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Theologiſche
Studien und Kritiken.
Eine Zeitſchrift
für
das geſammte Gebiet der Theologie,
in Verbindung mit
D. Gieſeler, D. Luͤcke und D. Nitzſch,
herausgegeben
von
D. €, Ullmann und D. F. W. C. Umbreit,
Profeſſoren an den Univerfitäten zu Halle und Heidelberg.
| 1834
Siebenter Jahrgang.
Zweiter Band.
— — —— — —
Hawmburg,
bei Friedrich Perthes,
1834
Theologiſche |
Studien um Kritifen
Eine Zeitfhrift
für
das geſammte Gebiet der Theologie,
in Berbindbung mit
D. Giefeler, D. Luͤcke und D. Ritzſch,
herausgegeben
voR
D. ©. ullmann und D. F. W. C. Umbreit,
Profefioren an ben Univerfitäten zu Halle und Heibelberg.
Sahrgang 1834 drittes Heft.
Samburg,
Hei geriedbrih Perthee
183 4
2
1. .
Eine proteflantifche Beantwortung der Sym⸗
| bolik von Dr. Moͤhler.
- Bon |
Dr. C. 3. Nitzſch.
“
Dritter Artikel, von der Rechtfertigung. “
Seit Abſendung des zweiten Artikels habe ich die große
Befriedigung genoſſen, welche Marheinek e's Recenſton
der möhler’fchen Symbolik und die gegen daſſelbe Buch
gerichtete Darftelung des Fatholifchsproteftantifchen Ges
genfabed von D. Baur .einem nad anfrichtiger, gründ⸗
licher und Fräftiger Polemik verlangenden Leſer gewäh⸗
ren. Und zwar bat Hr. D. Marheinete auf alle vors
liegende. Schlagpuncte des Streits mit fo ſichrer Hand
getroffen, und Hr. D. Baur mit fo durchdringender Ges
nauigkeit Das ganze Gewebe durchpruͤft und jeden Fa⸗
dens Unhaltbarfeit dargethan, daß ich mich gern zurück⸗
ziehen und meinen bieherigen Beitrag ald ein Bruchitüd
das Seine wirken laffen möchte. Indeſſen erfenne ich
wohl, daß es ja nicht bIoß auf Entkräftung eines indivi⸗
duellen Angriffs, fondern auf den damit zufammenhän-
genden gemeinfamen Anbau ber Wiffenfchaft ankommt,
und will deßhalb, da ich einen andern Weg der Berhands
823 *
482 | Nitzſch
lung eingeſchlagen habe, auch ferner, was ich noch Eigen⸗
thümliches beizutragen weiß, nicht unterdrücken.
Den erſten Anlauf gegen die proteſtantiſche Lehre
von ber Rechtfertigung nimmt Hr. D. Möhler mit dem
fühn hingemorfnen Vorurtheile: unfer Begriff von der
Rechtfertigung fey zu äußerlich, unfer Begriff von der
Kirche zu innerlich. Nämlich die Gerechtigkeit Ehrifti
findet der Gläubige außer ſich, das ift ein zu äußerliches,
und bie Kirche ift die Gemeinfchaft der Heiligen, ber
Slänbigen, das ift ein zu innerliched. Ein Proteftant
dürfte fich Dagegen dad Verhältniß fo worftellen: die rö⸗
miſchkatholiſche Lehre von der Kirche gelangt eben deßhalb,
weil fie nicht von dem Innern ausgeht, zu dem Innerli⸗
chen gar nicht; der proteflantifche Begriff von der Rechte
fertigung aber ift nur in foweit äußerlich, als es äußerlich
heißen kann, fic im Glauben auf Gott zu richten, aus Dem
Gefühle des eignen Werthes und Vermögens herans und
auf die Gemeinfchaft des Herren im Glauben einzugehen.
Denn in der Subfectivität, ale Glaube und als die im
Glauben zugeeignete Gerechtigkeit ift die Rechtfertigung
doch innerlich genug, und unterfcheibet fich gerade in dies
fer Snnerlichleit von dem, was die Theologie der Geg⸗
ner unter bemfelben Worte verficht, von ber bloß Außer,
lichen Aneignung Durch Dad Sacramtent der Taufe. Nicht
der Glaube ift Iaut dem teienter Decrete die coausa in-
strumentalis iustificationis, fondern dag Sacrament
des Glaubens, die Taufe. Und alle Gegenfüge beider
Kirchen, die es in dieſem Artikel gibt, beruhen wieder
daranf, daß die Fatholifche ſich die Heilsordnung nach den
Momenten bes Firchlichen Lebens, alfo von Außen her
eonftruirt a). Bon Außen her kommt ed, daß man vor
a) Apol. Aug. Conf. art. 2. bemerkt daher Melanchthon: Adversa-
rii nasquam possunt dicere, quomodo detur spiritus sanctus.
Fingunt sacramenta conferre spiritamsanctum,
proteflant. Beantwort. d. Symbolik v, Möhle. 483
der fides ald fiduria (Exovres zugonclaen Hebr. 10, 19.)
erſchrickt, denn Die fiducia fcheint den Chriſten zu ſelbſtſtaͤn⸗
Dig, nämlich zu unabhängig vom Schlüffel zu machen;
von Außen ber, daß die Buße aus den drei uncoordinir⸗
baren Dingen, Zerkuirfchung, Mundbeichte und Genng-
thuung des Werks befichen fol; das Vorgewicht bed äu⸗
Berlichen macht ed, daß Das Sacrament ex opere ope-
rato wirkt, und daß der Glaube, der fich auf das Wort
ber Berheißung unmittelbar hinrichtet, im Grunde gas .
ignorirt ober mır als Die ganz gemeine Vorausſetzung Der
Rechtfertigung behandelt wird. Gemahnt durch die Re
formation haben ſich allerdings die Väter von Trient ber
mähet, die Heildorbuungsbegriffe wieder mit dem göttli
chen Worte in der heiligen Schrift und mit dem chriftlis
chen Bewußtſeyn zu verfnüpfen; fie haben mit ftarfer
Betonung gejagt, fides est initium, fundamentum, radix
instificationis und dergleichen, aber immer bingugefiigt,
„weil nihtohne den Glauben Gottgefälligfeit und Ser
tigkeit zu erlangen ifl.” So füllt ihnen der Glaube immer
wieber in das bloß Präparatorifchezurüd. Sie hielten ſich
an den Standpunct der Scholaftifer, deren Lehre von ber
Heilsordnung auch ihrer ganzen Faſſung und Stellung
nad) nur Sacramentslehre iſt. Den Scholaftitern ließ,
mochten fie auch noch fo wenig pelagianifch gefinnt feyn,
das Firchliche Leben in feiner ganzen unantaflbaren Be⸗
ſtimmtheit nichts andres zu, ba es nicht Die Hebung, Ver⸗
mittelung, Erfcheinung des chriftlichen geblieben, fondern
das Geſetz Ehrifti, Ber Weg des Heiles felbft geworben war.
Wenn man wiflen wollte, was Befehrung und Buße fey,
mußte man es ans der Kirchenbuße, wie fie allmählich ſich
geitaltet hatte, begreifen: die unendliche Verwirrung und
gänzliche Unbeftimmtheit, in welche die Begriffe von poe-
ex opere operato, sine buno motu accipientis, quasi res vtiosa
sit. donatio spiritus s.
nitentis, satisfaetio, bona opera, remissio peccatorum,
fides, iustificatio, poena gerathen find, rührt eben baher,
daß die Scholaftit fie aus dem kirchlichen Thun und Leis
den ſich entwideln wollte und mußte, fo daß einem jeben
folchen Begriffe Das Aeußerliche angeboren blieb, welches
ſich num, je nachdem es nöthig fchien, dem Innerlichen
vor⸗ beis und unterordnete. Die bloße Gefchichte ber
Kirchenbuße von Tertullian bis zu Tebeld Ablaßprebigt
reicht zum Beweife hin, daß, wenn einmal der Begriff Der
Kirche vom Aenßerlichen anfängt, auch ber Begriff ber
Nechtfertigung und der ganzen Heilsorbnung ein äußerli⸗
cher werden muß. In diefer Beziehung darf man behanps
ten, ber erfte unb entfchiedenfte Bekämpfer des Pelagius,
Auguftinds, hat den Pelagianismus befördert. Achtet
man nämlich auf die Anfänge und Vprfpiele des Syſtems
der Aeußerlichkeit, wie es von den Scholaftifern ausgebil⸗
bet worben ift, fo wird man fle immer in Auguftin’s An⸗
fichten und Ausdrücken finden. Er fchon hat die Kirchens
buße Dogmatifirt, er fchon den feligmachenden Glauben
als Annahme des Fatholifchen Lehrbegriffs fich gedacht.
Das aber hat er nicht bemerken können, daß er in dieſer
Richtung auf das Aeußerliche, ohne es zu wollen, bie
Kirche berfelben Werk» und Tugendlehre zuführte, vor
welcher er fie fo Fräftig gewarnt hatte.
Jetzt fragt es fi) aber, wie Hr. D. M. die Aeußer⸗
lichkeit des proteflantifchen Begriffs der Nechtfertis
gung verftehe und erfläre. Glauben wir ihm, fo hat fie
ihren Grund vornehmlich in der mißverftanpnen Sprache
des Alterthumd. „Die Alten pflegen bie Form, in wels
cher das Innere in bie Erfcheinungswelt tritt und nach
Außen fich offenbart, für das Innere felbft zu feßen, weil
biefes in feiner Form verborgen zu Tage gefördert wird.’
Man merke fidy dieſe Obfervation genau, und höte nun
bie Anwendung. „Wenn daher im alten Bunde bie
Rechtfertigung des Menfchen durch und vor Gott in ber
proteflant. Beantwort. d. Symbolik v. Möhler. 485
Form einer menſchlich⸗ richterlichen Thätigkeit vorgetras
gen ift, alfo eines bloß. äußerlichen Freis und Losſpre⸗
chens, fo ift es der größte Serthum und Beweis einer Uns
bekanntſchaft mit der Denk⸗ und Sprachweile des Alter
thums, wert man nicht zugleich an eine innere Befreiung
und Ablöfung vom Böfen denkt.” Alfo, fügt der Bf. bins
zn, hätten einen Gerhard fchun Die Menge ber von ihm
eitirten und aus der Gerichtsfprache hHergenommenen Vor⸗
ftellungen der Schrift, Richter, Tribunal, . Klüger, Hands
fchrift, Anwalt ıc. belehren follen, daß fie theilweife eine
bildliche Bedeutung haben müflen. Hoffentlich nimmt jeber
Lefer den Nechnungsfehler wahr, den hier Hr. M. fich zu
Schulden kommen läßt. Errechnet folgendermaßen. Eins
und Eins, nämlich Sache und Bild oder Sache im Bilde
thut Zwei; nun aber Eind von Zwei, oder bas Bild vom
Sache Bild abgezogen, bleibt — Zwei, nämlich bleiben
zwei Sachen: Seit wann rechnet man wohl fo? Das gött⸗
liche Handeln wird im Alterthume im Bilde des menjchlis
chen, 3. B. im Bilde bes menfchlichen Gerichtswefens vor»
geftellt. Wohlan! dieß gefchieht in alter und neuer Spras
che, und Gerhard hat auch ſchwerlich geglaubt, daß
der vernichtete Schulöbrief in Pergament eriftirt habe.
Wenn wir uns nun bie mannichfaltigen Borflellungen vom
richterlichen Handeln Gottes entfinnlichen und den Bes
griff von diefem Handeln gewinnen, fo muß bad Facit
Doch eben im Begriffe vom göttlichen Richten in feinem
Unterfchiede vom menfchlichen oder in feiner Einheit mit
Diefem beftehen. Unſerm Verf. fcheint es anders. Die
Borftellungen vom göttlichen Eosfprechen geben, went
fie entfinnlicht werden, den Begriff der göttlichen Reini⸗
gung des menfchlichen Willens, oder vielmehr den Dops
pelbegriff ber Sündenvergebung und der Heiligung.
Gott fpricht den Sünder los, das heißt, D er erläßt ihm
die Strafe, und weil dieß etwas zu Außerliches wäre,
wenn es für ſich ben Inhalt der Vorſtellung ausmachen
ass Ritſh
ſollte, 2) er macht ihn vom Boͤſen ſelbſt los. Iſt denn etwa
die göttliche Sündenvergebung nichts für ſich, oder das
bloße Bild von der Heiligung, ober auch dann etwas bloß
änßerliches, wenn fie dem Glauben zu Theil wird, wenn fie
das Gefühl der Kindfchaft und Unfchuld wirft? Nein. Sie
ift felbft nach D. M. ein zugleich innerliches, aber Fein folches
Innerliche, welches nun auch ein befonderes Außerli-
ches in der biblifchen Borftellung an fich hätte, Der Miß⸗
verftand ber biblifchen Lehrart ift alfo auf Seiten des
Verfaſſers. Denn die Befreiung von der Sünde ſelbſt
fanı ber Natur der Sache nach nimmermehr unter
bem Bilde bed richterlichen Handelns vorgeftellt wer;
den ; überhaupt kann ein und daffelbe Bild nicht zwei Sa⸗
chen und nicht das vorftellen, was es eben gar nicht vor⸗
ſtellt. Etwas ganz anderes wäre ed, wenn der Verf. bes
hauptete: die Schrift fondert, was gar nicht zu fondern
iſt, oder im wirklichen Seyn nur mit Dem zuſammen fegn
kann, was durch die Vorftellung noch ausgefchloffen bleibt.
Darauf wäre denn zu erwidern: was aber nothwendig
zufammen ift, ober was nothwendig aus einem andern
ober auf ein andres folgt, das hat eben deßhalb das Recht
von biefem anderen ald das erfte oder zweite unterſchieden
zu werden. Die Auskunft, welche von der ernefttfchen
Schule über die vocabula oeconomiae salutis und iiber Die
Aemter Chrifti gegeben wurde, gewährte der Dogmatik
eine nur einfeitige Berichtigung. Die mechanifche Theis
lung war nun befeitigt, aber an die Stelle des Vielen ein
bloßes Einerlei gefegt. Ein ähnliches ift e8 mit der Syno⸗
nuxymik der Worte dınnoöv, xudapl£sv, teAsoüv, ayık-
few, &noAovav; fie lehrt, daß mit jebem die Ganzheit und
Allgemeinheit des ethifchen Heild ausgedrückt werden kann,
und Doch nicht weniger, daß jede Diefer Vorftelungen,-von
einem befondern äußern Berhältniffe hergenommen, auch zu⸗
nuchſt einembefondern Momente der Erlöfungzugehört. Wie
Könnte es auch anders ſeyn, da bie Schrift eben fowohl wie
proteftant. Beantwort. d. Symbolik v. Möhler.
bas Bewußtſeyn das Hell bes Sünders nicht bloß im Ges
genſatze des Unheils oder des unerlöſten Zuſtandes, ſon⸗
dern auch als ein in ſich mannichfaltiges, ſich entwickeln⸗
des erkennen läßt, und zuweilen wie 1 Cor. 1, 30. coyple,
duxaıosvvn, Kyınanös, anoAdzgmass, ober Röm. 8, 30. u. a.
eben die Folge und den Entwidlungsgang zum Gegens
ftande ber Lehre macht. Auf's allernothwendigfte muß
fich der Unterfchieb der heiligenden und rechtfertigenden
Gnade dann heraugsftellen, wenn es eben in der Ratur der
Sache liegt, daß jene diefe zu ihrer Vorausſetzung habe,
und daß eben Niemand anders als durch die geglaubte
Gerechtigkeit Die Ögrechtigleit ber Liebe erlange oder durch
bie Rechtfertigung, welche individuelle Berfühnung ift und
an fich nicht® weiter ift, ber Heiligung theilhaftig werde.
Noch ganz abgefehn vom Dogmatifchen Werthe des beibers
feitigen KRirchenbegriffe darf man ber proteftantifchen Lehr⸗
art eine viel vollfommenere Angemeffenheit zum biblifchen
Sprachgebrauche zufchreiben, als der fcholaftifchen, wels
che weder ihre Anfchließung an die lateinifche Vermittlung
des griechifchen und hebräifchen noch ihre außerhalb ber
eregetifchen Theologie gewonnene Ausbildung verleugnen
kann. Die Suftification ift nad) dem tridentinifchen Sprach«
gebrauche Sündenvergebung und Heiligung oder Erneues
rung des inwendigen Menfchen, fie ift auch absolutio und
iustificatio, damit ganz vorzüglich das poſitive Montent
der mitgetheilten Gerechtigkeit hervortrete; in der Juſtifi⸗
Cation werben die Berdienfte des Leidens Ehrifti mit
getheiltz in der Zuftification die fides, spes, charitas, —
Gerechtigkeit eingegoffen — wenn nun demnach di-
scoov a) im N. T. erklärt wird, fo ift nicht abzufehn, wie
a) Ehryſoſt. noch richtig: dlnaov dropalveıw. Auguftin aber, auch
hier das Organ des Latinismus, verwirret, obgleich er den Gedanken
mehrentheils richtig faßt, den Spra & gebraud. Indeſſen
- denkt erfid) de spir. et lit. Cap. XVI. noch beides, 1) quid enim
est alind iustificati quam iusti facti 2) aut certe.ita dictum est
J
488 | Nitzſch
die Bibel verſtanden und eine Theologie des Paulus aufs
geftelt werden fol. Bellarmin war natürlich in dem⸗
felben Mißbrauche der Bibelfprache befangen, wenn er von
dem Mannichfaltigen gegen Calvin fprach, was ſowohl
zur Ssuftification wie zur Seligfeitgehöre, und erhatte vom
Worte Suftification jet abgefehn nicht fo ganz recht ges
gen jenen Neformator als Hr. D. M. S. 99.2. A. voraus:
feßt, wenn erihn mit den Säßen, beati immaculati in vis,
qui ambulant in lege domini n. f. w. widerlegen wollte,
Denn der Kanon des nicht ausgefchloffenen Andern kommt
Den weit mehr zu Gute, der von bem Fundamente bes
Heild, ald dem, ber vom abgeleiteten Helle fpricht. Daß
ber Gilaube das fundamentum, die radix fey, erkannte Die
Synode von Trient an, nur gar nicht, daß die Suftiftca-
tion, fofern fie mit dem Glauben gepaart wird, eben auch
nur das Fundament und Die radix des empfangnen Heiles
abgebe, und fo Fonnten Feine fchriftmäßigen Lehrmweifen
entftehen. Das aber würde Bellarmin nimmer fich ers
laubt haben, wie unfer Df. zu behaupten, Die göttliche Lo s⸗
fpredhung von ihrem Anthropomorphismug befreit, fey
eben die Losmachung von der Sünde felbft, wenn er auch
noch fo fehr im Worte Juftification beides, absolutio und
sanctificatio fuchte. Nach dieſer Berhanblung über Worte,
die zwar ſchon fachlich ift, Sa wir den wichtigern Fras
gen näher treten. |
Nur noch Das vorläufige urtheil über die Reforma⸗
iustificabunturac si diceretur iustihabebuntür, de-
putabuntur. Er erläutert ben Doppelfinn mit sanctificare, wel⸗
ches auch in sanctificetur nomen tuum anders zu nehmen fey, als
fonft. Dagegen Op. imp. c. Iulian, II. iustificat Deus impium
non solum dimittendo, quae male fecit, sed etiam donando cari-
tatem, quae a malo declinat et facit bonum. Hier iſt caritas
Dei (Röm. 5, 5.) falſch aufgefaßt, nämlich als active Liebe der
Gerechifertigten, und daher der ganze ſich durch das Mittelalter
binziehende Irrthum.
7
peoteftant. Beantwort. d Eymbolik v. Möhler.
toren berühren wir,: welches. ©. 82. d. 2. A. ausgesprochen
iſt, indem. wir fonft die einleitenden Abhandlungen, bie
durch die Erörternng der Erbfiinde ſchon hinlänglich bes
antwortet. find, auf ſich beruhen laſſen. Ueberhaupt,
meint d. Vf., wollte es den Reformatoren nicht gelingen,
der aus dem Geifte des Menfchen unvertilgbaren Idee der:
Zurechnung, worauf Kant fogar den feiner Anſicht nach
einzig möglichen Beweis des Daſeyns Gottes gründete,
in ihrem Syſteme eine haltbare Stelle aufzufinden.” ch
willed den Kennern der Fantifchen Philofophie üherlaffen,
fich mit der wunderlichen Notiz, Kant habe. den einzig möge
lichen Beweis des Dafeynd Gottes auf die Idee der Zu⸗
rechnung gegründet, zurecht zu finden; ich fiir mein Theil
glaube, daß es mit diefer Notiz ohngeführ eben fo ficht,
wie mit ber daran gefnüpften Behauptung. "Denn fo wie
es Kanten nie beigefommen, als es ihm noch um einen fol-
chen . einzig möglichen Beweis zu thun war, an bie Zur
rechnung zu denken, fo iſt es auch den. Reformatsren nie
mißlungen,. eine Surechnung zu lehren. Freilich haben fie
dieſe Lehre nicht zur Zerftörung, fondern. zum. Hebel der
Verſoͤhnungs ⸗und Reditfertigungsbegriffe gebraucht, freie;
Lich haben fie fie nicht son dem Magifter, fondern aus dem
Worte Gotted hergenommen. Sie haben nicht mit den
Gegneru Zurechnung ber Sünde gelehrt,;wo fie die Sünde
felbft nicht ftattfinden fahen, Feine adamitifche Schuld dem
Menfchen aufgeladen, der. nur für ſchwach und matt hätte
gehalten werden müſſen, fie haben nicht zugerechnet zur
Gerechtigkeit vor Gott, was überhaupt nicht ift oder was
keine Geſinnuug, fondern ein empirifches Thun ifl, eben
fowenig,.was in al feiner objectiven Wohlgefälligfeit noch
fubjective Eitelkeit und Ungerechtigkeit. an ſich hat; fte ha⸗
ben nicht von Rechten und Berdienften de‘,congruo oder
condigno geredet, wo von Gnade und Vergebung aus⸗
ſchließlich zu reden war; aber fie haben die Sünde, bie
thätliche ſowohl als die des Antriebes und der Kichting,
er ::*
Die laͤßliche ſowohl als die tödtliche, Dem Geſetze gegenüber
mit größrer Strenge als ihre Gegner zugerechnet; fie ha=
ben fich nicht mit. den. überfchüffigen Keiftungen und ſtellver⸗
tretenden Berdienften fo ganz und gar verrechnet wie biefe,
fie haben aber Die göttliche Vergeltung und die Beziehung
des göttlichen Lebens auf göttlich zugefagte Belohnung
vollfommen und fo fehr anerfannt, baß fie bier fich fogar
den Begriff des Verdienſtes gefallen laffen 9. Deßuns
geachtet flimmen Luther und Melanchthon bem Hrn. Dr.
gewiffermaßen bei, wenn er die unvertilgbare Zurech⸗
nungswahrheit gerabe ihrem Glauben entgegenftehen ficht.
Naͤmlich daß der Geiſt der pelagianiſchen Scholaſtik ber
Welt. zwe andern Natur geworben fen, und. daß die Welt⸗
weisheit unerleudhter vom Worte Gotted auf ber institia
logis et rationis beftehen und bie justitia Christi et fidei ner»
tennen müfle, daran hat Enther b) den Agricola, Dies
lanchthon c)- Die Gonfutatoren nächdrücklich erinnert.
Abſichtlich genug führt Hr. D. M. eine gelegeuntliche
Aeußerung Luthers über Das Gewicht des: Dogmars von
der Rechtfertigung an — „fällt aber die Lehre, ſo iſt es mit
uns gar aus” S. 11. 2. A. -; Ba wäre es, er er bie
oe der Kirche felbft, 3. B. RB:
. Art; Sehm. P. II. Rom, 3, 24, statuimus ; hominem per
Adem iustificari absque operibus legis. De.hoc artioula ce-
a) Apol. IH. Docemus bone opera meritoria esse, non remissionis
peecutorum, gratise aut iusificatienis (kaec etiim tantamı frde
., copsequimur) sed aliorum ‚praemiorum corperalium et spiritun-
lium, i in hacvita et post hanc vitam, quia Paulns ingäit: unus-
quisque recipiet mercedem iuxta suum laborem. — Mit der
Sache, wenn auch nicht mit der Ausdrucksart — alle Stimmen bes
Pproteſt. Bek. einverſtanden. Baer:
b) Ep. 1522, do Wette III. 137. — Mondus et ratio non capit,
quam sit cognitio ardua, Ghristum esse iustitiam nostram : ita ope-
‚ram opinio nobis incorporata, agnatague et innaturata est.
c). Apol, III. non ignoramus, guantum haec ‚doctrina a iadicio ra-
tlonis et legis’ abhorrest. —⸗
|
proteſtant. Beantwort. d. Symbolik v. Moͤhler. 491
dere aut aliquid contra illum largiri aut permitiere nemo
. piorum potest, etiamsi coelum et terra corruant. — Et in
hoc articulo site sunt et consistunt omnis, quae contra pa-
pam, diabolum et universum mundum in vita nostra er
mus, testamur et agimus. —
Helv. min. 12. in omni evangelica doctrina — ae
praecipuum hoc ingeri debet, sola nos dei misericordia Chri-
stique merito servari etc. Bohem. 6. Et hic sextus arti-
culus (de iustificatione per fidem sdlam) apud nos omnium
maxime principalis .habetur, ut qui totius Christianismi sc
pietatis summa est — proinde eum nostri omni diligentis et
studio tractant — Sol. Decl. 3. Hic autem articulus de iusti-
tia fidei praecipuus est (ut Apologia loquitar) in tota dootrina
ehristiana — fid} und Andern recht vor Augen geftellt. Sie
würden ihn an die umumgängliche Nothwendigkeit erin⸗
nert haben, wenigſtens in Rüdficht dieſes Dogma’s, ftatt
fih in den Tiſch⸗ und Gelegenheitöreden Luthers zu
ergehen, die Bekenntniffe felbft fprechen zu laſſen. Was
die Rechtfertigung durch ben Glauben und ihr Verhälts
niß zur Heiligung anlangt, erklärt fi die Kirche von
Anfang fo ausführlich, beftimmt und umfichtig, daß ſchwer⸗
lid, eine Einwendung vom Stanbpuncte ber Gegner aus
gemacht werben dürfte, die fie nicht vorgefehn und aus⸗
drüdlich befeitigt hätte. Sogar die kurzen anglicanifchen
Artikel, die doch KI— XV. fchon alle Puncte umfaffen und
das congruum und die supererogatio treffend abweifen, bes
rufen fich in dieſem Kalle auf die ausführlichere Homtlie
de iustificatione. Das vierftädtifche, helvetifche, franzöftfche,
fchottifche Bekenntniß füllt befriedigend aus; ber Haupts
grund, der biblifche Wort unds Sachgrund ift deutlich hers
vorgehoben, und bie Eigenthümlichleit, mit der hin und
wieder Die Wiebervereinigung bes getrennten iustus und
sanctus vollzogen wird, entgeht dem fchärferen Blicke nicht,
ebenfo wenig der Verfuch, die Ordnung des angeeigneten
Heil im Ganzen darzuftellen. Allein die zugleich polemi⸗
Theol, Stud. Jahrg. 1834.
m RG
ſche und in biefer Hinficht ganz voliſtündige Darſtellung
rritt in dieſer Reihe wicht, wohl aber in den drei claſſi⸗
(chen Abhandlungen, Augsb. Bel. 20. vergl. der ab-
usue der Kloftergelübde, Apel. art. II. und HI. und Daclara-
tio Thorunensis VIII. de gratia hervor. Die Augsb. Conf.
begnligte ſich nicht, da, wo fie die einfache Darſtellung
chviſtlicher Lehrſatze beabſichtigte, art. IV— VI., das rich⸗
tige Verhaältniß von der Rechtfertigung zu ihren Mitteln
und Früchten vorgeftellt zu haben, fonbern wiberlegte in
bbren eigend gegen. vulgüre Berleumbungen gerichteten
Sätzen XVHI-— XKL dur den zwanzigſten, Den man
nach Dem dentſchen authentiſchen Terte bei Tittmann les
fen muß, Dad Borgeben der fittlichen Abſpammung Der
Menſchen durch die evangelifche Lehre, indem fie in zwei
unterfchiebenen Ansführsngen, theils Die dynamiſche, pracs
tifche- Natur des Glaubens, theild Die wit Dem Glauben
erſt gegebene Möglichkeit, Nothwendigkeit, Wahrhaftigkeit
der guten Werke in's Ficht ſtellte. Sie machte Babei ſchon
Die Bemerkung: „Solche unnöthige Wert (Walfarten,
Feiern, Faſten, Yrüderfchaften, Indulgentien) rümet auch
unſer Widerpart nm nicht mehr fo hoch als vor Zeiten,
wiewoll fe dennoch ihre Irthumb nicht bekennen ıc.” Nach⸗
dem num bie Eonfutation den Standpunct des Streits
möglichft verrückt, und einen Schwarm von bibliſchen Stels
len aufgeboten hatte, um die Nothwendigfeit uud Uns
verwerflichteit der guten Werke, bie Niemand in Zweifel
gezogen, zu beweilen, damit aber zugleich die Verdienſt⸗
lichkeit derſelben zur Erwerbung der Sündenvergebung zu
erſchleichen: wickelte Melauchthon den ganzen Streit in
Der Apologie von Neuem fo vorfichtig und forgfältig ab,
daß Fein moralifchen oder bibliſches Moment der gegen
überftchenden Lehren umerörsert blieb, Wur ließ er hin
und wieder eine gewiffe Unbeflimmtheit nicht ſowohl ber
Sache abs der Worte mstificatio und regeneratio Abrig, ein
Fehler, ben bie Suncorbienformel verbeſſerte. Diefe hatte
proteflant. Beantwort. d. Symbolik v. Moͤhler. 493
über Rechtfertigung in zwo Beziehungen zu ſprechen, in
Bezug auf die Trennung der göttlichen und menſchlichen
Natur in der Bewirtung der Rechtfertigung und im Ges
genftande der gläubigen Vorftellung, zugleich auf die Tren⸗
nung ber Losfprechung ımd Rechtfertigung, von welchen
beiden Dingen in der oftandrifchen Streitigfeit Die Rede
gewefen war, und dann in Bezug auf Die nun ſchon feſtge⸗
ftellte tridentinifche Lehre. Sene Trennungen wurben mit
hinreichenden Gründen für bie Einheit wieber aufgeho⸗
ben ;- alle Simultaneität oder Succeffion des Glaubens
und der Liebe, oder Der Gontrition und Gonfeffion in S as
chen der Redtfertigung fchroff und fcharf abgemien
fen, und dieß anf eine folche Weife, daß wenigftens bie aus
genommenen Formeln den lebendigen Zufammenhang der
Sündenvergebung und Erneuerung, ober ber zugerechne⸗
ten und inhärirenden Gerechtigkeit nicht mehr recht erken⸗
nen ließen, und die Gefahr entftand, ben rechtfertigenben
Glauben trog den häufigften Broteitationen, die man des⸗
falls einftreute, zu theoretifch zu faffen. Nicht ohne Grund
behauptete Daher Die Declaratio Thorun., ohne dem Pros
teftantifchen Dogma damit etwas zu vergeben, eine iustitie
inhaerens int ben Gerechfertigten, wofür fich ſchon aus dem
früheren Befenntniffen mandjes anführen ließ, — Die Deel.
Therun., die auch in dieſem Puncte einen Schlußftein des
proteftantifchen Symbolums bildet, indem fie nod) eins
mal in acht gefchloßnen Sätzen die Ordunng bed anzueig⸗
nenden Heils entwidelt, und dann in achtzehn ausführlis
cheren die Darüber beflehende Controvers theild vermittelt
and löft, theils fchärft und beftätigte. Aus Feiner von
diefen apologetiſch-poleniſchen Quellen, ges
fhweige ausihrem Zufammenhange, hat Hr
M. die Darftellung unfrer Nedtfertigungse
lehre geſchöpft; er hält fich an einige Zeilen der Gone
corbienformel, bie gerade fagen, Daß bie Gerechtigkeit as
Ber uns fey, und führt weiter den erften noch nicht poles
38 °
494 Nitzſch
miſchen Artikel der Augsb. Conf. an. Wollte er aus den
Privatſchriften Luthers und der Andern ſchöpfen, ſo mußte
er es wenigſtens mit Vollſtändigkeit thun. Luther antiquirt
das Geſetz und thut es mit der Schrift, er ſtellt es aber
auch feſt, und thut es wieder mit der Schrift. Die äußer⸗
ſten Behauptungen Luthers, die Hr. M. in leichtem Trium⸗
phe aufführt, mußten allerwärts und nicht bloß S.
160, mit den Erklärungen über die erſte Epiſtel Johannis
und anderen zufammengehalten werden, dann war er zu
verftehen. Durch Die Methode des Hrn. Vfs. ift nicht nur
nicht die Wahrheit der proteftantifchen Xehre, fondern auch
nicht die wirkliche Schwäche der erften proteftantifchen
Lehrart an's Licht gefommen. Hr. M. faßte den Protes
ſtantismus als religiöfe Schwärnteret, ald Abneigung gegen
das Sittengefeß auf. So fonnte er zu feiner begründeten
Kritit gelangen. . Der Proteftantismug eines Melanchthon
- war fich innig und lebhaft bewußt, daß den Glauben als
den einzigen Canal und Leiter des geiftlichen Geſundheits⸗
Stromes geltend und Fenntlich machen, nichts anders fey,
als das Reich Gottes, Unfchuld und Liebe bauen, und daß
alles dieß, rechtfertigende Gnade, Ehriftusglaube, Wort
und Sacrament, ohne Berdienft gerecht werden, nur Mittel
fey zu einer mehr als Firchlichen, mönchifchen, zu einer wahrs
haftigen Gerechtigkeit des Himmelreichs zu gelangen. „Dars
um”, fagt Melanchthon, „werden wir gerechtfertigt, daß wir
als Gerechte gut zu handeln und dem Geſetze Gottes zu
gehorchen beginnen. Darum werden wir wiebergeboren
und empfangen den heiligen Geift, damit das neue Leben
neue Werke habe, neue Gefinnungen” ıc. Apol. Koethe
S. 122. Das ganze proteftantifche Lob des Glaubens gilt
der wahren göttlichen Liebe. Und Die Philofophie ver Sittlich⸗
keit hat dieſes große, in der Geſchichte Des Proteftantismus
nicht unbewährt gebliebene, Moment der wahren Rechtfer⸗
tigungsichre bis hieher zu erfennuen und zu fchäßen ges
proteflant. Beantwort. d. Symbolik v. Möhler. 495
wußt a). Die Symbolik, wenn fie zu einer gültigen Kris
tit werden wollte, mußte von der in beiden Gonfeffionen
anerfannten Wahrheit des ausfchließlichen Heils in der Ger
meinfchaft Chrifti ausgehen, und nundie Gegenfäße erfens
nen und beurtheilen: hier mehr Jacobus, dort mehr Paulus,
bier mehr Würdigung des Entwidelungsganges, dort mehr
des Wendepuncts, hier mehr Gewicht der Heiligung, dort
mehr der Sündenvergebung, hier Gleichzeitigkeit und Iden⸗
tität der Losfprechung und Erneuerung, dort Sonderung
und Folge. Die Wiffenfchaft wenigftend konnte feinen ans
dern Weg einfchlagen, wenn der Streit auf Grundlagen
Des Rechts und Friedens geführt werden follte. Es blieb
Dabei dem Verf. unbenommen, wenn er es vermochte, dars
zuthun, daß die eine ober andere Richtung wahr durchge⸗
führt in die andre hinüberführe oder ben Unterfchied aufs
bhebe, und baß diefer Erfolg nur auf Seiten der römiſch⸗
katholiſchen Intel ligenz anzutreffen ſey.
Will man den polemiſchen Theil der reformatoriſchen
Lehre beurtheilen, ſo kommt es nicht darauf an, ob die
Reformatoren die trienter Decrete entſtellt oder nicht.
Dieſe waren noch nicht vorhanden und richteten ſich,
als ſie verfaßt werden mußten, wenigſtens in ihrem Aus⸗
drucke nach einem Tone und Takte, der erſt durch die Re⸗
formation in Aufnahme gekommen war. Deßungeachtet
haben die Reformatoren laut D. M. die katholiſche Lehre
erſt unwahr dargeſtellt, ehe ſie an die Bekämpfung derſelben
gingen. Sage uns doch der Vf. erſt, wo man zur Zeit des
ausbrechenden Streites über den Ablaß oder in den nächſten
zwanzig Jahren die katholiſche Lehre von der Ordnung des
Heils zu ſuchen hatte und in authentiſcher Faſſung finden
konnte! Entweder war ſie dieſelbe, die Melanchthon vortrug,
und aus der h. Schrift mit Zuziehung von Ambroſius und Au⸗
a) S. Siefeler über die Bedeutung der Lehre von der Rechtferti⸗
gung durch den Glauben für die Sittlichkeit, in d. Seitſchr. für
gebildete Shriften d. Ev. K. 1823. 2, Heft.
496 Ritſch
guſtinus erwies, oder die ihr ſich entgegenſetzende eines Eds
jetan, der damaligen römiſchen Bullen, eines Eck und Fa⸗
ber, wie ſie ſich in der Confutation ausſprach. Eine dritte
irgendwie erkennbare und benennbare iſt wenigſtens da⸗
mals zu keinem Anſehn oder Beifall gekommen. Die Lehre
nun, die z. B. in der Confutation ſich den Reformatoren
entgegenſtellte, hatte zwei wichtige Auctoritäten und Or⸗
gane für ſich, einmal die mit dem damaligen kirchlichen Le⸗
ben verbundene Volksvorſtellung, und dann das Gleichar⸗
tige der ſeit Peter dem Lombarden in der Theologie herr⸗
fchenden Erfärungen und Unterfcheidungen. Sie war deß⸗
ungeachtet in ihrer Einheit auch etwas Mannichfaltiged,
in ihrer allgemeinen Beftimmtheit auch eine fortgehende
Richtung. Einzelne Anhänger mißbilligten Daher auch eine
zelnes an ihr felber, und beflagten die Mißbräuche und
Uebertreibungen, zu denen fie Anlaß gegeben. Die Refor⸗
mation nun gab den Gegnern Zeit und Spielraum genugr
deßfalls eine Sichtung vorzunehmen; fie unterfchied noch
immer die firchliche Lehre, fogar die römifche.) von
dem, was irgend ein Papft oder Theolog gelehrt, die fps
tere, neue fcholaftifche Lehre von ber beffern älteren. So⸗
lange aber dieſe Sichtung allerwärts zugelaßner Lehren
durch keinen kirchlichen Act vollzogen war, fland es ber Re⸗
formation frei, Die ganze Richtung nicht nur in Den ſchola⸗
ſtiſchen Grundelementen, ſondern auch in ihren Auswüch⸗
fen kenntlich zu machen und zu befämpfen ald eine Eis
nige. Daß in derfelben Richtung, gegen welche Melanch⸗
thon die Schriftlehre aufbot, auch behauptet wurde, quod
possimus e puris naturalibus Deum super omnia diligere, iſt
Thatſache. Zürnt der jeßige Katholik über dergleichen
Lehre, fo darf er deſto weniger den Melanchthon tadelu,
a) Apol, Aug. Cont. III. Nec statim censendum est, Romanam
ecclesiam sentire, quicquid Papa aut Cardinales, aut Episcopi,
aut Theologi quidam aut Monachi probant,
proteftant. Beantwort. d. Symbolik v. Moͤhler. 497 .
Der, da er fie in .ber Lehrgemeinfchaft der Gegner ange⸗
troffen, fie auch ald einen error manifestus gesügt hat, aher
himmelweit davon entfernt gewefen if, fie zur chriſtkatho⸗
liſchen Kirchenlehre zu rechnen. Hätten die Evangelifchen
bloß die Eden und Spitzen bed Syſtems beurtheilt, und
Doch dad ganze Syſtem verworfen, fo wären fie zu tabeln;
allein fie haben die Grundlagen beftritten — z. B. ba
der Menſch obgleich aus Gnaden felig werdend, doch das
ewige Leben verdiene, und daß bie Buße nicht den Glau⸗
ben, fondern Reue und Geuugthuung in fi faffe —
und Riemand hat fie des Irrthums ober Betrugs bezlich-
tigt, wenn fie bergleichen Kehren denſelben Bifchöfen und
Theologen beilegten, von Denen fie im Ramen der foges
nannten Kirche als Srriehrer verfolgt wurden. Wird heut
zu Tage der eine oder andre Kunſtausdruck des damaligen
Syſtems, z. €. de congruo, de condigno, weil die trienter
Synode für gut gehalten ihn fallen zu laffen, von einem
Theologen abgelehnt, von andern bemmod; für kirchlich
ansgegeben, fo kann das wieber bie Reformation nicht
eines in die Luft geführten Streiches anklagen, denn dieſe
Ansdrũcke find fehr gleichgältig, fobald der noch jet ganz
unbeftrittente Begriff des Berbienftes übrigbleibt. Die
Synode behamptet ihn feierlichft; und Herr D. M., der
in den Werfen der Snpererogation eine zarte und tiefe
Wahrheit zu finden weiß, würbe doch Dergleichen fehr Leicht
auch in ben ganz dazu gehörigen Lehren von ber Congruenz
v
ober Condignität des Berbienend auszuſinden im Stande
ſeyn. Das Berdienft in der Weife ber Mitwürdigkeit aw
den Wiedergebornen will und genehmigt Hr. M., und vers
theidigt es mit Thomas v. A.; es läßt fih aber gar nicht
abfehen, warum bie aus ‚der freien Bereinigung des Wil
lens mit der anregenben Gnade hervorgehende höchſte Die-
yofition zur. Wiedergeburt nicht nach deffelben Thomas
Lehrſatze, ultima dispositio necessitat formam, auch ein Bers
dienft in feiner Art, nämlich de congruo, conftituiren folle.
Fe **
Doch laſſen wir das eigentlich polemifche Verhaͤltniß,
und gehen bIoß auf das apologetifche ein, in dem fich bie
Reformation befand. Nicht Die Irrthümer der Gegner,
fondern die h. Schrift und die chriftliche. Erfahrung waren
die Urfache ihrer Lehren, und es fragt fich, ob fie von Hrn.
M. lernen könne aus jenen Quellen reiner und wahrer
schöpfen. Chriftus hat die ewige Erlsfung gefunden, in
ihm ift Die Welt Gotte verfühnt, außer ihm ift Fein Heil,
fo lehren beide Kirchen: aber auch Feine leugnet, daß es
fich nun noch für jeden Menfchen um die Aneignung dieſes
Heiles handle. Ebenfo wenig wirb anf einer von beiden
Seiten in Abrede geftellt, daß Die in Ehrifto bewirkte Welts
erlöfung ſchon felbft die Mittel bei fich führe und in Bes
wegung fee, durch deren Gebrauch und Wirkung dem
Sünder der Strom des Heiles zugeführt werben fol. Wort
und Sacrament find Diefe Mittel des heiligen Geiſtes. Die
Wirkung derfelben läßt ſich aber dahin unterfcheiden, bag
fie in der einen Hinficht eine vorbereitende ift, in Deren Vers
laufe das neue Lebensprincip fich noch nicht im Menfchen
findet, in der andern eine befehrende und zugleich bewahs
rende, durch die baffelbe Princip wirklich mitgetheilt und
zur Entwidlung gebracht werden fol. Die wefentliche
Veränderung, die den neuen Zufland hervorbringt, heißt
die Miedergeburt, und man leugnet weder hier noch dort,
daß die Gnade den Menfchen gerecht, heilig, felig mache,
dag wo Sündenvergebung fey, auch Heiligung ſeyn müffe,
wo Gerechtſchätzung auch Gerechtmachung, und daß es die
Functionen der Neue und des Glaubens, des Glaubens
and der Reue, des Glaubens und der Liebe, des Glaubens
und der Hoffnung feyen, in welchen fich die zugeeignete
Gnade erweife. Soweit befteht die Einheit der Lehre,
die denn auch lebendig aufgefaßt zwifchen Gliebern beider
Theile troß dem fo fchneidend.trennenden Begriffe von der.
Kirche oft einen hohen Grab von chriftlichem Gemeinges
fühle zu erzeugen und zu unterhalten im Stande if. Nun
proteflant. Beantwort. d. Symbolik v. Moͤhler. 499
treten aber dennoch, da ſich auf der einen Seite bibliſche
Grundbegriffe und allgemein ethiſche in einander geſchoben
haben, und getrennt worden ift, was nicht zu trennen, ges
einigt was nicht zu einigen war, fo große Verſchieden⸗
heiten bei der nähern Erklärung von Grund und Folge,
von Art und Umfang in jenen genannten Dingen ein, daß
in ben meiften Berührungsfällen das fonft mögliche Ges
meingefühl gar nicht zu Stande kommt. Am meiften fams
melt fich die Differenz indem evangelifchen Begriffe von
der Rechtfertigung des Sünders durch den Glauben.
Sagt man, die Differenz beſtehe in der Lehre von der Rechts
fertigung (ein Wort, das wir vorhin abfichtlich vers
mieden haben), fo entiteht, vielen unbewußt, eine neckende
Berwirrung. Denn fofern der Proteftant ſchon weiß, was
der Katholit durch fchlechte Sprachlehre verwöhnt unter
Rechtfertigung verſteht, muthet er ihm gar nicht zu, zu bes
fennen, daß der Sünder durch ben Glauben allein gerechts
fertigt werde, Eine gleiche Neckerei befteht darin, daß man
fagt, die Proteftanten verftchen unter Rechtfertigung bes
Sünders die bloße Zurechnung fremder Gerechtigkeit, die
Katholiken eine ihn wirklich gerechtmachende Thätigfeit
Gottes; denn auf diefe Weife wird verhehlt, daß dem
Proteftanten die äußere Gerechtigkeit, die er im Glauben
ergreift, durch dDiefen Glauben eine innere wird, und Daß
ihm Die Rechtfertigung in Erneuerung und Heiliguug übers
sehe. Man möchte glauben machen, der Proteftant Ichre
Sündenvergebung und feine Heiligung; darauf wäre bils
ig zu erwibern, der Katholif lehre Heiligung und feine
Berfühnung. Die Wahrheit aber ift Die: jener glaubt an
‚Heiligung durch Berfühnung, diefer an Verſöhnung durch
Heiligung. Letzteres nennt Melanchthon institiam rationie.
Faſſen wir aber Die Sache, vom Worte Rechtfertigung noch
einmal abfehend, in ihrem Grunde. Ehriftus, der Menfchs
beit neues Leben und Princip, foll ein geiftlicher Lebens⸗
anfang im Individuum werben; diefes fol für fich nicht
—
500 - Nibſch
leben, ſondern Chriſtus in ihm; wie Reben am Weinſtocke
hangen, fo die Erlöfeten am Erlöſer, nicht Durch fürwahr⸗
baltenve Gedanken, vielmehr Durch das innerite ungetheilte
Herz und Leben. Man würde fehr irren, wenn man meins
te, dieß fey nicht der proteflantifche Begriff der angeeigne⸗
ten Erlöfung. Conf. Helv. mai. 15. inanem fidem iactabant,
qui Ehristum intra se viventem non habebant. Scot. 13.
Christum in taliım cordibus habitare blasphemum est dicere,
‚in quibus nullus est sancotificationis spiritus. Allein es gilt
nun, wie das gefchehe, ſchrift⸗ und erfahrungsmäßig nach⸗
weifen, und bei der Mechanik oder Magie der eingegoffes
sen Gnade fich nicht gnügen laffen. Deshalb erinnert Me⸗
Ianchthon Apol. Il. quod fid. iustificet — proferant unum com-
mentarium in sententias ex tante scriptorum agmine, qui de
modo regenerationis dixerit; — non docent per verbum ac-
eipi. Denn fürs erſte handelt Gott in Chrifto mit dem
Sünder, der geheilt werben fol, durch das Wort. Nicht
allein durch dad erzählende, vergegenwärtigenbe, fondern
auch einladende, bezeugende: hier ift Hilfe, laß Dich vers
fühnen. Melanchthon ebenbaf. cum deo non potest agi —,
Deus non potest apprehendi nisi per verbum — et vel hine
srgumentum sumi potest, quod fides iustificet, quia si tan-
tum fit iustificatio per verbum et verbum tantum fide appre-
henditur, segnitur, quod fides iustificet; sed sunt aliae ratio-
nes maiores. Freilich ift nun auch bei ben Gegnern von
Wort und Glaube die Rede, nur nicht bis dahin, und
nicht in dem Momente, wo die berufende Gnade in bie
zechtfertigende übergehet. Allerdings kann laut dem triens
ter Detrete Niemand gerecht werden vor Gott, ber nicht
bie Erlöfung und zwar fo, wie fie trientifch ©) gelehrt wird,
vorweg für wahr annimmt und alfo glaubt: allein von ba
an cooperirt bie Gnade ohne das Wort ober in bloßer
'a) Sess, VI. c. 15. post hanc catholicam de iustificatione doctrinam,
» guam nisi quisque fideliter firmiterque receperit, iustificari non
poterit. —
2
proteflant. Beantwort. d. Symbolik v. Möhler. 508
Boransfeßung des fürwahr gehaltenen Wortes mit ben bußs
fertigen und fehnfüdhtigen Gemüthsbewegungen, bis auf
den Punct, wo die Gerechtigkeit der Liebe ihm eingegoffen
wird, zum Heile des Sünder. Der Glaube ift fo wenig -
bie Function der lebendigen Vereinigung mit dem Hanpte,
Chriſtus, daß wenn das Glied, der Ehrift, Durch die Tobs
fünde dieſen Zufammenhang mit dem Haupte verliert, es
beshalb doch im Glauben fichen mag — denn der Glaube
ift ein Firchliched Fürwahrhalten —, und nun auch durch
eine Belehrung das Verlorne wiebererlangen, unter bes
ten wefentlichen Beftandtheilen der Glaube gar Feine Stelle
findet. Wie fommt ed denn nun, daß, nachdem für den Kas
tholifen Wort und Glaube im Gebiete vorbereitender Gnas
de gewirkt haben, dad Sacrament und die Regung ber
Liebe in der Sphäre der Rechtfertigung alled allein thun
müſſen, was zur Vermittlung der Gnade gehört, und wie
kommt ed, daß für den Proteftanten burch die ganze heilige
Geſchichte des Menfchen hindurch bie Eopula von Wort
und Glaube die gläubige Apprehenfion des im Worte ſich
bietenden Erlöfers es ift, was die Verbindung mit ihm les
bendig macht und, wenn fie fferben will, wieder und im⸗
nier wieber lebendig macht, fo, Daß 3. B. Conf. Gall, 21.
bemertt, fidem electis dari, non ut semel tantum in rectam
viam introdacantur, Belg. 22, qui Christum, in quo omnia,
possidet per fidem, per fidem omnia possidet? Apol. III. —
Christus non desinit esse mediator, postquam renovati su-
mus — constat iustificationem non solum initium renovatio-
nis significare, sed reconciliationem, qua etiam postea
accepti sumus. Die Urſache hievon wird noch unvollftäns
Dig angezeigt, wenn das vierſtädtiſche Bekenntniß
erinnert, die Function der Erfenntniß fey die nothwen⸗
big erſte Vermittlung des geiftlichen Lebens unter allen Um⸗
ftänden, wo dieſes aus Chriſtus gewonnen werben fol, und
Deshalb fchon, weil Die Reformation ed aus der Duelle der
Hlänbigen Erfenntniß und nicht des Werkes und Firchlichen
502 .. Nitzſch
Handelns herleite, weiche fie von jetzt gewöhnlichen Lehren
ab. Cap. 3. und 4. Das erwähnte Phänomen läßt fich auch
noch nicht allein, obfchon näher, Durch Die Bemerkung er-
Hären, daß die lebendige Verbindung des Erlöfers mit dem
fündigen Menfchen auf Seiten des letztern nichtd anders
als die hoͤchſte Empfänglichkeit und activfte Bedürftigfeit
feyn..tönne, folglid; der Glaube. Gerechtigkeit, Liebe, Les
ben find die Gaben, die gratis angeboten werben; die Gas
. ben nun nimmt man nicht mit der Gabe in Empfang, Die
Gerechtigkeit und Liebe nicht mit Gerechtigfeit und Liebe,
fondern mit dem Glauben voller Demuth, voller Zuver-
ficht, mit Schmerzen und Freuden. Der Glaube ift bie
sitternde Hand, die in Die rettende des Erlöfers ſich legt,
oder das eröffnete Organ für alle von diefem fich mitthei-
Iende Lebenskräfte. So, daß der Menfch, er mag fo heis
lig und lebendig werden, wie er will, doc, wenn er nicht
ſich Chrifto gleich oder ohne Chriftus hinftellen will, allegeit
in und am — ſeine Gerechtigkeit und Seligkeit haben
muß, nämlichlam Verbundenſeyn ˖ mit Chriſtus, an deſſen
freier Gnade, an deſſen einziger und ausſchließlicher Voll⸗
kommenheit. In dieſer Hinſicht iſt es nicht befremdlich,
wenn gelehrt wird, die vollkommne Empfänglichkeit für
den Zufluß des Gnadenſtromes, der Glaube thue und wirke
allein alles, was Heil heißt in Der Subjectivität, fides iusti-
ficat, sanctificat, vivificat, salvificat, glorificat. Indeſſen
das möchten fich Die Gegner der Reformation vielleicht noch
eher gefallen laffen, ald gerade das einzelne und erſte: fides
gola iustificat. Sie wiederholen in jener Beziehung fo gern
den Gemeinfpruch des Hebräerbriefs, ohne Glauben kann
Niemand Gott gefallen, während fie darauf wenig achten,
daß der Herr fo oft und mannichfaltig den Glaubenlobt,
preißt, bewundert, und ihm allein die Hilfe und Erlöfung
beimißt a), zu einer Zeit und unter Umftänden, wo vom
a) Die von den Gegnern aus Luc, 7, 46, entlehnte Inſtanz quia di-
‚ lexit multum bat ſchon Melanchthon Apol, II, befeitigt, indem
‘.-
proteftant. Beantwort. d. Symbolik v. Moͤhler. 503
Fürwahrhalten der Dogmen gewiß noch nicht die Rede feyn
fonnte. Doch das weiß man irgendwie zuzulaffen, fides
salvat, der Glaube rettet, ‚nur nicht, daß er rechtfertige,
daß er allein Sündenvergebung erlange, und die Gerech—
tigkeit Des Menfchen negative oder positive ſey. Wenigſtens
fol nur fides formata d. i. eben die Liebe gerecht machen,
fie Die größte der Tugenden, und ift Diefe Gerechtigkeit der
Liebe nicht da, fo ift auch die Sündenvergebung nicht ers
wirkt, denn Chriftus hat durch feinen Tod eben nur bad
verdient, Daß er Macht und Recht hat durch ben Geift der
Gnade die Gerechtigkeit, habitum dileetionis, ung einzugies
fen. Sp werden wir denn auf jenen hyperphyfifchen Mes
chanismus zurück, und von der pfochologifchen Wahrheit der
Aneignung des Heild durch das Wort der Verheißung, das
der Glaube ergreift, in der Weiſe abgeführt, wie es ſich
bei den beftehenden Begriffen von Erbfünbe, die feine Süns
be ift, eben erwarten läßt. Der lebte Grund aber der pros
teftantifchen Lehre, von der wir reden, liegt in der noth⸗
wendigen Vermittlung. alles Heild und. aller Aneignung
Deffelben durch — Sündenvergebung, durch Verföhnung,
und dieß laßt fich ebenfo objectiv an Chrifto, an Dem Evans
gelium, welche Glauben fordern, wirken und finden, als
an dem heilöbedürftigen und heilerlangenden Menfchen,
der da glanbet, oder ſubjectiv erweifen. Der Erlöfer in bie
Welt gekommen, entwidelt, offenbart fich in Reden, Thas
ten und Leiden bis zu dem Puncte der Vollendung, wo er
fie alle an fich zieht, wo er, foviel an ihm liegt, das übers
all erwiefene, annehmbare, mittheilbare Princip eines neuen,
heiligen und feligen Lebens der in ihren. Sünden todten
Menfchheit geworden ift. Daß es nun aber bei Einimpfung
Diefed ‚Lebens ins Herz ded Sünders und bei Hingebung
er bemerkt, interpretatur Christus se ipsum, cum addit: fides
tua te salvam fecit. Vergl. Übrigens Schleiermachers ben
Texrt betreffende Prebigt in ber dritten Sammlung. —
508 Me
biefes Herzens an den Heiland zuerſt auf Suͤndenverge⸗
bung ankomme, kündigt fich Ihon in den Borandentune
gen des Herrn felbft an, die fidy auf fein Ende beziehen.
Er will fein Leben geben zur Bezahlung für Viele Marc.
10, 45., will fein Fleiſch geben für Das Leben der Welt Joh.
6, 41. u. ſ. w. Es folgen die nächſten apoftolifchen Au s⸗
legungen ber Thatſachen. Die Summa ihrer Ges
ſandtſchaft iſt, laſſet euch mit Gott verſoöͤhnen 2 Cor. 5, 20.
Grund davon V. 21: Er hat den, der von Feiner Sünde
mußte, zur Sünde gemacht, Gott war in Chriſto weltver⸗
ſöhnend, er rechnete ihnen die Sünde nicht zu; warum ift
Ehriftus Heftorben? die ra napertanera nuov Röm. 4,
25. Der Hebräerbrief: eine nicht bloß jährliche, zeitliche,
eine ewige Löfung hat Chriftus gefunden, ein einmaliges
allgultiged Opfer für bie Sünde im Heiligthume darge⸗
bracht. Hier haben wir auf das Wort anordsgmdıg zu ach⸗
ten. Es bezeichnet das Ganze der Herftellung, zuweilen
das Ende, befonderd wenn „des Leibes“ Dabei ftehet, auch
ohne dieß 1 Eor. 1, 30. durch die Stellung nad; ayıaauös,
es bezeichnet weiter die Einheit ber -Sünbenvergebung
und Reinigung wie Tit. 2, 14, ebenfo wie undaglfsrv, &-
Assovdv im Hebräerbriefe; aber ganz befonbers den Ans
fang, der alled nachfolgende vermittelt, die Sündenver⸗
gebung, und hievon ift außer Hebr, 9, 12. Epheſ. 1, 7.
das fprechendfte Zeugniß Eol.1,14. dv d Erousv viv dnoAv-
vecou, iv pscw Tv Auagrıv. Alle Berheißungen näms
lich des göttlichen Wortes vermitteln fich Durch die Erbie⸗
tung ber Vergebung der Suünden und beren Annahme im
Glauben; alle Bedürfniſſe ber Erlöſung eoncentriren fich in
dem der äpesig vv duapridv. Der Stachel des Todes tft
die Sünde, die Kraft aber ber Sünde das Geſetz. Die
höchſte, vollkommne Erfüllung des Geſetzes und der Vers
heißung Chriſtus der gefreuzigte und auferfiandene ift Die
Berföhnung für die Sünde der Welt, und dadurch Die
ganze Erlöfung; iſt die Rechtfertigung des gläubigen und
proteflant. Beantwort. d. Symbolik v. Moͤhler. 505
baßfertigen Sanders und baburch ſein Iriede, feine Aufer⸗
ſtehung zu einem neuen Leben, fein Heiliger, fein Seligma⸗
her. Der Sünder hat entweber die Erkenntniß der Sünde
und ihres Fluches ober nicht; im Verneinungsfalle erkennt
er nun auch die Gnade nicht, noch glaubt ex ſie? er befiert
fich vielleicht, aber es tft feine Belehrung in ihm, ex bleibt
in unertannter Sünde. Im andern Falle aber ift für ihn,
der fid, ein Kind des Zorns fühlt, Der Uebergang von
ber leidentlihen Feindſchaft mit Gott zur Liebe Bot«
tes und dem neuen Leben folange nicht vorhanden, als er
nicht Die Verheißung der Vergebung in Ehrifto empfans
gen und bie Wirkung biefed Wortes „Dir ift vergeben” er⸗
fahren hat, cum impossibile sit diligere Deum, nisi prias
fide apprebendatur remissio peccatorum. Non enim potest
cor, vere seutiens Deum irasci, diligere Deum, nisi osten-
datur placatus — facile est otiesis fingere ista somnia de di-
lectione, quod rems peccati mortalis possit Deum däiligere
super omnia (per actım elicitum), quia non sentiunt, quid
sit ira aut iudiclum Dei. Apol. II, „So fann doch das Herz
Gott nicht lieben, e8 glaube: denn zuvor, Gott wolle gnäs«
dig feyn. — Wenn alfo das Herz weiß, bag und Gott
guäbig feyn will und und erhören um Chriftas willen, fo
Tann ed Gott lieben und anrufen u. f. w.” Augeb. Bel. 20.
Atqui deum ante omnia amare nemo potest, nisi qui eum
plane noverit deque ‘eo sibi optime quaeque polliceatur,
Conf. Tetrapolit. IV. Non igitur diligitur Deus nisi post-
guam apprehendimus fide neisericerdiam ; ita demum fit ob-
jectam amabile. Die fatholifche Lehre ift eine beharrliche
Verkennung dieſes Berhältnifles, die proteftantifche ift ganz
darauf gerichtet. Wer es fefthält, kann nun nicht anders,
als den entfcheibenden Moment der Erlöfung in bie zus
verfichtliche Annahme einer Zufage, eines bis zur fpeciels
leften Berheißung ſich entwickelnden Gnadenwortes legen,
Was and immer für vorläufige Anertennungen ber geofs
fenbarten Wahrheit vorausgegangen feyn mögen, von als
7 er
ferlei vorläufiger Sinuedänderung begleitet, foll ed zur
Rengeburt fommen, fo muß das Wort eben und alfo auch
der Slanbe an das Wort zur fpeciellftien Entwidlung. feis
ner Kraft gediehen ſeyn; die Wahrheit und Wirkung des
Wortes concentrirt fich wieder in dem, gib mir mein Sohn
bein Herz, komm zu mir, aus Gnaden ſollſt du felig wer⸗
den, und. nur dann wird ed wefentlich anders mit dem
Sünder, wann der aud Demuth und Wehmuth mit Sanfte
muth hervorgeruftte Hunger nach. Der Gerechtigkeit ſich we⸗
. ver in Berzweifelung: verliert, noch auf Werke und eigne
Kräfterrichtet, fondern in gänzlicher Verzichtung darauf
und in, wahrhafter Zuflucht zu Gott fich in der Geftalt des
Glaubens auf die dargebotne Berfühnung wirft. Denn
muß gerabe das Bewußtfeyn von Dem Unverdienten Zuvor⸗
fommenden der Gnade, die allein durch das Creuz Chrifti
vom Abgrunde rettet, Tünftig den Haß der Sünde und die
Dankbarkeit anfeuern, in dem die Belehrung befteht, fo
verfteht es ſich von felbft, daß. von Anfang bie Ende auf
einem Bertrauen, in einem Glauben der ganze Gnaden⸗
fand beruhet, daß der Glaube der erfte Gehorſam, die erfte
‚ Gerechtigkeit im. Menfchen if. Alfo darf, alfo muß auch
die dem Glauben zugerechnete Gerechtigkeit oder die götts
liche Gerechtichäßung ale ein früheres, die aber aus Dem
Glauben entfpringende Gerechtigkeit der Werke, der dem
Glauben gefchenkte neue Lebensgeiſt oder die Heiligung als
das mitfolgende und bedingte gedacht werden. Neque con-
tritio neque dilectio, neque ulla alia virtus, sed sola fides
est illud unicum medium, quo gratiam Dei, meritum Christi —
apprehendere possumus. Redte dieitur: quod creden-
tes, qui per fidem iustificati sunt, in hac vitaprimum qui-
‚dem impuütatam iustitiam fidei, deinde vero etiam inchoa-
. * tam.iustitiem novae obedientiae, seu bonorum operum ha-
beant, sed haec duo non inter se permiscenda aut simul in
articulum de iustificatione ingerenda sunt. Sol, Decl. IIL.
Die Zueignung der Sündenvergebung ald das erfte und
proteftant. Beantwort. d. Symbolik v. Möhler. 507
als die Bedingung bed Andern zu benten, machen fich alle
Bekenntniſſe zum Gefeß; wie aber das Andre durch das
Erfte oder mit ihm ober nach ihm gewirkt werde, darüber
halten fie wenigftens keine entfchiebene Regel des Ausdrucks.
Die Apologie feßt auch iustificatio mehrmals der regenera-
tio gleich, indem fie beides annimmt, iustificari fey iustum
pronunciari s. absolvi und iustum effici, aber fides appre-
hendens, gratia spiritus fidei donata, novi motus bleiben ges
fondert und fielen in dDiefer Sonderung den Zufammenhang
dar, oder iustum effiei, welches auf remissio peccatorum fide
apprehensa folgt, ift in dieſem Falle foviel ald adoptari und
salvum fieri. Iustum et salvum evadere wird vorzüglich im
vierftäbt. Bek. als Erpofition von dıxasodcdeı gebraucht.
Die Ichottifche Eonfeffion wendet ein statim an, um Folge
und Zufammenhang darzuthun c. 13.: quamprimum spiri-
- tus domini, quem electi per veram fidem recipiunt, posses-
sionem in corde alicuius accepit, tum statim illum rege-
nerat etrenovatetc. |
Run entiteht freilich eine Schwierigkeit, an welcher fo
Diele im Leben wie im Denken gefcheitert find. Es fft näms
li von der Aneignung des Heils die Rede, und doch
fcheint der erfte Act derfelben die göttliche Rechtfertigung
des Sünders, nach proteftantifchem Begriffe genommen,
ihm eben nichts anzueignen. Denn der Sünder zwar, der
gläubig geworden, eignet fich etwas zu, aber nicht ihm
Östt etwas, wie dieß zumal dann der Fall zu ſeyn fiheint,
wenn die mehrflen Belenntniffe ſchon fagen, dexaıodv ſey
iustum pronunciare, und dann. die Theologen nicht nur
actum forensem, iudicis, fondern auch intransitivum daraus
machen. Derfelbe Anfchein von Widerfpruch haftet der
Betrachtung des menfchlichen Subjects in der Nechtfertis
gung an, denn der Sünder wird gerecht gefchäßt um feis
nes Glaubens willen, und ift es Doch nicht, Gott erflärt.
was nicht ift, der Menfch glaubt was nicht ift. Herr Dr.
Möhler wünfcht uns Glück, daß wenigſtens eo. Oft
Theol. Stud. Jahrg. 1884
ander und Schleiersiacher id wieder anf bie Spur
gut atholifcher Lehre geholfen, Er hätte, was bie Neue⸗
ren betrifft, vorzüglich noch Soh. Aug. Heinr. Tittmann od)
anführen können. Ueber Dfiander und Schleiermadher has
ben nun Andre fchon genug, namentlih Hr. Dr. Baur
geantwortet, and Hr. D. M, kann fich überzeugen, daß
jene trefflichen Lehrer den eigentlichen Unterfcheidungs-
punct — sola Sde — nur noch fefter geſtellt. Alle aber,
Zittmann nicht ausgefchloflen, frheinen mir in den gegen
ben aetus forensis gerichteten Beflimmungen fo weit zu ge
ben, daß fie fich von dem urſprünglichen Sinue Des evans
gelifchen Belenntuifles ſowohl, ald von dem des Wortes
Iinsodokteı, mehr oder minder entfernen. Mit Recht haben
Schleiermacher und Tittmann auf einen linterfchied der
Rerhtfertigung von ber Sündenvergebung aufmerkfam ge
macht. Jene nämlich begreift Diefe, dieſe nicht jene ſchon
in fih. Die Sündenvergebung, felbft fofern fie ſchon dem
Bewußtſeyn fich zueignet, ift nur negative: Seligfeit, zu
welcher das Pofitive der Kindfchaft hinzukommen muß; in
der Rechtfertigung aber ift beides als eins gefeßt. Und bei
der Siündenvergebung ift noch die Frage, ob fie Die allges
meine oder befondre, ob fie der Anfang eines neuen Lebens
oder nicht, nur vermeint, vorausgefeßt, oder erfahren, be.
wußt, empfunden ift, Die Rechtfertigung aber erledigt ſchon
alle diefe Fragen, Ohne .diefes Verhältniß beftimmt aus⸗
zufpredhen, deutet es Melanchthon allenthalben au, indem
er.immer beides nach einander und mit einander ſtellt, was
der Glaube erlange, Vergebung der Sünden und Recht⸗
fertigung , oder indem er häufig für Rechtfertigung als
das erflärende die reconciliatio ſetzt. Beides ganz in
Gemäßheit der h. Schrift. Denn die xarailloyr, von
der Paulus Rom, 5, 10. im Vorderſatze fpricht, iſt die
allgemeine secundum potentiam in Chrifto befteheude, bei
a) ©, Progr. de summis principiis Confess. Augustanae, Lips. 1830.
und Anmerk, zur deutſchen Ausgabe d. Confeſſion.
proteflant. Beantwort. d. Symbolik v. Moͤhler. :509
der wir.noch &xdgol fenn konnen, biefenige aber, bei ber
mir nicht mehr Feinde find, welche Taut dem Nachſatze
actn an uns gefihehn, ift ganz gleich Der drxalmaıg im neun⸗
ten Ber. Und wiederum deßhalb wird Rom. 4, 25. 8, 34.
Tod und Auferfiehbung auf Bergebung und Rechtferti⸗
gung bezogen, weil ohne bie Auferftehung bie Vergebung,
wenn ſchon erwirkt und vorhanden, nicht Tundgegeben wers
den und alfo Feine Rechtfertigung feyn könnte. Demnach
babe ich mich auch fonft ſchon gegen bie Behauptung, Rechts
fertigung fey bloß immanente oder ntranfitive Thätigkeit,
erffärt, eine Lehre, die nur folange gilt, ald die Eoncors
dienformel unb ihre Freunde bie Bermifchung berfelben
mit der Heiligung: abzuwehren und ihren Standpunct ber
Eingießung gegenüber zu. wahren haben. Die Rechtfers
tigung ift eine Mittheilung, fie theilt den Frieden Gottes
mit, indem fie die Furcht hinwegbringt, die dem kindſchaft⸗
lichen Gefühle hinderlich it. Röm. 5, 1 — U. fprechen über
diefe Mittheilungen. Zu dem Mitgetheilten gehört auch
die Liebe Gottes. nach B. 5, welcher aber durch V. &.
zu erklären iſt. Denn bie kiebe Gottes, mit welcher
Gott liebt, nicht Die Kiebe, mit welcher wir, wird in ber
Rechtfertigung durch den heiligen Geift audgegoflen in un⸗
fere Hergen (vergl. 1 Joh. 4 10.), und weundieß nad) dem
Eonterte der Sinn des feit Anguftinus foviel und fo falfch
gebrauchten Spruches unwiderfpredglich ift, fo. folgt nicht
nur, daß das Mitgetheilte, was wir Proteſtanten in ber
Rechtfertigung fehen, ganz ein andres ift ald das, welches
bie Gegner, ſondern auch, daß die einzige biblifche Stelle,
die fie für die Sufufionds Theorie aufbringen Fonnten, ihr
nen der Wahrheit nach ſich ganz entziehet. Sit nun der
Rechtfertigungsaet tranfitiv ober mittheilend, fo.Jäßt ſich
auch erkennen, daß er und wie er beclaratorifch fey. Gott
foricht fein Urtheil weder nur in fich hinein noch in bie
Meltgefchichte heraus, ob es gleich da und dert gültig iſt
und wird; ex fpricht ed in das Bewußtfeyn bed Gluͤnbigen
ee
[3 ı Migtzſch
herein, der Geiſt der Gnade "gibt: Zeugnig unſerm Glau⸗
-benögeift, daß wir Gottes Kinder ſind Nöm. 8,-16.: Hab
it diefer Beziehung glaube: ich. nicht, daß Schleiermacher
‚Recht habe, den Gedanken der befondern- Kundgebung
des göttlichen Rathſchluſſes zu befeitigen. Denn ſchon bie
‚berufende Gnade ift nicht fo zu denken, daß fie lediglich
die Allgemeinheit des Heiles dem Gemüthe vorhalte, ſon⸗
dern fo, daß fie mittels der allgemeinen: Wahrheit. Her-
ſoͤnlich einlade und anfrage: alfo auch die rechtfertigen
de fo, daß fie dem Glauben individ nell znfpreche und
bezeuge. Die lebendige Befonberung der allgemeinen. Wirs
Kung Chrifti ift nicht nur mit Schleiermacher bei der Bekeh⸗
zung, fondern gleicherweife bei der Rechtfertigung zu den⸗
ten, nur daß nach Deffelben Gelehrten treffender Beobachtung
die Rechtfertigung das in Betrachtung ruhende Selbſtbe⸗
wußtfeyn, die Belehrung aber mehr die Willenebewegung
betrifft. Wir wenden und num zugleich zu der tittmannis
fchen Berichtigung. Sie ift in gewiffen Puncten fehr faß⸗
lich, nämlich wo fie zeigt, Daß der Begriff der Nechtfertis
gung durch den Glauben alled Berdienft und alle. Genug⸗
thuung, ja vom Glauben felbft alles Verbienftliche aus⸗
fchließe; weiterhin wird fie unflar. Denn „Gerecht ſeyn
vor Gott und gerechtgefchäßt werden” fol in der ganzen
h. Schr. N. X. nichts anders heißen ald, „in einem foldyen
Zuftande ſeines innern Lebens fich befinden, der es möglich
macht, Gott wohlgefällig zu ſeyn und zu werden, und von
ihm: Gnade und Segen zu.erlangen.” Est igitur, fagt dag
Programm, iustificatio beneficium dei, quo homines mise-
riae peccati obnoxü (infusti, TExva .ögyng).eum naturse
statum consequuntur, ut a deo probari (pro iustis haberi)
et gratiam dei aetersamque saluteni merlto Christi: capes-
'sere possint.: Damit fol der Annahme einer imputata iusti-
tia Christi, zugleich ber: Meinung de sensu mere forensi,
ebenfalls dent Borurtheile, als. fey ‚Die:impletio legis. nicht
nothwendig, gewehrt werben. Soviel iſt Deutlich, die ds-
proteflant. Beantwort. d. Symbolik v. Moͤhler. 511
xaladız bewirkt einen Zuſtand, verſetzt in einen Zuſtand,
im welchem man num alles, was zum Heile gehört, erlan⸗
gen kann. Dieſer Zuftand, was er fey, wird. gar nicht un⸗
mittelbar beſtimmt, fonbern lediglich dadurch:
H daß wir ihn durch den Glauben erlangen und 2) das
durd, daß er fähig macht, nämlich Gott wohlgefällig,
feines Beifall gewiß, und der Seligkeit theilhaftig zu wer⸗
den. Er ift entweder ein ganz unbeflimmbares x, oder eben
bie Identität der Gerechtfhägung und Wiebergeburt, bie
Entwicklung bes Glaubens zur Qualification für alles. Gu⸗
te, Gefühige. und Selige. Es fcheint fogar, als werde der
Meufch durch den Glauben gerecht gefchäßt, damit er bie
Begnabigung und Wohlgefälligkeit erlangen könne, er wer»
de angenehm gemacht, um ſich angenehm gu machen; und
dann würde allerdings fowohl ber. Begriff des Glaubens
als der der Rechtfertigung ber Tatholifchen Lehre nahe ges
bracht worden feyn, nur daß der habitus, der in ber Juſti⸗
firation bewirkt wird, von ben Scholaftifern als habitus.
dilectionis, von Tittmann aber gar nicht weiter beſtimmt
wird. Auf jeden Fall liegt in der tittmannfchen. Berichtis
gung eine gewifle Verkennung des Unterfchiedes von Ge⸗
rechtſchätzung und Wiedergeburt, von. Verſöhnung und
Belehrung. Tittmann bemerkt zwar richtig, die h. Scheift
lehre in biefer Verbindung nicht, die Gerechtigteit Chrifti-
werde dem Menfchen zugerechnet, fondern der Glaube
werde gerechnet zu. der Gerechtigkeit. Aber fhon der Bes,
griff der Zuredinung an und für ſich beweift, daß die von
ihm ohne weiteres verworfene forenfiiche Bebeutung des
Rechtfertigungsactes biblifchen Grund habe und bier ſchlech⸗
terdings als die erſte gefeßt werben müfle. Die Reforma⸗
toren und die proteftantifchen Bekenntniſſe haben reichlich:
nachgewiejen, daß dızmoüv dem Berbammeu entgegenger:
feßt werde, und fie hätten nicht nöthig gehabt, bieß die
hiphiliſche oder hebräifche Bebentung zu nennen, Da es
auch die claffifche iſt. Keine Erweiterung ber lexilogiſchen
512 Mh ifaou
Erkenntniß hat fie bis hieher in ihrer Aunahme bepe
Was will mar z. B. gegen die ausführliche Mach
bed Sprachgebrauchs, wie fie bei Chemmitz ſckde
finden ift, bedeutendes aufbringen? Es tft. aber
an fich nothwendig, daß in Berfündigung ber Heilei
zunächft die göttliche Gerehtfhägung für ſich gd
unb noch vielnäher mit Der Beerbung und. Befeligureh
mit der Heiligung zufammengebacht werbe. Das zn
das Iwpsav macht es nothwendig. Mit diefen Vor
gen nämlich ift Durchaus in den dsxmovusvoıg ein
ſeyn der Gerechtigkeit geſetzt, nämlich fofern fie Der Ge
tigkeit wegen immer aus ſich heransgehen und in &
ſeyn müflen.
Das gerade wird ihnen zur Gerechtigkeit gere
daß fie auf dieſe Weife, wie es die Jetztzeit des N. T.
fidy führt, und nach diefen in der Gemeinſchaft Ehrifti
gebenen Beweggründen fich felbft nicht rechtfertigen, ni
Iogfprechen, auf jegliche eigne Würbigkeit, als einzel
zoımzol Tod vouov, verzichten; dem Das alles liegt in
larıs, die eine lebendige Ausſchließung der zaurncıs il
Eben in diefem bewußten Mangel des Selbftruhmes, eb
in Diefem Wahrdenfen und Wahrnehmen der ausſchließlü
chen Erfüllung des Gefeges und der Verheißung in Chris
flus, in diefer Buße, die nicht minder ein Hunger und
Durft nach Gerechtigkeit ift, werden fle won Gott ange
fehn und geheilt. Weder ihre Ungerechtigkeit noch ihre
Gerechtigkeit‘ ift eingebilbet und. putativ. Ihre Ungerech⸗
tigfeit ift aber nur wahr vor dem Geſetze, weldes Zorn
fehaffet, oder: als Bedürfniß der Gnade oder als Urſache
ber Buße und des: Abfterbend mit Ehrifto, und fchließt al
ſo diejenige Wahrheit ber Gerechtigkeit nicht aud, welche
fle nach dem vouognlsreng ald eine durch srgscis, Atpsasc,
durch ein Aoylksodaı 'slg Ösnnsosvunm bedingte, in-ihrer
gänzlicher Abhängigkeit von ‚einem Mittler Inne haben.
Die Schrift unterſcheidet zwei Kreiſe des‘ Verhaltniſſes Got⸗
Rant. Beantwort. d. Symbolik v. Moͤhler. 513
nahme bipen Menfchen in Bezug auf Sünde und Gerechtig⸗
he Nacherdammniß und Seligkeit; der eine ift der des Ger
anni fdiver andre ber ber Gnade. Diefe werden nicht nur
iſt abehrer Verſchiedenheit, ſondern auch nad ihrer Bes
reit auf einander befchrieben, denn die neue Schö⸗
p die Erloͤſung ift nicht ſchlechthin neue Schöpfung,
guet und bieibt Die Identität Gottes und des Mens
in ihrem: Berhältniffe zu beiden Sphären. Die Mens
Wiebe und Freundlichkeit Gottes alſo erweifet fich in
g auf Das vorhergegangene gefehliche Berhältnig ala
is ein |
ber ße, Meberfehung, Vergebung, denn das gefeuliche foll,
d in ie es nur Erkenntni der Sünde, Tod und Zorn wirs
konnte, fchlechthin aufhören; ſofern es. aber doch in der
Jen Liebe, im Geiſte felbft feinen lebten Grund hatte,
Mem höhern durch die Gnade, nämlich zum vouog
Me, Öıxauocbvn Oſοũ, entwickelt werden. Geoffen⸗
t, gegeben iſt dieſer Uebergang in Chriſtus. Der erſte
t der‘ Erlöfung Tann ‚daher nichts anders ald die am
nuthe ſich erweifende Begnadigung und Losſprechung
zs Sunders ſeyn, und erft- durch dieſe vermittelt ſich Die
Manze Belebung des: Menſchen. Die Betrachtungsweiſe
zun der Concordienformel hat demnach an ihrem Orte ihr voll⸗
h kommnes Recht. Sie kann ſich anfı Röm. 3, 4. ſtützen, und
‚nz nimmt dabei ebenſo wie Der Apoſtel die Einheit und Ganz⸗
ng heit der ſittlichen Etlöſung durch ˖den Begriff vom Gl aus
ir ben und dem ihm gefchentten Geifte wahr.
ed Da jedoch nach der Kategorie von Grund und — der
n Begriffes Grundes auch die Folge mit in ſich ſchließt und dies
ſe bloß ausſchließt, wo Die Folge eben als Grund ſich geltend
machen würde, und da der Begriff des Grundes fogar bie Fol⸗
ge nothwendig an ſich zieht, wo ſonſt der Grund als bloße,
Icere Abſtraction ſich gelten machen wollte (wie die alorig nach
der Unterſtellung des Jacobus), fo mußte auch-bie Betrach⸗
tungsweiſe des —— in der — ihre —
wor: .-=-
—
514 Kibſch
keit behalten, und konnte ſich auf die heilige Schrift in al⸗
len den Stellen ſtützen, wo (wie durch xadegl£uv, reisı-
eödeu im Johannis⸗ oder Hebräerbriefe) die Reinigung
von Schuld zugleich als Reinigung von Sünde, ober wo
Chriſtus als unfre von Heiligkeit: nicht unterfchiebne Ges
rechtigkeit (2 Sorinth. 5, 21.), wo fein flellyertretender Tod
als Urſache unfers aufhörenden Eigenlebens (2 Corinth,
5, 14. 15.), das Seyn in Chrifto ald Schuld» und Sünd⸗
loſigkeit zugleid; (Rom. 8,1.) gefebt erſcheinon. Vieles läßt
ſich am;proteftantifchen Nechtfertigungäbegriffe nachhelfenb
aufklären und beflimmen, und die Theologie ift wieder auf
den Weg gekommen, es zu erfennen und zu. thun: es fehlte
der Zeit. und Kirche, ayß- welcher Die Reformatoren hers
vargingen, an ber. Fertigkeit und -Gewöhnusg, Die per
fönliche Erlöfung, die befeligende Lebensgemeinfchaft des
Gliedes mit dem Haupte vorerfi- ald Einheit ald Gau⸗
zes .anzufchauen, der Mißbraud der damit in der Sys
eramentslehre :oder auch bei den Enthufaften : getrieben
worden war, hielt Die Reformatoren von dieſer Betrach⸗
tung der. ungetheilten Einheit ab; fig blieben bei ſchriftmä⸗
ßiger Reconfiruction des Ganzen zu fehr in, Der zerffüdeln«
ben: Betrachtung, und es: muß ald wichtig qn dem Einfprus
che Ded Andreas Dfiander angefehu werden, Daß er Das
Seyn und Leben Ehrifti,in den Gläubigen zu dogmatiſi⸗
ren verfuchte (obgleich er weder mit dem Worte Iagoüu
noch mit der Verfnüpfung von Sündenvergebung:; uud
Rechtfertigung umzugehen verftand) : allein das haben ung
die Reformatoren für immer gewonnen in biefer Angeles
genheit, daß wir.geleitet von ihrer. fouthetifchen Betrach⸗
tung und auf bem Grunde berfelben zur richtigen Analyfe
übergehen können. Durch ihr entfchiebnes Eingehen auf
ben irrationalen, weil. gofitinen gefchichtlichen -Punet dee
Chriſtenthums, Chriſtus unfere einzige, Gerechtigkeit, und
ausfchließlich Durch den Glauben unfere Gerechtigkeit, has
ben fie uns auf die lebendige Macht des Wortes und in
proteflant. Beantwort. d. Symbolik v. Möhler. 513
den vernünftigen Gottesdienſt des reinen Herzens und ber
GSemiütherichtung zurückgeführt.
Abgefehn vom NRechtfertigungsbegriffe verbreitet fich
Hr. D. M. des Weitern über den Glauben, wie er in
dieſer Hinficht beiderfeitö zu faſſen ſey. „Die Kirche hatte
freilich funfzehn Sahrhunderte lang fchon die Wahrheit deg
rechtfertigenden Glaubens in ihren Chriften empfunden,
in ihren Theologen gebadjt: allein wie ein Ariug erſt zu
den Beſtimmungen von Riräa veranlaffen konnte, fo diente
auch Die Entfchiebenheit, Die Die einfeitige Richtung in Lu⸗
th er annahm, der Kirche dazu, nun im Concil von Trient
zum-völlig Haren Bewußtfenn Darüber zu kommen.” Die
gelehrten Bifchäfe, Die Dart verfammelt waren, nahmen
fi nämlich das ihnen durch die Reformation fo Dringend
nahe gelegte‘ Problem Räm. 3, 28. late rvöponov dı-
xe0Vodeı, imois Epyav nöuov zu löfen vor, und brachs
ten alle am Eube heraus, Daß der Glaube, der ja eben nur
das Fürmwahrhalten der Offenbarung. oder die erfte Ges
müthserhebung ober.umr der eingefchlagne rechte Weg fen,
nicht rechtfertige. Hätten Die gelehrten Männer. ſich auf
die frühere Lehne vom. geflalteten Glauben zurüdgezogen,
ober. wären fie den Begriffen des Hrn. Dr. M. son dem
Bertrauen der Liebe in etwas vorangeeilt, fo.wärben
fie der biblifch-proteftantifchen Wahrheit um Bieles’näher
gekommen feyn und Das Decret mit einer vollfländigern
Reflexion ansgeftattet-haben, als es nun der. Zal iſt. Denn
was ber Glaube ſey, ob er auf dem Puncte, wo bie Hö⸗
rer. bed Wortes libere moyentur in Deum, credentes vera
esse, quae revelsta sunt, atque illud inprimis, a Deo iusti-
fieari impium per gratiam eius (alfo als fides speeialis mi-
sericordiae in Christo) noch geſtaltlos (todt, Leer, kraftlos),
ob er dann, wo Die Dispofltion. den Höhepunct erreicht
hat, als ber geftaltete etwa wirklich rechtfertige oder ges
recht mache, erfährt man aus Dem Decrete nicht. Bielmehr
wird er auf dem Punste ber Eingießung nebſt ber Hoffnung
-
and Liebe mit eingegoffen, und tritt hier gar nicht als vollig
entwickelte motio in Deum, oder apprehensiopromissionis auf :
woraus denn herdorzugehen fcheint, Daß er auf gar Feine
Meife rechtfertigt, und wenn dennoch, in der Geſtaltloſigkeit,
alſo nur wie die negative Bedingung der Rechtfertigung
auftritt. Dieſe ganze Lehre iſt ſo geſtaltlos, daß ihr erſt die
Vorhülfe von Thomas und Nicolaus Cuſanus oder die
Nachhülfe von Bellarmin und Moͤhler Geſtalt zu geben
vermag, und doch hatiHr. D. WM. hier gerade nicht dem
Deerete heilfame Unbeſtimmtheit, ſondern die klareſte Bes
ſtimmtheit nachtrühmen wollen. Deſtomehr verargt er es
der Reformation, daß ſie den Unterſchied des bloß erken⸗
nenden geſtaltloſen, und des in ſeiner Geſtaltung als Liebe
gerechtmachenden Glaubens verworfen habe. Man dürfte
fagen, ſchon die hier gerügte-Thatfadje beſtehe nicht ganz.
Das vierſtädter Bekenntniß F. IL: — WU geht: aus⸗
drücklich auf den Unterſchied ein, ſowie Melanchthon auf
den der generalis et specialis. : Indeſſen wir wollen die
Thatſachen beftehen laſſen. Die Reformation durfte bes
haupten, weder mit dem geftaltlofen noch. mit dem geſtal⸗
teten Glauben, noch mit beiden zufammen'feh in’der- Scho⸗
laſtik die Lehre vom rechtfertigenden Slauben Wahrtkift
gegeben. Der Begriff des geſtaltloſen Glaubens: wird
nicht darum verworfen, weil man fick den Glauben ale
das Ergebniß einer ausſchließlichen Thätigkeit Gortes
denkt, als weiches er nie erfolglos oder leblos ſeyn Tonne,
ſondern weil derſelbe Begriff: einen nothwendigen Ur⸗
ſprungspunct des Heils und Doch zugleich’ein tobtes Für⸗
wahrhalten conſtituirt. Ein: GSiaube; der nicht indiffe⸗
rent und nicht mit dent Unglauben eins :ift,'- der wicht
in der leidentlichen Anttahme ber Kirchenſatzungen be⸗
fteht, wielmehr durch Gottes Wort geweckt iſt, hat ſeine
Animation eben an dieſem Worte der Wahrheit, gefetzt
auch, vas Vertrauen auf Gnade, das in ihm iſt, fe noch
nicht ſtark achng, um das Jeugniß bes Geiſtes zu’ entpfan⸗
proteflant. Beantwort. d. Symbolik v. Möhler. 517
gen oder bie Buße. noch ‚nicht fo rein und wahr, baß fie
einerfeitd das ganze Bertrauen auf den Mittler bebürfte,
andererfeitö zuließe. Der Glaube der Erweckten (ben. ber
Proteſtantismus fehr wohl vom Glauben der Belchrten
unterfcheiden kann) hat an ihm felber Leben und Wirkſam⸗
keit; er ift nicht der todte Schwefel des Seripandus (S.
146. 3. Audg.), den erft ein fremdes Feuer entzunden muß.
Iſt denn etwa das fürmahrhaltende und in dieſer Hinficht
fertige Glauben in irgend einem Momente, wo es ſich noch
unlebendig (wie 5.3. im Zuftanbe des Tobfimderd) er«
weift, dennoch initium .et fundamientum iustificationis %
Doch fchwerer ftoßen Die Reformatoren damit am, daß fie
auch die Ades formata verwerfen; denn dieſen Begriff uber⸗
ſetzte man fogar zu Negensburg 1541. in ſides viva et efl-
cax, und fo fchienen Luther und die Anden, die ihn den⸗
noch verwarfen, ihre eigne Lehre zu verdammen. "Wie
unzählige Male bezeugt es die Reformation, daß der recht⸗
fertigende Glaube keine notitia historica, tmortua, manis, ſon⸗
dern ein wollendes, firebendes Ergreifen des Verdienſtes,
ein velle et sccipere, ein opus spiritus s., ber wahrhaftige
cultus Dei, felbft ein Wert, ein Gehorſam gegen Gott im
allerwichtigften Falle fen! Und was bas efficaz betrifft;
fo ift doch auch durch alle ihre Bekenntniſſe ausgebreitet)
daß der Glaube gute Früchte der Liebe hervorbringen folle
und müffe, Buß er ala Canal des Beiftes Chriſti das Herz
mit neuen guten Bowegungen erfülle und die fonft nur ir⸗
gendwie gefenlichen Handlungen erft fromm und heilig .
mache, daß:er zwar.in.der Rechtfertigung allein geltes
aber deghalb: sticht allein, nämlich nicht ohne. feine Frucht
and Wirkung, bleibe. Deßungeachtet if Mar, daß bie
fides viva et:efficax an bie Stelle der: formais gefegt, nut
wieder den Irrthum unvermerkt einflihete, den die NRefvr⸗
mation befämpfen mußte: Denn es war nicht von der Le⸗
bemdigfeit des Glaubens in feiner Richtung auf Gott. in
Ehriſto und Chriſti Berbienft, ‚nicht von der vollkommenen
313153.. Mlbſch
Sntenfloität bed; Vertrauens, nicht von der Das Herz reini⸗
genden und erhebenden Wirkung des Glaubens bei denen
die Rede, die römifcher Seits die Formel genehmigten,
fondern von dem Lebendigwerben des Glaubens in Der
Richtung auf die Gebote und das Handeln, in der Bors
ausfeßung, Daß dennoch nicht der Glaube, fondern die zur
Liebethätigkeit belebte Erfenntniß des Herrn Vergebung
der Sünden erlange und al die Gerechtigkeit vor Gott
gelte. Urſache genug, Die neue Formel ſammt der Altern,
fides caritate formata, zu befeitigen. Nämlich der Glaube
iſt nicht ala das formirte, fondern ald das formirende
zu denken; er geftaltet den ganzen. Menfchen anders, aber
aimmt-feine Geftaktung nur non dem Worte Der Verheis
Bung an. Wer anders Ichrt, verunftaltet ſich die Verhei⸗
ßung, bie, indem fie freie unverdiente Gnade zum Inhalte
bat, fchon Dem Vertrauen. und nur dem Vertrauen fich dar⸗
bietet, und in Diefes aufgenommen, nach allen Richtungen
bin den Beitand des geifligen Lebens ernenert und heiligt.
Was ift nun aber, unterfucht d. Vf., der rechtf. Gl. der
N roteftanten, wenn er fides formata nicht ſeyn will? -Er
mißbraucht einige gelegentliche Aeußerungen der Reforma-
toren (welche fo, wie er fie deutet, von allen Befenntniffen
klar und beſtimmt widerlegt werben) zur Erhärtung Des
Nefultates: der vechtfertigende Glaube der Proteflanten
ald ein bloß werkzeuglicher fey- eine rein paffiwe, unlebens
dige, im Grunde nicht aneignenbe, mit. jedem Ehebruch
beftehende .Zueignung Chriſti. Was das letzte anlangt,
fo fagt die. Augsb. Eonf. 20. „Hieraus iſt auch zu merken,
wo Glauben fey, und was wir glauben heißen; beuu wo
nicht Schreden ift. für. Gottes Zorn, fondern Luſt am fünd-
lichen Wandel, da tft nicht. glauben — wir ‚lehren, Daß
diejenigen, fo Luft haben. an ihren Sünden uud fortfahren
in fündlichem Wandel, nicht Glauben haben.” Denn da ber
rechtfertigende Glaube gar nicht gebacht wird, anders als
in den erſchrocknen und gebeugten Gemüthern,.oder als das
proteflant, Beantwort. d. Symbolik v. Möhler. 519
nädhfte höchfte Bedurfniß derſelben, und ebenſo mit der
Buße wie mit der Selbſtverzichtung zuſammen iſt, fo kann
er auch mit gar keiner Leichtfertigkeit zuſammen ſeyn. Nun
aber bleibt doch immer die Rechtfertigung das erſte, die
Bekehrung das zweite Moment in der Wiedergeburt, und
die Heiligung, die hiemit eintritt, ſchreitet nach und nach
fort, ja es kommt nur durch Rückſchritte zu größeren
Fortſchritten in der Abſonderung der einzelnen Lebensge⸗
biete und Verrichtungen von der Gemeinheit des Fleiſches,
ed kommt alſo auch zu Sündenfällen oder zu Rüdfällen in
Sünde. Daͤchte ſich Luther aus dergleichen Fällen die
Rothwendigkeit der Buße, der Sündenerfenntniß und Geis
ftesftrafe hinweg, fo möchten wir alle wider ihn feyn,
und fagen, er mache Ehriftum zum Sündendiener. Allein
er iſt weit davon entfernt, er denkt fich gerade nur Die
Nothwendigkeit bes Abfalls von Chrifto, ben Bundesbruch,
den ſchnoͤden verzweifelnden Leichtfinn hinweg. Der letz⸗
tere fpecnlict im Verzweifeln an Begnadigung oder Wies
derbegnadigung auf Fortfeßung der Sünde, Der Sünder
fpricht, nun. ift einmal alles verloren, ich bin einmal von
Gott verlaffen. Oder der vormals erwedte und nun Doch
durch feinen Fall befchämte Menfch füllt jetzt auf eigne,
felbfigewählte Büßungen und Genugthuungen, bei bes
nen der alte inwendige Adam beſtehen kann, und was ed
für Schlangenwege des Argen mehr gibt. Gegen diefe
will ihn Luther verwahren, gegen den gänzlichen Abfall; er
ftärft einen Kleinglauben, ber Unglauben zu werben droht
oder in Aberglauben übergehen wird. Er fagt nichts anderes
als die Schrift, wenn fie fagt, „und wenn beine Sünde
biutroth wäre” Er ftellt auch Feine wefentlid andern
Beifpiele auf, ald die Schrift in David und andern aufs
ftelt. Das läßter gar nicht unberüdfichtigt, daß fich durch
Rückfaͤlle auch das Nochnichtbafeyn Der Wiedergeburt ers
weilen Tönne, denn warum fagte er fonft si in fide fieri
posset adulterium ? Doch gehört dieſe Betrachtung einem
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andern Orte an. Es handelte fich bier bloß um bie Frage,
ob es einen andern Triumph über die vergangne, gegen
wärtige nder fünftige Sünde gebe, ald den im Glauben
ergriffenen Ehriftus, ob nicht jeder andre erft durch Dier
fen errungen werben koͤnne, ob die wiederkehrende Sünde
die Kraft Gottes und die Schrift befchäme und widerlege,
ob. nicht vielmehr durch die wahrefte Anjchließung an
Chriſtus allein alle Zufälle Der zeitlichen Entwidelung, alle
Gebrechen der eignen Gerechtigkeit fammt Allen Anfechtuns
gen der Hölle zu befichen ſeyen. Und fo liegt in dem Allen,
was Luther in folcher Beziehung, wenn fchon hart und
ſtoßend, unbeftimmt und ſchonungslos, gefagt hat, eine
tiefere Wahrheit und heiligere Gefinnung — Das pecca
Sortiter gar nicht ausgefchloffen, als in der ehrbaren Ber
merfung, Daß es den Gläubigen nicht gezieme, Sünde zu
tbun. Die Suppofition ift eben Feine Pofition, „Keine
Sünde,” fagt Luther, „Tann did; verbammen als der Uns
glaube allein, Fein Wille oder Unwille, nur der Wille, nicht
zu glauben.” Daraus folgt nicht, daß er ſich wirklid mit
dem Willen zu glauben jeden Unwilfen zum Guten zufams
menbentt. „Eine Lüge, behauptet Auguſtinus, wäre Sün⸗
de, wenn. auch Durch fie das ganze menfchliche Geſchlecht
gerettet werden könnte.“ Damit will er ebenfo wenig fas
gen, daß eine Lüge das Menfchengefchlecht retten könnte,
oder daß ein folcher Fall mehr als Abftraction ſey, ald Lus
ther mit den Worten, si in fide ſieri poaset sdulterium, pec-
_ estum non esset, die nothwendige reinigenbe Kraft des
wahren Gtaubens leugnen. Was in aller Welt ‚gehen
aber dergleichen Ausfagen Luthers, gefeßt, daß ſie fittlis
chen ISndifferentismus begünftigen, fo lange nicht bewiefen
iſt, daß das proteftantifche Bekenntniß einem fittlich ine
differenten Glauben die Gerechtigkeit zurechne, die ſymbo⸗
lifche Erörterung an? Alle fogenannten exelusivae, näm⸗
Ich ans Gnade, ohne. Berdienft, sola fide, wollen fagen,
daß mein Glaube meine Gerechtigkeit, meine Ungerech⸗
proteflant. Beantwort, d. Symbolik v. Möhler. 824.
tigkeit: nicht anſehen ſolle, daß er ſich gegen jene mit Des
muth, gegen dieſe mit Muth ans ber Verheißung ftärfen
müße, folgt daraus, daß er die Gerechtigkeit überhaupt
nicht anfehe, daß er den Haß der Sünde nicht ſammt der
Bergebung in Ehrifto in fich aufnehme and dem Leben zurück⸗
führe? — Certi sumus, fagt das vierftäbt. Bel, neminem
iustum aut salvum fieri posse, nisi amet summe Deum, abeg
dennoch vermittelt e8 bie Vergebung der Sünde durch den
Glauben allein.
2,
Leber die Dignität des Religionsſtifters.
SinBeitrag zur Ausmittelung de8 Wefend
ber Frömmigkeit.
Bon \
A. Schweizer,
interimiftifchem Prediger an ber reformirten Kirche zu Leipzig.
Ein Hauptbeftreben unferer Zeit ift gerichtet auf Feſt⸗
Rellung des Begriffs der Religion, befonders in ihren
Berhäleniffe zur Philofophie Kine andere, wenigſtens
für den Thenlogen nidyt minder wichtige, Aufgabe, Die
Dignität Ehrifti wiffenfchaftlich zu begreifen und über
das fiheinbar Zufällige hinausgehend auch Die Nothwen⸗
digfeit des Berhältniffes zu erkennen, in welchen. ber
Blaubende ſich zum Stifter feiner. Kirche vorfindet, Liegt
ebenfalls unferer Zeit zur Löfung vor. Den innern Zuſam⸗
menhang aber biefer beiden Beftrebungen, welchen wir.
fhon daraus ahnen müffen, daß derfelbe Geift ber Zeit
fih beiden widmet, ins Licht zu ſetzen, bezweckt biefe Ab⸗
sa. Cchmeiher
handlung, indem fie den bisher noch nicht betretenen Weg
einfchlägt, das Verhältniß des Stifterd der wahren und
allgemeinen Kirche zu allen übrigen Menfchen als ein noth⸗
wendiges zu begreifen und zu zeigen, wie viel Licht das
durch für das Weſen der Frömmigkeit Tann gewonnen
‚werden gerade in ihrem Verhältniſſe zum philofophifchen
Wiſſen. >
Wenn der Theolog derjenige ift, welcher den Glauben
mit dem Wiffen zu vereinigen verfteht 9), ober ein Wifs
fender vom Glauben b), fo muß er fich auch Rechenſchaft
geben können von feinem und ber gefammten Kirche Vers
hältniffe zu ihrem Stifter, Die hriftliche Kirche aber
als hiftorifche Erfcheinung wird man befiniren müffen als
dasjenige religiöfe Gefammtleben, weldes
von Chriftus her fein Entfiehen, feine Er hal⸗
tung und Weiterbildung ableitet. Diefe hiftos
rifche Beflimmung ift jedoch offenbar eine foldye, Die nes
ben dem chriftlichen auch andre religiöfe Gefammtleben
zuläßt; es könnte daher fcheinen, daß wie eine Menge von
Staaten, fo auch mehrere Kirchen neben einander, je fitt
licher der Gefammtzuftand wäre, deſto ungeftörter und vers
tragfamer beftehen und fich fortbilden müßten, ja daß wie
die verfchiednen Staaten, fo auch verfchiedne Kirchen uns
ter einander im Berhältniffe moralifcher Perfonen ftehend,
einen allgemeinen Organismus bilden fönnten. Auffallend
genug widerfpricht aber ein allgemeined Bewußtſeyn und
alle bisherige Erfahrung einem folchen Gedanken, ‚und
diefes beides kann fich nur darauf gründen, daß Staat
und Kirche etwas weſentlich von einander verfchiebnes feyn
müßten. Dieſes zeigt fich zunächft in ihrer quantitativen
Ausdehnung fo deutlich, daß die Verhüllung dieſer Diffes
a) Chr. Schleiermach er kurze Darftellung bed theologifhen Stu⸗
diums. 2te Aufl. 5.2.
b) Cie Mar heinecke Dogmatik. 2te Aufl, 5. 6. .
über die Dignität des Religiongflifters. 523
renz da wo in Form der Staatsreligion oder. des Reli⸗
gionsſtaates das politifche und das religiöfe Element noch
in unbewußtem In⸗ und Durcheinander find, ung nicht
mehr irre. machen fann, ſondern leicht als Corruption ers
kannt wird, indem ja aneinander gebunden wird, was
nicht daſſelbe Maß haben kann, in Rüdficht auf Ausdeh⸗
nung and Verbreitung, und überall, fobald der Zwang aufs
hörte, mit welchem das eine Element.das andere an fidh
gebunden hielt, jedes eine eigene Geftaltung annimmt
von. verfchiedenem Umfange. Da nämlich der Staat.bas
firt ift auf dad Verhältniß einer zufammengehörigen Mens
fhenmafle zu einem beflimmten Boden, die Religion hin
gegen auf das Verhältniß der Menfchen zu Gott, fo wird
jener in den Maße, als er fittlich ift, beftimmte Grenzen
anerkennen, biefe hingegen, weil an fein Naturmaß gebuns
ben, ſich ins Unendliche ausbreiten in ber Enblichkeit des
Raumes und .der Zeit. Daher rächt fidy die Vermifchung
des Religiöfen und Politifchen auffallend genug dadurch,
baß fie beider eigentliches Streben umkehrt. Die Relis
gion will freie Ausbreitung haben, der-Staat aber ent-
widelt fi nur wahrhaft innerhalb ber Grenzen einer
Volks⸗ und Spracheinheit; wenn nun Die Juden in ihrer
Blüthezeit ſich politifch ausbreiteten, den Unterjochten
aber ihre Religion nicht gönnten, fo war dieſes eine Um⸗
fchrung des fittlichen Verhältniffes, wie wenn heidnifche
. Bölfer, bei denen das Politifche vorherrfchte, 3. 3. beim
römischen Volfe, immer mehr fremde Volkseigenthümlichkei⸗
ten unterjochten und bie Götter Derfelben in ihre eigene Res
ligion aufnahmen; denn dadurch verringerten fie die Eis
genthümlichkeit ihrer urfprünglichen Religion und verwifch-
tn die Einheit ihres Staates.
So zeigt e8 ſich überall, daß Staat und Kirche we⸗
fentlich verfchieden find ihrer Ausdehnung nach, denn ſo⸗
bald jene Formen ber Bermifchung zerfallen, kann das Re⸗
ligiöfe fortleben ohne das Politifche, wovon Die jeßigen
Theol. Sud, Jahrg. 1834, &
524 Schweizer
Inden ein ſprechender Beweis find, nud das Politiſche,
auch wo es bie bisherige Religion verläßt, wie das ramis
fche Reich ung zeigte, als es zum Ehriftenthume überging;
‚denn Niemand wird mehr Julians Anficht theilen, daß
eben diefer Uebergang das eömijche Reich feiner Auflöfung
zugeführt habe.
Wir halten alfo diefe Differenz feſt: Se gefunder ein
Staat iſt, defto mehr bleibt er in feinem Naturmaße, je
ebler hingegen eine Religion ift, Defto mehr hat fie das
Streben, ſich überallhin auszubreiten. Da nun aber meh⸗
rere Religionen mit diefer Tendenz aufgetreten find, und
doch offenbar nur Eine die allgemeine werden kann, fe
fragt e8 fich, wie fie befchaffen feyn müſſe, um Diefem Ans
fpruche zu genügen. Für Diejenigen freilich, weldje jede
Kirche nur ald einen Durchgangspunct anfehen möchten,
wäre erft zu erweifen, daß ed überhaupt eine allgemeine,
d. h. durch die Totalität des Raums und der Zeit fidy vers
breitende Kirche geben folle 9. Wir befihränfen uns aber
barauf, dieſes voranszufegen, zumal e8 fich von felbft mit
ergeben muß, wenn wir basjenigeleiften, was wir und vor⸗
nehmen.
1) Verhaltniß einer — zu ihrem Stifter.
Was in der obigen bloß hiſtoriſchen Definition nicht
der, fondern einer Kirche ald das Zufällige erfcheint,
nämlich die Befchaffenheit des Stifters, muß feine nähere
Beſtimmung erhalten, wenn wir diefe Kirche mit der Be-
hauptung, daß fie eine allgemeine, oder die Kirche ſey,
auftreten fehen. Und hier trifft mit dem empirifch Borges
fundenen, daß nämlich nur die hriftliche Religionggefells
ſchaft den Namen Kirche befommen haf, die fpecnlative
Wahrheit zufammen, daß nur Eine Religionsgefelfchaft
die wahrhaft allgemeine ſeyn oder werben kann. Wer als
a) Hierüber cr. Schleiermader ver chriſti. Glaͤube. 2te Aufl,
I. 8. 6. .. ® — —
sun
über die Dignität des Religionsſtifters. 325
fo nicht aus bloß zufälligen Gründen den Begriff der Kir⸗
che nur fürs Ehriftenthum anwendbar finden will, als ob.
ein Begriff nur demjenigen Gebiete zuläme, in welchem er
Hiftorifch fich gebildet hat, und nicht auch allen coordinir⸗
ten ®ebieten, der muß entweder jedes religiöfe Gefammtr
leben Kirche nennen, oder ben nothwendigen Grund aufs
fuchen, warum nur Einem diefe Benennung zufomme.
Diefer Grund kann nur gefunden werben it ber Befchafr
fenheit einer Kirche, dieſe aber. beruht nothwendig auf dem
Berhäftniffe des Stifter zu den Gliedern berfelben, und
da das Gefammtleben als religiöſes vom Stifter bedingt,
hernorgerufen und beftändig dominirt wird, fo lange es
nämlich befteht; fo wird unfere Unterfuchung fich eigentlich
befchränfen können, die Beichaffenheit des Stifters zu fins
den, aus welcher Hann won felbft folgt, wie fidy die um
den fo and fo befchaffenen Stifter fammelnde Kirche geftals
ten werde, Wenn wir ader auch nur die Dignität bes
Stifters ansmittels wollen, fo werben wir wenigſtens als
Mittel zu Diefem Zwede, aud) die Kirdje felbft zu betrach⸗
ten haben, weil ja nur in Beziehung. auf fie jene Dignität
ihre bifkorifche Bedeutung hat, und ba vollends der Relis
gionsfifter als zum Theil in worhiftorifche Zeit fallend, zum
Theil überhaupt ale Stifter eines Neuen, nicht aus ber
feüheren Zeit zu begreifen ift; fo werden wir erſt aus ber
Kirche als feinem Werke auch ihn felbft und feine Dignität
erfennen. Die Kirche aber eben weil fie fein Werk ift, ons
nen wir gar nicht begreifen, ohne feinen fchöpferifchen und
erhaltenden Einfluß auf fie mit aufzufaflen. Beides läßt
ſich nicht trennen, jedoch können wir entweder vom facti⸗
fchen Zuftande und Vorhandenſeyn der Kirche ausgehen,
wobei die Dignität des Stifters fich als Letztes ergeben
müßte, oder wir können bie Kirche ihrer Genefis nach aufr
faffen, wobei jenes Legte das Erfte würde. Die beiben
Zorfchungen müſſen einander ergänzen und fürbern, und
jede, weil fie eine Abftraction ifl, nur vorgenommen wer:
; 3"
04
526 SCchweizer
den, mit dem Bewußtſeyn ihres Ergänztwerdens durch die
andere.
Wir fragen alſo: Was befähigt den Stifter Anfangs⸗
und Mittelpunct einer Kirche, d. h. eines gleich viel wie
meit in Raum und Zeit fich ausbreitenden Gefammtlebens
zu werben; erſt wenn fo im Allgemeinen das Verhältnig
bes Stifters zu einer Kirche und klar geworben ift, läßt
ſich zu der zweiten Frage übergehen, wie derjenige befchafs
fen feyn müffe, ber Die Kirche, d. h. das die Totalität des
menſchlichen Gefchlechtes umfaflende religiöfe Gefammtles
. ben fliften kann.
Jenes Erſte nun wird hicht leicht deutlicher erfannt
als vermittelfi Der Bergleichung zunächſt ded Staates und
- ber Kirche, denn dadurch fcheidet fich und Das, Gebiet: der
Frömmigkeit aus von dem bed Staates, erhält alſo feine
ttähere Beflimmung. Da es und aber darum zu thun iſt,
den erſtern der oben aufgezeigten Wege zu gehen, d. h.
‚nicht vom Staate und ber Kirche, wie ſie nun einmal
als Geworbenes vorliegen, anzufangen, fondern aus ih⸗
rer Geneſis die Art und Weiſe der Dignität des Religions,
ſtifters zu finden, fo ift freilich gleich zuzugeftehen, daß das
Entfiehen von politifchen und von religiöfen Geſammtle⸗
den in, wenn auch zum Theil nur relativ, vorhiftorifche
Zeiten füllt. Allein da beider Erhaltung hiftorifch ‚vors
liegt, eine Anflalt erhalten aber und fie ftiften nothwendig
biejelbe qualitative Willensrichtung vorausfegt, fo gilt
hier mit Zug und Recht der Schluß aus dem Gewordenen
auf dad Werden. Wir werben aber um fo weniger in
ber Luft fehweben, da e8 Aufgabe der Speculation ift, in
ber Ethik als fpeculativer Darftelung ber gefammten
menfchlichen Bernunftthätigfeitu) bag Entftehen von Staat
und Kirche zu deduciren. Auf dieſes beides geftüßt, geben
*) Bergl, Schleiermacher ber chriſti. Glaube 1. 5, 2, 2, u
über die Dignität des Keligionsſtifters. 527
wir die Ausfcheidungbes Gebiets der Frömmig—
feit von dem des Staates.
Der Staat entſteht in dem Maße, als nicht zugleich
das Entſtehen religiöſer Elemente damit vermiſcht iſt a),
gleichzeitig in einer zufammengehörigen Mafs
fe, mag nun der Impuls dazu won Einem, ober Einigen
oder Allen ausgehend gebacht werben und folgerichtig fich
. bie monarchiſche, ariftotratifche oder demokratiſche Form
geftalten ; denn was babei vorgeht, ift nichts anbereg, ala -
daß eine in bloßem Nebeneinanderleben fchon unbewußt
sufammengehörige Maffe ein von Bewußtfeyn ausgehens
ber Organismus wird, d. h. ein Zufland, in welchem bie.
Einzelnen nicht mehr. bloß neben einander, fondern.in, mit
und. durch einanderihre Thätigkeiten verrichten, vermöge des
fich feftftellenden Gegenfages von Regierenden und Regier«
ten. Diefem Satze gefchieht Fein Eintrag durch das Sich⸗
ausbreiten eines Staates; benn gefchicht ed durch Erobes
rung, fo werden die Unterjochten. in dem Maße von den
politifchen Thätigfeiten ausgefchloffen und als bloßer Stoff
behandelt, als die Eroberer fich Feiner. Zufammengehörigs
teit mit ihnen bewußt find; gefchieht es aber durch das
Uebergehen verwandter. Fleinerer Staaten in bie Einheit,
fo wird Diefes Entftehen einer höheren Staatsform, unb
fey e8 nach noch fo langen Schwanfungen und Reibungen
durch Einen Act conftituirt und hat feinen. beflimmten Um⸗
fang eben in dem Maße dieſer verwandten Volkseigen⸗
thümlichkeiten.
Auf ganz entgegengeſetzte Weiſe entſteht ein religiö-
fe8 Sefammtlebenin dem Maße fucceffio und in un⸗
beftimmten Umfang hinaus, als es frei ift von Vermi⸗
(hung mit dem Politifchen d). Wenn ein Individuum
2) Bas wir pag. 523 als eine Corruption erkannten.
b) Aus biefer Vermiſchung ergibt fi bie eben nicht vein veligisfe
Art, wie ber Muhamedanismus ſich ausgebreitet bat, doch laſſen
328 Schweizer
bie Froömmigkeit, das Gefühl oder unmittelbare Bewußt⸗
feyn des Abfoluten, Unendfichen, Böttlichen, in fich hat,
was immer nur ber Kal fit, wenn dieſes Verhältniß ein
im Individuum eigenthümlich beſtimmtes wird a), fo zieht
es verwandte Sndivibnalitäten an, fobald jenes lebendige
Element mit ihnen in Berührung kommt zur glücklichen
Stunde, wo fie für den Eindruck aufgefchloffen find b).
Auch das Entftehen der Kirche ſetzt alfo ein gefellfchaftlis
ches Leben voraus, anerfennt aber in Feiner beftimmten
Begrenzung deſſelben eine Grenze feiner Verbreitung.
Vorausgeſetzt find daher auch ſchon religtöfe Elemente in
dieſem gefellfchaftlichen Leben, aber zu diefen flehen bie
Einzelnen in verſchiednem Verhältniffe, entweder vun ih⸗
nen dominirt, d. h. gegen fie bloß aufnehmend, receptiv
ſich verhaltend, ober aber fie bominirend und damit nud
jene andern Einzelnen, die nun allmählidy angezogen werben
yon nicht begriffner Gewalt deffen, der über bie bisher
vorhandnen religiöfen Elemente fich erhoben hat und das
durch Stifter eined neuen Gefammtlebeng wird.
Penn nun der Staat durch eine zufammengehörige
Maſſe hindurch zugleich wird, fo ift ihm damit die natürs
liche Grenze angewiefen, über die er nicht hinausgreifen
fol; wenn hingegen eine Kirche c) entſteht Durch ſucceſſi⸗
ſich auch hier beide Elemente unterfheiden; wenn politifähe Im⸗
pulſe eine volksweiſe Ausbreitung erzwangen, fo theilte ſich doch
der religiöfe Gehalt den u fucceffiv mit und in unbeftimms
ter Ausdbehnung.. - -
a) Marheinede in ber Dogmatit 2te Auflage 8. 26. nennt das
Poſitive eine Poſition Gottes in der Vernunft. Eben weil es
eine Poſition iſt, müſſen wir ſie als in der Vernunft jedes Men⸗
ſchen, fo wie dieſe ſelbſt, von beftimmt, d. h. indivi⸗
duell denken.
b) Ueber dieſes Sichausbreiten der beftimmiten Religion verſuchte der
Berfaffer ſich deutlich zu erflären in einer Kritik des Gegenſatzes
von Rationalismus und Supranaturalismus. Zürich 1838.
c) Man erlaube der Kürze wegen biefen Ausdruck für jedes reli⸗
über die Dignität bed Religionsſtifters. 529
ves Angezogenwerden an .den Stifter, fo liegt barin bie
Berneinung jeder. Naturgrenze und von biefer Seite bie
Möglichkeit, univerfell zu werben. Die nothwenbige
Grenze einer Kirche ift Feine andere als das in ber Ausdeh⸗
nung des Raumes und Der Zeit allmähliche Verſiechen und
| zu ſchwach Werden jened bominirenden Einfluffes, der vom
Stifter ausgeht. Eine Kirche breitet fih alfo in Raum
und Zeit fo weit, aber auch nicht weiter aus, ald der Eins,
fluß des Stifters ein Dominirender bleibt.
So liegt das Map einer Kirche im qualitativen Bes
ſchaffenſeyn ihres Stifters und feinem Verhältniffe zu den
Anzuziebenden, und die Ausbreitung eiser Religion ift nur
zu faſſen als Die Vielen gegeinfam werdende religiöfe Ins
bividualität des Stifters. Wie fehr dieſes mit Der Auffaſ⸗
fung Ehriſti übereinftimmt, beweift uns fchon feine Vers
gleihung der Kirche mit dem Weinſtock; es fol alfo ein
Sefammtleben feyn, in welchem nichts von Außen hinein
oder hinzugebzacdht wird, fonbern alles fic ans dem Stifs
ter innerlich entwidelt, wie em vegetabilifcher Organids
mus aus feinem Keime; und Alles Aeußere kann nur bie
Beringungen, nicht einen wefentlichen Theil der Kirche
bilden. Diefer ganze Vorgang ift nur moͤglich, wenn er
das Dielen genteinfam Werden einer Individualität iſt;
wenn aber jeder Menfch einerfeits allen Menfchen Id en⸗
tifhes, anderfeitd eine von allen Andern verfchiebene
Jndividuglität hat, fo haben wir nach dem Gefagten
die Dignität des Religionsſtifters in feinem Weſen, ſo⸗
fern es individuell if, zu ſuchen. Darum will die
Kirche von Einem Einzelweſen aus nicht nur entſtanden,
ſondern auch fortgebildet und erhalten ſeyn, ſo lange ſie
dauert. Auf der andern, Allen identiſchen, Seite muß hin⸗
gegen der Staat liegen, da er zugleich in allen Gliedern
eines Geſammtlebens entſteht.
sißfe Geſannntleben. Die Kirche bleibt und iſt darum — die
einzige.
530 Schweizer
Allein es ſcheint nun, daß, went bie Religion als poſl⸗
tive in der Individualität wurzelt, ed Dann auch viele ſol⸗
cher gemeinfame werbenden religiöfen Inbivibnalitäten ges
ben müßte, und eine Menge einander coorbinirter Kirchen
entfländen, die ald Vernunft darftellende Gefammtleben
‚einander vertragfam refpectiren und anerfennen, ja mit
einander wie verfchiedne Staaten in Verbindungen und
zulegt in Einen höhern Organismus treten müßten und doch
hat vielmehr jede Kirche, je ebler fie ift, deſto Fräftiger von
allem dieſem das Gegentheil angeftrebt und gefordert, die
einzige, allgemein werdende zu ſeyn. Wie ftehen wir alfo
hier zu dem, dochafchwerlich zu wiberlegenden, ethifchen
Sage, daß wie bie einzelnen Individuen, fo die morali-
fhen oder zufammengefegten Perfonen einander refpectiren
und nicht ald bloßen Stoff, dem erft Vernunft einzubilden
fen, behandeln follen ?
Auch darüber erhalten wir Auffchluß durch Verglei⸗
hung des Staates mit der Kirche, indem wir gendthigt
werden, zu jener Eintheilung aller menfchlichen Bernunfts
thätigkeit in identifche und individuelle noch eine zweite,
dieſe kreuzende, Theilung aufzufuchen ). Alle Vernunft
thätigfeit des Meenfchen, gleichviel ob identifche oder indis
piduelle, iſt zu betrachten einerfeits als eine fich den Stoff
anbildende, ihn zumDrgane der Vernunft machende, alſo
organiſirende, oder als eine Vernunft im Stoffe dar⸗
ſtellende, den Stoff zum Symbole derſelben machende, al⸗
fo ſymboliſirende. So fehr nun auch beide Ein Ganzes
machen und nie bie eine ift ohne Die andere, fo wird bei je⸗
der unſerer vernünftigen Thätigkeiten die eine überwiegen,
die eine gewollt ſeyn und die andere als Minimum, mehr
a) Beide Eintheilungen begrfindet Schleiermacher in feiner zwei⸗
ten Abhandlung „Über den Begriff des höchſten Gutes” in den
Jahrbüchern ber berliner Akademie, vorgelefen 1830; und für die=
ienigen, welhe ihn hören können, in feinen Vorleſungen über die
Ethik, on
über bie Dignität bes Religionsͤſtifters. 531
zufällig oder begleitend ſich auffinden laſſen. Dieſes leuch⸗
tet ein, ſybald wir einerſeits ans Gebiet ber Kunſt bens '
Ten, wo offenbar das Darftellen eines Bernunftgehaltes
im Stoffe die Hauptfache ift, daß das Kunſtwerk aber zugleich
Organ feyn kann, um andern Vernunftzwecken zu dienen,
nur zufällig; anbererfeits an bie auf ben Boden gerichtete
Thaͤtigkeit, Agrikultur, die offenbar verrichtet wird, den
Boden zum Organe zu machen, Das vernünftige Bebürfnifie
befriebige, hingegen zufällig diefe Thätigkeit zugleich Vers
fchönerung der Erdoberfläche ‚wird, alfo ein Zeichen ober
Symbol der Vernunft. Wie verhält ſich nun das Entftes
ben und Sichausbreiten einer Kirche zu dieſer Eintheilung?
Der Ausdrud, eine Kirche bilden, fcheint Deutlich genug an
die den Stoff bildende Thätigfeit zu erinnern, aber er ift
eben ein fchiefer Ausdruck, dem wir abfichtlich den des Ents .
ftehens einer Kirche vorziehen. Die barftellende Thätigs
keit ift gar nicht nothwendig eine in den.änßern Stoff eins
tretende, fondern Tann völlig verlaufen in und an dem
Menfchen felbit, wie und, um: einen Kunſtzweig anzufühs
ren, fchon die Mimik zeigt. Aber wenn fie ſich nicht ablö⸗
fet von dem darftellenden Menfchen, fo ift imihm das eis
gentliche Wefen der Vernunft anseinanderzuhalten vom
Leiblichen und Phyſiſchen, alfo auch. vom Schematismus
Des Bewußtſeyns, welcher eben auch ber Drt, oder, wenn
man will, Stoff feyn kann, in welchem Vernunftgehalt fi .
darſtellt und dieſes ift gerade aller Kunft bad Wefentliche,
Daß fie zuerit im Menſchen felbft ihre Werke darſtellt, und das
Hinausſtellen in die Außenwelt nur eine Erweiterung hier⸗
von iſt. Nothwendig muß daher Alles, was mit dem Wifs
fen und Selbftbewußtfeyn oder Gefühl zufammenhängt, .
eine barftellenbe Thätigkeit feyn, wefentlich und zunächft
einen Bernunftgehalt dvarftellend im Wiffenden und Fühs
lenden felbft, fein Bewußtfeyn und Gefühl durchdringend
and, je lebendiger dieſes gefchieht, defto mehr fich auch Durch
die. förperliche Organtfation Fund thuend in Bewegung ber
3323 Schweizer
Oberflaͤcht und der Stimme, worans Mimik und Mupit
entforingen, felbftftindig oder Die Sprache begleitend, weis
che felbft aur Das Hinaugftellen Des Denkens if.
Auf diefer Seite der Vernunftthätigkeit, wo fich biefe
darfteflen will nach Anden, liege num auch das Religiöſe,
indem dag Entſtehen ber Kirche nichts anderes ift, als daß
der Stifter fein religiöfes Bemwußtfegn darftellt uud aus⸗
fpricht, die ed Wahrnehnrenden und Auffaſſenden aber
ach dem Principe ber Wahlverwandtfchaft zu ihm hinges
zogen werden. Auch dieſe Anficht hat Chriftus deutlich
auögefprochen, wo er Joh. VI. 44. den Juden, die auf alle
Weiſe durch Berftandesfchlüffe aus feinen Reden und Thas
ten fi zu ihm in ein Berhältuiß zu feßen fuchten, aut⸗
wortet: Keiner kömmt zu mir, es ziehe ihn denn der Bas
ter, der mich gefendet hat, Wenn er aber eine Wahldns
ziehung poftulirt, fo hatte er alfo in irgend einer Form
dDiefelbe Erfenntniß, in welcher endlich von Kant an faft
alle nenern Philofophen, Jakobi und Hegel nicht ausge⸗
ſchloſſen, übereinftimmen, daß der endliche Berftand näm⸗
lich das Unendliche durch Feine Schlüfle finden fünne und
nicht das Bermögen fey, Das Göttliche zu erfaffen; darin
jedoch, ob und wiedann dieſes erfennbar fey, find fie freilich
garnicht einſtimmig. — So wie die Freundfchaft und Liebe
im fittlichen Sinne nur dadurd, entfteht, daß Menfchen,
die für einander ihre Individualität manifeftiren, durch
Wahlverwandtfchaft zu einander hingezogen werben, fo
oder wenigftens analog fehließt fich der- Einzelne an den
Stifter der Kirche an und die Kirche ift eben die Totalität
dieſes Gläubigwerdens der Einzelnen ; wenigſtens gilt Dies
ſes für die Zeit, während welcher der Stifter noch als ein⸗
zelne Perfon auf der, Erbe lebt; nachher aber muß das
individuelle Gegenwärtigfegn Deffelben vertreten werben,
theild durch Fefthaltung deffelben in der Einbildungskraft,
bie durch wiffenfchaftliche Auffaffung geregelt wird, theild
durch die ſich ausbreitende Kirche felbft, die eben nichts
über die Dignität des Religionsſtifters. 333
anbres ift, als die Vielen gemeinfam werdende zeligiöfe
Individualität des Stiftere. Auch auf diefes Beides, ein
ideales Gegenmwärtigfeyn als einfache Perfon und. als zus
fammengefette, hat Chriftus offenbar genug hingewiefen,
auf jenes in vielen Stellen 3. B. wo zwei ober brefin meis
nem Namen verfammelt find, bin ich mitten unter ihnen;
auf diefes in allen ben Stellen, - welche die Gemeinde den
Leib Ehrifti nennen. — Das Stiften einer Kirche ift alſo
nie ald Natur bildende, d. h. organifirende Thätigfeit zu
begreifen, als ob fie einen bloßen Stoff zum Organe der
Bernunft machen wolle, etwa um Gott damit einen Dienft
zu erweifen, ſondern auch bie vollendete Kicche kann ims
mer nur Den Geift in feiner eigenthämlichen Beftimmtheit
darftellen wollen, der in ihr lebt, den Erfolg erwartend,
den es bei den diefe Darftelung Wahrnehmenden haben
werbe, nicht aber ihn herbeizwingend, wie hingegen alle ors
ganifirende Thätigfeit e8 recht eigentlich baranf anlegt, dep
Stoff zu zwingen, Daß er Organ der Vernunft werde a).
Jetzt haben wir den Schlüffel zu jener feheinbaren
Eollifion zwifchen dem Streben einer Kirche, allgemein zu
werben und ber Pflicht, andre einfache oder zufammens
geſetzte Derfonen zu refpectiren und nicht als Stoff zu bes
a) Schon Zwingli hat diefes deutlich erkannt, wenn er fagt: „Der
evangelifhe Hirt ift nicht berufen, das Volt zum Glauben zu
zwingen.” Aud die Apoftel fanden ihren Beruf darin, Zeugniß
abzulegen und zu predigen von Chriftus. Alle jene verderblichen
Berſuche, das Chriſtenthum mit Gewalt aufzuzwingen, wie bie
Spanier 3. B. in America thaten, und überhaupt den Glauben
erzwingen wollen, entfpringen aus bem Wahne, als fey diefes eine
organificende Thätigkeit. Aus bemfelben Irrthume fehen wir jene
Anſicht vieler Politiker entflehen, die Religion ald ein Mittel zu
Staatszwecken zu brauchen. Verſucht man auf dem, zwar andern,
Gebiste des Wiffens, die Anbern „zum Verftehen zu zwingen,”
wie Ficht e es that, fo kann das Möthigende nur wieber im Dars
flellen der Neberzeugung liegen, aber die Ungebulb muß dennoch
e8 erwarten, ob Andre es verflehen und die Operation BUmadEn
können.
>} Schweizer:
handeln. : Die Kirche nämlich kann in diefe Berfuchung
nicht kommen, fobald erkannt ift, Daß fe auf fombolifirens
der Thätigfeit beruhe; denn fie ftelt nur ihren Geift dar
in Kultus und Berfündigung, und wird, je mehr fie Die
wahre Kirche ift, deſto ruhiger und vertranender ben Er⸗
folg.erwarten, der als ein freier fich entwideln foll.
Bon dem Staate bedarf ed, zumal. wir ihn hier nicht
um feiner felbft willen betrachten, gar nicht Der Nachweis
fung, daß er hingegen auf organifirender Thätigkeit ruhe,
Eben fo wenig führen wir die übrigen Puncte an,. worin
Staat und Kirche verfchieden find; denn auch beider Ver⸗
gleichung ftelen wir. nicht an um. ihrer. felbft willen, fons
dern bloß wiefern fie und Mittel ift, Die Dignität Des Res
Yigionsftifters und zugleich das eigenthümliche Gebiet der
Frömmigkeit zu finden.
Das Wefentliche ift.alfo: der Staat beruht auf orgas
nifirender, die Kirche auf ſymboliſirender Thätigfeit,
Wenn. wir nun auch die Art und Weife gefunden ha-
ben, wie die Kirche entſteht und für ihren Umfang ein
Map. in der Natur fanden, fondern einzig im bominirens
den: Einfluffe des. Stifters: fo tritt und Die wichtige Frage
entgegen ‚, die in unfrer Zeit nicht mehr entweder ignorirt
ober gleich durch Berufung auf die Gottheit Chrifti um⸗
gangen werben darf, bie für die MWiffenfchaft vielmehr
ihren Ermweid eben aus der Beantwortung jener Frage fin⸗
ben kann: „Wie ift es möglich in alter Vergangenheit ein
Einzelweſen anzunehmen, das als Stifter einer Kirche
Sehrhunderte lang dominire, ja als Stifter der wahren
Kirche dominiren müffe bis and Ende der Zeiten, fo dag
nie einer über ihn hinausfommen oder auch nur ihm gleich⸗
fommen Tann?“ Auch in der Kunft und Wiffenfchaft
zwar gibt ed Meifter, die da Schulen ftiften, aber wo
würde man einem folchen die Behauptung gelten Iaffen,
daß er-num für alle kommenden Jahrtaufende fein Gebiet
vollendet habe und in aller Zukunft nur Iernend bei ihm
über bie Dignität des Religionsſtifters. 535
gefchöpft werden müffe? Das ift das Migtrauen, welches
Viele wider den Religionsftifter mitbringen, ohne darum
unebel zu ſeyn, fondern oft vielmehr ausgerüftet mit gar
ftarfem Vertrauen auf die Kraft und Perfectibilität der
menfchlichen Gattung, gemäß welcher, wie. fie meinen,
in allen Lebenögebieten immer Beßre kommen follen, übers
-ragend die Früheren, deren Leiftungen fle ja dankbar bes
nutzen Tönnten.
Dieß ift nun der Haupteinwurf gegen die Univerfalis
tät der Kirche im Raume und namentlich in der Zeit.
Wir werden nur Licht finden durch Vergleihung bier
Frömmigkeit mit dem Wiffen und Ausſchei—
dung jener von dDiefem Daß beide zur fombolis
firenden Thätigfeit gehören, ergibt fich aus bem oben Ges
fagten von felbft, und das ift eben ihr Gemeinfames ges
genüber dem Staate und allen organifirenden Thätigkeiten.
Faſſen wir das Gebiet des Wiſſens ind Auge, fo bes
gegnet und, wie im Gebiete der Religion die Kirche, ſo
hier num die Schule ald Bereinigung von Lernenden um
den Meifter in irgend einem gelehrten Gebiete. Aber eben
diefer Gegenfaß zeigt fich gleich als auffallend verſchieben
Yon dem zwiſchen dem Religiongftifter und feinen Gläu⸗
bigen. Zunächſt lehrt und die Erfahrung, daß wiſſen⸗
ſchaftliche Schulen, je geiftiger und regfamer bad Gefammts
leben ift, deflo geringere Ausbehnung und Dauer finden,
weildas Wiffen die individuelle Geftaltung nur ald etwas
Zufälliges an»fich haben kann, daher fie auch das Bers
gängliche und Wechfelnde feyn muß. Nie wagte es ein
Gelehrter, auch wenn er eine Schule gründete, zu be⸗
haupten / daß er nun. fein Feld des Willens, in welchem
er die Schüler befonderd 'anregte, ganz ausgemefjen und
erfchöpft habe, daß diefe Wiffenfchaft nun für immer ers
ledigt fey und von allen folgenden Gefchlechtern nur aus
ihm und feinen Schriften gefchöpft werden müſſe. Im
dem Maße vielmehr als einer fein Selbftgefühl folchen Bes
535 Schweiger
hauptungen näherte, haben je die am klarſten Wiſſenden
ihn verkacht und zum Voraus Einfeitigkeiten bei ihm ver⸗
muthet, bie auch immer von Spätere find. nachgewiejen
‚worden. a). Nicht fo die Neligionsftifter, fondern die ha⸗
best, .je reiner ihre Zrömmigfeit war, deſty flärfer auch
immer ausgeſprochen, daß dieſe über ganze Völker, ja
alle Menſchen fich verbreiten folle, und das haben auch
je die Frömmften in ihrer Kirche von je her gau in der
Ordnung gefunden.
Nehmen wir vollends einen N hinzu , ware
um der Stifter einer Schule. nie für lange Zeiten, oder
gar für immer in einem Gebiete dominiren Tann, nämlich
den, daß alle Theile des Wiſſens eine organifche Fotali⸗
tat bilden, alfo gegenfeitig. auf einander fürbernden- und
hemmenden Einfluß üben, ſo ergibt eg ſich, wie nothwen⸗
Dig man jede Behauptung, als habe Einer. ein Feld des
Miffens: für immer erfchöpft, für nichtig. exflären muß;
denn follte fie wahr ſeyn, fo müßte zugleich behauptet
werden, daß, jener große Meifter Das ganze Gebiet alles
ſpeculativen und empirifchen Wiffeng in allen feinen Their
Ien und. im Geſammtzuſammenhange vollendet in ſich abs
gefchloffen, ‚indem ja, wenn er auch nur einen einzigen
Theil nicht. in ſich hätte, deſſen Weiterförderung durch
"Spätere.auch nothwendig Das übrige vermeint Bollendete
weiter bringen müßte, Sp gämzlic, undenkbar ift es, eis
. nen Gelehrten aufzuftellen, der auch nur einen an des
Wiſſens für immer vollendet hätte.
Aus dieſem Grunde haben ſich daher die Gelehrten
einer Theilung der Arbeit unterzogen und theilen ſich ziem⸗
* So regen ſich jetzt ſchon neben den Meinungen, daß H egel die
Philoſophie weſentlich vollendet babe, unter feinen Schülern und
- anberwärtd immer beutlichere nicht bloß Ahnungen; fondern Nach⸗
weifungen, daß auch diefer große. Denker zwar wefentlihe, uns
möglich zu ignorirende Schritte vorwärts gethan habe, aber die
Philoſophie Über dieſelben hinausgehen und Einpitigeiten übers
winden ‚mäffe.
’
über die Dignitkt des Religionsſtifters. 547
kich..feiehfam:iu beſtimmte Gebieta des Wiſſens Facultaͤ⸗
ten und noch engere Theile, und müſſen dieſes immer
mehr thun, je weiter das, Wiſſen an Inhalt und Umfong
gewinnt, ſobald nur jeder in feinem. Gebiete ſich Den. Zur
fammenhang mit allen. andern / zu ropräfentiren.meiß, und
we dieſer geſtört if, Talente eines mehr orbnenden “
ſchaffenden Geiſtes eingreifend machhelfen.
Einem Religionsſtifter hingegen iſt eſs nie. beigefalfen,
er wolle Doch Diefe und jene ‚Seite oder Abtheilung der
Religion recht tief auffaſſen uud darſtellen, andre hinge⸗
gen Anbern überlaſſen, fondern jeder hat immer ein Gans
zes haben wollen und die ganze, volle Frömmigkeit bary
— Wenn nun freilich unter den chriſtlichen Theolo⸗
gen jenes friedliche Sichvertheilen in die verſchiedenen
theologiſchen und andern nothwendigen Disciplinen ſtatt
findet, ſo iſt dieß gerade recht ſehr eine Beſtaͤtigung des
Geſagten; denn offenbar findet dieſe Vertheilung nur
ſtatt, wo. es eine Wiſſenſchaft über Die Religion gibt; das
eigentlich religiöfe Leben aber will gar nicht fich theilen
Laften und was Paulus über die verfchiedenen Eharismata
des Geiſtes fagt ift nichts anderes, ald daß nach Maßr
gabe der Talente diefelbe ganze Srömmigtei in verſchie⸗
Denen Formen darzuitellen fey.
Endlich, um noch eine Berfchiebenheit anzuführen,
wird ber Stifter einer Schule wie jeder Gelehrte ſich ans
fehen als einen, der Die Leiltungen Früherer benutzt um
Bas Seinige binzugetban habe, um die Gefammtaufgabe
einen Schritt weiter zu bringen. Richt fo der Religions⸗
ſtifter, fondeen ſelbſt wo er in.einem ſchau gewordnen res
ligiöfen Geſammtleben auftritt und geſteht, daß er kenne,
was der Stifter von dieſem mitgetheilt habe, wird er das
Reue, das er mittheilt, nicht halten für ein Etwas weitere
bringen bes Frühern, fondern Die in ihm- eigenthümlich
beftimmte Religion als. urfprünglich.. in. ſich wiſſen, und
entſtanden aus einem. durch Teinen andern Menſchen vera
sss "7. Ze
mittelten Berhältnife mit Gott. Die Gelehrten: wollen
eine alte Schöpfung weiter bringen, gefegt auch durch
totale Umbildung ihrer Formen; der Religionsftifter. hints
gegen will eine ganz neue Schöpfung nicht nur ‚grünben,
fondern auch gleich dem Wefen nach vollenden. Jeuer
weiß und hofft, daß Spätere fein Werk fortfegen und befs
fern werben, diefer würde einen: ihn verbeffern Wollenden
für einen Irrlehrer erflären.
Sp zeigen fih und Wiffen und Frömmigkeit in der
- Erfahrung als gänzlich verfchieden auch in der. Art, wie
. ihr Ganzes zu Stande fommt. Dort fol ein Bau erftchen,
an den Unzählige ein Stüd einfügen, das Ganze fol Res
fultat der wiffenfchaftlichen Thätigkeit Unzähliger. feyn;
hier hingegen baut Einer das Gebäude und alle Andern
können an dieſer Xhätigfeit nur. Theil nehmen, wenn bie
Eigenthümlichkeit des Banmeiflers die ihrige geworden iſt.
Wir fuchen für dieſe erfcheinenden Differenzen bie
‚ nothwendige, fpeculative Begründung, die uns die Froͤm⸗
migfeit ausfcheide aus dem Gebiete des Willens. Zu bie
fem Ende nehmen wir die oben angegebene ‚@intheilung
aller menfchlichen Bernunftthätigfeit, gleich viel.ob orgas
nifirenden oder fombolifirenden, in ibentifche.und ins
dividuelle wieder auf al& fließenden Gegenſatz; und es
fragt fi nun, nachdem und das Willen und die Fröm⸗
migfeit beide. dem Staate gegenüber auf. Seite der ſymbo⸗
Iifirenden Thätigleit zu ſtehen kamen, wie ſie ſich nun zu
diefem andern Gegenfage verhalten. Die Aufgabe aller
- fombolifirenden Thätigkeit ifl: der ganze Bernunftgehalt
fol fich darftellen. im Bewußtfenn, und alle Räume und
Formen des Bewußtſeyns follen mit Vernunftgehalt ers
- füllt werden, fo daß beide in’einander aufgehen. Da nun
bie Menfchen eine Gattung find, beftehend aus der Totas
lität der Individuen, die in je den höhern Gattungen im
Reiche ber Natur immer beftimmter als von .einander vers
ſchieden ausgeprägt ericheinen, ſo daß man den Supres
.
über die Dignität des Religionsſtifters. 539
mat der menfchlichen unter allen Gattungen irbifcher. We⸗
fen eben. darin finden kann, daß ihre Individuen nicht
mehr bloße Eremplare find, wie bei Pflanzen und Thieren,
fondern eigenthümlich von einander verfchiedene Indivi⸗
Duen, und diefes unter je Den gebilbetern Völkern immer
mehr ſich ausprägt: fo muß jede Thätigkeit des Menſchen
einen zweifachen Eharalter haben, den der Gattung und
den des Individuums; vermöge des erftern verrichtet der
Menfch feine Thätigkeit auf eine allen Menfchen iventifche,
vermöge des letztern anfeine individuelle Weife; und wenn
nun auch, fo gut wie ber Menfch mit beiden Charaktern
eine Einheit ift, auch diefe-beiderlei Xhätigfeiten nie ohne
einander find, fo Dommirt ‘doch enitweber Die eine oder bie
andre, gerabe fo wie dDiefes bei der Theilung in organis
- firende und fombolifirende Thätigkeit der Fall war. Solche
fließende Gegenfäge können in der Wiffenfchaft darum die
allein wahren ſeyn, weil fich in der Realität des weltlis
hen Seyus auch nur foldhe finden, das Willen aber mit
dem Seyn in Lebereinftimmung ftehen und eine Einheit
bilden fol. — Mit dem Staate haben wir die organifirende
Thätigfeit von unferm Gegenftand ausgeſchieden; und
nun it eben die zuletzt abgehandelte fombolifirende, infos
fern fie den identifchen Charakter hat, das Wiffen, ins
fofern fie den individnellen hat, das unmittelbare Selbftr
bewußtfeyn oder Gefühl, Im: Wiffen geht jeder von
der Vorausſetzung aus, daß es Allen identifch ſey, im
Gefühl aber weiß fich jeder als individuell. Wie nun das
Wiſſen oder objective Bewußtfeyn eine Richtung hat auf
das Befondre und Einzelne hin, Die wir empirifches
Wiffen, und eine Richtung auf das Allgemeine und Ab-
folnte hin,.die wir Speculation nennen, fo iſt im uns
mittelbaren Selbftbewußtfeyn die Beziehung auf das Ein-
zelne die Kunft, auf das Allgemeine und Abfolute Die
Religion, oder weil die Seite des Gefühle mehr paf-
ſiv zu faffen ift, fo nennen wir die Kunft ein —
Theol. Stud, Jahrg. 1884,
540 Gchweizer
des Selbſtbewußtſeyns Yom getheilten Seyn, die Nefigion
pas Afficivtſeyn des — and vom
abfoluten Seyn.
Aus diefen in der Ethit —— Saben erffärt
fich nun jene in der Erfahrung gegebene Differenz zwiſchen
Kirche und Schule. Es iſt nun begreiflich und nochwen;
big, daß im Willen, als einer für alle Menfchen identi⸗
fchen Operation, in Beziehung auf welche die Einzelnen
bloß quantitativ verfchieden find, indem die Einen mehr
wiffen.oder einen andern Theil wiſſen ald die Andern, und
die Spätern immer von den Krühern, was dieſe mühfıum
probucirten, leicht aufnehmen und an Neues fid; wenden
tönnen, unmöglich ein Einzelner ftatuirt werden fann, Der
für immer etwas abgefchloffen hätte. Auf Seite des Ge⸗
“ fühle Hingegen, wo die qualitative Differenz der Indivi⸗
Buralitüt Herrfcht, ift jene Möglichkeit, daß eine Indivi⸗
buakität die vorzäglichfte fey. Daher verwickeln fich die⸗
jenigen in unauflösliche Schwierigkeiten, welche die Froͤm⸗
migkeit für ein Wiffen halten und doch in Diefem Gebiete,
das dann ein für die Thätigfeit Aller iventifches wäre, eis
nen Religiongftifter wollen, ‘der die ganze Menfchheit Dos
miniren und in feine Kirche. zufammenfaflen folle ©). Dies
ſes widerfpricht dem Begriffe des Wiſſens fo fehr, daß es
vielmehr leicht wäre nachzuweiſen, ‚wie in biefem Gebiete
felbft jchon dasjenige Dominiren eines Einzelnen, welches
eine Schule hervorruft, Ießteres nur kann vermöge eben
eines Imdividuchen, das am Meifter ift, und überhaupt
das Identiſche immer wenn auch nur zufällig begleitet, fo
daß eigentlich nie die objectiven Kenntniſſe des Meifters
die Schule hervorrufen, ſondern vielmehr die eigenthüm⸗
liche Beſtimmtheit in der. Art und Weiſe, wie er erkennt,
a) Man erinnre ſich hiebei an Hrn. Lic. MÜllers intereffante, eine
Hauptfrage unfrer Beit betreffende Recenfion von Göſchels Schrifs
‚ ten in den theol. Stud, und Kritiken Jahrgang 1833, Ates Heft,
worauf wir unten näher eingehen werben.
über die Dignisät des Religionsſtifters. 544
trennt, ordnet, verbindet, mit Einem Worte feine Mas
nier, welcher Begriff ja offenbar aus Dem individuellen
Gebiete der Kunft herübergenommen ift, wozu dann im⸗
mer der verwandte. bed Originellen fich geſellt. Ja fogar
die im Großen hervortreteude Eigenthlimlichkeit des Wifs
fens im Nationalcharakter und einer beftimmten Sprache
find unmöglich abzuleiten aus einem Individuellen, das
im Wiffen felbft wäre, fonbern entſtehen durch von
Außen geordnete Raturmaße und Raturbifferenzen, aus
denen in der Menfchheit Die verfchiednen Rasen und Volks⸗
eigenthümlichkeiten herfließen; daher felbft Diefes national
Individuelle verfchwindend muß gedacht werben, indem
das Wiffen nur ſich wahrhaft vollendet als ein allen Mens
fchen Ssdentifches, das Die ihm zufälligen Individualitäten
überwindet. Weil alfo bier Die Menfchen identifch oper
riren, fo bat jeder das Recht, was er erfennt,. beizus
geben dem großen Geſammtwerke; und obfchon der eine
mehr als der andre leiftet, kann dennod; feiner aldominis
rend ſeyn.
Wenden wir uns hingegen wieder zum Gebiete des Ins
dividuellen, fo beruhen diefe auframalitativen Verfchiedens
heiten, und wie wir nun, weil diefelben auf verfchiedner
Mifchung der den Menfchen ausmarhenden Kräfte berus
ben, fehen, daß ein Individuum für diefe, ein andres
für eine andre Function das geeignetere ift, alle. Individuen
aber vermöge bes Principe der Wahlverwandtfchaft ein«
ander mehr oder minder anziehen und abftoßen, fo müfs
fen fich bier Gruppirungen bilden um Einzelne herum, So
haben wir den Ort gefunden, wo aud; Kirchen entfichen
fönnen, und da hier Feinerlei begrenzendes Maß zu finden
ift, fo wird felbft die allgemeine Kirche möglich, und ſo⸗
bald nachgemwiefen ift, daß eine Individualität bie in relis
giöfer Beziehung begabtefte und befte ift, fo 019 jene auch
wirklich.
Dieſes werden wir erſt aufſtellen köͤnnen, wenn wir
56 % i
52 . Schweizer
auch noch das Gebiet der Kunft von dem ber
Frömmigkeit ausfcheiden. Beide gehen aus vom
Gefühl oder unmittelbaren Selbftbewußtfegn und machen
zuſammen die individuell fombolifirende Thätigkeit aus,
‚ da jeded Bewußtſeyn als folches ſymboliſirende Thätigkeit
tft, das objective wie dag fubjectine, leßteres aber, oder das
unmittelbare Selbftbewußtfeyn nothwendig das wefentlich
Individuelle ift in jedem Menſchen. Vergleichen wir nun
in der Kunft das, was man Schule nennt, mit unfern
Begriffe ver Kirche, fo ift auch dort, wie im Wiſſen, nie
behanptet worden, daß ein Meifter für immer Dominiren
ſolle, und nie hat einer die ganze Kunſt umfaßt, ſondern
nur einen, ſelten einige von den ſo beſtimmt geſchiedenen
Zweigen der Kunſt; auch wiſſen wir zum Voraus, wie
weſentlich die Kunſt vom Nationalen ausgeht und der
Geſchmack eines Volkes oder mehrerer durch ſtarken Ver⸗
kehr untereinander ſich ausgleichender Völker, die Be⸗
wohner andrer Theile der Erde zurückſtößt, alſo die Kunſt
recht ſehr mit den klimatiſchen und nationalen Differenzen
verwoben iſt, ſo daß nicht einmal an einen und denſelben
Geſchmack im Allgemeinen zu denken iſt, mindeſtens nicht,
bis in einer Reihe von Jahrtauſenden die Racer ſich gänz⸗
Yich vermifcht und ausgeglichen hätten und auch Die in vers
fchiednen Zonen fo verfchiedenartigen Geftaltungen- des
hußern Seyns fich ebenfalls überall vereinigen und der
Anfchauung vorlegen ließen, was annähernd nur erreidh-
bar ift durch einen höchſt möglichen Grad des allgemeinen
Weltverkehrs und eines faft unendlichen Apparated des
Erfenneng, worunter alle möglichen Sammlungen vers
ftanden wären. Da dieſes Alles bebingt ift durch einen
höchit möglichen Grab allgemeiner Kultur, wie er erft am
Ende aller Gefchichte erreicht werben koͤnnte, fo ergibt
fi, hieraus, daß eine allgemein dominirende Schule,
wenn fie auch fonft wenigfteng für einzelne Kunftzweige
gedenkbar wäre, ſich gar nicht gleichgültig verhält zu ber
über die Dignität des Religionsfliftere. 543
Zeit, in welcher fie möglich wäre, fondern weit hinab» -
gerückt fein. müßte in der Gedichte unſres Gefchlechtes,
Da die Gegenfäte im getheilten Seyn auf eine Weiſe aus⸗
geglichen fegn müßten, wie wir es jetzt wenigftend noch
kaum in der Ahnung vollziehen können.
So werden wir auf ein ganz Anderes getrieben, als
was in der Kirche fich geltend macht, wo wir von allen
jenen Puncten ſchon bei der Bergleichung mit dem Willen
das gerade Gegentheil fanden, und nun auch dem lebten
berührten Puncte die Erfahrung gegenüber finden, daß
hingegen Niemand meint, auch ber Stifter der allgemeinen
Religion könne erft kommen nahe am Ende aller gefchicht-
lichen Entwidlung, fondern vielmehr vor mehr als taus
fend Sahren Muhammed, und noch früher Chrikus, um
den tiefern Often nicht auch anzuführen, aufgetreten find
mit der Behauptung, die allgemein werdende Religion in
ſich zu haben. Die Kunft, ob fie gleich der Religion als
ebenfalls. von der Individualität ausgehend, viel näher
fieht ale das Wiffen, welches den identifchen Charakter
hat, zeigt fich alfo auch ald ein von der Religion ganz
Verſchiedenes aus der Art, wie beide fich geltend machen
und verbreiten. Wir fuchen auch für diefen empirisch vor⸗
liegenden Gegenfaß die fpeculative Begründung.
Die Kunft beruht auf einem Afficirtfegn des Selbitbes
wußtſeyns vom getheilten Seyn (deſſen Totalität wir die
Welt nennen), alodnois, die Frömmigkeit aber auf dem
Afficirtſeyn des unmittelbaren Selbſtbewußtſeyns vom abs
folnten Seyn (das wir Gott nennen). Das getheilte Seyn
nun gruppirt fich in verfchiebnen Zonen ald eine Mannich⸗
faltigfeit von Objecten. So muß aljo in einer beftimmten
Zone und unter beſtimmten Länderverhältniffen eine ver⸗
ſchiedne Art von getheiltem Seyn das Individuum affici⸗
ren und von ihm wiedergegeben werden in ſeinen künſtle⸗
riſchen Schöpfungen. Dieſe find aber keineswegs ale
Nachahmung ber vorliegenden Naturobjecte zu begreifen
344 Schweizer
ſondern dieſelbe Differenz, bie im äußern getheilten Seyn
iſt, gehet auch ein ins getheilte menſchliche Seyn ſelbſt und
ruft eben die Verſchiedenheit der Ragen und Volkseigen⸗
thümlichkeiten hervor, fo daß nothmwendiger Weife das
Genie des Künftlerd nicht anderlei Formen und Geftalten
als fchön produciren kann, als die von der ihn umgebens
den Natur auch hervorgebracht werben auf reale Weife,
und von diefer Seite die Identität des Geiftigen und ber
Natur gar nicht geleugnet werden fol. Es ergibt fidh
num eine Berfchiedenheit des Geſchmacks und alle jene Uns
möglichkeiten, die in der Erfahrung beftimmt abwehren,
daß fein Einzelner in der Kunft alldominirend werde und
ein Meifter feine Individualität Darum eben nur Wenigen
mittheilen kann, weil fie felbft bedingt und abhängig ift
von einer beftimmten "Modification des getheilten Seyns,
fowohl des äußern ald des menfchlihen. Die Kuuſt ift
alfo, fo fehr fie freilich den Geſchmack leiten kann, bens
noch auch ganz beftimmt Davon abhängig, daß durch aus
Ber ihrem Gebiete liegende Beranlaflungen die Schranken
in den Gruppirungen bes getheilten Seyns erweitert wers
ben, fo wie 3.3. die enropäifchen Völker um ihres Ber;
kehrs unter einander, um ihrer gemeinfamen Religion und
verwanbter Abftammung willen nad und nach Eine Kunſt
erlangt haben.
Die Religion muß fich als Affteirtfeyn des Selbftbes
wußtfeyns vom Abfoluten nothwendig auf eine andere Art
ausbreiten, da fie nicht abhängig ift von jenen Differen-
zen des getheilten Seyns. Es ift alfo fchon gleichgültig,
in welchem Theile des Ranmes das Individuum des Re⸗
Iigiongftifterd lebe, auch, von hier aus betrachtet, gleich
möglich in jedem Volke; denn alles Diefes find Modifica⸗
tionen des getheilten Seyns, mit dem die Frömmigkeit es
nicht zu thun hat. Dieß ift der Grund, warım fie jedes
äußere Maß verfhmäht, dem ſich hingegen Der Staat, Die
Kunft und bad Willen fügen. Das ift num eben das eigen-
über die Dignität des RKeligionsſtifters. 545
thümliche Gebiet der Frömmigkeit, daß fle ruht auf dem
Berhältnifle des Individuums zum abſoluten Seyn, und das⸗
jenige Individuum, weldjes biefes Verhältniß voͤllig auffaßt
und alle dieſe Maße und Schranten des getheilten Seyns
davon abitreift,. das dominirende werden maß. Der eis
gentliche Gehalt ber Frömmigkeit, ihr. reines Wefen hat
alſo nichts Klimasifches, Nationales und Beſchraͤnktes in
fich, oder wo ſie es noch hat, Tann fie ſich nur über diejes
nigen Menfchen verbreiten, welche ſelbſt in Diefen Schrans
ten leben, geht aber nicht einin Andere; fondern Die Fröm⸗
migfeit, welche die allgemeine werden fol, läßt alle jene
Formen eben nut zu als Formen, Hüllen, Darftellungss
mittel, die fie ändern kann und ablegen fobald fie es will.
Durch Die ganze biöherige Operation ift ung alfo das
Refultat geworben, daß wenn Etwas von einem Einzigen
ausgehen und Doch über Alle ſich verbreiten fol, fo daß er
Diefe für immer dominirt, jenes Etwas nothwenbig in ber
Sudividualität des Einzigen begründet feyn muß. Damit
ſchied fi) und die Frömmigkeit von dem Wiſſen; denn
läge jene auf Seite ber identifchen Thätigfeit, fo begreift
man überhanpt nicht, warum bie Religion nur von Eins
zelnen und bie wahre nur von Einem ausgehen follte, und
nicht von Allen oder doch recht Vielen, indem der eine ein "
größeres, der andere ein kleineres Stüd zu ihr hinzubrädhte
und fo das Werk entflände als gemeinfames Product AL
fer, fofern fie qualitativ gleich operiren würden. Nächſt⸗
Dem ſahen wir, wie die Individualität affteirt ſeyn kann
entweder vom getheilten Seyn, dann aber aud, in dieſe
Getheiltheit ſelbſt verwidelt it, daher nur Schulen, nicht
aber große Sefammtheiten ftiften kann; ober vom abfolus
ten Seyn, und nur in diefem Falle, weil alle Getheiltheit
des Seyns ſich dann gleichgültig zu ihr verhält, eine Kir⸗
che begründet wird. Damit ſchied fich und die Frömmig⸗
feit von der Kunfl. Se weiter wir. famen in Beflimmung
Des eigenthümlichen Gebietes ber Frommigkeit, deſto an⸗
6 ec
fchanlicher wurde ber Begriff vom Stifter einer Kirche und
von feinem Verhältniffe zu dieſer.
Nun ift aber wohl zu beachten, daß dadurch das Res
ligton ftiftende Individuum gar nicht fol aus dieſen Nas
turmaßen der Race und Nationalität heransgeftellt wer⸗
den, wodurch ed ja aufhören müßte, ein beſtimmter Menſch
zu ſeyn, fondern nur das hat fich vielmehr ergeben, daß
es fich indifferent dagegen verhalte, unten welchen Diefer
Berhältniffe e8 geboren ſey und auftrete, denn ſoll feine
Religion eine allgemeine werden, alfo in allen Nasen und
Bollseigenthümlichfeiten Eingang finden tönnen, .fo muß
fie auch in jeder derſelben können entſtanden ſeyn, fobalb
dieß qualitativ dazu befühigte Individuum erfchien. Daß
aber diefes irgend einem beſtimmten Volke, einer beftimm-
ten Familie angehöre, verſteht fich theild von felbft, theils
liegt es gerade in der Forderung, ed müſſe ein beflimmter
Menſch, ein Sndividuum feyn. — Weil aber alle dieſe ums
gebenden Verhältniffe auf den Stifter ald Menfchen Einfluß
haben, fo werden wir ihn in folchen erwarten, Die einer⸗
feit8 am wenigften fein reines Afficirtwerden vom Abfolus
ten trüben und hemmen, andererfeits in folchen, Die der
Mittheilung und Ausbreitung feiner Frömmigkeit am güns
ftigften find, was beides als auf gefchichtlichen VBerhältnifs
fen beruhend fo wenig durch Speculation im Einzelnen bes
ſtimmbar ift, als das wer? dieſes GStifters ſelbſt; denn
diefe hat weder bie Richtung, noch das Vermögen, Das ges
fchichtlic Einzelne zu konſtruiren, fondern bleibt, ob fie
noch fo weit von oberften Principien aus herunter _fteige,
nothwendig immer bei einem Allgemeinen fischen, ‚erreicht
alfo nicht das in der Einzelheit Des vergänglichen Daſeyns
Erfcheinendee). Ganz beftimmt folgern wir jedoch noch
a) Ganz folgerichtig wird baher der fpeculative Philofoph, wenn exe
wie Fichte und Hegel ein -abfolutes Wiſſen in der Speculation
finben will, das, was biefe nicht erreicht, eben bad Einzelne, Ers
|
über die Dignitaͤt des Religiongfliftere., 547
Einiges and unfern Süßen, fo fehr es den Schein; haben
fönnte, bloß aus der Geſchichte herübergenommen zu ſeyn.
Müſſen nämlich für den Stifter einer allgemein merben-
den Kirche folche Verhaͤltniſſe poſtulirt werben, die fein
Afficirtſeyn vom Abfoluten nicht trüben und Die Ausbrei⸗
tung feiner Frömmigfeit begünfligen, fo poſtuliren wir ihn
geradezu in einem Gefammtleben, worin das monotheiſti⸗
ſche Princip herrfcht, weil jede .numerifche Theilung ale
aus dem getheilten Seyn her das reine Afftcirtfegn vom
Abfoluten wenn nicht für den Stifter boch für die Anzu⸗
ziehenden während des erſten Eutſtehens der Kirche ger
fährdet. Ferner poſtuliren wir für ihn eine Zeit, wo Dies
fe8 Geſammtleben religios im Verfall ift, weil, ſo lange
Diefes gefund ift, nothwendig die Einzelnen: noch vom
Stifter desfelben dominirt werden und für eine neue Nells
gion, Da bie alte fie befriedigt, nur fehr ſchwer empfäng⸗
lich wären. Der neue Stifter müßte alfo zur Zeit des
‚Berfalls eines monotheiftifchen Gefammtlebend erftchen,
und damit er ſich über den Umfang desfelben hinaus gels
tend macheh koönne, in der Zeit eines allgemeinen Verfalls
der bisherigen Religion, wo recht Biele vom Bisherigen
nicht mehr befriedigt, ein unbewußtes oder hoffendes Ah⸗
nen hätten nad) Befferem, ohne es finden zufönnen. Wols
Ien wir auch für die Familie und Lage des Stifters etwas
poftuliren, fo wäre es theils ein einfaches Familienleben
ferne von dem zerftreuenden Geräufch eined wechfelnden,
die Sinnlichfeit reizenden Lebens, und doch zugleich ein
bisweiliges Berührtwerben ber Familie vom Geſammtle⸗
ben des Volks, denn dadurch wird der Gegenfaß eines
ſcheinende, Individuelle, Subjective für nicht wirklich, nicht wahr⸗
baft feyend ausgeben müffen und den Feind, welchen er nicht uns
terwerfen kann, nicht etwa wie ſchlechte Polemiker zuerft verkleinern,
fonbern völlig aus dem wahren Seyn aus dem — heraus⸗
werfen und vernichten!
348 Schmoeiger:
reineren Lebens mit Dem. verfallenden allgemeinen zur Aus
fchauung hingeſtellt e).
les. Bisherige hat fich Darauf befchräntt, auszumit-
teln, wie ein Religionäftifter miöglic, und nothwendig
fey, der eine im unbeflimmte Weite fich nerbreitende Kir-
che zu geünben vermöchte, und es ift nur Schein, wenn
behauptet würde, daß fhon auf Ausmittelung des Stifs
ters und der Kirche hinübergeſchweift worden fey; denn
der wahre Stifter ift auch zugleich ein Stifter neben an;
dern, daher mußten wir auf Säge fommen, die auch ihn
"möglich machen. Was nun dazu gehöre, wenn einer Der
möglichen NReligionsftifter der. Stifter werben und feyn
fol, welche alfo die Kirche, deren Umfang nicht mehr
ein Sichausbreiten in unbeflimmte Weite ift, fonbern zus
fammenfällt mit der Totalität Des menfchlichen Gefchlechts,
ſuchen wir im zweiten Theile diefer Abhandlung.
