mevolutionspertobe. 659
Darftelung unb bie mühjame Portentwidlung ber Ber
hättniffe und Greigniffe mander Leſer abgeídiedt, das
Buch ganz burdyulefen, befonberó ba aud) bie Eintheilung
des Stoffes mande Wiederholungen unvermeidlich macht.
Nichts defto weniger laden wir unfere Lefer mit gutem
Gewifjen zum gründliben und gewiß für Jeden lohnenden
und genufreiden Studium diefer Schrift ein. Der Herr
Verfaſſer, welchem eine männlichsfräftige, bie unb da fogar
an baó Derbe ftreifende Sprache zu Gebot ftebt, zeigt
fid überall, wie es fid) befonders für ben Geſchichtſchreiber
einer fo traurigen Periode unferer vaterländiihen Ger
ſchichte, deren Stadymirfungen nod) in der Gegenwart recht
fühlbar find, geziemt, von bem Ernſte der Gade tief
burdjbrungen. Ueberall if feine Schrift von edt kirch⸗
lidem Geifte durchweht. Daß bie fpecifiihebayerifche Auf⸗
faffung ber Verhältniffe einen Nichtbayer, welcher über
ben vielen Glanjpunften der bayerifchen Geſchichte neuerer
und neuefter Zeit aud) bie ftarfen Schattenfeiten nicht
überfieht, zuweilen nicht ganz angenehm ajficire, wird
Herr Joͤrg felbft begreiflic finden. Doch müffen wir ihm
ſchließlich das Zeugniß geben, daß er fid) nicht felten aud)
über den Standpunft feines engern Vaterlands auf ben
echt nationalen, welder ja ben in gewifien Schranfen
geltend gemachten particulariſtiſchen nicht ausfchließt, auf
einige Yugenblide zu erheben gewußt habe.
Dr. Briſchar.
660 Abel,
5.
1. fünig Philipp der Hohenftaufe, von Dr. Helnt. 8. Otto
Abel, Privardocenten der Gefchichte an der Unlverſtiat Bonn.
Mit ungebrudten Quellen. Berlm 1852. Verlag von
Wilh. Her. XVL 408 ©. 8. Preis Afl. Oft.
2. Engelbert der Heilige, Erzbifchof von fióln unb Reiche-
verwefer, von Dr. Iulius Sicher, Profeffor ber Geſchichte
an ber f, f. Univerfität zu Innöbrud, Köln 1853. Verlag
von I. M. Heberle. IX. 365 €. 8. Preis 1 fl. 45 fr.
Die beiden Schriften, in welche wir im 9tadftebenben
den Peferfreis der Quartalſchrift einführen, behandeln
Gegenflände, welche für bie mittelalterlihe Reihe» und
Kirchengeſchichte des deutſchen Volkes von großer Wichtig-
keit find. „Monographifhe Behandlungen einzelner Abs
fénitte aus unferer vaterländifhen Geſchichte,“ fagt ber
Verfaffer des erften Werfes mit Recht, „bevürfen vom
ſtrengwiſſenſchaftlichen Standpunkt aus feine Rechtfertigung.
G6 find bie nothwendigen Baufteine, aus denen erft fid
das fefte und fehöne Gebäude einer deutſchen Geſchichte
wird zufammenfügen laſſen, wie wir fie fhon lange wuͤnſchen
und erfireben, Als ein folder Bauftein möchte aud) bie
vorliegende Schrift angefehen werden; und daß gerade für
bie Zeit der Staufen gründliche Einzelforfhungen weniger
Noth thaͤten, wird Niemand behaupten wollen. Gebrängte,
geiftreihe, micht tabellariſch trodene Darftellungen einer
ganzen Volks⸗ ober Zeitentwidiung find für ven Laien
kaum minder ſchwierig zu verfteben, als für die Geſchichts⸗
forfcher fie zu fehreiben, und für beide ein gefährlich Ding.
Gediegene Belehrung ſowohl wie tiefere wahrhaft menſch⸗
liche Anregung wird immer nur ber für fij erwarten
König Polipp ber Hobenftaufe. 661
dürfen, ber mit ben Menſchen der Vergangenheit und
wäre es aud) nur eines kurzen Zeitraumes, inniger vers
traut zu werden fid) die Mühe nimmt. Trägt bod) aud)
der Geofog reiheren Gewinn davon, wenn er einem eine
agen SBunfte der übereinander gelegenen Erdſchichten nad
gräbt, al& wenn er leichten Fußes über weite Streden
dahinfhürft. Zu einer ſolchen eindringendern Behandlung
mag das ftaufiihe Zeitalter gewiß vor manchen andern
einladen. Die BPerfönlichkeit König Philipps wird aller»
dings burd) die hervorragenden Geftalten der beiden Fries
bride vor und nad) ihm in Schatten geftellt; aber fle ift
immerhin bebeutend genug, um, wie eó [don ber Kürze
halber auf bem Titel geſchah, al Vertreter ber von mir
gefhilverten Zeit gelten zu fónnen, einer Zeit, bie durch
das Große, was in ihr gefhah, unb nod) mehr darin
vorbereitet wurde, eine gründliche Erforſchung im höhern
Maaße erfordert, als glänzendere, barum aber aud) viels
leicht ausführlicher bargeftellte und leichter verftändliche
Epochen.“ (S. VIII f.)
Wie hat nun ber Herr Verfafier feine Aufgabe gelöst?
In bem erften Abſchnitte (S. 1—12) ſchildert er bie
fpätere Regierungszeit Friedrichs L, in welder diefer auf
andere Weife zu gewinnen fuchte, was ihm in bem ftampfe
mit den gombatben und mit bem großen SBapfte Alerander III.
nicht gelungen war. Der unerwartete Tod des genannten
Kaifers rief feinen Sohn Heinrich, welcher feit Jahren in
die Staatsgeſchaͤfte eingeweiht war, auf den erften Thron
ber Ehriftenheit. Im der Charakteriſtik biefed merkwürdigen
Mannes gibt fid) der gibellinifhe Standpunft, den. der
Herr Berfaffer einnimmt, vecht deutlich zu erfennen. „Leicht
dazu geneigt, am Einheimifchen zu verbammen, was et
Sgesl. Ouartalfrift. 1858. IV. Hei. 44
662 MENS
am Fremden verzeiht oder bewundert, bat ber Deutſche
feine vielberufene Unpartheilichfeit aud) an Kaifer Friedrichs
Sohne erprobt. Ohne die Zeit, in der er handelte und
bie Menſchen, mit denen er zu tun hatte, Hinlänglich zu
fennen ober in Anſchlag zu bringen, ift man gewohnt, bie
einzelnen Züge feiner Graufamfeit in Sieilien mit greller
Einfeitigfeit hervorzuheben. Das ſchwarze Bild zu voll
enden, bietet fid Richard Löwenherz und ber Sänger
Blondel dar. Ueber der fentimentalen Theilnahme, melde
man bem tapfern aber ſchlechten engliihen König zumwen-
bet, hat man ben geídidotliden und vaterländifhen Ger
fihtspunft für bie Beurtheilung des Verhältniffes zwiſchen
Heinrich und Richard verloren, und eine großartige Herrſcher⸗
geftalt ift in der Erinnerung des eigenen Volkes zur ge-
woͤhnlichen Tyrannenfigur erniedrigt, die dazu dienen muß,
ben falfhen Glanz eines Romanhelden zu erhöhen. An
dem Italiener gieng Heinrich während feiner furgen Herr
haft vorüber, furdtbar prächtig „„wie biutiger Nord⸗
lichtſchein.“ Dem Deutſchen aber folte ihn das allein
ſchon unvergeßlih machen, baf er wie fein anderer das
Uebel unferer Zerfplitterung an der Wurzel angriff. Wenn
irgend jemand, fo hat er Anſpruch darauf, nicht allein
mad) dem, was er vollbracht, beurtheilt zu werden, fon
bern nad) dem, was er gewollt bat und nur burd) einen
früfieitigen Tod durchzuführen verhindert worben if.“
Go ſchwierig die Verhältniffe waren, unter denen Hein
tid VI. den Thron beftieg, fo wußte er fle bod durch
feine Seftigfeit und Klugheit feinen Planen bienfibar zu
maden. Deutfhland war auf bem Wege glei ὅταπν
reich zu feiner fiaatlihen Einheit zu gelangen. Den ent
ſcheidenſten Schritt dazu that Qeinri VL, als er mit
König Philipp der Hohenſtaufe. 663
feinem Antrag hervortrat, welder das ganze deutfche
Staatsreht umgeftalten mußte. „Es handelte fif) um
nichts Geringered, ald das Recht der Kaiferwahl, ben
Stolz der Fürften, das Unglüd unferer Geſchichte aufzus
heben unb Deutfhland zu einem Erbreich zu machen. Wie
unerhört man aud) diefen Gedanken fand, bei der Macht
und Staatöflugfeit des Kaifers, bei der Größe beffen,
was er dafür zu bieten hatte, erſchien er nicht zu Fühn.....
Bon Kaifer Heinrich VI mochte in Wahrheit gelten, was
ein frangöfifcher Chroniſt jener Zeit feinem verhältnigmäßig
doch fo machtloſen König Philipp nabrühmt, er fei in ber
Meinung gemefen, ein Mann genüge, bie ganze Welt
iu beherrſchen. Aufgewachſen in den idealen Vorftellungen
feines Vaters von der Bedeutung des Kaiferthums, als
Jüngling (don im Befig einer Macht, wie fie feit Karl
dem Großen fein Fürft mehr inne gehabt‘, büudte ihm
fein Ziel unerreihbar. Die Herrlichfeit und Macht der
alten Gáfaren, als deren Erbe und Nachfolger er fid)
betrachtete, follte erneuert und alle Fürften in das Ver—
haͤltniß faiferlider Vaſallen zurüdfehren." (S.20 f.) Schon
übergab Richard von England alle feine Staaten dem
Kaifer, um fie af& Rehen wieder aus feiner Hand zu et»
halten und dadurch gegen den kriegeriſchen König Philipp
Auguf von Frankreich zu fhügen. Um Richard als Werks
zeug gegen ben Leßteren zu benügen unb in alle Kriege
des Feſtlands zu verwideln, belehnte ibn Heinrich VI. mit
Südburgund unb dem ganzen ganbftrió an der untern
Rhone zwifhen den Alpen und Pyrenden: Länder, in
denen bie deutfche Dberherrlichkeit teil gar nicht aner⸗
fannt, tfeiló wenig zur Geltung gebracht wurde, Der
Papſt wurde von allen Seiten -beengt: der Präfeet von
44 *
664 Abel,
Rom wurde von dem Kaifer eingefet und {εἰδῇ bie rechte
Tiberſeite der Stadt nod zu Toscana gerechnet, mit wels
chem des Kaifers Bruder Philipp belehnt wurde. Selbſt
bie Länder ber pyrenäifhen Halbinfel wurden in ben Plan
der Weltherrfchaft hereingezogen; aus Nordafrika, wo
Roger einft eine Herrfchaft ausgeübt, famen maurifche Abs
gefanbte mit Gefdjenfen; der Fürft Boemund von Antiochien
leiftete bereit6 im Jahr 1190 bem Herzog Friedrich von
Schwaben al8 bem Stellvertreter des Kaiferd ben Lehens⸗
eid. Desgleihen bekannten fid die Könige von Armenien
und Cypern als 98afallen des römifhen Kaifers. Schon
ift ein deutfches Kreuz verfammelt; (don nimmt Heinrich
ben weiten Landftrih von Gpibamnué bis Theflalonid
als zum Normannenreich gehörig in 9Infprud), unb vers
langt Schiffe zur Ueberfahrt feiner Truppen nad) 9Batáftina.
Der erfchrodene griedhifche Kaifer aber, bem mur bie Wahl
zwiſchen Krieg unb Tributzahlung gefaffen wird, ſchreibt
eine deutfhe Steuer aus. Die volle Saat der Entwürfe
ift jur Erndte reif, da wird ber Kaifer 32 Jahre alt
durch ben Tod von bem Weltfpauplape abgerufen. „In
alle Ewigkeiten,“ fo ruft ifm ber Moͤnch Dtto von St.
Blaſien aus feiner einfamen Zelle im Schwarzwald nad,
„werde diefes Kaifers Sob von bem Volke der Deutſchen
beffagt; benn er hat fie groß und gefücdtet gemacht bei
allen Bölfern ringsum, und bei längerem Leben hätte er
des Reiches alten Glanz wieder heraufgeführt." Auf eins
mal änderte fij vom Grund aus bie Lage der Dinge.
Alle bie widerftrebenden Kräfte, die des Kaiſers mächtiger
Wille zufammengehalten und fid) dienitbar gemacht hatte,
fudten jet wieder ihre eigenen Bahnen. Die Gefahr
war vorüber, bie ber Selbftändigfeit der abendländifchen
König Philipp der Hohenſtaufe. 665
Staaten, bem Sein des byzantinischen Reiches gebrobt
hatte. In bem fangen Kampf zwifchen Kirche und Staat,
der fhon beinahe zu Gunften des Kaiferthums entſchieden
war, fiel nun, als hätten Friedrich unb Heinrich nur für
ihre Gegner gearbeitet, ein leiter Sieg dem Papftthum
zu. Dem deutfchen Volk erfparte ber plóglide Tod des
Kaifers das glänzende Unglüd einer Weltherrſchaft. Aber
dafür warb der Sammer des SBürgerfriegó fein Loos.
Ausgefchloffen von ben hohen Zielen, bie ihr Heinrich ger
ftedt hatte, verzehrte fi die überftrömende Kraft und
Thatenluſt ber Ration fortan in inneren Kämpfen." (&. 36.)
Eine der nadjtbeiligften Folgen des unerwarteten Todes
Heinrichs VI. war bie politifhe Spaltung Deutſchlands,
da ein Theil ber Reichsfuͤrſten ſtatt des bereits früher
gewählten unmündigen Friedrichs von Sieilien deſſen
Oheim Philipp von Schwaben, die Oegenpartei Otto
Heinrichs des Löwen Sohn wübite Die Wahl Otto's
war hauptiählih das Werf des Erzbiihois Arolf von
Köln, welcher vom engliiben Ginfluffe geleitet wurde.
Sotto hatte feine Jugend in der Umgebung feines Oheims
Richard zugebraht, von bem er beträchtliche franzöfi he
8 figungen au Lehen erhielt. Er hatte ſich bie jranzoͤſiſchen
Sitten und Sprache des anglonermannifden Adels zueigen
gemadt. Bon Natur aus hart und ungeſchmeidig, legte
derſelbe unbeugfamen Troß und an Tollfühnheit grängenden
Muth an den Tag, während Philipps milder und ruhiger
Charakter gerne Schonung und Nachgiebigfeit beobachtete
unb den Weg flug geführter Unterhandlungen bem Kampfe
vorzog.
Es würde zu weit führen, unfern Lefern bie Ges
ſchichte des langjährigen vielverfeplungenen Thronftreites zu
666 Abel,
erzählen. Bon großer Bedeutung war e$, für welche ber
beiden Partheien fid) der römifche Stuhl erklären würde.
In der Auffaffung Innocenz II. weicht der Verfaſſer ente
fhieden von Hurter und aud) von Friedrich Böhmer
ab, beffen Regeften ihm übrigens eine trefflihe Vorarbeit
lieferten. Abel läßt Innocenz III. das politife Syftem
Gioberti's, welches diefer in feinem Primate aufgeftellt
hat, anticipiren," indem er den großen Papft zu einem
Befreier Italiens von der Bremdherrfchaft ganz im mos
denen Sinne des Wortes herunterfegen‘ möchte. — 916
Dberhaupt der Kirche ben chriſtlichen Voͤlkern und Laͤndern
allen gleich nahe geſtellt, verlaͤugnete er doch in Gefinnung
und Handeln nie ben gebornen Italiener. Jtalıen, bem
nad) göttliher Beftimmung die Herrfhaft über alle andern
Länder zufommt, foll aus feiner Zerriffenheit und ber
brüdenben Fremdherrſchaft erlöst unb unter des Papſtes
unmittelbarer Leitung al Kirchenſtaat vereinigt werben.
Das if fein Gebanfe und fein πάώβεθ Ziel. Die Gv
bitterung unb der Haß des Volkes gegen bie Deutichen
und die Verwirrung, bie mad) bed Kaifers Tode und
Philipps .rafdyer Umfehr allentpafben eingetreten war,
Tam feinen Abfihten zu Hilfe. In planmäßigem Vorgehen
gelang es ihm während ber erften Jahre feines Pontificats
von Rom aus in immer weiterem Kreife die Deutſchen zu
verdrängen und feine eigene Hirrfchaft herzuftellen, wo er
aber größere Anſpruͤche für beu Augenblid nod nicht
durchzuſetzen vermochte, wenigftens bie Oberherrlichfeit und
den Einfluß der Kirche zu wahren und zu befefligen....
Der harte Drud, ben bie Deutihen ausgeübt hatten, ließ
ihn als nationalen Befreier erídyeinen und faft ohne Wider⸗
ftanb zu finden, feßte er fi in ben unmittelbaren Beh
.
König Phupp der Hohenfaufe. 661
des gröftten Theiles von Mittelitalien." (S. 74 f.) Ber
fannt ift, daß Snnocenj II. die Sache Otto's, welder
bem der Kirche von jeher ergebenen Geſchlechte der Welfen
angehörte, begünftigte,, wenn er aud) im Ganzen genome
men zwifchen beiden Parteien eine feiner hohen Würde
angemeffene ſchiedsrichterliche Stellung zu behaupten fudte.
Diefer Umftand verſchaffte Otto den Uebertritt einiger
einflußreiher Prälaten, welche ben kirchlichen Standpunft
höher als den politischen ftellend, ihre Rüdfichten gegen
das hohenitaufifche Haus hintanfegten. So der Biſchof
Konrad von Würzburg, welcher als Hojfanzler Heinrichs VI.
und Philipps in beftändiger Umgebung des Letzteren ger
weien war und von ben Rittern von Ravensburg aus
Privathaß und Rachſucht meuchlings ermortet wurde, auf
defien Leibe man die Spuren von Selbitgeißlung und ein
bárincó Hemd gefunten haben wollte, weßhalb er von
feinen Freunden als Martyrer der (reibeit der Kirche ἢ
gepriefen wurde. Die mit großem Eifer betriebenen Unters
handlungen Philipps mit dem rómiíden Stuhle führten
endlich im Jahr 1207 dahin, daß derfelbe von dem päpfte
lichen egaten zu Worms feierlich von dem Banne los-
geſprochen wurde. Comit war ein Qauptbinberni der
Erweiterung feiner Macht aus dem Wege geräumt. Die
Lage Otto's dagegen verihlimmerte fid) damals aud in
fofern, als fein Beihüger, König Johann von England
feldft durch ben eroberungsluftigen König von Granfreid)
hart bebrüngt wurde. Dagegen verband fib jegt Dito
mit Waldemar von Dänemarf, ju befjen Gunften bie
nördliche Reichsgrenze preisgegeben wurde. Im Jahr 1208
war bie bódfte Spannung ber Dinge eingetreten. Die
Entfheivung des Kampfes, welche in nádfter Ausficht
668 Abel, König Philipp der Hohenſtaufe.
fand, fonnte für Philipp faum mehr zweifelhaft fein, ba
fiel berfefbe burd) die Hand Otto's von Wittelsbach. Die
Umftände, unter benen biefe That vorfiel, und bie Art
und Weife ihrer Ausführung, machen biefelbe zu einem
hiftorifhen Raͤthſel, ,faft fo unerforſchlich als bie göttliche
Sügung, bie fle gefhehen lief." Daher bie verſchiedenen
einander widerſprechenden Darftellungen und Beurtheiluns
gen, welche biefelbe gefunden hat. Beſonders auffallend
ift, wie Luden, bemüht „einen Schanvfleden aus ber
Geíbidte des deutſchen Volkes auszutilgen und einen
beutíden Fürften edlen Stammes von einem Verbrechen
zu reinigen, weldes länger als 600 Sabre an feinen
Namen geknüpft worden ijt," bie Mordthat aus einer
während eines ſcherzhaſten Spieles vorgefallenen Unvor-
fihtigkeit hervorgehen läßt. Nach ver ziemlich überzeugenden
Darftellung Adels war die Ermordung Philipps nicht eine
That plóplid) auflodernder Rachſucht, fondern einer mit
^ faltem Blute eingeleiteten Verfhwörung. Zweimal nad
einander wurbe fo burd) ben Tod der beiden hohenſtaufi⸗
fen Brüder der ruhige Gang ber deutſchen Geſchichte
unterbroden — durch den Heinrichs VI. nad) einer zwar
kurzen, aber mit großer Conſequenz und Energie geführten
Regierung, dur ben Tod Philipps nad) einem bem Ende
nahen zwölfjährigen Bürgerfriege. Als Schluß hat ber
Herr Verf. feiner in formeller Hinfiht febr gelungenen Dar⸗
ſtellung Philipps einige am ben Tod defielben fih an.
fließende Betrachtungen beigefügt, welche bie Verringes
tung des Reichsguts, die Macht der römischen Kirche,
deren Erhebung gegenüber bem Kaiſerthume beklagt wird,
das Kaiſerthum und Königthum, das Rittertfum und
Dürgertfum, bie Verbreitung und Einheit ber deutſchen
Bieter, Engelbert der Heilige. 669
Schriftſprache und ber deutfchen Dichtung zum Gegen»
Rande haben. Eine intereffante Beigabe zu bem legteren
Shunfte bildet bie in den Anhang aufgenommene furje
Ahandlung Karl Simrofs „über Kaifer Heinrih VI.
als Liederdichter.“ Sonit enthält ber Anhang außer einer
reihen Anzahl von Anmerkungen einige Nachrichten über
ungedrudte Quellm und Auszüge aus benfelben, darunter
einige ungebrudte Briefe zum Theil von Innocenz IIL; end»
lid) noch ſechzehn Stammtafeln zur Geſchichte König Philipps.
Der Berfaffer des zweiten Werkes, Herr Ficher, hat
das Gebiet der deutſchen mittelalterlihen Geſchichte bereits
mit Gtüd anzubauen begonnen in feiner Schrift „Reinald
von Daffel," mit welder wir zu feiner Zeit die Lefer der
Quartalfchrift befannt gemacht haben. Bei ber Wahl
feines Stoffes war der Herr Berfaffer von dem Geſichts⸗
punfte der Provinzialgeſchichte ausgegangen, infoierm et
einen Beitrag zur Geſchichte Rheiniranfens und Weſt⸗
phalens zu geben beabfihtigte. Doc find auf der andern
Seite bie Verdienfte des δ΄. Engelberts um das deutfche
Reich fo hervorſtechend, daß berfebe aud) in ber Reichs—
geſchichte eine ehrenvolle Stellung einnimmt, während auf
der andern Seite das Erzbisthum Köln damals eines bet
bebeutenbften Glieder des Reiches war, und ein ſchweres
Gewicht in bie politiihe Wagſchaale legte. „An ben
Namen Engelbert des Heiligen fnüpfen fid für Köln, für
das Rheinland Erinnerungen an vergangene Größe und
Herrlichkeit; Engelbert in feinen Doppelbeziehungen , bier
als Erzbiſchof und Herzog zu Köln, dort als Schirmer
des Reihe und ald Heiliger der Kirche muß vor Andern
den NRheinländer mahnen an die großen Tage der Vorzeit
feines Stammes und feines Landes.” (6. 1.)
610 gute,
Engelbert entfproßte bem Haufe der Grafen von Berg,
welches in bem norbweftlihen Deutfchland als eines der
mädjtigften und einflußreichften Dynaftengefchledhter eine
große Rolle fpielte. (S. 14 ff.) Einer feiner Verwandten
Adolph von Altona war es gemefen, welcher als Cry.
bifdof von Köln durch Einhaltung einer reichsfeindlichen
Politif und durch Erhebung be Welfen Dito zum Begen-
Könige Philipps den langwierigen Thronfreit fammt dem
daraus hervorgehenden Unheile verſchuldete. (&. 20 f.)
Engelbert felbft erhielt fhon al& Knabe die Stille eines
Propftes zum hl. Georg in Köln. Im Jahre 1199 wurde
die Stelle eines Dompropitcs, die erfte Würde der Kölner
Kirche nad) dem Erzbiſchofe, erledigt. Bon einem Theile
der Wahlberechtigten wurde Engelbert und von dem übrigen
Dietrich von Heinsberg gewählt. Der Streit wurde vor
Innoeenz ΠῚ. gebracht. Nachdem er fib gegen 4 Jahre
hingezogen hatte, trug Engelbert, welder inzwiſchen das
erforderliche canonifdbe Alter erreicht hatte, den Sieg dar
von. Als ber Erzbiſchof Adolph zu Philipp übergieng,
verlich aud) fein Vetter Engelbert bie von dem Papſte
bevorzugte Partei ber Welfen. An dem nun entflehenden
Bürgerfriege in dem Griftüite Köln nahm Engelbert thätigen
Antheil, unbefümmert um den Bann, welder auf Befehl
des Papſtes über ihn verhängt wurde. Die Wendung
ber Dinge zu Gunften Philipps und deſſen gleich darauf
erfolgter plögliher Tod griff aud in Engelbertd und
Adolphs Geſchicke tief ein. Im Jahr 1209 wurde Engels
bett von dem Banne losgeſprochen; zur Sühne übernahm
er das Gelübbe eines Kreuzzuges gegen die Albigenfer,
welches er bann aud im Jahre 1212 ausführie. Als
ber neue Erzbiſchof Dietrich von Köln auf Seite des in,
Engelbert ber. Heilige. 671:
gwifchen von Innocenz II. verfluhten Otto's IV. blieb,
wurde er von ben päpftlichen Legaten mit bem Banne δὲς
legt; Engelbert ftanb aber jeht auf Seite Friedrichs IL,
welcher von der priefterlihen Partei gegen Otto IV. empore
gehoben wurde. Im Jahr 1216 wurde er felbft in einem
Alter von 30 Jahren einftimmig zum Erzbiſchof von Köln
erwählt. An bie Löfung ber fchwierigen Aufgabe, bie
durch bie verheerenden SBürgerfriege feinem Ersftifte ges
ſchlagenen Wunden wieder zu heilen und auf dem firdje
lichen unb politifhen Gebiete Ordnung wiederherzuſtellen,
ſchritt Engelbert mit Exrnft und Strenge. Bei den außer⸗
ordentlichen Faͤhigkeiten, bie er'befag, fonnte ihm das
Werk aud) gelingen. „Schon fein Aeußeres befunbete
den Herrſcher. Hatte er bereits als Knabe Aller Blide
auf fih gezogen, fo galt er als Jüngling für ein Bild
männlicher Schönheit, wie weit unb breit unter Geiſtlichen
und aien fein zweites zu finden war, eine hohe Helden⸗
geftalt, frájtig unb ebenmäßig gebaut. Es [Φίεπ, fagt
Eäfarius, al& habe die Mutter Natur in einer Perſon
alle Borzüge vereinen wollen, um aus dieſem ihrem Meifter-
werfe, wie aus einem Spiegel ihre Pracht zurüdzuftrahlen.
Auch feine bedeutenden geiftigen Anlagen hatten fid) früh
bemerfbar gemacht; bisher freilich hatte er fie faft lediglich
zur Befriedigung feines Ehrgeiges angewendet. Jetzt hatte
er das 30je Lebensjahr überfhritten. Der jugendliche
Mebermuth war dem Ernfte des Mannes gewihen, und
gerade das wilde Treiben feiner Jugend und mande
bittern Erfahrungen mögen Urſache gemefen fein, daß er
jet die Würde feiner hohen Stellung umfomehr zu wahren
und vergeffen zu machen ſuchte, was er einft gefrevelt.“
-(S. 55.)
672 δίδει,
Was feine Regierungsthätigkeit betrifft, fo war er
darauf bedacht, die weltlihe Gewalt in den beiden koͤlni⸗
hen Herzogthümern als folide Grundlage für bie 8e
feftigung und Erweiterung ber Macht des Erzftiftes, welde
während ber SBürgerfriege geſchwaͤcht worden war, wieder⸗
herzuſtellen. (€, 62 f. 78f. cf. €. 223 f., to fif der
Verfaſſer mit ber Unterfuhung über bie Herzogsgemalt
der Kölner Erzbiſchoͤſe in dem rheinifchen Lothringen fowie
in Weſtphalen befhäftigt.) Wenn Engelberts Seitgenoffe
Eäfarius von Heifterbadh über bie Großen feiner Zeit Hagt:
„Wenig Gürften, wenig Edle erfüllen bie Tage ihres Lebens
unverfürgt; nur wenige erreichen bie Jahre des Greiſes;
denn fie berauben die Armen und butd) die Thränen bet
Armen werden fle erftidt und früh ins Grab gebracht" —
fo ift begreiflih, welde Mühe es Engelbert foftete, die
Großen und Edlen wieder in ihre Schranken zurückzu⸗
weiien und feine Herzogsgewalt über fle zur Geltung zu
bringen. Ohne Zweifel war e8 nicht Herrſchſucht, wohl
aber das Streben fo viel als möglich Hilfsmittel im feiner
Hand zu vereinigen, um feine Pflichten als Erzbiſchof und
ᾧ riog um fo leichter erfüllen zu können, daß er im Jahre
1223 vie Rigierung der Grafihaft Berg an fid 09.
Wie er gegen die Großen feines Landes fireng war, und
er fib. auch angelegen fein ließ, bem nad) Unabhängigfeit
Arebenden Sinne der Kölner Bürger gegenüber feine
Herrfchergewalt aufrecht zu erhalten (S. 85 f.), fo nahm
et fid der Rechte ber Unterdrückten väterlib an. (&. 81 fig.)
Einen Ritter, welcher mehrere Juden beraubt und erfhlagen
hatte, ließ er zum Tode verurtheilen. Selbft die Ent
fiehung des weftphäliiben Vehmgerichtes fnüpft fid an
feinen Namen. Laßt fid aud) der Antheil Engelderis an
Engelbert der Heilige. 673
bet Grriótung biejeó merfwürdigen Inflituts hiſtoriſch
mit nachweiſen, fo wagt der SBerfaffer bod) bie Ver⸗
muthung, daß Engelbert fi) ber Breigerichte zur Aufrechte
erhaltung des Landfriedens und zur Stärkung feiner er»
zoglihen Macht bedient unb bie eigenthümliche Ausbildung
des Stillgerichts veranlaft oder befördert habe. (&. 84 f.)
Ein Geiftider zu Paris erklärte zu jener Zeit, ere
zahlt Eäfarius, Alles wolle er glauben, nur das eine
nit, daß ein deutſcher Bifhof zur Seligfeit gelangen
ἔδππε. Zu Engelbert felbft fol εἰπῇ nad) bemfelben Ge⸗
ſchichtſchreiber ein Moͤnch gefagt haben: „Herr, ihr feib
ein trefflicher Herzog, aber fein guter SBifdof." Nichts⸗
deftoweniger entwidelte Engelbert auch in kirchlicher Ber
ziehung große Thätigfeit. Eines ber größten SBerbienfte
um bie Kölner Kirche war bie Berufung ber Bettelmönde.
Auch ließ er fid) in biefer Beziehung durch die Vorſtel⸗
Tungen ber SBeltgeiftlidfeit, welche über Eingriffe in ihre
Stedte fíagte, durchaus nicht irre maden. Was bie
Bettelmoͤnche in Köln gewirkt haben, brauchen wir bier
nit auseinander zu fegen. Es möge hinreichen, bie
beiden Ramen der großen Scholaftifer Albert der Große
und Duns-Scotus, welde hier lebten und Iehrten, ins
Gebádtni$ zurüdzurufen. Engelbert war es aud), welder
zuerſt den Plan anregte, ben Dom des DL. Petrus neu
zu erbauen. Geinem zweiten Nachfolger Konrad von
Hochſtaden war εὖ vorbehalten, ,biefen Wunderbau, ein
Zeugniß für die fommenben Jahrhunderte, nicht nur bes
frommen Kunftfinnes fondern aud) des Reichthums und
der Macht des mittelalterlihen Köln," zu beginnen.
Ein neuer Abſchnitt in dem Leben Engelberts beginnt
mit feiner Ernennung zum Reichsverweſer, welche im Jahre
674 Side,
1220 bei ber 9tüdteife Friedrichs nad) Unteritalien fatt-
fand. (€. 105 f.) „Nur ungern übernahm Engelbert zu
den Mühen ber Regierung des Eraftifts noch die ſchwere
feft der Reichsgeſchäfte; bann aber führte er biefelben
qud) mit ſolchem Eifer, daß felbft feine Neider ifm in
diefer infit feinen Vorwurf zu maden wouften." Am
8. Mai 1222 frónte er ben jungen König Qrinrid in
Gegenwart vieler weltlichen und geiftlihen Fuͤrſten zu
Aachen. Bon ba an blieb er faft beflánbig bei bem Kür
nige, in beffen Begleitung er das ganze Rei von ben
Alpen bis zu ber Nordſee durchzog. Im diefer Stellung
vergaß Engelbert nit, daß er vor Allem ein kirchlicher
Würdenträger, der Inhaber des damals reidjften unb
mádtigften Erzbifhofftuhles war. Im Gegentheife richtete
ex feine Hauptforge auf bie Sicherftellung der Kirche, ihrer
Rechte und Befigungen, auf bie Hebung ihres Anfchene
und ihres Ginflufeé. (S. 114ff) Was feine Politit
nad) außen betrifft, fo blieb er ber Tradition feiner Vor⸗
gänger infofern getreu, als er ben König vor der zu engen
SBerbinbung mit Frankreich zurüdzuhalten und im Gegen
theil eine Annäherung an England, welches für den nieder
theinifhen Handel von großer Bedeutung war, herbeizu⸗
führen fudte. (S. 124 fi.) Engelbert hatte bereit6 im
Jahre 1215 mit vielen andern Fürften und Herrn wahr
ſcheinlich an bem frónungétage Friedrichs IL zu Aachen
das Kreuz genommen. Als ifm bie Stift6- und Reiche
angelegenheiten die Erfüllung feines Geluͤbdes nicht moͤglich
machten, ließ er fi durch ben Papft von bemfelben ente
binden. 86 aber einige Jahre fpäter bie Lage der Chriſten
im Morgenlande fid) immer troftlofer geftaltete, und König
Johann von Serujalem, welcher Europa hilfeſuchend burd»
Engelbert der Heilige. ets
309, im Jahr 1224 aud) nad Köln fam, faßte Engelbert
ben Entfchluß, bie Steidjétegierung niebergulegen unb zur
Sühnung feiner Sünden in ben Kampf gegen bie Uns
gläubigen zu ziehen. Doch wurde er burd) feinen -frühr
jeitigen Tod an der Ausführung diefes und manden ans
bern Planes verhindert. Die Geſchichte feiner Ermordung
wird ©. 145 ff. erzählt. Die Urfahe feines gewaltfamen
Todes war bie Vertheidigung der föniglihen Abtei Eſſen
gegen feinen Verwandten, ben Grafen Friedrich von Ifen-
burg, welcher bie alten Vogteirechte feines Haufes über
jene Abtei geltend machen wollte Die Geſchichte feiner
Ermordung (7. Rov. 1227) hat viele Achnlickeit mit der
des hi. Thomas Bekket, mit welder. ſchon Gáfariu&
unfern Engelbert verglichen hat. Bereitd einige Monate
nad) feinem Tode wurde Engelbert burd) ben ausgezeich-
neten Gardinallegaten Konrad von Porto (aus dem alten
Geſchlechte der Grafen von Urach, welcher nad) Honorius III.
Tode die auf ihn gefallene Wahl zum Papfte ausfchlug)
für einen Martyrer und Heiligen erklärt. Bald flieg der
Ruf feiner Heiligfeit nod) höher bei ber Nachricht von
vielen burd) die Gnade des Himmels um feiner Verdienfte
willen an feinem Grabe und auf ber Morbftärte gewirkten
Wunder, obwohl, wie e aud) bei bem hi. Thomas ger
ſchah, mande Feinde Engelberts behaupteten, fie könnten
nimmer glauben, daß ein fo ftofjger, herrſchſuͤchtiger und
ben Dingen diefer Welt ergebener Fürft Wunder gewirkt
und den Heiligen beizuzählen fei. (€. 181.)
Für das deutſche Reih mar Engelberts Ermordung
ein in feinen Folgen (diver zu bered)nenber Unglüdsfall,
Kaum hatte das Reich nad) Philipps Tode einige Jahre
Ruhe und Friede genoffen, und war der Grund μὲ einer
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Srber Gutédes al Φαίακα vendu, Ga befnitupes c
Der 19 Sjecemez wmiojunse Sir von cm wem
Engelbert der Hellige. 677
Äh zu einer Eingabe an den Eriminalfenat zu Eleve, um
bie Confiscation ber Schrift zu beantragen. Der Senat
ertheilte den SBefdeib, daß es einem jeden unbenommen
fei, fi in einer alten Legende ben Stoff zu einem Gedichte
au wählen. Die Abgewiefenen ließen nun zur Wiverlegung
biefes anftófigen Gedichtes eine Gegenfchrift erſcheinen
unter bem Titel: „Beleuchtung der Legende, genannt ber
Ienberg, worin bem bi. Martyrer Engelbertus, Erzbiſchof
von Köln, die ſchwaͤrzeſten Thaten angebichtet werben,
wider ben Verfaſſer beffelben dem Wunfche des ganzen
fathofifchen Publifums gemäß und gum Beften der Armen
herausgegeben von ber fümmtficben Fatholifhen Geiftlichfeit
der Stadt Efien und limgegenb." Dorften 1818. Als
Rautert unmittelbar nad) Grídeinen dieſer Schrift vor
dem Oberlandesgerichte zu Eleve Klage gegen bie Geift-
Tidfeit zu Gffen erhob, weil fle in ihrer Schrift beſchimpfende
Qualificationen ihm beigelegt habe, verurteilte ba& Ges
tit die Beleidiger zu Stägigem Gefängniffe oder zu einer
Geldbuße von 10 Thalern per Kopf und in bie Unfoften,
alles ohne Appellation. Die Geiftlihen entſchieden fid)
während ber 10 Tage, die ihnen zur Wahl zwifchen Ges
füngnig ober Geldſtrafe eingeräumt worden war, einftim-
mig für Gefängnis. Ehe bie 10 Tage abgelaufen waren,
wurde jedoch den Geiftfiden während ber allgemeinen Aufs
regung von Eleve aus bie Appellation bewilligt. Der
Erfolg des Proceſſes war, daß das Gefängniß erfaffen
und bie Geldbuße auf die Hälfte herabgefeßt wurde N.
Noch im Jahre 1836 hat fid) ein gewiſſer Manz erbreiftet,
1) Siehe Ficker ©. 229 {., nah Erſch und Gruber, Eucyll.
1,40. €. 148, Böhmer L c. p. XXXIV, Note.
Stet. Duartalfgr. 4858. IV. Heft. 45
678 Liebermann
in feiner Schrift: „die Iſenburg ober Friedrich von Jen
burg und Engelbert der Heilige“ jene Rautert’fche Legende
in feine angeblihe Geſchichte einzumweben. So verfügt
unfere Generation mit den größten Männern unferer Vor⸗
zeit zum Mergerniffe des katholiſchen Theiles deutſchet
Nation! Herr Sider aber hat burd) bie firdjlid) und
patriotiſch gehaltene, klar und gründlich gejd)tiebene und
überall an bie Borfhungen Böhmers fid anſchließende
Lebensgeſchichte des hl. Engelberts nicht blos bem größern
SBublicum eine angenehme und belehrende Lectuͤre, fondern
aud) einen beadhtenswerthen Beitrag zur Firchlichen und
potitifhen Geſchichte des deutfhen Mittelalters geliefert,
beffen Werth burd) die angehängten Regeften Engelberts,
und mehrere bisher größtenteils ungebrudten Aktenftüde
nod) erhöht wird.