2) Berhältniß des Stifters zu der Kirche,
So wenig es uns einfallen konnte, bei Aufſtellung der
Moͤglichkeit und Nothwendigkeit des Entſtehens von Kir⸗
chen die Individualität der Stifter zu conſtruiren, da ja
offenbar genug dieſe fo wie überhaupt die Individualität
jedes Menfchen ein als ſolche nicht wiffenfchaftlich Con⸗
firnirbares ift, noch aus der Perfönlichkeit der Eltern her⸗
geleitet werden kann, fondern, weil immer ein qualitativ
Reues, noch nicht völlig fo Dageweſenes und nie völlig fo
fich Wiederholendes, nothmendig dafür recurrirt werden
muß auf einen Act des Schöpferd, dem nicht bIoß über>
haupt dag bei der Geburt vorhandene Leben, fondern auch
bie eigenthümliche Beflimmtheit desfelben zugefchrieben
a) Unwiffenfhaftlicher iſt nicht Leicht etwas, als bie Meinung, daß
Gott den Religionsſtifter bei feiner Geburt fchon fertig Habe und
wicht auch durch die a die ervon Außen an ihn bringt,
mitbilde.
>
über die Dignität des Religionsſtifters. 349
wird, worauf ſich erft wahrhaft die Perfectibilität des
menſchlichen Geſchlechtes gründet, da mit jedem Kinde ein
eigenthümlich Neues in jenes eintritt und zu dem fchon Das
gewefenen eigenthümlich neue Kraft hinzugibt, um bie Ges
fammtaufgabe zu fördern, woraus alfo entftcher bie Ori⸗
ginalität, Genialität, Talente der Einzelnen, ' wie biefe
mannichfach bald mehr, bald minder erfcheinen,: bald für
dieſes, bald für jenes Lebensgebiet: fo müffen wir und
doch nothwendig Rechenſchaft geben über dad, was nun
einen zu dem Stifter ber Kirche macht und ihn befähigt,
die ganze Menfchheit in religiäfer Beziehung zu dominiren.
Ein ſolches Alldominiren ift in allen Menfchen identifchen
Thätigkeiten unmöglich, benn in diefen Gebieten tft bloß
quantitative Differenz unter den Cinzelnen, und ba bie
Aufgaben hier Allen gemeinfam find, Ale bag ihrige hin
zubringen, fo fehreitet fie in zeitlicher Zunahme fort, kei⸗
ner kann alle Dominiren, am wenigften einer, der lebet,
ehe die Sefammtaufgabe ihrem Ziele naht. Die Religion ift
alfo nicht als eine Lehre, weil nicht ald ein Willen, zu begreis
fen, diefe können in ihr alfo nur ein Mittel, nicht die Sa⸗
che felbft ſeyn, ein Mittel nämlich, um die Sndivibualität
des Stifters feflzuhalten, zu überliefern, zur Anfchanung
binzuftellen; denn die Kirche ift nur möglich dadurch, daß
des Stifterd Individualität qualitativ Die für Die menſch⸗
liche Gattung möglichft reinfte Auffaffung des Abfoluten
im unmittelbaren Selbftbewußtfeyn habe, Dieß tft die
urbildlidhe Dignität des Stifters, das Weſen feir
ner Frömmigkeit. Davon umterfcheidet ſich wie überall
von der Religion bag, was man Religiofität nennt, d.h.
die Birtuofltät, jenes Bewußtfenn, jene Anfchauung vom
Abfoluten mit allen Momenten des zeitlichen Bewußtſeyns
zu verfnüpfen, ganz analog wie wir die Birtuofität bes
Künftlerd darin finden, Daß er das in ihm Lebende Ideal
dem äußern Stoffe einzubilden verftehe auf ungehemmte
Weiſe. Diefes ift des Stifters vorbildliche Dignis
30 . Schweizer =
tät. Dermöge ber erftern wird fein beftimmtes Gottes:
bewußtfeyn ein. Bielen und nadı und nadı Allen gemeinfa-
mes, fo daß feine religiöfe Individualität, Die der Menſch⸗
heit gemeinfam wird, und nicht andere, fremde religiöfe
Elemente: in die Kirche hineinfommen, fondern das ganze
religiöfe Leben ſich nur aus ihm herleitet. Bermöge ber
feßtern gibt. er mit feinem Gottesbewußtſeyn den Gläubis
gen auch die Fähigkeit, es allen Momenten des zeitlichen
Lebens einzubilden. Wenn nun auch bie-leßtere Dignität
nur in ber erftern ihren Halt hat, fo daß nur um feiner
Urbildlichkeit willen der Stifter abfolntes Vorbild feyn
fanna), fo bilden Doch beide fehr beftimmt einen relativen
Gegenſatz, wie aus der Analogie eined Künftlers anſchau⸗
lich wird; nur freilich begreifen wir den Stifter der Kir⸗
de einzig, wenn wir ihm abfolut vorbildliche Dignität,
alfo die Fähigkeit zufchreiben, fein Gottesbewußtſeyn der
Totalität aller Lebensmomente einzubilden; benn vers
möchte er gewiffe Arten von Momenten nicht mit Demfels
‘ben zu durchdringen, fo ergäbe ſich ein Gebiet, wo das
religiöfe Leben feine Befriedigung fände, folglidy Anzeis
chen, daß biefer nicht die wahre Frömmigkeit zu byingen
vermochte, alfo der wahre Stifter erſt noch zu erwarten
fey. So fehr wir daher bemüht gewefen find, der Relis
gton ihr beftimmtes Gebiet zu finden, fo ergibt es fich Doch
von felbft, daß, weil der Menſch eine Einheit ift, fie feis
nen ganzen Lebensverlauf durchdringen fol; ähnlich wie
3.2. ber Weisheit ein eigener Ort ausgemittelt wird in der
menfchlichen Tugend, und ber Liebe ein eigener, und doch
‚ dabei die Meinung iſt, jede dieſer einzelnen Tugenden
müffe in allen Lebensmomenten mitwirfend feyn, Erweife
der Liebe nie ohne die Weisheit und ungefehrt b).
a) Daher au Schleiermader in feiner Glaubenslehre 2, Bd.
F. 93, das Urbildliche allein aufftellt für den Erlöſer.
b) Hier beginnt der Punck, wo wir uns im Widerſpruche befinden mit
dem Recenfenten von Söfhels Schriften in diefer Zeitſchrift
über bie Dignität. des Religionöflifters., 551
Die Virtuoſitat in der Religion nun, auf der das Vor⸗
bildliche des Stifters beruhen muß, kann nicht gefaßt wer⸗
den als eines mit dem qualitativ beften Affkcirtfeyn vom
Abſoluten, fondern befteht darin, daß der Fromme das
gleichviel wie in ihm beſtimmte oder individualifirte Gots
tesbewußtfeyn zu einen verftehe mit möglichit:sielen Mo⸗
menten feines in der Getheiltheit der Zeit und "bes Raus
mes verlaufenden Dafeynd. Daß fie fo von Wefen der
Frömmigkeit auseinander gehalten werben kann, tft auch
immer richtig gefühlt worden, indem man das Präbdicat
der Religiofität ertheilt ohne Rückſicht auf Die qualitätive
Beſtimmtheit der Frömmigkeit felbft, fo daß in allen mono⸗
theiftifchen oder polgtheiftifchen oder wie immer befchaffes
nen Religionen der eine religiös genannt wird, ber anbere
nicht, obgleich beide, nur freilich mit verfchiedener Annä⸗
herung an die Gontinnität, denfelben Glauben haben und
oft fogar auf gleich Iebendige Weife. Die volle Stetigkeit
bed Gottesbewußtſeyns, d. h. deſſen Einbilden in alle Les
bensmomente, wird freilich nur feyn koͤnnen in der wahren
Religion. |
Müffen wir nun, um den Stifter Der Kirche feiner
Dignität nach begreifen zu können, eben dieſes zweifache
haben, feine religiöfe Urbildlichfeit und Vorbildlichkeit in
abfolutem Sinne, fo fordern wir mit andern Worten, zus
erft daß von feinem unmittelbaren Selbftbewußtfeyn aus
betrachtet nichts Hemmendes und Trübendes vorhanden
fey, das deffen Afficirtwerden vongAbfoluten ftören könnte,
d.h. Srrthbumslofigfeit im’religiöfen Dingen, ſo⸗
dann, daß Feine Lebensmomente da feyen, mit denen das
1833. P. 1107. flellt er die Disjunction auf, die Religion fey
entweder nicht wahrhaft vorhanden, ober fie fey das ſchlechthin Höoͤch⸗
ſte und koͤnne nicht ein abgefonbertes Lebendgebiet inne haben, und bie
Philofophie auch eins. Diefe Disjunckion zu ftellen ift ſchon das
Falſche, gerade fo falfh, wie wenn man fie flellen würde in Betreff
einzelner Tugenden. Wir werben unten das Geſagte nachweifen,
SE. Schweiger. .
num rein afficirte Selbſtbewußtſeyn fich nicht einigen ließe,
d. h. Sündlofigfeit. Das erftere geht vom Selbſt⸗
bewußtfenn aus. rückwärts auf das Aufnehmen: des Abſo⸗
luten, das zmeite vorwärts auf Das Hineinbilden Des fo
aufgenommenen Abfoluten in Die Lebensmomente. Beide,
Freiheit von Irrthum und Yon Sünde, ſtehen offenbar fo
fehr in Wechfelwirfung zu einander, und eine bebingt fo |
fehr die andre, daß beide fich nicht trennen laſſen, fondern
ihr Ineinander erſt die geforderte Dignität Des Individuums
ausmacht, welches fähig feyn will, die Kirche zu ftiften und
für immer zu dominiren. So muß ja aud vom Künftler
analog ald Höchftes gefordert werden, Daß das zu Stande
fommen des Ideales in feiner inneren Anfchauung nicht ges |
hemmt werde, dann aber, daß, wenn es in ihm lebendig iſt,
er es ungehemmt im geeigneten Stoffe auch äußerlich dars
ftellen könne, und da heißt jenes die Geninlität, Diefes Die
Virtuoſität a).
Wir mußten überall in den größern Lebensgebieten,
wo die Individualität herrfcht, nothwendig und auch in
ber Erfahrung gegeben finden, daß von verwandten In⸗
bivibualitäten Die edlere, für eine beflimmte ‚Aufgabe ges
eignetere Die fie umgebenden andern anziehe und Dominire,
alfo ein folcher Proceß hier die Negel, das Wahre und
Rothwendigeift. Daher fanden wir denn auch im Gebiete Der
Kunft Diefe Art Des Procefjed, mußten aber bei einer Mehr:
heit von Schulen ſtehen bleiben, weil ung aus der Getheiltheit
des Seyns hier Die Nothwendigkeit vieler Maßennd Schrans
ken erwuchs, die es nicht zu Einer allgemeinen Schule und ih»
rem Einen Stifter kommen ließen. Sogar ins identifche Ges
biet des Willens hinüber fahen wir eben um des Indivi⸗
duellen willen, das wenigſtens begleitend auch Dort mit iſt,
a) Die Anficht, e8 genlige im Ehriſtus die wahre Religion zu glaus
ben, ihn alfo ohne Irrthum zu denken, ohne daß man bie, wie ges
meint wird, viel wunberbarere Sünblofigkeit mit glauben müſſe, tft
eine Seichtigkeit, die Bott fey Dank im Verſchwinden begriffen ift.
.
über bie Dignitaͤt des Religionsſtifters. 553
Schulen entfliehen. - Es ergibt ſich alfo, daB es der Judi⸗
vidualität wefentlich.-ift, wo fie mit anbern in. einem. Ges
fammileben in Berührung fleht, ſolche Gruppirungen durch
Wahlanziehung zu fliften. So allein entfteht.die Freund⸗
ſchaft und Liebe, die nimmermehr aus gegenfeitigem Wiſ⸗
fen von einander begriffen werden koͤnnte; denn da das
Individuum viele Menfchen gleich fehr vortrefflich findet
und als edel erfennt, dennockaber nur mit Dem oder jenem
ans dDiefen Allen Freundichaft fliftet, fo muß bas eigentlich
vereinigende Princip im Selbſtbewußtſeyn liegen, alfo in
der Individualität. Weil aber hier überall dieſe von der
Getheiltheit des Seyns afftcirt ift, fo bringt diefes Grup⸗
piren in Freundfchaft, Familie, Kunſt es nicht zu. Einer
allgemeinen Bereinigung. Erft in der Religion kann biefe
Art des gegenfeitigen Lebensverlaufs der Individuen Dies
ſes im Wefen individueller Thätigkeiten liegende Streben
zum Ziele bringen, weil hier die Getheiltheit ded Seyns
die Erreichung jenes Zieled nicht hemmen kann. Wo diefe
aber in eine Religion eingeht, da freilich kann die allges
meine Kirche nicht entftehen. Wird aber ein Individuum
vom Abfoluten rein afficirt, fo daß keine Getheiltheit des
Seyns fich trübend und hemmend einmifcht in dieſes Ver⸗
hältniß: fo kann nicht bloß, ed muß Die Kirche werden.
Darin nun eben befteht jene für den Stifter nothwendige
Urbildlichkeit, Die wir ald Irrthumloſigkeit in relis
giöfer Hinficht bezeichneten; denn das ift der Irrthum,
wenn flatt rein vom Abfoluten ald Einem affieirt zu fegn
auf unmittelbare Weife, das Subivibuum Diefe Affes
etion nur hat, vermittelt durch getheilted Seyn, und fo
eine Theilung ind Abfolute unwillkürlich durch fubjective
Täufchung hineinträgt, oder wo nicht eine Theilung, Doc)
eine Trübung, weil ein Afftcirtwerden vom Abfoluten her
getrübt ift, fobald es durch etwas, alfo durch getheiltes
Seyn vermittelt wird. Diefe Irrthumloſigkeit ift alfo ein
ſchlechthiniges, unmittelbares Afficirtwerden vom Abfolus
553 Schweizer
ten. Das getheilte Seyn oder die Welt muß in allen
Puncten des Raumes und der Zeit afficirt ſeyn vom Abſo⸗
luten oder von Gott; denn dadurch nur hat und behält ſie
ihr Daſeyn, daß ſie in Gott iſt. Dieſes Verhältniß des tota⸗
len oder ſchlechthinigen Seyns in Gott, das von der Welt
überhaupt auszuſagen iſt, afficirt alſo, weil alle Theile des
Seyns, auch.die einzelnen VBernunftwefen. Das Wirklich⸗
feyn dieſes Verhältniſſes ift die. Wahrbeit der Religion an
ſich; das irgendwie. Innewerben deſſelben, ſey ed nun
in Form des Gefühle, der. Borftellung, oder des Des
griffs, ift Die Wahrheit deffelben für uns. Wie beides
Eins fey, hat die MWiflenfchaft zu begreifen a). Dadurch
erft, daß wir dieſes an fich ſeyenden Berhältniffes inne wers
den, wird es auch für ung, d. h. entfteht die Frömmi g⸗
feit. Da nnn jenes Berhältniß fo fehr als nur immer
unfer Afficirtfeygn von der Welt, auch ehe wir deffelben ins
ne werden, ein Element ift, in dem wir leben, fo werben
mwir als Vernunftweſen deflelben inne und fühlen dieſes
Affteirtfeyn vom Abfoluten, weil e8 ein Lebengelement ift,
im unmittelbaren Selbſtbewußtſeyn b). Hier wurzelt alfo
die. Frömmigkeit, hier kömmt das Anfich der Religion’ ind
Individuum hinein, wird für ed, von da aus geht alle
Frömmigkeit, und gb dann auch diefes fromme Gefühl in
Borftellungen und Begriffe verarbeitet wird, fo bleibt und
iſt doch jenes die Frömmigkeit und ihr unmittelbares Leben c)
und das eben ift das Gebiet, in welchem. wir. Die Kirche
und den Stifter begreifen wollen.
Weil die.Religion an ſich eine Wahrheit ift und ein
a) Wir erinnern bier an Marheinedes Dogmatit $.19. und 58,,
obſchon wir in Manchem abweichen.
b) Soviel gibt auch Hegel und ſeine Schule zu. Vergl. Mars
heinecke Dogm. $.34., wo er bie erſte Zuſtaͤndlichkeit, in der die
Religion erfcheint, das Gefahi nennt.
c) Wie ſehr dieſes Reſultat mit Schleiermachers Definition der
Frommigkeit übereinflimme, bedarf Keiner Erinnerung,
ud
über die Dignität des Religionsſtifters. 555 .
Element, in dem wir leben, ohne das wir nicht ba feyn
könnten, wie ja nichts Endliches da ſeyn kann, ohne im
Unendlichen zu ſeyn; fo haben ale Menfchen ein Inne⸗
werben von diefem Berhältniffe, flehen.aber zur reinen
Auffaflung deſſelben in ebenfo verfchiedenem Verhältniffe,
als ihre Individualitäten unter einander verfchieden find.
Es bildet fich alfo nad; Maßgabe dieſes reinern oder un⸗
reinern Innewerdens des Abfoluten jener Proceß bes
Gruppirens, den wir fchon befchrieben haben und ent⸗
fteht, wie andy fchon gezeigt it, in dem Maße als ein In⸗
dividuum das Abfolute auffaßt, ohne es durch Einmifchung
von getheiltem Seyn zu trüben und dadurch die Berbreis
tung diefer getrübten Froͤmmigkeit an Schranfen bes ge⸗
theilten Seyns zu binden, die Befähigung, aldominirend
zu werden, urbildlich und vorbildlich. |
Ehe wir diefe beiden auseinanderhaltend betrachten,
weifen wir nach, warum in Rüdficht auf beide ein numeri⸗
fches Auffaffen des Abfoluten nicht die allgemeine Verbrei⸗
tung finden Fann. Da es eine Theilung ind Abfolute bins
einträgt, fo ergibt fich, Daß dieſes mit getheiltem Seyn
verwechfelt oder doch vermifcht wird. Der fo Afficirte
kann die Frömmigkeit dann nur haben, wann gewiſſe
Theile des getheilten Seynd, nämlich diejenigen, in die er
das Abfolute hineinmifcht, ihn afficiren, von allen andern aber
kann er gar nicht fromm affteirt werden, weil er nur jenen
das Abfolnte beimifcht und in ihnen empfindet, obwohl
nur auf verworrene Weife; fo wie z. 3. Die Griechen hin⸗
ter ihren ins getheilte Seyn hineingegogenen Göttern Die
dunkle Macht des Verhängniſſes auf trübe Weife ahneten.
Wie nun der Polytheismus und überhaupt jede Form, die
mit dem Abſoluten Natur vermifcht oder verwechfelt, Die
Urbildlichkeit unmöglich macht, fo wird mit diefer Trübung
md Schwächung aud) die Stetigfeit des religiöfen Ber
wußtfeyng, alfo die Vorbildlichkeit aufgehoben, weil, obs
gleich auch in einer folchen Religion die Individuen mehr
Theol, Stud. Jahrg, 1884. 87
556 Schweizer
ober minder Religiofitit haben werden, fich Doch nur ges
wiffe Arten von Lebensmomenten, nicht aber alle durch⸗
dringen laffen von diefer Religion. Fordern wir alfo für
den wahren Stifter den Monotheismus, fo kann auch damit
nichts Numerifched gemeint feyn, inſofern baher jener Aus⸗
druck Die numerifche Einheit audfagt, wäre er aufzuges
ben, fonft wirb fich immer gleichfam als ausgleichendee
Gegengewicht dasjenige regen, was man Pantheismus
nennt, um Das Abfolute von jener Beſchränkung zu ent
fhränten. Weil aber auch der Begriff der Allheit eine nu⸗
merifche bezeichnen könnte, genügt er ebenfo wenig; denn
beide, fobald fie Numerifcyes an fich haben, führen zu
Bermifchung des Abfoluten mit dem getheilten Seyn, und
laffen weder Reinheit noch Stetigkeit des frommen Ges
fühle zu, weil weder die Welt als Allheit noch als Einheit,
fondern nur als Getheiltheit und affieiet, nie aber ſchlecht⸗
bin, d. h. ohne daß ein Thun oder Afftciren auch von und
ans auf fie hinwirkt, fondern nur relativ, daher dieſes
gänzlich aus dem Gebiete der Frömmigkeit herausfällt. Als
les diefes iſt religiöſer Irrthum.
Die geforderte Irrthumsloſigkeit geben wir nun näher
an als darin beftehend, daß, obgleich unfer Selbftbewußt-
feyn in beftändigem zeitlichen Verlaufe ift, alfo das Affi⸗
eirtfegn vom Abfoluten immer zufammen iſt mit einem
Momente bes finnlichen (weltlichen) Bewußtſeyns, Dennoch
durch alle zeitlichen Momente, deren Berlaufwir als Wechfel
von Luft und Unluſt bezeichnen können, das Afftcirtfeyn vom
Abfoluten ftetig fortdaure. Diefes wird nur geleiftet, wenn
das Ich nie aufgeht in einen Moment des finnlichen Le⸗
bens, fondern immerfort ſich das Abfolute repräfentirt.
Sobald jenes gefchieht ohne Diefes, fo erhält der Begriff
bed Sinnlichen feine üble Bedentung, als ein ausſchließli⸗
ches Zufammenfeyn des Sch nur mit getheiltem Seyn. Die
üble Bebentung muß eintreten, weil dieſer Zuftgnd ein uns
wahrer ift, als ob nämlich das Ich nur von der Welt und nicht |
|
|
|
über die Dignität des Religionöftifters. 557
auch vom Abfolnten beftändig affteirt wäre. Jenes gänz⸗
liche Aufgehen des Ich in finnliches Bewußtſeyn, denke man
nun es ald momentan oder fletig, ift nun nichts andres
als die Sünde vom religidfen Standpuncte aus betradhs
tet; und fo kommen wir auf biefen. zweiten Begriff recht
wie es ſeyn fol, nämlich zugleich mit ber Erkenntniß feis
ner inneren Wechſelwirkung mit dem erften, bem Irrthum,
und erkennen beider höhere Einheit. Geht das Ich völlig
auf in einen finnlichen Lebensmoment, fo ift dieß Irrthum,
Täufchung, Unwahrheit, weil es bes zu feinem wahren
Seyn nothwendig gehörigen, immer fortbeftchenden Ver⸗
hältniffes zum Abfolnten nicht mit inne wird, fondern ſich
beredet, bloß in der Welt, nicht auch in Gott zu feyn ; dieß
it aber zugleich Sünde, weil eine Störung meines höchften
und Damit auch aller andern Berhältniffe, Die Durch dasjenige,
was inmir alsinnerfter Kern des Ich alle Berhältniffe und
Beziehungen zu jedem Seyn vertritt, durch das Gewifs
fen, mir ald Schuld angerechnet wird. Es ergibt fich hier»
aus, daß das Ich, wo es im weltlichen Bewußtfeyn aufges
hend nur feiner Beziehungen zur Belt inne wird, die Reli⸗
gionverliert, und von da ausnimmermehr finden kann. Alle
Beweife Gottes oder der Unfterblichleit find alfo ganz und
gar unmöglich, weil fie ausgehen von einem Seyn bes Sich
nur in der Welt, aus diefer Unwahrheit und Lüge aber,
fey fie wirflich oder nur für die Abftraction angenommen,
die Wahrheit nicht kann abgeleitet werben; wer alfo das
Afficirtſeyn vom Abfoluten, d. h. Die Frömmigkeit und ihs
ren Gegenftand, d. h. Gott auch nur wenigſtens als Wahrs
heiten, die wirklich feyen, vermuthet, bringt fich um die⸗
felben, wenn er von einem Puncte aud, wo fie ihm nicht
find, fie beweifen will. Gott und Religion find nicht zu
beweifen, fondern aufzumweifen; fo wie auch unfer Afſicirt⸗
feyn von äußerm Seyn, mithin dieſes felbft nicht bewiefen
werden kann chıs einem Zuftande, wo Sch midy erſt in die
Luge bineinverfege, daß fle nicht feyen. mr fidy das
5 %
558 | Schweizer |
Ich in diefe Abftraction vom Gottesbewußtfeyn, alfo in
die Lüge, den Irrthum, als ſey Sch nicht vom Abfolnten
beftändig affleirt, fo wird eg, weit entfernt, von da aus
die Wahrheit beweifen zu können, im finnlichen, verftäns
digen Bewußtſeyn aufgehend durch alles Fühlen oder Rais
fonniren und Schließen nur Srrthum erfaffen und confe-
quent in Materialismus und Atheismus gerathen mäffen;
oder. wenn noch eine Dunfle Ahnung bes Abfoluten nicht
abzulegen ift, fo wird fie Doch vom zeitlichen Bewußtfeyn
verfchlungen, ins getheilte Seyn hinüberverfegt, und es
entfichen Die untergeorbneten Formen der Religion vom
Fetiſchismus an bis zum Polytheismus. So ift Die Un-
wahrheit, vom Ich aus als rüdwärts gehend angefehen,
wie fie Das Afficirtſeyn deſſelben vom Abfoluten ftört,
Serthum. Geht man hingegen vom Selbftbewußtfenn aus,
infofern ed von Gott afficirt ift, vorwärts gu den Momen-
ten des zeitlichen Lebensverlanfes, fo zeigt fich jeder Mo⸗
ment, dem das Gottesbewußtfeyn fich nicht einbilden läßt,
al8 Sünde. |
Wie nun Irrthum und Sünde wechfelfeitig einander
hervorrufen und fördern, bebarf Feines weiten Erweiſes.
Iſt Das Ich in jenem Irrthume, d. h. ſich Gottes nicht
wahrhaft bewußt, fo wird die Sünde deſto leichter eintre⸗
ten, d. h. die mangelhafte Frömmigkeit ift viel weniger im
Stande, den finnlihen Momenten eingebildet zu werben.
Umgelehrt wenn das Sch in der Sünde ift, d. h. aufgeht
in feinem Zufammenfegn mit der Welt, fo ift es ver-
hindert, das Afficirtfeyn von Gott rein zu fühlen, und fallt
in Irrthum. Der Srrthum ift die Unwahrheit in paſſiver
Beziehung, weil der Menſch ſich paſſiv, aufnehmend ver⸗
hält zum Abſoluten; die Sünde iſt die Unwahrheit in acti⸗
ver Beziehung, weil der Menſch eine Lebensaufgabe zu lö⸗
ſen hat, mit deren Momenten das Afficirtſeyn von Gott
verbunden werden ſoll.
Fordern wir daher vom — Religionsſtifter, daß
De)
über die Dignität des Religionsſtifters. 559
er wie rückwärts fo vorwärts ohne die Unmwahrheit ſep,
fo ift Diefes die Freiheit von Srrtham und Sünde, ein Seyn
in der Wahrheit. Beide find nothwendig zufammen, Es
würde alfo genügen, auch nur die eine nachzumweifen, weil
von felbft dann auch Die andere da feyn müßte; die
Vollſtändigkeit der Wiffenfchaft ift aber nur in beider Nach⸗
weifung.
Wir hätten nun fpeculativ aufzuweifen ein Selbftbes
wußtfeyn ohne Sünde und Irrthum. Aber da nun Irr⸗
thum und Sünde ald Einzelnheiten durch Spyeculation
nicht erreichbar find, weil fie innig zufammenhängen mit
dem Einzelnen des zeitlichen Lebens und Seyns, die Spe⸗
eulation aber fo gut wie die Sprache immer bei einem All-
gemeinen ftehen bleiben muß, fo treten ung Sünde und
Irrthum als Einzelnheiten und nur aus dem Empirifchen
entgegen, und können nicht in der Ethik als ſpeculativer
Darftellung der menfchlichen Vernunftthätigkeit vorfommen.
Wohl aber Finnen Sünde und Irrthum ald Allgemeines,
d.h, ihr Begriff fpeculativ gefunden werden, fobald von
der Ethif aus hinübergegriffen wird in die Naturwiſſen⸗
fchaft als das ihr parallele fpeculative Gebiet. Ein fol-
ches Hinübergreifen ift völlig in der Ordnung, eben weil
beide Wiffenfchaften evorbinirt find, d.h. in einer höhern
aufgehoben, nämlich in der Weltweisheit oder Dem fpeculas
tiven Wiffen um das getheilte Seyn überhaupt. Wie nun
die Ethifden Menfchen begreift, infofern er Bernunftwejen
ift, fo die Naturwiffenfchaft, infofern er Naturgefchöpf ift.
Da er aber in beiden Beziehungen, obgleich diefer Gegen⸗
ſatz in einer höhern Einheit aufgehoben wird, verfcjieden-
artigen Gefeßen unterworfen ift, fo entiteht ein Zwiefpalt,
den wir ald den Begriff der Sünde und des Irrthums er»
fennen, der fo lange Dauert, als die höhere Einheit des
menfchlichen Weſens diefen Gegenfab nicht ald einen aufs
gehobenen in fich hat. Die beiderlei Impulſe, die natür-
lichen und die vernünftigen können und werben in verjchies .
560 Schweizer
dener Mifchung fepn, fowohl unter fich, als gegenfeitig uns
ter einander; denn was als möglich angelegt iſt, muß in
lebendigen Gebieten auch wirklich werden, folglich alle diefe
möglichen Mifchungsverhältniffe, die eben die Indivibnas
lität ausmachen, auch wirklich werden in der Totalität der
Individuen. Entweder bominirt nun Die eine Art von Impuls
fen über die andre, oder dieſe über jene, denn ein gänzliches
Gleichgewicht ift Darum undenkbar, weil beider treibende
Kraft dadurd aufgehoben und ein Lebensverlauf unmöglid;
würde. Nur ift biefe Mifchung in jedem Individuum, jo ge
wiß die Lebensmomente verfchieden find, Feine conftant fi
gleichbleibende, fondern nothwendig eine fich verändernde
Die Aufhebung biefes Gegenſatzes erlangt man nicht Dadurch,
daß eine Art von Impulſen Die andern gänzlich ausfchließe;
denn der Menfch, welchem es gelänge, nur Vernunftimpulſe
zu haben, bie Naturimpulfe aber gänzlich zu tödten, wäre
gerabe fo einfeitig und in der Unwahrheit, wie berienige,
dem es gelänge, nur nad, Naturimpulfen zu leben; und
es lohnt nicht einmal der Mühe, barüber zn raifonniren,
welche Diefer beiden Unmwahrheiten einen Borzug habe vor
der andern; fondern die Aufhebung, alfo das Seyn in
der Wahrheit, ift für den Menfchen nur gegeben in dem
Afficirtſeyn vom Abfoluten, weil nur im Abfoluten der
Gegenfag getheilter Vernunft und Natur aufgehoben tft,
alfo diefe Aufhebung der Menfch fich nur aneignen Tann,
wenn er vom Abfoluten afficirt ft, das als ſolches gleich
fehr alle Theile des getheilten Seyns afftcirt. Diefe ben
Gegenfaß in fich aufhebende Frömmigkeit, die das Abfos
Inte burch feine Getheiltheit des Seyns hindurch hat,
fondern unmittelbar anſchaut, iſt alfo die Norm für ben
Menfchen, ein Menfch ohne Sünde und Irrthum daher
fo wenig ein Wunder oder Gefpenft, bag vielmehr Sünde
und Irrthum nur ald Abnormitäten zu begreifen find. Irr⸗
thum und Sünde find alfo durchaus nicht darin beftehend,
daß überhaupt mit bem Gottesbewußtſeyn auch finnliche
über Die Dignität des Religionsfliftre. 561
Momente unfer Leben conflitniren, ſondern darin, Daß
dieſe eine Das Gottesbewußtſeyn augfchließende Gewalt
über und üben. Sie beruhen alfo weder in einer Verän⸗
derung bes Abfoluten, das unveränderlich und afficirt auf
immer fich felbft gleiche Weife, noch zunächſt in einer Ver⸗
änderung des unmittelbaren Selbſtbewußtſeyns, Denn dieſes
ift in Beziehung auf das Abſolute als fchlechthin paſſiv zu
denken, alfo auch immer fich ſelbſt gleich, fondern es milfs
feu die Momente des fianlichen Bewußtſeyns und Lebens
feyn, Die das unmittelbare Selbſtbewußtſeyn ftören in je⸗
ser Beziehung, fo Daß das Abfolute, wie Die Sonnenſtrah⸗
len einen getrübten oder chief geftellten Breunfpiegel,
sucht Das ganze Selbfibewußtfegn erfüllt, alfo nicht Die in
diefem mögliche Wahrheit erreichen kann. Ein zeitliches
Bewußtfeyn oder Gefühl kann mich namlich fo gänzlich
in Aufpruch nehmen, daß auch das Selbftbemußtfenn bar»
in aufgeht und verfchlungen wird, wie fchon die yopuläs
ren Anddrüde „ganz Auge, ganz Ohr feyu’ befagen. Auf
ber andern Seite kann mein Ich fo fehr fich von feinen Bes
ziehungen mit dem getheilten Seyn zurüdzichen, Daß idh
faft ganz in Sottesbewußtfeyn aufgehen kann, was man
den Zuftand der Berzüdung oder Ekſtaſe nennt. Dieß wär
re die zwei Endpuncte bed möglichen Verhältniffes.
Die Ethif kann vom Menfchen nichts anderes fordern,
als dag er in der Wahrheit ſey, alfo in jedem Lebensacte
ſich feiner Relationen zum gefammten Seyn bewußt bleibe,
oder Doch das dieſe vertretende Gefühl der Geſammtzu⸗
ſtimmung in fich habe. Sie kann alfo nicht fordern, der
Menfch folle nur feine Beziehung zum Abfoluten haben,
wicht einmal, daß biefe jeden Lebensact Dominire, fondern
nur, daß fie mit da ſey, entweder dominirend oder begleis
tend; dominiren, d. h. Den Impuls geben wirb fie in der
eigentlich frommen Seite des Lebens, wo aber der Menſch
auf eine andre hingerichtet ift und feyn fol, um feine Auf-
gaben im getheilten Seyn zu Iöfen, da ift er auch auf
362 Schweizer
dieſe hingerichtet mit Dem Selbſtbewußtſeyn und kann das
Gottesbewußtſeyn nur haben als begleitend und zuſtim⸗
mend. Denn, ift der Menfch eine Einheit von verſchied⸗
nen Kräften, fo muß jede derfelben ihr Gebiet finden, wo
fie dominirt, uud der Ausdrud „dominirt“ flellt Die Sitt⸗
lichkeit vollklommen ſicher, da er das Mitdaſeyn aller an-
dern Kräfte und Beziehungen vorausfeht, über welche
eben dominirt wird a). Die einfeitige Forderung, Daß
Das Gottesbewußtfeyn alle Lebensacte Dominiren und hers
vorrufen folle, führte zu den krankhaften Erfcheinungen
des ascetifchen, befchaulichen Lebens. Stellt man dieſe
Forderung auf für die Frömmigkeit, fo muß man ihr eis
nen Stifter fuchen, der nur ein Scheinmenfch, kann ges
weſen feyn, welchem ſich alle Aufgaben des äußern Lebens
durch magifche Kraft löften, ohne daß er feine Intention
auf fie hätte richten müſſen. Vielmehr ift er ung ein fols
cher, in dem das Gottesbewußtfeyn jeden Lebensmoment
Dominirend oder begleitend durchdringt; und. da feine Les
bensaufgabe dem Religiöfen gilt, fo wird er alle andern
Thätigfeiten nur um dieſes willen verrichten, Das Reli-
giöſe alfo da wo nicht unmittelbar, Doc; mittelbar das ihn
in jedem Momente Beflimmende feyn. *
Wenn der Religionsſtifter ohne Sünde. und See
a) Wenn Herr Müller cfr. p.551. äußert, derhabe die Religion gar
nicht, der fie nur neben Anderm bat, To läßt fich Hier Leicht zeigen,
wie wenig foldhe verbädhtigende Worte eigentlich fagen, denn wir
könnten eben fo gut zurüdgeben, wer für die Religion kein eignes,
intenfivered Gebiet weiß, als das, wie fie fih mit aufs Irdiſche
gerichteten Thätigkeiten verbinden läßt, weiß Überall nicht, was
Religion heißt, Indeß haben wir uns hier gar nicht zu vertheidi⸗
gen, da und zum Voraus diefe Disjunction gar nicht entſteht. So
atomiftifch fteilt eigentlich Niemand bie verfchiebnen Lebendgebiete
auf, und es bedarf bagegen Feiner Polemik, wie fie bort geübt
wird; denn der befämpfte Feind eriftirt gar nicht, der im Ernfte
die verſchiednen Thätigkeiten und Lebensgebiete atomiſtiſch neben
einander ſtelle. Ze
J
über die Dignität des Keligionsſtifters. 563
ſeyn muß, um. alloominirend zu werben,’ fo ift nun zu
unterfuchen, in welches Verhältniß er dadurch zu allen
übrigen Menfchen trete. Dieß ift Die Unterfuchung über
3) das Verhältniß der fpecififchen zur gras
duellen Dignität des Religionsſtifters.
Es fragt fich, ob das Den bisherigen Forderungen ents
fprechende Individuum, welches Dadurch unterfchieben
ift von allen übrigen Menfchen, bloß gradw'ell vers
ſchieden fey, oder aber: fpecififch, womit eben nur die
Negation des bloß graduellen fol bezeichnet ſeyn, nicht
aber die Meinung iſt, als ſolle der Stifter dadurch unſrer
Gattung entnommen und in eine andre species von Weſen
hinüberverfegt werden; infofern aber er allein ber domi⸗
nirende ſeyn kann im Gebiete der Religion, und Feiner
dieſes mit ihm theilen Tann, oder Doch wenn es einer
könnte, fich deffen nur als eined vom Stifter ihm mitges
theilten bewußt wäre, kommt diefem eine fpecififche Digs
nität zu. Huch dieſes ift ein Begriff, der im iventifchen
Gebiete des Wiffens feinem Einzelnen zufommt, fondern
nur Statt hat, wo die Sudividualität berrfcht, die immer
eine einzige, fich nie fo wiederholende ift. Vermöge des
fpecififchen Unterfchiedes wäre der Stifter einzig in feiner
Art und zwar für immer, vermöge Des graduellen Unters
ſchiedes aber nur primus inter pares. Beide Begriffe fchlies
Ben aljo einander nicht nur nicht aus, fondern jeder hat
feine volle Wahrheit nur in und mit der Vorausſetzung
des andern. Die fpecififche Dignität befagt, daß die gras
duelle Berfchiedenheit des Stifters Wefen nicht völlig aus⸗
drüde, fondern diefed als ein nothwendig einziges und
einzig bleibendes zu faffen fey; es iſt nämlich offenbar
eine reine Unmöglichkeit, einen für immer alldominirenden
Stifter zu flatuiren, alfo eine allgemeine, bleibende Kirs
che, ohne dieſe fpecififche Dignität anzunehmen, und Diefer
Widerfpruchift zu auffallend, als daß nicht denen, bie dieſ e
56% - Schweiger
Jeugnen, zugefcheieben werden müßte, fie leugneten eigent-
lich auch die Kirche als ein für immer bleibendes Ges
fammtleben. Die graduell gefaßte Dignität aber befagt,
Daß trotz dieſer Einzigfeit Der Stifter Dennoch unfrer Gat-
tung angehöre, und weil in biefer die Frömmigkeit jedem
Einzelnen wefentlich ift, fie fich alle zu ihm verhalten als
verfchieden abgeftuft in religiöfer Beziehung, und ihm Die
höchfte Stufe zufchreibend. Weil nun die beiden Begriffe
einander ergänzen, fo muß jeder von einem andern Stand»
puncte aus entſtehen, der für ſich allein ein einfeitiger
wäre, wie fich Das auch gezeigt hat, da den bloß ſpeci⸗
fifchhen Unterfchied Die Supranaturaliften wollen, bloß den
grabuellen Die Rationaliften a) ; Daher die Wahrheit in ei-
ner. höbern Aufhebung beider Standpuncte zu Einem ges
fucht werden muß. Ohne den fpecififchen Unterſchied hat
die Behauptung der Allgemeinheit der Kirche fein Funda⸗
ment, weil immer ein noch Beßrer fommen könnte mit eis
ner andern Religion; ohne den grabuellen aber gäbe es
feine Bermittelung zwifchen dem Stifter und den Anzuzie⸗
henden. Die allgemeine Religion ſetzt alfo nothwendig
das Ineinander Der fpecififhen und Der graduellen Dignis
tät im Stifter voraus b). Die fpecififche Dignität ift nun
‘eben jene Urbildlichteit und Borbildlichkeit, infofern fie
bloß Einem anf urfprüngliche Weife einwohnen kann; der
graduelle Unterfchied aber beruht auf der nothwendigen
Anlage aller Menſchen zur Religion, Die fich wie jede all
a) Man vergl. aud hierüber bie citirte Abhandlung Über diefen Ge-
genſatz in der Zheologie.
b) Daß diefes Ineinanber kein Widerſpruch fey, zeigt fhon die Ana⸗
logie bon Erfahrungsgegenftänden. 3. B. in einen Brennfpiegel
iſt offenbar der Mittelpunct von allen andern Puncten fpecififch
verfchieden, hat eine einzige Beichaffenheit; dabei iſt aber doch je⸗
. ber Rabius theilbarin allmählich fich abflufende Puncte. So fteht
das Gentrum zu allen biefen Puncten in einem einzigen Verhättz
niffe, das ſich fonft nicht wiederholen kann, unb boch auch zu allen
andern in einer fich almählie, grabuell abflufenden Reihe.
über bie Dignitkt bes Religionsſtifters. 865
gemeine Anlage fehr verfchieden ausbilden und mobificis
ren fann, von @inem aber am beften. Welcher dieſes fey,
ift Sache empirifcher Nachweiſung, die fpecififche Dignis
tät aber ift nur fpecnlativ zu deduciren und gibt erft die
Sicherheit, aus der Gefchichte den gradnell Beiten anf
zufinden, weil bloß hiſtoriſches Wiffen nichts kann, ale
den bisher Beften ausmitteln; und nur wenn der fo
Nachgewieſene erfunden wird ald dem Begriffe ber ſpeci⸗
fifchen Dignitlit entfprechend,, ift man fiher, daß der für
alle Zeit Befte gefunden fey, über welchen hinauf Feiner je
fich erheben werde. Statt alfo das Ungenügende nachzu⸗
werfen, daß Shriftus überhaupt fehr vollfommen fey, if
das ganz Beſtimmte nun Aufgabe, daß nämlich feine
Irrthums⸗ und Sündloſigkeit aufgezeigt werde, oder wer
nigſtens, da wo die eine ift auch bie andre nothwendig
feyn ung, das eine von beiden a).
Diefe Aufgabe führt hinüber anf das empirifche Ge⸗
biet hiftorifcher Nachweifung. Möglich ift num, aus ber
Gefchichte und Entwicklung des Werkes Ehrifti und vors
zäglich and der Durchbildung feined Geiftesgehaltes im
chriftlichen Geſammtbewußtſeyn zurüdzufchließgen auf jes
nen urfprängfichen Gehalt im Stifter felbfi, and dem
Werte ven Schöpfer zu erfennen, wobei die Hauptſchwie⸗
rigkeit iſt, Alles anszufcheiden, was ald freude Bei⸗
miſchung ſich mit ben Dogmen verfchmolgen hat. Oder
man kann and dem eignen Leben Sefu auf fein Innres zu⸗
rüdfchließen und fehen, ob Freiheit von Sünde und Irr⸗
them herausfomme. Oder man Tann den Eindrud, wel⸗
dyen die Selbftdarftellung Tefu auf feine Umgebungen ges
macht hat, zum Örnmde legen, um von da aus jenes zu ſu⸗
chen. Die beiden leßtern Wege werben beffer mit einaus
a) Bekanntlich ift mit einer Nachweiſung ber Sündlofigkeit Jeſu von
ulimann dieſe Zeitfcheift eröffnet worden, und biefe Arbeit nun
duch ſelbſtſtaͤndig erfchienen. Was fie von hiſtoriſcher Seite bes
zweckt, iſt unfere Abſicht von ſpecnlativer Soite.
566 Schweizer
der verbunden, da wir die Selbſtdarſtellung nur noch ha⸗
ben zuſammen mit ihrer Wirkung auf die Aufnehmenden a).
Da wir nun den fpecififchen Unterfchied conftruirt ha⸗
ben, der graduelle aber hiftorifcher Nachweifung bedarf,
fo ift beider Verhältniß zu den vom Stifter Angezogenen
zu betrachten. Der Begriff der Kirche fordert eben fo fehr
die fpeckfifche Dignität, d. h. Freifeyn von Irrthum und
Sünde für den Stifter, als auch, daß hingegen alle Uebri⸗
gen dem Irrthum nnd der Sünde unterworfen feyen, aus
Denen fie fich nicht ſelbſt heraushelfen Fönnen. Die Schwies
rigfeit ift num nicht Die, nachzumeifen, warum ſich, wer
einmal in dieſe Corruption gerathen tft, nicht wieder da⸗
von abfolut freimachen kann, fondern Die, zu erklären, wie
der Menfch anfange, fie an fich kommen zu laffen. Eben
fo groß ift die andere Schwierigfeit, zu begreifen, wie,
wenn einmal Die Sünde und der Irrthum von einem Men⸗
fchen aus das Gefammtleben ergriffen hat, dann wieder
ein Individuum davon frei feyn könne. Was zwifchen
biefen beiden Punkten liegt, daß. nämlich wer angefangen
bat zu fündigen, fich nicht mehr felbft befreien fann, ift viel
leichter zu beweifen, Die Einheit von Srrethumund Sünde
ift der Begriff der Negativität, Uinwahrheit, meil fie das
Sch hindern. in feiner Wahrheit zu ſeyn d. h. in feinem Zu⸗
fammenhangemit Dem getheilten und abfoluten Seynz nur
Das legtere gehört zu unferer Abhandlung, die bloß die
Religion umfaßt und die übrigen. ethifchen Aufgaben, alfo
das Zufammenfeyn des Ich mit Dem getheilten Seyn bei
Seite läßt. Wo das Sch fich nur für fich feßt, oder doch
als nur zufammen mit getheiltem Seyn, da tft Die religiöfe
Unwahrheit, der Mangel oder die Unfräftigfeit des Got⸗
tesbewußtſeyns. Die Wahrheit ift alfo die abfolute Kräfs
a) Diefes eben gefhieht von Ullmann über die „Sündlofigkeit Jeſu,“
Bu wir uns ald auf den empirifchen Theil aller Ausmittelung
der Dignität des Religionöflifters berufen, zumal einige Abwei⸗
sen bald zur Sprache Eommen werben.
über bie Dignität des Religionsſtifters. 567°
tigleit des Gottesbewußtſeyns oder dad Nichtaufgehen im
getheilten Seyn. Wir löfen alfo den Öegenfag auf in den .
des nur für ſich Seyns des Sch, und in ein zwar für fich
aber auch in Gott Seyn des Ich, d.h. felbftifches Bes
wußtfeyn und Gottesbewußtſeyn. Diefe Reducs
tion ift feine erfchlichene; Denn was wir bei. Geite laffen,
ift in ihr mit enthalten, weil im Zuftande der Selbftfucht
Das Ich nicht iſolirt ift, fondern in Verbindung mit ges
theiltem Seyn, das Gottesbewußtfeyn aber nie ein auds
fchließliches feyn kann, fondern immer nur in Verbindung
mit zeitlichen Lebensmomenten., Wir nennen alfo, diefes
vorausgeſetzt, Des Stifters fpecififche Dignität die Stes
tigfeit des Gottesbewußtſeyns, den Zuftand der
übrigen Menſchen aber das Dominiren der Selbitfucht.
Wenn man gewöhnlich die Kirche nur auf Ein Wunder
gründet, auf das Unerflärliche nämlich, wie die fpecififche
Dignität des Stifters entflanden fey, fo ſtellen wir noch
ein völlig parallel Unbegriffenes hin, nämlich, wie in den.
andern (im erflen) Menfchen, infofern fie zuerfi in der
Wahrheit gewefen find, Irrthum und Sünde entftanden
fey; denn dieſes ift Sache empirifcher Nachweifung, bie
aber als folche Fein Werden begreifen kann, fondern, fo
weit fie auch aufwärts dringt, doch immer bei. einer Erz
fcheinung, alfo einem ſchon Gewordenfenn ftehen bleiben
muß und jedes Werden ald Geheimniß anerkennt, jo gut
wie auch Die Speculation mit dem einzelnen Dafeyn auch
deſſen Werben als unerreichbar anerkennt. Der Begriff
der wahren allgemeinen Kirche ruht daher auf zwei gleich
großen Räthfeln, und ruht beffer darauf, als nur auf dem
einen Wunder, d.h. dem Stifter, weil dadurch, daß zwei
räthfelhafte Erfcheinungen vorhanden find, jede derſelben
viel vom Scheine Des Wunderbaren als einem Unerhörten
verliert. Muß man nun vollends zugeben, daß wir über-
haupt Feinerlei Werden und Entitehen feinem erften Ans
fange nach erkennen, fo reihen ſich jene beiden nur als An-
68 ee her
fange unbegriffener Poſtulate, auf denen die Kirche ruht,
in die allgemeine Kategorie alles Entſtehens ein, und das
Wunderbare, inſofern es einen Widerſpruch gegen den
ubrigen Zuſammenhang und Verhalt der Dinge bezeichnen
ſoll, faͤllt ſo gänzlich weg, daß es vielmehr erſt dann ent⸗
flände, wenn wir, die wir als Regel anerkennen, keine Ans
fänge zu begreifen, es num hier auf einmal im Stande wäs
ren. Mit diefem Geftändniß und feiner Beleuchtung wird
dem Begriffe der Kirche befier gedient jegn, ald wenn wir
uns in Berfuche einließen, das Entfichen von Sünde und
Irrthum ans dem Zuftande der Wahrheit, und hinwieber
bas Entftehen eines fünds und irrthumslofen Individnums
aus einem gefallenen Gefammtleben begreifen zu wollen.
Diefer Berfuch würde vollends erfchwert Dadurch, daß
wir Sünde und Irrthum als Ineinander erfannt haben
und in ſteter Wechfelwirtung; fo daß das Entfichen von
bloß einem von beiden undenkbar ift, und eine Nachweiſung,
wie entweber Die Sünde, oder ber Irrthum entftanden fey,
zum Voraus ald irrig erfchiene, was eben fo zu fagen ift
vom Entftehen entweder bloß der Sündloſigkeit ober ber
Irrthumsloſigkeit des Stifters d).
Iſt nun im Stifter die Stetigfeit ded Gottesbewußt⸗
feyng, in allen Uebrigen aber das Dominiren bey Selbfts
fucht, fo ift fein Einfluß auf diefe nothwendig ein erlöfen«
der, und der Stifter ift der Erlöfer. Bermöge feiner
fpecififchen Dignität wirft er alfo in den Angezogenen nicht
etwa bloß eine Steigerung, fondern eine Umkehrung, eine
Wiedergeburt, eine nene Schöpfung, die bier nicht mehr
in die Gcheimniffe des Entftehens fallt, weil fie ald eine
Mittheilung erfcheint. Was früher im Menfchen bag Uns
a) Das p. 565. Sefagte widerſpricht biefem Sage nicht, weil bort von
Aufweifung des Vorhandenſeyns beider die Rede war, nicht aber
ihres Werdens. Eben weil Sünde und Irrthum in einander find,
ift mit dem Vorhandenſeyn von einem das beider erwiefen. Nim⸗
mermehr aber Tann ihr Werden irgend gefpalten gebacht werben.
über die Dignität des Keligionsſtifters. 569
terbrücdte war, wirb nun bad Dominirende. Beibes, ſpe⸗
cififehe Dignität des Erlöfers und Wiedergeburt im Erlös
ſten, find alfo Wechfelbegriffe, feines ohne bas andere.
Diefer Borgang ift nur möglich in einem Gebiete ,. wo Die
Individualität herricht und das Princip der Wahlanzies
hung waltet. Sm Gebiete des Wiffens findet ein folcher
Borgang totaler Umkehrung nicht Platz, weil fich da nur
beweifen, andemonftriren laͤßt; mo fich aber dennoch Aehn⸗
liches findet, da rührt ed nothwendig her von einem In⸗
bividuellen, das am Spentifchen des Willens doch immer
mit ift; Daher gehören folche Imfchaffungen hier unter die
Ausnahmen, in der Religion find fie die Regel. — Dieß
ift der Begriff und die Wirkung der fpecififchen Dignität.
Es wird fid nun zeigen, daß Diefe totale Umkehrnung nur
darum Fein Wunder ift, weil fie Die graduelle Differenz
fchon vorausſetzt, vermöge welcher in allen Menfchen eine
Richtung ift auf das Abfolute, Die aber in den Einzelnen
auf fehr verfchiedene abgeftufte YBeife zum Leben fommt.
Daraus folgt für alle Einzelnen, die fich berühren, ein viel⸗
fache® VBerhältniß Des Dominirens und Dominirtwerdend
beruhend auf dem Gegenfabe der Spontaneität und Res
ceptivität. Sa der höher Stehende verhält ſich felbfithäs
tig und Dominirend zu den tiefer Geftellten, die gegen ihn
receptiv fich verhalten. Auf diefer. Stufenleiter muß Eis
ner der Höchfte ſeyn, und allmählich alle Andern Fräftigen
und läntern; denn auch fie find fchon in der Richtung auf
Die Religion, da fogar das bloße Aufnehmen nichts ans
ders ift, als felbft eine Thätigfeit, wenn auch der ſchwaͤch⸗
ſte Grad. So erfcheint und Die Kirche von einerganz ans
dern Seite, und der Einfluß des auf der höchſten Stufe
ftehenden zeigt fich als ein anders geftalteter, nicht aber
widerfprechend dem Obigen. Bon Allem aus ift auf Dies
fer Seite die völlige Sind» und Irrthumslofigfeit eigent-
lich nicht zur beweifen, fondern nur ein hoher, bisher höch⸗
fter Grad von Vortrefflichleit. Daher folche empirifche .
970 = Schweizer
Nachweiſungen ber Sundloſigkeit Jeſu immer eine Menge
Züge anführen, die nichts beweiſen als eben jenen hohen
Grada). Sie werden ferner keinen andern Maßſtab für
die Handlungen Chrifti zulaffen als den ethifchen b). End⸗
lich wird man immer irren, wenn ein einzelnes Factum
für ſich allein beurtheilt wird, ftatt allgemeine Maximen
nachzumeifen, unter welche das Einzelne fich einordnet e).
Aber wenn fich auch Die Nachweifungen an Alles dieſes
halten, fo werden fie immer nur einen relativ höchften Grad
von Bortrefflichfeit aufzeigen Fönnen, und den Menfchen
die Erlöfungsbedürftigfeit im frengen Sinne faum zum
Bewußtſeyn bringen; denn diefe fehen füch in der Richtung
‚auf daffelbe Ziel hin und betrachten. ihren Zufland als ein
Zurücbleiben hinter dem Ideale, wobei man fich leicht bes
ruhigen kann. Dieſes Gebiet für fid) allein haben die Ras
tionaliften befonders angebaut, die als bloß folche fich nie
Darüber Rechenfchaft geben Fönnen, warum fie Chriftum
als alldominirend feßen und überhaupt die Kirche wollen
follen. Sie fehen in ihm weniger ben Erlöfer ald einen
a) So muß, wie auch Ullmann gethan hat, empirifche Apologetik
immer auf fpeculative hinüber weifen und greifen; benn die Apo⸗
logetik cfr. Schleierm. Darftellung des theol, Studiums $. 32, und
48.2, Ausg. hat es mit beiden Standpunkten zu thun.
b) Wir hätten alfo niemald wie Ullmann uns für Chriftum auf
Geſetze berufen, nad) welchen Gott in der Natur wirkt; dem ein
folches Hinübergreifen hebt die Wirkung gefchichtlich apologetif her
Unterfuhungen auf. Man fchlage feine Erläuterung der Begeben⸗
heit bei den Gabarenern nad),
0) So erklärt ſich jene Deilung bei den Gabarenern, Chriſtus thut
was ihm Pflicht ift, ohne fich abhalten zu Laffen durch ben Schaden,
welchen ſich Andere dabei zuziehen. Er will Meffias feyn, obgleich
er weiß, daß er das Schwert bringt; er heilt den Befeffenen, obs
gleich er fieht, daß bie Schweine bei fo nadhläffig unzulänglicher
Bewachung durd) den noch einmal austobenden Rafenden in den See
‚gejagt werben Tönnten, Was der Kranke täglich thun konnte, ges
ſchieht nun gerade bei der Heilung, Die Analogie, wie Gott im
Gewitter wirkte, een ice
|
über die Dignität des Religionsſtifters. 571
Lehrer, ber fie weiter bringe, als fie ohne ihn fämen, da
fie ſich überhaupt fehr auf Die identiſche Seite des Wiſſens
hinüberneigen. Diefe ganze bloß einfeitige Wahrheit bes
barf der Ergänzung durch die fpecififche Dignität; und
eben fo müflen die bloßen Supranaturaliften ergänzt wers
den durch die graduelle Dignität, um Die Vermittelung zu
finden für des Erlöſers Einwirkung auf feine Erlöften, Die
fonft ald etwas Magifches erfcheinen würde, der Erlöfer
als nicht unferex. Gattung, die Menſchen aber als. nicht
in. ber Richtung auf das Abſolute, wobei auch die Identi⸗
tät des Ich unterginge, der Erköfte fich nicht mehr als Dass
ſelbe Ich erkennen könnte, welches er früher war. Beide
Einſeitigkeiten jede für ſich allein zerſtören den Begriff der
Kirche; das bloß fpecififche Verhältniß hebt das Weſen
‘eines Zufammengehörens und. ſtetigen Fortlebens auf; das
bloß graduelle läßt Feine Kirche als DOrganifation zu, fons
dern ein bloßes Berfchwimmen und .ungemeflenes Sichab⸗
finfen aller Einzelnen... So folgt das Ineinander der ſpe⸗
cififchen und graduellen Dignität ded Stifters mus bem
Begriffe der. Kirche, und biefer erſt aus jenem, und die eine
Behanptung kann nicht ſeyn ohne die andere.
Die ſich anreihenden Erörterungen äber bie Begriffe
der pofitiven Reigion und der Offenbarung, welche bie
Frömmigkeit noch mehr vom Willen ausſcheiden müßten,
nöthigt und der Raum, welcher und vergönnt wird, in
eine andere Abhandlung zuſammenzufaſſen.
Schluß folgt.) :
Theol, Stud. Jahrg. 1884, 38
572 u Erbmann ··
Bir fol bie Yeetigt bechafſen —* —
Somiletiſche Winke
: ROoNR J
Dr Johann Eduard eromann F
in Bexrlin.
Eine RER Predigten, ‚weiche im vorigen
Jahrhunderte gehalten wurden und welche man m uns
ferm Sahrhumderte hört und lief, ja fogar. ein Blick auf
die. homiletifchen Arbeiten vor: zwanzig bie dreißig Jahren,
1ßt uns allerdings das erkennen, daß wir, wenigſtens in
vielen Stüden, im Bortheile ſtehen. Es tft nicht nur Die
reinere, edlere Sprache, nicht nur der. beffere Gefchmad
in der Einfleidung, nicht mir die größere Anmuth der Form,
welche in den ewigen ‚Divtflonen und Partitionen ganz
vernachläfſigt wurde, — nein, es iſt Etwas, woraufes
mehr ankvmmt, worin Die jetzige Zeit vor jener den Vor⸗
zug verdient: die Predigten ſind erbaulicher geworden,
und es iſt allen zum Bewußtſeyn gekommen, daß ſie das
ſeyn ſollen, und wo man jetzt fragen mag: wie die Pre⸗
digt beſchaffen ſeyn ſoll, wird die Antwort nicht fehlen, daß
fe erbaulich ſeyn ſoll. Aber, fo wahr dieß iſt, fo kann
doch auch nicht geleugnet werden, daß mit dieſer Autwort
dem, der ſo fragt, kaum gedient ſeyn moͤchte. In der That
gibt fie nur eine Beſtimmung der Predigt an; die Er⸗
baulichkeit ift Doch nur eine Art, auf den Zuhörer zu wirs
fen, und fo ift alfo auf die Frage nach der Befchaffenheit
oder den Eigenfhaften der Predigt, nur ihr Zwed
zur Antwort gegeben und ihre Wirkung. Wie fie felbft
aber, auch abgefehn von dem Eindruce, den fie macht,
befchaffen feyn fol, das ift Die Frage, auf die es ankommt,
und zu deren Beantwortung bier ein fchwacher Beitrag
gegebeu werden fol.
nam
über den Organiomus ber Preis. 15%
. Eine ganz genügende und erfchöpfende Antwort: wärs
be ſich nur ergeben aus dem Begriffe der Ynebigt, und Die
Begriffsbeſtimmung berfelben muß in der. praktifchen Theos
logie in ber Theorie bed Kultus vorkommen, und dann
auch wieberum da, wo die Prredigt als integrirend er Theil
der Wirkſamkeit des Geiſtlichen hervortritt. Würde nun
hier, wo natürlich weder die eine noch die audere in wiſ⸗
ſenſchaftlichem Zuſammenhange dedueirt werben ſoll, bie
Idee der Predigt vorausgeſetzt, ſo wärde Das als ein ganz
willkürliches und unbegründetes Verfahren erſcheinen. Es
ſcheint darum ſicherer, einen andern Weg einzuſchlagen,
der dennoch. zum Ziele führen muß. Denn wenn die Idee
ber Predigt nicht. nur ein todtes und müßiges Hirngeſpinnſt
ſeyn ſoll, ſo muß ſie auch in der Realität ihre Macht zei⸗
gan, und, bei allen Abweichungen, in dem allgrmein Herr⸗
ſcheuden ſich nachmeifen bafſen. Wir:wollen darum die
Predigt betrachten, wie fie faetiſch Vor. und liegt aut in⸗
but wir, maß. .allganein:ald ihr weſentlich zugeſtanden
wird, ind: Auge falten, wikd ſich und ergeben, was für
Anforderungen mar an ſie machen kann. Allerbings wird
kabetdle Vorausſetzung gemacht / duß was wir heraushes
ben.nächt nur zufaͤlliges Beiwerk der Predigt, ſondern, ih⸗
rer Idoe nach, ihr weſentlich ſey. 8 ſolches nen. —
———— zugegeben werden:
MH Es wird der Hrrdigt überall ein bituſcer — se
2 Geundbeigelegt,
N Es wird übern: ber: ein Thema ae —
8) Die Predigt hat.iberal die Beſtimmung/ in der Ki
i de gehaltensguuerben. en — a 2
Bean: wis nun Diefe:brei Punkte ‚als Gefetze für bie Pre⸗
digt betrachten, fo. werden ſich bie: Forderungen ergeben,
die man folgerecht an die Predigt machen darf.
»I. Erſtlich :alfer der Predigt wird überall
ein biblifher Text zu Örunde gelegt. Voraus⸗
gefet nun, daß dieß zum Begriffe ber Predigt gehört and
*
.. .." y*
er“ . . -efs oe 9.
574 * — Eromann: er Huren
alfo immer fo ſeyn muß, fo fragt ſichis Was ſoll Der Tert
bei der. Predigt, und wie foB fie fid zum Terte verhalten?
Die Antwort, weldye zunächft jedem Unbefangenen einfitls
Ien möchte,. ift wohl. bie richtige, daß bie Predigt eben ſeyn
fol Ertlärung (und Anwendung) des —— Exe
gefe ber Textesworte. A“.
.« Sehen 'wir auf bie Praxis, anf: bie hinlkriiche Weife,
mit der man an jeden denkharen Text jede erbenfbare Pre⸗
digt aufnuüpft, leſen wir Die Anweiſungen, welche uns leh⸗
zen, wie man ben Text beungen. könne, wie man Haupt⸗
perfonen, Nebenperfonen, Zeit, Ort, in: einzelne Worte
u. f. f. hervorheben und daran die Predigt knüpfen koͤnne,
wird es als eine homiletifche Geſchicklichkeit geruhmt, Daß
ber ehrwürbige Reinhard funfzehn Nenjahrspredigten
über: Luc. 2, 21. gehalten habe, jo ift daß freilich fehr. ges
gen xine ſolche Meinung ‚gerichtet; und der Tert- fl wicht
einmal mehr ein Motto, ſondern ganz nnd gar unweſent⸗
lich: fire die, Predigt. Dieß flreitet aber gegen bie Aarauss
ſetzung; nach Diefer hat der Tert eine Bedeutung, welche
- dt diefe, was ſoll er? — Sagt. man: die Aufmerffantlelt
Des Medigers anf einen Punkt richten und: ihm die Schwie⸗
zigfeit Der Wahl abnehmen, ſo werben wohl bie Meiſten
ans eigner Erfahrung wiflen, daß es allerdinge eine große
Erleichterung ift, wenn der Gegenſtand gegeben iftz: aber
warum dann einen Text, in Demnach jenen Anweiſungen
unzählige Gegenflände zu finden nd und alfo das Peins
liche der Wahl bleibt, warum nicht lieber. ein Dogmä, oder
eine Sittenlehre, ober ein deſtimmtes Wort? — Soll'der
ZTert wirklich dem Prediger eine Schmale, eine Begren⸗
zung ſeyn der umherſchweifenden Willkür, fo kaun er es
nur ſeyn, indem geſagt wird: Predige, was der Text ſagt
d. h. erfläre, erläutere ihn.
Oder man ſagt: (und das iſt wirllich hefchehem der
Text ſey Dazu Da, damit: der Prediger die bibliſche Lehre
vortrage, damit er chriſtlich predige, fo Iieinerfeits
über ben Organismus der Predigt, 575
zu erwidern: daß nur dann bieß | erreicht wird, wenn
Die Predigt. nichts. anderes iſt, als die Erklärung des Ters
te8. Denn ift die Willkür im Behandeln bes Tertes in ih⸗
rer Schranfentofigkeit autorifirt, fan anirgend ein Wort,
oder irgend eine Rebenvorftellung witziger Weife anges
knüpft werben, fo.möchte es keinen einzigen Tert geben,
an den ſich nicht die unchriftlichfte Predigt knüpfen ließe:
Aufder andern Seite iſt nicht zu. leugnen, daß biblifche
cd. h. material biblifche, die Bibellchre enthaltende) Reden
fee wohl denkbar find, welchen Fein beftimmter Tert zum
Grunde liegt. So pflegen 5.8. Biele ihre Caſualreden nie
an einen Text zu knüpfen, denen man doch zugeftehen muß,
daß ihre Reden (material) biblifch find. Diefe Bemerkung
bat denn auch Harms dahin gebradjt, Daß er nit nur .
Predigten ohne Tert gehalten hat, fondern es in feiner
Baftoraltheologie ‚geradezu ausſpricht, e8 ſey gar nicht nö⸗
thig, Daß die Predigt einen Tert habe. Das Srrige darin
zu widerlegen, ift hier nicht Der Ort, unfere Boransfeßung
ift, Daß der Tert der Predigt weſentlich. Das Wahre darin
ift, daß, bamit eine Rede (material) biblifch ſey, ein Tert
eben nicht unumgänglich nöthig iſt. — Geber Grund alſo,
der für den Gebrauch angeführt wird, daß die Predigt eis
nen Tert habe, erweift fich als ungenügend, wenn nicht
die Borausfegung gemacht wird, daß die Predigt in aus⸗
geführter Korm daffelbefage, was der Tert, und alfo Texts
erflärung fey. Nicht, Damit die Rede chriſtlich ſey, ift der
Tertihrnöthig, fondern damit fie Predigt ſey. Iſt aber Die
Predigteben Eregefe des Tertes, fo iftdie erfle Forderung an
fie, daß fie formal biblifch ſey, d. h. nicht nur was ihren
Inhalt betrifft, biblifche Lehre enthalte, fondern es zeige, wie
fie zu einer beftimmten biblifchen Stelle Die Erklärung jey. —
Die Predigt fey formal bibliſch d. h. Ere
gefe des erwählten Tertes. Diefer Forderung wird
in unferer Zeit durchaus nicht überall nachgefommen, ja
man hat fogar, wo fie an Die Prebigt gemacht wurde, ges
576. tn man. 5
radezu an.bie Homilte O verwiefen, mo Allein fie am habe
ſey. Was die Homitie hinſichtlich ihres Berhältniffed zum
Texrte von.der Predigt ımterfcheidet: — Kein -anberer, wich⸗
tigexer Unterſchied kann erſt sub Ih zur Sprache fommen) —
ift dieß, Daß bei den Homilieen ein längerer Abfchnits Der hets
Ligen Schrift zum Texte genommen wirb, während bei Pre⸗
digten, wenigſtens gewöhnlich, ber behandelte Tert ein ein⸗
zelner Spruch iſt, oder auch ein Theil eines längeren Abſchnit⸗
tes z. B. einer. vorgeſchriebenen Perikope, bit verleſen wor⸗
den iſt. (SSo kann z. B. eine Predigt über das Evangelium
Dom. Trinit. fehr gut eine Anslegung ſeyn nur von Joh.
3, 3. „Es ſey denn — nicht ſehen.“ Da würde ber ganze
Unterſchied zwiſchen der Predigt und der Homilie ſeyn,
daß jene V. 3, dieſe V. 1—15 zum Texte hätte) Wie fich
eine Predigt, die wirklich ganz denſelben Text mit einer
Homilie behandelt, von ihr unterſcheidet, wird nachher
kurz angedeutet werden. Auf keinen Fall kann die Unter⸗
ſcheidung fo gemacht werden, daß man ſagt, bie Homilie
fey allein. eine analytifche Predigt Eine Analyfe deſſen,
was im Terte liegt, muß eine jebe Predigt enthalten, und
in fofern muß man an eine jede Predigt die Anforderung
machen, Daß fie analytifch fey. —
Dieſe Seite der Predigt ift in Der neueren Zeit beſon⸗
berg, in den fchleiermacher’fchen Predigten ausge⸗
bitdet worden, welche in dieſer Hinficht ale Meiſterſtücke
daftehen. Auch der, welcher Schleiermachers Eregefe ſich
nicht aneignen kann, und dem feine Predigten in mancher
andern Rückſicht nicht zufagen, kann ihnen dem großen
Borzug nicht abfprechen, daß fte formal bibliſch find, d. h.
a) Ich muß, wos man wohl fehon aus dem Eingange fehen konnte,
noch ausdrücklich bemerken, daß ich hier nur von ber Predigt fpre«
che, wie fie jest factifch da fleht, fo daß von der Predigt der Apo⸗
ftel, ober ber Kirchenväter 2c, hier gar nicht die Rebe ift, alfo auch
Einwrfe von daher genommen nit treſſen. Den site vom
Worte Homilie,
— — —
über den Organismus ber Predigt. 577
Predigten über. ben Tert, fo Daß biefer erläutert wird,
und am Ende dad deutlich geworben ift, was Schleiermas
«her für ben eigentlichen Sinn bes biblifchen Textes hält.
Ich erwähne flatt vieler andern Predigten nur feine Ofters
predigt: Gleichwie Ehriftus ift auferflanden u. f. f. im
sten Bande feiner Predigten. Oben ward fchon Harms
erwähnt, der bei ber großen Vortrefflichkeit feiner Predig⸗
ten biefe Seite gerade vernachläſſigt. Charakteriſtiſch if
ed, daß gerade Gchleiermacher das Predigen ohne Text
an Harms ſtreng gerügt hat.
IL Das Zweite, was ale allgemein Gültiges und
überall Anerlauntes-bemerkt ward, war bieß: Jede Pre⸗
digt hat ein Thema, und wenn nun unferer Voraus⸗
ſetzung gemäß bieß anch ein Gefeß für die Predigt ift, fo
fragt fihs, was man Daraus folgeredjt an bie Predigt für
eine Anfordernug machen könne. |
Wenn nun, um dieß Har zu machen, zuerft beftimmt
werden muß, was ein Thema ift, fo muß ich als Die erfte
Beſtimmung, um die Definition Des Thema's zu Stande zu
bringen, dieß ſetzen: Ein Themaift immer ein Ur⸗
theil, oder ein aus Urtheilen zuſammengeſetzter Sat. —
Das ift nun allerdings Etwas, was einer Nechtfertigung
bedarf, weil es fchwerlich. allgemein möchte anerkannt wer⸗
den. — Es ift nämlich das Gewöhnlichſte, dag man meint,
irgend ein einzelner Begriff köͤnne Das Thema eitter Pres
digt abgeben (3. B. die Demuth), aber ein jeder wird doch
zugeben, daß das Thema wenigſtens in allgemeinen Um⸗
tiffen fagen fol, was die Predigt enthalte, was gefpro-
chen werden ſolle. Ein einzelner Begriff gibt aber dem
Gedanken noch gar Feine beftimmte Richtung. Unter jes
nem Titel kann gelehrt werben, daß die Demuth eine Tu⸗
gend, ober baß fie eine Albernheit ſey. Wie zwei Puncte
nöthig find, um die Richtung einer Linie zu beſtimmen,
oder, um ein paſſenderes Bild zu wählen, wie in ber Mu⸗
ft nicht ein Ton Thema feyn kann, fondern nur eine Mes
878. Erdmann
lodie (d. h. Töne und das Verhältniß derſelben) — ſo ge⸗
nügt auch nicht ein Begriff, um zu beſtimmen, was die
Predigt enthalte. In jenem Beifpiele ift Die Aufgaberges
ftellt, Daß von ber Demuth gefagt werben fol, — es fragt
ſich nun: was von ihr gefagt werden fol? — Dieß hat
nun Einige bewegt, zu fagen: ein Begriff genüge aller
dings nicht, aber ein Thema fey auch nicht ein Begriff,
fondern ein Sag. ber dieſe Definition ift auch zu uns
beftimmt, denn es ſind Sätze denkbar, bie aus dem oben
angeführten Grunde (von ihrem Inhalte ganz abgefehn)
nicht Themata feyn Föünnen, weil fie nur einen Begriff
enthalten, 3. B. Säte wie: Laßt uns fromm feyn! — Hier
. auf Erden ift es ſchön! — Laßt und Buße thun! Wir
werden fterben u. f. f. Soll-ein Sag fähig feyn, ein
Thema abzugeben, fo. muß er zwei oder mehr Begriffe
enthalten, die in ein Verhältniß gefeßt find, dann aber
wiird er entweder ein aus Urtheilen beftehenber Sat feyn
oder ohne Zwang fich in einen folchen oder ein Urtheil ver⸗
wandeln laffen. — In diefem Kalle will ich das Wort
Urtheil nicht fo urgiren, ‚mit dem ich in logiſcher Weiſe
jene Forderung an das Thema ausgefprochen habe. (Alm
bei dem obigen Beifpiele zu bleiben: „Demuth ift un
fenntniß” kann ein Thema feyn).
Menn nun der erfien Vorausſetzung nach das Thema
ber Prebigt wefentlich ift, fo ergibt fich für das Verhälts
niß der Predigt zu ihrem Thema folgender Kanon, der
auch ganz mit den gewöhnlichen Ausſprüchen über eine
Predigt in Einflang fteht, die Predigt ift eine Durchfühs
rung, Erplication des Thema's. Sft fie aber dieß, fo folgt
Daraus, daß fie nur enthalte, was das Thema, und Als
les/ was es enthält. Hat eine Predigt ein Thema rich⸗
tig durchgeführt, fo iſt das Reſultat und Die Summe ber
ganzen Predigt wiederum bas Thema, welches bie ganze
Predigt innuce enthält. Iſt nun aber ein jebes Urtheil
| eine Synthefe (der im Urtheile verbundenen Begriffe), iſt
über den Organismus der Predigt. 679
ferner die ganze Predigt Erplication bed Thema's, ſo daß,
was bie Predigt zu Stande bringt, bas ift, was Kurz ges
fagt im Thema enthalten ift, fo folgt daran, das in jeber
Predigt eine (die im Thema als Aufgabe gefeßte) Syntheſe
hervorgebracht wird, und in diefer Beziehung ift eine jede
Predigt ſynthetiſch. Diejenigen Urtheile nun, welche zur
Erplication bed Thema's unumgänglich nothwenbig und
fich unter. einanber-conrbinirt find, find Die. Unterthemätn, "
bie fich zu Den einzelnen Theilen der Predigt genau fo vers
halten, .wie das (Haupt) Thema zur ganzen Predigt.
Mag nun der Gang der Prebigt. ein folcher feyn, daß zus
erft das Hauptthema hingeſtellt wirb, und daraus die dar⸗
unter begriffenen Unterthemata entwidelt werben, bie fich
wiederum (im Schluffe der Predigt) vereinigen, — oder mag
die Predigt von ben Unterthematen, in fofern fie mehr iſolirt
von einander daftehen, beginnen, und in ihrer Durchführung
zeigen, wie fie nothwendig zufammengehören, fo baß alfo
erit am Ende das Thema der Prebigt zu Stande kommt, —
immer muß durch die Predigt ein Thema entwidelt wer⸗
den, und zwar fo, daß, wenn nachher das Thema recapis
tuliet wird, darin die ganze Predigt wiederholt iſt. Und
fo wäre denn die Definition für Predigtthema dieſe: Es
ift dasjenige Urtheil (derjenige aus Urtheilen zufammens
gefegte Say), in welchem bie ganze Predigt gegeben iſt.
Man Lönnte num freilich fagen, es ſey noch gar Feine
Rothwendigkeit bargethan, warum eine Recapitulation
oder Soncentration der Predigt gerade nur ein Urtheil
fegn müfle, und warım ed nicht zwei fich coordinirte feyn
könnten, aber wären fo zwei Themata der Predigt da,
weiche nicht Beftandtheile eines Hauptthema’s find, fo
würde der Einheit der Predigt Eintrag gethan, fie hörte
auf ei⸗Kunſtwerk zu feyn, in bem eben nur ein Ges
danke durchgeführt wird, dem alle andern bienen. Deß⸗
halb hat denn auch ber allgemeine Gebrauch dahin ent
ſchieden, daß jede Predigt ein Thema habe.
»
«° . * 2— .r. u 2 ww
>. "Eben darum kann ich.aber andy nicht leugnen, daß,
wenn das Thema: einer Predigt nicht ein Urtheil, ſon⸗
dern ein aus Urtheilen zufammengefeßter Est ift, Die Dres
tigt ſchon Etwas von ihrer Einheit eimbäßt, fo daß die
Theile fi) von einander mehr ablöfen, und gar wohl als
beſondere Predigten bearbeitet werben ‚Sönnten.. Es fey
mir erlaubt, ein Beifpiel-anzuführen. Der Text ſey Eph.
6,1017. Geſetzt, dad Thema wäre gewählt: bie. Schutz⸗
und Trutzwaffen bes Ghriften find der Glaube und das
Mort Gottes. — Darin liegen bie beiden: Urtheile, wels
che die (inter) Themata der Theile abgäben:
Der Schilb des Ehriften tft der Blaube, und
Das Schwerbt des Chriſten iſt das Wort Gottes. —
Es wirb wohl ein jeder zugeben, baß es paſſender ſeyn
möchte, dieſe beiden Urtheile, die im Thema nur zufams
mengeſetzt find, ald Themata zweier Predigten zu bearbeis
ten. — Dagegen etwa ein Thema, wie dieß: „Glaube und
Liebe bedingen ſich gegenfeitig”, in fich auch zwei Urtheile
enthält, ohne daß fich von ihm das Gleiche fagen ließe. —
Sf das Thema der Predigt ein Urtheil, fo gibt die
Analyſe defielben wiederum diejenigen Urtheile, welche
die Themata ber Theile find, und je mehr das_erwählte
Thema die Eigenfchaft hat, daß es die Themata der Theile
mit Strenge und Präcifion angibt, fo daß diefe vom ſelbſt
hervortreten, um fo mehr wird in biefer Hinficht die Pre⸗
bigt befriebigen, und wird bie Eigenfchaft haben, welche
man mandymal fo bezeichnen hört: fie habe eine fo natürs
liche Eintheilung, Daß dieſe fich fehr tief einpräge. Derrichs
tige Ausdrud dafür wäre,daß fiemethodifhe Strenge
hat, und dieſe findet da flatt, wo nur gefagt wird, was
zur Sache gehört, und auch Die äußere Form chier Die
Eintheilung und Dispofltion) als in der Sache felbft Lies
gend erfcheint. Iſt eine Predigt mit wahrer methodifcher
Strenge geasbeitet, fo wirb man nicht anders eintheilen,
als fie fich felbft eintheilt. Aber freilich Diefer Forderung,
über den Organiöumed der Predigt. SER
daß bie Theile-fich von ſelbſt igrgeben nud mit ziner gewifs
fen Nothwenbdigfeit im Thema liegen ſollen, wirt felten ges
nügt; nicht ale vb die methobifche Strenge überhaupt fels
ten zu finden wäre, foubern weil eine beſtimmte Art ber
Anordnung in unfern Tagen ‘fo weit verbreitet. ik, Daß
jede andere auffallend iſt. Wir wollen fixtt aller audetu
Beifpiele auf die reinharbifchen -Prebigten hinweiſen, weh
che. diefer. Art Diepofitisiren repraſentiren. Wennu:nu
gleich heut zu Tage weniger lUnterabtheilungen gemacht
werden, ald R. deren machte, fo hat ſich doch diefe Art
ber Dispoſttion erhalten, und ift faſt Die allgemein herr⸗
fchende. Ihre Eigenthümlichkeit beftcht darin, daß, nach⸗
dem ein Gegenſtand der Predigt beſtimmt iſt, nun gewiſſe
Geſichtspuncte (Tömoı der Sophiſten) hiazugebracht, und
mit Hülfe derfelben eine Maſſe einzelner, gänzlich von eins
ander unabhängiger, Präbicate zu jenent Gegenftanbe als
bem Objecte hinzugefügt werden; . fo daß fich eine Menge
einzelner lirtheile ergeben, durch beren Ausführung und
Beweis die Predigt gebildet wird, — Wir wollen dies
eben Geſagte an einer remhardifchen Predigt nachweifen. —
Die Predigt am.2ten Sonnt. nach Trinitat 1792 gehalten
hat zum Gegenſtander Betrachtungen über die Zerſtreuung.
Es werden barin betrachtet:
1. Beichaffenheit und Arten berfelben, unb wird fie eins
getheilt in
a) leichtfinnige, b) wollüflige, e) gefchäftige, d) auf
Betäubung abzielende,
2. Schäbliche Wirkungen berfelben. Der. Zerfirenung
fuchende kann:
a) weder feine Kräfte gebrauchen, noch b). feine
Würde behaupten, noch c) fein Dafegn genießen,
noch d) frohe Zufunft ————
3. Mittel dagegen ſind:
u ©) Unparteiiſches Beſtunen, b) Antſchlub, ſeine Be⸗
fkftigung feinem Berufe zu weihen; ce) bei
.
ee wo. en g ... —
— — I % %
. 4
jeder Gelegenheit · ſich zu — fe; ans
"Ende zu erinnern.
Wenn man nun fragt,. was biefer Predigt den trock⸗
nen Charakter gibt, ſo iſt es eben der Anſchein von Me⸗
thode bei der unbegrengten Willkür ber Anorduuug; eine
Maffe von Gedanken find an einander gereiht ohne eine
andre Verbindung, als die im Belieben des Nebners liegt.
Man konnte eben fo gut Die Zeriiresumg anders eiutheilen,
etwa in Börperkiche und geiftige u. f. f.. Wenn man. von
. vieſer Predigt den Inhalt angeben wollte, fo wäre das
wohl nicht kürzer‘ möglich, als es oben gefchehn ift, und
die Schwierigkeit, dieſe Prebigt in den Hauptjachen zu bes
halten, liegt eben barin, daß der Redner ohne eine ges
fegmäßige Ordnung verfahren if. — Diefer Vorwurf
teifft, wie ein jeder mir zugeben wirb, nicht nur dieſe,
tondern, mehr oder minder, alle reinhardifchen Predigten.
Sft eine folche Art einzutheilen erlaubt, ſo ift es ſehr
Leicht, eine genaue Dispofition zu machen, ohne daß man
das Thema kennt, wo es denn deutlich ift, wie die Dis⸗
poſition ganz äußerlich, ja ein völlig mechanifches Thun
werden kann. — Es ſey 3. B. der Gegenfland ber Predigt
x, man betrachtet e8:
1. Sn feinen Gründen. 2. Sn feinen Folgen. Diefe
Diele liegen: find
A. Sn Andern, A. Für ung felbft:
a. In Uinterricht und a. In Leiden: Troſt.
Erziehung.
b. Sm Beifpiel. b. Sn Freuden: Schuß
| vor Sünde, |
B. Su ung felbfl. B. Für Andere.
a. Anlage, a. Ihr irbifches,
b. Eigne Selbſtbe⸗ b. Ihr geiftiges Wohl
ſtimmung. fördernd.
Schluß. Darum laßt uns dem Beiſpiele Andrer uygd
ihrem Untertichte folgen, unſre Aulagen —— —
über ben Orgemibahiß der Predigt. 588
fo werden ok. in Freud und Leid. und ſelbſt — und Au⸗
Lern im: irbifchen und’ geiſtigen Wohlergehn förderlich ſeyn.
— Es ließe ſich nun, namentlich. mit Hülfe von Antithes
fen wie: im Leben und Sterben ac. noch: mehr ins Detail
disponiren, und ich möchte gern wiſſen, welche chriſtliche
Tugend (mit hinzugefügter Negation ‚gilt: es von zjeden
Laſter andy) nicht. die Stelle de =’ einnehmen ANunte. Das
Sämmerliche und Langmweilige: in biefer Eintheilung liegt
eben darin, das fie abd etwas ganz Aeußerliches zum Chr
ma gebracht wird, es ft gar kein Grund, warm ſie ba
iſt. Es fey 3. B. hier x Ehriftenliebe,. fo liegt ed ge
sicht im Begriffe der Ehriftenliebe ,. daß ſie in ihren Brüns .
den und. Folgen betrachtet wird‘, — man könute eben fo -
out eintheilen, 1. gegen Wohlthäter, .:2. gegen Widerſa⸗
cher; eben fo bie Unterabtheilungen u. ſ. f. — Solcher Ast
Predigten beftehn aus eben: fo: vielen ifolinten Urtheilen
als Umterabtheilungen ba. find,: und der Eindrud, den eine
ſolche Predigt macht, iſt ber von einer: Maſſe an einanber
gereiheter Themata, wie. deum wohl Viele aus. Erfahrung
bezeugen werden, daß man aus jeber reinharbifchen Pre⸗
digt fehr viele Themata fchöpfen kann. Z. B. im eben
angeführten: „Zerſtreuung zielt auf Betäubung ab. ꝛc.“
Nur bei- einem richtigen Bewußtſeyn über Die Bedeutung
der Eintheilung, das freilich ungertrennlich. ik von dem
über Die Bedeutung bed Thema's, werben. foldye gang
änßerliche Fragen verfchwinden, ob.eine Predigt dichoto⸗
mifch ober trichotomifch ſeyn Tolle. Es läßt fich darauf gar
nichts antworten, als dieß Eine: fie muß ſeyn, wie das
Thema e8 erfordert; das Eine wird ſich aller dings ſogleich
beftimmen laffen, daß, da ein jedes Thema eine Syntheſe
von (wenigſtens) zwei Begriffen ift, beiden aber ihr Recht
widerfahren muß, eine Predigt ſtets wenigſtens zwei⸗
theilig ſeyn wird. —
Da hier ertlarter Maßen keine fireng wiſſenſchaftliche
Debnction gegeben werden follte, ſo konnte es nicht anhers
6888 32:32 3:2 hen: 2:
ſeyn / ls daß ich Binled nur verſicherungsweiſe hinſtellte.
Dagegen: liegt: mie: mit.ob z:"bie.anfgeftelkte. Anſicht gegen
einige. Einwände gu vartheidigen „die:and folchen Inſtan⸗
jen hergenontueen: find, welche idy berüdfichtigen muß. Es
Jan nämlich ein Einwand, gegen meine Anſicht a) auf
uns hᷣaftre werden, was ich: felbft.mb I; gefagt habe, nud
56 Fönnenibi Giamiände: hergenommten menden and.der Bo
fchaffenheit: Ser Prebigt, wie ſib fantifuiy vor: und Itegt, zine
Anborität duf .die ich ſelbſt immerfoͤrt · Provocirt Habe, —
So werde ich drei Einwände herverzuheben — tanz gm
VeienchteniHaben, ie a
x...) Es fınır nämlich fcheiseit, als ſey — Pr
vier Yom heine, gefagt.wurbe, sub I. vom Xerte gefagt,
mid.e&. frage fich. nun,: welches. das Mahre. ſey? — Indeß
iſt nach ben Gefägten ber: Untetſchied nicht: zu verkennen.
BB: vom Tente die Rede war, war Das Refiträtibieß; daß
Die: Predigt. den Tert arflären:folle,. hier dugegen,
Bapıfle. une das Thema, nud dad. ganze Chendıerr
pliciren ſolle. Der Forberumg an bie Prebigf. hinfichtlich
ihres Berhaltniffes zum Veste: ifb alſo fhuaıentfppochen,
wenn DerZckt von itgenb: eher. Seite Harigemadht wur⸗
den, . er mag ſouſt noch: Seiten: baten, ‚die Die Predigt
nichtberührt, unb!die.alfo unerlärt bleiben. Eiuesfolcke
Unabhungigkeit der. Prebigt som Thema. ift nicht erlaubt.
Bleibt Etwas. vom: Theina unerplicich,.. fo iſt Die Predigt
witht vollendet, kommt in ihr Etwas vor, was im Thema
wicht'implicite kag, :fo iſt ein zu enges Thema gewählt.
Das Verhuͤltniß des Teytes zum Thema, und die Ents
wirdlungdes letzteren aus jenem deutlich ind Licht zu ſe⸗
Gen, iſt der Zweck der Einleitung ber Predigt, und hier
werben graduelle Unterfchiebe nicht fehlen. Nehmen wir
den Fall au, daß ber Text felbft Thema ift (wie in der
erwähnten Predigt von Schleiermacher), fo werben beibe
Forderungen sufammenfallen, und bie methobifche Erplis
eatlou des Themn’s. zugleich erichöpfenbe Erlikrung ‘bes
|
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über den Orgemötniß ber Predigt. . 685
Zerted'feyn. : Dielen gluͤclliche Fall, welcher der Prebigi
eine ganz eigentiyikmliche befriebigende Geſtalt gibts. wird
aber nur Da Rate: finden, wo der! Tert in, einem, einzel⸗
nen Spruche beſteht — Legt dagegen im Teste mehr, als
das Dhoma, ſo wird bloß eind einzige „Seite, ein einzelner
Bub des Textes erflärs; undoje ſpecieller, (Cund alfo wer
niger den gangerii Text darftellend) dieſe Seite ift, um
fu weniger wird. in allen. Puntten der; Perbigt die directe
ausgeſprochne Abhängigkeit vom Texte fick finden Könwerh
Als Grenze tft bier. zu beſtimmen, Ahß: bad: Maß Aber
fchritten. tft, wenn die Yrebigt nich! achr SErklaͤrung LWe⸗
nigſtens einer Seite) Des Textes iſt und alſo mitt ihm mug
durch ein änßerliches Band C(etwa Gewohnheit ober Vor⸗
fchrift) verbunden: ifk Wenn nat fon die Predigt u u min⸗
te 1b a re am meiſten vonn Themanabhaugig iſt, fo:ergidt
ſich uber ihre Abhängigkeit vom Terte folgender Kanout
dad Verhaltniß ber Predigt zum. Texttzuiſt dar ch das
Thema vermittelt, und wie ſehr biemesh od iſche
Predigt der Forderung, for malhib'liſch zu ſeyn, ent⸗
ſpricht, Gänge. davon ab, wie nahe das Thema dem zu
Grunde gelegten Texte liegt, und den Gedanken des Tex⸗
Zwei andere Einwände, die gemacht werben können,
find hergenommen von ber Geftalt, welche bie: Mrebigt
hat. Es kann nämlich b) gefagt werben. Daß nach biefer
Theorie einer. Art‘ Prebigten, . welche. body: factiſch ges
braͤuchlich fep, Der Name Prebigt.gar. nicht beigelegt werr
den koͤnne, niinelich der Homilie. Nun wird bech.abet
auch won der Homilie verlangt, daß in ihr: ein Gedanle
durchgeführt, bie einzelnen Theile aber durch Die. einzelnen
Theite des Tertes beftimmt feyen. Da muß ich num die
Forderung, die ich an die Predigt Überhaupt madıe, and)
an die Homilie machen. Auch fle wird: zum Thema ein
Urtheti haben, mr wird ſich dies vom Thema einer
BB... sn.
mbern Predigt darin unterſcheiden, daß in dieſem Urcheile
der ganze Text, (oder eine ſolche Vorſtellung, die nur
durch. alle einzelnen Theile des Textes erſchöpfend darge⸗
ſtellt wird) die Stelle des Subjectes (oder Prädi⸗
cates) einnimmt. 3.3. Ueber den Text Joh 46 50.
wärbe gepredigt und in einer Homilie gezeigt, daß, eben
wie bie Juden bei jedem neuen Zeugsifle für Die Wahrheit
mehr ergrimmten,-ganz in derſelben Weiſe wir bei bengleis
hen Zengniffen erbittert werben, ſo würde: dad Thema
etwa fo lauten: Unſer Sonntags Evangelium
(oder: das Betragen der Inden mt unſerm Evangelio) if
ein Bild. derwerfhiednen Grade, in denen fid
unſere Erbitterung gegen bie Bahrheif zeigt.
Die Theile ergebewfich dann fogleich, indem die einzelnen
Theile des Subjestß.,. als eben fo viel einzelne. Snbierte,
mit dem Prüdichte. des Thema's verbunden werben. —
Die. einzelnen Züge ſeyen etwa in biefem Evangelio: Auf
Den: Grund, Den EKhriſtus V. 46 anführt,: ſchweigen
fte, Denim V. schalten fle für einen Beweis feines Pperſon⸗
lichen (nationalen) Haffes (du bift ein Samariter) — V. 51
laͤßt fie Wahnſinn in ſeiner Lehre fehn, — 64 — 68 läßt
fie Steine aufheben, — fo ergäben ſich folgende Urtheile.
1. Ihr Schweigen
2. She perfönlichen. Haß Vorausſetzen A ift Bild unferer
3. Ihr Vorwurf des Wahnfinnes. . | Erbittrung ꝛc.
4. Ihr. Steinigenwollen |
Auch hier werben fich Annäherungen an die Homilie
finden, die es ſchwer machen, die Predigt zu claſſificiren.
Iſt nämlich Subject oder Prädicat des Thema's eine Vor⸗
ſtellung, die nur durch einzelne im Texte zerſtreute Theile
dentlich. gemacht wird (eine Colleetivvorſtellung, gleichſam
die durch Addition hervorgebrachte Summe jener einzelnen
Theile), fo nähert fi die Predigt. mehr der Homilie, —
iſt es mehr ein einzelner Begriff. (bie Eoncentration ded
Textes r fo tritt mehr der Charakter der Predigt im en-
über ben Organismus ber Predigt. 587
gern Sinne hervor. — In der öfter erwähnten Predigt
von Schleiermader ift in dem Thema: „bas Leben Ehrifkt
nach feiner Auferftehung, wie ed die Schrift und Darftellt,
ift ein Bild unferes neuen Lebens” — das Subject: das
Leben Ehrifti u. ſ. w. eine folche Summe einzelner, in ber
h. Schr. zerftreuten Züge, und daher nähert fich Die Pre⸗
digt einer Homilie, und wäre vollig eine Homilie, wenn
alle hervorgehohenen Züge in Diefen Textesworten expreß
ausgedrückt wären, wo deun bad Thema etwa jo lauten
würde: das Leben Chrifti, wie es dieſe Textesworte bes
fchreiben ꝛc. Die Theile in dieſer Predigt. ergeben ſich unn
ganz wie oben, indem mit jedem einzelnen Inge im Leben
Chrifti (ald dem Subjecte) „Bild.unfered neuen ea
als Prädicat verbunden wird; alfo: - - a,
I. Daß er vorher ftarb, Sr,
II. daß er nach dem Tode d erſ ? ide 2 — iſt ein Bild un⸗
war,
eres n
I. daß fein Leben allmählich erſtarkten = en, is "
IV. daß es nur in einzelnen Augen er?
bliden hervortritt,
Predigten diefer Art find es, die man mit. Dem Namen
der fonthetifch » analytifchen bezeichnet hat, eine Art der⸗
felben, gegen weldye Harms in feiner Paſtoraltheologie
wohl ganz ohne Grund fidy ganz und gar erklärt. — Läßt
man aber bei der Homilie Die Anforberimg nicht gelten,
daß in ihre nur ein Gedanke hindurch gehe, und werficht
Darunter nur eine praßtifche Anwendung der einzelnen
Sprüche, zanz ohne daß irgend ein Zuſammenhang nadjs
gewiefen wird — (einige Paltoralanweifungen, welche⸗
fonderbar geyug, eine. Homilie zu machen, ‚für Trichter:
halten, fcheinen dag wirklich Darunter zu verftehn) — fo muß
nach dieſer Anficht der Name Predigt ihr allerdings abge«
forochen werden. Damitfollaber gar fein Tadel ausgeſpro⸗
chen werben. Im Gegentheile, oft wird eine folche unmetho⸗
difche Betrachtung zweckmäßiger ſeyn wegen anderer Um⸗
ſtaͤnde, als es eine ſtreng gearbeitete Predigt — * dann
Cheol. Stud. Jahrg. 1834.
.
* EN ”.‘. .
a vocrd- °. ‘
F er k
begrüße man ſich mit der Zweckmaͤßigkeit, und verlange
micht den Woßen) Namen Predigt für bad, was in andrer
Hinſicht mehr if, nämlich gefegnete, erbauliche Betrachtung.
&) Endlich aber kann nach dem, wie.die Predigt facs
Ih daſteht, der Einwand gemacht werben, daß meine
ganze Deduction eine Erſchleichung ſey. Indem nämlich
Menand unter Thema das verſtehe, was ich, ſeyen alle
Yon: mir: varaus, Daß bie Predigt ein Thema haben müſſe,
gemachten Folgerungen ungültig. Daß aber in ber That
Niemand unter Thema Dieß verſtehe, das werde «) durch
üße Prebigten ˖ bewieſen, denn ba, wo das Thema anges
kundigt wirb, am Schluffe des Einganges, da werde höchſt
felten ein Urtheil angekündigt, fondern weit häufiger ent
weber nur das Dbject der Betrachtung, oder eine Frage. —
Diefer Einwand findet aber feine Erledigung, wenn nur
bedacht wird, daß ein großer Unterfchied ift zwifchen ber
Veberfchrift einer Predigt und ihrem Thema, Jene zeigt
nur an, worüber „dieſes auch, was gefprochen wird.
Und das, was am Schlufe des Eingangs angekündigt wird,
ift gewöhnlich Die Heberfchrift, höchft felten wird das The⸗
niu augekundigt, und ich halte das — warum, darüber
fogleich — für fehr zwedmäßig. Wenn nun etwa die Ans
kandlgung bed Objects der Predigt mit den Worten geges
ben. wird; wir wollen betrachten „was Demuth ift,“ fo
wird es wohl Riemandem einfallen die Worte: Was ift
Demath? für ein Thema zu halten, fondern diefes
kommt erft sum Vorfcheine, wenn Die Frage beantwortet
iſt. Die Frage iſt das Nrtheil, in welchem duͤs Subject
oder Praͤditat geſucht wird, iff der gefuchte Begriff gefun⸗
den, fo iſt erſt das Ursheil volfländig. In diefem Falle
iſt erſt die aufgeworfene Frage, mit ihrer Ants
wort-ald ein Say ausgeſprochen, bad Thema.
Was mid nun bewegt, biefe Weife, wo man das Thema
nicht nennt, für zweckntaͤßiger zu halten, finb Geſichts⸗
punkte der rhetorifchen Taktik. Sie erhält den Zuhörer
in feibfirhätiger Spannung, und zwingt ihn, den fehlen,
über den Organisnius der Predigt. 389
z ı
ben Begriff mit zu fuchen, während, wo das Thema ganz
ausgeſprochen iſt, dev Zuhörer ſchon weiß, wohin Ates
zielt, And eben der Urſache möchte ich es auch in Den Weis
fien Fallen vorziehn, bei Angabe ber einzelnen Theile auch
sicht die in ihnen zu erplicirenben Wetheile CiyrsTKematın
mit dürren Worten auszudrücken, fondern andy hier lieber
Die Gefichtöpunfte anzugeben, oder die Themata unvoll⸗
fländig bb. als Ftagen anzugeben. Dieſe Taktik wird
num von ben Älteen Predigern ſehr vernachlaͤſſigt, am mei⸗
ften von Neinhapd. Er drückt ſein Thema fehr hänffg bei
der Ankündigung ganz beftimmt aus (z. B. 33. Sonnt.
nach Trin. 1794, DAB::das Lafter immer fchlimmer wird,
je mehr man es verbergen will) , oder wenn er das aud)
beim Hauptthema nicht thut, fo doch bei den einzelnen
Theiten, z. 3. bei der oben betraditeten Predigt: „Man
kann die Zerſtreuung eintheilen in Teichtfinnige, wolluſtige
ui f. w. und nun geht Dev Gang fo-forti.@8 gibt erfilich
eitie leichtſinnige u. ſ. Ww., Daher: aber auch bei ben meiften
rein hardiſchen Prebigten das Gefühl, als fey die Ausfuh⸗
rung ganz etwas Unnützes, weil in’der That etwas Neues
nur am Anfernge jedes Theilsin einem Satze gefagt wird. —
Vergl. etwa in Diefer Beziehung zwei Predigten über
Ephe 6, 4. son Zollikofer Predd. Lpz. 1772. und von
Schleiermacher Predd Ab. Hausſtand. Damit will ich nun
durchaus nicht geſagt haben, daß in einem Kalle das The⸗
ma angekündigt werben folle. In ber öfter erwähnten
Oſterpredigt von Schleiermacher iſt dieß sefchehn.: Da
hat es aber die Gefahr nicht, daß die Aufmerkſamkeit er⸗
lahme, da das, worauf es eigentlich ankommt, bie einzel⸗
nen Züge ber Achnlichkeit, von Dem Zuhörer zugleich mit
dem Redner noch geſucht werben. — Es war der Zweck
diefer Digreffion Aberhaupt nur der, zw zeigen, daß bie
gewöhnliche Weife, ven Gegenſtand ber Predigt anzukün⸗
Digen, nieiner Theorie nicht widerfpricht, weil bie rhetvri⸗
fche Taktik es oft, $a in den meiften Fällen —— —
das Thema nicht zu nennen.
89 *
E 4
590 ——— Erdmam do
M Bühtiger.abertöunte der Einwand erſcheinen ger ‚
gen die Richtigkeit meiner Definition: von Thema, wenn
man, auch auf die Erfahrung provocirend, ſagte, Daß die
Wenigſten, indem fie ihre Predigten arbeiteten, ein The⸗
ma in dem anfgeftellten Sinne hätten, und wenn nun etwa
die, welche anerkannter Maßen die beſten Kanzelrebner
find, ſelbſt behaupteten, ihre Predigten ſeyen nicht Expli⸗
cationen eines Thema's in Dem angeführten Sinne, fo
fcheint das allerdings dem Behaupteten Den: Todesſtoß zu.
verfegen, weil jene doch wohl am beiten willen müſſen,
was ihre -Prebigten feyen. ‚Aber gerade dieß Pete. möchte
ich, fo paradox das foheint, nicht unbedingt gugeben. Es
iſt mit den methodiſchen Predigten, wie mit dem Iogifchen
Denken; wie jeder Verſtändige, auch ohne Logik ſtudirt zu
haben, ihre Regeln befolgt, fo iſt es ſehr, möglich, dag en
methodiſcher Sinn den Redner fo: leitet, Daß-feine-Prehigt
den aufgeſtellten Forderungen ganz genügt, ohne Daß: er
fich eines Thema's bemußt iſt. Da kann er aber auch nur
ſagen: ich babe kein Thema durchgeführt, aber fagt. ex:
es ifkin der Predigt Feins-Durchgeführt, ſo kaun er ſich
darin allerdings irren, ganz wie Jener vielleicht Recht ha⸗
ben kann darin, daß er Feine Togifchen: Regeln (bewußt)
befolge, aber Unrecht darin, daB alfo fein. Denken ein un⸗
kogifches fey. Das Lebtere, Daß in .einer Predigt, ohne
baß der, der fie machte, fich deſſen bewußt. war, ein The⸗
ma ganz erplicirt iſt, iſt fogleich- bewiefen , ſobald jene
Cohne Thema gearbeitete) Predigt in, einen gum Thema
paffenden Satz · zuſammengezogen werben kann. Nur wenn
dieß gar nicht gebt, d.h. wenn durchaus nicht Ein Ge⸗
banke. als der Inhalt der Predigt nachgewiefen werben
fan, dann verbient fie allerdings nad) Dem. Aufgefkelften
Tadel, dieß iſt aber feltner der. Fall, als man auf den er⸗
ſten Anschein meinen woͤchte. — Wenn nun auch der me⸗
thodiſche Stan Viele.inflinctartig den oben ‚angeführten
Forderungen ejtſprechen läßt, fo kann ich doch nicht ums
hin, zu MER: daß Alle mit; Bemußtichn rinen fireng
‚über den Organismus der Predigt. 591.
methobifchen Durchführung bed Thema's ſich befleißigen.
Zucht ift Jedem zu empfehlen. Es wärde auch bei den
glüdlich Begabten, denen ſolch methodifcher. Sinn eins
wohnt (und wie vielmehr bei denen, in welchen er ‚nicht
ſolche Macht Ha, die Einheit der ganzen Predigt gewin«
nen, und viele Appige Seitenfchößlinge würden abfallen.
Dann aber, und das ift das MWichtigfte,. würde bie Art der
Eintheilung und Dispofition mehr herrfchend werben, die
der Predigt eigenthümlich ifl. Es würden bie Dispoſitio⸗
nen verfchwinden, die Einen wie Uniformen gemahnen, in
die jeder Gedanke hinein gepreßt wird, der das Ungläd
hat, Thema zu werden, jene Abtheilungen. und Unterabs
theilungen, bie fein Zuhörer ohne Mühe behält, weil fie
von Außen herzugebracht find, und die bei anerfannt treff«
lichen Rebnern die Predigt fo ungenießbar werden laffen,
jene äußeren Gefichtöpuncte, die, ftatt die Aufmerkſamkeit
zu fefjeln, fie vielmehr von dem Gegenftande ablenken,
eben auf Das Beiwerk hin, was gar nicht im Gegenftanbe
liegt. Wahrhaft methodifche, organifche Eintheilung und
Dispofition der Predigt ift das Einzige, was den Zuhörer
fo mit fich zieht, daß er Feinen Zwang fühlt, fondern das
Gefühl hat, es können nicht anders als fo die Theile fich
folgen, und ich kann e8 nicht leugnen, Daß viele fonft treffs
liche Predigten gerade Durch den Mangel an methobifcher
Strenge fo kalt und langweiligwerben, indem fle das Ger
präge einer altmodifchen Pedanterei an fidh tragen. So
gewiß ich weiß, daß eine Predigt bis in Die Heinften Pars
tieen hinein, ja bid auf jeden einzelnen Sak ftreng dis⸗
ponirt feyn muß, fo muß ich doch auch geftehn, Daß ich
lieber gar Feine, als eine, nicht mit Nothwendigkeit Durch
das Thema gegebene, Eintheilung mag. —
Dieß wären nun bie Einwände, die man meiner Mei⸗
nung nach gegen meine Anſicht machen kann, einen andern, den
nämlich, Daß dann eine Predigt ſich nicht von einer Abhand⸗
lung unterfcheide, kann ich erſt unten sub II. berückſichtigen.
DI, Das Dritte, was ald allgemein zugeſtanden vor⸗
N. :. Erdmann
ausgeſetzt warh, wars Die Predigt hat üherall die
Beſtimmung, in der Kirche gehaltenzuwerden.
Sie ſoll gehalken werben. Hat fie. dieſe Bes
ſtimmung, fo fallt. fie alin fogleich in das Gebiet ver Rede,
und es fragt fi nun, was Daraus, daß die Predigt eine
Rede ift, fidy für Anforderungen ergeben, Die man an fie
machen darf... Das, was der Rebe ihren beftimmten has
rakter gibt und fie unterfsheidet von jedem auderu Kunſt⸗
wert in Worten, ift dies, Daß fie immer den Zweck hat,
in Dem Zuhörer eine beftimmte Millensentfchließung gu wir
fen (Atidc. als Zwed der Rede), Wenn nun die Predigt
eine (geiftlihe) Rebe ift, fo muß alſo auch an fie die
Forderung gemacht werben, baß fie auf den Willen wirfe,
und MWillensentfchließung hervorbringe. In dem gemöhns
lichen Ausdrucke, bie Predigt fol erbauen, liegt daſſelbe.
Erbauen fügen, alfo Kraft vermehren. Eine Kraft ift
nicht ohne Aeußerung, eine Erbauung nicht ohne Bezie⸗
bung auf dag Leben, and auf die felbfibewußte Kraft,
worqus das Leben heruprgeht, d. h. den Willen. — Diefe
Wirkung muß aber eine eigenthümlicher Art ſeyn, denn die
Predigt fol, gehglten werben in ber Kirche, in der Ger
meinbe, and fo muß denn Die von der Predigt gewirkte
MWillenkentfchließung eine folche feyn, Die mit dem Zwede
des Gottesdienſtes, der Erhöhung des religiöfen Lebens,
in Verbindung fteht, Die Predigt muß alfo eine religiöſe
Willensentſchließung wirken. — Hieraus möchte
vielleicht Mancher folgern, daß ich nur Die fogenannten mo⸗
salifchen Predigten ftatuire. Sch muß deshalb hier kurz erin⸗
nern, baß ich die Eintheilung der Predigten in Dogmatis
ſche und moralifche verwerfe, erftlich weil Moral und
Dogmatik Theile der Wiffenfchaft find, und alfo Mos
ral predigen fo viel hieße, als Wiffenichaft predigen, was
ein Unfinn wäre, — zweitens aber, weil nach meiner
Meinung eine Predigt, die zum fittlichen Leben ermahnte
ohne eine Beziehung auf den Glauben, Feine chriftliche,
Dagegen aber die Daritellung einer Glaubenslchre ohne
über den Organismus ber Predigt. 393
Beziehung aufs Leben (wenn es eine ſolche gäbe) eine
todte Lehre wäre, Der Mittelpunct des chriftlichen Lebens
ift Die Verföhnung mit Gott, jeber geiflige- Lebensmament
fo wie jede Erregung des geifligen Lebens muß darauf ſich
beziehn. Wenn nun in jedem Augenblicke entweder vor⸗
wiegen wird das Bewußtfeyn der vollendeten Verföhr
nung, oder das der noch nicht vollenbeten, fo em
gibt fih von ſelbſt, daß diefer relative Unterfchieb auch
den verfchiedenen Willensentfchließungen ihren verfchiebes
nen Charakter gibt. Iſt das Bewußtfeyn vorwiegend, daß
die Berfühnung vollendet ift, fo wird die religiöfe Willens⸗
entfchließung dahin gehen, ihrer theilbaft zu bleiben, herrfcht
das Bemußtfepn vor, daß wir ald Einzelne ihrer nad
nicht ganz theilhaft find, fo dahin, ihrer theilhaft zu wer⸗
den. Und fo hat denn eine jebe Predigt, ba fie eine relis
giöfe Willensentfchließung wirken fol, die Pflicht, den
einen oder den andern. Entfchluß zu wirken. Wo nicht
Eines oder Das Andere durch fie hervorgebracht wirb, ba
hat fie ihren Charafter als geiftliche ee ———
und iſt eben nicht Predigt.
Wenn nun aber vorher ſich als das Reſultat uuferer
Unterfuchung ergeben hat, baß die Predigt nur Explica⸗
tion ded Thema’s, und mit dem Thema alſo die ganze
Predigt gegeben ift, Dazu num aber dieſe neue Beſtima
mung binzugetreten iſt, fp folgt Daraus: nicht nur, Daß
Die ganze Erplication des Thema's ber Art ſeyn muß, Daß
fie auf den Willen wirfe d. h. chetoriſch, ſondern auch dag.
Thima felbft feine Beziehung auf eine Willensbeſtimmung
ausivrechen muß. Soll die Predigt praftifih ſeyn, fo kann
fie eö nur, indem auch fchon ein praktiſches Thema. ger
wählt ift. Und hier möchte daun auch die. oben ermähnte
Frage ihre Erledigung finden: worin fich Die Predigt von
einer Abhandlung nuterfcheide? Die Antwort it: Im
Thema und alfo auch in der Ausführung. Ein Thema
für eine Predigt and eine Abhandluug iſt eine Unmöglidhs
feit, deun jene muß auch im Theme ihre. praktiſche, dieſe
594 . Erbdmann
anch im Thema ihre, nicht auf den Willen gerichtete, Ten⸗
benz zeigen. Ein Verſuch, das Thema einer Abhandlung
in.einer Predigt zu bearbeiten, wird es zeigen, wie man
immer : Die Beziehung auf den. Willen hinzuträgt. Und
wenn man nun nachher die ganze Summe der Predigt in
einem Sabe wiederholte (alfo das Thema ertrahirte), fo
würde fich’8 zeigen, daß auch dieſer Satz die praftifche
Tendenz enthält, und alſo nicht mehr das Thema der
Abhandlung iſt. Eben ſo wenig aber, als das Thema ei⸗
ner Abhandlung ein Predigtthema abgeben kann, eben ſo
wenig paßt ein erbauliches Thema d. h. eins, welches bis
recte ſeine Beziehung auf eine religiöſe Willensbeſtimmung
zeigt, zu einer Abhandlung, oder es muß dieſe Beziehung
von ihm abgeſtreift werben, wodurch das ie in der '
That ein ganz.anberes würde.
. Wenn nun dieß paränetifche Element in der ganzen
N redigt feyn muß, und nicht etwa nur im Schluffe, fo
folgt alfo, daß auch die Themata der Theile dieſe Natur
haben müſſen, auch fie Dürfen nicht Themata einer Abhand⸗
Kung ſeyn, und fo folgt daraus, daß die ganze Dispoſi⸗
tion diefen Charakter zeigen muß.
Wenn nun eben fo wie Die Forderungen ib I. und IL,
auch diefe sub.IH. als Maßſtab an unfere Predigtliteratue
gelegt wird, ſo koönnen wir in dieſer Hinficht ung am mei
ften rühmen, im Vergleiche mit den vergangnen Decennien
große Fortfchritte gemacht.zu ‚haben. Hier möchte we⸗
gen ber Maffe es fchwer feyn, einzelne Ramen bemerklch
zu machen, ohne andern zu nahe zu treten. Diefe For⸗
derung iſt allgemein anerfannt... Eben deswegen habe ich
gerabe diefen Punkt nur ganz kurz berührt, hier war Fein
. Widerfpricch zu erwarten, hier kann auf Vieles verwiefen
werben, was 3. B. Harms theild praktiſch geleiftet, theils
in feiner Paftoralthenlogie, theild noch neuerlichk in den
Stud, und Krit. („Mit Zungen reden“) gelehrt hat. —
Ich hätte gerade deswegen: Diefen Punct ganz außer Acht
gelafien, wenn nicht der lebt erwähnte. Einwand zu bes
>
N
n
)
- Aber ben Organismus ber Predigt. 595
feitigen gewefen wäre. Wir. müſſen uns frauen, baß die
Zeit vorbei ift, wo nur praftifche Klugheitsregein, ober
todte orthobor klingende Formeln auf bie Kanzel gebracht
wurden, ber rhetorifche Charakter der Predigt ift mädtig
hervorgetreten,, aber e8 iſt nicht zu leugnen, daß je mehr
das Gewaltige und Erhabne, was in diefer Hinficht manche
Predigten heutiger Tage (z. B. die des jüngern Krums
macher) leiften, anerkannt wird, daß um fo mehr fich auch
die Heberzeugung aufdrängt, wie dieß allein auch nicht
die Predigt macht, und wie mit folcher File der. Kraft,
wenn die andern Korderungen nicht vernachläfftgt würben,
auendlich viel mehr — würde.
Das Refultat dieſer Unterfuchung alfo ift, daß die
Predigt formal bibliſch, methodiſch und praktiſch
(rhetorifch) ſeyn fol. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß
hiermit nicht alle Forderungen ausgeſprochen ſind. Es
kann eine Predigt dieſe alle erfüllen, und, weil ſie etwa nicht
den Bedürfniffen der beitimmten Gemeinde enstfpricht u. dgl.,
fehlerhaft feyn. Ich habe nur auf einzelne Punkte aufs
merkſam machen wollen, die mehr die Form der Predigt
betreffen, Die aber befonders berückfichtigt werben mußten,
weil fie fowohl in Predigten, ald auch in homiletifchen Anz
weifungen verhältnigmäßig außer Acht gelaffen werden. —
Wo das Erfte jener drei Elemente auf Koften der übris
gen vorwiegt, ba wird fie mehr einer erbanlichen. Schrifts
erklärung, wie etwa die alten Homilieen find, ſich annäs
bern, wo das zweite, wirb mehr eine firenge Begriffs⸗
beftimmung gegeben, die für den Religionsunterricht
paßt, — wo. das Dritte, da wird mehr der Eharafter
caſueller, auf Einzelne berechneter Reden erfcheinen. Die
verfchiebenen Bedürfniffenun der Zuhörer, das verfchiedene
Intereſſe, welches bei Einem dahin geht, den Sinn einer
ſchwierigen Schriftflele einzufehen, bei dem Andern, feine
teligisfen Begriffe zu ordnen und in Einklang zu bringen —
bei dem Dritten, Troft und Stärkung in beflimmten Lagen
3
596 Erdmann aber den Drganismma der, Predigt.
des Lebens zu finden, dieß iſt es, was über eine und dies
felbe Predigt fo verfchiebene Urtheile füllen laßt. Am we
‚ nigften abhängig von ber zufälligen Befchaffenheit der Zus
hörer, eben darum aber auch am meiften ihrem Zwede bei
Allen entfprechend, wird die Predigt feyn, die alles Drei
vereinigt. Daß nun die erfte Forderung mit der dritten
fich fehr gut vereinigen laſſe, wird wohl zugegeben werben,
weniger vorauszufeßen iſt das von der zweiten. Die fo
beliebte Trennung von Kopf und Herz (als fey jener herz
und dieſes Fopflos) hat es dahin gebracht, daß man zu
glauben ſcheint, wo methodifches Denken ftatt finde, da
leide das Gemüth und Herz Schaden. Schreiber dieſes
muß geftehen, daß eigene und fremde Erfahrung ihm ges
zeigt hat, wie gerade die Predigten am meiften' wirfen, in
welchen das Methodifche nicht zurücktritt. Eine mehrjäh:
rige Amtswirkſamkeit bei zwei Gemeinden, deren eine höchſt
Sebildete enthielt, während die andere nicht nur in Bils
dung weit hinter jener zurückſtand, fondern auch einer an-
dern, fehr armen, Spradhe fich bebiente, hat ihm dieß bes
ftätigt. Selbſt in der lebtern, die auf einer niebrigern
Kulturfiufeftand, ald man es in Deutfchland finden möchte,
bei der aber, zum Theile durch Mifflonarien der Brüder
gemeinde genährt, ein fehr reges religiöfes Leben herrſchte,
hat fich ihm immer die Erfahrung wiederholt, wie ‚gerade
die Predigten, weldye am ftrengfien nach den angegebenen
Zorderungen disponirt und ausgearbeitet waren, nicht
nur am -meilten ein dauerndes Nachdenken erregten, fons
dern auch den größten Eindruck machten. |
Schließlich nur die eine Bemerkung, daß, wenn meine
Bemerkungen auf größere Schwierigkeiten in bem Dispo⸗
niren ꝛc. ꝛe. einer Predigt aufmerkſam gemacht haben, old
man gewöhnlich darin zu finden pflegt, ich: aufrichtig ber
kennen muß, daß bamit ein großer Theil meiner Abficht
erreicht iſt. —
— — —
Gedanken und Bemerkungen.
je 37 1 1 U
re ñ— — — ——————— — — —
—2
Bemerkungen zu. der Abhandlung deö Herrn
Grashof über: Die: Blasphemie deb heiligen
Geiſtes in den theol. Stud. und Kritik.
1888. Hft. 4.
ei - ei — es
EER Gurlittt
. Paltor zu Billwervet bei Hamburg,
2 — ——“ ee en —
Die in der Ueberfcheift bezeichnete: Abhandlung. führt
zu dem Reſultate, daß bie. Blasphemie des heiligen Geis
fies eine Sünbe fen, welche wirklich durchaus nicht fünne
vergeben werben , weil. ſie allemal hervorgehe aus einem
fittlichen Zuftande, in welchen der Menſch ſich durch eigne
Schuld für Die erſte Bedingung der Günbenvergebung,
für Buße und Bekehrung, unfähig gemacht habe. : Diefer
fittliche Zuftand. wind ſodann näher beſtimmt. Es wird ber
hauptet, daß derſelbe ſich nur bej denen finde, Die zur vollen
Keuntniß der Wahrheit vorgedrungen find, d. h. Die nicht
nur das Gute, Gottes heiligen Willen, in feiner Fülle, ſon⸗
dert auch nie Verpflichtung, demfelben unbedingt und überall
zu gehordyen, erkannt haben, und. doch freiwillig (frei von
dem Einfluffe finnlicher Neigungen, Leidenfchaften, Bors
artheile u. dgl, aus eigner Selbſtbeſtimmung) fünbigen
| oder dem Gurten widerfireben ,. eg alſo mißbilligen, vers
ı werfen, hindern.. Dieß wird auch noch anders —
600 Burlitt
Es wird geſagt, daß die Blasphemie des heiligen Geiſtes
vermittelſt eines völlig unabhängigen Willensentſchluſſes
hervorgehe aus einem mit dem vollen, klaren Bewußtſeyn
der ewigen Wahrheit verbundenen Haſſe gegen das Gute,
als ſolches. — Dieſe Beſtimmungen theils zu widerlegen,
theils zu beſchraͤnken, und fo den in Frage ſchwebenden
Gegenitand feiner Erledigung näher zu bringen, ift der
Zweck der nachfolgenden Bemerkungen.
NZuerſt leiden die angeführten Beftimmpilgen an einem
innerg Widerſpruche. Es wird ein Haß gegen bas Gute
yoftulirt, der auf der einen Seite mit vollfommner Er |
kenntniß, auf der andern mit freier Selbftbeftimmung ver:
bunden fey. Diefe Momense. find nicht zu vereinen, wie
ſich bald zeigt, fobald man nach. der eigentlichen Natur ded
Haffes fragt. Der Haß ift immer ein Widerftreben des
Geiſtes gegen irgend eine Befchränküng oder Gefährdung
entweder des individuellen oder des gemeinfamen Lebens,
gleichwie die Liebe ein Hinftreben ift zu dem, was eine Er
weiteruitg oder Erhöhung des Ledens bielet. Wer dem⸗
ad daß: Gutehaßt, widerſtrebt Bentfelben',. nie a“ fic
ihm in dert: Weg ſtellt, fey es in Wort und Schre, wider in
Thaten und Geſtunungen der Menſchen, uber: in den eige⸗
Ken: Gedanken; er thutes aus dem: Grunde, weil er ſich
dadurch in ſeinen beſondern oder in allgemein menſchlichen
Jutereſſen und Beſtrebungen eingeengt und: aufgehalten
ſühlt. Auch wenn man vbn einem Haſſe gegen das Gute
ails foldjes, von einem reinen Haſſe gegen das Gutsredet,
kani mean damit nur bevorworten wollen, vaß der. Grund
des Widerſtrebens nicht: in gewiſſen außerlichen Zufällig.
kerten bei Erſcheinung des Guten Liege, z. B. nicht Darin,
daß man dureh die, welche das Gute rhun und fordern,
fih in feinem Beſitze, ſeiner Ehre angegriffen und beein⸗
truchtigt ſieht. Keinesweges aber darf man. leugnen
wollen, daß bei eitein ſolchen Haſſe ent doch die Idee
md Offenbarung des Guten an⸗und fr: ſich als etwas
über die Blasphemie bes heil. Geiſtes. 601
Baſtiges, Drucendes, Hinberliches empfunden werde. Sonſt
würden wir hier zuletzt auf eine Lebensrichtung gefahrt,
die gar keinen Grund und Boden, gar keinen Anfang hätte,
Gleichermaßen ſchließt der Begriff einer reinen Liebe zu
dem Bitten allerdings jede Rückſicht auf aͤußerliche Vor⸗
theile aus, die etwa mit der Uebung des Guten verbunden
ſind; aber nicht auch dieſes, daß man in dem Guten das⸗
jenige ſieht und erkennt, was das innerſte Suchen und
Verlangen des Herzens zur Ruhe bringt. — Iſt das rich⸗
tig, fo laßt ſich freilich der Haß gegen das Gute mit einer
deutlichen Erkenntniß des Guten und ſeiner verpflich⸗
tenden Kraft in Verbindung denken. Man kann in die⸗
ſem Falle fchen deßhalb fich wiber Das Gute auflehnen,
weit man dadurch verpflichtet werden fol, weil man
es für eine laͤſtige Feffel hält, die man zerfprengen möchte,
Allein wo bleibt die freie Selbftbeflimmung? Freie Selbfts
beſtimmung findet nur da flatt, wo man nad) einer Deuts
licher ober dunkler gedachten Grundanficht von -den Din
gen, nicht nady Stimmung und Laune handelt; wo man
fo handelt, daß man auch bei nüchterner Recapitulation
deſſen, was man gewollt und ins Werk geſetzt hat, damit
zufrieden bleibt. Wie kann nun ein Menfch mit nüchternen
Sinnen fein Widerftreben gegen das Gute billigen, went
er doch erkennt, Daß er verpflichtet ift, daſſelbe anzundhs
men und zu Üben? Er könnte biefem: Ich foll nur
entgegenfegen ein: Sch will nicht, es ift mir einmal
läſtig und zumwiber ; und darin wäre Beine Vernunft) es wäre
die Sprache Des Eigenfinnes, der immer auf einen gebunbes
nen unfreien Zuſtand beittet, ober maıt ginge von ber Au⸗
nahme aus, daß der eigne Wille eben fo viel und mehr ber
deute, ald der göttliche Wille, Der jened Soll ausſpricht.
ketzteres hieße die verpflichtende Kraft bed Guten leugnen,
was der Vorausſetzung zufolge nicht gefihehen darf; Erz
fieres hebt die freie Selbftbeftimmung auf, für welche dems
nach unter ſolchen Uniftänden Tein Raum übrig bleibt. —
Indeſſen wie reben bisher von dem Haffe gegen das Gute
nur in fo weit, als er ein Widerfircben gegen Befchrän
kungen bes individnellen Lebens iſt. Wie? wenn flatt defs
fen jemand das Gute haßte, weil er barin eine feindfelige
Beengung der. menfchlichen. Freiheit überhaupt erblidte?
Gedenkbar ift der Fall, und dann würde ein ſolches Wis
derftreben allerdings ans Orundfag, in Folge einer allge
meinen Auficht-und Ueberzeugung, nicht in Folge der-pers
fönlihen Stellung zur Sache entſtehen, es würde freie
Selbſtheſtimmung dabei flattfinden. Aber nun wäre wie,
ber keine Deutliche Erkenntniß, kein volled, klares Be
wußtſeyn der Wahrheit vorauszuſetzen. Sonft müßte man
ia fehen, daß das Gute die gemeinfomen menfchlichen Ins
tereffen nicht gefährbet, fondern fördert.Ueberdieß iſt
Haß gegen das Gute:qus Mitgefühl etwas, was. fich in ſich
ſelbſt widerſpricht, und daher jmmer auf Mißverſtand bes
ruhen muß. Oder iſt jenes Mitgefühl, jenes Hingusſehen
über bie Schranken des individuellen Daſeyns nicht bereits
felbft etwas Gutes? — Daraus ergibt fie) ‚Denn, quod
erat demonstrandum. Haß gegen das Gute, deutliche Ers
kenntniß des Guten und feiner perpflichtenden Kraft,
freie Sefbftbeftimmung find unvereinbare Dinge, aus des
nen. fich fein Zuſtand eines lebendigen Denihen, conſtrui⸗
sen läßt.
Zum andern iſt ſehr zu bezweifeln, ob man die vollen⸗
dete Sündhaftigkeit, Die augravontog xupöle, überhaupt
als einen Haß gegen das Gute bezeichnen durfe. Wie mar
darauf verfällt, iſt Leicht einzufehen, Indem man auf ber
einen Seite in ber reinen Liebe zum Guten die Vollendung
ber göttlichen Geſinnung fieht, glaubt man auf der andern
als Vollendung ber. ungöttlichen Geſinnung den reinen Haß
gegen das Gute fegen zu können. Allein. hier befleht Der
Hanptirrthum.barin, daß Haß und Kjebe ſich gar nicht cons
trabictorifch entgegengefeht find, daß Die eine diefer Geſin⸗
nungen nie eine vollige Negation ber andern iſt. Beide Diners
’
über die Blasphemie bes heil, Geiſtes. 603
giren zwar in ihren Richtimgen auf das entfchiebenfte, in
ihrem Wefen aber find fie verwandt. Der Haß hat mit
ber Liebe das gemein, daß er feinem Gegenftande eine. Reas
lität, einen Werth, eine Bebeutfamkeit zuerfennt, und deß⸗
halb, darch denfelben in: Bewegung gefeßt oder in Bewes
gung erhalten wird. Der Unterfchieb befteht darin, daß
der Haß bie Realität und Bedeutſamkeit feines Gegenftans
Des von ſich: fern zu halten: und zu vernichten, die Liebe
aber dieſelbe zu erhalten, zu erhöhen und ſich anzueignen
firebt. Geſetzt 3: B. ich haffe einen Menfchen ‚wegen feis
ner Schlechtigkeit; fo wird doch Der eigentliche Grund
meines Haffes nicht fowohl in - feiner Schlechtigkeit an
und für fich betrachtet, als vielmehr- in den begleitenden
Umftänden liegen, barin etwa, daß diefe Schlechtigkeit mit
Macht, Anfehen, Berftand u. f. w. verbunden ift, alfo et⸗
was bedeutet. ‘Den einfeitigen, ohnmächtigen: Böfewicht
haßt man nicht; man bedauert oder verachtet ihn.: Wie
denn Göthe mit Recht von dem Teufel fagt:
Ein Kerl,. den alle Menſchen ala
Der muß was feyn.
Jene geheime Berwanbtfchaft nes Haffes md der Liebe
wird noch deutlicher, wenn man bebentt, daß es möglich
ift, denfelben Gegenſtand in dem einen Augenblicke zu hafs
fen and in dem andern zu lieben, ohne dag man in feinem‘
Urtheile über den Werth defielben das Geringſte veräns
dert, bIoß weil man feine Stellung gegen benfelben verän«
dert hat. Dem Geldgierigen z. 8. ift das Gelb ein Ges
genftand der Liebe, wo es ſich ihm zugänglich und erreich⸗
bar zeigt; wo er fich aber vom Beſitze deſſelben ausgefchlofs
fen fieht, wird es ihm ein Gegenfland des. Hafles, zunächſt
des Neides, der aber nur eine befondere Erfcheinung ber
ganzen nach Bernichtung firebenden Geſinnung ift, bie wir
Haß zu nennen pflegen. — Demgemäß ift nothwendig derje⸗
ige, welcher das Gute haßt, wenigftens Darin Dem Anbern,
der es liebt, gleich, daß er die — des — ſeine
Du.
Macht und Bedeutſamkeit anerfenat, ſich Durch duſſelbe
beherrfiht und gebunden fühlt; und das iſt nicht anders
mögftich, ald indem Nnch etwas in ihm, nämlich das Ge⸗
wiffen, für das Gute redet, und ſo einen: Widerſtreit zwis
fchen dem Sollen und Wollen Fühlbar macht. Wo aber
noch das Gewiſſen eine Stimme hat, wo noch ver bezeich⸗
nete Widerſtreit empfunden wird, wie ſehr mars ſich auch
dagegen ſtraäuben möge; da iſt nwoch ein Schimmer vvn der
Liebe zum Guten vorhanden, ber inwendige Mounſch, wel:
eher Luſt an dem Geſetze Gottes hat, iſt noch nicht geſtor⸗
ben, die Sünde hat noch nicht ihre Vollendung erteict.
Denn alödann gebiert; fie eben den Tod. Jac. 1,15. —
Diefe Betrachtung führt und einen Schritt weiter. Gie
lehrt uns, daß wir nicht nur im Haffegegen Das Gute, ſon⸗
dern in einem jeden Zuftande des menfchlichen Herzens, in
weldyem die Erfenntniß von der verpflichtenden Kraft bes
Guten .eine Stätte hat, die Vollendung der Sünde verges
bens fuchen, daß alfo dieſes Poſtulat durchaus anfzugeben
iſt. Wir müffen vielmehr einen Zuftand ſuchen, wo bie
. verpflichtende Kraft des Guten und damit zugleich das Ge⸗
wiffen völlig befeitigt ift. Auf keinem ander age rommen
wir zum Ziele.
Wie wollen wir uns nun die Moglichkent denken, daß
ein Menſch mit feinem Gewiſſen vollkommen fertig werde,
es nicht nur in Augenblicken der Leidenſchaft trotzig zu uns
terdrüden, fondern auch: bei Harer, ruhiger Befinnung
gleichmäthig zurückzuweiſen wife? Nicht anders .mag es
geſchehen, ald nachdem er bei ſich ſelbſt ausgemacht hat,
daß das Gute Äberhaupt nichts fey, daß der ganze Unter⸗
ſchied zwifcyen gut und böfe eingebildet und eine Menſchen⸗
erſindung fey; daß es folglich durchaus fein allgemeines
Geſetz gebe, welches der Menſch beobachten müfe,. fons
bern daß ein jeder frei und ungehinbert than vurfe, wozu
er Neigung und Vermögen habe. Denn fe lange man ˖ das
Gute irgend noch gelten und etwas ſeyn läßt, wird man
über die Blasphemie des heil. Geiſtes. 605
bes böfen Gewiſſens nicht los; man muß es durchaus ver⸗
leugnen. Hat man es dahin gebradıt, fo iſt dee Staud
ber Unbußfertigkeit wirklich vollendet. Nun hält mau, nach
feiner Meinung mit vollem Rechte, alle biejenigen, welche
von dem Önten reden und rähmen und es barftellen wol⸗
len in ihrem eignen Leben, entweder für aberwitzige Tho⸗
ren, die einem Phantom nachjagen unb darüber die hands
greiflichften Vortheile verfchergen, ober für verſchmitzte
Heuchler, die unter der Maske der Rarrheit ihre pfiffigen
Anſchlaͤge deſto befjer auszuführen denken. Selbft was
in der eignen Bruſt noch übrig iſt von Regungen des Ges
wiflend erklärt man entfchieben für Nachklange frühzeitig
eingefogener Borurtheile, für Tindifchen Unverſtand und
Aberglauben, deſſen man fich billig zu fehämen habe, Wie
ſoll dabei Bekehrung möglic, ſeyn? „Die Furcht bes Hersn
ift der Weisheit Anfang.” Der Menſch aber, don wir hier
denten, fürchtet Teinen Herrn mehr; er iſt fein eigner Herr.
Das erfte Erfarbernig der Buße ift die Erkenntniß der
Sünde. Aber wie fell ber die Sunde, feine Sünbe er⸗
kennen, für Den es überhaupt keine Sünde gibt? Nebet
in ihn hinein , ſucht fein Gewiſſen zu fchärfen; er hat:kein
Gewiſſen. Er wird die Mühe belächeln, die ihr euch gebt, -
wie ein Öefunder ben Arzt belächeln würde, ber ihn durch⸗
ans für Frank ausgeben und kuriren wollte. Enblidy, wenn
ihr ihm mit eurer Zudringlichleit allzu verdrießlich werdet,
wird er ech im Ernſte bedeuten, daß ihr ihn mit euren Al⸗
beraheiten in Ruhe laſſen fol. Kurz, treibt es, wie ihr
wollt, ihr werdet zu feinem Ende kommen. — Daß übri⸗
"gend ein folcher Zuſtand nicht bioß-benfbar ſey, ſondern
wirklich in der Welt gefunden werde, bürfte wohl als aus⸗
gemacht angenommen werben Tönen Pur Eine Frage
wäre nach anfzuwerfen, nämlich Die: Iſt ber Zuſtand ber
völligen Verleuguung alled Guten in ber Thar von ber Art,
dag er, wo er einmal eingetreten iſt, Durchand bleiben
muß bis in alle Ewigkeit? denn laͤßt er fich jemals aufhe⸗
: — 40*
ben, bleibt es möglich, daß die Nealität des Guten wieder
anerkannt werbe, nachdem man fich lange völlig Darüber
hinweggeſetzt hatte; fo ift auch noch nicht alle Ausficht anf
Buße und Belehrung abgefchnitten. . Hierauf it kaum ans
ders ald hypothetiſch zu antworten. Liegt der rund, wes⸗
halb der Menfdy das Gute verleugnet, darin, daß er daſ⸗
felbe bisher noch nicht in unentftellter Wahrheit und unter
einer feiner Faſſung angemeflenen Form gefchaut hat, Daß
eö ihm vielmehr in abentheuerlichen Geftalten und auf eine
gehäffige Weife entgegengetreteht- ift: fo muß man ohne
Zweifel. hoffen, daß er unter günftigeren Berhältniffen ans
ders denken und nretheilen lerne. Wäre Dagegen bie reinfte
Erfcheinung ded Guten im fchidlichiten Momente ohne
Kraft, ohne Einfluß auf feine Anficht an ihm vorüberge⸗
gangen; fo wäre er wohl für immer aufzugeben. In der
Praris wird man nie zu beitimmter Entfcheidung fommen;
man wird nie von einem beflimmten Individuum mit voll
Iommener Gewißheit fagen koͤnnen, daß für daſſelbe die
Uumsglichleit, Das Gute anzuerkennen, eingetreten fey.
Allein darum koͤnnte fie doch eingetreten ſeyn, und es ift
immer zu warıten, daß fie nicht eintreten möge.
Blicken wir jest, nachdem dieß feitgeftellt ift, auf das
vorhin Bemerkte zurück: fo läßt fich theils von dort weis
tere Beflätigung entlehnen, theild von hier aus ergänzen,
was noch unvollfländig geblieben ift. — Es warb geleugs
net, Daß der Haß gegen das Gute Das vollendete Gegens
theil von der Liebe zum Guten fey, weil Haß und Liebe
immer noch etwas Verwandtes mit einander haben. Nun
fragt fich, ob denn der Zuftand, in welchen man die Reas
lität des Guten gar nicht anerkennt, einen vollfönmenen
Gegenſatz bilde? und das it, däucht mir, getroft zu bes
jahen. In biefem Zuſtande muß Die Liebe zum Guten, und
zugleich audı Der Haß gegen baffelbe, ſpurlos untergehen;
an die Stelle beider tritt Die Indifferenz. Damit foR nicht
geſagt ſeyn, daß die Indifferenz gegen das Gute in jeder
über bie Blasphemie des heil. Geifles. 607
Geftalt nur auf dem Höhenpunfte der Sünde angetroffen
werde. Es gibt eine Indifferenz aus Trägheit und Unwifs
. fenheit, wo der Menfch ſich noch nicht entfchieben, noch
feine Partei genommen hat. Bon ber ift hier nicht bie
Rede, fondern von ber Snbifferenz aus: Grundſatz und
Ueberzeugung. Sie ift das beftimmte Gegentheil von der
Liebe zum Guten, gleichwie auch fonft 3. B. im VBerhälts
niffe des Menjchen zum Menfchen zwar nicht jebe Gleich»
gültigfeit Die Liebe vollkommen (auch ald Anlage und Mögs
lichkeit) ausfchließt, aber doch diejenige Gleichgültigkeit,
welche auf gänzlicher Berachtung beruhet. Die Verachtung
aber befteht eben darin, daß. man jemanden in feinen Ges
danken vernichtet, ihn als nicht eriftirend betrachtet, keine
Rüdficht auf ihn nimmt, alfo etwas AYehnliches thut, wie
ber, welcher in unferm Falle die Realität und verpflichtende
Kraft des Guten nicht anerkennt. — Ferner läßt fich jetzt
genauer beſtimmen, wie die Gefinnung, von ber wir res
den, fich zum Haſſe gegen das Gute ftell. Wer das Gute
haft, möchte ed aus der Reihe ber Wirklichkeiten tilgen,
fühlt fich aber noch genöthigt, es beftehen zu laſſen. Wer
dagegen auf. dem Puncte angefommen ift, den wir im Sinne
haben, hat Dieß Gefühl der Nöthigung bereits überwuns
ben; er hat erreicht, was ber Haß nur wünſcht. Daraus
ergibt fidy leicht, daß der Haß gegen Das Gute am Ende
zur Berlengnung deffelben und zur Gleichgültigfeit führen.
kann, und-ihr in der Regel vorangehen wird. Weil der
Menfch ſich Durch die Forderungen des Geſetzes beläftigt
fühlt und derfelben gern entledigt wäre, ſucht er darin
ſeine Ruhe, daß er fich einrebet, es gebe Fein Geſetz. Des⸗
gleichen kann die Gleichgültigkeit fech zu Zeiten wieberum
in Haß verkehren, wenn das Gute, das man verleugnet,
nun doch mit Gewalt. in der Welt Etwas feyn will und
fol. Allein daß das Eine und das Andre gefchehen kann,
fließt noch nicht in ſich, daß es andy gefchehen muß. Es
bleibt ein Haß gegen das Gute denkbar, der nicht bis zur.
608 | Gurlitt
VBerlenguung deſſelben gedeiht, und eine Verlengnung bed
Suten ohne Regungen oder Aenßerungen des Haſſes. Der
Unterfchied, auf den wir bringen, ift alfo nicht ſcheinbar,
fondern weientlich. — Endlich koͤnnen wir jeßt entfcheiben,
wiefern zur Vollendung ber Sünde Erkenntniß der Wahr⸗
heit und freie. Selbfibeflimmung erfordert wird. Letztere
darf durchaus wicht fehlen;. denn erft dann, wenn der
Menſch nicht blos in Leidenfchaft und Umneblung der Ge
. danken, fondern bei Flarer, ruhiger lieberlegung ſich von
dem Guten Iosfagt, ift er für die Anftalten zu feiner des
fehrung unzugänglich. Wasaber Die Erkenntniß ber Wahr⸗
beit betrifft, fo ift bebeutende Einfchräntung nöthig. €
wird freilid; vorausgeſetzt, Daß der Menich fidy Dem Guten
nicht wiberfege aus Mißverſtand, indem er einzelne Ma
nifeftationen deffelben falſch beurtheilt und für böſe achte,
wie 3. B. Saulus that, als er den Namen Ehrifti mit Er
bitterung verfolgte; ſondern daß er recht gut wifle, ba%
jenige, was er nicht will gelten laſſen, ſey wirklich bad
Gute, was alle Welt unter diefem Namen meine, und
was man anerkennen müßte, wenn das Gute überall anzu
erkennen fey. Es wird weiter voransgefebt, daß ein
Menfch nach der Gelegenheit, die ihm geworden ift, dad
Gute volllommen hätte erkennen können. Allein das if
auch Alles, Eine wahrhaft erſchöpfende Erfenntnig in dies
fer Hinficht müßte nothwendig die Liebe zum Guten nad
ſich ziehen, und tft daher nimmer mit dem Gegentheil hier
von zu vereinen, Joh. 11, 3. Adın ös lorıw ) aldviogtami.
Wie wenig namentlich eine deutliche Erkenntniß von der
verpflichtenden Kraft des Guten ſich mit. gänzlicher Uns
bußfertigfeit vereinen läßt, ift bereitö bemerkt, Die Stel⸗
len der Schrift, welche bei biefer Gelegenheit angezogen
find, ftehen ung nicht im Wege. Luc. 12, 47 f. wird freilich
gefagt, daß der Knecht, der feines Herrn Willen weiß
und ihn nicht thut, ſtrafbarer iſt, als ein Anderer, der ihn
nicht weiß, Aber das hindert durchaus nicht, daß rin Drit⸗
über die Blasphemie des heil. Geiftes. 089
ser noch in höherm Maße ftrafbar fey, nänlich ber, weicher
von ben Willen feines Herrn, ja überhaupt von feinem '
Seren nichts wiſſen will
Die übrigen Stellen find entweder ähnlichen Inhalts,
oder enthalten nur, was auch wir behaupten, daß ein
Menſch um ſo ſchuldiger ſey, je mehr er die ihm dargebotne
Erkenntniß der Wahrheit nicht beachtet hat. Bei Hebr.
20, 26 ff. aber iſt noch erſt Die Frage, wie ein Menfch Exov-
slag Fündigen koönne, nachdem ur die Erkenntniß der Wahrs
heit empfangen hat, und was es überhaupt mit dem aung-
savsiv in biefem Falle auf fich hat, Die Erklärung hierüs
ber mag einflweilen aufgefchoben bleiben, dis wir unters
fucht haben, wiefern Die evangel. Abfchnitte, in welchen
der Blasphemie des heil. Geiftes Grwähnung gefchieht, Die
Anficht, Die wir vertreten, unterflüßen. Zu Diefer Unter⸗
fuchung fchreiten wir jegt. Zuvor aber fey noch das Mes
ſultat ausgefprochen, das ſich aus Dem Ganzen ber bishe⸗
rigen Berhandlung ergibt: DieBlasphemie des heis
ligen Geiftes geht hervor aus einem Zufland«e
völliger Unbußfertigfeit, wo man mit deut:
iidem Bewußtfeygn und mit Entfchiedenheit
Die Realität des Guten leugnet, wiewohlman
keinesweges der günfigen Gelegenheit ent«
behrte, fih von Der Realität und überhaupt
vonder wahren Natur des Guten zuüberzeud
gen; und ſie beſteht barin, baß man Alles, was
Dffenbarung des heil. Geiſtes in. Wort und
Leben ift, für aberwigige Thorheit achtet,
weil man eben mit ber-Mealität des Guten inds
gemein auch bie Exiſtenz Des heil. Geiſtes, bier
das Gute fihafft, für ein Unding hält.
- Wir wenden uns alfo zu der Geſchichte, welche Matth.
2, 22 ff. und an den PBarallelitellen: berichtet wird, und
fragen, wiefern. die Gegner Jeſu, bie Pharifüer, ihm _
duch ihe Benehmen Veranlaffınıg: gaben „ von ber Blas⸗
610 - Burlitt
phemie des heil. Geiſtes zu reden? denn eine Beranlaflung
mußten fie gegeben haben, und finden. wir, worin biefe bes
ftand, fo ift zu hoffen, daß fie uns Auffchluß über Die cis
gentlihe Meinung Sefu biete. — Die Pharifäer hatten ges
fagt:.Ovrog oox EußaAleı ca daıuovın, el um dv vo Besifs-
Bor, Apyovz ziv daıuovlov d.h. er iftfelbit von einem Däs
monion befeffen, und zwar von dem ärgften unter allen,
von dem Haupte der Dämonen ſelbſt; von Diefem getrieben
und in deffen Kraft thut er folche Wunder. Zum Belege
dient. Mark. 3, 22., wo die Pharifäer fprechen: "Orı Besi-
&sßovA Eyeı nal Ozı dv to ag. 26, fo wie auch V. 30, wo
ald Grund der Warnung Sefu dor der Blasphemie des
heil, Geifted angeführt wird: "Orı EAeyor wveüuer dxadag-
rov Eysı. Ferner kann hieher gezogen werden Joh. 10, 21,
wo einige Juden von Jeſu fagen: radra za anuere ova kon
Önıuovifousvov' un Öaıuovıov Övvaran TupAcv IpdaAuovs
@volyeıv; benn in dieſer Aeußerung wird ed als eine natür⸗
liche Folgerung vorausgefest, daß, wenn Jeſus ein Bes
feßner fey, das Dämonion durch ihn handeln müffe. Wer
alfo wie die Pharifäer auf. umgekehrte Weiſe behauptete,
das Dämonion handle durch ihn, meinte Damit höchſt wahrs
ſcheinlich, daß er ein Befeßner fey. Was aber weiter die
ſes ſagen will, daß einer von einem Dämon beſeſſen ſey,
iſt nicht unbelannt. Es will nicht fagen, daß jemand,ein
böfer, gottlofer, fatanifcher Menfch ſey, ſondern Daß er
das. blinde Werkzeug einer fremden Macht des Wahnes
and Berruged, daß er.an Leib ober Seele oder an’ beiden
feiner felbft nicht mächtig, daher in wielen Fällen, daß er
ein Berrüdter ſey. Lebteres-findet hier feine Anwendung,
da Jeſus, der fich leiblich wohl befand, num geiftig von dem
Einfluffe der Dämonen leiden konnte, wenn man einmal
dergleichen von ihm behaupten wollte, Deshalb lefen wir
auch Joh. 10, 20.. in.unmittelbarer Verbindung die Aus⸗
fage über Sefum: dauusvıov Eysı xal nalveras; und wenn
Mark, 3, 21, 22, bie Phariſäer fagen:-örı Besafeßovs Ex,
über bie Blasphemie des heil. Geiſtes. 611
fo fagen Andre (ol xap avrod) : Orı &&barn. — Jeſus wider
legt nun zuvorderſt diefe Befchuldigung. Wenn diejenigen,
ſpricht er dem Sinne nady, die in ber Macht der Dämonen
ftehen, ſich unter einander von folder Macht befreien kön⸗
nen, wenn Verrückte fähig find, Verrückte zu heilen; fo
ift ja das Reich der Dämonen in ſich felbft uneind und iſt
ein Wunder, wie es beftehen mag. Dann aber geht er zu
ernfter Warnung über. Daß ihr mich, will er fagen, der
ich in ber Kraft des heiligen Geiftes handle, für einen Däs
moniſchen, für einen Berrüdten erklärt, ift freilich fträflich,
doch mag es euch verziehen werben; es ift denkbar, daß
ihr dieß aus Serthum thut, weil ihr den Geift Gottes,
wie er fich durch mich offenbart, nicht erfennt und begreift.
Hütet euch aber, daß ihr nicht. am Ende überall, wo ber
heil. Geift waltet, Spuren ber Verrücktheit zu entdeden
glaubt und fo im Grunde eures Herzens eigentlich diefen
Geift felbft für ein Unding haltet. Diefe Sünde könnte
euch nie vergeben werben. — Mir bäucht, der Zuſammen⸗
hang der Gedanken iſt auf diefe Weife ganz natürlich und
ſtimmt volllommen zu dem, was wir über Die Blasphemie
des heil. Geiftes aufgefunden haben.
Sekt mag: auch die Stelle Hebr. 10,26 — 29; zur Bes
trachtung kommen, weldye wir bis hieher verfpart haben,
und in welcher und gleichfalls eine Beftätigung unferer An⸗
ficht zu Liegen fcheint. Man bedenke nur, welcher fpecielle
Sinn Dafelbft mit dem apagravsm verbunden wird. Es
iſt nicht‘ Die Rebe ohne Unterſchied von allen, welche
Die Erfenntniß der Wahrheit empfangen haben, und nun
doch auf irgend eine Weiſe vorſätzlich fündigen ; fondern
es iſt die Rebe von denen, welche dieſe Wahrheit, zu der .
fie fich eine Weile bekannt haben, hinterher ganz verwer⸗
fen, fie für.erlogen nnd falfch erklären und nichts mehr
mit ihr wollen: zu fchaffen haben. Darauf führt ber ganze
Zufammenhang der Stelle rückwärts und vorwärts. Sm
dem Nachfolgenden ift beſonders hervorzuheben die Vers
=
613 Gustitt Aber bie Blacphemie bed heil: @eiftes.
gleichung mit denen, bie das Gefeh Moſis nermerfen
(a9srsiv), und die nähere Befchreibung, die von der Art
der Sünde gemacht wird, die hier foll verſtanden werben,
daß man nämlich, indem man fie begehe, den Sohn Got
tes unter Die Füße trete, das Blut bes Bunbes für gemein
‚ achte, und fchnöde handle an dem Geifte der Gnade. Der;
gleichen läßt fi nur non dem fügen, ber Chriftum und
fein Wert gar verlengnet, ihn felbft dadurch zu einem Ver⸗
führer und Betrüger oder zu einem fich felbft betrügenden
Thoren herabwürdigt, feinen Tod für bebeutungdlos, und
bie Snabdenwirfungen bed Geiſtes für einen Wahn. erklärt,
Man jehe übrigens, was in Demfelben Briefe Gap. &, V. 6,
gefchrieben fleht. Wenn nun denen, die alfo, und zwar
wit Wahl und Ueberlegung (&xovalag) fündigen, Die Ber
gebung abgefprochen und ein fchredliches Gericht. verkuͤn⸗
det wird; fo fieht man wieder, daß bieß harte Urtheil micht
ſowohl die trifft, welche die Wahrheit haſſen, ala. bie,
welche fie ganz verleugnen und. verachten. Ferner wird
von denfelben freilich vorausgeſetzt, daß fie Die Erfenutnif
der Wahrheit einmal hatten, aber nicht, Daß fie auch wähs
rend ihres Abfalls noch im Befige derfelben waren: ba has
ben fie dieſe Erkenntniß eben aufgegeben und hei. ſich vers
richtet. - Zu überfehen ift endlich nicht, daß ihre That mit
Nachdruck als eine ſolche bezeichnet wird, die mit Bedacht
geſchah. Nimmt. mar bieß Alles zuſammen, ſo findet fid
Darin die von und aufgeſtellte Schritt für Schrikt
gerechtfertigt.
Gaanz ˖im Allgemeinen mag zum Sqlaſſe ned;baranf .
hingewiefen werben, baß:nach ber geſammten Scheift A
und N. Teſtaments der Gipfel.der Sundedarim beſteht,
wenn ber Menſch ſich ſelbſt zum Gotte macht, dagegen
Gott und ſein Geſetz für nichts achtet, wenn er handelt
nad Dem Grundſatze Sap. Sal, 2, 11,:” Bas you % dorus
vöuogchs Iunamoudung. —. Die auf en
Gegenſtand bedarf keiner Ausführung.
813
2.
Sündfluth oder Sinfluth Sudluthe
Von
ER Piſchon,
Archidiaconus an ber Nicolaikirche u. Profeſſor am koͤnigl. wedettencorpe
in Berlin.
Schon bei der flüchtigſten Vergleichung der beutſchen
Bibelüberſetzung mit dem hebräiſchen, griechiſchen und la⸗
teiniſchen Texte muß es und wundern, daß bie Wörter
biefer Sprachen 9, xaraxivopag und diluvium im Deuts
fhen mit Sündfluth überfegt find, da eine wortgetreme
leberfeßung doch nicht dogmatiſche Rückſichten nehmen
kann nud in keinem der drei genannten. Wörter ber. Ber
griff: Sünde zugleich umfaßt wird... Denn das hebräis
fhe Jan, deffen wahrfcheinlicher Stamm das Wort >=: in
der Bedeutung: heftig ſtrömen, regnen, it, kann nichts
anderd als heftige Strömung, Regen, Fluth bedeuten,
wie auch Die verwandten Wörter: 533 mit om verbunden
ea-h3? Zef. 30. 3. 25. Wafferftröme und bar Fluth, Bad,
Jerem. 17. B. 8. von Luther überfeßt werden. Einen aus
dern Sinn haben auch die griechifchen und lateiniſchen
Ueberſetzer nüht in dem Worte gefunden, denn xuraxiv-
ouog ber LXX. und des neuen Tefkaments von. seruuuduko;
überfpülen, überfhwenmen, kann auch uur Leberfpälung,
Ueberſchwemmung, Ueberfluthung, wie dag lat. diluvium
gedeiitet werben, ohne Daß Damit irgenb wie der Begriff
von Sünde verbunden wäre. Darum haben auch neuere
Ueberfeßer, wie de Wette, ſtatt Sündfluch nur Fluth
überfet, wie auf der andern Seite in unferer Iuthertfchen
Ueberſetzung auch die Stelle Siradı 39. V. 27., wo von den
noachiſchen Fluth und einer Strafe der Sünden gar nicht
die Rede ift, ſoudern vielmehr bie Fülle ber Segnungen
Gottes dDargeftellt werben fol, übertragen wirb: „denn:
fein Segen fleußet baher wie ein Strom und tränlet die
Erde wie eine Sündfluth (waraunAvonos).
614 | Piſchon
In den altdeutſchen Bibelüberſetzungen findet ſich, wie
man glauben könnte, nichts, was uns darüber aufklärte,
wie Luther zu biefer Ueberfegung gelommen wäre, Bei
Ulphila nämlich, wo das Wort in der Stelle Luc. 17,
3.27. vorlommt (denn Matth. 21. B. 38, 39. und Die im
Petrus fehlen und im Gothifchen), iſt xaraxAvopog durch
midjasweipains ausgedrückt von sweipains, Die Lleberfchwens
mung,“und midja, die Mitte, in dem Sinne der allgemeinen
Ueberſchwemmung wiemidjungerds, der Erbfreis, die Welt;
was uns alfo Peinen weitern Auffchluß gibt. — In Ot⸗
frieds Evangelienharmonie Sec. 9, iſt die Stelle Matth.
24. 8. 38. (coll. Luc. 17. B.27,): „denn gleich wie fie wos
ren in ben Tagen vor ber Sündfluth, fie aßen, fie trun
ten u. f. f.,bid an den Tag, da Noah zu ber Archen :eins
ging.” Buch IV. €. T. 3.50, 51. alfo wiedergegeben:
so fu uuas untar liutin. bi alten nödes zitin. .
So siethaz uudzar thar biffang. fo er ériſt thia ärks
ingiglang.
wo alfs nur Waffer überſetzt if. — Die altfächfifche
Evangelienharmonie Sec. 9. umfchreibt — Stelle
c. XI. 22.: /
ſo famo fo thiu flod deda an furndagun: the thar
mid lagu ftromun liudi farteride bi Noeas tidiun,
d.h. fo wie die Fluth that in frühern Tagen, die ba
mit Wafferfirömen Leute verzehrete bei: Noahs
Zeiten;
benn lago heißt angelfächfiih: Waffer, Meer; und lago-
Hod, wie-dort diluvium überfeßt wird, entfpridyt Diefem
Jagu-stroma. — (m gedrudten Tatian fehlt die Stelk,
worin das Wort Sündfluth vorkäme). — Notker in ſei⸗
ner Pfalmenüberfegung Anf. Sec. 11. endlich gibt Die Stelle
Palm 29. V. 10. „der Herr fißet eine Sündfluth ans
zurichten” auch nur durch: „truhtin habet sin gesaze an
dero fluohte.*
So zeigen uns alfo bie älteften Ueberfegungen in’ der
—
Sundfluth ober Sinfluth? 615
Mutterfprache nur, baß in ihnen eben fo wenig wie im
Griechifchen und Lateinifchen bei der großen Stuth an den
Begriff: Sünde zu denken ift.
Dagegen fommt uns ein Aufichluß in den alten Glofs
fen. In dieſen nämlich, wie in den monferifchen. vom
Anfange Sec. 9., fo wie nun öfter in althochbeutfchen
Sprachdentmälern vom neunten bie zwölften Sahrhuns
derte, finden wir dilavium mit sinuluot oder sinflaot übers
feßt, wofür nur einmal (zufolge des bekannten Anfchlies
fens der tenues und mediae an den vorangehenden Nafens
ton deſſelben Organs wie banım, Fanng: umb, fumber,
ring®, fo auch d und t ann: feint fürfein) flatt sinflunt:
sintfiuoth fich findet und wir müffen glauben, bag aus
Unfunde dDiefe erfte Sylbe in Sünds verwans -
delt worden tft, wie ſchon Fügliftaller bei Erklärung
eines Bruchſtücks and Tatian a) fagt: sin-Aläot, diluvium
wniversale, bie Ueberſetzung in Sund⸗fluth ift Thorweis⸗
heit neuerer Zeiten.
Es fragt ſich nun, was dieſes sin bedeute und ob
ſich noch andere Wörter damit zuſammengeſetzt finden,
woraus es fich erflären laffe. Herr Negierungsrath Graff
hat mir aus feinem hoffentlich bald erfcheinenden Wörters
buche der althochbeutfchen Sprache b) folgende Zufams
menfegungen mit sin im Althochdeutfchen nachgewiefen:
sinawel, siniwel, sinewel, sinuwel, sinwel: teres,
tornatilis, rotundus, tostas, limpidus (lapis), woqu
auch sinawelli: globus, sinwelb: globosus, orbi-
culatus; sinwelbi: globus, rotunditas, gehören.
sinweräfi: runcins, Hobel. |
a) In ben Lanbeöfpradhen ber Sqhweiz v von $. J. Stalder. Aarau
1819, ©. 267.
b) Möchte doch auch diefe Erwähnung beitengen, jenes fo überaus .
. wichtige Werk, das eine Bierde der deutfchen Literatur ſeyn würde
und für das fid doch erſt fo wenig Teilnehmer gefunden haben,
aufs Eräftigfte zu förbern,
ME 3°. Piihen,
.. sinwerpal: recavus, tamatilis ‚' rotundas.
- sinwerpali: conus, — (case), eircaitio.
sinhiıun: coniuges.
. sincalikho: iugiter.
-‚singruna und sinigrana: pervince , a im 13,
Sahrh.
+ simtrarwe, crocus im 13. Jahrh.
FKügliftaller nennt noch simblum ober simplum
mit simplig nnd ſtellt es mit dem lateiniſchen semper,
sinal, simplex, und dem franzöfifchen ensemble zufammen,
rechnet auch das gothifche: sin-teins, sin-teimo hier:
ber, wozu ich noch das gothifche sineigs zdi. zenez, alt,
mit sinista, der Aeltefte, and sinistars, bie. Borfahren,
mniores,. wie die burgundifchen Wirdenamen des Die
prieſters: Sin iſt e, ftellen möchte.
Das Wort sinawel in feinen verſchiedenen Formen
iſt bis in Das fechözehnte Sahrhundert in häufigen Ger
brauche. So heißt e8 im Hohenliede von Williram (um
1000) 5..8. 14, Abfchu. 92. Sine hente sint gäldin, sämo .
sineuuel (Cod. Wratisl., sinowolde Cod. Lagü.), älse
ste gedrät. in. Seine Hände find golden, ſo rund als ob
fie gedreht (gedrechfelt) And. — Im Wigalois (Sec.13.)
Ren das Wort häufig gebraucht:
1. Das hus (e. einzeln fiehende Laube) was sinewel
: Bediewet unabe und umbe wol..
8%1. Ir stirne was ir sinewel (gemölkt).
926. Ouch was ir diu kel
Sleht, und sinewel.(von einen ſchönen Halſe).
3302. Ez (ein ſchönes Zelt) was hach, sinwel unde wit.
5059, Der Wurm (Drache), der was sinwel
.. Als ein kerze.
8305. Daz gewelbe daz was sinewel u. öfter. | |
Sm Eluridbarius (von den wunderbaren Sachen
der Welt, aus Sec, 15.) heißt ed: Der Himmel ift fine
wel, die Erbe ift finewel und. Geiler von Kaiſersperg
-
Sandfluth vder Sinfluth? 613
inf: Bec. 103 hat fihun :nkte verjühlebeiten · Naudungen
unterfchieden and ſagt in feinen Prebigten: Brögslin Ink
62%. . „Beiß ein umterfaheid fin kugeleeht,, retund, rund;
ds da ein Kugel ii, Siuwel teres, .uls.ein Spies, als ein
ganz, hanz. :fisheibeleoht. als «in Heftien;, 'als ein ‚Bellen;
Ringiecht, als ein ring und ein. reiff in. Zirckeisweils, .. Aus
alfem biefen ergibt fich Bar, daß der zweite Theil dei
- Wortes mit Welle und Walze zuſammenhängt, ber erſte
sim aber ben Begriff von im mer, —————— überall
an ſich traͤgt.
Dieß erhellt auch überzeugend aus dem Worte: sin
grana ober sintgruua, was noch jetzt bei und Immergriün
beißt (deunn daß sin, wie Frifch meint, eine.tlcberfeßung
aus dem Slaviſchen sin,.d. h. grün ſeyn follte, daß alſo.
Grängrän geſagt würde, wird wohl keiner glauben),
alſo mit unferm Sinn und finnig nichtd zu. fehaffen hat
und aus sintvarwe: die immerbanernde Fenerfarbe des
Erocus.
Daſſelbe ergibt ſ ſi & and der x Uederfetzuug ‚bes:tatianis
fchen Wortes simblum. In Tatiand (Sec.9.) Evangelien⸗
harmonie (im St. Gallenfchen Mſpt. Nr. 56; ©. 155.) fagt-
nämlich in der Parabel vom verlernen Sohne (Luc. 15
B. 31.) der Vater zum Alteften Sohne: kind, thu bis sim»
blum mit mir: Kind, du biſt immer bei mir (Euth.
Mein Sohn, du bifi allegeit bei mir). Daſſelbe Work
kommt in der. Form simbolon bei Otfried. mehrmals Yor,
wie IV. 29. 112, simbolen. thariane: immer darin; als
simbler bei Iſidor, als simle und simble int Angelfächft-
ſchen. — Hier ft wegen des folgenben Lippenlauts sin in
sim übergegangen und wenn aud; pham oder. pol, weni es
nicht wei it, ſchwer zu erflären bleibt, es müßte denn
nur eine adverbialifche Endung wie per im lat. semper
ſeyn; fo ift Doc) Die Bedeutung von immer auch hier er⸗
wiefen.
Eben fo wink ve im Gathifeen: — alt, liegen.