Dr. Briſchar.
6.
Institutiones Theologicae. Auctore Fr. Leop. Br. Lieber-
mann, ss. Theologiae Doctore, Dioecesis Argentoratensis
Vicario Generali Tomus I. Complectens Prolegomena in
universam Theologiam, Demonstrationem religionis christianae
el Demonstretionem Catholicam. XX et 510. Tomus H.
Complectens Theologiam Specialem. XVI et 834. Editio 7**
emendalissima. Moguntiae, sumptibus Francisci Kirchhemii.
1853. f. 6. "
SBorliegenbe Ausgabe der Liebermann'ſchen Inftitutios
nen unterfcheidet fij von ben vorausgegangenen blos
aͤußerlich; die fünf Tomi ber frühen Ausgaben finp in
Institgtiones Theologicae. 679
wei zufammengezogen unb ift bem erften das Bildniß des
Berfaffers in Stahl geflohen beigegeben. Das größere
format (breites Großoctav) geftattete einen zweifpältigen
Drud und bei größerer Gompreffion des legtern unbe⸗
fhabet ber Deutlichkeit und Gefálligfeit bie Zufammens
feffumg ber fog. General» und Specialdogmatik je in
Einen Band. Hiedurch find zwei Vortheile erreicht, ein
billigerer Preis und bie natürlihe Sonderung. der eigent^
lifen Dogmatik von ihrer Grunbfegung, ber Apologetif,
ber fog. Demonstratio christiana et catholica; es ift bie
Anſchaffung unb ber Gebraud) des Buches erleichtert, was
bei einem Werke von fo wohlverdientem Rufe alle Be-
adjtung verdient.
Ueber ben innern, wiffenfhaftlihen Werth des Buches
haben wir ung bei Gelegenbeit der fünften Ausgabe des⸗
felben im Jahrgang 1841 biefer Zeitſchrift näher ausge
fproden. Indem wir uns hierauf einfad) beziehen, {εἰ εὖ
uns geftattet zu wiederholen, was wir am Schluffe jener
Beurtheilung ausgefprohen haben, taf fid bie Inftitutios
nen Liebermanns Jenen beflens empfehlen, bie nad einer
einfachen umb getreuen, aud) möglihft voligánbigen Dar»
ſtellung der katholiſchen Glaubenslehren Verlangen tragen.
8.
T.
1. Sernhard Schels, Priefter der Didceſe Mündhen-Breifing,
Die chrifikatpolifche fere in Srühpredigten auf alle
Sonn» unb Feſttage eines dreifachen Kirchenijahrs. Erfter
Yand. Schaffhauſen, ὅτ. Hurter’jche Buchhandlung. 1852,
©. 456. Pr. 1f. 48 f
455
680 Predigt · Literatur.
2. Predigten v. Aloys Nöggl, geweſ. inful. Abt des Pra⸗
monftratenfer-Stifts Wilten sc. — Geſammelt und heraus
gegeben von Alohs Lechthaler, Pfarrer zu Münfter.
Erfter Band, mit bem Bildniſſe und einer kurzen Bios
graphte be8 DVerfaffers. Pit bifchöfl. Approbation. Snnt.
Prud, Verlag von Carl Rauchs fBudjfanblung. 1853.
G. 455. Pr. 2f 24 ἔτ.
3. Seichtfaßliche Predigten v. Yincenz Ianfa, Pfarrer in
Goͤs, Leobner Diöcefe.e 1. Band, Sonntagsprebigten.
Zweite Auflage. ©. 433. II. Band, Fetertag&s
und Gelegenheitspredigten. Zweite Auflage
©. 260. Pr. 8 fl.
4. Die Predigt in Bildern. Katholiſche ſymboliſche Kanzel
reden für verfchtebene Feſte des Kirchenjahres. Von Anton
Dariſch, Weltpriefter. Bier Bändchen. Megendburg,
Verlag v. ©. Sof. Manz, 1850— 1851. ©. 162. 146.
129. 146. Pr. 3fL 12. Neue Folge, erfteb und
zweites Bändchen. Wien 1853. Verlag von Mayer und
Comp. ©. 162. 168. Pr. je 42 fr.
5. Homilien über die Evangelien auf ble Sage des Germ
tm fath. Kicchenjahre, von Pankraz Dinkel, erzbifchöfl.
geiftlichem Nathe und Kath. Gtabtpfarrer in Crfangen.
Erfter Band. Erlangen, Palm'ſche DVerlagshandlung.
1853. ©. 416. Pr. 2 .
6. flatfolifd)-bogmatifdye Predigten auf ale Sonn« und
Feſttage des Kirchenjahrs von Dr. &. M. Burfd. Er ſtet
Theil, vom erften Adventſonntag bis fünften Sonntag
mad Oftern. Zweiter Thell, von Ehriftt Himmelfahrt
bis vierundzwanzigften Sonntag nach Pfingften. Tübingen
1852. Verlag b. H. gaupp'[de Buchhandlung. (Laupp
u. Giebel.) ©. 506. 478. Pr. 5fl. 24 Er.
MWuedigt-Literatur. 681
τ. Leidensbilder, vierzehn Vorträge über ble Leidensgeſchichte
be8 Herrn, gehalten in ber Collegiat- und Stadtpfarr⸗
kirche zu St. Peter in Wien während ber often 1852,
von fran; Seraph Hafel, Doctor ber Theologie x.
Schaffhaufen, Verlag ber ὅτ. Hurterfhen Buchhandlung.
1853. ©. 272. Pr. 1fl. 36 fr.
8. Die Werfudung 3εῖι Chriſti. Faſtenpredigten v. P.
Earl Stern, Capitularprieſter der Benedictiner⸗Abtel zu
u. L ὅται bei den Scholten x. — Mit Genehmigung des
Hochw. Herrn Stiftsvorſtandes, wie auch des Hochw.
Furſterzbiſchofl. Ordinariats. Auf Verlangen (!?).
Der Ertrag iſt zum Beſten des Frauenwohlthatigkeitsvereins
‚In der Roffau beſtimmt. Wien 1852. In Commiſſion
bei Kaulfug W., Prandel u. Comp. ©. 188.
9. Predigten über die Kirchengebote nebft einem Anhange
von Predigten verfihtedenen Inhalte. Von Yicolaus
Martini. Trier 1851. Verlag v. 8. A. Cal. ©. 188.
Br. if. 45 fe.
10. Iefus kommt! oder Predigten und Anreden vor, bet
und nad ber Communton, nebft vielen kurzen für bie
facramentalifche und geiftliche Gommunion dienlichen Bes
trachtungen. Aus neuern franzoſiſchen Schriften geſam⸗
. melt und Bearbeitet v. "1666 f. 3ung, Beichtvater am
Klofter vom 5I. Grabe in Baden-Baden. Zweite, mit
einem ftarfen Anhange vermebrte Auflage
Mit erzbiſchofl. unb bifchöfl. Approbatton. Augsb. 1852.
Verlag der Matth. Rieger ſchen Buchhandlung. ©. 234.
Br. 1fl.
11. fran Iofeph Mofer’s weiland Dompredigers und pro»
fefford zu Straßburg ſaͤmmtliche Kanzelreden. Heraus
gegeben von Dr. Käß, Biſchof von Straßburg und
682 Vredigt ⸗ Literatur.
Dr. Weis, Biſchof v. Speher. V. u. VI Band, ober
Lu. 1 anb ber Glaufenüprebtgten. Zweite
Auflage. Conſtanz, Verlag von W. Med. 1853.
©. 242 u. 254. Pr. 8 fl.
Wenn man nad Umfluß eines Jahres eine Heine
Umfhau in der Predigtliteratur halten will, fo find der
Producte fo viele, ba man in einer Anzeige, wie fle ber
Raum diefer Zeitfrift erlaubt, unmoͤglich Alle berüde
fihtigen fann. Ref. muß daher aud diefes Jahr Manches,
was er gerne in ben Kreis feiner Beſprechung gezogen
hätte, abſeits liegen laffen, und wählt deßhalb unter den
homiletiſchen Erfheinungen, welde ihm in die Hand ges
fommen find, diejenigen aus, bie ihm vor Andern eine
SBe(predjung zu verdienen ſcheinen.
1) Schels fudit in einem dreijährigen Predigteyclus
das ganze Gebiet der chriſtlichen Heilswahrheilen und des
chriſtlichen Lebens in Ftühpredigten abzuhandeln. Er befolgt
dabei bie Eintheilung des Katechismus von Deharpe, und
weiſt je einem Kirchenjahre ein Haupiftüd zu.
Die Brage, ob εὖ gerathen fei, ohne Beſugnahme
auf bie SBericope unb die eintreffende Firchlihe Feier, einen
aufammenhängenden fpfematifd) geordneten Predigtftoff für
ein ober mehrere Jahre auszuwählen, if hinſichtlich bet
Predigten von Schels von untergeorbneter Bedeutung, ba
er nicht Predigten für den Haupt» fonbern Neben- (Brüh)
gottedbienft bieten will. Für ben Hauptgottesdienſt fönnten
wir eine derartige Stoffauswahl und Ordnung nicht
billigen. Ich erinnere nur an baé Inconveniente, wenn
man, wie in blefen Frühprebigten gefhieht, an den Faſten⸗
fonntagen von ber Zeit unb Weiſe der Schöpfung, von
Vrcdigt · iteratut. 888
ben verſchiedenen Geſchoͤpfen, a8 Firmament, Erde, Paras
dies, Sonne, Mond, Sterne u. f. m. oder am Pfingſtfeſte
von ber bf. Dreieinigfeit predigen wollte. Anders verhält
εὖ fid mit Predigten in einem 9tebengotteóbienfte, fei es
in der Frühe ober dem Nachmittage. Da fid zu ſolchem
Gottesvienfte vielfah Dienftboten und Leute, bie bem
Hauptgottesvienfte anzumohnen gehindert find, einfinden,
fo fónnen mit großem 9tugen Feine Predigten gehalten
werden, die ben vorherrihenden Eharafter einer zuſammen⸗
hängenden Unterweifung in der chriftfatholifhen Religion
haben. Hiedurh wird ber oft mangelhaften religiöfen
Erkenntniß nachgeholfen, und werben die Leute durch regel⸗
mäßige Aufeinanderfolge der zu behandelnden Materien
mehr angerogen, ba fie feine üde haben wollen.
Der Berf. ift. fid) diefer Aufgabe wohl bewußt ges
blieben. Er fagt felber von feiner Predigtweife ©. 7:
„Was die Art und Weife betrifft, wie id) zu prebigen
pflege, fo habt ihr biefelbe fhon genugfam fennen gelernt,
naͤmlich gut deutſch; b. f. redlich und aufrichtig, flar unb
ohne Umfchweife, offenherzig unb zutraulih, gerecht unb
wie εὖ if, fo gut ich εὖ fann und vor Gott erfenne.
Wem meine Rede zu niedrig Flingen will, ber wiffe, daß
das Wort Gottes ohnehin [don bod genug ift unb
ſchwerer verftanben wird, als man glaubt. Wem ἰῷ zu
einfältig und ohne redneriſchen Schmud (prede, der mag
nur meine Worte veiflich erwägen und felber fie fo ſchoͤn
ausmalen, wie er will, Wem id) zu (darf prebige, ber
wiffe, daß ἰῷ nicht wider ihn fondern wider bie Lafter
zu Felde ziehe, nicht feine SBerfon fonbern bie Sünde geifle.
Habt alfo Geduld mit mir, Gott hat fle mit eud aud."
Der erfte Band, ber vor und liegt, verbreitet fid)
63 Brebigt-Eiteratur.
über das erfle Hauptftüd des Katechismus, vie Wahr⸗
heiten, bie man glauben joll. Sn 65 Predigten
die vom Reujahrstage an auf tie Eonn- unb Feftage
vertheilt find, geht der Verf. bie weientlihen Wahrheiten
des Glaubens fo grünblid) und vollüünbig durch, taf in
bigfer Beziehung nicht viel zu wünfchen übrig bleibt. Bald
herrſcht der unterweifende Ton vor, und wird in der Weile
des fatechetiihen Verfahrens rubricirt und erflärt (cf. ©.
10. 13. 45. 174. 237. 404. u. v. a. O.), bald herriht
der homiletiſche Ton vor, ber oft redneriſch febr gehoben
ift, in &olge beffen bie Predigten viele Stellen und Aus:
führungen enthalten, bie an xhetorifcher Eindringlichkeit
feiner Predigt nachftehen.
Ref. anerfennt gerne, daß ihm der Verf. in biefer
Behandlungsmweife glüdlid) zu fein ſcheint. Er bewegt fih
nie zu lange in trodenen abftracten Ufterweifungen, fondern
bringt bie vorgetragenen Wahrheiten immer in Bezug zu
den Lebenserſcheinungen, und greift oft recht anſchaulich
in die concreten Geftaltungen des Lebens ein. Er dringt
dabei mitunter fo lebhait auf den Zuhörer ein, daß bicjer
bewegt werden muß 3. B. €. 157. 191. 406. 451; vidt
Gmpringlichfeit wird faft eine zu ftarfe Zudringlichkeit
€. 314: „O Gott, wie lange werden Viele darin (im
Begfeuer) bleiben müffen! Alle Tage fo viele unüge Worte,
fo viele Scherzluͤgen, fo viele Ausbrüce des Zorns und
der Ungeduld! Probirt es einmal, und haltet einen Finger
nur eine balbe Viertelftunde [ang über ein Kerzenlidt!
Würdet ibr nicht aljegleib laut aufihreien? Was muß
τ exit fein, einen ganzen Sag, ein Jahr, hundert Jahre
dieſen Schmerz auebalten zu müflen!“
Ref bezeichnet dieſe Frühpredigten fowohl nad
Berdigt-fiteratur, 685
ihrem Inhalte, der vein kirchlich unb wahrhaft religida ift,
als aud) nad) ihrer Form, bie für ben vorgejegten Zweck
paſſend gewaͤlt iſt, ohne Anſtand als im Ganzen wohl
gelungen.
Er erlaubt ſich aber auch um ſo unverholener auf
dasjenige hinzuweiſen, was ihm mangelhaft und verfehlt
ſcheint. Die Predigt nr. 3 „es ift ein Gott," hätte et»
fpart ober füglid mit nr. 4 in Eine zufammengezogen
werben fónnen. Die Predigt über bie Abgötterei &. 31
ift verfehlt; wozu in einer Frühpredigt ober aud) in einer
Predigt überhaupt all bie Namen ber heidnifchen Gott»
heiten bei den Deutichen, Griechen und Römern! Die
fünf Predigten über die δι. Dreifaltigkeit v. €. 192—226
find fo fublim, daß man fid von benfelben unmóglid) eine
nußbringende Einwirfung verſprechen fan. Ich will damit
nicht fagen, daß die Sprache des Verfafiers zu bod) unb
unberftánblid) fei, fondern der Stoff an fid) ift e6. Bes
aüglid der Darftellung hat er geleiftet, a8 bei einem ſolchen
€ toffe zu leiften möglich if. Aber darin hat er offenbar einen
Mißgriff gemacht, daß er glaubte, in feinen Frühpredigten
die innern geheimnißvolen Bezüge und Berhältniße ber
drei göttlihen Perfonen zu einander weitläufig homiletifch
behandeln zu müffen. Für das religiöfe Leben hat εὖ
feine Folgen, die Vernunft aber wird nicht befriedigt, fondern
bódften$ Grübeleien der Weg gebahnt. Stellen wie ©.
208 und €. 214 find jebod) nibt blod geeignet Grübe—
Ieien, fonbern aud? Anftoß zu erregen. Der Qomilet wie
Katechet wird immer gut thun, wenn er bei der hi. Dreis
einigfeit bie opera ad intra nad) der kirchlichen Definition
furz darlegt, unb fid) vorzugsweiſe an bie opera ad extra
pält. .
684 Vredigt · Literatur.
über das erſte Φαιριβ des Katechismus, bie Wahr⸗
heiten, die man glauben ſoll. In 65 Predigten
die vom Neujahrstage an auf bie Sonn« unb δεβίαρε
vertheilt find, geht der Verf. die wefentlihen Wahrheiten
des Glaubens fo gründlich unb vollſtaͤndig dur, daß in
bigfer Beziehung nicht viel zu wünfchen übrig bleibt. Bald
herrſcht der unterweifende Ton vor, und wird in der Weife
des katechetiſchen Verfahrens rubricirt und erklärt (of. ©.
10. 13. 45. 174. 237. 404. u. v. a. O.), bald herrſcht
der homiletiihe Ton vor, ber oft redneriſch febr gehoben
ift, in Folge beffen bie Predigten viele Stellen und Aus
führungen enthalten, bie am xhetorifher Eindringlichkeit
feiner Predigt nachſtehen.
Ref. anerkennt gerne, daß ihm der Verf. in biefer
Behandlungsmeife glüdlid) zu fein fheint. Er bewegt fid)
nie zu lange in trodenen abftracten Uflterweifungen, fondern
bringt bie vorgetragenen Wahrheiten immer in Bezug zu
den Lebenseribeinungen, und greift oft recht anidjaulid)
in bie concreten Geſtaltungen des Lebens ein. Er dringt
dabei mitunter fo lebhait auf den Zuhörer ein, daß Diefer
bewegt werben muß 4. B. €. 157. 191. 406. 451; diefe
Ginbringlid)feit wird faft eine zu ftarfe Zudringlichkeit
©. 314: „O Gott, wie lange werden Viele darin (im
Begfeuer) bleiben müffen! Ale Tage fo viele unüge Worte,
fo viele Scherzlügen, fo viele Ausbrüce des Zorns und
der Ungeduld! Probirt es einmal, und haltet einen ginger
nur eine halbe Viertelftunde lang über ein Kerzenlicht!
Wuͤrdet ihr nicht alfogleih laut aufihreien? Was muß
εὖ erft fein, einen ganzen Tag, ein Jahr, hundert Sabre
diefen Schmerz aushalten zu müffen!"
Ref. bezeichnet dieſe Brühpredigten fowohl nad
Brebigt-fiteratur, 685
ihrem Inhalte, der rein kirchlich unb wahrhaft religiös ift,
als aud) nad ihrer Borm, bie für ben vorgefegten Zwed
paſſend gewält ift, ohne Anftand alá im Ganzen wohl
gelungen.
Er erlaubt fij aber aud um fo unverholener auf
dasjenige hinzuweiſen, was ihm mangelhaft und verfehlt
ſcheint. Die Predigt nr. 3 „es ift ein Gott," hätte ers
fpart ober füglih mit nr. 4 in Eine zufammengezogen
werden fönnen. Die Predigt über die Abgötterei S. 31
ift verfehlt; wozu in einer Frühpredigt ober aud) in einer
Predigt Überhaupt all die Namen der heidniſchen Gott»
heiten bei ben Deutfchen, Griechen und Römern! Die
fünf Predigten über die Hl. Dreifaltigfeit v. ©. 192—226
find fo fublim, daß man fid) von benfelben unmóglid) eine
nugbringenbe Ginmirfung verípreden fann. Ich will damit
nicht fagen, bag die Sprache des Verfaſſers zu bod) unb
unverftändlich fei, fondern der Stoff an fid) ift ed. Bes
zuͤglich der Darftellung hat er geleiftet, was bei einem ſolchen
Stoffe zu leiften máglid) if. Aber darin hat er offenbar einen
Mißgriff gemadbt, daß er glaubte, in feinen Frühprerigten ᾿
die innern geheimnißvollen Bezüge und Verhältniße der
drei göttlihen Perfonen zu einander weitläufig homiletiſch
behandeln zu müffen. Für das religiöfe Leben hat εὖ
feine Folgen, die Vernunft aber wird nicht befriedigt, fondern
hoͤchſtens Grübeleien der Weg gebahnt. Stellen wie ©.
208 und ©. 214 find jebod) nicht blos geeignet Grübe»
leien, fonbern aud? Anftoß zu erregen. Der Homilet wie
Katechet wird immer gut thun, wenn et bei ber bl. Drei
einigfeit bie opera ad intra nad) der firdbliden Definition
fur darlegt, unb fid) vorzugsweife an bie opera ad extra
hätt,
686 Vredigt · Literatur.
Das Streben des Verfaſſers, feiner Darſtellung durch
Einmifhung von Gleichniſſen und Erzählungen Anſchau—⸗
lichkeit und Belebtheit zu geben, ift febr gu [oben unb viels
fad) gelungen. Indeflen wollte e8 den Referenten body
bebünfen, εὖ hätte weniger oft auf Deibnifde Geſchichten
und Perfonen zurüdgegriffen werben follen, als wirklich
geſchehen if. Epicur, Epicuräcr, Heliogabel und A. find
bod) ben gewöhnlichen Gläubigen ganz unbefannte Namen.
Auch einige- unpaffenre Ausführungen find dem Ref.
eufgefofen; ferner find Austrüde wie: „es fanu fein
Menſch fid) felbft gebaͤren“ S. 53, „EStelldichein“ €. 315
u. a. für bie Kanzel nicht vorfihtig genug gewaͤhlt.
Woher hat der VBerfafler die fonderbare Rechnung, bof
Gott die Welt vor 5800 I. im Monat März erihaffen habe?
©. 61. Woher fo genaue Auskunft über die Erzeugung,
Tätigkeit und das Verſchwinden des Antichriſts ? S. 338
und 341. — Woher weiß er fo gewiß, daß bie 12 Apofel
in der von ihm ©. 368 befchriebenen Weife bie Glaubens
artifel verfaßt und zufammengeftellt haben? In derartigen
Dingen follte man bod) wohl weniger fategorijdje Ber
hauptungen aufftellen, um nicht abfurd ju werben.
Solche und ähnliche Darftclungen riechen nad) einem
etwas Altern Previgtgefhmade, und es dürfte bie Ber
muthung nicht unbegründet fein, Scheld habe nad) einem
Altern Werfe gearbeitet, ohne e& jebod) dabei an Selbſtaͤndig⸗
feit mangeln zu laſſen. Seine Arbeit bietet viel Körniges und
Solides nicht blos für Stebenprebigten fondern aud) für
Hauptpredigten, τοῖς fehen daher ber Fortfegung mit Ber
gnügen entgegen.
2) 8t óggl beffeibete beinahe breifig Jahre (v. 1822
—1851) das wichtige Amt eines infulirten Abtes des
Predigt Literatur. es?
fhönen Prämonftratenferftifts Wilten bei Insbrud. Bor
der Erhebung zu diefer Würde functionirte er mehrere
Jahre als Pfarrer in zum Klofter gehörigen Gemeinden.
Aus diefer Zeit indbefonbere, aber aud) aus ber fpätern
Zeit, wo er troß der vielen Geſchaͤfte als Abt, Gubernial⸗
taf u. f. τὸ. nicht felten als Gaſtprediger eingeladen
wurde, ift ein großer Vorrath von Predigten vorhanden,
welche fein Neffe 911056 Lechthaler herauszugeben begonnen
fat. Der erfte bisher erfhienene Band enthält 46
Predigten auf Feſte des Herrn und Maria’s. Unter ben
lebtern find nicht blos die gewoͤhnlichen Marienfefte, fon
dern aud) bie weniger gefeierten wie Mariä Namengfeft,
Heimſuchung. Marid-Ehmerzen u. 9. bedacht.
In allen Predigten herrſcht ein reiner hriftfatholifcher
Gif, ber ihnen einen mohlthuenden foliden Charakter
verleiht. Sie zeichnen fid) gerade nicht burd) befondere
Eigenthümlihfeit aus, indefien haben fle bod) ποώ fo
viele Gebanfen, glüdlide Auffaffungen einzelner Punkte
und tteffenbe Ausführungen einiger Wahrheiten, daß fie
die Mühe des Lefens wohl lohnen. Man ftößt nicht
felten auf finnige Gebanfen, auf gut gelungene concret
anſchauliche und gemüthlihe Stellen.
Ref. fónnte zwar nicht fagen, daß ihm alle Predigten
ganz gefallen hätten, er wüßte an der Einen und Andern
etwas auszuftellen, bod) zweifelt er nicht, daß ber größere
Theil derfelben bei allen billigen Beurtheilern Beifall finden
wird. Es if befonberd die ungefuchte und natürliche
Conception und die einfache von allem Schwulſte und
aller Ziererei freie Diction, welche diefen Predigten fihers
Tid) Freunde verihaffen werden.
Wenn man inbeffen die Predigten mit einiger Aufe
688 PrebigtsBiteratur,
merkſamkeit durchlieſt, fo kann nicht entgehen, daß ein
merklicher Unterſchied zwiſchen den Predigten ber frühen
und ber fpätern Periode obwaltet. Die Predigten, welde
Röggl ale Abt hielt, find unſchwer fenntlid) gegenüber denen
bie er als Pfarrer gehalten hat. In den erſtern findet
man eine reihere Zufammenfügung von Gebanfen, abet
es fehlt oft bie Vermittlung und eine fid ftufenmáfig
fortbewegende Entwidlung der Gedanken, bie auf ein
beftimmtes ſicheres Ziel lo8gienge. Die Darftellung vers
läuft fi daher weniger in redneriſchen Perioden, als in
einem einfachen oft faft fententiöfen Style. Auch liebt
der Verf. hier viel Antithefen, fo daß fid. mitunter eine
ganze Ausführung burd) lauter Antithefen hindurch bewegt.
Sé made in diefer Beziehung auf die erfte Predigt der
Sammlung wie auf €. 189 und 359 aufmerfiam.
Die frühern Predigten dagegen verlaufen in einer
ruhigen wohlberechneten unb gelungenen Entwidlung der
Gedanken, in einer einfachen fließenven redneriſch gehobenen
Gprade; id verweife auf bie Predigten ©. 175, 186
und 347. Bei den Predigten, die er vor einer von ihm
paftorirten Pfarrgemeinde hielt, ſcheint er in ben Auss
führungen viel fiberer zu fein, und das Ziel, das er fid
bei ber einzelnen Predigt ftedte, Flarer und beftimmter
gefaßt zu haben, als es fpäter bei Gaſtpredigten ver Ball
war. Auch mag er als Abt weniger Zeit zu einer ges
"nauen Ausarbeitung gefunden haben.
916 weniger glüdlide Partition heben wir bie ©.
367 hervor: „laflet uns von Maria lernen 1) was wir
fürdyten unb 2) was wir nicht fürchten follen", Theoretiſch
find derartige einander ausſchließende Theilungsglieder
nicht zuläffig, ba fle ein einheitliches Thema bae fle ab»
Bredigt · Literatut. 089
fbeifen follen, nicht ermöglichen; zu practiſchen Ausfühs
rungen ermeifen fie fid) aber hie unb ba als jmedmáfig
und fónnen beffalb nicht ſchlechthin verworfen werben.
Ungern vermißt man ein Regifter der in bem etften
Bande befindlichen Predigten; einem etwa weiter erſchei⸗
nenden Bande follte ein foldjed von bem Herausgeber noth⸗
wendig beigefügt werden.
Es waͤre aud) wuͤnſchenswerth, wenn der Herausgeber
die allegirten Stellen ber hl. Schrift mit einer guten
Ueberfegung collationiren und den Drt, wo fie zu finden .
find, angeben würde.
Drud und Papier find recht (djón, und das beigegebene
SBilbnig des Autors fehr gut ausgeführt.
3) In Janfa begegnen wir einem Prediger von
eigenthümlihem Schlage. Er hat die ziemlich) allgemein
herrſchende Eonftruction der Predigt Cim engern Sinne),
bei ber man es auf ein einheitliches Thema und eine
daraus abgeleitete regelrechte Einteilung abftebt, verfaffen
und den Weg der Methode betreten, die wir von den
alten Homileten theilweife befolgt feben. Es ift weder bie
Homilie der niebern nod höhern Art nach bem ftrengen
Begriffe, ben bie neuere Homiletif bavor aufftellt; es ift
eine freie Weife der Verfündigung des göttlichen Wortes,
die es nicht auf Vollftändigfeit der Durchführung eines
Gegenſtandes und nicht auf Ebenmaß der einzelnen Glieder
abfieht, fondern eine religiófe Wahrheit ober Thatſache
nur nad der Seite hin unb fo ausführt, wie es ber
Augenblid gerade zu fordern ſcheint. Wir finden daher
in biefen religiöfen Vorträgen felten ein einheitliches Thema,
fondern zwei ober drei ober aud) mehr SBuncte aufgegriffen
und befprodjen; und wenn ein einheitliches Thema vor⸗
60 Brebigtrkiteratun.
auégeftellt ift, fo bindet fid ber Verfaffer nicht genau an
eine Eintheilung. Die zu befpredenben Puncte, wenn
gleih unter fid) oft nicht zufammenhängend, find bod) nicht
aufállig zufammengerafft, fondern der Pericope ober ber
Beftzeit ober ber zutreffenden Beier enthoben.
Diefe Methode gibt dem Homileten einen großen
Spielraum, je nad) Belieben und Geſchick rein practifhe
Ausführungen, Erflärungen, Beifpiele und Gleichniſſe aufs
zunehmen, bie in ben Rahmen einer genauen Partition
night leicht unterzubringen wären. Der Verſaſſer fat
hievon aud) fo reichlichen Gebtaud) gemacht, daß oft unter
den einzelnen Theilen nicht leicht ein Zufammenhang zu
erfennen ift, unb mande Vorträge fo viele ober fo weit
ausgeführte Exempel enthalten, daß fle faft ben Charakter
von Crempelprebigten befommen.
Diefe Predigtweife hat um fo mehr eine Berechtigung,
als fie im Alterthume nicht obne Vorgänge ift; man vers
gleiche bie Homilien des Chyrfoftomus, des Cäfarius von
Arles u. 9L, man wird in Manchen eine ähnliche Anlage
finden. Die neuere Homiletif hat fid) vielfach allzuſehr
abgemüht, den Stempel eines logifh moblgeorbneten, ae
«urat abgetheilten und dabei einheitlichen Auffages aufs
aubrüden. So fam εὖ, baf viele Prediger die Hauptforge
darauf wandten, ein etwas neues und frappantes Thema
ju finden, und baffelbe fofort in einer zierlichen Partition
auseinanderzulegen. Hatte man das Thema und bie
Partition, fo war man um die Ausfüllung wenig mehr
befümmert unb verlegen. In manden Materien ift εὖ
gut, wenn man fij burd) regelrechte Partitionen bindet,
aber immer unb ausſchließlich für die Predigt einen Haupt
fag (Thema) mit Partition zu fuchen, führt leicht zu einem
Vrrdigt-Piteratug. 991
einfeitigen Mechanismus und wird ein bequemer Ded⸗
mantel der Sterilität. Nichts davon zu fagen, ba bei
genauer Unterfuhung ein fehr großer Theil ber Partitionen
ben firengen Anforderungen der Rhetorik, bie in bem
genannten Balle in der Predigt aud) maßgebend find, nicht
entſpricht.
Ref. hat daher ſchon aus dem Grunde die Predigten
Janſa's mit Wohlgefallen geleſen, weil ſich derſelbe in der
freien homiletiſchen Methode verſucht hat. Die Lectüre
fiel in mander Beziehung zu feiner Befriedigung aus,
da Janfa feine Aufgabe wenigſtens theilweiſe gut gelöft hat.
Bon den zwei vorliegenden Bänden enthält ber er ſte
Conntagé^, der zweite Feiertags- und Gelegenheits-
prebigten. Wenn bie beſprochene Prebigtmanier für bie
Sonntage nit nur nicht unbraudbar fondern fogar
empfehlend ift, fo möchte dieſes bod) bei größern Feſtlich⸗
leiten weniger ber Ball fein. Es haben aud) bem Ref.
bie Feſttagspredigten im Ganzen weniger gefallen ald die
Gonntagéprebigten. Die großen Geheimniffe, welde an
ben Feſten meiftend den Gegenftanb der Predigt bilden,
lieben mehr einen feierlichen Charakter unb einen georbneten.
Gang der Rebe.
Der größte Theil der Predigten Janfa’s zeichnet fid)
aber aus durch einfache practifche Haltung, burd) Kräitigfeit
und Lebendigfeit, durch Anſchaulichkeit und Gemuͤthlichkeit.
Der Prediger ſteht mit feinen Zuhörern auf einem ganz vet»
trauten Fuße, er kennt fie, ihr Leben und ihre Verhältniffe
ganz genau; und in biefeó Leben und in biefe Verhältniffe
greift er immer fed hinein, unb langt etwas heraus, um
εὖ feinen Zuhörern im Lichte des Evangeliums vor Augen zu
falten. Diefer practiſche Sinn macht, daß er immer unmittelbar.
692 Bredigt · Literatur.
ober wenigſtens auf dem naͤchſten Wege auf fein Ziel los⸗
geht, undefümmert barum, ob die Ausführung einen gere⸗
gelten Berlauf nehme ober. nicht, werin er nur feine Abſicht
erreicht, b. b. feinen Zuhörern diejenigen Puncte, über die
gu reden er für gut fand, in einer Weife ans Herz gelegt hat,
"daß er überzeugt fein fann, feine Worte feien eingedrungen.
Er bedient fid) babet in ber Regel nicht langer Aus⸗
führungen, fondern argumentirt auf dem gerabeften. Wege
ad hominem (cf. ®b. L p. 5. 19. 372. u. ». a.), ober
gibt Gleichniße oder Erzählungen, die bei dem größten
Theile feiner Zuhörer viel zuverläßiger wirken, ats bie
grünblidften Beweisführungen.
Die Darftellung ift mit wenigen Ausnahmen, wo fid
der SBerfaffer in eine weniger paffenbe redneriſche Aus⸗
malung verliert (3. B. Vd. I. p. 3. I. ©. 229. 246. u. a.),
einfad) und nüchtern, dabei aber recht concret. unb anſchau⸗
lid. Fuͤr letzteres diene folgendes Beifpiel als Beleg:
„Bei dem Tode Jefu, da der Vorhang im Tempel zerriß,
fel e& oben gerauſcht und mit vielen Stimmen gerufen
haben: laffet uns von bannen ziehen! Das feien die
Engel Gottes gemoefen, die fonft im bi. Tempel ihren
Wohnfig hatten, nun aber denfelben für immer verließen.
Von jet an galt er in den Augen Gottes nicht mehr für
einen Tempel; mit dem Riß des Vorhangs war er ent
weihtz er war nur nod) ein großes Gebäude von Stein.
€o geht es aud, wenn die Schamhaftigkeit zerriſſen wird,
und bie Tugend flirbt burd) den Greuel der Verwuͤſtung,
durch Unzucht. Es ruft inwendig mit Geifterflimme: laffet
ung von bannen ziehen! Es zieht von bannen bie Unſchuld,
der Briede des Herzens, die Freudigfeit zum Gebete, das
Vertrauen zu Bott und alle holden Engel. Du- warft
-Bredigt-Literatur. 693
ein Tempel fodigemeibt in ber Taufe, hochgeweiht durch
das hi. Abendmahl; jegt haft Du diefen heiligen Tempel
entweiht und gefhändet, freder und ärger, als je eine
Chriſtenkirche verunehrt worden iſt. Dafür ift Dein Leib
jet nur nod) ein Gemenge von Fleiſch und Bein, in
welchem eine wüßte unreine Seele haufet. Das wird dir
vergolten werden.“ Bd. I. S. 120.
Indeſſen wäre ber Kritifer nidt in Verlegenheit,
manche Ausftellungen ſowohl hinfichtlich der Anlage einzelner
Predigten im Ganzen als auch hinſichtlich der Ausführung.
im Einzelnen zu machen. Nicht felten hat fld ber Vers
faffer bod) zu febr gehen faffen, und Zufammenhang und
Ordnung in der Anlage zu wenig bedacht. So ift 3. 8.
in der Predigt auf das Schugengelfeft 8b. IL ©. 136
fo weitläufig von dem Gbuge ber Engel im leiblichen
Gefahren die Rede, baf für bie Ausführung ihres Schutzes
in geifigen Dingen faft fein Raum mehr bleibt. Des⸗
leihen hat ber SBerfaffer öfters zu viele Beifpiele und
Erzählungen in Eine Predigt aufgenommen, z. B. Bd. 1.
©. 74. Bd. I. ©. 1 und fonft oft. Auch hier gift das
Eprühwort: omne nimium vertitur in vitium. Bei ben
vielen Beifpielen und Erzählungen fonnte es nicht fehlen,
daß mande, ohne baf man einen firengen Maßſtab anlegt,
ungeeignet (deinen. Ref. wenigftens würde fif fdeuen,
viele von den gebrauchten Erempeln, oft ganz unverbürgten
Geſchichten von Heiligen und profanen Geſchichtchen auf
bie Kanzel zu bringen, 3.2. Bb. I. Ὁ. 19. 20. 121. Bo.
T. €. 74 unb 75. 164. Auch fonft fehlt es nicht an
ungeeigneten Stellen und Ausbrüden. 3. 9. 8v. 1. 6.
139 ift von Königinnen der Unterhaltung unb ben Höllen-
fünften der Kotterie (vor einer Landgemeindel?) bie Rebe,
μοί, Duartalíárift. 4868. IV. Heft. 46
694 Vredigi · Lite ratar.
©, 134 werden reihe Badegaͤſte ein vornehmes Ungeziefer
genannt, baé fid) beftialifh wohl fein laffe. Solche Ber
zeichnungen gehen im Kalender für Zeit und Ewigkeit wohl
an, nicht aber in der Predigt. Ueberhaupt hat I. den
genannten Kalender, wie er foíde8 aud) in der Vorrede
fagt, vielfältig benügt, nur war er nicht wählerifh genug
für die Kanzel. Gerade die zu vielen Grempel und Ger
ſchichtchen, bie am Ende bod) die Zuhörer anwidern müffen,
bie oft ungefhidte Auswahl derfelben, und enblid) bie
nicht felten vorfommenden für bie Kanzel unpaffenben Aus
drüde und Paſſagen find εὖ, bie bem Werthe der in Rebe
ftehenden Predigten einen namhaften Eintrag tfun.
Wenn die Kunft zu individualifiren unb zu fpecialifiten
jur Belebung des Predigtvortrags viel beiträgt, fo ift es
bod) ju weit gegangen, wenn man fid) fo ins Detail ein
läßt, wie Bd. L S. 360 bei der Thierquäferei und Bd.
Il. €. 148 bei Beſchreibung ber Sophienlirche in Conſtanti⸗
nopel geſchehen if. Die vielfad) wiberfebrenbe Beißelung
der veligiöfen Leichtfertigfeit der Vornehmen mag aud
vor einer Landgemeinde gerechtfertigt fein, wenn man
Grund hat zu fürchten, das Beiſpiel wirke anftedenb.
Invefien fheint.der Verfaffer doch biefen Punct zu oft
berührt zu haben.
Ref. Fann bie Predigten Janſa's in manden eim
zelnen Puncten der Ausführung nicht billigen, deſſen⸗
ungeachtet wuͤnſcht er fie doch in bie Hände recht vieler
‚Prediger, damit fie an feinem Beifpiele fehen, wie man
fib einer nur zu lange herrſchenden Feſſel, bie man aus
der weltlichen Rhetorik in bie Homiletif Binübergetragen
bat, entſchlagen, unb in freier Weife al Homilet vor feiner
Gemeinde auftreten könne. (6. ift. freilich nicht au νεῖν
Vredigt · Literatur. 695
fennen, baß diefe Predigimethode für Manden Gefahren
haben fann, in Einfeitigfeit und Plattheit zu verfallen;
aber gerade deßhalb muß man biefe Methode ftubiren, um
dieſen Gefabren zu entrinnen.