Man Fännte beim erften Aublicke glauben, dieß Wort fey
nur eine: Uebertragung. bes Inteinifchen senen; : aber ein,
mial find ‚die. Adjectivfornien auf eige wie gabeigs, reich,
und die verwandten-auf age und ahs wie audags, glücklich,
wulthags, herrlich, stainaha, fteinig, zu gewöhnlich und mit
nnfrer Endſylbe ig gleich, ald daß man eine Uebertragung
und noch dazu aus dem Lateinifchen annehmen könnte;
dann aber würde auch fohwerlich eine fremde Form fi
fo bald auf die Weife haben einbürgern können, daß dw
von eigenthümliche Superlative, wie sinista, der Aelteſte,
gleichfam der am längften banernde, würben gebilbet
worden feyn. Daneben ift aud) der Begriff alt und Bor
fahren im Leben fo häufig vorkommend, bag ber: Gothe
Dafür doch immer ein Wort haben mußte, che er mit Grie⸗
chen und Römern zuſammenſtikß. Das Wort Siniste iſt
unftreitig Daffelbe, womit die Burgunder ihren Oberprie
fter bezeichneten: der Aelteſte (wie presbyterus unb Prie⸗
fter felbft), was feinen deutichen nn hinlänglich
beweift.
Die übrigen Wörter sinhiun, sinealikho, sinwerpal,
sinwerafi und das gothifche sintteine werben ſich ebenfals
der angegebenen Bedeutung fügen.
Sinhiun, der Gatte, kommt in feinem seiten Theile
anch allein vor ald Braut und Bräutigam, Berlobte, wie
in Otfried IL 8. und 9, von ber Hochzeit zu Cana:
Thiu hiun uusrun filu frs.
Die Brautleute waren fehr froh.
. Das Wort fommt von heiwan: verheirathen Praet.
gihit, wie Otfried kurz vor unfrer Stelle fagt:
‘ Ni uuard i6 in uuörolt zitin ,: thin zifämene gihitin.
thaz fih geo guati fulichero rüamti
Nie war: es je in der Welt Zeiten, bie gufanmen
heiratheten
Daß ſie ſich folcher guten Gaſte sühmten.
Suͤndfluth obet Sinfluth? 619
pi -MRittelhochbentfchen: iſt denn Men für verheirathen
gewöhnlich, wie Wigalois 6076: swenne sin tehter würde
gehit zeinem biderben manns. — So könnte auch hier
sin immer bedeuten, auf immer verbunden, wenn man
nicht darin. die Wurzel von sufammen findet wollte,
Sincaliliho oder sincalih von sin nad ealih, Gleich, wird
im den Bloffen iugis: immerbauernd erklärt, sinwerpal
hängt mit hwergan, Stamm von Wirbel u. a., zufammen,
heißt. alſo: immer überall gewirbelt, geründes, alfo rund,
wie sinewel und sinweräfi: Yon werfän, werfen ‚ober,
bad Geräth, das überall gleich macht, Beim gothifchen
vinteins ift aint ſtatt sin zu Denke wit Der gewöhnlichen
Adjectivendung eins zufammengefegt wie alweins, ewig,
sunjeins, wahrhaft, fo ainteins, perpetuns, immerdauernd.
— Sb man euch das Tateituifhe-semper, den Stamm von
nenex und senior u. a, hierher ziehen und das altdeutſche
sinnen d. h. gehen, wovon Gefinde und unfer ſamen,
mfamnien, für. dewfelben — halten Tönnte, : darf
hier unentfchieden bleiben,
Auf jeden Fall wird aus dem bisher Geſagten erhel⸗
len, daß der Begriff des Stammes sin zunächſt in der
Zeit der bed Dauernden, bed Immerwährenden iſt, wel⸗
cher ſich dann auch auf ben Begriff des Haumes, beffen
was überall if, itberträgt , wie in sinwel, daß alſo sinfitot
die Dauerfluth oder Die allgemeine allverbreis
tete Fluth ausdrücken wüurde.
Da nun der. Sinn dieſer bei der noachiſchen Fluth
hoͤchſt paſſenden Bebentang auch wagen bes im Ganzen nur
feltenen Gebrauchs des Wortes. leicht verloren gehen konn⸗
te, ift e8 erklärlich, wie bie ſpaͤtern Bibelüberfegingen, da
die Fluth als Strafgericht Gottes über Die Sünde der Mens
fhen gefommen war, ans Sinfluih, Sün dfluth oder
Sintfluth: Sündfluth machten, oder wie die af "bers
ger und augsburger, nach der Vulgata überfegten, vorlu⸗
therifchen Bibeln öfter era Sündenflu hi |
— Stud, Jahrg. 1884
620 — Piſchon
Wenn man ſchon ans dem Obigen die Wahrheit die
ſer Berwechfelung erfennen wird, muß fie und gang ums
amftöglich erfcheinen, wenn wir Die altlucherifchen
Bibelauögaben vergleichen und fehen, daß Luther in ben
beften Ausgaben. jelbft nie Sündfluth, fondern fie
Sindfiuth gebraucht hat, obfchon er überall Sünde
fehreibt und Die von ihm gewiß benußten und verglichenen
Bibeln feit 1483 Sündfluß oder Sündenfluß neben Sind:
fluß haben, ja er felbit in der erften — dieß zuwei⸗
len gebraucht hat.
Dieß deutlich zu zeigen, habe ich auf der beiſtehenden
Tabelle ſowohl die vorzuͤglichſten Stellen der Schrift, we
Sinbfluth vorkommt, als die vorzüglichiten Ausgaben der
dentfchen Bibelüberfegungen neben einander geftellt, wor
aus fich zeigt, wie fich exft wieder allmählich Sirnpflut)
ſtatt Sindfluch eingefchlichen. hat. Unter den Stellen
habe:ich gewählt: .
3. Gen. 6.8.19, —2 Gen. 1. B.6:10.u. 17.—3. Pfalm
29. B.10,— 4. Weish. Sal, 10. B.4.— 5. Sirach 9.
V. 27. — 6. Matth. 24. V. 38. 3.— 7. Luc 17.8.
:231.— 8,2. Petr. 2. B.5.—9. 2. Petr. 3. V. 4.
woneben ich, um zu zeigen, wie dagegen Sünde und Süns
derinn überall mit ü und nicht mit i gefchrieben ift, wo
doch Sindfluth fieht, noch flatt aller andern bie
Stellen Ä 2
10. Luc. 7. B. 37. 39, 47. 48. und 49,
verglichen habe, Von den mir. — berühmtes
ſten Ausgaben ber deutſchen Bibel aus verſchiedenen Zei⸗
ten habe ich folgende vierzehn zuſammengeſtellt:
1. Die vorlutheriſche von 1483. Nürnberg fol.
2. Die vorlutherifche. Augeb. 1518, fol. (doch nur Theil 2)
. 8 Die vorintherifche niederdeutſche. Halberſtadt 1522.
Sol,
4. Das nam Teftament nad) lawt ber aeiſtlichen eirchet
‘
v; .
Suͤndfluth ober Sinfluth ? | 621
bewerten Tert u. ſ. f. moxxvij (1527.) Drefden, fol
Cvon Jeronpuus Emfer.)
5. Das Lilte ynd Newe Teſtament mit Fleyß verteutſcht.
Nürnb. 1524. IL fol. (Erfie Sammlung der Iuthes
rifchen Ueberfeßung des a. u.n, Teft,, worinnur die
. Propheten und Apokryphen fehlen)
6. Die gange heil, Schrift deudſch auffd New sugericht.
D. Mart. Luth. Gebr. zu Wittemberg (Hans Luft)
1541.2 Vol. fo. .
7. Diegante heilige Schrift deudſch aufs new zugerichtet
D. M. Luther. Durch Hans Lufft. Wittemb. 1545.
(Bei. diefer Hauptausgabe Luthers Fonnte ich ein
Eremplar aus Melanthons Bibliothek benugen.)
8. Biblia. dat ys: de gantze Hillige Schrifft. Verbüdts
fchet dorch D. Mart. Luth. Uth der beften Gorrectur
merdiid vorbetert ynde⸗ mit grotem vlyte corrigert.
Tho Magpebord). 1545.
9. Die ganze heilige Schrift, deutſch durch D. M. Lu⸗
ther. Frank. a. M. bei Joh. Feyrabend. 1589, fol.
30. Die ganze heilige Schrift, deutſch durch D. M. Lu⸗
ther. Wittenberg 1604. bei Lorenz Seuberlich.
Spätere lutheriſche haben nun immer Sünd⸗
fluth und find nicht weiter zu vergleichen noͤthig.
Ich ftelle nur noch hinzu die nicht Iutherifchen:
11, Bibel Teutſch, alle Bücher A, u. N. Teftaments auffs
alfertrewlichit verteutfcht. Zyrich 1548. 4. (NReformirt.)
12, Bibel, das ift Alle Bücher Alts und News. Teltas
ments nad Alter in chryftlicher Kyrchen ‚gehabter
Translation trewlich vertentfcht und mit vielen heils
famen Annotaten erleucht durch D. Johann Dietens
berger. Cölln 1574. fol. (Katholifch.) ,
13, Das Neue Teftament aus dem Griechifchen ind Deuts
ſche verfeßet. Gedrudt im J. 1630. 8.
(Die von Joh. Crellius u. Joach. Strymann beforgte
fociniauifche Ueberfegung.)
4 *
622 | See Piſchon a,
"14, BibHa Peniapin d. ie Büchet der heiligen Schrift
nach fünffacher deutfcher Verbuwetfehung ı(niimt. ka⸗
tholiſch, Intherifäh, reform. von Piscator, jüdiſch,
wofür imn. T. eine u ———— Hamb.
ır11. 3. Vol. 4.
Aus diefer Bergleichung ergibt ſich nun, daß die vor
Intherifchen Bibeln, wenn fie nicht anders Überfeßen (mie
Waſſer der Fluth), gewöhntich ſündfluß, doch auch zu
weiten fintfIuß und ſy ndfluß, die wieberdeutfche immer
fyndflo et oder ſyntflod leſen, Emſer immer findflut
oderfintfiut. Sn den drei Intherifchen Ausgaben aber findet
fich nur in der erften von 1524 einmal Pf. 29.8. 10. fündflut
und zweimal Luc. 7. und Petr. 2. fündfluß, übrigens aber
kommt much in Diefer "Ausgabe wie in ber yon 1544: und in
der mit fo großer Sorgfalt durchgefehenen als Die eigent-
fihe Schluß⸗ und Hauptausgabe daſtehenden von 158
nur allein Sindflnt vor, was in der Stelle Pf. 29. mit
Sintflut abwechfelt, daß alfo Luther Das wohl nur durch
Schuld des Seßers in Die erfle Ansgabe noch Dreimal ein:
gefchlichene ſünd forgfältig heranscorrigirt hat, Ebenfo
hat die niederdentſche von 1545 nur Syndtflöth, Synt-
flöth und Sintflöth. — Die franffarter von 1589 fängt
. zuerit wieder an zn ſchwanken und hat in Den zwölf anges
führten Stellen achtmal Sin dflut und viermal Sin dflut,
und vbenfo die Fatholifche von Dietenberger -neunmal
Sindfluth oder Sin dfluß und Dreimal fün dftut und
Sundflut. In der wittemberger von 1604 aber iſt Sünb-.
ſtut ſchon überwiegend ſechsmal und nur fünfmal Sind
flut, während die ſchweizeriſche immer Sündfluß hat.
Die folgenden aber, wie die foeinianifche von 1630 und
dann alle fpäteren, fennen nur Sündflut.
Da aber überall, wie die Stellen aus Luc. T. zeigen,
Sünde, Sünderinn u.T. f. gefihrteben wird, auch bei
Sundfluth oder Sinfluth ? 623
„Qusher nie ee Diefer aber ben feühern Bibeln in. der‘
Schreibweiſe Sändflur nicht gefolgt ift und feine: erfte
Ausgabe verbeffest bat; fo muß man fehließen, daß der
richtige Begriff des Wortes Sinfluth oder Sintfluth ihm
wohl befannt gewefen ſey. Ob er fich ſelbſt irgendwo dar⸗
‚über geäußert habe, ift mir unbelannt, denn in feinen Er-
Härungen ber heil. Schrift behandelt er die Stnfluth nur
ascetifch und läßt fich auf das Wort ſelbſt nicht ein,. Doc
fchreibt er auch in andern Schriften 3. B. im: Tauffbüch⸗
Iin, verdeutfcht durch Martin Luther Wittemb. Mdrriij
©. 5. findflutt, ©. 6, findflutt. S. 7. findflut, wähs
rend auch da ©: 6, in bemfelben Sage J unden für Sün⸗
den ſteht.
Wir werden alſo in Zukunft nicht mehr von Suünd⸗
fluth, fondern um das wahre Wort und Luthers richtige
Bibelüberſetzung wiederzugeben, nur von S influth (Sin d⸗
fluth, Sintfluth a) zu reden haben b). Daß Dadurdy der
dogmatifche Gehalt der noachifchen Fluth fo wenig anders
beſtimmt wird, als Durch Daß griechifche. xaraxAuguòsg und
dad lateiniſche dimvinm, ift kaum nöthig zu erinnern,
a) In meinem Lehrbuche der allg. Geſch. der Volker und Staaten Th. I.
Geſch. des Alterthums S. 4. habe ich diefen Gebrauch wieber eins
geführt und mich auf biefe Unterfuchung bezogen, | P.
b) Wiewohl der Herr Berfaſſer vorſtehender Abhandlung der Schrif⸗
ten Anderer über ben fraglichen Gegenſtand Überhaupt nicht ge⸗
dacht hat, fo verdient doch hier bemerkt zu werben, daß neuers
dings vornehmiih Jacob Grimm — Deutfhe Grammatik.
Th. 2, 18%. S. 498. und fpäter in ben götting. gel, Anzei⸗
gen — die Schreibung Sünbflut für unrichtig erklärt und bie
erſte Sylbe dieſes zen auf ben Stamm Sin zurüdgeführt
hat. D. Corr.
624 3
Vergleichende Weberfiht der Schreibweiſe
Gen. 7. — 20. |Beist. 0 |
. 6.8.
7.
6. 10, 17 8, 10,
: Bibeln,
Nürnberg 1483. ſfuͤndfiuß San waß ſfun dflußfehlt
Pen sn ———————— —— —— —————— ü⏑
Miederdeutſch. Sa, vordrunke⸗
1598, ploet Imateroloet ne extept
FRneih:; SPRHESER....... .. ZRHRENEER, VENELHARUSEE, — ⏑
A Cl finds fin dfluß er fünpflut | fehlt
— — ————— ee ee u —
ee 19° indllut * — Sintflut |Sinppt
ds 1.
8 Niederd, Magdeburg Sy nd: nf 2 mall Sindt: | Syndts
1545, | fiött u.S Fir de] flöth floͤth
9 grankf. a M. 1680. ſSind flut Simon Studflut Sin dflut
— — — —— — — — — — —
10 | Wittemberg 1604, Sindflut = ® nn Suͤndflut S ün dflut
— RAN: er en Sündfluß a —
11 Zyrich 1548, 4. Waſſerguß ſu. Waffer-| fü n dfluß waſſerguß
—— — — ⸗Auß2ↄmal —
12 Edin 1574, kathol. Sin dflut SER dſut Sun dflut) ſuͤ n dflut
N. Teſt. 1630, 8, oci⸗ |
is 7 | - = rn
14 |Biblia pentapla
’ I Sünds | Sünd | Sünk
a. katholiſch Ba fluht. fluth fluth Waſſer
b. Sins Sünd | Sünts
Waſſer⸗ | Suͤnd⸗
c. reformirt fluth desgl. desgl. flut
d. = | Saab
juͤdiſch od, neü — Auth
e. hollaͤndiſch vloet — —
Hamburg 1711.4.
‘
"625
von Sinftuth und Sünde?
EEE EEE
2 Petr
Siradı 39. Matth,24. — V. B. x u Ai
8.27. B. 38, 39 Luc, 7.8. 37. 39. 47. 48. 49.
ſin en Fu.
ſy n tfluß ſ — —28 ſuͤn derin Zmal fünde 8mal
ſuͤndfluß urn u \fünsmug |finftupu| fuͤn derin fund —
umſchrieb.
ſyn dfloet ai * ſpnoioeh ton tMedu.| "Funderinne—funde—
u. füogt Mondfloe ten, ſun derinne — Funde —
———— fin dflut — ſun derin — ſunde u. fund
fehlt — — 668 fünderin — ſuͤnde —
— zu Sinne Sale Sünterin—Süundeu.fünde '
mal ——
Sin dſ Sin Sindiut Shmdrist Suͤn derin —Suͤnde u. ſuͤn de
Syndt⸗Syndt⸗ | Syndt: |Sintfloth —
Asch Imst 2mall Aöth 7eeeSüͤn deriane — Soͤnde 3 mal
Suͤn dflut end Sünpflut ey Suͤn derin — Suͤnde —
Suͤn dflut Sin dflut en ebenfo
Beaffergus] En none | FünderinTünd—
——— — — — — — ———
Sindfut|o Sündfluß,|Sünberin u, Sünde 2 mal
ſi n dilut | "2 maı en ann, fünderin u. fünd
j fün ündpiat optiye [Tün! SU fünderin 2malfünde 3 mal
— — ——7
8 —
Suͤnd⸗-⸗Suͤnd⸗
Sun dflut fluth — fuß — F
I &ünb- B
Sänb- Suͤn d⸗ uht
fluth deögl. — Fluht & ün > Sun derig u. Suͤmn nde
| | Ara | überall
Sünd | Sünd: |. m gar. |
Vaſſerflut flüt — üth Ruth Vaß |
(Suͤnd⸗) C(Suͤn d⸗) (Suͤnd⸗) —
Kut— .1 flube rd E25 —
Sund⸗
Sund⸗ (Suͤnd⸗)vloet
— I viovt —vloet und ISon dareſſe 2m. Son de 3m
2. Böttcher
= ; i Z 3.
Gegenbemerkungen
zu
Prof. Rettig's exegetiſchen Analekten, IV.
(Theoll. Studd. u, Kritt. 1834, 1, 81 ff.
Von
Dr. Jul. Friedr. Böttcher in Dresden.
Der etwas raſch hingeworfene Aufſatz uber Susnꝰe
Ex. 1, 16. Ser. 18, 3. (Winer's Ztſchr. f. wiſſ. Theol. I.,
1,49 ff.) hat in dieſen Studd. u, Kritt. a. a, O. eine über
Erwarten erfreuliche Beachtung gefunden; wobei bie als
„kaum zweifelhaft” gegebene Ableitung des Dual-No-
men (x verwandt mit ein, Ex. 14, 25, jen, er K’tib, v.
Ex — 170), Die auch ſchon Michaelis u. A. Ser u. a. O.
den Deutungen der Alten unterlegen (M. Supplem. I, 7.
Fuller Miscell. V, 19, Crit. sacri VII, 280, Robertson The-
saur. 4), in ihren fihern Gründe anerkannt, die Beftrei-
tung der verglichenen „Mühlfteine,” fo wie der „ſteiner⸗
nen Dedel-Wanne,” felbft gegen eine viel geltende Auto⸗
rität gebilligt (vergl, Lpz. Littztg. 1833, 7), und haupt
ſaͤchlich nur die als „nicht immwahrfcheinlich” hingeſtellte
Vermuthung, über die Entbindung der Hebräerinnen
auf Topferſitzen, eben fo überzeugend als. gelehrt und
gründlich widerlegt worden ift. Allein der Schluß Diefer
Widerlegung, der in wenigen Zeilen (5. 99,) ein eignes,
mit jener Wortableitäng vereinbared Ergebniß darſtellen
und begründen foll, fcheint die Löfung des Räthjels nur
noch weiter hinauszurücken; die Hauptpuncte dabei find
dem Einfender auch nach Befragung von Gebnrtshelfern
und andern Sachkennkrn theild undentlich, theild ungenit-
. gend geblieben; und ſowohl im Einzelgen ald im Ganzen
hat die neue Verhandlung des Gegenflandes, um zur end⸗
Mh ——— 4
..
40
Gegenbemerk. zu Rettigs exeget. Analekten. 677
lichen Entfcheidung zu führen noch au zu berückſichti⸗
gen übrig gelaſſen. |
Warum wäre es, fengen wir. Herrn Rettig, ges
ſchicht lich ſo unwahrſcheinlich, daß die Morgenlaͤnder
in den Jahrhunderten des Targum und der Miſchna
au 2: n, Chr.) Geburtöftiihle gekaunt und gebraucht Häts
ten? Könnten doch felbft die Hegypter zu Moſis Zeit
(and nur nach agyptiſcher Anficht hätte ja auch ihr Pha⸗
Tao zu den hebräifchen Wehmüttern geſprochen) bei ihrer
uralten -technifchen Kultur, bei der Sorgfalt ihrer Köryers
pflege, wie fie fich. in ihren Mumien fowohl (Gen. 50, 2ff.)
als in ihrer Befchneidung, ihrer Dittetif und in den viel
fahen Elaflen ihrer Aerzte zeigt (Herodöt.-2, 84. 104.),
wohl ſchon einen „Blyoog Adysiog” gehabt haben, ohne
daß „dieſes Inftrument” als mögliches Kunſtgeheimmiß
oder doch als ein Bedürfniß der innerften, gebeimften
Hänslichkelt, aus dem Bereiche der daheim bleibenden
Franuen, aus dem anderthalb Sahrtaufend lang für Eu⸗
ropa verfchloffen gebliebenen and felbft in den lebten vor⸗
chriſtlichen Sahrhunderten wenig gräcifirten Nillanbe, ans
dern Völkern des Alterthums fo leicht wäre mitgetheilt
worden. Daß „eher Alles als dieß glaublicdh gemacht wers -
den möge,” iſt jedenfalls eine übertriebene Behauptung
(A 97.). Nicht ald gefchichtlich unftatthaft, nur ale
fprachlich unvereinbar mit arsax müffen wir den rabbis
niſchen Geburtsftuhle) für Ex. 1,16, verwerfen.
Iſt, wie die Anal, als unbeftreitbar anerkennen, aa
als Drehfchtiben» Paar Jer. k6, B. durch den Zus
ſammenhang binlänglich geſichert, und die Ableitung von
ER Rad und Jar — re, Drehen, (wovon zunächft ex,
Bedrehtesy eben ſo ſprach⸗ als füchgemäß begründet,
a) Daß auch Luthers Weberfegung den Geburts; Stuhl,”
nicht etwa, wie Unkundige wegen V. 19, wähnen Löngten und ges
wähnt haben, den Stuhl dee Hebamme meint, zeigt bie rabbinifche
Eregeſe des 16ten Jahrhunderts, welcher Luther gefolgt iſt.
2. °. Wöttcher
unb eben darum durch eine Menge Analogien empfohlen»):
fo bleibt nur noch auszumitteln, ob daſſelbe Drehſchei⸗
ben⸗Paar, ober (mit vielleicht veränderte Punkten)
etwas Anderes vonzen, Drehen, Benanntes, oder end-
lich fonft ein in mau erfennbares Nomen fid am
leichteften und fichdrften in den Sach⸗ und Wortbeitand
von Er. 1,16. fügt. Zunächſt hat ed natürlich das Meifte
für ſich, das dortige aan) nach dem Borgange der Punc
tation für Ein und daffelbe mit jenem bei Ser. zu
nehmen. Nicht bloß die Vokaltradition, anch das gleich⸗
mäßige >> fpricht dafür, das eben fo vor bem verwandten
aan Pr. 25, 11. wiederfehrt. Aber nothwendig ift dieſe
Einerleiheit dennoch nicht; um nicht gleich im Anfangs⸗
puncte der Unterfuchung einfeitig befangen zu irren, müſ⸗
fen wir dem Sprachgebrauche, wie dem Zufammenhange
. der Stelle, audy jedes Andre zur Prüfung anbieten, was
fich in araanıı 55 vermuthen läßt. Und ber Zufammens
bang wenigitens öffnet bier einen viel weitern Kreis
von Möglichleiten, ald das Trilemma ber Anal.
(86.), das der eichhorn'ſchen Deutung entgegengefebt
wird. Jener AdverbialsZufag
ersanrı 55 zu Inn,
if, dem Wortverbande nad, fchon a priori betrachtet,
a) Bemerkenswerth ift, daß auch in arabifhen Wörtern mit YD ber
— vor dem 7 ganz analog en B, vi — opl
3, Ener 5, 6
les, statera.
Analoge Benennungen ber Zöpferfceibe find 270, —*
5⸗
5 Am), 790205, rota, roue, potters wheel, Zöpferrad, ( pro⸗
vinc.) u. a. m. Fuͤr rota braucht Plin. H. N. VII, 56. auch ein⸗
mal orbis, aber nur zum deutlichern Unterſchiede vom agenrade,
vergl, dagg. XXXV, 12,
Gegenbemerk. zu Retkig's exeget. Analekten. 629
die Geburtshelferin⸗
nen nach dem Geſchlechte
des Neugebornen ſehn
ſollten oder konnten,
entweder A) der Ort, wo
oder B)die Zeit, wann
oder C)die Art, wie
und A) als Ort wiederum .
entweber 1) der ört am
oder 2) der Ort Des
a) bei der Gebärenden, oder
'b) bei der Geburtöhelferin,
oder. 3) der Ort der Gebärenden, .
oder 4) der Ort der Geburtshelferin.
Gehn wir kurz diefe Reihe Möglichteiten Durch, fo muß ſich
ja die Zuläffigkeit einer einzigen neben der Unzuläffigkeit
oder Uinftcherheit aller andern defto gewifler ergeben, und
die Entfcheidung, deutlicher als in den Anal. wird end⸗
lich möglich werden.
A. 1. Das Erſte und ſcheinbar Nächfte erledigt fe
von felbft. Wo die Wehmütter am Kinde felbft nad
dem Gefchlechte zu ſehn hatten, bedurfte der Angabe nicht.
Die Bezeichnung diefer Körpergegend (2332 72) wäre in
jedem Falle, mag man nn imperative oder temporell neh⸗
men (W. 51. 52.), fehr überflüffig gewefen, hätte ſich auch
fchwerlich mit 52 geben laffen; und wie wollte man in traam,
jey’8 mit den gegebenen oder andern Vokalen, etymolos
gifch die Gegend der Geſchlechtstheile finden? Bleibt dieß
doch gleich unmöglich
A. 2, a) für den Ort Des Neugebornen bei den
Gefchlechtötheilen der Gebärenden! Am tiefiten hat
fich hier die Rabbinen » Weisheit, und nach Andrer Bors
gange auch ihr Hauptſprecher Dav. Kimchi verftiegen.
Er erflärt im eronen “20 (ed. Bomberg p.8.), wahrſchein⸗
lid dem mißverflandenen targumifchen anıno (Mawa) zu»
folge, eraar „feiner Einficht nad” Crs 5) gerabehin
für die vulva felbft Cross ann), gleich unbefümmert um
das dazu unpaffenbe >> (f. dagg. ſchon Fuller a. a. D.
Neugeb ornen, letzterer
60: Bottchee
S. 237%), wie mn die Anfgabe der Hehamme, die babei
vor bem völligen Austritte des Kindes beffen Geſchlecht
ſchon im Mutterleibe unterſuchen ‚ oder nach reujüdifchem
Glauben an dem aufs oder abwärts gefehrten Geſichte
des vorausfommenden Kopfes hätte erkerinen müſſen
( Nxvob map napam mumb, ven Ham). Das Wunderlichſte
dabei, womit Diefer ganze rabbinifche Wig vollends zuſam⸗
menfällt, ift Die Etymologie yon Baar, die auch, Abuls
walid, der Gewährsmann für Die mühlfeinartigen To:
pferfcheiben (&esen. Thes. p. 16. 17,) , gegeben hat, nadı
Kimchi a. a. O. Spa non paar amar;s pa ran na moon
en om. 55 man, haec vox derivata est. ex a et Da, et
Aleph est prostheticum. Nicht beffer die Erflärung Des
Duales aus ben ww m> mm Dr arm mmaa Did mar
ran "Tx, cardines (aus 1 Sam. 4, 19.), qui sunt in ostio
vulvae, qui sunt duo, ut duo cardines ianuae! Auch ähn⸗
lich mit PR, von jom Drehen, hätte doch die Bärmutter
nimmermehr der Xöpferfcheibe homonym, im Dual bes
nannt, werben können. Aber wenn Kimchi etwa Dem >> |
und der Natur gemäßer mit ar das Aeußere des Muts
terfchooßes gemeint hat, fo ift er wenigſtens im Nefultate
mit Grotius Ahnung („x videnturesse feresuteri?’) und
mit der Behaupsung der Anal, zufammengetroffen, wel:
che die weiblichen pudenda fogar unſern Drebfcheiben
ans Ser. 18. anzupaſſen willen. „Was kann,” heißt es
©. 9., „die Scheibe, die Töpferfcheibe andres
gem, ald die Schaam, welche in ihren: freifelnden
Wendungen unter den Händen der Hebammen, wie ein
Geſchirr unter.den Händen des Töpfers heraorfteigt,
Ad) aufwinden läßt.“ Wir müffen geſtehn, daß aus biefe
Achnlichfeit zwifchen caummıs puerperae und rota ſiguli un⸗-
erkennbar geblieben iſt. Die Bergleichung felbft fehwanft
zwiſchen Geſchirr und Scheibe; wäre die kindliche
Schaam gemeint, fo bliebe diefe in ihrer Drehung mit Dem
ſich entwiubenben Körpergangen aud) nicht dem Gefrhirre
Gegenbemerk. zu Rettig’3 exeget. Analekten. 63%
vergleichbar; foll’ed aber, woran man zunächſt denken |
muß, bie mütterTiche ſeyn, wieließ fich dieſe nur, auch
während des Geburtsactes, nach Der Aehnlichkeit wait Ber
Töpferfcheide benennen? Kundige“ Geburtshelfer wiſ⸗
fen wohl ‚von Wendungen’ den Bärmutter und des Sin
Des, aber nicht „ver Schaam,’” die nur innere Stöße und
äußere Spannung barftellt ; und wenn auch die Situa⸗
tion bed noch in der Geburt begriffenen, nod
nicht vonder Mutter Iosgetrennten Kindes, bildlich
nen 9, noch auf der Scheibe, heißen tonnte (f. uns
ten B.), fo ließ fich doch deshalb fein übrigens dieſem Ges
räthe fo unähnlicher Ausgangsort in ernſthafter
Rede nicht wohl mitm, Drehſcheiben ſelbſt be⸗
zeichnen. Auch für den erſten Aufnahme⸗Orxt des Kin-
des, noch am Körper der Mutter, für die genua, die
Clericus z. d. St. bloß des Duals wegen nad). 1 Sam,
4,19. (Hm) in omas vermuthet, müßte vielmehr aaa
oder fonft ein andres Nomen gebraucht ſeyn. Denn 'R
tönnte auch nadı einem freiern, der Etymplogie ſchon ent
fremdeten Sprachgebraudye höchſtens die Kniefcheiben
Genuam orbea, Ovid; Met.8, 808. vgl. ne ©. 628.5 bedeu⸗
ten. Die verglichenen arab. Plurilitera ur und —
(vom kanernden Sitzen) find viel zu entfernt, viel zu —*
durch ihre Endluute mobdiſicirt, als daß fie fir "hs einen
Anhalt geben koͤnuten; und am wenigſten Tieße die Tüpferr
arbeit Ser. 18, 3. den gelehrten Einfall zu: „Fortassis
figuli eodem situ corporis (X '>9 Iin genibus) operi sus
ineumbebant. - Wie follte doch dabei Die Oberfcheibe. om
denſelben Händen gebreht werben, unter Denen’ ſich das
Geſchirr Bilden follte (er. 18, 4)? Nurvom Gebären
ift es nit unwahrscheinlich (vgl. Anal. 93, a), daß eb
auch bei. andern femitiichen Frauen eben‘ fo wie ‚bei Dem
Hethioperinnen” (Tadoi hist. Asth. I, 15, 101.) gleidy:oft
m KRrieen als im Bigen geſchah. Denn 1 Sam. 4
632: - Boͤttcheet
ſehen wir die in die Knie geſunkene Abortirende von den
Umſtehenden nicht ſofort in eine andre Lage bringen; nach
Jer. 30, 6. müſſen ſich die Kreiſenden auch noch bei ſtärke⸗
ren Wehen auf den Beinen erhalten, oder doch außer dem
Bette befunden haben; und neben dem targumiſchen nam
sedit bei ber Geburt (2. Sam. 22, 5. Hof. 13, 13.) gibt die
Pefchito Ex. 1, 16. doc; auch ein Beifpiel von ya == SE,
yovvxsteiv Ind. 5, 27. Mt.17,14.27,29. Aber wie auch Die
Lage der Gebärenden geweſen ſeyn mag, einKörpertheil
derfelben a8 Ort des Neugebornen läßt fich aus
man etymologifch nicht erzwingen, wenn es
gleich im Zufammenhange dem Befehle Pharao’ am
gemäßeften wäre, das Kind nod an der Mutter
felbft, bei der erften Wahrnehmung des Gefchlechte zu
tödten. Diefer Vorzug für den Zufammenhang gene mehr
oder minder
A, 2, b. dem Orte des Neugebornen bei der
Geburtshelferin. Wie wenig bier die neueſte „ſte i⸗
nerne Badewanne” ald Dual von jax und als Er
kenntnißort des. Gefchlechts fprachlich fachlichen Halt has
ben fonnte, ift zur Genüge fchon in den „Berfuchen”
(W. 49, 51. 52.) dargethan. Aber auch unfre Etymologie
von jun gäbe höchftens eine Scheibe, etwa als Präſen⸗
tirs Teller. für das tollere infantem, oder (wie im Deuts
fchen vom Wenden benannt) Windeln, wofür das Hebr.
fhon nenn, wuab hat, und babei bie eritere ohne allen
Grund für die Mehrheitss&ndung , die lebtern ohne beuts
lichen Anlaß der Dualform, beide ohne allen weitern ges
fchichtlichen oder fprachlichen Anhalt, und beide enblich
von zu geringem Intereffe, um zur Ortöbeftinmung für
das Wahrnehmen des Gefchlechtes zu dienen. Ob bie äls
tere, von Kimdi a. O. angeführte rabbinifche Dentung
x = bo nm npa locus, in quem incidit puer ober „se-
des, in qua recipitur foetus” (Fagins und Glericus zu
Gegenbemerk. zu Rettig's ereget. Analekten. 683
Er. 1.) hierher oder unter A, 4, gehört, ift aus den Wor⸗
ten felbft wicht. far. Sie kann menigftend nicht etymolo⸗
giſch begründet, fondern nur aus dem Zufammenhang ers
rathen ſeyn. Wenden wir uns alfo von Reuem:.
A, 3. zu dem Orte der Bebärenden, deſſen Ans
nahme wenigſtens die Wortverbindung im Terte nicht hins
Derte (W. 31, 9.2). Das Nächfte dabei, den Worten _
nach, war allerbings die Vermuthung, daß die Entbins
dung auf einem Zöpferfiß Cvgl. Ser. 18.) erfolgt feyn
müßte. Aber wenn auch Vieles, was die Anal. Dagegen
einwenden, leicht zu befeitigen wäre; wenn bie Töpfer
funft, durch darauf eingelernte Sklaven, und (wie noch
jegt) durch‘ Thonlieferungen aus der Ferne ermöglicht,
wirklich mehr als die Anal. zugeben, häusliches Gemeins
gut des frühern Alterthums, wenn der Töpferfig felbit
durch Stemmleiften zur Seite der Unterfeheibe, wie wir fie
wirklich vorgefunden, und auch wohl Durch die nahe Wand
der Werkſtatt als mögliche Rückenlehne, mehr ald nad
Anal, S. 89. zu Entbindungen geeignet gewefen wäre: fo
bleiben Doch zwei Hauptpuncte, wie und eine noch⸗
malige eigne Anfchauung überzeugt hat, entfchieden genug
dagegen, die Untrennbarkeit ver Scheiben non ber
Bank des Töpfer, bie Anal ©. 90. ſachgemäß erklärt
wird, und daueben doch das Hinderliche dieſer Schei⸗
bei für das Hebammengefchäft. Wollte man aber
auch aus der hebr. Du al form im Vergleich mit dem Sing.
andrer Sprachen fchließen, daß die hebr. Töpferfcheiben,
ald Haare angefchaut und benannt, außer der Arbeit von
der Bank abgenommen worden wären: fo bliebe doch mit
ihrer Wegnahme für. bie Entbindung fein zureichender
Grund, gerade eine Töpferbant, bie ohne Scheiben vielen
andern Bänken glich, ald befondern Sitz der Gebärenden,
und diefen Siß ftatt bloß ald Bank, oder Töpferſitz,
vielmehr noch nach den Drehfcheiben bemaunt anzunehmen.
Und dieß entfcheidet auch gegen bie. Boransfegung, ale
hätte jeber GBeburtsſtuhl bloß megen des dem Töpfer
ähnlichen gefpreizten. Sitzes darauf bie Bezeichnung >5
essoyn veranlaſſen können. War nicht wirklich einmal eine
Töpferbanffanımt Drehſcheiben zu Entbindungen gebraucht
werden, ſo konnte man hoöchſtens von einer Kreiſenden
fagen,. fie füße ran >32, nicht aber arı 5y ıntmn für fer
hbet:nadı anf dem Stuhle Die Schwierigteit eine
folchen figärlichen Ausdrucks war fchon in den „Berfuchen”
gefühlt, und eben darum bie Bermuthung von Entbinduns
gen auf Töpferfigen noch mitgegeben worden. Tu den
häufigen altteftamentlicdyen Befchreibungen der Kreifenden,
. dei den wiederholten Vergleichungen angfvoller Zuftände
mit den Wehen der Geburt (Gef. 19, 8. 21,.3. 66, 7. Jer—
6, 24. Mich. 4, 9 u.a. m.) würde, wenn jene Bermuthung
Grund hätte, wohl aud einmal Etwas von den Drebs
fcheiben nder der Töpferbant Dabei vorgekommen ſeyn.
Wenn wir aber für den Geburtsſtuhl, en Jarchi
als eb vr men Soro zunächſt auch nur in dem targumis
fchen ware gefunden hat, die Benennung nady. den Drehs
ſcheiben aufgeben müſſen, fo bleibt für ihn nur noch bie
ſprachwidrige baffifch »eichhornfche Etymologie (bie
ach. für: Die Töpferbunt genügen ſoll h, zri=s,. atrmetnre,
von rm2, wobei der Grund für den Dunl od. Plur. eben
fo unſicher, As das x ;prosthet. mit O⸗aunmmd vor a im
Hebr. caußer dem Fremdwort um) beiſpiellss iſt. Ful⸗
rer's. Sitz ſcheiben Misc. a. a. O. &, 280, Boseumüller
Schel: IF, 18.), für Gebärende ſowohl als für: arbeitende
Töpfer, gleich Mühlfteinen zu einem niedrigen Seſſel fiber-
einamder gelegt, find ohne alle Analogie innen beiderſei⸗
tigen, erfahrungsmäßigen Bedurfniſſen, bloß aus dem
Duale von in herausbuchſtabirt. Bon der ſteten Baar
zung der Drehſcheiben bei den Töpfern Faun Der gelehrte
Herr, ben Schlußmorten feiner Abhandlung nach, gar
Richts gewußt haben. — So wäre denn von ben mägli
den Loc.al⸗ Erklärungen nur. noch
‘
-
Gegenbemer?. zu Rettig's ereget. Analelten. 635
A, 4 der Drt der Geburts helferin übrig.
Aber wenn auch Anal ©. 88. die Auffaffung von
Bra ossan mit Unrecht ald Sonderbarfeit verworfen
wird, da ja ber Artikel hier (nr 59) jenes beftimmende Pros
nomen vertreten kann (vgl. Pf. 18, 90— 33. 47. 48.): fo
Liegt doch allerdings für Die Hebammen, die das Kind zus
nächſt mit ihren Händen und auf ihrem Schonße aufnehs
men, ihr etwaiger Seffel („sella quaedam, cui obstetrix
insidet apud puerperam” Anal. 99.) bei der Beſtimmung
des Drted, wo: fie bad Gefchlecht des Kindes wahrgunehs
men haben, ziemlich fern. „Auf eurem Stuhle” wäre bei
„wenn ihr nachfeht,” oder „fo fehet nach” fehr müßig, unb.
wenn es bad „auf der Stelle Cehe ihr zu weitern Bemüs
hungen vom Seſſel aufſteht) bezeichnen follte, doch fehr
undeutlich zugefegt. Was Fönnte'man auch etymologiſch
aus ara für einen Hebammenfeffel herausbringen als
etwa einen, den Töpferfcheiben ähnlichen, mit breiter Bas
fiö verfehenen, Drehſtuhl, der wohl zum Entbindungss
gefchäft in einiger Hinficht bequem, aber auch als Rulturs
product noch Fünftlicher und gefuchter wäre als der Ges
burtöftuhl! Brauchen doch felbft unfre Hebammen nur
diefen, ohne eine befondere Art Seffel für fich zu haben! —
Berfuchen wir es alſo, da nach allem Diefen die Orts bes
fimmung in keiner Weife zu Worten and Sadıen fh
ſchicken will, vielmehr °
B) mitber Zeit, wann die Geburtähelferinnen nach
dem Gefchlechte des Kindes zu fehen hatten! Die „Zeit”
allein und Überhaupt, wie fie Michaelis CSuppl.
A sa
J. 9.) aus dem arab. wbl für Ser. 18. ſowohl als Er. 1.
herholt, kann freilich unmöglich genügen. Ser. 18, 3. ift
Nichts fo erbärmlich.überflüffig ald „ipsum Zempus, quo
vas perficitur,” und wie käme auch biefer Zufag „des
Topfmahens” zu bem bloßen man 52 „in ber
Zeit” Hinzu! Iſt nicht eben fo an unfrer- Stelle das der
Cheol. Sud. Jahrg. 1854 42
EB
amfchreibenden Bulgata abgeborgte „partus” zw Dem „in
tempare” als „in ber Geburtözeit?” erfchlichen? Und wollte
man auch dieß in. tempore natürlicher iind dem Zufammen;
hange gemäßer ald „bei Zeiten” oder .„Zwlxuıgov, jn
rechter Zeit,” nehmen: wo ift ein ficheres heb.r. Bei
fpiela) dieſes Temporals Gebrauches von >23? wo eine
a) Bas dv za avrod, in tempore suo, für TIER 52 Pr. 35,11.
ift-von Symm. und Hieronym. fihtbar aus dem Zufammenhange
| gerathen, und hat, aus jenem arab. Nom. erklaͤrt, dieſelben Schwie⸗
. rigkeiten des hebr. 29, bes Dual ober Plural und der Seltenheit
. ‚eines fo vielfach benuöbaren Wortes wie waıgös, Jo wie außerdem
= noch das anderwärts für. diefen Begriff gebrauchte INY3 Pr. 15,23.
"gegen ſich. Nach Analogie von 25, 12 ff. (T’272) Hat man ſtatt
27 737, wo das fonft unerhörte NIT nur dem Targ. gemäß,
"um beiderfeitd Sachen vergleichen zu Laffen, den Gonfonanten auf:
gedrungen ift, höchſt wahrſcheinlich mit faft allen Verss. 127 ="
zu leſen, fo daß‘, in TIER auf 12T zurückgeht. Darm Eann aber
RER DI noch leichter ein fprichwortlicher, von dem häufigen
°
DS
—
Abpferhandwerk ober von andrer Mäberbewegung entlehnter Aus:
druck feyn, auf feinen Drehſcheiben oder Rädern f. über
Etwas, worauf der Redende eingeübt, eingelernt, we
= ‚ganz zu Haufe, in feinem Elemente ift, oder aud mit
"ber Geläufigkeit eines gerade barin Geübten, Gewand—
-. ten, oder aud nur in feiner Schnurre fort, "geläufig,
-gbne Anftoß, vergl. fandi rotae Auson,;comm, prof. 4,16.,
auf dem Zeuge f. rüflig, munter, Weber bie erſte Vershälfte, bie
bloß ohne Beziehung zwiſchen 3 u. by (vergl. V. 12,) etwas
= Koſtbares und Liebliches Überhaupt bezeichnet, |. „Verſuche“ W
©. 65, d. Zu TIER bs felbft theilt ung ein gelehrter Freund, ber
£ Herausgeber des Abulfeda, Dr. Fleiſ ch er, nachftehende arad.
Analogieen mit, wovon aber gerade die erſte wegen der Mehrheits⸗
form von de unpaffend igein und die andern ug nur 23 237
treffen.
„Mit * TEN ö9 Prov. 25, ſcheint bemrendt zu ſeyn das ara⸗
biſche — ie (Ay wie En3B bon we. = = ra) suo
Gegenbemerk. zu Reftig’& ereget. Analekten. 637
Dualform für ſolchen Begrif? Die Zeitbenennungen
Sry a. 2 erklären fich ganz anders mit ihrem Dual
(Ew. 332); und folte x ihnen ähnlich das bieffeit und
jenfeit eines Zeit « Wendepnntted ausdrücken, warum
dann nicht u ya oder Sun? : Selbft der Plural, wenn
man mit den Puncten den Dual aufgibt, wärde wohl-auf
eine Zeitdauer und für ein Zuſtandswort ‚oder eine zuſam⸗
mengefeßte Action (Ew. 326 ff. Geſen. Gramm. 10. A.
S. 106, 2.), aber nimmermehr zu * als -Zeitpunct paſ⸗
fen. Und warum ſollte endlich ein fo gangbarer Begriff
wie xaupog unter ben hebr. Wörtern eine fo. rara avis, nur
in 2 bis 3 Eremplaren übrig, geblieben ſeyn? Die ge
lehrten Exegeten pflegen dieſen Punct, daß unter felt-
nen Wörtern am wahrſcheinlichſten auch ein
ſeltner Begriff verftedt iſt, bei an. Asyol. u. dgl,
noch viel zu wenig zu beachten. Weit cher als „in tem-
pore”” ließe ſich x 52 etymologiſch etwa über her. Dres
hang, mwährend der Hervorwindung cded Kindes)
denten; wenn nicht auch Dabei ber Dual oder Plural ent-
gegen wäre, und das wefentliche Hervor im Begriffe. von
Dr car) fehlte Das von- Batablus angeführte „inrpro-
einctu,“ od. eig. „in propenden.d.o (Gum propendet puer,
EraR nach ja pondus) iſt zu EN oder ekelhaft contort,
‚modo; fo wird auch das Wort AR: Igin, eigentiich die Bale des
Weberftuhles, anf weiche ſich das fertige Gewebe aufrollt, trop. as
Art und Weife gebraucht, 3 2. —2* As (se;
f ou. ⸗ 6 ⸗v 2
hoc modo, 8 * M (ie is 8 factum est hoc
u ad hen alius, Kehnlich iſt die Dredemeife (sie As 7
5, s a r eucurrit E hoc in surriculo illius, i. er ean-
in rationem secatum est.”
2”
638 Bsoͤttcher.
als daß es Gegenbeweiſe brauchte. Aber der Zeit punct
des Kindes⸗-Austritts, den alle dieſe Deutungen
ſuchen, und alle alten Verss. auch ſchon ausgedrückt
haben, laͤßt ſich mit den Drehſcheiben von Jer. 18,
ſo zuverſichtlich fie Michaelis „ad Ex. L., 16. inepta“ finden
mag, doch -recht gut und Leicht ohne weitern NRothbehelf
vereinigen.: Das Hervorkommen eines neuen zarten Mens
fchengebildes unter den Händen der Wehnnitter, fein Her⸗
vorwinden DA 20 (Deut. 28, 57.) behält immer in vies
len Stüden mit dem drehenden Hervorbilden des Kruges
- oder Topfes, zwifchen den Schenfeln des Meifters auf der
Scheibe, die gleich anfangs bemerkte, auffallende Aehn⸗
> lichkeit (W. 52. 55% Wenn nun fchon nach. allgenteinterer
und oberflächlicher Vergleichbarkeit der Menſchenſchöpfung
und Leibesgeftaltung mit. der Thonbildung die Dichter
fat immer in Ausdrücken von der Töpferarbeit über die
Hervorbringung des Menfchen fprechen (Sef. 29, 16. 45,
9, 64, 8. Ser. 1,5. Pi. 94,9. u. 8.), und von der fehr
gangbaren irdenen Waare wie von den Berrichtungen ih-
rer Verfertiger überhaupt oft Bilder entlehnen Geſ. 41,
25. Ser. 18. Thr. 4, 2.-9f. 2, 9): warum follten nicht die
mit den Umfländen der Kindesgeburt, wie mit ber Zube
reitung des vielfächen thönernen Hausbedarfs Doch noch
vertrautern grauen und Hebammen in ihrer Sprade
über Entbindungen gern auch Redensarten vor Der fo
ähnlichen Topfbildung gebraucht haben? Das Fortſchrei⸗
ten der Geburt vom Austritte des Kopfes und Hervorwin⸗
den des Leibes bis zum Ablöfen des Nabels glich fo ſehr
der allmählichen Bildung Des Thongefäßes vom erften run⸗
ben Klumpen bis zur endlichen Lostrennung der hervors
gedrehten fertigen Rundgeflalt, daß fich die einzelnen
Epochen der Entbindung recht wohl nach Unterfchieden
bei der Topfbildung benennen ließen, und don dem
Kinde, wenned während feines Austrittg noch
nicht — den — von der Mutter
Gegenbemert. zu. Rettig o exeget. Analekten. 639
gelöft war, eben fo wie von dem noch im Empors
drehn begriffenen, noch nicht mit dem Drabt
abgezognen und weggeſetzten Topfe anuper 52,
noch auf der Drehfcheibe, gefagt werden fonnte.
Man brauchte fich Dabei unter „Der Drehfcheibe” nicht
mit Beflimmtheit Die genitalia oder den ganzen Mutter⸗
ſchooß oder die ganze Perfon der Mutter in übertriebenen
Bergleichungen (A., 2,2.) vorzuftelen. War doch ſchon
ohnedieß die Situation des Neugebornen und
ber befondre Zeitraum der Geburt und des He⸗
bammendienftes vergleichsweife Deutlich genug bezeich«
net: „Sehet auf den Drebfcheiben“f. fehet, wenn
ihr Das Kind noh niht vom Mutterfhooße
(das neue Gebild noch nicht von der Scheibe)
gelsft habt. Und gerade dieſer Furze Zeitraum iſt es, dem
jener pharaonifche Befehlam paflendften zur Wahrnehmung
und Tödtung des männlichen Gefchlechts beflimmt. Vergl.
was auch die Analekten bemertten, ©. 99. „Noch ehe das
Kindlein” u.f.f. S. 100, „Wieder Töpfer feine Gefchirre,
gefallen fie ihm nicht, auf der Scheibe zerfnittert, fü
Gott feine Gefchöpfe” Nur die „Quelle Des ganzen
bildlichen Ausdrucks“ "ur>3 können wir in Diefem Gedan⸗
fen nicht finden. Uebrigens aber bleibt die damit, anges
deutete Erflätung, fo verdeutlicht und entwidelt, wie.
wir es eben verfucht haben, und vonder Schaam ale
Drtsheflimmung auf den bloßen noch uirgetrennten
Zufammenhang mit derfelben, als 3 eitbefiimmung
übergetragen, doch wohl die ungezwungenſte, leichteſte
Löſung des fo vielfach verfannten philologifchen Räthfele.
"Die Deutung trifft, ohne allen etymologifchen, hiftoris
fchen oder rhetorifchen Nothbehelf gerade das Hauptinters
effe des Zufammenhangs, und bleibt den Worten-und
Saden, wie den Lmfchreibungen der Verss. nach allen
Seiten gleich angemeſſen. Es wäre ſchon unficherer und
weniger finnlich anfchanlich, wenn man "ser 59 allgemeis
640 Boͤttcher Gegenbemerk. zu Rettig'6 exeget. Analekt.
ner fprichwörtlich und nicht in nächſtem Bezug anf Ges
burtözuftände, etwa mit noch bei guter Zeit, nmoch
re integra, wo fi, wie auf der Töpferfcheibe, noch
Alles abändern (vgl. Ser. 18, 4. Horat. epp. II, 3, 22.)
und zu nichte machen läßt, erflären wollte, vgl. das Eis
fen fohmieden, weil e8 warm ift, aus Dem GStegreif, auf
der Stelle cf. ohne erft abzufleigen, erft weiter zu gehn),
e vestigio u. dgl, Mehr Anfprechendes hätte
€) ald Art, wie die Geburtöhelferinnen nachzuſehn
hatten, auf den Drebfcheiben fpridhwörtl. f. in
der größten Geſchwindigkeit, flugs, vergleich,
bar mit Redensarten wie „am Schnürchen, wie gefchmiert”
(auch bei Räderbewegung). Wirklich Dient auch Die Tös
pferfcheibe, und ganz fachgemäß, fchon den älteften Dich⸗
tern ald Bild gewandter Schnelligkeit, vgl. Hom. Il. 18.,
600, Plant. Epidic. IH., 2, 35. Sn der Stelle Pr. 25, 11,
war auch eine ähnliche fprichwörtliche Auffaffung von rızn
faft nothwendig (B, Not. d.); und im Aram. wie im
Arab, find felbft Adverbial » Ausdrüde für Schnelligkeit
und Eile Erra) von einem Berbalftamme für Rollen
ausgegangen; aber an näheren Analogieen für Die Fors
mel 'xr 5» fehlt es doch, und namentlich würbe ihre hies
fige Verbindung ‚mit na fehr befremdend bleiben, wenn
fie nicht fchon bis zur Vergeffenheit der eigentlichen Bes
deutung abgenußt gewefen wäre, wogegen wieber ihre
Seltenheit im Bibelterte fpräche, Die unter B .gegebne
viel haltbarere Erklärung kann und Diefe legte eregetifche
Ausflucht füglich gleich allen andern erfparen. —
|
— ——— — — — — ar =
er 641
4.
Ueber ben Ausdrud DIN Is
von \
M. Guſtav Morig Redslob,
Privatdocenten in Leipzig. a)
Der Seremia 18, 3.und Erodug 1, 16 vorkommende
Ausdruck zuaerı 59, der vor Kurzem zwei fehr ausgezeich⸗
nete Unterfuchungen, nämlich von Herrn D. Böttcher
Winer's Zeitfchrift Bd. 2 Hft. 2) und Herrn Prof. Rettig
(in dieſen Blättern 1834 Hft. 1) erfahren hat, ſcheint mir
auch gegenwärtig noch eines Verfuches zur Aufklärung zu
bedürfen, namentlich in Beziehung auf die Stelle des Eros
dus. Sch erlaube mir Daher, in Folgendem meine Betrach«
tungsweife aufzuftellen, ohne jedoch in allen einzelnen
Puncten derfelben anzugeben, wiefern für mich in denſel⸗
ben Hinderniffe liegen, einer der gangbaren Meinungen
beizutreten.
An der Stelle des Jeremia wird man durch Zufams
menhang und Wortform auf das faft einzige eigenthüm-
liche und deshalb auch eines eigenthümlichen Namens bes
bürftige Werkzeug des Töpfers, die Töpferfcheibe, fo ges
trade hin gewiefen, daß man ſich kaum verſucht fühlt, an
irgend etwas Anderes zu denfen. Aber audy in Bezug auf
bie zunächft an die Hand gegebene, jedoch in den genannte
a) Da diefer Gegenftand in den Studien einmal zur Sprache gekom⸗
men ift, fo ſchien es mir zwedimäßig, die hier folgenden und eine
eigenthümliche Anficht enthaltenden gelehrten Bemerkungen, die
mir während bes Drudes des dritten Heftes zulamen, mit der
voranftehenden Abhandlung zu verbinden; doch erlaube ich mir gu:
gleich die Erklärung auszufprechen, daß es nun hierbei fein Bewen⸗
den haben mag und bie Acten Über viefen fpeciellen Punct für uns .
ſere Zeitſchrift geſchloſſen find.
GC. Ullmann.
642 KRedslob
ten Abhandlungen beſtrittene Ableitung des Wortes, nach
welcher der unſerer Form zu Grunde liegende Singularis
ja als eine Nebenform von ax Stein erſcheint und dem⸗
nad das Wort etwa „Die (beiden) Steine” bezeichne,
fcheinen Die vorgebrachten Bedenklichkeiten mir nicht fo ers
heblich, daß fie zu einem Fünftlichern Berfahren auffors
derten.
Die Töpferfcheiben find gegenwärtig allerdings von
Holz und mögen es fchon feit langen Zeiten feyn. Das hins
dert aber nicht, daß uranfänglich von der Natur gebotene
paffende Steinplatten zu diefem Zwecke angewendet wur
den, welche zu finden und zu befchleifen den Töpfern uns
ter Den älteften Bölfern ficherlich leichter war, als hölzerne
Scheiben fich zu verfchaffen. Wer ſich durch einen Verſuch
überzeugt hat, mit wie geringer Kraft ſich der auf feiner
Are ruhende Mühlftein in Bewegung und Schwung feben
laßt, wird nicht glauben, daß eine ſolche unvergleichbar leich⸗
. tere feinerne Scheibe fo gar fchwer in Bewegung zu feßen
gewefen fey, und endlich, find ja wohl alle Werkzeuge in
ältern Zeiten unbehülflicher gewefen, als ihre fpätern ver
volfommnmeten Formen. Auf’ etwaige Proteftationen uns
ſerer Töpfermeifter möchte ich wenigftens nicht mehr geben,
als auf eine Proteftation unferer jegigen Kriegsleute gegen
die Handhabung der fehwerfällig coloffalen Waffen unferer
Deutfchen Borfahren. — War aber der Name für die Sade
zu jener Zeit mit Recht Steine gewefen, fo blieb er hers
nach, auch unabhängig von feiner eigentlichen und ur
fprünglichen Bedeutung, gerade wie jan noch in der Be
deutung Senfbleiblich, als man bereitd Blei flatt eines
Steines zu gebrauchen pflegte. a)
a) So find bei uns Saiten eigentlich nur die aus Därmen gefertigs
ten, wie nennen aber aud) fo die metallenen Drähte, ſowie bie mit
feinem Draht umfponnenen feidenen Fäden, bie unter beftimmten
Umſtänden an bie Stelle ber frühern Darmfaiten getreten find.
Auch nennen wir die Steine im Bretfpiel Steine, obgleich fie
über den Ausdruk ENNT Sp 643 '
Aber andy felbft zugegeben, Daß es niemals fleinerne
Töpferfcheiben gegeben habe, fo muß ja gar nicht alles
Stein feyn, was wegen irgend einer änßerlichen und uns
wefentlichen Aehnlichkeit fo genannt wird. Die Hebräer
fagen ma mu. Darf man darum glauben, daß der Hagel
jemals aus wirklichen Steinen beftanden habe, daß er nur
für ſteinern gehalten worden ſey, oder will.man deswegen
ax hier für ein ganz anderes Wort halten? Der Bern
ftein ift niemals Stein gewefen und hat Doc; diefen Namen
erhalten, Die Steine (d. i. Kernhüllen) des fogenannten
Steinobftes hat ficherlich noch kein Menfch für wirfliche
Steine gehalten und doch heißen fie fo. — Hierzu kommt
noch, dag ja ja gar nicht jax ift, daß die Vokalverſchie⸗
benheit es fehr nahe Legt, daß eine Verfchiebenheit des Ges
brauche flattgefunden habe, wie bei 2x9 und axs, rm» und
rap, caudex und codex, den deutfchen Ohr und Dehr,
daß insbefondere die natürlichere Form (mit dem A⸗Laute)
Pr ſich vorzugsweife an die eigentliche, Das geſuchtere
Pr dagegen ſich an eine entferntere Bedeutung hielt. Ges
rade diefe auf Holz Übergetragene Bedeutung (vgl, unfer
Steineiche) hat nun auch das unferm Worte entfpres
chende arabifche Rt welches, nach Golind, neben einer
andern, fogleich zu erwähnenden, ebenfalls uneigentlichen
Bedeutung, nodus in ligno bezeichnet. Wenn man fi nun
die alten Töpferfcheiben nur gröber zugehauen und Klötzen
oder Ambofen etwas ähnlicher denkt, fo würde mir der
ganze Stein des Anftoßed gehoben zu feyn fcheinen. Das
mit man aber nicht glaube, auch das arabifche Wort hange
mehr mit ei en 4: ax zufammen, fo fey noch bemerkt,
PP 5-..£ —
daß das Wort a na = Pe ) mit Kst dieſelbe Ue⸗
gar gar nicht mehr mehr aus Stein gefertigt werden, und wir koͤnnen fo
gut, als ber Hebräer Fear Jar MAP" JAN fagte, von elfen-
beinernen und hölzernen Steinen ſprechen.
644 2Redslob
bertragung auf den Kehlkopf hat, welcher demnach der
Stein im Halſe, nicht das Rad im Halſe iſt. «)
Schwieriger ift die Erklärung des Ausdruckes in der
erwähnten Stelle des Erodus, Denn daß hier Töpfer:
Scheibe auch nicht im entfernteften paßt, braucht gar nicht
erwähnt zu werden. Aber-auch durch tropifches Rüſt⸗
zeng und Kunft einen bequemen und natürlichen Sinn aus
diefer Bedeutung and Licht zu fürdern, möchte bis jet
noch nicht als gelungen erfcheinen, und wahrfcheinlich nie
mals glüden.
Denn jedenfalld heißt ersar an fich weiter nichts als
die (beiden) Steine, und befommt Die Bedeutung Toͤ⸗
Bferfcheibe entweder Durch den befondern Zufaß im,
oder dadurch, daß eben vom Töpfer und feinem Gefchäfte
die Rede ift und der befondere Zuſatz deshalb üiberflüffig
wird, wie in ber Stelle des Seremia, wo „sr felbft uns
mittelbar vorhergeht, fo daß man füglich an etwas Andes
red, was etwa dieſen Namen noch führte, nicht benfen
fann. So fteht Deut. 25, 13 jax für Oran jax, und Jeſ. 34,
‚ 11 für Das jan, weilin dieſem Zufammenhange die ger
nauere Bezeichnung überflüffig if. Sp reicht unter den⸗
felben Umftänden das Iateinifche rota und das Dentfche
Scheibe ebenfalls gar wohl hin, um bie rota figularis
und Töpferf cheib e zu bezeichnen, wie ſich zeigt, wenn
wir die Stelle des Jeremia überſetzen wollen. So wenig
man aber Deut. 1. J. jax durch Bleiloth und Jeſ. LI.
a) Jonathan Überfegt, recht gut im Einklange hiermit, NITO 55,
und Nettig führt dazu an: „Stamm — jedem Stoffe, der in
feinem Aeußern demfelben ähnelt, (dah. Ambos) und wegen ber
runden Flaͤche des Stammes am Abfänitt = Rab, Scheibe und
Alles, was biefem nahe kommt. — — 719 est lignam crassum
etc. Sota fol. 11,2, —“ Ich füge hinzu, daß d. Pur, TITO |
NO darum geradezu der Wagen bebeufet. — Dies für bie:
jenigen, welche nun einmal rota, rgozög ald zunachſt vermittelnde
Bedeutung betrachten wollen,
[8
l
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I
|
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j
r
über den Ausdruck DNTt Ip 685
durch Gewicht uͤberſetzen kann, fo wenig man carpenta-
rius fabricatur rotas überſetzen kann: der Wagner
verfertigt Töpferſcheiben, oder auf ähnliche Weiſe
es verſtehen kann, wenn wir ſagen: Der Glaſer
macht Fenſter und zieht Scheiben einz eben fo
wenig fann man or=x an einem Orte, wo von Geburt und
Entbindung die Rede ift, durch Töpferfcheibe überſetzen.
Es heißt allemal zuerft wieder: Die (beiden) Steine, &
Wenn ich nun ſchon glaube, daß aus der Stelle des
Seremia ſich auf Die Des Exodus nichts in Bezug auf die
Bedeutung des Wortes zmax übertragen läßt, fo fcheint
mir außerdem auch noch Die Sonftruftion der Formel an
beiden Drten verfchieden zu feyn. er. heißt es namlich:
Baar, by and rs und unfre Worte bilden hier offenbar
einen abverbialifchen Zufag: auf der Scheibe. Im
Erodus dagegen heißt ed: era ds ma und gewiß
wird jeder es für das Natürlichfte halten, 59 mit mm zu
verbinden ( wie Ex. 5, 21. 59 =s mp» Iob. 14, 3) und
zu überfegen: fo ſehet auf Die oder nach den (beis
ben) Steinen, Für dieſe Eonftruftion fprechen nämlich
folgende Gründe, 1) Wäre’am, >s hier ein abverbialifcher
Beifag, fo ſtünde rıay inder Bedeutung wie beobachten,
Adt haben absolute, ohne Nccufativ. Aber wo rm in -
diefer Bedeutung vorfommt, wird es ftetd das Objekt bei
fi) Haben, wenigftens wo es absolute fteht, hat es gerade
dieſe Bedeutung nicht (f. d. Lex). Es müßte Demnach wohl
eing erbum hier ſtehen, welches auch absolute geſetzt we⸗
nigſtens feinen Mißverſtand gäbe. 2) Würde man ſich wun⸗
dern müffen, Daß ber wenig bedeutendellmftand, unter
weldyem gefehen werden follte, angegeben wäre, währ
tend der ungleich wichtigere, worauf gefehen werben
a) Mit diefem Gebrauche des Wortes war’ Zoynw vom zunãchſt lies
genden Segenftande Ser. 1.1. ſtimmt auch insbefondere Überein die
Setzung des Artikels eraanrı, ber es faft gleichbedeutend macht
mit, Yan 59,
646 Redslob
ſollte, nicht angegeben wäre. Und noch dazu iſt erſteres
um ſo überflüſſiger, da ſchon die Zeit und Gelegenheit der
Beobachtung angegeben iſt, naͤmlich 797%°3, und letzteres
am fo unentbehrlicher, da das folgende ar 72 um zu
fchroff. auf das bloße yrman folgt und man zwifchen beides
‚ einen’ vermittelnden Gedanken braucht, wie: welches
Gefchlechtes das Kind ift, welcher aber bei Diefer
Auffoffung nicht hinreichend angedeutet if. 3) Würde in
dem Ausdrude eine für die umftändliche hebräifche Profa
zu harte Zufammenziehung ftatt finden, Denn 'arı 5s wäre fo-
viel als entw. ’nıı 59 janmııa, oder ’an 59 Invırıa oder
"an 59 bon nen vgl. Gen. 2, 15. 4, 14.
Beurtheile ich aber hiernach die Meinungen, die über
die Bedeutung ded Wortes aufgeftellt find und gegenwär:
tig noch zur Sprache kommen Tönnen, fo kann ich mih
nicht zur Annahme von einer derfelben verfichen. Mit
Herrn Dr. Böttcher foheint mir Die Deutung durch Ba-
Dewanmne nichtig, namentlich weil die Hebamme lange
vorher ſchon, ehe fie das Kind über Die Badewanne bringt,
das Gefchlecht deffelben zu erfennen Selegenheit hat, weil
ferner das Gefchlecht des Kindes Cbefonders wenn Leben
und Tod auf dem Spiele fteht) ein fehr intereffanter Um-
ſtand für die Eltern deffelben ift, die es in.der Regel
fhon vor der Geburt gern wifjen möchten und die Hebam⸗
me zur Aufmerffantkeit darauf jedenfalls fo bald veran⸗
laſſen, ald nur irgend Die Kennzeichen deffelben fichthar
werben, und weil endlich die Form bes Wortes einexgjols
hen Bedeutung gar nicht günftig ift. Denn gefeßt auch,
ery3, welches man hier zu vergleichen vielleicht geneigt
ſeyn möchte, hieße wirklich ein mit einem Deckel verfchlof-
fener Topf fo fiher, daß es ſich zu einem Belege eignete,
und man wollte demgemäß an eine Dedelmanne denken,
fo würde doch einzugeftehen feyır, daß der. Dedel einer
Badewanne gar nicht ein fo nothwendiges Stüd derfel-
ben ausmacht, daß er für eine wefentliche Hälfte derfel-
über den Ausdrud un 9 . 647
ben anzuſehen wäre, während bisweilen... B. bei’m fü»
genannten Dämpfen ber Speifen und bei mandjen chemis
ſchen Verrichtungen) bei einem Topfe die Verfchließbarkeit
durch einen Deckel etwas Weſentliches ſeyn kann und ge⸗
wiß nur aus dieſer Rückſicht einem ſolchen Topfe die Dual⸗
form gegeben werden konnte. — Mit Herrn Prof. Rettig
aber ſcheint mir, aus allen den Gründen, die er ſo übers
zeugend ans einander ſetzt, auch Die böttcher’fche Erklä⸗
rung durch Geburtöftuhl verwerflicd. Zu feinen Gründen -
füge ich nur noch ben hinzu, Daß Der Name der Sadıe
von Der Töpferfcheibe hergenommen ift, was mir nicht
nur, wie:ich oben auseinander gefeßt habe, willfürlich
und unftatthaft erfcheint, fondern geradezu unbegreiflich
ift, weil, was einer Töpferfcheibe nur im Mindeften ühs
nelt, fich ficherlich zu einem Lager für eine Gebährenbe
nicht eignet, gefchweige denn, daß eine Löpferfcheibe ſelbſt
für dieſen Zweck nöthigenfalls mir anwendbar fcheinen
könnte, — Endlich aber kann ich auch der Meinung des
Herrn Prof, Rettig nicht beitreten, weil der Tropus eben»
fans in der Töpferfcheibe liegt und. an ſich wohl. sbenbwein
noch fehr ſubtil und Fünftlich ift, auch ſich nicht gut den⸗
ten läßt, wie vor Dem Austritte aus ber Mutterfcheibe
die Hebamme über das Gefchlecht des Kindes in Gewiß⸗
heit feyn kann. — Alle.drei Meinungen zuſammengenom⸗
men aber Inboriren an dem, was mir die Annahme von j
a 59 als abverbialifchen Beiſatz ſchwierig macht.
Kurz, der anderweitige Gebrauch des Wortes fcheint
mir Fein Licht auf unfere Stelle zu. werfen, Die alten Vers
fionen denfelben abfichtlich umgangen zu haben’a), die
überhaupt in Betracht kommenden Erklärungen aber uns
zuläſſig, wenigftens unbefriedigend zu ſeyn. Und unter
foichen Umflärden werde ich‘ nichts Ungehöriges zu thun
fheinen, wenn ich ben gordifchen Knoten mit einer- er
jectur zu zerhauen verſuche.
a) Mit Ausnahme des Onkelos, von welchem beranad) unten.
‘
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... “ L Zr 3 ® 4
ZIch gehhe davon and, daß zu conſtruiren ifl.>> rm,
ſehen aufzetwas, nach etwas, und daß hier bu
Name eines Gegenſtandes zu erwarten ſey, der über das
Geſchlecht des Kindes den hinlänglichen Aufſchluß geben
konnte, ‚auf welche Weiſe überhaupt nur eine natürliche
Verbindung mit dem folgenden "m za fich herftellen läßt.
Jedenfalls aber find das Erkenntnißmittel des Gefchlechtes
eines Kindes nur die Gefchlechtötheile deflelben, und du
die männlichen Kinder der Gegenftand des pharaoniſchen
Befehls find, wäre ich vollfommen geneigt, beiden bew |
den Steinen an die männlichen Teftifein: zu Denfen und
den Außdrud für einen Euphemismus zu ‚halten, an web
chen für dergleichen Gegenftände die Sprachen der ven
ſchiedenen Völker einen ziemlichen Borrath zu haben pfle
gen,.und. der hier ftatt des eigentlichen YBortes dem Ph
‚rau ald Könige und Manne den Hebammen gegenüber
vielleicht mit befonderm Grunde in ben Mund gelegt wäre
... Daß die Dualform für eine folche Bebeutung ganz an
ihrem eigentlichiten Drte fey, wird niemand. bezweifeln.
Auch etymologiſch aber fcheint Die VBermuthung einer bins
Länglichen Unterſtützung nicht zı7 ermangeln. "Allerdings
babe. ich. in feiner verwandten Sprache ein ganz entfpres
chendes, d. h. ein von Demfelben Bilde ausgehendes und
anf. denfelben Gegenftand übertragenes Analogon finden
können, Doch fiheint mir dieſer Umftand an. fich nicht won
fo bedeutender Wichtigkeit zu feyn und zum Theile dadurch
erlebigt zu werben, Daß das in allen Dialekten in dieſer
Bedeutung fo gewöhnliche mars im Hebräifchen wenigſtens
kein Beifpiel irgend eines uneigentlichen Gebraudyes hat,
was wohl zu. der Bermuthung führt, Daß dem Hebraer
ein anderer Gegenftand zur Bezeichnung der Sache das
Bild geliehen habe, — Wie wir oben ermähnt haben, hat
aber das. hebräifche ax ſchon einen mehrfadren uneigentli⸗
chen Gebrauch, namentlich in Beziehung auf kleinere, härs
tere, Eugelige Körper., Unter diefen ſcheint mir nun der
raber den Ankh nam. 689
Ausdruf Yaan ganz:befonbers verwmittelungsfahig für
unfere Bedeutung zu ſeyn und:ein faſt ſprechendes Bild
zu liefern, wenn ‚man ſich Den. Beutel mit den Gewicht⸗ |
feinen als zen: Gürtel herashängend vorſtellt € of ibn
— coriaceum eta ‚sitniljtudine gerotum. G ol. ). Wie
aber die künſtlichere Form } ah Rast a8 für eine folche künſt⸗
lichere Bedeutung nicht nut geeignet, Kane IeIeR ges
macht feyn könnte, . fo bite bad entſprechende ri (und
a mit feiner Bedeutung Kehlkopf wieder ein klei⸗
nerer, härterer, Tugeliger Körper) wenigftens eine Ueber
tragung auf-einen Theil bes thierifchen Körpers,. Wenn
wir aber den Dual zuan geradezu für .scrotum nehmen,
wie im Arabifchen nach Golins Kuna, testicalus.und deu
Dual due pelliculae testiam, scrotum bezeichnet, und Lus
dolph im Athiop. Ler, bei nsox bemerft „in plurali pro '
scroto accipiendum videtur,‘‘ fo feßen wir hiermit nicht eins
mal ein Synonymum zu Tör, und befommen einen Begriff, -
für welchen im Hebräifchen überhaupt ein Wort fich we⸗
nigſtens nicht erhalten hat.
Die Etymologie des hebräifchen Wortes TER und des
äthiopifchen now von > (f. Ges. Lex. man.), nach Der.
der Gegenftand eigentlich heißt, index, testis virilitatis
(vgl. d. lat. testiculus) zeigt, daß man gerade dieſen Theil
der Genitalien ald Kennzeichen benust hat, womit überein,
flimmen würde, daß auch an unferer Stelle gerade auf ihn
die Hebammen verwiefen werden; und medicinifcher Seits
ift mir verfichert worden, daß dieß mit gutem Grunde ges
fhehen fey, weil bei Neugeborenen gerade Das scrotum
vor den benachbarten Theilen auf eine Die fpätern Vers
hältniffe weit übertreffende Weife, häufig felbft bis auf
einen befrembenden Grab ausgebildet fey.
Sn vollem Maße barin einverflanden, daß das
4
650 Redslob über den Ausdruck Warnty
warn des Ontelos a. u. St: nichts anderes ſey, als
“ayo, nadz,. glaube ich, daß dieſer Interpret Die Bedeutung
bes Wortes, die ihm befanntfeyn mochte, nur irriger Weife
auf die Organe der Mutter (oder bes Kindes weiblichen Ges
fchlechtes) bezogen habe, indem er diefelbe zu weit aufs
faßte, wenn nicht vielleicht ſelbſt anzunehmen iſt, daß eraan,
wie das arab. Wort de testiculi duo et vulvae labra
(f. auch Roſenmüller zu unſrer Stelle) bedeutet, von den
Genitalien beider Gef chlechter habe gebraucht werden füns
nen, was endlich felbft auch von dem chald. x)ae gelten
se
Die Meberfeßung des Verſes würde demnach feyn:
Wenn ihr die Hebräerinnen entbindet, fo beobachtet die
Zeftileln. Wenn es (nämlich das Kind, von beffen Te
ſtikeln Die Rebe ift) ein Knabe ift, fo tödtet ihn.
Recenſionen.
-
Theol, Stud, Jahre. 1834. 0048
1.
Der Prophet Sefaja, überfeht und ausgelegt von
Dr. Ferdinand Hitzig, der Theologie Licentiaten
und öffentlichem, ordentlichem Profeſſor an der Unis
verfität zu Zürich. Heidelberg, 1833. bei C. 5. Wins
ter, Univerfitätsbuchhändler. KLU und 650 ©. gr. 8.
Erſter Artikel
Gar Prof. Hitzig, den mit feinem erften literärifchen Ver⸗
ſuche, betreffend Die kritifche Behandlung von Jeſ. 2,24,
der Unterzeichnete im gelehrten Publikum eingeführt (vgl.
diefe Zeitfchrift, Sahrg. 1829 H. 2. ©. 349, tritt jebt,
nachdem er fich ingwifchen noch durch andere zur Kritik des
A. T. gehörige Schriften von der vortheilhafteften Seite
befannt gemacht, mit einer vollſtändigen Ueberſetzung
und Auslegung des ganzen Propheten hervor. Es ges
teicht Rec. zum befonderen Vergnügen, ſchon in jener klei⸗
nen Abhandlung des Verf. ex ungue leonem gezeigt, und
des einftigen Zuhörers Talent zu Tritifch » eregetifchen Are
beiten fowohl zuerft erfannt als zur weiteren Ausbildung
deffelben fleißig ermuntert zu haben. Der Berf. hat fich
in feiner neueſten ausführlichen Leitung. ein bleibendes
Denkmal feiner tüchtigen Forfchungsgabe, feiner gebiuger
nen Gelehrſamkeit und feines ausgezeichneten grammati-
43 *
654 zZ Higig’s
ſchen und kritifch s eregetifchen Scharffinnes geſetzt. Seine
Bearbeitung des Propheten Jeſaia gehört ohne Zweifel zu
denjenigen Werken auf dem Felde der altteftamentlichen
Auslegungsktunft, welchen das unverlennbare Gepräge
der Wiffenfchaft aufgedrüct ift. Aus dieſem Grunde wür-
digen wir hier diefelbe einer eigenen genau eingehenden
Kritik, zugleich, um dem Verf. auch nach feiner Entfernung
von und einen Beweis unferer fortdauernden Hochfchäßung
zu geben.
Der Berf. erklärt fich über den Zwed der Abfaffung
ſeines Buches im Borworte alfo: „theils wollte ich für eis
nen fo wichtigen und vielgelefenen Schriftfteller den Theo:
Iogie Studirenden ein bequemes, nicht allzumweitläuftiges,
und darum nicht zu fehr Eoftfpieliges Hülfsmittel in die
Hände geben; dann aber war ich fchon länger der Meis
nung, unfere Commentare ſeyen, feit den neueflen Fort
fohritten der hebräifchen Grammatik, einer gänzlichen Um⸗
arbeitung bebürftig geworden; und ich befchloß, von dem
Grunde oder Ungrunde dieſes Glaubens mich dadurch zu
überzeugen, daß ich, fo weit Kraft und Ausdauer reichen
würden, die jeßt geltenden grammatifchen Grundfäge mit
Gonfequenz auf Einen ber biblifchen Autoren in Anwen
bung brächte.”” Nach dieſem offenen Bekenntniſſe, welches
durch die Dedication des Buches an Herrn Prof. Ewald
in Göttingen, in welcher Diefer „Neubegründer einer Wifs
fenfchaft Hebräifcher Sprache, und dadurch der Eregefe des
Alten Teflaments” genannt wird, in Dem unzweibeutigs
ften Lichte erfcheint, wird. man erwarten, Daß, wie ber
Verf. auch, felbft fagt, „auf die Meinungen eines gefeierten
Erflärerd des Jeſaia öfter ausprüdlich und ausführlich
polemifche Rüdficht genommen worden”, und Rec. gehört .
gewiß nicht zu denjenigen, welche bes Verf, Erflärung,
„daß er fein Buch, welches zu fohreiben ihm ein Recht zu⸗
ſtand, weder für noch wider eine Perfon, fondern im
Dienfte der Wahrheit verfaßt habe,” in Zweifel ziehen
1
Ueberfegung und Auslegung des Propheten Sefaja. 655
möchten. Auch Rec. :ift fich bewußt, nar im; Dienfte der
Wahrheit an bie Kritif feines Werkes gegangen: zu ſeyn,
und glaubt nad; der Stellung, die: baffelbe eingenommen;
feiner Recenflon den belehrendften Zufchnitt zu geben; wenn
er auf die hauptfächlichften Differenzpuncte ber. Huslegung
zwifchen Der des Herrn D. Geſen ius und der bed. Herrn
D. Hitz ig bei der Prüfung vorzügliche Rückſicht nimmt.
Rec. wird ſich dabei von jenem exegetiſchen Tacte leiten
laſſen, den ihm der Verf. ſelbſt öffentlich zugeſprochen.
Wir beginnen mit der Prüfung des Commentars,
gehen dann zur Ueberſetzung über, die ja erſt aus dem
Commentare erwachſen iſt und den Geiſt der Auslegung
in ſeiner feſten Beſtimmtheit des treffenden Wortes darſtel⸗
len ſoll, und ſchließen mit dem, was zur fogenaunten Eins
leitung gehört und die Refultate. der. Fritifihen Forfchung
enthält. Denn nach Diefem Gange werden.wir am wenig⸗
ften Gefahr ‚laufen, in’ den gewöhnlichen Fehler der. Mes
eenfenten zu fallen, : allgemeine Berfiheruhgen: ftatt- be«
fiimmter Beweife zu.geben. In der Benrtheilung des Gonts
mentard handelt es fih um die fprachliche und hermeneu⸗
tifche Richtigkeit der. einzelnen Erflärungen, und da ber
Berf. wegen der neuen Begründung einer Wiffenfchaft hes
dräifcher Sprache die gänzliche Umarbeitung der exegeti⸗
fhen Werke über Das Alte Teflament für nothwendig ers
achtet, fo werben wir bei feinem praftifch gegebenen Bes
weife einer ſolchen nenbegründeten Auslegung forgfältig
nachzufehen haben, wie viele feiner Erklärungen benn
wirklich neu und haltbar feyen. Denn auf dieſe Weife al
Iein können wir zu dem ficheren Urthieile gelangen, mitıwels
chem Rechte Herr: D. Hitzig feinem Werke eine a
machende Bedeutung beilegen dürfe.
Gap.’ 1, 3 ftimmen wir bem Verf. bei, wenn er x
sm .abfolut faßt, wie Rec. diefe Erklärung fchon inr Sahre
1820 gegeben, al& er ben Propheten zum erften Male als
Privatdocentin Göttingen auslegte, und ihre ſeitdem im⸗
(>) ee .)711'7 8
mer treu. geblieben. Nur möchten wir die Ueberfegung von
Befenius „kennt ihn: nicht,” aus dem Grunde nicht falſch
nennen, weil. Jehova felber fpreche und doch weder rı»
. wech Isa Israels fey. ‚Denn warum follte Jehova nidt
ſchicklich als Käufer und Herr des Volkes gedadt
werben, da bie altteftamentlichen Schriften fo oft an bie
Loſtaufung und Befreiung Iſraels ans der Aägyptifchen
KRuchhtfchaft durch die Gnabe Gottes erinnern. Heißt es
erg in unferm Buche Cap. 43, 3 und 4; Ä
. : Sch gab ald-Löfegeld für dich Aegypten, -
0. Kufch:und Saba für dich hin, - |
Weil du theuer bift in meinen Augen,
"2 @eehrt, und ich Dich liebe,
So gebꝰ ich: Menſchen bin für Dich,
Völker anſtatt deiner.
uch das trifft nicht, wenn der Verf. bemerkt, ann
‚würde. zu Schwach ſeyn, wenn: sm.85 fic auf Jehova ber
ziehe: „denn das Volk könne natürlich nicht auf Jehova
achten, wenn ed-einen.andern Herrn gewählt habe.” Wo
ſteht im Texte, Daß ed einen andern Herrn gewählt habe? —
Es ift ja nur von dem Nichtkennen des Herrn die Rede, und
iſt dann nicht bag Nicht. auf ihn achten ſtärker? — Paarm
iſt iiberhaupt ein fehr ftarfer Ausdruck, und bedeutet hier mit
der Regation verbunden: es gibt ſich gar feine Mühe um die
Achtſamkeit, ed hat den Willen garnicht, auf Gott feine Ges
danken zu richten, Bergl. Hithp. deffelben Berb. in derfelben
Karten Bedeutung: feharf einen Gegenftand in's Auge faflen
Sap. 14, 16 und Hiob Cap. 31, 1, wo Doch gewiß nicht
ber. unmittelbar auf eine Sungfrau geworfene Bi als
Sünde fol gerechuet werben, fondern nur das abſtchtsvoll
berechnete und begehrungsfüchtige Hinfehen nach ihr. —
Aberr-jebenfalld reichen wir mit dem abfoluten Gebrauche
von Ir ad volllommen aus, ja wir gewinnen fo einen kräf⸗
tigeren Sinn und Schluß des Verſes. — V. 5:entfpricht die
gewöhnliche Erflärung von Geſenius ſicher mehr dem
Ueberfegung und Auslegung bes Propheten Jeſaja. 657
Zuſammenhange mit V. 6, als die von Hitzig von Saad.
Vulg. und Vitringa angenommene, nach welcher rarbs
in der Bedeutung „wozu? auch mit Ywroinzu verbinden fey.”
Sprachhärte kann wenigitend Rec. nicht finden, wenn wir
mo won burch das natürlich ausgelaffene Relativ. cr
unmittelbar an den vorhergehenden Satz anfchließen. Der
Zufammenhang wird im Weſentlichen derfelbe bleiben, wenn
auch im zweiten Gliede des Verſes die Ueberſetzung: „fes
des Haupt iſt Frank, und jedes Herz ift matt,” die fprhch
lich am meiften begründete feyn follte. Denn der Prophet
faßt, wie B. 6 zeigt, alle Einzelnen des Volkes in ein Gans»
zes zufammen, und wenn dann jeder einzelne Kopf flech und
jebes einzelne Herz frank ift, alfo, äußerlich und innerlich,
der Bolkeförper elend — wohin fol Gott ihn ferner fchlas
am? — B.6 hat dann der Prophet bei det Anfchaunng
des Volles ſchon mehr das Land im Sinne (wie ſolche Ueber
gänge auch fonft vorfommen, 3. B. Gap. 23, 13), auf weis
ches er Dann V. 7 in beftimmter Rebe übergeht. Indeſſen
fi die von den meiften Erklärern angenommene Ueber⸗
feßung: „das ganze Haupt ift krank, das ganze Herz ift
ſiech,, auch nicht fchlechthin zu werwerfen; denn was bie
Durchaus für nothwendig gehaltene Seßung des Artifels
nach 55 betrifft, fo fehlt derfelbe auch in andern Stellen, wo
jenes durdy ganz überfebt werden muß, z. B. 5 Moſ. 4,
20. — V. 7 überſetzt der Verf. das anftößige en naerran „wie
zerftörtes Land ber Fremden,” und gibt Davon die kunſtli⸗
he Erflärung: das Land biete einen Anblick dar, wie etwa
ein fremdes, das Jehova, weil ein folches feine nom für ,
ihn fey, verwüſtet habe. Der Prophet dente aber auf ein
beftimmted Land, das Jehova wirklich fchon verheerte,
nämlich Sedom und Gomorrha, von deren Zerftörung
bloß raBr19 immer vorkomme. Vgl 5 Moſ. B. 29, 22. und
Serem. 49, 18. Richtig erinnert der Verf. allerbinge gegen
die Ueberfehung von Geſenius: „eine Wüfte iſts, ale
von Feinden verheert,” wo Dada al6 kaf verltatis genom⸗
658 — — Hitzig s =
men wird, daß zennicht bloß verbeerenfey. Aber wir
werben einfacher verfahren, wenn wir 871 in feiner Grund⸗
bebeutyag umwen den urgiren: „eine Wüſte — wie von
Fremden umgewendet?’! rrasuin beziehen wir auf Das im
erſten Versgliede ſtehende aa zurüd, wie ya, welches
die mit Feuer verbrannten Städte und Das von den Frems
den. abgeweidete Fruchtland zufammen begreift, genannt
worden: und zwar ift dieſe Wüfte eine ganzliche Verödung,
ber Boden ift wie umgewendet. Mag es immer feyn, baß
ſonſt je nur von dem Zerftören Durch Gottes Hand ges
brausht. wird, philologifsh iſt es gewiß nicht unrichtig,
wenn wir es hier einmal in dem Grundbegriffe Der gäanzs
lihen Zerſtörung, auf die Feinde zunächft beziehen.
Und waren denn dieſe nicht. von Gott zur Züchtigung des
Landes (vergl. B. 6 und 8) geſandt? — -war es alfo nicht
immer. eine Umwendung, Die von Gott ausging? — Nach
biefer Erflärung ergibt. fih auch mr für die Auffaffung
leichter, als bei Hißig, Der es fürfand der Fremden
nehmen muß. Wenn er fagt, der Ite Vers beftätige feine
Erllärung, fo können wir das. wenigftens nicht finden;
denn da heißt es ja ausdrücklich, daß die Bewohner nicht
wie Sodom und Gomorrha geworden... — Das nieler«
Härte Maxz 992 V. 8 gibt der. Berf. „wie. ein- einfamer
Thurm der Wacht,” zum Theil Scheid folgend, Der ſchon
9 „Wactthurm? erklärt. > iftihm wie 2 Kön. 17, 9
f. v. a. Sao und rmız2 ad formam nyad, sm, mars ein
Nomen. f. v. a. Huth, Wacht. Gut iſt's nicht, daß. der
Berf. in Die Ueberfegung das „einfam” zur Verdeutlichung
des Gleichniffes eingefchoben. Und was die Erklärung be⸗
trifft, ſo weicht fie freilich von dem herrfchenden Sprach⸗
gebrauche der Wörter bedeutend ab, und können wir dieß
durch -Aufftellung. einer andern vermeiden, iſt's beffer.
Daher begnügen wir uns lieber. mit dem Gewöhnlichen,
und überfeßen nadı, Dem Borgange der Lxx: „wie eine bes
lagerte Stadt.” Inder VBergleihung.lage dann der Begriff
Ueberfegung und Auslegung des Propheten Sefaja. 659
bes Einfams-Ahgefchloffenen. Gefenins ſtimmt Arno Ist
bei und überſetzt: „fo die gerettete. Stadt,” mit ihm Yır2
lefend, und das Doppelte> wie Cap. 24, 2 auffaffend. Runs
ber Elingt jedoch der Ber, wenn wir > auch zum britten
Male ald Bergleichungspartitel nehmen; wie denn. auch Die
arnoldiſche Erflärung einem, obſchon recht glüdlidh
gewählten, Nothbehelfe ähnlich fieht. Ein noch. paflendes
res Bild Der. Bereinzelung der. Stadt würbe fich Durch Die
einfache Verwandelung des mz3 in nmmıs2. ergeben, wels
che Leſung vielleicht auch der .Vnlg.: zu Grunde liegt,
nach der Luther überfeßt: „wie eine verheerte Stadt,’
wo aber die urfpränglicshe Bedeutung des Abfchneibeng,. Die
im verb. na3 liegt, in: der abgeleiteten Des Zeritörend (vom
Weinberge hergenommen,. vgl. Ser, 49, 9) irrig aufgegrif⸗
fen ift, indem die andere Des Unzugänglichmachens und
Befefligeng ‚der Stadt weit näher liegt. Bel. 5: Mof. 1,
28; 3, 8 und Jeſ. 2, 1593 man. Wir überfegen: „wie.
eine felte Stadt.” Man darf bei der Bergleihung nicht .
überfehen, daß der Prophet bei Jra-na vorzüglich an die
Einwohnerſchaft non Jeruſalem gedacht haben will. —
V. 13 betrachtet der Berf: , als Prädifat der folgenden
Nomina und zieht nayin. np zum vorhergehenden Gate,
während Gefenius erflärt: Rauchwerk — ein. Greuel
iſt es mir. Nah Hitzig' s Anficht folten wir aber das
5 vn cher am Ende der drei Nomin. als zu Anfang ers
warten, wie denn überhaupt Der. ganze Ausdrud im Munde
Jehovas hier zu ſchwach erfcheint: Eins tft mir Reumond ıc,
Eine gleiche Stellung des pron, :person. |. 2 Moſ. 31, 14,
Wenn der Berf. gegen die Erflärung von Gefenins ans
führt, daß bei;ihr Die-folgenden Nomina zu abgeriffen ſte⸗
hen würden, verkennt er die rhetorifche Kraft der Rede ger
rade in dieſer Ahgeriffenheit: denn Jehova redet. in heili⸗
ger Entrüftung. Keinesweges ſoll ja musin auch gu um
na amp nun bezogen werben, vielmehr find biefe mit
dem Begriffe ‚des leuten Satzes zu verbinden, dergeſtalt,
60 Hisig’d
baß fie in dem rıız2 enthalten find. Folgende Ueberſetzung
feheint den Sinn des Driginald treu wiederzugeben :
- Bringt mir nicht ferner nicht’ges Speifeopfer,
Rauchwerk ift mir ein Greuel;
.. Reumond und Sabbath, Berufung feftlicher Bers
fammlung —
Sünd und Feſt — das kann ich nicht!
B. 18 ſtimmt der Verf. in der Erflärung mit Geſe⸗
nius überein, aber Rec. kann dieſe Erklärung nicht billis
gen. Nach dem Zufammenhange nämlich fcheint nicht ſo⸗
weht ſchon von der Reinigung der Sünde oder deren
Hmwegtilgung durch Gott Die Rede zu feyn, ale vielmehr
erft von dem Eingeftändniffe derfelben. Demnach denken
wir bei Scharlach und Purpur nicht an die bIntrothe Farbe
der Sünden, nad B.16, welches überhaupt dem guten
Geſchmacke wibderftrebt, fondern, was auch nach den Wörs
teen a und sohn näher liegt, an die ftärffte Ueberfärs
dung derfelben, fo daß fich im Gegenſatze der rothen Farbe
mit der weißen des Schneees und der Wolle der paflende
Sinn ergibt: wenn die Frevler ihre Schuld auch noch fo
fehr verbergen und mit Scheinheiligfeit übertünchen, fo
wird biefelbe, kei fie fich. in einen Rechtsſtreit mit Se
hova einlaffen, in ihrer nadten Blöße hervortreten. —
Ebenſo geſchmackwidrig iſt die ann des Berf. V. 20,
wo er überfegt:
Wenn ihr euch ſtraͤubt und wiberfirebt,
fo müffet ihr das Schwerdt verzehren.
Es ergibt fich aus dieſer Anffaffung der überkräftige
Sinn: ihr werdet gezwungen werben, das Schwerdt zu
‚ verzehren, d. i. Daffelbe in eure Leiber aufzunehmen, gleich
wie Speife. Rec. gefteht, nicht einzufehen, warum ſich
nur dieſe Erflärung grammatifch rechtfertigen laſſe. Zur
Bildung des fchärfiten Gegenſatzes mit dem zweiten Gliede
von B. 19 iſt unftreitig das Pi. onen ale flärkfte Paſſiv⸗
form gefetzt: ihr ſollt verzehren gemacht werben (benn auf
Ueberfegung und Auslegung des Propheten Sefaja. 661
den Ausdruck der Paffivität Fam es dem Propheten bier
beſonders an) d. i. aber, wie fhon Gefeniug richtig
“ bemerkt, für: ich Jehova will euch vergehren laſſen, welche
dem Sinne nady erforderliche Ausdruddmeife aber Jeſaia
Deswegen verfchmäht,. weil er gegenfäßlich auch der Form
nach Die genauefte Abrundung mit "Fasn bezwedtt. Jehova
wi fo auf das Beltimmtefte feine Activität an.bie Stelle
ihrer Activitat feßen: a if dann dad Inftrument, durch
welches Jehova folches bewirkt, und muß grammatiſch nis
Accus,. adverb. „in Anfehung des Schwerdtes“ aufgefaßt
werben, d. i. dann freilich eben fo witl als: ich will das
Schwerdt euch.verzehren laſſen. — Eap.3,4 folrbbm Hu-
delung, Mishandlung, Tyrannei ſeyn, ald nom. von Hithp.
Sem gebildet, mit Bergleichung von Cap. 66, 4 u. 1
Sam. 6, 6. Recht geben wir dem Berf., daß das nom
nicht wohl Durch Kinder mit Geſenius überſetzt wers
den fünne (denn man fieht gar nicht ein, warum biefer
abſtracte Ausdrud im Syebräifchen follte gewählt worden
feyn), aber dem Parallelismus gemäß fcheimt es paſſender,
eabsn für Rindereien zu nehmen: Kinderpoflen d. i.
Muthwille und Willkür follen über fie herrfchen. — V. 12
nimmt der Verf. an der gewöhnlichen Erflärung: ‚die Bes
drüder meines Volkes find Kinder’ unnöthigen Auftoß, und
will dafür überfeßt haben: „meines Volkes Gebieter ift ein
tändeinder Knabe”, indem er bemerkt: „das Prädikat dürfte
nur, wenn, Daß biefelben (die Kinder) Bedrücker fegen, hypo⸗
thetifch ausgeſprochen feyn follte, im Ging. ſtehen“, mit Bes
rufung auf Ew ald's Gramm. 8.571. ($.351.©.643,) Al
lerdings wird an der angezogenen Stelle gejagt, daß in enge
verbundenen Wörtern deffelben Sates mit dem Plural vie
Mede nicht anfangen, und dann auf einen einzelnen: der
Menge übergehen künne, welches nur in allgemeinen Säz⸗
zen ftatt finde; jedoch,” fest Herr Ewald ausdrücklich
hinzu, „Fann ein particip. ſchon einen kleinen ſich ſon dernden
Satz bilden.“ Und iſt denn uns kein Particip %— Wir com
66 Hitigo
ſtrniren und überfeßen: was mein Bolt betrifft, fo find feine |
Bedränger Kind, d. i. jeder einzelne dDerfelben ein Kind. Der
Singular ift hier ganz am Ort, Da ed dem Propheten aufbie
Begriffsbeſtimmung des Kindifch » d.h. Schwachſeyns in jer
bem einzelnen das Volk beherrfchenden Tyrannen, nicht aber
auf die wirkliche Aufzählung der Gebieter als eigentlicher
Kinder ankommt. Deswegen trifft auch der Einwurf gegen
die gewöhnliche Heberfegung nicht, „Daß Die Bedrücker, da
der Zuftand B. 4 erft Fünftig eintreten folle, keinesweges
Kinder feyen.” Wir brauchen übrigend nicht hartnäckig bei
der Bedeutung „Bedränger” in der Erflärnng von ni zu bes
harren, und. können recht wohl überfegen: „feine Gebieter
find Kinder”, denn Sach. 10,4 hat was Diefe Bedeutung ficher.
Indeſſen, gute Herrn waren diefe Gebieter gewiß nicht, wie
Der Zufammenhang zeigt, und unfere angenommene Bebeus
tung kann und fprachlich nicht nur nicht freitig gemadht
werben, fondern fie tft fogar wahrfcheinlicher. Es verhält
ſich mit wsiumgelehrt wiemit a. Was endlich das beider
Anficht Des Verf. auffallende suffix. plural. betrifft, fo will
er zwar, wir füllen ung an demfelben nicht ftoßen, aber
wenn man es nun doch thut? — Die Berufung auf Ewald
S. 123 faun den Zweifler nicht vollfommen zufrieden ftellen,
der einmal von unferer Betrachtung der ganzen Stelle außs
geht, und dabei den Parallelismus beachtet: denn Taie ift
Doch eigentlich im Plural zu faffen. — Cap. 5, 12 bemerkt
der Verf. richtig, daß rrrmea ein Nominativ. fey, ‚und
überfegt: „Da macht Cither und Harfe, Paufe und Flöte
und: Wein ihr Gelag“, was unſtreitig beffer. ift, als wie
Geſenius den Vers gibt: „fie haben Either und Harfe,
Haufen, Flöten und Wein bei ihren Gelagen.“ B. 14 vers
dient Dagegen die Ueberſetzung und Erklärung von ® efes
nins vor der von Hißig wieder den Borzug, indem ber
letztere die suffix- fem. gen. sing. auf Sird) bezieht, und die
einzelnen abstracta pro concretis nimmt, wodurd; ein hars
ter Sinn gewonnen wirb,. weicher fich in ber Ueberſetzung
Veberfegungund Auslegung des Propheten Sefaja. 663
darlegt: „unb hinab fährt ihre Pracht, ihr braufenb und
tobend Heer, und wer ob ihr froklodt”, wobei wir bes.
merken, baß 2 bei 19 ald den Grund des Frohlockens an⸗
gebend genommen ift. Gegen die Örammatif verftößt aber
bie Heberfeßung von Gefenius gewiß nicht: „und hins
ab fährt ihre Herrlichkeit, ihr Reichthum, ihr Toben und
was darin frohlockt“, und es handelt fich bier nur um den
Gefhmad der Auffaffung, in welcher Beziehung Herr
Hitzig die Frage aufwirft: „die Unterwelt wird doch
nicht etwa, ben Schall der Flöten u. f. w. verſchlingen fols
Im?” Da die Unterwelt der Ort bes tiefiten Schweigens
it: warum nicht? was wäre in fühn » poetifcher Sprache,
in welcher doch offenbar hier der Prophet redet, Dagegen
einzuwenden, daß es heißt, wie wir überfegen: „und hins
ab fährt ihre Herrlichkeit, ihr Sau und Braus, und was
darin frohlodt.” Freilich kommt bier Alles auf den richs
tig gewählten Ausdruck in der Ueberfeßung an. Vom
„Berfchlingen” ift im Texte gar nicht die Rede, was natür⸗
lich fehr unpaflend wäre; aber der Berf.'fchiebt dieſes
Wort dem Propheten unter, ber ja m gebraucht. Die
Sufßxa beziehen wir übrigens ohne Schwierigkeit auf Je⸗
rufalem, welches der Prophet bei der Beichreibung des
üppigen Sündenlebend vorzugsweife im Sinne hat. V. 17.
überfeßt Der Berf. Das 2te Glied: „und freffen wandernd
ab die MWüfteneien der Widder.” Er zweifelt, ob er
23 zu der Perfon im Verbum ale Ergänzung betrach⸗
ten fol, malend, wie die Heerden wandernd im Weiters
ziehn jene Felder abweiden, oder ob ed als Appefition zu
ara zu ziehen ſey, welches dann ebenfalls das Subject im
Sage wäre. Der Prophet erkenne den Heerden Die vers
ödeten Gefilde ebenfo zu, wie B. 14 der Hölle die zu ihr
Hinabfahrenden. Einen Fräftigeren Sinn gewinnen wir
aber unftreitig durch die Erklärung von Geſenius:
„unb auf der Reichen verödeten Gefilden ernbten Fremde”,
die wir in ber Ueberſetzung nur fo verändern möchten:
662 | Es
„und in ben Wüften ber Fetten eben ſich Fremdlinge
nähren.” urn ſteht allerdings zuerſt von fetten Schafen,
aber ed kann dann auch recht gut auf wohlgenährte Reiche
fibergetragen ſeyn, befonders in unferm Berfe, wo in ber
erften Hälfte der Prophet =aa2 vor Augen hat. eben
falls Dürfen wir den ausdrucksvollen Gegenfat der Wis
ften und Fetten nicht Überfehen : die fruchtbaren Felder
"der wohlgenährten Befiger find jegt Wüſteneien geworben,
in welchen fremde Hirten mit ihren Heerden herumzichen
und dafelbft ihre Nahrung gewinnen, Der Liebe der Orien⸗
talen zur Anigmatifchen Redeweiſe ift der Ausbrud ganz
angemeflen: Fremdlinge verzehren die Wüſten der Fetten.
Wie kann man Wüſten verzehren, und wie können Wüften
fett machen? — Die gegebene Erklärung löft das Räthfel,
welches nach der Ueberſetzung von Geſenius ungeloͤſt
bleibt; denn freilidy erndten kann man auf verödeten Ge
flden nicht. Die feine Ironie der prophetifchen Rebe geht
Dann verloren. — Recht hat Hitig gegen Geſenius,
wenn er im gleich folgenden 18ten Verſe is und ren
nicht durch Strafe und Verderben, fondern durch Schuld
and Sünde gibt: denn der Prophet fehildert die hartnäcki⸗
gen Böen, welche mit Harem Bewußtfeyn über ihr geſetz⸗
loſes Leben wie mit Gewalt Schuld auf Schuld häufen;
freilich Fönnen ihnen auch die Folgen der Sünde nicht vers
borgen bleiben, ſie wiffen secht gut, fo zu fagen, daß 9
Schuld und Strafe zugleich bebeutet, und infofern ift es
nicht geradezu falfch, mit Geſenius zu überfeßen: „wehe
been, die die Strafe herziehen an Striden des Laſters,
und wie mit Wagenjeilen das Berderben”; aber an pfychos
logifcher Tiefe gewinnt unflreitig Die Erklärung, wenn wir
ben Grund der Strafe in der Ueberfegung hervorkehren. —
Ehen fo billigen wir V. 19 des Verf. Heberfegung: „es =
beſchleunige fich fein Wert”, ſtatt: „er befchleunige u. f. w.
wegen des Parallelidmus, wiewohl Die letztere auch son
Gefenins angenommene Erflärung richt gegen bie
Ueberfegung und Audlegungded Propheten Jeſaja. 665
Sprache ftreitet. — B. 30 werben die Worte der letzten
Hälfte von unferm Berf. überfegt: „man fchaut zur Erbe,
und fiehe da Finſterniß der Angit. - Und zum Lichte — es
ist verfinſtert durch ihr trüb Gewölk.“ Diefe Ueberfetung
beruht auf einer originellen Betrachtung der Stelle. Vor
allem follen wir nicht Die Paralleiftellen Ssef. 8, 21. 22 und
Ser. 4, 23 überfehen. Ans ihnen gehe hervor, Daß wir zu
van 223 einen Gegenfat haben müſſen: wor "xy fey alfo
durchaus die Präpofition > ausgelaffen, und fomit 1% mit
er zu verbinden. Daß in für Himmel oder Sonne ges
fügt werde, ſey vortrefflich, weil 7er fich fehr gut anfchließe
und TEH vorausgegangen ſey. Was nun die Abtheilung
der Worte betreffe, fo fen bei Ten der Munnach, bei 2
das Sakef, bei "im aber Sakef gadol zu feben, 1 mit, zu
präfigiren, wie 512 Sam. 13, 26. In den letzten Wors
ten beziehe fich das suffix. an ES auf yır, und mmııg
verwanbs mit >a72 bebeute urfprünglich das Herbſtgewoͤlk,
mit Dem gegen die Regenzeit der vorher immer heitere
Himmel ſich überziehe, fey aber fpäter im allgemeinen
Sinne gebräuchlich geworden. „hr trübed Gewölk“ fey
das, welches fich über ihr lagere. Seitbem Rec. fich mit
ber Auslegung bes Jeſaia befaßt, hat er immer das suffix,
bes legten Wortes auf yax bezugen, und ftimmt alſo in
diefem Punkte dem Verf. volllommen bei. Deögleichen hat
er immer ir mit mir verbunden, und hat die von Geſe⸗
nius adoptirte Ueberſetzung: „bald Angit, bald Licht,”
etwas gefucht gefunden. Er theilt auch den Tadel des
Berf. gegen bie gewöhnliche Erklärung, Daß nach derſelben
gerade 13 und Tin verbunden werden, „der eigentliche Aus⸗
druck dem umeigentlichen für das Gegentheil coordinirt, fo
dag eine Umftelunig von Ta und 13 wünfchenswerth fey.”
Aber verlaffen muß Rec. ben Verf. in dem Ausfpriche, Daß
die Worte ya> wa nach der Auffaffung: „fchant man
aufs Land,” völlig lahm und nichtöfagend daſtänden, wäh»
rend doch Ssefaia fichtbar affectvoll endigen wolle. Sm Ge⸗
666 Hitzig's
gentheil ergibt ſich nach der gewöhnlichen Erklärung ein
kraͤftiger Sinn. Der Prophet läßt uns zuletzt nicht blos
hören, wie einſt mit Meerestoben der Feind gegen fen
Volk antoben werde, fondern er laͤßt ung auch einen Blick in
fein hartbedrängtes Land hineinwerfen, wie es da ausſehe.
Sollte ein fharfer Gegenfag zwifchen Pr und Yin bewahret
fepn, iſt's wenigftend nicht im Geiſte einer vom Verf. gefun⸗
denen affectvollen Rebe, daß vor "ix dag 5 praefix. aus⸗
gelaffen worden, wofür wir gerne das 7 hingeben würben.
Auch will fich das suffix. an Pa nicht recht ausnehmen,
wenn yıw hier die Erde und nicht das Land bedeuten fol.”
„Das Licht ift verfinftert durdy das trübe Gewölk, welches
fidy über ihr Iagert”” — näher hätte dann jedenfalls dem
Propheten zu fagen gelegen, das Licht verfinftere fid
Durch das Gewölk, das fich über den Himmel Iagere. An
beftimmter und klarer Anfchaulichkeit gewinnt aber das Ge
mälde, wenn uns der Prophet das Land Juda mit ei
nem dicken Nebelgewölk überzogen zeigt, wodurch ed ganz
finfter in demfelben wird, — Cap. 6, 9 madıt der Berf.
bie richtige Bemerfung, daß der an Jeſaia gerichtete Auf
trag Jehovas in zwei parallelen Sägen ausgedrückt fey, wos
von jeber einen pofitiven und einen negativen Befehlenthalte;
der letztere ſey durch den Imperativ mitdx ausgebrikckt, wie
es die Regel erheifche; davon fey der Fall zu unterfchei-
den, wo zwei Smperative, oder flatt des leßteren n> mit
Dem zweiten Modus, fo verfnüpft werden, daß der zweite
die gewiſſe, nothwendige Folge der Erfüllung des er-
fteren Befehles ausbrüdt: welche Folge alfo mittelbar
ebenfalls befohlen fey, und daher im Imperativ flehe;
wogegen der erite Imperativ beinahe den Sinn eines Bes
Dingungsfaßes erhalte. (Ser. 27, 175 1Kön. 22, 125 2 Kön.
5, 13 vergl. 10.— Ser. 26, 27; 2 Kön. 18, 32, wo ein Im⸗
perativ nebft einem. zweiten Modus mit x> den Nachſatz
bilde, und Jeſ. 8, 9. 10, wo den zweiten Modus ohne
> im Nachſatze der Wechfel der Perfon verlange.) Hier
Weberfegung und Auölegung des Propheten Iefaja. 667
num finde der erſtere Fall ſtatt, alſo ſey die Ueberſetzung
der Lxx, welcher man zu folgen pflege, durch das Futurum
falfh. Während daher Geſenius überfegt: „hört nur
immer, ihr werdet nichtö verſtehen, feht nur, ihr werdet
es nicht einfehen?”, gibt unſer Verf. die Wortefo: „höret
immerfort, aber verſtehet nicht; und feht fortwährend, .
aber feht nicht ein.” Sec, ſtimmt dem Sinne nad) diefer
Ueberfegung vollkommen bei, obfchon er fte den Worten nach
anders formt. Aber nicht fo kann Rec, die Erklärung des
Berf. unterfchreiben: „Sefaia fingirt hier am Ende feiner
Laufbahn, auf die gemachte Erfahrung zurückſehend, es
ſey ihm von Jehova die Erfolglofigfeit feiner Beſtrebun⸗
gen vorandgefagt worden. Als feine Anftrengungen frucht⸗
[08 gewefen waren, mußte er dieß natürlich als vorher;
gefaßten Beſchluß und Willen Jehova's anfehn; und er
fagt nun, indem fein Befehl an das Volk zugleich Befehl
Sehova’s ift, Jehova, welcher ihm freilich ganz andere
Aufträge gab, habe ihn angewiefen, feinen Befehl an das
Bolt, verftodt und einſichtslos zu feyn, zu überbringen‘:
paſſend dieß, weil, nach dem Erfolge zu.urtheilen, man
nicht anders hätte glauben follen, als: Jeſaia habe zur
Verachtung feiner Prophetie und zu ewiger Verfennung
der Wahrheit aufgefordert.” Bon einem Fingiren bes
Propheten am Ende feiner Laufbahn ift da gar nicht
die Rede. Als wenn ſich Sefata nicht zu Anfang. berfels.
ben die alte Erfahrung, die ſchon Mofed gemacht hatte,
wie fein Volk ein durch und durch widerfpenftiges fey,
hätte vor Augen flellen Fönnen. Der Verf. überficht den
tiefen Wahrheitsfinn und die feine Sronie Der grammatifch
richtig erklärten Worte, Sefaia kennt den Geift des. echten
Widerfpruch gar wohl, wie er ſich befonders in feiner
Nation immer mächtig erwielen: je mehr.ffe feine Worte
hören würde, ift er überzeugt, deſto weniger würbe. fie
ihn verfichen. Diefe Ueberzeugung, von Sefata im Namen
Theol. Stud. Jahrg. 1854, 44
aller hebräiſchen Propheten ausgeſprochen, und gegran
der anf die pſychologiſche Wahrheit, daß Die Unfähigkrit,
etwas einzufehen, were fie im Willen Fliege, Durch den no
ſitiven Gegendruck her Lehre immer vergrößert werde, iſt
nun in bie beftimmete weiffagende Gottesſprache eingeklei⸗
det. Die Ironte des Ausdrucks liegt aber eben darin, daß
der Prophet im Namen. Gottes dem Volke verbieten fol,
was er ihm doch kraft feines Lehramtes ;gerabe gebieten
muß. Daß Jehova dieſe betrübende Wirkung ber pre
phetifchen Thätigfeit fo ſtark hervorhebt, davon müfen
wir der. Orund m dem voraudgegangenen entfchlaffenen
Ausrufe des Jeſaia are. aa ſuchen. Wiewohl aber
Jeſaia den Erfolg feines Strebens vorausfteht, fo kann
er fich Doch dem inneren Nufe, zu predigen, nicht ent
ziehen; feine Lippen find einmal mit der Fewergluth
heiligender Gottesweihe berührt worden. — Gap. 7,11
Kimemt der Verf. mit Gefenius darin überein, daß
er rin ald Wahrzeichen in der Weife faßt, daß es
fi auf Die Vorherfagung einer zweiten Begebenheit
beziehe, deren früheres Eintreffen dann die ſichere Gewähr
für die Erfüllung ber fchon voraudgegangenen erfteren,
auf die es eigentlich anfomme, geben folle. Nec. in einer
foüheren, in dieſer Zeitfchrift mitgetheilten Abhandlung
Gahrg. 1830. H. 3.) Hat diefe Anficht von Geſenius
sicht theilen können, aus Berüdfichtigung des Zufammen:
hanges; denn wie kann der Prophet, wenn ihm rim nur
die Borandverfündigung einer Begebenheit wäre, gleich im
Folgenden fagen: „fordere es in der Tiefe, oder hoch in
dev Höhe!‘ (nach der Heberfeßung von Gefenius)? Die
fer Ausleger hat fidy allerdings bei der ‚Begriffsbeftims
mung won min durch V. 14 leiten laffen, wo das fraglice
Wort freilich eine Weiffagung zu bedeuten fcheintz aber
eigentlich iſt ed doch nicht fo, wie in ber eben angeführten
Abhandäung gezeigt werben, ſondern es kommt bore nur
'
L
Ueberfegung und Auslegung des Propheten Jeſaja. 669
anf die Erſcheinung der maby als einer folchen an; ſie
ift ein Symbol, Durch weiches. Gott redet und die Worte
des Propheten beftütigen will. Aber Rec. kann auch Herrn
Hitzig nicht Recht geben, wenn er.verlangt, daß: man,
um ben Begriff des rim vein Darguftellm, dem Zeichen,
welches V. 14. gegeben werde, zuvörberft keinerlei @in-
fluß auf das V. 11. angebotene geftatten duͤrfe; denn fie
feyen beide verfchledenen Weſens. Diefe letztere Behanp-
tung fommt aber: eben daher, weil der Verf; die beiden
doc offenbar im engften Zufammenhange ftehenden Stel⸗
len bei der Begriffsbeftimmung von rin nicht zuſammen⸗
faffen will, wofür gar kein hermeheutifcher Grund
fpriht. Sm Gegentheil erfcheint diefe geforderte Ausein⸗
anderhaltang der beiden Stellen willtürlid und gewalts
fan. Warum follten wir nit son vorne herein bem Pro»
pheten zutrauen, daß er fich in der Beſtimmung des ri
werde gleich geblieben feyn® — Thun wir diefes nicht,
nehmen mir mit dem Verf. min zuerft als wirkliches Wun⸗
der, dann aber als ein ganz natürliched Wahrzeichen, fo
gerathen wir in eine höchft bedenkliche Anficht von dem
prophetifchen Charakter des Jeſaia hinein. Der Verf; fagt:
„daß übrigens Jeſaia glauben konnte, Jehova werde durch
ein ſolches Zeichen ihn als feinen Geſandten Tegitimiren,
ift ganz im Geifte des partitularen Monotheismus; und
es ift dieſer Glaube eine Frucht, wie feines feſten Gottver⸗
trauens, fo des tiefen Gefühls von wirklich prophetiſchem
Berufe und pflichtgetreuer Welffagung des Wahren.
Dhne ed zu willen, fpielt Sefaia hier ein gefährliches
Spiel; denn hätte Ahas die Propofition angenommen, fo
hätte Jehova vermuthlich feinen Diener im Stiche gelafs
fen, und dieſer wäre an feinem Gott und an fich felber
iste geworben. Jeſu hellerer Geift hatein foldyes Zeichen
feiner göttlichen Sendung beharrlich abgefchlagen Matth.
12, 38 ff. 16, 1 ff.” Bedenke der Verf. doch noch. einmal
44 *
“
670 , Aa JS Ze Higig’s. ud ee # — a,
die ganze Conſequenz dieſes Satzes im theologifchen Zus
fammenhange! — Die einfachfte Apologie des frommen
und befonnenen Propheten ergibt fich Durch die Auffaffung
der ganzen Stelle, wie fie Rec. in dieſer Zeitfchrift fchon
vorgelegt hat, und darum hier nur darauf verweifen darf.
Weil fich unfer Verf. in dieſe gotterfüllte,und in dem hodyz
begeifternden Glauben frei fich bewegende Betrachtung der
Natur als eines in vielen Zeichen redenden großen Sym⸗
bols nicht zu finden weiß, worüber wir ung wundern, da
es ihm fonft an einer frifchen und lebendigen orientalifchen
Anfchauungsgabe nicht gebricht, fällt er mit Geſenius
in denſelben Irrthum, daß er unter rmaby das Weib des
Propheten verficht, und nur. darin von jenem abweicht,
daß er nicht an eine erft Verlobte des Jeſaia denkt, fon
dern an bie wirkliche Gattig beffelben, indem er feine
Meinung hauptſächlich auf Die Beobachtung fügt, „daß
er feinen Sohn Immanuelnannte (vgl. Cap. 8, 8.) und daß
er felbft überhaupt für Erfüllung feines Wahrzeichens
Sorge trug Cap. 8, 3.” Der Berf. ftellt auch hier, durch
die confequente Entwidelung der Anficht, daß mix ein
Mahrzeichen fey, welches die Weiffagung eines zufünftis
gen Ereigniſſes als fücher eintreffend durch eine andere in
Erfüllung gehende Borherfagung beglaubige, den Prophe-
ten in ein gar unwürdiges Licht, wobei überdieß in bie
Augen füllt, daß dieſe Betrachtungsmeife derfelbe Bors
wurf trifft, den man öfters ber alt= meffianifchen Erfläs
rung des Berfes gemacht hat, daß nämlich die Weiſſa⸗
rung eines in bie Zukunft hinausgerückten Greigniffes gar
nicht am Drte gewefen feyn würde, mo es Doch auf die
gegenwärtige, ja augenblidliche Einwirkung auf den uns
gläubigen König vor allem angekommen. jeder Anftoß
wird hinweggeräumt, wenn wir die fombolifche Exfcheis
nung ber ma>y in ihrer Bebentfamfeit als einer mit Angft
und Schmerzen Gebärenden, ſich aber dann der glüdlis
J
Ueberſetzung und Auslegung bes Propheten Jeſaja. 671
chem Geburt: Erfreuenden in. der ganzen Scene, die uns
vor Mugen geſtellt iſt, auf die Weiſe hervorheben, wie es
in der ſchon mehrmals angeführten Abhandlung gefches
heu. — Den; folgenden 15ten Vers erflärt der Verf. für
eine Roſſe. Denn „D ſtehe er zum vorhergehenden ‚vers
vindungslos, und es ſey nicht abzufehen, warum von dem
Ruaben befonder& ausgeſagt werde, was nach V. 22. von
Ahlen! belte.”. Der Vers fteht ‚aber keineswegs verbin⸗
dungslas⸗: wenn der Verf. feithält, daß ber Name de
Sohnes, Immanuel, mit Bezugauf die Zeitbegebenheit, die
Befreiung des Landes Juda von den Syrern und Ephrais.
miten, gewählt worden, was natürlich auch feine Meinung
HE : Der Prophet bedient ſich dann nur bes ſchon Durch
feinen: bebeutfamen Namen zum Collectivum der Nation
geweiheten Knaben, um an feiner. Perfönlichkeit ferner
die Einwirkung der Zeit auf das ganze Volk zur Anfchauung
zu bringen, und fo kann ed gar nicht widrig auffallen,
daß von ihm befonders ansgefagt wird‘, was nad) V. 22,
von Allen gilt. Indeſſen geben wir Diefe Zufammenfaffung
unfres Berfes mit dem 22flen von unfrem Standpuncte
aus nicht einmal zu; denn fie hängt von der dem Verf.
eigenthämlichen Anficht ab, daß mit V. 14. die Langmuth
Gottes. zu Ende gehe, umd der Prophet nun gleich zur
Borherverfündigung Des Verderbend durch die Affyrer
weiter ſchreite. Zwar läßt er dieſe Weiffagung, wie Ges
ſenius und Rec., erft mit V. 17. beginnen, aber er ers
Härt.fich die Dazwifchen Tiegenden Verfe fo, daß er ben
Hropheten „zum Wahrzeichen für das Eintreffen dieſes
Orakels in einer wirklich glänzenden Wendung ein Ereigs
niß fausti ominis machen läßt, nämlich, daß ein Weib,
welches jetzt ſchwanger werde, ihren Neugeborenen Imma⸗
nuel Gott mit uns nennen werde, zum Andenken an
die durch Ueberziehung ihres Landes bewirkte Befreiung
des Landes Suda von den Syrern und Ephraimiten.“ Dem⸗
»
r vn® rıyı 20 18- FR X —— 2 Bot. Pr )
. .. v4 tur luca yesa + hasdıe hun
sach ‚foll es auf Die erſt V. 17 beſtimmt ausgefprochen:
Weiſſagung der Berheerung des Bandes durch Die Aflyrer
dem Prophesen ſchon jetzt ankommen, wodurch freilich auch
Die dazwiſchen liegenden Verſe 15. nud 16. einanderes An;
ſehn gewinner. Indeſſen würde dieſe Auffaſſung des Zu⸗
ſammenhauges des ganzen Stückes bes feſten philologi⸗
ſchen Haltes entbehren, und wenigſtens eine ſehr ſtreitige
vom ſogenannten Geſchmacke abhängige Meitiung bleiben,
wenn der Verf. nicht unwiderleglich beweiſen könnte, daß
V. 15. unecht ſey: denn jeue Anficht iſt mit Der Betrach⸗
tung dieſes Verſes eng verbunden. Wie ſich dieſes ſchen
bei dem erſten Einwande gegen die Echtheit des Verſes er⸗
geben, fo bemerken wir es noch weiter. 2) „Der Vers
asticipire den 22ften, und zwar darum ungefchidit, weil,
warum Sahne, und nicht Milch, gefpeift wird, erſt bort,
nicht, bier, motiviert fe.” Es bedurfte des Motinirend
gewiß nicht, warum der Knabe Sahne und nicht Milk
fpeifen werde; im Segentheil wuͤrde ſich eine ſolche bes
ſtimmte Erklärung in der bier recht abfichtlich orafelmäßig»
kurzen Borherfagung wicht einmal gut ausnehmen. Wir
betrachten unfern Vers nicht ald eine Anticipation Des
Aſten, fondern laflen in dDiefen den Propheten jenen eben
gebrauchten Ausdruck nur umſtändlicher wiederholen. 3)
„8.16, habe ein falſches Dem 22. widerfprechenbed Metiv.”
In dem Falle nämlich, fegen wir hinzu, wenn man Das
den Ders beginnenbe"> in der Bedeutung von deun nimmt,
obhse fich itber nen Zufammenhang der ganzen Stelle gründs
Eich gu verſtündigen. Rec. hat Die Bedeutung Doch von
> bereitd zu Hiob 23,10. gegen Herrn D. Hitz ig vertheis
digt, und findet an unferer Stelle nur eine Beitätigung
feiner dort entwidelten Behanptung. Um bie Dort geges
bene Erflärung gu befeitigen, ſieht fih der. Verf. genäthigt,
yr in der einer anbefangenen Betrachtung gewiß fernlies
genden Bedeutung „erwaͤhlen“ zu nehmen... Was aber bie
m mm
cberfetengiunbMadiegung des Prepheten Jeſaja. 673
andere. vom Rec: beigebrachte Stelle 2 Samı 1,9, betrifft,
fo kann ihn der. Verf; von der Unbrauchbarkeit derfelben,
">.in der Bedeutung von Doc zu erweifen, nicht übers
zeugen, wenn er einwendet: „Die Stelle gibt zwei, coordi⸗
nirte Gründe; warum der .Amaleliter deu Saul töbten
ſoll: weil Saul, vom Schwindel erfaßt, ſich nicht ſelbſt
vollends tödten kann, und auf der anderen Seite, weil
er: eben, ob gwar ſchwer verwundet, noch brim Leben iſt.“
Alſo wir ſollen nach 5. überſetzen: tößte mich: Denn mich
hat Schwinbel’stgriffen: denn mein Leben ift noch ganz in
mir. So muß auch wirklich Die Heberfegung buchſtäblich
hebrüifch - Deuttch lauten, und in Diefem Sinne hat Rec
2 ſeine fefte Bedeutung Denn nie ftreitig gemacht, wenn
der-Berf. feine Worte a, a. O. noch einmal nachlefen will,
Es handelt fidy ja nur um die Uebertragung des m in uns
ſere deutſch⸗ geiftige Berbindungsweife, und da liegt Diefe
Heberfegung auf der flachen Hand: tödte mich: benn mich
hat zwar Schwindel ergriffen Cich bin meiner nicht mehr
mächtig und dem Tode nahe), doch ift das Leben noch ganz
in mir Cich bebarf alfo, Da ich doch bald erlöft ſeyn möchte,
deiner Hülfe, den Tod zu finden. So laffen wir nun
auch an unferer Stelle "2, hebräifch betrachtet, in feiner
Bedeutung denn uugefährbet, und mollen ja nur, Den
Sak in feiner Berbinbung dentſch gedacht und ausgedrückt,
dafür das verfchmähte Doch in der Ueberſetzung gewählt
haben. Wenn übrigens ber Berf. zugibt, daß er in ber
Schrift: Begr. der Krit. S. 160. daranf, Daß nicht Doch
bedeute, zuviel Gewicht gelegt habe, fo können wir ihm
für. Diefes offene Eingeſtändniß wiederum einräumen, daß
an unferer Stelle »> wohl audy burd; denn überfegt wer,
den könne. Dann müflen wir und aber einmal redt Far
md unbefangen über den Zufammenhang der ganzen
Stelle verftändigen. Um nämlich > zu Anfange bes 16ten
Berfes richtig zu faſſen, müflen wir auf das zweite Glied
674 Dipig’8: Uebel. u. Ausleg. des Propheten: Defaije.
des vorhergehenden’ ISten Verſes befonders unfere Auf
merkſamkeit richten. mb faflen wir mit Geſen ins in
dem Sinne „bis er lernt,“ und halten und zu Diefer Er
klaͤrung eben burch das parallele rosa im nächften Bere
berechtigt, wie das auch: Laxx., Saad. und der Chald.
richtig erkannt haben. Der Prophet will demnach ſagen,
wenn wir den ganzen Zuſammenhang der Rebe in V. 14.
15. u. 16, nody einmal zufammenfaflen: bei ber Geburt des
Kindes wird man Urſache haben, auszarufen: Gott mit
ans!.infofern, da das Land von. ben Feinden befreit feyn
wird, Freilich wird ed noch die Folgen der Verbeerung
tragen, fo daß der mit Bezug auf die glückliche Wendung
‚ ber Dinge benannte Knabe Immanuel ſich mit ben Speifen
der Wäfte, Sahne und: Honig, wird begnügen müſſen,
Doch nur fo lange, bis er verftehen wird, Gutes und Bö⸗
ſes ‘von einander zu unterfcheiden, alfo nur wenige Jah—⸗
re: denn bis zu der Zeit hin, ehe noch der Knabe ver-
fiehen wird, das Böſe zn verwerfen und das Gnute zu er
wählen, wird fchon das Land, vor deffen beiden Königen
dem Ahas graut, felbit verödet ſeyn, ſo daß alfo in der
Zwifchenzeit Suda, vor dem gefürchteten Bündniß der Sy
rer und Ephraimiten, Die es jegt mit Dem mächtigen Affys
rer zu thun haben, vollkommen ficher, in Ruhe und Fries
ben neu aufblühen kann. Der Berf. erficht ans biefer
forgfältigen Entwidelung des Zufammenhanges der aller
dings nicht leichten Stelle, wie wir „Das Land Des Grauens”
auch für Die Sregeten, glüclich umfchifft, und es feinen
rechtmäßigen Herren, Rezin und Pelah, gelaffen haben.
D. F. W. C. Umbreit.
Gommentar zu den Viefen an bie Korinther. 675
BE 2 Se 2 u 2 Ze
EB a 2. ee "0.
CEommentur zu ben Briefen bed Paulus an Die: Corin⸗
: then. Von BGuſtab Billeoth, Dock und Private
bon‘ — an ter Univerſ. ns iu. 1689,
Ein — * — Bedürfniß/ und
zum GStlilck iſt die Atbeit in ſehr gute Hände gefallen. Bei
dem jegigen Staude Dev neuteſtamentlichen Eregeſe gehoͤrt
viel dazu, ummuch nur: billige Anforderungen zu vefriedi⸗
gen; aber Hr. B. it mit den nöthigen Kenntniffen «und
Gaben ausgerüſtet. Bor Allem thut tüchtige Sprachlennts
niß und. graumutiſch⸗philologiſche Ausbildung nothh, um
uf dem von Winter U -eingefchlagenen Wege ſortzu⸗
gehen, und die beim Ni T. fo ſchwierige philologifche Auf⸗
gabe zu köſen; Hr. B. ader iſt in: dieſem Stücke geibt; ges
nau und ſcharfſichtig. Ein guter exegetiſcher Takt, den
rechten Sinn zu treffen, fehlt ihm ebenfalls nicht, ned mit
Klarheit weiß er im Kürze Verwickeltes zu entwirren. Waͤre
er nur nicht zu oft Der Modeſucht, eregetifche Ercerpte zu
liefern, gefolgt! Weit beffer hätte er den Sinn der ges
wöhnlich weitfchweifigen alten Außleger in kurzen eigenen
Worten mitgetheilt und fo viel Papier gefpart. Biswei⸗
len hat er auch feine Unentfchtedenheit hinter die Exrcerpte
verſteckt, und den Lefer unbefriedigt gelafien. Auch in der -
Sacherklärung hat er Ref. befriedigt. Er faßt Die apoftos
liſchen Borftellungen in ihrer gefchichtlichen Beftimmtheit
auf, und um fo unbefangener, als er nicht in dem unglüds
lichen, unfre Zeit fo verwirrenden Wahne ftcht, alles,
was und wie es bie Apoſtel lehren, fey für uns Glaubens
norm. Er unterfchlidetzwifchen Borftellung und Idee;
und wenn. er leßtere auch burch bie Dialektit der Kegel’
\
EB nn. 4 41:04) 0ER DAL TEE — —
ſchen Schule, der er zu unferm Bedauern zugethan ift, ins
Licht zu feßen fuchtz fo hat er ſich hierin Doch fehr der
Mäpigung befliffieng. unbannmeriftehted ja deuunie einer
anderil Dinlattif:falgt, frei, bas hegel ſche Philofophem
in ein xudres unzufetzen ¶ Mit durch. eine ſ ſolche Auffaſ⸗
ſung des apoſtoliſchen Chriſtenthumẽ lüßt ſich cthir Freiheit
unſres religiöfen Lebens retten.
Wir wollen nun von der Auslegung des Vfs. Proben
geheuzund dabei eine gewiſſe Glaffifisatian.begolgen: . Wir
haben. den· CommentaunSchritt per Schritt durchgepruüft,
und alles, wos darin eigenthümlich und chemerons werth
if baachtet; maſſen Se Bus ee: — (ber
Amann! eos Be i J age FR,
Zur —— Genanigteit gehört 9085
—* bie richtige Behandlung ber Rerttleies und: Dabei
gnige Ach zugleich,. Sb man der exegetiſchen Dinlektik zur
Auffaſſung des: Zufammenhangsiund der Denkweiſe mädı-
tig iſt. Butift.yeg erläutert. 1. Br-3,31.10, 1:3 54 1,4, 18,;
adv 1:10, 195: wa 1,4 35 01, % 21:11,4,.18, 6, 21:
Lv ap un .yvovrer üpaozlar: — „das ur, auf weiches
Miner S. 400. die Bemerkung anwenden zu fönnen glaubt,
daß Die Griechen oft, wo ſie recht entfdiieden und unbe
dingt verneinen wollen, un ſetzen, erklärt ſich, wie mich
dünkt; ganz leicht dadurch, daß man annimmt, Paulus
wolle den Standpunct vom Geiſte Gottes aus bezeichnen:
Dens eum, qui non novisset, (ovᷣ yv. wäre, qui won nove-
rat) pecentum fecit.” Eben fo der Artikel 1,9, 19. 15, 28
(221 f)5. dav.f. nl, 6, 16; ev I,7,5.5 Das empha-
tiſche nad. E 7, 11.5 der Gebrauch des Particip. mir’zsivar
IE, 6,:1% (S. 310)3 .deg Pagtic. aor. Dewsvog. H, 5, 19.
- Daß etz — ira, 5, 13. bezeichnet nach Dem Berf. nicht
verfchiedene Faeta, fordern verſchiedene Seiten, Benr:
theilungen deſſelben Kactums, ramlich Da des Ruͤhmens;
und dadurch erhält: die Stelle ein ganz aubersd- Lidyt.
Commentar zu ben Briefen an die Korinther. 877
Mandımal aber verfällt Hr. B. auf Subtilitäten, z. B.
in Anfehung des Dafinitivg mit Tod I, 5, 31.5 des dunpro
IL 2, 1;, welches gu. meinem Beſten heißen foll; des sgrs
F, 3, 21. Dagegen haf er I, 9,:26. das ws.gu erflären uns
terinfien. — Lexikaliſche Merkwürdigkeiten ſind und nicht
viele anfgeftoßen.: Der Verf: Hat mit Mecht die -Erdrtes
rang der Bedentungen meiftend dem Worterbuche überlaſ⸗
fen. 381,13, 29. begweifekt er bie Bedentung alioguin won
Esl, und gewiß iſt dieß Teine Bedeutung, ſoudern nur im
gewiſſem Zuſamnienhauge der Sinnz. ineder angegebenen
Stelle findet diefer aber in der That ſtatt, was Hr: B. mit
Unrecht zu bezweifeln ſcheint. Eben ſo bezweifelt en: zu L
14, 30:.bie Bedeutung: zum Beiſpiel von der Formel
&rdyor, and wohl mit Recht: nur glanbt Ref. nicht, daß
fievielleicht, fondern: si forte ita.ceciderit, wenn
fih8-trifft, heißt. Vgl. Stephan. s: v. zuyrdee.: . --
‚Seinen guten eregetifchen Kalt hat der Berf. bewiefen
in ber treffenden Auffaſſung Des Sinnes in folgenden Stel⸗
lm: 1,.2, 8. 709 xugıpu vg. ädäng, nicht r. x. Evöofon,
ſondern ‚Den Urheber der Herrlichkeit. — J. 3, 13.9 nuipe,
ber Tag des Gericht. -— 1,4, 2.6 Ö& Aoınov xra. erklärt
derBerf. fo: „Was übrig ift, iſt dieß, daß an Verwaltern ge⸗
ſucht wird, daß einer treu erfunden werde. Weil P. im Vor⸗
hergehenden das vermeintliche Verdienſt der Lehrer herabge⸗
ſetzt hatte, ſo ſagt er nun: was aber noch übrig bleibt, iſt dieß,
daß ſie wenigſtens nach dem Ruhme der Treue ſtreben
können.” — I, 5, IL vuvi 2 Eypaya vuiv x. r. A. find ſehr
guterläutert. Der Bf. nimmt an, P. habeimfrühern Briefe
bloß Die Worte u} auvavaulyvuvohar m ogvors gefihrieben,
und das Zaw.rıg Mösipdg draueföusvog fey nur der Com⸗
wentar Darüber, das was P. dabeiim Sinne gehabt. —
L, 8, 3. Byvaoraı und 13, 12; insyvoochyv ift richtig erklärt,
aber leider auf hegel’fche Weife erläutert. — J. II, 10..if
das fchwierige dfovsie auf die einfachſte Weife gefaßt. +
BB erahnen,
H, 2, 1..6 Avnovuzvos. ald Medium "genommen: ber fid
betrüben läßt:— IL 6, 1. ovveopoüvres, nicht, wie
gemöhnlih, ‚Mitarbeiter Gottes ober Ehrifti), for
dern adiuvantes, in Bezug auf die Thätigkeit des Apoſtels,
durch welche er dad chriſtliche Leben der Korinther förbert. —
13;-6,11, bat der Bf. mit Recht die frißfche’fche Erflärung
zurückgewieſen. — IL 11,.18, surd ıgv udena: „als Indi⸗
viduum, nach Dem, ds man als einzelner Menſch iſt;
nicht bloß: wegen angeborner, zufülliger Vorzüge, ſondern
auch wegen erworbuer; welche P. ehenfalls niedrig anſchlagt.
2 Dageganhegt:Nef.. mehr oder weniger: Bedenllich⸗
Beit in. Anfehung folgender Erfläruugen. I, 1,2. oow. nüäı
vos Imınoch. werfteht: der Vf. von allen, die ſich zumChris
ſtenthume befennen...:Allein:ba H, 1,1. Ttatt tiefer. allge⸗
‚meinen Formel. die beſtimmtere ficht: adv zig Kyloıs zö-
Oıroig ouaev du öAy vi Ayala, fo fragt fich billig; ob jene
nicht durch dieſe zu. erflüren ſey. — J. 1, 5. ft Aopogmohl
wicht ganz allgemeinn,‚Lehre des Chriſtenthums, in fofern
fie. verkundet wird,“ fondern in foferi..fte. von Den Korin⸗
thern verkündigt wurde, Tehrgabe, I, 2/4: 2 exodd-
ei nvsuuaros xal Övvansmg wird erflärt: fo daß ich zeigte
Cund ihr felber fühlte), wie groß. Die Kraft des heiligen
Geiftes in den Gläubigen if. .Sollte es nicht beffer von
einentthatfräftigen Erweife bes Geiſtes zu verſtehen ſeyn? —
I, 3,12. wird das Fortbauen vom Bf: auf das Praftifche
befchränftz: warum’ nicht allgemein von der Entwidelung
der chriftlichen Offenbarung ‚überhaupt? — I, 6, 11. eur
tıves erflärt der Bf. durch rosoöror, id genus homines. (9) —
I, 7,:19, N zsgıroun ovdiv darı x. r. A; foll nad) dem Df.
nicht im Allgemeinen die Werthlofigkeit der Beichneidung
und Nicdhtbefchneibung im Gegenfage gegen Die Haltung der
fittlichen Gebote Gottes befagen, fondernnur daß dergleichen
indifferentfey, wenn es nicht geboten fey, wie im A. T. Allein |
dann ftände wohl nicht ävreiöv, weil dad Gebot bes Ber
Commentar zu den Briefen an die Korinther. 679
ſchneidung nur eines ift und es keines der Nichkbefchneibung
gibt — In der Stelle I,10,20. f. verftcht der Bf, unter dau-
uövın böfe Geifter, und erflärt zu Dem Eude 8,4: .örı oudin
TömAov dv aosuo durch: daß fein Götze inder Welt
ift, und 10, 19: Susldwiorn borıv 7 Or elömibdurdv ri
Eotıv (wie.er accentuirt) im entfprechenden Sinne: daß
es irgend einen (ald Gott zu verehrenden)
Götzen gibt, ober daß es irgend ein Götzen—
opfer cd. h. ein Opfer, welches mit Recht ald wirklicyen
Goötzen geopfert betrachtet wiirde) gibt? Allein er fühlt
felbft, daß man das Ießtere etwas hart finden werde, und
gibt zu, daß man auch fchreiben und erflären fünne: Ozs
eöwAov ti Eorıv* 7 Or elöwAödvrov ri dsrıv: daß ein
Götze irgend etwas fey oder Daß ein Götzen—⸗
opfer irgendetwas ſey. Wenn er aber diefen Sinn
zuläßt, fo zerflört er felbft Die angenommene Erklärung
von B. 20; denn wenn ein Goͤtze nichts ift, fo kann er dein
Dämon feyn. Uebrigens ift nicht nur der Gedanke hart:
es gebe feine Götzenopfer, fondern auch der: ed gebe keine
Götzen; denn der dem eldwAov untergelegte Begriff: ein
als Gott zu verehrender Götze, ift willfürlih; Der ges
fchichtliche Begriff it: ein Götterbild, das man verehrt;
diefe Verehrung war ein Factum, deffen Wirklichkeit der
Apoftel nicht leugnen konnte. Auch Ref. hat ehedem die
Erklärung des Vfs. befolgt, fie aber aufgegeben, weil er
fie nicht mehr haltbar findet. — I, 12, L 14, 1, verfteht
der Df. mit Heidenreich ra nvevuerıxa von der Zun⸗
gengabe und 14, 37. zvevuarıxog von einem Zungenreds
ner. Dazu kann fi Nef. nicht entfchließen; zwar iſt in
der lebten Stelle zusvunzıxos wirklich aufeinen folchen Red⸗
ner zu beziehen, aber nicht der Bedeutung des Wortes, fons
dern dem Zufammenhange nach: ngopyeng 7 zvevperi-
xog umfaßt alle Arten von begeifterten Rednern; das erfte
Wort ift fpeciell, Das zweite generifch, aber dem Giune
689 zu Billroths ”
wach auch zu ſpocialiſiren, indem man hinzu denkt: von as
derer Art. Aber in den andern Stellen iſt gar kein Grund
zu dieſer Erklärung vorhanden. 12,1. wird allerdings mit
Dem xeol saw sev. die befonderd Die Jungengabe betreffen:
de Streitfrage gemeint; allein die Ueberſchätzung biefer
Gabe bei den Einen und die Berwerfung berfelben bei ben
Andern hing mit Der Beurtheilung der übrigen zufammen,
und der Gegenſtand des Apoſtels ift nicht bioß jene, fon
dern alle zufannmenz; wozu noch kommt, daß die Unord⸗
nung, welde die Propheten veranlaßten (14, 19 — 33),
ben Apoſtel ebenfalls zum Schreiben anfforberte. 14,1.
nd re avsuvuarına der npopntale, nicht wie eine species
ber andern, fordern wie dad genus Der species, entgegen⸗
geſetzt. — E13, 13. vuri dt ulvar x. c. M. erflärt Hr. B.:
„demmach ebei fo befchaffenen Umſtänden, weil alle Geis
flesgaben untergehen — kann vuvl Öb demnach hei
Ben? —) bleiben (= ovötnore duninrsı B. 8, 06 xurag-
yndnoerca) Glaube, Hoffnung, Liebe” Allein bei biefer
ErHärung fieht man 1) nicht, warum der Liebe, won beren
Unvergömgfichleit V. 8. allein die Rebe war, ber Glaube
und die Hoffnung beigegeben werden; 2) ıft V. 12. gar
nicht mehr von der Bergänglichkeit der Geiſtesgaben oder
insbefondere der Erfenntniß, fondern von der Unvollkom⸗
menheit ber letztern im Gegenſatze bes Dortigen Schauens Die
Nede, der Apoftel hat alſo auch Feinen Anlaß, den Gedan⸗
den Deffen, was unvergänglich fey, zu wiederholen und zus
fammenzufaffen; 3) mit demfelben Rechte, mit welchen er
dent Glauben und der Hoffnung die Unvergänglichleit zus
ſchreiben lönnte (nämlich, wie Hr. B. annimmt, dem In⸗
halte nach), hätte er fie auch der yracıs zufchreiben kon⸗
nen, welche ja nichts iſt als ein zum Bewußtfeyn geitels
gerter Glaube, ja fogar ber wahren zgogwntsla; 4) fett
fonft der Apoſtel (Röm. 8, 24.) die Hoffnung und der Df.
des Sebrüerbriefes EEL, 1.) den Glauben dem Schauen
Commentar zu den Wtkfen'un die Korinther. GER
efitgegen, win: bier V. 12; Das Schauen kai: Spiegel dam
jenfeitigen guuittelbaren Schanen entyegengeſett wirb'c iſt
ed mithin nicht: wahrſcheinlich, daß der Apoftel V. I0 fas
gen will/ fie vieſes Bebin,wo und das unmiftelbare Schauen
verſagt ſey, feyen: wir an: Haube,. Hoffnung und. Liebe
angewiefen? "Vas-asitev öb tovzeov %-ayanın beicränft
der Bf. nach 14,5. auf. ben. praktiſchen Nutzen ber Liebes
Ref. kann fid, aber kaum entſchließen, eine tiefere Eritis
rung, die aus dem innern Weſen dev Liebe gefchöpfe iſt,
aufzugeben. — Bon der Stelle IE, 1,17.) & Bovisvopas,
xara Gügxa Bovlsdouen, ver‘ Euol- vo val vel'ual re
od od, nimmt der Vf. die Erflärung der Alten: an, wor⸗
nach von einem fräflichen Eigenfinne, das, was man fich
vorgenommen, ohne Rüdficht anf Die Umſtaände, ſtarr feſt⸗
zuhalten, bie Rede ſeyn fol. Allein 13 iſt ein folcher fefter
Sinn nicht wohl geradezu als fleiſchlich zu tabeln, vielmehr
fhägen ihn die Menfchen weit mehr, als bie leicht beweg⸗
liche Gefügigkeit, und der Apoſtel hätte das Tadeluswer⸗
the darin erft Benntlich und geltend machen müffen; 2) will
er B. 18. $ offenbar über fein nicht Wort halten einen
Schleier ziehen und feine fonkige Wahrhaftigkeit geltend
machen, was nicht nöthig wäre, wenn er fid; vorher ein
Verdienſt Daraus gemadk hätte, eine gegebene Zufige nicht
zu erfüllen. — HM, 30, 15. zieht der DE mit Wegſtreichung
des Komma nach Yun das ir Univ zum vorigen aufavo-
wEung väg alewseg ur, und verficht das folgende ueyu-
Ivydavor .... zig nspıöscden. Ichen won. dev Ausdeh⸗
nung der Wirkſamkeit über Kovinth hiraus, während
Andere (auch Ref.) es von der Verherrlichung berjels
ben an Diefem Orte verfichen. Dagegen aber if einzu»
werben, I) der Pleonasmus Bed iv Univ, ober, ba bie
fen der Vf. leugnet, des duav; 2) das auknwontuns +6
xlorcog vᷣucõu paßt eher zu der Verherrlicyung innerhalb
Korinths, ald zur Ausdehnung ber Wirkſamkeit anders⸗
Bi
IX Pe 7 * | - 0. ..
682 Mine, I. [) ‘ ‘. 27 236
mohin, wegu ſich eher die Vorausſetzung: wert. euer Elanbe
befeftigt: iſt oder dergl. ſchicken würde; 3). ueyaibwriwe
eig æchioatlov kann ſchwerlich von dieſer Ausdehnung, ſon⸗
dern nur von dem wachſenden Ruhme des Apoſtels, als
Stifters der korinthiſchen,Gemeinde, verſtanden werden.
(Uebrigens hat der Vf. uns wegen der Heberfeßung des
saevov Durch Bezirk Unrecht gethan, in dem wir dieſes Wort
nicht eigenitlich örtlich genommen haben.) — IL 11, 12. er⸗
Härt Hr. B. fo, Daß er vorausfeßt, die Cregner des Apo⸗
ftels hätten ebenfalls von den Gemeinden Feine Unterftüz
zung angenommen; allein Damit verträgt fich nicht wohl
V. 20. 1 Kor.9,12. Wenn er gegen die Ueberfeßung Des Ref.
einwendet, Daß man dann erwarten würde: ivevoxavya-
nEde, 2008 I0L, xadas x nusis, fo kann man gegen feine
Erklärung einwenden, daß der Apoftel gefchrieben haben
müffe: Iva dv Q xavyarreı evgdi ads Ku aurol. —
Die Stellen I, 12, 31. 13, 6. II, 2, 5. 7, 8. 8, 11. 10, 8.11,
21. 23., worüber wir noch Bedenklichkeiten zu äußern hät
ten, übergeben wir, und bemerken nur noch einige
Erklärungen, die wir geradezu für falfch halten müſſen,
wie I, 6, 2, xgırygia: Gerichte, vgl. 8.4.5 14, 24: ldiw-
eins: unkundig einer fremden Sprade; 2. 37.
Beziehung der Zvrodel auf B. 34.: xudag 6 vOpog Akysı;
Menfhentäufchen, nah Gal. 1, 10,
In der Auffaffung des Gedanfenzufammenhanges hat |
der Df., wie fchon bei Behandlung der Partikeln bemerkt
ift, fehr befriedigt. Man vergleiche 3. B. die Anmerkung
zu I, 4,1.. Auch die Inhaltsanzeigen find fehr gelungen.
Hingegen fcheint ung, daß mit I, 1, 25. der Abfchnitt nicht
angehen follte, fondern daß dieſer Vers die vorige Gedan⸗
kenreihe fchließt.
Wir gehen nun zur Sacherflärung über. Dahin zähs
len wir zuerſt Die eregetifche Berrichtung, die gefchichtlis
I, 5, 11.: avdoanovg zeldouev: fo kann ich freilich
Eommentar zu den Mefen⸗ an die Korinther. 683
chen -Berhältniffe und Beriehungen aufzuklaͤren, wovon die
Ergebniſſe zum Theil in. der vorangeſchickten Einleitung
aufgeftellt find,. In dieſem Stüde ift Hr. B. meiſt den Ans
fichten yon, Ble eh, Baur, Neander gefolgt. Mit ers
flerem nimmt er eine zwifchen ben befannten Reifen des
Apoſtels nach Korinth einzufehgltende mittlere Reife an,
mit welcher, Annahme Ref. „trotz. bey, exegetiſchen Wahrs
ſcheinlichleit in den betreffenden Stellen des 2. Br., ſich noch
immer nicht brfrennben kanng. Denn es läßt ſich kaum ein
Zeitpungt ſinden, wohin dieſe ‚Reife zu, verlegen iſt. Nimmt
man an, (and. dieß fcheinen, bie Stellen IL 2, 1. 12, 21. zu
fordern) daß der, Apoftel zum zweiten Male nach Korinth
kam, als ſchon Die ig 1. Br.:gerügten Zerwürfniffe und Aer⸗
gernifle ſtaztfauden, ſokonnte daſelbſt nicht. ſo Davon gefpros
hen ſeyn, als wenn zum erſten Male davon die Rebe wäre,
z. B. L II.a er habe von bey, Parteiungen gehört durch
bie Leute der Ghloe; 11, 18., er. höre, bag ‚Spaltungen
unten, ihmen ‚fepen, uud zum. Theile glaube. er es; 4,1,
mgn.höne von Hurerei unter ihnen. Das wahrfcheinlichkte
wäre, daß der. Apoſtel die Reife von Epheſus aus gemacht
hätte; alfein in dieſem Falle ;hätten bie Gegner deſſelben
wohl nicht hinreichende Zeit gehabt, in. Korinth ihr Weſen
3u treihen.. Setzt man die'Reife in den erſten Aufenthalt
des Apofteld in Korinth, indem, man annimmt, er habe
ſich auf Eurze Zeit von da entfernt und fey wiedergefoms
men, fo verliert die. Annahme alle Bedeutung, und dient
nicht einmal dazu, die obigen Stellen des 2, Br; zu:erfläs
ren; denn Damals fonnte der Apoftel wohl noch Feine Vers
anlaffung zur „Betrübniß” (Au) haben ; auch finden Bleek
und unſer DE. felbft -Hiefe Annahme nicht wahrfcheinlich,. —
L 5, 7. erflärt fich der Vf. mit Recht gegen die Meinung
der meiften Ausleger, daß aus dieſer Stelle auf die Abfaſ⸗
ſungszeit Des Briefes zu fchließen ſey. — J, 6, 13. ift Die
Vorſtellung des Apoſtels ſehr bündig dargeſtellt. Daſſelbe
gilt von dem er 10, 16., von den oxos — Ton
Theol, Stud. — 4
sictog nal Foo dhierog vod'zuglod 11,37. — Sm dir
Btelle U, 5, ZU Aueoprlav: irobmekd,erktütt der Bf. mit
echt aͤucsrice nicht geradezu durch⸗ Sündopfer, nimmt es
über auch nicht füt-&uegrwäde, ſoudern frdet dar in den
Bedanteni er Hatten als Sünder biehanvelt, die Sihtte
ber Welt auf ihn gelegt, und urecht Ylerzu die ſchorre As
merkung: : Wenn wir nun leugnen, daß cheiorlo gerade⸗
zu vurch Sündopfet überſetzt werben: kann, fü fon vamrii
doch keineswegs geleugnet werden, WARERENTS: IM.
kengnen will, DaB der panlihiferen Verſohnniig skehre die
Idee eines Opfers, welches ben“ Zorn Gottes verfſohnt,
jur Grunde liege. Wenn wir auch das Wort Opfer
nicht urgiren, und die Stellen 1 Kor. 5,7: Eph. 5,2. md
fogär Röm. 3, 25. ganz wie U, erklären wollen (obgleich
fich wohl noch manches einwenden ließe): fo drängen doch
die Stellen vom Zorne Gottes (Rs: 5, 9: + Theff. 1, 10.
Ephſ. 2, 3.) immer auf jene Borftelung hin. Freilich muf
man, wenn der Tod Chrifti als ſtelvertretender Opfertod
betrachtet und dargeftellt werden foll, nicht den [ch Fechten
"Begriff des Opfers, nach welchen es ein Außerfiched blebt,
zum Grunde legen, ſondern den wahren Begriff, Auch des
heiönifchen und jlidifchen Opfers, fefthalten, nad) welchem
die Dernichtung des lebten Beſttzes (der irdiſchen Güter:
Früchte, Vieh a. ſ. w.) nur Die äußerliche Darſtellung des
innern Opfers iſt, d. h. der Vernichtung der SelbRheit,
die täglich und flündlich flerben ſoll.“ —
Bortrefflich (mit Ausnahme des eingemifchteit Heges
lianismus) findet Ref. Die Lehre von der Auferftehung I,
15. vom Df. behandelt. Er weilt zuvörderſt die Meinung
berjenigen ab, welche vermuthen, die Bezweifler der Aufer-
ſtehung in Korinth feyen Sabduzäet oder Epikureer gemes
fen, und faßt Diefe Zweifel, fo wie bie Widerlegung des Apos
fteld, ganz vom chriftologifchen oder efchatologtfchen Stands
puncte des Urchriftenthumes auf. „Der Apoſtel will nicht
etwa von ber Unfierblichleit des Geiſtes im Allgemeinen
Gommentar zu. den Briefen au: die Kotinther. 686
ſprechen, ſondern, felbft überzeugt, daß dis: Miederkunft
Ehriſti innerhalb eines Menſchenalters bevorſtehe, und zu
Ueberzengungsgenoſſen vebend / will er einſchürfen, baß:an
dem dann zu ſtiftendet Meſſiasreiche and: Bde bis bahn
verſtorbenen Chriſten Theil haben werden; und zwar: busch
die Auferftehung. ber Todten, die ebenfalls:sin shiefen:bax
ſtimmten Zeit Ratkfenden wird.” In Bi-3%: findet en’ dieſe
Wahrheit, daß, wie das Leben der Pflanze ſich ſtets burch
den Samen ernent, fu. der Geiſt bie Macht hat, ſich ftets
ein nenes Organ zn ſchaffen. Diefe Macht Yat en: aber
nicht von fich ſelbſt, ſondern von Gott. (Rurv-Tolgt ein
Stelle aus Marheineke's Day. $. @09;): „Sa forms
der Geiſt ſchon Gier auf Erben; wenn ort ins Gottesreich
eingeht, feine Auferfichaung, indem: er Dixdcbaniteibbiche Lou
ben verflärende Princip iſt; — eine Auferfichung, weit \
die nach dem irdifcheh Tode ſtattfindende fo wenig aufhebt,
baß fie der Anfang und das Werden derfelben if. — Aber,
wird man fagen, wird durch foldye Deutung nicht gerade
das Wefentliche der Yaulinifchen Lehre weggebentet? Keis
neswegs. Denn, man merfe wohl darauf, Paulus läßt
nicht, wie die moderne Weltanficht thut, die Auferftehung
mit dem natürlichen Tode beginnen, fondern mit dein Eins
tritte des Menfchen in das Reich Chrifti. Diejenigen, wels
che den ſaͤmmtlichen efchatologifchen VBorftellungen des Paus
lus ihren Plag nach dem leiblichen Tode anweifen, möch⸗
ten, die Sache ganz biftorifch; genommen, mehr fehlen, alg
wir. Paulus läßt ja, um den prreumatifchen Leib zu ers
halten, die Lebenden nicht getödtet,; fondern umgefchafs
fen werden (2. 31) u. f. w.“ — Bon der Sprachen,
oder ZungensGabe bildet fich der Verfaſſer eine Vor⸗
ftellung, welche zugleich den Davon im Berichte der U.
G. Kap. 2., in der Stelle des Markus 16, 17. und im
1 Kor. Br. enthaltenen Merkmalen entfpricht, und es iſt
die einer zweiten Elementarfprache. Wirklich möchte keine
andere Borftellung dieſes Ieiflen; und fo wunderbar Dies
45 * e
686 Billrech s Kommentar z. d. Briefen an d. Korinther.
felbe tft, fo müßte: man fich wohl dazu entichließen, fie ans
zunehmen, wenn es unumgänglich nöthig wäre, die Phi
nomene.biefer Gabt. im 1Kor. Br. und. die in. deu anbern
Stellen in Einklang zu bringen.! Aber: wie kann. der Bf.
fich durch die Stelle des: Markus, Die, fie ſey ächt oder
wicht, dein: veinnurchriſtliches: Gepruͤge trägt, fo ſehr bin-
den Taffen, und rwie verkennen, daß auch im Berichte der
Apoſtelgeſchichte ein: Mißverſtäͤndniß obweltet . .....
1.3 Was bie Kritik betrifft; fo begnügt ſich der Bf. Damit,
Die zregetifhen. Bor = imd Nachtbeile der verſchiedenen
Lesarten in's Licht zu feßen, und: entſcheidet ſich zuweilen
etwas zu leichtſtanig, aus bloßen innern Gründen. —
0 Druck sid: Papier machen der Verlagshandlung Eh⸗
rez böch: wäre vielleicht etwas — —— zu wün⸗
fchen ale ande:
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Literarifche ueberſicht
ber | —
Paͤdagogik in ben zwei letzteren Generationen.
(Borerft von den I760ger Jahren des achtzehnten Jahr⸗
hunderts bis in das erſte Decennium des neun⸗
zehnten.)
Von
D. Schwar z,
Geheimen Kirchenrathe und Profeſſor zu Heidelberg.
Vor ungefähr achtzig Jahren fing, nach einem verhee⸗
renden Kriege, ein friſch auflebender Geiſt in Deutſchland
an die Mängel ded Schulweſens thätig einzuſehen; feit
etwa fechzig Jahren wurde die Betriebfamfeit für Die Zus
gendbildung in den Dentfchen Staaten allgemein, und es er⸗
zeugte fich eine reiche pädagogifche Riteratur ; feitetwa drei⸗
‚Big Iahren erfreuen wir uns gleichfam einer neuen Erxrzie⸗
hungswelt; und nunmehr fteht dieſe in ihrem ganzen Um⸗
fange da mit einer großen Bibliothek, während unfere Nas
tion anf dieſer Bahn raſch vorwärts fshreitet.
Dieſe Fortſchritte — ein Lieblingswort des Zeits
alters — find es wahre Zortfchritte? und inmiefern finb
fie es? Sind wir auch umbefastgen genug, uns burch eis
nen gererhten Urtcheilsſoruch Der Nachwelt vorgraifen zu
690 Literaͤriſche Weberficht
Dürfen? Wir find ja mit fortgefchritten, alfo iſt unfer
günftiged Urtheil leicht durch Selbſtgefälligkeit beftochen,
und wir möchten wohl manchmal wünfchen, die Stimmen
unferer Nachkommen aus dem Aten oder Sten Gliede mit
prophetifchem Ohre zu vernehmen. Es gibt da wohl Ah⸗
nungen, wahrhafte aber auch täufchende; es gibt Meinun-
gen, zugeneigte aber auch abgeneigte, weil Die natürliche
Dppofition die gegenfeitigen Farben hervorruft; es gibt
Rückſichten, manche zum Anpreifen, manche auch zum Ver:
werfen; wie foll fih nun ein Beurtheiler gegen alles
diefes rein erhalten? Gewiß ift dazu das erfte Mittel,
daß er das Bekenntniß fi ch felbft und dem Leſer ablegt,
welche jedem ächten Geſchichtſchreiber ziemt, faͤlls er nicht
bloß Chronitenfchreiber: ſeyn will, und jedem Menſchen:
fein Auge blidt ganz reif in ven Strom der Begebenhei⸗
ten, jedes ſieht durch das mehr oder minder gefärbte
Glas feiner Zeit. Ganz beſonders laſſe ſich das derjenige
gefagt feyn, der über den. Gang unferer Erziehung und
ihrer Literatur urtheilen und.nicht bloß einen Bücherkata⸗
log ſchreiben will; wir fagen und das hiermit felbft und
unfern Leſern. Auch wollen wir dadurch an ein moͤglichſt
gerechtes Abwägen halten, daß wir einerſeits nicht leug⸗
nen, zu dem Beſſeren mitgewirkt, andererſeits nicht in Abs
rede’ ſtellen, manches ae it. Be zu
haben. ie
"Mir beabfichtigen hier eine Ueberſi cht der padagogi⸗
ſchen Literatur aus der bezeichneten Periode zu geben: al⸗
fo wird man nicht ein vollftändiges Verzeichniß der fo vie⸗
len -Schriften, nicht einmal aller der.eigentlichen Bücher
aus den verfchiedenen Zweigen der Pädagogik. erwarten;
dafür gibt ed zweckdienliche Kataloge, wie z. B. den -von
Enslin Selbſt in den Kathedervorträgen tft eine fol-
che Literaturangabe nur mehr zerftremend, wenn gleich Fris
tifche Andeutungen. Die Namen und Titel "begleiten, wie
Berf. dieſes and eiguer Beobachtung. weiß, und darum
der Pädagogik in den zwei lebteren Generationen. 691
auch diefe ehemalige Gewohnheit aufgegeben hat. Kommt
es ja doch nur darauf an, daß jede nene Richtung, der Punct
ihrer Entwidlung, und die Schriftiteller, durch welche fie
hauptfächlich‘ erfolgt ift, bemerkt und mit Urtheil aufges,
faße werde. So will es der Verf. hier haften, indem er
fein Urtheil der weitern Beurtheilung unbefangener Lefer,
nicht Zeitmenfchen, eher der Zeit felbfl, untermwirft.
Mir müffen vorerft an die ber angegebenen‘ vorherge⸗
hende Periode mit. wenigen Hindeutungen erinnern. Die
pädagogifchen Grundfäge von dem großen Franfe und
feinem halliſchen Waifenhaufe hatten einen überwiegenden
Einfluß erhalten. Namhafte Berbreiter derfelben wären
in verfchiebenen Zweigen: Joach. Lange, F. J. Ram
bad, J. G. Hoffmann, Sarganed, Steinmeg,
2. a, m.; ihre Zeitreichtebis über Die Mitte des 18ten Jahr⸗
hunderts hinaus, Die Schulftrenge ber Humaniften blieb
mit der Gottesfurcht folcher Schulmänner in ernftem Bun⸗
de. Allmählich Iöfetefich beides in foweit, Daß der ſogenann⸗
te Humaniſmus eine mehr felbftfländige Schule bildete,
als deren Borinänner in jener Zeit J. Matth. Gesner
und 3. Ang. Ernefti genannt werden fünnen; beide
führten jedoch mehr Bielfeitigfeit in die Gelehrtenfchulen,
ein. Bon eitter ganz andern Seite und in ganz anderer
Art waren mittlerweile die Grundfäße ber beiden berühm⸗
ten pädagogffchen Engländer Bacon und Eode hereins
getreten, und was das Sprachenlernen betraf, fo. wurde
Amos Comenius durch feinen Orbis pietus, fchon früher
gebraucht, nunmehr befonbers im Privatunterrichte gefeiert.