4) „Bredigten in Bildern", wie fie Jariſch
geliefert, find etwas Neues. Um biefelben richtig zu bes
urtheilen muß man zweierlei unterfheiden, erftens bie
Grunbíáte und Anfihten, von denen er bei der Geftaltung
feiner Predigten ausgegangen ift, und zweitens bie Art
und Weife, wie ibm die Anwentung biefer Grundfäge bei
der Ausführung ber einzelnen Predigten gelungen ift.
Hinfihtli des erften Bunctes kann man vorab ganz
damit einverftanden fein, daß wenn gleich ber Inhalt ber
chriſtkatholiſchen Predigt immer derfelbe bleibt, bie form
derfelben bod) eine mannigfaltige fein fónne. Unter biefen
formen kann man der bilbliden oder ſymboliſchen
Darftelungsweife gewiß das Recht in ber chriftlichen
Predigt nicht ftreitig machen. Volks prediger in ftrengem
Sinn haben fid) derfelben immer mit Vorliebe bedient.
Es ift aud) natürlich; das Volf und zwar nicht blos das
ungebildete und ungefdulte, fondern aud) das wohlgefchulte
ift ſehr wenig an ein abftractes Denken gewohnt, und thut
barum aud hart, einer Predigt die fih nicht in einer
etwas grifflihen und anſchaulichen Darftellungsweife bes
wegt, im Gebüdtniffe zu behalten ober berfelben aud)
nur mit Sufmerffamfeit und Verftändniß zu folgen. Da-
gegen verfteht und behält es einen Vortrag viel befier,
τοῦ 3. Ὁ. die Tugenden und Lafter plaftifche Bezeichnungen
: gefunden haben, wo überhaupt alle blos abfiracten Aus-
brüde in lebendige und anfhauliche umgefegt find. Die
zwei größten Prediger des Mittelalters haben fid) biefer
46*
696 Vredigt · Literatur.
ſymboliſchen ober bildlichen Predigweiſe bedient, naͤmlich:
Berthold von Regensburg und Geiler von
Kaifersberg. Wenn 3. 9. Berthold von Regensburg
von bet Ehe (prit, fo verfährt er fo: zur Ehe find zwei
Fittiche nöthig, der Eine, um recht unb reblió zur Ehe zu
kommen, ber Andere, um recht in der Ehe zu eben; jeber
diefer Fittihe hat fünf Federn. Mit jeder diefer Federn
bezeichnet er fofort eine igenfdjaft, bie zur Führung ber
Ehe nothwendig ift. Die Sünden, mit denen bie Leute
perfudit werben, nennt er Sunfer des Teufels, bie in bie
Welt ausreiten. Bekannt ift, wie Geiler von K. oft unter
etwas burlesfen Namen die ernfteften Wahrheiten an ben
Mann bringt, 3. B. das Rarrenfchiff, der Haa sim Pfeffer,
die Spinnerin u. A. — „Die fieben Hauptfünden, bie da
bebeutet find bei ben fieben geiftlihen Schwertern, mit
denen der böfe Feind, der Teufel die Seelen ber Menſchen
ſchlaͤgt, verwundet und tübtet, wie man ihm burd) Gottes
Wort Widerftand thun und beflegen foll; dabei aud) wie
biefe fieben Schwerter ber Lafter bedeckt find und verborgen
unter bie fieben Scheiden b. i. unter bie Geftalten der
guten Tugenden“ ; fo lautet bie Ueberſchrift zu einer Reihe
von Predigten Geiler's über bie fieben Hauptfünden und
Haupttugenden, und das Bild ift durchgeführt bis in bie
fleinften Theile der einzelnen Predigten. Wir fónnen und
jebod mit der Schilderung und Charakteriſirung dieſer
altdeutiben Predigtweife nicht länger befaffen, und. müffen
zum Lefen biefer Predigten felber einladen; fie werden
gewiß Keinen ohne großen Genuß laffen. Die Predigten des
Bruders Berthold find purd) bie neu veranftaltete Ausgabe !)
leicht zugänglich geworden, was fte bisher nicht waren.
1) Seine Spreblgten find erſchienen bei ὅτ, Hurter in Schaffhauſen,
1850, in 2 Bänden; herausgegeben v. Göbel.
Prrbigt-iteratur. 697
Wir zweifeln nicht, daß gerade biefe eigenthümliche
bildliche Sprachweiſe die genannten zwei Prediger zu fo
beliebten Bolfspredigern gemacht hat. Das Volk ift. feinem
Weſen nad) das gleiche geblieben, unb es wird beffalb
auch jebt ein Prediger, beffen Darftellung plaſtiſch concret
ig, bei bemfefben einen leichten Eingang finden. Dabei
ift aber wohl zu beachten, baf das Vol durch einen gemiffen
Grad von Berbildung jene Unbefangenheit verloren hat,
bie e& zur Zeit Berthold's und Geiler’s hatte, und deß—
halb eine große SBorfidjt im Gebrauche der Bilder anzus
wenden ift, wenn man nicht ind SBurfedfe und Lächerliche
fallen will, was ber Kanzel unter feinen Umftänden ans
ſteht. Ein Prediger der Ichtzeit wird daher biefe zwei großen
alten Prediger nie förmlich copiren bürfem. Es ift bie
gegenwärtige Anfhauungsweife des Volkes wohl in Ans
flag zu bringen, wenn man fid) der fraglichen Predigt
weife bedienen will; und gerade das ift es, was unferes
Gradtené die bilplihe Predigtweife ungemein erfchwert,
und eine duferft vorfihtige Anwendung raͤthlich macht. ^
Indem Stef. der bilblidjen Predigtweife an fid) volle
Berechtigung zuerkennt, gibt er zugleich auch gerne zu,
daß Jariſch durch feine Arbeiten fid) fd)ügbare SSerbienfte
um diefelbe erworben habe. Die bilbliden Partitionen
find vielfach gut und treffend, bie Ausführung reichhaltig
em Gedanken und Wendungen, ber ganze Eharalter der
Predigten ernft und eindringlich.
Dagegen hat den Ref. im Einzelnen Vieles nicht bes
friebigt. Einmal find die Bilder unb concreten Bezeich⸗
nungen, melde an die Cpige der einzelnen Theile geftellt
wurden, bei der Ausführung nicht ftreng feftgehalten. Denn
Bhrafen wie: „die ſtechende Hige der SSerfudungen, Sonnens
698 Prebigt- Literatut.
brand des Kummers, Regenſchauer ber Trübfal* etc. (δ {1
€. 21 cf. €. 47. 114. u. v. a.) fönnen nicht charakteriſtiſche
Eigenſchaften von Predigten in Bildern fein, fondern find
unter allen Umftänden Adgefhmadtheiten.
Ausmalungen wie: „Habt ihr ſchon gezählt des
Winters &dnecfloden, bie er auf die Erde fireut? Kennt
ihr bie Zahl ber Blätter, bie ber Qerbft von unjem
Bäumen ſchuͤttelt? Könnt ihr meflen der Donnerwolte
Tropfen? Seht fo groß if der Leiden Zahl, ber Feinde
Schaar, des Glenté Heer. Fuͤrwahr ein Thal der Zähren
ift die Erde τοῦ ihrer Paradiefesauen und Brühlingshimmel,
iro ihrem Goldglanz unb Freudentaumel 1. Heft ©. 21.
7. €. 51. Hıfı IV. €. 80. 87. find durchaus nicht geeignet,
den Beruf des Verfaſſers zu einem Bolfsprediger in
Bildern in ein günftige& Licht zu ftellen.
Die Predigten find bei vielem Guten und Leſens⸗
werthen fo angefüllt mit fentimental widerwaͤrtigen Bes
ſchreibungen 3. B. Heft. 1. ©. 48. VL. €. 79, und mit
Stellen, deren Zufammenfegung voller Ziererei und Un
natur ift, daß man fid) fragen muß, was hat der Prediger
mit biefen Stellen gewollt ? Er wollte einen Effect erfünfteln,
muß man antworten unb weiter nidté. Wozu dann
weiter flat einer ruhigen vernünftigen Gedankenentwicklung
bie in jeder Predigt wiederkehrenden draſtiſchen Apoftrophen.
Stef. hat fid) beim Lefen derfelben fehr übel angefproden
gefühlt und fann nidt glauben, daß εὖ bei ben Zuhörern
viel beffer ergehe. Wie die Ausführungen ber Predigten
in ber Regel viel zu gefünftelt und rhetoriſch manieritt
find, fo leiden aud) die Eingänge faft durchgehende an als
zu großer Ueberſchwenglichkeit.
Unpaſſend erſchien bem Ref. auch bie Bezeichnung des
Slr&bigtgirtatut, 609
Beichtſtuhles als Lazareth 1. S. 112; aud) madit die Zur
fammenftellung der verſchiedenen Stühle in der Kirche in
folgender Weife: Predigtſtuhl, Beichtſtuhl, Betſtuhl unb
Stuhl Petri als Predigteintheilung II. ©. 1. wegen
ber Amphibolie feinen. guten Eindruck.
‚Ref. anerfennt gerne das aufrichtige Streben des
ÜBerfafferé, eine allerdings volfsthümliche Predigtweife zur
Geltung zu bringen und läßt ihm das SBerbienft unanger
taftet, bei ber Neuheit der Sache Anerkennenswerthes
geleiftet zu haben. Aber für bie Bortfegung, bie der Bers
fafler veriproden und bereits begonnen hat, möchte er ihm
empfehlen, fid) einer weit grófern Natürlickeit und Eins
fachheit, bie aud) mit zu einem volfsthümlichen Eharafter
einer Predigt gehören, zu befleißen. Hiezu möchte das
Studium der Predigten des Berthold v. Regensburg unb
des Geiler von Kaiferöberg für feinen Zweck febr gute
Dienfte tbun.
5) 98. Dinfel hat fid) (don burd) mehrere Producte
auf bem Gebiete der Homiletif fehr vortheilhaft befannt
gemadjt. Es wird um fo weniger nothivendig fein, fid)
in eine weitläufigere Befprehung feiner neu erfchienenen
Homilien einzulaffen, als fie fl bem Wefen nad) von den
frühern homiletifhen Arbeiten Dinfels nicht unterſcheiden.
Nur ber äußern Form nad) unterfcheiden fid) biefe Homilien
von den frühern Predigten Dinfels. Der Berfaffer will
nämlich aus der Pericope nicht eine einzige Thefis heraus»
heben, unb biefe ausſchließlich abhandeln, fondern je in
einem Bortrage ben Gefamtinbalt der einfhlägigen Pericope
in Haren Zügen feinen Zuhörern vorführen, dadurch wurde
er auf die Sorm der Homilie geführt. Seine Homilien
find aber nicht an ben Tert der Pericope unmittelbar fid
100 ΓΝ
anſchließende practiíde Erklärungen, fondern fireben baburd)
eine einheitlibe Fotm der Duráfübrung an, daß er aus
einer Pericope je zwei oder drei Punkte erhebt, bie er
untereinander in Verbindung zu bringen judi. 3. 9.
am zweiten Sonntage nad) Oſtern redet er 1. von ber
Hirtenliebe Ehrifi; 2. von den Schafen, die ihn fennen;
3. von den Schafen, die ibn nicht Fennen ; auf den ecften
Baftenfonntag betrachtet er an ber Hand der Pericope
1. ben Orunb der SBerfudung, 2. den Kampf in der Ber
fudung unb 3. ben Ausgang tet Verfuhung. Die eine
und andere Homilie fommt durch das ziemlich einbeitlife
Sema der eigentlichen Predigtform nahe.
Darurd fol fein Tadel auégeíproden, fondern mur
die von bem Verfaffer eingehaltene Methode bezeichnet
werden. Die Pericopen find nod) nit vieljältig in biefer
Weiſe homiletifh behandelt worden, unb es verdient
Dinfel ſchon deßhalb Anerkennung. Er hat zugleich bei
der Stoffauswahl auf das Kirhenjahr gebührende Rüds
fibt genommen, unb den Beweis geliefert, daß die einzelnen
Pericopen dem Inhalte nad) in einem wohlberechneten
Zufammenhange mit bem Ablaufe des Kirchenjahres fteben
und daß fie richtig verftanden und aufgeíaft einen febr
mannigfaltigen Stoff zur homiletifhen Bearbeitung bars
bieten.
Die Homilien Dinkel's find gerade nicht beſonders
tiefgreifend, fondern mehr in bie Breite gehend, ohne baf
jebod) der Inhalt verfladjt wäre. (διε find inhaltlih nod)
recht gut und reidlid) ausgeftattet. Man findet oft recht
anfpredenbe Gebanfen und überrafchende Gedankenverbin⸗
dungen. Die Sprache ift wohl geglättet, fanft hingleitend
und ruhig, id) möchte [agen fauber, wenn nicht das Streben,
Vredigi · iteratut. TOf
derfelden Schmud und Glanz zu verleihen, am einen unb
andern Orte zu flarf hervorträte und ber reinen Natürs
Tidfeit einigen Eintrag brádte. In Befhreibungen fheint
uns ber SSerfoffer nicht gar glüdiid zu fein, es fehlt
bem Ausprude ber treffende conerete Eharafter und bie
Plaſtit.
Soviel auch in ber Predigtliteratur jedjaͤhrlich ans
Tageslicht tritt, fo haben wir bod) nod) feinen Meberfluß
an guten Homilien, ed müffen uns darum bie von Dinkel,
bie wir ohne Sebenfen. als gute begeihnen, willfommen
fein und wird deßhalb dem zweiten Bande, der die Homi-
lien vom Pfingftfefte bid erften Sonntag bed Advents
enthalten foll, mit Vergnügen entgegengefehen.
6) Die Anfiht ift fo ziemlich allgemein zur Anere
kenntniß gefommen, daß ein Fatholifher Prediger nur
bann den Anforderungen ber Kirche und den SBebürf,
niffen feiner Zuhörer entfprehe, wenn er fid mit
feinen Predigten auf dem dogmatifhen Boden betvegt.
Man hat lange genug Moral ohne Glauben zu lehren
und Eittlihfeit ohne Religiofttät zu pflanzen gefucht.
Das Bergeblihe und zugleich das SBermerflibe biefe& Ber
mühens einfehend haben bie Prediger der neuern Zeit
fib far durchgängig der kirchlichen Lehrweiſe mit mehr
ober weniger Geihid und Genauigfeit angeichloffen, wors
nad) feine Sittenvorschriften ohne Begründung und Zurück⸗
führung auf bie entfpredenben Glaubenswahrheiten, unb
feine Glaubenswahrheiten ohne bie fid daraus ergeben»
ben fittlihen Folgerungen gelehrt werden.
In diefem Sinne find aud) die katholiſch⸗dogmatiſchen
Predigten von Dr. M. Durſch zu verfiehen. Derfelde
if ganz der ridtigen Anſicht, daß die homiletifche Bes
"70 | Sirebigif erst,
lehrung unb Erbauung von bem altlatholiſchen Glauben
ihren Ausgang nehmen müffe, ba ein wahres Arifliches
Leben nur auf bem chriſtlichen Glauben ober auf ben
Grundlehren der katholiſchen Kirche ruhen und fid) ent
wideln fann. Durſch gibt feine Abſicht in ber Vorrede
mod) befonders dahin fund: „Es fag ihm (bem Verfaſſer)
daran, in biefen Predigten das geheimnißvolle Werk ver
Erloͤſung Sefu von der Herrichaft des Teufels, von bem Reihe
ber Binfterniß, der Sünde, von Noth und Sob zum Ber
ſtaͤndniße des Volkes zu bringen, unb baram bie hriftlihe
Belehrung und Erbauung zu fnüpfen. Es liegt ja Alles
daran, daß der Ehrift es recht verftele, wohin die Sünde
ben Menfchen gebracht und baf er nur durch bie Ver
dienfte Jefu gerettet und erlöft werde. Nur im rechten
fBerftünbni der Erlöfung erkennt er das Weſen und bit
Bolgen ber Sünde und bie unendliche Barmherzigkeit
Gottes, unb nur in diefer Erkenntniß wird ihm fein Er⸗
loͤſer lieb und theuer, ſchließt er fid) an ihn an, und hofft
er durch ihn das ewig felige Leben zu erlangen“ (Borr. S. VD.
So widtig «6 if, Glaubenspredigten zu halten, fo
ſchwierig ift es. Bei Ausführung von Thematen aus ber
Moral fann man meift ohne viel Mühe feine Darftellung
in conereter Beziehung zu bem Leben und den Lebensver⸗
haͤlmißen bringen; um fo ſchwieriger iR es aber bei
dogmatiſchen Predigten ber Darftellung durch beftimmte
Beriehungen zu bem Glaubensleben in individuo unb durch
Herausgreifen von conereten Erfheinungen des chriſilich
religiöfen Lebens Anfhauligfeit und anfprehende Fülle
su geben. Eine Klippe an welcher ber bogmatifche Prediger
nur ju leicht fcheitert, ift beBbalb, bap er ju treden
und abfract wird. Aus biefem Grunde ſcheuen aud
Vredigt · kiteratuv 10:
Manche mit Reit, bei ihrer homiletiſchen Thatigkeit bab
dogmatifhe Gebiet wirklich zu betreten und begnügen
Äh an daſſelbe bin -und wieber anzuftreifen. Es gehört
ficherlich viel eigenes innered religiöfes Reben umb eine
genaue Beobachtung anderer Berfonen dazu, um bie fublitteit
unb geheimnißvollen Wahrheiten homiletiſch fo darzuftellen,
daß die Zuhörer nicht blos im Schultone darüber belehrt,
fonbern für bie gläubige- Aufnahme derfelben geſtimmt und
erwärmt werben.
Durſch hat fid) diefe Schwierigkeiten fiti nidt
verborgen, und fudit daher bie Glaubenswahrheiten, ble
er zum Thema feiner Darftellung gewählt hat, bem
wirflihen eben fo nahe als möglih ju bringen.
Er verweitt nie zu lange bei Auseinanderfegung von
Glaubensfägen und den fie bildenden Momenten, fonbern
macht fo bald aí6 móglid) bie Anwendung von jenen aug
auf das Leben. Es ift befonberó das Dogma von der
Erlöfung Jeſu, beffen Bedeutung und Werth er von ver»
ſchiedenen Seiten aus in vielen Predigten wiederholt ber
[eudjet, unb es in ber rechten Beziehung jum Indi⸗
vidualleben aufzuzeigen ſucht. Deßgleihen fert auch bie
Beleuchtung der Wirffamfeit des hl. Geiſtes in dem er»
löften Individuum öfter wieder. Da diefes fo wichtige
mb weitgreifende Punkte find, fo fann man das Berfahren
des Verfaſſer s vollſtaͤndig billigen.
Außer den Grunddogmen hat der Verfaſſer im Wb»
Taufe des Kirchenjahrs an Sonn» unb Fefttagspericopen fid
anfchließend fo ziemlich ale wichtigen ®laubenspuncte zur
ESprache gebtacht ohne daß eine ſyſtematiſche Ordnung
befolgt worden wäre. Vielleicht hätte mehr über Gnabe,
Auserwählung, über die Eigenſchaften und Aufgabe ver
os Vecdigt · kiteratur.
Kirche, von dem Weſen und den Folgen der Suͤnde ge⸗
ſagt werden fönnen. Dagegen haͤtte aber die Predigt
über bie Gefündheit, ihren Werth, und wie fie zu erhalten
{εἰ (auf Dom. XYL p. Pent. 90. IL p. 209), nad bet
Anficht des Ref. unbefchabet der ganzen Sammlung wohl
ausfallen dürfen. Sie paßt an unb für fid nidt recht
unter diefe bogmatifhen Predigten, und hat aud) in ber
Ausführung manches Unp aſſende.