Uebrigens war an eigentlich pädagogiſche Behandlung ver
Schüler noch Faum zu Denken; nur die Sefnitenfchulen hatten
hierin etwas voraus. Ss fand es in den 60ger Sahren
des vor. Jahrh. und von der Zeit an erzeugten ſich neue
Geſtaltungen in dem Unterrichtsweſen und in ben Erzie-
hungsweiſen. Rouſſeau und Bafedomw waren bie
neu hereinwirfenden Mächte, Dor Emile des genfer Phi
ſoſophen wurde bald nad feiner Erfiheinung (1762) das
Erziehungsbuch der Gebildeteren in Deutfchland, und bas
Elementarmwert des deſſauer Philanthropiſten wurbe
als Borläufer einer ganz neuen Bildung eiligft popula⸗
rifirt. |
Hiermit begann es unter den verfchiebenen Elementen
zu gähren, und es entitand in dem Schulmwefen nach lan⸗
ger Stagnation eine allgemeine Bewegung Wie ed bei
allen Aufwallungen gu geben pflegt, fie fireben immer zu⸗
mächft darauf hin, irgend ein vorherrfchendes Element aus⸗
zuſcheiden, an welches ſich dann bald die gefonderte Mafle
. anfest, felten in reinem Kryſtall, und wo je als reines
Gold? Dem neuen, zum Theile vom Auslande (Rouſſeau)
‚hereingerufenen Geifte war vor allem die Strenge zuwi⸗
der, welche fich gern in der frommen Geftalt des damali⸗
gen Pietiſmus ficherte, und fomit wurbe das Treffliche,
was von wahrhaft chriftlichen Theologen wie Franke
und Spener zur Körderung des wahren Chriſtenthums
an die Stelle des theologifchen Gezänkes gefekt worden,
mißbraucht, mißfannt, mißdeutet. Auf den Kathedern,
Kanzeln, Schulftühlen erhoben fich unerbanliche Slimpfe,
und was vielen Lehrern und faft allen Schülern zuwider
war, und im ganzen Publicum als abgefchmadt empfunden
wurbe, das mußte in dieſer Gährung zuerſt ausgefloßen
werden. : Das war denn bie halifche KRopfhängerei, mit
berfelben die finftere Strenge. Bon allen Seiten ber
hörte man Stimmen Der Pädagogen, die jene Uebel ver⸗
wünfchten, mitunter fehr- befonnener und einſichtsvoller
. Männer, und ald nun eine fo ſtark fich vernehmen ließ,
‚wie bie von Baſedow, fo war Der Moment jener Entfcheis
bung gefommen, und überall fchloß man fich an das neue
Gebilde an, welches ale Die Menfchenfreumdlichkeit felbft
erſchien, und deſſen Geſtaltung daher auch ben Nauen
Philanthropifmus vorzugsweiſe erhielt, ir war aus
der Pädagogik in Dem zwei letzteren Generationen. 69
erſt auf Die Ausſcheidũng der ſinſtern Strenge im Unten
richte Der Sugenb und ſofort in der ganzen Erziehung ges
richtet, noch aber mit dem Erlernen der alten Sprachen
nicht entzweit, trat mitunter fogar in ein Bunduniß mit
dem Humanifmus, der ſich jedoch bald ans biefer Gefel-
lung, als einer unuatürlichen, zurückzog, womit ex aud)
jenem keinen geringen Gefallen that. Sp ſtand es in dem
Quinquennium von etwa 1466 bis #770,
Da mittlerweile Der Genind Der Deutſchen in unferer
Mutterfprache in Proſa uub Poeſie wie aus einem trü⸗
ben Merre aber in neuer Jugend hervortauchte, und balp
alte Gemũther ergriff, auch einen freieren Sinn und reineren
Geſchmackverbreitete, $o wurden Kirchen, Schulen, Kinder,
finben von dieſen BHiten erheitert, und bas ganze Erzie⸗
hung sweſen gewann eine freundlichere Beflalt. Die Lieber
anferd nuvergeßlichen Gellert wurben von dem an bie
beliebteſten Kircheulieder, und ferne Fabeln lernten die
Rinder ſchon won den Muttern; der Verf. erinnert ſich noch
wohl, wie maucher Knabe fich freute, z. B. die Fabel vom
Bauern und feinem Sohne, fo recht mit Liebe herfagen zu
können, sher wie man Draußen fpielende Kleine im Früh⸗
linge, wann ber Guckuk rief, Stellen aus der hoffentlich nach
befanmten Fabel mit Luſtigkeit eigander zurnfen hörte. Wie
tonnte ſolchen Knaben noch bie Inteintfche Schule gefallen!
und wie mußten bie Müster nicht einen befferen linterricht
für fie wünſchen! Da war eg, wie ein Ernefti über „bie
Kraus Wutterfprache” fpöttelte, und wie bie jenenfer als
ten Burſche bei dem Poſtwagen, Der Die Neulinge brachte,
aufpeßten, um die Mutterföhnchen zu begrüßen. Wirk
lich konnte mau in jener Zeit leicht die Sünglinge heraus⸗
phyſiognomiſiren, welche von dem Schulftanbe verfchont
geblieben waren, und mit ihrem fanften Geſicht unter bie
Spöster und ihre Degenklingen hereintreten mußten. Das
war die Zeit, wo der Gegenfaß einer feineren Bildung in
jenem ‚harten Geſteine Durshhxechen ſollte, währenb unter
l
6a: lltenheifhe liebenfiht
dem Volke noch alles bei dem alten Schlenbrian blieb. Es
war freilich Fein Feuerguß, und fo wollte es much noch
nicht auf den Univerſitäten glücken; Denn jene gute, wohl⸗
geſittere ‘junge Leute beachten. weber die Kraft eines from:
men Charakters, noch die Waffen eines. wohlverforgten |
„Schulfades’” mit; und fo ift es begreiflich, wie ſolche is
nen geheimen Haß auch gegen jenes firengere Schullernen
ernährten, wie bie jüngeren Zehrer gerne dem nen erwa⸗
v chenden Zeitgeifte huldigten, und das Evangelium dee
Philaͤnthropiſmus verfündigten und wie Mütter und Väter
Feine Aufnahme in die Erziehung: nicht eifrig genng herbeis
wünſchen konnten.Auch das: politifche Leben neigte fich
dahin. Diefe pädagogifche Richtung ſchlug durch; ſie ſiegte.
WBaſedow förderte Durch feine ® orftellungan Men
Schenfreunde 1768 das Publicum auf, und gab vorerft |
fein’ Elementarbuch heraus, aber das erwartete Ele
mentarwerkvon Bafedomw erfchienerft 1774 ff. unter
der reichen-Unterflüßung von Negenten, und ber heilsbe⸗
giekigen Aufnahme von dem deutfchen Volke. Gleichzeitig |
trat esin dem Phil anthropin zu Deffau praktiſch
n: das Leben. Dahin wurden nun die Söhne geſchickt, und
nach einigen Jahren — immer weniger, bis auch ſelbſt die
trefflichen Männer, Schweighäufer, Salzmann ıc.,
die fi dort ald Lehrer einfanden, bie Anſtalt . wicht
mehr Kalten Ffonnten. Die Bände des Elementarbudhes
wurden durchfehen, denn fie zu befißen, gehörte zur da⸗
maligen Bildung, und in die Bibliothefert geftellt, wo fie
beſtaubt ftehen blieben; die fauberen Kupfer von Chodo⸗
wiedy wurden wohl noch hier-und da ben Kindern zur Beleh⸗
rung vorgezeigt, aber fie mußten bald der Unzahl von bun-
ten Bilderbüchern Plab machen. Diefer baſedow'ſche
Philanthropifmus war alfo mißglücdt; der rechte Hatte
ſich noch nicht: in -jenem Decennium von 1770 bis 1780 ges
ſtalteet. |
So wie die philanthropiftifche Grundidee, alles Ler⸗
der Pädagogik in.den.zwei letztaren Meneraͤtionen. 620
nen zu erleichtern und bie. Erziehung freunblicher. zu. machen;
fchon länger her angeregt,. nunmehr. von. mauchen Schrift⸗
jtellern und praftifchen Lehrern auch in einigen: Formeß
entwidele war; fo :hatte fie doch auch Beſorgniſſe erregt,
und die,bafedow’fche Age Fund neben ihren Bertheidigeg
auch ihre Gegner. Ein freimüthiger frunzöſiſcher Gelarr
ter ;. der [chat vorher (1763) gegen. den. Jeſuitifmus durch
feine. Schrift übaenıdie Nationnlerziehung aufgetrer
ten war, (Enradeus berla Chalotaisd), ſuchterin
feinem Berfurh über den: Bindberuntercicht:Cing
Deutſche überſetzte UTT). das Nachtheilige der baſedow'⸗
ſchen Grundſätze zu zeigen, sind hätte wohl eine allge⸗
meinere Beachtung verdient. Es fehlte auch nicht an wür⸗
digen deutſchen Pädagogen, welche ihre Stimmen, dagegen
hören ‚ließen; aber vn dem Zeitgeifte (öffentliche. Meinung
genannt!). überſchrieen wurden, Sp 3. B. ſprach Dee Reca
tor Schlegel zu Heilhronn in Schulprogrammen 1730
mit tüchtigen Gruͤnden gegen: jenen Phllanthrnpiiumd;
Andere: aͤnßerten ihre: Veſorgniſſe über ee en in
Abficht deu Religton. EN
Unter Den pädagpgifchen Scheififlaflern,, weiche die |
rechte Mitte: der Befonnenheit noch während Der anfangen
den Bewegung : hielten, zeichnen: ſich beſonders zweiaus.
GE May, Prof. in Leipzig, Die. Kunſt der vers
nünftigen Kinderzuct a, 2 Bänke (1254 — 1766)
auf chriſtliche Grundſätze gebaut; der 2te Bd. euthält eine
Gefchichte. der Erziehung. Alterer Völker. Das; andexe;ift
von Dem auch in der praftifshen Theslogie rühmlich genaun⸗
ten Schriftfieller, 5: P. Miller,. Prof. in Göttingen,
Grundfäge.einer weifen und chriſtlichen, Ers
zie hung (2te A. 1771.); dieſe Grundfäße würden Dem
Zitel, indeſſen rwoch mehr entſprechen, went fie ‚nicht zu
ſehr von dem Principe der Sentimentalität gefärbt wären,
welches ſich damals in Deutſchland zu. verbreiten anfing,
Audere Gelehrte verdienen auch noch. in dieſer Klaſſe ge⸗
IE N Oherbeifhe leberſeht
nahe zu werden, weiche: beſonders ſur Verbofferung ber
Schulen ſchriebden, wie Büſching, Reſewitz, ey.
Schloſſer, Dohm, Büſfch m. ꝛc. wi
MWas nunun war der Fortfchritt im Ganzen bie gegen
17807 — Die halliſche Kopfhängerei hatte ein Ehde, ber
finftere Schulſchlendrian mußte überall weichen. Aber das
gegen: Preigeifterei und Oberflächlichtrit. Run, jebe Kris
fis fühed auch ihre fchlimmen Symptome mit ſich, die
Hauptſache war das Gute, das ſich emwickelte, nämlich
Bas allgemeine Nachdenken über Erziehung; es: gab. nun⸗
mehr ein Studium der Paͤdagogil. Die:prattifchen Fort⸗
ſchritte waren hiervon die unmittelbaren: Folgen. Es
wurde in den Gegenſtänden des Unterrichts, in der Mes
thode, in der Schuleinvrichtung, in bee: Behandtung der
Kinder‘ n..f. w. ein Fehler. nach dem andern abgeſfchafft
und. wieled verbeffertz der alte Schlendrian konnte ſich
nicht mehr halten, and Die Vorurtheile fingen: an zie vers
ſchwinden, ſelbſt bis auf Die Ammen heraͤbb.
Von dieſer Zeit an ſetzten bie. Schrifiſteller die zwei Sy»
ſteme des Humaniſmus und des Philanthropiſmus einmts
der gegenüber, und manche bildeten dieſe Gegenfähe bis
in die fohroffiten Ertreme aus. So war cd abe in dem
wirslidyen Leben nicht. Es begegnet Daher denen, welcht
fpäterhin in Das Geſchichtliche ber Erziehung und der Schus
len eingehen‘, nie Tänſchung, von welcher ſich auch in jes
‚dem andern Zweige ber Gefchichte kaum jemand. frei erhal
tar hat, dag man das Idealiſirte oder fpäter. erſt Ausge⸗
bildete in bie frühere Zeit und oft bis in die Entwicklungs⸗
periode ſelbſt zurückträgt. Selbſt Niemeyer iſt ih feiner
hiſtoriſchen Ueberſicht „ber deutſchen Paͤdagogik ſeit dem
Anfange des achtzehnten Jahrhunderts”. (Grundſ. der
Gr; und des Unterr. IE) in dieſen Fehler gerathen,
und Schreiber dieſes kann ſich bei aller feiner Wachfamkeit
dagegen in feiner Geſchichte her: Erziehung Cun. S.
436.) vr. ganz frei. bay erden: Zrantens.unb
⸗
der Pädagogik in den gewi tebterem@inetationen.- 697
Spene es Grundſatze waren noch nicht die der ſputeren
halliſchen, oder wie Nemeger fie würdig nennt, „religiös
fer’? Anbere aber fle unwürbig- nennen, „pietifkifchen”
Schule. Neemeyer ſondert ſie in die der ‚Humaniſten,
Philaunthropen, Eklektiker, und fügt hinzu: „Schwerlich
wieb man einem für Padagogik wichrigen Mann nentien
ksnnen, buidenm man zweifelhaft dleiben könnte, aus wel⸗
cher Son dieſen Schulen er aAusgegaͤngen ſey, oder milder
er wenlgſteus vorzüglich angehsrt Habe 7% -Diefe beiden Letz⸗
teren Beſtimmungen ſagen indeß, logiſch ſchärfer gehonts
mer, nichts anders, als daß: fie ſaͤmmtlich ih die Klaſſe
der Eklekliler gehören. Dein ausgegangen aus irgenv
einer Schule iſt Ja. jeder, er mag ihr num treu geblieben
feyn oder nicht, auch iſt fein ‚in der Pabagbgik wichtigen
Mann” je der Schule, in weldyer er gebildet worden, gany
treui gebließeitz vorzugsweife Aber angehöft der Finen odes
der andern hat ebenfalls. jeder, und das ganz nabflelich,
weil der Stifrer einer Schule immer irgend eine Ider hut;
bie ihren Werth. behauptet, aber auch zugleich etwas, Bis
perſönlich, temporell, local beſchränkt if, und fich als oft
ſchlechte Zuthat dem Guten der Sache anhängt; die Mar
nier ves Meiſters wird der tüchtige Schiller fallen laſſen,
aus ſeinem Styl aber das Allgemeine der Geſetzlichkeit ſich
aneignen. So hat es ſich ſeit alter Zeit mit den Schulen der
Philoſophen und ver Kunſtler verhalten; anders iſt es uch
nicht mit den Schulen der Pädagogen. Wenn daher eier
der wichtigfien Pädagogen ſich felhft als einen Eklektiker
hinftellt, ſo liegt in diefer Befcheidenheit zugleich fein: Lob,
und wir flimmen ganz In das folgende Urtheil R.ein: „Eee
titer gab es immer. Denn es gab zu jeder Zeit Münner,
die das Nullius iurare in verba magistri al& das befte Theil
erwählten. Am Abende des letzten Jahrhunderts ft unſtrei⸗
fig diefe Schule, ‚wenn mau fie Schule nennen faun”
ifie iſt eigentlich die freie Bildung) „Die ſtärkſte geworben!
Denn die gelungenen und mißlungmen Beftrebangen der
GB... Lizexaͤriſche Ucherſicht..
Vorzeit führten zu Reſultaten,welche nun; auf ficheren
Erfahrungen, nicht mehr auf bloßen Theor ieen
a priori beruhen, .bei denen vorher fo oft der: wirk liche
Menſch, und. die Welt wie. fe iſt, vergeſſen ward.” Nur
fünnen wir Das, daß jene freie. Bildung in jenex neuen
Zeit „bie. ftärfite, geworden,” nicht ſo ganz unterſchreiben.
She gehörten: allerdings ehedem die wichtigen · Männer
gu, un jſt ſeit jener lebenyolleren Zeit, in der Pädagogil
die Zahl der Erziehungslehrer ſtärker geworden, und hier⸗
mit auch Die freiere Bildung häufiger vor die Augen getre⸗
ten. Wir urtheilen fchon unrichtig, wenn wir.jene ‚bedew
tenberen Pãdagogen a u.8 der frankiſchen Schule, Pan ge,
F. J.Rambach Sarganed als dieſer Schule ſo anges
hörig;.erflären wollten, daß ſie nicht auch ihren: Eklekticiſ⸗
mus gehabt. hätten. -welchengu: zeigen: nicht ‚Ichwer- fallen
dürfte. „Bei dan andern dort benannten iſt er. each iqugens
falliger. Wo iſt alſo noch .ein, wichtiger Pädagoge. unter
denen, die, ſich der Grundidee der „‚seligiüfen” Erziehung
zugeſagt, der nicht zugleich feine, freie Anſicht,d. ‚1. feinen
Eklekticiſmus behanptet, hätte? - Offenkundiger iſt es noch
bei der ſogenannten humaniſtiſchen Schule. Alle namhaf⸗
ten Pädagogen, die man derſelhen zugeſellt, ſelbſt die ber
ſtricten Opſervanz,“ wie ſie unſer Niemeyer votz denen „ber
gemäßigteren Grundſätze“ abſcheidet, find ekleltiſcher Art,
und, ſchon ihrem Studium nach, welches belanntlich nicht
zum iurare in verba magistri ſondern eher zum Aufſtellen
einer eignen Fahne gegen denſelben führt... Die Philanthro⸗
peu find noch mehr ihrer Natur nach Efieftifer, denn fie
wollen gar nichts Bindendes, Pie Bildung fol ganz frei
gemacht werben, — ‚bis zur Emancipation der Schulfuas
beu! Wie fehr verfchieden find die Erziehungsfofteng von
Baſedow, Selzmann, Peſtalozzi, Fichte n. ſw.
.. Nein; ſolche Abtheilungen, wie die angeführte in die
frantiſche, Cpietiftifche),, humaniſtiſche, philanthropißiſche
Schule, ſtehen nur wie Bibliothekſchränke da, und das
J
Der Pädagogik in den zwei lehteren Generationen. 699
kaum; im wirklichen Reben laſſen fich die Pädagogen nicht
fo unterfcheiden. Allenfalls mag man Die pedantifchen vor
den freifinnigen, d. i, Die Nachtreter und Nachbeter Yon
den Selbſtſtändigen unterfcheiden; da ed Diefe letzteren
aber nur find, wovon hier bie Rede feyn kann, fo könn⸗
ten wir fie alle Elettifer nennen. Denn, wie gefagt, jeder
it ein Schüler von Andern, und ift er ein: füchtiger, ſo
bifdet er das, was er von dem Lehrer aufgenommen hat,
in feinem Geifte aus; jeder auch, der mit geiftiger Kraft
feine Lehre ausbildet, fieht- fi um, wo er etwas auch .
von andern Lehrern lernen kann, oder was fich ihm irgend
zur Prüfung Darbietet, um fo überall das Beſte zn behal⸗
ten, und hiernadh feine freie Bildung völlig zu gewinnen.
Solches Auswählen ift der echte Eklekticiſmus, der zur
Erfenntniß der Wahrheit führt, und insbefondere dem Päs
Dagogen ziemt. Es gab freilich: in den 90ger Jahren Kans
tianer, Fichtianer ꝛc. ıc., welche e8 nicht ertragen. mochten,
wenn ein denkender Mann nicht zur Fahne ihrer Schule
ſchwur, und ihn dann gerne durch ben Kamen. eines Es
lektikers auf Dem Gebiete der Philoſophie in Verruf brach⸗
ten, allein ſolche Mißdeutungen eines Wortes, welches
denjenigen freien Philofophen bezeichnet, Der fich auch
nicht einmal durch ein mächtiges Syftem eines andern Men⸗
fhensGeiftes Inechten laßt, können nicht lange beftehen..
Wir kommen nad. diefer Epifode auf unſern hiſtori⸗
fchen Gegenftand zurück, von welchem wir jedoch dabardı
eigentlich nicht abgelommen'find. Denn wir haben gefes
ben, daß fich die Pädagogen jener Zeit. nicht unter zwei
oder drei Fahnen fammelten, um gegen einander zu Kelbe
zu ziehen, fondern daß jeber für fi ftand, und bie fidh
zu einander gefellten, darum doch nicht alle mit einander
theilten... Frante, Lange und Rawbach waren ftrenge
Humaniften, der erftere in feiner Waiſenhausſchule, der
‚weite, wenn auch weniger durch feine Iateinifchen Collo-
quia für Heine Knaben, * deſto mehr durch En gries
ee Stud, Jahrg. 1884
MD =... Mtenärifche Meberfiht.
hifche, fo wie ber dritte Durch feine regelfeſte, wohl be
währte läteinifche Grammatil. Die Humaniſten Geßner
und Ernefti waren keine Feinde Der Realkenntniſſe, bie
Iſagoge des erfteren und die fundamenta doctrinae soli-
dioris von letzterem ‚wurden Schulbüdher, welche in bie
Gymuaſien jene Wiffenfchaften einzuführen fuchten, bie
den Philanthropiften dad liebte waren. Selbſt Bafedow
hielt ſo viel auf die Verbindung dieſer Kenntniſſe mit ber
lateinischen Spradhe, daß in diefer Sprache in feinem Phi
lanthropin zu Deflau vieles gelehrt wurbe, und fogar feine
Kochter in der Inteinifchen Sprache auftrat. Auch war |
feinen Anhängern die lateiniſche Ueberſetzung feines Ele
mentarwerfs von Mangelsdorfin diefer Hinficht wil;
tommen. Was war: e8 denn alfo, wogegen die Philan⸗
thropiften jener Periode ihre Kraft aufboten, und was
war «8, das zu befämpfen fie vereinigt erfcheinen? Es
waren damals wicht die. alten Sprachen, fondern bie
bisherige Methede, wie fie gelehrt wurden; es war aud
acht der. Grundſatz, bie’ Gelehrtenſchulen den wiſſenſchaft⸗
döchen Kenntniſſen zu verſchließen, denn ein folder Grunds
as war. von feinem der wichtigen Schulmänner jener Zeit
aufgeſtellt, vielmehr von den wichtigften Humaniſten, wie
vorhin bemerkt, felbft praftifch verwerfen worben; fon,
dern der Streit, der ftch darüber Damals. ernenerte — zu
den Breiten Rabichs und Am. Comenius hatte ſchon einmal
dießer Krieg Deutschland durchzogen — betraf wur Die Art
und W eife, wie die Realien mit.bem Erlernen der alten
Sprechen zu: verbinden ſeyen, und daruber waren Die Mei⸗
wungen fo getheilt, daß die Scheidung in zwei Parteien
och. wicht deutlich erſchien. Sie hatte indeflen begonnen.
Auch war ed nicht Die Frömmigkeit des Chriſtenthums, was
Baſedow und feine Anhänger: bekämpften, oder was einem
frommen Theolagen Wie Mickefli,: was Den halläindifchen
Hamaniften, was üherhauptiden gelehrten Schulmämern
jener Zeit. zuwider fen Banute,, ſondern tie früher Phi⸗
der Pädagogik im den zwei lehteren Generationen. 701
Lanthropen traten mit ihrem lautrufenden Führer Anfangs.
ur gegen die Art und Weife auf, wie bis dahin bie
Jugend in Dem Chriſtenthum unterrichtet yoorden, und
fauben eine Verbeſſerung nöthig. Nur hierin vereinigten
fie fih, aber aud) mit. ihnen manche Humaniſten (gewiſſer⸗
maßen Ernefti felbfl), und nun gingen fie in ihren Vor⸗
frhlögen jeder feinen ‚eignen Weg. Indeſſen in biefem
Punete wurde eine en in * Parteien nunmehr
yollfiommen: --
Es mußte aſſe o — — bereinwirten, wenn
die übrigens verſchiedenartigen Elemente in biefe zwei
Maflen.songlomeyiren. follten, und das fonnte nur burdh
Das Ganze in Dem damaligen beutishen Culturſtande kom⸗
men, durch Das, was man zleichſam als eine geheime
Macht mit dem Worte Zeitgeift au bezeichnen pflegt. Faf⸗
fen wir Die Erfcheinungen deſſelben in dem Jegten Viertel
Des nahtzehuten Jahrhuuderts auf, fo wird und auch jene
Macht nicht werborgen bleiben, weldse als ſolcher Geiſt
das Einzelne, fo auch in. der Erziehung der Jugend leitete,
und gerabe in diefer Wirkſamkeit deutlicher hervorbrach
Es war Diefe Macht eben Das Princip, welches dem Jahr⸗
hundert in feinem Hinſcheiden Den Namen bes aufgellärten
ober des philofophifchen wie einen Ehrennamen erworben.
Die beutfche Nation, bildſam mie, fie iſt, nimmt bebanntlich
gerne von bem Auslande an, was nur ihrem Bildungs⸗
triebe ‚entgegen kommt, nnd nimt es mit Wärme in ihr
ven fruchtbaren Hoden auf, fo daß es ſich nicht. etwa in
ben Bezirk des Gelehrtenſtandes perſchließt, ſondern als⸗
bald allen Volksklaſſen als Gemeingut offenſteht und dar⸗
geboten wird. So war bie Freigeiſterei und der Unglaube
yon den englifchen Deiften und ben framgöfiichen —
( Atheiſten? wenn das Wort nicht zu hart wäre,) eben: fo
gaſtfreundlich aufgenommen worden, als die Padagogif
von Lade und Rouſſeau. Doch muß man dem deutſchen
Volle um Ruhme nachſagen, daß es nur die Ietere bei
a8*
702 Biterärifche Ueberficht
uns heimiſch werben ließ, einen Hobbefius und Voltaire
und Diderot ıc. ıc. zwar einlud, um fiei ale ‚große Geiſter
zu hören, aber ſich nie mit einem Systäme de la nature be⸗
freunden fonnte. Hüter denjenigen Deutſchen nun, weldye
mit Iebhafterer Kraft in der Geiſtesbildung vorbrangen,
gab es einen nicht anbebentenden Theil, welcher fich jener
Bewegung zuneigte. Denn fo: vieles war in ber bisherigen
Cultur der Wiffenfchaften und des Geſchmacks bei den
Deutfchen ein fchlechter Schlendrian geworden , und ein
Streben zur Berbefferung regte fich allgemein, da ergrif-
fen denn viele, wie es zu gehen pflegt, das Leichtere und
Därgebotene an, ftatt daß fie aus dem Grunde der eignen
Tüchtigfeit mit Anftrengung das Beflere‘ erarbeitet hätten,
um es naturgemäß erwachfen zu laſſen. ‘So ift e& bei dem
Menfchen. So war es auch bei und, und ift ed nicht noch
fo, wenn wir die bethörte Tugend mit ihren bethörenden
Führern den Srrlichtern von Freiheit nachlaufen fehen? Es
ift wie jene Metaftafe, wenn fich die Thätigfeit, die im
Geifte ihre Werkftätte haben fol, in die Organe der Leis
beönahrung wirft. Auf diefe Art-ift es zu erflären, Daß
es viele in dem Lehrftande gab, welche in der Bildung
alles Hergebrachte ungünftig, alles Neue günftig anfahen,
und ein-neues Zeitalter fchnell herbeirufen wollten. Gie
waren ber früheren Strenge und dem Schulſtaube gram,
fie fühlten einen geheimen WiderWwillen gegen jene ernftes
ren Studien, fie wurden von Mitleid bewegt, wenn fie
an dem geplagten Knaben bei feiner Grammatik Thränen
im Aüge bemerften, ober ihn angftvol unter feinem Büs
cherriemen zur Schule wandern fahen, fie felbft athmeten
freier‘, genoffen, wie fie meinten, Lebenöfpeife aus reineren
Lüften, und riefen fich wohlgemuth einander zu: „das
muß anders werden! der armen Jugend müſſen wir hels
fen, das Bolt müffen wir aufllären!?” — Solche begeis
ſterte Ausrufungen in Schriften jener Zeit könnten wir
wohl gebrudt vorzeigen. — So weit mochte es noch gehen.
der Pädagogik in den zwei letzteren Generationen. 03
Aber wenn man nun weiter rief: „Rieder mit allem Alten!
alles non Grund aus neugebaut !”” — fo wurde Die heilige
Sache der Aufflärung und felbft dieſes unfer ſchönes Wort
entweiht. O Deutfche, warum verfennet.ihr. denn fo. leicht
Euere treffliche Grundkraft, unfern feflgewurzelten Baum
der ächten Bildung? Sehet auf ihn, and aller Radicaliſ⸗
mus muß Euch fammt feinem fremden Namen widrig ſeyn!
Sobald nun einmal das Niederreißen die Lofung gewors
ben. war, fo wurbe ein Gemeingeift erzeugt, welcher den
großen Haufen der Zeitmenfchen verband, und welchem
fih auch manche der edlen Geifter zufagten, die.nur das
Bellerwerden im Auge hatten, und bei weniger Kenntniß
des menfchlichen Herzens von einem goldnen Zeitalter
träumten; begreiflicher Weife waren die Pädagogen, mie
von jeher, am erften ſolche Ideologen. Die Ruhe nach
dem fiebenjährigen Kriege, das frifche Aufleben des Han⸗
dels und Wandels, das Wohlgefühl eines wachfenben
MWohlftandes, alles dad und noch, manches Andere erheis
terte die Gemüther, und ließ ung in eine ganz nahe, ganz
herrliche Zukunft fchauen; Uns fagen wir; denn Schreiber
diefes theilte nämlic; in den 8Oger Jahren Des fogenann-
ten philofophifchen Sahrhunderts dieſes damalige Grmeins
gefühl in Deutfchland.
Auf der andern Seite erhoben ſich aber auch die
Bedenklichkeiten. Manchen gab es in dem Gelechrtens
ftande, und unter den übrigen Gebildeten, dem nicht alle
Neuerungen gefielen, und welder aus Gründen. das
gute Alte rühmte und es feithalten wollte. Der größte
Theil unſers treuen Volkes fühlte das in feinem from⸗
men Gemeinfinn mit, wurde aber bald von. Der einen
bald von der andern Partei bewegt. Diefe nun traten
immer ſtärker und immer fchroffer gegen einander über;
ed waren die Paläologen und Neologen wie in der Kirche
fo in der Schule und in der Erziehung der Kinder. Hier⸗
mit alfo fchieben fich in ber Krifis die beiden Parteien auch
—_
704 Literaͤriſche Ueberſicht
in ber Padagogi and. Nicht war das ein Streit bes Pie⸗
tiſmus, Humanifeius, Philanthropifmus, fonbern der
Vorliebe für das Neue gegen bie Vorliebe für Das Alte.
Natürlich befeeite dieſe Iegtere mehr die Altgläubigen unter
ven. Ehriften amd Die. grammatifch firengen unter den Hs
maniſten als bie Philanthropiſten, in welchen Dagegen bie
Vorliebe zum Neuen eine Überwältigenpe Herrfchaft ger
winnen mußte; allen ınan würde. z. B. einen Balz»
mann fehe unrichtig-beurtheilen, wein man ihn jenen
Nruerern zugeſellen wollte, welche die chriſtliche Frömmig⸗
deit in einen Deiſmus auszuklären ſtreben, und ſo waren
z. Bi: Humaniſten wie Wyttenbach and Heyne gewiß
ernftlich fiir chriſtliche Bildung befliffen, und Lesterer, ber
Freund Herderd, war unter und Deutfchen, bei feinem
großen Einfluß auf bie Lehrer in den Gelehrtenfchulen,
auch darauf bedacht, Das Gute, welches der fogenannte
Philanthropiſmus darbot, mit ber Haffifchen Bildung zu
vereinigen. Wir-müffen Daher wiederholen, daß jene Ge⸗
genfüge unter Den oben Angegebenen Namen nicht in der
Sefchichte der Padagogik als ſolche vorfommen, ſondern
vielmehr ‘als die von und nachgewieſenen, namlich als
ber Anhänger an das Alte und der Befoörderer Des Reuen.
Diefe Parteiung RADEON ſich in dem DE UNIEM vor 1780
bis 1790,
Daß es bei Spaltungen ſchroffe Spitzen gibt, briugt
die Natur mit ſich, und ſo fehlte es denn auch damals nicht
an ſolchen, die man jetzt Ultra's zu nennen pflegt. Der
berühmte Campe ſprach den großen Sinnſprtuch aus,
daß der Erfinder des Spinnrads mehr werth ſey, als der
Dichter der Ilias; und wie Schreiber dieſes in der Ge⸗
gend von Braunſchweig, wo Campe damals wohnte, von
Befannten von ihm felbft gehört hat, feßte er auch ben
Erfinder der braunſchweiger Mumme über den Homer.
Auch auf der andern Seite hatte es mancher ald Ultra bie in
Die Spitze getrieben. Doc, hat es wohl -Teiner dem berühm⸗
der Padagogik in den zwei loßteren Generationen. 705
ten Lehrer Fifch er.an der Thomasſchule zu Reipyig zuvorge⸗
than, welcher noch dis:in die Zeiten der Philanthropiſten
lebte, aber fehon zu der Zeit, wie feine Schüler die Schriften
don Gellert und Rabener laſen, diefe Schüler drutſche
DiarePriihalt, und alles was nicht griechiſch und Iateb-
niſch war, ale Eur —— ſtreug — ver⸗
— re —
Wenn wir die Gegenfäge: bis auf. einen ätgemeinen
zurädführen, fo ift. Bhefev "Ten anderer, alo der der. Ruhe
und Bewegiig. Trenut man beides; fo haben wer. dort
das Feſthalren, welches in fich ſelbib vermodern muß, und
hier ein Fortfließen worin alles untergehen müßte. Die⸗
jenigen „Welche innein Mittelaltet, öder wer weiß in wel⸗
den veralteten Zuſtand zuruckziehen möchten ; ſind in ei⸗
nem dedauernswertheii Wahne, der zugleich feine bela⸗
henswerthe Seiterhat. Die Männer der Bewegung, und
fomip auch Die Jünger der Propaganda, würben, went
es (er bitterböfen Donquichoterei je gelingen Tönnte, am
erſten ſelbſt von ihrem Strome verfchlungen werben, und
ihr Treiben ift ebeitfo Tächerlich als betrübt. Gehört ben
sicht zn allem Wachsthume die Fortentwicklung bes Blei⸗
benden? In ruhiger Bewegung-fohreitet Die Bildung vor⸗
wärts und was ſich in ihr entwickelt iſt der Keim, und aus
dieſem die beharrliche Koaft. Die Menſchheit trägt Ewiges
in ſich, dieſes Fol im Zeſtenverlaufe zur Ausgeburt gelangen:
Wer ſich dem Zeitgeiſt ergibt, erkennt das nicht, und fo
war es Damals bei Dem großen Haufen, weldjer die Wäs
dagogik als Sache der Mode und der Zeit betrieb. Dies
jenigen Erziehungsmänner, welche fich möglichft unbefatts
den hielten, wirrben zwar von den Partiſanen der andern
jurücdgebrängt, inbefien verhaliten doch nicht ihre Stims
men. Das waren fchon früher J. G. H. Feder (neuer
Emile 1768 — 74.), etwas fpäter Rapp, ein vorzüglicher
Schuimann unter den Humanfften, auch Kun? und Meie⸗
rott o; nnd von der. andern Seite Reſe witz (Erziehung
N
706 2: Ateraͤriſche Ueberficht
dea Burgers zum Gebrauche des geſunden Verſtandes und
zur gemeinen Geſchäftigkeit 173, und Eh ler 8 Cüber Schu⸗
len und; in dem Reviſionswerke), nebſt einigen andern, die
anıdiefer freilich ettwas anmaßenden Unternehmung von
Campe Theil nahmen, vornehmlich auch Salzmann in
feinen Erziehungsſchriftan (ſeit den Soger Jahren); außer⸗
dem nicht wenige Lehrer, die theoretiſch und noch mehrere,
Die. praktiſch die richtige Mitte, durch ihren- guten Tact
geleitet, fo ziemlich zu treffen wußten..:
Bei weiten die meiften Bildungsmänner in Deniſch⸗
land ſtanden in der. Mitte zwiſchen jenen Parteien. Große
Namen wieder eines Leſſing laſſen ſich hier aufführen,
.. welcher ſelbſt in elaſſiſcher Bildung angeſtrengt, da ſein
Schulrector diefem vorzüglichen Schüler boppeltes Futter,
wie er fchrieb, geben mußte, Meiſter und. Deufter in
der deutſchen Sprache und Bildung. wurde, ‚und gewiß
Feiner jener fogenannten Schulen huldigte, am-wenigften
der philanthropiftifchen. Ihnen zunächſt Fönnen wir einen
Herder feßen, der noch in der deutfchen Nationalbils
dung feinem leicht nachfteht, und fchon in jener Periode
auch die Berbefferung ber Gelehrtenfchulen ind Auge faßte
Bon Göthe und Schiller reden wir in der folgenden
— —
Ein Hauptwerk für den Philanthropiſmus war: 10
gemeine Revifion des:gefammten Schul- und
Erziehungsweſens von einer Gefellfchaft
praftifcher@rzicher. Herausgegebenvon’.h.
Campe, Anh. Deff. Erziehungsrath, in 15 Bän⸗
den (800) 1785 — 91, in welchem zwar, wie fchon ber
Name des Herausgebers fagt, der hier gleichfam die No⸗
tabeln zufammenberief, eine neue Aera eingeführt, und .
der biöherigen ein gänzliches Ende gemacht werden
follte, aber die meiften Mitarbeiter ſolchen Dünkel felbft
zurechtwiefen, und Altes mit Neuem verbeffernd verban-
ben, fo daß noch immer der Pädagoge und Schulmanı
der Pädagogik in den zwei letzteren Gonerationen. 707
vieles aus dieſem Werke, dem zugleich eine Ueberfehung
von Locke und Rouſſeaus Emile eingefügt iſt, benutzen
kann. Campe, Stuve, Bahrdt, Trapp, -Bils
lanme, Funk, F. Gedike, Ehlers, Büſch, Def
Crome, n. A. waren Mitarbeiter. Unter ben Neuerern
ſtand der Herausgeber oben an, dann eroffnete Bahrdt,
der bekaunte, das Werk durch eine Abhandlung. über
den Zweck der Erziehung; hierauf folgte ‚eine-von
Campe über Die Erforderniffe einer guten Er⸗
jiehung.won Seiten der Eltern vor und. mad
ber Gchurt des Kindes; dann gab Stupe bie als
gemeinften Grundſätze der Erziehung an,.her
geleitet aus: einer. richtigen () Kenntniß des
Menfhen in Rüdfiht auf ſeine Bellimmung -
@),. feine :förperlihe,und geiflige Natur uud
deren innigfte. Verbindung, .feine Fähigkeit
zur Glüdfeligkeit und feine Befimmung(d;
hierauf ſchloß mit allgemeinen Grundfägen der
förperlihen Erziehung. von.demfelben Berf. dieſer
erite Band. Die folgenden Bände behandelten diefes und
jened Speciellere. Man darf nur diefe hier aufgezeichnes
ten Titel anfehen, um die Tendenz des ganzen Werks ken⸗
nen zu lernen; liefet man aber Diefe Abhandlungen ſelbſt,
fo erfennt man auch bald das Oberflächliche derſelben, und
insbefondere die Unkunde der menfchlichen und. beftinmter
der Eindlichen. Natur. Schon: der: legtere. weitfchweifige
Titel laßt das Ungrüsbliche erbliden, wo fogar unlogifch
zum zweiten Male die Beitimmung des Menfchen neben
feine Glückſeligkeit gefebt wird, da Doch in ber Abhand⸗
lung des Breiteren gejagt wird, daß fie in nichts anderen,
als in der Glüdfeligfeit beftehe. Dieſe wird denn, wie
befannt, erflärt als „ein Zuftand von verhältnigmäßiger ©)
Ausbildung und Vervollkommnung der Anlagen und Kräfte
unferer Natur (alſo auch der.thierifchen®), und Die übers
einftimmende Befriedigung unferer natürlichen: Triebe;
708 Vvieebartſche nedericht -i-
denn hletaus erwächfet:unfere Volllommenheit, und das
Anſchauen eigner Bolllommenheit macht Vergnügen, ift ans
genehm, wird -Glädfeliglät.’? Sie! und.fo.ift alles .aufe
Befte begriffen. Das war denn die Begründung der neuen
Erziehungsweisheit nicht ſowehl von einer folchen einzel
nen, Öffentlichen: Stimme als von dem. Zeitgeifte vorge
dracht. .. Wenn man. nun etwa einem Schüler jener nenen
Hüdagegitbie Prufungsfrage vorgelegt Hatte: Wie unters
ſcheided ſich die Erziehung: bei uns / den Sultibirten, vonder
Her vera Wilden e ſo konnte er nicht richtißeriantworten als:
die Wilden. lernen bie Befrkebig nagihrernatürtichen Triebe
vonlder Naturiiwir aber lehren: ſis ſelbſt unſere Kinder.
Bon boeſſeren Gehcaͤlte ſind die Abhandlungen von: Vib
hauure: Allgemeine Theorie, wie gute Trüebe
Ann Feartig keiten durch Die Ergiehung:erwedt,
gieftbrtt und gelenkt werden müſſen, and moch
kinige: audere, welche Mittel gegen: Unarten angeben, vod⸗
zleich and, in feinen. Grundſatzen vieles zu berichtigen
wire Mie iſt doch z3. B. Die Regel: „bei Heinen Kindern
und trägen Seelen ergreifet alle Reize, ‚welche fie auch
feyn mögen (), um erſt die Teblofe Maſchine in ver Gang
zu bringen”, — ein Necept Das den Kranken zu Grabe brins
gen wlrbe, wenn nicht in jedem Worte eine Unkunde ber
Natur lage, die ed. nicht einmal ausführbar macht! Zwei
Blade enthalten die Grundfüße von Trapp’ über den
Unterrichts der Ste vom Unterriht überhaupt,
der ill vom Unterricht in den Sprachen. Dieſer
Lehrer war es, welcher mit bem Haß gegen das Flaffifche
Studium die fogenannte Realienſucht auf Die Spige trieb.
In ſeinem Berfuch einer Pädagogik (IT00 fagt er aus⸗
drücklich: „eine Sprache mehr ſehe ich immer als ein Hin⸗
derniß aiehr an, em guter Volkslehrer zu feyn;” und er
weiß die: Kenntniſſe in Portionen fo abzutheilen, daß man
berechnen Tann, wie wiele in einer Lehrſtunde eingenoms
men, und alfo m Jahresfriſt erlernt werden koͤnnen:
der Pädagogil in den zroet letzteren Generationen. 906
Uebrigens gibt er auch in dem Reviſionswerke Regeln, die
dem Pädagogen noch immer recht gut dienen können.
Der Philanthropiſmus in der Erziehung und der Rea⸗
liſmus in dem Unterrichte gewannen Überall das Leberges
wicht. Woher das. kam? Gewiß nicht vor fernen einzelnen
Stimmen folcher nichts weniger als gHeiftesträftiger Mäns
ner, fo laut fie ſich auch vernehmen ließen. Wie hätten: fie
fo viel gegen die Gediegenheit und den heiligen Ernſt der
Dentfchen Bildang vermocht! Nein! es mußte der Grund
in erwas liegen, dad allgemeitier: in den Geimithern: wirkte
Neigung oder Abneigung pflegt der Erkenntniß vorauszu⸗
gehen!‘ Jenr nen aufgefhloffenen Kenntuniſſe in der Pada⸗
gogik — wir wollen fie venn kinmal dafür geltet laſſen ii
wurden begierig Aufgenommen, weil eine allgemeinte Sub
mung zur Vorliebe für eine folche Neuerung wurde, nd
eine fchon hänger her. erjengte Abneigung gegen die dishe⸗
rige Strenge zu immer größerer Stärke ernährt‘ huittel
Mas aber war das Prineip, das dieſer Richtung den Muss
fchlag gab, und in berfelben Die Menge writ fortzog® Es
konnte in nichte anderem, als in einer herrſchenden Geſin⸗
zung liegen, und Diefe findet in der Denkart hinſichtlich
der Religion ihren tieferen Grund. Wir mäflen alfo un⸗
fern Gefichtöfreis bis auf den Zuftand des Ehrifkenthuns
in Dentfchlan® erweitern, wenn wir die Bewegungen in
det Erziehung begreifen wollen. Es dietet Fich uns auch
bier augenfällig die Beränderung dar, die feit dem letzten
Drittheil in dem theologiſchen Lehrweſen vorgegangen, und
wir erkennen bald, wie das päbagogifche hieran Theil
nehmen mußte, Aber auch hier Dringt ſich uns bie Frage
auf: wie war ed möglich, daß z. B. ein fo ſeichter Gelehr⸗
ter oder vielmehr Zeitmenfch wie ein Bahrdt: bei ben
Theologen und bei dem Bolfe ſoviel Eingang finden tonnte?
Cab es Doch damals ganz andre Mlinner von Gelehrſam⸗
teit, Kraft, Geiſt, und fand doch felbft unfer: Dichter
Göthe in jugendlihem Muthe die bahrdtifche Behandlung _
719 Literaͤriſche Weberficht
der Offenbarungsslirkunden für nicht mehr werth, als zur
Kurzweil, wie ed denn wirklich feit dem humoriſtiſchen
Gedichte „Bahrdt und Die vier Evangeliften” von Gelehrten
und Ungelehrten belacht worden. Die Poeſie und die Bil
fenfchaft. thaten Einfprache in Scherz. und Ernft gegen alk
jene Neuerungen, insbefondere in der Pädagogik. Eine
fehöne Bignette für Die Bewegungen dieſer Zeit gibt und
ebenfalls Göthe, wo er aus feinem Leben uns fein Zufam-
menkommen mit Bafedow und Layater- mit gutmärhige
Laune erzählt, nicht eben. zum Bortheile von jenem. Wenn
nun.etwas in der Gefchichte nicht aus der. Kraft der haw
delnden Perſonen erflärt werden, kann, fo. muß: bie Urſache
in. den Umſtänden vorhanden ſeyn, und die auftretenden
Perſonen ſind dann nur das Organ einer im —— ver⸗
breiteten Macht.
Der jetzige Sprachgebraud nennt biefe Macht Die öfs
fentliche Meinung. Was der Ehrift von ihr zu. halten habe,
weiß er aus ben Urtheilen des Erlöfers felbft und feiner
Geſchichte. Weder der Täufer noch Chriſtas machten es
dem großen Haufen recht, und er vergleicht diefen darum
mit den Knaben auf der Straße; „fie werden euch verfol
gen,’ verkündigt er ben Befennern der Wahrheit, feinen
Kampf mit. dem Weltgeift und — Zeitgeift verfchweigt er
den Seinigen nicht, und wie Diefer Geift in der öffentlichen
Meinung fein Wert treibt, fteht welttundig darin da, Daß
das Volk Heute fein Hoſianna dem Gefalbten, und einige
Tage darauf: an's Kreuz mit ihm! ausrief. Nein die
dunkle Macht, die ein Volk bewegt, Tann uns nicht für
diejenige öffentliche Meinung gelten, in welcher wir bie
Stimme Gottes vernehmen. Der fittlidye Gemeinfinn, das
Gefühl. der frommen Herzen ift es, was öffentliche Mei⸗
nung werden fol, welches inbeflen diejenigen nadı Kräf⸗
ten zu verhindern fuchen, welche die ihrige dafür möchten
ansrufen laſſen. Wir fragen nun hier nach der Macht,
ber Pädagogik in den zwei letzteren Generationen. 711
welche die Meinung jener an ſich wenig —— Gei⸗ |
fter zu einer öffentlichen erhob.
Das deutfche Gemuͤth hatte fich nicht burd, das Lehrs
wefen in der. Kirche befkiedigt gefunden, und Die: geiftlofen
dogmatifchen Zänkereien hatten befonders das gebildetere
Publicum mit Widerwillen erfüllt. Auch die fpener’iche
Richtung war zu fehr in einen abgefchmadten Pietifmus
übergegangen. Das fühlten die Theologen auf ben Kas
thedern, auf Den Kanzeln und in den Schulen, das wurbe
auch in Scriften gefagt, und es. fand überall Anflang.
Ss wurde alfo feit den 60ger Jahren das Bebürfniß eined
befferen Zuftandes hierin allgemein rege. Wer ihn zunächft
herbeiführen ſollte, das war der Lehrſtand; auch erkannte
er feinen Beruf dazu, aber er war nicht dazu gehörig ges
bildet. Die Geiftlichen hatten den Geift mit einer alten,
trodenen Dogmatik anfüllen müſſen, und nun fühlten fie
fih damit fo gebrüdt, daß fie nichts fehnlicher wünfchten,
als diefen „Wuſt,“ wie man es damals zu nennen pflegte,
108 zu werden. Da jauchzte man wohl gerne jedem zu, ber
ald Befreier erfchien. Wer als folcher auftrat, hatte ſich
fchon fo viel Zutrauen erworben, daß man feine Lehre
nicht erft einer Kritit unterwarf, und ſchon zum voraus
die Gegner ald hartnädige Altgläubige, als unduldſame,
Inechtifche, bösgefinnte Menfchen in Verruf zu bringen
fuchte; ja der Ausdruck „Dummtöpfe? kam nicht etwa
bloß in den Schriften der liberalen Ultra’s jener Zeit, fons
dern auch ſelbſt in guter Gefellfchaft vor. So mußte alfo -
die allgemeine Stimmung jedem, der für die theologifchen
und pädagogifchen Neuerungen das große Wort führte,
fich zumeigen. -
Hätte ed nun im Lehrftande nicht noch an etwas ander
tem zu fehr gefehlt, fo würde fich bald dag Ueberſpru⸗
deinde niedergefeßt und der reine Gewinn ſich hervorge⸗
hoben haben. Warum waren doch die Geiſtlichen nicht
die Männer des Geiftes, welche aus der Tiefe des Chri⸗
k
712 Litexoͤriſche Ucherſicht
ſtenthums ſchöpfend das Volk in der Kirche und Schrle
wahrhaft zu bilden verſtanden? Sie, (wie überhaupt bie
Theglogen), hätten verſtehen follen, ans dem alten Wuſte
die reine Saatfrucht herauszufinden, und fie auszuſtreuen;
fie mußten im Lichte der Herzensreligion fo eingelebt ſeyn,
daß fie. Diefed Licht auch in ihren Gemeinden ſo Eonnten
leuchten laſſen, wie es ein. Schuß gegen den Unglauben
geworben wäre. . Daran. fehlte ed aber, an dem Lebendis
gen Chriſtenthum, in dem ‚Sehritande ſelbſt fehlte es im
Allgemeinen, fonft wäre alles anders. gegangen. : Die An
lage trifft weniger bie Einzelnen al® den ganzen Stand,
und auch Diefer findet feing Entfchuldigung in einer porher⸗
gehenden Zeit. Wenn auch wir und unfere Bäter nicht
den Weg einfchlugen, den wir jest als ben befferen erken⸗
. nen, ſo meinten wir doch Damals Dem richtigen Weg zu
erwählen, und wußten auch wohl, daß nur allein ber
Heer bei allen ben Wegen den rechten zeigt und Die Herr
zen gewiß macht; aber fchuldfrei find wir darum doch
nicht, denn wir verftauden es nicht beffer, dena wir ließen
uns zu leicht von Dem Winde Der Lehre hin und her wägen.
Schreiber dieſes fagt hierbei, wir, weil.er feit ben
3780ger Jahren in Dem päbagagifchen Geſchäfte anfing
thätig zu werben, und während er auf der Univer ſität
ans dem Munde feiner theolngifchen Lehrer die neuen
Anfichten eifrig aufnahm, ſelbſt Religionsunterricht ers
theilte, und mit Den neuen Unfichten Knaben und Mädchen
sinterhielt, wicht ohne eine Begeifterung, mich nicht ohne
Kindrud bei Den Kindern und nicht abme Beifall won dem
Ültern. Denn, wie geſagt, alles erfreute fich ber neuen
Zeit einer helleren Religionslehre. Er hatte zwar ſchon
als Knabe Gelegenheit gehabt, Das ſchlechte Treiben in
. Dem damaligen Sampfe zu fehen, amd fühlte fich bei den
Heußerungen der einen Partei ebenſo unbehaglich, als
bei benen dar anbern, andy hatte er ſchon Damals bie Er⸗
wartung von ciner Zeit, welche dem Chriſtenthume bevor⸗
ber Pädagogik in: den zwar Icpteren Generationen. 713
fiche, hie den: Beruf bes Religionslehrers erſchweren
werbe, wie er es im J. 1200 feinem Großvater in einem
Auffaße dei deſſen Amtsjubiläum ausfprach, aber bie als
ten Dogmatifen, wit benen_ er fich frühzeitig einigermaßen
befannt machte, hatten ihn: keineswegs für die Orthoborie
gewonnen, und fo freute er ftch, Daß fein chriftliches Ges
fühl bei den Lehrern, namentlich bei einem NRofenmüller,
uud in dem Studium der döberleinifchen Dogmatif mehr
Nahrung für das Leben fand. So war damals die Stim⸗
mung faſt durchaus bei den findirenden Theologen, und
das auf mehreren mo nicht allen Univerfitäten. Das chriſt⸗
liche Gefühl brachten fie noch gewöhnlich von Haufe mit,
und der Offenbarungsglaube ftand noch in den Gemäthern
feft. Was man alfo fallen ließ, fah man als etwas Anger
hängtes an, und dadıte, wenn dergleichen niedergeriffen
. würde, fo fände. der Tempel deſto fchöner Da. So dadıte
man z. B. bei der Trinitätdlehre, und der vertrauteſte Stu⸗
Diengenoffe von dem, der hier qus jener Zeit getreulich Ver
richt erftattet, P; Ludw. Snell gab bald nach unfe
rer alademifchen Zeit feinen Katechismus beraug, der zu⸗
nächft gegen den hannöverfchen gerichtet war, und naments
lid, von der Trivität feine Sylbe enthält. Eben dieſer Ka⸗
techiemnd ift fehr beliebt worden und vielleicht hier und
da noch im Gebrauch. Er bezeichnet die Wendung, wel⸗
she damals ber proteſt. Religionsunterricht zienzlich allge
ein in Deutſchland machte. Bald nachher erfchien ein
Katechismus nach dem andern, der. immer weiter gig
fo daß in vanchen nichts mehr von der eigentlichen Chris
ſtenlehre übrig blieb. Wir Dürfen nur deu des Pädagogen
Sampe zum Belege anführen, der jeboch fo weit noch
nicht. ging, wie manche Katechismen von Geiſtlichen, Die
den Konfirmanden ihrer Gemeinden ben Olaaben an Ser
fum Khriſtum ganz Auszureden ſuchten.
Hutte es denn ‚aber. bei Dem Alten Bleihan felen? ir
meßsvngeß, Dam Rap dieſes nicht Zus war, zeigt. eben bier
714 : ° Vterärifhe Ueberſicht
fer Erfold. Was hätte alfo gefchehen follen? Nicht das
Alte wegwerfen, weil ed alt war, nicht dad Neue ers
greifen, weil ed neu war. Der rechte Lehrer des Chris
ftenthums fol lernen Altes und Neues in feinen Schaf
zu fammeln, und daraus hervorzulangen, was gerade
Noth thutz das aber, was Neth thut, das Wahre, das
zu aller Zeit Wohlthätige und Beflernde, hätte man beffer
lehren follen. Daß man den unnützen Wuſt einer fcholaftifch
gewordenen Dogmatif wegwarf, war recht, daß man aber
damit auch über das Wefen des Chriftenthums hinausfuhr,
Das war ber große Fehler der Lehrer, Bon der Sinnes⸗
änderung in jener tieferen Bedentung, wie fle unfere Relis
gion lehrt, war damals faur .a dem Katechismus⸗Unter⸗
richte die Rede; vieleicht aus Furcht, hiermit in veraltete
Dogmen zu gerathen. Der Erlöfer wurde gewöhnlich
lieber nur fo äußerlich genommen, und fein Werk haupt
fächlich dem Judenthume gegenüber geftellt. Der heilige
Geift war die aufllärende Belehrung, die in der Entwids
Iung des Berftandes und Mittheilung.heller Begriffe bes
ftand. An die Selbfterfenntniß, wie fle der Chrift gewinnt,
wurde faft nirgends erinnert, auch in Predigten, ja felbft
in Erbauungsbücdhern meift umgangen. Das war es,
was irre führte, und den befferen Weg, beffen wir und
zu erfreuen anfingen, in einen aus dem Chriftenthume
herausführenden Seitenweg umlenkte. Das, was bad
junge Gefchlecht gerade am meiften bedurft hätte, Ichrten
ans unfere Lehrer am wenigften. Denn das heranwach⸗
fende Gefchlecht will für eine Zeit vorbereitet werben, wors
in das Gute, welches man ihm mitgibt, in den fommens
ben Verfuchungen fich feithalten fol, Dafür gab man und
eine Vorliebe für das Umwerfen des Beftehenden mit, und
einen Düntel, der Die Wage der Nichtigkeit nicht erft in
die Hand nehmen mochte. Wäre doch damals unter ben
gefeierten Lehrern der Theologie irgend einer aufgetreten,
der mit feiner ſchweren Gelehrfamteit, woran es Doc; eben
t
der Pädagogik inden zwei: legteten Generationen. 715
nicht fehlte, mehr in bad Alterthum hingewiefen.hätte, zur
biftorifchen Vergleichung der Religionen, wie das in Tpätes
rer Zeit gefchehen ift, und wären nur die Geiſtesblicke eis
ned Herder mehr von den akademiſchen Studien unters
ftüßt morden; fo.hätte fich Doch Deit Freunden des Chriſten⸗
thumes eine Richtung in der Theologie eröffnet; weiche fie
in eine gründlichere Eregefeund Lebensphilofophie ein⸗, nicht
and bem Glauben an das Evangelium herausführen mußte 4
Worin auch davon weiter die Urſache zu ſuchen ſeyn mö⸗
ge, genng, ed war nun einmal ſo. Der Zeitgeiſt war, der en
war, und bie berliner Bibliothek, war: fein.mächtiged: Or⸗
gan. Die. Pädägogit wurde dann ebenfalls durch:alles
dieſes beftimmt und fie, wie oben: bemerkt, vorzugsweiſe.
Sm Zuſammenhange ſteht dieſer Gang der geiſtigen Cultur
mit der allgemeinen Bewegung, welche ſeit dem 150en Jahra
hunderte. in Europa das Leben tiefer herausbildete.Die
verfchiedenen Perioden diefer Zeit. von 10 bis 12:Geneygs
tionen. laffen in: den verſchiedenen europäifchen Volkern
auch Berfchiedenheit der neuen Geſtaltungen bemerfen, im
Ganzen aber eine fehr anfehnliche Entwidlung der Menſch⸗
heit, and hierin ber Erziehung und ihrer. Speer, . Riemand
kennt noch die Geſetze, wornach dem Menſchengeſchlechte
gewiſſe periodiſche Veränderungen zugemeſſen ſind, wels
che dann bald hier bald da ſtärker erſcheiren. Genugr
wir find gewiß, daß die Vorſehung, die in allem: wal⸗
tet, die Menſchen durch alles: dieſes hindurch führt zu eie
ner allmählich fortſchreitenden Bollfonmmenheit,-und daß
wir in dem Reiche. Gottes von dem Ziele. und. dent Wege
verfichert find. Hemmungen:und Störungen, welche dazwi⸗
fchen treten, Tonnen uns; in dieſer Zuverficht nicht irre ma⸗
chen; e8 find Uebergänge, im Ganzen geht: ed. vorwärts,
Nur fordert die. falſche: Richtung jeden auf der für das
Gute wirkſam ift, von derfelben abzulenken fich.felbit. und
wo möglich feine. Zeitgenoffen, nicht aber den. Abweg mit
Denen, die darauf wandeln, arzupreiſen, — ein Boys
Theol, Stud, Jahrg, 1881
116 Litrraͤriſche Meherficht. :. .:
wärtd bem Volke zuperufet, welches ne) fort,
—
Das hat fh vieleicht. nie. fo deuntlich dargeſtellt, als
in den beiden legten Decennien des vorigen Jahrhunderts,
indeſſen fehen wir dieſes Fortwogen jeßf immer noch, wenn
ſich gleich die ſtärkſten Stürme fcheinem ‚gelegt. zu haben.
Das beweglichite unter den cultivirteſten Volkern wurde
natärlich von dieſen Stürmen. am gewaltigſten aufgeregt,
und das ruhigere und dabei gebildetſte ſetzte ſeine Beſon⸗
nenheit und Gründlichkeit als einen Damm der Fluth ent
gegen. Die umwälzenden Bewegungen, ſowohl die reli⸗
gioſen als die politiſchen, mußten ſich in Deutſchland bres
hen. Dem fo wie ed unferer. Nationglität' eigen tft, Frem⸗
des zu bewundern und auch in unfere Bildung. aufzunehs
men, To iſt es ihr auch natürlich, Darüber die eigne Selbft»
flöndigfeif nicht aufzugeben, und mit reiflidyer Erwägung
Das zurückzuweiſen, was unferm geiftigen Leben droht,
dor. vielmehr dieſes felbft nur mehr.erftarfen zu. laſſen.
Die geiftreichen franzöfifchen Schriftſteller aus dem Zeitals
ter Ludwig's XIV: hatten allerdings großen Einfluß auf bie
Deutſchen, Boltatre wurde überall -gelefen und bewundert
und als Führer zum Unglauben. erwählt, allerdings erkal⸗
teten auch viele im -Ehriftentbume, und. das befonders im
Lehrſtande: aber dahin kam es nicht, daß. Die höheren Claſ⸗
fen in Schwelgerei verſanken, und die niederen ſich em⸗
porten, und die Geiſtlichen heuchelten. Wenn in Paris
vor der Revolution, wie Schriften aus jener Zeit ſagen,
Biſchöfe an üppigen-Zafeln über die Religion fpotteten,
fo waren: die deutſchen Theologen. tm Kampfe mit ben
Zweifeln ernſtlich befihäftigt,zentweber dieſe zn widerlegen,
ober eine Lehre zu voermitteln, die der Heiligkeit der Reli⸗
gion angemeſſen ſchien. Bei. aller Hinneigung zum Frei⸗
werden von dem Poſttiven war ihnen wie. dem Volke Das
Ehriſtenthum heilig, und was ſie nicht glaubten, das ſag⸗
ten fie offen; wenn es je einem Geiſtlichen eingefallen wäs
der Pädagogik in den zwei lehteren Generationen. 717
re, feiner Gemeinde gegen Ueberzeugung zu ptebigen, vder
ihr auch nur die Aufklärung vorznenthalten, et hatte ge⸗
— die allgemeine Verachtung erfahren.
So ſtand es im Anfange der 1790ger Jahre in der
Kirche, und ſo iſt insbeſondere von dieſer Seite die Schule
und das Erziehungsweſen jener Zeit zu begreifen.
Man neigte ſich Ber neuen Richtung zu, Eltern und
Schulmänner glaubten an ein Heil der Erziehung, wie es
der’ bis dahin geplagten Jugend nicht gewoͤrden; die Pu⸗
dagogik gewann ei effgemeines Intereſſe. Es iſt vielleicht
nie fo viel Aber Erziehung geſchrieben worden, als ſeit dem
letzten Deẽcennium des vorigen Jahrhunderts, und bis Ihe
die erſten Deeennien des neunzehnten hinaus’ iſt ſie einer
der reichſten Artikel der Literatur. Der theoretiſchen Schrif
ten erſchienen nicht wenige, aber der praktifehen, die Kin⸗
der- und Bilderbiicher mitgerechnet, unzählige; anch gab
ed mehrere pübagogifche Zeitfchriften. Wber auch ind Les
ben traten Überall bie neuen Brundfäße Der Pädagogik;
die nunmehr in Schriften, auf Kanzeitt, in Geſellſchaften,
bei Hohen und Niederen, überall die "Angelegenheit des
Tages war, faſt wie! jetzt die Politik. Die Mätter-übers
gaben die Ruthe hinter dem Spiegel dem Feuer, ſahen
ihre Knaben jetzt mit ganz andern Augen an, froh, daß
fie nicht meht den Stock und alle bie Plagen der Schule
zu fürchten hatten, und mächten fich große Höffnungen uch
ihnen; größere nody wohl manche, als jene Eornelia,. bie
Mutter der Grachhen. Der Bater fah in dem Söhnlein et
was Außerordentliches; und wid mußte nicht inter der
neuen Erziehung aus ihm werden. - Bir erinnern ung,
wie 3. B. mancher Beamte oder: wer fonft fo Die moder⸗
nen Schriften las, von feines: miunteren Knäbkeins außer⸗
ordentlichen Anlagen viel zu fagen wußte; glückliche Zeit!
in viefen Familien wurden nur Genies geboren. Das
mußten denn auch die lieben Kinder frühe wiſſen. In der
vorhergehenden Periode wurde ed fr unziemlic gehalten,
47 *
718 ..Ateraͤriſche Ueberſicht
Kinder. mit in Geſellſchaft au. nehmen, und wa man fie ir⸗
gend mitnahm, da. mußten fie Stille ſitzen, und wurden nur
fo weit beachtet, daß man ihnen etwas von, dem reichte,
worngch ihre Augen lüſtern gefchaut-hatten; _ das. fie ſich
jedoch anzunehmen. fiheuten, bis die Eltern, uf höfliche
Zürbitte, Doch „nur etwas. Weniges davon'? erlaubten,
Seht aber. lehrte Die neue Erziehuugskunſt/ und zwar in
eignen Abhandlungen, man ſolle die ‚Kinder mit in Gefells
[haft nehmen, und:fie follten Da frühzeitig gebilbet werben;
da war es auch wirklich nicht ſelten der Fall, daß wir zehn⸗
jährige Knaben und Mägdlein, ja noch ‚jüngere, mitſpre⸗
chen, hörten, auch wohl.die Erwachfenen gern oder ungern
ſchweigen, und ſogar die Weisheit, wenigſtens „die Artig⸗
feit”” des jungen Herrchens bewundern mußten. aus Höf—⸗
lichkeit für die Eltern, Noch bis jetzt iſt dieſe Sitte in
wanchen Cirkeln geblieben, daß wenn das Kind des Haus
ſes hereintritt, alles auf daſſelbe hinſehen muß, und jedes
Geſpräch unterbrochen wird, um nicht gegen. Die feine Le
bensart zu verftoßen, und daß nun has kleine Weſen von
einem, der Dafibenden zu dem andern gezogen, und mit
Süßigkeiten des Mundes (in doppeltem Sinne) überfüllt
wird. Diefe Sitte Fam mit der neuen Erziehungskunſt
auf. So gefchah ed, daß die Menge folcher Kinder, bes
fonders die herausgepußten Mädchen, ſich als die Haupts
perfonen anfehen lernten, für welche alles im Haufe da
ſey; und fo findet ihr es noch in Familien der „gebildete
ren” Stände. _ Schon bamals Hagte Dem Schreiber Diefes
ein würdiger Bater, der pädagogiſche Schriften las, daß
Rouſſeaus Emile die Verkehrtheit veranlaßt habe, als
"feyen die Erwachfenen nur um der. Kinder willen da.
Die Hauslehrer ftimmten diefer Umkehrung der Naturord⸗
nung öfters ſchon durch ihr Dafeyn zu, denn der würdige
Mann mußte feine ganze Eriftenz einem oft verweichlichten
Knaben opfern, und fo der Ebdlere fein Leben an einen
Schlechteren Fetten. So wurde vielen Knaben ein Düns
der Pädagogik in ben zwei leßteren Generationen. 719
tel eingeimpft, der dem natärlichen fo recht zu ſtatten
fam; das Abmeffen der Kraft unter feines Gleichen und
durch Die Schulftrenge kam mehr und mehr außer Brauch,
Oeffentliche Schulen wurben von der Pädagogik als ges
fährlich für Die guten Sitten, als hiriderlich-für Bie freie
und fohöne Bildung, wenigftend nicht ald fo günftig, wie
die Privatinftitnte angefehen. . So bildete ſich denn unfere
moderne Erziehung des höheren Standes und ber. gebildes
teren Bollöclaffe, oft cher eine Prinzenerziehung zu nens
nen, als die an den Höfen; in folder find nicht wenige
ber jetzt lebenden und wirkenden Generation erwachfen.
Die Kefer werben e8 dem Herzen des Verf. zutrauen,
daß er hierin Feine Klage gegen diefe Generation, fondern
vielmehr eine Entfchuldigung niederfchreiben will, Aber
zur Ehre feiner Zeitgenoffen muß er alsbald hinzufegen,
daß fich auch an ihnen der deutfche Charakter bewies. Das
Laßt fich mit Zeugniſſen der Literatur belegen. Der berühnts
te Gefchichtfchreiber Soh. v. Müller bat in feinen Ge
fchichtblichern und Briefen mit Ernft manched darüber ers
innert, und auch viel Gehör gefunden, und Nehberg bat.
durch feine Schrift Prüfung der Erziehungskunſt
(1792.) den traurigen Wahn diefer Berfünftelung deutlich
und nicht ohne Erfolg enthüllt. Nur eine feiner Warnun⸗
gen möge hier ftehen: „Dieſe Erziehung — — verpflanzt
die Kenntniffe, Die Neigungen, die Freiheit des männlichen
Alters indie Kinderjahre; worauf denn in verfehrter Orbs
nung eine ünheilbare Unmündigfeit den Lauf des Lebens
bis an das Ende führt.” Verf. Diefes las diefes Büchlein
ſchon damals mit vieler Zuftimmung, wünfchte aber fpä- -
ter es mit mehrerer, d. h. fo unbefangen wie erſt fpäter
gelefen zu haben, Hätte er nur in feinem Verſuche eis
ner Theorie der Mäbchenerziehung, den der Un⸗
terzeichnete in demfelben Sahre ale feine erfte pädagogifche
Schrift herausgab, das fchon verftanden, was’in jenem
gerügt wird, und wie er. ed, — er will gerecht auch ge⸗
720 .. : Bitzehsitche. Ueherſicht
gen ſich ſelbſt ſeyn — bald nachher verfland, und von dem
Dichter Gleim, den er i. J. 1795 befuchte, den väter
lichen Wink gerne beherzigte, daß man über Erziehung nur
nut reiflicher Erwägung ſchreiben müſſe. Gleim wußte ihm
auch nach ſonſt manches Pädagogifche zu ſagen, denn der
ehrwürdige Greis war nicht blos als Dichter edel.
Wir müſſen auch dankbar einer der erften Schriften
yon Salzmann gedenfen, von ihm das Krebs büch—⸗
fein genannt, ober Anweifung zu einer unver
nünftigen Erziehung der Kinder (umgearb. Aufl
1789), worin er manches Schlechte tadelt, obgleich nicht
ganz frei von jener oben gerügten Richtung ; hierauf folgte
Konrad Kiefer, ober Anweifung zu einer vers
nünftigenErziehbungderfKinder Ein Buch fürs
Bolt (1796) und fpäterhin (1806) fein Ameifenbüdy-
lein, ober Anweifung zu einer vernünftigen Er
ziehung der Erzieher. Es ließen fich mehrere Schrif
ten als folche bezeichnen, welche Soweit vermittelten, Daß
fie fich bald mehr der einen balb mehr der andern Geite
zumeigten. So war ed gewiß von den firengeren übertries
ben, wenn man (wie Brandes) das Du der Kinder ger
gen die Eltern rügte,. und darin eine Urfache der Nichte
Achtung der Eltern und Andrer finden wollte. Aber dieſer
Zabel wurde auch bamals fogleich zurückgewieſen, fchon
mit Der Erinnerung an bie ältere Sprechart, unb daß wir
ja and Gott mit Du anreden. in der Glaffe der vermit⸗
teinden pyädagogifchen Schriften find ald vorzüglich zu nen⸗
nen: Henfinger, Berfuch eines Lehrbudhs der
Erziehungskunde (1795) und mehr noch feine Fam i⸗
lie Wertheim (1798 — 1809 ; au Wedag, Hand⸗
buch über die frühere fittlihe Erziehung, zus
nahft für Mütter (1795).
Durchaus bewährte es fich, wie die Bewegung ben
Deutfchen zwar ergreift, aber doch in Weberlegung
übergeht und daß .er ſich bald eines Beſſern befinnt,
ber Paͤdagogik in ben. zwei letzteren Gexterationen. 721
und daun deſto ficherer ‚fortfchreitet. Auch in ber phi⸗
Iologifchen Bildung bewährte es ſich. Wie trefflich er⸗
hob und verbreitete. fie füch in unſerm Deutſchland, und
wie viel. gewannen insbefondere feine Gelehrtenſchulen!
Bir wollen hier nur au bie zu. Gotha, deren neue Einriche
tung. Damals mufterhaft befunden wurde, und an einen
hochverdienten Jakob s erinnern, welcher. auch fpäterhin
durch eigne pädagogiſche Schriften, wie Alwina und
Theodor, und Rofaliend Nachlaß das Beflere in
der Abwägung: bed. Alten und Neuen verbreiten half.
MWirkfam für Das Landſchulweſen war die Anftalt bes
Hrn. v. Roch ow auf feinen Gütern zu Rekahn, befchrier
ben von Riemann; Bad Lefebüchlein, der Kinders
freund, von dem edlen Stifter felbjt, wurde injehr wies
len Volksſchulen eingeführt und nicht einmal durch Beckers
Noth- und Hülfsbüchlein verdrängt, welches ſich
in den 1790ger Sahren allgemein in diefen Schulen befand,
auh nicht durch Thiemes fähfifhen Kinder:
freund, welcher mit jenem gewiffermaßen ben Anfang der
zahlreichen Lefebücher für Schulen machte; Denn Die Bände
des nüglichen Kinderfreunds von C. F. Weiße (feit:1776) .
waren mehr ein beliebtes Leſebuch für Familien. . Das
wagnerfheHandbuch wurbe als ein foldyes fo all
gemein beliebt,. daß noch vor kurzem eine neue Auflage
auf die vielen vorhergehenden erfülgte. Für die Verbeffes
rung der Fatholifchen: Bolkefchulen wurde feit Felbiger,
fhon in den 1360ger Sahren, und dann gleichartig und
gleichzeitig mit v. Roch ow durch Hrn. v. Schulftein in
Böhmen, wie auch in andern Gegenden, 3. B. zu Miüns-
fer Durch Hrn. v. Fürſtenber g erfolgreich gewirkt. Die
Schullehrer⸗Seminarien, welche ebenfalls in katholiſchen
Ländern errichtet wurden, fo wie die in Den proteſtanti⸗
fchen, die fih immer vermehrten, hatten bereits die neues
ten Grundſaͤtze auch fürdte Behandlung der Schuliugend
auf. ben Dösfeen verbreitet, und es -entwidelte fi hier
722. eiteraͤriſche Ueberfiht.- °:
ein nener Iweig ber päbagogifchen Thätigfeit, mit. einer
nicht ‚armen. Literatur. Eins: der gehaltreichiten Werke,
and befonders praktiſch wiel.wirfend, war Zerrenners
Schulfreund in einer Reihe-von Bänben feit 1791. Schu
Reſcewitz und Ehlers hatten, wie wir oben dieſer vor⸗
züglicheren Pädagogen der vorhergehenden Zeit gedachten,
das Nachdenken über dad Schulweſen auch anf Die höhe⸗
von Volksſchulen gelenkt und manches Gute gefagt, wor⸗
aus fich "Denn weiter. vie Gedanken über die politifche Be⸗
deutung des Erziehungswefens entwidelten. Sie wurden
zuerſt in einer gewiſſen Beſtimmtheit und mit nüßlichen und
ausführlichen Angaben für das Praftifche ausgeſprochen
in C. D Voß Verſuch über die Erziehung für
den Staat, ald Bedürfniß unſerer Zeit, zur
Beförderung des Bärgerwohls und. der ie
gentenficherheit, 2. Bde. 1799. Es war bie revolu⸗
tienäre Zeit, Die Damals immer drohender geworden, ges
gen welche dieſes Buch fprach und Rath ertheilte; und fo
gehört es zugleich. in die folgende Periode. Unter den
Schriftftellern für die Volksſchulen ſelbſt haben ſich noch
in den 90ger Jahren ausgezeichnet: Seiler, Sunker,
Dverberg, Krünitz, Schü, — doch es liegt. nicht in
Dem Plane dieſer Leberficht alles dieſes Einzelne vorzulegen.
Ein neuer Geiſt-war alfo in die. Schulen wie in die
Kirchen und: in. Die häusliche Erziehung ausgegangen. Die
Fortfchritte der Aufklärung und Bildung; ‚die ver bewirkt
hatte, lagen am Tage und.erregten in dem rührigen Eifer
begeifernde Freude. Aber neue Klagen. wurden-veruems
men, und in manchem Angeficht der Weiferen. in unferer
Nation fah man trübere Blicke. Die großen Erwartungen,
die man von Der gepriefenen Erziehungsfunft hegte, ſchwan⸗
ben mehr..und mehr, Die Eltern ſahen fich eben nicht; fo
viel durch .eine befondere Vortrefflichkeit der Kinder. ber
lohnt, auch nicht das Gemeinweſen; vielfach ſah man fich
getaͤuſcht. Statt der Tüchtigkeit erſchien Anmaßung, ſtatt
der Pädagogik in den zwei letzteren Geuerationen. 723
ber Kraft Ueppigkeit, ftatt der Befcheidenheit Prätenſton
jeder. Art, u. ſ.w., ſo mächte fidy bie. Jugend in den Fa⸗
milien, in den Schulen, in den Gefellfchaften, in. den
Staaten bemerkbar. Sie ließ gerne mehr von fi reden,
als ehemals. Aber die lauten Klagen betrafen nicht bloß
«fie, fondern auch den Lehrſtand und Allee, Die Religion
wollte nicht mehr helfen, deun man hatte fle auf die Seite
geſetzt, jetzt ſuchte man das Heil bei der Philoſophie. Die
fromme Sehnſucht des tiefdenkenden Deutfchen verleugnete
ſich auch jetzt nicht. Die Oberflächlichfeit in der Theologie
und Philofophie konnte er. nicht. [anger dulden, und Die
Denfart des Deiſmus und Determiniſmus war ihm in der
Seele zuwider. Da erfchien die Kritik Der reinen
Bernunft von Imm. Kant Willkommner fonnte uns
nichts erfcheinen; ja ein junger Schriftfteller im Anfange
ber 90ger Sahre, wo eben erft diefe, obzwar. fchon im An⸗
fange der 8Oger herausgekommene, Kritif im Publicam recht
befannt geworben, ſchrieb: „Chriftus ift für das Fleiſch
gefommen, Kant für den Geiſt.“ Somit kündigte fic auch
fogleich leider ein neues Ultra in der umlentenden Richtung
an, aber im Grunde. Doch das gefühlte Bebürfniß einer
befferen Richtung. Wie nun Diefe von dem großen koönigs⸗
berger Bhilofophen felbft in feinen claffifchen Büchern, wie
von fo manchen bedeutenden Lehrern aus feiner zahlreichen
Schule, wie vor einem Reinhold und noch.mehr von
einem genialen. Fichte in ihren eignen Syftemen diefe
neue und höhere Richtung entwidelt wurde, Das liegt aufs
fer unferer Betrachtung, und wir haben bier nur: von
dem Einfluffe der Fritifchen Philoſophie auf die Pädagogik
zu reden, welcher nothmendig forwohl unmittelbar als mit-
telbar fehr groß feyn mußte, Weniger. fommt hier die Fleime
Schrift -in Betradht:: Imm. Kant über Pädagogik,
herausgegeben.oon Rind 18035 denn fie. enthält
nur einzelne Grundfäge und Regeln, entnommen aus Kants
Borlefungen, welche diefer Lehrer der Philofophie von
FM = : -Bilfheifhe Ueberfiche
Zeit zu Zeit nach einem gemwiflen Herfommen auf der Bis
nigsberger Univerfität über Pädagogik hielt; 28 iſt darin
weniger fein Syſtem als fein fcharffinniger. Geiſt bemerk⸗
‚ bar, jedoch enthalten bie wenigen Blätter viele treffliche
Winke. Wir verweilen gerne einige Augenblide bei Diefer
Schrift wegen des Mannes, und filhren einige Stellen aus
Derfelben zum Beleg an. Sogleich der Anfang kann dazu
Bienen: „Der Menſch ift Das einzige Geichöpf, bad erzogen
werben muß. Unter der Erziehung nämlich Yerkichen wir
die Wartung (Verpflegung, Unterhaltung), Difeiplin
Gucht), und Unterweifung nebft der Bildung. Dem zw
folge ift der Menſch Säugling, Zögling und Lehrling.” —
&. 16. 17. „Weil die Entwidlung der Naturanlagen bei
Dem Menfchen nicht von felbft gefchieht, fo ift alle Erzies
hung — eine Kunft. — — Ein Princip derfelben, Das bes
ſonders folhe Männer, die Pläne zur Erziehung machen,
vor Augen haben follten, ift: Kinder follen nicht den ges
genmwärtigen, fordern bem zufünftig möglich befferen. Zu-
ftande des menfchlichen Geſchlechts, das ift der Idee ber
Menfchheit, und deren ganzer Beſtimmung angemeffen,
erzogen werben. Dieſes Princip iſt von großer Wichtig,
keit. — — Die Pädagogik oder Erziehungslehre ift entwes
ber phyſiſch oder praktiſch. — — Die praftifche oder mo⸗
ralifche ift Die Erziehung — eines frei handelnden Wes
fend ıc. ıc. Sie befteht demnach I) aus der fcholaftifchsmes
hanifchen Bildung, in Anfehung der Geſchicklichkeit; ift
alfo didaktiſch (Informator), 2) aus der pragmatifchen, in
Anſehung ber Klugheit Hofmeifter), 3) aus der moralis
ſchen, in Anfehung der Bittlichkeit. — — Was die Erzie
bung der Kinder in Abficht der Religion anbetrifft, fo tft
zuerſt bie Frage: ob es thunlich fey, frühe den Kindern
Religionsbegriffe beizubringen, Hierüber ift fehr viel in
ber Pädagogif geftritten worden ꝛc. w. Kant erflärt ſich
Dagegen, und will, daß man „zuusrberft alles der Ratur,
der Pädagogik in ben zwei lehtexen Generationen. 725
Diefe ſelbſt aber Bott zufchreibe — zuerſt von dem Geſetze,
welches Das Kind in fich hat, anfange” m. ſ. w.
Wichtiger war der Einfluß der Fantifchen Philofos
phie. Vorerſt fchuf fie ein ganz neues Moralfpftem, und
hiermit mußte fie mittelbar auch in ber Pädagogif Beräns-
Derungen hervorbringen. &benfo fchien fie Durch die Pſy⸗
chologie, welche ebenfalls ihren Einfluß erfuhr, ein neues
Feld zu gewinnen, Beides indeflen erwies fich nicht fo,
wie ed die ſo mächtig erwachfende Schule erwartote. Wie
wenig leifteten doch die Moralſyſteme jener Zeit, die von
Kant und Fichte felbft mit Dazu gerechnet. Während dem
alles nur von dem Sittengefeße ſprach, und auf ben Kanzeln
nur Moral gepredigt wurde, ftand ed mit ber Sittenlehre
ſelbſt fchlechter ale je, und wenn man jebt Blicke in Die das
mals geltenden Lehrbücher wirft, fo muß man erflaus
nen, wie nur die Elendigfeiten fo lange gelten fonnten.
Da waren doch immer noch Reinhard's 5 dicke Bände
der chriftlichen Moral das beite Wert, bei allen feinen
Mängeln, breiten Wiederholungen, und auf einem nur
fiheinbaren Fundament fchwanfenden Sägen‘, doch viels
fältig ind Leben eingehenden vom Chriftenthume befeelten
Lehren, Bergleicht man dagegen bie andern chriftlichen
oder philofophifchen Moralſyſteme bis über das erfte Der
cennium des neunzehnten Sahrhunderts hinaus, fo hat
man in den abfiraeten Begriffen, bochklingenden Süßen
und hohlen Redensarten doch eigentlich gar nicht für das
Leben. Wie viel diefes in der Kirche dadurch entbehrte,
ift nicht zu fagen, und fchon daraus zu erfehen, weil bie
Kirchen immer leerer wurden, und da am meiften, wo der
fategorifche Imperativ mehr ‚galt, als dad Evangelium.
Auf dieſe Bodenlofigkeit der philofophifchen Moral machte
zuerſt der verewigte Schleiermacher aufmerkfam, und
fein fharffinniges Werf: Grundlinien einer Kritif
Der bisherigen Gittenlehre 1803, iſt feines ber
geringften feiner Verdienſte; und Schreiber dieſes freut
726 vLiteréciſche Ueberſicht
ſich, daß er in Verbindung mit ſeinem Freunde dem Prof.
Creuzer in Marburg, und dem ſeligen Prof. Tenne⸗
mann daſelbſt durch eine ausführliche Recenſion in der je⸗
naiſchen allgem. Literatur⸗Zeitung auf die Wichtigkeit die
fer Kritik hinwies. Da er damals fchon mit dem Studium
ſowohl der Sitten» als der Erziehungslehre literärifch bes
fhäftigt war, fo fand er m allen Puncten dad Ungenü⸗
gende von jener für diefe, und Fam fogar aufden Gedan⸗
fen, burch dieſe jene beffer zu begründen. Seine Aeuffe
rung darüber gegen feinen fel. Freund würdigte diefer ei-
ner ausbrüdlichen Beachtung, ©. 458. jener Kritik, worin
derfelbe auch einen belehrenden Wink gab. Genug, von
der Sittenlehre aus der Fantifchen und fichtifchen Schule
war für die Erziehungslehre nichts zu hoffen, und die fi
damit abmüheten, um etwas heranszuarbeiten, fanden
fid) kaum durch einigen Beifall belohnt. Es gab da mandıe
Schriften, welche Die Erziehung a priori aus dem Fatego-
rifchen Imperativ feft zu begründen und in das Erfah-
rungsleben hinüber zu führen vermeinten, aber ſchon bie
Trockenheit der abfiracten Säße ſchreckte ab, und nur fels
ten gab ihnen ein jugendlicher Schriftfteller durch Phrafen
einige Farbe; im Allgemeinen galt e8 für Berbrechen ges
gen die Majeftät des Sittengefeßes Eimpirifches hereinzus
ziehen. Im Geheimen war diefeß freilich doch da, Eine
merkwürdige Erfcheinung in Dem weiteren Umfange der puͤ⸗
dDagogifchen Literatur war bie neue Geftalt Der Katechetif,
welche diefer Kunft durch eine kantiſche Theorie von einem
im Ganzen fehr verdienftoollen Lehrer gegeben wurde,
Wir meinen hier das vollffändige Lehrbuch ber
allgemeinen Katechetik nad fantifhen®runds
fügen, zum Gebraude afadem VBorlefungen,
Cgleihmwohl!) in 3 Bänden 1795 — 95 in welchem Werfe
die Kritik der reinen und ber praftifchen Vernunft und
mehreres von Kant zum chriftlichen Religionsunterrichte
verwendet wird, jedoch — Ehre dem frommen Sinne
der Pädagogik in den zwei Ketzteren Generationen. 727
feines Verfaſſers! — von bem religiäfen Gefühle und. von
empirifchen. Regeln durchflochten iſt; in dieſer Hinficht ein
nügliches Werk. Geit jener Zeit indeffen hielt doch fein
Lehrer, der nach den Grunbfägen der kautiſchen Philoſo⸗
phie feine Methode bilden wollte, mehr ſteif am denſelben,
und man fing an bei der Benupung des Eee wie⸗
der freier zu athmen.
Auch die Pſychologie erfuhr durch bie kritiſche Philon
ſophie einige Veränderung, und auch ſie vermittelte Male,
dies für Die Puͤdagogik. Die Eintheilung in die drei Seen
Ienvermögen wurbe nunmehr noch fchärfer gefaßt, und
wirklich erfcheint das in manchen Schriften fo, als wäre
Die Seele in ein Dreifaches gefpalten: Der Erzieher wurde
angewiefen, jedem biefer Theile fein: Recht befonders: mia
derfahren zu laſſen; mit einiger Veraͤnderung ſonderte
man dieſe Theile in Sinnlichkeit, Verſtand, Berannft,
Da lag es denn nahe, fie auch nach einander erſcheinen zu
kaflen, und fo wurbe es als ein,neuer Fund geprieſen daß
die Tugend drei. Perioden nach einander zu durchlaufen
habe, und die frühefte Ersgiehung nur an die Sinnlichkeit,
und die weitere, vielleicht ſchon nach. den erften 2 Jahren
vorzugsweife an ben Verſtand des kleinen Menſchen:zu
denken habe, bis dann endlich im Jünglingsalter Die Reihe:
an die Bernunft fomme. Da biefe abfiracte Theorie ſich fo
gar nicht praktifch erwies, fo bonnte ſie fich zwar nicht
Lange halten, indeſſen hatte fich doch jene. Eintheilung in das
Erfenntnißs, Begehrungs s und Gefühlsvermägen jo ſehr
in Die Denkart der Zeit verwebt, Daß, bie Pädagogen kaum
bis jetzt davon Iosfommen konnten, und felbft der größte
padagogiſche Schriftfteller feiner Zeit fie-feinem Werke zum.
Grunde gelegt hat: Dagegen trat ein fcharffinniger Phis .
loſoph, Herbart, fowohl in feiner Pſychologie als in feis
ner Pädagogik mit tieferen Blicken in bie menfchliche Seele
and ihre Entwidlung auf. In feinem. Lehrbuche der erſte⸗
ren Wiftenfchaft rebet ex davon, wie ſolche Pſychologie
8vviteroalſche Nederſicht
falſch auf die Pädagogik gewirkt habe, indem ſle derfelben
ihre Seeleuvermögen aufgedrungen ıc.ıc. — und dieſe num
durch afferlei Gymmaſtik aufgeregs werben follten. — Ers
ſcheint einmal der menfchliche Geiſt ald ein Aggregat von
Seelenvermögen (bie er „Undinge” nennt), fo muß bie
Lehre von der Bildung bderfelben auch-ein Aggregat von
Rückſichten ꝛc. ıc. von Rathfchlägen allerlei Urt werben
nf. w. Seine Allgemeine Pädagogik (1806) führte
auf zwei Richtungen der Seele, Vertiefung und Zerſtreu⸗
ang, zuräd, und gab eine naturgemäßere Anleitung, ale
das bis bahin geltende Bfychologifiren zu geben vermochte,
Auch für. die Unterrichtslehre gab fein ABC der Anſchauung
mehr für den Geiſt als die Schule Peſtalozzis, welcher
felbſt aber unzufrieden Damit es. dad ABC der vornehmen
Leute nannte Während indeſſen die Pſychologie noch we⸗
nig Kunde von den neuen Erſcheinungen des Magnetismus
u. ſ. nahm, und ſich immer noch kieber in den tobten
Abſtraͤctionen halten wollte, erwachte auch im dieſem
Zweige ein neues Leben, wozu vornehmlich der ſel. Carus
als einer ber trefflicften Bearbeiter wirkfam war: - Bon
da bis jetzt auf Heinroch und Schubert finb wir wit
manchen tieferen Blicken in die menfchliche Seele bereichert
worden, und der Einfluß Schellings durch Ste Natur⸗
philoſophie förderte ſolche Forſchungen.
FSur bie Pädagogik wurde nunmehr ein Studfum der
Anthropologie, auch von ihrer empirifchen Seite, unerläß⸗
lich "Schreiber diefes fühlte das ſchon zu jener Zeit, ale
er die. kantiſche Philoſophie, und dad zugleich in einem
ſchriftlichen Vereine mit mehreres ihrer erſten Bearbeiter,
wie Jakob, Snell, Schmid: ıc. ꝛc., kennen unb bes
wundern lernte, aber fick nicht von ihr ganz befriebigt
fand. Plattners philoſophiſche Aphorismen
hatten fein Nachdenken auf das Phyſiologiſche bei der Na⸗
tur und die Entwicklung des Jungen Menſchen um fo flärs
ker hingezogen, ‚da er ſchon anf der Univerſetat Auatomie
+
der Pädagogik in ben zwei letzteren Generationen. 729
und Phyſiologie gehört haste. Es entwickelte ſich in ihm
alſo bie Richtung, dieſe Studien für die Pädagogik zu
verwenden. Ex verſchaffte ſich z. B. Schriften und. Kupfer⸗
tafeln über die Entwickiung bes: Kindes von feiner Eint«
ſtehnng an, benutzte die Gütr des berühmten Yhyflologen
Sömmerings von welchent er ſchriftliche nad mündliche
Belrhrungen für: jenen beſtimmten Zweck erhielt, und ſo
begaun er bereits in den Wger Jahren hiefe Vorarbeiten
zu feiner Erzichungslehre.: |
Mittlerweile, aber. trat. jenes. Hauptwert —— —
ches das, was bie dahin über Erziehung. und. Unterricht
geſchrieben war, theils in fein Schrgebäube aufnahin, theils
durch bie. beſonnenſte Abwägung „zu berichtigen: ſuchte,
alles aber Durch umfichtiges Denken umfaßte, und das Bas
währte. heronrhebend zu einem Ganzen orbnete, - Diefes
iſt das wichtige Bach: Grundſätze Der-Örzichung .
und des Unterrthts für Eltern, Hauslehrer
und Schulmänner von Dr. Auguſt Herm. Nies
mey.er,:1796. : Ein ſolches umfaflendes Exziehungsmerk
hatte feine Ration aufzumeifen‘, und vermochte-anch nur
die Deutfche, wenigſtens bis dahin, aufzuſtellen. Dem
hochverdienten ſel. Niemeyer, den Schreiber dieſes auch
als feinen Freund verehren durfte, wird hierin fein anſterb⸗
liches Lob bleiben; Das Buch war allgemeines Bedürfniß,
und bat bis zum Hinfcheiden des Berfaflers S Auflagen er⸗
halten, bie 9te ift fo. eben angekündigt. Er ſpricht ſich
über den Geiſt und Zwed felbft am beiten aus in ber Bors
rede zur 6teu Ausg. 1810 folgendermaßen: „Das entflans
bene Bebürfniß eines:wiederholten Abdrucks muß dem Vers
faſſer um fo aufmunternder ſeyn, je weniger.er von ihrem
erften. Erfcheinen an bis auf diefen Augenblick die Abſicht
gehabt Hat, durch Aufftelung einer neuen Theorte. der
Erziehung und des Uuterrichtd Aufſehen zu erregan Er
wollte bloß dazu mitwirken, daß, was ſich lange bewährt
hat, erhalten, was: beſſer geworben iſt, anerkaunt, ange⸗
730 5: 1. 2itwäniiche: Neberſich
henden Exziehern und Lehrern der Jugend aber Die Kennt⸗
niß des Vorzüglichſten, was über deu Gegenſtand in frü⸗
heren und ſpaͤteren Zeiten gedacht und gelehrt ward, er
leichtert würde.” Der Verfaſſer ſpricht dann weiter gegen
den damaligen Zeitgeift in der Päbagngik, wie er befon-
Ders auch Durch. ven Peſtalozzianiſmus angeregt wurde,
mit wohlerwogenem Urtheil,.und erinnert baun, wie es
„eine höhere Aufgabe ſey, Den ganzen Menfdhen er
greifen, wohl gar eine Generation beflera wollen,” und
fügt das fchöne Wort: „niemandem. geziemt Die Beſchei⸗
denheit fo. fehr. als Dem Menfchenerzieher.” Kerner. erklärt
er es als feine Marime: „nicht Son dem plötzlichen Umge⸗
falten ſollen wu das Heil hoffenz nicht Secten und Schw
len ſtiften, ſondern wir follen, unbefümmert ob Neu oder
Alt, jeded.Ding nach feinem innern Gehalte würdigen; |
die Kraft eines jeden, :der nur guten Willen hat, fid
frei bewegen und Auffern laffen,. und immer bedenken,
daß Der vielgeftaltige Menfch anf tauſendfache Art ergrif-
fen ſeyn will, und es daher ſo wenig. eine ihn. allein bils
bende Pädagogik, als eine allein. ſelig machende Kirche
geben kann.“ Hiermit.hat der verewigte Verf. den Charak⸗
ter und. auch die Stelle feines. Werkes felbft und fehr rich⸗
tig bezeichnet... Es hat dad Ganze der Erziehung zuerfl
zur vollfländigen Reflerion gebracht. Hiermit wurde aber
auch bald ſichtbar, woran e8 aller Theorie und Kteräris
ſchen Praris.bis dahin fehlte; es fehlte an dem tieferen
Grund und dem alles zu einem Ganzen belebenden Geif.
Das niemeper’fche Wert war einerfeits durch feine oben
bemerkte Anficht vom Eflekticifmus, und andrerfeits Durch
feine ebenfalls oben gerügte Anlage nach ben drei Seelen,
vermögen zu ſehr gehindert, um diefem Mangel abzuhels
fen, wodurch jedoch fein pädagogiſches Hauptverbienft jo
wenig und noch weniger in den Schatten .geftellt wird, als
im theologiſchen Gebiete z. B. das der reinharb’fchen Mo⸗
ral. In dieſem wie in jenem Werke kommt man naͤmlich
der Pädagogik in den zwei lehteren Generationen. 731
oft in die Verlegenheit, das, was man in ber einen Abtheis
lung vorgefchrieben findet, ſich in * andern wieder unter⸗
ſagen zu laffem.
Warum denn nicht — an die Quelle gegangen,
und frif daraus geſchöpft, was überall bildend einfließen
win? Wohl wurde bingebeutet bald an diefer bald an je⸗
ner Stelle, daß die fitliche Bildung die Hanptfache in der
Erziehung ſey, und baß die veligiöfe nicht vernachläffigt
werben bürfe, aber wie wenig verflanden fich die päbagos
gifchen . Schriften darauf, was Dası eigentlich heiße! Es
war nun einmal eine große Schüchternheit. bemerkbar,
wenn man von Religion ſprach, um e8 nicht mit der Aufs
Härung: ober Schöngeifterei zu verberben, und felten ſprach
eine Stimme muthvoll herein, wie 5. 3. ein Cla udius
in feinen Wandsbecker Boten. Die Pädagogen hätten
auch. von ihm, und noch einem:und dem anbern chriftlichen
Schriftfteller, der‘ außer ihrem Fache-fchrieb , manche Zus
rechtweifungen erhalten können: dafür: aber capitnlirten
fie lieber mit denen, welche der Religion nur fo. nebenbei
Dach auch ihre: Lehrſtunden zumiefen, unb es. erfchienen
überall nur Halbheiten. : Dagegen ſollte die Philoſophie
eine ganze Erziehungswiflenfchaft: wie ans einem Stücke
liefern. Mit der fantifchen war es nun. fchon nicht gegans
gen, die ſichtiſche aber ſchien alles gut zu machen, am meis
fien denjenigen, weichen das Princip jener gewaltigen Bes
wegung- viel verſprach, ob ſie gleich. das Unheil der frau⸗
zöſiſchen Revolution verabfcheuten.. Da wurben nun bie
Redenandie denutſche Nationvon Fichte (1806)
als. ein Aufruf vernommen, ber viele begeiſterte. „Die
geſunkene Nation ſollte ſich zu einem neuen Leben aufrich⸗
ten und das mittelſt einer Bildung zu einem durchaus
neuen Selbſt — mittelft einer gänzlichen Veränderung bes
bisherigen Erziehungsweſens — ſo daß bie Kinder allenfalls
mit Gewalt den. Eltern entriffen, und aus dem verpeſten⸗
den Dunffreife entfernt em u. bgl. m. Das Hang,
Theol, Stud, Jahrg. 1884 48
732: . Biterdeifihe Ueberſicht
als fey Dad gocdne: Zeitalter ſchen im Einzuge begriffen,
aber wie man an die Anweundung: dachte, fo war alle
nichts, und man lächelte über dieſe mehr als platomiſche
Republik. Auch dieſe Philoſophie tänfchte ndfe Die Erwar-
tung der Pädagogen. Defto ſtärker wurden zum manche
von der. fheing’fchen angezogen, ober.nieimehr ihr wich⸗
tiges Ergeuguiß der Naturphiloſophie mußte tiefer iu die
Entwicklung und Bildung der menſchlichen Natur eisfüh:
ren. Unfere Wifenfchaft — dieſes Weortim weiteren Site
gebraucht — erhielt durch mandıe geiſtreichr Schrift iu dies
Sem Bereiche immer einigen Gewinn. Die Pchiloſophie
der Erziehungstunfi vor J. I: Wegmwer.(1803)
war keine der unbebentendften, wenn gleich die Grundider,
welche der Verf. mathematiſch ausdrückt: Stein 2,
Thier — a2. Menſch —.n? „ Then nüht Die! rechte; Idee
war; dena dieſer Philoſpph hatte doch Ins Berivienft, ge
gen die Abftractionen in deu Wiſſenſchaften zu ſprechen,
und bie Theoriten anf bad Seyn abs. die wahre: Qurelle gu
verweifen, auch marche gute: Pradtifche Winbe zu gieben.
: Die meiften Erzichungsſchriften Died Ichten Doecenni⸗
ums ia Dem vorigen und des erſten in dem gegemmärtigen
Jahrh. nahmen bas Philoſobhiſche babd ven dirſer bad vos
jemer Seite auf, unter weichen Sch angeichnen K. MW eilder,
Verfah eined Lehrgebäundes der Erziehung
tunde After. Bd::19795. Bir Bd: EHE CR. 1133 5: Sehne,
Hwndburh der Ergichung, 3 Rhede, 1799 —, 1808.
Breiting,pbil.Briefe äber das Jer ini (TR.
BSunbediffen, Anffägepäpagegifhen Snyadts;
mehrerer anderer nicht zu gedeuten. ber ea fehlte: auch
sicht an Belchrungen, welche tiefer in das menſchliche Herz
blicken, und aus den Abſttactionen unbrEimfetigfeiten auf
bie wahre Erziehung fir das: Beben hinweefen. Die Seagr
mente über Erz und Meufdensilbuag on &
Mor. Arm dit (4808. 181) auch Tıhlemes Erdutaun,
eine Bildungdgefchingte & Ku: 160L+- 283 Haben
der Pädagogik in dem zwei letzteren Mnerationen. 733
gut eingewirkt, aber von großer und trefflicher Wirkſam⸗
keit war und it noch das Buch von dem ehrwürdigen fel,
J. Mid. Sailer, über Erziehung an Erzixher
(1803. 4te Aufl. 1822), und Das nicht bloß für das katho⸗
liſche Deutfchlaud. Für die Kenntriß bes menſchlichen
Herzens, und für bie Behandiung ber Tugend euthäft es,
bei der frommen Richtung auf das hoöchſte Ziel, bie feinfien
Demeriungen.. Bon einer. au dern Seite ift Die kurze Erzier
bungslehre von Dam wenſcheufreundlichen ſel. 8.9. Wolfe
(18953 originell, nur aber in einer pedantiſchen Behand⸗
lung der Elementarbildung ig ber Mutterſprache. Allges
mein praktiſch bieten ©, H. 2. Pölitz, Erziehungs
wiſſenſchaft (1806) mehr in ſyſtematiſcher Form, und
mehr in freier I. 2. Ewald, Borlefungen über bie
Erziehungslchre, 2 Bde. (1808) dem Lefer bie bis da⸗
hin gebilfigten Grundſaͤtze der Erziehung bar,
Die Bildung ber Töchter wurde in biefer Literatur
uur mebeubei berädiichtigt, als aber ber Einfluß der Müt⸗
ter in dem ganzen Erzichungsgeſchäfte mehr in Betracht
kamt, fp mußte auch von dieſer Seite das Behürfniß ger
fühlt werben, welches ehnehin im Gange ber Eultur er
wachte, daß man Dieien Zweig der Pädngegif eigens bear⸗
beite: Das Büchlein des frommen Fenelon aur Vednns-
tion des filles mar veraltet, Die Schriften der Fran v. Gen
lid, womit diefe padagogiſche Erzähleriu und Lehrerin Wi
in ihr Alter reichtich das Publicum perforgte, waren lange
Zeit hindurch Die Lectüre auch Der Mädchen in. frangäfe
ſcher and heutfcher Serache. Mehrere Ersichungsichriften
von engliſchen Franuenzimmarn, unter welchen die der Miß
Wollſtoncéeraft für die Rechte deas Meibes.cam
1790) nothwendig graße Geunſation erregte, wirken bis in
die aoneſten Zeiten z. B, der Wiß Ed g ew orth auf deutſchen
Boder verpflanzt. Uber dieſe ausländischen Belehrungen
blieben mehr eine: augenehns Unterhaltung, allenfalls, auch
um die Sprache zu erleynen, als daß nam darqus Die Bil⸗
48 *
734 Literaͤriſche Ueberficht
dung des weiblichen Geſchlechts in Dentichland erlernen
konnte. Das Ausländifche fagte zwar ber Mode biswei-
Ien zu, indeflen konnte Doch die franzöfffche tourmure nur
für das ganz Aeußere dienen, wozu man jeboch Die Gous
vernanten befler als bie Bücher gebrauchen konnte, und
das feahionable der Engländer traf nur. in Wenigem mit
der Bildung deutſcher Franenzinmer zufammen, weldyes
wir denn aud dankbar aufnahmen. Warım follten wir
aber gerade darin von Ausländern uns bilden Laffen, wor:
in das deutſche Gemüth einen fo reihen Schaß beſitzt,
und die deutfche Ration fo wiel Eigenthümliches und Bes
neidenswerthes für ihre Bildung alltäglich gewinnt. Die
Hauslichkeit, das Familienleben, die Würde der Frauen
in reiner und fchöner Sitte, und vor allen die Mütterlich⸗
keit — möge doch diefer Bottesfegen unferm Deutfchland
ftetö erhalten werden! Diefer Wunſch begeifterte auch
manchen: Pädagogen. Schreiber: diefed ‘nennt fich gerne
unter biefen, wenn gleich feine erſte Schrift im Erziehungs
fache über die Mädchenerziehung (1792) jetzt eine
andere ſeyn würde, aber er darf Doch daran erinnern,
wie an die mancherlei einzelnen Belcehrungen und Winfe,
welche für die Erziehung ber Töchter in Schriften, die
nicht eigentlich davon handeln, gegeben wurden, fchon in
ben Werfen von Hermes, dem Verf. von Sophiend Reis
fen, und in ben freundlichen Erzählungen der reich gebils
beten fel. Frau vonLa Roche. Tiefere Blicke fanden wir
aber in manchen Abhandlungen von Schiller, und in
Goͤthes auch an päbagogifchen Lehren fo reichem Werke
Meifters Lehrjiahre; aud bei Herder und andern
unſerer Elaffifer findet fic hierzu viel Treffliches. Ein
eigens für diefe Bildung fchön und auch wahrhaft bildend
gefchriebenes Werk ift Das vom der ausgezeichneten Erzie⸗
herin, der fl. Karoline Rudolphi, Gemälde,
weibliher Erziehung 1807 (die 2te Aufl, erſchien
nach dem Tode der Verf. 1815.) ' Schreiber dieſes fagt in
der Pädagogik in ben zwei leßteren Generationen. 735
der Vorrede zu diefer 2ten Ausg. „Als fie, die geiftreiche
Erzieherin, eben ihr Gefchäft anfing, herrfchte der Dün-
Bel des Zeitalterd, Daß es das aufgeflärtefte fey, und beſſer
als die ganze Vorzeit, daß nur in feiner Philofophie das
Heil gefunden werde, init dein Chriftenthume fey es übris
gend nicht viel, auch fey der Menfch eigentlich.gut, und
das Böfe liege nur in den Irrthümern des Berftanbes;
das Wort Sinphaftigfeit und Verföhnung mochte man
nicht mehr hören. O der. unfeligen Zeit des Hochmuths!
Karoline Ruboipf erhob ſich über diefen Zeitgeift. Indefs
fen ließ er fie Doch in manchem nicht fo völlig zur Einftims
mung ihres tiefen Gemüths gelangen. Sie fagt 5. B.
„„mein Kleines Häuflein, welches mir täglich die Güte der
Menfchennatur beweifet, und fo Die Himmlifchen und gnäs
dig bleiben, einft zum Beweife dienen wird ꝛc. ꝛc. Auch
mit deinen Kindern muß es dir ganz nach Wunſch gelin-
gen.” Das ift Doch offenbar zu viel von der menfchlichen
Natur erwartet” ꝛc. ꝛc. — Man darf aber bei der Beurtheis
Iung dieſes Buches nicht überfehen, Daß ed Gemälde find,
ſchöne Ideale, die der Erziehungskunſt nicht fehlen dürfen.
Was unfer geniale Jean Paul Richter über die Bil⸗
dung der Töchter mit feinen Herzensbliden in der fevancı
fagt, deren erfte Aufl. gleichzeitig mit jener erften erfchien,
werben wir befler inder folgenden Periode bemerken. Hip⸗
pel (gegen 1285), Brandes (1787), Pockels c1791),
Schmerler (1791), Heydenreidh (1797), Ehren
berg Os0H, Ewald cnad 1800), Campe um dDiefelbe
Zeit, Ziegenbein (ſeit 1806), haben durch ihre Schrifs
ten, die weibliche Erziehung betreffend, während jener Der
cennien theild neue Ideen angegeben, theild das Beſſere
zufammengeftellt, theild manches eigne Gute zur Ausfühs
rung dargeboten, aber auch in der Hauptfache noch viele
Mängel gelaffen. | | |
Ein neuer Zweig in ber Pädagogik entwidelte fidy feit
dem lebten Sahrzehend im vor. Sahrlh, die aͤſthetiſche
736 eicerariſche Ueberftht
Erziehung, amd zwar vornehmlich durch unſern Schil—
ter in feinen Briefen über äſthet. Erz, welche in
ven Huren (1795) erfchienen. Er fpricht ba im Gegen:
ſatze gegen bie damalige pedantifche Richtung der Kantia⸗
ner, die mit ihrem Tategorifchett Imperativ it trocknen
Formeln einherfchritten, und weiſet auf das Hohe um
Edle in dem Gefühle, insbeſondere im Schönheitsſinne hin,
Welchen man für das Ideale fchon frähzeitig bei den Kin
dern erwecken müffe. Nur willer, gu wenig Der Kindes
natur kundig, allzu frühe den Sinn fir die ſchönen For:
ten erwecken; Dabei warnt er jedoch fehr nachdrücklich
gegen eine fogenannte Geſchmacksbdildung, die es Hoch nicht
tft, and das in einer eignen Abhandlung über Die Gren
zen des Schöner im Vorträge philefo phiſcher
Wahrheiten GGoren 1795).
Indeſſen wurde die äſthetiſche Richtung vorhetrſchend,
fie trat fogar in Verein mit der philauthropiſtiſchen Seich⸗
figfeit. Daß die Dichter die Bilder der Nation feyen,
ift eine alte Behauptung, bie jedoch fehr befchräntt werden
muß; gewiß ift es, daß fie von großem Einfluffe find, und
das beweifet auch Die Geſchichte der deutfchen Eultur.
Vieles haben Sie neueren deutfchen Dichter an unferer Ra-
flon verſchuldet; wie erinnern hierbei tur an einen Wie
land, deffen anziehend und geiftreidh gefchriebenen Schrif⸗
fen doc den heiligen Ernft fo fer untergraben; fein fchös
nes Gedicht Dberon wollen wir übrigend nicht undenkbar
verkennen. Die deutfche Nation bedarf beſonders and
frommer Dichter, und diefe haben zu fever Zeit das Ges
müth gefchitst und erhoben. Was wären wir ohne unſern
Krechengefang geworden! und tie viel Haben wir in ber
Zeit des anflöfenden Unglaubens ſchon allein unfern gel
lert'ſchen Liedern zu verdanken!
Die bisher dargeftellte Erziehungsperisde entwidelte
mehr und nieht den Geift, weldyer fidy in den gut, Kar,
lehrreich, anziehend, fruchtbar geſchtiebenen Werken von
|
|
»
der Pädagogik in den zwei lehzteren Generationen. 737
Campe ausſpricht. Die Zeit von den Böger Jahren bie
ins erſte Jahrzehend nach 1800 ift eigentlich bie Zeit dieſes
Pädagogen; von dem an er bem genialen Peſtalozzi
und deſſen Schule Platz machen mußte. Richt leicht wur⸗
den Schriften Iteber von Kindern gelefen, ald die campis
fchen, und nicht leicht hat ein Scheiftfteller für die Jugend
die Gabe fo klar, fo anziehend und fo belehrend zu fchreis
ben, wie ber Berfaffer des jüngeren Robinfong, eis
nes Kinderbuches, das feines Gleichen ſucht. Der Vers
ftand findet da in jeder Zeile eine angenehme Aufforberung
zum Nachdenfen, und viele Bereicherung für das gemeine
Leben ; dabei geht Das Herz keineswegs leer and. Schade
nur, Daß der tiefere Quell der Aufklärung nicht veichlicher
in diefen Schriften fließt, und baß dieſer viel und lange
wirkende Ingendfchriftfteller zu jenen Gebilbeten feiner Zeit
gehörte, welche Das Ehriftenthum nicht recht, und bie höhere
Geiſtesbildung, Die über den Realismus des gemeinen Lebens
hinausgeht, fa gar nicht kannten. Das Wahre und Gute,
was Campe lehrt, ſucht zwar mitunter das religiöfe Ges
fühl zu erwedlen, aber das gefchieht faft nur auf dem Wege
der Reflexion, und war für Die anf ſolchem Wege belehrte
Generation nicht nachhaltig, wie am Tage liegt.
Schreiber dieſes hatte ſich fchon in Den 90ger Jahren
davon überzeugt, wie er oben bemerkt hat, baß bie fans .
tiſche Philofophie weder für die Sittenlehre noch für Die
Erziehungslehre Befriedigung gemähre; er überzeugte ſich
bieranf noch mehr von dem Unzureichenden in der nur
ſcheinbar mehr ind Toben eingehenden fichtifchen Philoſo⸗
phie. Als er damals feinemoralifchen Wiſſenſchaf⸗
ten als eine Art von Schulbuch ausarbeitete, ſo mußte
er ſich nothwendig von dieſen damals geltenden Syſtemen
mehr oder weniger entfernen, und in ſeinen Briefen
das Erziehungs⸗und Predigergefchäft betref—
fend (1796) entwidelte er feine Gedanken über die prak⸗
tifcehen Prineipien. Seitdem fühlte er ſich bei dem Zuneh⸗
733 iteraͤriſche Meberfiche
men des Indifferentiſmus, bei der Hinneigung zu äſtheti⸗
ſchen oder philoſophiſchen Theorieen in der Erziehungslehre,
und bei der vornehmen Zurückſetzung der empiriſchen An⸗
thropologie in der Jugendbildung, mitten in ſeiner eignen
paädagogiſchen Thätigkeit mit jedem Tage mehr gebrungen,
feine Gedanken über Erziehung in ein Ganzed auszuar⸗
beiten. Sp entftand feine Erziehungslehre, wovon
als Ifter Band die Beftimmung des Menfchen in
Briefen an erziehende Frauen i. J. 1802 erfchien,
und die beiden andern Bände folgten; und im 5. 1813 bie
Gefcichte der Erziehung. Da das Ganze indeffen i. J.
1829 umgearbeitet worden, fo gehört es Der folgenden Pe⸗
riode an, wo wir auf daſſelbe zurückkommen werben,
Ebenso kann erft in der neuen Periode, welche gegen
das Ende des eriten Decenniumd des gegenwärtigen Sahrs
hunberts begann, von ber peftalogzifchen Erziehungsidee bie
Rede feyn, obwohl fie fchon früher aufgenommen wurbe,
benn fie fagte dem Streben zur freien Entwidlung der
Selbjtkraft zu. Wir werden dann die früheren Verbands
Iungen über den Zwed der Erziehung nachholen,
Was ift denn num der Fortfchritt, welchen die Menfchs
heit während jener Erziehungsperiode in Deutfchland ges
wonnen hat? Offenbar verbeffertes Schulwefen, allverbreis
tete Aufklärung, freundlichere Erziehung der Kinder, mes
thodifcher Unterricht der Jugend, allfeitige Uebung ver
Kräfte, allgemein erregte Bildungsthätigfeit. Auf Der
andern Seite find Die Erwarfımgen, in welchen man fo
viel von Kofmopolitifmud und Humanität ſprach, wozu
man die Sugend feit Baſedow erziehen wollte, eben nicht
fonderlich befriedigt worden. Eher möchte der Egoifmus
zugenommen haben, und vermehrtes Genußleben, Forbes
rungen an die Welt, Unbefcheidenheit gegen die Erwach⸗
fenen bemerkbar feyn. Dem Zeitgeifte will e8 zwar nicht
gefallen, was der Verf. diefes in feiner Gefchichte der Er-
siehung von ber neneften Zeit gefagt hat. „Lehrer, Er⸗
der Pädagogik in ben zwei letzteren Generationen. 739
zicher, Väter und Mütter hatten dahin geführt, daß, um
ed mit zwei Worten zu bezeichnen, man mehr rechnet und
weniger betet;” aber wahr ift ed doch, und wir fagen bie
Wahrheit ohne Schen. Eben fo müffen wir fagen, daß
wir die jeßige Tugend als eine verweichlichtere finden,
als die vor funfzig Jahren, ob fie gleich feit geraumer
Zeit gymnaſtiſch geübt, und in manchen Dingen phyſiſch
abgehärtet wird. Denkt namlicd; der Verf. diefes an fein
Knabenalter zurüd, fo trieben wir uns damals in Schnee
und Eis, in Näffe und Hite leicht bekleidet herum, ohne
daß man darauf achtete: jebt geht das Knäblein wie der
Jüngling in Wolle und Mantel gehüllt, und doch leiden
fo viele unter ihnen an Strofeln, Nheumatifmen und Ners
venübeln. Worin die Urfache hiervon liegen mag, wollen
wir nicht unterfuchen, aber hier nur an bie moralifche
Verweichlichung erinnern, die man boch nicht in Abrebe
ftellen kann. Sie befteht in dem Mangel an Selbftbeherrs
fhung, in der Hingebung an Genuß, in einem Treiben,
Das in den Strudel von Ausfchweifungen, in Herrfchfucdht
und endlich in Lebensüberdruß fchon das Blütenalter hin⸗
reißt.
Hat die Menſchheit in jener Periode unbezweifelte
Fortſchritte gemacht, ſo ſind doch auch die angegebenen
Rückſchritte unleugbar. Was nun für die Erziehung ſeit
der letzten Generation bis zu der jet anflebenden in
Deutfchland gefchrieben worden, hoffen wirim künftigen
Hefte vorzulegen. '
a3
Drudfehlersänzgeige.
Im erken Hefte diefes Jahrganges der Studien und Kritiken
bittet man folgende Druckfehler zu verbeſſern:
N, 823,440 o. eine I. keine
— u ed, v. o. Scheiben I, Scheibenrchern
ou 88 3. 15 v. u. vielfach L. viel
— 84 3. 8 v. 0. Gedachtes I. Gedrehtes.
Es muß jedoch hierbei bemerkt werden, daß bie im Borſtehenden
angefuͤhrten vier Worter auf ©. 82, 83 und 84 dieſes Jahrg. der
Studien und Kritiken genau ſo gebruct find, wie fie in bem in bie
, Öruderei gegebenen Manufcripte unverkennbar deutlich gefchrieben,
und wie fie in Winer's Zeitfchrift für wiſſenſchaftliche — 2...
4, Hft. ſchon einmal abgedruckt ſind.
.
Anzeige-Blatt.
ERIIEIETIIEE LIE
. &
Im Verlage von Friedrich Perthes ift erfhienen: bie zweite
Auflage von .
E. Sartorius: die Lehre von Chrifti Perfon und Wert
in populairen VBorlefungen. Preis 21 gl.
Die dritte Auflage von
. C. Tweſten, Borlefungen über die Dogmatik der
evangelifch- Iutherifchen Kirche. Ir. Bd. Preis 2 ChL
ferner \ =
3. Tholuck, Eine Sammlung Prebigten in dem akade⸗
mifchen Gottesdienfte der Univerfität gehalten. Preis
18 gl.
een von vielen Seiten ber If der Wunſch ausgeſprochen wor⸗
den, daß es dem Hrn, Berf., deffen Predigten von Hunderten und Tau⸗
fenden in Halle wie früher in Berlin mit gefpannter Andacht gehört
wurden, gefällig feyn möchte, eine zweite Sammlung derſelben zu vers
anftalten. Diefe liegt nun vor uns, und wir find Überzeugt, daß, wehh
gleich bei diefem Redner der mündliche Vortrag durch nichts erſett wers
ven kann, doch auch das gefdyriebene Wort für Viele ein reicher Quell
der Esbauung ſeyn werde, denn Geiſt und Leben athmen fie in jedem
age, in jedem Worte wie wenige. Der Hr. Verf. hat fie feinen ehe⸗
maligen und gegenwärtigen Zuhörern gewidmet und mit einer Anſprache
am dieſelben verjehen, die gewiß In Notd und Süd bei feinen zahlteichen
Schütern lebendig anklingen wirb.”’
us
Sm Verlage von Kriedrih Perthes wird erfcheinen und in den
nächften Wochen verfendet werben :
C. Ullmann, Joh. Weffel, ein Vorgänger Luthers, zur
Charakteriftit der chriftl. Kirche und Theologie in ihrem
Uebergange aud dem Mittelalter in bie Reformationszeit.
Die Gegenwart des Leibes und Blutes Jeſu Ehrifti im Sa⸗
kramente des heiligen Abendmahls. | |
Th. de Bengel, Opuscula academica ed. F. G. Pressel.
Ackermann, Das Chriftliche im Plato und im feiner
Philoſophie. | | j
Homiletifches Magazin über die Epiftelterte des ganzen
ai herausgegeben von Rehhof, 2r und lepter
eil.
Th. Schwartz über religiöſe Erziehung.
Neander, allgemeine Geſchichte der chriſtlichen Religion
und Kirche Ste Abth. Ir Bd. ®
—— Siegmund Schmerber in Frankfurt a. M. erſchien
Der Brief des Apoſtels Paulus an die Roͤmer,
erklaͤrt von Dr. Conrad Gloͤckler, gr. 8.
2 Thlr. 6 gl. Ä |
Unter der Preſſe befindet fi:
Die Evangelien ded Matthäus, Markus und Lu:
kas, in Uebereinftimmung gebracht und erklärt
von demfelben. |
Bei 6. W. Eöflund in Stuttgart find in biefem Jahre erſchie⸗
nen:
. Die Eöniglich preußifche MilitairsKirhenordnung
vom 12. Febr. 1832, Vertheidigt gegen die Angriffe des
Tatholifchen Religiong » und Kirchenfreunds 1832, Nr. 80.
90. gr. 8. geh. 6 gr. — 27 Fr.
Schneckenburger, Matth., über den Ursprung des er-
sten kanonischen Evangeliums. Ein kritischer Versuch.
(Aus den Studien der Würtembergischen Geistlichkeit,
herausgegeben von C, B. Klaiber, besonders abgedruckt.)
gr. 8. 1834. 18gl. — 1fl.21 kr. i
Seubert, ©. B., Predigten auf alle Sonn⸗ und Feſttage
des Jahrs. Zweiter Jahrgang. Zweiter Theil, gr. &
1 Thlr. 16 gl. — 3 fl.
Studien der evangelischen Geistlichkeit Würtembergs.
Herausgegeben von C. B. Klaiber, VIr Bd. erstes Heft.
gr. 8. 20.gr. — 1fl. 30 kr.
Inhalt des letzteren:
I. Ueber den Ursprung des ‚ersten kanonischen Evangeliums.
Ein kritischer Versuch von Dr. Schneckenburger.
I. Ueber den Gebrauch der Lüge bei der Erziehung und
dem Unterrichte der Kinder von J. G. Süskind.
ı
In der Jagereſchen Wuchs, Papier 3 ud Lanblarttuhandtu
in Frankfurt — iſt in Gemein erſchienen und. in allen Bub
bandlungen zu haben: ER —
Was hat Mohammed aus dem Judenthume auf⸗
gen ommen? Eine von der Tönigl. preußifchen Rhein⸗
niverfität gekrönte Preisfchrift von
A. Geiger, Rabbiner zu Wiesbaden.
J Preis 1Thlr. 4 gr. — 2 fl. —
Dieſe wichtige Arbeit, von dem Verfaſſer auf Veranlaffung einer
von der Univerfität in Bonn geſtellten Preisaufgabe unternommen, ers
hielt von jener den Preis zuerkannt, und dürfte demnach fchon hier
aus allen denen zu. empfehlen feyn, welche Theil an ähnlichen For⸗
fhungen nehmen, | u
Bei H. Laupp in Zübingen iſt erfchienen: Rn
Theologifche Duartalfchrift. In Verbindung mit mehreren
Gelehrten Herauenegenen von Dr. v. Drey, Dr. Herbft,
Dr. Hirfcher und Dr. Möhler, Profefforen der Theolos
ie, Fatholifcher Fakultät, an ber königl. Univerfität in
übingen, Sahrgang 1834, 2tes Heft. Preis des ganz,
zen Sahrgangs 5 fl. —. ne — —
Anhalt I. Abhandlungen — Was iſt in unſerer Zeit von Syno⸗
den zu erwarten? von Dr. v. Drey. — Kritiſche Unterſuchungen über
die Schriften Juſtins des Maͤrtyrers, erſter Artikel von Arendt;
I. Recenſionen. Ss.
Bei Joh, Ambr. Barth in Leipzig ist erschienen und. in allen
Buchhandlungen zu haben: Ta BERN
Schott, Dr. H. A. etDr. J. F. Winzer, Commeatarii in
- epistolas Novi Testamenti. Vol. I. 8 maj. 3 Thir. 12 gr.
Auch unter dem Titel: Mi ur a
Epistolae Pauli ad Thessalonicenses et Gala-
tas. . Textum graecum recognovit, et, commentario per
petuo illustravit Dr. H.A. Schott. 0°
Der den gegenwärtigen wissenschaftlichen Bedürfnissen ange-
messene Commentar über die sämmtlichen neutestamentlichen Briefe,
“ dessen ersten Band das obige Werk bildet, ist für alle diejenigen
bestimmt, welche den in akademischen Vorlesungen empfangenen
exegetischen Unterricht durch eigenes Stadium zu drgängen und zu
verrollkommnen wünschen, als Fortsetzung des von Herrn
Geheimen Kirchenrath Dr. Kuinoel herausgegebenen
rühmlichst bekannten Gommentarius in libros N. T.
historicos, dem er sich sowohl in Methode und innerer
Einrichtung im Wesentlichen anschliesst, wie auc . in der äus-
sern Einrichtung, ausgenommen dass, zur Bequemi.chkeit der
Leser, auch der griechische Text jedes einzelnen. Verses,
oder, wo es die Natur der Sache erfordert, die genau zusammen-
hängenden ‘Verse, jedesmal vor der Erläuterung mit abgedruckt
wird. : Das Ganze ist auf 5 Bände berechnet, von denen ‘der zweite
zur Ostermesse 1885 erscheint. ' — DE:
F Js
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‚Bosenmäller, BE. F. G, Schelis in Vetus Testamentum.
Pers EI. Vol. I. - Ed. 3. auet. et emend. 8 mej. Charta
impr. 2 Thir. Charta script. 2 Thir. 6 gr. Charta Berol,
2 . 12 gr. ‚Charta vellum 2 Thlr. 18 gr.
“ Auch unter dem Titel:
Jesaiae Vaticinia, annotatione perpetus: illust. Vol. IL
Unger, M. U. F., Reben an künftige Beiftliche zur Ein
führung in ihre Univerfitätsinhre und. zur. Erbauung für
—alle Diener und Freunde ber Kirche. gr. 8. 1 Thir. 16 gr.
Dieſe Arbeit, deren Verfaffer dem Theologen durch die vor fecht
Jahren erfchienenen Tateinifhen Worlefungen über die Parabeln Jeft
befannt ift, kommt einem vielfach gefühlten Bedürfniß angehen:
der Theologen zur Weihe in ihr akabemifches Studium und
Leben entgegen, und möchte folchen befonder® von Schulen und von
vBatern und Freunden zum Andeyken auf bie Univerftht mitgegeben
werden. Zugleich möchte es den älteren Studirenden umd ben
Sandbidaten und Geiftlichen zu einer erbaulichen Mückerinnerung,
u einem Ueberblick Über den. egenwärtigen Stand der theologifden
iffenfhaften und zu einer vollftändigen Mittheilung Über die heutigen
alademtichen- Bilbungsverhältnifte , fiber die fie oft felder jungen Freun⸗
den rathen follen, nicht unmwilllommen ſeyn. Endlich dürfen wir fie
aud gebildeten Vätern künftiger Geiſtlichen, nicht theologifchen Kit:
gen patronen, weitlihen Beamten, pie mit Kirche und Geiſtlich⸗
keit in. Amtöberührung Eommen, Bolksngrtuetern im Panke und
in der Gemeinde, denen Kirche und Univerfität zunächſt am Herzen
liegen, überhaupt Allen in der deutfch > proteftantifchen Kirche, die auch
außerhalb der Preäbpterialverfaffung ſchon Helfer der Kirche fern
wollen‘, zu einer ernften Lectüre darbieten, da fie alle gewiß gern eins
mal, ohne langes theologifches Studium, die gefammte heutige Aufgabe
bes geikichen Amts und ber dazu gehörigen Bildungi und d z u wleder
ernortzaclichen akademiſchen Borbildung überklickten, und 69 dahej ſo
indirect nicht ungern an die dringendſten frommen Wünſche für Kirche
u Univerfität erinnern ließpn, die noch mit ihrer Beihilfe zu erfüllen
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Kobnig, Ed., Syſtem der analytiſchen Philoſophie als
Wahrheitslehre. gt 8, ‚1 Thlr. ſche a oſoph
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nun. sc Agheveiche Freudon⸗ und Tvauergeſchichte
— des Dovfes Mildheim ie
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Rudolxh Zacharias Becker.
DB, die neue Ausgate man 3. Bad, Beger's Roth: und
alfabichlein 3* den gegenwaͤrtigen Bedlrfnigen und Ver⸗
Atniſſen des. deutſchen Landmannes — und ein ſehr brauch⸗
ares Lehrbuch für deſſen geſammtes Leben und Wirken fen, iſt pon
vielen Seiten anerkannt worden, Die koͤniglich preußiſchen Kegieruns
RN
en zu Sumbinnen, Danzig, gl: Bromberg, Frank
Furt a, d. Ober, Merfeburg, Erfurt, Münfter, Minden,
Arnsberg, bie Landesregierungen von Naſſau, ©. Gotha, ©,
Meiningen, Shwarzburgs Sondershaufen, Schwarzs
burgs Rubolftadt u. X. haben baffelbe einer Empfehlung an Bes
amte und Ortsvorſteher, Geiftlihe und Schullehrer gewürdigt, damit
durch deſſen Verbreitung Gutes gewirkt werde.
„Die in diefem Bude,” fagt u. A. die herzogl. ſachſ. goth. Lanz
beöregierung in einer Bekanntmachung vom 6. Oct. v. 3,, „an bie
unterhaltende Gefchichte des Dorfes Milbheim geknüpften Lehren find
ganz geeignet, die Sittlichkeit der Landleute zu heben, die Gefehmäf-
figteit und Orbnung in dem Gemeinwefen zu fördern, den Aberglau⸗
ben zu befämpfen, Allem, was Recht und heilfam ift, ben Weg zu
bahnen und dabei die Zufriedenheit des Landmannes mit feinem Stande
und Berufe zu erhöhen. Weber ben ganzen Kreis feiner Beſchäftigun⸗
gen und Über Alles, was ibm Noth thut und wozu er Hülfe braucht,
findet der Landmann in diefem Buche kurze Beichrung , die zugleich
das eigene Nachdenken welt. Beamte und Ortsvorſteher, nachſt den
Geiftlihen und Schullehrern, werben fi) daher um die Förderung ber
Bildung des Landmannes fehr verdient machen, wenn fie für die Anz
fhaffung diefes nüglihen und dabei fehr wohlfeilen Buchs wirkfam
find.”
Das Bud bebarf daher Keiner weiteren Empfehlung von unferer
Geite, und wir machen nur noch einmal auf den wohlfeilen Preis
deſſelben — 20 Grofchen (25 Sgl.) oder 1 fl. SO Er. Rhnl. für 561
Bogen mit einer Menge ſchoͤner Holzſchnitte — aufmerkfam. Behörden,
Gutsbefiger und Gemeinden, welche 25 und mehr Exemplare auf einmal
nehmen, erhalten biefelben zu einem noch weit billigeren Preife,
N. 3. Beder’s
Mildheimifhes Liederbuch
von ahthundert Iuftigen und ernfthaften Gefängen
über alle Dinge in der Welt und alle Umftände des menſch⸗
lichen Lebens, die man befingen kann. 35 Bogen in 8
brofch. 12 ggl. (15 Sgl, oder 54 fr. Rhnl.)
Diefe anerkannt trefflihe, wohlfeile Lieberfammlung empfehlen
wir mit der neuen Ausgabe der Gefhichte von Mildheim, von dem
es ben Namen trägt, in neuer Geftalt den gefanglufligen „Freunden
erlaubter Froͤhlichkeit und echter Tugend, die den Kopf nicht hängt,”
für welche es der Verf. beſtimmt hat. Die dazu gehörigen:
Melodien zu dem Mildh. Kiederbuche
für das Glgvier oder Pianoforte
436 Seiten in 4., guten NRotendrudes, find durd alle Buchhandlun⸗
N den Außerft wohlfeilen Preis von 24 Thlr. (4 fl. 30 fr. Rhnl.)
zu haben. j
Gotha, im May 1834, |
Bederfhe Buchhandlung.
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Theologiſche
Studien und Kritiken.
Eine Zeitſchrift
für
das geſammte Gebiet der Theologie,
in Verbindung mit |
D. Gieſeler, D. Lüde und D. Nitzſch,
herausgegeben
von
D. &, ullmann und D. F. W. ©. Umbreit,
Profeſſoren an den Univerfitäten zu Kalle und Beidelberg.
Jahrgang 1834 viertes Heft.
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Erinnerungen an Dr. Friedrich Schleiermanher,
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Dr. Friedrich Lücke.
Alis die überraſchende Kunde: won Dr. Schleiermachers
Tode mich erſchreckte und das Bilb des auch mir beſonders
theuren Mannes durch den Schmerz gleichſam friſcher und
lebendiger meine ganze Seele erfülltke, ſchien es mir in ſei⸗
nem Geiſte recht gethan zu ſeyn, wenn ich mich alſobald
ermannte und dem betäubten Gefühle über den Verluſt
des Unerſetzlichen durch dankbare Erinnerungen und Be⸗
trachtungen deſſen, was die göttliche Gnade durch ihn er⸗
halten und gefchaffen har, Milde und Klarheit zu geben
fuchte.- So find: diefe- Erinnerungdblätter entſtanden. Bes
fcheiden und anſpruchslos in unfern Studien und Kritifen
niedergelegt, mögen fie dazu dienen, nebft meinem perſön⸗
lichen Dante gegen den werklärten Freund auch die Dank⸗
barkeit diefer Zeitfchrift gegen den Mann zu bezeugen, der
ihr nicht nur von Anfang an als ihre glänzendfte Zierde ans
gehörte, ſondern aus um Geifte fle recht eigentlich ge⸗
boren iſt.
786 Ba 5
Mir haben in diefem Luftrum oft den Schmerz gehabt,
die ausgezeichnetften Männer unfered Volkes Dahinfcheiden
zu fehen, gerade diejenigen, denen das jetzige Gefchleht
auf verfchiedenen Gebieten des geiftigen Lebens feitten eis
genthümlichen Charakter und Fortichritt verdankt.
Barthold Niebuhr, der große Gefchichtsforfcher, eröffs
net die Reihe der großen Todten, im Anfange einer flürs
miſchen Zeit, in der über dem allgemeinen Unheil der bes
‚fondere Berluft des großen Mannes augenblicklich wenis
ger gefühlt, aber nicht werfchmerzt werden konnte. Ihm
find Göthe, Hegel m. a. gefolgt. Nun ift aud Schleier
macher nicht mehr unter und. So werben ung Die großen
PHerfönlichkeiten, die Halt » und Lichtpuncte unferer Zeit,
einer nach dem andern hinweggenommen. Das gefchieht
nach der ewigen Orbnung ber Natur. Aber es ift nichte
defto weniger fchmerzhaftl. Wer die Höhen und Berge
lieb hat, fteigt ungern hernieber in die flache Ebene. Und
Doch ift dieſer Wechfel von Berg und Ebene, von Höhen
und Flächen auch auf dem geiftigen Gebiete Drbnung und
Geſetz. Die Gefchichte Der Menfchheit geht hindurch zwis
[chen Soncentration und Entftehung in großen Subividuen
und allmählicher Ausbreitung und Entwidlung in ber
Maffe, Alſo hat es die göttliche Weisheit und Liebe von
Anfang an geordnet. Niemand darf Darüber Flagen, am
wenigiten ber, den das Evangelium gelehrt hat, auch im
Tode das Gefeb des Lebens unb in dem vergänglichen
Reiche der Natur das ewige Reich der ST. Gnade zu
erfennen.
Als Schleiermadger an einem ber leßten Tobtenfefte
die chriftliche Gemeinde über ‚ben Verluſt großer Männer
aus ben Ordnungen des göttlichen Reiches belchrte und
tröftete, ſprach er die denfwürbigen Worte: „Huch. das ift
„die göttliche Drdnung, daß unter den Menfchenfindern
mein großer, ja oft fehr großer Unterſchied Statt findet,
„fowohl was die geiftigen Gaben betrifft, mit denen fle
Erinnerungen an Dr. Br. Schleirmaher. 747
„Gott andgerüftet hat, als auch in Beziehung auf bie Stelle,
„welche er ihnen angewiefen hat und auf Die äußeren Be-
„dingungen der Wirkſamkeit, durch die der eine vor dem
„andern beglinftigt erfcheint. Diefer Unterſchied iſt da
„und wir Dürfen ihu nicht leugnen, fo daß, wenn wir Die
„menſchlichen Dinge im Allgemeinen betrachten, wir auch
„nicht fagen können, ein menfchliches Leben habe denſelben
„Werth, wie das andere. Und dieſe göttliche Ordnung,
„wo hätte fie ſich wohl heller gegeigt, welches wäre der.
„ſtärkſte Ausdruck derfelben, als der Unterfchied zwiſchen
„dem Erloöſer und allen andern Menſchenkindern. Das
„war der höchſte Gipfel, auf welchen ſich Diefe Berfchieden-
„beit der Menfchen fteigern follte, bag in dem fündigen
„Sefchlechte der Menfchen das Wort Fleifc werben und
„das Ebenbild Gottes unter ihnen wandeln follte, Gegen
„dieſen Unterfchieb verfchwindet wohl gewiß jeder andere,
„und dennoch folte auch der fo Ausgezeichnete in feiner
„perfönlichen Wirkſamkeit kaum die Blüthe des männlichen
„Alters erreichen und dann wieder von hinnen genommen
„werben, Und was fandte er an feine Stelle? Wodurch
„follte nun das weiter gefördert werden, was er begonnen
„hatte? Den Geift der Wahrheit fandte er und goß ihn
„aus über die Seinigen, ber ed von bem Seinigen nahm
„unb ihnen verflärte, Der Die Gaben vertheilte und ſich nach
„feinem Wohlgefallen in einem größeren und geringeren
„Maße nicht unbezengt ließ an dem und jenem. Und ähn-
„lic verhält es ſich auch in allen menfchlichen Dingen.
„SD freilih, wenn wir und Das aus vielfältigen Verwick⸗
„lungen bunt zufammengefeßte Gewebe unfrer gemein:
„famen Angelegenheiten vergegenwärtigen im Großen und
„im Einzelnen, wie viel fcheint da nicht oft auf einem theu⸗
„ren Haupte zu ruhen!. wie oft wiederholt ſich die Erfah
„rung, Daß von dem Entjchluffe eines Einzigen, ob er zur.
„Neife kommt oder nicht, ein großer Theil von dem nächſt
„beuorftehenden Verlaufe der menfchlichen Dinge abhängt,
748 — Laͤcke 8
„Krieg und Friede, Ordnung ober Zerflörung, Heil ober
„Berderben! So geht .ed in Beziehung auf Die bür;
„Hgerlichen Angelegenheiten der Menſchen: daffelbe iſt auch
„der Fall, wenn wir auf den Anbau ihrer verſchiedenen
„geiftigen Kräfte fehen, wo auch oft einer vorleuchtet mit
„einem großen Beifpiel, Bahnen ebnet, die vorher vers
„ſchloſſen waren; aber er muß eine Zeitlang in feiner Wirk
„ſamkeit geſchützt ſeyn, foll nicht das neugeöffnete Feld
„wieder verſchüttet werden und nichts anderes bleiben,
„als was vor ihm auch. war... Jedoch laßt und nicht ver:
„geflen, der Erlöfer war auf der einen Seite die Spitze,
„der höchite Gipfel Diefer göttlichen Drdnungz; aber er war
„auch auf.der andern Seite der, durch welchen das in Ers
„füllung gehen follte, daß alle Thäler müffen gefüllt and |
„alle Höhen geebnet werden. Und. je mehr die Gemein
„ſchaft der Menfchen fich entwickelt, je weiter fich die freund»
„lichen Berührungen erftreden, welche alle als ein’ gemein,
„fames Band umfclingen, je größer die Einwirkungen
„find, die fid von jedem Orte aus überall hin verbreiten:
„defto mehr verringert fich der Einfluß einzelner Menfchen.
„Am meiften fol das der Fall ſeyn und ift es auch in der
„Gemeinde des Heren in Bezug auf Alles, was zu ben
. „Angelegenheiten des Heiles gehört. Auch hier fehen wir
- „freilich, wie zunächft an Die Stelle des Erlöfers der Geil,
„welchen er ausgegoffen hatte, fich nur feine Apoftel und
„wenige andere einzelne geflaltete zu befondern Rüftzengen;
„und auch.fpäterhin fehen wir von Zeit zu Zeit, daß auch
„die Kirche Chrifti in ſolche Verwickelungen nach außen oder
„in folche Verfinfterungen in fich felbft geräth, daß ber
„Geiſt Gottes eine vorzügliche Kraft in Einzelne legen
„mußte, ein vorzüglich helles Licht in einer oder in weni
„gen Seelen anzünden, damit fo von. einzelnen Puncten
„aus ein neues Leben entfiehe, welches fich immer weiter
„verbreite, . die Finfterniß Durchdringe, und, die ba todt
„waren, in dem Namen des Herren wieder erwecke zu einem
Erinnerungen an Dr. Ir. Schleiermacher. 749
„neuen und frifchen Leben. Aber das iſt ja unfere wahre
„Zuverſicht zu dem Reiche Gotted und feinem Beftehen,
„daß biefer Störungen immer weniger werben und deßs
„balb auch immer feltener die Nothwendigfeit, daß Eins
„zelne hervorragen in dem Reiche des Herrn. Wenn ber
„Geift Gottes fein Werk in dem menfchlichen Gefchlechte
„immer mehr vollbringen fol, fo muß er immer mehr alls
„feitig in demfelben walten, fo muß fein Dafeyn und Wirs
„ten erfannt werden können in jedem menfchlichen Leben:
„und in Demfelben Maße muß die Ungleichheit abnehmen
„unter denen, die das Heil in dem Namen des Herrn ges
„Funden haben, und ed nun auch weiter fortpflanzen wollen
„in der Welt. Darumfo oftwirvonirgendbeinem
„Einzelnen aus feinem Leben und Wirfen das
„Gefühl befommen, er fey in einem größeren
„oder geringeren Maße immer Doc ein befon-
„Deres Werkzeug Gottes und feines Geiſtes: fo
„ann uns denn freylich wohl, wenn die Zeit
„ſeinesWirkens zu Endegeht,eineBangigkeit
„auffteigen in unſren Herzen, aber fie iſt nicht
„das Werk des Glaubens. Diefer folles wiffen,
„daß der Herr, wenn er abruft, auch wieder
„beruft und einſetzt, daß ed ihm nie fehlen
„wird an Werfzeugen, um das zuvolibringen,
„was in feinem Sohne und durch ihn ewig
„ſchon vollbracht ift und in dem Laufe der Zeit
„immer mehr vollbracht werden ſoll durch
„das immer gleichmäßigere Zuſammenwirken
„menſchlicher von Gott erleuchteter und von
„Gott geleiteter Kräfte” —
So hat ung der chriftliche Weife durch feine wahrhaft
prophetifche Deutung der Ordnungen des göttlichen Reis
ches gleihfam im Voraus über feinen Verluft getröftet,
und der Erinnerung und Betrachtung über ihn den Sta⸗
chel genommen, der ohne chriftliches Glauben und Hoffen
750 Luͤcke's
um fo ſchmerzhafter wäre, je größer der Verluſt iſt, ben
wir durch feinen Tod erleiden.
Schleiermacher gehört zu den hochbegabten Männern,
welche überall, wohin ihr äußerer und innerer Beruf fie
führt, Licht und Leben verbreiten, Neues fchaffen, ord-
nen, regieren. Er war eine von ben Föniglicyen, herrfchens
den Naturen. Er ift in Den verfchiedenften Gebieten und
Richtungen wirkſam gewefen, in allen ausgezeichnet und
herrſchend. Er war gelehrter Theolog und Prediger des
göttlichen Wortes, Philofoph und Philolog; das größere
Publicum Fennt ihn als geiftreichen Schriftfteller über Die
wichtigften Angelegenheiten des Tages; auch ald Geſchäfts⸗
mann war er in feinem Kreife beliebt und hochgeachtet.
88 ift nicht meine Abficht, die großen Gaben und Ber:
dienfte Schleiermachers vollftändig und alfeitig darzuſtel⸗
len. Died ift die Aufgabe einer befondern Biographie,
wozu ed aus bem vertrauteren Kreife feiner lebten SSahre
weder an Geſchick noch Luft fehlen wird. Sch befhränfe
mich auf dasjenige Gebiet, auf welchem Schleiermacher
von Anfang an einheimifch war, dem er nach innerem
und äußerem Berufe vorzugsweiſe angehörte, dag Gebiet
. der Theologie und Kirche. Darin ift er epochemachend,
wie wenige, Dr. Neander kündigte die eben empfangene
Nachricht von dem Tode feines geliebten Lehrers und Col⸗
legen feinen Zuhörern mit den Worten an: „es fey der
Mann dahingefchieden, von dem man fünftig eine neue
Epoche in der Theologie Datiren werde.” Es wird nichtan
folchen fehlen, welche dieß aus Unwiſſenheit oder kleinli⸗
chem Neide oder Parteifucht leugnen. Aber mir ift nicht
bange, baß die Nachwelt, je mehr feine Wirkfamteit in
ihrem ganzen Umfange und Zufammenhange ſich entfalten
wird, wohlwiſſend, neidlos und unpartetifch das Urtheil
bes eriten Schmerzes beftätigen wird. Gie wird, fie muß
Grinnerungen an Dr. Sr. Schleiermacher. 751
ihn als denjenigen nennen, mit welchem eine neue theos -
logiſche und kirchliche Richtung energifch begonnen hat.
Sm Allgemeinen bezeichnet Schleiermacher ben Uebers
gang der deutfchen proteftantifchen Theologie und Kirche
aus der mehr negatiskritifchen, gerftreuenden und zerftör
renden Richtung zu der wiederanufbauenden pofttiven Res
formation, in der wir jegt begriffen find, Es liegt in Dies
fer Reformation zweierlei, ein Zurüdgehen und ein Forts
ſchreiten. Unter dem Zurückgehen verftehe ich Die Wieder⸗
aufnahme des pofitiven Ehriftenthumes in Die ganze Tiefe
und Fülle des frommen Gemüthes; die Wieberbringung
bes firengen, zufammenhängenden chriftlichen Denkens und
die Wiederbelebung det Idee der kirchlichen Gemeinfchaft.
Dieß find die unveränderlichen Elemente jedes gefunden
ehriftlichen Lebens. Unſere proteftantifche Theologie und
Kirche ift darauf gebaut. Sie können nie verloren gehen
in ber Kirche des Herrn. Aber fie waren eine Zeitlang
unter uns mehr und weniger verbunfelt, zerfireuet, ents
fräftet. Die Aufgabe der heutigen Zeit ift, fle von neuem
zu beleben, zu fammeln, zu Eräftigen. Dieß aber ift nicht
möglich ohne den lebendigen Fortfchritt der Wiflenfchaft,
welche je länger je mehr alles bloß Menfchliche, alles Zus
fällige, Unwefentliche, alle Satung und Willtür von dem
urſprünglichen Worte Gottes fcheidet, in dem Buchftaben
und Der Form den lebendigen Geift frei und wirkſam macht;
aber eben durch dem frei gemachten Geift die urfprüngliche
Form erhält und belebt, und indem fie das Verſtändniß
des göttlichen Wortes in feiner Höhe und Tiefe öffnet,
den Widerfpruch und Zweifel Dagegen aufimmer verfchließt.
Diefe Wiffenfchaft wird vorzugsweiſe fritifch verfahren.
Richt alle Kritik ift fortfchreitend und reformatorifch. Wir
haben eine Fennen gelernt, welche ohne chriftl. Geift und
Inhalt die Fülle des Evangeliums durch die Leerheit, den
Glauben durch den Uinglauben, die Wahrheit durch Einbils
dungen und Einfälle zu verfiehen und zu richten meinte.
7152 Luͤcke'6
In dieſer war fein Heil, ſondern Rüdfchritt und Verder⸗
ben. Die ſchmerzhafteſten Erfahrungen haben uns über⸗
zeugt, daß Die wahre Kritik nur aus der Fülle und Con⸗
centration des chriftlichen Lebens und Denkens hervorgeht,
daß die chriftliche Wiffenfchaft nur, indem fie ſich demüthig
und gläubig in die Tiefen des göttlichen Wortes eintaudt,
Kraft und Recht gewinnt, die Wahrheit des Evangeliums
zu verfiehen und nach dieſer Wahrheit allen Irrthum und
alles unchriſtliche Wefen zu richten und zu verurtheilen.
Schleiermachers Sugend fallt in Die Zeit, in ber bie
durch Semler in der chriftlichen Gefchichte und durch Kant
in der Philoſophie zuerft angeregte Kritik ihren heilfamen
Kampf mit der früheren geiftlos und abgeſchmackt gewor⸗
denen Orthodorie begann. Es war Diefelbe Zeit, wo wie
Durch einen Gewitterfturm nach langer Ruhe alle Elemente
bes bürgerlichen, litterarifchen, kirchlichen Lebens heftig
erfchüttert wurden, und bie alten Formen, Drdnungen
und Sitten auch in unferm Baterlandezerbrachen. Schleier:
macher, obgleich in einer Gemeinde erzogen, bie nach ihrer
ganzen Art von jenen revolutionären Bewegungen ber
Zeit am weiteften entfernt und Dagegen verfchloffen war,
konnte fich Doch denfelben um fo weniger entziehen, da er
von Natur zu jenen felbfiftändigen und bewegenden Geis
ftern gehörte, welche Bewegung hervorbringen, wenn fie
feine finden, deren Lebendelement das freie Fragen, For:
fchen und Zweifeln iſt. Sn der Dedication feiner Neben
über Die Religion an feinen Sugendfreund Guſtav Brück⸗
mann in Stodholm, der mit ihm zugleich in der Brüder:
gemeinde erzogen wurde, erinnert er dieſen an jene Zeit,
„wo fich gemeinfchaftlich. die Denfart beider Sünglinge
entwidelte, und wo fie losgeſpannt durch eigenen Muth
and dem gleichen Soche, freimüthig und von jedem Anfehn
unbeftochen die Wahrheit fuchend jene Harmonie mit der
Welt in ſich hervorzurufen anfingen, welche ihr inneres
Gefühl ihnen weiffagend zum Ziele feßte und welche dad
Srinnerungen an Dr. Er. Schleiermader. 753
Leben nach allen Seiten immer. vollkommener ausdrücken
fol.’ Aber bei aller Gewalt des freiheitliebenden;, Fritis
ſchen Geiſtes, die ihn auch mitten in der befchränften ſtil⸗
len Gemeinde in bie Bewegungen. der Zeit.hineingog,; und
ihn. nachher, als er in die große. Gemeinſchaft der protes
ftantifchen Kirche und Univerfität'zurüdtrat, nöthigte, an
allen Bewegungen, insbefondere an allen. wiffenfchaftlichen
Forſchungen, Fragen und Zweifeln der Zeit lebendigen
und eingreifenden Antheil zu nehmen, blieb er.boch innerkich
und nuauflöslid) gebunden an die eben fo große Gemalt des
frommien Gemüthes, womit Gott ihn begabt und in wel«
chem eben jene Gemeinde: bie erfte.fräftige Anregung und
die beftimmte Richtung: auf den ewigen Lebensinhalt ist
bem Erlöfer und feiner. Gemeinfhaft gegeben
hatte. Sich. habe es miesohne innige Rührung lefen können,
was Schleiermacher in dankbarer Erinnerung an Die femme
Erziehung,. die er in der Brüdergemeinde empfangen hat;
in feinen Reben über Die Religion. ſagt: „Frömmigkeit,
fagt er, war der.mütterliche Leib,. in deſſen heiligem Dune
fel mein junges Leben genährt und auf die ihm. nad) vers
fchloflene Welt. vorbereitet wurbe, in. ihr athmete mei
Geift, ehe er noch fein eigenthüniliches Gebiet. in Willen
fhaft und. Lebenserfahrung. gefunden-hatte: ſie half. mir,
als ich anfing, ben väterlichen Glauben zu fichten und Ge⸗
danfen and Gefühle zu reinigen von dem Schutte ber Vor⸗
welt: ſie blieb mir, als auch der Gott und die Unſterhlich⸗
keit der kindlichen Zeit dem zweifelnden Auge verſchwau⸗
ben ©); fie leitete mich abſichtslos in Das thätige Leben;
fie zeigte mir, wie.ich mich. ſelbſt mit meinen Vorzügen, und
Mängeln in meinem ungetheilten Dafeyn. heilig :halten
folle und — ſie habe ich en. und. Ense ge⸗
lernt.ꝰ
a) Wer ohne alle eigene Erfahrung an ſolchen Dingen” das mißver⸗
ſtehen konnte / den "weißt bie betreffende — zu diefer
Stelle in den Erläuterungen zurecht. Ta
754 Lade
So wurde Schleiermachers Natur und Leben vor zwei
gleich mächtigen Gewalten bewegt und beherrfcht! Bei eis
nem fo durchaus gefunden Geiſte konute die Rede nicht das
von feyn, bie eine ber andern zum Opfer zu bringen, fons
dern. nur, jebe in ihrem Rechte und Kreife zu erhalten, zu
ſchützen und zu vollenden. Schleiermacher hat ſehr früh
die große Aufgabe erkannt, die freie wiflenfchaftliche For⸗
ſchung und bie durch das Wort Gottes und Ehrifti ge
bundene Frömmigkeit ohne Bermengung, ohne gegenfeitige
Berlegung und Hemmung fo zu vereinigen, daß der Wis
derfpruch und bie. Feindfchaft, worein fie durch die Bes
wegungen: Der Zeit mit einander gerathen waren, je länger
je mehr verfchwänden. Die Löſung diefer Aufgabe war
recht eigentlich Die Arbeit feines ganzen Lebens. Er fuchte
fie auf dem befchwerliden Wege der Scheidung, bie zu
den höchiten und: tiefften Einheitäpuncten. beide Elemente
in ihrer Eigenthümlichkeit verfolgend. Er fonderte Theo,
logie und Philofophie, Glaube und Speeulation, Kirche
and Staat, wit aller ihm verliehenen Schärfe der Dialek⸗
tif, aber indem er jebem ber beiben Gegenſätze bie ihm eis
genthimliche Sphäre anwies, worin jedes burch bas ans
dere ungeflört aus fich ſelbſt fi entfalten und vollenden
ſollte, hielt er mit gleicher Klarheit und Innigkeit bie große
Borausfegung bed gläubigen Gemüthes fe, daß, wie
beides in der innerſten Wurzel bes Geiſteslebens Eins jey,
fo auch die volle Einheit und Verſoͤhnung das nothwendige
Reſultat jeder gefunden Entwicklung bes Verſchiedenen feyn
müffe. Wie er aber dieſe Einheit und Berfühnung weder
für eine fpeculative Glaubensformel hielt, womit alled
Denken anfange, noch fir einen leichten Raub, deſſen fi
jeder Zräge ober Leichtfiunige ohne Mühe burch Halbhei⸗
“ ten bemächtigen könne, fondern für die unendliche Auf⸗
gabe und das lebte Refultat einer gemeinfamen Fritifchen
Arbeit ‚Aller, auf allen Gebieten bed Lebens, fa konnte es
leicht gefchehen, daß, weil er vorzugsweiſe in der Arbeit
Erinnerungen an Dr. Fr. Schleiermacher. 755
ber Sonderung und Auseinanderſetzung als feiner nächſten
Aufgabe begriffen war, die Unaufmerffamen ihn mehr zu
den entzweienden, ſtörenden anb auseinanderreißenden,
als zu den. wahrhaft ansfühnenden, bauenben und refor⸗
mirenben Geiſtern ber. Zeit rechnen zu mifign glaudten.
Mer aber feine Denkweiſe and. Thätigkeit im Großen und
Ganzen betrachtete, mußte balb gewahr werben, daß er
zu jenen großartigen Männern gehörte, In Deren eigen⸗
thüntlihem Weſen ſich das Ebelfte und Befte ihrer Zeit
'eoncentrirt, und deren befondere Lebensaufgabe zugleich
die gemeinfame höchfte Aufgabe ber Zeit tft, d.h. In dieſem
Falle, die Reformation durch gleich kräftige Scheidung und
Ausſohnung der Gegenſaͤtze. Sein Verdienſt beficht eben
darin, die reformatsrifchen Bedürfniffe und @lemente ber
Zeit auf den chriſtlichen Gebiete wicht wur mit voller Rlacheit
erfunnt, fordern durch fein eigenthlmliches, theologifches
Denten und Wirken auf eine ausgezeichnete Weiſe defrie⸗
digt und geflaltet zu haben, — Schleiermacher wäre in je
den andern, als dem theologifchen Berufe groß und herr⸗
fchenb geworben. Die Zeit, in der er feinen befondern Be⸗
ruf wählte, war dieſelbe, welche Spalbing von dr Ru
bBarseit des Prebigtamted zu überzeugen nöthig' hatte,
Der Staat zeigte ihm glängendere Bahnen, als die Kirche,
nnd feinem Geifte hätte Leicht jede andere Wilfenichaft gus
ſagender erfcheinen fönnen, als eben: bie Theologie, in der
damals mehr, ald in jeder andern, Mangel an Bildung,
wiberlicher Streit und Zerfiörung hertfihte. Aber er wuhlte
den theologifchen, Firchlichen Beruf, weil fein innerfte®
Weſen ihn dazu trieb. Die Theologie und Kirche ſind von
frab an ber innerſte Mittelpunct feiner Thätigkeit gewe⸗
fen; ſeine Lirbe Dazu iſt mit den Sahren gewachſen; "bie
philoſo phiſchen und philologifchen Studien waren ein Res
benwerk und keine Liebhaberei für ihn, aber feine Virtuv⸗
ſität darin ‚hat nur dazu gedient, feine. theologiſche und
kirchliche Meifterfchaft zu ſchmücken und zu volleuden.
756 | 07 We
> ‚Schleiermacher hat die Reformation der Zeit-in ber
Theologie und Kirche nicht allein vollbracht. Kein großer
Mann fteht allein, ohne Hülfe und Gemeinfchaft in feiner
Zeit. Aber Schleiermacher. ift mit wahrer Originalität vor
angegangen, er; hat die theologifche.und kirchliche Neubil⸗
dung yorzugsweife angeregt und geleitet, und Die vor
nehmften Hülfen und Genoffen feines Werkes fich erſt ge
bildet. Er hat eine Schule gefiftet, fofern er beſonders
feit feinem erſten Auftreten. ald Lehrer der Theologie und
Prediger in Halle durch Rede und Schrift.eine Menge bes
geifterter Zuhörer und Berehrer um ſich gefammelt und an
ſich gefeffelt hat, welche von ihm angeregt uud bvelebt in
feinem Geiſte gewirkt haben. und. noch wirken. Es möchte
unter denen, welche der neuen Richtung. in. der Theologie
und Kirche dienſtbar und hälfreich geworden find, wenige ge⸗
den, welche nicht ben Borlefungen: ober den Schriften Schlei⸗
ermachers ihre vornehmſte Anregung verdanken. Ja mittels
bar. find alle neueren Theologen feine Schüler (geworben,
ſelbſt Diejenigen, melche jetzt einer andern, felbit entgegen⸗
gefeßten Richtung folgen... Seine Anregung wenigſtens il
die bewußte oder unbewußte Borandfegung bei Allen, Hat
er; in dieſem Sinne eine Schule geftiftet, ſo hat er es in
einem andern. Sinne nicht. Es: war: feine Art, mehr ans
regend, als vorfchreibend ‚mehr verbreitent und freimas
hend, als zufammenziehend, ausfchließend und bindend
zu wirken. Eine Schule, Die mit bewußter Abficht als Pars
tei auftritt, fich in einer beftimmten Manier abfchließt und
verfohließt, hat er nie ftiften wollen. . Dazu ftand.ihm bei
aller Kraft und Schärfe feiner Suhjectivität bie Kirche und
Wiſſenſchaft zu. hoch und war fein. Geiſt zu. frei und umfafs
fend. Wie er ſelbſt bei alfer-Sicherheit und Fülle Des Ges
fundeuen ein Such en der, Enryrwog; war und bis at
fein. Ende blieb, wie er. freie. Eigenthümlichkeit zu den
höcften Gütern: bed Lebens rechnete: fo war ihm auch in
feiner Wirkſamleit vorzüglich nur daran. gelegen, . jeden
Geinnerungen an Dr. Br Schleiermacher. 757
zu einem nach Wahrheit. mit Ernſt und Liebe Suchenden
zu. bilden, die Eigenthümlichkeit eines eben fo frei und
frifch zu machen, daß er bei aller Auregung von Außen die
Wahrheit. anf feine Weife mit’ Freiheit befigen könnte.
Freie, felbftftändige Schüler wollte er ziehen, ſelaviſche
Nachbeter und Nachtreter waren ihm verbrießlich. —
Aber es gibt nücht wenige unter feinen: Schülern, welche,
obwohl durch ihn zuerft angeregt für Die neue Richtung,
nachher zum Theil in Widerfpruch nud Kampf mit ihm ges
rathen find. Dieß hat manchen. Freund Schleiermachers
betrübt, am meiften dann, wenn den Bellimpfenden anzu⸗
merken war, baß fie die. beften Waffen erft ihm entwenbet
oder von ihm gelernt hatten zu gebrauchen. Wir tönen
fie in feinem .Geifte nur daun tadeln, wenn fie undankbar
für das Empfangene die Gemeinfchaft der Liebe mit ihm
aufgehoben haben. Leber. bie-Berfchiedenheit.der Richtuns
gen und die Abweichungen von ihm war Niemand.getröftes
ter, als Schleiermacher felbft 9. Er war. nicht ohne Sinn
für Hebevolle Anerkennung und Anſchließung; Verbennung
und lieblofe Trennung konnten ihn ſchmerzen; aber:er hatte
aufrichtige Freude an der Mannichfaltigkeit der Beziehun⸗
gen und Richtungen, an Gegenjägen und ehrlichen Kim
a) Es fcheint mir, fagt er in den Griäuterungen zu den Heben Über
die Religion S. 345, befonbers in jeder Zeit eine® regeren teils
gioͤſen Lebens, wie fie "unleugbar — jedt — bei und eingefreten If,
für alle biejenigen ‚ welde, ſey es nun amtlich ober auch ohne
äußern, nur kraft ihres inneren Berufs, eine merklichej zeligädfe
Birkfamkeit ausüben, zu ihrer eigenen Beruhigung höchſt noth⸗
wendig, ſich zu dieſer freieren Anſicht zu erheben (S. die ſchöne
Stelle in den Reden S. 212 liber das Meiſter⸗und JIhngerfeyn
auf dem religisſen Gebiete), damit fie ſich nicht⸗ wundetn, wenn
Viele von denjenigen, welche zuerſt von ihnen find ‚angeregt wäre
den, hernach doch in. einer ziemlich verſchiedenen Anſicht und Em⸗
pſindungsweiſe erſt ihre volle Beruhigung finden. Feder freue
fi Leben erregt zu haben, denn daburd) bewährt er’ fich
als Werkzeug. des göttlichen Geiftesz keiner aber — daß · die
Geſtaltung. — Gewalt ſtehe. = in. 23il
Theol. Stud. Jahrg. 1834 50
7688 .n Bee
geiftigen Freiheit überhaupt einen. ganz beſondern matärlis
chen Grund in ihm ſelbſt, und idy bin überzeugt, daß
Schletermacher ihn kannte. . Ex hatte auf eine eigenthüm⸗
liche Weiſe die verfchiedenen Elemente der Theologie in
fich vereinigt.und gu.einem großartigen Ganzen verbunden
Aber was in ihm durch Natur und Fleiß innig verbunden
war, war es nicht in Allen. Neben den großen Männern,
weldye durch ihre. Ratur und‘ Art im Mittelpuncte ber
Dinge ſtehen, iſt auf ber Peripherie und im Kreife immer
Die Menge derer, welche, wenn. fie auch von bem Mittel
punete angezogen und befiimmt. werden, : immer. nur bie
eine Seite und Richtung, ‚bie ihnen am meiften zuſagt, oder |
worüber fie zuerſt Herr werben, verfolgen, und. Darüber die
andern und am Enbe ben Zuſammenhang bildenden Mittels
punet verlieren. Sp ging es bei Schleiermacher. Viele, bie
er zuerſt wieber für Das poſitive Khriſtenthum gewonnen,
oder denen er bie tiefe Quelle bes religiöfen Lebens im
unmittelbaren Gefuͤhl geöffnet, ober Denen er. Den Fräftigen
Sufammendang und bie Wahrheit im Beifte des Tirchlichen
Lehrſyſtems klar und lieb gemacht haste, fanden ſich bas
durch ſo mächtig angeregt und fortgetrieben, daß ſie über
dieſer Richtung die andere Seite, die er von dem Mittel⸗
punete aus, worin ex lebte, mit gleicher. Liebe und Kraft
fefthielt, die kritiſche, überfahen und verloren, ja am Ende
entfremdet biefelbe als etwas Feindliches betrachteten.
Bemerkenswerth und ein Zeugniß für bie chriftliche Reben
digkeit feiner Lehrweiſe ift, daß unter denen, welche vors
sugsweife bie. Eritifche Seite feiner Theologie liebgewannen
und darin weiter gingen, wohl Niemand ſeyn möchte, ber
nicht zugleid; das religiöfe und poſitive Kirchliche Moment
feftgehalten und gepflegt hätte... Aber wie Schleiermader
von ber lebendigen Mitte aus, wo er fand, bie einfeitis
gen Richtungen der Zeit leicht erkannte, und, wenn fie ein
Uebergewicht zu bekommen droheten, für Pflicht hielt, fie,
Erinnerungen an Dr. $r, Schleiermacher. 759
wenn nicht unmittelbar, Doch mittelbar dadurch zu bekaͤm⸗
pfen, Daß er Die entgegengefeßgte Seite ftärfer hervorhob, —
fo konnte es leicht gefchehen, daß, wer ihn in diefer Rich⸗
tung mit Entfchiedenheit und Eifer kämpfen fah, zumal,
wenn er ſelbſt von bem zürnenden Ajar getroffen wurde,
meinen Tonnte, er fiche im Widerfpruch und Feindſchaft
mit der Wahrheit, die er doch fonft ſelbſt vertheidigt hatte,
So find Mifverfländniffe, file und laute Feindfchaften
und Treanungen mitten unter Denen entftanden, welche
ihm fonft angehörten. Er felbft fagt darüber in feiner Art:
„Tritt eine einfeitige Tendenz allguftarf hervor, fo ift es
meine, ich weiß nicht, fol ich fagen, Art oder Unart, daß
ich and natürlicher Furcht, das Schifflein, in dem wir alle
fahren, möchte umfchlagen, fo ſtark ald bei meinem gerin⸗
gen Gewichte möglich iſt auf Die entgegengefette Seite
trete” Auch dieſes harmlofe Wort der maßhaltenden
und bewahrenden Wahrheit und Liebe haben Diejenigen
mißverfianben, und als endlih zu Rage kommenden
Ausdruck feines inneren Schwankens und Schaukelns
verfihrieen, welche in den verfchiebenen Richtungen der _
Zeit nur Berberben und in dem Gegenſatze, den fie mit
Born beftreiten, nichts ald Unwahrheit und Abfall vom
Shriftenthume fehen, Bon diefer hochmüthigen Art war
Schleiermacher weit entfernt. Bei aller Größe des Gewich⸗
tes, Das er auf Die Seite brachte, wo er gerade Fämpfte,
hat er Doc; niemals Das Gentrum der wahren reformatoris
fhen, ale Elemente bes chriftlichen Lebens und Denkens
vereinigenden Theologie vergeffen, ſondern fo oft er auch
nad, verfchiedenen Seiten hin kaͤmpfend auszog, hat er fich
immer wieber mit Liebe darauf, ale feinen eigentlichen Stand⸗
punct, zurückgezogen, und Die Duelle bes lebendigen Evan⸗
geliums nie verlaffen. Nur zwei Feinde hatte er, bie er
als folche immerbar won nenem befämpfte, bis auf ben
legten Mann, die Knechtſchaft des Buchſtabens, welche bie
J 50 *
760 | „Lüuͤcke's
Freiheit, und die frivole Flachheit, welche die ewige Wahr⸗
heit des Evangeliums leugnet.
Betrachten wir jetzt die wiſſenſchaftlich theologiſche
und praktiſch kirchliche Wirkſamkeit Schleiermachers im
Einzelnen und charakteriſiren zunächſt jene, wie ſie ſich in
feinen Schriften darſtellt, fo liegt der charakteriſtiſche Aus⸗
gangspunct berfelben in feinen Durch Lob und Tadel gleich
berühmt gewordenen Reden über die Religion
an die Gebildeten unter ihren Berächtern.
Diefe erſchienen zuerft 1799, dann 1806 und 1821, dad
Dritte Mal mit erläuternden und rechtfertigenden Anmer-
fungen. Die Schrift gehört zum Theil ganz der Zeit an,
in der fie entftanden iſt; fie trägt das Gepräge der Bezie⸗
hungen und der Gemeinfchaft, in welcher fie zuerft gefchries
ben wurde. Es war eben die Zeit, wo e8 in einem nicht
Heinen Kreife noch für geiftvoller und gebildeter gehalten
wurde, die Religion, insbefondere die pofttive chriftliche,
sn befampfen, oder fie höchſtens als Zuchtmittel des ges
meinen Volkes den Herrfchern zu empfehlen, als fie zu vers
theidigen ald nothwendigen Grund und Halt aller wahren
Bildung der Menfchheit. Die herrfchenden theologifchen
Schulen, — weder bie orthodore, noch die heterodore, —
waren wenig geeignet, bie frivolen Vorurtheile der Zeit
gegen die Religion zu zerftreuen. Die Kirchliche Ortho⸗
dorie hielt an Begriffen und Formeln: feft, welche durch
den wahren Fortfchritt der Zeit ihre Kraft und Lebendig-
feit in der Kirche wirflich verloren hatten. Die Hetero
dorie aber, die philefophifche, wie die hiftorifch kritiſche,
war damals überwiegend im Niederreißen begriffen; es
fehlte ihr die Iebendige Idee der Religion, die Divination,
Die Begeifterung, Neues und Befferes zu erbauen; ja fie
war zum Theil darauf aus, Die Religion ihres Principats
zu berauben, fle aus dem Centrum des Lebens in die Sei
Erinnerungen an Dr. Br, Schleiermacher. 76%
tert » und DBintergebände ber Wiffenfchaft oder der durch fich
ſelbſt beftehenden Sittlichfeit zu verweifen.: Die beftimmt
im Allgemeinen den Zweck, Snhalt und Ton jener Reben.
Schleiermacher fühlte fi gedrungen, mit der doppelten
Heeresmacht einer: jugendlich. friſchen Begeifterung für Die
Peligion und einer fcharfen lebendigen Dialektik auszuzie⸗
heu, das Gebiet der Religion für. Die, Gebildeten gleichſam
Von neuem zu entdecken und zu erobern, Die Religion in ihr
rem wahren urfprünglichen Sieg, indem vollen Glanze ihrer
Macht und Schönheit, befreist: son Mißverftändniffen und
Entftelungenihrer Feinde und Freunde barzuftellen, und die
irgendwie Empfanglichen zu neuer liebe dafür zuentflammen.
Ohne eine ungewöhnlich glänzende Beredtſamkeit ſchien ihm
dieß nicht moͤglich! Dieſe iſt auch von Gegnern wenigſteus
bewundert worden, und hat wohl weſentlich dazu beigetra⸗
gen, auch die Verſchloßneren für den Gegenſtand zu intereſſi⸗
ren. Es ſind Reben, ſagte damals Friedrich Schlegel, Die er⸗
ſten dor Art, die wir im Deutſchen haben, voll Kraft und
Feuer und doch ſehr kunſtreich, in einem Style, ber. eines
Alten nicht unwurdig wäre: — Die Gemeinfchaft, in der
Schleier macher damals Iebte, war: bie Genoſſenſchaft jener
friſchen, vielleicht etwas übermüthigen Geiſter, welche ih⸗
zen entſchiedenen Widerſpruch gegen die Armfeligkeit und
Philiſterei Der Zeit. durch eine, Fühme und kecke Polemik in
dem Athenaum Tundgaben.und geltend. machten. Hieraus
erklaͤrt Jich zum Theil die polemifche Form, die Kedheit
und Kühnheit der Behauptungen, wodurd die Reben ben
fogenannten. Befonnenen und. Nüchternen eben fo fehr ein
Aergervißy: als jugendlichen Gemüthern eine Freude was
zen. Aber abftoßend, wie angiebend, waren fie. für ale im
höchften: Grade. erregend. Unleugbar war Die Art, ‚wie
Schleiermacher das Weſen der. Religion in jenen Neben
auffaßte und darſtellte, ein Product -feiner ganzen bisheri⸗
gen Bildung und au,treues Abbild, feiner Individualität,
Friedrich Schlegel nannte es in Diefer Hinficht „Das eigenfte
I /:v 2.— + Bade
Bad, mas wir haben, von einer unendlichen Subfectivis
tie? Ein Maris, ber ſich dewußt geworden war, bie
Religion in der tiefſten Tiefe feines Geiſtes, als den heis
ligſten Feuerheerd ſeines Lebens, vor:aller Speeulation
der Wiſſenſchaft und vor allem Handeln in ſich zw haben,
als die tiefere Quelle-von beiden, — konnte fie weder als
ein Erzeugniß, noch als Hälfteiche Ergänzung des Wiſſem
und Handelns denken. Er wies iht ald madhangiger Herr⸗
ſcherin über das ganze Leben das Gefühl als urſprüug⸗
lichen und weſentlichen Sitz an, aber das Gefühl als Cen⸗
tral⸗ und Brennpunct, als innerſte Wurzel des geiſtigen
Lebens. Um alles, was unter den Menſchen Religion iſt,
ls ſolches zur Anerkennung zu bringen, und liebevoll
auch die unterſten Stufen berfelben in die Idee der Reli⸗
gion aufnehmen zu koͤnnen, faßte ef dieſe ſudjecrtiv fo weit,
und objectiv ſo allgemein als irgend nidglich. Aber wie er
fih bewußt war, die Religion ald eine beſtimmte and
währe nur als Chriſt und in Vver chriſtlichen Kirche zu be⸗
ſitzen, ſo mußte er auch darauf ausgehen, zu zeigen, wie
alle Religion in der Menſchheit nur durch poſitive Religion
und Gemeinfchaft wirklich und Tebendig;feh. Unverkennbar
tft in den Reden ber. Einfing ſeiner Studien des Plato,
Spinoza, Kant, Jakobi und Fichte; Aber Diefe halfen ihm
nur anregend und bildend, ſich feier Eizenthümleichten
recht bewußt. zu werden. Wer Die Reben aufmerkſam und
ohne Vorurtheil lieſt, wird leicht etkennen, vaß Schleier
macher in feinem Denken über die Religion wederjalo⸗
diſch noch fichtiſch, weder platoniſch noch ſpinoziſriſch, ſon⸗
dern ganz er ſeldſt iſt, und zwar er ſelbſt mit ſeinem im Chri⸗
ſtenthume tief eingewurzelten Geutüth. Man hat ihm
gerade am meiften diefer Reden wegen den’ Vorwurf bed
Pantheismus gemacht, oft gedankenlos, aber zuw eilen mit
Beſinnung und Ernſt. Der Schein, ja: dr beſtinmute
Ausdruck iſt hie undda allerdingo igugen ihn. Aber nam,
wer den beſondern Stanbyuner and Shut wer Neden in
Erinnerungen an Dr. Ir. Schleiermacher. 703
ihrer Zeit unbeachtet Shßs,. und mißverſtehend einzelne Auf
ſerſte Grenzpuncte für den Mittelpunet und Kern berfelben,
i
hlt, nur wer jede tiefere und innigere Auffaſſung des im
’
F
religiöfen Gemuthe unauflöslichen Verhältniſſes zwiſchen
Gott und der Wels für Pantheidmus erklaͤrt und ſich Lieber,
jede kalte mechaniſche Anſicht von der Welt ohne den
lebendig in Ihre wirffamen Gott, als tegend. welche Erwei⸗
hung und Entſchraͤnkung ſtarrer und sinfeitiger Begriffe
gefallen: läßt, kann den Pantheismus fie Schleiermacdhers
wahre und bleibende Meinung halten. Wenigſtens nad)
ben, was. Schleiermacher in. der dritten Ausgabe erläns
teend Darüber gefagt hat, ift ed unmöglich, ohne @igenfinn
und Verletzung der. Liebe den Borwurf zu wieberholem
Die Reden gehören allerdings einer früheren Bildungs⸗
und Durchgangsftufe in Schleiermacher Leben an und
wmäfen daraus erklärt werben. Nach der Dogmatik hätte
er fie nicht mehr ‚fchreiben können, oder anders fchreiben
müſſen. Es find Schugreden mehr für die Religion über⸗
haupt, als für dad Chriftenthum insbeſondere, gleichfam
im Borhofe der Theologie, fat möchte ich fagen, im Vor⸗
hofe der Helden gehalten, — aber dennoch enthalten fie
bereits deutlich genng die eigenthümlichen Grundlagen und
Grundrichtungen feiner ganzen Theologie, und es erklärt
fi Daraus, daß, ale Schleiermacher im J. 1821 die, wie
er meinte, von dem indeß veränderten Zeitalter nicht mehr
geforderte Schrift Doch wieder vorzunehmen genöthigt war
su einer neuen Ausgabe, er bei Bergleichung Der jugendlichen
Arbeit mit feinem gereifteren chriftlichen Denken in den
Anmerkungen zwar manches zu erläutern, mandjed zu mos
bifigiren und au entfchuldigen, aber doch wefentlic; nichts
zu bereuen und aufzugeben fand.
Bis zum J. 1804 war ex ale eigentlich gelehrter Theo⸗
Ing wohl nur in engeren Kreifen befannt. Seitdem er aber
in diefem Jahre als Sffentlicher Lehrer der Theologie in
Halle auftrat, erregte er zunächſt Durch. feine Vorleſungen
|
J
)
1 4 3 De TEE EHE 111.19 BER ABER
die Aufmerkſamkeit, bald auch bie. hingebendfte Begeifterung
ber empfänglicdyen: Jugend. Ich evinnere mich fehr. wohl,
wiedamald ältere Mitfchiten von mir aus Halle zurückleh⸗
send das nene Licht, Das ihnen in: Schleiermacher aufge
gungen war, hegeiltert:priefen.. Es lag in.der. Geſchichte
feiner Bildung und feiner Individnalität, daß er, außer der
fpftentatifchen. und praftifchen Theologie, indbefondere die
neuteſtamentliche Exegeſe und Kritik mit Vorliebe betrieb.
Er hat auf dieſem Gebiete tiefeingehenbe und umfaſſende
Studien gemacht, aber unfireitig. mehr. nach der chriſtlichen
und griechifchen Seite hin, ald nash..ber.altteflam: und hes
bräifchen., Was man im engeren Sinne Gelehrfamteit
nenut, war ihm nicht fremd, aber, wien er mir. einmal
ſcherzhaft fchrieb: Notizen fuchte man bei ihm vexrgebens.
Er las forgfältig, was in fein Fach einfchlug, aber mehr
answählend, ald fammelnd; Und wie er von. Natur cin
der. Idee zugemendeter und zugleich künſtleriſcher Geiſt war,
in der Art Plato's, forfchend. überall nad) der lebendigen .
Idee, Dem Zufammenhange des Ganzen, für die gefundene
Idee aber die entſprechendſte/ lebendigſte und reinfte Form
fuchend, fo war auch von Anfang: feine Darftellung auf dem
Gebiete Der gelehrten Theologie überwiegend eine künſt⸗
Lerifche , fchlanf und frei von der Roth und Zerftrennng
gelehrter Eitate. In diefer Art ift fein Erisifhes.Sends
ſchreiben über den. fogenannten erften Brief
des Paulus: an den Timothens 1807 gefchrieben.
Mit: diefem Probeſtück feiner theol. Gelehrſamkeit machte
er fich zuerft der gelehrten theologifchen Welt befaunt, auch
bem Theile derfelben, der feinen Reden über die Religion
eben Feine befondere Aufmerkſamkeit gewidmet hatte, Aber
es war das Probeftüd eines Meifters. Die hiftorifche Kritil
bes Kanons war feit Semler fchon mit großer Freiheit ge
übt worden. Auch die Eritifchen Schwierigfeiten jenes
Briefes, befonders in feinen hiftorifchen Verhältniffen was
ven bereits bemerkt worden, und Schmidt in Gießen hatte
Erinnerungen an Dr. Br. Schleiermaher. 763
feine Scheu gehabt, bie Echtheit Des Briefes menigftens
anzuzweifeln. Aber Dennoch war das Sendfchreiben nen unb
einzig in feiner Art. Man kann ed anfehen als die erfte
Berpflanzung ber genialen Kritif, welche Meiſter mie Bents
ley auf dem claffifchen Gebiete geübt hatten, auf das. Ge⸗
biet der neuteftamentlichen Literatur. Dan war unter ben
Theologen bisher gewohnt, nur Diejenigen Schriften ber
zweifelnden Kritik zu unterwerfen, welche in der alten
Kicche mehr und weniger als Antilegomena'galten. Wo aber
Die alte Kirche, wie dem erſten Briefe au Den Timotheus,
fo einftimmig Zeugniß gab, daß er echt ſey, da wagte andy
Semlers Schule ‚nicht, zu zweifeln. Um die hiftorifchen .
und eregetifchen Schwierigkeiten .ded Briefed zu heben,
nahm man lieber feine Zuflucht zu Hypothefen, als. zum
Verdacht. Schleiermacher aber wagte eine Durchgreifende
Divinatorifche Kritif. Er verfchmähete dabei felbft Die Hülfe,
Die ihm das Kehlen der Paftoralbriefe im Kanon des Mars
cion gewähren konnte. Wie bei ihm der Verdacht entitanr
den war durch ein zufammenhängendes Studium ber paul.
Briefe und durch ein tiefeindriugendes Hineinleben in, die
ganze Art und Weife des Paulus, fo führte er auch den
Beweis gegen die Echtheit Des Briefes aus inneren. Zwei⸗
felögrümden, aus ber unpaulinifchen Art deſſelben in Ge⸗
Banken und Schreibweife, dem Mangel. an Zufammenhang,
der Unfügſamkeit und Unklarheit der hiftorifchen Beziehun⸗
gen, und ber verbachterregenden compilatorifchen Bers
wandtichaft mit den beiden andern Paftoralbriefen u. ſ. w.
Die Kritik iſt fo ſcharfſiunig, die Darſtellung fo lebendig heiter,
fo hinreißend, daß wer ſich dem erſten Eindrude nur einiger,
maßen forglos hingibt, faſt unmwillfürlich beiftimmt. Wenn
man fich befinnt und das Einzelne genauer prüft, fo erkennt
man freilich wohl Die Schwäche einzelner Beweispuncte, die
Gewagtheit einzelner Behauptungen; man wirb bedenklich
gegen eine Kritik, welche Die panlinifchen Briefe wie claffls
ſche Schriften behandelt, einen abgefchloffenen und uns völlig
756 an Luͤcke's
erkennbaren Typus der pauliniſchenSprache und Briefweiſe,
and bei fo mangelhaften Nachrichten einen völlig bekannten
abgefchloffenen Kreis der hiftorifchen Berhältnifie des Apo⸗
NKeils vorausſetzt; aber, wiewohl es Dem. jüngern Plant und
Andern : gelungen iſt, gegen bie fchleiermacher’fche Kritilk
vieles zur Vertheibigung des Briefes und zur Beruhigung
der Bernücher aufzubringen, fo iſt doch nicht alles Gtös
rende weggeränmt und der Pirchliche Glaube au die Echt
heit des Briefes hat eine Wunde erhalten, welche aller- Did
herigen Heilkünſte ungeachtet noch nicht ganz geheilt if.
Aber bei aller Kühnheit der Kritik hatte. Schleiermacher
Doch darin ein Maß. Als fpäterhin. Eichhorn alle drei Pas
figralbriefe ald unecht verwarf, erinnere ich mich von
Schleiermacher gehört zu: haben, daß Ihm bieß über bie
Grenze zu gehen fcheine, und Daß. wer bie beiden audern
Paſtoralbriefe verwerfe, dadurch das Recht und ben Bos
den für die Kritif des erften.aufgebe. Wie man auch über
das Recht und Reſultat ber fchleiermacher’fchen Kritik den⸗
den mag, — ein genialered, auch in der Form ausgezeichne⸗
teros Product der neuteftamt. Kritik haben wir richt aufs
aumelfen. Ich habe claſſiſche Philologen uns darum bes
neiden hören. Die Dioinatortfche Kritik, welche vornechm⸗
tidy durch jened Sendfchreiben unter und angeregt worden
iſt, Hat temas Gefährliches, am allerwenigften if} ſie Jeder⸗
manns Ding, Aber ſie gehört zur Vollendung der theolo⸗
giſchen Wiſſenſchaft des Kanons, und wie es keinen ver⸗
aunftigen Grund gibt, fie anf dem theologiſchen Gebiete
fir weniger nothwendig zu halten, als in der ovlaſſtſchen
Literatur, fo muß 23 Schleiermacher ald ein wahres Ver⸗
dienſt angeredinet werden, fie anf eine ſolche Weiſe unter
uns eingeführt zu haben. : Die hitorffche Kritik des chriſt⸗
IchenKunons blieb eine ieblingsbeichäftigung far. Schleier
machet. In feinen eregetifchen Vorleſungen mag noch man⸗
her kritiſche Wink, manche Tritifche Frage und Antwort,
ühnlidy feinem Auffaße über die Zeugniffe des Par
“Erinnerungen an Dr. Fr. Schlelermacher. 707
pias von unſron beiben erſten Evangelien dj;
verſtedt liegen. Als Schriftſteller übte er fie ſpaterhin, in
ſeinen kritiſchen Werſuche über bie Schriften
des Tukasyoner Theil 1817, an dem Evangelium
des Lenkas, in Beziehung auf das ſchwierige Problem ber
Entftehungsweife der ſynoptiſchen Evangelien.Es ift ber
kannt, wie beſonders fort: Leffing dieß Problem durch eine
Reihe vor Hypotheſen faſt erfchöpft, aber dach nicht gelöſt,
ſondern nur räthſelhafter geworden war. Schleiermacher
führte, mit Dr. Giefeler zuſammentreffend, die Forſchung
uns Ben luftigen Regionen, wohin Eichhorns Hypotheſe von
dem Urevangelium verführt hatte, anf ben ſichern Boden
der Geſchichte und. Eregeſe zurüd. ‚Seine Hypotheſe —
eben. fo einfuch ale Hikorifch wäahrfcheinlich — if die, daß
unfere Evangelien als von einander unabhängige Samm
lungen bereits vorhandener, Heinerer und größerer evan⸗
gelifchen Memorabilien anzufehen feyen. Er. verfuchte, dieſe
Hypotheſe zunächft an- Dem Evangelium. des Lukas zu be
währen. Durch tieferes Eingehen in bie Strnetur Diefes
Evangefiamd; durch Bergleichaung deſſelben mit ben beiben
andern, fucht er anf die ſcharfſimmigſte Weiſe bie zum
Grunde liegenden evangelifchen Aufſütze in ihrer nr
foränglichen Geſtalt und Art ausfindig zu machen, und
die Art und Weife gu beftimmen ,. wie Lukas bei ihrer Zu⸗
fammenftellung und Anordnung verfahren fen, Das apo⸗
logetiſche Intereſſe der heil. Schrift hat dadurch nur ges
wonnen, nicht nur, weil es Durch die Wahrheit über haupt
immer nur gewinnen kann, fonbern auch, weil bie Ueber⸗
zeugung von der Güte der Quellen des Lukas nnd feiner
Gewiſſenhaftigkeit in der Behandlung bevfelben darch
Schleiermachers Verſuch weientlich gefördert worden iſt.
Man hat der Schrift vorgeworfen, daß fie, beſonders was
dfe Abfchnitte und Fugen, fo wie bie urfprüngliche Geſtalt
der Quellen betrifft, oft mehr ſcharfſinnig, ale. wahrſchein⸗
a) In den Studien und Kritiken 1832 Heft 4 ©. 735 ff.
—
lich fen. Aber es lag theild in Schleiermachers Art, theili
in der Natur. eines. folchen- erften: Verſuches, die -Anficht
bis aufs Aengerfte,mit aller Schärfe Darchzuführen. Es
iſt ein Vorzug ſolcher ſcharfen Unterſuchungen, daß fid
aus ihnen deuntlich erlennen läßt, wie weit man gehen
kann. Dieß iſt immer ein weſentlicher Gewinn. Die fort
geſetzte Kritik, insbefondere die gleichartige Durchführung
der. fchleiermacher’fchen Methode. in den beiden aubern
Evangelien wird unfehlbar gu mancherlei Mobifteationen,
Beſchraͤnkungen, Enrrectionen führen. Aber nur indem
man in feines Art fortfahren wird, die comparative De
machtung ber Evangelien mit der Untenfuchung über die
indieiduelle Art jedes einzelnen Evangeliſten zu verbinden,
wird baskritifche Problem der Evangelien je länger je mehr
zur Befriedigung der Wiſſenſchaft und der Kirche gelöſt
werden. : Über felbft, wenn. man fich fpäterhin genäthigt
fehen follte,. andere Wege einzufchlagen, wird, wenn es
nur dies Wege ber Wahrheit ſind, Das große Verdienſt
Schleiermachers um bie wefentliche Förberung der Unter
ſuchung immer mit Dank anerkannt werden müſſen⸗a).
.. Die Schriften über den erſten Brief an den Timotheus
nud das Evangelium bes Lukas enthalten hei Dem natür⸗
Sichen Berfnüpfung der Kritik mit der Eregefe auch Proben
von Schleiermachers exegetifcher Methode, aber mehr nur
gelegentliche, Wer feine eregetifchen Vorleſungen zu hören
das Glück gehabt hat, wird von .feiner eregetifchen Art
befler Rechenfihaft. geben können, als ich. Sch kenne fie
außer jenen gelegentlichen Proben nur aus feiner eregefis
ſchen Ybhandlung über Col. 1, 15— 20, b), und aus den
Erzählungen feiner Zuhörer. Das Bild, welches ich mir
8) Der englifhe Ueberfeger der Schrift fagt in feiner Inteobuction
ſehr woher: It deserves to be studied us a specimen. of exege-
. tical criticism, which has seldom been equalled and which cun-
‚not fail to excite the admiration even of those, who do not
admit all its conclusions,
b) ©. Gtubien und Krititen v. I, 1832, 6, 497. ff.
‘
Erinnerungen an Dr. 3 Schleiermacher. 769
Davon gemacht habe, ift dieſes: Schleiermacher wußte von
feiner andern Auslegung der heil, Schrift, als der, m
welcher fich philologifcher Geiſt und Kunſt mit lebendigem
Intereſſe am Kanon, als der urfprümglichen, normalen Dars
ftellung des Chriftenthums gegenfeitig durchdringen. Er
erffärte in feiner Eneyclopaͤdie ausdrücklich, daß die Eres
gefe ohne wahres theologifches chriftliches Intereſſe eben
fo eitel. und unftatthaft fey, als ohne philologifchen Geiſt
und Kunft. Das Ziel aller Auslegung beftand für ihn dar⸗
in, jeden einzelnen Gedanken mit feinem Verhältniffe zur
Idee des Ganzen zugleich richtig aufzufaſſen und ſo den
Act des Schreibens nachzuconſtruiren. Wie er nun vor
allem darauf ausging, diefe Hauptaufgabe anf eine wahr,
haft philoiogifche Weife zu löſen, fo ließ er ſich in feinem
eregetifchen VBortrage wenig ober gar nicht darauf ein, Die
grammatifchen und hiftorifchen Elemente der Löfung beſon⸗
ders zu erörtern, fondern, indem er, um alle Zerftreuung
zu vermeiden, diefe mehr oder weniger voraugfeßte oder
nur in fofern berührte, als fie der hermeneutifchen Ope⸗
ration wefentlich dienten, ging er überall ſtracks auf bie
Conſtruction und Darftellung der Gedanken und ihres
Zufammenhanges los. Er nahm diefe Eonftruction über
wiegend formell, Die afcetifche, apologetifche, ſyſtematiſche
Gedanfenentwidlung überließ er geeigneteren Bors
trägen. In dieſer Hinficht dienten feine Predigten wefents
lich dazu, feine Auslegung nach der mehr realen und po⸗
pulären Seite hin zu vervollftändigen. Sie find ein Schatz
für die eregetifche Gedankenentwicklung. — Seine wiffens
fhaftliche Auslegung war vorzugsmweife dialektifch und bes
ruhete auf der Vorausſetzung ſtrenger Gefeße des Denkens
und Schreibens auch bei dem Schriftfieller. ‚Sn diefem
Theite ber Auslegung war ex ausgezeichnet und ein wahrer
Meifter. — Die hermeneutifche Operation befteht aus zwei
gleich wefentlichen, ſcheinbar einander ausfchließenden,. aber
in Wahrheit unzertrennlichen Richtungen des Geiſtes, ber
770 BEE . './ 7 TErEzegE
eintanchenden und auftauchenden, wie ich. fie nennen möchte.
Unter der erſteren verſtehe ich Das völlige Eingehen, ich
gleichfam Verſenken in ben Geift und bie befondere Art
des Schriftfiellerd, Dazu gehört im gewiflen Grabe eine
Selbftentäußerung, eine Dingebung, wie fie in ber Freund⸗
ſchaft Statt findet, Dieß ift bie erſte, weſentliche Bedin⸗
gung alles wahren Merfichene, welches um ſo reiner nud
objeetiver ift, je mehr Der Ausleger dabei fich und feine
Eigenthümlichfeit und Zeit verleugnet,. Dieſe hermenen⸗
tiſche Selbftverleugnung aber fol eben fo wenig, als bie
im engeren Sinne fittliche, ein Aufgeben bes eigenen Selbft
fen, fondern nur eine. Erweiterung deſſelben. Iſt Das
Eingehen in den Schriftſteller nicht zugleich eine ſelbſt⸗
thätige Auffaſſung, eine wahre Aufnahme des Fremden
in daß eigene Selbft, eine perfünliche, individuelle Aneig⸗
nung, fo tft es fruchtlod, weil es mehr oder weniger bes
wußtlos nder geiftloß if, Die Auslegung ift erſt mit
- der individuellen Aneignung, gleichfam Ueberfegung
des Fremden in das Eigene vollendet. Das Hochſte, was
Die Auslegung erreichen kann, ift, Den Schriftiteller eben fo
objectio Ceingehend, eintauchend) aufzufaſſen, ald indivi⸗
dell Cauftauchend und aneignend) wiederzugeben. So
lange zwifchen Dem Schriftiteller und Ausleger eine wahre,
reine Freundſchaft befteht, keine wolle Ausgleichung , iſt
Die Auslegung mehr und weniger dem Mißverfländnifle
und Richtverftändniffe ausgeſetzt. Die eregetifche Aufgabe
‚in biefer Höhe und Tiefe völlig zu löſen, gelingt keinem
Einzelnen. In jedem, auch bem hingebendſten Ausleger
bleibt von ſeiner Individualität immer ein Unüberwunde⸗
nes, Unausgeglichenes zurück, wodurch die reine Objecti⸗
vitãt Des Verſtaändniſſes geftsrt wird. Wer ſich aber nur
hingibt, ohne fich zugleich kräftig anzueignen, dem fehlt
mehr und weniger Die Kraft, das Nufgenommene audzus
legen und fo das Berfiändniß für Andere zu vermitteln. —
Die Gaben der Auslegung find nicht gleich vertheilt.
Erinnerungen an Dre Schleiermacher. 771
Schleiermacher gehört zu denen, welche weit mehr eigens
thümlich auffallen, ale fich hingeben,, ben Schriftfteller
mehr zu ſich herübersiehen, als fidy von ihm ziehen laſſen
Es hat diefe Art, wenn fie das Hineingehen in den Schrifts
fteller nicht gang vernachläſſigt, ihr Recht wie ihr Gutes,
Berade durch had Hirdurchgehen des neuteitaumentlichen
Scheiftinhaltes durch recht wiel tüchtige indivinu.elleund
originelle Auffaſſungen wächſt fein Verſtändniß und feine
Aneignung in der Kirche, Infofern muß man fagen,. Scyleis
ermacher habe Durch die Eigenthümlichkeit und Originali⸗
tät ber Auffaſſung auch die Eregefe bedeutend gefördert.
Über eben feine mächtige Eigenthümlichkeit, Die ſich Allem
aufprägte, was in feinen Kreis trat, binderte ihn, im
die nienteftamentlichen Schriftftielee mit ber Hingebung,
der Gelbfivergefienheit einzugehen, welche nothwendig ift,
um ben fremden Sinn und die frembe Form ohne alle Ders
leßung rein wiederzugeben, Unter den neuteflamt. Schrifts
ftelern ſtand feiner Eigenthümlichkeit Teiner näher, als
Paulus; er liebte ihn von allen am meilten. Eben deßhalb
hat er das Verftänbniß beflelben wohl am meiften geföys
bert. Aber wie es der Liebe fräftiger Menfchen leicht bes
gegnet, unvermerft verwandelt Schleiermacher den Apo⸗
ftel in fih; er läßt ihn eben fo ftreng bialeftifch denken,
als Fünftlerifch ſchreiben; und indem er in Paulus mehr
fid) ſelbſt, als den Paulus in fich flieht, begegnet e& ihm,
baß er bei allem Scharffinne und der faft zauberifchen Ges
walt feiner eregetifchen Argumentation und Darftellung,
z. B. Col. 1, 15 — 20., mehr fich auslegt, als den Apoſtel.
Dieß kann uns aber durchaus nicht abhalten, ſein Verdienſt
um bie eregetiſche Theologie um fo höher anzufchlagen,
ba er felbft da, mo er kraft der Uebermacht feines eigen
thismlichen Geiſtes irrte, mehr wiflenfchaftliches Leben mb
Streben in der Eregefe anzuregen vermochte, ald hundert
Andere, welche aus Mangel an Geift und Eigenthümlich⸗
keit nicht einmal zu irren vermögen.
772 | des -
Eine bedeutende Epoche in Schleiermadyerd theologi⸗
fcher Wirkſamkeit macht die Stiftung der Univerfität Bers
kin, im 3. 1810, Ich weiß nicht, was für einen Antheil
er an dieſer Stiftung gehabt hat. Seine geiftreiche Schrift
über bie Univerfitäten fol nicht ohne Einfluß darauf gewe⸗
fen ſeyn. Aber das weiß ich, Berlin bezeichnet, wie ein
Jahrhundert früher Halle, eine neue Periode in der Theos
logie, und es ift nicht zufällig, fondern lag in dem höher
georbneten Zufammenhange ber Dinge, daß Schleiermas
cher gleich von Anfang an der Spitze der theologiſchen
Kacuktät der neuen Univerfität erfcheint, wie Savigny an der
Spitze der juriftifchen. Den Geift der neuen Univerfitätauf
dem theologifchen Gebiete bezeichnet bald nach der Stiftung
Schleiermachers Furge Darftellung des theologi⸗
ſchen Studiums zum Behufeinleitender Borle
ſungen 1811. Nur wenige Bogen, aber eine ganze Welt
neuer Gedanken! Die theologiſche Enchelopädie und Mes
thodik, als Wiſſenſchaft ein rein deutſches Bedürfniß und
Erzeugniß, bedingt durch die Art der akademiſchen Studien
in Deutſchland, war bereits durch Nöſſelt, Kleucker, Planck
bedeutend gefördert worden, Aber Schleiermacher läßt
auch feine nächften Borgänger weit hinter ſich. Zum erften
Male erjcheint hier die Theologie als ein organifches Gans
zes, auf eine bewunderungswürdige Weiſe architektoniſch
conſtruirt von ihrem praktiſchen Ausgangspuncte, dem
Bedürfniſſe einer geſetzmäßigen Leitung der chriſtlichen
Kirche und dem nothwendigen JIntereſſe des Theologen
daran, — bis zu ihrem praftifchen Gipfelpuncte, ber
Theorie und Technik der Firchlichen Praxis. Alle-wefents
lichen Elemente der Theologie, die religisfen und willen
ſchaftlichen, die praftifchen und theoretifchen, Die pofitiven
and philofophifchen mit gleicher Anertennung aufnehmend,
fcheidend, verbindend, ordnend, führt Schleiermacher mit
kunſtreichem Geifte ein prachtvolles, eben fo wohl gegrüns
detes, als vollſtändiges, innerlid, zufammenhängendes
Grinnerungen an Dr. Sr. Schleiermacher. 773
Gebäude auf. Bei der einfachen Drbnung findet ſich ein
Jeder leicht darin zurecht; jedes theologifche Talent und
‚Snterefle findet feinen Platz, feine Arbeit; alles greift les
bendig in einander; feiner darf müßig ſeyn; nur der Träge
und Unwiſſenſchaftliche iſt ausgeſchloſſen auch: ohne aus
drücdliche Verweiſung. Man weiß nicht, was man an ber
Schrift mehr bewundern fol, den großartigen Grundriß,
wonach das Ganze angelegt ift, oder die Küihnheit und
Originalität der-Ausführung. Der Grundriß lag allein in
Schleiermadhers Geiftez die damalige Geftalt der Theolo⸗
gie enthielt nur einige Gpundlinien und Grundverhältniffe
dafür, und auch dieſe zum Theilineiner andern Ordnung und
Verbindung. Da die Idee ber Theologie, von Der Schleier⸗
macher ausging, größgg war ale die damalige Wirklichkeit,
fo enthält feine Darftelung mehr eine Theologie der Zufunft,
ald der Gegenwart. In diefem Sinne ift e8 zum Theil ein
wahrhaft prophetifches Werk, welches bei lebendigem Forts
fhritte in unfrer Wiffenfchaft und Kirche je länger je mehr
in Erfüllung gehen wird. Soll ich im Einzelnen das Neue
und ben -vornehmften. Gewinn ber Schrift angeben, fo
muß ich aufmerkffam machen theild auf die innige Verknü⸗
pfung der thenlogifchen Wilfenfchaft mit der Idee ber
Kirche, wodurch der pofitive praftifche Zwed und das ſitt⸗
liche religiöfe Intereffe Der Theologie beftimmt wird; theils
auf die Beftimmung und Stellung des Begriffs der Philos
fophifchen Theologie gleich am Eingange des theol. Stu⸗
diums, wodurch Der alte Streit über das Verhältniß der
Theologie zur Philofophie auf eine einfache Weife gefchlich-
tet wird; theils auf die eigenthümliche Verknüpfung der
exegetiſchen, kirchenhiſtoriſchen und ſyſtematiſchen Ele-
mente unter dem gemeinſamen Begriff der hiſtor iſchen
Theologie, wodurch die fehädliche Trennung diefer Theile
aufgehoben, und namentlich auf dem foftematifchen Ge⸗
biete der immer noch vorkommenden Bermifchung ber.
Dogmatik mit der Religionsphilofophie, der theologifchen
Theol, Stud, Jahrg. 1884. SL |
774 J Luͤcke's
Moral wit der philnfophifchen gewehrt wird; theils auf
die grandioſe Art, wie die praktiſche Theologie als ein
organiſches Ganzes conſtruirt und in die Idee der Theolo⸗
gie als ein integrirender Theil, ja als die Krone derſelben
aufgenommen wird a); theils endlich, was die Methodil
betrifft, auf bie durchgreifende Unterfcheidung zwiſchen
dem allgemeinen Befigthum in der Theologie, ohne dad
Riemann ein Theolog feyn kann, und der befonderen Bir
tuoſitat, wodurch die eigentlich afabemifche Thätigfeit be
Dingt if. — Man hat der Darftellung die epigrammatifche
Kürze, vorgeworfen. Aber fie foll eben nur Säße euthals
ten, welche nur die Meifter in der Wiffenfchaft ohne weis
tere Erflärung verftehen können. Und, obgleich ich felber
“ wänfchen möchte, Daß die neue Ausgabe v. J. 1830 noch
mehr Erläuterungen enthielte, fo muß ich doch befennen,
daß mir für afademifche Sompendien die Form ber kurzen,
felbft räthſelhaften Sätze ungleich geeigneter erfcheint, ald
die ausführliche, welche das Bedürfniß erläuternder Vor⸗
lefungen eher erftidt, al& wedt. In fofern ſcheint mir
Schleiermachers Darftellung aud in Hinficht der Form
audgezeichnet.
‘ch rechnete fo eben zu dem Gewinnreichen dieſer
Schrift auch die eigenthimliche Art, wie darin bie fufles
matifche Theologie (die Dogmatik, Moral und kirchl. Stas
tifti) als integrirender, auf Die Gegenwart der Kirche fih
beziehender Schlußtheil der hiftorifchen Theologie über
a) Ich freue mich in Dr. Nitzſch Observationes ad: theologiam pra-
eticam felicius excolendam, Bonnae 1831. 4. die Schrift befonder®
auch in dieſer Hinficht fo hochgeftellt zu finden, Ich flimme ihm
ganz bei, wenn er fagt: esse (hunc librum) ante omnia a cae-
teris libris, quibus hoc tempore theologorum litteratura vel aucta
est vel inundata, plane segregandum, deinde eidem tamgquam
novum auctorem et antesignanum praeficiendum. — E prophe-
tico genere si yeniam demum, dicat aliquis eam esse methodum,
dica£ qupque e poetico interiori illo vocis sensu, quo Aristo-
teli poetiei dicuntur.
Erinnerungen an Dr. Fr. Schleiermacher. 775
haupt, in der, nady Schleiermacherd Meinung, bie Eregefe
ben Anfang und die Kirchenhiftorie im engeren Sinne das
Mittelſtück bildet, dDargeftellt wird. Hierin werben mir
Andere, vielleicht Die Meiften, wiberfprechen. Aber ich
felbft gehöre zu denen, welche Schleiermacherd Darftellung
ber ſyſtem. Theologie in jener Beziehung nicht unbedingt
billigen. Sch bin ber Meinung, daß das wiffenfchaftliche
Sutereffe, woran die ſyſtem. Theologie hervorgeht, übers
wiegend ein anderes ift, als das hifkorifche, das Fritifche
ſelbſt mit eingeredynet. Es ift eben Das foftematifche, und
zwar nicht das untergeordnete Intereſſe der organifchen
Anordnung eines gegebenen hiftorifchen Stoffes, fondern
das Intereſſe, die Lehrſaätze des chriftlichen Glaubens und
Handelns in ihrer abfoluten Wahrheit wiffenfchaftlich fo
dDarzuftellen, daß aller Zweifel und Widerſpruch und jebe
innere Zuſammenhangsloſigkeit des chriftl. Denkens Darüber
verfehwindet. Dieß iſt ganz etwas anderes, als das hiftos
rifche. Allein ich mn deffen ungeachtet darauf verharren,
Daß Schleiermacher durch das ftarfe Hervorheben des poſi⸗
tiven, biftorifchen Moments in der foftematifchen Theolos
gie, durch Nadymeifung ihres eigentlichen Objeetd und Ins
halte in Dem ausgebildeten Dogmatifchen und ethifchen Bes
wußtſeyn und Lehrbegriff der Kirche, und durch das Zus
rückdrängen der fubjectiven Willkür und der individuellen
Speeculation wefentliche Berbienfte hat, welche, wenn nicht
jest, fo doch gewiß fpäterhin, mit Dank werden anerkannt
werden. Dieß führt mich aber anf basjenige Werk, wors
in er jene Anficht von der foftem. Theologie ausgeführt
hat, das größte, — womit er feine literärifch theologifche
Wirkſamkeit unter und befchloffen und gekrönt hat, feine
Darftellung des hriftlichen Ölaubensnad den
Grundſätzen der evangelifhenKirde, EREURS:
gabe 1821, 1822, zweite 1830, 1831, |
Bei bem Streite der Meinungen und Richtungen auf
diefem Gebiete ift es fchwer, Alle zu überzeugen, daß mit
51 *
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8 ‘ ae. .. [2 Due Eu er Zn ‘ »
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dieſem Werke eine neue Periode, eine wahre Reformation
in der Dogmatifchen Literatur beginnt. Ich wüßte ihm an
hiftorifcher Bedeutung feines an die Seite zu feßen, als
etwa die Institutio relig. Christianae von Johann Calvin zu
feiner Zeit. Selbft die Gegner haben durch ihren Lebhaf-
ten Widerfpruc und Kampf Zeugniß- geben müſſen von
feiner bewegenden und eingreifenden Gewalt. Es wird
eine Zeit kommen, wo neue, epochemaczende Entwicklungen
in der Dogmatik die gegenwärtige, welche in dem ſchleier⸗
- macher’fchen Werke liegt, zur Vergangenheit machen wer-
ben; aber, fo lange Leben in unfrer Wiſſenſchaft ift, wird
nie eine Zeit fommen, wo man aufhören wird, baffelbe
zu jenen beherrfchenden, gleichfam prophetifchen Höhepunc⸗
ten zu rechnen, von wo aus neue Ausfichten und neue Bah⸗
nen zum Ziele gemonnen und beflimmt werben.
Man hat in der: fohleiermacher’fchen Dogmatif allge
mein die dialeftifche Kunſt bewundert, viele ohne redjt zu
wiffen, was fie bewundern, manche ziemlich zweibentig,
mit einem geheimen Grauen und einer bequemen Furcht,
wodurd fie fi) von der Mühe und Arbeit ihres gründ-
lichen Studiums für befreiet halten. Aber es iſt etwas
Großes in der Wiffenfchaft und immer erfreulich fördernd,
wenn ein ausgezeichneter Geift fie der Idee der firengen
Wiſſenſchaft näher bringt, Methode und Ordnung, Schärfe
der Begriffe und fpflematifchen Zufammenhang in ihr gel-
tend und herrfchend macht. Schleiermacher hat dieß in der
Dogmatik in einem folchen: Grade gethan und fein Bers
Dienft ift in diefer Hinficht um fo höher zu preifen, da
feine dialektiſche Kunft nichts weniger als. fcholaftifch trofs
fen, fondern lebendig und frei, den früheren Popularis-
mus und die bloß äußerlich Iogifche Methode ſammt der
feigen Verzweiflung an aller wiffenfchaftlichen Form von
Grund aus überwältigt und durch die That widerlegt
hat. — Aber dieß iſt weber das einzige, nod größte Ber-
dienſt des fchleiermacher’fchen Werkes, Diefes Liegt in ber
Erinnerungen an Dir. Si; Schleiermaher. 777
That im Inhalte, darin nämlich, daß Schleiermacher ben
pofitiven Eharafter der chriſtlichen Glaubenslehre, ihre
innerfte Bebentung und Beziehung rim Leben dee Kirche
auf eine fo entfchiederre Weiſe von: Anfang bis zu Ende
Wervorhebt. Bei aller Eigenthümlichkeit, Schärfe und Ehr⸗
lichkeit Der ſubjectiven Auffaffung bit er: dadurch ungleich
mehr alö andere, welche in dem vermeintlichen. Befit. rein
objectiver,, abfoluter Begriffe, wie ſie Gott felbft habe,
durnkelhaft auf den fubjectiven Gefühlstheologen, wofür
fie den dialektiſchen Künftter halten, herabfehen, als auf
eine niebere Stufe, welche fie langft überwunden haben, —
dazu beigetragen, die objective und: ewige Wahrheit des
dhriftlichen Glaubens wieder in ben Gemüthern- und im ber
Wiſſenſchaft geltend zu madjen. — Dr. Tweften. fagt fehr
richtig, „daß Schleiermacher, indem er Die Dogmatik auf die
Thatſachen des chriftlichen Bewußtſeyns als ihre Grundlage
und ihren wahren Gegenftand zurirdigeführt, ſowohl den
Glauben felbft gegen die Eingriffe einer ihre Grenzen vers
Tennenden Wiffenfchaft gefichert, ale auch der Glaubens.
lehre ihre Seibftftänbigfeit wiedergegeben hat.” Dieß Vers
dienft werden ihm noch die fpäteften Nachkommen dankbar
anrechnen, und es Fönnte wohl gefchehen, daß, went anf
Die Trunfenheit der neuen abfolnten Wiffenfchaft wieder
eine Periobe des nüchternen Skepticismus folgen follte,
Dann die fihleiermacher ſche Dogmatik das Hauptruſthaus für
die Waffen dagegen wird. — Man kann an dem Werke
tabeln, daß das eregetifche Fundament darin nicht Die
Breite und Boiftändigkeit hat, die man wünfchen möchte,
daß das chriftliche Bewußtſeyn nicht. befkimmt genug in
feiner... urfprünglichen kanoniſchen Form aufgefaßt if.
Aber dieß hängt mit einem Borzuge zufammen, den man
dankbar anerfennen follte, nämlich damit, daß Schleier⸗
macher den wefentlichen Snhalt der Glaubenslehre nicht
als einen gefchloffenen Buchftaben, fondern als einen durch
das ganze gefchichtliche Leben der Kirche verbreiteten, voll⸗
° m. 9
778 ER
kändig entfalteten, freien Geiſtesſtrom⸗ betrachtet. Er hal
dabei die reine Quelle in Leben und Lehren des Erlöſers
feft, er will nicht anerkennen, was nicht daraus geflofen
ift, aber, indem er überzeugt iſt von dem unaufhörlichen
Walten and Bilden bes Geiſtes Chriſti in der Kirche, der
fein Wort und feine Gefchichte verklärt, feßt.er mit groß⸗
artiger. Zuverficht. voraus, daß eben das, was allgemein
in der Kirche als chriftlich gilt und bewußt ift, Dieß auch eben
die chriftfiche Wahrheit fey. Dr. Tweſten rühmt „als eine
der fchönften Seiten dieſes Meiſterwerkes jene groß
artige Toleranz, bie ſich fo viel möglich über Die Gegen
füge zu ftellen und, ohne fie zu verkennen, body nachzuwei⸗
fen weiß, wie fich bas.chriftliche Bewußtſeyn gleichmäßig
in ihnen ausdrücken könne.“ Ich fchreibe dieſe Worte nicht
nur ab, ich unterſchreibe ſie durchaus. : Die Zeit iſt bereits
da, wo Diefe großartige Toleranz der Fchletermacher’fchen
Dogmatik von der proteft. Kircheimmer mehr gefordertund
zur Pflicht gemacht mird ala das wahre Erhaltungsemittel
ber hriftlichen Gemeinfchaft gegen Die immer mehr eigenfins
nigen, fpaltenden, ausfchließenden und: eben in fofern uns
chrißklic, gerfiöreuden Gegenfäße der theol. Schulen. Man
hat ihr aber eben deßwegen Schuld gegeben, daß. fie die
Grenzen bed Chrilichen zu weit ſtecke und, indem fie die
Gemeinfchaft der chriftlichen Liebe ermeitere, bie eigens
thümliche chriſtliche Wahrheit abfchwäcke,. Allein dad fagen
eben mur bie, welche Sndifferentigmus: und Toleranz nicht
zu unterfcheiden vermögen. Wer, wie Schleiermacher in
feiner Dogmatif, den:eigenthlimlichen Gegenfaß des Evan⸗
gelinme. zwifchen Suünde und Gnade fo entfchieben feſthült,
auf der abfoluten Nothwendigkeit der göttlichen Gnabe ia
Ehriſto fo entichloffen beiteht, den hiftorifchen, leben digen
Chriſtus in. feiner abſoluten Sünblofigfeit und Einzigkeit
fo ſtark bersorhebt und in den Mittelpunct feines Glau⸗
bens teilt, die. Häretifchen Ausweichungen des Ebionitis⸗
mu und Doketismus, des Manichäismus und Pelagia⸗
Erinnerungen an Dr..Be: Schleiermacher. 779 .
niſsmus, ſo rüchhaltlos und confeguent ausſchließt, dad pro⸗
teſt. Princip ſo ſcharf auffaßt und durchführt, ohne Die
Elemente der Wahrheit in dem katholiſchen zu leugnen,
ber kaun nar von ber armfeligiten Intoleranz und Buch⸗
ſtabenknechtſchaft für uroifferent gehalten werben, Wenn
der. deiftifche Rationalismus ver früheren theol. Schulen
je eine Riederlage erlitten hat, fo hat er fie in Dex ſchleier⸗
macher’fchen Dogmatik erlitten. Manches, was fidy jetzt
als: entfchiedenten Sieg über ihn breit macht, würde er übers
wunden haben; Die tödtliche Wande, welche ihm Die wahr⸗
haft rationelle, aber. nicht rationakiftifche fchleiers
macher’fche Dogmatit beigebracht hat, wird er nie vers '
ſchmerzen.
Es iſt das glückliche oder unglückliche Geſchick jedes
großen eigenthümlichen Werkes, vielfaltig beſtritten zu
werden. Unverſtand und Mißverſtand haben daran, wenn
nicht mehr, doch wenigſtens eben ſo viel Antheil, als der
Trieb der Wahrheit. So iſt es auch der ſchleiermacher⸗
ſchen Dogmatik ergangen. Bei ſeiner Einſicht in den Zu⸗
ſtaud der Kirche and Theologie und feinem beſcheidenen
Bewußtſeyn, eben zunächft nur feine Auffaffung der chriſt⸗
lien Glaubenslehre, und keine abfolute Dogmatik zu ges
ben, war er darauf gefaßt, fowohl mißverfianden, als
angegriffen zu werden. Beine Sendfchreiben über feine
Glaubenslehre 3), worin er fich des polemifchen Stoffes
zu entledigen fucht, Damit ihn Diefer bei der zweiten Aus⸗
gabe des Werkes nicht ſtoͤren möchte, zeigen, wie großartig
er über die erfahrnen Angriffe Dachte, wie er nämlid) jeden
reblichen Gegner mehr als Mithelfer an dem gemeinſamen
Werke, denn ald eigentlichen Gegner anfah. Er verfuchte
in dieſen Sendfchreiben die Mißverftändniffe zu heben, und
bei Undbefangenen ift ihm dieß gewiß im hohen Grabe ges
lungen. Aber, wie er bei der erſten Darftellung feines
a) In den Studien und Kritilen v. 3. 1829 Heft 2 und 8.
780 er Lille’
Werkes bis auf einen gewillen Grab ſorglos gegen mög
liche Mißverſtändniſſe manche® weder deutlich noch br
flimmt genug gefaßt hatte, und überhaupt gewohnt wa’,
feinen Lefern zuzumuthen, meil er es felbft that, jedes Eir⸗
zelne aus dem. Ganzen und feine Dogmatik aus Dem Zufans
menhange feines gefammten theslogifchen Denkens zu ver
fiehen, fo hat er auch in biefen Sendfchreiben zum Theil
wirklich ans Fünftlerifcher Zucht vor langweiliger Breit,
zum Theil aus edler Sorglöfigkeit vieles mehr nur ange
deutet, als ausgeführt, und fo manchen Stoff des Miß⸗
verſtehens zurüdgelaffen, ja bei feiner Art, Spigen und
Hiebe nach links und rechts auszutheilen, denſelben viel
leicht vermehrt. Man hat ihm dieß als Vornehmheit aus⸗
"gelegt. Aber das ift unrecht. Er verachtete in wiſſenſchaft⸗
lichen Dingen nur ben baaren Unverftand, den böfen Bil
len der Bedeutungslofen. Sonft ging er gern ein, aber
sticht leicht weiter und länger, ald das Intereſſe feines Geis
fted an der Wahrheit es geftattete So werben bie Ans
griffe und Mißverftändniffe noch eine Zeitlang fortbauern,
bis es feiner Dogmatik gelungen ift, in Sen Geift unfrer
Kirche und Theologie allgemeiner einzubringen, und bie in
ihr liegende Wahrheit zum Gemeingut zu machen.
Schleiermacher gehörte nicht zu denen, welche in der
Wiſſenſchaft egoiftifch alles von fi anzufangen meinen.
Er ging gern auf Die früheren Zuftände und Entwidlungen
in der Theologie zurüd, lernte daraus, und knüpfte
daran an. Aus diefem hiftorifchen Sutereffe erklärt fih
theild Die Art, wie er in feiner Dogmatif auf frühere dogs
matifche Beftimmungen berühmter Lehrer der griechiſchen
und lateinifchen Kirche zurückgeht, und die Goldkorner darin
aufſucht, theils find daraus zwei auf Dem Gebiete ber
Dogmengefchichte fehr eingreifende Abhandlungen hervor,
gegangen, die eineüber Die Lehre von der Erwähr
lung (Erörterung der auguft. und caloinifchen Theorie
darüber), womit bie berliner theol. Zeitfchrift 1819 eröffnet,
4
Erinnerungen an Dr. Bei Schleiermacher. TEL
and die. andxerüber,dew.Gegenfag zwifchen der
fabellianifhen und der athanafianifhen Bor,
ſtellung son. demfkrinität, womit: biefelbe 1822
eben fo -rühmelüch geſchloſſen wurde. In beiden Abhands
Iungen.:bewährt fich das durch eigenthämliche Unterſu⸗
chungen-in Der Geſchichte Der griech. Piytlafophie. gebildete
nnd ausgezeichnete: Talent Schleiermachers. Der letzteren
verdauken wir neue pragmsatifche Geſichtspuncte für bie
aͤlteſte Geſchichte der Trinitätslchre. Die erftere fehlen, da
fie.dee eben begonmenen Union der beiden evangeliſchen
Confeſſionen Durch Die Vertheidigung der auguftinifchen.und
calvinifchen Confequenz in der Lehre von der Erwählung
bei ver Menge mehr zn ſchaden, als zu nützen geeignet war;
ein Werk zur unrechten: Zeit zu ſeyn. Aber, als ich ihm
bieß bemerflich machte, erklärte er, es ſey feine Abſicht,
eben zu Gunſten der Union einen Gegenfland von neuem
zur Sprache zu bringen, den zwar die oberfläichliche Bes
teachtung. laͤngſt abgemacht zu haben ‘glaube, der aber;
wenn bie Union fich auch.in wiffenfchaftlicher Hinficht weis
ter entfalten und vollenden folle, früher oder fpäter. in -
Frage geftellt werben müfle. Daß das fchwierige Problem
feitvem genauer und gründlicher unterfucht und auch wohl
Der Anfang zu neuen bogmatifchen. Beftimmungen barüber
gemacht worden ift, iſt das —— jener anregenden
Abhandlung.
Schleiermacher hat abi nicht bloß als Schriftſteller
für die Neu » und Weiterbildung der Theologie gewirkt,
auch als alademifcher Lehrer hat er durch mündlichen Bors
trag neue Bahnen geöffnet und neue Geſichtspuncte anges
geben. Wenn ein Theil feiner Vorlefungen gedruckt wer⸗
den wird, wird ed möglich fegn, den Gewinn von dieſer
Seite genauer anzugeben. Seine Borlefungen über das
Leben Jeſu haben feitbem ähnliche auf andern Univerſitä⸗
ten veranlaßt, und bie bei allen Mängeln immer ausge⸗
zeichnete Schrift-von Dafe über. das Leben Jeſun iſt dadurch
ı (1 DE - ©". EEEF EEE Fer Erunn
angeregt werben. Von:Schleiermachers Vorleſungen bars
fiber weiß ich nur fo viel, Daß ſte/ durch die eigenthumliche
Art der Behandlung des Gegenftaddes: ausgezeichnet, wenn
ſie erſcheinen, fowohl für: die: Auslegung der Evangelien,
als die dogmatiſche and ethiſche Betrachtung Jeſu Nenes
und Anregendes bringen werden. Auf gleiche Weiſe wer
ben die praktiſche Theologie, die er regelmäßig lehrte, und
immer auf eine belebende:erfrifchende Weife, die Firchliche
Statiftit, von der er zuerfi einen: wilfenfchaftlichen Begriff
aufftelite, die Kirchengefchichte und die hiſtoriſch kritiſche
Einleitung in das neue Teflament, welche er von. Zeit zu
Zeit vortrug and mit riesen Geſichtspuncten unb Fragen
bereicherte, enblich die chriftliche Moral, : auf die er ale
Schriftfteller. mittelbar durch feine Kritit Der Sittenlehre,
und. feine ethifchen .Abhanbiangen in den Denffchriften der
Akademie der Wiſſenſchaften veformatorifch :gewirkt hat, —
fie alle werben feinen Borlefangen je länger je mehr neue
Richtungen. and Anregungen-verbanten, fowohl bei’benen,
die fie gehört haben, als bei denen, BAR nur vergännt
er fie a" . ze
— beſaß die. Theologie als ein organi
ſches Ganzes, nicht zur Befriedigung ſeiner individuellen
wiſſenſchaftlichen Bedürfniſſe, oder zum volleren Glanze
ſeines Geiſtes, ſondern in lebendiger Beziehung auf die
Leitung der chriſtlichen Kirche, zu welcher er ſich, ſowohl
anf dent akademiſchen Lehrſtuhle, als auch auf der Kanzel,
als firdjlicher Beamter und Diener des göttlichen Wortes
berufen fühlte. Wenn nur die gegenfeitige Durchbringung
: and Belebung des kirchlichen und wiffenfchaftlichen Intereſ⸗
‚ fe8 den wahren Theologen madıt, fo war Schleiermacher
ein um fo vollfommnerer, da beide Elemente, jedes aufeine
ausgezeichnete Weife, in ihm.waren, und in einem fo fchör
ven Bleichgewichte mit einander, daß er mit gleicher Tüch⸗
Grinnerungen an Br. Fr. Schleiermacher. 783
tigfeit der Kirche als praktifcher und theoretifcher Theolog
gu dienen im Stande war. Ich habe. ihn immer bewun⸗
dert und beneibet, daß es ihm von Gott gegeben war, in
beiden Rihtungen Des theol. Bebens mit gleicher Virtuoſi⸗
tät wirffam zu ſeyn. Die wiffenfchaftliche Wirkſamkeit in
der Stubierfinbe: und anf dem alabemifchen: Lehrfinhle
wurde fonntäglich gekrönt durch Die Predigt bes Köttlichen
Wortes auf der Kanzel, und auch die Woche hindurch
mannicfaltig. durchflochten durch kirchliche Amtsverxichtun⸗
gen in der Gemeinde und durch katechetiſchen Unterricht
der chriſtlichen Jugend. Für jeden Andern waäre dieß zu
viel gewefen; das eine oder andere würde bei jedem Ans
dern gelitten: haben. Richt fo bei. Schkeiermmacher 1, Ich habe
ihn auch nie Hagen hören, daß ihm das vwielfache Amt 4u
viel würde, oder daß eines das undere ſtöre. Im Gegenz
theil fchien er in dem einen Erholung und Neubelebung
für das andere zu. finden, Und wenn ich dazu nehme, daß
er bei aller amtlichen Vielbeſchäftigung und feiner reichen
fchriftftelleritchen Thätigleit zu aller Zeit bemüßigt, anfges
legt und frifch war zum gefelligen Leben in größeren und
Heineren Kreifen, daß er in dieſes nie den unbeholfenen
Ernft der Studierftube und des Amtes mitbradhte, fons
dern immer den heiteren, belebenden Gefellfchafter -— ſo
Tann idy ver flaunenden Bewunderung über ben großen
Mann nur dnudurch loswerden, Daß ich bedenke, wie: viel
der liebe Bott ihm vorzugsweiſe Gaben gegeben hatte, und
mich an. feiner Tugend erfrese und erhebe, fie alle zu ges
Branchen und in gehörigen SASBAERNAnG mit einander
zu ſetzen.
Das, was in feiner: geiftlichen Unmtöthätigkeit zumächft
und am meiften hervorragte, war — ſonntägliche Pre⸗
digt, ein Abbild und zugleich eine Ergänzung und Vollen⸗
dung: feiner wiffenfchaftlichen Thätigkeit. Ich Tann mich;
was das Berhältniß feiner Predigten zu feiner Dogmatik
betrifft, wie_beibe mit einander wahrhaft übereinſtiumen,
BE re. ee 23
einander ergänzen und erklären, auf den trefflidyen Aufſatz
darüber von bem Herrn Domprebiger Dr. Rienüder in
Halle a) berufen, und bin gewiß, Daß wer denfelben aufs
merkſam lieft, ihm darin recht geben wird, daß Schleier:
macher, ob er gleich auf Den. formellen Unterfchied zwiſchen
dem wiflenfchaftlichen afabemifchen Borträge und. Der po⸗
pulären Mittheilung Des: chriftlichen Glaubens große Stüde
hielt und ihn überall geltend machte, doch von einer mas
teriellen Verfchtedenheit beider fo wenig wußte,. daß man
fügen muß, zum vollen. wiffenfchaftlichen Verſtändniſſe feis
ter Predigten fey: feite Dogmatik. eben fo unentbehrlich,
#18; um .biefe alffeitig gu verftehen, nothwendig fey, feine
Predigten zu findieren. Nur Oberflächliche. ober Böswil
lige haben ohne allen Grund den. Berbadjt gelurßert, als
ob der Mann auf der Kanzel ein anderer gewefen fey, ald
auf dem afadeinifchen Lehrituhle und in feinen wiſſenſchaft⸗
lichen Sithriften: Dieſelbe Innigkeit und Liebe, womit er
auf der Kanzel an dem poſitiven Gehalte der: Schrift feits
bielt, und den lebendig perfünlichen Mittelpunct derſel⸗
ben, ben Erlöfer, ald den eingebornen Sohn Gottes zum
immer wiederkehrenden Inhalte feiner Predigten machte,
tritt auch in feiner Dogmatif deutlich genug hervor mitten
unter der Arbeit des fritifchen und dialektiſchen Verkans
des; und die Freiheit und Geiſtigkeit, womit er in feiner
Dogmatik Aberall der Knechtfihaft bes Buchſtabens, der
falfchen allegorifch gnoſtiſchen wie judenchriſtlichen Ber
knüpfung des alten und neuen Teftaments, der Berwechds
Jung des Weſentlichen und Unweſentlichen 'entgegentritt,
herrfcht auch in feinen Predigten, in denen er in dem großs
artigen: Style Luthers auch: die freiefte Verfündigung der
erkannten Wahrheit feinem Zuhörern zumuthete zu ertras
gen. Wie feine Predigten ein reicher Schag für die wif-
fenfchaftliche Eregefe, befonders Des neuen Teſt. ſeyen, habe
a). In den Studien und’ Krititen 1881 Heft 2 S. Ho ff.
Erinnerungen an Dr. Fe. Schleiermadyer. 785
- ich bereits oben bemerkt. Aber um ganz zu erkennen, wie
Schleiermacher auf der Kanzel, wie auf dan alabemifchen
Lehrftuhle, ein Dann aus Einem Guſſe und Stüde, bat
einer feiner jüngern Schüler, Rütenid, auf eine fehr beleh⸗
rende Weife, freilich zunächſt nur in populärer Form ger
zeigt, wie fih aus feinen Predigten fein ganzes Syſtem
der chriftlichen Moral erbauen laffe. Bon dem bedenkli⸗
chen Unterfchiede zwifchen dogmatifchen und moralifchen
Predigten wußte Schleiermacher nichts. Wie er felbft in
der Wiffenfchaft nur einen fehr relativen Unterfchied zwi⸗
[hen Dogmatik und Moral zugab und die innigfte Bers
bindung und Mechfelbeziehung beider auf das Entfchies
benfte behauptete, fo hat er. auch in-feinen Prebigten die
lebendigfte gegenfeitige Beziehung des chriftlichen Denkens
und Handelns, des Glaubens und ber Liebe immer feſtge⸗
halten und Ddargeftellt, und mir ift unter feinen Predigten,
den gedrudten und gehörten, feine befannt, in der man
bei einem Webergewicht des Dogmatifchen oder Ethifchen
die lebensvollſte Zurücdführung beider auf einander vers
mißte. Das Eigenthümliche der fchleiermacher’fchen Pre⸗
digtweiſe vollftändig zu charakterifiren, ift hier meine Ab-
fiht nicht. Die geiſtvolle Charafteriftif derfelben. von Dr.
Sad a) ift ein ſchöner Anfang dazu, das große. Verdienft
und die ausgezeichnete Eigenthümlichfeit Schleiermacherg
auch auf Diefem Gebiete ohne Uebertreibung unparteiiſch
aufzufaffen. Mein Freund bezeichnet die hHomiletifche Eigens
thümlichkeit Schleiermachers als eine dreifache. ALS die
erite und fruchtbarfte erfcheint ihm die Sicherheit und ins
nige Lebendigkeit, mit welcher alle Betrachtung von ber
Gemeinfchaft mit der Perfon Ehrifti durch. den Glauben
und die Liebe ausgeht, und aus dieſer Gemeinfchaft das
— und die Beſtimmung der Kirche verſteht und das
a) Sn den Studien und Kritiken 1881 Heft 2 S. 850 iz über
Schleiermachers und Albertinid Predigten.
786 eaces
Bertrauen auf bie Kraft. des. ſchon in Die Kirche überge:
gangenen Geiſtes ſchöpft. Während er diefer Eigenthüm⸗
lichkeit das größte Lob und die epochemachende Bebentung
der. fchkeiermacher’fchen Predigtweiſe beilegt, :findet er bie
zweite Eigenthümlichkeit mehr tadelnd Darin, daß das
Port Battes in ber Schrift Schleiermachern micht bad Ans
fehn hat, feinen Glauben immer neu entſtehen und in fer
nen wefentlichen Elementen durch daſſelbe göttlich beſtim⸗
men zu kaflen, fondern nur dazu, feine Reflexion über
fein Glaubensgefühl zu leiten und zu regeln. Diefer Zabel
beruht nach meiner Anficht anf einer falfchen Auffaflung
der Idee des Glaubens bei Schleiermacher. Dr. Sad meint,
der Glaube, nämlich der eigenthämlich chriftliche, fey für
Schleiermacher überwiegend ein Gefühl ohne Bewußtſeyn
einer objectiven Wahrheit gewefen. Das muß ich leugnen.
In ſeinen Predigten, wie in ſeiner Dogmatik iſt der chriſtl.
Glaube zwar weſentlich etwas Subjectives, ein ſubjectives
Leben im Menſchen, aber die charakteriſtiſche, poſitive Be⸗
. Rimmtbeit deſſelben, welche Schleiermacher fo entſchie⸗
den hervorhebt, tft ja eben ein Werk der Gefchichte, des
Lebens und Lehrens Jeſu Ehrifti, welche der chriftliche
‚ Glaube als feinen weſentlichen Inhalt allezeit am reinften
‚und klarſten aus ber Schrift empfängt, Freilich entnimmt
er diefen Snhalt aus Der heil, Schrift nicht als ein äͤußeres
Port, als eine ihm von Natur fremde Lehre, fonbert
ala ein ganzes Leben, worin Lehre und Wort ift, und er
empfängt ihn in der chriftl. Kirche nicht als ein immer wie
der neues und entfichendes, fondern vermöge des chriſtl.
Beiftes in der Gemeinfchaft der Gläubigen als ein bekann⸗
tes, nur immer lebendigeres und vollfommneres, Wenn
Dr. Sad nun meint, daß mit der von ihm getabelten
Eigenthümlichkeit, die er tabelnd das idealiſtiſche
Element Schleiermacherd nennt, wir aber lieber lobend
das geiftigfirchliche nennen möchten, eine dritte Eigen
thümlichteit Schleiermachers in feinen Predigten zuſammen⸗
Grinnerungen an Dr. Br: Schleiermacher. 787
bange, nämlich, daß er das Leben und Wirken: der Gnade
in allen feinen Zuhörern nicht nur ale völlig bewußt, ſon⸗
dern als ſoweit gefördert vorausfeße, daß auf Die mans
nichfaltigen Zuftände mangelhafter Gottesfarcht und am
fangendew Glaubens, wie fle bach thatſächlich in unfren
Gemeinden vorliegen, zu wenig Rüdficht genommen fey:
fo muß ich zwar diefen Zuſammenhang feiner Eigenthüms
lichkeiten gelten laffen, ich kann auch barin wine gewiſſe
Einfeitigkeit nicht verkennen. Aber auf der andern Seite
muß ich erklären, Daß ed mir immer befonbers mohlgethan
hat und fehr rühmenswerth erfchienen ift, wern Schleier,
macher mit jeter großartigen Vorausſetzung feines gläus
bigen und liebevollen Gemüthes die Kanzel betrat, daß er
die chriftliche Gemeinde als foldye vom Herrn und feinem
Geifte bereits gegründet und gefammelt vorfand, und daß
er nicht berufen ſey, ihren Glauben erft zu pflanzen, ſon⸗
dern mehr den fchan gepflanzten zu begießen durch unbe
fangene Mittheilung und Ausftrömung feiner aus dem gött⸗
lichen Worte ftammenden und flammenben Begeifterung
und Erfenntniß. Schleiermacher verkannte Die verfchiedenen.
Stufen in der Erfenntniß und Gottesfurcht der Gemeinde
nicht ; die mangelhaften Zuftände in der Gemeinde berück⸗
fichtigte er wohl, Aber er nahm immer ein Durchſchnitts⸗
maaß des chriftlichen Glaubens unb Lebens in Der. Gemeinde
an, wooon er ausging, Die niedrigeren Stufen einer ans
dern Art des Unterrichted, als der Predigt überlaſſend. In
einer Zeit, wo fo Viele die chrifflichen Gemeinden behan⸗
bein, ald habe das Werk der Erlöfung und Wiedergeburt
in ihnen, weder bewußt noch unbewußt, noch gar nicht
angefangen, oder als fey ed alle Sonntage von Neuem zu
beginnen, und Durch Diefe verkehrte Art mehr ermüden
und erbittern, als erheben und erfreuen, — ift Die entges
geugefegte Eigenthümlichfeit Schleiermacdhers nur zu rüh⸗
men. — Dagegen unterfchreibe ich gern, was Dr. Sad
über „das Talent Schleiermachers fagt, Einheit und Mass
pi: 7° 2 &
wichfaltigfeit feier Nede in formeller Klarkeit und mehr
als Iogifcher Reinheit der Anordnung ald ein-Ganzes and
Einem Stüde hinzuftelen.” Sch kann nicht unterlaffen, bie
ganze Schöne Stelle meines Freundes. hierüber auch mit dem
theilmeifen Tadel, den ich aber mehr nur ald Derftellung
der wöohlberechtigten Eigenthümlichkeit Schleier machers
gelten laſſen kaun, wörtlich abzuſchreiben: „Diefe Beſtimmt⸗
heit. der Gedanken, fo ſagt Dr. Sad weiter, und dieſe Reim
heit ber Verhältniffe, verbunden mit der edlen Bildung
und Würde der Sprache, dieſe ideenreiche und befeelte
Fülle des Geiſtes, umgeben von kirchlichem Gefchmad und
Tact, läßt die Innigkeit feiner Grundrichtungen hödft
wohlthätig bervortreten. Verbergen kann man es babei
doch nicht, daß die ganze Sprachbildung des Verfaſſers
mehr Firchlich und edel und zugleich antik ift, als biblifch
und eigentlich homiletifch. Dieß hängt wieder mit ber Bers
nachläffigung Des alten Teftaments zuſammen, welches Die un:
erfhöpfliche Duelle des homiletifchen Styles für Die beweg⸗
teren und höheren Gebiete deffelben if. Man darf fagen,
der Berfafler hat zu wenig Orientalifches in Auffaffung und
Ausdrud, nichtd von dem, was ben Styl Herders, abge-
fehen von feinen Fehlern, . vorzüglich in feinen früheren
. Schriften fo ergreifend macht; wo er das eigentlich Rhe⸗
torifche, das Bibelnachbildende verfucht, ift er felten glüds
lich. Doc, feine Stärfe Liegt auf einem andern Gebiete,
auf dem der Wahrheit und Milde, der ruhigen Kraft und
Treue, Die yon innen aus feine Worte wie durchhauchen.“ —
Es ift befannt, daß Schleiermacher feine Prebigten,
bevor er fie hielt, nicht auffchrieb. Die gedruckten find alle
ans Nachfchriften. Als ich ihn hörte, waren immer zwei
feiner jüngern Freunde damit befchäftigt, fie nachzufchreis
ben. Wer das wußte, bewunderte die großen Gaben bed
Mannes noch mehr. Die Predigt entftand in fofern nicht
erft auf der Kanzel, als er fie mehrere Tage vorher im
Geifte bereits empfangen und bis zum Augenblide, wo er
:
Erinnerungen on Dr. Sr. Schleirmaher. 789
fie hielt, gleichjam völlig ausgetragen hatte. ber er
fchrieb nichts auf, als damals, wo ich mit ihm lebte,
Sonnabend Abend Tert und Thema, und höchftens noch
Die einzelnen Theile des letzteren, kurz angedeutet. . Das
nannte er feinen Zettel machen. So aber ging er auf
die Kanzel, Hier entfland nun die Predigt, ihrer ber
ftimmten Form, Darftellung und Ausführung
nach, als ein lebendiges Product des vorangegangenen
Nachdenkens, des belebenden Eindrucks ber verfammels
ten Gemeinde und Der immer gleich gegenwärtigen Herr⸗
ſchaft feines Geiftes über Gedankenordnung und Sprache,
Wer es wußte, bemerlte, wie das RKunftwerf chriftlis
cher Rede entſtaud, wie er anfangs langſam und ruhig,
mehr im gewöhnlichen Tone der Rebe, die Gedanken
fammelte und ordnete; dann aber, wenn er eine Zeit⸗
lang gefprochen und er gleichfam das ganze Neb der Ges
danken ausgeſpannt und zugezogen hatte, wurde die Rebe
fchneller, bewegter, und je näher dem ermahnenden oder
ermunternben Schlufle, beito firdimender und reicher. So
habe ich ihn einige Jahre fonntäglich gehört. Er wor ſich
immer gleich und immer anziehend Durch bie eigenthämliche
Behandlungsweife Des Textes, durch Neuheit und Friſche
der Gedanken, durch geordnete Darftellung und fließende
Rede. Ich habe nie gehört, daß er fich verfprochen, oder
eorrigirt hätte. Wurde man nicht durch die Gedanken
übermäßig gefeflelt, fo hatte man oft Gelegenheit zu bes
wundern, wieer, bei feinem eigenthämlichen Style zu vers
widelten Perioden geneigt, auch in ben verwideltiten
in jedem Augenblide das rechte Wort fand und den Faden
nie verlor, der ihn ficher zum Ausgange führte. Es hat
nicht jeder dieſe Gabe, am wenigiten in allen Stimmun⸗
gen und Zufländen, über alle Gegenkände des chriſtlichen
Glaubens und Lebens,. ohne fchriftliche Vorbereitung, im⸗
mer mit gleicher Fülle, Klarheit und Schönheit vor ber
Theol, Stud. Jahrg. 1834. 62
90 | Bades
Gemeinde zu fprechen. Dft leidet unter ber Herrfchaft um
Schnellfertigkeit ber Sprache der Inhalt. Es entftcht leicht
eine eintönige Manier , eingeübte Gedankenreihen kehren
ſchnell wieder, und was dergleichen Untugenden des unbe
rufenen Ertemporirene mehr find. Bei Sıhleiermacher war
von dem allen keine Spur. Er hatte feine ihm eigenthüm⸗
uiche Sprachweife, feinen eigenthämlichen Gebanfenteeid.
Aber der Reichthum feines Geiſtes und Die Fülle Des chriſt⸗
Uchen Lebens in ihm ließen in feiner Art zu prebigen feine
von den gewöhnlichen Untngenden des Ertemporirend auf
kommen, und madıten, daß man nur mit Wohlgefallen
den höchften Brad der homiletifchen Kunſt in ihm betrach⸗
tete, und bie reichen Früchte derſelben rein genießen
konnte. — Als ich ihn einft fragte, wie er zu dieſer beneis
Denöwerthen Kunſt gefommen fey, antwortete er, daß er
fehr früh erfannt habe, wie Doch das das höchſte fey, vor
der Gemeinde die Predigt nicht erſt durch das &ebädtnif
wieder zu erzeugen, wobei von der urfprüänglichen Lebens
digkeit immer etwas verloren gehe, joubern frifch und nen
aus der jedeömaligen Kraft und Fülle des Gemüthes zu
ſprechen; um fich Dazu gefchicht zu machen, habe er damit
angefangen, nur ben Schluß ber Predigt nicht anfzufchreis
ben, und fu ſtückweiſe rüdwärts, wie man ein gewohntes
warmes Kleid nur mach und nadı ablege, habe er zuletzt
auch das Scwierigfbe..erreicht, ben Anfang nicht mehr
anfzufchreiben.
Ber eine eingelne Prebigt von Schleiermacher hörtr,
Konnte fürchten, daß er für die Ungebilbeteren in der des
meinbe nicht verfländblich, nicht populär genug ſey. Aber
bei fortgefegtem Hören im Zufammenhange verging bie
Furt ganz. Er muthete feinen Zuhörere viel gu, aber
doch eigentlich nicht mehr, ale Vertrautheit mit der Schrift
und Aufmerkſamkeit. Da er nun dieſe auch inden weniger
Gebilbeten zu fefleln wußte durch die Krifche und geiſtige
Lebendigkeit feines Vortrags, durch die ſtete Beziehung
Erinnerungen an Dr. Fr. Schleiermacher. 791
auch der tiefften chriftlichen Ideen auf das praftifche Beben,
umb deu gegenwärtigen Zuſtand der Kirche, des Hauſes,
des Baterlandes, — fo erklärt fich, wie fein kirchliches Au⸗
Ditorinm zwar meift aus Den Gebilbeteren beftand, aber
auch geringere Leute felbft aus andern Gemeinden fah man
regelmäßig feine Kirche beſuchen uad aufmerkſam zuhören.
ch glaube, daß diefer Theil feines Auditoriums je länger
je mehr zunahm, da, wie er in feiner ganzen Theologie
Iebendig fortfchritt, fo auch in feiner Predigtweiſe von
Jahr zu Sahr bei ſteter Erfahrung und Erweiterung feines
inneren Lebens chriftliche Einfachheit und Sunigleit immer
mehr zunahm.
Die Predigt war allerdings für Schleiermacher ber
Hauptort feiner Wirffamfeit in der Gemeinde; aber wie
er gewohnt war, alled, was zu einem beſtimmten Kreife von
Tchütigleit gehörte, zufammenzufaflen, fo war er auch auf
alles, was im Wefen bed Gemeindelebens Tag, mit gleicher
Liebe nnd Treue bedacht. Noch ehe das Bedürfniß Liturgie
ſcher Reformen im Gottesdienſte allgemeiner zur Sprache
tam, fuchte er in feiner Gemeinde das Liturgifche Bedürf⸗
nig zu weden und zu befriedigen, fo gut er ohne eine all
gemeinere Reform in der ganzen evangel. Kirche in feinem
reife konnte. Da er Sefang und Predigt ale ein lebendi⸗
ges Ganzes betrachtete, Das damals eingeführte Gefange
buch aber der Anordnung eines folchen Ganzen zum Theile
binderlich war, traf er Die Einrichtung, wenigſtens für jer
Dem Morgengottesdienſt beſondere Geſänge druden zu Iafs
fen, die er aus dem reichen Liederſchatze unfrer Kirche,
dem älteren und ueneren, finnig und ſchicklich auswählte.
Sp wurde feine Gemeinde nach und nach mit Den ſchönſten
Liebern bekannt, und er felbft geübt und gefchickt, an Dem
Werke eines neuen Öefangbuches, welches Dem gegenwär-
tigen Zuftande der chriftlichen Bildung angemeffen fey, lei-
tenden. Antheil zu nehmen. Es ift befannt, wie er einer der
Hauptarbeiter des neuen berliner Gejaugbuches geworden
52 *
792 Luͤcke s
iſt. Seine Vertheidigung deſſelben “) zeugt von ber Klar
heit, Beftimmtheit und Erfahrung feines u auch auf
Diefem Gebiete.
Bon feiner Fatechetifchen Art im SERIE
der Jugend habe ich Feine unmittelbare Erfahrung. Ic
weiß nur, daß fein Eonfirmandenunterricht befonderd in
den höheren Ständen fehr beliebt und gefucht war, und
"daß die Jünglinge und Jungfrauen, Die er vorbereitete
und einfegnete, mit befonderer Innigfeit und Treue an ihm
hingen. Dieß wäre undenkbar, wenn er nicht auch auf diefem
Gebiete eine bedeutende Gabe gehabt hätte, die jugendli⸗
chen Gemüther für das Evangelium zu erwärmen und gei⸗
flig zu beleben. Die Gemeinde der Jugend, die er ſich fo
bildete, war, wie mir fchien, zugleich der Hauptkreis für
feine Seelforge. Er entzog ſich dieſem wefentlichen Theile
feines Predigtamtes nicht. Aber es lag mehr in der gan
zen Art feiner Stellung, zum Theil auch in feiner perföns
lichen Eigenthümlichfeit, daß er ſich als Seelſorger mehr
auffuschen ließ von denen, Die Herz und Vertrauen zu ihm
hatten, als daß er fie aufgefucht hätte. Was er auf die
fer Seite feines geiftlichen Amtes etwa von Wirkſamleit
einbüßte, das erjeßte er im hohen Grade durch bie ſtets
rege Theilnahme an den allgemeinen Angelegenheiten der
Kirche. Schleiermacher betrachtete die einzelne Gemeinde
als einen lebendig organifchen Theil der Firchlichen Ges
fammtheit, unzertrennlich von diefer in Gefundheit und
Krankheit. Seine reformatorifche Thätigkeit richtete fih
fehr früh fhon auf die Bedürfniſſe und Zuſtände des ges
ſammten kirchlichen Lebens. Das erſte, was er in dieſer
Hinſicht bekannt machte, find zwei unvorgreifliche
Gutachten in Sachen des proteſtantiſchen Kir
chenweſens zunächſt in Beziehung auf den
a) Lieber das berliner Geſangbuch. Gin Schreiben an Herrn Biſchof
Dr. Bitfäl in Gtettin 1830.
Erinnerungen an Dr. Sr. Schleiermaher. 793
yreußifchen Staat 1804. Diefe Schrift fohrieb er in
derfelben Zeit, als er fein tieffinniges Werk über Die Kris
tif der Sittenlehre .gefchrieben hatte, — fie ift ohne feinen
Namen erfchienen, aber mit dem Gepräge feined Geiftes.
In dem erften Gutachten über die Trennung beiber pros
teftant. Kirchen tritt ſchon mit aller Klarheit und Beſtimmt⸗
heit die firchliche Lebensfrage feines. Geiftes, die Union,
hervor. Er zeigt Die Nachtheile der bisherigen Trennung,
wie fie in Beziehung auf das religiöfe Sntereffe auf der
einen Seite Aberglauben, auf der andern Seite Sleichgäls
tigkeit auch gegen das Wefentliche der Religion nähre, fos
dann aber auch auf die allgemeine Moralität und wahre
Cultur nachtheilig einwirfe, endlich aber auch für den
Staat und bie Schule als ein Uebel erfcheine, Dem ed Zeit
fey abzuhelfen. Dieß alles ift mit eben fo viel Wahrheit
lebendiger Erfahrungen, als mit Geift.und Wit ausges :
führt. Aber Schleiermacher begnügte fich nicht, über das
Uebel zu klagen, er zeigte fchon damals neben der Noth⸗
wendigfeit der Union auch Die rechte Art ihrer Ausführung;
er verlangte, daß die Kirchengemeinfchaft hergeftellt werde,
ohne die Unterfchiebe im Lehrbegriffe und die Abweichungen
im Rituale anzutaften, und daß dieſe Wieberherftellung
erfolgen müffe, ohne irgend Semand in der Freiheit feines
Glaubens und feines Thuns zu befchränfen. Schon das
mals wies er darauf hin, wie in der Brüdergemeinde dieſe
dee der Union auf eine befriedigende Weife realifirt fey.
Das zweite Ontashten erörtert die Mittel, dem Berfalle
der Religion vorzubeugen. Voll der lebendigften und wahrs
ften Schilderungen der VBerderbniffe, Hebelftände und Miß⸗
verhältniffe ſowohl in der Anordnung und Verwaltung des
öffentlichen Gottesdienftes, als in der Befchaffenheit und
dem Zuftande bes geiftlichen Standes, enthält es zugleich
eine Menge von reformatorifchen Winfen und VBorfchläs
gen, welche bei dem Umfchwunge des Lirchlichen Lebens
feit 1814 zum Theile realifirt, zum Theile von neuem anger
1.7 "7 77
regt und ausführlicher befprochen worden find. Ich weiß
nicht, welchen Eindruck diefe beiden Gutachten zu ihrer
Zeit gemacht haben, gewiß nur einen fehr vorbereitenden.
Aber fie enthalten ſchon ale die Ideen, zum Theil ſchon
ausgeführt, zum Theil im Keime, welche Schleiermacher
zehn Jahre fpäter anfing auf eine fräftigere und vollftän⸗
digere Art zu verbreiten und herrfchend zu machen. —
Nur eine kurze Zeit war ihm vergönnt, an bem allgemeinen
Kirchenregiment in einem höheren geiftlichen Staatsamte
Theil zu nehmen; ed war die Zeit der Regeneration bed
preuß. Staates, wo die geifteögewaltigen Minifter von
Stein und’ W. von Humboldt darauf aus waren, überall die
Tüchtigften an die Spitze zu ftellen, wo es Denn nicht feh⸗
fen konnte, daß auch Schleiermacher an feinen Plag kam.
Ich weiß nicht, in welcher Art und welchem Umfange er
banrals für die Reformen der Kirche wirkſam geweſen iſt.
Aber das weiß ich, daß er gern zurüdtrat, als fpäterhin
bie läftige Schärfe und Entfchiedenheit feines Geiftes mehr
nur Widerftand als Eingang fand. Seitdem befchränfte er
fich, theils als Schriftfteller, theils als frei gewählter Präs
fivent der berliner Synode nach Kräften dazu beizutragen,
daß ‚bie befonders feit dem Jahre 1814 allerhöchften Ortes
ſelbſt angeregte Reform des öffentlichen Gottesdienſtes und
ber Berfaffung der Kirche, ſammt der Union auf den red),
ten Grund und Weg geführt würde. Aus diefer Zeit iſt
die Reihe feiner meift polemifchen Gelegenheitsfchriften
über Die firchlichen Angelegenheiten, bie mit dem berühm⸗
ten Glückwünſchungsſchreiben an die hochwür—
digen Mitglieder der von Sr. Majeſtät dem
Könige von Preußen zur Aufſtellung neuer
liturgiſcher Formen ernannten Commiſſion
1814 beginnt. Die Anonymität dieſer Schrift hinderte nicht,
ben Verfaſſer augenblicklich zu erkennen, fo ſehr trägt fie
Das volle Gepräge feines Geiſtes. Mehr eine Condolenz
und Warnung, als ein Glückwunſch, nicht ohne eine ger
}
j
Grinnerungen an Dr. Br. Schleiermader. 295
wiffe Ironie, wurbe fie doch von ber Gommrifften mehr
als gut: anfgenommen. Faſt moͤchte man fagen, feine von
ben Eichriften Schleiermachers habe fo ſehr unmittelbar ih⸗
ven Zweck erreicht: Die Eummiſſion gittg mit edler Selbſt⸗
verleugaung.in Die Ideen Schleiermacherd ein; ftatt:nene
liturgiſche Formen eilfertig anfzuftellen, trag fie darauf
an, der Kirche zuvor eine Berfaflung zu geben,. wodurch
es möglich werhe, Die Reform: von Innen heraus zu einem
Gefammtwillen ber Kirche zu gefkalten. Es gehört zn Dem
unvergänglichen Ruhme bes. Königes von Preußen, baf er
anf Diefe dee mit allem Intereſſe feines hriftlichen Gemü⸗
thes und aller Kraft bestöniglichen Willens einging. Zwar
bie nene Liturgie für die Hof s und Garnifongemeinbe zu
Potsdam und für.die Garnifonfirche in Berlin, welche im
Sahr 1816. erſchien, war auch durch Die Art, wie fie singes
führt wurde, wenig geeignet, zu einer richtigen Einleitung
einer umfaflenden wahren Reform Hoffnung zu erregen.
Schleiermacher, wie ein Wächter auf der Zinne der
Kirche, aufmerffam auf jede Erfcheinung und Richtung
am Firchlichen Horizont, unterließ nicht, Dießmal mit Nen⸗
nung feines Namens, mit Zreimüthigfeit, aber im milden
Tone, in ber Schrift über hie nene Liturgie für
bie Hofs und Garnifongemeindbe zu Potsdam
1816, die neue Liturgie der Kritik zu unterwerfen, unb am
Schluſſe von Nenem darauf aufmerffam zu machen, „Daß
aur durch eine wohlgeordnete Synodalverfaſſung der Kirche
ein gefegmäßiges Zufammenwirten zur Reform des Gots
teödienfted gewonnen werben könne, daß weder Die Will⸗
für des Einzelnen bei den heiligen Angelegenheiten des
Öffentlichen Dienftes wild umherſchweifen kann, noch auch
ben Gleichgefiunten, die ſich gern aneinanderfchlöffen, ein
fruchtbarer uud anerfannter Bereinigungspunct fehlt, oder .
der erfahrene und ausgezeichnete bes ftillen unmittelbaren.
Einfluffes entbehrt, den er ausüben ſollte.“ — Ald nun
zur Inbelfeier Her Reformation 1817 ber König durch ruhm⸗
796 ..Lüuͤckeßs
wuͤrdiges Beiſpiel und treffliche Anordnung die Union bei,
ber evangeliſchen Kirchen einleitete, ja recht eigentlich ſtif⸗
tete, und bereits im Frühjahre 1817 die amtliche Bekannt⸗
machung über die Bildung ber. Preöbpterien, und Die Ber
einigung der protefkantifchen. Geiftlichfeit in Kreis ⸗Pro⸗
Yinzialsund Reichſsſynoden erfolgte, — Da. glich Der Freude
Schleiermachers über bad anfangende Gelingen feiner fchöns
fen und liebſten Wünfche, nur ber Eifer, womit er das
neue Werk durch Rath mb That, mit Liebe und Ernft zu
fördern und zu ſchützen fuchte, Seite Ideen hatten. unter»
befien in weiteren Kretfen Eingang und Schuß gefunden;
mehrere, befonders jüngere Geiftliche waren als Mitarbei-
ter und Mitberather an dem heiligen Werke aufgetreten.
Schleiermacher erkannte dieß mit Dank und Beſcheidenheit
gern an; neidlos freute er ſich, weder der Einzige noch der
äußerlich Bedeutendſte zu ſeyn. Um aber die Gleichgeſinn⸗
ten durch Mittheilung und Beſprechung ſeiner Anſichten
und Rathfchläge über Einzelnes in jener amtlichen Bekannt⸗
machung zu einem befonnenen und einftimmigen Wirken
auf den nächſt bevorfichenden Synoden zu vereinigen, ging
er ſchnell voran und, fchrieb fchon im Sommer 1817 die
Bemerkungen über die für die proteftantifche
Kirche des preußiſchen Staates einzuricdhtende
Synodalverfaſfung. — Als bald darauf die berliner
Synode zuſammentrat, und ihn ehrenvoll zum Präſiden⸗
ten wählte, verwaltete er dieſes Amt mit einem Eifer, einer
Geſchicklichkeit, Geduld und Liebe, daß auch diejenigen,
die ihn bisher mehr gefürchtet und mißtrauiſch gegen ihn
geweſen waren, anfingen ihm Liebe und Vertrauen zu
fohenfen, fo daß das Werf der Synode unter feiner Leitung
Durch immer Tebendigere Zufamnienftimmung ihrer Mitglie⸗
der fichtbar gedieh. Die Union und Die neue Verfaſſung der
Kirche fchienen damals unzertrennlich, die eine Die noths
wendige Hülfe Der andern. So war bas erfte Lebenszeichen
ber Synode bie amtlihe Erklärung berfelben
Crinnerungen an Dr. Ir. Schleirmaher. 797
über die am 30ſten Detober von. ihr zu hal
tende Abendmahlsfeier. Schleiermacher war ihr
Verfaſſer. Er ſtellt darin auf eine kurze und populäre,
milde und ernſte Art bie Union dar, als eine rein hirch⸗
Liche Friedensſtiftung, ohue:alle unnüße, ja zu weiten
Spaltungen. führende. bogmatifche Ansgleichung, bezeitgt
Durch einen neuen gemeinfchaftlichen Ritus im Abendmahle.
. Webergeugender konnte nichts ſeyn, als Diefe einfache
Erflärung, und wer in ihrem Sinne an jenem erſten unir⸗
ten Abendmahle ſaͤmmtlicher proteft. Geiftlichen der Haupt⸗
ſtadt Theil genommen, dem wird. erinnerlich ſeyn, wie
jene erhebende heilige. Handlung unter dem belebenden Ges
Düchtniffe an den noch ungetheilten Anfang ber Reformas
tion wefentlich dazu beitrug, die Ueberzeugung von der
Wahrheit und Reinheit gerade. Diefer Art ber. Union zu
befefligen und zu vollenden. Widerſpruch und Pißden-
tung waren faum zu 'erwarten, am wenigfien von Theo⸗
logen, welche die &efchichte Der bisherigen Spaltungen
und Unionsverfuche fennen mußten. ALS Daher, während
in Berlin alles m guter Gefundheit und ſtarkem edlen
Glauben fich der fhönen Hoffnung hingab, das fo ange
fangene Wert werde fröhlich gedeihen, Dr. Ammons Prüs
fung der harmfifchen Sätze, als eine bittere Arzuei für
die Glaubensfchwäche der Zeit erfchien, und was wir für
gefund hielten krank ſchalt, und das mit aller Andacht ges
feierte Mahl mit allerlei tufchelnden Berläumdungen und
uneblem Spott entehrte, — da zuckte es in Sedem, ich
weiß nicht, ob mehr vor Zorn oder Mitleid, Bei genauer
Ueberlegung aber fchien. um der Sache willen unmöglidy,
die Angriffe eines fo einflußreichen unb berühmten Theo⸗
logen auf das noch junge zarte Werk der Union ungerügt
zu laſſen. Ale ſahen auf Schleiermadher, ald den natürs
lichen Verfechter, und er war nicht ber Mann, der, wo ed
der Sache galt, fich lange fuchen ließ. Seine Feder war
bereits gefpigt, er tauchte fie in den edlen Zorn, den die
798 er u ‚ Lade. } ne nr .
ammomn'ſche Scheiftin ihm erregt hatte und fe erſchien ſchon
im Febr. 1818 fein Sendſchreiben an den Herrn
Oberhofprediger Ammon über feine Prafung
Ber harmfifhen Säge. Wie man auch über. ven po⸗
femifchen Ton diefer Schrift urtheilen mag, es Fann feyn,
daß etwas mehr Milde und Gutmüthigkeit vielleicht den
Gegner mehr gemonnen, : als überwunden hätte, aber es
war Schleiermacher nach feiner. ganzen Art unebglich, Dem
Bittern. Süßes entgegenzufegen; er curirte in. ſolchen Fal⸗
len gern homöopathiſch, und wie Ammon mit Wit heraus⸗
gefordert hatte, fo war natürlich, daß Schleiermadjer
ihn mit Witz und zwar hitterfalzigem bediente. Das aber
kann ich; Der ich gerade damals Schleiermächer . viel fah,
bezeugen, daß, obwohl er. fid) felbft fonft wohl fchery
baft einen gemiffen polemiſchen Kißel zufchrieb , ihm bei
biefer Schrift rein Der.Eifer für bie Sache antrieb uud lei⸗
tete. Wenn er dabei Die Perſon traf, fo war Das unvermeid⸗
lich, weil es baranf anzufsmmen fchien, dem Gegner bad
perfönliche Recht zum Angriffe zu nichte und ihm dieß fühl
bar zu machen. Sch fage Dad. nicht, um den noch lebenden
Gegner zu verlegen, ſondern um den hiſtoriſchen Zufams
menhang. aus meinen Erinnerumgen fo vollflänbig als mög⸗
kich mitzutheilen und den Freund gegen falſche Beſchuldi⸗
gungen Unkundiger, bie ich auch wohl fpäter noch gehört
habe, is Schuß zu nehmen.
Allein dieß war nicht der letzte Kampf, ben der rüſtige
Streiter für das Werk der Union und Berfaffung ber Kirche
zu beftehen hatte; ungleich fchwierigere ſtanden bevor. Es
Danerte nicht Lange, fo umbüfterte fich der kirchliche Horis
zont auf eine höchſt bedenkliche Weiſe. DenStaatsmännern
aus der alten Zeit war die Entwicklung einer freieren Ver⸗
faſſung und bedeutſameren Stellung der Kirche von An⸗
fang an läſtig; der Verdacht eines neuen hierarchiſchen
Uebergewichts wurde erſt heimlich, bald auch laut geäußert.
Mißgriffe, Uebertreibungen, Nachläſſigkeit und Ueberei⸗
Erinnerungen an Dr. Br. Schleiermadher. 799
Iung von Seiten der. Theslugen gaben dem Borwurfe ein
ſcheindares Recht, Daß die Zeit für eine lebendigere Ber»
faffung der Kirche weder ruhig noch reif genug fey. . Und
wie befonders feit Den: Jahre 1849 auf dem Gebiete des
blirgerlichen' Lebens theils Frevel, theile Umbefimnenheit,
revolstionärer Schwindel und die Yhantafterei Des flachen
Liberalisend eine nothwendige Reaction hersorriefen, und
wehrende Arngſtlichkeit und: Furcht vor jeder freien leben⸗
digeren Regung faft zur Pflicht ber Vorſicht und Umſicht
zu gehören ſchien, fo konnte nicht fehlen, daß man: allmäh⸗
lich auch anf dem Firchlichen Gebiete. lieber inne zu halten
und file zu fliehen, ale bie angefangene Bewegung fortzus
feßen für gut fand, &8 iſt nicht ber Ort und mir auch nicht
möglich, die einzelnen Momente der Reaction in Archlichen
Sachen, wie fie auf und aus einander gefolgt. find, darzu⸗
ftellen und zn beurtheilen. Genug, Die Erfcheinung ber
neuen preußifchen Liturgie und Agende war ber. Anfang und
das Signal einer neuen, zum Theil entgegengefeßten Rich⸗
tung, hemmend zugleich — wenigftens im nüchlten Erfolge —
ſowohl die Union, als die Verfaflung der Kirche. Weber
ben Inhalt, noch bie Form der neuen liturgiſchen Anords
nungen fonnte Schleiermacher nach den Grundfägen feiner
praftifchen Theologie gutheißen. Er wäre feinen inners
ſten Weſen untreu geworden, wenn er zugeftimmt hätte,
und es lag ſowohl in der Mächtigkeit feines Geiftes als
in der bisherigen Stellung, die er eingenommen hatte,
daß er an Die Spitze Der Oppofition trat. Seine pſeudony⸗
mifche Schrift über Das liturgifhe Recht evange⸗
lifherLandesherrn, ein theologiſches Beden«
fen von Pacificus Sincerus 1824 griff die ents
gegengefette Richtung in der Wurzel an, und regte ben in
der Zeit der Gleichgültigkeit unter den Theologen faſt ent»
fchlafenen und nur in den Schulen der Nechtögelehrteg
kümmerlich und geiſtlos fortgefchleppten Streit über bie
KRechtöprincipien in dem Berhältuiffe zwifchen Kirche und
SO . Lies
&taatfo fehr von nenem auf, baß feitbem arich anf Diefem
Gebiete unter Theologen und Suriften ein Tebhafterer Ber:
ehr: und. Kampf ber verfchiebenen Richtungen und Mei⸗
nungen entſtanden ift. — Scheinbar ift ber edle Held er-
Segen; Die enigegengefeßte Richtung ift in der Praxis herr
ſchend geworden. Aber daß fie Dieß ich möchte fagen nur
interimiftifch ift, und daß ihre Theorie halb. and Schred
über die confequente Ausführung in dei betreffenden Schrifs
ter: von Augufti und andern, halb im Gefühle der Macht
Der Wahrheit auf ber andern Seite fich immermehr mobis
figirt, nachläßt und nachgibt, bis vielleicht ein Punct ges
teoffen iſt, wo bie geredjte Mitte liegt, — dieß ift ein Werl
des Mannes, ber die Oppofition fo lange und ftandhaft
feftgehalten und geführt hat, bie von der andern Seite fo
viel nachgegeben war, Daß er ohne Verletzung ber Wahrheit
und der Liebe wenigftend den Waffenftilltand nicht Tänger
- glaubte aufhalten zu dürfen. Ich kenne bie einzelnen Mo⸗
mente der Verhandlungen über Die Agende feit dem Jahre
1827, wo ich mein Baterland verließ, zu wenig, um die
inneren Motive Schleiermacherg bei der bedingten Annahme
der. Agende beurtheilen zu können. Aber das weiß ich, daß
er nie etwas in Den großen Angelegenheiten Der Kirche ges
than hat.wider Wiffen und Gewiſſen, und baß er von dem
eitlen Hochmuth und Eigenfinn einer abfoluten Oppoſi⸗
tion eben fo weit entfernt war, als von der Erbärmlic-
keit, um: bes ‚äußeren Friedens und Gewinnes willen ir
gend etwas von ber Wahrheit und feiner Heberzeugung
‚aufzugeben. — So hat er zwar bas Höchſte, was er zum
Heile der Kirche aus reblichfter Heberzeugung wünfchte und
erfritt, nicht erreicht, — den tragifchen Schmerz; darüber
hat er nie verhehlt, — aber er hat durch fein Beifpief, feine
Schriften und feine Wirkſamkeit die Zeit auf: einen Punct
geführt, von wo aus fie, wenn Die deutfche evangeliſche
Kirche ihr Leben und Heilnicht verfennt, unter günftigeren
und ruhigeren Berhältniffen vollenden wird, was bie Macht
Grinnerungen an Dr. Br. Schleiermacder. 801
einer ‚ungänftigen ſtürmiſchen Lage der Welt bem edlen
Geifte Schleiermacherd nur anzufangen erlaubte, - Keine
große uud klare Idee ift je verloren gegangen oder nur eis -
Phantafiebild und ein frommer Wunſch geblieben, am wer
nigften folche, die aud den innerſten Bebürfniffen der Mens
ſchen und dem Weſen der Sache mit folcher Energie zum
Bewußtſeyn in Der Kirche gebracht find, wie Schleiermacher
gethan hat.
In den lebten Sahren feines Lebens fah ſich Schleiers
macher aunvermuthet mit zwei Männern in einen Streit
verwidelt, mit denen er lieber in Frieden geblieben wäre.
Die bevorſtehende Feier Des Subelfeftes der augsburgifchen
Confelfion gab den beiden auögezeichneten Thevlogen, von
Cölln und Schulz in Breslau, Beranlaffung, in Beziehung
anf einige beunruhigende Zeichen ber Zeit gemeinfchaftlich
eine offene Erklärung und vorläufige Bermahrung über theos
Iogifche Lehrfreiheit auf den evangel. Univerfitäten und
deren Beichränfung Durch fombol. Bücher, — herauszuge⸗
ben, für den Fall, daß man daran benfen follte, eine neue
Berpflichtung auf das augsburg. Befenntniß einzuführen.
Indem fie die augsburg. Eonfeffion für nicht mehr geeignet
erflärten, die Einheit und Gemeinfchaft des Glaubens und
der Lehre in der evangel. Kirche barzuftellen, wiefen fie anf
eine beffere Zukunft hin, wo es bei größerer Uebereinſtim⸗
mung und allgemeinerer Verbreitung richtiger Einfichten
möglich und rathfam ſeyn werbe, ein neues, gültigeres
Bekenntniß aufzuftellen. Schleiermacher, indem er fich mit
diefen Männern in der Behauptung der proteft. Tehrfegis ®
heit gegen jede Art von Befchränfung völlig eins wußte,
richtete an fie ein Sendfchreiben a), worin er theils bie
Furcht vor nenen Verpflichtungen auf die fombolifchen
Bücher für wenig gegründet erflärte, indem er das völlig
Unpraktiſche, Nutzloſe und eben: deßhalb auch Unwahr⸗
a) In ben Studien und Kritiken v. I. 1891 Heft 1.
Mm. Lade
fcheinliche foldger Berpflichtungen nachwies, theild felbk
gegen ben Wunfch proteflirte, daß irgendwann an bie
Stelle ber veralteten Betenntnißfchriften nene treten mödıs
ten. Betrachtet man dieß Sendfchreiben im. Zuſammen⸗
hange mit dem, was Schleiermacher fonft über das Weſen
ber proteſt. Symbole (in Dem Neformationdaimanadı v. J
1819) gefchrieben hatte, fo Tonnte man wohl an einigen
Spiten, die er nach feiner Art ſorglos hervorftechen ließ,
Auſtoß nehmen, aber unverkennbar war in Dem ganzen
Sendfchreiben herrfchend der Ton der Beruhigung, Be
fänftigung und Ermuthigung. Die verfänglichſte Stelle
aber tft die, wo er, ums zu zeigen, wie ganz und gar un-
thanlich es fey, etwa Durch orthodoxe Lehrformslare und
Liturgieen die Ausfcheibung oder Befchrung ber Rationali
ften zu bewirken, baranf aufmerffam macht, daß fich wohl
mancher auch bei abweichender Anſicht entichließen Tonne,
die vorgefchriebenen liturgifchen und andern Formeln aus
zunehmen und zu gebrauchen, — nämlich in feinem Sinne
und Beritande, ohne daß man im jebem Kalle unbebingt
fagen fönne, es fey dieß ein Mangel an Treu’ nad Glau⸗
ben, ober reservatio mentalis. && war vorauszuſehen, daß
diefe Aeußerung, obwohl fie im Zufammenhange des Gans
zen fich ſelbſt auslegte als eimc mehr wohlwollende, ent
Ichuldigende, als fittlich ſtrenge Beurtheilung eimer ganzen
Reihe von Füllen, weiche namentlich in ber liturgifchen
Hraris nicht felten vorfommen, vielfach mißverſtanden und
gemißdentet werden würde. Daß die evaugelifcge Kirchen:
° zeitung lieblod genug war, ihn deßhalb der Heuchelei uud
: Barheit, ja des Jeſuitismus zu zeihen, befrembete ihn nicht,
und wie er ſelbſt fagt, er überließ dieſe ſtillſchweigend ih⸗
rem erfreulichen Funde, aber daß jene beiden Männer aud)
nöthig fanden, ihn in ihrem zweifachen Autwortſchreiben
deßhalb zur Verantwortung zu ziehen, das thad ihm, weh.
Er hat nicht unterlaffen, ſich darüber und über einiged
andere, was man ihm als — — zwiſchen dem frü⸗
Erinnerungen an Dr. St. Schleiermacher. 803
‚beren und fpäteren Schleiermacher worwarf, in der Bor
rede zu feinen Predigten in Bezug auf Die
Feyer der Uebergabe der augsburg. Eonfefs
fion BBS1 zu verantworten. Man ſieht iym dabei ben
Schmerz an, ed gu müſſen. Sch will nicht alle Schuid an
dem Mißverſtändniſſe von ihm abwälzen; aber feine Ver⸗
antwortung iſt genügend für ben, der Schleiermacher als
einen eben fo entfchiedenen Feind alter Heuchelei und Zwei⸗
deutigkeit, als der Kuechtfchaft des Buchftabens kennt. Ich
kann nicht alle feine Aeußerungen über die gegenwär-
tige Bedeutung der Symbole gut heißen, aber ich theile
mit ihm bie frohe Ausſicht auf einen Zuſtand der Kirche,
wo die wahre Einheit und Gemeinfchaft der Lehre in voller
Freiheit vorhanden und lebendig ſeyn wird, In Beziehung
aber auf den eigentlichen Staudpunct kann ich nur zugeben,
daß er nicht vorfichtig genug die beiden Fälle, nämlich dem
des fchon Vorhanden⸗ und im Gebrauchſeyns fombolifcher
Bücher uud liturgifcher Formeln, und den der neuen Aufs
ftellung derfelben zu allgemeinem®ebrauche, fo wie die Mor
mente der Reformation und Revolution nicht genug unters
ſchieden nud nach ihrer Verſchiedenheit beurtheilt hat.
8 iſt mir unmöglid von Schleiermachers theologis
fchem Charakter und Verdienſte zu fprechen, ohne mir der
ganzen liebensmwürdigen und großartigen Perfünlichkeit des
Marmes dewußt zu werden. Sich lernte ferne Thenlogie
mit feiner Perfönlichleit zugleich kennen und lieben; bie
eine hat bie andere in ihm getragen nnd verklärt, and wie
mir, if ed gewiß mehreren gegangen, bie ihm näher ftans
den, daß einem die eine burch die andere verftänblich und
eb wurde, Wenn ich noch verſuche, aus Dem Bilde, mel
ches mir ven feiner Perſoͤnlichkeit geblieben tft, einige Haupte
güge darzuſtellen, fo weiß ich wohl, daß mir zu einem Por⸗
trait, wie es feiner wärbig wäre, die Kunſt fehlt, aber
804 Luͤckes
weder die Liebe noch die Wahrheit, um ben Eindruck trer
zu fchildern, den er in einem mehrjährigen näheren Ums
gange anf mich gemacht hat.
Sch fah ihn zum erften Male im Frühjahre 1816. Dan
Augenblick werde id; nie vergeffen. Ich hatte mic ihm
einige Monate vorher brieflich genähert, und war beſon⸗
ders auf feine Ermunterung nach Berlin gegangen, um
mich bei der theologifchen Facultät dafelbft zu habilitiren.
Wie ſein Brief mehr freundlichen Ernft, als herzliche Wärme
ausſprach, fo fand ich ihn auch bei ber erften münblichen
‚Begegnung. Die ſcheue ängftliche Ehrfurcht, womit ich zu
ihm gefommen war, wid; erft allmählid, einem andern Ge
fühle; ja fie wurbe anfangs Durch Die Bewunderung, welche
die unmittelbare Gegenwart feines gewaltigen Geiftes in
Blick und Nebe in mir erregte, nur vermehrt. Aber es
war gerade damals am wenigften meine Schuld, baß jene
Aengftlichkeit und Schen ſich in mir allmählich verlor, und
einer immer herzlicheren und vertraulicheren Verehrung
wich. Wer fich das Herz faßte, ihn zu fuchen, dem Fam er
fehr bald herzlich entgegen; und es war dann nicht bloß
die heitere und fcherzhafte Art des gefelligen Umganged,
wodurch er Die drüdende Macht feines Geiftes milderte,
fonbern ed war eben das liebevolle Gemüth, welches ein-
fach und natürlich ſich jedem öffnete, dem er Urfache hatte
Bertranen zu ſchenken. Er ließ es dann nicht mehr bIoß an
fich kommen, fondern Fam ermuthigend und vertraulich ent⸗
‚gegen, und zog an fich alles, was der Liebe zu ihm empfäng-
lich und bebürftig war. Sch kann der liebevollen Art, mit
der er mich immer näher an fich heranzog, mir immer grö⸗
Beres Vertrauen fchenkte, mich aufmunterte und tröftete, —
nie anders als mit der bankbarften Rührung gebenfen.
Seine Liebe war Feine weichliche Milde mit fletd offener
liebfofender Rede, fondern.ein ernftes, zufammengehaltenes
Feuer, welches das fremde Gemüth nicht bloß magnetiſch
ſauft durchzog, fondern. auch wie ein elektrifcyer Schlag
Erinnerungen an Dr. Fr. Schleirmader. 805
erfchütterte, —” aber auch fo für den Lebensträftigen im⸗
mer ein erfrifchender Reiz war.” — Wer ihn in Diefer Art
nicht verfiand und ertrug, der Eonnte fich leicht mitten in
der Annäherung abgeftoßen fühlen, und es ift Manchen fo
gegangen, die eine weichlichere Art von Freundſchaft ges
wohnt waren. Aber es ift volllommen wahr, was er in
den Monologen fagt: „Die find mir ficher, die wirklich
mich, mein inneres Wefen lieben wollen, und feft ums
fchlingt fie das Gemüth und wird fie nimmer laffen. Sie
haben mid; erfannt, fie fchauen den Geift und bie ihn eins
mal lieben, wie er ift, die müffen ihn immer treuer und
immer inniger lieben, je mehr er fich vor ihnen entwickelt
und immer fefter geftaltet. Diefer Habe bin ich fo gewiß
als meines Seyns; auch habe ich Feinen noch verloren, der
mir je in Liebe theuer ward.” — Ich bin nicht der. Eins
zige, ber feine Treue und Ausdauer in ber Freundſchaft zu
rühmen weiß. - Die ihm noch näher landen und länger
mit ihm verbunden waren, werden ihm noch färfes
red Zengniß geben, Daß er zu den treueiten Menfchen ges
hörte, und daß er fich auf die edle Kunft verftand, auch
unter Berftimmungen und Mißverhältniffen den Freund feſt
und warm au halten. — Es iſt eine gewöhnliche Rede, daß
mit ben Jahren die Kunft und Neigung zu neuen Freunds
fchaften abnimmt; bie frifche Sugend, fagt man, fey das
Alter, Zreundfchaft zu ftiften ; Die fpäteren fälteren mehr ifos
lirenden Jahre feyen Dazu um fo weniger geeignet, da Die. Als
tersgenoflen immer feltener werben. Schleiermacher blieb
auch in diefer Hinficht jung und frifch, er ifolirte fich nie,
Die Freunde der Jugend waren nur der Stamm des in
ihm nie erfterbenden Baumes ber Sreunbfchaft, der auch
in den fpäteften Sahren neue Zweige trieb. Er verftand
es, auch Die Ungleichheit ber Sahre und des Geiſtes durch bie
jugendliche Zrifche und Heiterkeit feiner Liebe aufzuheben.
Es Tann fremden- Ohren und denen, die nadı dem
Scheine richten, parador klingen, aber ed ja vollkommen
Theol. Stud. Jahrg. 1834.
‘
806 Side Sr.
. wahr, wen ich ſage, daß auf dem tirfiien Grunde feines
Geiſted, von Urſprung an und je länger je reiner und mils
der, Die Liebe mwaltete, und daß felbft die Schärfe feines
Beiftes, ber ſtechende Wit, bie bittere Rede, womit er
kämpfte und verwunbete, nie im Stande waren, dem fies
besgrund feines Herzens zu überwältigen. Ich kenne Ries
manben , der eine fo großartige Toleranz, ein fo umfaſ⸗
fendes Herz befaß, die verfchiedenften Stufen und Richtuns
gen bes Geiſtes liebevoll zu beurtheilen und zu tragen. Bei
aller Entichiedenheit und Geſchloſſenheit feiner Denkweiſe
wußte er doch überall das Gute in Andern neibiod und
harmlos anfzufinden und anzuerkennen. Ex war, ald ich in
Berlin mit ihm lebte, derjenige, der troß aller Verkennung
von allen am meiften bereit war, fo unter feinen kirchlichen
wie alabemifchen Amtsgenoſſen, wo er irgend etwas Tüch⸗
tiges fand, dieß liebevoll anzuertennen und zu preifen.
Und ich erinnere. mich mehr als einmal, daß er Jüngere
zurechtwies, wenn ihnen ein übermüshiges, intoleranites
Urtheilüber Andere entfiel. „Laßt mir, fpracher, den Mann
in Ehren, Der ift in feiner Art tichtig und verbienftooHl”
Er hatte nie Urfache, ſich vor. irgend einenn Gegner zu
fürchten. Er hat ed auch nie gethan. Es fehlte ihm nie an
Gegnern, und eben fo wenig an der Luſt zum Streite.
Mar er nur perfünlich angegriffen, ohne daß es zugleich
einer wichtigen Sache galt, die er vertrat, fo vertheibigte
er fih. nie. Er firafte burch Schweigen. Zu den gewähn⸗
lichen gelehrten Streitigleiten hatte- er weder Zeit noch
egoiftifche Neizbarkeit genug. Uber, wenn er bie Wahrs
heit, das Heil der Kirche, des Staates gefährdet fah, und
ben Feind für bebentend genug hielt, fo zögerte er nie;
ſchwächliche Toleranz war ihm dann eben fo fern, als Sches
nung feiner Zeit und Ruhe, In der Regel der erfte auf
bem Kampfplatze, griff er den Gegner mit aller Macht,
aller Kunſt und allem Rechte eines ehrlichen Krieges an.
Die Ironie, ben bittern Wiß hielt er im Streite fir erlaubt,
Erinnerungen an Dr. Pr. Shhleiermacher. 807
ja nothwendig. Er ſah nicht ein, warum er die ihm von
Natur verliehene Waffe nicht gebrauchen ſollte, und war
der Meinung, daß, wenn der Gegner mit Eigendünkel her⸗
vorgetreten war, nichts wirkfamer ſey, ihm das heilſame
Gefühl feiner Nichtigkeit aufzunöthigen, als die Geiſſel
des ſtechenden Witzes. Er hatte eine gewiſſe Freude am
Witze, einen Naturtrieb dazu. Aber er hielt mitten im
erheiternden Gebrauche dieſer Waffe ernſthaft und ſcharf
die Sache ſelbſt im Auge, die er zu vertheidigen hatte.
Er übte die Polemik als eine ſittliche Pflicht und Kunſt,
wozu er ſich durch die Natur ſeines Geiſtes und die Liebe
zur Sache innerlich bernfen fühlte. Hätte er Die Nothwen⸗
digkelt eines Streites erkannt, jo warf er fich mit. der gan⸗
zen Macht feiner Perfönlichkeit der des Gegners entgegen.
Das Perfönliche in feiner polemifchen Darftellung diente -
oft nur zur bramatifchen Belebung, weit mehr aber ift es
der ‚natürliche Ausdruck ſeiner herzlichen Theilnahme an der
Sache, von ber er aufs innigfte durchdrungen war. Seine
Art zu flreiten war weber ihm, noch Dem Gegner bequem. _
Er machte Ernft und ging bie aufs Blut. Er wußte vors
aus, daß er fi) üble Nachrede, Feindfchaft, Zorn, Rache
von bier und bort zuziehen würde; «8 that ihm dieß
Ieid, — aber um der Sache willen übernahm er Das bei
der gewöhnlichen Art der Menfchen Unvermeibliche gern. -
Seine Tapferkeit war in folchen Fällen größer, als feine
Klugheit. Wie Flug er auch war, bie Klugheit der Beque-
men unb Feigen hat er immer verfchmäht.
Es werden zu aller Zeit immer nur wenigefeyn, weldhe ı
fo viel arbeiten, wirken und fchaffen, wie Schleiermacher.
Die natürliche Schnelligkeit und Sicherheit feines Geiſtes
erflärt vie. Was er zum Druck fchrieb, war vorher fo
wohl überlegt und fertig, auch jn der Form, daß, ba er im⸗
mer zugleich Meifter der Rebe war, er nie auszuſtreichen
brauchte. Keine feiner Predigten, Feine feiner Vorleſungen
toftete ihm mehr, als Die Zeit einer gründlichen Meditation.
| ARE:
808 Luͤcke 8
Ein kleines Zettelchen genügte ihm ſelbſt in Vorlefungen,
wie die Gefchichte der Philofopbie. So fparte er in jeber
Arbeit durch feine Virtuoſitäten Zeit und Luft für neuen
geiſtigen Erwerb und neue Arbeit. Dabei war er ſehr haus⸗
hälterifch mit der Zeit, und hatte dadurch Zeit zu Allen,
was fein vielumfaffenber Beruf von ihm forderte. Sch
habe ihn wohl in den letzteren Sahren Hagen hören, daß
er nicht mehr alled zu Stande bringen könne, was er wolle
Aber gerade der Fleißigfte und Schaffendfte Flagt Darüber
am meiften, und die materielle Kraft, welche auch Dazu ges
hört, wächft nicht mit den Sahren. Scjleiermacher hatte
:überhaupt nur über ein geringes Sapital leiblicher Kräfte zu
"gebieten. Sein Körper war von Natur zart und ſchwach, —
wenigſtens in den Jahren, wo ich mit ihm lebte, — audı
kränklich. Aber wie beherrfchte er ihn, und wußte ihn: and
in franfen Zuftänden zu zwingen, feinem Geifte zu Dienen!
Arbeiten und Reifen, amtliche Thätigfeit und gefelliges
Leben, — fein Körper mußte zu allem ausreichen und ges
horchen. Auf Fußreifen war er immer voran, am Abend
der Spätefte zur Ruhe, am Morgen der Frühefte zur Reife.
Sch weiß, daß er yon Magenfrämpfen heimgefucht predigte
und Borlefungen hielt, und Niemand merkte ed. Ich habe
es öfter erlebt, Daß er bis fpät Abends in Gefellfchaft, Die
ihm nicht Leicht zu lang Danerte, ber Heiterfte, Belebtefte, —
am andern Morgen mit gleicher Frifche, oft fchon um 6 Uhr,
Borlefungen hielt, ober prebigte. — Diefe fokratifche
Herrfhaft und Gewalt des Geiftes über den Leib gehörte
zu feinem innerften Weſen, und fiherte ihm im Alter Die
frifche Sugend, mit der er „lächelnd ſchwinden fah der Aus
gen Kicht und keimen dad weiße Haar zwifchen ben blon⸗
den Locken,“ — mit ber er bis zum legten Athemzuge lebens
digen Antheil nahm, fo an ber ernften Arbeit wie an der
heitern Luft des Lebens. — Bon der wunderlichen Rebe,
die ſich Fürzlich hat hören laſſen ©), „Daß wer ihn in den brei
3) Außerordentt, Beilage zur allgem, Zeitung Nr. 77. 1834.
‘
Erinnerungen an Dr. Fr. Schleiermaher. 809
letztern Jahren feines Lebend zu beobachten ‚Gelegenheit
gehabt habe, eine oft in ihm hervorquellende Wehmuth
werbe bezeugen fünnen, ein linterkiegen, eine Unmacht,
gegen den Schmerz anzufämpfen, die Mitleid erregte,’ —
von diefer apokryphiſchen mitleidigen Rede verftche ich
nichts, „Ein häuslicher Unglücksfall, heißt eg, gab zu diefer
Stimmung bie.erfte Beranlaffung her, oder um mid) ridys
tiger auszudrücken, der Tod feines einzigen Sohnes riß die
Schleufen fort, welche die. ©efühle eines, vielleicht wußte
er felbfi nicht wie, gebrochenen Daſeyns noch zurückdämm⸗
ten. — Schleiernacher predigte ſeitdem mit einer rühren
den Freudigfeit, die Anlagen feiner meifterhaften Vorträge
blieben biefelben, aber Ton, Haltung, Die Auflöfung feiner
Dialektifchen Räthfel waren verändert. Man wollte e8 nicht
glauben, Fonnte fich aber jeden Sonntag davon überzeugen,
daß Schleiermacher bie Ranzel nie mehr ohne Thränen vers
ließ, "und wie die ungeſalzene, zuſammenhangsloſeRede noch
weiter geht und am Ende ſo toll wird, daß ſie einen Mann
darſtellt, der Aug' und Ohr geſchloſſen, und die Gemeinde
mit Thränen angeflehet habe, nichts zu thun, als zu reſig⸗
niren, „Aug' und Ohr zu ſchließen, und der am Ende mit
fchwärmerifcher. Zuverficht der unmittelbaren Erſcheinung
des Erlöfers immer näher getreten fen, bis er indes Gott⸗
menſchen Leibhaftigkeit, Perſoͤnlichkeit, in der ganzen Wirk⸗
lichkeit, wie ihn Thomas nach der Auferſtehung ſah, ſchwel⸗
gen konnte.“ — Welch' ein Unfinn! Was für einen unbe⸗
fannten,ja unmüglichen Schleiermacher hat Diefer wuns
derliche Träumer gefehen!. Der Tod feines einzigen hoffe
nungsvollen Sohnes erfchütterte fein. Gemüth aufs gewal⸗
tigſte. Wie follte er:nicht! Wer aber mitten im erften
Schmerze des Vaterherzens fich fo erheben, an das Grah
des heißgeliebten Sohnes treten und fo gefaßt, fo glänkig
ftarf reden konute, wie Schleiermacher, ber hat weder da⸗
mals noch nachher das Gefühl eines gebrochenen Daſeyns
haben Können. :. Scyleiermacher hatte von Ratar ein ſehr
810 Luͤcke's
tiefes gewaltiges Gefühl, aber eine eben fo ſtarke Macht
bes Geiſtes, es allezeit zu beherrſchen. Mit Thraͤuen im
Auge habe ich ihn lange vor dem Tode ſeines Sohnes die
Kanzel verlaſſen ſehen. Aber dieſe tieffte Aufregung feines
religiöfen Gefühls gab feiner Nebe nur die volle Wärme
ber Ueberzeugung, nie hat fie ihn gehindert, klar und Teäfs
tig zu denten und zu reden. ch habe ihn nach dem Tode
feines geliebten Sohnes zu zwei verfchiebenen Malen ge
fehen, aber beide Male dieſelbe chriſtliche ccopeoovvꝝ in
ihm gefunden, womit er in früheren Jahren fo ben körper
- lichen, wie den geiftigen Schmerz. zu heherrfchen, und feis
ı
nem Gefühle das rechte Maß anzumeifen wußte.
Schleiermacher hat mit den größten und ebelften Maͤn⸗
nern gemein, daß auch fein Tod etwas Belebendes hat.
Er iſt der Abglanz, ja Die ASCHNznnN, feines Lebens ger
worden. .
Daß, aid Die Kunde feines Todes erfchetl, nicht. nur in
Berlin, ſoudern in ganz Dentfchland, fa foweit der deutſche
Name reicht, alles erſchrack und klagte über dent großen,
unerfeßlichen Berlaft, daß Freunde und Schüler, Verehrer,
Gegner, Fremde, feine Gemeinde in der Kirche und auf
der Hochſchule, die ganze Stadt, in der er gelebthatte, der
Hof und das Volk wetteiferten, fein Leichenbegänguiß glän,
zend zu verherrlichen, — daß ilt gewiß: fein bloß äußeres
Zeugniß feines großen Namens. Es iſt viel und fchön,
aber es iſt nicht, was ich meine. Sch meine bie innere Ges
ſchichte feines Todes. Ich habe gelefen, was die, welche
ihm im Leben am nächften fand, und ibn während feiner
legten Tage keinen Augenblick verkisß, mis liebevoller Auf-
merkiamteit beobachtet unb für vertrautere Freunde nie
bergefchrieben hat. Was daraus auch für weitere Kreife
gehört, ift mir erlaubt mitzutheilen.„Seine Stimmung
war während ber ganzen Krankheit Hare milde Ruhe,
Erinnerungen an Dr. Se. Schleiermacher. 814
nünckiicher Ochorfam gegen jede Anordnung; mie ein Laut
der Aage ober -Linzufriedenheit, immer gleich freundlich,
geduldig, wenn gleich. ernſt und nach innen gegogen.’’. „AS
er eines Tages. durch Opium in Schlummer gebracht, dar⸗
ans erwachte, rief er die geliebte Gattin an fein Bett und
fagte: Sch ‚bin body eigentlich in einem Zuftaube, der zwi⸗
{chen Bewußtſeyn und: Bewußtloſigkeit ſchwankt, aber in
meinem Innern verlehe ich Die ſchͤnſten Augenblicke, ich
mug immer iu der tiefſten Speenlationen ſeyn, Die aber mit
den: ianigſten religiüfen- Empfindungen eins find.”
Ich finde hierin zime fchöne Verklärung feines Lebens.
Der Mann, der fein ganzes Lebenchindurch nach der hör
heran Einheit bes Religisfen und Speculatisen gerungen
hatte, aber befcheiden und vorſichtig ſie nicht als Anfang, '
ſondern als Ziel feines Denkens. betrachtete, — empfängt
ſte als Roha und: Weifung in Das: himmliche Neich in dem,
Angenblidar, wo. er äußere Menfch erſtirbt, Damit Dex
- innere frei und u samt Sollgenuft bed ewigen keben⸗
re —
PDie letzten Tage unb’Stunben waren von ve Reli
— ‚burdbrungen. und: verklärt. Selbſt feine Träume
waren Reflexe seines religiöſen Lebens und Wirkens. „Ich
habe fo ſchön geträumt, ſagte er.eiumal, und ber Traum
hat mir eine ganz eigene wohlthuende Stimmung. zurüd⸗
gelaſſen. Ich war in einer ſehr großen Berfaunmlung,; viele
Bekenute und Unbelaunte,. alle ſahen auf mich und woll⸗
tenirligiäfed von mir willen, ed war wie eine Belehrung;
und’ ich gab fe. ſo gerne,” — Dev Kinder, der Freunde
Sichdeid, : gebentenb und je wäher bem großen Augen
bite. deſto verſenkter Im: Der. Liebe, als der innerfien
Quelle feines. Weſens, ſprach er:.. „Ben Kinbern
hinter laſſerich Den johanneifchen Spruch : Liebet. Euch uns
ter. einander! And ich trage Dir auf, ſagte er zu feiner
Gattin, alle meine Freunde zu grüßen und — zu ſegen
wie‘ in u =. end: a ” |
LS
6 :: 2° Schweißer
Naturreligion genannt hat ald. Regation aller Offenbarung,
das hat freilich noch’ nie eine pofitive, d. h. fich als bes
ſtimmt geſtaltete, als lebendige und in ber Ausbreitung
ſetzende Religion werben ‚wollen und auch nicht Tännen,
fondern bringt es, wenn fie nicht in abſtracter Allgemein
heit ‚verbleibt, höchſtens zu einer Schule, weil fie flatt
Kreömmigtat:zu fegn, ſich nothwendig hinfberftellt ind de
biet des. philoſophiſchen Strebens oder des Wiſſens. Eine
ſolche Bernunftreligien, die nicht Offenbarung ſeyn will,
iſt geradezu ein innerer Widerfpruch, ein Unbing; denn
nicht Offenbarung feyn wollen, ‚heißt fich nicht als Afſicirt⸗
feyn des Selbſtbewußtſeyns vom Abfoluten wiffen und das
heißt weiterhin nicht Religion ſeyn, fonbern entweder gar
nichts, oder daun Philofophie. So würde alfo Teine Ra
turreligion, Die den Begriff. ver Offenbarung anschließt,
fpeculativ entftehen, fondern was man fo bezeichnen könnte,
wäre ’gleic dem: Naturrecht im verglichenen Gebiete nur
entſtunden als kritiſches Zuſammenfaſſen deſſen, was fi
in allen wirklich gewordenen, d. h. poſitiven Religionen
Gemeinſames fände); Die wirkliche Frömmigkeit hinge⸗
gew;ıwie ſie je beffer ſie iſt, deſto mehr poſitiv wird, hat
immer das Gefühl des Offenbartſeyns in ſich.
Z.Der Begriff ber Offenbarung hat zunächſt eine nega⸗
tive Bedeutung, indem er leugnet, daß die Religion des
Stifteks begriffen werden könne, als aus dem ihm vorher⸗
gehenden and gleichzeitigen Geſammtleben in ihn überge⸗
gangen; dann eine affirmative, indem er beſagt, ber Stif⸗
ter wiſſe feine Religion: in ſich als eine That bes Abſolu⸗
ten auf.fein Selbfibewußtfeyn, . nicht .aber. als feine eigne
That, d. h. als Erfindung oder auch nur b) Entdedung,
denn das iſt recht ſehr das Weſen eines abſoluten Affteirt-
ſeyns ſich als pafſiv zu fuͤhlen und was darin vorgeht an⸗
a) Bergl. Schleierm. Gi. 2,11. pag. 67 und Darſt. des theol.
>, Stab, 2tre Aufl. g. 43 Über die Religionsphiloſophie.
b) Vergl. Schleier m. Ch. GI, Sehre I. pag. 69.
—XR
über bie Dignitaͤt des Religionsſtifters. 817
zuſehen als ein gar nicht zufälliges, alſo auch nicht: als
Entdeckung zu bezeichnendes Thun des Abſoluten auf das
pafſſiv oder empfänglich ſich verhaltende Selbſtbewußt⸗
feyn a). Den verwirrenden, unredlichen Ausdruck einer
mittelbaren Offenbarung überlaſſen wir gänzlich ſei⸗
nem Nichts, da Offenbarung im religiöſen Gebiete gerade
ein urſprüngliches, unvermitteltes Thun bes Abſoluten
auf das menſchliche Selbſtbewußtſeyn bezeichnen ſoll, von
welchem aus dann erſt auch die Welt als Offenbarung
Gottes erkannt wird. Jene negative wie dieſe poſitive
Kraft unſeres Begriffes ſind eins und daſſelbe, nur nach
andern Seiten hin. Und ſo treffen wir denn in dem Be⸗
griffe der Offenbarung hier zuſammen mit jenem urſprüngz⸗
lichen Werden ber fpecififchen Dignität des Stifters, und
beides if eins:und baffelbe, ald Werben fchon ung unbes
greiflich. Dieſes Geheimniß ift nichts andres als das Wer⸗
den ber Individualität, Die nie völlig aus der Individua⸗
lität der Eltern erflärlich ift, fondern,.wie man aud)
rechne, kömmt immer ein, noch nie fo Dagewefener Factor
dazu, den wir nicht kennen und ald urfprünglichen Act
' Gotted anſehen mäffen, auf welchem beruht, baß bie
Menfchheit fortfchreiten Tann, während fie nothwendig
ftilfe ftehen.müßte, wenn nicht jeber Geborene etwas noch
nicht fo Dageweſenes mitbrächte. Anerkennen müflen wir,
Daß der Stifter in feinem Geborenwerden eine Individua⸗
lität, wenn auch nur als noch unentwidelte Anlage, erhals
ten hat, die wir fo.wenig als unfre eigne ober irgend eine
andre im Entſtehen begreifen Fönnen, und Daß jenes gerade
diejenige Individualität war, in welcher die Kräftigleit des
Gottesbewußtſeyns fich als zeitlich ftetig und räumlich alls
a) So fagt Hegel in feinen Vorlefung. Über Phil, der Rel. I. 25,
Die Religion ift ein Erzeugniß des göttl. Geiftes, nicht Erfins
dung des Menſchen, Tondern bes göttlihen Wirkens in ihm, Und
II. pag. 151. Das enblide Bewußtfeyn weiß Sott nur infofern,
als Gott fi in ihm weiß,
?
818 Schweiger.
durchdringend entwideln follte, daher der Stifter, nie der
Erisfung bebürftig, alle Andern zu erlöfen befähigt it;
oder wie Schleiermacher in der befaunten Prebigt fagt,
daß Jeſus ald der Sohn Gottes geboren fey. So ift bie
wahre Offinbarung nichts Borkbergehendes, Unterbrocdes
nes, Bereinzeltes wie in den Propheten des alten Teftas
ments, folglich nicht Mittheilung in Form der Rebe ober
bed Denkens, fondern eine durchs ganze Leben fortdans
ernbe. Dieß ifb zugleich die höchfte Bernunftreligiem,
infofern fie getragen und aufgenommen wird von demjeni⸗
gen, was man gewöhnlich Vernunft nennt; und zugleich
die wahre pofitive, indem fie, einmal nach Außen
manifeftist, die Kraft hat, allgemein zu werden. Alle dieſe
Berhältniffe finden fi im Chriftenthbume, nur flatt in
wiffenfchaftlicher Sprache, mehr in bilblicher, in Borftellung
und fubjectiver Anfchauung. Chriftus weiß feine Religion
als Die ihm geoffenbarte und zwar nicht ‚geoffenbart in
einzelnen Stunden, fonbern ftetig und lebendig in ihm fih
entwidelnd und Bund thuend. Den Act Gottes, vermöge
deſſen bie fpecififche Dignität in Sefum eintrat zugleich mit
feinem Menfchwerben, drüdtdie Erzählung einer Empfängs-
niß vom heil. Geifte aus «), fo wie das Ineinander der
fpeeififchen und graduellen Dignität in dem Dogma vom
Sottmenfchen ausgefprochen if. Die’ ftetige Wirkung
Gottes auf fein Selbſtbewußtſeyn und in demfelben, it bas
Seyn Gottes in ihm.
Sufofern alfo aller Religion, fowie fie in ber Vernunft
irgendwie lebendig ift, wefentlich fepn muß, fich fund zu
thun und verwandte Gemüther anzuziehen, iſt fie ihrem
Weſen nad} eine pofitive. Durch ihr Sichfeftftellen in eis
nem Gefammtleben wird ihr allerdings eine Beltimmtheit
aufgedrückt, Die zu unterfcheiden iſt von ihrem urfpränglichen
a) Obwohl auf unzureichende Weife, vergl. Sqhleierm. ®laubenst.
IL, Pag. 73,
über die Dignität, des Keligionsſtifters. 819
Individuellſeyn im Stifter, and abhängig it von der Eigen
thümlichkeit derjenigen Region des getheilten Seyas, in
welcher fie zunächft auftritt a. Es ift alfo ein inneres. Indi⸗
viduellſeyn ber Religion zu anterfcheiben von einem äußern;
während jenes unveränßerlich ift, ift dieſes veränderlich
und vergänglich, während jenes zum Weſen ber Frömmig⸗
keit gehört, verhält fich biefes indifferene zu ihr, wie im
eriten Theile gezeigt il. Daß aber ber wahren Religion
ſich immer ein folches äußerliched Gewand anſchmiegt, bier
fo , dort anders, ohne fie jedoch verändern zu können, ift
gerabe ein Beweis für ihre Allgemeinheit; denn ur ſo iſt
Das Gottesbewußtſeyn, obgleich es immer nur ift als zus
fammen mit zeitlichen Lebensmomenten, dennoch nicht ges
bunden an getheilte Seyn, fondern fieht über dieſem unb
weiß ſich mit allen Regionen defielben zu verbinden, d. h.
in alle Zonen, Länder, Volkseigenthümlichkeiten einzuges
ben nund jedesmal diejenigen Formen, dasjenige äußerlich
Poſitive anzunehmen, welches diefer Region natürlich ift.
Zu dieſem Beränderlichen aber gehört nicht nur das allges
meine Gottesbewußtſeyn, wenn es als bloß folches je in
einem Menfchen ſeyn könnte, nicht, ſondern ebenfowenig
bie eigenthümliche Beltimmtheit, bie. es im Stifter hat,
d. h. Das urfpränglicd; Pofitive Diefer Begriff des äußer⸗
lich Poſitiven iſt, als fi) zur Frömmigkeit inbifferent vers
haltend, wohl aufzufaffen; denn nur er befähigt bie allges -
meine Religion Ein Organismus zu werden unter den
Menfhen. Sol fie namlich wirklich allgemeine Verbrei⸗
tung finden, fo würde fie ohne jene Fähigkeit zu vielfachen
Formen, entweder an bie zuerft angenommene gebunden
feyn und baburch erflarren, woburd; bad der Froͤmmigkeit
a) Hegel in dem citirten Vorworte: „Won ber ewigen Erſcheinung
aber, die dem Wefen der Wahrheit inhärirt, muß bie Geite des
momentanen, oͤrtlichen, äußerlidhen Beiweſens wohl unterſchieden
werben, um nicht bas Gleichguitige mit dem Subſtanziellen zu
verwechfeln.” .
820 ESchweitzer
ſo weſentliche Individnelle des höhern Geiſteslebens er⸗
ſtickt würde, was der katholiſchen Kirche faſt begegnet iſt;
oder ſie könnte eigentlich gar keinen Organismus haben,
ſondern ohne eine Gemeinſchaft hervorzubringen, nur ver⸗
ſchwimmen über alle einzelnen Menſchen hin, was einem
Proteftantismud, der bloß ben Katholicismus negiren
‚wollte, begegnen müßte: .
Zwifchen: diefen beiden Klippen für die Organifation
der Kirche ift nur durchzukommen, wenn beſtimmt gemeßne
Organismen bazwifchen treten, Damit weber bie flarre Eins
zigkeit Einer beflimmten Form das individuelle Leben ers
töbte, noch ein bloß religiöfes Leben von Individuen, bie
in unbeflimmt verfchwimmender, d. h. in eigentlich Feiner
geficherten Gemeinfchaft wären, die Einheit und Organi⸗
fation gefährde. Weil aber im Wefen der Frömmigkeit feis
nerlei Maß oder Befchräntung fich findet, alfo auch fein
Theilungsgrund, fo kann biefer nur aus dem getheilten
Seyn hergenommen werben, in welches jene eintritt. Das
fehen wir nun auf zweifache Weiſe ſich bilden, indem ent-
weber daB Ganze einer Spracheinheit, eines Volles und
Staates der Religion zugleich bas Maß eines Organis⸗
mus wird, was ben Begriff der Land eskirche conflis
tuiet, deſſen gänzliche Verfchiedenheit von dem der Staates
religion, wie wir ihn.oben fanden, von felbft einleuchtet,
da in dieſer das Religiöfe und Politifche urfprünglich vers
ſchmolzen find, in jener hingegen nur die urſprünglich ſelbſt⸗
ftändige Frömmigkeit ſich innerhalb einer Volkeseinheit
äußerlich organifirt; oder es bilden fich religiöſe Organis⸗
men um einen, freilich Dem Stifter untergeordneten, Doch
. in feinen Umgebungen im Sinne bes Stifters Dominirenden
Träger diefer allgemeinen Religion, was die Gefdjichte
und aufzeigt als verfchiebene Kirchenparteien &).
8) Vergl. Schleierm. Neben Über die Relig., Ate Aufl, pag. 183
mit der dazu gehörigen Erläuterung 7, unb Pag. 206 mit der Gr:
Iäuterung 28.
über die Dignität bes-Religionsfliftere. 821
Jene Landeskirchen nun find offenbar Organifationen, Die
dem Jutereſſe und Wefen der Frömmigkeit ferner liegen,
als die Kirchenparteien, dieſe hingegen entftehen zwar
aus einer individuellen Erneuerung bes urfprünglichen
Impulſes, fegen aber immer durch ihr Enffichen einen
Verfall voraus im Leben der Religion, ohne melden es
nicht möglidd wäre, baß Einzelne mitten in einem. Ges
fanmtieben, in welches diefe Religion doch fchon einge⸗
drungen war, lebendige Organismen um. fich herum ers
neuerten. Dennoch kann in diefen leßtern die Frömmig⸗
keit ſich ſelbſtſtändiger organifiren, als in jenen erftern,
die Diefelbe in das ihr fremde Maß einer Volkseinheit
hineinziehen und ihe leicht dadurch Feffeln bereiten von
Geite bed Staates, der die Gewalt hat. Die Kirchents
partei nämlic, erhält die Religion unabhängiger, indem
es hier nur zufällig wäre, wenn fie mit dem Umfang eines
Staates in ihrer Ausbreitung zufammenträfe, Rur freilid,
fo lange diefe Organismen wirkliche Kicchenparteien
find, iſt etwas Eorruptes, Einfeitiges inihnen, wie ja unmög⸗
lich ans einem Zuftaude des Berfalld ein Beſſeres durch plötz⸗
liche Aufraffung fich erheben kann, ohne in gewiſſe, dem Als
ten entgegengefegte, Einſeitigkeiten zu verfallen ; benn bag
diefes bei Chriſtus felbft nicht ber Fall war und nie. nachgewie⸗
fen werben kann, ift gerade ein nicht zu überfehender Bes
weis für feine unfünbliche und irrthumslofe Digaität.
Er fliftete fein Reich mitten in einem fo verfuntenen. Ges
fanmtleben, daß Andere daraus die Berechtigung zu
gewaltfanten Revolutionen abgeleitet. hätten, und befchämt
jenen ſogar von der Ethik oft aufgeftellten Sag, daß aus uns
fittlichem Zuftande Fein rein fittlicher Ausweg möglich fey.
Jenes :Einfeitige gibt den Begriff der Partei und ift nur
möglich, wo innerer Religiondgehalt mit hineingezogen wird
in die Beränderlichkeit des äußerlich Poſitivei. Die nas
türliche Reibung des fo entflaubenen- Gegenſatzes wird
aber allmählich zur Ausgleichung führen, und Ne Zeit kom⸗
Theol. Stud. Jahrg. 1834.
7 > >17 20
men muſſen⸗ wo chriſtliche Kirchen als verſchiedene Orga⸗
niswen nicht nur friedlich neben einander. beſtehen, was
man in dem ſo beliebten Begriffe der Tolerauz lange für
das Höchſte der. Humanität erreichbare gehalten hat, da
er doch bloß auf negativer Behandlung Anderer beruht 3),
fonbern einander wollend und fürbeend unter fich ins Ber
haltniß moralifcher Perfonen treten, und dadurch zufaw
men, obgleich. jede ein engerer Organismus iſt, ben gro:
Ben, Einen Organismus bes Gottesreiches bilden werben
der nur möglich ift Durch ſolche Zwifchenorganifationen,
welche erft dann ihre, Wahrheit erreichen, wenn: fie fid
als nothwendige Elemente des no. Organismus
erkennen ). — .
Sp wird die Religion, wie ſe von. ihrem ſpecifiſch
‚unterfchiebnen Stifter her fich ausbreitet, die wahrhaft
pofitige feyn, d. h. Einen Organismus fich anbilden,
der aber, fo lange bie. Differenzen. der Volkseigenthüm⸗
lichfeiten: beftehen, nur als durch untergeosrbuete Orga⸗
nismen bewirkt realifiet.wirb; fo tft auch erflärlich von
mehr äußrer Seite her, wie Yon Einem Individuum and
fih Ein. alles, Menfchlide umfaſſendes Reich :geftalten
Bönne, und wir begreifen nun auch äußerlich das Weſen
und GSichgeftalten der — die Re ‚Eines bie
) Vergl. meine Kritik des Ban von Mat, u. Gupranäf. e 8e.
— Landbeskirchen und Kirchenparteien ſind noch vermiſcht und. unges
ſondert, meiſtens überwiegen jene. So iſt ja, die reform, Kirche
ale, Eine nirgends Äußerlich zu finden, als zum heil in ben
"Symbolen ; felbft von ben ſchweizeriſchen Kantons bat jeder feine
Landeskirche, und fo fehr man in andern Dingen, ja felbft in
katholiſch kirchlichen jet nach Einer Organiſalion ſtrebt, fo we
nis regt ſich dieſes im reformirt Kirchtichen, das doch nur Kraft
gewönne durchs Anſtreben Einer ſchweizeriſch⸗ ref. Kirche, Ei⸗
ner. Geiſtlichkeit, während bis jetzt ber Geiftliche eines Kantons
im andern, mit wenigen "Ausnahmen , als folder Leinen Zutritt
hat, er laſſe ft} denn, wie ein anderer Studirenber, erſt erami:
niren und in die Kantons geiſtlichkeit aufnehmen.
nwe
w
über die Dignität des Weligionsftiftere. 823
gunze Menfchheit umfaffen. follenden Orgamiemus, ohne
welchen die Ethik ihre Darftellung des höchften Gutes gar
nicht geben kann. Gebe Trennung aber der Religion it
pofltive und vernünftige oder natürliche iſt etwas bloß Abs
ſtraetes, undenkbar im Leben der Froͤmmigkeit ſelbſt; denn
fie wüßte von der Unmöglichkeit ausgehen, das Indivi⸗
Duelle und Identiſche abfolut amdeinamber zu halten.
Berhältniß der Spontaneität und Receptir
vität im religiöfen Sefammtleben.
Die -Dignität des Stifters ift nicht vollflänbig erfaßt,
wenn nicht ansgemiittelt würbe,. was denn feinen Angezo⸗
genen für eine Dignität übrig: bleibe. . Alles dreht ſich
bier um die Hauptfrage, ob die Gläubigen bIoß aufs
nehmend feyen oder auch irgendwie religiss
felbfthäsig, und in welchem Verhüältniſſe dieſes Bei⸗
bed. unter ſich ſtehez wobei. dann nothwendig auch. das ſei⸗
ne Erledigung finden muß, ob der Stifter ſelbſt nicht
* irgendwie receptiv zu.benten feh. . - .-
Dieß iſt der Gegenſatz Yon Epomtäneität- un Re⸗
—*8* int. Gebiete der Religion: Er ſetzt nothwendig
ein@efammmtleben voraus, da ſich offenbar ein Menſch
nur zeceptiv verhalten kann, wenn von Andern ihm et⸗
was gegeben wird, bie in dieſem Act bie. Sporntaneitüt
üben. Ja ſchon die Frömmigkeit ſelbſt fordert ein Geſammt⸗
leben, weil ihr wefetitlich iſt, Geſammteigenthum werden
zu wollen. "Da nun biefts nicht wirb wie der Geſammt⸗
ſchatz der Wiſſenſchaft, nämtich als zin.gemeinfam Bewirks
tes, nicht als ein Zafammentragen der Reſultate, bie
jeder. Theilhabenbe gefunden hat, ſondern als von Ei⸗
nem Stifter aus ſich verbreitend; fo könnte ed ſchei⸗
nen, feine Anhänger verhielten fich bei biefem Proceſſe
ganz paſſiv, er allein fey ——— a), — müßte der
a) Hegel in feinen — über DR. : ———— ſagt:
5 *
BA: Bhmelhkei.., ı 2 52.
Kal fepn, wenn unfer Gegenſatz ein abfoluter wäre, d. h.
jedes lied bas “andere ganz und gar ausſchlöſſe. Bor
dieſem Irrthume bewahrt.und fchen, was wie bei’ ber gras
duellen Dignität des Stifters gefunden haben. Iſt unier
Gegenfaß alfo, wie Überhaupt jeder. Gegenfas im wirflis
chen getheilten Seyn ein relativer, fo: muß er in einem his
hern Begriffe können aufgehoben. werben und eine: höhere
Einheit nachweislich feyn. Den Zuftand des Aufnehmens
nun können wir unmöglich Ruhe nennen, fündern ba er
Diefe gerade verneint, fo muß er eine Thätigkeit oder
Bewegung ſeyn, und ift in Diefem Begriffe mit der Spyn⸗
taneität eins. Wir gebem alfo ünferm Gegenfage deu bes
flimmtern Namen von felbitthätiger and aufneh
mender Bernunftthätigfeit, bie zufammen ben
ganzen Lebensverlauf der menfrhlichen. Vernunft ausma⸗
chen und bie Semeinfchaftlichleit des gefelligen Lebens bes
dingen und fordern, Denken wir einen Menfchen abfolnt
unthätig, fo ifter auch außerhalb des geſelligen Verkehrs und
für diefen wie für fich eigentlich garınidtä, ein bloßer
unct, in welchem ſich nichts firirt, durch welchen viel
mehr Altes bloß, hindurchgeht, gleichfam zum einen Ohre
hinein und. zum andern wieder hinaus, Ein: Geſanmtle⸗
ben.befteht alfo. unter den Menfchen nur, infofern Bis Ber;
nunft ald Spontaneität und Receptivität thätigik. Sol
Ien aber Diefe beiderlei Richtungen.nicht abfolut aus einans
der feyn, fonbern wirklich eine Gemeinfchaftlichfeit: bilden,
fo müflen fie ald zufammentreffend, ja irgendwie als Eine
Richtung, ald Identität erkannt werben. Denn. befindet
ſich einer ‚gar nicht: in einer beſtimmten Richtung, hat kei⸗
nen Sinn, keinen Keim von Lehen für etwas, fo kann ein
Andrer, der darin thätig ift,. nicht auf ihn wirden, ihm
„Wäre das Erkennen der Religion nur hiſtoriſch, fo müßten wir
ſolche Theologen nur wie SomtoirsBebienten eines Handelshaufes
anfehen, bie nur über fremden Reihthum Buch und Rech⸗
nung fähren, ohne eigenes Vermögen zu befommen.” -
über bie Dignitkt. des. Religionsftifters. 825
nichtö geben, die Receptivitaͤt kann nicht da feyn. Folglich
find zwei Menſchen nur dann Fähig, mit einander in dad
Berhältniß:von Neceptivität und. Spontaneität zu treten;
wenn fie, ob andy der eine ſtärker, der andere ſchwächer;
in Einer Richtung fich: befinden. - Unter Selbſtthätigkeit
kann hier unmöglich; die eines Menfchen.fite‘fich gemeint
fegn, ſondern der gunz andere Begriff,. welchem weſent⸗
lich it, der Nuceptioität gegenüber zu feyn.. Bin ich. res
ceptio, fo:fetst:diefes einen Andern als felbftthätig, als mir
gebend, was ich aufnehme; nur in diefem beftimmten Ges
ben Tann die Spontaneität liegen, von der in unferm Ges
genfaße die Nede iſt. Er drückt alfo ein. Wechfelverhälts
ni, eine Wechſelwirkung aus, in dieſem Begriff aber ift
die höhere Ideutität immer. ſchon vorausgeſetzt. Ehe wir
noch in den Unterſchied identiſcher und individueller Thä⸗
tigkeiten "eintreten, denken wir Zwei, die im Verhältniß
unſers Gegenſatzes zu einander ſtehen, als auf Einer Rich⸗
tung vvrwartsgehend; der weiter gelangt iſt, dominirt den
Andern, jener iſt felbfithätig, diefer. aufnehmenb. ' So weit
einer in einem-Kebensgebiete dominirt, ift er ſelbſtthätig,
die Andern receptiv, vorausgeſetzt die Gemeinfchaft Aller
in Diefer Richtung. Nur ſo ift:der Einfluß der Menfchen
auf einander zubegreifen ; denn wer auch nicht ein Klein»
ſtes hat von Richtung. anf ein gewiffes Gebiet, dem kann
Niemand etwas beibringen, er ift hier abſolut Null 3.8.
vie muſikaliſche Kunſt wird nur in einem Geſammileben;
wer Die muſikaliſche Richtung gar nicht hat, der nimmt
auch keine folhe Kunftdarftelung in ſich auf. Iſt ein
Auffaffen. da, fo ift ſchon die Richtung: vorhanden gewe⸗
fen, das Wohlgefallen am Gehörten ift eine Steigerung
derſelben, bus bei fich. Firiren und Wiederholen iſt noch
mehr, und ſo kann es endlich zur wirklichen Selbfithätige
keit kommen, die von Andern nufgefaßt wird. Unfer Ges
genſatz bildet daher Eine Linie ober Richtung, vom Kleis
nen anfangend, fich ſteigernd, endlich Durch den Nullpunct
828 oenmsase Schweitzer
ober: Wendepuncet gehend, yon wo an bie Recepkioität mım
Spontaueität wird, — : Wenn wir das Gefagte nun auf
das Werden ber Kirche anwenden, fo trifft ber Gegenfat
in feiner ſtärlſten Spannung zufammen mit den Berhälmiße
des. Stifterd gu feine Glänbigen; dieſe find aufnehmend,
jener:in Beziehung auf-fle felbftthättg: Auch hier iſt ber
Gegenſatz Fein abfoliiter, "weil wir ja jedes feiner. -BLieber
nur finden ald in-Beziehung auf das-anbere, und einer;
ſeits die Glaubenden als folche zwar. weceptin: ſich verbal;
ten zum Stifter, in Beziehung auf Schwächere aber doch auch
felbftthätig, ſobald fie nur das vom ‚Stifter Meberfommene
irgendwie eigenthämlich, alſo lebendig, faffen, ausbilden
und darſtellen; anderfeitd aber. der. Stifter felbft, obgleich
alle Andern felbftthätig dominivend,, ‚nicht einmal deu
Schein haben will, als hätte: et feine’ Religion. ans ſich
hervor gefchaffen, fonderu: nothwendig und nicht hloß
aus Willkür, Betrug oder Benbleudung feine Meligien
weiß als ein Geſchenk zwar gar: nicht. vom Gefammileben,
oder fonft. vom getheilten Soyn, fonbern; von: Gatt, fo
Daß wir nur im entjchiebeniten Miderſpruche mit ihm setkß
| ihn abſolut fetbfithätig nennen fönnten: :.. ... . 7.
+ Berfolgen wir zuerſt dieſes Sichberufan "De@ Stifter
auf ein Ueberkommenhaben ven Gatt und: bau. erft: Das
Berbältniß, ſeiner Anhänger, inſofern ge auch felufithätig
find, Jenes trafen wir ſchon aben e) als ben: Pegriff der
. Dffenbarung, welcher negatin-befagt; den Stifter habe
feine Religion nicht vom getbeilten Seyn, alſo auch nicht
vom Geſammtleben und andern Menfchen keys: poſitiv
aber, ex. habe ſie als von Gott ihm unmittelbar mitgetheilt.
Dieſes letztere nun bedarf am meiſten einer: Erörterung,
da es zu allem bisher üher unfern, Gegenſatz Behaupteten
nicht. zu paſſen fcheinty indem wir eine, das Geſanmitleben
an zn er ‚genanate.. Shatigkeic
"nf 171 30%
a Re are ——— = u * if. ö [7 nt
über die Dignitat des Seligionsſtifters. 827
’ bie vann Doch ein Aufgenommenes, Ueberkommenes ſeyn
nuad haben will, noch nicht gefumben haben. Dennoch
wird es mit unſern Sen im Einklange ſtehen und fie be⸗
ſtätigen, Tobald wir numlich dedenken, Daß dieſes unmit⸗
telbar von Gott Aufnehmen in ber Linie unfrer von Res
ceptisität zu Spuntaneität fich fleigernden Thaͤtigkeit ben
höchſt möglichen Gipfel bezeichnen muß, indem eim der
göttlichen. Mittheilung.Empfänglidyer doch nur berjenige
foyn kann, welcher zugleich nuter Allen: die höchſte Selbſt⸗
thätigkeit in: dieſer Beziehung hat, des durch keinerlei reli⸗
giofes Aufnehmen von andern Menfchen mehr in Anuſpruch
genen, Dad reine Verhältniß feines Selbſtbewußtſeyns
zum Abſvluten ungeſtört walten: läßt, d. h. in dem. Die res
lgisſe Richtung die höchſt mögliche: Kraft gewinnt. &s
wie wir auf jebem: Puuete unſrer Linie bon Einzebnen
zugloich · als veceptiw ſetzten, nämlich in Begiehung jamf
och writer Brfchrittene, und felbftthätig, nämlich: in Wen
ziehutig anf Mater ihm Zuruckgebliebene / fo wird der Ati
ser anf dem. hoͤchſten Puucte zugleich fekbftthättg ſeyn in
Beziehimg anf. alte anberen Menſchen, bie er dominirt, Und
auch;receptis ſich verhælten, fabald wir ihn mit noch Bold
bendetern: in Verbindung denken, und an dieſe Stelle kön⸗
neu wir nichts fetzen als Gott; der ihn abſolut bominirt und
erfullt, fe. daß ver Stifter zu ihm ſich abſelut receptiv
verhäft, daher/ dir Religion: an abfointes Abhaͤngigkeits⸗
gerät; von hier aus betrachtet, zu neunen ik:9).--:&6 hat
ſich alſo die religivſe: Richtung geſteigert: bis zu dieſem Bet
wrßiſeyn des: aumhittelhaven Zuſammentreffens und Eind«
Feyns wit Gott, und der. Stifter der wahren Religion, ſo⸗
mit auch feine — —— dieſelbe u am ais pro⸗
221*
Vom raigiſen Stanbpunt aus läßt, fich un allein ib allthä⸗
tigen Gott das menſchliche Ich nicht at ihn berchräntend“ gegen⸗
Uüberſtellen; ſondern nur anſehen als: eine von: Gott ſelbſt "um:
fapte Kraft, ſonſt entſteht uns gleich ein — Bon hier
ans allein wird bie Prödeftinationslehre verſt ändiich.
[4
+
8208 BSBchyweltzer
Duck einer einzelnen Vernunft, noch ber Totaliiks ber in
Der Getheiltheit des menfchlichen Befchlechtes erſcheinen⸗
ben Bernunft, fondern abs That Gottes im: Stifter.