Wenn Durſch feine Aufgabe, dogmatifche Predigten
au liefern, im Ganzen gut gelöfl, und bie fo nabefiegenbe
Gefahr einer abftracten und trodenen Ausführung feiner
Themate ziemlich glüdlid) vermieden hat, fo liefen fid)
bod) bei einläßlicher Analyfe der einzelnen Predigten vet»
ſchie denerlei Ausftellungen machen. Die meiften Predigts
themate find zwar im Ganzen logiſch durchgeführt; inbeffen
vermift man bod) nicht felten eine firenge Eontinuität ber
Gedanken und eine fij far vorwärts bewegende Ent
widlung ber Ausführungen. Auch wäre mitunter eine
ſchaͤrfere Abgrenzung und Auseinanderhaltung ber Be
griffe in dogmatifchen Materien zu wünfchen. Bei allem
Streben des Verf. nad) Anfhaulichkeit ig ihm doch eine
wahrhaft concrete und in die mannigfaltigen Beziehungen
eingehende &affung nicht immer gelungen. Gemuͤthlichkeit,
Wärme unb Brifhe hätte aud) hie unb da mehr Spíop
greifen bürfen. Daß er εὖ mehr auf SBollftánbigfeit des Ma⸗
terials, als auf oratorifhe Mittel abgeſehen habe, fagt der
Berf. in der Borrede felbft. Hiernady werden biefe Predig⸗
ten vorzugsweife auf Belehrung und nur untergeordnet auf
Erfhütterung unb Ermärmung des Gemuͤthes und aui Beſtim⸗
mung des Willens abzwecken. Bei all dem will biefen Predige
ten um ihrer durchgängig dogmatiſchen und rein. fitd)lidyen
Predigt-Bitsratut. "05
Haltung willen, woburd fle fid) vortheilhaft auszeichnen,
ein hoher Werth nicht abgefprochen werben. ,
7) Unter den vielen Saftenprebigten, bie in neueſter
Seit erídienen, nimmt ber Cyclus von Hafel jedenfalls
eine efr ehrenwerthe Stelle ein. Seine vierzehn Vorträge
verbreiten fld) über die Hauptpuncte ber Leidensgefchichte
unfers Heren. Der erfte Vortrag ift den Vorereigniffen,
bie gewmiffermafen das Leiden Jeſu Ehrifti einleiten, ges
widmet, nämlich der Cigung des hohen Rathes, bem Gaſt⸗
mahl in Bethanien, ben Schritten des Berräthers u. f. f. Der
weite Vortrag hat zum Gegenftande feiner SBetradjtung
Chriſtum am Delberge, der dritte bie Leidensnacht im
Haufe des Raiphas, ber vierte bie Verleugnung, der fünfte
Chriſtum im Gerihtshaufe des Pilatus, ber fedóte bie
Kreuztragung, ber fiebente die freujigung, ber achte bie
beiden Mifferhäter, der neunte die Finfternig und Ver
laffenBeit, der zehnte den Durft und Eifigtranf, der eilfte
Chriſti Abſcheiden, der zwölfte bie Schmerzensmutter, ber
dreigehnte Gbrifti Seitenwunde, der vierzehnte die Grabes⸗
ruhe.
Die Anlage aller Vortraͤge iſt ziemlich gleichfoͤrmig.
Im erſten Theile wird gewöhnlich der Leidensgegenſtand
betrachtet, und in einem zweiten Theile bie Bedeutung
und Beziehung beffelben zu dem Einzelleben des Glau⸗
bigen, in einigen Vortraͤgen auch zu dem Geſammtleben
ber Kirche aufgezeigt. 3. B. „bie Verleugnung des Herrn
im Hofe des Kaiphas, bie Verleugnung des Herrn in
unfern Tagen [εἰ heute Gegenftand unferer SBetradjtung^
S. 55. Oder: „den Kreuzweg, ben ber Herr mit feinen
Schritten geheiligt, den Kreuzweg, den bie Kirche mit
bem Kreuze belaftet wandelt, den Kreuzweg, ben jebet
τοῦ BrbigtBlieretw.
Menſch geben muß, wollen wir heute betrachtend wars
dein" ©. 102, ᾿
Durch eine derartige Difpofition, bie fi in Hinſicht
auf ben zu behandelnden Stoff als gang practifd erweist,
getwinnen bie einzelnen Theile einen verfchiebenartigen Cha⸗
tafter, was aber unfers Erachtens dem Banzen gar feinen
Eintrag that. Der erſte Theil ift mit vollem fRedte im
Tone einer SBetradjtung gehalten. Der Berf. verficbt
es trefflich, die Reidensfcenen und alle Damit zufammen
hängenden Borgänge bi ins Einzelnſte hinein ohne qui
fenbe Webertreibung mit fo lebhaften Karben zu ſchildern
daß der Zuhörer nothwendig davon ergriffen werden muß.
Sá wähle nur Gin Beifpiel: „Da ward der Herr durch
ben Hof geführt. Aber mitten unter bem. Bauffchlägen
und Stößen hat er feines gefallenen Jüngere nicht ver
geflen, und er wendet fein müdes Haupt um, unb fein
Auge fudt ben Liebling auf — es war ber Blid des guten
Hirten, ber fein verlornes Schäfhen auffudt; er ficht
feinen Jünger ſtehen inmitten ber rohen entarteten Knechte,
unb e8 wendet der göttliche Heiland, geflogen und ge
ſchlagen, fein wundes, entſtelltes, todtenbleihes Angefiht
vol Milde und Grbarmung bem Petrus zu, ale ob «t
fagen wollte: Petrus, fich mein eniftelltes Angeſicht, für
dich leide ih, unb bu fannft mif verleugnen! Du fennft
mid nicht! Du fennft jenen nidt mehr, ber bid zum
Selen. feiner Kirche erhoben, bet bir bie Schläffel des
Gimmelyeihes übergeben, ber bid) vor Ahlen ausgezeichnet
bat, defien Herrlicpfeit bu vor Kurzem auf bem Berge
geſchaut, bem bu vor wenigen Stunden nod) bie Ber
ficherung gegeben, ihm treu au bleiben bis zum Tode? 1."
€. 51.
Wenn das Gemüth des Zuhörers durch bie Bes
ſchauung der lebhaft vor Augen geftellten Sibenévorgánge
erwärmt ift, bann wird derfelbe angeleitet, fein Leben
Amb:ba8 Leben ber Kirche ober ber menídliden Gefells
ſchaft im Lichte jener betrachteten Scenen zu beurtheilen.
Der Verf. verficht. es, oft vecht ſchoͤne Beziehungen Bere
auszufinden, bie fiberlid febr anregend einwirken. Et
bemegt fid ganz auf bem Boden des Lebens unb ganz
beſonders des Lebens ber gegenwärtigen Zeit; al’ feine
Auswuͤchſe und Gefährlichkeiten werden nad) der Bedeu⸗
tung des Leidens Jeſu Chriſti beurtheilt und abgeurtheilt.
Bald find es wichtige allgemeine Zeitfragen, bie einem
Borgange im Leiden Jefu Gprigi gegenüber ins rechte
Licht geftellt werben, bald find e8 Erſcheinungen des ger
woͤhnlichen religidfen ober fittlihen Lebens, welche burd)
birecte Beziehung auf das Leiden Jefu mit befonderem
Stadjbrude befprochen werben. .
Zur Belebung des Vortrages bedient fid der Verf,
vieler gefhichtliher Erzaͤhlungen, Parabeln, Vergleihuns
gen, unb zwar meiftens mit Glüd. Ich verweiſe auf bie
fhöne vergleichende Beihreibung ©. 3, auf bie treffenbe
Verleihung &, 142 f. Weniger paffenb für die Kanzel
aber bezeichnend iR das Gleichniß ©. 195 f., wo bie
ſchlechten Grundfäge und Schriften ıc. mit einer Eſſig⸗
niutter verglichen werden.
Im Eingange wird gewöhnli eine Geſchichte ober
Weiffagung des 9L T. zum Ausgangspunfte genommen,
um auf ben zu befprechenden Punkt überzuleiten. Auch
im Verlaufe ber Ausführung kommen hie unb ba Bezug-
nahmen auf das 9. T., die eine gute Wirkung hervor
bringen, 3. 88. ©. 228. Der Berf. ift den Wienern ge»
vos Vrcdigt · Literatur.
gemüber, tor denen er bie in Rebe ſtehenden Vortraͤge
gebalten hat, febr freimäthig; er hält ihnen wiederholt mit
ausdrüdliher Benennung der Stadt die grafficende Lauheit,
Leihtfertigfeit und Aufflärungsfucht vor (vgl. ©. 5. 8.
451 u. a). Ref. fann überhaupt erflären, daß er burd)
diefe Vorträge ganz befriedigt wurde, unb biefelben ber
Empfehlung würdig hält. — .
8) Die Saftenprebígten von Stern, bie gleid)
ben eben beíprodenen von Wien ausgehen, fiehen ben
lehtern an Eleganz der Sprache und Friſche ber Dar
ſtellung nad. Sie enthalten zwar mande fhöne und
gute Gedanken; biefelben find aber oft zu wenig motivirt
und entwideltl. Die Sprache leidet an einer gewifien
Unbeholjenheit und Eteifheit, und enthält mande ſichtlich
gríudite Ausprüde, bie zudem nicht immer ganz glüdlid)
gewählt find, 3. B. „will ein junger Mann fif ebelid
verbinden, weil εὖ feine age fordert ober bod) geflat
tet, fo ſucht er fein Weib, feine traute Gefährtin für
fein Leben, fondern eine Henne, bie goldene
Eier legt" (S. 63), und baf aus einer Ehe nichts
Gutes hervorgehen fünne, wenn mut ber Belvfad bem
Geldſack die Hand zum Bunde reicht“ (ibid). Es (οἵ
jebod) damit das viele Gute diefer Vorträge nicht vers
Tannt fein.
Die Berfuhung Sefu bildet den Mittelpunkt von 14
Predigten. Es wird zuerft von dem Wefen, den Urſachen
unb Arten ber Verfuhung gefproden; fobanm von ben
Hauptrihtungen, in denen fid) bie Verſuchungen in uns
ferer Zeit geltend machen, von der Genuffudt, bem Un
glauben, ber Hoffart unb ber Habſucht. Die weitern
Vorträge handeln von ben Waffen gegen bie Verſuchungen,
Vredigt · Literatur. 709
von bem Glauben, ber Wachlamfeit, Flucht und Wider⸗
Rand, Arbeit und- Gebet, von Faſten, Demuth und Liebe.
Diefen Faftenvorträgen find nod) vier Primigpredigten
ale Anhang beigegeben, die früher fhon einzeln gebrudt
worden waren, unb hier in zweiter Auflage erfcheinen.
Der veligiöfe Eifer unb der fittliche Ernft, der aus
biefen Vorträgen fpridt, macht fie empfeblenémertf.
9. Rod einmal Baftenpredigten. Diefe har
ben vorzugsweife die Kirchengebote im Auge, nämlıd das
Baftengebot, den Beſuch der Pfarrmeffe, bie Beicht übers
haupt unb bie ófterfide insbefondere (in 4 Predigten),
das Altarsſakrament (in 6 Predigten). Beigegeben find
nod) fünf Predigten über die Auferftehung Jeſu (am Dfters
feft , -über das heilige Saframent der Ehe, über ben
Gehorfam, über bie Pflihten der chriſtlichen Familien⸗
väter, über den Neid.
Diefe Vorträge von Martini zeichnen fij) aus durch
Einfachheit unb Natürlichfeit in Gedanken und Darftcllung,
wodurch fle für Jedermann febr anfpredyenb und verftánblid)
werden. Eine große Fülle von Gedanken ift in benfelben
gerade nicht zu treffen, dagegen eine ruhige wohlgeordnete
fletige Entwidlung der Gedanfen.
Die feltene Eleganz, mit ber biefeó Buch von ber
Verlagshandlung auégeftattet wurde, verdient beſonders
hervorgehoben zu werben. .
10. Es ift für jeden Seelforger ein bedeutungsvoller
und freudenreiher Tag, wenn er einige feiner Katechu⸗
menen zum erfienmale zum Tifche des Herrn führen fann.
Er wird deßhalb nie unterlaffen, diefen Tag durd eine
befonbere Seierlichfeit zu verherrlihen. Wenn die Kinder
für den Empfang diefes Gebeimniffe$ aud) Hinlänglih
φιμοί. Ouartalſchrift. 1859. IV. Heft. 47
Tio Sürebigt«giteratus,
untereichtet find, fo ift bod) nod) eine anregende Anſprache
mit unmittelbarem Bezuge auf ben heil. Act gut am Plage.
Damit wil febod) Referent nicht fagen, daß er mit jenem
Uebermaße von Standreden einverftanben fei, mit welchen
man an biefem Tage bie guten Kinder nicht felten mehr
wu quälen als zu erbauen pflegt. Eine Rede beim Abs
holen, eine Rebe beim Beginne des Gottesdienſtes, eine
Rede vor und nod einmal nad der Gommunien, das if
zu viel geredet. Cine einzige Anrede, im höchften Balls
wei, dürften faf immer ausreichend fein.
Die vor uns liegende Sammlung von Jung liefert
hiezu einen reichhaltigen unb gut verarbeiteten Stoff. Sie
enthält 23 Anreden für bie genannte Beierlichfeit. — Ginige
davon And ziemlich ausführlid, andere Fury, wie diejenigen
beim Abholen ober unmittelbar vor ober nad) ber Com
munion. Bei ben [egtgenannten Fällen wird Jedermann
bie Kürze [oben und nahahmen, wenn er überhaupt ba
Anreden hält.
Gin der zweiten Auflage beigegebener Anhang ent
haͤlt zwanzig furje Betrachtungspunkte für die Gommunion
und mehrere Prebigtentwürfe zur Erneuerung ber Tauf
gelübbe.
Die Reben find zum geößern Theile nicht von Sung,
fondern yon drei franzöflfhen Autoren, aus deren Werfen
er fie zufammengeordnet und Einiges aus bem eigenen
Vrieſterleben hinzugefügt hat. Abgefehen von einigen ben
Sranzofen „eigenen Sentimentalitäten und weniger geeig-
neten Geſchichtchen aus dem gewöhnlichen Leben find die
Anreden recht gut und brauchbar, unb werben demjenigen,
der biefe Seierlidpfeit wiederholt an ber gleichen Gemeinde
w leiten hat, ficherlich willlommen fein. Sie können
Vredigt · Literatur. πι
auch zu biefem Zwede von bem Ref. ohne Anftand em»
pfohlen werben.
11. Zum Schluffe glaubt Ref. nod Furz auf eine
homiletiſche Erſcheinung aufmerffam machen zu follen, die,
wenn aud) nicht neu, dennoch unfer Intereffe in Anſpruch
zu nehmen geeignet if. Es find bie Predigten des Er.
Syof. Mofer, ber im 3. 1777 als Priefter von 26 Jahr
ren zum Domprediger in Straßburg beftellt wurde, aber
fon 1780 in ber fráftigften Jugend ſtarb. Bon feinen
Predigten, die früher Dr. Räß unb Dr. Weis nod) ale
Profefforen in Speyer herausgaben, erídeint eben eine
zweite Auflage, die fieben Bände umfaflen fol, und von
denen ber äte und 6te vor ung liegen. Sie enthalten
bie Glaubenspredigten Mofers, welche im "ten Bande
ihren Schluß finden.
Diefe Glaubenspredigten find größtentheild polemiſcher
Natur. Es ift eine ſcharfe aber nicht fränfende unb vers
legenbe Polemif, außer wenn man fid von ber Wahr⸗
heit verlegt fühlen follte, bie Mofer hinſichtlich der Geſin⸗
nungen und Befteebungen ber fog. Reformatoren unver
holen fagt. Sonſt aber zeugen die Predigten von einem
nicht gewöhnlichen rebnerifden Talente, von einem fdjarfen
Verftande und zugleich großer Gemüthlichfeit, von einem
teinen Seeleneifer unb von edler Freimüthigfeit. Moſer
hätte fid) bei längerem Leben ficherlich zu ben Predigern
erften. Ranges in Deutfhland emporgefchwungen; er wird
ihnen aud) fo nicht viel nadfteben. Ex hat fi nad den
Muftern der großen franzoͤſiſchen Kanzelredner gebildet,
aber eine dem beutfchen Geſchmacke angemefiene Selbſt⸗
fländigfeit bewahrt.
Dr. Bendel, Gonvictóbirector,
41"
d Inhaltsverzeichniß
des
fünfunbbreiftgften Iahrgange der theologiſchen Quartalſchrift.
1. Abhandlungen.
Beiträge zur Geſchichte der deutſchen Liturgie. I. Ordo baptisterii
ber Kirche von Briren. Tinthaufe „2... .
Zur Apologie und Geſchichte des Gebete. Gumpofd. . . .
Die Hriflihe Lehre von der göttlichen Gnade. Kuhn. .
Die apriflliche Lehre von ber göttlichen Gabe. IT. Artifel, Bor
Bebeüimmung Ruhm. . . lee
Bapft iberiu unb das nicániffe Eymbolum. Hefele. . . .
Die ruſfiſche Kirche. efele. 22e
Der vorgebliche Pelagianismus der vorauguftinifchen Vaͤter. Kuhn.
Ueber den Urfprung umb bie rechtliche Stellung der Generalvicare.
Rode on
Altteſtamentliche Studien. Bell . . 222. . "E
11. Recenfionen.
Anleitung zur Heiftlichen Boltommenbeit. . . . . . . -
Adel, König Philipp ber Gofenfaufe. 2. 20.
Bumäller und Schufter, Lefebuch für katholiſche Voleſchulen.
DieRel, der Gegen Jalobs.. onen
Dinkel, Gomil . . lle
Drey, Ich. Geb. v., Neil. > 2 2 2
Durfch, fatholifhebogmatifche Predigten. . . . . PM
Exercitia spirituslia juxta methodum S. Ignatii Loyolae.
Friedlieb, Oracula Sibylla. . . . 22200.
Sider, Engelbert der Heilige, Erzbiſchof von Köln unb Beides
verweſe
Fornici, institutiones liturgieäc....
G ángel, Katechismus der Fatholifchen Glaubens und Sitteulehre.
Gundinger, Patriſtiſche Rundſchau..
‚Hafen, Behandlung der Cheſachen im Biethum Rottenburg. .
714 Inhalt.
edu
Hafel, Leidenebilbet.. 0 0. ern nS |
6 effe, Buße und Veichte.. s.s. sn 18
Hirfger, Beiträge zur Gomiletif und Ku, 2... 19
Sanfa, leichtfaßliche Predigten. . » . - eor s. S. 880
Jariſch, bie Predigt in Bildern. . 680
351g, Deutfchland In ber Weselationfoeciebe um 588. 1538. 631
Sung, Jeſus fommt! D . 681
Satfom, die Befbriefe des HL. διϑαπαλυδ. . ..... εν M6
Seitfaben für den Beicht- und Gommunion-Unterriht. . . . 178
Liber precum ad usum Sacerdotum. 2 2... + - εν 177
Liebermann, lostitutiones theologicae. . o... 678
Monrefa oder die geifllichen Uebungen des BL Sguatius. νων 17
Martint, Predigten über bie Kirchemgebote. . «ὁ. εν 681
Mofer’d fämmtliche Kanzelreden, Berausgegeben von Dr. Βιάβ. 681
Müller, die Religion in Betrachtungen. . . EAE]
Shüller, Jahrbuch der römifchefatholifchen Ride . 831
Bhadfolge der alerbeiligten Suma: . 6.6.0 > so... 176
Baffaglia, katholiſche Lehrvorträie. . . “ον 419
Bergmayr, Berragtungen in der geiſllichen noni 176
Pitra, Spicilegium Solesmense. . . 2. 188
Probſt, Verwaltung der hochheiligen Φαδατίβιο. . 514
Reinte, Beiträge zur Giflárung des A. Teſtaments.. . 60%
Remling, die Bilhöfe zu Speyer. err n s. s. 299
Richter, Bologuube für Prediget.. 1176
Röggl, Predigten. . . . eren n nS n n. 680
€ daubinger, das Gtift Sädingen. ee») κι n n s. 299
€ dá mig, katholiſchet Katehismus. . . . . .- 25. . 116
€ dele, bie diiffottolifde Lehre in Sriüfprebigien. 2... 67
Gegur, furje und vertrauliche Antworten, εν νον PB
Stern, bie Verſuchung Sefu Ehrifi. . . . . . . . «. 88ιὲ
Strauss, Nahumi de Nino vaticinium. . . . 624
Wrtunbio, Beiträge qur vaterländifchen ——— vere
nämlich aus der norbweftlichen Schweiz. . . 299
BerfoeveusQeufer, Berpflichtung ber d für bie φι
meinde zu applicirem. ο΄. ren. 32
Berker, Leben ausgezeichneter" autholten. Pa s 5 9$
Wilpelmus, hiſtoriſcher Katechismus. . . + Ὁ eoo dO
ΠΕ Siterarifcher Anzeiger.