Herufcht aber eine ſolche Uebergengung im Stifter, fo ers
fcheint dagegen die Einwendung bed Berflandes in gar
bürftiger Geftalt, nämlicy Daß doch wenigftend für die nies
brigern Theile des religiöfen Gehaltes der Stifter kei⸗
ner Offenbarung bedurft. habe, weil. diefelben ja aud
von ihm erfunden wenden oder aus dem menfchlichen Ges
ſammeleben in ihn übergehen konnten; daher denn and;
Diele ſich abmühten, zu einzelnen Ausſprüchen bes Stif-
terd Parallelen beizubringen aus ihm verangegamngenen
oder Doch nicht von ihm influencirten Gefammtleber, das
mit der Schein entſtehe, feine Religion ſey doch, oder könnte
ſeyn ein bloßes Product ber menſchlichen Selbfithätigkeit =).
Dieſes Bemühen ift gerade fo:.nichtig: und: bloß hiſtoriſch
intereſſant, als wenn es fich gegen ein Philoſophiſches
Syſtem richten würde; denn wer einmal das Höchſte in
ſich hat, dem erſcheint nothwendig alles Andere, das er
vielleicht anders woher ſich aneignete, entweder als völ⸗
lig nichtig, oder als erſt in und aus jenem höchſten Prin⸗
eip. feine Wahrheit erhaltend, ſo daß er nothwendig, wenn
er. jenes Höchſte von Gott hat, alles ſich darunter Reihende
auch als von Gott hat bis ind: Kleinſte hinunter. Daher
iſt feine Religion. auch nicht der Ouelle nach ‚eine Zweiheit
von theild aus Der Welt her, theild von Gott her Empfau⸗
genen bh); fondern weil,eine Einheit, ſo andy ganz und gar
yon Gott ihm geoffenbart. Es iſt auch. nicht abzufehen,
wie Jemand in der Religion, deren Weſen es iſt, Alles
von Gott als dem allthätigen Princip abguleiten, domini⸗
ren fol, wenn er nicht einmal in fich jerbft — ben Ans
a) Schleierm. Glaubensl. I, p. 68.
b) Daß das Chriſtenthum nicht beſtehe aus theils vernünftigen,
:, theils Übervernünftigen Saͤten, zeigt Schleierm. Buena
.Zte Ausg, I, $. 13, Bufag. ns
Aber bie Dignitit de Keligionsſtifters. 29
- - fang wmacht und vor Allem fein religiöſes Bewußtſeyn, fo
mie feine ganze Perfon als von Gott wüßte, ſondern die
Religion fich:felbft zuſchriebe, als einem außer und: ohne
Gott. Segenden und fie erfunden oder entdeckt Habenden.
Diefelleberzeugung eben ift ber Begriff: der. Offenbarung,
den der. Religionaftifter,: je geiftiger er. iſt, deſtonreiner anfs
faßt, d. h. deſto weniger in'der Analogie. mit menfchlicher
Mittheilungsweiſe/ ſondern als ein Tebendiges Senn Gotr
tes in ihm,. erflarlich oder doch abzuleiten aa Dem. Wer⸗
den der Individualität. des Stifters bei den Geburt, ſo
wie. die gange: Welt in ihrem Geſchaffeuwerden; ‚nax
trenne man nicht Schöpfnug und. Erbaltırıg, ſondern bei
Chriſtus iſt Die. bei der Geburt empfangene Individualitat
ein; Eintreten red. Seyns Gottes; in ihm, fein. gauzes Leben
aber eben biefes, Seyn Gottes in ihm a). Auch non bier
and: geigt ſich alſo Die. Digmität. des Religionsſtifters als
eine auch ſpecififche, indem er. allein ohne alle Verwmitte⸗
Iung -und Leitung. Anderer. ſchlechchin von: Gott afficirt
ig, ihn in ſicht hat, d. bu. nie: Offenbarung Yatrz während
alle Glieder des non: ihm geſtifteten Geſanmtlebens Qott
nursburdh ihn haben⸗ und vermittelt dadurch, daß: fie iſich
fein, æigenthürlich heftimmtes. Selbſthewußtſeyn aneignen
ba nur in dieſem die Religion ihre volle Lebendigkeit ger
winnt. Und gerade dieſes macht hinwieder Die ſpecifiſche
Verſchieden heit begreiflich, da fie als Continuitat und uns
gehemmte Lebendigkeit des Gottesbewußtſeyns chen nur
in demjenigen Selbſtbewuſttſeyn moͤglich ft, in deſſenei⸗
genthümliche Beſchaffenheit jenes adüquat einging; ſo: deß
es völlig vom · Göttlichen erfüllt iſt und Dadımallige: Gütt⸗
liche in ihem ſich nie dergelaſſen hat. Da hingegen.die Its
dividualitaten aller Uehrigen nam jener-beften des Stifter
ET ER ee eh ee FR
a) Schl. Glaubensl. T, p. 70 verwirft daher auch, daß bie Dffenbas
rung ber’ erfennenden Kraft zu Theil werde, d. h. urſprünglich
und wefentlich Lehre fer, ‚obgleich dieſe daruin nit ausgeſchloſ⸗
ae 9.72 2,7 ee 6
N
2
es BE ey“ e.er gie? . —R 55 * 2 N
abweichen, ſo geht bie in Diefe urſprunglich zingegumgene
- Religien.;nfe. völlig auf In jeme, außer in dem Maße, als
eich ber Individualitaäͤt des Stifters aſſimiliren. Das
ber: hat die Religion ihr volles Leben und ihre volle Kraft
mir: um: Stifter, deſſen Seibſtbewußtſeyn ihr adäquat iſt,
und muß in: allen Andern abnehmen, je. verschiedener ihre
VDudividualitas von der des Stifters iſt und bleibt: — Daß
aber kein aͤber Ehriſtum: Hinausgehender noch zu erwar⸗
ten iſt, gründet ſich eben auf die Liebergeuguing „bie Reti⸗
gion könne nichts Höheres wollen oder finden, als das
weigute Aufgehon des menſchlichen Selbſtbewußtſeyns
in: dem Gottesbewußtſeyn; dieſe völlige Durchdrinugung
uberr fey eben bie: in Chriſto Realiſirte. In anders Reli⸗
gionen kaum eine Ahnung anf einſtige Vervolllonncuung
mich nur entſpringen aus Dem ‚Gefühle, daß micht das
guanze: Qelbſtbewußtſeyn vollig vom Goͤttlichen durchdrun⸗
gen worden, daher neben der bloß relatinen. Befriedigung
daei Sehnen nach totaler ſich immer hindxrchzieht. Die⸗
fer: nicht zn veachteude Sep brleuchtet uns: wu das Ver⸗
Haltnißſ vomn: Spontaneitat und Receptivitate, welches wie
Kun auch. Auf Semi Bodenderi nd i v din Bi Wr tzatig⸗
eiden:yu Dome: unsrjcu bie Religion gehort:: begretfen
well; :&8. genügt hier nicht mehr, :ufane Gegenfag
anzuſchauen Als. Eine. Ach teigernde, durch Den Rulipmeet
wehenve vinien denn wo Subisäburkititin mis Cinturder
in Weochſelwirlung troten nilffen wir aufhosren "wow Ei⸗
wor Bitte zu ſprochen, woil jedes Indeviduum veligido feine
nigenthünlich· brſtimmte Linie: uber: Richtung: hat: n &8
frage fahr warum bass Stifter aufı Vorſchied er fo Vorſchie⸗
deü wirkte, aufı Einige ſahr leicht, auf Auduͤre Bein ahe⸗ gat
Richtagber- nur / hrch · germaktfang Exikhäkterengein.. ¶ Dieß
rührt Daher, weil die religiöfe Richtung, und, gusar auch
wo wir Ahr. vol Def, inogscheitügien, zu Ihrechen haben,
heiaedem Menſchen eine; vermöge feiner. Subinibuaktät ets
was andere ifl, als beijedem Audern, fo daß Die Geſammt⸗
über die Dignitaͤt des Religionsfliftere. 831
heit: alfer Individuen gar uicht als Eine Linle bildend, nie
in identiſchen Gebieten zu denken iſt, :fondern: ala eime
unzihlige Menge mehr ober. winter ausrinander laufender
Linien von Einem Yunctd au. Hier wird nun anſchau⸗
lich, was jene Amdbrüde von Verwandter ober: weniger
Verwandten Individnalitaten ud: jenes Princip: dev Wahl⸗
nerwanbtichaft oder: Wahlangiehung beſage. De wenigen
nkmlidh die weligiöſe Richtung. (vom Grade den Staͤrke, be
fie.gewinnt, ganz noch. abgeſehen) Cines Menſchen in iha
rer eigentlichen Beftimmihtit zu. der: des Stift ers (ch
verhält, wie auseinaͤnder laufende Linien, deſto leichte
wirb’fie. vom: dominixenden: Kinflaſſe des letztern arreicht
und zu ihnd hinübergebogen anf arnca orkliche· Weiſe/ fo waie
man ſich etwa das Qluuhignorben des: Jo hauurs Zur. Ben
Bei pflegt; je; weites iagegen eines Ander nNichtung che
woicht, Deitg weniger iſt jenes: möglich, fondern: der Stift
ter hann ihn mu ſo antziehen, Laß die bisherige Richtuug
entweder plotzlich in einem Minkel ſich bricht/ onen ſtdh
feßhft. aufgekend garücklohrt· in; ben Ausſsgaugspuuc: uub
nun biejenige bes Atiſters anfohlägt ; fu: wie: ttwa. Datz
lus glãubig geworden ift e). - Zusifshen.disfen: beiben Ki
len fonfen- ſich unzachlige andene ub z.B: Die: sigenklüch aba
Gelaten ECetreme, daß nämlich. Einer entweder ſchon von
Anfang an qualibdativ völlig bes Stifterd:. Richtung ı oben
Die: gar eutgegengeſetzte „babe, ‚Wollen, wir la tin
ses micht: aufftellen. Ja ſchon die, Amahue nes allmähr
lichen völligen Bulaımwenstneffenaunit;. der Richtungdes
Stifters iſt sin, hend, das: ur. aun hernd erreicht, wirh
Daher Meithen wir Bier nicht im mindeſten -eitien: Wider⸗
ſpruch goſetzt zu: haben mit wielen. oben vurkommenben
Arußerungen, bie jedem; Menſchon feine: Ind ividualituit nis
eine bleiben’ foßende — gi on dvrt Berbäachteheit
ren de mit ya RANGE,
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wir die Berfchiedenheit der Individnalitaͤten, inwiefern fie
in derſelben Kirche ſtatt haben kann, hier hingegen woll⸗
sen wir anſchaulich machen, wie Individualitäten, inſofern
jede derſelben eine eigne Kirche ftiften: würde .Cfobalb
Kraft genug erreicht: wäre), iſich zu: Einer Kirche vereini⸗
gen kLonnen. Dieſe zweifache Betrachtung het ihre · Berechti⸗
gig. darin, daß jede Individualttät eine: eigenthümlich
beſtimmte Miſchung aller: den. Mönfchen ronſtruirenden
Krufte iſt, folglich jede in gewiſſen Puncten der andern
gr, in ändern abgewandt. So wird das Verhältniß eis
ner: Geſammtindividualitat zur Verſchiebenheit der unter
ihr begriffenen Individuen Far: : Denken wir z. B. cu
Individuum zwischen Ber chniſtlichen Kirche und Dem Mu⸗
hammedanismus in ‚bie Witte .geftellt; ab noch von kei⸗
nem von beißen berührt, fo wird daßfelbe;. inſofern es. in
ber eignen ‚refigtäfen. Richtung ſehr unträftig iſt, ſowohl
guu: bein Telant.augezogen werben: können, went: biefer
fih ihm: naht): als auchvom hriſtenthume, | were biefed
‚berührent herantritt; geſchieht das cite, ſo wird das Ins
dividuum bei andern Puncten feiner: Eigenthümlichkeit an⸗
gefäßt,: als wenn das andere geſchiehtz und in beiden Fal⸗
len geht eß in eine gemeinſame: In dividatalitat eier, : Bleibt
aber in derſelben dennoch file fich individuell, saber frrilich
mas in dem Maße, als es fruher fir’ ſich ſchon in veligids
for Thätigkeit warn So iſt Paulus, weil als Phariſäer
ſcechon in großer: veligioͤſer Thätigbeit, dann - im: Chriſten⸗
thume noch: vermoge: des/ menn auch: ih anf Bits: Entge⸗
gengeſetzte treibenden,: Einfluſſes feines, friiher: Strebens,
ſo ſehr individnell, daß Die: übrigen: Apoſtel ech nurdalb
mahlich darein fanden, in ihm eine der: chriſtlichen Geſammt⸗
eigenthämlichteit mögliche ¶Indblbidnalitãt anzuerkennen.
Ein folches Anerkennen ift iin den Maße ſeichter Yale ein
Individuum vor ſeinem Chriſtwerden in ſeiner religiö⸗
ben Richtung ·es nicht. gur. Selbſtthätigkeit gebracht. hatte,
ober verwandt geweſen iſt mit der. des Stifters, deſſen
über die Dignitht des Religionsflifters. 833
Einfluß fidy zu fehr über das Geſammtleben der gebilbe⸗
ten Volker verbreitet hat, ald daß bie Individualitäten
innerhalb Diefes Ganzen in ihrem Entitehen, geſchweige
den: in ihrer Entwidelung ar — vor. Baia ale
afficirt feyn.»).
Wenn wir nun in. Beftimmung ber Dignitet der Gl
bigen weiter: gehen, als bie zum bloßen Aufnehmen vom
Stifter her; was jelbft fdyon nur als Thätigkeit denkbar
it, weil ja fonft der Eimfluß des Stifters durch einen fich
gänzlich paſſiv verhaltenden. Menfchen mm hinburchgehen
miürßte, ohne fich in ihm zu firiren: fo if} von dieſer Thäs
tigkeit das nächſt Höhere, theild ein im fich wieder eigens
thümlich Beftimmen des: Aufgenommenen, theils ein Dars
fiellen bifielben nach Außen, wodurch Schwächere domi⸗
nirt werden. Diefes beides muß nothiwendig parallel ges
hen; denn je weniger Einer dad Anfgenommene feiner Itts
bivibualität gemäß wieder ‚eigenthilmlich beftimmt, befto
weniger wird es in ihm lebendig, da wir bie Lebendig⸗
feit der Religion nur-ableiten können aus ihrem
Adaquatwerden mit dem unmittelbaren
Selbſtbewußtſeyn; deſto weniger wird ſie ſich alſo
nach Außen hin kund geben, So wichtig. und weſentlich
zeigt fich much hierin Die Individualität in Beziehung auf
bie Religion. Daß beides immer zufammen ift, lebendig
haben und darſtellen, beruht auf Dem natürlichen Lebens⸗
verlaufe, gemäß welchem was bad Gemüth ‚bewegt auch
die leibliche Organifation durchdringt und fich manifefirt -
nach Außen, am fid; Andern darzuſtellen uud: mitzutheilen
durch Seberde, Ton ober Rebe, wie es jedem gegeben iſt b7.
Die rechte Belebung: bed Ich tritt Dane, wein «3 bas
. vom ‚Stifter. Erhaltene . erkennt als dasjenige, was es
a) ©. Reben Über die Religion p. 26688. |
B), Scätetermaher, Reben Über die Religion, Ate Aufl. p- :175:f,,
urd übespanpt bie Atebiefer Reben, ferner in der Sien.p. 267. -
ſchon für füch angefirebt, geahat und mehr ‘ober minder
gefunden: hatte durch ſpontane Thätigkeit uber. doch hätte
finden follen, wenn nit Sünde und aus ihr entſtehen⸗
der Irrthum im Wege geweſen wären. Würden wir. bie
fes aufs Höchfte fteigern, fo würde ein ſolches Indivi⸗
duum ja. der Stifter felbſt werden ,: ber höchſt Thätige
in der. religiöfen Richtung, der fich darin Eins finder mit
der Dffenbarung von Gott, Die eben darum ihn belebt
und Härkt zur Sünd⸗ und Irrthuméloſigkeit, weil fie ihm
fo ganz dasjenige gibt, wirs zngleich. das höchſte Product
feiner eigmen Thätigfeit hätte ſeyn müſſen, die höchſte
Bollendung:beffen, wozu er die Keime in ſich gefunden und
verfölgt hätte, wenn er ſich hätte anfehen können als ans
Ser Beziehung mit dem fich ihm offenbarenden Gott, Dad
iſts nun vällig uch, was ſich bei jedem, ber in religiöfer
Nichtung iſt, wiederholt. Der Einzelne ſuchte, fand bis
anf tinen: gewiſſen Brad, nun naht ihm des Stifters Ein⸗
fluß, dem er ſich gerade fo hingibt, wie jener der. göttli⸗
‚hen Offenbarung; weil er nun die höchſte Vollendung
vom⸗ Stifter empfängt; fa erfcheinen ihm anch jene Ans
fänger bie doch exft aid dem Höchſten nur ihre Wahrheit
erhalten, nicht ala eigned Product früherer Selbſethatigkeit,
fondern die Religion tft ihm nun mithethertt vom Stifter.
Und wie wir von biefem fagten, er Habe feine Religion
in ſich nicht als Zweiheit don ſelbſt Produeirtem und von
Offenbartem, ganz fo. gilt nun von dem Gläubigen, daß
er. die Religion and) nicht: at als eine Zweihlit von theils
felbft Gefundenem, theild vom Stifter her Empfangenem
Der Grund dazu liegt eben wieder in nuſernt Hauptſatze,
daß bie Religion ‚der individnellen Thätigleit angehöte;
wäre.fie ein Wiſſen, alfo -ibentifche. Thätigkeit, datin frei
lich wird jeder jede Disciplin haben als theild Product des
Gefammtlebeng, theils fein Eignes, welches er hinzu thut,
und wenn dieſes vom Stiftes eines philoſephiſchen Sy⸗
ſtems nicht fo vollig gilt, fo-rührt es nv Daher, Buß er
über die Dignitaͤt des Religionäflifters. 888
eben auch nur. ale Subivibucker eine: neue Lebensanſicht
‚ anfftellen konnte. Analog erhält ſich Das. empirifdye zum
. fpeenlativen Willen Jeder forſcht, fammelt, faßt auf
. and ber Erfahrung und weint oft was Rechtes zu habenz
aber erſt wenn ſpeculativ das Allgemeine zu ieneh Beſon⸗
derheiten erfamat wird, erfenne ich auch dieſe Waren Ä
und fie erhalten aus jenem ihre Wahrheit.
Denn nun gefragt würde, ob. denn ein Einzelner in
religiöfer Selbfithätigleit, wie ſie die Offenbarung wit
enthält, ed nicht eben fo weit bringen könute, wis ber. Stift
ter, fo ift Das nicht möglich, weil fürs Erfte nur Eine Ins
dividnalität, und Die wirb eben der Stifter, für Die reis
giöfe Thätigfeit Die qualitativ beſte und der Religion adä⸗
quate ſeyn kann; dann ift aber auch von empirifcher Seite
eine entfcheidende Derneinung darin vorhanden, baß nun
einntnikjeber, den wir nod), freilich dem eben angeführten
Grunde gemäß nur irrthümlich, fegen würden als quali⸗
tativ ganz im. berfelben Richtung, die: ber Stifter hatte,
ſich auf feinem Wege vom Einfluffe des Stifters berührt
fände, nub fobald fo die Bollenpung deſſen, was er ans
firebt, als fchon fertig an ihn gebsächt ft, er ſie begieris
ger als jeher Andere in ſich aufnehmen und innerlich ges
nöthigt ſeyn müßte, den ihm die Vollendung Mitiheileh>
den als Meifter-auguerkennen. Geſetzt akfo, es. hätte Sen
mand, das fir nie Wiederholen einer Inbivibualitit ven
Senuent, nach allem Geſagten noch Luft, ald:nnöglich. vor⸗
auszuſetzen, daß vielleicht noch ein religiös gleich treffli⸗
ches Individuum kommen werde wie Ghriftus, fo wlrbe
dieſes fich nicht mehr entwideln Fönnen, ohne unter Ein«
fluß des chriftlichen Geſammtlebens, und ſodald ed von
Chriftus berührt würde, müßte es deffen allerbefter Jün⸗
ger werben »), Würde man alfo Bott zutrauen, daß er
awei oder.mehr .gleich gute Stifter ber Religion fenden
a) Schleierm., Reben Über bie Aeigim, Ste p: 265 u, f.
sss Cheiher
werbe, ſo wärdeı die fpätern unter ihnen, fobalb bes ers
ften Einfluß Verbreitung fünde, ihre Beſtimmung, Stifs
ter zu werben, gar nicht mehr erreichen. Alſo der Kirche
ganz unbefchadet, ja zu ihrem großen Vortheile ließe
fi die Dignität der Dominirten reiht hoch fleigern und
gar nicht als bloßes Buchhalten über fremdes Eigenthum
Daniederhalten a); und doch bleiben fle immer, weil fid
des. Dominirtfennd vom Stifter bewußt, und weil Teiner
eine völlig mit der bes Stifterd übereinftimmende Indivi⸗
dualität hat,: fpecififch von ihm verfdjieden.
- ... &o ift die Receptivität gar nicht etwas Verächtliches,
des Menfchen Unwürdiges; fondern fo unwürbig es freis
‚lich einer fich vervolllommnenden Menfchheit wäre, in iden⸗
tifchen Thätigleiten für immer bominirt zu werden von
einem Einzelnen, der fchon in frühen Zeiten gelebt hat;
fo völlig angemeflen erfcheint diefes im Gebiete der Reli
gion, ald einem, wo das Individuelle herrfcht und das ſich
nicht bildet non identifchen Puncten und Thätigkeiten ans.
Denn auf Die Art des Entftchens kommt ed an, ob man
ein Lebensgebiet zum Identiſchen oder Individuellen rech⸗
ne, auch wo das Reſultat beider daſſelbe wäre,
Anch die Betrachtung der Religion unter der Form des
Gegenſatzes von Spontaneität und Receptivität beftätigt
alſo den Sag, daß die Religion ind Gebiet,deffen falle, was
wir als Individuelles dem Identiſchen relativ gegenüber ſtel⸗
len, weil ba allein ein — ae möglich iſt
und nothwendig.
VI.
ueber den Unterſchied von Frömmigkeit und
Theologie als Wiffenfhaft.
"Der Stifter läßt fich in feiner Dignität nicht begrei⸗
fen, ohne daß dadurch das Berhältnig von Wiſſen unb
a) S. reden über bie Religion p. 267. -
über die Digmität des Religionsſtifters. 837
Fröommigkeit im Gebiete ber Religion. felbft verſtanden
wird, Bisher haben wir meiſt Die Ausdrücke Religion
und Frömmigkeit ale gleichbedeutend geſetzt, aber ber
Gang unfrer Erörterungen ‚mußte dahin führen, fie num
zu unterſcheiden, und dieſes ifl eine Hauptaufgabe ber
neuern Theologie, weil offenbar Vieles von dem Hits und
Herflreiten, ob Die Religion ein Wiſſen ober Gefühl fen,
daraus berfließt, daß man unter dem Ausbrude Religion
Verſchiedenes denken Tann. Es ift vorzüglich Schleierma-
chers Berdienft, Diefen unfichern Ausdruck in der. Glaubens⸗
Iehre abgewieſen und Den beftimmtern der Frömmigkeit
aufgenommen zu haben; benn nun wirb es weit leichter
eingefehen, daß die. Frömmigkeit kein Wiffen ſey. Wol⸗
len wir aber ber andern Auficht, daß die Religion ein
Wiſſen fey, ihre zu löſende Aufgabe gleichmäßig erleich«
tern, fo müfjen wir auch da den Ausdruck Religion vers ‘
meiden und durch einen beflimmtern erfeßen, wozu ſich
am Beften der Name Theologie hergibt, die eben Res
ligion als Wiſſerſchaft ſeyn will und von Niemand ein
Gefühl wird genannt werden. So lange aber Froͤmmig⸗
feit und Theologie fo unter einander gemifcht erfcheinen in
dem vieldeutigen, nicht einmal etymologiſch beſtimmbaren
Ausdrucke Religion, kann jener. Kampf nicht aufhören und
doch auch nichts Deutlich machen. Indeß haben wir es auch
mit biefem Gegenſatze hier nicht ums feiner felbft willen zu
thun, fondern nur infofern, ald er zum Begreifen der
. Dignität des Religionsflifterd nothwendig iſt und hinwie⸗
der aus dieſer eine Beleuchtung findet.
Die Unterfcheibung von Frömmigkeit and Theologie
führt nun zunächft dahin, bie hriftlide Glaubens.
lehre zu trennen von ber wiffenfchaftlichen Theo»
logie, die der Philofophie angehört. Daß diefe Tren-
nung nicht in’ einer noch höhern Wiſſenſchaft auch wieder
aufzuheben ſey, welche wohl, Religionsphilofophie oder
auch Apologetik wäre, die ja heutzutage ſich |. mehr
Thesl, Stud, Jahrg. 1884.
BB. Schweitzer
gegen Inden and Heiden, wohl aber gegen bie Philoſophie
und noch mehr gegen unphiloſophiſche Reſtexionen zu
ſtellen nud anuszugleichen hat, wollen wir nicht im Gering⸗
fen behaupten, da wir hier felbit Berfudye und Beiträge
dazu geben. Ein fernerer Unterſchied iſt dann ber von
chriſtlicher Frömmigkeit und chriſt bich er Stan
bensſlehre (Dogmatidd oder überhaupt chriſtlicher Theo⸗
bogie; inden ja der Stifter Vollender der Froömmigkeit
iſt, ohne daß es darum gelingen will, ihn auch als vellen⸗
deten Theologen zu denken. Wenn man nun bie Fröm⸗
migkeit für die Praris hielte, Die Theologie aber für bie
Theorie oder das Wiffen um jene, fo könnte dieſes nur
gelten, infefern man den Gegenſatz irgendwie wieder amfs
höbe; denn offenbar find fie wicht fo außer einander das
Frommſeyn und das Darumwiſſen; ſondern wenn and
- wahr iſt, daß das Willen nicht dad Maß, alſo auch wicht
Bas Weſen ber Frömmigkeit ift a), fo ift Doch nicht minder
wahr; Daß ohne ein gewiſſes Maß bes Wiffens Die Froͤm⸗
migfeit nicht ſehr erheblich feym Fünnte und nameutlich
nicht befühigen würde, Stiftes zu ſeyn, ja Daß ohne alles
Wien Diefelbe nichte wäre ald ein Juſtinct, ein eben bes
wußtlofes Erregtſeyn, wogegen dann alle bie beimminten
Einwärfe, dag Thiere auch baran Theil haben könnten,
fich eher erheben ließen, daß daher doch eine gewiffe Wech⸗
ſelwirkung, ein — von beiden immer zu den⸗
ken iſt.
Wir haben — beibe aus — zu halten, dann
ihr Ineinander nachzuweiſen, immer in Beziehung auf
den Religionsſtifter, von dem wir nicht etwa bloß vehaup⸗
ten, x gelinge nicht, ihn al a zu —— ſes
a) Schleiermacher, in Der, bekannten Stelle Stauden, * Kup.
$ 3. 4, Die feineswegs darum bie Zrömmigfeit vom Wiffen
‚in bem Sinne ausfalieht, daß man von atomiftiſch neben einan⸗
der gefteilten Beberägebieken: Hunde’ Thatigkeiten auch ur mit eis
; — mar pen! 2 2a DIRT oe:
LER AP ET — ur .,.
“AD E gut La DIE Ze 2
über die Dignität des Religionsſtifters. 339
dern begreifen wollen, warım er bad ganz nad gar
wicht feyn kann, und Stifter und Theologe zwei
nie in Einer Perfon vereinbare Begriffe find. Die Srom-
migkeit ift die Wirkung eines realen, wahrhaften Seyns,
nämlich Des Verhältnifjes zwifchen dem abfolyuten und ges
theilten Seyn, welches. darin befteht, daß vieles in allen
feinen räumlich und zeitlich auseinander liegenden Puncten
und Momenten nom Abfoluten ausgegangen, getragen
und gehalten if. Diefe That Gottes auf Die Welt wird
nun in den Puncten, wo vernünftige Gefchöpfe von ihr
berührt werden, auch in deren Selbſtbewußtſeyn ingenb-
wie lebendig, ob in Form des Gefühls oder ber Vorſtel⸗
Iung ift bier gleichgültig. Und eben dieſes Leben: ift Die
Frömmigkeit, die baher wie alles Leben dem wiflenfchaft-
lichen Begriffe ald conditio sine qua non vorangeht. Die-
ſes Leben tritt mit der menfchlichen Vernunft felbft in
beren Individuellſeyn ein; Daher. eine. der ihm möglichen
indigiduellen Arten und. zwar Die befte im oben bezeichne⸗
ten Sinne Stifter wird. Da alfo die Frömmigkeit ihr
Eutftehen nur hat, wo das Abfolute auf vernünftige
Weſen feine lebendige Wirkung übt, fo ift vor Allem ar,
daß Diejenigen, welche dieſe als zuerft in Form des Ge⸗
fühle lebendig werdend barflellen, fich nicht. im. mindefben
föunen irre. machen laffen durch jene aus Polemik. ent
fpringende Aeußerung Hegels, daß, wenn die Religion
Abhängigkeitögefühlfeg, ber Hund der befte Chriſt märe.n).
Da doch jeder Denkende auch geiftige. Gefühle anerkennt,
fo braucht nicht erinnert zu werden, daß ed nur auf ei⸗
nem Kleinmacken der Gegner beruht, wenn man ihre Ber
hauptung, bie Religion fey ein Gefühl, in ſinnliche Ge⸗
a) Vergleiche befien Vorwort zu Hinrichs citicter Schrift p. XIX.
und ähnliche Aeußerungen berjenigen Schüler Hegels, die, um
fi als ſolche auszuweifen, auch die polemifchen Blößen bes Mei⸗
u |
„Br ., —
SO : = Schweißer
fühle himüberfpielt. Geiſtige Gefühle nun finb eben Af
fectionen des unmittelbaren Selbſtbewußtſeyns, welches
ſich unterſcheidet vom Wiſſen um Etwas, d. h. vom ob⸗
jectiven Wiſſen, zu welch letzterem auch das Wiſſen um
ſich ſelbſt gerechnet werden muß, ſobald das wiſſende
Subject von ſich als Dbject auseinander gehalten wird,
im Momente bdiefes Wiſſens. So ift Die. Frömmig—⸗
keit eine unmittelbare Beftimmtheit des Selbſtbewußt⸗
feyns vom Abfoluten, die, weil fie nur ald That Des Ab»
foluten empfunden wird, ein fchlechthiniges Abhängig:
keitsgefühl ſeyn muß, wober nicht zu überfehen tft, daß
diefes fi von Gott abhängig Fühlen die höchſte Erhe⸗
bung des’ Menjchen. ausmacht und weit entfernt, ihm zu
entwürbigen, vielmehr bie Urquelle aller wahren Kraft
und Freudigfeit wird, indem durch dieſes Gefühl gar nicht
das Getrenntfegn, fondern dad Bezogenfeyn des Men-
fchen auf Gott in einem innern Leben repräfentirt oder
ausgedrückt iſt. Denn diefe Frömmigkeit ift das Leben in
Gott, ob ed nun Die Form des Gefühle behalte, oder auch
andere annehme,.ift, von hier aud betrachtet, Das Gleich⸗
gültige, feitzubalten iſt nur, daß fie ein Leben fey und ins
dividuell werbe .im Selbſtbewußtſeyn. Denn wie übers
all, wo das Selbftbewußtfegn von der Welt her zu Luft
‚oder Unluſt boſtimmt wird, dieſe Gefühle ganz etwas an⸗
ders ſind, ald. das Darummiffen, und noch vielmehr etwas
anderes ald das Wiffen um bie fie hervorrufenden Ereig⸗
niſſe und Dinge, weil: ja offenbar das. Wiffen um ganz
Diefelben. Begebenheiten gleich‘ Betheiligte Doch zu ungleis
. hen‘ Gefühlen ſtimmen kanu: fo muß es auch feyn im
Selbfibemußtfeyn, fofeen e8 vom Abfolnten. affieirt „wird.
Sp muß fich die lebendig gefühlte Religion, d. h. die Fröm⸗
migfeit wohl unterfcheiden laffen vom Wiſſen um fie und
‚am Gott. Die hriftfiche Frömmigfeit ift alfo das beft ins
bieidyalifirte Leben in ‚Gott, bie hriftliche Glaubeuslehre
aber ift ein Wiffen um daſſelbe, ‚ein Auseinanderlegen deſ⸗
felben in Form des Gedankens. Beide bilden fo fehr eis
über bie Dignitaͤt des Religionsſtifters. 84:
nen, wenn gleich‘ auflögbaren, Gegenfaß, daß: einer Die
eine haben: kaun ohne die andere. Dem:Stifter.fchreibt man
aan, Die vollfommene Frömmigkeit ſelbſt gu und weiß ihr
hierin für:immer Dominirend. Hingegen. müßtencwir ung
entwürdigen, ihn aber ſchief Darftellen, wenn wir ihm auch
die Bollendung des wiffenfchaftlichen Wiſſens Am dieſe
Frömmigkeit, das eine identiſche ans if, gerichtet
auf. das: chrifkliche Lebens zuſchrieben. 1: ©: ©
"Aber: mit Diefem Ansdeinander von beiden tft. bie Sadıe
nicht erſchöpft, fondern es muß auch ein Ineinander derſel⸗
ben nachgewieſen werden, und hier können wir nicht verle⸗
gen ſeyn, da bie Theilung der Vernunftthätigkeit im identi⸗
ſche ünd individnelle uns von vornherein als eine bloß rela⸗
tive entſtanden war, als ein bloßes Ueberwiegen des einen
Elements über das immer mit daſeyende andre. Es kann
namlich in einem Einzelweſen die Frömmigkeit nicht wahrhaft
ſeyn ohne anf bemußte Weiſe; und beſonders im Stifter
muß ſie ſo feyn, daß er fie ausdrücken und mittheilen kann o).
Diefed beruht auf dem Ineinander von Selbftibewußtfeyu
und objectivem Wiſſen; jenes entfteht mit diefem, denn
ohne Sch Fein Du: Soll alfo ‚Einer mit Klarheit das Af⸗
ficietfeyn von Gott in fich haben, fo muß..er auch darum
wiffen. . Senes Auseinanderftellen von Arömmigfeit und
Darummiffen gilt alfo nur, infofern dieſes als Wiffenfchaft
gedacht wird; infofern man aber jedem Menfchen ein Wife
fen zufcjreibt, abgefehen von der Wiffenfchaft, muß der
Stifter es fo vollfommen in ſich gehabt haben, ale nur irs
gend möglich, d.h. er hat die Krümmigfeit lebendig in fich
a) Marheinede Dogm. $. 37. „Wenn der Tühlende nicht Über
fein Gefühl hinausgeht und‘ in die Welt des Gedankens hinaus:'
tritt, fo ift keine gegenfeitige vernünftige Verfländigung.” Dies
fer Sat bedürfte eines genauern Beſtimmtheit, denn offenbar gibt. -
es auch andre vernünftige Berfländigungen der Individuen unter
einander, da doch das ganze Gebiet der mehr künftlerifchen Mas
nifeſtationen aud) vernünftige Derftändigung if, obgleich ld
durch das Mittel des Gedankens. 1
842 no: ‚Schweiger.
als eine ſich bewußte, aber ohne das Intereſſe ber Willen;
fchaft. Use nun aufzuzeigen, daß dieſes nicht bloß zufällig
ſich fo verhalte, fondern vermöge einer innern in Der Sache
ſelbſt Tiegenden Nothwendigfeit der Stifter nicht Theologe
ſeyn kaun, haben wir den Unterfchieb jenes jedem Mens
{hen zukommenden Wiſſens Son der Wiſſenſchaft anzuge⸗
ben; denn ſonſt könnte es ſcheinen, als ſchrieben wir will⸗
kürlich dem Stifter auch ein Wiſſen zu, das ſo vollkom⸗
men wie moͤglich wäre, ohne doch zugleich die wahre Voll⸗
kommenheit des Wiſſens, nämlich Wiſſenſchaft zu ſeyn.
Ohne nun hier im mindeſten den Fortſchritt der neuern
Philoſophie, daß zwiſchen dem wiſſenden Subjecte und ge⸗
wußten Objecte Fein bleibender Gegenſatz fefl' werden könne
und ſolle, abzuweiſen, ſondern ſowohl wenn diefes wahr
als wenn es falſch wäre, behaupten wir, daß das wiſſen⸗
ſchaftliche Wiſſen nicht entſtehen kann, als nur dadurch,
dag Subject und Object auseinandertreten, mögen fie
dann auseinander bleiben, oder der Gegenfak wieder aufs
gehoben werden. Diefe Momente der Abflraction
find conditio sine qua non des Wiſſens. Erft mit ihrem
Eintritt hört das Bermifchtfegn von Geift und Natur
auf, welches den erften Standpunet des menschlichen Lebens
bildet, Bor diefer Abflraction haben: zwar bie geifligen
Gefühle immer fchon Theil am Bewußtſeyn, nur daß beides
noch verfchmolzen Durcheinander liegt. . Diefed Berfchmol
zenfeyn nun des frommen Selbitbewußhfeyne und des objecs
tiven Wiffens fohreiben wir Dem Stifter zu auf vollkom⸗
mene Weife. Wenn nun auch aus diefer Verfchmelzung,
Die überall das wirkliche Leben charakterifirt, die Wiffen-
[haft heraustreten kann, fo ift fie dem Religiongftifter unwes
fentlich und Legt nicht in feiner Richtung und Dignität ſchon
darım, weilihr Entftehen bedingt ift durch ein Auseinans
beftreten von frommen und von wiffenden Momenten, alfo
durch einen Abbrud; der Srömmigfeit ale Leben; dena der
Moment, in welchem ich um eine fromme Erregung im
Y
über die Dignituͤt des Keligionsſtifters. 843
Intereſſe der Wiffenſchaft weiß, fet:mich als nicht mieht
in derſelben begriffen. Die Wiſſenſchaft aber, auch wenn
fie nachher dieſen Gegenſatz ‚wieder aufzuheben vers
ftände, jet alſo nothwendig ſolche Abftrackion voraus, in
Der fromme und wiflende Momente ausäinander treten,
daher ſie nicht nur zur Dignität des Stiftetg nicht gehören,
fonbern, weil die Sontinuität des Gottesbewußtſeyns ſtö⸗
rend, biefelbe vielmehr. fchmälern müßten). : Vielmehr
iſt dieſe Dignität, weit auch ber Stifter beſtündig in ber
belt lebte und fein zeitliches Bewußtſeyn ununterbrochen
auch von weltlihen Momenten erfüllt feyn mußte, nicht zu
fischen. in. einem andfchließlichen Gottesbewußtſeyn, ſon⸗
dern in einem: fletigen -Berfchmelzen deſſelben mit den irdi⸗
fchen Momenten, fowuhl des Willens ald aller andern Le:
benöthätigfeiten. Daher ift ed ganz dem Obigen conform,
wenn wir behaupten, bes GStifterd Dignitat made jewe
Abſtraction der Wiffenfchaft geradezu unmöglich und ber
ftehe vielmehr im gänzglichen Verſchmelzen Der frommen und
der wiffenden Richtung, fo daß alle feine wiffenden Mor
mente zugleich fromm find, und Die frommen alle Theil
haben am Bewußtfeyn und eben die fromme Richtung die
überwiegende ift.. Die Frommen find. num folche, In. denen
„ jene VBerfchmelzung überwiegt und die Nichtung auf Gott
dominirt, die Wiſſenden aber folche, in denen die Richtung
anf jene Abſtraction überwiegt, da ja felbft wenn eine Weber:
windung bed Gegenfabes von Subject und Object erreicht
wird, boch jedesmal die Abftraction voranging, in welcher
Das Bewußtſeyn ſich vom Leben felbft zurückzieht, um über
Diefes als gegenüberſtehendes Object zu reflectiren. Und
freilich, wenn der Gegenſatz sicht wird, Du
- a) Muarheinede Dogm. 6. ss, „Die Religion in Ipsem unnittel
. baren Seyn wird dem Denken nit gegenſtändlich.“ Hiemit iſt jene
Abftraction, jenes Auseinandertreten bes bentenden Subjects und
der Religion sale Object ausgeſprochen, obgleich ber. re
dann wieder aufgehoben wird.
—3* eg ,» I 0
bern fir. bleibt... innen Frömmigkeit und Wiſſenſchaft in
Conflict kommen und wie die Erfahrung. zeigt,. Viele um
die Fuömmigfeit gar vielerlei wiſſen, ohne fromm zu ſeyn,
die Frommen:aber gegen das Wiſſen überhaupt eingenom⸗
‚men werben: "Sol nun.ein Theologe Wilfensund Glauben
oder Frömmigfeit) mit einander vereinigen wollen uud
können, fo wird .er nicht jenen Gegenfat der Abftraction
fir werben Iaffen, ſondern felbft mit Diefen Momenten bie
Krömmigfeit:verbinden. dadurch nämlich, baß er Diefelben
als bloße Abftraction. fennt, u en die ichtung mit
hat, fie zu überwinden. —
Zu dieſem Ergebniſſe ftimmt nun and; die Erfahrung
welche uns Chriſtum als Frommen, :nicht. aber als wiffens
ſchaftlichen Theologen zeigt. . Er. ift. alfo nur Daun alldo⸗
minirend in ſeinem Gebiete, wen. dieſes fein Wiſſen iſt.
Auch dazu ſtimmt das Chriſtenthum, welches ſeine Fröms
migkeit ſelbſt da, mo es fie als Geſinnung ſetzt unter dem
Ramen:des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung, ſehr
wohl von einem Wiſſen zu unterſcheiden weiß, wie ja ge⸗
rade der unter allen Apoſteln am meiſten als wiffend. aufs
tretende Paulus ſich darüber entſchieden klar ausſpricht.
Vergl. die Hoffnung betreffend Römas, 24 und 25; den
Glauben betreffend 2 Cor. 5, T;. von. der Liebe aber vers
ſteht es ſich von felbft, daß fie Fein Wiffen fen::. .. -.
Dennoch ift die. Bollendung der Frömmigkeit, feit Pr
eine Gefchichte Derfelben und dadurch veranlaßt. eine Wifs
fenfchaft von ihr.gebildet ‚hat, nicht mehr: möglich für bie
ganze Menfchheit, wenn nicht ein. höheres Ineinander vor
. beiden "gefunden wird... Gehen. fie. auseinander , fo kann
Ehriftus nicht alldominirend werden, weil Viele fich immer
mehr nicht bloß durch Wahlanziehung, fondern auf einem
identifch = hiftorifchen Wege ihm nahen wollen a), der unter
bem Einfluffe der Wiſſenſchaft ſteht. Aller geſchichtlichen
a) — irte Kritik über — und ee
pas rs
über die Digninit des Keligionsſtifters. BAS
Entwicklung wie.unch aller Dialektik. zufolge: mnß:. bad zu⸗
erſt ummittelbare Ineinauder von Froͤmmigkeit uUnd Wiſſen
durch ihr Gegeneinandertreten hindurchtzum vermittelten
Sneitander heranreifen, worin daun bie. Abſtraetion von
frommen ad darum wiſſenden Momenten aufgehoben iſt,
ſo daß je derr am beiten Wiſſende auch ver Frommſte wer⸗
den / kunn und umgekehrt. Dieß iſt den Begriff: des vollen⸗
deten Theologen. Wenniaberje!folche wirklich erſcheinen,
fo: ſteigen fie darum doch in der Kirche nicht. über den Stifter
emporſondern wiſſen ſich vielmehrtheils in ihren Fronu⸗
migkeit von ihm domineirt, theils daß ohue dieſe auch wie Wif⸗
fenſchaft nicht Die wahre. geworden wärey: weil: ohne dieft
Frönimigfeit der: Menfh m immahrem Buftanbe: iſt on
welchen and auch Feine: Wahrhrit entſtehen Tuaut. So ger
wiß alfo ein Ehrift nicht vvllig: die Individualitat des: Stif⸗
ters anziehen. -Tamr;; fo: gewiß wirbiesinicht fat von JIrr⸗
tum und Sünde, und Feiner: fteigt bis gu: Ehriſtus hinauf,
weil nur .diefe Individualität abfolut : adäyuat' war imit
der chviſtlichen Froͤmmigkeit. Einem in-chriftticher From⸗
migkeit, alſo in: der Wahrheit ſeyenden Gefammtlebenigber
müßte es als feine höchſte Entwicklung gelingen, den Pro⸗
ceß: durchzulaufen und. endlich auzulangen bei der wahren
Wiſſenſchaft, die Chriſtum ind Frommigkeit völlig begreift.
Wer dieſe anzuſtrebende Identikät nicht annimmt, ber
muß, ſobald er-confequent verfahren will, alles was Wiſ⸗
ſenſchaft heißt, als der Frömmigkeit gefährlich verwerfen;
denn ſoll die Abſtraction ſeſt bleiben, in welcher die from⸗
men von den um ſie wiſſenden Momenten getrennt ſind, ſo
iſt jeder letztere der Frömmigkeit entzogen und thut ihr
„Abbruch, und.:der Gelehrte, in welchem als ſolchem bie
Richtung auf das Wiſſen überwiegt, müßte, je mehr er
dieſes wäre, deſto unfrommer ſeyn. Nur iſt dieſen Glau⸗
benden, die dem. Wiſſen abhold find, zu bemerken, daß: fie
jeber andern Lebensrichtung und Thätigkeit ebenſo feind
ſeyn, jede Art von Arbeit. und Beruf, fo. gut wie bas
BU u 3 co.
Hilfen; and ber. Kirche verbauen müßten, ‚weil bie Inten⸗
ion: ded Menſchen immer momentan auf. das. ingerictet
iſt, was: er schen! thaet, «ale ſolche Momente daher: ver
eigentlich frommen Richtung, entzogen wären.Dahin
fonumt derjenige, weicher das Gottesbewaßtſeyn: forbert
als. Lebensmorcute dominirend/ da eh. doch sülken auf
irgend audre: als unmittelbar: nn Napızigen. Bean
tewnun begleifend. einmohnen ann... ..;-..'::
913 Die Srommigfeit: alſo iſt dad von —— Aus
ſchanung des Abfoliten sc Offenbarung). die ihre Berechti⸗
gung.in ber Judividnalitut hat, wusgehende Inſichſinden
ed Auſoluten, daher ſie anmittelbares Gefühl;,. Selbfibes
wondtfüpn iſt ihrem Weſen und Urfprunge nach; Die Wiffer-
ſchaft Jingegen begreift as Lbſolunte eben in, Form des für
Alle ideatiſchen: Segrifſes und hat in der innerlich nothwen⸗
digen Zorkbamegung, des: Begriffs ihren Verlauf. So ſchei⸗
Het, ſchoue: Der AusgangsPunet und bie Art der Fortbewe⸗
gung beide Gebiete, und es iſt ebenfo verdienſtlich von
Sichleiermacheer, das dialektiſche Willen aus der Fröm⸗
migkeit, wie von Hegel den ſchellingifchen Anfangspunct
einer unmittelbaren, nicht writer gu erweiſenden Anſchau⸗
ung. des Abſoluten aus der Philoſophie ausgeſchieden zu
haben z. denn beides war eine Bermifchiung:, bie beide Ge⸗
biete nur verwirren konute. Ihr Gegenfat aber findet
allmählich feine Aufhebung, indem nothwendig die währe
Frmmigkeit, in Form ber Vorſtellung gebracht, mit der
wahren Wiſſenfſchaft, ſobald heibe vollkommen ausgebildet
ſind⸗ zuſammentreffen müſſen, als Eins geworden im Re⸗
fultate, Eins in dem: Sinne wie eine Identität von Geiſt
und Ratur behauptet wird als nur formell verfchiedne Ma⸗
nifeſtationen bed Abfoluten: Bevor aber dieſe Ausgleichung
von der Menſchheit zu Stande gebracht wird, erweiſen
Frömmigkeit und Wilfenfchaft ſchon daburch ihre höhere
Einheit, daß fie mit einander in Wechſelwirkung ſtehen,
einander gegenfeitfigizur Klarheit und Wahrheit bringen,
über die Dignituͤt des Religionsſtifters. 6840
was ohne Identität. unmöglich: wäre - Dieß werden e
alsdaun in vollen Maße than, wenn aus. ver Mifſen⸗
ſchaft verbannt wird, was Der Zrömmigfeit zufommt, nam⸗
lich die unmittelbare Anſchauung, bie, weil etwas Indivi⸗
duelles immer ein poetiſtrendes Element in das identiſch
ſeyn ſollende Wiſſen hinüberſpielt, ober wie man ſenſtdas
ſchlechthinige Afficirtſeyn vor AWſoluten begeichnen mag s
ans: ber Frömmigkeit aber. weggewieſen wird) bie Dinkel;
tifche Selöfifsrtbewegung bed Begriffe, bie. mit: Denk indi⸗
viduellen Gebiete weſentlich nichts zu she hat, und: bloß
abs Darſtellungamittel bemwu tz werben kaun Wii... 1: 1
.; &o werben beide Geblſete bei aller: höhern Einheit, dae
jetzt noch meiſt nur index: Wechſelwirſung heider workiegt,
denroch jedes als fer ſich ſeyend ſich: ford. untwickeln/: in
ver Frömmigkeit die Macht und Mtalieks den: Individuali⸗
säten ſich gellend mãchen hy/ ·indent / bie Deſte: allbomiuirend
wird und alle andern: allmahlich anzieht; im der Wiſſeu⸗
ſchaft aber das Alben inenssfche ;ihegsiffliche: Wiſſen: ſeine
immer 'höhgre Geltung ſinden, fo. daß nimmer Hier vit Gin⸗
zelner kommen kann, der Für zalle Zeiten. KTomin iren wür⸗
de, ſondern je der Wiſſendſte das Eitle und Gleichgültige
ſeiner wie jeder Perſönlichkeit erkennt, währendeje der
Frömmſte im Gebirte der. Frömmtigfeit :die Individualität
als :das. Feftzuhaltende nimmer vwerlient, vielmehr immer
Ichendiger ber Stifter. dominiren wird; bis dann dio Balls
endung des: hüchſten Gutes‘ erſcheiat, went biefe Indivi⸗
dualität die allen Menſchen gemeinſame geworden iſt ver⸗
möge bes kräftigen Princips der Wahlanziehung, wie auch
Paulus geſchrieben hat 1 Eor. 13,8: die Liebe (und dieſe
— ja —— der Vadleidaauti hört nimmer
— LE SU v
u} Sälrieem. Siiusenstepe 1. Pe J
B) Gbendafs © 74 nennt: Sk. Viefe Mat’ cin Wirten bes Zotals
eindruds der Eigenthümlichkeit Chriſti. Die eigenthuͤmliche Epiftenz
aber wirt une. uefpeßngtich auß das Geiäfibewußtfeun::"
548 Bee n Bcweigen': f .
anf, wahrend noch Die Weiſſagungen, Spradien und Er;
kenntvoiß (das Identiſche) aufhören werden (nämlich:wicht
in der Sefammtheit, aber im Eitzelnen).. :Auf dieſem Bege
hebt ch ums auch jener Gegunfah af, entweber nur das
Sndinibuelle, Erſcheinende ‚Fr das Wirkliche zu halten,
oder nur die: Idee in ihren Allgemeinheiten uber: Katego⸗
rieen bed: Denkens und. Seyns. Aufgehoben iſt er im der
Ider oder dem ſich als beides mrantfeftirenden Abſoluten =).
So iſt: nun ebenfo ſehr die volle Dignität des Stifkers im
Bebiete der: Frömmigkeit von: und darzuſtellen, als zu er
weifen gefucht worden, daß ihm vermmdge. einer innern
Mothimendigkeit ein birected; Dominiren im Gebiete dee
Wiſſens naht gufommen Diane, fondern nur ‘ein. inbirectes,
inſofern nümlich:der nicht Fromme, weäll-in ber. Iinwahrs
heit: ſeyend und aus ihr Heraus denkend und urbeftend,
auch: se Wiffen Keine Wahrheit wind finden Adımen. .. Die
Mothwendigkeit Ber: Wechfelwirkung: . son. Wiffen "und
Frömmigteir weitkn aufzuzeigen, liegt nicht in unfrer jetzi⸗
gen Aufgabe, eben fo. wenig haben wir das Zuſammentref⸗
fen beider tum; Refnttate hier mehr als blog. vorauszuſe⸗
tzenlineIn dleſer ganzen Erörterung follte gezeigt wer⸗
den,.wiemichtig für die Philoſophie und Religion die Ins
dividualitäteſeyr Darauf: aufmerkſam madte einer
der siften Gelehrten nicht nur. umfer 8 Zeitalters, S chleiers
macher, and hinterläßt, wie in biefet,: fo im unzähligen
vorihm arigeregten — a. ee 2 belebens
le 7 rt zılı m 12 Rn t *
— .. — ..
a) Wergt, Stin. ap Kit. 18 4, deſt S. iur. Die eben
daſelbſt ntwitkelte Anſicht, daß die riſtuiche Religion ſeldſt eine
2 Vhiloſophie ſey, alſo doch ein Wiffen, wird nothwendig auf alle
oben entwidelten Unmöglichleiten, die alldominirende Dignität
Eines zu finden, alfo felbft auf dad, was fie der hegelſchen
Säule vorwirft, ſtoßen - mäflen,. denn. auch, . wenn ſie Ghriſtum
: 68 Gottmenſchen faßt, wird fie ihn wollen begreifen: in menſch⸗
. "Mden Formen; darum If Gott. Menfch geworben. Auch bie Folge⸗
rung; die: Philoſophie ſolle ſich aufs Chriſtenthum gründen, ſcheint
über bie Dignität' bes Keligionsſtifters. 849
. den Geil a). Diefer zieht fich durch unfere Abhandlung,
. bie bi gegen ihr Ende hin nicht gemeint war, eine Blume
. zu werben auf des Verewigten Grab, fonbern lieber wies
der eine beſcheidene Blüthe, in ber’ er fich, wenn auch nur
theilweife und in anderer individualität, wieber finde,
Auch in diefer von ihm oft begabten Zeitfchrift möge noch
‚ vielfach der Same aufgehen, den er fo unverbroffen aus⸗
geftreut hat, daß eben biefe Berufstrene den ſchönen Tod
veranlaſſen follte, der Viele zu deſto geiſtigerem Leben erre⸗
gen wird. —
A Schweiger, Prediger.
jene um ihre Gelbftfländigkeit, alfo um ihre Seyn zu bringen.
Die Identität der Wahrheit, weldhe in beiden feyn fol, Tann un»
möglih das Zufammenfchmelzen: beider in Einen Guß forbern,
Das Gegentheil aber verdient ben Vorwurf atomiftifchen Nebens
einanderftellens fo wenig, daß darüber nichts zu fagen ift.
a) Möchten neben ber Dialektik, die er eben auszuarbeiten befchäfs
tigt war, namentlich auch die fo anregenden BVorlefungen über
die Ethik veröffentlicht werben, in denen feine großartige Auffafs
fung des gefammten Wernunftiebens fi ausſpricht, daß feinen
tritifhen Verbienften um diefe Wiffenfchaft auch bie conflructipen
= anſchließen. —
3.
wu proteftantifhe Beantwortung der Sym⸗
bolik von Dr. Moͤhler
durch
Dr. C. I. Nik fd.
Vierter Artikel, vom Sacrament.
Beide Kirchen erfennen bie Bermittelung der göttlichen
Gnadenwirkung in beiden, in dem Worte Gottes und im
Sacramente. Diefe Mittel ergänzen einander, das ift fo
im Allgemeinen die beiberfeitige Vorausſetzung. Denn
dadurch, Baß-bie katholiſche Theologie nirgends recht ab;
fihtlich, immer nur gelegentlich und halb die Wirkung des
Wortes mit heranziehet, Coneil. Trid. de iustif. cap. VI.
Catech. Rom. I. 1. qu. 21. IV. 13. qu. 12., werden wir
nicht bererhtiget, ihr die obige Zufammenftellung oder die
Beziehung der Gnade auf ded Wortes Wirkung ganz abs
zufprechen. Kommt ed dann zu nähern Beftimmungen,
fo zeigt fich freilich, daß die wefentlichen Heilszuſtände
für den Proteflanten überwiegend durch das geglaubte
Wort, für den Katholiken überwiegend durch das richtig
verwaltete Sacrament gewirkt werden. Läßt fi die
‚Heilöfraft des göttlichen Wortes nad) den jeßt gültigen
Fatholifchen Befenntniffen und ohne Zuziehung der ältern
Scholaſtiker überhaupt begreifen, fo Tann fie nur in der
Bermittelung des Borbereitungsftandes gegeben feyn.
Die Wirfung des Wortes bisponirt zum Genuffe des Sa
craments; und das die facramentliche Handlung beglei⸗
tende Einfeßungswort erklärt fie, macht fie verftänblid
und befördert Dadurch die Wirkung des Sacranients —
verba enim inter omnia signa maximam vim habere perspi-
proteftant. Beantwort. i@Umbolif v. Moͤhler. 851
emuim est: ac si.ipsa.desint, plane obschrum 'etit; quldnam
materia sacranientorum. demionstret Catech. R. H. 1. qu: 8;
Dabei ift es ganz: unbehentlid, Die. Frage, wodurch denn
nun eigentlich Gerechtigkeit und Heil dem Menſchen ans
geeignet werde, lediglich mit dem Sacramente gu’ beunts
worten. Das Sacrament gibt den innern wie den äu⸗
Bern chriftlichen Charakter; und im dieſer Beziehung ift
von einer Gleichftellung deſſelben mit.dem Worte sder von
einer: Zuſammenwirkung der beiden Gnabdenmittel auch
denn nicht die Rede, wann es 3. B. Cat. Rom. II. 2. qu. 21.
heißt: das ganze chriftliche Gebäude fey gegründet: anf
den Eckſtein; allein. wenn nicht. Predigt des. göttlichen
Worts und Sacramentsgebrauch es ſtütze (fuleire), ents
ſtehe die Beſorgniß/ es werde großentheils zuſammenſtür⸗
zen. Gleich darauf, folgt nämlich die zur ganzen Lehre
ſtinmmende Erklaͤrung: das Sacrament macht des Lebens
theilhaft, das Wort ernährt dieſes Leben. Wie man nun
immer dieſes faſſen möge, + ed darf nicht überſehen wer⸗
ben, daß theils die Gnade, Die ben Stand bes Heils nur
vorbereitet, theils die, welche ihn bewahrt, auch wenig»
ſtens ebenfo.fehr, wie Durch Wirkung des Wortes durch
Werte, die nicht ſacramentlich, aber firchlich find, vermit⸗
telt und auch inſoweit dad Wort leicht. zurückgedrängt
werben kann — gewiß ift.dem Katholiken dag Sacrament
das vorgeordnete, eigentliche Mittel Des Held, Fur deu
Proteſtanten findet das entgegengefegte Berhältnig Itatt.
Das Sacrament wirket zwar auch für ihn auf eigenthüm⸗
liche Weiſe zur Herweorbringung oder Vervollkommnung
und Bewahrung eines Zuftandes mit, allein das, was es
wirkt, iſt der Art nach nichts Höheres, Vollkommneres
und Seligmachenderes als das geiſtliche, durch die Wir⸗
tung bes Wortes im Glauben gewirkte Leben. Nach pro⸗
teſtantiſcher Berfiellung wirtet das Wort zu facramentlidi
und das Sacrament ſelbſt zu fehr mit dem Werte und. in
Bezug auf das Wort, als daß die Ertheilnng der :innern
%
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Beſtimmtheit eined Chriſten auf bie Wirkung Des. Saera⸗
ments im engern Sinne befchzünft werben könnte. Wort
und Glaube, Gnade und Glaube fchaffen das weſentliche
Leben, welches nun freilich zu. feiner Pflege und Bewah⸗
rung Bebürfniffe en Denen bie ——— Einſetzung
entſpricht.
Auf diefe 1 eine Vergleichen Betrachtung muß bier
jeder Symbolifer unfrer Zeit eingehen, wenn er den For-
derungen ber Wiffenfchaft und der gefchichtlichen Gerech⸗
tigkeit entfprechen will. Hr. Dr. Möhler ift weit ent
fernt, biefes zu thun. Nachdem er die proteflantifche
Rechtfertigungslehre als einen unfittlichen Aberglaubenvor-
geftellt, mußte er.in unfren Bekenntniſſe vom Sacramente
foviel wie möglich den Unglauben: nachweifen,. ober einen
Naturalismus, der nur bie und da eben wieder durch ka⸗
tholifchen Glauben feine Biößen zu decken ſuche. Er ftellt
ſich daher von vorn herein fo, daß er, was chriſtlicher Ge⸗
meinglaube der Proteftanten und Katholiken ift, gar nicht
als folchen, fondern als katholiſchen Glauben faßt, oder
er.verdedt Doch das, was Proteflanten in Bezug auf Zus
eignungsmittel der Gnade glauben, indem er dad Ver⸗
hältniß von. Wort und Sacrament von der ‚vergleichen:
den Betrachtung gänzlich ausfchließt. Sp iſt z. 3. alles,
was .der römifche Katechismus. über. das Zweckmäßige
und Erforderliche bed. Sacramientes ſagt, nur infoweit
wahr, und infoweit auch proteftantifch, ale man. vorher
ſchon weiß, wie es ſich zur zueignen den Kraft ned Wortes
verhalte, und daß es dieſe Kraft nicht verleugne. Das
Glaͤubigſte, fo zu ſagen, am ſacramentlichen chriſtlichen
Gemeinglauben iſt doch wohl dieſes: je mehr. das. Saera⸗
ment mit voller Empfänglichleit genoſſen wird, deſto we⸗
niger iſt es bloßes Zeichen, oder. bloßes Unterpfand ber
Lebensmittheilung Chrifti, deſto mehr ‚biefe Mittbeilung
felbft. Das Sacrament ift.Leiter, Canal ber Gnade, wie
ber sömifche Katechismus ſich ausdrückt. Bis auf biefen
*
proteſtant. Beantwort. d. Symbolik v. Moͤhler. 853
Punct aber wird der Sacramentsbegriff — ich will zuge⸗
ben unter ſehr verſchiedenen Bedingungen — durch das
in dieſer Hinſicht ganz ungetheilte Bekenntniß der Pro⸗
teſtanten geſteigert. Denn auch die Proteſtanten, welche
nicht die myſtiſche Identität, ſondern die myſtiſche Simul⸗
taneität der ſinnlichen und geiſtlichen Perception wollen,
Die des helvetiſchen 3. B. und vierſtädtiſchen Bekenntniſ⸗
ſes, können nicht fo ausgelegt werben, als wäre ihnen Die
facramentlihe Handlung nur das Unterpfand einer all
gemeinen Wahrheit oder ihres fonftigen allgemeinen Ver⸗
hältniffes zu Ehriftus, vielmehr innerhalb des Actes und
in der Gegenwärtigfeit deffelben haben fie, empfangen fie
die Lebensmittheilung des Erlöfere, die Gemeinfchaft fei-
nes Leibes und Blutes, die ihnen durch das GSichtbare
"Kraft feiner .Berheißung, Verabredung, Cinfeßung ver-
pfändet oder verfiegelt wird. Der proteflantifche Begriff
des Siegeld oder Pfandes ift weit entfernt, Die collative
Kraft des Sacraments zu ſchwächen; er geftattet fogar
die myftifche Verknüpfung der Elemente des Sacra⸗
ments .mit der res signata et exhibenda — signa et res
significatae sacramentaliter coniunguntur Conf. Helv. —
Bezeichnung, Befiegelung, Darreichung der Gnade Chrifti
vereinigen fich im Sacramente Decl. Thorun. — Bis hies
her hat demnach Hr. D. M. nichts als hriftlichen Gemein»
glauben, keineswegs aber etwas, das in ben Fatholifch-
proteftantifchen Gegenfaß ftele, dargeftellt. Vielleicht ift
ed anders mit dem Folgenden. Die katholifche Seite lehrt,
das Sacrament wirte Gnabe und Heil ex opere operato,
nämlich in denen, qui obicem non ponunt, bie fein Hin-
derniß in den Weg legen. Wie legt dieß unfere Symbo-
If aus? „Das opus operatum ift dasjenige, quod Christus
operatus est, d. h. die Sacramente überbringen eine vom
Heiland aus verdiente (!) göttliche Kraft, die durch Feine
menfchliche Stimmung, durch Peine geiftige Verfaſſung
oder Anftrengung vermittelt werben kann, ſondern von
Theol, Stud. Jahrg. 1834, 56
854 Risſch
Gott um Chriſti willen ſchlechthin im Sacramente gegeben
wird. Allerdings muß. fle der Menſch empfangen und
beghalb empfänglich ſeyn, was ſich in ber Neue und
dent Schmerze über die Sünde, in der Sehnfucht nad
Hülfe und dem vertrauensvollen Glauben ausſpricht, allein
er vermag fie nur zu empfangen, und darum nur empfänglid
zu feyn.” Hinterher heißt die Empfänglichfeit, wie billig,
doch auch eine Thätigfeit ; Diefe follnur (wie fidh freilich von
felbft verftehen würde) nicht Die Gnade felbft noch eine fie ver-
dienende ſeyn. Sch will nicht leugnen, dag in dieſer Darftels
lung noch gleichfam wider Willen des Verfaſſers etwas von
dem Gegenfaße hindurchfcheine., Das Wörtlein „werbiente
Kraft” weiſet bahin, daß Chriſtus es ber Kirche verbient
habe, felbfiftändig durch das Sacrament Gnade zu fpens
den u.f.w. Doc im Ganzen find wir berechtigt, zu bes
haupten, wenn dieß die Fatholifche Lehre ift, fo find wir
Proteitanten noch um ein fehr Bebeutendes fatholifcher,
als die Katholifen. Wenn nämlic von Wirkung zur Ses
ligkeit die Rede ift, fo laffen wir im Sacramente Chris
ſtum wirken und ganz allein, feine Einſetzung, fein
Wort, feinen Geiſt, feine Macht und Gnade, ohne
daß uns irgend eine voluntas oder intentio ministri förberlich
oder hinderlich werden könnte, und folglich kommt es eben
nur auf unſere Empfänglichkeit für die Darbietungen des
Erföfers an, auf eine Empfaͤnglichkeit, die er ſelbſt freilich
beffer als wir zuͤ erfennen und zu würbigen weiß 9). Aus
a) Conf. Helv. Mai. Et ut deus sacramentorum auctor est, ita
perpetuo operatur in ecclesia, in qua rite peraguntur sacra-
menta, adeo ut fideles, cum a ministris sacramenta percipiunt,
agnoscant operari deum in suo instituto, ideogue sacramenta
perinde ac ex ipsius dei manu percipere, et ipsis ministri vi-
tium non obesse. Unde etiam aperte in administratione sacra-
mentorum inter dominum et domini ministrum discriminant,
Und am Schluffe des Artikels: So wie bas geprebigte Wort
Sottes an fi Träftig, gültig, gnadenreich bleibt in feinen Daxbies
\
proteftant. Beantwort. d. Symbolik v. Möhler. 855
welcher Macht, dürfen wir wohl fragen, läßt denn Hr.
M. ein fo ausdrüdlihes Stüd der fcholaftifch » trienter
Sacramentslehre, ald die Meinung und Willensrichtüng
des Prieſters ift, aud dem Terte weg, um in der Note es
dem Bellarmin zu befter Auslegung zu überlaffen. Eis
nem Bellarmin verargen wir es fo wenig, ald irgend eis
nem, die Lehren der Kirche, wo fie anftößig werben, bes
fiend auszulegen, aber keinem Symboliker dürfen wir
nachlaſſen, in der eigentlichen, wefentlichen Erpofition ders
felben gerade die Puncte zu verfchweigen, die, wie hier
der Fall ift, gerade den proteftantifchen Gegenfaß erfläs
ren und rechtfertigen. Die Forderung der Intention auf
Seiten des Priefters zur heilfamen Wirkſamkeit ober übers
haupt zue Wirkfamkeit des Sacramentd fand vor und
bei dem trienter Concile unter ben römifchen Theologen
MWiderfpruch, Bald wandte man die Gefahr der Täufs
linge oder Beichtlinder ein, Die nun fo Teicht um Die Gnade
fommen oder derfelben ungewiß bleiben fönnten, bald bie
fchon geltende, viel größere Gonceffion, daß Unglaube,
Todfünde des Priefters fogar die Wirkſamkeit des pries
fterlichen Actes nicht aufſebe. Deßhalb fah man fich auch
genöthigt, die Forderung möglichft zu reftringiren; fie bes
hauptete fich Dennoch Sess. 7. can. 11. Si quis dixerit, in mini-
stris, dum sacramenta conficiunt et conferunt, non requiri in-
tentionem saltem faciendi, quod facit ecclesia, anathema sit.
Aus guten Gründen, wie man leicht fieht. Denn wenn,
wie can. 10. es beflimmte, der gemeine Chriſt die mehrften
Sacramente nicht machen noch conferiren konnte, wenn
Die übernatürliche Eigenfchaft des Prieſters, zwar eine
gratis gratis data und nicht gratum faciens, Doc, zum Wer
fen der Sacramentöfpendung gehörte, dagegen Fein bonus
i tungen, wenn es nicht ober Übel gebraucht, nicht geglaubt noch ger
nofien wird, fo auch das Sacrament u, ſ. w.
} j 3 56 »
sss Be
mötus des Empfängers zum Empfange. der Gnade, ja be
der Privatmeffe gar fein Empfänger, bei der Kindertaufe
Tein bewußter Empfänger vorhanden war: fo würde bei
gänzlich mangelnder Conformität Dee priefterlichen Be
wußtſeyns mit der Abficht der Handlung gar nichts _als
der abfolut mechanifche, zufällige, äußerliche Act übrig ge⸗
blieben ſeyn, und von diefem hätte ſich kaum noch irgend
ein Gläubiger irgend ein Heil verfprochen. Mean hatte
einmal dem Werthe des opus den Werth des durch ben
Glauben ergriffenen Einſetzungs⸗ und Berheißungswors
- tes, der Würde des Prieſters die Würde der Gemeinde
aufgeopfert, daraus entilanden große Gefahren und Ber
fegenheiten, wenn nun dennoch der Werth des Wortes
ohne fittliche Würdigfeit des Priefters beftehen follte; die
fittlich gleichgültige übernatürliche Eigenfchaft Des Pries
ſters mußte nun wenigiteng pfychologiſch belebt werden,
und das ſo mitwirkende prieſterliche Bewußtſeyn zur er⸗
forderlichen Form des ſonſt aller Gewähr beraubten
Werkes hinzu kommen. Man ergab ſich alſo der geringern
Verlegenheit. Die Lehre von der intentio ministri iſt eine
Rachhülfe für das Dogma vom opus operatum, melde
noch manche VBortheile anderer Art gewährt, und das legte
Dogma wird wiederum durch den Begriff des „nicht ges
legten Hinderniffes” erklärt und unterftügt. Die canones
6.8. 11. find aus dem pofitiven und negativen Inhalte ei⸗
nes jeden für ſich gar nicht, fondern nur durch einander
zu verfiehen. Der achte Kanon fagt 1) pofitiv, durch die
Sacramente ded N, T. (anders: ift es mit denen bed A.)
wird Gnade ex opere operato ertheilt; 2) negativ, der
Glaube an die göttliche Verheißung reicht zur Erlangung
ber Gnade nicht hin. Der fo ausgedrüdte Gegenſatz leis
det im höchften Grade an Zmweideutigfeit: Man könnte
sub 2 erwarten: ber-Ölaube an die. göttliche Verheißung
im Sacramente ift zum heilfamen Empfange beffelben nicht
proteflant. Beantwort. d. Symbolik v. Moͤhler. 857
nöthig a), da er vielmehr durch das zuvorkommend und an
ſich wirkende Sacrament mitgetheilt oder bis zur vollen
Lebendigkeit erweckt wird, die Wirkung des in ſeiner In⸗
tegrität vollzognen Werkes erſetzt den Mangel des Glau⸗
bens, oder den Mangel der boni motus, wie man ſeit
Scotus vielfältig lehrte. So würde der Gegenfaß Far,
fo wäre er zugleich der ausgefprochene Sinn des Syſtems.
Die Synode hielt für gut, ihn zu verrüden, fo, daß als
lenfalls Folgendes gefagt fchien: der Glaube an die Vers
heißung allein macht der Gnade nicht theilhaftig, nur der
durch Liebe geftaltete Glaube, diefer aber wird durch das
Sacrament mitgetheilt, oder: der Glaube, der fich eben
nur an das Wort hält, macht nicht gerecht und felig, bag
Sacrament muß dazu wirken, ober endlich: nicht Die Subs
jectiwität (Glaube) ift Die wirkende Urfache des Heils
im Sacramente, fie kann ja nur Die werkzeugliche empfan⸗
gende feyn, fondern die im Sacrament enthaltene und im
Werke vermittelte Gnade des heiligen Geiſtes. Gilt, wie
bei unferm Df., Die legte Auslegung, dann verfchwinbet.
aller Anftoß der Proteftanten an dem Kanon, denn nichts.
ift ihrem Befenntnifle fremder, als daß die fubiective Con⸗
templation, Stimmung, Gläubigfeit, wie groß fie immer
fey, das Sacrament oder deffen Segen bewirfe, verdie-
ne, ausmache. Der Bf. hat nun ganz Recht, fein Befrem⸗
den darüber auszudrüden, dag Luther fich gegen daß (fo
gu verftehende) opus operatum fo flandhaft gewehrt, da
er die Sache felbft fpäterhin genehmigt habe, Und in
der That, es bliebe nur übrig, die Abneigung gegen alle
iholaftifchen, barbarifchen Ausdrüde zu Hülfe zu nehmen,
um die Erfcheinung zu erklären, wenn man.nicht einfehen.
könnte, daß Luther Die hiftorifche Bedeutung Des opus
operatum fannte, welche eine nod) andre iſt als die, welche
a) Sajetan gegen Luther: fides non necessaria aocessuro ad
eucharistiam.
858 Nitzſch
Hr. D. M. gelten läßt, und daß das Concil ſich eben auch dieſe
biftorifche Bedeutung, wie man aus Dem Zufammenhangeder
canones erkennen kann, wirklich vorbehaltenhat. Damals
zwar, ald man zuerſt opus operans (operantis) und opera-
tum entgegenfeßte — Innocentius III. in Mysteriis missae
3, 5. — mar davon die Rebe, das letztre behalte feine Rein
beit und Kraft, wenn auch das erfire noch. fo unrein fey,
d. h. die Sünde des Priefters nehme dem facramentlichen
Werke nichts, Allein Die Entgegenfeßung tritt, wo nicht
bei Thomas, doch bei Albert, Scotus, Biel in ganz an
derer Beziehung wieder auf. Sie verfnüpft ſich mit dem
Unterfchiede des alt» und neuteflamentlichen Sacraments.
Das altteftamentliche Sacrament wirkte Heil und Gnade
ex opere operante oder operantis, nadı Maßgabe der Des
sotion, guten und frommen Erregung deſſen, der das
Sacrament empfing; das neuteftamentliche (welches ja
doch wirkfamer feyn muß, ald jenes) ex opere operato,
d. 5. ohne Bedingung der verdienftlichen oder empfäng-
lichen Dispofition, sine bono motu utentis. Die poſitive
Empfänglichfeit ift nicht erforderlich, nur Die negative,
ut non ponat obicem, und abex ift wiederum in fittlicher
Hinficht eben nur die Todfünde, die noch beftehende oder
im Borhaben begriffene. Noch der legte bedeutende Schos
laftifer vor der Reformation, Gabriel Biel, erläutert
dieß dahin, Das opus operans des Priefterd (feine perfüns
liche Heiligkeit) z. B. bei ber Meſſe wirke freilich noch bes
fondere Erhörungen und Segnungen, ebenfo dad opus
operans der Sacramentdempfänger Cihre innere fromme
Erregung), allein auch abgefehn davon müffe dem opus
operatum feine ganz felbitftändige Gnadenwirkung zuges
rechnet bleiben. Das ift nicht zu zweifeln, daß ſich fchon
vor ber Reformation nnd nachher viele einzelne fromme
Theologen gegen dergleichen Lehren empört fühlten; Joh.
Gerhard und Martin Chemniß citiren ihre Verfuche,
die Scholaftifer durdy allerlei Snterpretation des opus
[
proteſtant. Beantwort. d. Symbolik v. Moͤhler. 859
operatum zu reinigen. Herrſchte ſie darum zu der Zeit,
da Luther auftrat, weniger? ) Ward fie ihm nicht von
Gajetan förmlich; vorgehalten? Hat er alfo, der wohl
wußte, was er that, nur aus Eigenfinn oder im Worte
freite die Formel verworfen? Auch das Concil wußte,
was es that, wenn es ein fo anftößiges Wörtlein dennoch
nicht fallen ließ, und die ganz dazu gehörige Formel non
ponentibus obicem abfichtlich an einem andern Orte can.
6. ebenfalls genehmigte. Den verfchiedenen Schulen der
Theologen follte alle Breite bleiben, ihre Meinungen zu
retten; denn es gab zu Trient eine bedeutende Zwiftigfeit
der Dominicaner und Franciscaner über die den Beſtand⸗
theilen bed Sacraments einwohnenbe oder nicht einwoh⸗
nende virtus causativa et eflectiva, ob fie phyſiſch ſey, ob
das Sacrament die Gnade enthalte, welches die letztern
alles in Abrebe ftellten, indem fie einzig auf Die göttliche
Berheißung fich zurüdgogen und ben Eutheranern zu nahe
zu fommen fchienen: allein die evangelifche Forderung
der pofitiven Empfänglichkeit abzumweifen und nicht zu
Stande fommen zu laffen, Darauf war die ganze Reihe Ver
canones gerichtet. Kein Hinderniß in den Weg legen und ein
gläubiges, bußfertiges Herz mitbringen, gilt dem Hrn.D. M.
gleich; und man follte freilich Denken, mit Recht. Denn iſt von
ber Gefinnnng die Rebe, ander es feine Indifferenz gibt,
fo legt fie eben fchon durch Unglänbigkeit und Unbußfertigkeit
obicem, die negative Forderung geht da ganz in die pofitive
über, und in ber That macht es dem Bellarmin undfeinen
a) ©. Melanchthon in der Apol. art. VII. Hic damnamus totum
populum scholasticorum doctorum, qui docent, quod sacra-
menta non ponenti obicem conferant gratiam ex opere opera-
to sine bono motu utentis. Haec simpliciter iudaica opinio
est, sentire, quod per ceremoniam iustificemur, sine bono
motu cordis, h, e. sine fide. Et tamen haec impia et perni-
ciosa opinio magna auctoritate docetur in tuto regno pon-
tikcio, —
BE Nibſch
Nachfolgern alle Ehre, den Begriff des opus operatum und
obex bis dahin ausgedehnt zu haben, daß alle geiftlihen
- Bebingungen des wirffamen Gnabenmittels in Anerkennung
kommen. Indeſſen nach gefchichtlic; treuer Auslegung ber
Worte und Begriffe befteht zwifchen jenen beiden Dingen
ein großer Unterfchied. Sene, Die zuerft nur das „Hin
berniß” binwegdachten, befanden fich auf dem Gebiete der
That. Gie fahen ja eben bad opus operantis an, fie
forderten in demſelben Momente, wo fie fides et poeni-
tentia nicht forderten, die Abmwefenheit der Todfünde,
und mit ihr eben nur eine folche Befchaffenheit des empis
rifchen Bewußtſeyns und Verhaltens, bei welcher bag
äußerſte Aergerniß nicht zu befürchten und irgend «eine,
wenn auch noch fo paffive und träge Hingebung an das
opus operatum zu hoffen war. Das Sacrament follte
durch die mindefte Forderung gewinnen, und bamit hatte
ed dieſelbe Bewandniß wie mit der attritio cordis, auf
welche man die contritio zurückgeführt. Der Proteſtantis⸗
mus durfte mit feiner Diefer Formeln pacisciren, went
fhon die der Erfchlaffung wehrenden beffern Katholifen
- eine pofitive Empfänglichfeit, dispositionem, poenitentiam
‘et fidem, nachträglich der negativen hinzuthun wollten.
Abgefehn davon, bag man unter fides sacramenti bag kirch⸗
liche Fürwahrhalten verftand, mußte die Lehre vom nicht
vorhandenen Hinderniß allezeit fhwächend auf den Bes
griff der Dispofition zurückwirken.
Der Df. erwähnt hier bloß die Siebenzahl der Sas
cramente, ohne ihre Gültigkeit jebt zu erörtern, fchließt
aber mit der Bemerkung, daß feines Sacramented Empfang
zur Seligkeit fchlechthin nothwendig fey: Da dieß nur
wieder Beftandtheil des chriftlichen Gemeinglaubens und
dem römifchen Katholieismus nicht eigenthümlich ift, fo
hätte man wenigſtens nicht erwarten follen, der Bf. würde
ed nachher ©. 242 den Reformatoren als anfängliche Ges
singfhägung des Sarraments auslegen, wenn fie das
proteftant. Beantwort. d. Symbolik v. Möhler. 8.
alte Wort crede et manducasti weiter ausführen. Die
wahre Kirche hat von jeher die Nothwendigkeit und Nichts
nothwendigfeit bes Sacramentsd zugleich behauptet. Wie
dieß gefchehen dürfe, ift aber nur da zu begreifen, wo bei
Harer Beziehung der beiden Gnadenmittel auf einander
das VBorgewicht auf Die Heildbewirkung Durch das geglaubte
und in dem Herzen belebte Wort der Verheißung gelegt
wird. Bis in das Sacrament hinein wirkt dieß Verhälts
niß, fo daß auch mit und am Sacramente das Wort das
opus an Gültigkeit überwieget und die Gültigfeit des letz⸗
tern bedingt.
Der Df. geht zur Darftellung der Iutherifhen
‚ Zehre über, d. h. zur Lehre Luthers, wie fie urfprünglich
befchaffen gewefen. Ebenſo handelt er von Lehren Zwing-
li's und Calvin's. Man fragt ſich wieder, warum wird
nicht das proteftantifche Belenntniß vom Sas
cramente als die Sache, um welche ed fich handelt, erörs
tert? Antwort: dieß ift Fein anderes, als das Fatholis
fche, wenn man von der Siebenzahl abfieht. Denn Luther
ift vom fchroffften Gegenfabe gegen Die Kirche ausgegans
gen; Carlſtadt, Zwingli u. d. a. haben ſich von ihm vers
führen laffen. Als aber der Verführer fein Werf und defs
fen Folgen gewahr ward, erfchraf er, Fehrte zu den unbes
fonnen Cim Leichtfinne des Widerfpruchsgeiftes) verlaßnen
Fatholifchen Dogma von der collativen Kraft des Sacras
ments, zum opus operatum, zurüd, ohne e8 freilich Wort
haben zu wollen und fogar wiberfirebend. Indeſſen bie
Folgen ber urfprünglichen Sacramentsfchen beftehen, D
Daß bie Siebenzahl aufgegeben wurde; 2) daß fich Die Kin
dertaufe nicht rechtfertigen laßt; 3) daß in Gemäßheit
feiner NRechtfertigungslehre Luther eigentlich hätte carls
ftadtifch über das Sacrament Ichren und darin beharren
follen. Zwingli übrigens hat eben nur die von Luther
angegebenen Winke weiter verfolgt, und (nach dem Texte
der Symbolid) in den Sacramenten nichts ald Erkennungs⸗
-
862 j Nitzſch
zeichen (nach der unten ſtehenden Note noch etwas mehr)
geſehen; Calvin aber ſich mit der fymbolifchen lutheri⸗
ſchen Lehre ſoweit vereinigt, als es die abſolute Gnaden⸗
wahl zuließ. Denn ungetrennt vom Element hätte das
Aliment auch können einem Nichterwählten zu Theil wer⸗
den; darum — jo ſchließt Hr. D. M. — mußte Calvin
das Aeußerliche des Sacraments vom Geiſtlichen ſcheiden.
Großentheils beantwortet ſich dergleichen von ſelbſt;
wo nicht, ſo iſt unſere Antwort theils in dem, was wir
über den ſacramentlichen Gemeinglauben geſagt haben,
theils in unſrer Erörterung des katholiſchen Lehrbegriffs
ſchon enthalten. Demungeachtet drängt ſich mir noch fol⸗
gende Betrachtung auf.
Die Sacramentslehre der Reformation hat wie dieſe
ſelbſt ihren Bildungsproceß gehabt, bie ſcholaſtiſche nicht
minder. Die Scholaftif hat in der urfprünglich guten
Richtung, gegen bloße Zeichenlehre und Ceremonienbe⸗
griffe Das Uebernatürliche zu vindiciren, einen Leberfprufig
ind Unnatürliche gethan, allen Borftellungen, die aus der
Region der Zauberei und nicht des Glaubens herſtamm⸗
ten, wenn fie einmal ſich aus dem hierarchifchen Treiben
sticht mehr verdrängen ließen, mit wiffenfchaftlichen Bes
flimmungen gefröhnt, denen fie felbft wieder die Wiſſen⸗
fchaftlichfeit abfprechen mußte, und der herrfchenden Kirche
beigeftanden, die urchriftliche Symbolik theils zu berauben
und zu entitellen, theild mit unbefugten Zu = und Auffäben
zu beläftigen. Freilich hat fie Dieß nur unter oft wiebers
holten Proteftationen der rechtgläubigften und achtunges
würdigften Männer durch Die Gunft der in der Maffe ob»
waltenden Richtung vollbracht. Die Reformation hat das
unbeftreitbare Berdienft, die Wahrheit und Reinheit dee
. äußern Symbols hergeftellt, den vergrabenen Schag ber
Bedeutungen wieder zu Tage gebracht, und die nothwen⸗
Dige Myftif der Sacramente von der Superftition gefons
dert zu haben. Anch dieß ift, auf bem Gebiete der Theo⸗
‘
proteflant. Beantwort. d. Symbolik v. Möhler. 863
Ingie, nicht ohne Zufälle, Irrungen und Hemmungen ges
fhehen, nur daß der in allen Befenntniffen einige Protes
ftantismus der weitern theologifchen Fortbildung, bei vors
behaltnem Zurüdigehen auf den Kanon, feinen Riegel vors .
fhiebt. Es gefchah zwar in dem Zeitpuncte der Reformas
tion, aber nicht zum erften Male, daß die hypermyftifche
ober zauberifche Borftellung den entgegengefeßten Fehler,
die Behauptung des signum nudum oder des bloßen Bes
Fenntnißzeichens, hervorrief, Gegen diefenige Kirche, Die
im Dienfte der Verwandlungslehre und bed opus operatum
die fombolifche Natur des Sacraments verlengnete uub
zerflörte, hatte die fogenannte Keßeret allezeit recht, zus
nächft aber nur wieder Daß Dafeyn des Symbold und die
Bedeutung zu behaupten. Diejenige Kirche, die bes
Sacramentes Wirkung und Wefen vom lebendigen Worte
und Glauben, den Sohn vom Geiſte Iosgeriffen hatte,
durfte einen Gegner nie fügen ftrafen oder des Unchriſten⸗
thums zeihen, der der Gemeinfchaft Des Erldfers durch Die
Speife des Wortes als durch Die rechte Affimilation mit feis
nem Leben theilhaft zu werden hoffte und fich des Sacra⸗
mentes nur noch als eines Zeichend diefer Gemeinfchaft
oder auch dieſes Zeichens nicht mehr bediente, weil es fo
fehr vom Wefen abgelenkt und etwa nur habe bei noch
nicht ganz befeftigter Wirffamkeit des Wortes einem ans
fänglichen Bebürfniffe dienen follen. Bloße Gebetschriften,
Meflalianer und dergleichen find nicht weniger Chriſten
als bloße Sacramentschriften; bloße Symboliker ftchen
fidy nicht fchlechter mit der Quelle des Lebens ale bie Hies
rurgen, die den Leib Chrifti conficiren. Diefe find am Ende
Des verfchwindenden Chriftenthums angelangt, jene ftehen
am Wiederanfange der Entwidlung. Doc, wie fchon ans
gedeutet wurde, dieſe äußerfte Entgegenfeßung, die den Ka⸗
tholicismus und Socinismus betrifft, gehet den Gegenſatz,
von welchem wir bier reden, nichts an. Die Zurüdführung
des Sacraments auf das bloß gefellfchaftliche Erfennunges
864 Nitzſch
zeichen wird von der Reformation theils ausdrücklich, wie
Helv. Conf. 1534 — 36. XX. a) theils dadurch verworfen,
daß man 3. DB. nach ber in diefer Hinſicht am Außerften
Örenzpuncte gelegnen mühlhaufer Gonfeffion die freis
lich auch außer Dem Sacramente gegebene geiftliche Speis
fung des Menjchen mit. Ehriftus fich im Sacramente als
auf befondere Weife angeboten denkt. Sch berühre
abfichtlich bier nur Belenntniffe, die Zwingli’n ganz
nahe ftehen. Im Uebrigen das wid felbft ver Katholicismus,
daß das Sacrament auch und zunädhft für das chriftliche
Belenntnißzeichen gelte b). Was nun den Zwinglian
langt, fo ift es während ber erften Berfuche des römischen
Hofes und Johann ES, die Zlircher zu bekehren, freilic
Sitte gewefen, ihn und feine Lehre Iutherifch zu nennen
nnd die leßtere von Luther abzuleiten; da er ‘aber ſchon
im Sahr 1523 durch Die Auslegung c) des 18ten Artikels
feiner Schlußreben fo trefflich und unverbächtig mit Bors
. führung von Zengen darauf geantwortet hat: fo ift höchſt
feltfam, daß Hr. D. M. ohne weiters noch heute behauptet,
Zwingli habe die von Luther und Melanchthon über das
Sacrament gegebenen Winfe benutzt und weiter verfolgt,
Das ift befannt, wie fehr Zwingli es beffagt, Luther bleibe
in mehreren Stücken zuweit zurüd, Folgt etwa daraus,
dag Zwingli von Euthern ausgegangen fey? Zwingli hat,
ehe er von Luther wußte, dann, als er bIoß feine Ablaß-
ſchriften gelefen, aus welchen er nichts nenes gelernt, ja
&) Unde asserimus, sacramenta non solum tesseras quasdam so-
cietatis christianae, sed et gratiae divinae symbola esse, qui-
bus ministri Domino ad eum finem, qu&m ipse promittit, ofert
et efhcit, cooperentur, sic tamen qualiter de verbi ministerio
dictum est, ut omnis virtus salvifica soli Domino transsert-
batur. —
b) Catech. Rom. II. cap. 1. 7. ut scilicet notae quaedam et sym-
bola essent, quibus fideles internoscerentur, —
c) 3w, Werte 1. ©, 253.
proteftant. Beantwort. d. Symbolik v. Moͤhler. 865
in demfelben Jahre, wo Luther noch die Verwandlungs⸗
Iehre vortrug (1519), und fortan feine ganze Lebenszeit
hindurch das heil. Abendmahl ale „ficher Zeichen oder Sis
gel? oder „Widergedächtnuß und Sicherung” vorgeftellt.
Sp fehr nämlich Zwingli immer dad GSacrament in Das
Gebiet der gebächtnigmäßigen eier und Darftellung eines
Vergangnen ziehet, fo rettet er Doch wieder bie lebendige
Gegenwart des ertheilenden Chriftus, indem er die Bor-
ftelung des Sigeld und Pfandes der Erlöfung auf das
Abendmahl anwendet. Der Sacramentsgenuß bleibt ihm
ein Act des gläubig andächtigen Lebens, aber er wird ihm
der höchfte Act der Andacht, die auf das Blut Ehrifti,
auf den die Sünde verföhnenden Ehriftus gerichtet ift.
Durch dad Gläubige in der Contemplation Chrifti ift ihm
diefe felbft allezgeit ein folches Effen und Trinken als Joh.
6. gefordert wird zur Geligfeit, und wefentlidy ein. ans
deres Effen oder Trinken kann zur Seligkeit nicht gereis
chen; wohl aber kann diefes Genießen durch dad Sacra⸗
ment, in welchem es nicht nur abgebildet, fondern auch
vermöge der Einfegung aufs Neue offerirt wird, eigens
thümlich vermittelt feyn, fo, daß der Communicant Ehrijti,
der Durch die Speife des Wortes freilich immer communi⸗
eirt hat, aber daran dennoch durch abhaltende. Zufälle
und Umſtände feines nach Außen hin gerichteten Lebens ges
hindert worden ift, nun felbft unter Zuftimmung und Mits
wirkung des Aeußeren in Gemäßheit der von Chriftus felbft
verabrebeten Gelegenheit eine volle Labung des inwendi⸗
gen Menfchen begehen mag. Zufällige fombolifche Hand⸗
lungen, oder das erfte Mal begangene, oder foldhe, Die
nur andern mehr als ſymboliſchen fich anfchließen, können
im bloßen Abbilden, Erinnern, Darftellen, als bloßes
verbum visibile, ihre Zwedvollfommenheit behaupten; ans
ders ift es mit Denen, die zur Wiederholung als wefents.
licher Theil einer Gemeinfchaft des Glaubens geftiftet.
find. Hier will der Menſch, auch indem er zunächſt ſym⸗
866 Nitzſch
boliſch handelt, doch vollſtändig handeln, d.h. Leiſt en
oder empfangen, oder beides zugleich. So wird ihm
das Zeichen, Das an ſich blos ideell wirkte, eine „Side
rung, ein Sigel,” wie Zwingli fagte, es bekommt eis
nen ideal « realen Werth, Nun war die Einleitung zur
myftifchen Lehrart gefunden, und Calvin konnte fich aus
fchließen, oder ſchon worher konnten die Straßburger die
Gegenwart ded wahren Leibes und Blutes im Abendmahl
oder den realen Genuß Chrifti hinzuthun. „Chriftus,” be
Tennen fie, „würdigt die herzlichen und glänbigen Theil,
nehmer noch immer, ihnen, wenn fie nad) feiner Einſetzung
feiern, durch die Sacramente feinen wahren Leib und fein
wahres’Blut zu Speife und Trank der Seelen wahrhaft
zu effen und zu trinken zu geben, dadurch fie zum ewigen
Leben genährt werben, fo daß er in ihnen lebt, fie im ihm
leben und bleiben bis zur feligen Auferftehung.’” Cap.
XVIH. — Alles Aeußerungen einer reinen Myſtik, in wels
cher um dad Jahr 1536 alle Evangelifche ihre Ueberein⸗
flimmung fanden, gegen welche auch Zwingli ſich feines
wegs abgefchloffen hatte, nur daß bei der von ihm auf
Lehre, Wahrheit, Thatfache befchränkften Ausle
gung von Leib und Blut, Fleiſch und Blut Chrifi die
myſtiſche Vorſtellung von dem fich im Sacramente felbft-
mittheilenden perfönlichen Erlöfer nicht zur vollen Ent
‚widlung und Haltung gelommen war. Kein evangelifches
Bekenntniß blieb fchlechthin und fir immer bei feiner Lehr
art ftehen; felbft das mühlhaufen’fche und bafeler er
gänzte ſich durch Marginalien, obwohl alle reformirte in
feiner Richtung ‚verharrten, die den Kehren Ealoind
nachgebildeten nicht ausgefchloffen. Darin kommt Enther
gleich anfangs mit ihnen überein, daß er die urfprängliche
Bedentung, eben bie ſymboliſche Natur der Sacra⸗
mente wieder erfennen lehrt, obgleich er von einem andern
Puncte ausgegangen if. Hr. D. M. redet von einer ur⸗
fprüänglichen Anficht Euthers von den Saeramenten, die ſo
‘
proteltant. Beantwort. d. Symbolik v. Möhler. 867
antitatholifch gewefen ſey, als möglich: bloßes Unterpfandb
der verheißnen Simdenvergebung. Nämlich der Nechtfers
tigungsbegriff habe dergleichen mit fid gebracht, und eine
„Furcht vor ben heiligenden Kräften des Sacraments
erzeugt.” Der legtern Bemerkung will ich keinen Namen
geben, die erftere ift ein gefchichtlicher Srrthum. Was bie
Rechtfertigung anlangt, fo ift natürlich, daß die Gnade,
die mittelö des Sacramentes wirkt, nicht nach andrer
Heilsorbnung verführt, ald die Gnade, bie durch das
Wort wirkt. Nun ift die Ordnung die: gratia Christi insti-
Acando sanctificat und nicht umgekehrt. Alfo nicht vor ber
heiligenden Kraft bes im Sacramente wirkenden Erlöfers
fürdhteten fich die Reformatoren, fondern fie verachteten
die gegen Glauben und Berheißung indifferente werkmä⸗
Bige Heiligung. Man kann zu gleicher Zeit gegen das
Sacramentmadjen oder das MeBopfer, fo kühn und tüch⸗
tig als Luther es gethan, eifern und doch Die heiligende
Kraft des Sacramentd fpüren und anpreifen. Ehe Luther
in den häuslichen Zwift der Evangelifchen gerieth, und die
ihm heilige Myſtik der Communion des Leibes und Blutes
Ehrifti durch Carlſtadt und Conſorten gefährdet fah, dis⸗
Yutirte er begreifllicher Weife anders als nachher, näm«
lich angfchließlich in der Richtung gegen den Aberglauben,
der mit der Hoftie und dem Opfer getrieben wurde. Bann
hat er denn nun diefen Antikatholicismus aufgegeben? Im
berfelben Zeit aber oder vor dem Conflicte mit Garlftabt
lehrte er in Bezug anf das Verhältni von Zeichen und
Sache im Sacramente viel Fatholifcher als nachher, indem -
er Wort und Begriff ver Berwandlung beibehielt, und
bie Transfubftantiation entweder nur bezweifelte oder in
irgend einem zuläffigen Sinne noch befichen ließ. Daß
dem fo fey , hat man von jeher aus der Schrift über bie
babplonifche Gefangenfchaft, auf die doch Hr. M. felbft
zurücdgegangen, und freilid; nod; weiter aus den Sermo⸗
nen über das hochwürbige Sacrament dargethan, deren
-
868 Nitgſch
einer im December 1519 alſo ein Jahr vorher erſchien.
Die Entwicklung iſt alſo dieſe: er erkennt gleich anfangs, daß
Das Sacrament kein Opfer, ſondern eine Empfangnahme
des Teftaments Chrifti, eine Communicirung Chrifti
fey, dabei lehrt er im Jahre 19 noch Verwandlung, im
Jahre 20 gefteht er, daß unbefchadet der Gegenwart des Leis
bes und Blutes das Brob und der Wein feine Wefenheit
behalten könne, wie denn auch dieß zwölf Sahrhunderte
hindurch der Sinn der Kirche gewefen, er für fein Theil
verwerfe die entgegenftehende Lehre, ohne fie irgend einem,
der fie bedürfe, nehmen zu wollen; nachher endlich, im
Streite mit den Schwarmgeiftern, trägt er ganz entidjies
den jene myftifche Vereinigung vor, bei welcher die Subs
ftanzen unverändert bleiben. Ein Beleg ift hier zureichend,
den ich aud dem angeführten Sermone nehme. „Leber das
alles hat er dieſe zwoͤ Geftalten nicht bloß noch ledig ein»
gefeßt, fondern fein wahrhaftig natürlich Fleifch in dem .
Brod, und fein wahrhaftig natürlich Blut in dem Wein
gegeben, daß er je ein vollfommmegs Zeichen (fein
viaov, fein nudum) gebe. Denn zugleich als das Brod
in feinen natürlichen wahrhaftigen Leichnam und der Wein
in fein-wahrhaftig natürlich Blut verwandelt wird:
alfo wahrhaftig werben auch wir in den geiftlichen Leib
d. i. in die Gemeinfchaft Chrifti und aller Heiligen gezogen
' und verwandelt. — Es ift nicht genug, daß du wiffe,
ed fey eine Gemeinfchaft und gnädiger Wechfel und Vermi⸗
fhung unſrer Sünde und Leiden mit Chriſtus Gerechtig-
feit und feiner Heiligen; fondern du mußt fein auch begehs
ren und feſtiglich gläuben, Du habeft es erlangt. Hie ficht
der Teufel und die Ratur am. meiften,. daß der Glaube
nur nicht beftehe. Etliche üben ihre Kunft und Subtilig⸗
feit, trachten, wo das Brod bleibe, wenn es in Chrifli
Fleifch verwandelt wird ıc., es ift genug, daß du wiſſeſt,
ed ſey ein göttlich Zeichen, da Ehriftus Fleiſch und Blut
proteftant. Beantwort. d. Symbolik v. Moͤhler. 869
wahrhaftig innen iſt; wie und wo, laß ihm befohlen ſeyn.“ a)
Zwar leuchtet hier die nachmalige Lehre ſchon hindurch,
aber ſie iſt noch durch eine Dogmatik und Kirchenſprache
der Zeit gebunden, mit welcher Luther um ſo weniger vor⸗
eilig brechen wollte, da er wohl wußte oder fühlte, daß
ſich in alter und mittlerer Zeit auch ein reinerer Glaube in
den Worten Verwandlung, ueraßoAn, conversio, sancti-
ſicatio u. f. w. ausgedrüdt hatte. Auf jeden Fall hat fich
nun Luther nicht, wie Hr. M. fchreibt, anfänglich durch
„leichtfinnigen Oppofitionsgeift und Mangel an erniter
Ueberlegung” zum fchroffen Gegenfate gegen die Katho⸗
liken fortreißen laſſen, um ſich ihnen bei reiferer Ueberles
gung wieder zu nähern. Hr. D. Möhler gebe doch die
Belege dieſer Behauptung. Gerade ber Brief an die Chri⸗
ſten zu Straßburg v. 15. Dec. 1524, aus welchem unfre
Symbolik ihren Argwohn fchöpft, vernichtet Die ganze
Anklage. Luther gefleht, vor fünf Sahren fchwere Anfechs
tungen in Anjehung der Sacramentslchre erlitten zu has
ben; er hätte wohl gewünfcht (wünſche es noch, foweit
er den Adam in fi fpüre), überführt zu werden,
daß im Sacramente nur Brod und Wein ba fey, daß es
alfo bIoß in der Bedeutung Chrifti Fleifch und Blut
vergegenwärtige, jo würde er haben Die Abfonderung vom
Papſtthume, die ablofute Oppofition gegen baffelbe viel
leichter bewirken, das allfeitige Trachten nach Verſtandes⸗
einheit viel beſſer befriedigen können, nicht fo Vielen noch
eines beibehaltnen Aberglaubens verbächtig werden müfe
fen: aber der gewaltige Tert, das Wort Gottes,
deſſen einfache Auslegung habe ihn gebunden. Beſſere Auss
leger und Schriftgelehrte, als Earlftadt, hätten ihm ſchrift⸗
lich angelegen, bie reale Anficht aufzugeben; aber Garls
ſtadts Sefchwäß beftärfe ihn nur, das noch feſter zu glau⸗
ben, was er ſtets geglaubt. Wenn nun nicht etwa Ges
a) Leipg. Ausg, XVII. ©. 276,
Theol, Stud, Jahrg, 1834. 67
’
ee "© Su
wiffenhafttgfeit ſoviel als Leichtfinn, einfache Annahme
des göttlichen Wortes ſoviel ald Unüberlegtheit, Mäßi⸗
gung und Hemmung des Angriffs foviel als leidenſchaft⸗
liche Oppoſition If, fo zeige und doch Hr. M. auf andre
Weiſe, wie ihn dergleichen Geſtändniß Luthere zu feinem
Urtheile berechtige, Bielleicht ift Keichtfinn und Unbefons
nenheit überall, wo das Papſtthum befämpft wird? Aud
fo hat es Hr. M. offenbar nicht gemeint: So bliebe nur
der Peichtfinn Abrig, fo ſchnell wie möglich, gleichwiel ob
mit Waffen der Wahrheit oder Einbildung, den Gegner abs
zuthun. Über gerade einen foldyen Sinn hat Luther laut
feinem Geftänbniffe, mit welchem die wirkliche Gefchichte
feiner Lehre übereinfonmt, gar nicht in ſich aufkommen
laſſen, fe fehr auch die Lehrweifen der Feinde und Freunde
ihn dazu reisten. Hr. D. M. wi Luthern noch nachträg⸗
lich belehren, daß er folgerichtiger Weife hätte mit dem
Hapftthume auch Die Gegenwart Ehrifti im Sacramente
beftreiten follen. „Denn unzufammenhängend ift es doch
wohl gewiß, auf der einen Seite. eine wirkliche und darum
wirkfame Gegenwart Chriſti in der Kirche feft zu halten,
und auf der andern Seite zu behaupten, bDiefelbe fey von
ihm abgefallen, oder" er habe fich von ihr zurückgezogen.“
Wir fragen billiger Weife, wo und wann Luther behaups
tet-habe, der Herr habe fi von feiner Kirche zurück⸗
gezogen oder biefe fey von ihm abgefallen, Hr. D. M.
wird Luthern genug Tennen, um au wiffen, daß ihm Papfts
thum und Kirche nicht gleichgeltende Worte oder Begriffe
feyen. Seit wann ift e8 Sitte, eittem Denker oder Eehrer
zuzumuthen, baß er einen und Benfelben Begriff . B.
Papſtthum — Kirche Ehrifti, Indem er ihn beftreitet, zu⸗
gleich zum Grunde lege? Wer das Volk Iſrael erinnert,
daß es in babylonifcher Sefangenfchaft ſey, und es einlabet,
mit Gottes Hülfe zurückzukehren, will bamit-nicht fagen,
eö gebe fein Sfrael mehr und feine Theotratie. Luthers
Bemühung, das Chriftenthum vom Papſtthume gu fondern,
ac
proteſtant. Beantwort. d. Symbolik v. Moͤhler. 871
war niemals von ber Vorausſetzung ausgegangen, das
Papſtthum habe zu irgend einer Zeit oder in irgenb einem
Gebiete das Ehriftenthum abfumiren können, um fo wenis
ger, ba er die Reactionen des göttlichen Wortes und evan⸗
gelifcher Gefinnung gegen die Ausartung, die er als Papſt⸗
thum bezeichnete, nur fortzufeßen und nicht'erft zu begin⸗
nen hatte, Reactionen, welche in bewußter oder unbewußs
ter Art mitten in Der fich römifch nenttenden Kirche bie
Wirkſamkeit römifcher Grundfäge berminderten. - Niemals
hat die Reformation — am wenigften die fächftfche — ber
Rimmen wollen, wieviel enangelifche Erkenntniß und Gläu⸗
bigfeit ‚gerade noch da. feyn müſſe, wo eine befeligende
Gegenwart bed Erlöfers anzunehmen ſeyn ſolle, wie ſtreng
oder milde Chriſtus die Mitſchuld des verkannten oder
entſtellten Sacraments an den Einzelnen oder an Allen ſtrafe,
bei wie großem Nichtwiſſen vom Urſprünglichen der Gläube
nicht da ſeyn fönne, der das Heil der Vergebung und Bes
tebung empfängt. Selbft den NReformirten darf Heibelb.
Katech. Fr. 80, Gallic. Conf. 28 nicht bahin ausgelegt wer⸗
den. Dagegen war die Reformation auch in keinem Kalle
verbunden,- fo zu fchließen: ecciesia Christ! est perpetuo
mansura, alfo ift fie überall, wö fe ben Namen hat zu
ſeyn, oder: Chriftus iſt wirffam im Sacramente zur See
ligkeit, alfo witd er nie zugelaffen haben, daß ber große
Theil derer, die feinen Namen trugen, auf Zuthaten und
Ausartungen'verfielen, zu denen er ſich nimmer befeniten
fonnte, Die ganze Schlußweife des Vfs. kommt nur wies
der auf eine falſche Behauptung bed opns operatum hinaus.
Auf Luthern zurüd zu kommen, fo iſt Die von ihm gegen
Sarikadt und Zwingli behauptete Myſtik To wenig aus ei⸗
ner Nüdneigung zum römiſchen Begriffe zu erfüren, daß |
es vielmehr bei genanever Unterſuchung einleuchtet, er
babe ſchon im $. 19 nicht im vömifch = fchofafttfchen Sinne
Die Verwandlung gelehrt. Schon damals Tchreidet
er. Die prattiſchen Kolgerungen der Transfubſtanzirung
57”
s2. Nihſch
entſchieden ab, denn er ſtraft dort die Anbeterei, die mit
dem gegenwärtigen Leibe des Herrn getrieben werde. Nicht
Chriſtus als ein gemacht Werk müſſe angeſehen werben,
ſondern als ein bräuchliches; Chriſtus achte ſelbſt ſei⸗
nen natürlichen Leib nicht fo hoch als den geiſtlichen Kör⸗
per, deſſen Haupt er, deſſen Glied der. Geheiligte ſey.
Communion Chriſti und der Heiligen ſey die Bedeutung
bes Sacramentes, und auf dieſe müſſe der Glaube ſich
richten, um die Sache zu erlangen. Schon im folgenden
Jahre hat er mit Schrift und Tradition die Meinung, die
er von Thomas herleitete, daß nach der Conſecration nur
das Phänomen, nicht die Wirflighfeit des Brodes vorhan⸗
ben fey, verfaprfen. Und fowieck.er..auch nachgehends eigne
ſcholaſtiſche Verſuche gemacht: bat, um die Möglichkeit
Der ibentifchen Einheit des Sinnlichen und Heberfinnlichen
im-Sacramente und das ore sumiter zu behaupten, fo hat
er fich Doc, nie eine Scholaftif erlaubt, welche, indem fie
die weentlichen. Ejgenfchaften des Zeichens und der Sache
zerftört, mit der Symbolif die Myſtik felbft zerftört und
die Superflition Dogmatifc begründet. Daß die myſtiſche
Einheit auch ohne die Annahme der fubftantiellen Verändes
rung beſtehe/ biefe aber mit Schrift und Vernunft nicht
beftehe, hatten, feitbem Durch Radbert, oder durch Lan⸗
frank die zaubernde Volksvorſtellung Dogmatifirt wors
den war, viele der rechtgläubigften und einſichtsvollſten
Männer dargethan. Nicht auf Peter d'dlilly allein, auf
Johaun von Paris, auf Eufebius Bruno, auf Berengar
von Tours, auf Batramnus,. auf Auguflinus und Ambros
flus konnte Luther zurückgehen, um in dieſer Beziehung bie
Spur eines befonnenem Widerfinndes gegen farramentlis
chen Aberglauben, oderrgegen erflärungsfüchtige Entftel-
lung des Geheimniſſes in der Kirchengefchichte unyerloren
zu ſinden. Das liegt aber auf der Hand, daß Die Urſache
der Entfernung Ealving, von der luther'ſchen Beſtimmung
sicht mit Hru. D. M. in der abfoluten Präbekination ges
& Mm... nm mn —— ——— —
proteftant. Beantwort. d. Symbolik v. Moͤhler. 873
fucht werden darf. Diefe Sorge, ein Nichterwählter,: alſo
auch Unglänbiger, möchte nach Iuther’fcher Beftimmung dem:
Leib des Herrn empfangen, alfo etwas empfängen, was
ihn zu einem Ermwählten machen würde, ift fo ganz unge⸗
gründet, daß wohl ein viel geringerer Kopf als Calvin fie,
wenn fte ja hätte entfiehen können, leicht zu befeitigen im
Stande gewefen wäre. Eben der empfangene Leib des
Herrn gereicht dem ungläubigen Sommunicanten (nad
Luther fo fehr, wie laut dem ungetheilten proteftantifchen
Befenntniffe) zum Gericht. Und es mußte demnach die
Lehrer des abfoluten Rathſchluſſes eine Borftelung vom
Sacramentögenuffe vielmehr anziehen als abftoßen, welche
fie in Stand feßte, die göttliche firafrechtliche Fruftration
des menfchlichen Willens und Verlangens an demEmpfänger
von etwas Wirklichem noch mehr ale am Empfänger eines
bloßen Nichts ind Licht zu ſetzen. Calvin mußte in der Rich⸗
tung vorfchreiten, und die Richtung ergänzen, welche
Zwingli und Decolampadius eingefchlagen. Schon Zwingli'
macht Die Bemerfung, daß der leibliche Leib des Herrn im
Himmel bleibe. Calvin aber hebt den Unterſchied Des Leibes
Chriſti als eines leiblichen und geiftlichen wieder auf; was
. die Seele des Eommunicanten empfängt, iſt nicht Die Lehre
allein, noch die Wahrheit, es ift der wefentliche Ehriftus.
Snfofern fügt er den Negativen Zwingli’d eine myftifche
Poſition hinzu, die diefer nicht hat. Calvin aber dringt
felbft im myſtiſchen Gebiete wieder (das ift feine Eigen⸗
thümlichkeit, Die auch bei der Bildung der Prädeſtinations⸗
Iehre vorgewaltet hat) auf die vollkommenſte Befriedigung
des Verſtandes, die durch fefigehaltenen Lnterfchied des
Zufammenfeyenden im Sacramente bewirkt wird, Die
Speifung der gläubigen Seele mit Ehrifti Leib Durch den
heiligen Geift fällt verheißungs » und fliftungsmäßig in ber
Handlung des Sacramentes mit dem, was fombolifch ges
fchieht, zufammen, Dieß iſt Das Linterfcheibende des res
formirten Lehrbegriffs. Luther, auch hier Dem Unbegreiflichen
87% a Fi Nitzſch
mehr Raum laſſend, ſagt: es iſt eins. Wenn er nun den⸗
noch Die Speiſe Chriſti, bie mit dem Munde genoſſen wird,
nur dem geiftlichen Leben zu Gute kommen läßt oder nur
vermoͤge ber. geiftlichen Nahrung dem ganzen Dienfchen in
Gemaͤßheit dei Glaubens, fo hebt er den Werth der münd⸗
lichen Genießung gewiſſermaßen mieder auf, und wenu
er. die facramentliche Union nicht ald Conſubſtanzirung,
nicht als Impanation, nicht ale phyſiſche Miſchung gelten
laſſen will, uud die Formel vor in zu sub und cum hinü⸗
berſchwankt, fo ift eben nichts ale Negation gewonnen,
und das Behanptete ift eben das Unbegreifliche geblieben.
Demnach befteht eine mächtige Einheit Des öffentlichen pro⸗
teftantifchen Lehrbegriffe vom Sacramente, Die Einheit eis
ner reinen dem ausleerenden Zeichenglauben und verwans
Delnden Aberglauben entgegengefebten Myſtik; nur bag in
Luthers Lehre bie Abwehr der abfiracten Symbolik, in der
calvinifchen Die Abhaltung der Superftition das verwies
gende iſt; weshalb Diejenigen, welche bei ſchwachem Auge
und ängſtlichem Gemüthe eine Doch vorlaute Zunge haben,
nach wte vor glauben, den Galvin auf Zwingli, Den Luther
auf den Katholicismug zurüdführen zu müflen. Die trand«
foendirenden Beſtimmungen, die beiderſeits hinzugethan
wurden, Beſtimmungen über dad Verhältniß des ehemali⸗
gen Leibes Chriſti zum jetzigen, über das Verhältniß des
leßtern zum Raume, des Geiſtes zum Leibe, find nicht von
Der Art, daß fie der Wiflenfchaft noch Stand hielten oder
ihren Schriftgrund behaupten könnten. Sie geben aud
Das Bekenntniß nichts am, nicht einmal das Bekenntniß in
feiner Differenz. Wir glauben die Verklärung bed leibhafs
tigen Chriſtus; der verflärte Leib Chriſti ift und die Bors
ftellung, Durch welche fich ung das Seyn und Leben bed
Erlöfers und Die Wahrheit feiner Selbitmittheilung ver⸗
wittelt. So lange aber die Keuntniß von andern Quali⸗
täten bes glorificirten Leibes ung fehlt, kann weber bie bes
hauptete nothwendige Beſchränktheit noch Die Allenthalben⸗
proteflant. Beantwort. d. Symbolik v. Moͤhler. 875
heit deſſelben ein volles religiöfes Sntereffe gewähren, wes
der die Erhebung der Seele, noch das Herabkommen
Ehriſti. Ganz unabhängig von dieſen Theorieen kann ich
aus überwiegendem Berfiandeds oder Gefühlsintereſſe Kies
ber Calviniſt oder lieber Eutheraner feyn, nnd habe doch
in beiden Källen einen myflifchen Chrifius und einen Bes
griff, der den Chriſtus des Wortes und Geifted von gemach⸗
ten und materiellen fonbert. In Dem Bewußtſeyn vom Un⸗
terfchiede der Hanptfache und Nebenſache vermittelte bie
Reformation mihrer fchönften Zeit die da gewefenen Spals
tungen; aus biefem Bewußtſeyn ging fehon der Artikel
der angeburgifchen Eonfefflon, Die Iutherische Anerkennung
des vierftäbtifchen Befenntniffes, die wittenberger Eoncors
die und aus der dieſes Bewußtſeyn begleitenden Zucht,
den Reformirten einen Schein von Lehre der Transfubs
ktantiation gegeben zu haben, die neue Faſſung des augs⸗
burgifchen Artilele hervor. Der Hr. D. Möhler mag
immerhin den Melanchthon der Heuchelei befchuldigen;
möchten nur manche neue Eutheraner Den eigentlichen we⸗
fentlichen Zwieſpalt der reformirten und Intherifchen Sacras
mentslehre ins Auge faffen, wie er auch ohne die nach⸗
hülflichen Theorieen befteht, fo würden fie Die viel wich,
tigere Einheit derfelben inne werben.
In folgenden Süßen der Thorner Erklärung find
alle Proteftanten einig:
1. Secramenia sunt externa et in oculos ——
sigua, sigilla et testimonia voluntatis divinae, per verhum
elemento additum a Deo ipso instituta, ad invisibilem gra-
tiam „ quae verbo. foederis promittitur, obsignandam et. me-
diantibus ilis signis exhibendam. — 2. Patet, nos nequaquam
signe müde, imais et inefficacis, aut tantum notas exterhae
professionis siatuere, cum praeter mysticam ex instituto
Dei sigaificationem, certam etiam divinsrum promissiomum
obsignationem, simulgue veram et infallibilem reram pro-
876 Mitzſch
missarum, modo ipsis convenienti et proprio, exhibitionem,
fide viva scoeptandam sacramentis tribuamus.
Hr. D. M. unterfucht Die Gründe, die die Proteftans
ten bewogen haben, die Siebenzahl der Sacramente zu vers
werfen. Er findet nur ben einen: das Sacrament war
ihnen nichts als Befeſtigung des Glaubens an Sündenver;
gebung, demzufolge Tonnten fie e8 an der &he, am ordo etc.
nicht finden. Und diefer Umſtand genügte ihnen, in Wider,
ſpruch mit Schriftlehre und wohlbegründeter Tradition zu
treten. Wer einen Blick in die Urkunden der Reformation
getharf, wird ohne unfer Erinnern einjehen, daß die pros
teftantifche Berwerfung von fünf Sacramenten auf biefe
Weiſe noch mit feinem Worte erflärt wird, May leſe Apol.
VI. de numero sacramentorum, Helv. conf. mai. X.
Zwingli's Auslegung feiner Schlußreden 3. 3. Art. XVIIL
Luther v. d. babyl. Gefangenfchaft u. f. w. Haben die Res
formatoren nicht gefragt, welche von dieſen Handlungen
iſt eine mit Gottes Wort und Mandat verbundene Einfezs
zung, welche nicht, welche gehört zum pofitiven cultus
Dei, welche ift ein göttlich eingefeßtes Mittel und Siegel
der erlöfenden Gnade? Was kann, was fol mit dem Ra
men Sacrament, wenn es fo oder fo verftanden wird,
bezeichnet werben? Haben fie, je nachdem der Begriff mos
dificirt würde, nicht auch der Buße, nicht auch Dem ordo
zugeftanden, daß fie Sacramente ſeyen? Haben fie mit
Ausnahme der legten Delung nicht in allen irgend etwas
Chriftliches, Bräuchliches, Heiliges’anerfannt? Haben fie
nicht gezeigt, daß beifortdauernder Unbeftimmtheit oder Ins
beftimmbarfeit des Begriffes nichtabzufehen fey, warum nicht
neben der Ehe der Magiftrat, neben der Buße das Gebet,
das Almofen ein Sacrament abgeben könne? Die Scholas
ftifer haben fich gemartert, um für die Siebenzahl einen
allgemeinen Begriff zu finden. Schon die Wiffenfchaft ik
ben Reformatoren zu Dank verpflichtet, daß fie Die Arten
ber heiligen Handlungen gefondert und fo die volle eins
+
proteftant. Beantwort. d. Symbolik v. Möhler. 877
fache Anwendung des Begriffe vom Sacramente gerettet
haben. Und das Recht war dabei in höherm Grade für
fie, als es ihnen noch nach dem Standpuncte damaliger
biftorifcher Kenntniffe bewußt werden konnte: Zwingli hat
die urfprünglichen lateinifchen Bedeutungen. von Sacra-
mentum nur unvolllommen entwicdelt; aber deſto richtiger
dargethan, die recipirte kirchliche Definition reime ſich nicht
mit der Natur der einzelnen fieben Sacramente a). Derjes
nige wird zu Trient verdammt, der ben Vorzug des einen
vor dem andern leugnen würde, denn, :wie es der römi⸗
fche Katechismus weiter auslegt, dreifind, jedes wieder auf
verfchiedene Weife, vor den übrigen nothwendig, Taufe,
Prieftermeihe und Mefle, das erite ift fchlechthin nothwens
Dig, das zweite in Anfehung der ganzen Kirche auch, Die
Meſſe aber übertrifft fammtliche Sacramente an Würde,
an Größe. Zwei von biefen, Taufe und Prieſterweihr,
nebft .einem dritten, nämlich der Firmung, drüden der
Seele ein bleibendes geiftliches Gepräge ein, wie can.:9
behauptet, fie können eben Daher nicht wieberholt werben.
Die wiederholbaren fcheinen alfo weder ein bleibenbes,
noch ein vergehended, noch ein zunehmenbes Gepräge zu
geben, worüber fchon Thomas Aqu. IH. 63. 6. Auskunft ges
geben hat. So fehr nun die Meffe über den Werth und
Die Würde Der Sacramente hinausreicht, und fo wenig
Buße, Ehe und Delung den vier übrigen an Nothwendig⸗
feit oder Wirkung gleichfommen: fo hat doch Diefe Ungleich⸗
heit auf die allgemeine Beitimmung, was Sacrament fey,
und daß ed fieben gebe, nicht ben minbeften Einfluß erlangt:
Man führt nicht einmal die species der Gattung fort, wie
fie z. B. Hugo angegeben, fie find alle nad) can. 1. vere
et proprie Sacramente, und wer irgend eines ausſchließt —
nicht nur manche Lehrer des Mittelalters noch nadı. Dem
Lombardus, fondern auch die. älteren Väter find in dieſem
2) Werte 1.28 f.
STB... Nil
Falle +- wird anathematifirt. Man ift deſto begieriger den
generifchen Begriff kennen zu lernen. Das Decret der Sys
ande und Die canones geben drei Beflimmungen, Die auf
jedes Sacrament paflen müflen: 1) per quae omnis vers
isstitia vel incipit, vel coopta augetur, vel amissa reparatar;
2) slesu Christo domino nostre institute esse; 3) ad salutem
necessaria, non superflua esse, sine fis aut eorum vote ho
minem gratiam iustificantem non sdipisci posse. Was die
erfte Beſimmung anlangt, fo tritt zwar mit Derfelben
für den Proteflanten wieder die Borfrage ein, wie fich bie
gerechtmachende Kraft des Sacramente zum Worte der
Berheißung unb zum Glauben verhalte: allein davon ab»
gefehn leuchtet jedem ein, Daß zwar Taufe und Herras
mahl, allenfalls mit Firmung, Buße und Delung daruns
ter begriffen werben können, nur nicht Ordination und
Ehe, denn die Ordination wirft dem Spfteme zufolge den
unvertilglichen Charalter, Der zur gefegmäßigen Berwals
tung ber Sacramente gehört, und die Dazu erforderliche
Gnade. Diefe Gnade (gratis data, nicht gratum faciens)
ift fo wenig Gerechtigkeit vor Gott ober irgend etwas Sitt-
liches, daß der unfittliche und verworfene Prieſter fie den⸗
noch inne hat, da fie vor ganz andern Sünden bewahrt,
oder ganz andere Tugenden wirkt, als diejenigen find,
Die bei Der rechtfertigenden Gnade in Betracht fommen.
Folglich iſt die Orbimation, mit welcher Die Gerechtigkeit
nicht anfängt, nicht verwahrt, nicht hergeſtellt wird, nach
der erſten Beilimmung, die doch alle Sacramıente angehet,
fein Sacrament. ich überlafle es jedem, zu urtheilen, ob
ed mit der Ehe eine andre Bewandniß habe. Denn da die
Sacrämentlichleit der Ehe in ihrer Unauflsösbarkeit, folg⸗
lich für unheilige Eheleute nicht minder wie für heilige be»
fieht, fo flieht man, baß fie zwar, zumal vermoͤge ihrer
Ab⸗ und Vorbildlichkeit in Bezug auf Chriftus und bie Ges
meine, nicht nur die allgemeine, fondern auch eine fpezielle
Gerechtigkeit erfordert, nur nicht, baß fie dieſe Gerech⸗
proteflant. Beantwort. d. Symbolik v. Moͤhler. 879
tigkeit ertheilt. Die Synode lehrt freilich, zum natürli⸗
chen Segen dieſes Standes komme durch Chriſti Verdienſt
die Gnade hinzu, vermöge welcher die natürliche Zunei⸗
gung der Gatten erhöhet und jeder Gatte als ſolcher gehei⸗
ligt werbe. Allzin es ift offenbar, Diefe Gnade zur Che,
oder dieß, daß ihnen die Ehe felbfl zur. Heiligung gereicht,
erlangen fie nicht Durch das Sacrament der Che, fondern
anderswo her, denn das Sarrament beſteht und wirfet
ganz unabhängig vom ihrer wirklichen Heiligung. Die
zweite allgemeine Beflimmung ift diefe: Ehriſtus hat
alle fieben Sacramente geftifte. Das ift von jeher Die
ſchwache und faule Seite des Katholicismus gewefen, daß
er es nicht genug wagte, er felber zu feyn, d. h. Daß er aus
Ratt zu fagen, was fich nad) und nach aus dem Principe
des apoRolifchen Chriſtenthums uud durch Anwendung deſ⸗
felben. auf Zeitumſtände ber Kirche eutwidelt hat, das iſt
dem Geifte nach, wenn ſchon nicht dem Buchflaben nach,
apofolifch, Chrifti und Gottes Einſetzung, lieber zu unna«
türlicher Schriftauslegung, au geheimer Leberlieferung,
zu falfarifcher Literatur feine Zuflucht nahm, um nur bie
unmittelbare buchſtaͤbliche Abkunft einer Lehre oder Stif«
tung von Chriftus irgendwie glaublich zu machen. Wo
und woran erfennen wir denk, daß Ehriftus eine Hands
lung zum Heilsmittel eingefegt? Geſetzt, wir follen es ben
Bätern von Trient nicht ohne weiteres glauben, wann,
wie, wo hat denn Chriktus die lebte Delung, dad Chris⸗
ma, Die Ehre überhaupt gefliftet, oder wo in Materie und
Form ald Mittel der Gerechtigkeit eingeſetzt? Wenn etwa
nirgends, find bie apoftolifchen Einrichtungen. in jebem
Halle Einrichtungen Ehrifli, gefeßt auch, daß fie fi von
been bed Herrn abfichtlich unterfcheiden? Sind die bifchöfs
lichen apoſtoliſch? Daß die Dritte allgemeine Beilimmung
etwas erfchleicht, was nach der Iogifchen Folge ſich nicht
ergeben will, ift deutlich. Die ältere Scholaſtik gab zu,
einige Sarramente ſeyen nüblich zur Heiligung, anbere
880 -- Ri
zum Helle nothwendig. Die Synode fagt, was nicht über;
flüffig iſt, iſt nothwendig. Doch vieleitht gewährt ums der
römifche Katechismus den generifchen Begriff der fieben Sa⸗
eramente, Sacramentum est signum reisaerae, beflimmter,
invisibilis gratise signum visibile ad nostram iustificationem
institutum (a Deo per Christum), noch beftinmter, res sen-
sibus subiecta, quae ex Dei institutione santtitatis tum si-
gnificandae tum efficiendae vim habet. Verfteht fich, daß in
einem Sacramente mehrere Zeichen und mehrere Sachen
vereinigt ſeyn können. Die Zeichen aber find göttlich bes
flimmte, und die Sachen find jedenfalls drei, Die rechtfer-
tigende Gnade ift Das gegenwärtige, Die Urfache derfelben,
das verdienftliche Leiden Chrifli ift Das vergangene, ewiges
Reben und Seligfeit das zufünftige. Was nun das Sym⸗
bol, res significans, betrifft, fo läßt es fich bei der Buße
und Ehe auf keine Weife auffinden: denn der Katechismus
gefteht felbft 11. 5. 13. das Sacrament der Buße habe eine
ganz-andre Art der überall geforderten materies et forma,
als dieübrigen, nämlich bie gebeichteten Sünden ald Brenns
materialien bes fie vertilgenden Bußfeuers, und die bedeuts
fame Form fey ego te absolvo etc. Bon ber Handanfle
gung nämlich ift bier nicht Die Rede. Wo ift aber nun,
went diefe (die freilich als mitgeftiftet von Chriſto gar
nicht nachzumweifen wäre) nicht das Symbol abgibt, der
fombolifche Charakter des Sacraments? Die Brennmates
rialien können ihn ja doch nicht ausmachen. Der. Berftand
fteht Hier ftil, aber Die Behauptung nicht, daß Verſtand
da fey. Sit die Ehe ein Symbol oder hat fie es mit an
ſich, fo ift es wenigftens Fein pofitived, fondern ein natürs
liches, und wenn ein pofitives in der -Natürlichleit, doch
fein von Chriſto eingefebtes, vielmeniger eines, welches
causa von Gerechtigkeit genannt werben könnte. er «8
Yerwalte, wie ed gefpendet werde, kann ohnehin nicht ges
fagt werden. Die Firmung hat ein. Symbol an der Hands
auflegung, aber vielmehr an dem Salböt und ber Sab
proteftant. Beantwort. d. Symbolik v. Möhler. 884
bung; gerabe das Ießtere fehlt ihr in denjenigen Acten ber
Apoſtel oder der apoftolifchen Kirche, durch weiche fie eine
urchiſtliche Einſetzung zu ſeyn fcheinen. Fönnte,. denn es iſt
ihr aus dem Juden⸗ und Heidenthume zugekommen; das
erſtere aber iſt ihr nicht eigenthümlich, denn es kommt als
Symbol der Tradition des Geiſtes und an bei vielen
andern Gelegenheiten vor.-
‚Sollte die Ordination ein allgemeines gültiges signnmn
: „ Haben, fo mußte es Doc; wieder die Handanflegung ſeyn.
Chriſtus und die Apoftel haben ſich deffelben bedient. Wo
aber haben fie es eingeſetzt? Der wo das Anblafen?
Auch Die legte Delung bat ein. signum, aber wer hat es
zum facramentlichen gemacht? Ghriftus nicht, nicht ‚eins
mal Sacobus, denn wad das Salben nit Del than und
wirken folle, hat er nicht gefagt, wohl.aber, Daß das. Ger
hetdes Glgubens dem Kranken helfe. Alfo durfte ſchon
Zwingli fagen, ihr machet jegliches zum Sacramens, wie⸗
wol im üwer Definiz nit gimmt.” Kurz, die allgemeinen
Merkmale, die der Katechismus angibt, eignen fich meh⸗
rentheild nur für Taufe und Abendmahl, dann etwa
noch für die Firmung und Delung, den übrigen werden
fie nur eben zugedacht und aufgeswungen. Da dieſes
ſchon den Scholaftifern nicht entgehen Fonnte, fo ſuchten
fie der Siebenzahl ale Zahl ein befonderes Gewicht zu ge⸗
ben; Die Sarramente feyen Heilmittel gegen fieben Gänr
den, Mittel zu fieben Tugenden, Quellen von fieben Geis
fteögaben. Es gereicht. den Bekenntniſſen ber Contrarefor⸗
motion zur Ehre, diefe Vertheidigungsmittel aufgegeben
zu haben. - Deſto mehr wird der Parallelismus des geiſt⸗
lichen und natürlicyen Menfchenlebens: in Betracht gezo⸗
gen : Der Menfch an ſich felbft muß geboren werben, um
da zu feyn — Taufe; er muß. zunchmen und: ſtark wer,
den, uni-zu kämpfen und zu. wirten — Firmung; er bes
barf Nahrung — Abendmahl; Krankheiten wollen :geheilt
ſeyn Z Buße; ſchwache Reconvalescenz erfordert Stär⸗
82 wibſch
Mungsmittel — Delung. Der Menſch, als Mitglied der
Bemeinfchaft gedacht, regiert und wird regiert — Ordi⸗
nation; Die Erhaltung des Gefchlechts zur Erhaltung von
Staat and Kirche — Ehe. So fhön auch Thomas und
nun Hr. D. M. diefes Alles ausführen, fo bleibt doch für
die Eongruenz der verglichenen Glieder noch viel zu wun⸗
fhen übrig. Denn wer das Parallel nur einigermaßen
verfolgt, nimmt fogleich wahr, daß ja Die Ordination nicht
etwa eine Sanctification bed Magiftrats im Staate ifl,
fondern mit diefer Sanctification nur verglichen wird; bie
Ehe Dagegen wird mit der Ehe nicht verglichen, ſondern
iſt eben’ ihre eigne Sanctification. Der Staat geht leer
and. Dazu mußte ‚bie Delung ald das Sacrament-der
Sterbenden dargeftellt werden, wenn das Ganze beftehen
ſollte. Se größer aber der Unterfchted zwifchen Firmung
und Abendmahl ift, deſto geringer der parallelifche von
Stärkung und Nahrung. Es ift Wahrheit in Diefer Bers
gleichung, aber zugleich fo viel Unwahrheit, als hinreicht,
um die anderweit fchon unmögliche Coordination der fies
ben Dinge nur noch unmöglicher zu machen.
Wahr ift, daß bei einem ber Zeit irgendwie unterwor⸗
fenen Leben dem Hauptmomente „Geburt” nöch ein andes
res entgegengefett werden kann. Kann dieſes, wie bei
dem geiftlichen, nicht fchlechthin die Vollendung, foll es
nicht der. Tod ſeyn, fo kann es eben nur die Erhaltung
und Bewahrung feiner fortfchreitenden Entwicklung feyn.
Stärkung and Nahrung find nidft fo getrennt, daß fie bes
ſondere Der Geburt gleichftehende Momente conflitwirten.
Die Erhaltung aber involvirt fchon bie Heilung; denn fo
wie ein fterbliches und dem Tode unferworfenes Leben ims
Mer nur relativ gefund it, fo ift auch die Erhaltung und
Pflege deffelben immer relative Heilung. Das Sucrament
der Lebenserhaltung hat allein mit dem ber Gebinet wöllige
Gleichwürdigkeit, und in feiner Wiederholbarkeit iſt es um fo
zureichender, weil es Die Buße in ſich ſchließt, bie Confir⸗
proteſtant. Beantwort. d. Symbolik v. Möhler. 883
mation aber als die vollendete Taufe vorausfehh Deun
fowie ed nicht zum Weſen ber Taufe gehört, daß ſie neu⸗
gebornen Kindern ertheilt werde, fo gehört auch die Con⸗
firmation gar nicht zum Weſen bed Sacramentee.: Viel⸗
mehr reicht die Folge: Taufe und Abendmahl — au
dazu hin, daß bad Verhältaiß von Begründung und Vol⸗
lendımg (rilusog avıg),.fomeit es überhaupt hier gültig
ift, zur Anerkennung und Bollziehung fommıe, Erſt ſofern
die Kindertaufe oder fon eine in fubjectiger Beziehung
unvolllommene Tanfe geübt wird, tritt. eine varher nicht
vorhandene Nückficht auf den Unterſchied des Alters ober
eine fonft nicht vorhandene Bebingutig der erften Commu⸗
nion durch Gonfirmation ein. Und genau dieſem Verhält⸗
niffe entfpricht die proteftantifche Anordnung der Confir⸗
mation, als einer Erneuerung des Taufgelübbes, einer
Anerkennung des individuellen Taufbundes, weiche eine
Handlung des Belenntniffes, des Gebetes nud der Beue⸗
diction iſt, ohne ein neues Sacrament zu tonfituirem
Ohne Das den Apoſteln ganz fremde Chrisma — oder meint
etwa Sohannes 1, 2, 27 eine Salbung mit Del? — und
‚ohne Die den andern Culten abgebörgte Grabation bed
Priefterftandes würde die Firmung: nie zum Saeranıente ges
worden ſeyn. Die Proteflanten haben fie befonders in Dies
ber Beziehung Inventum humamım genannt, und fie den⸗
noch nes und wahr aus den Berhältnifien des ſaerument⸗
lichen Lebens zu.ben Alteröftafen als heilige Handlung her⸗
vorgehen laffen. Ebeufo fondern fie mit Gebet mb. Hands
auflegung Diejenigen.nach apoſtoliſchem Gebrauche non ver
Gemeinde aus, an denen fie die Gabe des Zeugniſſes und
ber Leitung erfannt und Denen fie Das bifchöfliche Amt an»
vertraut haben. Sie üben und flärfen zwar dadurch ihrem
Glauben an die Begabungen und Berufungen bed Herrn:
allein fowie die befondere Geiſtesgabe nur eine Gabe vom
Heren iſt an bem, ber auch die allgemeine inne hat, und
ſowie die Gemeinde bed Herrn fchon unter den Setauften
"77°
nub Communicirenden eriftirt, während Die Functionen
der Lehre der Weiffagung, des Gebetes, der Leitung und
Regierung noch Feine perfünliche Stätigfeit Durch ausbrüds
liche Voeatio erlangt haben : fo kaun auch dieſe, wenn fie ein-
tritt und durch Die Handanflegung vollzogen wird, ex opere
operato feine andere als gefellfchaftliche Folgen nach fid
ziehen oder nur dem fittlichen.Gefebe des bonus ordo und
der. Bexpflichtung angehören.und im übrigen den Werth
haben, ben heilige Handlungen, Einfegnungen, Gebete
behaupten. Sollte Die empirifche Handanflegung eine geills
lich erhibitive Kraft befigen; fo.müßte fie allgemein gültig
eingefest und als folche mit VBerheißungen verfehen feyn.
Sollte fie einen innern geiftlichen Charakter gewähren, fo
ließe fich Diefer nom Stande der Heiligung nicht trennen,
wie es doch geichieht, oder. müßte mit Diefem zugleid) ver⸗
fchwinden: oder gegeben werden. Sollte fie unter Voraus⸗
ſetzung des chriftlichen innern Charakters ein donum extra-
orslinarium pon irgend einer Art erwirfen, ober zu deren
energifcher Entwidlung erforderlich fepn, fo müßte bie
Gefchichte der Apoftel ganz anders lauten, als fie lautet,
und bie tägliche Erfahrung zugleich. etwas ganz ‚anderes
begeigen, Liegt ed an. inneren Befchaffenheiten der Perfon,
welche das Sacrament Tpendet, daß fie es Fräftig jpende,
fo muß durchaus der.gläubige, geheiligte Laie .ein befferer
und .gültigerer Sacramentöfpender ſeyn ald Der. unheilige
Prieſter. Katholifche Dogmatifer nennen den ordo das
Sucrament des heiligenden Lebens; aber wenn es bem
unheiligen, ärgerlichen Priefter eitten unvertilgbaren Chas
ralter gegeben hat, fo muß es entweder gar nicht oder
anders zu begreifen feyn. Dem Kranken und Sterbenden.
hefondere Handlungen des Gebetes und Segens-widmen,
ihm :auf befondere Weife Den Genuß bes Sacraments vers
mitteln. und. Das Bewußtſeyn feines Zufammenhanges mit
ber. Kirche Haupt. und Gliedern ftärfen, ift.apoftolifch, chriſt⸗
lich, allgemein Firchlich, aber daß er: im Frieden Gottes bes
’
proteftant. Beantiwort. d. Symbolik v. Moͤhler. 885
ſteht, Vergebung erlangt, in dem Herrn ſtirbt, nimmt er,
ſofern er es aus dem Sacramente nimmt, nicht von dem
Dele, weldjes Feine beftimmte Bedeutung, vielweniger
eine Verheißung des Herrn an ſich hat, ſondern von dem⸗
ſelben Sacramente des Leibes und Blutes Chriſti, welches
alle feine wahren und letzten Bedürfniſſe befriedigt.
Herr D. M. erklärt, bei aufgehobener Siebenzahl auch
Die proteftantifche Zweizahl nicht begreifen zu Lönnen, Denn,
fey nur von Berbürgung der Siindenvergebung die Rede,
fo fehle der charafterifche Unterfdjied von Taufe und Nadıts
mahl, Daraus würde aber folgen, daß auch die Siebens
zahl unbegreiflich bleibe, weil der Fatholifchen Annahme:
zufolge jedes der fieben Sacramente iustitiam et sanctita-
tem vermittele, jedes auf das Verdienft des Erloöſers zus
rüd, jedes auf die ewige Geligfeit hinweife. Hr. D. M.
führt felbft den größern Katechismus Lutherd als Beweis
an, wie hoch dieſer nach der Zeit Die Sacramente gefchäßt;
follte Hr. D. M. dort nicht auch gefunden haben, ‚wie. Far
und beftimmt ſich die Neformatoren das Bedürfniß des
wiederholbaren Sacramentes nach dem, &enuffe des uns‘
wieberholbaren gedacht 3). “Der Proteſtantismus fragt
gewiffenhaft unterfcheidend, wenn von Gnadenmitteln die
Rede iſt, wo ift Einfeßung, Verabredung, Berheißung
des Herrn, worauf kann ſich das Heilsbedürfniß gläubiger
Hörer, Thäter und Dulder mit Zuverficht werfen ? Ge⸗
wohnheiten und deren finnreiche Ansbeutungen erſetzen
ihm nicht das Siegel, das Chriftus gegeben. Hr. D. WM.
fagt ihm freilich nach „er verzweifle an der Möglichkeit,
das Srdifche vom Himmlifchen ganz durchdringen zu lafs
fen.” Oben hieß es fogar, die Reformatoren fürchtetes
ſich vor den heiligenden Kräften. Sch lobe mir den Chris
ften, der an dem Himmlifchen hangend an der -völligen
Durchdringung des Srdifchen vom — — |
.) Catech. mai. ed. Reohenh. p. 556, - Er
Theol. Stud. Jahrg. 1834. 58
886 Kine
vor dem andern, der am biefe Durchdringung leichtfertig
glerubt, aber ich begreife noch nicht, wie zu der Durchs
dringung, von ber die Rebe ift, gerade ein Bielerlet
von facramentlichen Handlungen mehr gereichen fol, als
der vereinte, fleißige, recht empfängliche Gebrauch der
nach proteftautifchem Glauben von Gott verorbneten Gua⸗
beumittel. Der Grunbfag, Biel hilft viel, ift bedenklich
gennug. Genau die Sache angefehen, fo leuchtet wieder
nicht ein; welche Grenze denn ber Proteſtantismus der
heiligenden Kraft der Gnadenmittel verzweiflungsvoll ges
fest habe. Hat er Doch Fein natürliches Berhältuig von der
Heiligung bispenfirt, fondern vielmehr in feinem Proteſt
gegen eine Heiligkeit and Vollkommenheit, Die nur fiber
und außer dem häuslichen und bürgerlichen Leben zu
fucheft fey, die ganze chriftliche Vollkommenheit, die Liebe
in ihrer veinften Art und höchſten Steigerung für Ehe,
Haid, Staat, Werk⸗ und Gefchäftsleben in Anſpruch ges
nommen. ©, Oonf Aug. 16, 20. Abus. 2, 6 — Kaͤme es
anf viele Sarramente an, fo Dürfte das Mittelalter feis
ner Beruf mit Feſtſeczung ber fieben noch fehr unzureichend
erfüllt haben, Bekanntlich findet man, baß zu einer ges
wiſſen Zeit, da jebe dem Chriftenthume eigenthümliche
Hebung, Sitte, Lehre, Sache ein Sacrament hieß, auch
die Heilige Schrift diefen Namen führte. Wie erfprießlich
. für das Bedürfniß der Heiligung des natürlichen Gebans
kenlebens müßte eb werben, wenn das Lefen und Ausle⸗
gen der Schrift facramentlich wäre! Daß die Fathokifihe
Theologie ihre Bründe hat, bis dahin die Zahl dee Sa⸗
eranvente nicht zu vermehren, ift befannt. Aber das Gebet,
ver Morgen. und Abendfegen, bad Almoſen? Denn ale
bloße Satisfactionen fallen biefe Dinge, und Könnten als
Sacramente wieder Tich heben. Für unfere Zeit Fönnte ed
förderlich werden, wenn einmal die Bielbeit ber Sacra⸗
mente und die Erhebung heiliger Handlungen zu Sacras
menten ber burchbringenden Heiligung des Lebens foͤrder⸗
proteflant. Beantwort. d. Symbolik v. Möhler. 887
lich wäre, auch den Eid ober die Huldigung ſaeramentlich
zu machen... Doch glücklicher Weiſe iſt das ganze Princip
ungültig, mit welchem d. Bf. gegen ben Proteſtantismus
zu verfahren gedachte. Bedenklich wäre es, hätte, wie
Hr. D. M. es ſagt, die Reformation im Widerſpruche mit
der heil. Schrift und begründetſten Tradition die Sacra⸗
mente auf die Zweizahl herabgeſetzt. Was die Tradition
anlangt und zwar bie begrändetite, fo fragt ſich, was ber
gründet werben folle, und auf welche Weife es begründet
werde. Den Reformatoren wurben von ber damaligen
Kirche unter bem Namen von fieben Sacramenten fieben
heilige Handlungen überliefert, als folche, bie von Chris
ſtus eingefegt wären, um feine den Menfchen zuzueignende
Berechtigfeit und Heiligkeit wicht nur. darzuſtellen, fonbern
auch zu erwirken, zu vermitteln unb alfo mit ber That
zuzueignen. Die Kirche als überliefernde Perfon gefebt
begründet nun zwar ihre Ueberlieferung ohne weiteres
ipso ‚actuz allein die That ihrer Ueberlieferung ift zugleich
eine Aufweifung der Urkunden and Gefchichten, auf weiche
fir fich ſelbſt gründet, und fo entiteht mit der Wechſelwir⸗
kung zwiſchen Der beweifenden und bewiefenen Kirche ims
mer wieber bie Nachfrage, wie ſich bie jeßige Ueberliefe⸗
rung zu ihrem Grunde, ber vorangehenden, und endlich
zur Stiftung felbft verhalte. Diefe Nachfrage hielten num
auch die Reformatoren, deren Nachfolger und Vorgänger,
und was fanden file? Sie fanden, daß die Kirche vor einer
fehr neuen florentinifchen Synode noch niemals die Sie⸗
benzahl feftgeftellt hatte, daß aus der Unzahl namentlicher
Sacramente d. h. ſolcher bedeutfamen Handlungen, quibus
efficaciter significatur, aus ber Fülle von Gäremonien,
welche, feit die chriftliche Eultusgemeinfchaft die Form der
ausfterbenden- Mpfterien angenommen und mit Berleugs
nung bes Lehrgeifted ganz ſich in die ſacramentliche Rich⸗
tung hingegeben hatte, länger nicht ungeordnet beftehen
konnte, endlich durch den kirchlichen Gebrauch unter vielen
? 58 „=
888 Nitzſch proteft. Beantw. d. Symb. v. Möhler.
Bemühungen der Scholaftifer, für die einmal vorhandenen |
Baufteine eine Regel des Baues aufzufinden, fieben aus⸗
gefondert worben waren. Sie fanden, daß fich vor Lom⸗
bardus und vor Dtto von Bamberg eine ſolche Feftftellung
nicht zeige ; daß fo ftarfe Säulen der Rechtgläubigkeit wie Pas
ſchaſius Radbertus und Rabanıs Maurus zwei, Drei, vier
Sacramente gezählt, daß nach Alerander von Hales Chriftus
nur zwei Sacramente geftiftet, Daß die Griechen und Der fals
ſche von Gregor dem Großen verbächtigte Dionys theils nur
ſechs, theils andere oder anders gedentete gezählt; Daß Augu⸗
ſtinus an ben Orten, wo er nicht feiner ganz weiten und
unbeftimmten Definition folge, fondern von Sacramenten
im eminenten Sinne rede, nur Taufe und Herrnmahl da⸗
für erfenne, daß Chryſoſtomus das Waffer und Blut, aus
der Seite bed Erlöfers gefloffen, auf die zwei Sacra⸗
mente deute, burch welche Die Kirche beftehe (owr-
&ormes). Die Tradition ald ein Ganzes gebacht und nad
ihrem wahren Werthe gewärbigt, ba fie nicht allein Urs
fprüngliches von Lehre und Gemeinfchaft entwidelt, fon
dern auch auf den Urfprung zurüdgehend ihre Srrungen
berichtigt, ift fo wenig gegen bie Reformatoren in diefem
Kalle wie in den andern, baß fie vielmehr in ihnen wieder
wahr und lebendig wirb.
Gedanfen und Bemerkungen.
— —
Ale
Ueber dad Buch der Weisheit, Cap, 1, V. T.
von
Dr. Wilibald Grimm,
Baccal, und Privatbocenten ber Theologie zu Jena.
Sa der Stelle des Buches der Weisheit, Kap. I, B. 7:
"Orı zveöne xuglov aeninpwxe ınv olnavatvyv, nel
TO Hvviyov Ta Havea yvacır Eis Ymväs,
erflären alle zeneren a) Interpreten, mit Ausnahme non
Bretfchneider und Engelbreth b), had nvsüpe xv-
a) Als hiſtoriſch nich unintereffant möge bier die non Rabanus
Maurus Über unfere Stelle vorgetragene Erklärung fliehen (gus
defien Sommentare zum. der W., abgebruckt in der cöUner Ausgabe.
feiner Werke, 5 8b, p. 302 ff.): „‚Spiritus sanctus, qui in pri-
mordio creaturarum invisibili potentia ferebatur super aquas,
maiestate sua omnem implet et continet creaturam, sive dono
virtatis snae replet orbem ecclesiae, in quo quotidie muneris
:sui ostendit largitatem.”’
b). Jener in deu erſten feiner ——— weiche den Titel führen:
Dispatatiohes de libri Bapientiae parte priori, Gap.
I Xle dunhus libellis conflata, Viteb. 1804, p. 26.
Diefe Abhandlungen find keider jett ſehr felten geworben und der
Bf. vorliegenden Aufſatzes kennt bie in, ihnen vorgetragenen Mei-
nungen. nur aus andern Schriften, vorzüͤglich auas Fagelbreth:
lihæruo Sapiantia Balqmonia vnlgn unsiptumintarpraiandi spe-
892 ° Grimm v4
olov von der göttlichen alt eisheit, welde ald Hypo⸗
ftafe, nach platonifcher Borftellungsweife, in der Funktion
als Weltfeele gedacht werde. Obgleich diefe Erklärung
auf nicht ganz unerheblichen Gründen beruht, fo fcheint
fie Doch nicht ficher erwiefen, ja es foheinen nicht unwich⸗
tige Umftände gegen diefelbe zu fprechen. Verfaſſer vor:
liegenden Auffates hat feine Zweifel gegen jene Erklärung
neulich in einer kleinen Abhandlung über dad Buch der
Weisheit I ausgefprochen und die Meinung vertheibigt,
daß in unferer Stelle Feine philofophifihe Speculation,
fondern bloß der einfache Gedanfe von der Allgegenmwart
Gottes, oder von der göttlichen Kraft, welche das Welt⸗
all erfülle und erhalte, zu finden fey. Er wurde in feiner
Meinung beftärkt, als er die Stelle zum Behufe feiner Bors
" Iefungen über das Buch der Weisheit nochmals genauer
anzufehen hatte, und ſucht fie Daher in gegenwärtigem
Auffate fefter zu begründen.
Wir erwägen zu diefen Zwecke die für die Erflärung
von der Weltfeele angeführten Gründe, welche nod
neuerlich von Herrn Dr. Bauermeifter in Roftod cin
den Prolegg. zu feinen Commentar. in libr. Sapientiae. Got-
ting. 1828, p. 16 8q.) und Herrn GÖfrörer in Stuttgart
cin feinem Werke: Geſchichte des Urchriſtenthums, 1 Theil:
Phil o und die Aler. Theofophie, II Bd. p. 219) fehr
gründlich auseinandergefeßt worden find. Man beruft
cimina I et IIlum, capp. V priora complectentia. Hafniae, 1816,
worin derfelbe mit geringen Mobificationen die bretfchneiber’s
The Anfiht vom Urjprunge des Bude ber Weisheit wieder aufge⸗
nommen und vertheidigt hat,
a) De. Alexandrina Sapientiae libri indole perperam asserta, len,
- + Gröker 1883, Die gegenwärtige genauere Unterſuchung über Gap.
- 1, 7 ift durchaus nicht zu Gunſten der in dieſem Schriftchen vers
" theidigten Meinung angeftellt worden. Im Gegentheile halte ich
- die gegen die Erklärung von der Weltfeele von mir: borgebrachten
Gründe auch dann für giltig, ‚wenn -man.dad: Bud, der Weiss
heit für Has Werk eines alexandriniſchen Judenphiloſophen "hält,
über Buch der Weisheit, Cap. I, V. 7. 893
fich nämlich auf ähnliche Stellen bei Plato, Philo und
andern Philofophen; namentlich, meint Herr Sfrörer,
denke ſich Philo den Aoyos und die sopla« als Weltfeele:
sveuge xuplov aber, wvsüue äyıov u. f. w. fey mit dieſen
Begriffen ganz identifch I. Das Perfectum weringonsv;
bemerft Hr. D. Bauermeifter, beute auf die Zeit ber
Weltbildung; endlich werde man auf die Erklärung von
ber Weltfeele auch durch die Worte ovviyov ra wave
geführt, indem diefer Begriff fowohl, als Die ihm bezeichs
nnende Formel im A. T. nirgends vorfomme, fondern ang
Dem Sprachgebrauche der griechifchen Philofophie entlehnt
ſeyn müfle: um daher diefen Ausdruck ald claffifch und
rein philofophifchigu erweifen, führt Hr. Dr. Bauermeis
fter mehrere Steſlen aus griechiſchen Philoſophen und
aus Philo an, wo ſich das Wort in ähnlicher Verbin⸗
dung findet b), er :
Dagegen läßt fi nun Folgendes bemerken: Man
darf fich ja nicht etwa Dadurch tänfchen Iaffen, daß bei
dem Bf, ded Buchs der Weisheit fich mehrere Lehrfäge aus
a) Die Identität ber göttl, Weisheit und bes Aoyog. bei Philo
kann wohl nicht geleugnet werben, vgl. Grossmann Qusestt,
Philonn. Lps. 1829. Fasc. U, p. 67 sq., Sfrörer «a. O.
S. 213 ff., m. Diss. p. 6 not. 7. Allein die Identität bed Aoyog
und des göttl, aveuun bei Philo unterliegt flarken Zweifelnz
dgl, die trefflihen Bemerkungen eines Recenf. in der (Hall.) Als
gem. Lit. 3. Zuli 1832 ©. 361 fs Im Buche der Weisheit das
gegen ift die oopla in den Stellen, wo fie ald wirkfame Gottes
kraft (nicht als in Bott ruhende Intelligenz) gedacht wird, welche
als ſolche Princip bee menſchlichen Einficht und Tugend ift, mit
dem göttl. mweöge unleugban, gleichbebeutend, vgl. Gap. I, 5.
vu, 7. 22, IX, 17. | u ee
b) Wir bemerken, daß ſich die Anzahl folder Stellen bedeutend vers
mehren Iäßt, und. wollen nur auf ben gleidyen Gebrauch bes’lat,
continere. verweifen:. Cic; de nat. Deor. 1,:15::,Deum di-
' wit esse — — omnia enntinentem. Aus ben. fpätern: Orig.
‘ Princ, II, 1.8, nah, Rufin: virtute sugumiyergum 00 ustrin-
. .git et continet muadem. © 3 nt.
‘ 4 J * ⸗
[1 -+
Bw : Selma:
dee platoniſchen Philofophie finden. Denn es it eben fo
wahr, daß feine Kenntniß diefer Philoſophie eine höchſt
unvollkommene und mangelhafte ift, daß er nicht einwal
Die Id een lehre, welche bei, Philo und in ber alerandrini-
ſchen Theologie eine fo bedeutende Rolle fpielt, zu kennen
fcheint a), und daß, während Plato die Unfterblichkeit
aller Menfchen lehrt, unfer Bf. blos die der Fro mmen
annimmt b). Daraus erhellt aber, wie unficher Der Schluß
9 Bol. meine oben gngef, Abholg., p: 28, 28 sq. Zwar berief man
ſich früher außer den a. a. DO. von mir befprochenen Stellen aud
: auf die Werte: aurdg (GOeos) nos Ednxe by ösraw yracır ayer-
.59, Gap. 7, 17, und allerdings mit vielem Schein, indem aud
Plato die yyasıs der daba entgegenfehte und biefe yon ber Schein:
kenntniß verſtand, in welcher bie Angebildeten befangen find, ir
dem fie das Wandelbare und Vergänglide für das Wahre halten,
“während ber Philofoph fih vom Irdiſchen und Vergänglichen zu
den Ideen, ald dem Unvergänglihen und Ewigen (Ta Övze),
deſſen ſchwache Abbildungen wir in der Erſcheinungswelt gewahren,
erhebt und fomit zur yracıg gelangt. — Allein daß yraaız dysr-
öng an unferer Stelle, wenn auch vielleicht dem Platonismus ent
glehnt, hier nur in ganz allgemeinem und populãrem Sinne gründ:
liche, vollkommene Kenntniß, und z« övra nit die Ideen,
fordern den Inbegriff alles in der Welt wirklich Srifkivenden be:
deute, fehen wir aus dem unmittelbar, ‚ Bolgenden, wo bad ra Oyra
: Yon den Worten eidlvaı ovoraoıy xoauov an bis B. 21 in feine
. Kiheile-gerlegt und B. 21 wieder kurz Kufnmengefent wird; vgl.
auch Gap. 8, 8.5. -
by Sehr‘ ſcharfſinnig — ee D. Bauermeifter (a. a. O
Protegg. p. 18), daß die Meinung des Schriftftellers, bloß die Gu⸗
ten und Weiſen feyen unſterblich, aus falſch verftandenen Stellen
. des X. T. 3. 8. Ezech. XVII, 21 — 28,82, XXXIT, 10 ent:
“ fanden fey. Indeſſen Scheint mir “ Annahme nicht ganz aus⸗
reichend, nad nad) meiner Meinung möchte ein ferherer Grund auch
wohl in den jüdifchen Begriffen des Schriftftellerd von der göttlichen
1. Gerwechtigkeit und Bergeltung; mit baden zu.'ed nicht in @iufleng
„+
zu bringen verfkant,'wie dem Zafberhaften ein ſo hohes Gut, die
-ı Wnfterhlichfeit (im volen Ginne des Wortes und im Gegenfage des
Schattenlebens im Babes). ar Theil werben Lönne, zu fuchen ſeyn.
-n Mine Analogie haben wir in ber Meinung bes. zeiten Bucht der
Macc. c. 7, 14, daß nur die Guten und ale treuen Verchvrer Fehovas
über Buch der Weisheit, Cap. I, ®. 7. 805
von dem fonfligen Blatonifiren des Vf's. des Buches ber
Weisheit auf die Richtigkeit der Erklärung unferer Stelle
vom Ylatonifchen Dogma von ber Weltfeele ſeyn müſſe.
Mas aber die von Hr. D. Banermeifter aus Plat. Ti-
maeos p. 34b. und Tim. Loer. p. 95 b. als parallel angeführten
Stellen anlangt, fo enthalten fie einen rein fpecnlativen -
Gedanken, fpredsen fo deutlich und fo beftimmt von ber
Weltſeele und fichen in einem folchen Zufammenhange, der
feinen Zweifel übrig laßt, daß von der Weltfeele, welche
im Weltganzen, wie die Seele ded Menfchen in deſſen Kör«
per, wohne, und vom phoſiſchen Zufammenhange- des
auferftehen würden, womit auch bie Lehre der Pharifäer Übereina
flimmt, wenn nämlich die Worte bei Joſephus, Ant. XVIII, 1,
8: raig d2 (ben Seelen ber Guten) dgorasn» Tov dvapıodv und
Bell. Ind. II, 8, 14; ueraßaivew eig Eregov ohum 779 (Ypurıv)
av —— kövnvnidht mit Bretſchneider (capp. theol.
Iudd. dogm. e Iosephi Scrr. coll. p. 51 sq.) vom Uebergehen
in einen neuen Menſchenleib, fondeen von ber Auferflehung
gefaßt werden. — Dogegen kann ich Gewen Dr. Bauermaifter
durchaus nicht beiflimmen, wenn er meint, daß ber Vf, des B's. der
Weisheit aus der platonifchen Philofophie die Lehre von ber Uns
ſterhlichkeit aller Menſchen zwar gekannt, aber, um nicht' mit
dem A. T. in Widerfpruch zu kommen, die Lehre von der allges
meinen Unfterblichleit zu verfehtweigen für rathfam gehalten habe
(&. 18. satius igitur duxit, hanc doctrinae Platonicae parte
prorsus silere). Denn eine ſolche Lehre ift viel zu wichtig,
als daß fie der Schriftfteller (vielleicht blos aus Lehrklugheit!)
Hätte verfchweigen können. Es mußten fidy ja wohl andere Auswege
darbieten, einen ſolchen Widerſpruch mit dem A. T. zu vermeiden,
Meg auch immerhin bie Unfterblichkeitäidee erſt von Außen ber im
Bf, angeregt worben feyn, aus dem Studium griechiſcher Philo⸗
fophen hat er fie gewiß nicht, indem Plato und feine Schule big
Unfterbiichleft der Seele aus Ratur und Wefen ber lesteren
(aus deren Praͤexiſtenz, Einfachheit u, f. w.) ableitete, unfer BR
dagegen als eine Belohnung ber Weisheit und Tugend anſieht;
vgl. m. 0. a. Diss. p. 25. Hätte er bie platonifchen Beweiſe ges
kannt, ex würde fich gewiß von ber Unfterblichkeit aller Menſchen
überzeugt, und biefe Ueberzeugung irgendwie mit Telnee frühern
Bildung und feinen biöherigen — — in an: “
beingen geſuche haben.
896 — | . Grimm
Weltgebäubes bie Rebe fey, daß es Daher jehr gewagt ers
fcheinen muß, fie unferer Stelle ald parallel zu betrachten
und Diefelbe aus ihnen erläutern zu wollen. Eben fo deut-
lich wird in den aus Philo angeführten Stellen, wo der
A6yog die Function der platonifchen Weltfeele und des das
Univerfum durchdringenden voüg ber Stoifer erhält, im
metaphyfifchen Sinne vom Zufammenhange des Weltgebäus
des gefprochen; vgl. befonders de profug. ed. Mangey. I,
p.562: &vövsra, Ö& 6 ulv agsoßüurarog roũ Ovrog Aoyog @s
Sohijta rovu #00u0V" yiv yap xal Vöng xl züg za Ta Ex
sovrow knaunloysrn — — 6 Toü Ovrog Aoyog Ösapog av
ToVv ündvrav aa Ovvigeı TE ulgn mavra nal Oplyyeı xal
wave aurd ÖinAvscher xal Öapracdnı, — vgl. auch de
Somn. ed. M. I. p. 691. Am wenigften aber läßt ſich die
Stelle vom mveöun Evarındv bei Philo (de mundi opifie.
p. 31 ed. M.): (m yi) ovviyereı Ö& nal Öauever Ta ww
zvsdvuarog Evarıxod Övvausı, a Ö& vorldog oux
dcongę Apavasvousvnv xara reugpn wuıxgd wu ueyaie Fov-
esta), auf welche fich namentlich Hr. Gfrör er be
ruft, mit der unfrigen vergleichen. Denn der Zufammens
hang, in welchem jene Stelle Philo’s fi findet, hat mit
dem Gedankengange des erften Kap. im Buche Der Weich.
nicht die entferntefte Aehnlichfeit. Dort ift Der Sinn und
Zuſammenhang: Gott habe das füge Waſſer vom Meers
waffer gefchieden, weil jenes zur Erhaltung des Erdgan⸗
zen nöthig fey. Denn letzteres werde durch die Feuchtigkeit
und durch die Kraft des einenden Geiftes zuſammen gehal⸗
ten. — Ganz verfchieden ift dagegen, wie gefagt, der Zu-
fammenhang in unferer Stelle, worauf man freilich, fo
nahe es auch lag, doch nicht geachtet hat. Der Schriftitel:
ler zeigt nämlich unmittelbar vorher, Daß Gott.gottesläfter:
liche Reden nicht unbeftraftlaffenwerde (V. 6), denn er kenne
das Innerſte des Menfchen und (V. D der Geift des Herrn
erfülle den Weltkreis und was das AU zufammenhalte,
babe Kunde ber Rebe. Darum könne (V. 8) Riemand ihm
über Buch der Weisheit, Cap. I, ®. 7. 897
verborgen. bleiben und ber Strafe entgehen. — In ganz
ähnlichem, rein ethifchem Sinne und Zufammenhange wird
aber Pfalm 139, 7 und Serem. 23, 24 von ber Allgegen» -
wart: Gottes gefprochen, auf welche Stelle fi auch ſchon
Bretſchneider und Engelbreth berufen haben. Das
gegen ift zwar die Einwendung gemacht worden, daß. in
der Stelle des Jeremias nicht vom göttlichen Geiſte, und
Pf. 139, 7 zwar vom Geiſte Gottes, aber nicht als von
einem dad Ganze erfüllenden die Rede fey. Allein es
ift ja bekannt, baß xugsos und Deog mit mvseüun Deoö und
zvevun xvglov oft verwechfelt werden; und Pf. 139, 7 ift
es zwar nicht mit beftimmten Worten ausgefprochen,
daß Gottes Geift die Welt erfülle, aber diefer Gedanke
wird von V. 8 an deutlich ausgeführt und liegt B. 7 fons
nenklar dem Ausrufe zu Grunde: „Wohin fol ich gehen
vor deinem Geiſt und wohin vor Deinem Antlige fliehen???
Bedenken wir ferner, daß alle diejenigen, welche in ges
nannter Stelle des Buches der Weisheit die platonifche
Borftellung von der Weltfeele finden, die dopla als bes
fondere, außer Gott eriftirende, Hypoftafe annehmen und
bei diefer Erfläsung annehmen müflen, bedenfen wir, baß
B. Toon Gottes Allwiffenheit die Rede ift, Deren Grund
nach V. 8. darin läge, Daß die göttliche Weisheit als
Meltfeele das Univerfum burcdringe: fo müßte
die Kenntniß Gottes von allem bem, was in der Welt
gefihieht,, Durch die Weltfeele vermittelt werden. Die
Frage aber, wie fich ber Schriftſteller diefe Vermittlung
gebadıt habe, würde einer Menge fubtiler Beſtimmungen
freien Spielraum geben, die in den einfachen Worten und
in dem populären und rein ethiſchen Gedantenzufammens
hange zu finden fehr feltfam erfcheinen dürfte, — Der Zus
fammenhang fcheint alfo, wie wir erwiefen zu haben glau⸗
ben, jene Erflärung nicht nur nicht zu begünftigen, fonts
dern ihr fogar entgegen zu ſeyn. Es find daher bie andes
ven, von Hrn. D. Banermeifter aus dem Perfectum
898 .. Grimm
erinnere und dem Verbum ovregrv entlehnten Gruͤude
zu prüfen.
Was das erſte betrifft, ſo kann man Hrn. D. Bauer⸗
meifter recht gern zugeſtehen, daß das Perfectum eine
Hindentung auf die Zeit der Weltbildung enthalte, info
fern diefed Tempus befanntlicd; eine Handlung in Der Bew
gangenheit bezeichnet, die mit der Gegenwart in Verbin
dung fteht und deren Folgen in dieſer fortdauern, benz
darand folgt für die Erflärung von der Weltſeele gar
nichte. Der Sinn kann vielmehr auch ganz einfach folgen
der ſeyn: „Gott ift im Weltfreis allgegenwärtig und iſt ed
ſchon feit deffen Bildung,” Indeſſen ift ed nicht einmal
nöthig, in dem Perfectum eine Hindentung auf Die Zeit
ber Weltbildung zu finden; denn es konnte fich bei jenem
Gebrauche des Perfectum die Beziehung auf die Bergam
genheit verwifchen, fo daß daſſelbe blos das Beſtehende,
Seyende anzeigt, und die Worte im Lateinifchen darch
ceompletum habet überfeßt werben könnten. Unb wirt
lich glaube ich dDiefen Gebrauch des Perfectum durch zwei
ganz ähnliche Stellen aus Philo ermeifen zu können;
nämlich de mundi opif. ed. Mang. T. I. p-T heißt es von
der Luft, welche den ganzen Raum zwifchen Erbe und
Mond ausfüle, folgendermaßen: intıön (O are) zdcny
tnv ayavı) zal donunv xal xevnv yaoav Inıßas EuzsaiN-
EmxEv, 007 nI05 yuds amd zav oehjvnv nude, umb
de sacrif. Ab. et Caini, ed. Mang. I, p. 175 heißt es von
Gottes Allgegenwart: 6 Evdads dv xaxzi nal aAlayodı nal
xavraroü, KERÄNGORDG zavsa ÖLd aavıov zu) dd
Eonuov Savroü waraAsA0ın ds Undpyen
Eben fo wenig haltbar iſt das von ber Formel suv&yor
2a zavso entlehnte Argument. Zuerft fcheint es nicht ganz
richtig, wa6 Hr. D. Bauermeifter behauptet, daß dieſe
Formel und der durch fie ausgedrädte Gedanke ber alttes
ſtamentlichen Denk⸗ und Sprechweife fo ganz fremb gewes
fen fey. Zwar weiß Einfender nicht aus den kanoniſchen
über Buch der Weitheit;, Cap. I, V. 7. 809
Büchern ded alten. Teſtaments, wohl aber aus der palli⸗
ſtinen ſiſchen Schrift des Jeſus Sirach eine ähnliche Redens⸗
art anzuführen, utimlich Cap. 43,8. 26: iv Aoya nöso6
Scyasıras va whren. Kerner handeln mehrere von Hru.
D. Bauermeifter ans Klafftfern, namentlich aus Xenb⸗
phon,-angeführte Stellen nicht von ber Weltfeele, fon
dern von Der Gottheit im Allgemeinen, Dusch welche Alles
fein Beſtehen habe a). Man fieht baher nicht ein, warumt
die Formel auusgov ra wawra an unferer Stelle nothwen⸗
Big von der Weltſeele und nicht eben fo gut von Gott
gejagt ſeyn könne: Geſetzt uber audi, bas Wort auveztiy
kaͤme nur an ſolchen Stellen vor, wo von ber Weltfeele bie
Rede ift, gefegt der Schriftfteller .hätte ed bloß aus ſolchen
Stellen entlchnt, fo wäre dieſes noch immer Fein entfchets
dendes Argument. Denn auch das Wort modvora ſcheint
der Vf. des Buches ber Weisheit aus der griechifchen Phi⸗
Iofophie entlehnt zu haben, obgleich deffen Bedeutung tu
unſerer Schrift eine ganz andere iſt, als die in den griechi⸗
ſchen Schulen b).
Wollte man endlich, wie Sfr drer es thut, in feiner
angeführten Schrift, um die Erflärung von der Weltfeele
in Gap. I, 7 zu rechtfertigen, fich auf Cap. 7, 24 und Cap.
8,1 berufen und behaupten, daß bier die sopla als Melt
feele gedacht werde, fo iſt Dagegen zu bemerken, baß,
felbft zugegeben, die göttliche Weisheit er—
Scheine hierrals befondere außer Gott erifie
rende Subſtanz, was aber noch immer fehr zweifelhaft
tt und worüber die Erflärer nicht. einverftanden find, beide
Stellen doch viel zu unbeſtimmt find, als daß fie ein fiches
res lirtheil über Cap. 1, 7 begründen könnten. Denn Gay.
7,24 muß es sgweifelhaft feyn, ob die Worte dus Öb sat
a) 3.8, Cyrop. 8, 7. Deol, ol ua) vor Okay rıjvde vutıy ounb-
yovas, ‚auf weldhe Stelle er ſich unter andern bezuft,
b) Bol. meine o. a, Abhblg. p. 2.
90 . Siam:
zugei dir zavrov did zijv naßagpoınea.wirklid, von bem
Durchdrungenſeyn des Un ver ſums burch Die Weisheit
oder nicht vielmehr von deren Wirkſamkeit im Reiche der
Geiſter, denen ſie Princip der Erkenntniß und Tugend
iſt, zu verſtehen ſeyen ), fo daß wir zu dız zayrav aus
dem vorigen „uvsvuaraov” zu fuppliren hätten. Mes
nigſtens ift man zu dieſer Erklärung durch das unmittelbar
vorhergehende vom. göttlichen Weisheitögeifte prädicirte
„OLE Navrov 1moodV mvsvudıon” mohlberechtigt... V. 24
würde der Grund des zwgsiv dia zavınv zvevudrov beis
gefügt, der in feiner Beweglichkeit und Reinheit liege
(ædong zırjasog — nadagdrnza). Im zweiten Hemiſtich
würden dann die Worte dia xadagornza den Hauptbegriff
enthalten und die Worte dızxzı Ö3 xal zagei da zavıav
würden nur um der Deutlichkeit willen wiederholt feyn
Gienes Allesdurchdringen habe in der xudegorng .feinen
Grund). — Nun Fünnte man allerdings das.dıa zavrev
auch vom Univerfum verftehen; dann würbe das zweite
Hemiftich in V. 24 zwei ſich coordinirte Gedanken enthalten,
3) daß die göttliche Weisheit das Univerfum Durchdringe,
2) daß der Grund davon in ihrer Reinheit zu fischen fey.
Dann erhielte V. 24 einen allgemeinen Gedanken von der
Wirkſamkeit der voplx im Weltall, welcher ben fpeciels
Ieren von deren Einfluß auf das Geifterreich mit in
ſich fchlöffe und folglich den Grund des dia navrav zugoüv
zvsvuaıov enthielte. Indeflen würde Daraus noch ims
mer nicht folgen, daß die Weisheit gerabe in der Function
als Weltfeele gedacht würde; es könnten die Worte
bloß von. ihrer mächtigen, Alles umfaffenden Wirk
ſamkeit im Weltall gefagt ſeyn, wie dieſes ohne Zweifel
der Sinn von Gap. VIII, B.1 if, Der Ausdruck Durds
dringung (dınzxev zul gopsiv did...) ift dann nicht
weiter zu urgiren, fonbern has in. dem unverkennbar
a) Ebendaſ. p. 4 u. 5.
'
über Buch der Weiäheit, Cap 1, ®. 7. 901
Dichterifchen Schwunge bed Ießten Theild des Tten Gay.
feinen Grund, deſſen Berkennung freilich dahin: geführt
bat, baß man in der bilder » und phantaftereichen- Schils
derung der Weisheit als einer wirkfamen Gottesfraft
(2. 22 — VI, D metaphyſiſche und dogmatiſche oe
tionen ErIeNDIE,
. Ueber die Dämionifhen m N. T.
in ——— ⸗ — —
508
Yafor zu. Meer
: ZU. Gronau, a) — een
’ ar ..
De
...4 6 0
Es ift bekannt, daß unter mehreren Bölfern der‘ alten
Welt, insbefondere auch unter „den Griechen, manche
Krankheiten faſt allgemein für Wirkungen böſer Geiſter oder
Dämonen gehalten wurden. Dieſelbe Meinung herrſchte
auch unter den Juden und wir finden fie häufig ausgefpro>
chen im R.T. — Man hat ſich in unfern Zeiten gewöhnt,
fie für ein jübifches, Boll; Vorurtheil zu halten, welches
a). Es — zu wunſchen, daß dieſer Verſuch dazu diente, Andere yü
einer, genaueren Unterfudiung Über den eben fo ſchwierigen, alb
wichtigen Gegenfland anzuregen, Die neueren Schriften über bie
Seelenkrankheiten von Heinroth und M. Jakobi follten für bie
theologiſche Unterſuchung Über die Dämoniſchen im N, I; nicht
unbenugt vorübergehen, Rad: meiner Anficht Eönnen die Dämont-
Shen im N, T. keine ifolirte und fingiläre Erſcheinung fen, ihb
es muß möglich ſeyn, ſich durch Analogieen und aus einer zuſammen⸗
hängenden Forſchung Über das ganze Gebiet ber Seelentrankeiten
eine rationelle — nicht rationaliſtiſche — Einſicht i in jenes Factum
zu verſchaffen.
a er Dr, tüde..
Theol, Stud, Jahrg. 1884. i 9
“
# N 24 2 — ⸗
2 “rn ‘ eyer 1.4404
die Apoſtel wohl getheilt haben ;möchten, won dem je⸗
doch Chriſtus felbit frei zu ſprechen ſey. Diefer habe
es nur nicht gerabezu belimpft, theild um höhere Zwecke
gu erreichen, theils weil eö ihm gewiß geweſen, es werde
mit der Aufnahme feines Evangeliums — von ſelbſt
fallen. — EZ
Schwerlich kann dieſe Anficht über das Berhafter
Ehrifti zu jenem „Volks⸗ Borurtheile” für ein Ergebnif
der eregetifchen Forfchung gehalten werden; fle hat ihre
Duelle wohl in der Achtung vor Ehrifto, nach welcher
man ihn „eines fo groben Irrthums“ doch ‚nicht zeihen
zu bürfen glaubte. —
"Und was hat man denn fir Gründe, mit dem Schlag;
Worte: „jübifches Volks⸗Vorurtheil,“ die Ausfprüche des
N. X. über Dämonen⸗Beſitzungen als irrthümlich zu ver-
werfen? „Sie ftreiten,” — das iſt die allgemeine Ant-
wort, — „ mit ben Anfichten einer gebildeten Vernunft,
denn:
1) Gott ordne Alles, dad Große, wie das Kleine,
ſelbſt ‚ nicht durch Zwiſchenweſen, und
N die Krankheiten, bie man als Wirkungen von Daͤ⸗
monen betrachte, Laffen ſich gus natürlichen Urſachen poll⸗
kommen erklären.“ —
Mas von diefen beiden Argumenten zu hatten feg,
möchte ſich durch eine Klare, auf das N. T. fich grüns
dende, Entwristelung jenes in Rebe fichennen „Bollö-Blans
beng® am beiten ergeben und dieſe zu verſuchen, iſt der
Zweck ber vorliegenden Abhündlung.
Fragen wir nun bie Bibel A, und N. T., ſo if der
Teufel „der Urheber der Sünde” unb die Sünden ber
Menfchen find: „Werke des Teufels.” Gläückticherweiſe
koͤnnen wir es für unfern Zwed — — = laſſen,
——
——— des ideal Böfen, — des Antigötrü—
über die Daͤmoniſchen im N. %. 903
chen, gleichfam des Schatten ift, welcher das gefftige Licht
diefer Welt unterbricht und trübt, denn in dem einen, wie
in bem andern Falle liegt doch das ganz gewiß in jenen
Ausfprüchen der Schrift, die Sünde komme her „and eis
nem böfen Geiſte.“ — |
Zu gleicher Zeit erflären aber auch bie bibfifchen
Schriftfteller den Menfchen keineswegs für unfchuldig an
feinen Sünden. Gie forbern ja, daß er Leid und Reue
darüber empfinden folle, — Chriftus, der die Pharifäer
eben um ihrer Sünden willen „Kinder Des Teufels” nennt,
ftraft diefe doch aufs ernftlichite wegen derfelben, — Jaco⸗
bus, der fie aus „ber eignen Luft” ableitet, ermahnt doch
wieder (4, 7), dem Teufel zu widerftehen, und es ift übers
haupt aud dem ganzen N. T. klar, daß fie, welche „Werke
Des Teufels” heißen, doch auch wieder als „bes Menſchen
eigne Werke” betrachtet werden. —
Will man das fir lauter Widerfprüche halten, dann
muß man auch geftehen, daß fie fehr handgreiflich find,
und fid in der Thatwundern, baß die Jünger des Herrn,
die ſich doch fonft in jener Zeit, als fie ihre Schriften abs
faßten, nicht fo einfältig und thöricht gezeigt haben, fle
sicht als ſolche zu erfennen vermochten. Sch denfe, die
Achtung, welche biefen Männern gebührt, follte ung fchon
verpflichten, die Bereinigung jener vermeintlidyen Wiber⸗
fprüche wenigftens zu verfuchen und mir — das geftehe
ich — fcheinen fie eben ſowohl vereinbar, als bie beiden
Sätze: „Gott hat den Sünder zur Buße ———— und!
„der Sünber hat fich zu Gott befchrt.”
Die Schrift leitet die Sünde her vom Teufel und das
heißt, wie wir oben gefehen haben, and dem böfen Geiſte.
Nirgends aber wird diefer böfe Geift, inf of ern bie Sünde
des Menfchen fein Werk genannt wird, ald außer bem
Menſchen feyend dargeftellt. Und nun frage ich, was
kann die gebüldetſte Bernunft gegen biefe Vorſtellung fas
gen? — Das ift doch wohl gewiß, daß nicht: ber mate⸗
59 *
904 | rn Meyer...
rielle Körper oder irgenb etwas im biefen die mate-
ris peccang ift, fondern bie innere böſe Luſt, der böfe
Gedaute und Wille, das heißt mit andern Worten: der
innere, eigne böfe Geift oder — der Teufel, in fofern
fich diefer, mag man ihn nun ald individuelle Perfon
oder als Symbol des Centralböfen betrachten, in den
fündigen Menſchen gleihfam.individualifirt
hat, und ihn regiert, beherrſcht, beſttzt. Ja
die Benennung: „Teufel? ift für den eignen, böſen
Geiſt des Menfchen auch durchaus nicht unflatthaft, dem
in wiefern und in wie weit ber Geift des Menfchen
pöfe ift, ift er doch in der That feinem eigentlichen wah⸗
ven Wefen nad nicht verſchieden, fondern vie
mehr wirtlid und wefentlih Eins mit Dem bi
ſen Geifte war &Eogav d. i. mit dem Teufel, fowie umge
fehrt der Geift des Menfchen, fofern und foweit er
gut, heilig iſt, auch wirklich und weſentlich Eins tft mit
dem heiligen Geifte zer &Eoynv. d. 4. mit dem Geifte ots
tes, ober mit Gott; und es ift daher völlig Daffelbe, ob
ich fage: „ans bem Herzen kommen arge Gedanken,“ —
die Sünde geht hervor aus „der eignen Luſt.“ — oder:
„fie ift Werk des Teufels,“ fowie es Daffelbe ift, ob ich
pie Sündlofigkeit Ehrifti vorausgefeßt, fage: „alle Worte
und Werke Ehrifti find feine eignen, ‚oder fie find
Gottes Worte und Werke .
Doc nicht bIoß die Siinden, auch Leiden der Men
ſchen, namentlich Kranfheitsleiden und unter Diefen in
specie ſolche, die ein gefchwächtes Nervenſyſtem verras
then, als: Wahnſinn, epileptifche Krämpfe, Verluſt des
Gebrauches der Hör: und Spracdhorgane ıc, werden vom
Teufel ober von böfen Geiftern abgeleitet, Was iſt denn
Davon zu halten? Nun, bad wird boch nicht geleugnet
werben, daß noch jeßt die genannten und manche andere
Krankheiten, zuweilen wenigftens, ganz offenbart
Folgen nicht nur, ſondern auch Wirfungen z. Be bet
=
über die Dämonifchen im N.®. _ 905
Trunkenheit, Wolluſt, des Stolzes und der Eitelkeit u. dgl,
mit Eiriem Worte: der Sünde feyen, und das heißt, nad;
dem Dbigen, foviel ald eines, oder des böfen Geiftes,
der in dem Menſchen iſt, des Teufels, der fich in ihm ins
dividualifirt hat, ihn regiert, beherrfcht, „befißt.” —
Allein nicht nur da finder ein- caufaler Zufammeihang
zwifchen Sünde und Krankheit ftatt, wo ein folcher offen
bar ift, er Bann vorhanden feyn, wo er von Niemans
dem erfännt wird, — kann vorhanden feyn, wo ihn nur
Andere, als der Kranfe, wahrnehmen und wiederum, wo
er von dem Kranken allein entdeckt wirb. Diefem offen-
bart ihn vielleicht fein Gewiſſen, — ihm fommt er vieleicht
erſt'in der Krankheit und durch diefelbe zum dunkleren
oder deutlicheren Bewußtſeyn; Dann wird er fich als ſchul⸗
dig an feinem Elende anklagen, immer ein Zeichen, daß
er noch nicht völlig verworfen, fondern daß der Keim des
Guten in ihm bewahrt geblieben ift. Und wenn er nun
feine Krankheit dx zod Öauuovlov herleitet, der verftändige
Arzt aber die phyſiſchen Urſachen derſelben richtig nach⸗
weiſt, folgt daraus, jener habe ſich getäuſcht? Keines⸗
wegs! Beide können vollkommen Recht haben, da ihre Be⸗
hauptungen ſich durchaus nicht contradictoriſch entgegen⸗
ſtehen, ſondern nur relative Gegenſätze ſind. Sie ſtehen
auf verſchiedenen Standpuncten und ſo entdeckt der Eine
von dem ſeinigen die ethiſche Wurzel der Krankheit, wäh⸗
rend der Andere, der in dieſer Beziehung mit ſeinen Augen
nur in der Welt der Erſcheinungen verweilt, nur die phy⸗
ſiſchen Urſachen ſieht, jene aber nicht finden kann. Darum
lautet das Urtheil des Einen ſo, das des Andern an⸗
Ders, ohne Daß jenes deshalb falſch ſeyn müßte, weil
dieſes richtig ift, und umgekehrt. Kann ich nicht zugleich
dem Herrn banken für die Wiedergenefung aus einer Krank:
heit und doc, von ben natürlichen Mitteln reden, durch
welche der Arzt den Krankheitsftoff aus meinem Körper
entfernt hat? Schließe ich Denn Die natürlichen, phyſiſchen
906 Meyer
Urſachen and, wenn ich ſage: „Gott bringt Brod and ber
Erbe hervor?” Run, eben fo wenig wirb darin etwas
Widerfprechendes liegen, daß ich die natürlichen Urfachen
einer Krankheit nadyweife und ſie doch angfeich als Wir
ung eines Kakodaͤmon betrachte.
So viel alfo fteht wohl fell:
2) e8 fann ein Cauſal⸗Nexus zwifchen Krankheit und
Sünde ftatt finden, oder mit andern Worten; es kann
Fälle geben, wo man, auf die ethifche Wurzel einer Krants
heitösErfcheinung fehend, dieſe mit Recht als das Wert
eined oder des den Kranken befigenden böfen Geiftes bes
trachten darf, und:
2) der Kranke kann ſich eines folchen Rerus mehr oder
weniger klar bewußt ſeyn, wobei es gleidy gilt, ob biefes
Bewußtfeyn mehr ein mittelbares, durch NReflerion ent
ftandenes, — oder ein unmittelbares, Durch Das Gewiſſer
bervorgerufenes ift, und ob es fich nur als minder deuts
liche Ahnung Fund gibt oder in verftändige Erfeuntuif
übergegangen ift, denn in jedem diefer Fälle kann es rück⸗
fichtlich feines Inhaltes völlig wahr ſeyn. —
Müffen nun aber diefe beiden Sätze zugegeben wers
den, was hindert und anzunehmen, daß die daumoniko-
uevor, welche das NR. X, erwähnt, eben folche Meufchen
waren, bei denen jener Nexus ftatt fand, und die dieſes
Bewußtſeyn hatten, alfo fühlten oder erfannten, daß fie
ſelbſt ſchuld an ihrem Elende feyen? Gewiß finden ich in
den Schilderungen der Dämonifchen gar manche Merkmale,
Die fehr für diefe Annahme fprecheny man achte nur auf
die Krankheitsformen felbft, die ſolchen Einwirkungen zus
geſchrieben werden, auf die Berdbunfelung oder den thei
weifen Mangel des Selbftbewußtfenns, ver faſt bei allen
Dämonifchen bemerkbar ift, auf ihr Benehmen gegen Shris
ſtus, das gewöhnlich von einem Gefühle ihres traurigen
Zuſtandes und damit zugleich von einem noch vorhandenen,
wenn auch ſchwachen Glauben zeugt, morgus dann eben
über die Daͤmoniſchen im N. &. 907
fallo hervorgeht, Daß fie keineswegẽ für fittlich varworfene,
eigentlich boshafte Menſchen gehalten werden dürfen. —
"Run möchte ich fragen: was kann und wohl bescchtis
gen, die neuteflamentliche Anficht über die Dämoniſchen
mit dem Schlagworte „jüdiſches Volks⸗Vorurtheil“ als
irrthümlich gu verwerfen? muß fie benn darum nothwen⸗
dig falfch ſeyn, weil fie fich auch ſchon bei ben Indenfand?
was wäre denn bei nıtferer Auffnffung fo ungereimtes und
abergläubifches in berfelben, daß „eine gebildete Bernunft”
fie zurückweiſen müßte? Erkennt man fie aber einmal als
gegründet an, fo wirb man fi; auch wohl nidjt mehr abs
mühen zu beweifen, Chriſtus habe diefelbe nicht getheilt.
Ein Beweis, an den doch am Ende fogar der jelbft viel
Leicht nicht recht glanbt,. der ihn zu führen werfudht. —
Aus der entwidelten Anficyt über die Quelle einer
Krankheit mußte nun aber auch, zumal wenn eine äußere
Beranlaffung dazu mitwirkte, der Glaube hervorgehn, bie
Krankheit des Kranken Fönne nicht weichen, bevor nicht Die:
Sünde oder der böfe Geift ih von ihm entferne, mit
diefem aber weiche jene gewiß, — cessante cadf& censat,
effectus. War aber dem Kranken felbft einmal das Bewußt⸗
ſeyn über dad primum morens feiner Krankheit anfgegans-
gen, fo ift auch Klar, daß er Schmerz über feine Sünde
entpfinden konnte, ja ihn fa empfinden muß, da fein
trauriger körperlicher Zuftand ihn immerwährend auf feine
Sünde, ald bie Quelle feines Elendes hinwies, — und daß
er fich dann nach Rettung und Erlöfung von diefer mußte
ſehnen. — Erfenntniß der Sünde, Leid und Reue über
diefetbe, Sehnſucht nach Befreiung von ihr ift aber bie
nöthige und rechte Vorbereitung zum Ölauben an ben Ers
löſer. — Run hören jene Menfchen, der lange verheißene
&rretter fen da, — was fie, vieleicht ans früher Jugend,
von den Welffagungen des A. B. über ben Dreffias willen,
der da kommen follte, das tritt, bei Manchen wohl nur
in lichten Augenblicken, wieder lebendig wor die ſo borsitete
998 Re
Seele, — fir erfahren, ber Verheißene befinde fich in ihrer
Nähe, was ift natürlicher, als daß fie ihm entgegeneilen,
vor ihm niederfallen und rufen: „Du bift der Sohn Got⸗
tes, — erbarme did unfer!”” — Andern zeigt ſich ihre
Sünde in ſolcher Größe und das Gefühl ihrer Schulb ift
fs mächtig in thnen, baß in dem inneren Kampfe, dem fie
kaͤmpfen, die Hoffnung der Rettung wohl oft der Furcht
unterliegen muß, für fie werbe das Gericht beginnen, wenn
der Meffiad Tomme und dieſe zittern num vor feiner Nähe
(Matth. 8, 29 und die Baralleiftellen e)), aber eine folde
und fo entftandene Furcht war natürlich auch vorbereitend
auf den Glauben, und es bedurfte für dieſe Fürchtenden,
wie für jene Hoffenden. nur eines: „ich-will helfen!” um
fie zum Glanben zu führen. Gewiß wollte und Fonnte fid
der Erlöfer gerade ſolchen Seelen am wenigften entziehen
und —er entzieht fich ihnen nicht, er naht fich ihnen auf eine
Weiſe, daß fie an ihn gläubig und- von der Liebe beffen
überwunden werden, ber da kam im Namen bed Herrn,
überwunden von der Gnade und Erbarmung Gottes, bie
in ihm fd ihnen kund gab, daß das überwundene Herz,
von folcher Liebe und Erbarmung gebrungen, fich num auch
‚ganz in Liebe Dem hingibt, der ‘fie alfo geliebt bat, und
indem die Liebe Gottes in ſie einzieht, muß vor ihr der
böfe Geift weichen und „ausfahren.” Chriftus und Belial
Föunen nicht zufammen feyn. So find fie innerlich gerettet,
die causa efficiens ihrer Krautheit iſt aufgehoben, fo kann
a) Solkte bas nicht auch für bie Richtigkeit unferer Auffaffung
fpredhen, daß Matthäus, ber bekanntlich das Aehnliche zuſammen⸗
zuftellen pflegt, unmittelbar nad) dieſer feiner erften Erzählung
von Dämonifchen, Eap. 9 die Gefchichte von ber Heilung eines Gicht⸗
brfüichigen folgen laͤßt, dem Chriſtus zunächſt zuruft: „ſey getrofl,
beine Sünben find dir vergeben!” — Sowie, daß von
Teinem einzigen Dämonifchen gefagt. wird, er fey krank gewefen
von Mutterleibe an und daß endlich der Erisſer fiber ben Blind g e⸗
borenen bei Johannes Cup. 9 fo ganz anders ſich Rue als 5.8.
über ben erwähnten Gichtbrũchigen? —
über die Daͤmoniſchen im N. T. j 909
auch dag effectum, die Krankheit felbft nicht mehr fort-
dauern, — der große Seelenarzt hat-diefelbe In ihrem ei-
gentlichen Sige geheilt, fo koͤnnen auch ihre Symptome
nicht mehr zur Erfcheinung fommen.
Die geneigten Lefer diefer Zeilen bittet der Berfaffer
Folgendes bei ihrer Beurtheilung zu berüdfichtigen:
. D.daß er zum weiten Nachdenken über ben befpros
henen Gegenftand Durch Die Heberzeugung.geleitet wurde,
der Glaube an Dämonenbeſitzungen müffe Wahrheit ent⸗
halten, Er gewann dieſe Ueberzeugung, je mehr er fick
durch feine eregetifchen Studien zu der Annahme genöthigt
fah, Chriftus und feine Apoftel haben diefen Glauben ge-
theilt., Dieß einräumen zu müffen und Doch jagen zu. fols
len: der Glaube ſey. terig: amd thöricht, . — war ihm nicht
möglich —
2) daß ihm feine Hülfsmittel zu Gebote Raupen , hir
ihn bei Diefem Berfuche hätten Leiten Tönnen, und daß er
namentlich auch den Iften Theil des Commentars ven Ols⸗
haufen, welcher, bekanntlich in der erſten Ausgabe vergrif⸗
fen ift, und den er fehr gern nachgefchlagen. hätte, nicht‘
zu Geficht befommen konnte. Er hofft daher: um. fo mehr,
dag man & für Wahrheit nehme, wenn ex Die
lung einen „Berfuch” nannte.
3) daß er nicht etwa feine Anficht. ber heil, Schrift
habe unterfchieben, fondern vielmehr. das darin. ausge⸗
fprochene Bewußtſeyn habe entwideln und was ſich dort
in Beziehung auf unfern Gegenftand als niazıs findet, in
der yuvöcıg habe barlegen wollen, — ein Verfahren, wel⸗
ches ihm das Bebürfniß unſerer Zeit in Rückſicht auf alle
Gegenftände des religiöfen Glaubens dringend zu En
ME ‚
N) , —— — Ze 2
910 0... &adE:
Zur Charakteriftit und Erläuterung des Buches
Hiob
von M. Sachs
in Berlin.
Die neuere und neueſte Zeit, markirt durch eine nicht
bloß dem Stoffe nad; erweiterte Sprachenfenntniß, fon
dern noch vielmehr und vorzugsweife Durch die Anfchanuung
des tiefen, geiftigen Gehaltes der Sprache, Durch Die Ers
kennung eines Lebensprincips in ihe, das in allen Theis
len ihres Organismus pulfirt, hat auch für die, im Ber
gleiche mit früherer Zeit und mit ben Befirebungen für ans
dere Sprachen nur wenig angebante, hebräifche, Leiftungen
auf dem Gebiete der Grammatik und Lerifographie zu
Tage gefördert, in denen der worgefchrittene Stand der
Wiſſenſchaften überhaupt, und der der Linguiftif im Be
fondern, erfreulich hervortritt. Dieß mußte auf Die Aus
kegung der altteftamentlichen Bücher nur höchſt vortheifhaft
ruckwirken; die Erklärung befchäftigt fich nicht mehr mit
der Erimittelung einzelner, fehmwieriger Wortformen, wie
früher felbft bei den ausgezeichnetſten, holländiſchen Bi-
belerflärern, wo oft der zu erläuternde Autor zum Trä⸗
ger verworrener, etymologiſcher Gombinationen herabgefegt
ward, und dieſe felbft weniger ald Mittel zur Verfländniß,
Denn als ſich ſelbſt Zweck geübt warden; der dogmatifche
Gefichtspuunct ift verlaffen worden, und an feine Stelle
eine freie Betrachtung getreten, welche die alten Dentmä-
ker: in ihrer urfprüngliden Bedeutung zu begreifen und
gelten zu laſſen beftrebt iſt. Aeſthetiſche, hiſtoriſche und
ſpracherläuternde Interpretation find in einigen Bedrbei-
tungen heiliger Bücher auf das Glüdlichite vereinigt, um
in Geift und Form ber alten Weife einzuführen. Aber
zur Charakteriftit u. Grläwt, d. Buches Hiob. 911
auch nur in einigen; Denn im Ganzen ift die Bibelere⸗
gefe in der legten Zeit nicht allzufehr gefördert worden,
und wer 3. B. den Eommentar zu Jeſaias von Geſenius,
der noch immer als ein leuchtended Vorbild unübertroffen
dafteht, die Bearpeitung ber Pfalmen yon be Wette, die
des hohen Lieded von Ewald, die geniale Uebertragung
ber Propheten durch Rüdert, bie freilich erft Durch Hinzu⸗
tritt des nicht genug zu erfehnenden Eommentar’s recht
legitimirt werden wird, mit den rofenmüller’fchen Scho⸗
lien vergleicht, Diefer umfaffendften und auch wohl ver«
breitetfien Arbeit über das U. T., dürfte leicht zu der Ver⸗
muthung geführt und berechtigt werben, daß dieſe letztere
einer ganz andern Zeit angehören, die bereits ausgelebt
bat, wenigſtens ausgelebt haben follte. So fehr befangen
von dem alten grammatifchen Mechanidmnd und Formas
lismus ift noch der im ihnen herrfchende Ton der Ausle⸗
gung; fo wenig verarbeitet, ins Einzelne durchgebilbet, ja
auch nur äußerlich benußt find Die zahlreichen Bemerkun⸗
gen, grammatifche fowohl, wie Ieritalifche, an: benen wir
feit und durch Gefenins fo reich find. Diefes Mißverhält⸗
niß zwifchen ber fortfchreitenden. Entwidelung der hebräi⸗
ſchen Spracdbehandlung im Ganzen, Großen gegen bie
ſtarre Beharrlichkeit im Alten, Hergebrachten bei der Aus⸗
legung des Einzelnen vetardirt natürlich den Gang eben
jener allgemeinen Entwidelung; denn wenn nicht ber Eres
get dem Grammatiker und Lexikographen im bie Hände ars
beitet, das Eigenthümliche in dem Gebrauche der Spradhs
elemente und ihre Geltung an den befonderen Stellen
nachweifend, was dann Jener unter höhere Geſichtspuncte
fubfumirt, und, nachdem er es bem Bereiche. des Befons
dern enthoben, gleichfam in die Atmofphäre Des ganzen
Sprad;gebietes hinüberfeßt: wird Grammatik und Lexikon
immer mangelhaft bleiben müßen, und vieles Halbwahre
oder gar Falſche beibehalten: wie dieß beſonders in bex
ir 0.0. “ Sachs —
hebraͤiſchen: Syntarx bemerkbar wird, und ſich noch an ei⸗
nem Beiſpiele zeigen ſoll.
Wir glaubten uns dieſe allgemeinen Bemerkungen er⸗
lauben zu dürfen als einleitendes Vorwort zu dem Aus⸗
legungsverſuche einiger Einzelſtellen des Hiob, da auch
an ihnen, wie wir hoffen, ſichtbar werden wird, daß der
Mangel durchgreifender Beobachtung der Spracheigen⸗
thümlichkeiten in einer” begrenzten Sphäre nachtheilig auf
bie Einficht in das Innere eined Ganzen einwirft, und
wie hingegen, wo fie geübt wird, ein hereinfallender Richt-
blick plöglich, erhellend und aufflärend, das Ganze Durch
dringt, und wie mit der befeitigtew-Dunfelheit erft das
Bewußtſeyn ihres früheren Daſeyns gewonnen wirb.
Zuvörderſt einige Bemerkungen über die Compoſi⸗
tton des herrlichen, troß feiner vielfachen Schwierigfeis
ten zu allen Zeiten als tief bedeutfam anerkannten Buches!
Vieleicht wird fich auch hier manches Wefentliche, was
früher nicht gebührend beachtet worden, ſchärfer accen-
tnirt hervorheben laffen!:
"Das Ganze ift in dialogifcher Form, als in —
Anordnung die Fragen der Theobicee nach dem Für und
. Wider am erfchöpfendften erörtert werden können. Diob,
der Mittelpunct der Gefpräche, Die eigentlich menfchliche,
ja menfchlichfte Anficht von Gott und feiner Weltordnung
repräfentirend, muß gegen feine Freunde, die Organe
mehr thenretifcher und fpecnlativer Anficht, — eine bebeu-
tende Präponderanz behaupten, indem er, nad zwei
Geiten hin thätig, polemiſch Die von feinen Gegenmän⸗
nern aufgeftellten- Behauptungen abmeifend, feine eigene
entgegengefete frei und felbfifländig entwidelnd ohne
Rüuͤckſicht auf das ihm Erwiderte, weil es faſt nie die Sache
trifft, — eben zeigen fol, daͤß alle menfchliche Weisheit,
wie fie fic an das Näthfel der Theodicee macht, zu Nichte
wird, und wie ber ehrliche, unummunden ausgefprochene
Unwille über die Schidungen Gottes, fo wie Diefe gewiß
zur Charakteriſtik u. Erlaͤutz d. Buches Hiob. 913
in der”. göttlichen Weisheit und. Gerechtigkeit ihre. hins
Iangliche Erledigung finden, dennoch für ben mit menſch⸗
lihem Auge fehenden Menfchen genügender ſey, als Iufs
tige, an der Praris fcheiternde Thesrieen: — eine. Anficht,
die, ja auch am Ende des Buches bei dem unmittelbaren
Einfchreiten Gottes in B% Scene in. höchfter Suflanz ges
frönt wird. —
Alle Reden der ER find fo gehalten, daß
ihre Inferiorität bei den höchſten Prätenſionen, ihre Us
gründlichkeit ‚bei den anmaßlichiten -Berficherungen Deutlich
genug hervortritt. Sie fommen:alle aus einer. hohlen,
vagen Allgemeinheit nicht heraus; flüchtig eine Aeußerung
aus Hiob’d Reden herandgreifend, und an dieſe irgend
eine Formel unmotivirten Mißfallens knüpfend, gehen fie
fofort- an Die Auseinanderlegung eigener Anfichten; die
ſchwanke Woge der Rede trägt-fie- leicht auf das hohe
Meer von ungehörigen Neflerionen: hinaus. Da zeigt ih
nirgends eine Spur [hrittmäßiger Begleitung des fraglichen
Gegenftandes, nirgends ein Eingehen auf Das von High
Borgebrachte, nirgends der gute Wille, ihm zu glauben,
oder durch Befeitigung feiner Klagen und Kragen ihm Troſt
zu bringen. —(Bgl: Cap. 6, 22 ff. Cap. 13,1 ff:5 Cap. I6, 2 ff.
beſonders Berd4 ff, Cap.19,2 ff; beſ. 5; Cap. A, 2. n. ſonſt.)
Nein! Im Bewußtſeyn ihres Vortheils, in dem Gefühle,
die gute Sache zu vertreten, — da fie ja bie göttliche Ges
rechtigfeit zu. Ehren bringen wollen, — fich hinter diefer
Aegide geborgen, glaubeyd, halten fie ſophiſtiſch⸗abſchwei⸗
fende Reben, die fich den Schein geben, die Sache erfchunfk
zu haben, an welche auch nur .heranzugehen fie wohl weiß»
lich Schen tragen. Jene gefällige, fertige Beredtſamkeit,
die fich fo gern felbft reden hört, und am Liebften da ver⸗
weilt, wo fie ein allbefanntes, von Allen ohne Wider⸗
ſpruch zugeſtandenes Thema zu erörtern überninmt, inx
Gegenſatze gegen den Fühnen, aber ehrlichen Frager, ber
ſich nicht in. den Schooß einer allgemein recipirten Auficht
14 : BSGachs * eh
flüchten kann, weil er bereits deren Unhaltbarkeit erfaunt,
ift bier in einer Welfe dargeſtellt, die ald Prototyp für den
Kampf des nad; Wahrheit ringenden mit dem Hypokriten
gelten kann, der in behaglicher Selbſtgefälligkeit fich Den
Schein gibt, die' Wahrheit zu befiben, um bie es ihm
Hoch nie ernftlich zu thun gewefen.
Wir heben nochmals ftärker hervor, was wir bereits
oben angedeutet, und was noch nicht beachtet worben if,
obgleich es für eine Einficht in die Harmonie ded Ganzen
und bie tiefe, Tünftlerifche Abfichtlichkeit der Compoſition
fo höchſt weſentlich ift: daß Hiob in allen feinen Reden
eine buppelte Tendenz verfolgt: erftlich die, alled von ſei⸗
nen Gegenrednern Aufgeftellte zu widerlegen, oder: viels
mehr abzuweifen, und zweitend die, davon unabhängig
in fetten eigenen Gedanken fortzufchreiten. Dieß zeigt fich
fo deutlid, in der äußern Anordnung der Neben, in bem
Berhältniffe, das Hiob's Partieen gegen bie der Hebrigen
einnehmen, es ift dieß zum Theil mit einer fo deutlichen
Symmetrie in der Form ausgeſprochen, baß es kaum
einem Aufmerkffamern hätte entgehen können. Wie in dem
herrlich geglteberten pindarifchen Eidos flehen die Reden
Hiob's und der Freunde in dem Verhältniffe von Strophe
und Antiſtrophe, nach welcher am Schluffe in freiem, be⸗
ziehungslofen Einhertritte ein Epodos folgt, das Ganze
rundend und abſchließend. — Nach dem Zurückweiſen der
Troſt⸗ und Anklagegründe der Snterloeutoren folgt faſt
regelmäßig ein Abfchnitt, feine Klagen wieder aufnehmend
and verftärfend, gleichfam als follte der neue Anlauf, den
fein Schmerz nimmt, fein immer wieder von Horn Anfans
gen zeigen, wie die Entgegnungen feiner Freunde gar
nichts mit ihm gemacht hätten, wie in ihm troß bem Allen
Alles beim Alten bleibe. Beſonders herrlich macht es ſich,
daß in dieſen freien Erppfitionen Fein Hinblick auf die Spres
chenden fichtbar ift, daß in diefen frei fich ergießenden Kla⸗
- gen. feine Rüdficht auf das Dialogifche genommen wird;
zur Charakteriſtik u. Erlaͤut. d. Buches Hiob. 915
er klagt dem Hintmel, ſich ſelbſtz denn die um ihn (kn,
verſtehen ihn nicht. Daher richtet ſich in dieſen Partieen
feine Rede meiſt unmittelbar an Gott. So enthult Cap. 6
Entgegnung, Cap. 7 freien Ausbruch ſeines Schmerzes ;: {9
Say.9 Gegenrede, Cap. 10 freien Erguß Alien Klagen; Cap.
124.13 Öegenrede, .&.14 freie Reflexion und: Klage; C. 16
Gegenrede, Kay. 17 freie Reflexion u. Klagen. Dieſe ſym⸗
metrifche Anorbnung in dev Vertheilung ber beiden Haupe
maffen, die Hiob's Charakter im Buche conſtituiren, wirb
Gay. 19 unterbrochen, und die in deit früheren Abſchnitten
fo fcharf ans einander gehaltenen Elemente: fließen: dort
mehr. zufammen, ebenfo Gap. 21, von dem wir noch nüher
zu reden haben werben; tritt wieder ein Cap. 23 und’ 24; bis
endlich von Cap. 26 ab. Hiob, vom Widerlegen erſchöpft und
des Zuhörens müde, — ein ungedämmter, mächtiger Strom
einherfluthetz — die Schilderungen von der’ Allmacht,
Groͤße und Unerforfchlichteit Gottes, — das Einzige, wor
mit ihm ſeine Freunde entgegentraten, — -Ubenbietend,
zeigt er ihnen, daß, wenn es darauf ankomint, er ſich
wohl auch zu ihrer Höhe emporzuſchwingen, ja ſie zu
überfliegen wiffe, befonders in dem herrlichen 28ten Gay. ;
hieran fchließt fich Cap. 29 die fchöne, durch fo churakteriftis .
fche Züge belebte Schilderung feiner früheren Lage, daray -
als Gegenſtück Cap. 30 die ergreifende Darfteliung feines
jetzigen Zuſtandes, und endlich Cap. B1 fein fittliches-Eredo,
Und fo hat er feine Aufgabe gelöft! Sene Gegenüberſtellung
des Früher und Seht Überläßt gleichfam dem Zuhören, dit
Nutzanwendung zu ziehen, wie wehe dem von ſolcher Hähe
Herabgefuntenen zu Muthe ſeyn ntäffe, wie berechtigt feste
Klagen, wie nichtöfrommend der gebotene Troft, und feine
Rechenſchaft über fein fittliches Verhalten bildet ven ſchla⸗
gendften Gegenbemeis gegen: bie, von den Freunden, direct
und indirect, fo oft ausgeſprochene und fo ſtark urgirte,
Verausſetzung, als habe er fein Leiden verſchuldet.
So ſchließt er, nachdem er fich wort allen Seiten gedeckt;
M -i.: 7 Gahe
alle Strahlen find :in einem Kocas concentrirt, und was
früher ſich als unmotivirt dargeftellt, das hat in der
Trilogie am Ende Begründung, Auflöfung, Berechtigung
gefunden. aan cz
Run ſey ed and noch vergönnt, ein Wort über ben,
durch Elihn repräfentirten, Epilog hinzuzufügen. Sein flürs
miſches Auffahren, feine hochführenden, pomphaften Ans
Nindigungen, fowie feine. ganze Erfcheinung erinnern an
den, ganz unberufen in Die Scene des Geſpraͤches ‚herein
prechenden, Thrafymachos tm platonifchen Staate. Gleich
von vornherein fpricht er in dem ftärkiten Ausdrücken perems
toriſch feig Berdammungsurtheil über Hiob fowohl, ale
über deſſen Freunde aus; er wird ganz andere Dinge vor
‚bringen; er wird der Sachwalter Der fo fchlecht vertrete⸗
nen göttlichen Prowidenz werden; und fo beginnt er dent
mit :immer-fleigender. Lebhaftigfeit des Vortrages, mit ims
mer größerer Gereiztheit gegen Hiob, zu dem er fich nur
zuweilen aus feinen Aufflügen: herabfenft, um. ihm eben in
Bauſch und Bogen fein Unrecht vorzumerfen, orafelmäßig
feine Anfichten anszufchütten. Wenn man fogleich im dem
pompöſen -Eingange an das Wort des Dichters :. quid tan-
„to feret hie dignam promissor hiatu? ſich erinnert fühlt, fo
geigt ſich auch in Dem weitern Verlanfe ber Darftellung ſelbſt
Die dort gegebene Antwort ald hier ganz wohl anwend⸗
bar, — Die Unmöglichkeit der Löfung der Frage, welde
Den Angelpunct des ganzes Buchs bildet, mar in den frü⸗
heren Neben dadurch bemerfbar gemacht worden, daß bie
Sprechenden immer nur in allgemeinen Theorieen, Ges
meinpläben, Reflerionen, die. auf Alles, nur ben eigents
lichen Hauptpunet der Sache nicht, eingingen, ſich beweg⸗
ten; Daß. ſie nach flüchtiger Berührung deſſelben fofert
wieder abſprangen. Noch viel ſtärker iſt dieß in ber Rede
des Elihn hervorgehoben, Alles, was im Früheren mehr
vereinzelt Da geweſen, was ſchon durch die Vertheilung
unter drei Sprechende in ſpaärlicherem Maße ausgeſtreuet
S
zur Charakteriſtik u. Erlaͤut. d. Buches Hiob. 97
war, das ift hier als eine reiche, Dichtgebrängte Saat auf⸗
gegangen. Sowohl die Form des Ausdrucks, als auch
ber ganze Beitand von Gedanken, für baare Thatfachen
ausgegebener Einzelanfichten ift hier maffenhafter, überlas
Dener, bis zum Bombaftifchen extendirt. Mangel und
Borzug der früheren Reden kehrt hier_mifroftopifch vers
größert wieder., Wo jene unmuthig waren, fpricht hier
glühender Zorn; wenn jene Die Sache umgingen, wird fie
hier geradezu gänzlich ignorirt; Dagegen aber glänfen auch
die hier gegebenen Schilderungen in einer, Gluth und Uep⸗
pigfeit der Farben, in einem Reichthume und einer Ueber⸗
fehwenglichkeit von Zügen hervor, die weber in dem Frü⸗
heren, noch vielleicht irgendwo ihres Gleichen findet. Daß
bier fich unfere oben gegebne Anficht von ‚dem Verhältniſſe
der Sinterlscutoren zu Hiob, ihrer. abfichtlich fchwachen
Beleuchtung gegen feine :mit allem Lichte ausgeſtattete
Stellung, wie in einer Brobe.bewähre, wird. um fo mehr
einleuchten, went wir uns an Das oben über bie von Hiob
gefprochenen Schlußrapitel Bemerkte erinnern. — Es war
ein Act poetifcher Gerechtigkeit, den. ber Verfaſſer des Bu⸗
ches in. der Partie des Elihu übte, Wie er den Higb in je⸗
nen Schußcapitelg ohne Störung ſich nach ‚allen Geiten
hin ausfprechen ließ, um ung bie früher Busch, die ſchwan⸗
Ten Bewegungen bes Geſpräches nicht zur. vollen Ausbrei⸗
tung ihrer felbft gefommene Totalität feines Denkens und
Handelns zur Anſchauung zu bringen: fo. mußte auch Der
andern Seite ihr Recht angethan- werben, und auch ihr
vergönnt feyn, den. ganzen: Kreis ihrer Vorſtellungen und
Anſichten zu durchlaufen. So drängt ſich nun am Schluffe
in zwei großen Hauptmaflen zufammen der, Erttag alles
früher Verhandelten, gleichfam eine Syntheſis des.früher
analytiſch Auseinandergelegten, bie zu einem an vers
fammelten einzelnen Züge — h
.II.
Aus den Geſagten — au Genige ehren, vB,
Theol, Stud, Jahrg, 1834.
Pd
18 0: Sachs
wenn Leben und Haltung in dem Dialsge fehn fo, noth⸗
wendig ein Hinübergreifen aus den Reden des. Einer in
Die des Andern, beſonders in ben Reden. Hiobs eintreten
mäffe, daß es an Nädbezichungen anf die geäußerten
Anſichten nicht fehlen Därfe, und ntan müßte es voraus⸗
fegen, auch ohne das Bud; näher befragt zu haben. Des
von aber haben Die Audleger bis jetzt, mie es ſcheint, noch
nichts geahndet, und man hat frifchweg interpretirt und
überfeßt,. ohne das suam cuique, worauf fonft viel gehal⸗
ten wird, Bier auch nur entfernt zu berücfichtigen.. Ras
turlich gab es Ineonvenienzen und Schwierigfeiten genug,
da man oft genug ald Anficht und Worte des Sprechenden
nahm, was bloß Quinteffeng des vom Gegner Geaußer⸗
ten war, und eben als bloßer Anknüpfungspunrt für -die
Widerlegung eingeführt worben; man mußte Wider
ſprüche vermitteln, die in Der. That keine waren, da mar
bloß das Fremdartige andzufcheiben hatte, um den bündig⸗
ſten Zuſammenhang zu gewinnen. — Wir wollen es ver
ſuchen, einige folcher Rückbeziehungen, die bald in beutlis
der, parobifcher "Wiederholung, bald mehr verſtedt in
fümmürifcher Recapitnlation- beftehen,, an einigen Stellen
Nadzumeifen. Dürfte auch dieß nicht auf Sie Interpreta⸗
tion umgeſtaltend wirken, fo it! das Fackum ſelbſt intereſ⸗
ſant, und’fir- eine genauere —— des ne ims
Wie noch · erheblich genug.
> Bon erſterer Art ſcheint ung bie Steite 12,4; — pri
war. poax Dira:nmagnn. mind ash Fern,
Wir ſetzen de Wette’s Ueberfegäng * um: * so
nn feibie- zeugen zu laſſen ·“·
| Bl Gefpstt meinen: Vreunben· bin —* — ich
rufe Gott, und er hoͤrt mich, — zum Spät, der
’ Gereäite, Trommel’
Wie? durch eine fo matte; ja ſeine Janze Stellung in
dem Buche annihilirende Ertlamation follte Hiob feine,
Kies zumäl fo: aufgeregte, Rede ernerven? Gr; der immer
zur Charakteriſtik u. Erlaͤnt. d. Buches Hiob. MB
Hagt, er könne nicht vor Gottes Thron dringen, er würbe
nicht zur Nechtfertigung gelaflen, deffen Berzweiflung
fich in fo ftarfen Aeußerungen Luft macht: — follte plötz⸗
lich mitten in feinem brennenden Schmerze eine fo hoble,
ungehörige und fo fharfgegen Die übrige Nede abftechende,
fie, wie geſagt, vernichtende Phrafe einfchieben? — Wir
find überzeugt, daß der treffliche de Wette nur ungern die
Zrennungsftriche febte, und können fie nur als Nothzeir
chen betrachten, daß. hier Hilfe, dringende Hilfe nöthig
ſey. — Schlechter noch, ald von Seiten des Sinnes, ſteht
es um dieſe Ueberfeßung in fprachlicher Beziehung; aı%
foR heißen: „ich rufez” die für jene Auffaſſung fo uners
läßliche Adverſativ⸗Partikel iſt erſchlichen; dieß Partici⸗
pium ſteht überdieß ſo parallel mit dem früheren und fol⸗
genden Gliede, daß es, wie ſchon die Symmetrie des Saz⸗
zes zeigt, auch keine andere ſyntaktiſche Geltung haben
kann, als die es umgebenden Kola. — Erinnern win ung
aber, Daß (Cap. 5, 1) Eliphas dem Dulder mit dem untröſtli⸗
chen Zurufe entgegentrat:
„Rufe doch! ob dir wer antwortet. und an wen Der
Heiligen willft du dich wenben?” (d. h. beine Klagen ver»
hallen ungehört) — dann finden wir hier eine bittere, pa⸗
rodifche Anfpielang auf jenen Ausdprud:
„Ein-Spott meter Freunde bin ich; ein „er ruft Gott
und er erhört ihn!” ein Spott ꝛc. — ganz ähnlich den bit;
ter höhnenden Moxten Des Propheten Elias (2 Kin, 18,27),
oder denen ber Feinde Davids in ben Palmen, 22, 9, Wer
fi) etwa daran ſtößt, daß wir. einen aus 4 Worten beſte⸗
henden Satz zu einem Subftantin zufammenfaffen, Den. ner:
weifen mir auf bie gelehrte Beifpielfammlung in Be enius
Commentar zu Sefaias VIII, 3 p. 329.
Ein zweites Beifpiel gibt Cap. 16,3. »
38:2. Ich habe foldjeg nun ſchon oft gehört; Ihr
ſeyd doch Alle leidige Tröſter! —
— 60 *
20 Sachs
BE. 3. „Haben ein Ende die windigen Neben?” ober:
„was erbittert Dich, daß du entgegneft?”
Hier Hat man gewiß unrichtig die von und mit Aus
führumgegeichen verfehenen Worte als aus Hiobs Munde
kommend angefehen, hat nicht gefühlt, daß m dann ganz
mnerträglich ift, was nach unfrer Auffaflung, als ſeyen es
aus den Reben der Gegner angeführte Worte, ganz anges
meſſen fteht, und befonders überfehen, daß, wenn bie
Worte an die Freunde gerichtet find, das Suff. in am
pPluraliſch feyn muͤſſe, — was durch alle Mafchinerieen von
enallage numeri nicht zu befeitigen ift.
Aber Vers 3 enthält nicht Hiobs Worte, fondern wie
derholt die Kormeln, mit denen er abgefertigt wird, und
bildet fo die nähere Beflimmung des in (BE. 2): Sol
ches, fo triftige Argumente, wie: „wann wirft bir endlich
fchweigen?” — Hiob deutet auf Cap. 15, 2 ff., 8, 2 und
auf 15, 11,12, wo ſich ähnliche, weiter ausgeführte Aeuſſe⸗
rungen finden. —
Bei Gelegenheit diefer Stelle noch ein Wort über die
Bedeutung von Yan.
Die herrfchendfte Anficht über dieſes Wort gibt Geſe⸗
ins Wb. s. v. Er ftellt die von Kimchi, hoͤchſt wahrs
ſcheinlich ausbloßer Vermuthung, angegebene Bedeutung:
„beftig, kräftig ſeyn,“ als an allen Stellen paßlich, zwar
voran; gibt aber dann, als der kimchifchen, etymologiſch
unverbürgten, Annahme wielleicht vorzuziehen, bie auch
fhon von früheren Auslegern ftatuirte Trennung, nad
der Hiob 6, 25 fo v. a, yon bedeutet, während ed an
allen anderen Stellen nach dem Arab. — aegrum esse heißt.
So ſchon Hufnagel, bei dem fih auch eine andere
Anwendung bdeffelben arab. Etymon, von Döderlein ver
fucht, Sorfinderz fo, wie fich von felbft verficht, Roſenmül⸗
ler, — auch Winer im neuen Simonis, Bödel; de Wette
Kberfeßt nach Kimchi 6, 25: „wie Fräftig find der Wahr
heit Worte!” — und an unferer Stelle; „Was bringt bi
zur Charakteriſtik u. Erlaͤnt. d. Buches Hioh. | 924
auf?” — Mißlich, ja bedenklich iſt fchon jene Trennung,
die doch wohl nur. bann gewagt werden darf, wen ent⸗
weder durch etymologifche Induction oder durch einen ges
nügenden Beſtand von Stellen die Bedeutung ber Wurzel
ficher geftellt ift; Feines von Beiden ift hier der Fall, Kim⸗
chi’8 Anficht ift für den Sinn annehmbar genug, und
läßt fi auch von etymologiſcher Seite her begründen.
Der naheliegenpfte Vergleichungspunct, fowohl für die
Etymologie, ald die Bedeutung ift urn, deffen Relation zu
yvo Diefelbe ift, wie die ded Verbum var zu Yan (Seen.
Wb. u. WW), und überhaupt feiner Erhärtung bes
darf (Gef. Wb. 7). wm theilt feinen Begriff nach 2 Seiten
hin: „glatt feyn,” und: „scharf feyn;” an diefe letztere
fchließt fich Die Bedeutung von ya. Es nimmt alle die
Bedeutungen an, in denen die verwandten Begriffe Yırı
Tr, übertragen erfcheinen. nıyca rbbp ift „fcharfer; heftiger
Fluch; yaaı 5a corruptio vehementissima, vielleicht mit
yıarı ron zu vergleichen: fcharfes, gänzliches Verderben,
wiewohl fich gegen die andere Auffaffung: „befchloffenes
Berderben cf. Gef. Ib. ya. Somment. zu. Jeſ. X, 22p. 403)
faum etwas erinnern laßt. — Hiob 6, 25: „wie fcharf, d. h.
fchlagend, treffend — find der Wahrheit Worte” ; wozu die
oberflächlichen Reden der Freunde den Kontraft bilden. —
An unferer Stelle ift ed dann, wie wir aus de Wette und
Gef. bereits angegeben, — aufbringen, d. griech. wapokv-
verv, was überhaupt zur Vergleichung bier inſtructiv if. —
Wir wundern und, daß Gefen, nicht Diefen Weg einge
fchlagen; feine ‚Bemerfung über voym cSsef. XVIH, 2,
Gomment. p. 581) flreift nahe genug an die hier gegebene
Eombination, —
Ein drittes Beifpiel einer verſtecktern Rüdbesichung
gibt Gap. 21, 22.
Hiob hat in dem erften Theile dieſes Capitels als Ers
wiberung auf Bas ihm fo oft Dargebotene Argument: es
gehe dem Frevler doch am Ende nicht gut aus — in einer
922 Sachs
detaillirten Schilderung gezeigt, wie allerdings der Boͤſe
glücklich ſey (von Vers 2 — 16), fragt dann: (Vs. IT) Wann
endlich das ſo vielfach geweiſſagte Verderben über den
Böfen hereinbrechen würde, weiſt (Vs. 19 ff.) Die Auskunft
ab, die man treffen konnte: dag ed, wenn auch ihım felbft
nicht, Doch feinen Kindern Übel ergehe; denn, — heißt es
im 21ften Berfe — „was liegt ihm an feinem Haufe nad
dem Tode, wenn die Zahl feiner Monden zugetheilt *
(nach de Wette). Dann folgt Vers 22:
„Rann man Gott Weisheit lehren? Er richtet ja die
Himmlifchen! (d. W.)
Dieſe Worte führen die von feinen Freunden fo oft in
aller Breite ausgemalte Unbegreiflichkeit , Unerforfchlics
feit Gottes (ſ. befonders 11, 6, zumal Vers T u. ff. 15,9)
518 einen Tert ein, den er durch fein bündigeres Argus
ment widerlegen kann, als indem er — jene Anſicht in ih⸗
rem zweibeutigen Werthe auf fich beruhen laffend — bie
von’ der täglichen Erfahrung gebotenen Beifpiele Des Gegen,
theiles ausführt (bis Vers 26). — Dann fährt er fort:
(nad; de Wette).
21. Siehe — ich kenne Eure Gedanten, und die Meis
nungen, womit Shr mir Unrecht thut.
28, Denn Ihr fpreihet: „Wo ift das Haus des Ge
waltigen und wo das Prachtgezelt der Frevler
(ſ. Cap. 18, 21).
29. Habt Ihr nicht befragt, die des Weges zogen?
Ihr werbet ihre Beweife nicht verfennen! (Sronis
ſche Anfpielung auf ihre Berficherungen von der Wahr
heit und Unumftößlichfeit ihrer Behauptungen. „Das habt
‚Shr Alles von Augenzeugen, die die Sachen gefehen, —
und ihre Ausfagen gebet Ihr bloß wieder.” Wir überfegen
das zweite Hemiftich auch noch als in der Frage ftehend:
„und ihre Ausfprüche verkennet Shr nur nit”? Nicht
wahr? Ihr fagt bloß, was aus ficherer Quelle Ench zus
gekömmen? Nicht wie Gefen. 8. v. >35 was Dem Zufams
zur Gherakterifit u. Erläat, d. Buches Hiob. 923
menhange ganz unangemeflen fcheint. — Vgl, 15, 17, si
20, 9.
V. 30, Am Tage des Verderbens wird der Böfe: vers
ſchont, am Tage ber Rache werden fie begraben.
So de Wette. In Diefer Ueberſetzung vermiffen. wir
2; Daß es nicht gleichgiltig ſey, wird fich aus Folgendem
ergeben. Offenbar nämlich ſchließt V. 30 das in ſich, was
— wie Hiob fagt T- feine Freunde von den Wegziehenden
vernommen, was bei ihnen als unabweisliche Erfahrung
feftfteht, nämlich: daß der Böfefeinem Schidfale doch ent⸗
gegengehe; dieß Fehrt durchweg wieder: 5, 3 ff. 8,12 ff.
15, 23. zen ar I Ti und die ganze folgende Stelle, 20, °
5, bei. 8.7, 8 u.d. Folg. Und ganz deutlich Tiegt auch
das in den Worten, Die man nur anders faffen konnte, ſo⸗
bald man fie als ein Nefume des früher von ben Hebris
gen Geäußerten anſah. Wir überfeßen die Stelle, und
fchalten der Kürze halber in die Ueberſetzung einige Zus
fäße ein:
29. Richt wahr? gIhr habt die des Weges zogen ge⸗
fragt? und ihre Ausſagen verkennet Ihr (nur)
nicht?
30. Mämlich) „daß dem Tage des Unglücks aufge⸗
ſpart wird der Böſe, dem Tage des Zornes zuge⸗
führt!“ —
31. (Ich aber ſage Euch:) Wer rügt ihm ins An⸗
geſicht ſeinen Wandel, und was er gethan, wer
vergilt es ihn?
32. Ins Grab wird er (vielmehr) getragen uf. w.
Hier wieder, wie oben, Die Entgegenfeßung des durch
die Erfahrung des Lebens Conſtatirten gegen Hypotheſen!
Sprachlich ift unfre Ueberſetzung aus folgenden Gründen
gefihert: er mit ſteht eben fo, wie wir ed genommen,
Hiob 38, 235 daher alfo die Bedeutung: „geſchont wers
den,” die Gefen. aus dieſer Stelle befonders aufführt, nicht
befonders anzumerken ift; nur fo gefaßt, wie hier, findet,
Ma Sachs zur Charakt. u. Erlaͤut. d. Buches Hiob.
das 5 feine gehörige Bedeutung, vgl. Habak. 3, 16, Das
niel 12, 13. — Ferner geht aus 3. 32, wo ausbrädlid
nimapb. bei ber flieht, hervor, daß ar ®. 30 nicht heißt: fie
werden begraben ; fondern, wie wir edgenommen: binzuge
führt werden; wegen bes > vgl. Hof. 10, 6. Man überfehe
nicht den gewiß nicht zufälligen Gleichklang in: rinay ur
aber und 5er ninsp5; bie beiden, fonft ungewöhnlichen Plus
zalformen, Die wohl deshalb ſtehen, weil in den Singes
Jaren: rmas und “=p jener parodiſche Gleichtlang nicht
wäre zu erreichen geweſen.
4.
Bemerkungen zu Stellen des Evang. Johannis,
von
Dr. de Bette
ob. 8, 25.
Die Worte 17V doyyv ö,rı zul Ani Univ find noch
nicht fo erklärt, Daß fich der genaue Sprachforſcher das
bei befriedigen Fonnte; und dieß kommt daher, daß die
Andleger fich nicht (genug um Die Wortbedentungen befüms
mert haben. Sch will Diefe daher zuerft ficher zu ftellen fuchen.
Was zrv aoynv betrifft, fo ift D die Bedeutung im
Anfangehinreichend aus Etymologie und Sprachgebraud;
bewiefen. Vgl. die Stellen bei Elsner aus Isocrat. Ni-
cocl. p. 72. Arrian. Expedit. III, 11.p.118.; beiSchwarz
Comment. crit. et philol. lingu. graec. aus Zosimus Hist,
1, 67. p. 108.; bei Wetstein aus Thucyd. II, 74 A-
phthonius Progymn, IV. Auch die LXX brauchen es fo für
rbrma 1 Mof. Al, 21. 43, 18: 20. Aber 2) die von Pau
Ius und Olshauſen angenommene Bedeutung fürs
erfte, erſtlich läßt fich, obgleich die Etymologie dafür
zu fprechen fcheint, aus dem Sprachgedranche nicht bes
Bemerkungen zu Stellen bed Evang. Sohannis. 925
weifen, und ich babe keine Stelle finden Können, wo fie
vorkaͤme. Die von den Meiften angenommene 3) Bedeus
tung prorsas, omnino, ift nur aus dem Sinne, den ber
Ausdrud im Zufammenhange, befonders mit der Negation,
hat, entlehnt und alfo feine wahre Bedeutung. Man kann
freilich in der Ueberfeßung prorsus oder omnino brauchen,
3. 8. Plat. Apol. Socr. p. 29. bei Vigerus p. 80....%
zunv dornv ou Ösiv lub Ösügo eldeilteiv... aut me prorsus
non debuisse huc venire; Gorg. p. 178.... 0 unöt xauvon
&ornv, qui prorsus non aegrotavit, obfchon felbft Aber die
Genauigkeit diefer Ueberfeßung geftritten werden kann;
aber die eigentliche Bedeutung, welche neben Nr. 1 allein
Start hat, iſt: von vorn herein, von Hand
aus, im Grunde, überhaupt (obſchon diefed Wort
nur den Sinn ausdrückt, und eine etwas andere Etymologie
bat). Die eigentliche Bedeutung anfangs, wobei eine
Rückſicht auf die Zeit Statt findet, wird anf die Befchafs
fenheit oder die Verhältniffe Der Sache übertragen und zus
Bezeichnung des Begriffs des Urfprünglichen, an ſich Seyen⸗
den und allgemein Geltenden gebraucht. So wie wir mit
unferm überhaupt von Einzelheiten auf Das Ganze und
Allgemeine hinlenten, fo faßt der Grieche mit zyv- doynw
das Urfprüngliche im Gegenfate des hinterher Hinzugekom⸗
menen ind Auge. Oft hat fich Diefe Bedeutung verwifcht,
bisweilen gilt fie noch ganz beftimmt. Im erften Der anges
führten Beifpiele heißt zn» doyyv wohl noch eigentlich
von vorn herein, gleich, weil darauf folget: 7 Zweı-
dn elajAdov. Im zweiten Beifpiele ift omnino, überhaupt,
wohl richtiger als prorsus, gänzlich. Auch Gorg. eben»,
daf. etwas fpäter: od yag zoür mv zudaunovia, as Eoıxs,
xuxod aralluyn, aid nv doxnv undt xrijotg findet die
erfte Bedeutung noch Statt, wie auch Schleiermacher
überfeßt: „denn nicht das war Glüdfeligfeit... fondern
von vornherein Feine Gemeinfhaft damit.” Aehn⸗
926 be Wette. ‚
lich Hermogenes de invent, Il, 1, bei Wetst.: ’Eav
pev Avousv ròov vouov, Abyovrsg Örı Toüsev iyenv pndi
yeyodpdaı cov vouov nv aoriv. Loseph.B. LIV,10.7....
a un Ösdevrı vv doyzv. Am wenigften würbe man mit
prorsus andfommen in folgenden Stellen: Lucian. Ca-
tapl. 21: zollug, & Xagmv... apa MixöAlou ijon Tıva
GBoAoy goodondv. doynv Öt our: olda sl vergdyavor
doriu OßoAög, 7 orooyyoaov. „Du fcherzeft, Sharon, indem
du von M. einen Obolus erwartefi: überhaupt aber von
sorue herein weiß ich nicht, ob ein Obolos vieredig oder
rund iſt.“ Xenoph. Cyrop. I. 2, 3.: Oi 6: Ilsgsıxol vopoı
sooleßövreg imuilovreı, Onag Tv dpynv ung Towüra
Saovraı ol zoAicei, oloı zovngod viwog Epyov 7 alsyeoü
iplscder. „Die perfifchen Gefeße aber forgen (im Gegens
füge mit andern, welche bloß Verbrechen verhüten) in vor:
aus dafür, . daß von vorne herein (überhaupt) die
Bürger nicht foldhe werden, die ıc. ꝛc.“ Ohne Negation,
aber mit einer der Negation gleichkommenden Frage fteht
id doxnv in folgenden Stellen: Plat. Lysis p. 215: xo⸗
adv ol ayadol Toig dyadroig npiv plaoı Esovraı iv der,
Hark. Schleiermaher: Wie alfo können und nur
überall Cüberhaupt) Gute mit Guten freund werben,
weiche ıc, c.-P-hile de Abrah. p. 366. (C. bei Loesner):
ag yüg ev dayıv sloeAdeiv v ———— Qui poterant enim
omnmo (iiberhaupt) intrare ?
Am meiften muß und Daran liegen, Stellen zu verglei⸗
chen, wo unſer Adverb. ohne Negation ſteht, weil es bei
Johaunnes fo vorkommt; aber deren gibt es vergleichungs⸗
weiſe wenig. Mir find folgende bekannt: Sophocl.
Pbiloct. 1232: ’Agyiv aAwew üv 000” Anak 2Bovaounv,
wo bie Regation wenigftend nicht unmittelbar Damit ver:
bunden iſt. Es heißt hier ebenfalls von vorn herein,
überhaupt. Bio XXXII, 43: ... 6 Koisap ..... tij
05 dy yuvalsa ünexiubero, EIN@V ..... u] guivscı zul
N
N
Bemerk. zu Stellen des Evang. Johannis. 927
ovvomiosw Ei avdıjj Övvaddaı, -drört xıd Uxonteitn
CorV usuoıyzüodei...:.. weil fieüberhaupt des Ehe⸗
bruchs verdächtig geworden fey. Maximus Tyr. Dissert,
5. p. M. (bei Elsner:) rl d& xai riV dprnv Geuvor;
was ift überhaupt (von vorne Bra) heilig —
ehrbar)?
Es wird nun klar ſeyn, daß die Bedeutung prorsus
nicht Statt findet, am wenigſtens die von Lu de angenom⸗
mene: wahrhaftig — aunv, und es wird ſich zeigen, daß
in unſrer Stelle kaum eine andere, als von vorne her⸗
ein, überhaupt, anwendbar ift.
Zuvor aber tfE noch in Anfehung des Andsiv zu: bemer⸗
fen, daß es immer nur reden heißt, die Rede als Hands
lung ihrer Form oder ihrem allgemeinen Inhalte nach ges
nommen, fo daß man wohl Innere Audsiv (Joh. B, 34,
6, 63), tadın Anis (8, 28) fügen, nicht aber einen ber
flimmten Redes Inhalt damit angeben Tann, wofür nur
Atyav, jagen, paſſend ift. Vgl. Bretschneider ®. ı.
AcAs .(Tittmann de synon. p. 79 hat En hieher Ge⸗
höriges).
Nunmehr können wir Die — ——— Erklaͤrun⸗
gen prüfen, und die richtige aufzuſtellen verſuchen. Die
Erklaͤrung Beza’s und Tholucks: Sch bin, was ich
euch auch anfangs gefagt, kann ich nicht billigen,
weil die Wortftelung willfürlich verbreht, And für SAudnoe
und: Diefem Zeitworte Die Bedeutung von Aeym gelichen iſt.
Eben fo wenig die bretfchneider’fhe: Gleich ans
fangs habe ich gefagt, was ih auch jebt euch
Tage. Die Ergänzung von kaAdano« und die Erklärung
des xl durch auch jet ift willfürlidh, und Auto ift für
Ayo genommen, gegen die eigene richtige Angabe des Lexi⸗
tographen, Die Erklärungen von Erasmus: Primum
som quod etiam dico vobis; von Luther: Erſtlich Der,
der ich mit euch rede; von Paulus: fürs Erfke
928 ee be Wette
bin ih das, als was ich auch jeßt zu euch rede,
theilen den Fehler, eine unerwiefene Bedeutung Ded mm
dor. zu befolgen; übrigens nimmt E. Ania für Atyı, Lus
ther ö,r für Derjenige welcher, Paulus ähm
lich, und fchiebt noch jeßt ein. Olshauſen verbindet
V. 25 mit 26, und erflärt: fürs Erfte habe ich, was
ich euch aud offen fage, Bieles an euch zu ta
dein ıc., wobei das fürs Erfte und ih fage falſch,
das offen aber eine Nothhülfe iſt; und Die Verbindung
beider Berfe hat das gegen fich, daß wenn ö,rı x. A. ©.
fich auf das weg) Uuov Anrsiv bezöge, es wohl hinterher
und fiatt des Sing. ö,re wohl eher der Plur. à ftchen
würde. Gegen den Sinn habe ich nichts einzumenden:
Jeſus würde auf die Frage: wer bift bu denn? nicht eins
gehen, fondern ven B. 23 ausgefprochenen Tabel entſchul⸗
digen; eine folche Entfchuldigung enthält V. 26 in jedem
Falle. Lücke?s und vieler Andern Erflärung: Wahrs
haftig nichts anders bin ich, als was ich eud
auch ohne Rückhalt fage, leidet an fchon gerügten
Fehlern und befonders an dem, daß dem zrv doyiv eine
falſche Bebeutung geliehen ft.
Die richtige Erklärung ergibt fich nun aus ben bishe⸗
rigen Bemerkungen von ſelbſt. Das Adv. v7v dpxyv kann
nichts anders heißen ald von vorne herein oder übers
haupt, d. h. abgefehen von allem, was fpäter hinzus
tritt, was unmefentlich und zufällig ift; nach dem Zuſam⸗
menhange: abgefehen von dem fich felbft beigelegten Ras
men, den die Suden Sefu abfragen wollten, welcher Name
Prophet oder Meffias oder weicher e8 ſeyn mochte) nichts
als die Sache einer erft fpäter hinzugetretenen Reflexion
oder einer mittelbaren, nicht unmittelbaren Anftcht von
Jeſu Perſon war. Nach uyv aoynv ift nothwendig aus
dem Borigen zu ergänzen dyo alu, und bad 8, ru x. Av.
iſt das was er iſt. Diefe Worte heißen aber nicht: was
/
Bemerk. zu Stellen. bed Evang. Johannis. 029
ch euch aud fage Cheflimmt. erkläre, .angebe), ſondern
was ich euch auch rede (die Rede Jen allgemein,
ohne Rückſicht auf.einen beftimmten Inhalt,. fonbern ihrem
allgemeinen Inhalte ober Charakter. nach genommen). Das
sel dient dazu, das, was J. redet, bem, was er ift, gleich⸗
zufeßen, fo wie es befanntlich bei Bergleichungen ftcht,
(bei 05 Matth. 6, 10,1 Cor. 7, T. f. [und zwar hier übers
fläffig] Eph. 2, 35 bei oürag Matth. 24, 27, 38, 31, 80.
Joh. 5, 21. 26; und felbjt bei Gegenfüken Roͤm. 5, 18.21
1 Cor. 15, 22.5; auch überflüffig bei jedem Gliebe ber Ber»
gleihung Rom. 11, 30. 31. [wo freilich das erfte xad Iris
tiſch verbächtig ift ]) oder es drückt, wie Luk. 11,28, bie
Wirklichkeit aus. a) Der Sinn der Rede J. ift hiernach
fraget nicht nach dem, was ich bin! Gebet vor.allen Din⸗
gen,'che ihr euch einen Begriff über mich bildet, und mir
einen Namen gebet, meinen Reben Gehör, und erkeunt
daraus mit unbefangener Empfänglichteit, wer ich bin! ;
30h. 9, 40 f. er
Diefe Stelle hat Tholuck — verwirrt und —
gens ſehr flüchtig behandelt. Er bezieht die Frage der
Phariſaer: „Sind auch wir blind?” höchſt widerſiunig
auf die leibliche Blindheit; worin ihm Olshauſen mig
Recht widerſprochen hat. Lücke verſteht V. Al duaprlay
Eysıv von der Sünde des Unglaubens, Ols hauſen rich—
tig vom fündigen Zuflande überhaupt; aber er erläutert
bie Sache nicht genug: diefe Erläuterung will ich hier zu
geben verfuchen. Es müflen die drei Parallelen 8, 21 und
24,9, 41, 15, 22 und 24 zufammengenommen unb. auf
diefelbe Weife erflärt werben. 8, 21 fagt Jeſus: Ich
gehe hin, und ihr werdet mich fuchen, aber in eurer Sünde
a) Hierbei wünſchte ich die Lexikographen und Ausleger auf die nies
gends bemerkte und erläuterte Eigenfchaft des Sprachgebrauchs bei
eukat, nad) dem relatirum za} zu fehen, aufmerkſam zu machen.
[2
. „ y%u
08 .: 0.0. Be =.
ſterben,“ unb 3. 24: „benn..menn ihr nicht glambt, daß
ich es bin, fo werdet ihr in euren Sünden fterben.” Hier
iſt offenbar die Sünde, oder wie ed nachher heißt, bie
Sünden, nicht Die Sünde bed Unglanbens, fondern ber
fündhafte. Zuftand, von dem fie hätten.durdy ben Glauben
any. befreit werben können, in welchem fie aber bis au
ihren Tod swerharren und darin fierben, weil fie nicht
glauben. Bgl 3,36: „Wer an den Sohn glaubt, der hat
Das ewige Lebenz wer aber dem Sohne ungehorfam if,
wirb Das Leben nicht fchauen, fondern ber Zorn Gottes
bleibt auf ihm.” — 15, 22 fagt-Gefus: „Wäre ich nicht
gekommen und hätte zu ihnen geredet, fo hätten fie Teine
Simbe;. nun aber haben fie feine Entfchuldigung wegen
ihrer Sünde.” Aehnlich B. 21: „Hätte ich nicht Die Werke
unter ihnen gethan — — — fo hätten fie Feine Sünde; nun
aber 10.10. daß hier apaprla nicht die Sünde des Unglans
bens (wie ed Rüde und Tholuck verfichen) feyn Tann,
liegt auf der Hand; denn es wäre doch ein wahrhaft nichts:
fagender Gedanke: wenn ic) nicht gefommen wäre, fo häts
ten. ſie bie Schuld des Unglaubens nicht — das verſteht
ſich ja von ſelbſt. Das Wort in der wahren allgemeinen Be⸗
beutung zu nehmen, hat man ſich vielleicht durch die Be⸗
benklichkeit abhalten laſfen, daß ja die Sünde auch Sünde
war, noch ehe Jeſus erſchien; allein der Sag: fie hätten
feine Sünde, ift relativ zu nehmen: fie wären gewiſſer⸗
Maßen Burch ihre Unwiſſenheit entſchuldigt. So fagt I.
Matt. 11, 22, 24,'e8 werde Tyrus und Sidon und Ss
doin tm Gerichte erträglicher- ergehen, als den Stäbten,
in denen er Bunder getban. Was nun unſre Stelle 9, 41
verrifft, fo miß zuvorderſt das el tugkol Are richtig ges
faßt werden. : Richt ganz mit Recht weift Lite bie Er⸗
Härung Kuinöls ab: wenn ihr euch für blind
hieltek, Diefer Sinn liegt freilich nicht in den Worten;
allein ver Gegenſatz: vin ob Akyers_orı Bilzopen, führt
Bemerk. zu Stellen des @vang. Johannis. 940
doch darauf; auch liegt es im Begriffe der Blindheit, dag
man fie fühlt und anerleuut und Hülfe dafür fucht, wie
denn auch ber Blinbgeborne in der vorhergehenden Hei⸗
lungsgeſchichte feine Blindheit nicht ig Abrede ſtellte. Der
Stan if alfo:.wenn ihr unwiſſend und irrend
wäret, wen ihr euch im Zuſtande unbefangener, an⸗
ſpruchloſer Unwiffenheit befündet. (Olshauſen ganz
falſch: fehlte euch in der That alle Fähigkeit,
GSöttliches zu erkennen. Daburch wird gar kein rich⸗
tiger Gegenſatz hervorgebracht; denn das folgende BAsxo-
ev, will nicht fagen: wir haben Fähigkeit für das Gött⸗
liche, ſondern: wir find weife und gerecht. Auch wird
Durch dieſe Erklärung bie Rückbeziehung auf das ur} BaA- Ä
scovreg V. 3Q, welches offenbar — vugAol, zerſtört). Ayf
deun fo ertlärten Borberfag: Wenn ihr-blind wäreg,
folgt num als Nachſatz fehr richtig der Gedanke: fo hät«
tet ihr wegen eurer Sünde feine Schuld, d. h. fp
wäret ihr im einem gemiflen Grabe zu entfchulbigen. Im
Gegenſatze: num aber ſagt ihr: wir fehen, bem
nad bleibet eure Sünde, aft:ber Nadıfag etwaß
modificirt, aber jo, daß dadurch unfre Erklärung *
mehr beſtaͤtigt wird. Der Sinn iſt: Nicht nur habt ihr
Schuld wegen eurer Sünde, fondern ihr werbet auch nicht
berjelben los durch den Glauben an mich, durch Erkennt⸗
niß und Annahme der Wahrheit; eure Schuld bleibet.
Vgl. 8, 2A: ihr werdet in euren Sünden. ierken.”
Joh. 10,24.
Tv vuxiv algav erflärtman gewöhnlich nad) Eutlym.
durch animum suspensam tenere — dvaprav; ich vermiſſe
aber den Beweis dafür, Die eigentliche Bedeutung ift
erheden, und man ficht nicht ein, wie Diefe zu, jener
führen ſoll. Auch fehlen Die Beweiſe für einen ſolchen
Sprachgebrauch. Bon den, Stellen, welhe Wetſte in
BB: be Welle.
anfühet, gehören mehrere gar nicht hieher, wie Themistius
IX, pı 126, wo zog ubysdog alpeıv vv puynw, bie Seele
zu hohen Gedanken und Gefühlen erheben heißt, Libs-
‘nius Or.X. 265 A., wo algsodaı dem Bexrifsodear, erh o⸗
benwerden dem untergetaucht werden, entgegen
gefegt'ift. In den übrigen Stellen aber, beſonders denen
aus Joſephus, heißt Das Wort im Perf. pass. aufge
regt, gefpanntfeyn. Antigg. II 2,3: ncav &xl zor
xlvövvov rag duyas noubvor. 5, 1. Housvor reig dsavolas.
Bretſchneider führt noch aus’ Antiqq, VHI, 18, 5. dung-
‚univovsrädsavole zul raig Ödkaus an; aber bie richtige Les⸗
\art tft Öuyonntvovus. Lücke verweift vorzüglich auf Phi-
lostrat. H, 4 und auf Sophocl, Oedip. Tyr. v. 905;
aber in erfterer Stelle heißt ZEnouivor weiter nichts als
aufgeregt und in der zweiten ift Ouucv algsı, erhebt
Den Muth, kaum zu vergleichen. Noch hat man Zxsalesıy
in der Stelle der LXX. 2 Kön. 18, 29. un Zapf vnäs
Ebexiceg Aöyoıs verglichen. Diefe Weberfegung beruht auf
der Berwechfelung des wurı mit wer; inbeffen mag Zwei
geiv ebenfalls in ‘der Bedeutung zu Hoffnungen auf
regen gebraucht ſeyn, und die Parallele beweift nichts
für die. gewöhnliche Erklärung. Lösıter-. d. St. ſucht
einen Beweis für die Bedeutung animum suspendere in der
Synonymie der Berba alpem und uerewolfen; aber
Diefe Liegt eben nur in der Bedeutung erheben, nidt
in jener. Demnach bleibt nichts übrig, als unfere Stelle
fo zu erflären: Wie lange willft bu unfere Seele
sur Erwartung aufregen, fpannen?
222. 80h. 10, 34-36,
Tholuck verftcht unter den „Böttern” Pf. 82, 6.
noch immer Richter und Obrigfeiten, obgleich alle Kenner
EU T. willen, daß in den Stellen 2 Moſ. 21,6. 22, 7f.
Er nicht bie Richter, fonbern das Gericht bezeich⸗
Bemerk. zu Stellen des Gang. Johannis. 933
net; denn 5 Moſ. 19, 3%. finder ſich bafür-ram ab, ws
doch niemand fagen wird, daß bie in Dppofition ſtehen⸗
den. „Priefter und Richter” Iehone genannt —
Vgl.Gesen. the. p. 96.: .: I |
Auch Ols hauſen wirft noch beides: in einanber ;Wie
Sitte, das Gericht: Gott zu Aennen, und bie andere, Ms
nige Gottesföhne, Götter zu nennen. Meine Erklärung
von Pf. 82 würdigen beide feiner auch nur widerlegenden
Berückſichtigung: vielleicht darum; weil fie ed für ter
denklich halten, daß Sefus feine Gottesfohnfchaft mit ber
heibnifcher, wungerechter Könige in Parallele ſetzen ſoll.
Allein daß die „Götter”, Pf. 83, ungerechte Menſchen ſind
und Gottes Zorn auf, fi) gezogen haben, läßt ſich auf
feine Weiſe wegfchaffen, und Ols hauſen ſcheint es
nur überſehen zu haben, weil er ſich wahrfcheinlich ‚nicht
die Mühe genommen hat, auch nur einen BÜd auf den
Pſalm zu werfen. Da es ihm, bei feiner Sucht, die Eine
heit Chriſti mit Gott immer ald eine Wefensgleichheit aufs
zufaffen, zu flach erfchien, den Grund, warum bie Könige
im A. T. Sötterföhne heißen, barin zu finden, „daß fie im
Namen Gottes ihr Amt verwalten follten”; fo ging er
in unbegreiflicher Berblendung darauf aus, eine reale
-Berbindung ber Perfönlichfeit mit Gott aud
in „Göttern” der Pſalmſtelle geltend zu machen. Dazu
mußten ihm Die gemißbenteten Worte: mung oüs 6 Aoyog
ou Heoü äyevero dienen, bie: er. nicht, wie man nothwen⸗
dig muß, auf das an Die „Mätter”: Pf. 82 gerichtete (ſtra⸗
fende) Wort. Gottes bezieht, ſondern allgemein.im Sinne
der Formel '» a7 m al& Bezeichnung der höheren Mit
theilung, wie fie die Propheten empfingen , mimmt.. „Richt
bloß echte (9. politifhe Obrigkeiten find hier- demnach zu
verſtehen, ſondern auch Propheten und gotterleuchtete
Männer überhaupt, die nach theokratiſcher Anſicht auch
richten durften, weil Gott, der einzige ar Richter,
Theol, Stud, Jahrg. 1884,
. ” % . —
“ s0o4i.tu = m +,*- ... _ -. ver ob.
durch ſie ſprach. Ale. Diefe hießen Kinder Gottes, weil
Gottes Kraft und: Weſen in ihnen wirkte und ſich offen⸗
harte. Ms findet · Aſo eine reale Parallele; zwiſchen denſel⸗
ben und zwiſchen Chriſtus Statt’ a. ſ. w. So find alſo
jene Rrdengotter, zu welchen Gott ſpricht: „Wie lange
mollt ihrer unsachtnichten und Die Partei ber Frevler uch:
ment... Six ſind ohn' Einficht und Berflaud, in Fin
ſterniß wandeln fir..... Sch habe gefagt: Götter ſeyd ihr
und Soͤhne das Hoͤchſten ihr alle; doch wie Menſchen ſollt
the Rerben,. und wie audere Fürſten fallen“ — durch bie
„tiefe“ Schrifterkllärung des Hrn. Olshauſſen zu realen
Parallelen Ehriſti geworben! — Beiläufig geſagt: ich
ſchatze das große exegetiſche Talent dieſes Gelehrten sup
Sein Verdienſt um Die bisher vernachläſſigte (dog matiſche)
Auslegung; allein etwas mehr Fleiß und vor Allem Wahr⸗
heitsliebe wäre ihm wohl zu wünſchen. — Noch bes
merke id). zu unferer Gtelle, Daß man den von Jeſu ges
machten Schluß.a minori ad meins nicht verfennen darf,
dann aber auch feinen Auſtoß Daran zu achmen braucht,
Daß jene „Better — unter Jeſu ea Würde
er
goh. ii, 9 f.
Es iſt merkwürdig, wie dieſe Stelle von den Hndler
gern-vernachläfffgt:und gemißhanvbelt werden if. Ehry
foft omas ahnete die richtige Erklärung, aber er trante
fich darin‘ felbft' nicht und fügte -eine andere ganz falfche
hinzu. Wenige laffen ſich darauf ein, Die ganze-Allegorie
einheitlich aufzufaffen, und in dieſen Fehler verfiel ſekdſt
Lücke, der ſich um die zweite Hälfte, Das: Bilb des Wan
bdelns in der Nacht, gar Nicht kümmert. Flache Nüchtern
heit fand in der Bildrede nichts ald den Gedanken, Feind
wolle bei: Tage reifen; DIshanfen in feinem über
fhwenglichen Drange nach tieffinniger Auffaſſung fündigt
Bemerk. zu Stellen bed Evang. Sohannid. 935
gegen‘ die unträgliche Regel, daß es immer nur Lies
Sinn gibt, und. faßt die Rede vielventig; und. leider folgt
ihm auch darin, wie in manchem Audern, was nicht recht
iſt, Thobuck in.der neneften Auflage feines Commentars.
Wohl gibt es eine Doppelſinnigkeit der Reden Jeſu, z. B.
Joh. 5, 2 fi; aber-nicht eine ſolche, daß Leibliches und
Geiſtiges in einander gemifcht wäre, fondern daß Beides
in einem. Allgemeinen zufammengefaßt iſt. Gier aber: fol
der eine Sinn in Den andern ‚hineingemifcht ſeyn.
Beipe Ausleger verlieren ſich fo fehr in das Willkürliche
und Unklare, daß es ſchwer ift, ihre Meinung darzulegen
und Schritt vor Schritt zu beleuchten.
‚Den richtigen Geſichtspunct für Die Erklärung der
Stelle gibt.ung die in V. 8 ausgedrückte Beforgniß, der
Jünger Sefui vor den Gefahren, denen ex fish burch. die
Reiſe nach Judäa ausſetzen werbe, an. Dieſe Beſorgniß
leugnet Kninöl upbegreiflicher Weiſe ganz ab: Lücke
erkennt fie an, und findet richtig in der. Rede Jeſu eine
Aenperung feiner Furchtloſigkeit. Hiernach find alle Er⸗
Härungen abguweifen, welche auf einen andern Sinn und
Zwed der Rede Jeſu führen, wie bie von Kuinöl anges
nommene rofenmällerfche,. wonach in unfrer Stelle
nichts liegen fol, als was 9, 4 gefagt iſt. Diele Ausles
ger. finden nun in unfeer Stelle den Gedanken des ‚götts
lichen: Schutzes; allein darauf führt Feines ber Bilder,
nicht. einmal das der Sonne, welche zwar dem Wanderer
ben Weg zeigt, ihn aber nicht vor Gefahren bewahren
kann. Und wenn auch der Tag und das Sonnenlidt auf
dieſe Weiſe zu verfichen wären: was machen. wir denn mit
der Nacht? diefe kann doch nicht den Mangel des. göttlis
ren Schußes bezeichnen. Schon das megmarsin,, eine
Handlung des Menfchen, hätte darauf führen follen, daß
Sefus hier, wie 9, 4 f., eine fittliche, nicht eine religiÿſe,
Wahrheit ausſpricht. Aber die Vergleichung mit biefer
61*
936 de Wette
Sielle darf und nicht verführen, den Tag ebenfalls von
der Lebenszeit zu verfichen, weil es. hier ganz unſtatt⸗
haft if, Die Nacht ale Bild des Todes zu nehmen. Tag
und Nacht werben 1 Thefl. 5, 8. Rom. 13, 12. von ſittli⸗
cher Lauterkeit und Unlauterkeit gebraucht. "Aber davon
kann hier nicht geradezu die Rede feyn, weil. Jeſu Zwed
nicht feyn Tann, feinen Jüngern die Lehre zu geben, mau
folle im Lichte Der Wahrheit und Gerechtigfeit wandeln.
Tigooxcarsv if nicht iraucheln im gemöhnlich fittlichen
Sinne — fündigen, fondern einen Unfall erleis
den oder in Gefahr gerathen. Licht iſt Verſtaud,
Klarheit; und fo könnte man verſucht werden, mit Pau-
Ind und Lange bier eine Empfehlung der Vorſicht zu
finden. Aber das wäre in der That eine froflige Erklaͤ⸗
rung. Jeſus empfichlt fonft allerdings die Klugheit, aber
nie für fich allein, fondern in Verbindung mit dem laute⸗
ren und himmliſchen Sinne (Matth. 10, 16. Eu. 16, 1 ff.).
Ich finde das Richtige in der Berbindung der Erflärung
von Paulus, und der in erſter Stelle von Ehhry ſo ſt o⸗
mius angebeuteten: 6 undlv davrs 'ovvadds xovnpor
odötv zelasnı dewöv 6 dl va pyaüla mpdasam zulseren.
Jeſus will fagen, er finde feine Sicherheit in einer. lautern,
offenen Kingheit, im Dienfte der Wahrheit, welche zus.
gleich den rechten Weg der Pflicht und den ſichern der
Klugheit zeigt und Muth und Kraft gibt gegen die dunkeln
Anſchläge der Argliſt (Ruf. 22, 53). Ich beziehe mid) übri⸗
gens auf mein bibl. Andachtsbuch L 294. Das fchwierige
iv avro V. 10 benntzt Tholuck zur Empfehlung eines
seifigen. Sinnes; allein nach der Variante 12, 85 it ed.
9 a; perd; oder man nehme ed mit Grotius für coram =
. dv Opdaiusiz avrod (Matt, 21, 42), wie auch wohl iv
äuol 1 Got. 14, 11 zu nehmen if, und wie 3 für Sau vor⸗
romnt 2 Kor: 23; 18. |
Bemerk. zu Stellen des Evang. Johannis. 87
F ee x Joh. 11, 51. |
Ä ur Ka. vermunbern,; baß.bie Ansleger hier nicht an
die Bathkol denken. Die Rede des Kaiaphas hatte gewiß,
auch der Meinung des Evangeliſten nach, den natürlichen
Sinn, man ſolle Jeſumnzum Beſten des jüdiſchen Gemein⸗
weſens hinrichten; Johannes fand aber darin noch einen
zweiten übernatürlichen praphetifchen: Sinn / Jeſus werde
zum Bellen des Menſchheit ſterben. Prophezeiung durch
Doppelfiun iſt dem A. T. durchaus freuid; auch Senus
es: feine Weiffugung in Bewußtloſigkeit, obſchon die Rab⸗
binen davon wiſſen wollen, (ſ. die Eitate bei Metſt. Schöttg.
Paulus), und noch weniger. in Gottentfremdung, woflr
Dlshäufen fälſchlich Das Beispiel des: Bileam anführf,
Demiiach Bietet: ber Weiffagungsglaube des; Hebraismus
feinen Aufnüpfungspunet, und wir müſſen einen folchen im
Judenthume fuchen. Keinen fchicflichern aber Tann 23. ges
ben, ald den: Slanben an die Bathkol, oder an Omin«;
pr ra, Tochter der Stimme, d. h. secundaria vox, (Buxr⸗
torf) , mittelbare Stimme, mittelbares Orakel, iſt ganz bad,
was die Römer omen naunten, wie:die-Beifptefe aud HU
eros.Schabb. F.8, 3 beiLightf. zu Matth. 3, .12.3eigen.;.mo
menfchlidye Reden ald.höhere Andeutungen genommen wers
ben. Beim Evangeliſten kommt hier. noch der Glaube dazu /
daß ber: Hoheprielter,, als ſolcher, ein beſonderes Organ
dieſer Weiffagungsart fey. Offenbar hatte ſich von dem
altteftamentlichen. &tauben an bad hoheprieſterliche Oras
kel durch das Urim und Thummim noch ein Reft: erhalten,
was Tholuck nicht hätte Teugnen follen, zumal ba ſich
dafür in der Behauptung des Joſephus CAntigg: XIII,
10, 7), daß. Joh. Hyrkan Die Gabe der Weiffagung gehabt,
und in der-Borftellung ded Philo (de creat.:printip. p.
723), daß der wahre Hohepriefter, als ſolcher, zugleich
Prophet ſey, Spuren finden.
Aber wie wenig werden wir mit dieſer Au
08 de Bette
werbung ber Bathkol auf die befprachene Stelle finden,
da die neuere hochglänbige Erxegeie a am einmal
in der Stelle
Joh. 12, 2 f.
— will. Panlus, Kuinöl, Lücke halten bie
Stimme, welche dem großen Haufen. als ein Donner er⸗
ſchien, welche Andere für. eine Engeläflimme nahmen, bie
aber für Jeſum und bie Jünger 93 den göttlichen Audfprud
that: «ich habe ( meinen Namen) verherrlict und werde
ihn ferner verherrlichen, für einen als Bathkol gedeuteten
Donner, indem fie daran erinnern, daß ber Donner den
Alten häufig bedeutſam erfchienen iſt. Dagegen bemerit
Tholuck, dag bie Juden unter Bathkol nie einen: Domuer,
ſondern gewöhnlich wunderbare Stimmen, bie 3. B. and
dem Alterheiltgften herfamen, verflauden haben, und er,
wie auch Ol hauſen, nimmt bier eine wirflide Stimme
vom Himmel. au, . Allein es ift zu zweifeln, daß Die Anges
ben der. Rabbiner über bie Bathlok:fid alle auf Die ur
ſprüngliche Anficht davon gründen; und wenn Die ältern
Bibelforfdren, mie Lightfoot, in den Wunberftinmen;
von denen ſie erzählen, teufliſch magiſchen Betrug witter⸗
ten, fo dürfen wir wohl argmähnen, daß Aberglaube mit
untergelaufen fey. Der Glaube an Omina:-bei den Römern
war auch mit dem Glauben verbunden, Daß fich zumeilen
wunderbare Stimmen hätten hören laſſen, wie fie ſich denn
einen eigenen Gott Ains Locutius erfannen.. So wie ed nun
fehr' voreilig ſeyn würde, Diefes Glaubens wegen Den Glau⸗
ben au Omina ‚gang, wegzulengnen: fo ift es. auch nicht
fehr vorfihkig von Hrn. Th., daß er Die Bathkol für nichts
als eine wunderbare Art von Orakel halten will, gumal
da er bie obigen Beweiſe, daß natürliche menſchliche Stim⸗
men für Bathkol genommen worden, nicht wegleugnen
kann. . Einen directen Beweis dafür, daß. man ben Dow
ner alt Bathkol gedeutet hat, weiß ich freilich nicht anzu
Bewmerk. zu Stellen ded Evang. Johannis. 989
führen, aber bie Analogie ſpricht dafür: — Uebrigens be⸗
ruht: bie Annahme ziner unmittelbaren Himmelsſlſimme in
unſrer Stelle auf. Unklasheit des: Denkens. Der Umitanb;
Daß die Meiſten zur einen Donner hörten, zwingt beide
Ausleger gu ber Erklürnug, daß. nur. Die Empfänglichen
Die. himmliſche Stimme vernommen ,. wo hingegen völlige
Unemwpfindlichkeit Statt gefunden, habe nur ein. dumpfer
Anßerer Eindruck den Menſchen getroffen, det man mis
einem Ähntichen Geräufche, etwa mit einem. dumpfen Dons
ner, verglähen. Sie geſtehen alfo felbſt, Daß Das in vie
Sinne fallende Factum dad Vernehmen eines don«
nerähnlichen Schalles gewefen.fey, .unb:ihre Meinung uns
terfcheibet fi) von. der oben angegebenen bloß darin, Daß
fie dieſes finuliche Phaͤnomen für ein numittelbar von Gott
gewirktes halten, was aber nichts als eine Hypotheſe iſt,
die. über das Gebiet Der regen: mer, —
hinũberſchweift. —
Joh. 18, 1. 29, 38, 28. 19, ı 14.31. |
Zur Loͤſung der befannten Schwierigkeiten, die in die⸗
fen Stellen: Hegen.; find in der neueſten Zeit zwei Berfuche
gemacht worden: von Rauch’ Cüber d. letzte Paſſahmahl
in dieſer Zeitſch. 1832. 3.9. G. 537 ff.) und von Schuels
kenburger (Chronologie der Leidenswoche in ſ. Beitr.
zur Einl. ins N. T. und zur Erkl. ſeiner ſchwierigen Stelke
Stuttg. 1832), wiewohl leßterer Gelehrter einen allgemeis
nern Zweck verfolgt. Rauch findet den Grundirrthum,
welcher alles verrüct und in: Disharmonie gebracht habe,
darin, daß man bisher allgemein geglaubt, das Paſſahmahl
fey am Ende des 14. und am Aufange Des 15. Niſan gehals
ten worden, ba doch der rechte Zeitpunct dafür das Ende
des 13. und der Anfang des 14. ſey. Dieſe aller Ueberlten
ferung und Gewohnheit zumwiberlaufenbe, fo vielich weiß,
nur von Friſch (Vollſt. bibl. Abhandl. vom Ofterlammıc. ıc.
940 a in i de Bette: 173 —
keipz. 1758) behauptete, und Yon: Sabler UN. theel.
Journ. U. B. 5. St. I B. 5: St.) wiberlegte Meinung
ſucht er doch noch zu beweiſen; aber Hr. Prof. Schuels
Venburger nimmt fie ohne weitern: Beweis an, gleich⸗
fam als hätte er Hrn: Randy die Beweislaſt zugefchoben,
won deſſen gleichzeitiger Arbeit er doch nichts willen konnte.
Merkwürdig if, daß Hr. Tholud in ber 4. Aufl. ſ. Com
ment. 3. Joh. ber rauch'ſchen Abhandlung den wollten
Beifall zollt, und findet, daß ſie allen fernern Beben
fen: über dieſen Gegenſtand ein Ziel ſetze; und doch ik
nichts grundiofer, ald die darin vorgetragene Meinung,
‘wie ich hier. kürzlich, aber genügend zeigen wil. Raud
fügt. „Die. Juden rechneten. den Tag vom Untergunge
der Sonne bid wieber zum lintergangederfelben Nach kev.
23,5. Rum. 9,3 fol dad Paſſah ſeyn den 14, Niſan zwis
ſchen Abend, des. vorhergehenben.und. bes folgenden Tas
ges, das ift der Moment der untergehenden Sonne, we
der neue Tag anhebt; wäre nun im Geſetze das Ende des
14. gemeint, fo müßte ber Anfang bed 15. verftanden wers
den, der 14. bedeutete gar nichts, der 14. wäre ber 15.
und diefer wieberun der 16.1, |. f.; es gäbe feine Ehronos
logie in der ganzen jüdiſchen Gefchichte,” "Er verftcht alfo
nuter ray pa mit den Karäern.: und. Gamaritanern bie
Zeit zwifchen dem Uintergange ber Sonne und der Düms
merung, wofür allerbingse 5 Mof: 16, 6 fpricht. Allein
die Obfervanz der Rabbaniten uimmt die Zeit vom Nels
gen der Sonne bis zu ihrem lintergange an, und bafür
zeugt Joſeph. 3. Kr. VI, 9, 3, nad welchem man das
Paſſahlamm von der 9. bis zur 11. Stunde fohlachtete.
Iſt letzteres Die urfprüngliche Rechnung, fo war es natürs
lich, Die Abendzeit, wo das Paſſah gefchlachtet wurde,
noch zum 14. Rifan zu zählen, welcher fich erſt mit Sons
nenuntergange endigte. Haben aber auch die Karäer Recht,
fo konnte man Doch den Abend, ‚mit welchem der 14 ſchloß
Bemerk. zu Stellen des Evang. Johannis, 941
und der 15. anfing, noch zum erſteren zahlen, weil. die jůdi⸗
ſche Tagesrechnung etwas unnatürliches und: willlürliches
hatte, und es leicht begreiflich iſt, ba man zu dem Tage,
wo es Morgen ‚geworben war, auch noch. den Abend
zählte. ‚Wähner Antigg. Ebr. Vol: IE p. 8.1 In:'sackis
comedendis et preeibus vespertinis fundendis noctem ad
dien, yuem. .es consequitur, — — nr 83, r
Busehi ad h. 1, Bracheth; £. 1, 1. —
Allerdings .ift die Zeitbeikimmung des Yofahmakte ix
den angeführten Gefepesftellen, wozu noch 2 Mof. 12, 3-6,
4 Mof..28, 16 f. zu:vergleichen find, "unklar, zumal da bee
25. Rifan ale. das Feſt der angeſauerten Brode andbrädlich
vom 14, wo das Paflahlamm gefchlachtet und gegeſſen
werden: fol, unterfchieden werd, "Aber aller: Streit wird
durch die Stelle 4 Moſ. 38, 3 gehoben, wo gefagt wird,
die Iſraeliten feyen am 15. Rifan ausgezogen.‘ Da mm
nach 2Mof. 12,29 ff. ber Auszug noch in derſelben Nacht,
wo bie: Ffraeliten das Paſſah gegeſſen hatte, bewerk«
felligt wurde: fo ift ſonnenklar, Daß dieſes am Anfange
nicht des 14., wie Hr. R. will, fondern des 15. gegeffen
worben. Einen (auch nach Hrn. Tholuckh) unwiderſprech⸗
lichen Beweis gegen die gewöhnliche Vorſtellung ſoll J o⸗
fephus Antiqq. I, 5- OI, 14, 16) liefern; aber hier ins
det ſich nichts, als was wir 2 Moſ. 12, 3— 6 leſen, naͤm⸗
lich daß die Iſraeliten am 10. Niſan ein Lamm ausleſen
und bis zum 14. aufbewahren ſollen; nur daß J., anſtatt
zu ſagen, fie hätten’ed am 14. gegen Abend gefchlachtet,
den Ausdrud Bvordang rs TEOGagegnaudexdeng, „als ber
14. ‘eingetreten war,” braucht, der aber in Beziehung
auf ‘ben vorhergenannten 10. verflanden werben muß,
und gar nicht den Sinn hat: ald ber 14. eben eintrat,
am Anfange bed 14. Daß Joſephus Reine andere, als Die
gewöhnliche Vorſtellung hegt, geht daraus hervor, baß
j \ ⸗
⸗
er, wie: 4. Mof: 88, 3, Die en — sen ans
zichen it IL, 15,2
Hr. R. führt Diefe Angabe. — an, — gerabe :ald
einen Beweisgrund für feine Meinung: nad welcher Lo⸗
il, möpen Andere urtheilen. Die andere auch noch aus
deführte Stelle des Joſephus TU, 10 (II, 10, 5) ents
hält nichts anderes, aid 8 Moſ. 23, 5 f., kaun alſo Leis
nen Beweis liefern. Licberbaupt iR es ein ſonderbares
Unternehmen, aus zwei Stellen des Joſephus die durch
Die jüdifche Meberlieferung beflätigte Erflärung altteftam.
Geſetzeſsſtellen über den. Haufen fioßen zu wollen.
Saum if es noch. aöthig, bie Unhaltbarkeit dieſer
Meinung an ſich ürd Licht zu ſetzen. Das Paſſahmahi
ſoll un einen ganzen Tag früher, als das Feſt der ums
grefünerten: Brode, gefeiert worden feynz und doch aß
men fchon bei biefem Mahle ungefünertes Brod, und am
Tage vorher mußte man. ben Sauerteig. weg thun; auch
war das Efien des Paſſahlamms sffenbar der Hauptfelt-
gebrauch. Hiernach wäre unhegreiflich, warum man bie
Keben Tage Der ungeſäuerten Brode erft einen Tag ſpä⸗
ter zu halten: und zu rechnen angefangen hätte; und eis
gentlich wären 8 Tage zu zählen geweſen. Wirllich redjs
net ach Tofepbaus lH, 15, D- acht Tage, aber offen,
bar, indem: er den 13. Niſan, wo man ſchon den Sauer⸗
geig wegthat, mit hinzunimmt Eben fo wenig. würbe
man begreifen, was man am Tage des Paſſahmahls
Yorgenommen hätte, weun erf einen ganzen Tag. fpäter
daB Felt angefangen hätte: es wäre dieß ein ſonderba⸗
res Mittslding von Feſt⸗ und Werkeltag gemefen
.Hr. Schnedenburger gibt der Chronologie der
Zeidenswoche Dadurch eine ganz andere Geftalt, daß er
stadı ‚der. Stelle bed Philo de septensriis ot festie p.
1192, wo die Darbringung ber Erflingsgarbe fpielend
zg0&ogrog des Pfingfifeites genannt wird, womit er die
Bemerk. zu Stellen des Evang. Johannis. 943
Berhleidiung des: Pallah als. einer Käpnozem' anfı Ping
ften bei Orig. c, Celn. TUI, 22’ znfammenminint,. die Hy⸗
pothefe.:aufftellt, der Tag der Erftlingegarbe habe nach
Der Feſtterminol ogie anagnaxsri: geheißen, baß er biefe
Daraftene als einen eigenen: Felttag: und dann nnd einen
Tag nach der P. vor dem Sabbathe Der Leidenswoche
einfctebt, und, mit biefer Ausdehnung noch nicht zufrie⸗
Den, den Abendmahlstag: auf Den Id, Rifan zurückſchiebt,
Jeſum zwei Tage verhören und orſt am 15. Niſan freus
zigen und begraben läßt, fo daß. er drei volle Tage und
vier Nächte im Grabe geblieben fepn fol. Daß jene Hypo⸗
thefe ſehr in die Luft hingeftellt feg, wird Jeder zugeben;
man ſieht aber auch nicht den großen Ruben ein, den fie
bringen fol. Die Stellen-Soh. 19, 14. 31. 42 erhalten
Dadurch eine fehr gezwungene Erflärung. In der erftern
muß zagasxsun dennoch im gewöhnlichen Sinne, ald Bors
tag auf ein Zeit, und zaoza ald das Garbenfelt, eben
die angeblich fogenannte Paraftene auf Pfingiten genoms
men werden (in der That die höchſte Willfür D, und V.
31 iuel zagasxsun nv, muß heißen: weil die P. bevors
fand: wozu noch kommt, daß angenommen werden muß,
diefe P. fey als ein Sabbath gefeiert worden. Der einzige
fcheinbare Gewinn ift der, Daß dadurch biefonderbare Stelle
Matt, 27, 62. 1j dxavgıov, nrıg dor) uere v7v zapa-
6xsvrv einen andern Sinn erhält, wogegen Mark. 15, 42,
æcocoxeunm, 6 dori ngosaßßarov, als ein Srrthum erfcheint.
Sch meines Orts finde mit Seiffert cüber d. Urs -
fprung d. erften. fan. Evang. Königsb. 1832. ©. 129),
„daß alle bei den Synoptikern vorfommenden Zeitbes
flimmungen von der Art find, daß uady ihnen Tefus fein -
letztes Mahl aldwahres gefegliches Paffahmahlgehaltenhas
ben und darauf am 15. Nifan gefrenzigt feyn müßte, und
daß alle.bei Johannes dieferhalb vorkommenden Aenfs
ferungen, ohne Künftelei nach dem Spracdhgebrauche und
944 de Bette Bemerk.3. Evang. Johann.
Iufammenhange erklärt, erkennen laſſen, daB das letzte
Mahl Jeſu kein Paſſahmahl war, ſondern J. au dem Tage,
wo dieß genoſſen werben ſollte, gefrenzigt wurde.“ Ehe⸗
dem blieb ich einfach bei der Differenz ſtehen, ohne ſie
gu’ erflären; ich kaun aber nichts dawider haben, wenn
man fie, wie S. S. 143 thut, aus einem Irrthume der Sys
mnoptiker erfläct:: Dieſes Eritifche Ergebniß ift freilich nicht
im -Sinne des gewöhnlichen Bibelglaubens: aber es wird
und nebfl andern ähnlichen nöshigen, benfelben aufzuges
den, und eine breitere und: tiefere. — für unſern
— au ſuchen.
—
Recenſionen.
— — ——
ey
>
vv.
1.
Der Proyhet Jeſa nie, Aberſetzt und ausgelegt von Dr.
. Benbinand Hibis. — 1
1.
. Bweiter. Urtilel
Car. 7, 2 rügt mit — Herr Dr. Hitzig die Erklaä⸗
rung von Geſenius, ber an miey 70 „von ber Menge
gewonnener Milch”. überfegt, wo dann wenigſtens niioy:
überfläffig wäre, und iiberhaupt ein bedeutungsleerer Ges
danke entflände, indem er bafür Den allein richtigen Sinn
ausdrüdt: „ob Der Menge der Milch”; denn man wird
bei der Bortrefflichleit der Viehweiden ſo viel Milch ges.
winnen, daß man fie ganz verachtet, und nur von Sahne
lebt; wobei auch. mit vollem Grunde die Erklärung von
mega durch: „Räfe”, wie Gefenins will, verworfen
wird. Ebenfo richtig erklärt unfer jüngerer Ansleger Cap.
8,2 nr noch als Worte Jehova's, während Gefer
nis, gegen die grammatifche Form, den Propheten ſelbſt
fagen läßt: und ich nahm mir zuperläffige „Zeugen”, nur
wöchten wir mit Hittzig nicht im Imperativ überſetzen:
„und nimm mir zuverläffige Zeugen”, fondern einfacher
und wörtlicher: „und ich will mir treue Zeugen nehmen.’
Bei V. 3 werden unnüge Gubtilitäten vorgebradht, ob
Spy im plusquamperfect. oder im. imperfect. zu überfeßen
fey, was mit der unwärdigen Anſicht des Verf. yom Gap.
48 Hitig’s
.3, 14 zuſammenhängt. 2. 6 kann auch Rec. Befenins
nicht beiftimmen, wenn er bie Worte mie aıypryraicien
überſetzt: „und Luft hat an Rezin und des Remaljah Sohn”,
aus Bründen der Sprache und des Zufammenhanges, aber
er mag auch die gefünftelte Erklärung des Verfs. nicht
theifen, welcher auffallend genug überſetzt: „und verzagt
ob Rezin und den Sohne Remaljah’s”, indem er wm
irregulär gefchrieben nimmt für then, in der Bedeutung
von „verzagen”, hier mit bem Accuſativ; ſtatt miten, wie
v2 Hiob 31, 34. Beide Erklärer haben die richtige Aus⸗
legung befonderd deswegen verfehlt, weil fie, im Uebri⸗
gen fich beftreitenb , doch darin übereinftimmen, daß fir
verleitet durch die fcheinbare Parallele von B. 11 und 22,
unter rm or Juda verfichen, während wir es auf die
Bundesnation der Syrer und Sfraeliten beziehen müfs
fen, eben burch die Worte bed zweiten Hemiſtichs bes
lehrt, wo von den fchadenfrohen Königen berfelben bie
Rede ift, die zuerft durch den losgelaſſenen Strom der afs
fyrifchen Macht gezüchtigt werben, worauf er ſich aud
gegen Juda wendet (vgl. B. 8), Wir überfegen demnad;:
„und Frohlocken ift bei Rezin und Remalja’d Sohn”, vors
trefffich vom Parallelismus begänftigt, indem das ftreitige
wien dem on des erften Gliedes in einer Steigerung bed
Gedankens von ber verachtenden zur übermüthig »fchabens
feohen Geſinnung fehr wohl entfpricht. V. 14 beflreitet
H. bei Yapeb rm die Erffärung von G.: „er wird eine
Zuſtucht fepn”, weil Erp= num und nimmer „Aſyl“ꝰ bedeiite,
Freilich nicht dem Buchftaben nach; auch möchten’wir nicht
bie Ueberfeßung von Geſenins unterfchreiben; aber dem
Sinne nad) hat G. Boch Recht, Heht aber ohne Noth von
ber wörtlichen Deutung ab: „und er wird zum Heilige
thume” Denn nach 9. entfleht ein vager, unbeftimmter
Sinn: „und feyn wird er geheiligt”, welche Weberfegung
der Verf. nicht ohne Zwang fo redhtfertigt:, „Bas Wort
bedeutet Begenftand, in welchem der Begriff der Heilig
.
=
4
Ueberfeg. und Ausleg. de Jeſaias. 949
keit oder Unerlaßbarkeit erſcheint, an welchem er haftet;
und als einen ſolchen wird. Jehova ſich zeigen dadurch,
baß er Gerechtigkeit übt. Cap. 8,16, daß erdie Verachtung
feiner Majeſtät (vgl. V. 6) und jener Könige Attentat ber
ftraft.” Der fonftige Sprachgebraud; rechtfertigt entfchies
den die Erflärung von -Gefenins, wenn fie fich auch
außerdem nicht durch Natürlichkeit und Leichtigkeit empfoͤhle.
V. 22 wird der Verf. Durch feine fehon früher (Gap, 7,16)
bemerkte Scheu, » Durch „doch“ zu überfeßen, gu der
höchft gezierten und. dem gefunden Gefchmade widerfires
benden Erklärung von rn verleitet, daß er. dieſes Wort‘
aus feiner ſchon von den Maforethen richtig eingefehenen
Berbindung mit dem vorhergehenden mopx ‚nach welcher
auch Gef eniu 8 überſetzt: „und wird in die Nacht hinabs
geftoßen”, -heransreißt und als Appofltion zu min "bes
trachtet, ſo daß es abfolut gefeßt, „vertrieben, verfcheucht??
bedeute! „Dunkel der Bedrängniß und Finfterniß, — das
verfcheucht wird.” Wenn der Verf. befonderd auch deshalb:
die Erklärung von Geſenius verwirft, weil der Aecuſativ
BR, viel zu unbeſtimmt nur bie Richtung wohin im Allge⸗
meinen ausdrüde, und Daher die Präpofitionz vordemnom. -
zu verlangen fey,; wie Ser. 23, 12.beweife, wo wir Diefelbe Re⸗
densart färlden : 17° rbexs, fo fragen wir jeden unbefan⸗
genen Außleger auff ein Gewiſſ en, oberesnicht gerade wegen
Der offenbaren Uebereinſtimmung beider Stellen viel natürli⸗
cher finde, anderunfrigen vor norx das praefix. zu fuppliren,
ober den bloßen -Acenfativ der freieren Sprachweiſe uns
ferd Propheten einmal zu geftatten, ald beide Wörter fo
gewaltfam von einander zu reißen? — V. 23 iſt aber
Rec. wieder auf Seiten des Verf., indem er auch immer zu
den beiden Zeitwörtern Sen und Tas nur. Sehova als
das einzig mögliche- Subject ‘hast’ betrachten können. —
Gap. 9, 2 vertheidigt der Verf. gegen Geſenius die
Lesart:xa. und überſetzt: „Diejenigen, welche Du nicht groß
gemacht haft an. Freude”, fo daß der Accnfatio Das Verbum
Theol, Stud. Jabrs. 1834, 62
a
950 Gihig's
einfchuäufe, und Der Prophet die Litoted gehrauche, für:
„bie bu tief in Trauer ſenkteſt.“ Wir find ganz wit Hrn
H. einverſtanden, daß Sri 5 gegen die Wortſtellang wer:
ſteße, und und dem Bemühen, zu erleichtern, entikan
den fe, finden aber die gegebene Erklärung dem Sinne
nach hart, wenn fie auch, grammatifch betrachtet, och fo
richtig ſeyn mag. Wie fonderbar der Gedanke in einen
jeden Ropfe, ee mag ein hebräifcher oder deutfcher ſeyn:
„ou wachft viel das Volk, welches du nicht groß gemacht
is Aufehung der Freude!” Nee hält es mit Lurcher,
der nad Bulg und Symmachnus überfegt: „du machſt der
Heiden viel, aber der Freuden wicht viel” Dann liegt
eine ſtarke Ironie in den Worten: „du haft viel gemacht
der Heiden, aber nicht groß gemacht die Freude,” und es
eutfteht in Dem ganzen Berfe ein ſchöner Parallelismus
mit. dem vorhergehenden: das Voll, fo im Finſtern wans
delt, und im Lande ber Todesnacht wohnt, ift dos von
den vielgemachten Heiden in Schwach uud Traurigkeit
verſetzte Schulonund Naphtali. Dem Ausdrude: „es fieht
ein großes Licht, ein Licht erglänger über ihnen’, entfpricht
nun der: „te freuen fick ver dir” n. ſ. w. Das nr Art.
wor rad iſt gewiß nur aus Fieberzur Gleichformigkeit ges
ſetzt, um des vun willen, fo wie die größte Wirkung in der
Darſtellung des Gegenfabee yon Trauer und darauf fol«
gender Freude dadurch hervorgebracht wird, daß ih au
. may unmittelbar va anreiht. DB. 5 erflürt ber Berf.
volkommen richtig gegen Geſenius: „ein Kind wird
uns geboren”, und nicht: „iſt und geboren”, im Ueber⸗
eirſtimmung mit Cap. 1, 3, fern. davon, an deu. jungen
Hiskias zu Denken, fondern einen idealen Herrſcher der zu⸗
künftigen Zeit aunehmend.. Ebeuſo heffimmt und richtig
verwirft er die Erflärung von Yon ba durch „ſtarker Held”,
und ſetzt dafür „ſtarker Gott” Wenn ex aber bemerkt:
„ſo wird der künftige Netter von dem Göttliches uud
Menſchliches ujcht ſcharf trennenden Orieutalen mit Iiehers
Weberfeg. und Ausleg. bed Jeſaias. 951
treibung genannt, fofern er göttlicher Eigenſchaften theilhafs
tig wird, Cap. 11, 2, der göttliche Geiſt sauazındg, in feiner
ganzen Fülle, Luk. 3,225 Koloſſ. 2,9, im Meſſias ericheint”,
fo nimmt er der theologifchen Auslegung mit ber linken
Hand wieder, was er ihr mit der rechten philologifch ges
geben. Wir bedauern. aufrichtig, hier unfern gründlichen
Berf. auch in der Reihe derjenigen Außleger zu fehen, weis
che in den feinften und fchwierigfien Puncten ber biblifchen
Hermenentit an die Unbeftimmtheit des Orientalismus
appelliren, und nebenbei von der Hyperbel reden. Was
wäre Doch nach ber angeführten pfychologifchen Erörterung
ein idealer König, der ſtarker Gott genannt wird, anders,
als ein zwifchen Gott und Menfch hin und her fchwebens
bed phantaftifch« verzerrtes Gebilde? — Und wie follen
wir den Berf. verfichen, wenn er in einem Athem den Fünf
tigen Retter einen ftarfen Gott in ber Sprache der Ueber⸗
treibung nennen läßt und fogleich hinzufeßt, daß in ihm,
als dem Meſſias, der göttliche Geiſt anperıxös, in feiner
ganzen Fülle ruhe? Redet etwa der Apoftel Paulus
and. a. St. aud in folcher byperbolifch » gerfließenden
Darftellung von bem erfcienenen Ehriftus? Wir werben
bei. einer andern Gelegenheit unfere Anficht von dieſer
meffianifchen Weiſſagung im Zufanmenhange vorlegen,
und in pofitiver Weife weiter entwideln; hier bemerken
wir nur, wie Hr. Hißig über den Begriff des meffianifchen
Ideales im Unklaren if. Ideal iſt freilich der Meſſias,
infofern als die prophetifche Schilderung feines dem Se⸗
herblick auffleigenden Bildes über den gefchichtlich geges
benen Typus bes theokratifchen Königs hinausgeht, und
Die Natur ded Menſchenſohnes mit Der Des Gottesfohned
innig verfehmilzt, aber nicht im Sinne bed gemeinen
Sprachgebrauche, wo jene oft ſchief angewenbete Bezeichs
nung mit einem wefenlofen Glanzbilde einer ind Unbeſtimmte
erhöhenden und verfchönernden Dichtung in gleicher Ber
Deutung genommen wird. Nur dann würde die Zeichs
62 *
952 — Hitzig's
nung des mefflanifchen Urbildes in das Reich der Poeſie
gu verweifen ſeyn, wen wir nicht bei feiner gegenwärtis
gen Benrtheilung anf dem feften Boden der Wirklichkeit
Ränden,, und und der Erfcheinung deſſen erfreuten, ber
von fich felber-ausfagt, daß er gekommen fen, die Weiflas
gungen. ber Propheten zu erfüllen. - Hier, und ſonſt nir⸗
gends im Leben, begegnen. wir. gerabe ber herrlichiten
Thatfache. in ber Gefchichte, daß bie erhabenfte Poefie
zur ewigen Wahrheit wird. — Warum bie auch von Ges
fenins angenommene Erklärung von 9 "=, „emwiger
Bater”, nicht in den Zufammenhang paſſen und unbents
Lich ſeyn ſoll, fieht. Rec. wenigfiend nicht ein. Der Ber.
überfeßt „Beutefpender,” indem-er 7 wie Gap. 33, 23
nimmt, und feine Erklärung rechtfertigend bemerkt. „nach
Vorausſchicung ded Namens .nbp, welcher durch die Sums
me der nun folgenden gerechtfertigt wird, folgen: eben
‚Diefe ſtufenweiſe. Er hat bie rıxs zum Kriege, Daun audı
die ya; in Folge davon macht er, wie fein Urbilb, Das
vid, als Sieger Beute, und endlich befeftigt er baburdh. den.
Frieden.” So hätten wir. benn Durch ſolche Deutung den
Meſſias zu einem rein. weltlichen Könige herabgedrückt!
— Wodurch beweift und aber der Verf., daß ıx> fich- bloß
auf den Rath und die Weisheit zum Kampfe beziche, und.
warum läßt er in ber Zufammenrechnung ber einzelnen
Ramen, um die Summe eines Wunders im Kriege herauds
zubringen, den >n aus? — Faffen: wir diefen, auch nur
in der hyperboliſchen Bedeutung unſers Verfs. mit dem
gleich darauffolgenden, deſſen gewöhnliche Erklärung er
uns jeden Falls fprachlich geftatten muß, zufammen, und
ift ysr in Der einfeitigen Beziehung auf die - Befähigung :
zur glüdlichen Kriegführung wenigſtens unerweisbar, fo
bleibt auch nicht ein einziger Name übrig, aus dem bie
weltlich.»triegerifche Bedeutung ‚des Meſſias mit Recht
gefolgert werben könnte: denn cibu-nn führt eher auf.
das Gegentheil.. Sa, gerade .diefer Name, aufammenges-
Ueberfeg. und Ausleg. des Jeſaias. 953
halten mit feiner fombolifch « poetifchen Erläuterung in der
Parallelſtelle Cap. 11, 6-8, läßt und -auf dad Deutlichfte
Das Bild eines Königs fehen, der, nicht umgürtet mit Dem
Schwerte, und nicht bewaffnet mit dem: Spieße, ſondern
ausgerüftet mit. den geifligen Waffen ber Wahrheit und
Gerechtigkeit (vergl. Cap. 11, 5), allen Widerftand der
Welt mit dem Stabe feines Mundes und alle Bosheit mit
dem Hanche feiner Lippen überwindet (vergl. Cap. 11, 4),
und fo ein ſich ſtets mehrenbes Reich des immerwährenden
Friedens gründet, in dem er mit dem Scepter der Liebe;
wie ein Vater über ſeine Kinder, in unvergänglicher Herr⸗
ſchaft waltet. — Cap. 10, 5 wagt ber Verf. die Conjectur,
Daß die Worte era ın eine Gloſſe ſeyen, indem er die
Ueberfegung von Gefenius: „ber Steden in feiner Hand
ift meines Grimmes Werkzeug”, ſchon deshalb als uns
richtig werwirft, weil ası weber Durch eine Figur, noch
fo, daß mn davor ausgefallen ſey, „Werkzeug meines
Grimmes“ bedeuten könne. Aber überhaupt fele Des Verf.
ſo ans der Anrede in einen trocken Fategorifchen Satz, und
zugleich höchſt inconcinn aus dem Bilde: erit wäre der
Aſſyrer felbft ein Stab, fodann führte er ihn in der: Hund)
erft fey er felbit Werkzeug Des Zornes, ſodann würde fol3
ches von feinem Stabe auögefägt, ber Enallage ara für my
‚ nicht zu gebenten! Dagegen ließe ſich zwar. einwenden /
Daß fich wirklich beide Vorſtellungen V. 24 (vergl. Bay. 9)
3 und 8.15 in unferm Gap.) vorfänden, und eben: dad
möge: bie Gloffe veranlaßt haben; allein- einen Steckrn
habe Affur in der Hand, nur als os der Judäer, in umfes
‚xer Stelle aber, wie ®. 15, ſey es felbft: Stock vdes
JZornes, und halte als foldhes in der Hand das Schwert
So inconeinn--aber auch immerhin bie "Nede Des Pros
pheten nach der gefchictten Auseinanderfeßung des Verfbi
erſcheinen mag, ſo bleibtifie doch gehaltvoller ,. als wenn
wir durch: die vorgeſchlagene Abkürzung mehr Wohlrun⸗
dung in · ſie hineinbringen. Wenn wir überfigenz.v. 3.
5.0. Billige
che dem Affprer, der Ruthe meines Zornes!
dient doc; ber Stab in feiner Hand unr meinem
| Grimme!
fo iſt Dagegen weder ber Sprache, noch dem Sinne nad
etwas einzuwenden. Woͤrtlich wäre zu überfeßen: und
Der Stab — er ift in ihrer Hand (ber Aſſyrer) mein
Grimm, d. i. Vollſtrecker meines Grimmes, welches eine
buchſtaͤbliche Richtigkeit des Gedankens enthält: Denn ber
Stab gehört, dem äußeren Anſcheine nach, ihnen; aber
der Grimm, der ihn ſchwingt, geht nach einer höheren
Einwirkung Gottes von feiner leitenden Gerechtigkeit aus,
Die gerügte Inconcinnität des Ausdrucks Löft fich bei eis
ser unbefangenen und genauen Betrachtung bed kritiſch
"angefochtenen Verſes in einen ſchön fortfchreitenden Ges
danken auf. Wehe dem Aſſyrer in feinem ftolzen Leber
‚ wuthe! Indem er mein Volk geißelt, ift er nur eine Rus
the, die ich in meinem Zorne fchwinge, ja, 'wiewohl er den
Stab der Züchtigung in, feiner eigenen Hand hält, fo wird
derſelhe doch nur von meinem Grimm in Bewegung ges
ſete Der Berf. verkennt die feine Ironie, die in ber unmit⸗
telbaren Aufeinanderfolge von. us] u7> liegt: während
bie Aſſyrer den Stab recht deutlich in ihrer Hand fehen,
und ſich als die eigenmörhtigen Führer deſſelben betrach⸗
ten, iſt ed bosch nur der Grimm Gottes, den fie in demſel⸗
ben gleichſan empfangen, um feine Vollſtrecker in Der Ber
Brafung Des ungehorſamen Volkes zu ſeyn. — V. 26 übers
fett. der Berf, „fein Stab ift ausgefiredt über das Meer”,
zichtig gegen Geſenins bemerkend, daß es eigentlich
beißen nrüffe: „und fen Stab wird feyn über Dem Mee⸗
re, und daß Diefer irrig vor Ira aus dem vorhergehen⸗
ben Veröpliede neun ſupplire, in welchem Falle er nicht
überfeben bürfe: „wie er feinen Stab ſchwang.“ — Ben
dem vielfach mißverftaubenen. lebten Gliede des 2Ifen
Verſes gibt der Verf, die Ueberfegung : „gefprengt wird
das Joch ob Beflen Bette”, und erklärt dieſes volllommen
Ueberfeh. und Ausleg. des Jeſaias. 955
rüchtig: „das. Zoch, dem früher mageren und unauſehn⸗
lichen Stiere umgethan, wird bem immer fetter werben
den allmählich zu eng, inden ber Hals immer mehr Fett
anſetzt, und berftet endlih,” Gefenins überfeht: „Das
Joch des feiften Stier® zerbricht”, welches allerdings ben
Worten nach nicht fo getreu ift, ſowie auch bie Erflärung:
„das Bild it vom fetten, wohlgenährten Stiere hergenom⸗
wien, der üppig und löckend bas Goch nicht mehr duldet,
fondern von fich wirft und zerbricht”, bie falfche Bora
ftellung vorangfebt, als wenn das Zerbrechen bed Joches
erft eine Folge bed Abwerfens ſey. — Bei ber meiffanifchen
Weiſſagung Cap. 11 hätte Rec, Manched gegen Herren
Hisgig’s Erflärung zu erinnern, was aber zum Thal -
auh Herrn D. Befenius trifft. Er verfpart jedoch
feine Polemik über dieſes ganze. Stück für eine andere Ges
legenheit, indem es hier hinreichend ift, zu bemerken, wie
Der neueſte Erflärer miit feinem Borgänger in den Haupts
puncten einverflanden if. — V. 13 überfeßt ber: Bar
„und die Dränger Sudad werben audgerottet,? gegen
Geſenius: „die Feindfchaft in Juda iſt ausgerottet”,
eigentlich: „bie feindfelig Gefinnten in Juda“, indem ep
bemerkt: „daß sin wirklicher Plural mit Masrulinform
des Participiumd der Handlung den Sinn des Abſtrar⸗
tums trage, ift unerhört und für unfern Kal ganzlich
unerwiefen.” Es fcheint aber, ald wolle man mit ſolcher
Erflärung ben Einwendungen gegen bie andern entgehen:
"nz naͤmlich bebeutet nicht der „feindfelig Geflnnte” (dieß
wärenx 1 Sam,1,6), fondern der „feindfelig Handelnde”;
und zwar, da dad Wort als verb, finit. einen Accuſativ
hat, einen „befehden, anfeinden?, fo ift ber Genitiv bed
Particip. Genitiv bes Objerted, weil eben das Object jetzt
Genitiv geworben ift (Ewald $. 108) und unfere Stelle
nach Analogie von Am. 5, 12,78 Pf. 6, 85 1, 7323, 55
vogl. Pf. 10, 5, zu erklären. Deögleichen ift auch Hof 13,2
ern mıat Teinesweges „bie Opfernden unterben Menfchen”,
95380688 ;';..': 0:26
fonbern „bie Menfchenopferer”’ ; und 1 Kin. 2,7; 2 Sam.
19, 29 if in Ybö or „;Tifch”. für. die Darauf gebrachten
Speifen gefet, wie Jeſ. 1,7 „Ader? für: deſſen Frlichte;
wo nicht, vgl. 2 Sam. 9, 11, fo würde hafelbft Doch im
Begenfage zu unferer Stelle feine Zweibeutigkeit entftehen.
Es ift nun aber ebeufo gewiß, daß. die. zweite Hälfte des
Berfes die mem "8 von gegen Ephraim feindfelig ges
finnten Sudäern verftanden wiffen milk. Falſch alfo erklä⸗
rend ift Die zweite Vershälfte für. eine Gloffe gu erachten,
und um fo mehr Diefes,. weil fie eine Eiferfucht Juda's
gegen Ephraim ſetzt, während die Gefrhichte nur .eine
folche Des minder mächtigen (4 Diof. 1,32, vgl. 2) Ephraim
gegen Juda kennt; und auch wirklich nicht Juda fich von
Ephraiwm, ſondern dieſes ſich von Juda losgeſagt hat
Jeſ. 3,17; 2 Chron. 10,19.” Was den erſten Einwand
betrifft, Daß die Meinung, der Plural mit Mascnlinform
des Päarticipiumd der Handlung trage au unferer ‚Stelle
den Sinn’ des Abftractums, auf einer. ganz unerwiefenen
Vorausfetzung beruhe, fo. unterfchreiben wir in dieſem
Puncte.unbedingt. Eben fo ſtimmen wir dem Verf. ganz
bei in dem, was er über die active Bebentung von Ti
und von feiner nothwendigen. Berbiudung mit einem. Acs
eufafiv jagt, aber ehe wir und zur. Annahme einer Gloſſe
bequemen, geben wir lieber ben ‚genauen Parallelismus
preis, und erklären: „es. weicht die Eiferfucht Ephraims,
und die Feinde Juda's (in Ephraim) werden. ansgerottet
werden — Ephraim iſt nicht eiferfüchtig anf Juda, aber
Juda feindet.auch nicht Ephraim an.” Es ift gar wohl
benfbar, daß der. Prophet bei der Betrachtung ber heillo⸗
fen: Stammesentzweiung von der ‚Eiferfucht. Sfraelö vor:
zugsweiſe ausgehe,. und fie.befonders. hervorhebe..
+ Nachdem wir den Commentar ded Herren Hibig über
das ganze erfie Buch des Jefaia in allen "einzelnen Abs
weichungenvon: dem des. Herrn. Gefenins.vor den Aus
gen der Lofer genau undınupartheiifch. geprüft, Dürfen wir
Ueberfeg. und Auẽleg. des Jeſaias. 8606
ihnen "nicht ‚Tänger wiferaligemeinus: Lircheit über 08
ganze Wert des geſchätzten Verfs. vorenthalten: Diem
einem gleichen Beifte fortlaufenden zinzelmen Bemerkun⸗
gen über bie übrigen Theile des Buches werden fpäter eis
nen fihiclicheren Plag.unter einem anderen Titel in die⸗
fer Zeitfehrift ‚finden. Die. Kritit: der Ueberfeßung und
Einleltung aber gebenfen wir im nächſden Sahrgange in ei⸗
nem dritten und lebten Artikel. zu liefern.
Wir wiederholen, was wir zu Aufange en
bereitd gefagt, daß: ber -VBerf,'mit diefem -Sommentare
ſein Meiſterſtück imıberjeniger: Wiffenfchaft gemacht habe,
Die er ſich zur beſondern Bearbeitung auserkoren. : Abrep
ebenfo füher hat fich und. auch Durch eine genaue Befrenha
Bang -mitsfeitem Buche das Urtheil’geftellt, daßier Die
Bedeutung deſſelben überfchäßt, wenn er mit ihm einen
wenen Sinfchnitt in der Geſchichte der altteſtamentlichen
Auslegung. annimmt. Wir haben alle Achtung fir Tue
wiſſenſchaftliche Behandlung ber: hebräifchen: Sprache)
vetzüglich innerhalb Des: eigentlichen geammatikatifchen
und lexikaliſchen Kunftgebieted, vermögen aber Diefemnens
belebten giiunmatifchen Eifer eiwen fulchen außerordentlü
chen Einfluß auf die Eregefe des. A. Tu wie Herr Hibig
verfühert; nicht zuzuſchteiben, als mAßten nun mit: einem
Male alle frühern Eommentare gänzlich umgearbeis
t et: werben. Wir mögen den Triviale Sag, den feit Er⸗
nefti genugfant in's Breite gelreten worden, nicht meha
ausführen, wie die Hermenentif nicht allein in- der gram—
matifchen Birtuofität begründet fey, fondern noch: ganf
andere Qualitäten und. Kräfte von dem Ausleger verlange)
der die Anfgabe ber eregetifchen. Kunſt/ unmittelbare Eid
nigung des. Erklärers mit dem Geiſte des Schriftftellers
durch ſtcheres Verſtaͤndniß des⸗Wortes/ deutlich begriffen;
nur bei dem philobogiſchen Elemente im engften Sinne
bleiben wir ſtehen. Wer möchte denn in Abrede ftellen,
daß die ‚ängeitvebte: Begrundung einer x Wiſeuſchaft. hebrai⸗
Sprache heilfam auf die innere Befefligung der Eregefe
einwirfen müfle; aber das beftreiten wir auf das Beſtimm⸗
tefte, als ob jene Einwirkung in der neueften Zeit in einem
fd erhöhten Grade hervorgetreten fey, Daß durch fie er
die Eregefe des 9. T. ven Ruhm wahrhafter Wiffenfchafts
Hchfeit fich verdienen könne; und vor Allem legen wir das
gegen Proteft.ein, ald wenn erft die jüngite grammatifce
Schule dem eregetifchen Vermögen eine ganz neue Kraft
geninlifcher Schöpfung einzuhauchen berufen fey. Neue
Erflärungen, wenn fie mit Recht auf. dieſen Namen Aus
fpruch machen und nicht in den Dunftfreis leerer Einfälle
gehören, die fich oft der ſtrengſten grammatifchen Ride
tigkeit rühmen können, kommen überhaupt dem lebendigen
Ausleger von einer gang andern Gegend, als der grams
matischen, ber; fie find ein Erzeugniß des frei nachſchaf⸗
fenden Geiſtes, und ruhen im geheimnißvollen Schooße
der Divinationz Daher wir. auch Fühnlich: behaupten, die
Grammätif verdanfe gerade in ihrem höchften und geiſtig⸗
fen Gebiete der Exegeſe mehr, als dieſe jener. Reben
wir in beſtimmter Beziehung auf das Werk: deb Herrn
Hitzig, welches die Reihe der gebotenen Umarbe»
fungen:der altteflamentlichen Commentare beginnt, fo
geht aus unferer forgfältigen Bergleichung deffelben mit
dem von Grfenius, mie wir fie einem. bedeutenden
Theile nach dem Urtheile. unferer Leſer vorgelegt, deut⸗
lich hervor, daß zwar. Der. Berf. feines berühmten Bors
gängerd Urbeit hie nad da . verbeffert habe, daß aber
deshalb noch nicht Die feinige eine Umarbeitung ber
früheren genannt werben dürfe. Go ift auch Rec. weit
davon entfernt, weil er Herrn Hitz i g's Erklärungen eis
nem großen Theile nadı verwirft, und. richtigere an beren
Stelle zu feßen glaubt, feiner „Kritif den Ramen einer
theilweifen Umarbeitung beizulegen.
Was num aber den wichtigſten Punct, die theologis
fihe Auslegung des Propheten im höheren Sinne bes
ueberſetz. und Ausleg. des Jeſaias. 059
trifft, fo finden wir in Dem neneften Commentare nichts
weniger als einen Fortſchritt, wie eben bei der Beurthei⸗
Jung der Erklärung meſſianiſcher Stellen unverkennbar
zum Vorfhein gefommen. Was hilft alle grammatifche
Weisheit, wenn fie bem chriftlichen Glauben nicht förber⸗
Lich ift, und fo erft eine heilige Piffenfchaft ber Errgeit
begründet? |
D. F. — €. Umbreit
r e
a
gs en 88 ne
2. |
Philologifch » theologifche Auslegung ber Bergprebig:
Ehrifti nach Matthäus, zugleich ein Beitrag zur Bes
gründung einer rein biblifchen Glaubens» und Sits
tenlehre von Aug. Tholuck u. ſ. w. Hamb. Perth)
1833. X und 544 ©. gr. 8. (2 Chr. 6)
ta 1
Auf jeden Fall ſehen wir hier ein wahrhaft gelehrted Meis
fierwerf vor ung liegen, — ein Urtheil, das wir nicht im Eins
zelnen ausführen wollen, ſondern getroſt der unpartheü«
fchen Prüfung eines jeden Kenners überlaffen zu Dürfen
glauben, Rec. verfucht daher fofort eine Kritit dieſes
&ommentars, wie fie theild dem Umfange, theils tm
Zwede biefer Zeitfchrift angemeflen ift, ——
Es iſt aber von einer philologiſch⸗ ——
ſchen Auslegung die Rede. Wir finden dieſe Ueberſchrift
aus mehrfachen Gründen nicht recht genügend. So trifft
man im Commentar gar häufig hiſtoriſche und mit der Ges
ſchichte verwandte Entwidelungen an, was man, fo lange
man fich fireng an jene. al hält, kaum erwarten
ſollte.
Nächſtdem bleibt man auch in Ungewißheit, ob es in
dem vorliegenden Buche darauf abgeſehen ſey, die Princi⸗
pien für die Theologie in der bibliſchen Philologie zu ſu⸗
—
0 2 Kpoludi
cher, ober ob eine: chriftliche Hermenentif ein wefentliches
PYrmeip aus der Theologie, 3. B. aus der Dogmatik,
wit ‚hinüberzunehnten hate. Warum demnach nicht lies
ber :. Andlegung.— oder noch beffer: Grammatiſch⸗ hiſto⸗
sifche Auslegung der Bergprebigt u. |. w. Zu dieſer Be
zeichnung: paßt alles vortrefflid, was in dem Buche ges
fagt worden if. Se mehr fidy der Erflärer unferer heil
Urkunden feine jebesmalige Aufgabe als eine gefchichtliche
vergegenwärtigt und fireng feft hält, defto ficherer wird
er auch zu beflimmen vermögen, wo und in welchem Fall
er ed mehr und vorherrfchend mit der biblifchen Philolos
ie, dann wieder mit der chriftl. Theologie u. ſ. w. zu thun
ar Rec. hat fi in der neueften Zeit nicht felten über
manche Auslegung biblifcher Stellen gewundert, bie gar
nicht Statt finden kann, wenn man über das eigentliche
Gebiet einer grammatifch - hiſtoriſchen Interpretation mit
ſich einig geworden iſt. Bekannt genug iſt es, wie ein
tieferes Eindringen in den bibliſchen Sprachgebrauch ſich
genöthigt geſehen hat, manche verroſtete dogmatiſche Er⸗
Ehrung früherer Zeiten aufzugeben. Aber bei weitem we
iger befarint fcheint e8 zu feyn, wie man gerade von bem
Standpuncte der biblifchen: Philologie aus. gezwungen
Wird, Proteſt gegen manche Erklärungen einzulegen, die
ſich allenfalls: halten möchten, ohne der chriftlichen Dog»
matif einen befondern--Auftoß zu geben, alfo ohne dem
Echten Glauben eines Ehriften zu verlegen. Die Schrif⸗
ten zweier hochgefelerten Männer — wir meinen Neanber
and. Dlshaufen — bieten mehrmals Beifpiele dar, wie
fonft gutgemeinte Deutungen. einer Stelle oder eines Facs
sums in der Bibel-aus Gründen, welche -Iediglich in dem
Sprachgebrauche. der heil. Schrift liegen, zurückgewieſen
werden müffen. Wir berufen ung mit Recht auf den alleis
nigen Sprachgebrauch der heil, Schrift, zum: Zeugniffe, daß
man fehr leicht in einen neuen Fehler falle, — und auch
diefen hat Hr. Ti: noch nicht genug ‚vermieden — wenn
philolog.=theolog. Auslegung d · Bergprebigt. 961
man entweber zu freigebig mit Citaten aus ſogenannten
Profanſcribenten umgeht, oder die ſpecielle Bedeutung
dieſes oder jenes Wortes aus einer einzigen Stelle eines
griechiſchen Efaffiferd- erhärten will. Hier ſind neuere
Commentare noch lange nicht von allem Ballaſt gereinigt
worden, der ſich in vielen ältern bis zum Ueberdruß an⸗
gehäuft hat. Doch genng hiervon!
Der Titel unferes Buche lautet: nah Matthäus.
Auch dieß darf nicht zu fehr gedrückt werden, da Hr. Th.nicht
bloß die Parallelen bei Lukas berücffichtigt, fondern auch letz⸗
teren einigemal angellagt und unter Matthäus herabgefegt
hat. Ans naheliegenden Gründen möchten wir und gern bes
Lufas annehmen, allein wir fehen, daß die Sachenichtin ges
wäünfchter Kürze abgethan werben kann. Uebrigens vers
fteht e8 fich von felbft, daß Durch die Aeußerungen von
Th. das Gebiet des Chriftlichen nicht verlegt wird, Wir
wollen darum nur den Gegenitanb dem Hrn. Vf. zu einer
nochmaligen ſcharfen Prüfung empfehlen. So würde Rec.
nie darauf etwas geben, Daß, weil fich bei Matthäus alles
[9 gut aneinander reihe, wir auch hier etwas Reinur⸗
fprüngfiches befüßen. Wir meinen im Gegentheile, laͤßt |
fich erft nachweifen, daß in dem gegenwärtigen Matthäus
manches zerftreut Gelegene gleich zufammengezogen worden
fey, dann verlangte ed auch bie Natur einer folchen Zus
fammenziehung, daß man überall den Zufamumenhang
aufs beftimmtefte berückſichtigen mußte. |
Wir lefen weiter: Ein Beitrag zur Begründung einer
tan biblifchen Glaubens » und Sittenlehre. Wie Diefes
gemeint ift, barüber belehrt infonderheit Die Vorrede, wo
es unter andern heißt: „Aus einer folchen Weiſe der Erfl.
der Schrift, wo man jeden Punct der Peripherie aus ber
ganzen Peripherie und dem Centrum zugleich zu erklären
fucht, geht denn auch die Grundlage einer bibl. u. ſ. w.
Die Begriffe: Reich Gottes, Sohn Gottes, Ehe, Fein-
deöfiebe, Gott fehen, Gott der Bater der Menfchen u.fw.
962 Tholuck's
haben hier ihre vollſtändige Erörterung erhalten, weshalb
Denn auch diefe Schrift nicht bloß Eregeten, ſondern auch
Dogmatifern und Ethitern beflimmt if.” Streng genom⸗
men kann freilich auch hier nicht. von einer Glaubens⸗ und
Sittenlehre, fondern nur von einzelnen Theilen derſelbes
die Rede ſeyn, denn ber Bf. fagt felbit, Daß Die Berföt-
nungslehre nicht in Der Bergprebigt vorfonme. Dann
vermiflen wir doch auch bei allem Reichthume der Entwide
lung hier und ba ein tiefered Eingehen in einzelne Stellen.
Was konnte nicht 5, 20 über den Begriff Pharifüer vom
bibl. Standpuncte aus gefagt werden, was für Die Moral
ded N. T. gar nicht gleichgültig iſt? Etwas Aehnliches
gilt won den falfhen Propheten, deren Ehriftus 7, 15 fl.
gedenfet, befonders von den. am Schlufle Diefer —
erwähnten falſchen Wunberthätern. . |
Bei unferer ferneren Beurtheilung begnügen wir und,
das Ganze unter zwei Hauptpuncte zu faffen, indem wir
zuerſt die Auslegung wichtiger Stellen prüfen, zweitene
auf Die Glaubens⸗und Sittenlehre Rüdficht nehmen.
Bei der eriten Frage: Was ift für bie Auslegung ges
ſchehen? — muß Die noch allgemeinere obenan geſtellt
werden: Wie hat Hr. Th. Die Bergprebigt überhaupt
angefehen? Hier hat fich Gelegenheit zu manchen Unter⸗
ſuchungen dargeboten. Wenn die Identität beider Reden
bei Matth. und Luk. angenommen wirb, fo hätte wenig⸗
ftend zugegeben werben. follen, daß eine große Anzahl von
Ausſprüchen von der Art ift, baß fie ſich gar wohl zu
Sftern Anführungen eigneten. Nah &, 11 ff. fcheint
nen auch Hr, Tholuck geneigt, die Wiederholung verfehies
dener Gnomen zuzugeben; allein hier möchten wir ihn
fragen, wo bleibt die Srenzlinie, und wie kann unter fols
chen Umftänden von der oben erwähnten Identität der beis
ben Evangeliften gefprochen werden? Uebrigens müflen
wir hier ben Leſer bitten, zu bebenfen, ob es wohl geras
then jeyn möchte, den Matthäus fo fehr auf Koften dei
4
philolog. «theolog. Auslegung d. Bergpredigt. 963
Lukas zu erheben. Es iſt befannt, wie einige neuere Vers
theidiger der Aechtheit des vierten Evangel. in ihrer Bors
liebe für das ketztere nicht felten zu weit ‚gegangen und -
gegen die 3 erſtern ungerecht geworben find. Faſt will ed
uns fcheinen, ald ob auch unfer Df. nicht am beften daran
ſey, wenn es fich darum handele, als Apologet für Lukas
anfzutreten. Wie nun, wenn er in folchen Anführungen
aus de Wette und Schleiermacher — zum Radıtheile des
Lufad — immer weiter gehen wollte? Wir fürchten, baß
"anf folche Weife rationaliftifchen Gegnern ein zu leichtes
Spiel bereitet werde, ald weldye ohnehin fehr gern Con⸗
ſequenzen zu ziehen pflegen, und hier auch ohne —
wirklich ziehen werden.
Wenden wir uns nun zur Auslegung einzelner Stel⸗
ken, fo geben und gleich Die einleitenden Bemerkungen zum
5. Gapitel Stoff zu einem Tadel, ben wir leicht öfter
wiederholen fönnten. Wir meinen die WBeitfchichtigkeit und
Breite des ganzen Werks. Diefe Bemerkungen, welche
den Berg und feine Lage betreffen, nehmen beinahe 8 Geis
ten ein, wo natürlich einzelne ganze Stellen and andern
Schriftftelern mitgetheilt werden. Das Mundaufthun
(B. 3) wird emphatifch genommen, wobei wir und aber
nieht auf die zur Erweifung einer folchen Bedeutung ans
geführten Gründe berufen möchten... Die Geiftliharmen
B. 3 vereinigt Hr. Th. mit den bloßen Armen. bed Lukas,
faft ganz fo, wie ed Rec. in feinem Commentare zum Lulad
gethan hat. Bei Entwidelung des Begriffs Himmelreich
halten wir und wicht auf, fonbern bürfen gleich auf ans
dere Schriften des Vf., 3. B. Eommentar zu Joh. vers
weiten. Den 16.38, finden wir im VBerhältniffe zu andern
Stellen auffallend kurz erläutert, was faum zu rechtfertis
gen ik. Bei V. 17 it zwar Rom. 13, 8, nicht aber 13, UL
angeführt; auch hätte der Zuſammenhang mit den voraus
gegangenen IRafarismen recht gut a werben.
konnen.
17 2ETholactiz;ß
:. Daß volg dpyaloıs: B..21 ald Dativ zu nehmen fey;
dafür find genügende Gründe beigebsacht worden, unb
darum war ed.nicht :nöthig, Alles anzuführen, was für
die fogenannte ablativifche Auffaflung ſpricht. Wenn es
S. 162 zu V. 21 unter andern heißt: Schon nach Diefer
Erörterung ber Phrafen ergibt fich und alfo, daß Ehriftus
es allerdings nicht bloß mit dem 4. T., fondern:mit ber
altteftam, Lehre in der Geftalt, welche .ihr der. Pharifäig-
mus gab, zu thun hat — fo können wir dieß nicht unters
fhreiben, denn wir.wiffen ja gleidy aus der Bergprebigt
ſelbſt, wie der Herr mehrmals altteſt. Stellen buchſtäblich
angeführt, und dann, ihnen gegenüber, feine Erflärung,
welche eben die rechte Erfüllung ift, gegeben hat. Hrn. Th.
Anficht, von Chrifto würden die altteft. Gebote mit den
Entftellungen, welche fie unter den Händen der Pharifäer
u. f. w. erfahren, angeführt, läßt ſich nur auf gewiſſe
Theile, nicht aber auf die ganze Bergprebigt ohne Aus⸗
beziehen. F
Was von S. 163 als Kanon für bie richtige Ausle⸗
gung der. folgenden Ausfprüche aufgeftellt wird, verdient:
im Allgemeinen Biligung, nur würden ‚wir ben erſten
Grundſatz etwas anders faſſen. Er lautet: baß wir bie
Ausſprüche Chriſti ald Angaben des geiftigen. Sinnes der.
Gebote des A. T. zu betrachten. haben. Diefer Sag if
nicht durchzuführen; Denn mehrere Gebote folten ja unter
der altteft. Oekonomie feinen geiftigen Sinn haben, fons
bern recht eigentlich nur Dem Buchftaben nad; erfüllt werben.
Auch die Art, wie Hr. Th. bei dieſer Gelegenheit über
bie Auslegung der Duäfer, die er. eine höchſt achtungs⸗
werthe chriſtl. Partei nennt, urtheilt, -cheint und einer
Berichtigung zu bedürfen. Soviel Rec. nämlich einfleht,
ift es nicht ihr Beftreben, Ausfprüche Chrifti in der Berg⸗
predigt buchſtäblich zu befolgen, was ganz eigene Grund⸗
fäße bei ihnen hervorgernfen Hat, fonbern ihre einmal: an-.
genommenen Grundſaͤtze — Die Hauptprincipienihres Glau⸗
philolog. = theolog. Auslegung d · Bergpredigt. 965.
bens — waren ed vielmehr, vermöge beren fie fich gebruns .
gen fühlten, manchen Ausſpruch Jeſu ganz wörtlich zu
nehmen, manches Andere dagegen; was wir im Chriftens
thume buchftäblich gelten Iaffen, mehr in einem geiftigem
Sinne zu nehmen. Wir möchten es demnach mehr als
Grundſatz aufftellen, daß Die einzelne Partei ihren Glaus
ben bereitö mitbringe und Diefem gemäß Die Bibel zu vers
ftehen ſuche. Die Wechfelwirkung darf freilich auch hier
nicht andgefchloffen werden, indem manche Bibelftellen
wieder zur Ausbildung befonderer Glaubengfäge en eins
zelnen Parteien beitragen. |
Warum ddsapds V. 22 bloß im — — und
nicht im tiefern chriſtl. Sinne, ſtehen ſoll, weil der Erlöfer
zu Unwiedergebornen ſpreche, will uns nicht recht einleuch⸗
ten, und ſcheint auch den Zuſammenhang gegen ſich zu
haben. Wir bitten auch hier den verehrten Vf. ırm eine
erneuerte Prüfung des Borgetragenen.
Mit dem pauciora debent exponi per plura ©. 251
möchte Hr. Th. nicht gut. ausfommen, um bas in’ ben
Parallelftellen weggelaffene zagexrosAdyov zopv. damit zu
rechtfertigen. Uns find immer zwei Bedenken aufgeftößen,
die fi durch einen Kanon, wie. der eben aufgeftellte war,
. nicht heben laſſen. Wie ift es möglich, daß Markus, der
10, 12 einen ganz eigenthümlichen Zufaß Liefert, jene Eins
fchränfung, die Jeſus nach Matthäus gelten- läßt — es
fey denn um der Hurerei willen — follte überfehen haben ?
Hierzu fommt nun die Auctorität des Paulus, der nad
1 Kor. 7, 10 ebenfalls bei dem Terte des Markus ftehen
geblieben ift. Rec. glaubt, — was er aber hier. nicht auds
zuführen vermag — Die Saghe made eine Ausgleihung
möglich, wo man ganz und gar nicht nöthig hat, den Kas
tholiten in bie. Hände zu-arbeiten: Wir wollten nur ben
Hr. Bf. Darauf aufmerffam machen, wie er gewiß manche
Stellen feines Buchs ‚gleich ändern müßte, wenn jeder kür⸗
zere Ausfpruch fofort durch einen ne längern er⸗
Theol, Stud. Jahrg. 1834.
986 TIholucks
ganzt werden könute. Wir ſchließen hier Dem erſten Theü
unſerer Kritik, die eigentliche Andlegung betreffend, und
»euten nur noch auf einzelne Stellen hin, Die und vorzüglich
gelungen gu ſeyn fcheinen, auf jeden Fall fehr anregenb
für aubere genannt werben müſſen. Dakin gehören S. 170
über öoylfsche:, Über baxz 174, über Den As Laut ded
Aramäifchen 175. 136. Auch die Lesart elxnj wird ſehr gut
vertheibigt. Zu Kap. 5, 43. 44 ©. 827 ff., dann die ger
Iehrte Unterfuchung 6, 1: 2. Auch bürfen wir ed nicht uu-
terlaſſen, auf die grünbliche Polemik gegen Tittmaun .©.
193 zu verweifen. Achnliche Mängel in der Synon. dieſes
berühmten Gelehrten hat and; neuerlichft Reiche, Com⸗
ment. 4.Br. an die Rom. aufgebedt. licher Bonass— Fraß
S. A54 fl.
Wir gehen zur Prüfung befien über, was in bem vor-
liegenden Comm. für die chriftl. Slaubensr und Sittenlehre
gefchehen iſt. Was dem Hrn. Bf. auch anberwärts gelun-
nen ift, Das gelingt ihm wieder in einem hohen Grade in
dem vor und liegenden Werke, zu deſſen legten Vorzügen
es in der That nicht gehört, wenn allen nachtheiligen Eins
flüffen von Seiten der Dogmatik gewehrt worben ift. Bon
ber Bergpredigt felbit heißt es ©. 37, fie ſey eine Darſtel⸗
lung des chriſtl. Sittengeſetzes nach feinen allgemeinen Um⸗
riſſen, und bieß wird ihre dogmatiſche Bebeutung ges
nannt. Etwas Erheblidhes dürfte ſich gegen dieſe Anficht
nicht aufftellen laffen, wenn auch vielleicht etwas im Aus-
bruce geänbert werben könnte. Wir greifen jebt einen
Hauptpunct herand, und zwar bie Erläut. won 5, 18, wo
der Bf. unter andern fagt: „Das Gefeg ift feinem ethiſchen
and feinem ritnellen Inhalte nach ein unerfülltes, feinem
etbifchen Inhalte nach, fo lange e8 nicht wollfommen. in Die
Gefinnung der Menfihheit übergegangen ift, wie eben bieß
son ber meffianifchen Weiſſagung (Her. 31, 32— 34) aus⸗
gefagt wird; feinem rituellen Theile nach, fo lange nis
das, was bie äußere hebr. Theofratie barftellte, noch nicht
|
'
philolog.=theolog. Auslegung d. Bergpredigt. 967
geiftiger Weife in der Gemeinde Chriſti verwirklicht iſt.“
Bon foldhen Grundfähen, wie bie hier ausgefprochenen
find, ift natürlich ein Hanpttheil von ber Dogmatifchen
Entwidelung ber Bergprebigt abhängig. Wir fehen uns
indeß genöthigt, gegen das über ben rituellen Theil:des
Geſetzes Geſagte, fo vielen Schein es auch immer für ſich
haben mag, zu proteſtiren. Am wenigften fönnen wir es
uns in der hier vorgetragenen Form gefallen Iaffen, wo
es mit dem Ethifchen- völlig paraleliffet, und fo jeder Uns
terfchied zwifchen beiden Theilen des Geſetzes im Grunde
- genommen ganz aufgehoben wird. Nächftden fragen
wir, wie wohl Hr. Th. feine Theorie mit derjenigen, wels
che der Apoftel Paulus über das Geſetz aufftelt, zu ver⸗
einigen gedenke? Endlich erlauben wir uns bie. Bemer⸗
Fung, wie Hr. Th. auf den nächſten Seiten nicht ganz
conſequent zu bleiben fcheint, inſonderheit S. 150, wo den
Apofteln die Abſchaffung 3. DB. des Ritualgeſetzes —
ſeyn ſoll u. ſ. w.
Was den ethiſchen Theil der Bergpredigt insbeſ onbere
anbelangt, fo läßt fih auch hier von der ſchönen chriftl.
Geſinnung des Vfs. fhon nichts Geringes erwarten. Weit
Vergnügen lieſt man: daß eine buchfläbl. Auslegung der
Geſetze, oder vielmehr Erfüllung Derfelben, am erften eine
Uebertretung derfelben werben kann. Die Polemik gegen
Fritzſche S. 292 ift etwas ſtark, aber fonft richtig. : Parteis
lichkeit kann man Hrn. Th. um fo weniger vorwerfen, dba
3.3. Schriften des verewigten Stäudlin, vgl. 244, 25, eben.
fo auf eine gebührende Art von ihm’ getadelt werden.
Nicht wenig verdienen auch Die feinen und neuen Bemer⸗
fungen-zu 5, 28 empfohlen gu werden, vgl auch ©. 224.