Br. 1.2. 3 u. 4. am Ende jedes Heften.
Literarifcher Anzeiger
Nr. 4.
A ————————————————
Die hier angezeigten Sdriften findet man in ber 9. Laupp'fgen
Buchhandlung (Laupp & Fieheh) in Tübingen vorräthig, fo
wie alle Erfpeinungen ber neueften Literatur.
In unferm Berlage ift fo eben erfipienen und in allen Buchs
Yandlungen zu haben:
Dr. ὦ. F. Scheinert, die drifttide Religion.
After Band. gr. 8. (30 Bogen.) Broſchirt. Preis
Rthlr. 2. 8 Sgr.
Der Berfaffer hat f$ bemübt, in biefem Werke ben Beweis
zu führen, baf bie driflibe Keligion den Supranaturalismus,
die SDipfiif. ben Rationalismus wohl als Entwidiungsfufen, aber
nicht als lepted Refultat, over gar mit ihr iventif anerfennt:
daß Den!en unb Glauben, Poilofopsie unb Tpeologie norpwendig
aufammen gehören, daß bie Philofophie nur bann zu günftigen
folgen gelangen kann. wenn he eine wahrhaft riftfide ift.
Biere turze Darlegung des Standpunftes, von weldem der
Berfaffer bei der Ausarbeitung des Werkes ausgegangen if,
wird genügen, um die allgemeine ?lufmertfamteit auf baffelbe
au lenten.
Königsberg. Verlagsbuchbandlung ber
᾿ Gebrüder Bornträger.
. Bei Franz Kirchheim in Mainz if foeben erfhienen unb
in affen Buchhandlungen Deutfhlands, Deferreidd und
der & d mei zu haben:
Schrbud
der
katholiſchen Dogmatik.
Dr. $. X. Dieringer,
MR d DAI Eo
Dritte vermebrte unb. verbefferte Auflage.
XXn. 74468. gr. 8. geh. Preis 5 fl. od. 2 Rihlr. 26 Ser.
„Die wohlwollende Theilnahme, — fagt ber Herr Berfafler
in der Borrede ju ber hier angefünbigten neuefen Auflage —
welche bisher dieſem Lehrbuche gefhenft worden, bot eine
dritte Auflage veffelben erforderlid gemadt. Der geneigte
Sefex wird bei einer Bergleihung mit der früperen finden, daß
2
i. es nicht an Fleiß habe fehlen Taffen, das Füdenhafte zu er
gänzen, das mehr oder werige Undeutlihe flarer und befimmter
auszudräden, etlided Süinbermidtige zu verbeflern. die einfahlas
jigen neueften teiftungen Anderer dankbar :u berüdfichtigen, einige
Kfanine und Paragraphen gänzlid umquatbeiten. Das eeptere
gilt namentlih von ben meiften "Bartbien des erfien Zbeile unb
ven der Vrärefinationgiehre. Wie früher, fo habe ih es aus
ἐπ diefer Auflage vermieden, mid in eine unerquidiige Bolemit
einzulaflen, wobei die Wahrdeit feiten gewinnt, die Yiebe báufig
verliert. Wo εὖ mir unvermeidlih fdien, unridtige Auffaffungen
^ zu beleudten, ba galt e eben nur den Auffaffungen, nidt ben
erfonen 1C"... .. Wir glauben εὖ nidt nótbig zu haben, vies
fen Worten des berühmten Berfaflers, mit weichen er gleihfam
die dritte Auflage feines Lehrbuches in die Ceffentlicteit einführt,
mod eine Empfehiung beiufügen und befhränten ung auf bit
Andeutung, daß vie äußere Ausflartung biefer, aud nad der
fRogen;abl nicht unbedeutend vergrößerten Auflage ihrem inneren
Berihe vollfommen entípridt.
Preisherabſetzung!
Durch alle Buchhandlungen ift zu beziehen:
Beyeter, fatty, Erziehungs: u. Unterrichtölehre nad
fatpof. Grunbfápen sc. 2te umgearb. u. verm. Ausg. [3 8.
(gbpr. 2 Tpir. fi. 3. 12 tr. τῇ.) jest 24 Nor. fi. 1. 20 tr.
Auf 12 Er. ein δτείεχεπιρίατ!
Yarizch, Alerius, fatbol. Gebet: u. Febanungebug
für Brauen und Sungfrauen. Reueſte Aufl. Wit 1 Stabif.
12. geh. (tbpr. 15 gr. 48 fr) jett 10 9igr. 32 fr.
yh. Btinsec in €Cidftiti.
85 unferem Berlage erfpienen fo eben unb find in allem
foliden Buchhandlungen Deutfplands zu haben:
Gailatb, P. Georg. Sechs Reben über bie unbefledte
Empfängnig der allerfeligtien Jungfrau Marie, Aus
dem Lateinifhen vom Berfaffer des Wallfaprtsfpiegels.
5%, Bogen. gr 8%. Preis: geb. 12. Sur.
Goldhagen, Hermann, Priefter der Geſellſchaft Sefu.
Bouftändiges Gebet⸗ und Erbauungsbuh als Andacht
zum heiligen Herzen Jefu Cprifi. Mit Gutpeigung
und Genehmigung der Obern. 14 Bogen. gr. 125.
Preis: geb. 9 Sgr.
Gröne, Balentin, Doctor der Theologie , Sacramentum
oder Begriff und Bedeutung von Sarrament ín ber
alten Kirche bie zur Scholafit. Ein Beitrag zur Dogr
3
mengefiäte, 13/4 Bogen. gr. 8". Preis: geh. 25
gr.
Nolte, 3. 8. Lehrer zu Reiſte. Choralmelodien zum
kathol. Gebet: und Gejangbude von 3. A. Hüfer, Pa-
for in Kirchveiſchede. In Thonziffern überfegt. Τῆς Bos
gen. 80, Preis: geh. 8 Sgr. .
Süfer, 3. 3L, Paftor in Kirchveiſchede. Vorbereitung zu
einem feligen Tode. Gebet: unb Betrachtungsbuch für
fato, Familien Mit Biſchöflicher Approbation. 15
Bogen. 8%. Preis: 9 Sgr.
Ehrlich und Schwier. Kopf: und Tafelrechnen, mit
einander verbunden, und ohne ſchwierige Bruchaufgaben.
Für Glementarídjulen bearbeitet, und mit einigen Φθίην
fen für den Lehrer verfehen. 1. Heft. -Sablen einerlei
Benennung. 3 Bogen. 8%. Preis: 2 Sgr.
Soeſt, und Olpe, im Auguft 1853.
$£affe'íóc Buchhandlung.
Im Berlage der ὅτ. Hurter’fgen Buchhandlung erſchien
foeben als
thwendiges Supplement zu allen fieben Auflagen des
noth er bif Seifen Karesiennee fagen
Statecbetifcbe8 Nepertorium, oder Bolftändiges
Auffindebuh von Erklärungen, Notizen, Gleich
niffen und Veiftpielen zur Erläuterung unb Ber-
anfhaulihung eines jeden Katechismus. Ein
nothwender Nachtrag zum biftorifhen Kate
ὦ ἰδπιπ δ᾽ mit vielen neuen Exempeln. Bon Sy.
€. Schmid, Katechet.
Erfte ?ieferung, 36 ἔτ. “10 Nor.
Das .Ratedetifóe Repertorium” if beſonders für
bie Befiger_ des hiftorifhen Satediómus$, deflen bisherige
fieben Auflagen in iprer rafben Aufeinanverfolge ganz unver«
ändert geblieben, berebnet, um bie Mängel des [e&tern zu ers
jängen, {pn durch bündige Erflärungen ber fatebetifhen Wahre
Peiten auch zu vervollfändigen, fowie durch neue Notizen, Gieich⸗
niffe und Beifpiele den fatpolifhen Augend« und Bolfsunterrict
mögliäft intereffant zu maden, fo daß viefe Arbeit in Ber«
bindung mit bem piforifhen Katebismus, beffen Beifpie'e überall
mad ber in fämmtliben Auflagen gleich gebliebenen Beiteniah:
len eitirt find, als ein „vollhändi εὖ Auffindebug“ für
£&atedeten und Prediger dienen fol. *
4
Die oberhirilihe Approbation bezeichnet dieſes Wert als
»tin für ben katholiſchen Unterricht febr zwedviens
lioet bilfbud."
‚Der Seelforger am Kranken: und Sterbelager
der Gläubigen. Eine Anleitung zur 9luéfpenbung
ber heiligen Gterbfaframente, Abläffe und Segnungen
der Kirche, nebft einer Auswahl von Gebeten und Bes
trachtungen für Leidende und Gterbenbe. Aus ben
beften Kranfenbüdern gefammelt und herausgegegen von
3. A. Eberle, Pfarrer in Mörfhwil. Zweite, veränder-
Auflage. In zwei Tpeiten. Mit bifhöfliher Apr
probation. fl. 2. Rthlr. 1. 6 ngr.
Geparatabbrud hieraus, enthaltend ben für die Kranken allein
berechneten Theil:
Der Tröfter am Kranken: unb. Sterbelager
der Gläubigen. Katboliſches Andagte- und Er
bauungébud) für leidende Pilger zur Ewigkeit, ihre
Sreunbe und feelforglichen Führer. Bon 3. A. Eberle.
fi. 1. 21. fr. 24 ngr.
Bei Henry & Goben in Bonn erfpien foeben, und if
durch alle Buchhandlungen zu beziehen:
Der Primat des Difdsfe von Rom
und
bie alten Patriarchalkirchen.
Ein Beitrag zur Gefchichte der Hierarchie, insbeſondere
" zur Erläuterung beà fedften Canons des erften allgemeinen
Concils von Ricaa
von
Friedrich Maaßen,
J. V. D.
H Preis 1 fl. Rhein.
Den Gegenftand diefer Schrift bilden die auf bie alten ya:
triarhalfirden Rem, Alerandrien und Antiodien fi) beziebenden
Beſtimmungen bes erfien allgemeinen Goucild. Es gehört die
Sinnerllärung derfelben betanntlid) zu den beftrittenften Materien
des Sirbenredté und mutte eine neue monographifhe Behand-
lung um fo mehr als ein Bedürfniß erfheinen, ale inzwifgen
auf angrenzenden Gebieten Grgeltaiffe gewonnen find, weine das
richtige Verſtändniß weſentlich erleichtetn.
5
Im Berlage der (yt. Eintz'ſoen Buchhandlung in Trier if
foeben erfopienen und dur alle Buchhandlungen zu beziehen:
Sacrosancti et oeconomici
Concilii Tridentini
Paulo MEE, Julio III et Pio IV.
Pontificibus maximos
celebrati
Canones et Decreta.
Geheftet. 15 Sgr. — 54 fr.
Erflärung
der
Merkmale der Liebe.
Aus bem Franzöſiſchen überfegt.
Geheftet. 15 Sgr. — 54 fr.
Büſt, Franz,
Ecce Homo
ober
Betradiungen
über den
Purpurmantel, das Schilfrohr
unb bie
unferes Heben Herrn Jeſa Chriſti.
Mit einem Zitelfupfer.
Geyeftet. 17a Sgr. — fl. 1.
Binz, R., Lehrer,
Das verarmte Dorf.
Ein Büdlein
für den Sandmann und die bürgerliche Ingend.
ὃς Theil. 21 Gg.
In der Unterzeisneten ift fo eben erfhienen und durch alle
folive Buchhandlungen zu beziehen, "(in Zübingen durg bie
Raupp’fge Bubhandlung):
Demuth ded Herzens
der Pater Gaetano Maria ba Bergamo,
aus der Bamilie des $. Franzislus, Kapuzinerordens.
Aus dem Italieniſchen ins Deuiſche übertragen von einem
kathol. Geifttiden.
Zum Beften des kathol. Gefellen-Hofpitiums in Cöln
herausgegeben von
Adolph Kolping,
Domvicar und Präfes des kaiholiſchen Gefellenvereins.
Mit Genehmigung der Erzbifhöflihen Behörde.
8 Bogen 12. Preis geh. 10 Sr.
De ΄
Personae vel Elypostasis
apud
patres theologosque natione ét usu.
Scripsit
Fr. Guilelmus Nottebaum,
St. Theologiae lic. olim in convicwrio Bonnensi repetens.
(Opus posthumum.)
praefatus est
Dr. Canradus Martin,
in universitate Ahenana prof, et Couvictorii cath. inspector.
6!/, Bogen gr. 8. Preis geh. 9 Sgr.
Soest und Olpe.
Nasse’sche Buchhandlung.
So eben ist in unserm Verlage erschienen:
Pistis Sophia opus gnosticum Valentino ad-
judicatum e codice Coptico Londinensi descriptum
latine vertit MI. G. Schwartze adidit J. H. Pe-
termann. gr. 8. geb. 2 Rthlr.
Bei der mangelhaften Kenntaiss der gnostischen Systeme, welche
wir fast nur nach den Schriften ihrer Gegner, der Kirchenväter za
T
beurtheilen vermögen, ist es von grosser Wichtigkeit, einmal ein
vollständiges, und von aller kritischen Beimischung freies Werk ei-
nes Gnostikers kennen zu lernen. Ein solches ist die Pistis Sophia,
deren Bekanntmachung seit langer Zeit von den gelehrten Theo-
logen sehnlichst gewünscht worden, und von der wir hier einen
besondern Abdruck der Uebersetzung aus der im Jahre 1851 er-
schienenen Ausgabe des Textes nebst Uebersetzung zu einem mäs-
sigen Preise zugänglich machen.
Berlin im September 1853.
Ferd. Dümmler's Verlagsbuchhandlung.
Im Berlage der Kaifer’fchen Buchhandlung in Luzern
ift erfbienen und in allen Buchhandlungen zu haben:
Clemens XIV.
‚und bie
3efniten.
Nah dem Werke:
Geſchichte des Pontificats Clemens XIV.
nach unedirten Gtaaté(driften
ans bem geheimen Archive des Vatikans
von
Profeffor Dr. 9fuguftin Theiner,
Prieſter des Dratoriums, Eonfultor ter heiligen Gongregationen
des Inder, der Bifhöfe unb rbenégeifiliben und des Gants
Dfficto, Mitglied ber Specialcongregation der unbefledten Ems
pfängniß ber deil Jungfrau Maria, des theologiſchen Collegiums
an ber Univerfität von Rom, ber päpfllihen Acavemie ber Ars
Yäologie, Präfect »Coadjutor bed geheimen Archives des
heiligen Stuples u. f. τὸ.
Herausgegeben
von
Siofef Burkhard Leu,
Probſt, Erziehungsrath unb Profeffor der Theologie in Luzern.
9 Bogen. (leg. geh. 54 fr. — 16 Nor.
Bet Fl. Supferberg in Mainz find fo eben erfchienen
und in allen Sudbanblungen zu haben:
Spacbtfer, ©. M., Die Hymnen der katholifhen Kirche.
im Veromaße überfegt. 29 Bogen, Miniatur Ausgabe,
8
gebeftet 1 Sübír. 15 Gar. oder 2 fl. 42 fr.
gebunden (n Goldſchnitt 2 9ttbv. 6 &gr. oder 3 ff. 48. fr.
Format wie „Redwitz Amaranth.”
Pachtler, G. M., Preces in usum oatholicorum, qui
litterarum studiis vel imbuuntur, vel jam sunt imbuti.
6. 14 Sgr. oder 48 kr.
gebunden in Goldschnitt 1 Rthir. oder 1 fl. 45 kr.
Das vorliegende lateinische Gebetbuch zeichnet sich vor den
meisten seiner Árt durch eine möglichst reine Latinität aus und
ist zugleich streng in katholischem Geiste abgefasst Der Hoch-
würdigste Bischof von Rottenburg hat es nicht blos approbirt, son -
dern zugleich empfohlen. Ebenso ist es vom Hochwürdigsten B!-
schof von Mainz approbirt. Insbesondere empfehle ich auch die
bundene, höchst elegante Ansgabe, für welche gans eıgene Buch-
inderformen angefertigt wur
In ber Krüll'ſchen lniverfitáté: Buchhandlung erfiheint und
ift bur alle foliven Buchhandlungen des Ins unb Auslandes
gu beziehen:
SSerrone, 3. D. Eompendium der katholiſchen Dogmatik.
Zum Gebraud für Theologen und gebildete Laien beutfd)
bearbeitet von einem katholiſchen Geiſtlichen.
Diefes Wert wird aus 4 Bänden von fe 4—5 Pieferungen
à 12 Rgr. — 36 fr. rn. befiejen und binnen Yapresfrift vollen:
bet fein. Der L und Il Band unb vom ΠῚ. Band bie erfte und
aweite Xieferung find bereiss erfhienen.
Im Berlag der Kaifer’ihen Buchhandlung in Luzern
ift erfgienen und in allen Buchhandlungen gu haben:
Warnung
vor
Neuerungen und Hebertreibungen
in ber
katholiſchen Kırae. Peufclande. — .
Bon
der pU Joſeph Burkard eu,
er ΘΙ. δὲ. 3. Prälat. consist. befätigt. infulirter Prob
und —X der Theologie Pa ujern. von
Inpalt: Neuerungen in der Dogmatit — Streit über ben
Trauergostesvienft in Barden — Rreipeit und Unabhängigkeit der
Kirpe von der Sraa’sgewalt. Ueber die Denkiwrift des Epie:
eopaies der oberrhein. Kirchenprevinz vom 18. Juni 1853.
. 5 Bogen 8. geh. 27 fr. 8 Ngr.
9
Sn der Unterzeichneten (ἢ foeben erfhlenen:
- Kalender für Seit und Ewigkeit.
Bon
. M. Zugichwerdt.
1854. Zwölfter Jahrgang. Mit 6 Bildern.
Preis 9 fr. — 3 9tgr. d
Die außerordentliche ?Inerfennung, melde ber Kalender für
Zeit und Ewigkeit allerwärts erlangt hat. überhebt ung jeder
Empfehlung; wir bemerken daher nur. daß fib ber neue Jahr
gang in jeder Beziehung würdig an feine Vorgänger anreipt.
Bon ben vorbergehenden Sabrgángen des Kalenders
für Zeit und Ewigkeit waren einige vergriffen. Diefelben
find in neuen Auflagen erſchienen und burd) alle Buch—
bandfungen wieder zu beziehen.
Der Preis ter. Jahrgänge 1843 bis 1851 beträgt je
6 fr. — 2 ngr.
Sreiburg, 1853.
Serbder’fche Verlagshandlung.
Im Berlage ber Eoppenrath’fhen Bub» und Runfidand«
Tung in Nünfter ifl fo eben erfdienen und dur alle Buchhand⸗
lungen zu beyteben:
Geicidte Bayerns.
Zum Gebrauge bei afademifchen Vorlefungen
und zum Selbſtudium.
Bon Dr. M. Th. Gonten,
Brofeffor ter Φεβδίφιε an ber Univerfität zu Würzburg.
Erfte Abtheilung. 1853. gr. 8. 1 fr. 10 Sgr.