Wenn wir nun auch mit. den Bemerkungen über die Che
gern übereinftimmen, fo ſehen wir und doch genöthigt, an⸗
dern Aeußerungen, welche zu 5, 2, ” aaa Br
den, zu wiberfprechen. |
Ohnfehlbar an die. ganze Dartelung eine —
968 0, Kholud’6
geworben feyn, wenn es bem BF. zunächſt gefallen hätte,
anch auf die Polygamie, wie fie im A. T. vorkommt, ge⸗
hörig einzugeben. Wir wiflen recht gut, wie die Sade
von unfern meiften Moraliften. angefehen wird, welche Aus
fieht.aber kaum .mit dem göttl. Anfehen des A. X. beftehen
möchte. Der Ausleger der Bergpredigt muß hier durchs
aus das Verhältniß der vorchriftl. Offenbarung zur chriſtl.
ind Licht ſetzen, und darf die Sache nicht umgehen , wie
ſie von Hr. Th. umgangen worden ift. Freilich eine ſchwere
Aufgabe, deren Löfung aber doch nicht unmöglich, dann
auch für die richtige Beurtheilung anderweitiger Berhält-
niffe fehr wichtig fepn dürfte. Wir. erinnern an Salomo,
‚welcher fich das göttl. Mißfallen nicht Durch Die Vielwei⸗
berei zugezogen: hat, ſondern dadurch, baß er in feiner
legten. Zeit auslänbifche Frauen an feinen Hof zug, und
biefen zu Gefallen die Abgötterei begünſtigte. Wie fol
nun die Sache angefehen werben ?. Eine durch alle Stufen
der göttl. Offenbarung hindurchgehende abſolute Nothwen⸗
digkeit der Monogamie läßt. fich.fo wenig behaupten, als
vertheidigen. Es muß demnach auch für die Ehe, wie
für. fo viele andere äußerliche Suftitute, etwas Allgemeines
- in Anſpruch genommen werben. Wie nun 5.8. Die fleiſch⸗
liche Bermifchung an ſich feine Sünde iſt, denn fouft wüßte
fie e8 auch in der Ehe feyn,.fondern es erft da wird, wo
beitimmte Gejeßgebungen vorhanden find, fo darf auch Die
Monogamie nirgends für etwas erklärt werden, was als
abſolut nothwendig für alle Zeiten erſcheinet, am wenig-
fien da, wo die Offenbarung noch. nicht ihren Endpunct
erreicht hat: Wir wänfchen ſehr, daß dieſer Gegenſtaud
einmal nach allen Seiten hin befprocdhen und dann bad
chriſtl. Suftitut der Ehe, wie es ba: ift, völlig gerechtfertigt
werde. Anſtößig wirb.man unfere Anſicht fo wenig ſinden,
als .der Apoftel Paulus au Abraham’s ehel. Vechältuiffen,
vgl. Gal. 4, Anftoß genommen hat... Dan ‚wundert fi
nicht felten über Aeußerungen / wie fie. 3. B. Ruther hier
⸗
philolog.= theolog. Auelegung d. Bergpredigt. 909
und da über die Ehe gethan hat; allein ſie lagen ihm ſehr
nahe, wenn ihm bie Beiſpiele ans dem A, T. einftelen, nur
war ed ihm in feiner Damaligen Lage nicht möglich, beit
ganzen Gegenſtand einer wiſſenſchaftlichen Prüfung, .
unterwerfen. "
Unmöglid; Tönnen wir auch die Behauptung unters
fchreiden, daß die Chefcheibung erſt durch Wieberverheis
rathung vollendet werde, Die liegt nicht in den ausdrück⸗
lichen Worten Jeſu, und wir fehen auch er nicht, was
dadurch gewonnen werden fol,
Ueberhaupt müffen wir offen geſtehen, daß ber Bf zu
keinem beſtimmten Reſultat über Eheſcheidungen gekommen
iſt. Ganz eigene Aeußerungen S. 258,260. Beſonders auf
dieſer letztern Seite werden alle ſichern Regeln wieder auf⸗
gehoben, indem es ſich faſt nur um eine ſubjectiv gewiſſen⸗
hafte Ueberzeugung handelt. Wenn es aber Beherzigung
verdient, was S. 273, 274 über die. Eheſcheidungen unſe⸗
rer Zeit gefagt wirb, fo möchten wir doch mit S. 258
nicht übereinftimmen, wo die eiferne Strenge ber Vorzeit
der Schlaffheit unferer Tage unbedingt vorgegogen-wirb,
Man’ überfehe Doch niemals die große Inconſequenz unfes
rer Vorfahren, welche, wenn fie das eine. after mit dem
Leben beftraften, ein anderes, welches vor Gott auf der⸗
felben Linie der Strafbarleit ftand, fo ‚gut. wie gar nicht
bemerften. Und wer wurde benn in jenen frühern Zeiten
um des Ehebruchd willen fo hart betraf? Doc wohl
nicht Fürften, Könige und andere Große, von denen er
am Häufigften begangen ward? Zur Ehre unferer Zeit
müſſen wir es geftehen, daß Ueppigfeit und. Ausfchweis
fung an den meiften Höfen fehr vermindert und einem edle⸗
ren Sinne gewichen find. Es konnte nicht fehlen, daß bie
Ausfprüche des Herrn über ben Eid, V. 35 — 37, eine.bes
fondere Erörterung erhalten mußten. Der Hr. Bf, erklärt,
baß die.nenerlich von Dlöhanfen und Stirk vorgetragene
Anficht fonft auch die feinige gewefen fey,. es jetzt aber
&
nicht mehr ſey. Wir müffen nun geradezu fagen, daß wir
die im Comment. vorgetragene Auffaſſungsweiſe mit dem
eigentlichen Sinne der Worte Chriſti nicht zu vereinigen
vermögen.: Daher mag es auch gekommen ſeyn, Daß wir
den Kernausfprud V. 37 mehr umgangen, als erliärt,
finden. Rec. verſucht; Einiges anzugeben, wodurch in die
Behandlung ber Lehre vom Eide fo viel Berwirrung ge
Sommen iſt. Ohne Bebenfen ſtellt man dad Dilemna hin,
Eheiftus hat entweder bloß das fündliche Schwören im ges
meinen Leben, oder aber alles Schwören ohne Ausnahme
verboten. Mie wenig er aber das Erſtere gethan haben
kenn, ergibt:fich ſchon daraus, daß in feinem diesfallſigen
Aus ſpruch über ben Eid gar nicht, wie. es fonft in Der gan⸗
zen Bergprebigt der Fall ift, ein Gegenſatz zu dem: Shr
habt gehört, daß zu den Altengefagt ift — entfichen wäre.
Wo fol denn dießmal die eigentlidye Erfüllung des Gefes
ed herkommen, wenn er im Grunbe genommen nur eis
was verbietet, was langft unterſagt werben war? Welche
unrichtige Vorausſetzung iſt e& weiter, auzunchnen, ald
ob dad Schwören — Betheuern im gemeinen Leben am ſich
ſchon Sunde ſeyn müfle? Diefes kann gerade ber Ausflug eis
nes tieffühlenven Herzens ſeyn, wie folches Die in den Bries
fen eines Paulus vorkommenden unaufgeforderten Betheues
rungen beweifen. Chriſtus muß demnach das Schwören
fehlechthin verboten haben. Und da liegen bie Gründe
gang nahe. Der Schwur ift eine Außerliche heil. Hands
lung, welche nicht ohne eine beflimmte ängerliche Formel
gebadyt werben kann. Wie fehr aber eine Formel dieſer Art
theils dem ganzen Geifte unferer Bergprebigt, theils dem
Evangelium überhaupt entgegen ift, darf wohl als hin
linglich belannt vorausgeſetzt werben. : Die Verwirk⸗
lichung emer folchen Herrfchaft des göttl.. Geiftes IK nir⸗
gende denfbar, ohne das Schwören immer unmüber und
zuletzt ganz entbehrlich zu machen. Dieſe Ideen reihen ſich
ganz einfad; aneinander, und darum überheben. wir uud
philolog.=theolog. Ausleguug d. Bergpeebigt. ATI:
her jeder weitern Erörterung, bed Gegenſtandes, wel⸗
chen wir ebenfalls dem trefflichen .Df. zu einer nochmaligen
Durhforfhung empfehlen. . . :
Da dab Deber mit. zur Moral gehört, fo wollen win;
noch Giniges Aber bie Erläuterung bes V. U. hinzufligest
Die Note S. 394 fcheint faſt zu. brhaupten/ als ob Luther
auch in feiner Bibelüberſetzung, wie fonft, Vater Unfer
gefchrieben habe, was indeß weder bei Matth. noch in ber
Stelle bei Lukas der Fall if. Sonſt auch hier bes Trefflis
chen fehr viel — über die Quellen ©. 383, 384, die fchöne
Aeußerung ©. 388. — Seine volle Bedeutung erhält dies
fes Gebet erft im Munde eines wiebergebornen Chriften.
Dei ber vierten Bitte ſcheint auf Das Unſer zu wenig
Gewicht gelegt zu feyn, auch vermiflen wir etwas über
Den Zufammenhang diefer Bitte mit den brei erftern. Auch in
Anfehung der fünften ift das Verhältniß unfers Vergebens
zum göttlichen nicht in ber Dogmatifchen Schärfe hervorges
hoben, wiewohl manched Gute gefagt wird. Die Entwides
lung der fechsten will auch noch nicht vollkommen genügen.
Warum find nicht unter andern auch Die herrlichen Worte
berüdfidhtigt worden: Es muß ja Aergerniß kommen ıc.
Daß fleben Bitten find, wird gut erläutert, doch fonnte
auch bier noch mehr auf die drei erſten zurüdgegangen
werben. Die Dorologie fol unächt, aber dem Geifte des
Herrn angemeffen feyn. Bei dzsovasog ift nicht einmal bie
befannte gründliche Abhandlung im theol. Anzeiger erwähnt
worben. In eben dieſem Anzeiger fcheint und auch ber
eigentliche Sinn ber 5. Bitte, ganz neuerlich, noch fchärfer,
als in dem vorliegenden Somment., beflimmt worden zu
ſeyn.
Wir begnügen uns, noch einen Tadel hinzuzufügen,
welcher den Schluß der Bergpredigt inſofern betrifft, daß
dieſer, wider die ſonſtige Gewohnheit des Vf., in der That
nur ſehr dürftig bedacht worden iſt. Man erinnere ſich,
wie unter andern Krummacher — über den Geiſt und die
GT . Shelud’6 Aubleg. d. Bergpredigt.
Form u. f. w. — auf bie wirklich. vollendete Darftellung
bes Lukas aufmerkfan gemacht hat. |
Beigegeben findet man eine Paraphrafe, die wir allen⸗
falls auch miſſen kinnten; dagegen halten wir es für
Schuldigkeit, für das fchägbare Regiſter — es find eigent⸗
lich zwei — unfern freundlichen Dauk auszuſprechen.
M. Stein in Niemegl.
VDeberfidten.
u e b e r f i h ®
bet ——— —
theologifchen Litteratur in den drei Fatih
Reichen in den Fahren. 180 — 1833...
Geſchrieben im Februar 1834, =.
> anemark.
Bibelſtudium.
Das gelobte Land zur Zeit des NT a) 908
Li. Brammer, Prediger und Seminarienvorfteher (1832),
Eine Ratiftifch »geographifche Befchreibung Palaͤſtinas, für
gebildete, aber ungelehrte Leſer, iſt hier mit forgfältigen
Benutzung des früher Vorhandenen und mit geſchickter Aus⸗
wahl gegeben; auch empfiehlt ſich die Ausführung Dusch
lebendig durchgeführte Schilderungen der phufifchen wie
ker bürgerlichen Verhäktniffe, wie fie überhaupt von einer
Huftigen und fipliftiichen Eigenthümlichkeit zeugt, deren
Borzüge jedoch oft durch eine gezierte und Eüuftlich ge⸗
Ihrmbte Schreibart getrübt werden. >
By: Di Bücertitel find nur beutfch gegeben, weil doch am fremben
Drttorte entftellenden Druckfehlern nicht wärbe dorgebeugt wer»
=
976 Weberficht
Historia populi Iudaici biblica usque ad
occeupationem Palaestinae, ad relationes pere-
grinas examinata et digesta (1832). Der Berfaffer,
Lic. Engelsloft Ciebt außerord. Prof. der Theol. an
der Kopenhagner Univerfität) hat fich eine Aufgabe ges
ftellt, die ohne umfaffende Quellenftudien und gründliche
Kritik nicht zu löfen war, hat fie aber in jeder Hinficht
anf eine Weife gelöft, die feiner Arbeit wiffenfchaftlichen
Werth, und Anfprüche auf die Aufmerkfamfeit der Ges
"Ichrten gibt. Es werben bier bie wichtigften Momente
der älteften Gefchichte ber Hebräer der Reihe nadı durch⸗
gegangen ‚und forgfältig verglichen mit den Berichten
oder Andeutungen, die fich vorzüglich in der babyloni⸗
ſchen und. der’ ägyptifchen. Gefchichte Cbei Berofus und
Manetho) auffinden laſſen, mit Zuziehung ber Griechen
und der verfchiedenen bei Eufebins und Joſephus erhal
tenen Fragmente. Durd; biefen fcharffinnig durchgeführs
ten, Parallelismus ift ſowohl eine fchärfere Ausmittelung
der gefchichtlichen Thatſachen ald eineigenauere Feftftels
fung der chronologifchen Momente öfters gelungen.
Fragmentum libri nominum Hebraicorum
antiquissimum ex codice Parisiensi, afabemis
ſches Programm (1838) von Prof. Dr. Hohlenberg. In
einer Ichrreichen Einleitung wird von der Sorgfalt gehans
Delf,i:mit weicher fowohl bei Philo Als: bei den Kirchen⸗
gätern (Drigened, Hieronymus, Auguflinus) Deutungen
Yon den nomina propria .ded U. T. gegeben worden find,
von dem Zufammenbange Diefer Bemähungen mit „ber
allegoriſchen Auslegung, von ber verfchiebenen Geftall,
Worin jene Deutungen zu. und gelangt find: gewöhnlich
als Marginals Gloffen in den bibl. Handfchriften, mians
ter auch als befondere Onomaſtiea, in benen:bab bie
alphabetifche, bald eine gewiffe Real⸗Ordnung befolg wird.
Fragmente folcher Lerica find bekanntlich in der Mrtianäis
ſchen Ausgabe des Hieronymus mitgetheilt, aberaus einer
x
d. theol. Eitteratur in d. 3 ſeandinav. Reihen. 977
fehr jungen Hanbfchrift (aus dem 16ten Jahrh. Das hier
von. dem Prof, H. heransgegebene Onomafticon gehört
hingegen: einer Handfchrift an, die Montfaucon in feiner
Beichr. ver Coislin. Bibl. in das 6te oder Tte Jahrh. hin⸗
auffeßt, und: if, wie Daß:ältefte, fo: auch das vollſtaͤndigſte
der bis jebt befaunten. Eine Probe hatte-fchon Montfau⸗
con ntitgetheilt, hier wird Die erfte Abtheilung, (oon.ad«
bis pad) vollftändig geliefert, von einem gelehrten Com⸗
mentare begleitet; indem: der: Verf. mit großem Fleiße ber
miüht ft, ſowohl die den griechifchen — oft verftämmelten —
Wörtern ..entfprechenden hebräifchen anzugeben, als nadıs -
zuweifen, aus welchen Wurzeln oder andern Quellen bie
Deutungen herzuleiten ſeyen.
Ueber Abſicht, Bedeutung Er Refultate
der wiffenfhaftlihen Unterfudungen.des
Theologen über die Schriften des NR. Teſtts.
(1833), von M. Scharling,. Zector an der. Acabemie
in Sorse (jetzt ord. Prof. d. Theol. ander Univ. im Ko⸗
penhagen). Eine Art won populärer. Einleitung Ind NT.,
indem, auf. zwölf Vorkefungen vertheilt, eine beurtheis .
Sende Zuſammenſtellung ber wichtigften hieher gehörigen
hiſtoriſch⸗kritiſchen Unterſuchungen gegeben wird. Der Verf.
hat bei-diefer Arbeit die lobenswerthe Abficht gehabt, ges
bildete. Lefer,. die fi für Chriftenthum und Kirche interef⸗
firen,.is den Stand, zu feßen, über Geiſt und Form jener
wiffenfchaftlicden Bemühungen ein richtiges Urtheil zu
fällen,. und fomit auf bie ficherfie Weiſe Denjenigen .
entgegen zu treten, bie dahin arbeiten, die bibliſche Kris
tik, als Erzeugniß. und Werkzeug des Unglaubens, bei
dem Volke zu verbäcktigen. Die Arbeit ift mit forgfältigem
Fleiſſe ausgeführt, und gewährt eine klare und leicht faßr
liche Ueberſicht; indeſſen möchte. fie, bei.den öfters ing Eins
some gehenden .Unterfuchungen, nidyt fowohl (nach: ber. Ab⸗
ficht des Berf) für. nicht - theologiſche Leſer, als für. Pre⸗
digere nad, jungere Theologen. geeignet ſeyn. — -Merfelbe
978 eberficht.
Berf. hat cin Moͤllerd Zeitſchr. f. Kirche und Theol., 2%.)
„Beiträge zur Beſtimmmg der Abfaſſungs⸗
zeit für die Briefe Pauli an bie Römer und
Die Korinther” gegeben: eine Wiberlegung ber Köhler’;
fchen Hppothefen und im Ganzen Beflätigung der Annah⸗
men von Hug und de Wette: Br. an bie Römer: J. 58
oder 9, 1 Kor.: Frühjahr 88, 2 Kor.: Sommer 58.
De authentia pastoralium quae vocantur
Pauli Ap. epistolarum, ac praesertim de tempe-
re quo seriptae sunt, akadem. Programın 1831 von
dem Prof, d. Theol. Cießt Bifchof zu Aalburg) N. Fogt⸗
mann. Die, nad, den nenern gründlichen Unterfuchuns
gen gewöhnlich aufgegebene, Meinung ift hier wiederum
aufgenommen, nach welcher die in ber Apoftelgefchichte
erwähnte Gefangenfchaft Pauli mit dem Tode deffelben ges
endet haben fol, mithin fammtliche Paftoralbriefe in ben
Beitraum, von dem Lukas berichtet hat, verlegt werben;
indem ber Berf. Die Zweifel über-Die Nechtheit diefer Briefe
zum Theil daraus herleitet, daß die Vertheidiger berfels
ben, um den chronologifchen Schwierigkeiten ausgumeichen,
zu ber willlürlichen Aunahme. einer. neuen, jenfeits ber
zömifchen Gefaugenfchaft gelegenen, Epoche des Lebens
Pauli die Zuflucht genommen. Diefe Darftellung ber Sache
aber trifft bas Wahre nicht. Nicht um jenen Schwierig
feiten ausguweichen, hat man Die Befreiung Pauli und eine
gweite Sefangenichaft erfonnen; fondern weil eine uralte
: Tradition dieſe Thatfachen beglaubigte, auch dieſe fich bei
wieberholter Prüfungider gefchichtlichen Zeugniffebewährte,
hat man biefe zur Löfung der Schwierigkeiten benutzt.
Der Verſuch des Berf. jene Zeugniffe zu entkraͤften (das
ebona zig Buceng bei Clemens Rom. folle Italien feyn)
kann nicht als gelungen angefehen werben; ben Verſuch
aber einer Löfung jener Schwierigkeiten, ohne dieſe An⸗
nahme zu Hülfe zunehmen, iſt der Berf. ſchuldig geblieben.
. ApocalypsisiohanntiApostolo vindieata von
d. theol. Litteratur in den. 3 ſcandinav. Reichen. 979
Lie. Kolthoff 1883. . Ein audiatur et altera pars, gegen
Ewald und Lüde gerichtet, wodurch eine genauere Res
viſion befonbers der philologiſchen Einwürfe gegen die
Yuthentie der Apok. in manchen Einzelheiten wird noth⸗
wendig gemacht werben. Wenn übrigens dem Verf. bie
gemachten Einwürfe fämmtlich Als nichtöbebeutend erfchei-
nen und bie Frage über bie Acchtheit des angefochtenen
Buches ein für allemal zu Gunſten deffelben abgemadıt, fo.
wird ber Gachverfländige fich fchwerlich überzeugen. kön⸗
sen, baß der Berf. bei feiner Unterſuchung mit der erfor-
Derlichen .Unbefangenheit zu Werke gegangen ſey. Gegen
die höhere Kritif it der Verf. überhaupt fehr ungänftig
geſtimmt, — und daher mag es wohl fommen, baßer, bie
hiktorifchen Zeugniſſe ſchon als völlig entſcheidend anfer
hend, auf eine (gewiß fehr nöthiged fchärfere Präfung dei
Dogmatifchen Gehalted der Apok. nicht eingegaugen iſt.
Diefe Stimmung ruhet aber nur auf einem Verkennen bes
Weſens dieſer Kritik, die ihrer Natur.nach.mithandarelfe .
lichen Beweifen. ihre Sache nicht führen kann; wenn. 28
3. B. den kritifchen Gegnern der Apok. zur Laft gelegt wird,
Daß fie nirgende mit Beftimmtheit angegeben haben; wie
groß der Unterfchieb Der Sprache in. verfchiebenen Schrif⸗
ten ſeyn Dürfe, ohne baß die Identität bes Verfaſſers ger
läugnet werben mäfje, auch behauptet, daß fie ben Staub⸗
punct der wiffenfchaftlichen Forſchung verrüdt haben, in»
dem fie ſich zuletzt auf ein unmittelbares Gefühl, einen ins
nern Tact beriefen. Auch hat ber Verf. bie Kritik ſelbſt
von einem Leichtfertigen Gebranche berjelben fa wenig’ ges
fchieden, und die Nothwendigkeit ziner freien Hanbhäbung
Derfelben zum. wahren Gebeihen der chriftl. Kirche fo wer
nig im Auge behalten, daß er, von bem Grundſatze eines
in ber Kirche unabänderlich feftgeftellten RAanons ausgehend,
jebe Fritifche Unterfwchung, die gu einem der Authentie
dieſes oder jenes Fansnifchen Buches ungünftigen Refultate
führt, ald der Wahrheit und ver Frömmigkeit widerſtre⸗
90 . Ueberſicht
vend und als, nach den Srundgeſeben der Kirche, —
lich erklaͤrt.
Als Probe einer Heberfegung der hiſtoriſchen Bücher
des A. Teſts. hat der Stiftpropſt Froft in Rib eine Uſe⸗
berſetzung des fünften Buches Moſ. (1833) her⸗
ausgegeben mit einigen erläuternden Anmerkungen, die
jedoch zu mehreren Ausſtellungen Veranlaſſung gegeben.
Der Biſchof in Laaland, Dr.R. Möller hat ſeine Ueber⸗
fetzung der prophetiſchen Bücher durch einen
zweiten Band (1830) beendigt, und durch dieſe im Gau
zen fehr gelungene Arbeit fich neue Verdienſte um die bis
blifche Litteratur erworben, und ein verfländiges und ers
bauliche Bibellefen auf: Die rechte Art gefördert. Auch die⸗
fer Ueberſetzung find Aumerkungen beigefügt, denen größ⸗
tentheils, der Auswahl wie der Form nach, Ds Lob ber
Zweckmaͤßigkeit gebührt.
Bon demfelben Verfaffer tft auch zur Ueberſetzung des
N. Teſts. ein verdienſtlicher Beitrag gegeben: „S ä m m t⸗
liche Briefe der Apoſtel, überfegt.und mit den
nöthigſten Aumerkungen verfehen” (A831). Die
Weberfeßung ift, wie die Altern von Baftholm und Guld⸗
berg, freier gehalten, indem Das Berftehen ber: bunfleren
Stellen durch kurze Zuſätze und Erläuterungen, die in ben
Text eingefchoben, durch den -Drud aber von bemfelben
unterfchieben find, erleichtert wird.. Ueber das zu Wenig
und:zu Biel darf einmal bei Arbeiten diefer- Art im Einzel⸗
nen ein -zufammenftimmendes Uetheil nicht. erwartet wers
den, und fo wird auch hier bald ein. unnoͤthiges Abweichen
von ber alterthümlichen Sprachweife gemißbilligt, . bald
ein freieres Berfahren vermißt werden können. Nach der
Weherzeugung des Ref. ift die Paraphrafe geeigneter, jene
Schwierigkeiten. zu ‚vermeiden und: die Bebürfniffe unge,
lehrter Bibellefer zu befriedigen; als eine fogenannte freiere
Ueberſetzung, dier-fich- weder dem Buchſtaben anfchließen
will, noch ſich von Demfelben losmachen darf. Anf.jeben
d. theol. Litteratur in d. 3 fcandinav. Reichen. 981
Fall aber ift e& eine wichtige Aufgabe, bie verfchiebenen
Gefichtspuncte feſtzuhalten, aus welchen die h. Schrift als
Norm der Lehre und ald Erbauungsbuch betrachtet werben
muß, und die Bearbeitung berfelben zum kirchlichen und
zum häuslichen Gebrauche zu unterſcheiden. Verſuche,
dieſe Grenzlinie zu ziehen und praktiſch darzuſtellen, ——
auf dankbare Anerkennung gerechten Anſpruch. |
Cantici Deboraeinterpretatio (1833), v.Chr.
Kalkas, Adi. am der gelehrten Schule in Odenſe. Die
Auslegung zeugt von ausgezeichneten Kenntniffen der hebrʒ
Sprache und von kritiſcher Benutzung der Hülfsmittel:!
neben den neueſten Auslegern ſind auch die alten jüdiſchen
Conmentatoren, vorzüglich Kimchi und Aben⸗Esra ſorg⸗
fültig zu Rathe gezogen. Eine hiſtoriſch⸗kritiſche Einlei⸗
tung — zur Geſchichte der Auslegung des A. Ts.— iſt vor⸗
ausgeſchickt.
Anmerkungen zu dem Briefe an die Gala
ter (in Möllers N. theol. Bibl. 1831), vom kön. Confeſſio⸗
narius Dr. Mynſter. Der Berf., der früher zu diefem
Briefe die Einleitung herausgegeben hatte (auch in deſſen
kl. theol. Schriften überſetzt), fand fich durch Winers Com⸗
mentar gur Mittheilung diefer Anmerkungen veranlaßt.
Die Behandlung ift aphoriftifch, indem der. Verf. weder
philologifche Obfervationen noch Beurtheilung verfchiedes
ner Erklärungen geben wollte, fonbern ſich auf eine kurze
Begründung derjenigen bejchränfen, die feinem lrtheile
nach den Vorzug verdiente, Auch bei diefer Unvolltändigs
keit fehlt es an beherzigungewenthen Anbentgen: —
Winken nicht.
Exegetiſche Beiträge, vom Paſtor, Mag. Mi
Ier (ibid.). Matth. 12, 39. 40: Bei Matth. fowohl ale bei
Lu, müffe Onueiov ’Iov& auf die Auferftchung Sefu bezo⸗
gen werben. Joh. 8, 46: aͤucorle müſſe ‚nicht Durch
„Sünde”, fondern durch „Unwahrheit” (pravitas doetrinae,
non morum) überfegt werben. 1 Kor. 15, 29. 30: Der
Theol, Stud, Jahrg. 1831. 64
982 ar Meberfächt
Berf. erflärt wassiv in ber Bebentung: onveiv, deldsn,
zoopyreuem, und überfeht hen 29ten Vers: „Warm folk
ten die, welche getanft werden, den Tohgefaug anfkinemen
um ber Todten willen (Chriſtus und die verfäschenen
Chriſten), wenn die Todten gar nicht auferfichen?” Den
Soften Berd interpungirt er: rbxcl Basıitoyraus vario av-
zöv ri x. %. 4, und überfebt: „Und warum werden fie ges
tauft? und um ihretwillen warum ſetzen wir uns jede
Stunde der Gefahr aus?”
., Betradtungen.über die Bibel, vom Paſtor
J. Horuſyld (1331. Eine Art vor yopulärem Commen⸗
“ gar über den inhalt ber heil, Bücher: das Buch athmet
warmes religiöfes Gefühl, welches burd eine eigeuthüm⸗
. Kche Babe zu lebhaften, mitunter. treffenden Schilderun
gen von Charakteren und Lebensverhältniſſen unterflügt
wird; die Daraus entfpringenden Vorzüge der Darftellung
geben zum Theil Entfchädigung für eine ermüdende Weit
ſchweifigkeit, die Durch Mangel an reinerem Gefchmad und
durch fehr befchränfte Anfichten auf dem Gebiete der Dogs
masif noch befchwerlicher wird.
Syitematifhe Theologie
Hier möge zuerſt Die Einleitungsichrift „Betradr
tungen über das theologificke Studium” von
Prof, Dr. Elaufeen (1833) erwähnt werden, — eigentlid)
Betrachtungen über Die. Freiheit; ahme welche Die theol.
Wiſſenſchaft nicht gedeihen, und über die Bedingungen,
unter welchen jene Freiheit. erſt hinreichend geſichert heißen
könne. : Der Verf. madıt auf das Mißverhältnif:ayfmerk
fan, wenn ber Theolagie vehen andern Fächern der Wif-
ſereſchaft der. Platz eingeräumt iſt, menn zur Erreichung
bes gerteinſchaftlichen Zwveckes, Erkemntniß der, Wahrheit,
ihr die gemeinſchaftlichen Mittel, freie Forſchung und freie
Mittheilung zuerlannt werben. waͤhrend auf ber andern
Seite die Vorſtellung als reeipies zu betrachten. iſt, bie
d. theol. Litteratur in b. 3 feandinav. Reichen. 983
Grenzen der dem Theologen tn der wirflichen Welt einzus
räumenden Freiheit müſſen nicht allein aus ber Nätur eis
ner chriftlichen Theologie Hergeleitet, fondern nach aller-
lei poſitiv teaditionellen Einfchränfungen und conventionels
len Rüdfichten beſtimmt werden. Den Grund dieſes Miß⸗
verhältniffes zwifchen Theorie und Praris ſucht ber Verf.
in der Art und Weife, wie das Berhäktniß zwiſchen Kirche
und Staat nach der Reformation fey dufgefaßt und ents
widelt worden: die Folge fey ein gewiſſer unfirchlicher
Charakter, der — namentlich in den lutheriſch⸗ evangelis
fehen Staaten — immer deutlicher herborgetreten fey, und
fich überall nachweiſen Taffe:-in dent mißlungenen Verhäaält⸗
niffe, worein der Buchflabe der ſymb. Bücher zu ber Glau—⸗
benslehre, der Buchſtabe der liturgiſchen Vorſchriften 31
dem Cultus, der Einfluß der Juriſten zu dem ber: Geiſt⸗
lichen und der Gemeinden auf bie kirchlichen Angelegenheis
ten getreten ift. Der nach und nach wieder errungenen
Hreiheit fehle es noch immer as öffentlicher Anerkennung
von Seiten des Staats, mithin an ſicherem Gebrauche von
Seiten der Theologen; dieſe mißliche Lage aber könne nicht
ohne nachtheiligen Einfluß bleiben; denn fo wie-dem:ges
wöhnlichen Syſteme der nadfichtigen Duldung von Sei⸗
ten der weltlichen Autoritäten ein Verkennen der Beſtim⸗
mung ber theol. Wiffenfchaft, ein Besweifeln der glaubens⸗
reinigenden und glaubenftärtenden Kraft berfelben zum
Grunde liegt, fo werde allerbings durch jenes Syftem dieſe
wohlthätige Kraft geträbt und gelähmt, indem bie Theos
logen in Berfuchung gerathen, bie wiffenfchaftliche Rein⸗
heit, weiche Aufrichtigfeit des Herzend und Offenheit Der
Sprache erheifcht, den ſchwierigen Zeitverhältniffer auf⸗
znopfern. — Angeknüpft find noch mehrere Borfchläge zur
Förderung eines freiern und gedeihlichern Studiums ber
Theologie aufder Univerfität und zur Abhaltung verſchie⸗
dener biefem entgegenftehenden Mängel und Mißbrauche;
— — 6q *
984 . Ueberſicht
dieſe Vorſchlaͤge ſind aber meiſtens auf Die Verhältniſſe
im Vaterlande Des Verfs. berechnet.
Die Schrift des Eonfeffionarius Dr. Mynfter: Us
ber den Begriff der chriſtlichen Dogmatil
(1831), darf hier nur ber Vollſtändigkeit wegen genannt
werben, da fie, urfprünglich deutſch gefchrieben, gleichzei⸗
tig: mit ihrens Erfcheinen in’ däniſcher Spradye den Leſern
der theol. Studien und Krititen befannt ward. - - .
Beweis, daß firh die hrifil. Kirche nicht
auf das apoftolifde Symbolum, fondern auf
die heil Schrift gründet, von I. Stodhholm,
Stiftöpropft in Aalburg Cin Möllers N. theol. Bibl. 1832).
Diele Abhandlung ift gegen den Paſtor Grundtoig, na
mentlich gegen nachſtehende Grundfäge feines Syſtems ges
richtet: 1) „Das mündliche Glaubensbekenntniß bei ber
Taufe ift von aller Schrift unabhängig, und, als einftim-
miges Zeugniß der Gemeinde von ihrem Glauben, dad
gültigfte gefchichtliche Zeugniß von dem, was alle Ehriften
vom erften Anfang an geglaubt haben.” 27 „Diefes Glau⸗
'beusbelenntniß, ald Bedingung der Aufnahme in die chrifl-
liche. Sicchengemeinfchaft, if die unabänderliche Glau⸗
bensregel, das Grundgefeh der Kirche, welches, mit der
Taufe uunuflöslich verbunden, bie einzige hinlängliche
Sceidewand ſetzt zwifchen ber Kirche und ber Welt, oder
zwifchen dem wahrhaft Chriftlichen unb dem, das nicht
biefes iſt.“ 3) „Das mündliche Wort bei den Sacramenten
und insbefonbere Das Glaubensbekenntniß ift die Grund;
regel der Bibelauslegung, nach weicher fich jeder. Schrift
gelehrte, der in der chriſtl. Kirche bleiben will, richten fol
und muß.“ 4) „Die Bibel if weber urfprünglich Die Glau⸗
bensregel in der chriftl. Kirche. geweſen, noch Tann fie ed
ihrer Befchaffenheit zufolge ſeyn.“ Eben diefe Sätze find,
dem Wefentlichen nach, in den neueren Zeiten fo oft wieder⸗
holt werben, eben fo oft beleuchtet und berichtigt, und
das ihnen etwa zum Grunde liegende Wahre fo forgfältig
’
d. theol; Litteratur in d. 3 fcandinav, Reihen. 985°
son dem Irrthümlichen gefchieden, daß eine erneierte
Prüfung überflüffig feheinen könnte, zumal eine folche, die -
in wiffenfchaftlicher Umficht und Schärfe feine Vergleichung
mit den fchon vorhandenen verträgt. Indeſſen mag and)
Diefer Beitrag ganz an Ort und Stelle gewefen feyn; es
Handelt fid hier, wie der Verf. bemerkt, um feinen befons. ⸗
dern Lehrfaß, fondern um das Princip der evangelifchen
Kirche; und wenn ein talentvoller Schriftfteller dahin ars
beitet,. jene Paradoren in den Gemeinden als Die wahre
Drthodorie populär zu machen, muß das Gegengewicht
ebenfalls in der Gabe der Popularität und in einer befons
nenern Anwendung derfelben gefucht werden.
„Sind die Apoftel von der eigenen gehre
abgewihen” — und: „Widerftreiten fi wirk
lich die Apoftel Paulus und Jacobus in der
Lehre non der Rechtfertigung”, zwei Abhandlun⸗
gen vom Biſchof Dr. R. Möller (in Möllers Zeitfchr. f.
Kirche u. Theol. 1831 — 33). Su der letzten entſcheidet
ſich der Verf. (zunächſt gegen de Wette) für die Mei-⸗
nung: Jacobus habe allerdings auf die Lehrart Pauli Rück⸗
ſicht genommen (die Gegengründe Neanders in ſeinen Ge⸗
legenheitsſchriften werden kürzlich geprüft), ſey aber durch
die Erfahrung, ‚wie jene Lehre von heuchlerifchen Bes
fennern Chrifti gemißbraucht werbe, veranlaßt worden, _
die praftifche Seite der Rechtfertigung hervorzuheben, ohne.
dabei dem Kerne der: paulinifchen Lehre nahe zu treten.
Die.erfte Abhandlung führt gegen die Behauptungen:
Böhmes in feiner Schrift: „Die Religion Jeſu Chriſti“,
den. Beweis der Eonformität der Lehre Jeſu und der Apps.
ftel.in den Hauptftirden von der Mefftanität Sefn und ſei⸗
ner ‚göttlichen Hoheit, fo wie von dem verfühnenden Tode
Chriſti. Der Verf. hat eine gute Sache vertheidigt, auch
meiftend mit guten Waffen jedoch würden biefe durch rus
higere Haltung des Apologeten und überhaupt Durch ger
naueres Trennen des wiflenfchaftlichen und des erbanlis
N
986 Ueberficht
chen Bortrages, an Kraft gewonnen haben; auch bürfte
gerade eine unbefangene Darfiellung ber Verſchiedenheiten
in der Lehre Jeſu und der Apoftel erforderlich ſeyn, das
mit nachher die höhere, jene Berichiedenheiten in fich aufs
nehmende,, Einheit ins volle Licht hervortreten koͤnne.
Betrachtungen über den Mißbrauch und
den zchten Gebrauch fyombolifher Bücher,
vom Prof. Dr. Glaufen (1831).
Ueber die Stellung des geiſtlichen Stan
Des ala chriſtlich⸗ protetantifhen Lehrſtandes
in Dänemarl, von Dr. R. Kaber, Stiftsprobſt in
Dbenfe (1832).
Ueber fymbolifhe Bücher in der Iutheri
fhen Kirche, von W. Rothe, Lic. d. Theol. u. Pre
diger (1838).
Die drei Derfaffer begegnen fich, bei aller Verſchieden⸗
heit ſowohl in der Behandlung im Ganzen als in der Aus⸗
führung einzelner Punete, in den Hauptmomenten auf
erfreuliche Weiſe: Der Symbolenzwang (die Anwendung
fumbohifcher Bücher nach ihren Einzelnheiten als abſolute
Regel, gleichviel ob norma credendorum oder docenderum)
wibderftreitet allen höheren Intereſſen der Kirche, indem
dieſe ſich nicht Einheit des Bekenntniſſes, ſondern Einheit
des Glaubens zum Ziele vorgeſetzt hat; dieſe kann aber
nur von innen heraus ſich bilden; ſo wie jenes Syſtem des
Zwanges mit ben Grundſaͤtzen der Reformation und den Aeu⸗
Berungen der Kirche zu jeder Zeit, wo fie ſich felbft verſtanden
hät, nicht weniger als mit den, allen proteftantifchen Ländern
gemeinfchaftlichen Anftalten für die freie wiffenfchaftliche Bil
Dung der angehenden Theologen in bem greliften WBiderfprus
che fteht. ALS Zeugniffe hingegen der chriftfichen Wahrheit,
als welche fie zu allen Zeiten ihrem wefentlichen Inhalte nad)
werben anerfannt werden, dienen Die ſymb. Bücher dazu, das
Auge auf die bedeutungsvollen Hauptpuncte ber evangeli⸗
ſchen Gemeinſchaft hinzulenten, mithin zur Unterhaltung und
d. theol. Litteratur in d. 3 ſcandinav. Reichen. 987
Stärhmg des Geiſtes; auf welchem bie wahre ‚Eins
heit der Kirche beruht. Dierechte Deutung und Anwen» |
Dung ber ſymb. Bücher fest aber Bilbung und Kenniniffe /
voraus, die nur bei Geiftlichen zu erwarten find; und ber
hänfige Mißbrauch derfelben zur Beeinträchtigung ber
evangelifchen Freiheit laͤßt ſich daher ohne Schwierigkeit
ans dem herfömmlichen Zuftande ber proteftantifchen Kir,
chenverfaflung erklären.
Die fombolifhen Bücher ber bänifhen
Kirche, lateinifch und däniſch, nebſt geichichtlichen Er⸗
Täuterungen, von Mag. 3. C. Lindberg (1839. Ein’
genauer Abdrud ded gewöhnlichen Terted, wobei man
aber bei dem apoſt. Symb. Tritifche Vergleihung der vers
fchiedenen Recenfionen vermißt, fo wie bei dem nicäifchen
Symb. die Beifügung des griechifchen Originals, und «bei
der augsb. Conf. jede nähere Auskunft über die Ausgabe,
Die zum Grunde gelegt worden ift. Die gefchichtlichen Ers
Iäuterungen gehen befonbere Darauf and, dem apoft. Symb.
den apoftolifchen Urfprung zu vindiciren:“ „Die neuere
Behauptung” — heißt es — „daß das apoflolifche Glass
bensbefenntmiß nicht apoftolifch ſeyn folle, ift ganz vers
werflich, grunblos und grundfalfch, und bie Gelehrten
haben fich zu fchämen bei einem fo unverantwortliden
Zeugenverhör gegen die Grund» Chriftlichleit des Glaus
bens, auf welchen fie getauft find fowohl als, wir.” Der
Verf. zielt bei diefen Worten vorzüglich auf Die Berufung
auf die Zengniffe Rufins und bes jerufalemifchen Eyrills.
Allein wag Rufin betrifft, fo „ift er — wie fich ber Berf.
ausdrückt — in ben lebten Tagen zu einer ſolchen Ehre
unter den Ketzern gekommen, baß fein Chriftenthum und
feine Ehrlichkeit wohl etwas verdächtig wird; was er
über Symbole anderer Kicchen anführt, werben wir bas
bin ftehen laffen müffen, weil darauf Fein ficherer Schluß
gu bauen ift; daß er dad Glaubensbekenntniß kennt, wie
es in andern Gemeinden bei der Taufe gebraucht wurde,
988 . Ueberſicht
hat er nicht angemerkt, und daß irgend eine andere Quelle
ſicher ſeyn könne, muß ich gänzlich laugnen“ u. ſ. w. Wenn
ferner Cyrill qus Jeruſalem als Zeuge aufgeführt wird,
daß die Niederfahrt zur Hölle in dem Symbole der jerus
falemifchen Gemeinde zu feiner Zeit gefehlt habe, indem
Diefed Glied bei feiner Aufzählınng der einzelnen Theile
des Symbols ausgelaſſen ift, fo will ber Verf. dieſes uns
zweideutige Zeugniß dadurch aus dem Wege räumen, daß
Cyrill in feinen beigefügten Erläuterungen des Symbols
bie Nieberfahrt ausdrücklich mit erwähnt. Bei biefer Bers
anlaffung fpricht fi der Verf. folgendermaßen aus:
„Wahrlich, man muß jenen Krititern auf Die Zinger fehen,
ehe man ihren -feierlichften Verficherungen ben geringften
Glauben beimißt; denn wenn wir auch Die Urfache folcher
falfcher Angaben unbeurtheilt, und. es dahin fliehen Lafien,
ob Mangel an Genauigfeit oder an Ehrlichkeit fie dahin
gebracht habe, folche Zeugnifle anzuführen, unwerth alles
Zutrauend werben fie und auf jeden Kal, und mit ihnen zus
gleich der gafize Haufe, der fich in den Staub vor ihnen
verneigt, auf fie bauet und in Irrthum geführt wird;
wahrlich fie find blinde Blindenführer!”” — Eine andere
Frage, von welcher Zeit an die augsb, Eonf. in Die däni⸗
ſche Kicche als fombolifches Buch eingeführt worden fey,
wird von dem Verf. fo beantwortet: „sch bezweifle es
keinesweges, daß bie augsb. Conf. bei uns fogleich ala
fombolifches Buch angefehen und betradjtet worden: if,
wenn auch einige Zeit vergangen feyn mag, ehe fie ald
ſolches in unfern Gefegen genannt iſt.“ Diefe Sache
aber fchon längſt von den Gefchichtsforfchern ind, Reine
gebracht. Vierzig Sahre nach der Reformation cim J. 1529
{ft zuerft, in Beranlaffung der krypto⸗calviniſchen Streitigfeis
ten, auf die augeb. Conf. ald Lehrnorm hingewiefen; hundert
Jahre nach der Reformation (im J. 1625) fommt die erfte
Verpflichtung darauf vor Cder fopenhagener Profefloren),
und noch vierzig Jahre vergingen; ehe bie Normals-Autos
d. theol. Litteratur in d. 3 ftandinav, Reichen,
rität ber augsb. Eonf. durch öffentliches Geſetz anerkannt
wurde, Man fieht, daß diefer. Berfaffer 2 die Gefchichte
‚nicht unbequem werden läßt. 2
Hiftorifche ——
Historia ecclesiastica synoptice energie:
I. U. von P. T. Hald, Lied. Theol. und Prediger
(1830-32). Der Berf..hat den Verſuch gemacht, zwifchen
der Gefchichtgerzählung und der tabellarifchen Form bie
Mitte zu haltenz die größeren Perioden find in Heinere
Abfchnitte getheilt, fo wie eine neu eingetretene oder wes
fentlich modificirte Richtung der chriftlichen Lehre, bes
chriſtlichen Lebens oder der Firchlichen VBerhältniffe eine
Abtheilung zu machen ſchien; in den einzelnen Abfchnitten
find wieberum bie Gegenflände auf gewifle Hauptyars
thieen zurüdgeführt, die zwar tabellarifch, aber ausführlis
cher, als es zu geſchehen pflegt, behandelt find. Es fragt
ſich aber, ob bei dem Beftreben, das Eigenthümliche ver«
fchiedenartiger Methoden zu vereinigen, nicht eher zu vers
lieren als zu gewinnen ſey; Ref. wenigftens hat fich mit Der
Anlage des Buches nicht befrennden Tönnen, weil er das
compendiarifche Zufammenhäufen des Stoffes für das
Stadium der Kirchengefchichte Hörend gefunden hat. Uns
abhängig aber von dem Urtheile über die Zweckmäßigkeit,
gebührt Der Arbeit das Lob eines ernfihaften wiffenfchäfte
lichen Strebens ; und wenn in dem erſten Bande (die 6 ers
ften Jahrhunderte enthaltend) die Behandlung im Einzel«
nen Berfchiedenes zu wünfchen übrig ließ, fo hat der zweite
Theil in Diefer wie in jeder andern Rückſicht entfchiedene .
Borzüge, die eine Fortſetzung der Firchengefchichtlichen
Studien des Verfs. wünfchenswerth machen. Der zwei⸗
te Theil umfaßt den Zeitraum vom 5. 604-858; wels
cher nad der Anordnung des Berfs, in fünf Kleinere zer»
fällt: Aevam Monotheletismi. (604--726), Aevum Bonifacii
(727-768), Aevum Caroli M. (768-814), Aevum Ludovieci
Pii (814—840), Aevum imperii Francicitricipitis (340—858).
> ‘
N x
90 WUeberficht
Die Ausfuhrung zeugt überall von Heipigem and gründlis
chem Studium der Quellen. F—
De Synesio philosopho, Libyae Pen tapo-
leos metropolita, von E. 7. Clanfen, Lic.d. Theol.
u. Prediger (1831. Die Geburt und Erziehung bes S.,
feine tonftantinopolitanifche Geſandtſchaft, feine privaten
und bürgerlichen Berhältnifle, Antritt des bifchöflichen
Amtes und Führung beffelben bis zu feinem Tode, nebil
Beiträgen aus den Schriften de8 ©. zur Geſchichte Libyens
— machen den Sahalt Diefer mit rühmlichem Kleiße aus⸗
gearbeiteten Schrift ans, in der zugleich auf Die kirchlichen
und politifchen Berhältniffe des Zeitalters in weiterem Um⸗
fange Rüdfit genommen it. Aud über die theologifchen
Eigenthümlichkeiten des S. und feine platonifirende Be
handlung der chriftlichen Lehre fehlt ed nicht an wichtigen
Auffchlüffen aus den Schriften des in vielfacher Hinficht
merkwürdigen Mannes, in Beziehung namentlich auf die
Ewigkeit der Welt, die Bräeriftenz ber an und bie
geiflige Bedeutung der Auferſtehungslehre. In der viel
beftrittenen Frage über das chronologifche ——
zwiſchen der Taufe des ©. und feiner Ernennung zum
Bifchof entfcheidet fi Der Verf. für die Meinung, Daß
die Taufe und ber Antritt des. bifchöflichen Amtes
gleichzeitig geweſen feyen, fo baß er noch als Heide
fol zum Bifchof ernaunf worden ſeyn. Ref. erfennt auch
hier den Verſuch einer genauen und gränblichen Beweis⸗
führung, jeboch ohne von der Nichtigkeit des Refultats
ſich überzeugen zu fönnen ; eine fo beifpiellofe und an ſich
unglaubliche Irregularität darf nur nach fchlagenden Be
mweisgründen angenommen werben; Nef. findet ed aber
noch immer bei weitem leichter, bie Schwierigkeiten, die
ber entgegengefehten Meinung euntgegenſtehen (vorzüglich
Aeußerungen bes ©. felbft), zu befeitigen. Zur Aufhel⸗
lung verfchiebener dunkler Punete in’ der Gefchichte jener
Zeit geben auch die angehängten Tabellen einen verbienft-
lichen Beitrag, — bie Frucht mühfamer chronolsgifcher
d. theol. Litteratur in b. 3 ſcandinav. Reichen. 991
Unterfuchungen, denen es gelungen ift, die richtige Zeits
folge der 150 Briefe des ©. mit Gewißheit oder —
ſcheinlichkeit zu beſtimmen.
Unterſuchnug über bie ſogenannten %os
bannissChriften, von 8ic Brammer Lin Möllers
N. theol. BibL 1832). In einer früheren (auch in den
theol. Stud. erwähnten) Differtation hatte der Verf. ſich
Die Aufgabe gefebt, den Beweis zu führen, daß im N, T.
fo wenig als bei den Kicchenvätern Spuren einer dhriftlis
chen Parthei vorkommen, die mit Diefem Namen genannt
werben könne. An jene Unterfuchung fchließt ſich die ges
genwärtige, bie fi} mit der Frage befchäftigt: mit wels
hem Rechte der Name SohannissEhriften der vorhans
denen Secte der Zabier beigelegt worden fey. Außer
dem liber Adami hat der Verf. bei diefer Unterfuchung auch
Die Nachrichten der Reifenden und Mifftonaire benutzt;
er macht aber auf bie Unficherheit diefer Quellen aufmerts
fam, und ein geſunder tritifcher Tact hat fich überall bei
der Prüfung und Benutzung berfelben bewährt. Die Res
fultate ber linterfuchung find diefe: baß die Zabier Feine
Ehriften find, indem fie von dem Glauben an Ssefum als
den Mefftas, von dem Gebrauche der Sacramente und
der heiligen Schrift fo.weit entfernt find, daß ihre Nelis
gionds Bücher vielmehr eine antichriftliche Tendenz verras
then; — ferner, daß fie eben fo wenig den Täufer als
Meſſias bekennen: Diefer ninımt in dem Aeonen⸗Syſtem
ber Zabier einen ganz untergeordneten Plas ein, fo wie
überhaupt bei ihnen bie Meſſias 4Idee nirgends zum
Borfcheine kommt. And) die Abflammung von den Schüs
lern des Täufers glaubt der Verf, nach den vorliegenden
Gründen, befonderd aber auch nach dem antifüdifchen
Charakter ihrer Lehren und Gebräuche, gänzlich aufgeben
zumüffen. Da indeffen die Tradition von diefem Urſprun⸗
ge bei den Zabiern felbft zu Hanfe iſt, bat ber Verf, den
Verſuch gemadt, durch Hppothefen biefe Tradition mit
992 Neberſicht
jenen Reſultaten zu combiniren. So wie er geneigt iſt,
die von Hegeſippus bei Euſebius erwähnten Hemerobapti⸗
ſten als Schüler des Täufers und ihre Nachkommen anzu⸗
ſehen, ſo ſindet er den Urſprung der Zabier von einem
Pſeudo⸗Johannes wahrſcheinlich, der den Namen des
Täufers ſich zu Nutzen habe führen wollen, nach vergebli⸗
chen Verſuchen aber in Paläftina ſich mit feinen Anhaͤn⸗
gern nach Perfien geflüchtet habe; der Verf. deutet babei
noch anf den Simon Magus hin, ale wohlgeeignet, dieſe
Mode auf fi zu nehmen. Uebrigens hat der Df. es nicht
unterlaffen, diefe Hypothefen von den gefchichtlidy.begrüns
deten Refultaten beflimmt zu unterfcheiden.
Beiträge zur Gefhidhte des neſtoriani⸗
fhen Streited, befonders aus einem bisher
ungebrudten fyrifhen Fragment, von J. F.
Fenger, ic. d. Theol, u. Prediger (1833). Der Verf.
bemerkt, daß bei den Linterfuchungen über. Die nefor.
Streitigkeiten der Mangel an Berichten des Neſtorius
felbft und feiner Anhänger von jeher fühlbar geweſen iſt;
als Beiträge zum Ausfüllen diefer Lüde hat der. Berf.
während feines Aufenthalts in. Rom ans dem vaticanifchen
Goder, aus welchem ſchoͤn Affemann die Anathemen des
Neftorius herausgegeben hat, neue verfchiedene ſyriſche
Fragmente abgeichrieben; von dieſen hat er. hier ein Frags
ment gefchichtlichen Inhalts mitgetheilt, worin ein Furzer
Abriß der Haupt» Kataftrophe in dem neftorianifchen
Streite gegeben iſt; über das Zeitalter hat der Berf. Feine
Entſcheidung gewagt, fieht ed aber als erwiefen an, daß
bie forifchen Kirchenhiftorifer aus dem 7—9. Sahrhundert
benugt find. An diefe Mittheilung knüpft der Verf. eine
Geſchichtserzählung der wichtigften Momente jenes Streis
tes, mit beflimmter Rüdficht auf die in jenem Fragmente
enthaltenen und von der gewöhnlichen Darftellung abwei⸗
chenden Angaben, um durch Bergleichung das Wahre
auszumitteln, z. B. über Die Urfachen der Erbitterung der
=
oe
d. theol. Litteratur in d. 3 ſcandinav. Reichen. 993
Monche, fo wie der Pulcheria gegen den Neſtorius, über
die erſte Beranlaffung des Zwiſtes und die Art der Ent«
fheidung. Auch abgefehen indeſſen von bem vollig unbe⸗
kimmten Alter und Urfprunge jenes Fragmente, iſt es nur
Weniges und. von geringer Bebeutung, was aus. bemfel«
ben für die Gefchichte gewonnen wird. In einem Anhange
find noch drei Eleine Fragmente des Neſtorius dogmatiſch⸗
polemiſchen Inhalts hinzugefügt.
—Vita Andreae Sunonis, Archiepiseöpi
Lundensis (18%). — Vita Lugonis Urne Episco-
pi Roeskildensis, I. OD. (1831: 1833).. . Drei: Pro⸗
gramme zu den Feierlichkeiten der Biſchofsweihen, von
Dr. 9. €. Müller, Bifhof von Seeland. Andr. Su⸗
nefen war im. Anfange des 13. Sahrhunderts Erzbifchof
in Lund, Nachfolger des berühmten Abfalon, durch Ges
Ichrfamfeit, Reinheit der Sitten und amtlidye Tüchtigkeit
gleich ausgezeichnet. Als Kanzler vor dem Antritte bes bis
ſchöflichen Amtes hatte er wefentlichen Antheil an den Ver⸗
handkungen: zwifchen dem frangöfifchen Könige Philipp Aus:
guft und. dem dänifchen Könige Knut dem Sechften wegen:
der. von Philipp verftoßenen Koͤnigin Ingeborg, welde.
Schweſter des dänifchen Königs wars; ale Erzbifchof hatte:
er den fchwierigen Poften eined Vermittlers zwilchen Dem
hochfirebenden Pabfte Innocenz IH. und dem fiegreichen‘
Könige Waldemar IL, und es fehlte ‚nicht an Gelegenhei⸗
ten, wo. die polisifchen.und die hierarchifchen Intereffe in
Eonflict mit einander geriethen. — "Tage: Urne war:
Biſchof in Roeskilde unter den. Königen Ehriftian IL. und.
Friederik L, und erlebte unter dieſem die Borfpiele zur”
Einführung der Reformation (+ 1529). Während: der.
Regierung Chriftian U. hatte er auf die Staatsgeſchäfte
bedeutenden Einfluß, war auch von dem Papfte. Leo X.
mit der Unterfuchung beauftragt wegen einer Streitfadhe
zwifchen dem Könige und bem norwegifchen Biſchofe Carl
in Hammer, ber, als Unftifter einer Berfchwörung gegen
9 uebericht
den König, von dieſem ind Gefaͤngniß geworfen und ba
geitorben war; die Unterfuchung fiel zu Gunften des Kö⸗
nigs aus. Später, nachdem ber König wegen feines grans
famen Berfahrend mit den Ständen der Reiche zerfallen
war, Eünbigte auch der Bitchof ihm Treue und Gehorfam
auf. Wie er ſich früher des paͤbſtlichen Legaten Arcems
boldus und feined Ablaßhandels mit Wärme angenom⸗
men hatte, arbeitete er auch hernach den antihierarchifchen
Bewegungen aus allen Kräften entgegen; er regte ben
gelehrten Mönch in Kopenhagen Paul Eliä zum Verthei⸗
digen der gefährdeten Kirche auf, und lud fchriftlich Ed
und Cochlans ein, in derſelben Abficht nad Dänemark zu
kommen. — Beide Monographieen empfehlen ſich, wie
die früheren größern Arbeiten des Berfs. auf dem Ges
biete der nordiſchen Geſchichte, Durch gründliche Gelehr⸗
ſamkeit und geſchmackvolle Behandlung.
Methopdiftifche Latenprediger, von Mag.
Scharting, Lector an der Acad. in Sorse (1832). Eine
gut redigiste Darſtellung des in vielen Nüdfichten merk
würdigen und Ichrreichen kirchlichen Phaͤnomens, nadı
ber Biographie Wesleys von Rebert Southey in der
Krummacherfchen Bearbeitung.
Gedächtnißſchrift aber. 9 Niemeyer,
vor Prof. Dr..3. Möller Gi deſſen Zeitfchr. f. Kirche u.
Thevl. 1893). Die biogeaphifche Schrift von Jacobs und
Gruber ib zu Grunde gelegt; gleichwohl aber iſt die Ar;
beit von Seiten ber Ausführung als eine ſelbſtſtändige
anzuſehen. Keime Biographie was .in einer Zeitſchrift,
bie zunüchkt für die Geiflichkeit beftimmet ift, mehr an ih⸗
rer Stelle; denn Fein bentfcher Theolog hat füch um bie
paſtorale Bildung bes älteren, noch im Amte ſtehenden
Geiftlichen in Dänemark größese Berbienfle erworben, nud
keiner mag in weiterem Kreiſe ſich dankbarer Jünger ers
frent haben. Leichtes Auffaſſen und Aneignen, lebendige
und ſtießende Darſtellung, mit. wahrheitsliebender Billig,
keit verbunden, bezeichnen dieſe Schrift, welche die Reihe
\
d. theol. Litteratur in d Afanndinav. Reihen. 995.
vieler, oft fehr gelungener Biographieen aus einer Feber,
die zu früh niedergelegt werden mußte, würkig- befchließt,
Die biographifhe Skizze. des Biſchofs
Münter von dem Eonfeflionnius ir. Mynm ſter iſt den
Leſern dieſer Zeitſchrift bereits belannt. An. diefe knüpft
ſich des Prof. Möhler s. Oratio-funebris in memeriam D.
Frid, Münteri, die bei der alabemifchen: Gedächtnißfeier,
des verſtorbenen Biſchofs gehalten; wurde. F
Zu ber :fircheugefchichtlichen Littexatur gehören nech
die Actenſtückeder theologiſchen: Polemik, in⸗
ſofern dieſe, auch mo fie nicht Anmittelbar, dem Inhalte
und der Form nach, für Die Wilfenfchaften Ausbeute lies
fern, wichtige Beiträge zur geiſtigen Charakteriſtik der je—
besmaligen Zeit abgeben, auch, wie fie ſelbſt won tiefer,
liegenden; Bedürfniffen und Negungen im Geiſte zengenz
alfo auf die Geftaltung. des geifkigen Lebens für bie Zur
kunft Einfluß haben, Kein. anderes Land hat. zu ‚dem
firchlich thenlogifchen Reibungen in Deutichland eine
ſo vollfländige Parallele aufzuweisen ald Dänemark, bie
aber. bei aller Vollſtändigkeit ihre ſehr eigenthümlichen
Seiten hat, einmal biefe, daß bie aufregende Parthei
größtentheild auf gedruckten Blaͤttern ſich ausgeſpro⸗
chen hat,. von "denen e& mit. Wahrheit: heißt, wie Dx;
Myuſter von ihnen fchrieb, „baß man ihnen zu viel Ehre:
than würde, wenn man fie zu unferer theologifchen Litte⸗
ratur zählen wollte”; — fobanı daß dieſe Fehden ſich im:
Danemark gewöhnlich vor deu Berichten mit eben fo. är⸗
gerlichen als nichtöfagenden. Injurienprozeſſen endigen.
Wenn das Unwürdige in der Art. des Satreitens/ Jahre
laug hindurch geduldet, . ellersingd: von: einem Zuflande:
zeugt, wo 88 unter den ſtimmberechtigten Männern, Geiſt⸗
liches und Theologen, an. kräftigem. Gemeingeifte fehlt,
um auf bie religiöfen Urtheile und das fittliche Gefühl
des Volks gehörig einzumirken und dad Treiben einzelnen:
Partheigänger einigermaßen zu zligeln, fo Darf es wicht
überfehen werben, wie viel zu einer fortdauernden trans
996 Te Ueberſicht
rigen Verwirrung der Verhältniſſe eine Geſetzgebung bei⸗
trägt, die dem angegriffenen Geiſtlichen ausdrücklich vor⸗
ſchreibt, den ehrenſchänderiſchen Angreifer gerichtlich zu
belangen, während-fle auf der andern Seite eine befrie⸗
digende Entfcheidung unmöglich macht, indem auch folde
Rechtsſachen, die: ſich um doͤgmatiſche Sätze drehen,
und ohne theologiſche Unterſuchungen ſchlechterdings
nicht entſchieden werben: können, bei den gewöhnlichen
Gerichten verhandelt werben, mit Augfchließung jedes
Einwirkens von Seiten irgenb einer geiftlichen Behörde
auf die Entfcheidung der Sache. Bei alle dem ninımt Ref.
keinen Anftand, die Worte bes fo eben genannten Verfs.
zu den feinigen zu madien: „Niemand fan weiter Davon
entfernt ſeyn, die frechen Angriffe auf die perföntiche Ehre,
die wir jetzt häufig in gebrudten Schriften Iefen müflen,
zu entfihuldigen ; Niemand kann, was darin ſich anf unfer
kirchliches Weſen bezieht, mit tieferem Abſcheu und Schmerz
vernommen haben; dennoch ziehe idy ohne Bedenken die
gegenwärtigen Bewegungen in unſerer Kirche, aller Anss
artungen ungeachtet, bei weitem ber Todesſtille vor, bie
einige Jahre früher -Stast fäand. — WIN man leben, fo
maß man auch Bewegung wollen; und wo Bewegung ill,
da wird dieſe, - wie Die Dienfchen einmal find, manchmal
bösartig- werden, mitunter auch in recht widriger Geftalt
ausbrechen.” . Genauer aufijene Polemik einzugehen, ift
bier der Ort nicht, weil ſie zu der Wiſſenſchaft in Teiner
ſonderlichen Berührung ſteht. Als Die theolog iſche
B-afis kann der ſchon oben angeführte grundtvig'ſche
Satz von: benchöhften und unbebingten Anfes
ben des apoſtoliſchen Symbolums,. ale Des
lebendigen - Wortes in der Kirche, in Glaubensſachen - ans
gefehen werden; auch fiber Glauben und gute Werte ift
mit vielen Worten und trüben Begriffen gelegentlich: ge-
ſtritten worden. Bor Allem aber haben fich die Pole»
miter auf ben Fels ber Staatsgeſetze zurückgezogen, und
d. theol. Litteratur in d. 3 ſcandinav. Reichen. 997
von dort aus mit den Waffen der ſymboliſchen Bücher,
des Königsgeſetzes, des Rituals u. ſ. w. Ausfälle gethan,
dann und wann nicht ohne ſtrategiſche Kunſt, jedoch ohne
Erfolg; nachdem die ungeſtüme Forderung, die mit ihnen
zerfallenen Theologen und Geiſtlichen aus der Staats⸗
kirche zu verweiſen, unbeachtet geblieben war, hat eben⸗
falls das ſpäter eingereichte Geſuch um Bildung einer
felbſtſtandigen Gemeinde nur eine abſchlagige Antwort
bewirkt. Die ganz eigenthümliche Popularität (im aller⸗
weiteſten Sinne des Wortes) in der Beweisführung und
der ganzen Behandlungsweiſe und Schreibart nimmt die⸗
ſen polemiſchen Schriften den Anſpruch, in einer Zeitſchrift
für Theologie und Kirche genannt zu werden. „Schriften,
wie die ſogenannte Monatsſchrift für Chriſtenthum und
Kirche (von dem Paſtor Grundtvig und dem Mag.
Lindberg herausgegeben), mögen in ihrem Kreiſe ziem⸗
liches Auffehen erregen; fie intereffiren aber ben. Fremden
nicht und .werden nur zuflilligerweife, und dann nur uns
vollftändig, im Auslande befannt.” Mit dieſen Worden
Myniters. wird ſich mancher Däne getröftet haben, ber
auf die Ehre feiner vaterlänbifchen Kitteratur etwas.:häft,
and Ref. würde dem Vaterlande und’ dem Auslande feinen:
befondern Dienſt zu leiften glauben, :wenn er. zu einer naͤ⸗
hern Befanntfchaft mit dieſen Schriften beitrüge. Er wirb
fich damit begnügen, zwei Auffätze des Dr. Biynfter, die
ſich auf. jene Streitigkeiten beziehen, namentlich anzufühs
ren: „Ueber Snjurien in gebrudten Schriften” und „Ueber
Das Heraustreten aus der Staatskirche“, nad zwei Schrifs
ten von dem Prof. Elaufen: „Ueber die Stellung ‚des
Injurianten und bes :Injurürten in‘ Dänemark”, und
„Ueber ven kirchlichen Parseigeifl,:ehr:Beitrag zur. theolo⸗
gifchen Polemik im 19ten Jahrhundert.“ Auf die lebtger
nannte ‚Schrift, ‚die: ind::Demtiche. überſetzt ift von. Dem
Paſtor Wolf, kann Ref. Jeden hinweiſen, ee
Data. über-die Befchaffenheit diefer Polemik BR
Theol. Stud. Jahrg. 1834,
998 *. Ueberſicht
Praktiſche Theologie.
Drei Yredigtfamminngen reihen ſich hier au
einander: eine größere, von dem Stiftspropfte Schiödte
in Wiberg (1839—33), zwei Fleinere, von dem Biſchef
Dr. Hertz in Ribe (nah feinem Tode herausgegeben,
1830) und Sem Baker Lautniz (1883). Die zweite
dürfte buch Reife des Goiſtes und edle Einfachheit den
Vorzug vor ben übrigen haben, während Die erſtgenannte
fi) Durch eine mehr oratorifche, mitunter aber zu blumen⸗
reiche und überladene Ausführung empfiehlt.
Kirchliche Caſualreden von Danifhen Saw
selrednerm, herausgegeben don kic. Brammer, Pre
diger, 1832. Der thätige Herausgeber hat Durch Diefe
Arbeit eine Lücke in der homiletifchen Litteratur ausfüllen
und einem oft empfundenen und ausgefprechenen Bebürf-
niffe abhelfen wollen; je willkommener aber ein ſolches Uns
ternehmen jeyn müßte, am jo mehr if Die mißlungene
Ausführung zu hebaueen. „Ein Hauptfehler bei den mir
Wwbaunten Sammlungen von deutfchen Safualpredigten —
ſo caͤußert fich in der Vorrede ber Berf. — iſt dieſer, Daß ed
an Einheit des Geiſtes uud Des Glaubens fehle: was.eine
watürliche Folge davon if, daß Männer verſchirdenen
Glanbens zur. Theilnahme eingeladen werden.” Es Läßt
ſich aus diefer Aeußerung fließen, dag Uebereinſtimmeng
des dogmatiſchen Syſtems Dem Verf. die Regel geweſen iſt,
nach welcher er ſich um Beiträge an feine Amtsbrüder ger
wendet hatz und ſo düßt es ſich denn allerdings erflseen, Daß
gefeierte Eanzelrebner in dieſer Sammlung vermißt wer⸗
. ben, während man auf andere ſtößt, bie ihren Platz nur
jener dogmatiſchen Uebereinſtimmuͤng zu verdanben haben,
daß einzelne in: jeder: Rückſſicht ausgezeichnete Neben Inds
mentlich einige Grabreden des Dr. Mynſter) ſich mit eis
zer Menge mittelmäßiger und einigen ganz fihlechten und
verwerflichen in Gefellſchaft finden, Eine gewiſſe Entäw
Berung des eigenen Eyſtems und. der eigenen Auſichten mag
d. theol. Litteratur in d. 3 frandinav. Reichen.’ "99
wohl die erfte Korberung an einen Sammler ſeyn, wenn
er nicht feinem Unternehmen felbft in den Weg treten will,
Die kirchlichen Eyifteln nebft einer Para—⸗
phrafe, von Dr. Tetens, Biſchof auf Alfen, 1891.
Das Abfingen der kirchlichen Evangelien und Epifteln vor
dem Altar machte einen Theil des Tonntäglichen Gottes⸗
dienftes aus, während über die Epiſtel gewöhnlich nur ge-
predigt wird beim Nachmittagsgottesbienfte, der bloß in
den größeren Stäbten gehalten wird; daher der Inhalt
diefer Perikopen dem Volke ziemlich fremd bleibt, beſon⸗
derd wo aud der Form nnd Sprache und aud dem abge⸗
riſſenen Zufammenhange Schwierigkeiten entftehen. Auf
eine fehr zweckmäßige und die firchliche Erbauung förderns
de Weiſe hat der Verf. hier in einer kurzgefaßten Paras
phrafe den Gedankengang dargelegt und die ſchwierigen
Ausdrücke erläutert; zwar find Die Grundſätze der Ausle⸗
gung nicht überall ftreng befolgt, und die Erflärungen ein
zelner Stellen können von einer willfürlichen Behandlung
richt freigeſprochen werben. Solche Beifpiele aber gehoͤ⸗
ren fo fehr zu den Ausnahmen, daß fi ſi e dem Nutzen biefer
Arbeit geringen Eintrag thun.
Sn ber Liturgie find mehrere Antgelegettheiten ir
diefen Sahren Iebhaft zur Sprache gefommen. Das Ri:
tnal der Dänifchen Kirche ift vom Jahre 1685, und ft = —
wenn die Abſchaffung des Exorcismus und einige unbe⸗
dentende Aenderungen ausgenommen werden — nach dem
Verlaufe von anderthalb hundert Jahren noch immer daſ⸗
ſelbe geblieben. In dieſer Form iſt es in allem Weſentli⸗
chen den übrigen altsIutherifchen Liturgieen gleich, hat
mithin den urſprünglichen Typus echt und rein bewahrt,
daneben aber auch im Einzelnen viel Anftößiges, Unpaſ⸗
fendes, Veralteted, dem es dringendes Bedürfniß ift mit
behutſam beffernder Hand abzuhelfen. Dieſes Bebürfniß
ift in den meiften proteftantifchen Staaten anerfannt wor=
den; und auf wie verfchiebene Art und mit wie verfchiede:
65*
100 - ueberficht
nem Erfolge man ihm abzuhelfen ſich vemüht hat, immer
find dieſe Bemühungen als erfreuliche Zeugniſſe eines le⸗
bendigen Eifers für die Angelegenheiten der Kirche anzu⸗
ſehen. Auch Schweden hat bereits im J. 1811 ſein verbeſ⸗
ſertes Kirchenhandbuch bekommen. Dänemark allein macht
hierin eine Ausnahme, und es könnte ſcheinen, als ſchließe
ſich die dänifche Kirche im Fefthalten eines flarren liturgi⸗
fchen Stabilitätsprincips ber englifchen Kirche an. Dem
ift aber Teinesweges fo. Die Kirchengefchichte bezeugt,
wiein ältern Zeiten die Befugniß und die Verpflichtung, Its
turgifche Veränderungen nadı den Grundfäßen der evanges
lifchen Kirche vorzunehmen, von Seiten der Regierung
anerkannt worden ift durch Wort und That; auch in
neueren Zeiten, nachdem bie angefehenften Geiftlichen,
zum Theil von fehr verfchiedenem theofogifchen Charakter,
der Confefflonarius Baſtholm, die Bifhöfe Balle
und Boifen u, A. das Bebürfniß einer Reviflon der Li-
turgie eindringlich gezeigt, auch mehrere dahin zielende
Borfchläge der öffentlichen Prüfung felbft übergeben hats
ten, nachdem eine zur Reviſion der firchlichen Gefeßges
bung ernannte königliche Commiſſion eben denfelben Ans
trag mit allen Nachbrude erneuert hatte, wurden von der
Regierung mehrere vorbereitende Schritte gethan, aus
denen man auf.eine baldige Erfüllung der lauge gehegten
Wünſche und Hoffnungen fchließen durfte. Indeſſen, wie
es fchwerlich einen flärferen Beweis gibt für Die Dringende
Nothwendigkeit einer Liturgifchen Berbefferung als die Ein⸗
müthigkeit, womit bie Fopenhagener Geiftlichfeit fich im
November 1832 vereinigte, ihr Gefuch unmittelbar an den
König einzureichen, in weldyem geäußert wurde, wie eine
Revifion des Rituald ald durchaus nothwendig anzufehen
fey: fo wird Die der Kirche wie dem Staate gewidmete
Sorgfalt einer väterlichen Regierung gewiß zur Hoffnung
einer baldigen Erfüllung des lange gehegten Wunfches bes
rechtigen.
d. theol. Litteratur in d. 3 ſcandinav. Reichen. 1001
Auf eine hoͤchſt unerwartete Weiſe mußte man ben
60 Sahre hindurch mühfam gebahnten und geebneten. Weg .
zu liturgifchen Berbefferungen ploͤtzlich abgebrochen fehen,
als im J. 1828 die königliche Kanzlei a), die kurz vorher
einen neuen Chef erhalten hatte (den Geh.R. Stemann),
ein Gircularfchreiben ergehen ließ, wodurch ed den Predi⸗
gern eingefchärft wurde, „Die vorgefchriebenen Formulare
genau zu befolgen, ohne irgend Etwas hinwegzulaffen
ober hinzuzuſetzen.“ Diefer energifche Spruch war um fo
nuneerwarteter, als die oberfte kirchliche Behörde dadurch
nicht allein alle frühern Verhandlungen und Maßregeln
ein halbes Sahrhundert hindurch, fo wie alle während
diefer Zeit in andern proteftantifchen Staaten getroffenen
Beranftaltungen zu ignoriren fchien, ſondern fogar dem
factifchen Zuftand des Rituals, an deſſen Buchftaben Die
Geiftlichen wieder zurüdgezwungen werden follten, unbes
achtet ließ. Bei mehreren Firdhlichen Handlungen (3. B.
a) Diefes Collegium, das höchſte Juſtizcollegium, ift zugleich bie
höchſte kirchliche Behörde, und hat als ſolche das Recht des Ents
ſcheidens in allen kirchlichen Angelegenheiten, die nicht unmittels
bar an ben König referirt werden. Es befteht aus einem Prä⸗
fidventen und mehreren Deputirten, ſämmtlich Juriſten. Diefe
vertreten mithin die Stelle der Oberconfiftorialräthe oder geiftlis
hen Minifterialräthe in andern Staaten. Unmittelbar unter dies
fem Collegio ftehen die Biſchöfe. Diefen fleht als Viſitatoren
der Kirchen und Schulen in ihren refpectiven Diöcefen ein ſchö⸗
ner Wirkungskreis offen; in ihrem Verhältniſſe nach oben aber
find die Grenzen allenthalben fo eng und fcharf gezogen, daß fie
nur dem Namen nah ald Bertreter der Geiftlichkeit und Ver⸗
mittler der kirchlichen Intereſſen angefehen werben können; auf
die Ernennung ber Prediger und Überhaupt auf die Leitung ber
tirchlihen Angelegenheiten haben die Bifchöfe gerade fo viel Eins
fluß, als das jedesmalige Perfonal des Zuftizcollegiums etwa eins
zuräumen geneigt ift. Diefe Geneigtheit Tann aber begreiflichers
weife fehr verfchieden feyn. Eine Vergleihung diefer Rudimente
einer kirchlichen Verfaſſung mit einer Organifation, wie fie die
ſchwediſche Kirche hat, ift nöthig, um manche auffallende Erſchei⸗
nung erflärbar zu machen,
1002 Neberſicht
bei der Taufe, der Beichte) waren nämlich im Laufe der
Zeiten venfchiedene Beränderungen geflattet worden oder
von felbk in Gebrauch gefommen, ohne daß zugleich dar⸗
an gebadıt worden war, die Worte des Formulars mit
der Handlung im Hebereinftimmung zu bringen; dieſes
Bermitteln hatte man bie jeßt unbedenklich den Geiftlichen
überlaffen. Jetzt aber mußte die Frage entfliehen, wie die
kirchliche Behörbe wohl ein Ediet verfianden haben wollte,
Dem es nicht einmal möglich fey in allen Fällen Genüge
zu leiften, wenn nicht vorher in den firdhlichen Handluns
gen ſelbſt Verſchiedenes wieber auf die alte Form zurüd
geführt worden war; hierauf war aber nach den verän⸗
derten VBerhältniffen nicht zu denken. Es wurde nachge
fragt, wie der Geiſtliche ſich bei ſo bewandten Umfktändes
zu verhalten habe; die königliche Canzlei erfannte einzelne
Ausnahmen als nothwendig an, ließ aber andere officielle
Nachfragen unbeantworte. — Zu gleicher Zeit wurde
eine neue Ausgabe des däniſchen Altarbuchs
im I. 1829 veranftaltet; die Benugung ber revidirten und
im J. 1819 antorifirten Ueberſetzung des N. T. bei den
kirchlichen Perikopen und fonftigen Bibelftellen abgered;
net, erfchienen hier die Formulare völlig unverändert.
Auf Aenderung einiger von den anftößigften Ausdrücken
hatte der erfte Geiftliche des Neiched, ber Bifhof Mür
ter, bei der nie Kirchenbehörde angetragen, aber
vergebens,
Als die wichtigften liturgifchen Schriften, bei welchen
Ref., was ſich nur auf gefchichtliche Verhältniſſe bezieht,
mit Stillfchweigen übergeht, werden folgende anzufüh:
ren feyn: |
Betrachtungen über das Altarbuch der
däniſchen Kirche, vom Prof. Dr. Clauſen C 1830)
Der Berf. gibt zuerft eine gefchichtliche Heberficht. der ver
fchiedenen Ausgaben des Altarbuchs vom 3. 1555 bis =
die nenefte Zeitz er weit das urfprünglide Berhältu
d; theol, Litteratur In d. Z ftaudinav. Reihen. 1003
Deffelben zu den liturgiſchen Schriften Suther’s nach, fo
wie die allmähliche Ausbildung die einzelnen Jahrhunderte
hindurch, ben. von ben Reformatoren ausgeſprochenen und
von Luther ſelbſt befolgten Grundſätzen gemäß: wenn ſich
in dieſem fleten Zortfchreiten ein wahrhaft proseftantifches
bildendes Princip fund gegeben, der bloßen Stabilitätds
marime nad) der Regel des Hertömmlichen fremd, fo habe
fi die dänifche Kirche nicht weniger Glüch zu wünſchen,
Daß fie ich vonder fpäter eingeriffenen, einfeitigen Sucht
in Der Liturgie zu reformiren frei gehalten, und die alter»
tbümliche,. falbungspolle Form der kirchlichen Formeln und
Gebete bewahrt babe. Um fo leichter werde denn auch
eine Revifion des Ritual, die — nach einer Fangen Epos
che des Stillſtehens, während daß Pie meisten proteſtanti⸗
[hen Staaten mit ihrem Beifpiele vorangegangen — zu.
einem dringenden Bedürfniffe geworden ift, fich ausführen
laffen; um fo mehr aber fey jeder Schritt zu bedauern,
ber von dem erwiinfchten Ziele weiter abzuführen ſcheine.
Als ein folcher müffe Die unveränderte Ausgabe des Altars
buchs angeſehen werden, zumal nachdem die Tünigliche
Canzlei den Verſuch gemacht habe, jedem Buchſtaben deſ⸗
felben wiederum bindendes Anfehen zuzuerfennen. Es wird
zulegt durch Beifpiele gezeigt, wie durch einen folchen Ges
brauch der kirchlichen Formulare in ihrer jegigen Geftalt
die Regeln der Sprache nicht weniger ald die der guten
Sitte verlegt werben, und die Erbauung an heiliger Stätte
gehindert. |
Das mißlide Berhältniß des däniſchen
Predigers zu Dem Ritual Von P.C. Gab, Pres
Diger an der Dreifaltigkeitsfirche in Kopenhagen, 1831.
Ueber liturgiſche Freiheit. Eine Unterſuchung
von bemfelben Berfaffer. 1832. |
Der Berf. unterfeheidet liturgiſche Willkür, Kturgis
fhen Zwang, liturgifche Freiheit. Liturgifche Will⸗
kür if, nad) der Darſtellung bed Vfs., da zu finden, wo
1004 .. . Webefiht
ed entweder dem Prediger frei fleht, den Gottesdienſt im
Ganzen oder in einzelnen Theilen deffelben nach eigenem
Willen einzurichten. Liturgifchen Zwang gibt es da,
wo ed dem Geiftlichen zugemuthet wird, mit buchftäbficher
Genauigkeit fi) an alle Einzelnheiten des Rituals zu bins
ben, ohne allen andern Grund, ale weil ed der Obrigkeit
gefalle, dieſe Worte zu fanctioniren. Liturgifcher reis
heit erfreut man fich da, wo der Geiſtliche an Die litur⸗
gifche Form im Ganzen gebunden ift, nicht an Die einzel
nen Worte, nach richtiger Unterſcheidung des Wortes
Gottes und der Menfchenworte, des Wejentlichen und
bes Unwefentlichen, das Ritual mithin in gewiflen Theilen
nur ald Mufter betrachtet werde, das mit felbitfländiger
Einficht benußt werben folle. Das Rechtmäßige und Noth⸗
wendige biefer Freiheit wird aus der Befchaffenheit der
Formeln felbft nachgewiefen, auch durch die Parallele mit
der den jebesmaligen Umftänden anzupaffenden Anwendung
der Geſetze treffend erläutert. — Der Berf. verfucht fos
bann den Beweis, Daß die ältere Geſetzgebung Dänemarks,
dem Liturgifchen Zwangfpfteme abhold, bie nöthige Freis
heit gar wohl geſtatte. Diefer Verſuch mußte leider mißs
lingen; denn einer Einficht in die höheren Intereſſen der
Kirche, wie fie zu einer Durchführung ſolcher Principien
erforderlich feyn würde, Dürfen fich jene Zeiten nicht rüh⸗
men. Freilich aber müßte man ſich eben beßwegen mit um
ſo größerer Zuverficht darauf verlaffen, daß die kirchlichen
Behörden entweder die Berbeflerung ber theilmeife un⸗
brauchbaren Formulare fich angelegen feyn ließen, oder dar⸗
auf Verzicht thäten, die Zmwanggefeße in ihrer ganzen
Strenge zu erneuern, „Es ift fehr wahrfcheinlich, daß
Diejenigen, die fich damit begnügen, kalt und gebieterifch
Die Prediger an ihr Formularbuch hinzuweifen, eben fo
wenig von der Befchaffenheit Diefer Kormulare und der Bes
flimmung derfelben für das kirchliche Leben einen Begriff
7den, als von dem eigentlich geiftlichen Theile des geiftlis
d. theol, Eitteratur in d. 3 ſcandinav. Reichen. 1005
chen Amtes, und davon, wie ber Yrebiger ſich durch den
juridifhden Machtſpruch in feiner Wirkfamteit verſtimmt
und angegriffen fühlt. Auch mag es feyn, daß was hiers
über gefprochen wird, wenig Eingang findet, und nichtim
Stande ift, die Behörden dahin zu bringen, daß fie ſich in
Die Lage des Predigers, die von ber ihrigen fo verfchieben
ift, verfeßen. Wenn ed aber nur gelingen Tann, eine
wenn auch nur dunkle Vorfielung von dem Eigenthümlis
chen diefer Lage hervorzurufen und davon, wie fchwierig
es für Denjenigen ift, dex außerhalb derfelben ſteht, Miß⸗
griffe zu vermeiden, jo möchte doch immer einige Hoff
nung ba ſeyn, daß nicht vergebens gefprochen fey. Es
ift oft empfunden und oft genug ausgefprochen, daß, je
mehr eine geiftliche Behörde mit den JIntereſſen der Geift-
lichkeit vertraut fey, um fo deutlicher werde fie einfehen,
Daß gebieterifche und zwingende Maßregeln entweber zu
nichts führen oder zu einem fchwerlich gewünfchten Ziele.”
Der Verf. zeigt ferner, wie ſich ein folches Gebot in dies
fen Kalle felbft widerfpreche, indem das Ritual in vielen
Stüden in feiner einzigen Kirche des Landes befolgt werde
oder befolgt werden fünne, und wie ſich alle Gründe und
alle Stimmen dahin vereinigen, Feine Reform, fondern
eine Revifion des vorliegenden Rituale unverzüglid) zu
bewerkftelligen; — ſodann aber wie auch bei einer ſolchen
Reviſion die weſentlichen und feſtſtehenden Theile der For⸗
mulare von den unweſentlichen und beweglichen unterſchie⸗
den werden müſſen. — Dieſe Schriften ſchließen ſich an
die gehaltreichſten Schriften aus dem preußiſchen Agenden⸗
ſtreite würdig an, und Dürfen als wichtige Beiträge zur
Grundlegung einer Liturgit nach echt evangelifchen Grund⸗
fäben gelten.
Ueber den Taufbund. Bon N. F. S. Grundts
vig, Prediger, 1832. Wir geben den Inhalt der Schrift
mit.den eigenen Worten ded Berfd. „Die Kirche hat eis
sen Taufbund mit ung-errichtet, ber in Fragen und Ants
1006 Weberfidgt
morten enthalten it, und durch Die ganze Chriftenheit bins
durch zu finden ift, wo man ihn nicht nach ber Apoftel Zeit
geändert hat. Diefer Taufbund ift von unferer Taufe un⸗
zertrennlich; er muß demnach unverbrüdjlid; gehalten wers
ben; würde der Taufbund bei ber Taufe geändert, fo wä⸗
ve zugleich mit dem Bunde auch die Kirchengrmeinfchaft
geänderte. Zu dem Taufbunde gehört alfe we
fentlih die Entfagung bed Teufels als Des
perſönlichen Widerfahers und Verläumbers
des hriftlihen Glaubens und der hriftlihden
Kirche. Es leuchtet von felbft ein, wie groß der Unter⸗
ſchied iſt zwifchen einer Perſon und einem an ſich leer
and unbeftimmten Begriffe, fo daß die Entfagung bes
Teufels von der Entfagung Des Böfen eben fo
verſchieden ift, al& der Glaube an Vater, Sohn und beis
ligen Geiſt von dem Glauben an Bäterlichfeit, Söhnlich⸗
feit und Heiligkeit. Ueberhaupt aber ift die Frage: ob
dem Teufel oder dem Böfen in der Taufe entfagt werden
folle, eine Frage: vb der Taufbund, in dem alle from:
men Bäter beftanden und gefümpft, erhalten oder abges
fchafft werden folle. Die Chriften vom alten Schrot und
Korn, die treuen Unterthanen des alten Bunbes müſſen
auf den unverleßten Taufbund beſtehen, indem durch
jene Neuerung ihre eigene Gemeinfhaft und
Die ihrer Kinder mit der echten, urfprüngle
ben, apoftolifhen Kirike, Der einzigen Chri⸗
Kengemeinde unter allen Himmelsgegenden,
aufgegeben wird” a).
a) Ein zweiter Hauptpunct in der Liturgifchen Polemik der grundtvig⸗
(hen Parthei ift die Benennung bes heiligen Geiſtes,
indem bie alte Spradform eines befondern Danigmus, „ber Hei⸗
lig⸗Geiſt,“ nad) und nach der fpradjrihtigen Korm „ber heilige Geiſt,
hat weichen müffen. Welche Gefahr aus diefer vermefjenen Reue:
rung bem Glauben gebracht werde, darüber wird folgende Proteflas
tion des Mag. Lindberg Auskunft geben: „Es heißt in unferer
d. theol. Litteratur in d. 3 ſtandinav. Reihen. LOOT
Beleuchtung ber grundtvig'ſchen Schrift
über den Taufbund, von dem Prof. Dr. Clauſen,
2832. Der Berf. führt die grundtoig’fchen Behauptungen
auf zwei Hauptfäge zurüd, deren Prüfung Ref. ebenfalls
mit ‘den Worten des Verfs. in aller Kürze wiedergebew
will. „u Der Glaube an einen perfönlidhen
Teufel, als Widerſacher der, chriftlichen Kirche, fol
nothwenbig und wefentlic zu dem hriklichen
‚
Sprache der Heilig⸗Geiſt, und gar nicht: anders; denn er ift Leis
ne Weberfegung aus dem Deutfchen, und ift nicht ald Ue⸗
berfegung aus irgend einer Sprache zu uns gelommen, fondern ale
der allmächtige Geift der Wahrheit, der die Tiefen Gottes erforfcht
und die Bolltommenpheiten der Sprachen erfennet, und der da weiß,
mit welchem Ramen er genannt und angerufen feyn will, bei weis
chem Ramen er in allen Sprachen erkannt. ſeyn unb auf welchen em.
Antwort geben. will; auch hater felbft unfern Vätern in’s
Derz geflüftert, wie fie ihn richtig benennen follten, Daß
dergleihen Fehler in unferen Zagen fich einfhleichen Fönnen bet
dem Leberfegen aus ber deutſchen Sprade, die eben
zu biefem Zehler in Berfuhung führt, darf uns nid
Wunder nehmen; benn bie todte Grammatik liegt den Meiften weit
näher, als dag lebendige Kirchenwort ; aber gerade daher ift es noth⸗
wendig, auf ſolche Fehler aufmerkfam zu machen, die immer Vers
wirrung erzeugen und zur Nachahmung verleiten, wenn ihnen nicht
widerſprochen wird. Um fo nothwendiger iſt es, auf diefen Uebers
fegungöfehler aufmerkfam zu madyen, als er ſich ſowohl in die Ue⸗
berfegung des Heinen Katechismus Luthers, den das Waifenhaus
mit königlich allergnädigftem Privilegium verkauft, als in die, uns
ter den Aufpicien des Bifhofs Münter beforgte, neue Ausgabe
des Altarbuchs eingefchlichen hat. Diefe Ausgabe des Als
tarbuhs Eönnen daher hriftlihe Prediger, welche ſe⸗
ben, was es bort zu bebeuten habe, gar niht gebrauden,
und mehrere hriftliche Eltern aus der Gemeinde haben daher fchon
verlangt, daß diefe bei ber Zaufe ihrer Kinder nicht gebraucht
werde.” — Wie fehr find bie Dänen zu beneiden um biefes Schib⸗
boleth bes reinen Glaubens, das ihnen ausſchließlich durch eine bes
fondere Infpiration hat zu Theil werden follen! wie ſehr aber bie
Deutfchen zu bedauern, die durch ihre Sprache unverſehens jenem
auserwählten Volke ein Werkzeug der Verfuchung zur Sünde wis
der den heiligen Geiſt geworden find.
1008 Ueberficht
Glauben gehören Bon Seiten derjenigen, bie fid)
auf das apoftolifche Symbolum als vollftändigen Inbegriff
and rechte Schugwehr ber reinen Lehre berufen, ift ſchon
der Widerfpruch hier auffallend, wenn ein Sag, ber Dort
mit feinem Worte angedeutet ift, ale Gegenftand des chriſt⸗
lichen Glaubens aufgeführt wird. Gehen wir auf die heis
lige Schrift zurüd‘, fo finden fich nur Dunkle, aphoriftifche
Andeutungen, bildliche Bezeichnungsformen, Die verfchies
dene Auslegung geflatten, mit verfchiedenen Vorftelungen
fich vereinigen laffen: daher denn aud; die gründlichiten
und gewiffenhafteften Theologen und Kirchenlehrer — aud)
Solche, die geglaubt haben, nach dem Bibelworte, das
Dafeyn eines perfünlichen Teufeld annehmen zu müffen —
anerkannt haben, daß die Neußerungen des Evangeliums,
wenn man bei ihnen ftehen bleibt, zu feinen ficheren,, zus
fammenhängenden, praftifchen Borftellungen binführen,
. daß aber die weiter entwidelte Lehre entftanden ift durch
Einmifchen verfchiedener myftifchen Philofopheme oder
Didytungen, wodurch man allerdings den Vorftellungen
reicheren Inhalt und größere Feftigkeit gegeben hat, zus
gleich aber mehr oder weniger von der reinen Lehre des
Evangeliums abgefommen und dem Manichäismus näher
gerückt iſt. Auch in der fomboleifrigften. Zeit hat man das
her mit geziemender Befcheidenheit die Lehre von Der Gets
fterwelt außerhalb dem Gebiete der kirchlichen Orthodorie
liegen laffen, und diefelbe den Speculationen der Theolos
gen und Philofophen anheim gegeben. Vollends aber als
vermeffene Läfterung klingt e8, wenn man eine Fehre, mit
der e8 eine folche Bewandtniß hat, den wefentlichiten und
eigenthümlichften Hauptartifeln zur Seite ftellt, oder den
Begriff des Böfen für einen leeren und unbeftimmten Bes
griff ausgibt, wenn Diefer nicht durch den Begriff eines
perfünlichen Teufels Inhalt und Feftigkeit erhalte.” Geber
Ehrift, der fich feiner bewußt ift, muß fich über das Grund»
falfche dDiefer Behauptung Nechenfchaft geben können, muß
d. theol, Litteratur in d. 3 ſeandinav. Reihen. 1009 |
fi) es aus. innerer Erfahrung bezeugen fönnen, Daß das
Geſetz der göttlicdyen Heiligkeit in dem geoffenbarten Worte,
das Bild der göttlichen Heiligkeit in dem Leben Chrifti auf
Erden e8 ift, wodurch der Gegenfaß. des Guten: und des
Boͤſen beftimmt und Flar vor feiner Seele fteht, wodurch
Die reine und lebendige Liebe zu Dem Guten, der karte und
heilige Abfchen vor dem Böfen ergengt wird. — 2. Die
Entfagung des Teufels foll bei dem Taufe
bundenothwendig und unerläßlich feyn. Als
Ierdings gehört zu dem Taufbunde die Entfagung alles
Deffen, was dem Chriftenthume widerfireitet, ‘und dag
Bekenntniß des chriftlichen Glaubens. Was. aber die:
Form der Entfagung betrifft, fo find feine Fragen und
feine Antworten, von den Apofteln angeordnet oder von
der urfprünglichen, apoftolifchen Gemeinde überliefert, zu
und gefommen. Nach den Aeußerungen.im NR. X. würde
Die Entfagung der Sünde (die nach Grundtvig eine Vers
unftaltung oder Abfchaffung des Taufbundes ſeyn foll) ge⸗
rade als die biblifche anzufehen ſeyn; denn die Laufe wird. öfe
ters als ein.Abfterben der Sünde, ein Ausziehen der Sünde/
ein Abwafchen der Sünden dargeftellt (Röm. 6,2 —4. Ksl,, 2
11.12. Apg.22,16.), während eine Entfagung des Teufels
nirgends weder bei Erwähnung der Taufe noch in irgend.eis
nem andern Zufammenhange vorkommt. In der alten Kirche
wird fie zuerft von ZTertullian (EB coron. mil. e. 3.) ers,
wähnt; dieſe Form lag der Dentweife ber alten- Welt am
nächftenz Fein denkbarer Grund aber ift vorhanden, daß
Diefe Form als noth wen dig bei der Taufe gelten fol,
Im Gegentheil ift ein Paradoron wie dieſes, daß jene Ente
fagungsform als Bekenntniß eines perfönlichen Teu«
feld gelten folle und daß diefe Auffaffung zu dem Wefen
Der Taufe gehöre, recht geeignet, darauf aufmerffam zu
machen, wie wohl man daran gethan hat, wie in ber
preußischen uud der fächfifchen Kirche, dieſe Form mit eis
ner andern zu vertanfchen oder zu varüiren, fo.daß Fein
1010 Ueberſicht
ſolches Mißverſtaͤndaiß Statt finden kann. Auch werben
fich dieſe Krchen nicht durch Hrn. Grundtvig anihrer Taufe
irre machen Taffen, als ſtünden fie außerhalb der Gemein
ſchaft mit der apoftolifhen, über die ganze Erde verbreite
un, Kirche” -
Pſalmen und geiftliche Rieder von H. A.
Bio rfon cehemaligem Biſchof in Ribe, 7 1769), gefam:
meit and herandgegeben von I. Holm, Lit. d. Theol.
und Prediger, 1830.
Der alte Brorfon nimmt neben Be: um ein hab
bes Jahrhundert Älteren, Bifchof King o, dem getftlichen
Meifterfänger Dänemarks, einen ehrenvollen Platz ein,
und es Tieße ſich aus feinen Liederfammlungen eine ſchoͤne
Auswahl machen, die — bei gehörigen Aenderungen im
Einzelnen — zu feiner Zeit die erbauende und geifterhe
bende Wirkung verfehlen würde. Dieß war auch bei dies
fer Sammlung die wohlgemeinte Abficht des Herausge⸗
bers. ‚Freilich aber mußte dieſe Abficht vereitelt werben,
wo in einer ganz bolftändigen Ausgabe dad Schlechte ne
ben dem Buten, das Beraltete neben dem niemals Altern,
den einhertritt, wo man, überfättigt von den einförmigen
and übertriebenen Schilderungen, Kraft und Muth ver
Kert, die umbergeftreuten poetifchen Schönheiten hervor⸗
äufuchen. Hoffentlich geht es nicht länger, die Andacht auf
Koften des gefunden Ginnes und des reinen Gefühle er
zwingen zu. wollen; and, Damit geht ed nicht länger, wie
ber Herausgeber meint, die Abneigung gegen bergleichen
Voriielungen mit der „Abneigang gegen die chriſtli⸗
Ken Grundlehren von der Erbfände, der freien Gnade
Gottes, der Sean durch Chriſtus“ identiffciren zu
wollen.
Wenn 8 — ein Mißverſtehen der geiſtigen
Bedürfniſſe iſt, Andachtsbücher aus einer entfernten Vor⸗
zeit wieder in unveränderter Form ins Leben hineinführen
“zu wollen, fo erſcheint das Wirken Derer um fo erfreulis
d. theol. Kitteratur ind. 3.fandinav, Reichen. 1011
cher, bie im Geiſte ben beiten Borbilbern der Vorzeit ich
anfchließen, ſelbſt aber fchaffend und erzeugend mit eigener
Kraft und Fülle des Geiſtes Die Stelle Jener inter ihren
Zeitgenofien vertreten. Auch hinfichtlich bes geiſtlichen
Liebes thut dieß in Daänemark Noth. Das kirchliche Ge⸗
fangbuch iſt in feiner jetzigen Geſtalt einige und dreißig
Jahr alt. Das Bedürfniß einer Neviſion des kirchlichen
Geſanges wurde damals allgemein und mit Recht. aner⸗
fannt; eine Zeit aber, die ſich unter allen Geiſtesgaben
eimes lebhaften Siunes für Die Höhere Dichtkunſt am wenig⸗
ſten rühmen darf, fonnte jenem Unternehmen wicht günſtig
ſeyn; anftatt den alten Liederſchatz mit frommer und ſorg⸗
fältiger Hand zu venutzen, wurde das Abkürzen und Aen⸗
bern ber Fräftigften Lieber ſchonungslos getrieben, und ſo
kam ein Geſangbuch heraus, das, bei vielen unverfennbas
zen negativen Borzügen, den höheren Furberungen des
Glaubens und Dur Andacht nicht Genüge leiſtet. Um fd
mehr ift aber der höhere Aufſchwung ber Dichtkuuſt in den
betztern Jahren der düniſchen Pſalmodie zu Gute gefoms
men; vorzägticdh (md Grundt vig md Sungemann bien
an nennen; unter. ben früheren Pſalmendichtungen des Erw
fern. möchten ringelue zu. den Schönften gehören, was
die geiftliche Dichtkunſt aufzumeifen hat. Zu ben ——
Verſuchen in dieſer Gattung gehören.
Geiſtliche Bedichte und Lieder, von J. ⁊c.
Boye, Prediger (1830), Beiftlihe Grſange yon
J. Tim m, Prediger (1038). Die Jette Sammlung ſteht
jedoch ber boye'ſchen bedeutend nach; nur in dieſer iſt dis
teriſche Kraft mit Klarheit des Gedankens verbunden. — :
In der zur Theologie gehörenden Heriodifchen Fitteras
tur find in ben lebten Jahren bedeutende Aenderungen
eingetreten. Die eine lange Reihe von Jahren ameureı
beftandene theol. Zeitfhrift des Prof J. Möls
ler (früher unter. bem Titel „theol, (und neue theol.) Bis
bliothel,” nachher unter dem Zitel: „Zeitfchrift für Kirche
1012 . nueberſicht
und Theol.“), die ſowohl als Repertorium für Abhand⸗
lungen und Auffäße von theologiſchen Mitarbeitern, als
durch bie zahlreichen, befonders gefchichtlichen und paſto⸗
ralstheologifshen,. Arbeiten des Herausgebers, zur Förde
zung ber. Wiffenfchaft und zur Belebung des wiffenfchaftlis
hen Sinned, ſehr wohlthätig gewirkt hat, iſt Durdy ben
Tod des Herausgebers befchloffen. Unerwartet, nach eis
ner plöglich eingetretenen Krankheit, wurde der unermüs
Det thätige, um die Wiffenfchaft vielfad; verdiente Mann,
einer der fruchtbarften Schriftfteller Dänemarfs, Dem Le⸗
ben entriſſen in.einem Alter:und einer Kraft, Dienoch fange
fortgefeßte Thätigfeit zu verfprechen ſchien.
-.. Dagegen erfcheiat feit Neujahr 1832 eine Kirchen
zeitung a), die vonden Predigern Ibſen und Welten
gand. und dem Adjuncten Kalker angefangen wurde,
and pen den zwei lebtgenannten fortgefebt wird. Wenn
auch Diefe Zeitung bis jetzt ſchwerlich von beſonderm Ein-
flufle gemefen ift, fo fteht Doch von.dem dadurch erleichters
tem gegenfeitigen Einwirfen der Geiftlichen nur Gutes zu
erwarten, um fo mehr. ald nach Der ausgefprochenen Ten⸗
denz des Blattes nur ber fchroffen, unduldſamen Einfeitig-
keit das. Wort :verfagt if. Auf noch mehr unmittelbare
Weiſe wird ein regeres wiflenfchaftliches Leben anter den
Geiſtlichen durch die zu Neujahr 1833 von den. Profefforen
Slanfet und Hohlerberg angefangene „Zeitfchrift
für auskändifchetheonlogifche Literatur” geförs
- dert. Um die Kenntuiß der theologiſchen Riteratur befons
daB Deutſchlands in weiterem Kreife zu verbreiten, werden
bier. Ueberſetzungen mitgetheilt. — theils vollfländig,.theile
im Auszuge — von Schriften, Die für Die. theologifche Wifs
feufchaft oder das Firchliche Leben wichtig ſind, indem bes
a) Diefe Kirchenzeitung darf mit einer fogenannten „norbifchen Kirs
chenzeitung“ nicht verwechfelt werden; fie wirb von dem Mag. Einds
.berg hevalisgegeben, und iſt gegenwärtig bad Organ biefes Bfs.
und einiger mit ihm verbundenen Männer.
d. theol. Litteratur in d. Z ſcandinav. Reihen. 1013
deutungsvolle Richtungen in .ihmen bezeichnet oder Bei⸗
träge zur Erläuterung uud Berichtigung: michtiger. Mo⸗
mente gegebeu werben, die zugleich: Antnüpfungspunete
für ähnliche fortgefeßte Unterfuchungen barbisten:.s Der
erfie. Jahrgang (o. 50. Bogen) enshält. leberfeguugen ner»
fchiebener , Schriften. und Auffübe von Bähr, Hagen,
bad, Neander, Ols hauſſen, Schleiermaden,
Sieffert, Ullmann, UBER ° else Zim m er⸗
mann u. A. | ‚2... 2600
Noch muß hier eine Eollectiovſcheift genannt werben:
Borlefungen, beider Goneurrenzg.zur.erbedigs
tea. Stekle,in. der theol. Facultät- gehalten und
herausgegeben von den Licentiaten d. Theol Eugels h oft
and Hald (4833) 2). Die aufgegehenen Materien warer:
Epist..ad Coloss. I. 13——23. — Orse..loel. II. 1.-1V.8.—
Kritifche Darftellung ‚der. batheliſchen Kirchenlehre von der
Tradition, nebſt Beurtheilung der dogmatiſchen Wichtige
keit des Traditionshegriffes — Gefrhichtliche Darfiellung
der charakteriſtiſchen Verſchiedenheiten der orientaliſchen
amd der vecihentalifhen Kirche von Conſtantin d. Sir, bis
zum Anfange des Bilderfreites — lieber den Werth der
Beitrebungen der Philofophen, sinzelne Beweiſe für. das
Daſeyn Gottes zu conſtruiren — Entwickelung der, chriſt⸗
lichen Lehre von der Pflicht und der Tugend der Wahr⸗
haftigkeit (das Letzte als Then eines en irten ar
wage -- ee ia
SEN EEE NR
a) Die Statuten der Eopenhagener Untverfität‘ verordnen eine öffents
liche Concurrenz in folden Fällen, wo bie Anſpruͤche der Competen⸗
ten fi gegenfeitig has Gleichgewicht zu halten ſcheinen. Bei der
legten Vacanz concurrirten die Licentiaten Engelshoft, Fenger,
Hald, Die Genforen (außer den Mitgliedern ber Facultaͤt, ber Bis,
ſchof und der Eönigl, Confeffionarius), entfchteden ſich für den Erſt⸗
genaunten, der zum Lector d. Theol. (jest — — ) ei?
nannt wurde, - a ee . i
Theol. Stud. Jahrg. 1884. Mn ———— . SB, ort:
10 N Ueherſicht
Norwegen—.
KRplietolae Paulinae, perpetuo commertstis
Mhustratse, in usum studiosee iuventutis, von Dem Prof.
de Theol. in Ehriſtiania J 8. Stentirfen.: Dieymei er⸗
ſten Bände -chber: den Romerbrief und den. erſten an bie
Kurier) ſindbis zetzt heraus gekmmen. Diefer Conimen⸗
san empftehlt ich durch einen Geiſt wahrer Sodinmigkeit,
Den über Die ganze Behandlung Leben und Wärute auf
wohlthuende Art verbreitet, und überall bemüht IR, in:bie
ꝓuuliniſche Dentweife tiefen einzubringen und den‘ chriftlis
chen Schalt vor Allan in Worten darzulegen; ein Bemã⸗
den, dad. zugleich durch eine ſchöne Gabe der Deutlichkeit
unterüpt. wird. "Andere and. höhere Yorberungen ſcheint
der Verf. ſelbſt nicht an feine Arbeit gemacht zu haben.
So wie er. in- ber. Vorrede des erſten Banded (1929) vor
den eregetifchen Werken aus den: vier. letzten Decennica
warnt, als die „Ber. Jugend michd ohne: große Befalye:für
dieſelbe und fur die Kirche in Die: Haude gegeben werben
Rönnen,” and nuütor⸗ allen jetzt lobenden Schriftauslegern
Tho bu d ald.den: einzigen ausnimms, ber „mit den nöthi⸗
gen Gaben der Frömmigkeit, der Gelehrſamkeit und bei
Glaubens ausgerüſtet und gleichſam von Gott berufen ſey
zum Auslegen des N, Velts.:” fo gibt er ebendaſeldſt das
Goftäͤudniß, daß „er Alles in feinem Werke, was tiefere und
grundlichere Gelehvfamkeit zu verrathen ſcheine, Andern zu
verdanken habe, und größtentheils eben den Männern, des
ren Commentare er hinſichtlich der darin enthaltenen Lehre
in hohem Grabe tadeln müſſe;“ auch habe.er. auf ſelbſt⸗
ſtändige Unterſuchungen über die geſchichtlichen Verhält⸗
niſſe des Apoſtels und ſeiner Schriften um ſo leichter Ver⸗
zicht gethan, Ks die Refültate derſelben „faſt niemals bie
Grenze der Preobabilität überfchreiten,” und die Stellen
der panlinifchen. Briefe, beren Erfläuung Durch bergleichen
Unterfuchungen gefichert werde, „äußerft wenige find, und
niemals, ober doch fehr felten, mit der ſeligmachenden
d. theol. Litteratur in d. 3 feahbinav. Reihen. 4025
Lehre felbft fo genau zufammenhängen, daß ſelbſt aus ber
ſicherſten und genaueſten Erflärung folder Stellen Iugend
ein beſonderer Gewinn der fellgutuchenden Lehre folle zu⸗
ießen tönuen Nach Diefen Aeußerungen wird Niemand
Den firengern Maßſtab ber Wiſſenſchaft bei der Wurdigung
diefes FSommentars anleg en wollen. Der Df. bekennt fich zur
zu den Grundſätzen ber grammatiſch⸗hiſtoriſchen Yusles
gung; die Begriffsbeſtimmungen dieſer Grundſätze aber
find eben fo unbeftimmt, als ihre Durchführung ſchwan⸗
kend; den philologiſchen Angaben fehlt es an Genauigt⸗
beit und Richtigkeit, und die Thesrieen des kirchlichen Dog⸗
menſyſtents — überall mit den —
ibentificien. Fr
Ben Set, der Ideen⸗ anuder Siiaetmem.
Ein phils ſophiſches Teſtament von. Trefhow, 3 Theile
gıe3l, 32). Dev Bf, weicher wor kurzem, als ein achtzig ah⸗
ziger, jngendlich⸗kraftiges Greis, nach einem ſchönen Leben,
Der Forſchung nud der Mittheilung durch Rede und Schrift
geweiht, zur Ruhr heimgegan gen if, hat in dieſem Werke zu⸗
Fammengefaßt, „wis er nach mehr als60jährigen Forſchuu⸗
gen, unit großer Mißbegierde und biner⸗ uncingeſchrankten
Freiheit zu ſchreiben, wie er gedacht hat, zugleich mit groͤße⸗
ver Neigung, früher. enpfangene Lehren, Die er Heber ger
wäauhtiihkttebeätigkals winerlegt zu ſinden/ zudezweifeln,
als feſtzuhalten, als letzte Reſultate des Denkens hat her⸗
ausbringen kannen; "ein: edles Dentmal beſennener,
wahrheitöfiehenter Forſchung, mit auſogebreiteten Keuntniſ⸗
fen in dem verſchiedruen Mobieten Der Natur und des Geiſtes
verbunden. Wahrend das zweite Buch (über die Sinnen⸗
weit) eine Art von Natuephſtloſophie enthält, — dee Ver⸗
finffer war dem Identituts⸗ Syſteme entfihieben zugethan ⸗,
Das dritte Buch (vom der Offenbarung der idealen Welt
in der ſtunlichen) Unterfuchnagen über die Beflimmung und
Das Fertſchreiten des Meunſchengeſchlechtes in religiöſer
und fistiher ſowohl als in wiſſenſchaftlicher und bürgerki
66
4016 —— Neberſicht
cher Hinſicht enthält, iſt das erſte Bud; (von Gott und der
idealen Welt) theologiſchen Inhalts; auch verſchiedene, po⸗
ſttive Religiouslehren find in die Unterſuchung mis hinein⸗
gezogen, um den tiefern Wahrheitsgehalt derſelben nach
den. Principien des reinen Denkens nachzuweiſen. Unter
bem. vielen Eigenthürilichen findet ſich allerdings nicht Mes
niges, ‚was ſqhwerlich eine jchärfere Prüfung. aushalten
wärbe;-überall oben; wird ſich der Lefer durch Den Geiſt
des Forſchers fo angeregt als Durch den eit ber Fröm⸗
— ‚angezogen fühlen.
Dre. Herruhnter v der die ———
Brüder von. J. Haſſelb ex g, Prediger. 1830, Die Ge⸗
ſchichte Zinzendorffs macht die Hauptparthie der Darſtel⸗
lung aus; zugleich aber wirh die geſchichtliche Abſtammung
Zer Herrvhuter von den Huſſiten nuchgewieſen, fo wie
Die Verwandtſchaft mit-ben penerſchen Pietiſten. Die Dar⸗
Kellung it. in populärem Style gehalten, und iſt als ſehr
gelungen anzufehen,. eben. Durch ihre Ruhe und Einfach
hejt, anſprechend; Die Quellen ‚find gut und mit gehöriger
Freiheit benutzt. Dex Verf: gibt ſich unnerhohlen.:als
Freund und Geiſtesnerwandten der Brübergemeindergu-ers
kennen, und er iſt geneigt, quch die Verirxungen derſelben
in mildeſten Lichte darzuſtellen; da er jedoch überall auf
diefelben, aufmerkſam ‚macht una dr allen Ereentrieitäten
auhold zeigt, ſo möchte die Liebe zu dem, behandelten. Ger
genſtande den Werth Der: Danellung nurnerhöhen.
. Synch ronäiſt iſche Tafeln zu Dam ſtener ſen⸗
Shen: Lehrh. Dex Dirchengefchichte, von J. ©.
Di etr ichſ ou, Cand. da Theol. As2), geben ein branch⸗
bares, mit Fleiß ausgearbettet⸗s Hütfsmiſtel für die ala⸗
demiſche Jugend: Dex Varfiiſt ſputer als Lector * Theol.
An der Univerſität in, Khriſtichia angeſtellt,
Fiür den Unterricht in den Volksſchulen Re ein Lehr
buch der Bibelgefhichte:im J. 1832.00n: Dem Prof.
d, Theol. Harſleh erfchienen;. das won demſelben Vers
d. theol. Litteratur in: d. 3 ſcandinav. Reihen. 1017
faßfer vor mehreren Jahren herausgegebene ausführlichere
Lehrbuch, eine in vielen Rückfichten ſchützbare Arbeit, word:
noch immer in den gelehrten une Norwegens. fowohl
ald Dänemarks benust. |
Bor dem Prediger in Ehriſtiania, Wexels, einem |
fruchtbaren afcetifchen Schriftfteller, find mehrere Er⸗
bauungsbücher erfchienen; fen „Andadhtsbucd für
Das Bol!” Hatfchon mehrere Auflagen erlebt; bei Vers
anlaffung der Subelfeier der augsb. Eonfefflon gab er eine
populäre dogmatifch »polemifche Schrift heraus unter dem
Titel „nase. Bekenntniß, bas mit der Zeit nidt
wecfelt” Bei dem warmen Gefühle, das überall in
Diefen Schriften hindurchblickt, und dem gewiß redlichen
Eifer, der den Verf. zur Schriftftellerei antreibt, ift es zu
bedauern, daß eine große Befangenheit des Geiftes ihn
innerhalb des engen Kreifeg einer ftarren Orthodorie unb
einiger grell ausgeführten polemifchen Gegenfäe gebannt -
halt. Beſonders auffallend liegt das Verkennen feiner
Kräfte und feines Berufes am Tage bei dem Unternehs
men einer Firchlichen Zeitfchrift, Die feit dem Anfange
Des J. 1833 von diefem Verf. herausgegeben wird, Die
Rahrung wird kümmerlich aus den 'Difteln und Dornen
der Polemik in. Dänemark gezogen, und die hier bereitd
verhallenden Töne der Partheificcht erklingen dort wieber
in ihrer ganzen Schärfe. Diefer Geift ift es nicht, der .Se-
gen fchafft in einem Lande, wo Hauge’s Schriften noch im«
mer in neuen Auflagen das Volk erbguen. —
| Schweden.
Encyclopädie und Bibelſtudium.
Ueber das theologiſche Studium, mit be
fonderer Rüdficht auf Schweden, von H. Reuterdahl,
Probſt in Lund. 1832, „Inwiefern das Aufblühen bes
theologifchen Studiums etwas .Gutes und Erwünfchtes .
ſey, inwiefern man es fürbern folle und. des Emporkom⸗
1018 . . .: Weberfidt
mens deſſelben fich freuen, auſtatt Heber die Schwingen det
alten Vogels zu befchneiden, um alle dem dadurch verur⸗
fachten Ungemache zu feuern und Eünftig fowohl dieſen
als dem Fühnen Fluge vorzubeugen: dieß tft eine Frage,
Die unter den germanifchen Bölkern ſchwerlich irgendwo,
außer in Schweden, einer Erörterung bedarf.” Diet
Worte des Berf. geben dem Standpunkt an, auf welden
er fich geftellt hat, indem er gegen die Behauptungen:
bie Theologie dürfe auf Den Namen einer felbfiftändigen
Wiſſen ſchaft feine Anfprüche machen, bie einzehnen Diſci⸗
plinen derfelben müffen unter Die verfchiedenen Hauptfäs
cher der Philologie und Der Geſchichte, dee Philöfophie und
der Pädagogik vertheilt werden, — die Sache ber theolb⸗
gifhen Wilfenfchaft führt. Eine Ueberſicht Der theologi⸗
fihen Difeiplinen in ihrem gegenfeitigen Berhäftniffe, ihrem
Zuſammenhange mit andern Studien, ihrer Bebentung
für dad gefammte menfchliche Wiſſen and für die Förde⸗
zung des firchkichen und des ſtantsbürgerlichen Lebens, —
it die Widerlegung jener Boruribeile, bie auch da, we ft
keifer und befcheidener herwortreten, eine Wiberlegung er⸗
wünſcht machen. Diefe Ueberſicht hatder Verf. mit Geiſt und
Klarheit gegeben, und daneben auch über Den wiffenfehaft,
lichen Zuftand feines Baterlandes anzgiehende Darſtellun⸗
gen mitgetheilt; über die Hinderniſſe, Bie dem litterariſchen
Verkehr und namentlich einem frrieren Schwunge de
theologifhen Studiums entgegenfichen, ſpricht ſich der
Berf. mit eben fo großer Wahrheitöliche und Sehnſucht
nach einem beffern Zuftande, als Mäßigung und Billigfeit
ans. „ES gibt in Schweden”, heißt es unter Andern,
„ein in vielen Hinſichten fchönes bärgerliched Gefammtles
ben, ein noch fchöneres religiöfes Geſammtleben; aud
hinſichtlich der Kunſt hat man angefangen, ſich unter
einander Die Hänbe zu reichen; die Belchrien in Schwe⸗
den aber, Die Naturforfcher vieleicht ausgenommes,
find alle Einfiedler. Die Angahl ver wiſſenfſchaftlich ger
!
d. theol. Litteratur in-b, 3feamdinav. Reihen. 1018
Vildeten Menuer iſt Anßerft gering, und dieſe Teben durch
eine · Entfernung von 60 — 60 Meilen yon einander ge⸗
trennt. u Was die Univerſitäten betrifft, fo moͤgen dieſe
noch fo ziemtich die eine Seite der ihnen obliegendeht Vers
WHlichtung erfüllen, dem Staate feine Beamten burch Un⸗
terricht und Erantination zu bereiten; 'wir wagen es aber
nicht zu behaupten, dab fie der andern Seite Benüge lei⸗
ften, die Hrimath des Wiſſens im ganzen Umfange
und in der ganzen Vollſtaändigkeit deſſelben zu ſeyn, Mes
pırbiilen, in denen bie Wahrheit das einzige Prineip, das din
zige Beftreden, der einzige Endzwed ift, die Wahrheit aber
in allen Richtungen amd allen Thätigkeiten der intelligenten
Krüfte, Der Tiefe wie der Höhe, der Weite wie der Breite
grad, in Der Kunſt und im Reben, wie in ber Abftraction
und: Sontemplation, Diefed darf von den ſchwediſchen
Univerfitäten nidyt behauptet werden. Sie finb dafür in
mehr als einer Hinficht zu arm, zu ſparſam, vielleicht zu
wenig forgfältig befeßt, zu wenig gewürdigt und ſelbſt ein?
wiffenfchaftliche Gemeinfchaft zu wenig würdigen®. Man
fieht bei Denfelben manche Ameife ihr Korn deehin ſchlep⸗
ven; aber das Korn wird felten gefammeltz und es ifk
ſchon gut, werm die Ameifen wicht, nachdem fie ſich behag⸗
ich daheim finden, Die Arbeit ganz einftellen, oder ſich
noch wohl einer Wirkſamkeit hingeben, noch unwurdiger
als die Ruhe felbſt. — Noch vor wenigen Sahren wußte
man kaum, DaB es eine auslandiſche Litteratur gebe, noch
weniger Tannte man die alljährigen Productionen derſel⸗
deitz ein glückliches Beftien führte uns einen fremden Büch⸗
handker zu: er macht Epoche in der Gefchichte unſers Buch⸗
hundels, mithin duch in der: Geſchichte unſerer Kitteratur; —
die zwrite oder Dritte Generation nach uns wird fidh viel⸗
leicht auf dem Mandie- befinden, Den unfre Nachbarn jen⸗
ſeits ves Sundes gegenwärtig eimehmen. — Da es mit
ben Wiffenſchaften im Allgemeinen beiund wenig erfrenlich
ſteht, Dürfen wir nicht erwarten, daß die Lage der Theo⸗
I Pa: us En, z 2 .. 4
logie gut feyn folle; fie iſt eher ſchlechter als beſſer wie bie
Lage ber andern Wiſſenſchaften. So iſt es jsedoch nicht
immer. geweſen. Wie die Könige Schwedens und das
ſchwediſche Volk ſich ıt Eifer der. Reformation anſchloſſen,
ſo wurden von den Gelehrten Fortſchritte gemacht in der
Wiſſenſchaft, die durch die Reformation neues Leben ges
wann. Im LGten Jahrhundert find wir freilich nicht weit
vorwärts gerückt. Um jo viel befier aber ward der Zufland
im 1Iten Sahrhundert. Lanius, Stiggeliug,. Emporagrius
waren Männer, die zu ihrer Zeit hinter feinem Andern zus
rückſtanden. Es verfteht fich von felbit, daß fie. als Theo⸗
logen größtentheild nur den Forderungen ihres Zeitalters
entfprechen konnten. Ihre Stärke war eine ſcholaſtiſche
Dogmatik und eine rüftige Polemik; bie erftere beherrfchte
ganz und gar ihre Eregefe, Die leßtere ihre Geſchichte; auch
waren fie in ihrer Dogmatif und Polemik unbewegliche Ris
guriften. Neuere und freiere Meinungen wagten es nicht
bas Haupt zu erheben; ber im Geiſte Des Calixt auftres
tende Johannes Matthia -wurde zum Stillfchweigen ges
bracht, mitunter auch verfolgt, und der geiftesähnliche
Tarſarus hatte auch feine Trübfale, ald Folge des Iuthes
rifch » prthodgren Eifers, der in Schweden, nicht weniger
firenge als in Dentfihland war. Ein erfolgreicher Impuls
kam npch hinzu.burch Die, neue Univerfität, Die in Der letz⸗
ten Hälfte des ITten Jahrhunderts errichtet wurde in Lund.
Auch hier traten Theologen auf mit großer Strenge, zur
gleich. aber mit Kenntniffen, die ‚fie vollfommen würdig
ihrer Zeit machten. Dieſes Verhältniß in Schweden Dauerte
bis weit in das 18te Sahrhundert hinein... Daß man nod)
in der letzten Hälfte deſſelben weit davon entfernt war, ber
Orthodoxie etwas vergeben gu wollen, erhellt am beiten das
raus, daß das ziemlich unfchuldigebogmatifche Compendium
. von Michaelis, nach dem Antrage Des Domcapitels in Upſa⸗
la, im Ss. 1763 durch ein Tönigliched Edict verboten wurde. —
Unter Der Regierung Chriſtian des Dritten fingen Die Sa⸗
⸗
d. theol. Litteratur ind. 3:fcaabinav. Reichen. 1021.
chen an eine neue Geſtalt auzunehmen. Franzöſiſche Rhi⸗
loſophie und franzöſiſche Wiſſenſchaft wurde als der wort
zůglichſte Gegenſtaud des Studiums angefehen;. weil aber
weder die eine noch die andere Religion und Kirche ſon⸗
derlich hoch ſtellte, durfte die Theologie auch auf keine be⸗
ſondere Achtung rechnen. Die Theologen und die Jünger
derſelben fanden in ihrer Zeit keine Aufmunterung; ſie be⸗
ſchränkten daher ihre Wirkſamkeit immer mehr, bis dieſe
zuletzt völlig einſchlief. Anſtatt mit offnen Augen ber Zeit
nachzufolgen, anftatt an ben neuen Arbeiten Theil zu nehmen,
Die infonderheit von Den dentfchen Theologen angefangen
nourden, überließ man ſich noch immer einer unthätigem
Ruhe, in dem Wahne, Daß die alten Zeiten noch fortdauer⸗
ten, und daß bie. Keger fich durch die won alter Zeit her.
fertigen Syllogismen todtſchlagen ließen, oder man betete
Voltaire an und wetteiferte mit den frangöfifchen. oder
franzöſiſch⸗ deutſchen Predigern des Nützlichen. Auf. dieſe
Weiſe verſchwand das Leben aus der Theologie in Schwer
ben. Da man nur die Wahl zu haben glaubte. zwis
fchen Freidenferei und einem unbeweglichen Feſthalten au
dem Alten, und man vor der erſtern Scheu hatte, fo war.
nur ber andere Ausweg übrig, and man a fich zur Dur
mit einbalfamiren,”
: Der Verfaſſer macht ferner. auf verſchiedene äußere
Berhältniffe aufmerkfam, die nicht. weniger nachtheilig auf.
bie theolsgifche. Wiffenfchaft: gewirkt. haben: vorzüglich,
daß die theologifchen Lehrfühle an ben-Univerfitäten durch
die höhere Befoldung Bewerber aus andern Farultäten
herbeisiehen, indem, um einen folchen zı erhalten, weiter
nichts erfordert: wird als ein theologifches Specimen, wel⸗
ches bie Kräfte eines mit guten Elementarfiudien ausgerüsr _
ſteten Academicus nicht überfteigt; — fadann aber ‚auch,
daß die theologifchen Facultäten bis quf die neneften Zei⸗
ten fo gut ald gar feinen Einfluß auf die Bilbung der künf⸗
tigen Geiſtlichen gehabt haben. „Mlerdings war. es vers.
OR en
örönet, baß.biefe Unterricht won den Lmiveriktssscheos
Iogen.empfangen follten s allein Da über die Art und Weiſe
nichts vorgeſchrieben war, auch Feine Gehfung. bei ben
Facultaten ſelbſt verordnet, ſondern nur bei den Domea⸗
pitein, fo war jener Befehl ohne alle Wirkung geblieben.
Birle Prediger wurden erbinirt, ohne an irgend einer Uni⸗
verfität eine eingige eigentlich theologiſche Borlefung ges
hoͤrt, oder:eine einzige theologifche Frage ‚beantwortet zu
haben. Durch die Errichtung der Seminarien wurde beis
aahegar Feine Szülfe gegeben. Diefe Anſtalten waren ihr
rer Natur nach bloß praktiſch; unb wenn fie auch in prak⸗
siicher Hinficht von Einfluß waren, fo blieb biefes auf bie
Theologie als Wiffenfchaft ohne Wirkung. Es müßte dem⸗
auch wohl zugegeben merben, daß der theologiſche Unter⸗
richt ſchwerlich ſchlechter organifirt ſeyn könnte, als es im.
Schweden der Fall war, und daß bie ziemlich zahlreich
und koſtbar beſetzten theolog. Facultäten nicht, wie man es
häste erwarten können, Die Leiter. Diefes ‚Unterrichts ſeyn
konnten. Dirfes it von dem Berf, weiter ausgeführt wor⸗
dan in.einem befondern Auffage: „Das Seminarium
in Rund; Hiſtoriſche Ueberſicht“ Cihesl. Quar⸗
talſchr. 188Ä, 4, 5). Das Unzureichende ber, jetzt aufge⸗
hobenen, Paftorals Seminarien ift hier gezeigt, daneben
uber auf. die Ausſicht hiugewirſen zu einem erfreulicheen Zus
ſtande der Theologie, als Folge der. fönigl. Berordnnungen
som 12. März und 17. September 1831, dudch welche fl
ein volfländiger theologiſcher Curſus Em jeden angehen
bes. Prediger angeordnet Hl. —
Das Neue Teftament, mit. einer Borrede des
weit, Probſten Schar tau, nebſt Barallelfiellen und
Erläuterung der veralteten vdenungewöhnlichen Wör⸗
ter und Aus drucke. 1030. Der Text der Ueberſetzung aus den
Selten der Reformation iſt hier wiedergogeben, und zwar
sit. :der- ſorgfaͤltigſten Genauigkeit: dieſes Unternehmen
mag feine: Seite haben, indem es nicht zu
24 — 5 —
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d. theol. Litteratur in d. 3 ftaadinav. Reichen. - 2023
billigen ift, wenn in verfchkebenen ſpatern, zum Theil von
ber englifchen und der fchwebifchen Bibelgefellfchaft verans
flalteten, Ausgaben der h. Schrift das Bibelwort nach
Gutbünfen geiubert worden it. Indeſſen iſt eine Ueber,
ſetzung des N. Tefk., die, um einigermaßen verſtändlich zu
werden, eine Elavis auf 22:Seiten nöthig hat, immer ein
Uebel; und fo wırb man von zwei verſchiedenen Seiten
anf bie KRothwendigbeit einer von Seit zu Zeit erneuerten
Neviſion Der autoriſteten kirchlichen Ueberſetzung geführt.
Paraphraſe des größten Theils des N.T.
mit Einleitungen und LAnmerkungen, von Dr. Dedma un.
1832. Der Bf. war ehedem Prof. d. Theol. in Upfaln, und
das Werk iſt nach ben Heften feiner Znhörer herauſgege⸗
ben, aber ohne die gehoͤrige kritiſche Sorgfalt. Buch in Diefen
unvolikommenen Geftalt erfcheint inbeffen biefe Arbeit ad -
Die Frucht grünblicher philologiſcher Forſchungen und eines
fcharfen und feinen eregetifchen Blided; fie mag zu den beften
Hilfsmitteln dieſer Art gum Berktändniß Des R. T. gehöre,
Der Briefan Titus erläutertvon Dr Rens
terdahl, Probſt in Lund. 1881 (theol. Quartalfchr. 3,
3). Die eregetifchen Erläuterungen find den akademiſchen
Vorkefangen bed Verf mähzend einer Bacanz zum Grunde
gelegt worden, und empfehlen ſich für biefen Gebrauch
durch gefundes Urtheil, Klarheit der. Darftellung und
zwedmäßige Auswahl des MWichtigern. Tiefer gehende
Unterſuchungen im Einzelnen fcheinen nicht in dem Plane
des Berf, gelegen zu habens auch fehlte ed dazu, wie aus
dem Vorworte erhellt, an dem erforberlichen Apparate.
Die Frage über die Authentie der Paſtoralbriefe
hat ber. Verf. eier erneuerten Unterfuchung unterworfen
bie Refültate derfelben find folgende: „An der Anlage und
Ausführung dieſes Briefes findet fich eine Einfachheit und
Klarheit, in dem Gebantengange und der Gompofition
eine Freiheit und Leichtigkeit, iu dem Ausdrucke und Styl
eine Richtigkeit und Genauigteit, bie nieht paulbiriſich
1028. | neberſicht
iſt. Wir berufen uns auf den ganzen vorhergehenden
Commentar. Dagegen vermiſſen wir bie Kraft, bie Tiefe,
ben eigenthümlichen und bedeutungsvollen Reichthum, Die
fo unverkennbare Kennzeichen ber pauliniſchen Schriften
ſind. Dieß alles macht es uns bedenklich, Paulns als den
Verfaſſer anzuſehen. Auch macht das Verhältniß unſers
Briefes zu dem erſten an den Timotheus ed beinahe uns
möglich, Daß beide Briefe denfelben Berfaffer gehabt haben.
Ein Berfaffer pflegt .nicht füch felbft zu copiren, und wenn
er ed thut, fo wird.er es ganz anders thun, als der Verf.
des Br. an Tim. den Brief an Titus copirt hat. Wir ges
ben alfo von Eichhorn ab, der die Paftoralbriefe alle ans
Demfelben Urfprunge herleitet. Die paulinifhen Briefe
haben ein beflimmtes Gepräge, und find gleicdfam Die Ty⸗
pen ber übrigen, Unter dieſen liegt der. Titusbrief ben
pauliniſchen am nächiten; er ift in dem Geiſte Derfelben
verfaßt, wenn auch nicht mit Des. Kraft derfelben ; entfern⸗
ter fteht der erite Brief an Timotheud. — Was die Ges
fchichte des Paulus betrifft, fo leugnen wir nicht die Mög⸗
lichkeit, daß fich. in derfelben eine Stelle für unfern. Brief
ausfindig machen läßt; was mir aber leugnen, iſt dieſes,
daß die Gefchichte Des Paulus, wie fie vor und aufgeſchla⸗
gen liegt, die geringfte Beranlaffung zu der - Meinung ents
hält, daß Paulus Verfafler des Briefes an Titus fey.”
Syſtematiſche Theologie.
De articulis fidei primariis, von J. H. Tho⸗
mander (Getzt Prof. d. Theol. in Lund), 1830, Als
Hauptartikel werden die Lehren anzuſehen ſeyn, die ſich
durch die Gewißheit, womit ſie ſich in der h. Schrift nach⸗
weifen laſſen, durch ihre Unentbehrlichkeit zu der Vollſtän⸗
digkeit des Lehrgebäudes und Durch Die Art, wie ſie ſich ges
geufeitig beweifen, von den übrigen unterfcheiden. Es
wird. gegen jeden Verſuch gewarnt, die chriftlichen Haupt⸗
lehren ohne hinreichende Beachtung bed Lehrtropus Ehrifi
d. theol. Litteratur ind, I-feamdinav. Reichen. 10023
und der Apoſtel und bes gegenfeitigen Verhaltniſſes der
einzelnen Lehren aufzuſtellen, ſo wie gegen, die Anſtcht, va
apoſtoliſche Symbol. ſey als Inbegriff der articuli’primarli
anzuſehen. Der Berf. unterſcheidet ferner..bie.art:. als o+
Aute primarii (welche das Ehriftenchum: Mit: andern. Reli⸗
gionen gemein hat), uud Die relative primarii,; durch
weiche -fidr das Ehriftenthum von andern Religtanen eb
terfcheibet. Das Nefultat der eben :fo fcharffinnig ;als:im
chriſtlichem Geiſte fortgeführten Unterfuchuugen it dieſes
Daß die Lehre, Jeſus 'ift Ehriftus, Das Hauptmoment der
Lehre Ehrifti und der Apoſtel, mithin ar —
Adei zu betr achten ſey Ve | en
: . : le I. %:
2) Diefe Särift-pat eine genifle litterars hiſtoriſche Merfwürbigleit
erhalten. Zunächſt war fie als specimen eruditionis bei der Bes
werbung um eine erledigte Profeffur in Lund Herausgegeben, nebft
drei andern Schriften: de allegorica Bibl. interpretatione ext
mente.Origenis— de parallelismo prophetarum quoranden V, Fi
— de animi immortalitate ex scriptis V. T. probata (die Weefl
find: ber Probft Kahl, die Docenten Theſtrup und Patterse
fon). Die theol. Facultät 'entfchied fih für’ die thomanderſche
° Schrift, die niht=theologifhen Mitglieder des Confiftoriums aber,
". denen nach deni Seſetze ein eben fo "gültiges Votum zuftcht, sets
Härten ſich für bie Sleichſtellung fänimtliher Arbeiten. : Dab. Mry
theil der Bacultät wurde. jegt von den Hrn. Kahl und. Pattęrs⸗
ſon heftig angegriffen. Dieſe war eben damals durch mehrere
eingetroffene Vacanzen auf Ein Mitglied reducirt, weldyes ſich der!
anlaßt fab, ſich an bie theol. Faeultät in Kopeübagen zu - menden;
und ſich ein Refponfum Über ben wiſſenſchaftlichen Gehalt der’ in
Grage fiehenden Schriften auszubiiten,; die kapenhagener Facujtq
erklärte fi nicht fowohl mit der früheren Beurtheilung einyer⸗
ſtanden, als vielmehr, daß bei den drei Übrigen Schriften Yon’ eis
nem wiſſenſchaftlichen Charakter keine Rede ſeyn könne. Die neue
Richtung, welche jest der Polemit gegeben wurde, und’bie ver⸗
ſchiedenen Waffen, deren ſich die gereisten Gemüther bebienten, zu
charakteriſiren, würde nicht hierher gehören, und eben fo wenig,, die
F drei erwähnten Schriften näher zu berühren; fie unterfcheiben ſich
in keiner Hinſicht von einer ſehr großen Anzahl akabemiſcher Difs
fertationen, bie bier wegen ihrer gaͤnzlichen ne ur
bedeutenheit frill ſchweigend Übergangen. werden.. 0.
so u .
I 8. vr, 29 « .r‘ rn 0_
ONE in in Aubeiſicht
u. Paralleſſtellan zur chriſtlichen Gittems
uud Gtanbenslehrenusg den Schriften des
Haffifhen Heidenthums, von. Thomanber,
1683ki thread. Muartalſthe. 16, Hu). Kür den in jenes Echxrift
burchgefuͤhrten Sagt: daß bie Kchre von Jeſus als beim von
Gt gefanbten,; zum Stile der Menſchheit leiüdeuden, Meſ⸗
find wie Haupelehte bes Chriſtenthums fen »- dat ber Berf.
hier: ainen Furbfidiiren Beweis geführt, Indem dire Uns
führudngen and: den griechiſchen nub rbmiſchen Eleſſttern
Dutgethan' wire: . „vab ſich vom allen übrigen Schwen bei
Ghriftenthams theils deatliche Ahndungen theild vollkom⸗
men ausgeführte Vorſtellungen in dem elaſſiſchen Heiden⸗
thume finden.” Die mitgetheilte Blüthenſammlung ift fehr
reitätyattig, und gibt allerdings einen wichtigen Beitrag zur
Berichtigung mancher Vorurtheil. Daß übrigen ber
Gedanke an eine Bleicjftellung des Chriſtenthums mit ben
vorch viſtlichen Religionen und Weisheitsſchulen dem Verf.
vollig fremd iſt, wäre wohl uüberftuſſtg anzumerken, und eben
ſo, daß bei kiner Anerkennung des wahren Verhältniſſes
des Chriſtenthums zu den frühern Bildungsmomenten der
Menſchheit ſolche Anfänge aus dem fernen Alterthume nur
erhebend auf bag Gemuth einwirken Pünnen. „Es tft Feine
Verfeinerung ber Wärbe der chriſtl. Wahrheiten, wenn
man biefelben in die Anſi chten erleuchteter Heiden aufge⸗
nommen ſieht; denn die Würde einer Wahrheit beruhet
auf der Wahrheit ſelbſt. Die Wurde des CEhriſtenthums
aber als Anſtalt iſt durch ihre Wirkungen sur Verherrli⸗
chung der goͤttlichen Vorſehung ſo erwieſen, daß alle Zeus
gen Dagegen ſchoni im voraus ſi h als falſche Zeugen ver
— a
— Einteitung im "Die Morsttheofegie, von Dr.
9— {mäsn, Prof. d. Theot. in tund, 1832 (theol. Quar⸗
kakfchr, 2.38..9.). Eine biblifch = philofopbifche Erörterung
Der eshifchen: Yanbamtental s Begriffe: Freiheit — Geſetz —
Pflicht — Recht — Gewiffen — Tugenivmubafter — Zurech⸗
d. theol. Litteratur in htz ſtaudinav. Reichen. toM
naung u. fie: ; zugleich iſt auf das kirchliche Oyſſen Ruchicht
genonmen. Unbrefangene Freiſiunigkeit und wiſſenſchaftliche
Muchöilenng des Geiftes, mit eruſthaft religtoſem Sinu
verbunden, machen dieſe Unterſuchungen ſehr ſchätzkar.
Bornaunſteund Offenbarung) Ir Theil, von
Dr; Bergquiſt, Proͤf. d. Theol. In Lund 188%: Diefer
Band fuͤhrt auch den Titel: einer theologiſch⸗pſychologi⸗
ſchen Unterſuchung über die Grundvermögen des Mens
ſchen. Die Tenbenz dieſer Unterſuchung wird ſich am bes
fax aus: folgendem Selbſtbekenntniß erkennen laſſen e,Es
war eine Zeit, da er:cber Verf.) glaubte, auft dem Wege
Des Sperulation.die Loſung ber Rathſel des Lebens finden,
ans de: eigenen Ideen der Vernanft ein Wiſſen eonſtru⸗
- ven zu konnen, groß und umfaſſend genug, um unter duße
felbe alles andere zu ſubſumiren, da er glaubte, eine reinẽ
VBernunft⸗Religion gefunden zu haben, auf welche ſich alte
yortive Formen ſollten zurückführen laſſen ats mehr obesß
weniger anvolllommene Abſpiegelungen: des reinen Ut⸗
typns; — auf eben dieſem Wege der Speculation Hier gu
dem Glauben an die Offenbarung in dem alten, Lechten
Sinne derſelben zurückgekommen, zu ber Ueberzeügung von
Dev darauf gegrünbeten Lehre, die ev befainttt: 7: Judem rin
Bet: Berf, dieſen Weg auch andern ernſthaft und redlich ford
fehenden Chriften zeigen will, hat er fi die Aufgabe Hed
ftellt, einerfeitd die Vernunft „nicht ald von der Offenba⸗
rung ifolirt darzuftellen,; ſondern albvdurch das Licht Ders
ſelden erdeuchtet und: dadurch allein ihrem Namen :und ihs
zer Beſtimmung entiprechend,. anbererfelis bie Yihlköfow
phie in mmabhängiger Eriflänz von dei Theologie zu Dei
haupten, indem dieſe „frei and ſelbſtſtändig die im ver Of⸗
fenbarung::gugebene ZUNE der Wahrheit erkennen, auffaſ⸗
ſen und ſech zurignen fo.” In der Löfnfig- biefer Aufgabe
Fönnen: wir den Verf. hier nicht weiten falgen, um fo: we⸗
niger Als os dei den: eigenthümlichen Behandlungsweiſe
des Verf⸗ oft ſchwer hält, ſich und. Anden aber: vie Ge⸗
ODE 5 ueberſich
danken? hes Verfs. beſtimmte Recheuſchaft zu:geben: Die
Phantaſiehat bei dem Verf. ein entſchiedenes Uebergewicht;
im Bunde mit einem tiefen religiöſen Gefühle wirkt dieſe
oft augiehend und anregend; aber die poetifch » chetorifche
Sprachweiſe ermüdet nach und nad, und erregt mitten in
dem: Reichthume einer überſchwenglichen Myſtik eine Sechs
ſucht, die unbefriebigt bleibt, nadı. einem einfachen Worte,
‚einer firengern Gedankenform, nach Kar ausgefprochenen
Refultaten ber weitläuftigen Erörtenungett.
‚Ueber das Verhältniß ber Bernunft zur
Dffenbarung, 1833 (Standia, 1x B.). Diefer am
nyme Auffap iſti zunächl gegen Th o.In dd gerichte,
als Kritik. einer ebenfo überfshriebenen Abhandlung dieſes
Theologen, die ind. Schwedifche überfegt if. Den Haupt⸗
momenten .biefer Abhandlung hat der Verf. feine Anſich⸗
ten. über. die Streitfragen gwifchen ben Rationaliften und
den ‚Supernaturaliften, über ben Begriff des Rationalis⸗
maus, die intellectuellen: Bermögen bes Menfchen, und die
Gründe fiir die Wahrheit und Göttlichfeit einer Ofieabas
rung entgegengefett. . Diefe. Betrachtungen verrathen ei
nen gründlich prüfenden und heil bentenden Geiſt, erre⸗
gen. aber zugleich den Wunfch, daß. der Verf. diefelben
fortgeführt hätte, a Die : — aa feſtzu⸗
— Sr La
— Hiſtoͤxiſche Tyeslogie en
Amsgar ins oder die Grändung des Chris
Bantnumd in Schwehen' Bon: Reuterbabl,
Prohſt in Lund. 1830, Etheol. Quartalſchr. 2-48 9.).
Eine; gehaltreiche Schrift, und zwar weiteren Umfanges,
als der Titel vermuthen läßt; benn der Erzählung von
her. Einführung des Ehriftenthums in Schweden ift nicht
une eine: lcherficht der wichtigern Momente aus der Als
tern Geſchichte Schwebens. vorausgeſchickt, ſondern auch
eine Darſtellung des Landes während des achten, ‚neunten
d. theol. Litteratur in d. 3 ſcandinav. Reichen. 1029
und zehnten Jahrhunderts. Das Berhältniß der älteſten
Bevölkerung Scandinaviend zu den germanifchen Bölfern
wie das gegenfeitige Verhältniß der verfchiebenen ſchwedi⸗
ſchen Völferftämme, die Nationalität derfelben nach ihren
öffentlichen und häuslichen Leben, die Hauptzüge Der Res
ligion und des Eultus derſelben u. dgl. m. machen ben
Inhalt dieſer Unterfuchungen aus, die ſich durch gründlia
ches Quellenſtudium und Eritifche Benutzung des reichen
. Apparat eben fo fehr als durch Fernreiche Darftellung
empfehlen. Der. Berf. äußert, wie er lange den Gedanfen
bei fich genährt habe, den Verſuch einer Kirchengefchichte
Schwedens zu wagen; das hier gegebene Fragment vers
fpricht der theologifchen Litteratur aus der Realifirung
dieſes Gedankens eine überaus. wichtige Bereicherung.
Ebenderfelbe DBerfaffer hat feinen Beruf zum Kir⸗
chenhiftorifer noch Durch andere Arbeiten bewährt:
Bruchſtücke ausPBorlefungenüber dienen
ere Kirchengeſchichte. 1832 Ctheol, Quartalſchr. 18
HJ): die Gefchichte Nicolaus. des Fünftenund Sas
vonarolas,als Beitrag zur Darfielung des wiflenfchafts
Vichen und kirchlichen Lebens in der Zeit, welche der Res
formation zunächſt voranging — und: die Grundles
gung ber hriftlihen. Kirche in dem ſüdlichen
Schweden durch den H. Siegfried, 1833 (Stans
dia Ar B.). Nach den isländiſchen Urkunden war diefer
Siegfried. oder Sigurd Bifchof. ded norwegifchen Königs
Oluf Trygvafon, welcher in der Schlacht bei Svolder
ums Leben fam, im 5. 1000 nach den ſchwediſchen Urkun⸗
ben Erzbifchof zu York; beide aber flimmen. darin übers
ein, daß er als. Miffionair nad) Schweden herüberging,
wo er den König Dluf Skötkonnung taufte, die. Einwoh⸗
ner in Weſtgothland und Smaaland zum Chriftenthum
befehrte und den Bifchofftuhl in Wexiö gründete, den Als
teften in Schweden. Der Berf. entfcheidet he a was bie
Theol. Stud. Jahrg. 1834,
100 Nebetſicht
Perſon des H. Siegfried betrifft, für die. islaͤndiſchen Ur⸗
kunden.
Lebensbeſchreibung des Erasmus vou
Rotterdam, von J. Thomäus, königl. Hofprediger.
1830. Die Schrift darf auf eigentliche Originalität nicht Ans
ſprüche machen; ber Verf. begieht fich, anftatt der Schriften
bes Erasmus und anderer gleichzeitiger Schriftiteller, auf
fpätere Biographen, namentlich auf die Burigny’fche Bios
graphienad; der Bearbeitung Henke's. Indeſſen fehlt es Dies
fer Nacharbeitung nicht an eigenthümlichem Werthe; die
Vorarbeiten find mit verftändiger Umficht benußt; die Beur⸗
theilung des Erasmus und feiner Stellung zu dem gan
zen Zeitalter ift meiftend richtig und treffend, und Die Bes
‚handlung des gefchichtlichen. Stoffes gewährt eine -belch-
rende und anziehende Unterhaltung.
Praktiſche Theo logie.
Die ſchöne Litteratur der ſchwediſchen
Kirche, von P. Wieſelgren. 1833. Dieſe wichtige
and inhaltsreiche Schrift iſt der erſte Theil eines größe⸗
ren Werkes: die ſchöne Litteratur Schwedens, welches nod
außerdem die ſchöne Litteratur der Kunſt, der Wiſſen⸗
ſchaft und des bürgerlichen Lebens umfaſſen wird. Die
kirchliche ſogenannte ſchöne Litteratur iſt in die lit ur gi⸗
ſche und pſalmodiſche und die bibliſche und
homiletiſche getheilt; unter beiden Rubriken werden
nach verſchiedenen Epochen die wichtigern Erſcheinungen
namentlich aufgeführt und charakteriſirt; auch Proben
werden mitgetheilt, und mehrere alte lateiniſche Pſalmen
von Ueberſetzungen begleitet; von den Meßbüchern des
Mittelalters wie von den vor⸗lutheriſchen Bibel⸗Para⸗
phraſen und Poſtillen ſteigt der Verf. der Reihe nach bis
zu den neueſten Arbeiten auf dem Gebiete der Liturgik und
Homiletit hinunter. Ueber bie litterärbiftorifche Vollſtän⸗
digkeit und über Die Würdigung der Gegenftände im Eins
d. theol. Litteratut in d. 3 feandinav. Reichen. 1031
zelnen kann dem Ref. Fein Urtheil zuftehen. Der geiftreiche
Entwurf aber und der theologifche Charakter ded Buches
im Allgemeinen läßt filh in aller Kürze bezeichnen. Durch
ſechs Epochen wird die Leberficht ber kirchlichen Litte⸗
ratur hindurd geführt. Es find folgende: 1) die des
Katholicismus (1000—1520). Princip: das Chris
ftenthum ift fchöne Kunft. Verwechſelung des Sinnes für
das Schöne mit dem Glauben, 2) Die ber Neformas
tion (1520 — 1600). Princip: das Chriftenthum iſt
nicht fchöne Kunſt. Begründung in dem Worte Gottes,
aber noch ohne Feſtſtellung eines beftimmten Ausdruckes
für den gemeinfamen Glauben. 3) Die des Symbolis
cismus (I60O0-—1700). Prineip: das, Ehriftenthim if
eine Wiffenfchaft. Aus Eifer für die Wahrheit, Entwides
Iung eines neuen Scholafticismus; Berwechielung des
Dogmatifchen Wiffens mit dem Glauben. 4 Die des
Dietismus (1700—1770). . Princip: das Chriftens
thum ift Feine Wiffenfchaft. Ein lebendiges Ehriftenthum,
fich im proteftantifchen Myſticismus entwidelnd; Verwech⸗
felung der frommen Rührungen mit dem Glauben. 5) Die
Der Neolsgie ATTO-109, Princip:. das Chriſten⸗
thum ift eine Tugendlehre. Ausbildung des Chriſtenthums
nach der Idee bes fittlich Guten; Verwechfelung der Tu:
gend mit dem Glauben. 6) Die ded rationellen Sus
prauaturalismus (1800 —....). Princip: das Chris
ſtenthum iſt keine Tugendlehre. Noch bevorſtehende po⸗
ſitive Entwickelung, jener Negation entſprechend. „Iſt
nicht alfo — fügt der Verf. hinzu — die Bahn durchge⸗
macht, auf welcher der natürliche Menſch es verfucht hat,
das Chriftenthum nach den Grundideen des menfchlidyen
Geifted zu conftitwiren? Sind wir nicht Durch theuer ers
Sanfte Erfahrung belchrt worden, daß das Chriftenthum
weder fchöne Kunſt noch Wiflenfchaft noch Tugendlehre
iſt, daß der Glaube mithin weder in dem natürlichen Sinne
für Schönheit oder Wahrheit oder Recht befteht? Sind
| 67 *
1032 | Ueberſicht
nicht bie Pharifäer des Katholicismus, bie Schriftgelehr⸗
ten bes Symbolicismus, Die Sadducäer ber Neologie jekt
deutlich genug von Jeſus und feinen Süngern gefchieben?
Soll man etwa dieß nicht einfehen und ebendenfelben Cir⸗
kelgang beginnen, oder fol man beherzigen, was die Gläu⸗
bigen zu allen Zeiten behauptet haben, daß das Chriftens
thum etwas Geiftiges ift, die Einſicht umd die Kräfte des
natürlichen Menfchen unendlich überfteigend, über Kunſt
und Wilfenfchaft und Tugendlehre erhaben, wiewohl es
von dem Sinne bed Schönen, des Wahren und des Rech⸗
ten aufgefaßt und ausgebildet werden fann?” u. |. w.
Jeſus aus Nazareth. Berichte aus den Evans
geliften für gebildete und ungebilbete Ehriften,' von J.
Thomäus, königl. Hofprediger, 1831. Die evangelis
fhen Erzählungen find durch facherflärende Anmerkungen
erläutert und mit Betrachtungen erbaulicdhen Inhalts be⸗
gleitet, bie Durch den Geift chriftlicher Frömmigkeit nnd
eine würbige Sprache das Gemüth anfprechen.
Unter den fehr zahlreichen, dem Geifte wie dem Wer⸗
the nach fehr verfchiedenen Beiträgen zur afcetifchen Littes
ratur möge ein Verzeichniß ber vorzüglichften homiletifchen
Schriften hinreichenz; zu dieſen gehört vor allen die, in
drei Theilen herausgefommene, Sammlung von Pre
Digten für alle Sonn⸗ und Fefltage des Sahres, von
Dr. 3. Aaftröm (1829 —31)5 ferner: Predigten und
Beichtreden von Lic Bergmann, Lönigl Hofpredis
ger (1833). — Für Arme und Reiche, nady ber heis
ligen Schrift (d. h. Entwidelung der Anfichten ber heilis
gen Schrift von Armuth und Reichthum, auf die verfchies
denen Berhältniffe des Bollölebens angewendet), von Dr.
Franzen (1833) — Predigten und Abend
mahlsbetrahtungen, 2r. Th, vor. P.Gagnen
königl. Hofprediger 1830). — Predigten und Abends
mahlsreden, von Dr. Thomander (1890) — Ent⸗
würfe zu Beichtred enund Wochenpredigten,
d» theol. Litteratur in d. 3 fcandinav. Reichen. 1033
von H. Schartau, nad dem Tode bed Verfs. heran
gegeben (1832). — Religionsreden, Ir. Th., von
dem Bifhof 3.0. Wallin (1831).
Ein zwedmäßiges Hälfsmittel für den Unterricht'ber
Jugend in den Volksſchulen ift die Biblifche Geſchich⸗
te, aus ber heil. Schrift gezogen, von U, Lundgren
(1830). Diefe Schrift iſt von der koönigl. Gefellfchaft
für Die Beförderung bes wechfelfeitigen Unterrichts mit dem
ausgeſetzten Preiſe belohnt. |
Bon dem, durch eine dazu ernannte Commiſſion aus⸗
gearbeiteten, im J. 1828 im Drud erfchienenen, Ents
wurfe zu einem Kirchengeſetze und einer Kir,
chen ordnung für Schweden, ift früher fchon in Dies
fer Zeitfchrift die Nede gewefen, auch von einigen durch
benfelben veranlaßten weiteren Discuſſionen. Diefe find
auch in ben legteren Jahren fortgefegt worden; zu ben
wichtigeren unter biefen gehören folgende: ein anonymes
Bedenfen über den Entwurf u.f. w. (1830). —
©. D. Dellben: Prüfung des Entwurfs u. f. w.
(1830) — ein Artikel in der ekkleſiaſtiſchen Zeits
fhrift (1831). .
SHinfichtlich der periodifchstheologifchen Titteratur ift
Das Aufhören der zwei, jeder in ihrer Art fchäßbaren,
Zeitfchriften: Efflefiaftifche Zeitfchrift von Rogs
berg und Winbom herausgegeben, und Theologi⸗
Ihe Quartalfchrift von Neuterbahl und Tho—⸗
mander herausgegeben, fehr zu bedauern. Wenn jene
zur Belebung der Paftorallitteratur und zur Förderung
bes Firchlichen Lebens wohlthätig gewirkt hat, fo hat fich
diefe m eine neue Geſtaltung ber theologifchen Wiſſen⸗
fchaft große Verbienfte erworben; ‚die Impnife, die in
diefer Hinfiht vorzüglich von den Iund’fchen Theologen
ausgegangen find, haben an vielen Orten Anfioß erregt
und den Geift der Oppofition gewedt; fie ſtehen aber mit
den Bewegungen und den Fortfchritten der Wiffenfchaft in
1034 Uebetſicht d. thkol, Litt. in d. 3 fcand. Reichen,
der übrigen theologifchen Welt in zu inniger Verbindung,
als daß nicht auch in Schweden ein freierer und Fräftigerer
Auffhwung durch fie herbeigeführt werben ſollte. — Für
das Berfiummen jener Organe darf in zwei fpäter entftans
denen „chriſtlichen Monatsfchriften” kein Erſatz gefucht
werben; bie eine, „der Bote” genannt, fcheint auf
Seine bedeutende Wirkſamkeit Anfpruch zu machen, wäh>
rend die andere, „ber Seher,“ durch ſchroffe Einfeitigs
keit und polemifched Poltern Bedeutung zu gewinnen fi
beftrebt. Dagegen bieten fich, für die Theologie wie für
die Wiffenfchaften überhaupt, erfreuliche Augfichten Dar
durch die Bereinigung verfchiedener namhaften Gelehrten
gu der Redaction einer. Zeitfchrift „Standia,” und einer
„Zeitung des fchwedifchen Litteraturvereing;”
der Gehalt des bisher Geleifteten (oom Anfang des Jah⸗
res 1833 an) verfpricht dieſem Unternehmen einen bedens
I renden Einfluß auf bas wiſſenſchaftliche Leben in Schwer
| den, —
In den Theol. Studien und Kritifen, Jahrg. 1834. 3, H. in der
literär. Meberficht der Pädagogik ꝛt. find folgende Drudfehler zu
» verbeffesn : =”
f &. 695 3. 9 fi. Cara deus L, Gavabenc, .
— 700 3. 11». u, I. Ratichs.
— 702 3. 12 v, o. iſt an wegzuftreichen.
— 705 3. 18 muß heißen Donquiroterie.
— 103.2 fr eslfie -
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Anzeige-Blatt.
SIEIDEIBSEDE EB BES
Im Verlage von Friedrich Perthes ift erfchienen:
Johann Weffel, ein Vorgänger Luthers. Zur Charac-
teriftit der chriftlichen Kirche und Theologie in ihrem
Uebergang aus bem Mittelalter in die Reformations⸗
zeit, von Dr. E&. Ullmann. gr. 8. 2 Thlr. 9 gl.
Diefe Schrift will nicht nur einen ausgezeichneten, um die theo=
logiſch⸗ kirchliche Fortbildung hochverdienten Mann in frifcheres Andens
ten und zu allgemeinerer Kenntniß bringen, fondern in diefem Manne
auch eine großg in der neueren geiftigen Entwidelung Europas höchſt
einflußreiche Zeit, die Uebergangsperiode von ber Schalaftif zur Mo.
formation, von theologiſcher Seite eindringender ı
fhildern, als es bisher gefcheben if. Ein Mann,
dem Geiſte Luthers fo Übereinftimmt, daß es ſcheinen
Luther alles aus ihm gefhöpft, und von dem Lutfı
zeugt, muß uns fchon für ſich felbft wichtig feynz; !
er zugleich Repräfentant einer bedeutenden kräftig n
firebung eined ganzen Zeitalter if. Deßhalb wir
und umfafiende Erneuerung feines. Andenkens, wel
gibt, Feiner weiteren Empfehlung bedürfen. Von bef
dürfte auch die ausführlide Schilderung der Inſtitu
men Leben feyn, von denen in einer Beilage gehant., wies
D. Ernesti Theoph. de Bengel Opuscula acade-
mica,edidit indicesgq. adiecitM.I.G. Pressel.
‚ Rad) einem Zeitraume von 8 Jahren feit dem Hingange des ner:
ewigten Prälaten D. v. Bengel in Zübingen erfcheinen hier feine
fämmtlichen academifchen Gelegenheitsfchriften, eine angenehme Erſchei⸗
nung, wie wir hoffen, nit nur für die nicht geringe Zahl von Freuns
den und Verehrern deffelben, fondern auch für Alle, welche bie Erzeug⸗
niffe eines klaren und befonnenen, auf eine reiche Gelehrfamkeit und
ein reife Urtheil geftüsten Forſchungsgeiſtes voll tiefer - Ehrfurcht
vor Religion und Chriſtenthum und heller Darftellungsgabe zu fchäs
gen wiflen. Ausgerüſtet mit einer eben fo innigen Liebe zu feiner
Wiffenihaft, als mit natürlicher Klarheit und Schärfe und aus einer,
wie fie fonft immer beurtheilt werben möge, unläugbar gründlichen
und der ernften Srforfchung der göttlichen Urkunden huldigenden Schule
Bervorgegangen, lag ihm die Bildung einer unbefangenen felbftftändis
a Anfiht an, wobet er denn aber eben fo ferne war yon dem Stre⸗
n, nur in Neuem fi zu gefallen, als. ihm die flarre Anhänglich⸗
keit an das Hergebrachte etwas völlig Fremdes war. Nicht blos Ichäßs
bar für ihre Zeit, auch ungeachtet fo mancher werthuollen Arbeiten
nach ihrer Erfcheinung noch von Werth, werben daher die Beiträge
feiner Inauguralbiffertation zu den Ginleitungen in bie. Pfalmen, eine
fhägbare Zufammenftellung voll Ordnung und Lit feine vergleichens
den Abhandlungen über die Unfterblichkeitälehre, und jene, wie andre
feiner Selegenpeitsfchriften ein ſchätzenswerther Beitrag zur Eregefe
des alten und neuen Teſtaments bleiben, Mögen Anfidhten und Sy
Er mit ihrer Zeit vorübergehen, was aus ernfler und gründlicher
orfhung hervorgegangen ift, wird nicht nur allezeit die verdiente
Anerkennung finden, fondern auch feinen fortwährenden feegensreichen
Beitrag zur Ermittlung der Wahrheit und zur Förderung fidherer
und tühtiger Studien Andrer und namentlich der jüngern Freunde
der Wiſſenſchaft geben. Ihnen befonders dürften diefe Abhandlungen
eines eben fo philoſophiſch, als hiſtoriſch und philologiſch gebildeten
Forſchers ben achten Weg bezeichnen, N
Geſchichte Fr Innocenz des Dritten und feiner
- Zeitgenoflen. Durch Friedrih Hurter. Erfter Band
Mit Innocenz Bildniß). XVI und 717 ©. in gr. 8.
Diefes Werk ift die Frucht beinahe zwanzigjähriger Arbeit; ein
Bruchſtück der Gefhichte Europa’s während zweier Jahrzehenden, in
welche fi) eine Reihe der denfwürbigften Ereigniffe zufammendrängt,
wie nie leicht ein ähnlicher Zeitraum eine foldhe aufzuweifen hat. Ins
nocenz war auf dem unermeßlichen Schauplag, der von Island bis an
die Ufer des Euphrats, von Paläftina’8 Hügeln bis in die fcandinas
vifhen Reihe ſich erſtreckt, in der vielartigen Mannidhfaltigkeit der
a der Alles verbindenbe Geift, ber Herzichlag, in welchem
gs für das gefammte Leben diefes Zeitraumes die Anziehe⸗- und Flieh⸗
aft vereinigt. Der Verfaſſer hat ſich zur Aufgabe gemacht, denfels
ben in jener reinen ethiſchen Würde barzuftellen, in welcher fein gans
zes Leben ein Beftreben zeigte: die höchfte Idee von der Bedeutung
feiner Obliegenbeit und deren Anforderungen in ihrem ganzen Umfange
und in ihrer vollen Ziefe zu verwirklihen. Deswegen aber, und weil
dem Verfaſſer ald leitender Grundfag vor Augen ſchwebte: Geſchichte
müſſe befchrieben, nicht gemacht werden, hielt er es für geboppelte
Hit, die Gewiffenhaftigkeit, in welcher er fein Werk ausarbeitete,
durch trete Beziehung auf die Zeugen bervortreten, bei ben merkwürs
digſten Wendungen der Dinge aber Innocenzen feine eigenen Ueberzeus
gungen ober Meinungen ausſprechen zu laſſen. — Der zweite Band
wird vor Ende des laufenden Jahres erfcheinen,
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BGotha, gebeudt mit Eagelhard⸗Reyher'ſchen Schriften.
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