Der gelehrte Berfaffer hat in diefem Werte fib die Aufgabe
geftellt, vom Standpunfte der neuern Forſchung aut bie fo mid
tige Gefbidte eines ter bebeutenbften beutfden Yänder für das
Bedürfniß benfenber Gefdidtófreunbe in anziehender und ges
brángter Weiſe darzuftellen, die Vebandfung {εἰδῇ aber auf alle
SBeflanbtbeile des Königreiches, neuere wie ältere, worin bie vers
féiebenartigften Staatsformen zur Entwidelung gefommen find,
gleihmäßig aurzudehnen. Nach beiden Richtungen bin brit biefe
peue Bearbeitung eine bisher nod) nicht verfucte Bahn. — Es
erfheint in drei Rteferungen von beiläufig gleihem Umfange,
deren febe ein in fid gefdloffened Ganze bildet; in der zweiten
Lieferung wird bie Θεφίφιε Bayerns bis zum Ausgange des
Mittelalters, in ber dritten bis auf unfere Tage geführt werden,
10
Bei Eduard Anton in Halle tft ſoeben erſchienen und in
allen :udfanblungen zu haben:
Toluck, Dr. A., das akademiſche frben des 17ten Iahr-
hunderte , mit bejonderer Beziehung auf bte proteftans
tıjp:tbeologiihen Fakultaͤten Deutſchlands, nad) hand»
ſchriftlichen Ducllen {τε Abth. Die afademifhen Zus
fände. A. u. b. Titel: Vorgeſchichte des Rationalis
mus L 1. Atıh. 1853. gr. 8°. bred). 1 Rihlr. 22’ gr.
Yortrait des Herrn Prof. Dr. 9. Seo. fol. Div. Papier
20 Sgr. Belin Papier 25 25 &gr.
In unferm gommifiond« Bertage ift fo eben erfhienen unb
in allen foliben Buchhandlungen zu haben:
Ein Tatbolifches Volksbuch
für die Großen und für die Kleinen.
Sammlung
von Erzählungen und Auffäten
von
Adolph Aolping,
Domvicar und Präfes des Bathol. Befellen- Vereine.
Religion und Arbeit ift ber goldene
Boden des Volles.
1 Baͤndchen. 12 Bogen 8. Preis geb. 10 Ggr.
Der Name des Pochwürdigen Heren Berfaffer hat einen
fofben Klang durh ganz Deurfóbtanb, dak ed feiner weiteren
Gmpfeblung bevarf, mir deshalb das Publikum hiermit einfach
von beffen Erfgeinen in Kenuiniß fegen.
Spef um Olpe, Naſſe'ſche Buchhandlung.
Am Berlage von ©. P. Aderholz in Breslau ift fo eben
erfgienen und in a en Puafanb ungen zu haben:
Neue tbeologifche Briefe
an Dr. Anton Günther.
Ein Gericht für feine Ankläger.
Nebft vorangehender Duplik auf des Dr. Eiemens Replik.
Sei Dr. S. B. Balger,
Zweite Eerie. gr. 8. geh. 1434 Bogen. 20 Egr:
Der Proteftantismus
ale politifdes Princip
von Dr. Wriebrid) Julius Stahl. .
In drei Genbídreiben vom Stantpunfte der Waprpeit,
des Rechtes und der Gefchichte widerlegt durch
Earl Nicolaus Guſtav Rintel.
gr. 8. geb. Preis 20 Ser.
Der Proteftantismus als politifches
Sprincip
von Dr. Wriebr. Jul. GtabI.
Nach ben Principien gewürbigt von
Dr. Sy. 8. Reinkens,
Dom Feſtprediger unb Sprofeffor in Breslau.
gr. 8. gef. 9 Bogen. Preis 15 Ser.
Illuſtrirte Prachtausgabe
der Probs heiliger Ascetik.
DE
IMITATIONE CHRISTI
LIBRI QUATUOR.
Ad optima exemplaria, collata cum vetustissimo ‚codice
quem nuncupant de Advocatis, accurate editi.
Accedunt Preces missae adjunclo precationum de-
lectu in usum confitentium et cummunicantium.
Curavit JOANNES HRABIETA,
Presbyter eccles., examinator synodalis, professor et director
progymnasii cathol Dresdensis.
Tertia editio stereotypa ornamentis illustrata priore
emendatior ei auctior.
Cum approbatione RRmi Consistorii cathol. in regno Saxouise.
Prachtausgabe auf {εἰπῇ ἐπὶ mitdweifem Belinpapier
mit 6 rof en Sliufirationen von *. Gtraehuber in
X in {εἶ a
den mfem Holzfguitt. Elegant eene. Preis
Diefeibe in feinem engl. Leinwandband mit Gold»
fonitt und reiher Goldverzierung. Breis 1 fi. 15 ἔτ.
Billige Ausgabe anf fhönem Belinpapier illufrirt, geheftet.
. Preis 10 Stgr.
Anftatt (gener Lobeserhebung führe ih hier das competente
Urtheil des Herrn Profeflor Dr. Scheiner in Wien in ber Zeit.
férift f. b. gef. Tat. Tpeologie 4ter Ἔν. 3te$ Left an; e$ lautet:
„Die vorliegende Ausgabe λείώπει fid mirtlid
auf cine eminente Seife aus, und ter goldene Kern
wird uns hier in ver That in cinem edlen und würbigen
Befäse vargereiht. Die Auegabe if boppelgenaltig,
nãmiich als Pramteremplar und alé wohlfeilere Nuf-
gabe. Grftere láft gar nichts zu wünfchen übrig, fomoM
in format als fplendivder äußerer 9udflatung und
legtere empfieblt fib jedem Sreunbe fhöner Formen
und guten Geftmades Gine wahre Zierde ver ec
fieren find Die beigegebenen Aunftblätter bilvlider Dar:
fieffungen.
Berlag von Serb. Keffelring in Hffoburghaufen
und Yeipzig.
Bei Franz Kirchheim in Mainı ift forben erfbienen unb
in allen "udjanelungen Deutfhlands, Defterreios
und der $ d eig zu haben:
. Predigten
auf verfchiedne Fefttage,
nebft
einigen Saflen- und Gelegenheitsreden
von Dr. Caspar Riffel.
(Der gefammten „Predigten auf alle Sonn» und Fefttage
des Jahres” dritter Band.)
XVI. u. 494 Θ6. gr. 8. geb. Preis 2 fl. 42 fr. oder 1 Thlr. 18 Ser.
Den zwei Bänden, „Predigten auf alle Sonn» und δεβίαρε
des Jahres“ enthaltend, bie nächſte ns in dritter vermebrter Auf⸗
lage bei und erfdjeínen werben, fügt der als Kanzeiredner unb
KXirhenhiforiter in ben mweitehen Kreifen gleih How gefeierte Herr
SBerfaffer hiermit einen weiteren Band bei, in welhem eine Reihe
von Kef- und Raflenprebigten, nebft mehreren Giefegenbeitéreben
aufgenommen find, fo zwar. daß viefer dritte Band nit nur bit
beiden vorhergehenden vervollfändigt und ergänzt. fonbern aud
für fif ein abgefchloflenes Ganzes bildet und beffalb von und
13
aud allein und unter befonberem Titel abgegeben wird. —
Aller weiteren Anpreifung ber her angefünbigten Ranzelvorträge
des fodiürbigen Predigers un$ entpaltend, erlauben wir uns
mur zu bemerten, daß biefelben nicht etwa blos für Meinere Kreife
sehalten wurden, fontern als „Beiträge jur Gefdidte
unferer Zeit“ — wie ver Herr Berfaffer feine Predigten
{ε|δῆ bezeichnet — gleich ben früher von ihm erfhienenen Kans
jelvorträgen, ve höchfte Aufmerkfamleit aller gebilbetenunb ents
piedenen Ratfolifen verdienen.
In der Unterzeihneten iſt erfhienen und burdj alle folibe
Bushandlungen zu beziehen (in Tübingen in der Laupp'ſchen
Buchhandlung vorräthig):
Tegel nnd Luther,
oder
Sebensgefhichte und Wedtfertigung
des
Ablaßpredigers und Inquiſitors
Dr. Johann Tegel
aus bem Fredigerorben,
von
Balentin Gröne,
Doctor der Theologie.
15'/, Bogen gr. 8. Preis geb. 24 Ser.
Die Wahrheit
des
fatbolifcben Glaubens,
bewiefen
durd eine einzige biftorifde Thatfade,
oder fritiiche Prüfung des Wunders von Tipafa ober bem
heutigen Tefeffed in Algier.
Nach dem Sranzöfifgen
von
Vietor de Bud,
Prieier ber. Geſellſchaft Jeſu.
2 Bogen 8, Preis geh. 334 Ser.
Spef und Olpe. . 8affe'ióe Buchhandlung,
———— .
44
n ber Krüll'ſchen Univerfitäte-Buchhandlung in Lands
but IR foeben erſchienen und durch ale foliven Budbantlungen
au beziehen:
Vermander, Dr. Mich. Univerfitäts-Profeffor Hand-
bud) des katbolifden Airchenrechts mit bejonberer
Rüdfiht auf Deutſchland. Zweite, gänzlich umges
arbeitete und verbefferte Auflage in einem Bande
Bogen gr. 8%. Bel. Pap. Rthir. 4. 3 Sgr. fl. 7. 12 fr.
Der Ruf, ben fid der Verfafler diefes Werkes ſowohl durch
bie erfie Auflage, fo wie aud) durch mehrere andere Werke bereits
begründet hat, überhebt und jeder Anpreifung diefer neuen Aufs
lage; wir glauben nur nod) bemerken au müffen, daß dieſes Wert
janj befonders als Danbbud bei Borlefungen an Univerfitäten
[" eignet unb aud) die erfie Auflage fbon als folhes allenthals
ben empfohlen wurde; ebenfo wird es ben Herren Seelforggeift«
lien, wie ven Herren Suriften eine willtommene Erfpeinung fein.
Im Berlage von Earl Nümpler in Hannover ift erſchienen
unb durch alle Buchhandlungen zu beziehen:
SAGE VON DER HEILIGEN URSULA
und den
Elftausend Jungfrauen.
Ein Beitrag zur Sagenforschung
von
OSKAR SCHADE.
gr. 8. 1854. Eleg. geh. 22!/ Ngr.
GEISTLICHE GEDICHTE
BEEN
Herausgegeben
von
OSKAR SCHADE.
8. Anselmus. boich.
9. Sibillen boich,
Ursula. 10. Van dem begingin van Paris.
Marien clage. 11. Dat liden der hilger Machabeen.
τ
ΓΝ
15
Michael Vehe's Geſangbüchlin
vom Jahre 1537.
Nach dem Exemplar der Königlichen Bibliothek zu Hannover
herausgegeben von
Hoffmann von Falleröleben,
(IV. 138 Seiten.) Eleg. geb. "2 Rihlr.
Kirchenfried und Kirchenlied
\ Von
G. C. H. Stip.
(Anhang: Die Sünger im unverfülschten Liedersegen.)
gr. 8. Eleg. geh. '/ Rthlr.
BEITRAEGE
HYMNOLOGIE
für Lehrer beider Confessionen
in Kirchen und hóhern Schulen.
Von
€. €f. $. Stip.
Erstes Heft. gr. 8. Eleg. broch. 1 Rthlr.
A. u. d. T.: Hymnologische Reisebriefe IL Bd. 4. Heft.
$n der Hurter’fhen Buchhandlung in Schaffhauſen erfgien
fo eben:
Der .
fatbolifcbe Gottesdienft.
(in Schr- unb Gebetbud), worin ber ganze katholiſche
Gottesdienſt gemeinfaglid) beſchrieben umb erfárt wird
und die firdliden Andachten unb Gebete enthalten find.
Bon Nikolaus Nothmiller, Weltpriefer ber Dioͤceſe
Briren. Mit Gutpeígung des f. b. Srbinariaté zu
Brixen. ff. 2. 48 tr. Rthlr. 1. 20 ngr.
Zebensbilder ans ber ον ἐν" Jefu. Bon
Gr. &h. v. Scherer, . 48 fr. Rihl. 1.
Die Sakramente der heiligen Ketboifäen Kirche.
Zum Gebraude bei afademifchen SBorfejungen, fomie zum
Selbſtunterrichte für gebildete Epriften. Bon $8. ©.
Terlago. fl. 1. 45 ἔτ. Rihlr. 1.
Die chriſtkatholiſche fere in Frühpredigten. Bon
18. Schels. Zweiter Band. A. u. b. T.: Gebote,
die Alle halten müffen, oder: Pie febre. von den
Geboten, abgehandelt in Frühpredigten.
fl. 2. Stübir. 1. 6 ngr.
Auswahl alter Marianiſcher Predigten, Homilien
und Unterweifnngen für Stadt und Sand. Heraus
gegeben von Lanz, Pfarrer. Zweiter Tbeil, enthal-
tend: Prebinten auf bie Feſte ber unbefleckten
Gmpfángnif und Bermäblung ER arid.
hir. 1. 6 ngr.
Flores patrum latinorum et Hymni ecclesiastici.
Ad optimarum editionum fidem recognovit et brevibus
nolis illustravit Dr. W. REITHMEYER.
f. 1. 48 fr. Rihl. 1
Vir apostolicus, sive Doctrina methodica de utili
et facili praxi fenctionum sacerdotalium. Auctore
P. T. Neumayr. S. J. Editio nova cura M. de AUER.
fl. 4. 21 fr. 24 ngr.
Vademecum piorum sacerdotum, in usum cleri secu-
laris denuo editum, emendatum, amplissime auelum a
sacerdole seculari. ff. 1. — 18 ngr.
Reuer fpeologiider Verlag
der
&. Laupp'ſchen Buchhandlung (Laupp ἃ Siebe) in Tübingen.
fBeltené, 8r, Der deutſche Ghorafgefang, br ber tatbolifden
Rirde, feine gefbichtlige Gntwidtung, igifd Bedeutung
und fein Werbáltni$ zum proteftantifhen oe, ren:
tettung beffelben wider bie Bebauptung, dab tuther der Gründer
des deutſchen ^d fei. 12 Bog. gr. 8. broch.
f. 4. 20 tr. — 25 9
1?
Bonaventurae Breviloquium. Textum recognovit Dr. C. J. Hefele. Editio
altera passim emendata et aucta. 12. broch. A. 1. 20 kr. — 25 Ngr.
ChryfoftomussPoftille. Gine Unswapl des Cdónfien aus
den Predigten bed pi. Go rpfoftomud. Für Prediger und
zur Privaterbauung. Ausgewählt unb aus bem Grundtert
überfegt von Prof. Dr. J. C. Hefele. Zweite, mit Regifter
verfehene Ausgabe. 33/2 Mog. gr. 8. brod. fi. 2. 24 tr.
Rthir. 1. 15 Nor.
Gollet, P. Dr., Theotimus, ober: Ueber bie Pflichten eines 3üng«
lings, ber feine Studien zu heiligen münfdt. Aus bem Italienſſchen.
18,2 Bogen Tafpenformat. — brog. fl. — 48 fr. 3itplr. — 15 Nar.
Durſch, Dr. G M., Pädagogik, ober Wiflenfhaft der grifligen
Erziehung auf tem ótanbpuntte des Fatholifhen Glaubens
dargeftellt. 47/2 Dog. gr. 8. broch. ἢ. 4. 24 fr. Hthir. 2. 22 Ngr.
- -- Ratholifdedogmatifche Predigten auf alle Sonn
tage und Seftiage des Kirdenjaprs. 2 Bde. gr. 8. brog. ἢ. 5. 24 ἔτ.
Kıpfr. 3. 10 Ngr.
Halder, Sof., Ausgewählter Nachlaß. Mit Halder’s Portrait.
38 Peg. gr 8. brod) ἢ. 3. 48 fr. Rıpfr. 2 8 Nor.
Hefele, Brof. Dr. €. 3., Der Garbinal Kimenes und die firhlihen
Zufände Spaniens am Ende ves i5tem. und Anfange des iGten
Yahrhunvdertd. Insbefondere ein Beitrag zur Gefhihte und Wür⸗
bigung der Inquifition. Zweite verbeflerte Auflage. 36% Dog.
gr. 8. elegant brod. fl. 4 — Sir. 2. 18 Nr.
Hirſcher, Dr. 3. 8. v. Betradtungen über fämmtlihe Evangelien
ber Faſten mit Ginfdlug der Leidensgeſchichte. Kür Seelforger
und jeden driflien Veftr. ite Aufage. All/s Bogen gr. 8,
f 1. 86 fr 3ttbtr. 1.
— — Berragtungen über die fonntäglichen Evangelien des Kir⸗
ceniahrs. 2 SHcile. Fünfte Auflage. 95 Bog. gr. 8. Preis nur
ἢ. 3. 21 fr. Nıpir. 2. 5 Nor.
— — Die driftlihe Moral als Lehre von ber Sermirfíidung
be górtliden Reiches in der Menfaheit. 3 Bde. Fünfte verb.
Auflage. fl. 6. — Rihlt. 3. 25 Ngr.
Homilien, bie,. des bl. Chryſoſtomus in einer Auswahl für
Seelforger_und zur Privaseıbanung Aus bem Grundterte übers
fest von Sof. fus. Zweite, wohlfeilere Ausgabe. 42 Bog.
81. 8. bro. Preis nur fl. 2. 48 fr. Subs. 1. 25 Nor.
facorbaite, P. Ὁ. Dom, Die Kanzelvorträge in der Notre
DamesKirhe zu Paris Aus dem Kranzöffhen überſegt
von Cyofepb Lug und Sy. U. Hitfelder. 4 Bünbe. brod.
fl. 9. 54 fr. pir. 6. 6 9tgr.
Seber Band wird aud einzeln abgegeben.
ebner, Zob., Praktiſche Anleitung jum apototifnen
Rranlenbefud e. Aus vem Lateinifgen von M. v. Auer
15Y2 Bog. 8. brod. 3ttbir. — 20 Kar. fl. 1. —
Mad, Dr. MR. 3., Hanspofilie für Katholiken. 9n zwei
heilen. 8. brod. à ἢ. 4, 24 fr. Mipir. 2. 20 Nor.
... 18
SXReffillon'6é ausgewählte Predigten.. Herausneneben von Sof.
Lutz. gr. 8. E^ f. 3 Pi Sir. 2. 18 Sr.
Montalembert, Die tatpoliffen Intereffen im neunzepnten
Jadrpunert Aus bem $ranzöffben von $t. JB. Neiching.
10% Bog. gr. 8. brog. ἢ. — 48 Ir. — Rıplr. — 15 Nr.
Steumavt, S. J., 9. 8n. Gefdidtéprebigten über ben Bußpfalm
Miferere. LO berauégegeben von M. ». Auer, Priefler. gr. 8.
bred. ἢ. 1. 12 fr. 3l. — 24 Eo
vr Dr. en. Bermwa tung der bochheil. Eudhariftie. 46 Bog.
δ. ἢ. 3. 48 fr. Rıhır. 2 15 Kar. i
Quinte el, Chatles. Grnfie Stunden des jungen Weibes Nach der
zweiten Auflage aus gem Sranjófiffen von 3. p. 181, Bog. 12.
brod. fi. 1. 24 fr. 26 Nor.
fees Albert, Gevidte. 17 PBog. Tafhenformat, efenant Brogirt.
. 1. 12 fr. — 24 igr. gebunden Kıplr. 1. 3 Nor fl. 1. 48 ἔτ.
— — Die barmherzige Shwefter. Eine Erzählung 16.809.
8. Elegant brod. fl. — 54 fr. Rıpir. — 18 Nor.
— — Sebenébifber aus dem Θοιΐε und für das Bolt.
1215 Bog. 8. eleg. brod. 15 Yigr. fl. — 48 ἔτ,
— — Seinrich, das Findellind. Cine Erzählung aus bem
14. Zaprpunvert. Mit Titelbild. 16 Bog. Elegant bregirt.
f. — 54 tr. 18 Nor.
Wildt, S. X. von, Feſt⸗ und legen beit Dredipten
Herausgegeben von Dr. 88. Matted. gr. 8. bröch ἀᾷ 3.
Spir. 1. 26 3tgr.
Sutrigt, Prof. Dr. 3., Die Notpwendigfeit ber driffiden
fenbarungsmoral und ihr pbilofopbifder Standpunkt.
11 og. gr. 8. fl. 1. 20 tr. Ktpir. — - 35 Rar.
Google
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Baia Google